Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
dem Kollegen Erich Fritz und der Kollegin Susanne
Kastner zu ihren 65. Geburtstagen gratulieren, die sie in
den vergangenen Tagen gefeiert haben, und dazu auch
auf diesem Wege noch einmal alle guten Wünsche des
Hauses übermitteln.
Wir müssen noch eine Wahl durchführen. Für die
Amtszeit des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für
Wiederaufbau schlägt die FDP-Fraktion vor, den Kolle-
gen Dr. h. c. Jürgen Koppelin zu berufen, und die Frak-
tion Die Linke benennt in ihrem Vorschlag die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch. Stimmen Sie diesen beiden Vor-
schlägen zu? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind
die Kollegen in den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für
Wiederaufbau gewählt.
Schließlich ist interfraktionell vereinbart worden, die
Z
Tagesordnungspunkte 15 und 28 abzusetzen und die Ta-
gesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zu den Ergebnissen des Europäischen Rates
am 8./9. Dezember 2011 in Brüssel
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Angekündigte, aber bisher nicht angegangene
steuerpolitische Vorhaben der Bundesregie-
rung
Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Die europäische Energieeffizienzrichtlinie wir-
kungsvoll ausgestalten
– Drucksache 17/8159 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter, René Röspel, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen der Nanotechnologien nutzen und
Risiken für Verbraucher reduzieren
– Drucksache 17/8158 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung senken
und eine wirksame Reduktionsstrategie um-
setzen
– Drucksache 17/8157 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
17760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva
Högl, Marlene Rupprecht , Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Übereinkommen des Europarats zur Bekämp-
fung des Menschenhandels korrekt ratifizie-
ren – Deutsches Recht wirksam anpassen
– Drucksache 17/8156 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Recht auf Eheschließung auch gleichge-
schlechtlichen Paaren ermöglichen
– Drucksache 17/8155 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für die Einführung eines transparenten und
unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens
– Drucksache 17/8162 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstel-
len und den Ausbau der Deutschen Digitalen
Bibliothek auf ein solides Fundament stellen
– Drucksache 17/8164 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 34
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Verbot der Haltung wildlebender Tierarten im
Zirkus
– Drucksache 17/8160 –
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Ingrid Nestle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Erneuerbare Energien und Effizienz als Alter-
native zum polnischen Atomprogramm för-
dern und fordern
– Drucksache 17/8163 –
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses
Übersicht 6
über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht
– Drucksache 17/8165 –
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 364 zu Petitionen
– Drucksache 17/8168 –
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 365 zu Petitionen
– Drucksache 17/8169 –
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 366 zu Petitionen
– Drucksache 17/8170 –
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 367 zu Petitionen
– Drucksache 17/8171 –
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 368 zu Petitionen
– Drucksache 17/8172 –
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 369 zu Petitionen
– Drucksache 17/8173 –
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 370 zu Petitionen
– Drucksache 17/8174 –
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 371 zu Petitionen
– Drucksache 17/8175 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17761
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 372 zu Petitionen
– Drucksache 17/8176 –
m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 373 zu Petitionen
– Drucksache 17/8177 –
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
kung eines aktiven Schutzes von Kindern und
– Drucksachen 17/6256, 17/7522, 17/7523,
17/7932, 17/7967, 17/8130 –
Berichterstatter:
Abgeordneter Jörg van Essen
ZP 6 Aktuelle Stunde
Demokratiebewegung in Russland
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissa-
bon konsequent anwenden – Mitwirkungs-
rechte des Bundestages in Angelegenheiten der
Europäischen Union weiter stärken
– Drucksache 17/8137 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Demokratie stärken – Parlamentarische
Rechte in EU-Angelegenheiten ausbauen
– Drucksache 17/8138 –
Z
li
A
a
g
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Volker Beck , Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kinderrechte stärken
– Drucksache 17/7187 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? –
as ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 a und b auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister des Auswärtigen
Eigenverantwortung und Partnerschaft – Eine
neue Perspektive für Afghanistan
b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
)
tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolution 1386 und
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
2011 vom 12. Oktober 2011 des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen
– Drucksache 17/8166 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Tagen in Bonn
haben Afghanistan und die internationale Gemeinschaft
eine neue Partnerschaft besiegelt, eine Partnerschaft, die
einem souveränen Afghanistan über das Jahr 2014 hi-
naus eine Perspektive gibt. Der Einstieg in die Übergabe
der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte
hat begonnen – trotz aller Versuche, diesen Prozess
durch schreckliche Anschläge aus der Bahn zu werfen.
Die Ansätze für einen Versöhnungsprozess in Afghanis-
tan entwickeln sich, auch wenn die Ermordung von
Professor Rabbani ein schmerzhafter Rückschlag war.
Von der Korruption über die Menschenrechte bis zur
Sicherheitslage: Nichts ist einfach in Afghanistan, und
doch steht Afghanistan heute besser da als vor einem
Jahr und erst recht besser als vor zehn Jahren. Dazu ha-
ben die Bundeswehr, die Polizei, die Wiederaufbauhelfer
und auch die deutschen Diplomaten einen Beitrag geleis-
tet, für den wir danken.
Wir danken also gemeinsam unseren Landsleuten in
Uniform und ohne Uniform für ihren Einsatz. Wir ver-
neigen uns vor den Soldaten, die den Einsatz mit ihrem
Leben bezahlt haben. Auch unschuldige afghanische
Kinder, Frauen und Männer haben ihr Leben verloren.
Wenn wir an die Zukunft Afghanistans in Sicherheit und
Frieden denken, dann trauern wir um alle Opfer.
2011 markiert einen Wendepunkt in der internationa-
len Afghanistan-Politik. Der strategische Konsens von
B
fü
p
P
d
s
d
h
K
te
n
T
s
h
w
B
k
a
fa
e
D
s
s
is
A
R
A
d
s
N
s
n
m
R
e
Z
g
m
n
R
n
d
B
k
ri
d
u
b
E
A
d
z
b
)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Viertens. Wir werden eine stabile Entwicklung nur
schaffen, wenn wir Afghanistan auch nach 2014 weiter
unterstützen. Mit der Internationalen Afghanistan-Kon-
ferenz in Bonn haben wir die Partnerschaft zwischen Af-
ghanistan und der internationalen Gemeinschaft erneu-
ert. Wir haben eine verlässliche Grundlage für eine
sogenannte Transformationsdekade von 2015 bis 2024
geschaffen. Das ist die neue Perspektive für die Zeit
nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen. Ich
will auch hier vor dem Deutschen Bundestag wiederho-
len, was die Bundeskanzlerin und was ich selbst bei der
Eröffnung der Afghanistan-Konferenz in Bonn gesagt
habe: Wir lassen die Menschen in Afghanistan nicht im
Stich, auch nicht nach 2014. Wir werden kein Vakuum
hinterlassen, in dem dann wieder neuer Terror gedeihen
kann. Wir tun das, was wir tun, für Afghanistan, für das
Land, aber wir tun es auch unverändert für uns und für
unsere eigene Sicherheit, und wir werden die früheren
Fehler in der Geschichte nicht wiederholen.
Dieses Ergebnis ist die Frucht mühevoller Arbeit von
vielen in den letzten zwei Jahren. Wir machen uns keine
Illusionen: Die Afghanistan-Konferenz war eine Konfe-
renz des Möglichen. Die Bundesregierung verfolgt eine
Politik des Machbaren in Afghanistan. Wir haben uns
realistische Ziele gesetzt, haben uns realistische Mittel
und einen realistischen Zeitplan gegeben. Wir haben dies
mit Afghanistan und der internationalen Gemeinschaft
vereinbart und setzen es mit unseren Partnern konse-
quent um. Nie hatten wir einen größeren internationalen
Konsens als heute; auch das haben wir in Bonn ein-
drucksvoll gesehen.
Im Vorfeld hat die Bonner Konferenz übrigens auch
geholfen, innenpolitische Blockaden in Afghanistan zu
überwinden, etwa die Parlamentskrise oder die Aus-
einandersetzung um die Kabul Bank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, die neue Partnerschaft mit Afghanistan ist keine
Einbahnstraße. Sie beruht auf festen gegenseitigen Ver-
pflichtungen zwischen der internationalen Gemeinschaft
und Afghanistan. Die afghanische Regierung hat sich zu
Verbesserungen bei der Regierungsführung, bei der Be-
kämpfung der Korruption und beim Aufbau des Justiz-
sektors verpflichtet. Die Rolle der Verfassung und der
Menschenrechte als Fundament der afghanischen Ge-
sellschaft soll gestärkt werden.
Auf der anderen Seite hat sich die internationale Ge-
meinschaft in bemerkenswert starker Form zu einem
langfristigen Engagement in Afghanistan über 2014 hi-
naus verpflichtet. Diese zivilen und entwicklungspoliti-
schen Zusagen werden im kommenden Juli in Tokio
konkretisiert. Ich sage dem Deutschen Bundestag als
dem Haushaltsgesetzgeber in aller Offenheit: Es wird
noch länger finanzielle Belastungen geben. Entwicklung
und Sicherheit bedingen sich gegenseitig. Die Wirtschaft
in Afghanistan muss auf die Beine kommen. Unsere
H
to
u
te
s
w
R
h
g
e
d
n
K
d
m
le
g
n
h
h
g
w
h
n
b
s
s
a
k
k
s
u
S
M
d
d
F
w
d
ti
B
a
ti
e
le
ih
w
b
im
d
e
g
g
w
e
)
weil es vor allen Dingen viele Frauen sind, die zu Recht
Sorge haben, dass nach 2014 ihre Rechte und ihre Mög-
lichkeiten wieder vergessen werden könnten. Unsere
Solidarität und unsere klare Ansage, dass wir für die fun-
damentalen Menschenrechte, aber eben auch für die
Frauenrechte unverändert eintreten und uns dafür einset-
zen, ist in meinen Augen wichtig, wenn der Übergabe-
prozess in Afghanistan gelingen soll.
Gleichzeitig formulieren diese Prinzipien klare An-
forderungen an das Ergebnis, also an die Friedenslösung
selbst. Die Souveränität, die Stabilität und die Einheit
Afghanistans müssen gesichert sein. Gewaltverzicht,
Bruch mit dem internationalen Terrorismus und Aner-
kennung der Verfassung mit ihren fundamentalen Men-
schenrechten und – ich sage das abermals – vor allem
auch den Frauenrechten sind notwendige Bestandteile
einer Friedenslösung. Und: Eine politische Lösung in
Afghanistan muss auch von der Region akzeptiert und
unterstützt werden.
Eine Friedenslösung, die diesen Prinzipien entspricht,
wird die volle Unterstützung der internationalen Gemein-
schaft finden. Wir lassen uns dabei von dem klaren Ziel
leiten, dass von Afghanistan nicht noch einmal Gefahr
für die Welt ausgehen darf. Aus dem Krisenherd Afgha-
nistan soll ein souveräner und verantwortlicher Staat
werden, ein Staat, der als gleichberechtigtes Mitglied der
Völkergemeinschaft zu Frieden und Stabilität in der
Region beiträgt. Kabul darf nie wieder die Hauptstadt
der Terroristen in der Welt werden.
Der zweite Fortschrittsbericht der Bundesregierung
zu Afghanistan, meine sehr geehrten Damen und Herren,
zeichnet ein ungeschminktes Bild der Fortschritte und
der Schwierigkeiten in Afghanistan. Wir brauchen eine
ehrliche Lagebeurteilung, ohne etwas schönzureden,
aber auch ohne die Fortschritte zu übersehen.
Ein Drittel der etwa 8 Millionen Schülerinnen und
Schüler sind Mädchen. Über 80 Prozent der afghani-
schen Bevölkerung haben Zugang zu Gesundheitsleis-
tungen. Straßen wurden gebaut, die Infrastruktur verbes-
sert, vor allen Dingen auch die Versorgung mit Wasser.
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben mit 305 000
Mann ihre Sollstärke fast erreicht. Der Schwerpunkt
liegt jetzt auf der weiteren Qualifizierung von Polizei
und Armee. Diese Aufgabe wird auch nach dem Abzug
der internationalen Kampftruppen 2014 fortbestehen.
Der Trend einer sich von Jahr zu Jahr verschlechternden
Sicherheitslage konnte vorerst – ich betone: vorerst –
gestoppt werden. Trotz schrecklicher Anschläge hat sich
die Lage 2011 insgesamt konsolidiert. Aber auch das
gehört zum Bild dazu.
Die Menschenrechtslage in Afghanistan verbessert
sich, allerdings nur langsam. Die universellen Men-
schenrechte sind in der afghanischen Verfassung veran-
k
v
D
g
im
g
K
d
h
s
ru
E
a
lu
A
L
m
g
w
M
a
D
A
P
d
a
in
E
e
in
A
a
te
S
w
ru
w
d
n
w
N
w
P
fä
d
d
ra
re
S
ti
s
m
v
)
Sie alle setzen ihren Ehrgeiz, ihre Gesundheit, ja ihr
Leben ein im Interesse unseres Landes.
Ich möchte mit einer persönlichen Betrachtung
schließen. Ich bin schon sehr oft in Afghanistan gewesen
und habe das Land besucht, lange bevor ich Mitglied der
Bundesregierung geworden bin. Wenn wir bei uns über
Afghanistan reden und über Afghanistan berichtet wird,
dann sehen wir schreckliche Bilder: Wir sehen
Anschläge. Wir trauern um Getötete. Wir sehen Bilder,
die wirklich schrecklich sind. Wir wissen um die Miss-
stände. Wir alle teilen die Sorgen und hoffen doch
darauf, dass uns eine gute, friedliche und stabile Ent-
wicklung in Afghanistan gelingt. Aber nicht nur die Bil-
der der Gewalt und des Terrors sind es, mit denen wir
uns befassen sollten.
Ich habe im Juli in Kabul ein Kinder- und Jugendzen-
trum besucht. Die Kinder dort spielen wie die Kinder
überall auf der Welt. In den Augen dieser Kinder – Mäd-
chen und Jungs – habe ich Hoffnung gesehen. Ich
glaube, wir schulden es diesen Kindern, dass sich ihre
H
a
A
v
ti
s
d
h
a
n
d
a
B
ta
fü
n
s
B
re
ri
e
s
K
W
S
n
n
d
fo
s
s
lö
a
s
v
Ü
le
k
Ü
U
fa
s
G
c
z
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
ollegen Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion das
ort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
PD hat im Jahr 2010 zwei große internationale Afgha-
istan-Konferenzen organisiert, mit Hunderten von Teil-
ehmern und mit konkreten Ergebnissen. Seitdem for-
ern wir einen Strategiewechsel vor Ort, der sich mit
lgenden Stichworten beschreiben lässt: Nur eine politi-
che Lösung, das bedeutet: ein innerafghanischer Ver-
öhnungs- und Reintegrationsprozess, kann den Konflikt
sen. Die Sicherheitsverantwortung muss schrittweise
n die Afghanen übergeben werden, was nur geht, wenn
ich die internationale Gemeinschaft auf die Ausbildung
on Polizisten und Soldaten konzentriert. Im Zuge des
bergabeprozesses, der bis 2014 abzuschließen ist, sol-
n bis Ende 2011 erste Reduktionen des Bundeswehr-
ontingents in Afghanistan eingeleitet sein.
Wo stehen wir heute? Es gibt die ersten Schritte des
bergangsprozesses, der Transition genannt wird. Seine
msetzung scheint vorerst erfolgreich zu sein. Jeden-
lls sorgen heute in den Provinzen Bamiyan, Pandsch-
chir und Kabul sowie in den Städten Herat, Lashkar
ah, Mehtar Lam und Masar-i-Scharif afghanische Si-
herheitskräfte für Ordnung und behaupten sich gegen
um Teil wütende Angriffe der Aufständischen.
)
17766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. h. c. Gernot Erler
)
)
In der Bundesregierung – das wissen wir – gab es er-
hebliche interne Auseinandersetzungen über das weitere
Vorgehen. Das, Herr Minister, haben Sie hier, vielleicht
wegen der heraufkommenden Weihnachtszeit, etwas an-
ders dargestellt. Am Ende hat die Bundesregierung aber
ein Mandat vorgelegt, das unseren Forderungen weitge-
hend entspricht: Schon zu Beginn des neuen Mandats im
Januar 2012 soll die bisherige Obergrenze von 5 350
Kräften auf 4 900 herabgesetzt werden, bis zum nächs-
ten Mandat weiter auf 4 400; Sie, Herr Minister, haben
das eben bestätigt.
Die uns vorgelegten Zahlen belegen, dass der Prozess
der Absenkung der Obergrenze bereits jetzt, zum Ende
des Jahres 2011, praktisch vollzogen wird. Noch am
23. November betrug die Anzahl der vor Ort eingesetz-
ten Kräfte 5 324; das war ziemlich haarscharf an der bis-
her geltenden Obergrenze. Das ist übrigens ein Beweis
dafür, dass die Reserve von 350 Kräften zuletzt fast voll-
ständig genutzt wurde. Doch schon am 7. Dezember wa-
ren nur noch 4 991 Bundeswehrkräfte vor Ort, womit die
neue, abgesenkte Mandatsobergrenze schon fast erreicht
ist. Die Truppenreduzierung ist also schon in vollem
Gange, noch im Jahr 2011. Das Funktionieren der Tran-
sition macht dies möglich, und das neue Mandat trägt
dieser Entwicklung mit den neuen Obergrenzen Rech-
nung.
Die endgültige Entscheidung fällt zwar erst im Ja-
nuar; aber angesichts der von mir beschriebenen Ent-
wicklung wird die SPD-Bundestagsfraktion diesem
Mandat zustimmen können. Das heißt nicht, dass wir
jetzt einem naiven Optimismus verfallen. Viele Sorgen
bleiben, manche haben sich verstärkt. Ich will hier nur
drei wichtige auf die Transition bezogene Sorgen skiz-
zieren:
Erstens. Die Transition kann an der mangelnden Aus-
bildung und an den lückenhaften Fähigkeiten der afgha-
nischen Sicherheitskräfte scheitern. Wir hören gerne,
dass schon im Oktober dieses Jahres 305 600 afghani-
sche Soldaten und Polizisten zur Verfügung standen und
somit das Sollziel bis Oktober nächsten Jahres erreicht
werden kann. Aber wir verfügen nur über vage Daten,
was die Qualität und die Schwundquote und damit die
Nachhaltigkeit der Einsatzfähigkeit dieser Kräfte angeht.
Man sollte keinen Tag vergessen, dass der eigentliche
Härtetest noch bevorsteht; denn vorerst unterliegen
– was auch Sinn macht – die eher ruhigen Gebiete der
Übergabe, dieser Transition. Erst am 27. November hat
Präsident Karzai die zweite Tranche für die Transition
verkündet. Nicht unerwartet benennt er dort erneut Pro-
vinzen und Städte, die eher unter einem schwachen
Druck der Aufständischen stehen. Aus dem deutschen
Regionalkommando Nord gehören dazu die kompletten
Provinzen Balkh, Takhar und Samangan sowie Teile der
Provinzen Sar-i-Pol und Badakhshan.
Diese Art des Transitionsprozesses bringt mich zu ei-
ner zweiten Sorge: Welche Kräfte zu Lande und in der
Luft werden die afghanischen Streitkräfte brauchen, um
bis 2014 die Sicherheitsverantwortung in den jetzt noch
umkämpften Gebieten zu übernehmen, und wie können
d
G
v
P
a
H
b
c
d
te
g
w
D
li
a
s
b
d
m
b
N
g
d
F
a
S
s
w
h
w
Z
re
R
A
w
te
Ih
re
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
fghanistan-Einsatz ist im Wandel. Nach zehn Jahren
erden wir erstmals die Zahl der Soldatinnen und Solda-
n, die dort einen tapferen Einsatz leisten, reduzieren.
nen wie den vielen zivilen Helfern gilt auch von unse-
r Seite für ihren gefährlichen Einsatz unser Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17767
Dr. Andreas Schockenhoff
)
)
Die CDU/CSU-Fraktion ist davon überzeugt, dass jetzt
der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Zahl unserer
Einsatzkräfte in Afghanistan zu reduzieren; denn der Stra-
tegiewechsel, der Anfang 2010 von der internationalen
Gemeinschaft für ganz Afghanistan und von der Regie-
rungskoalition für den deutschen Verantwortungsbereich
im Norden des Landes durchgesetzt wurde, verzeichnet
Erfolge.
Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afgha-
nische Hände hat bereits im Sommer 2011 begonnen.
Trotzdem hat sich die Sicherheitslage verbessert, auch
wenn wir ohne Zweifel noch nicht an unserem Ziel, dort,
wo wir einmal stehen wollen, angelangt sind. Nach einer
stetigen Verschlechterung seit 2006 ging die Zahl der
Anschläge und Gefechte im Jahr 2011 erstmals insge-
samt zurück. Auch dies ermöglicht die Umsetzung des
Konzepts der Übergabe in Verantwortung an afghani-
sche Sicherheitskräfte. In wenigen Monaten wird bereits
mehr als die Hälfte Afghanistans von heimischen Sicher-
heitskräften kontrolliert werden. Davon sind auch Pro-
vinzen und Distrikte im deutschen Verantwortungsbe-
reich im Norden betroffen. Das führt Schritt für Schritt
zu einer Reduzierung unserer Kräfte.
Deutschland arbeitet mit seinen Ausbildungspro-
grammen mit Nachdruck daran, dass afghanische Kräfte
so schnell wie möglich selbst für Sicherheit in ihrem
Land sorgen können. Der Aufbau der afghanischen Ar-
mee- und Polizeikräfte verläuft nach Plan und wird nun
sogar über das ursprünglich gesetzte Ziel hinaus intensi-
viert werden.
Ferner hat die Zahl der Überläufer zugenommen.
Landesweit soll die Zahl der Überläufer bei fast 3 000
liegen. Ob sich diese nachhaltig von den regierungs-
feindlichen Truppen abgewendet haben, bleibt abzuwar-
ten.
Insgesamt verdeutlicht der Beginn der Reduzierung
unserer Kräfte eine Gewichtsverschiebung innerhalb der
internationalen Afghanistan-Politik von der militäri-
schen Komponente zum politischen Prozess. Das spie-
gelte sich auch bei der Bonner Afghanistan-Konferenz
vergangene Woche wider; der Außenminister hat davon
berichtet.
Was muss bis 2014 geschehen, damit wir unser mili-
tärisches Engagement in der bisherigen Form beenden
können? Hier sage ich für meine Fraktion unmissver-
ständlich: Verantwortbare Übergabe hat Vorrang vor der
Verwirklichung ehrgeiziger Zeitpläne.
Entscheidend ist, dass die Ausweitung der afghanischen
Sicherheitsverantwortung in den kommenden Monaten
erfolgreich ist. Erst dann ist eine weitere Rückführung
der deutschen Einsatzkräfte möglich und verantwortbar.
Um unser Ziel einer vollständigen Übergabe der Si-
cherheitsverantwortung bis 2014 erreichen zu können,
bleiben insbesondere fünf Dinge notwendig:
Erstens. Die Fähigkeiten der afghanischen Sicher-
heitskräfte müssen weiter verstärkt werden; daran wird
mit Nachdruck gearbeitet. Dazu gehören auch die Fra-
g
K
w
a
le
n
e
tu
K
e
d
m
e
h
h
m
A
w
ri
m
d
u
c
2
F
u
s
n
w
A
S
z
is
d
a
h
e
w
e
tu
g
k
s
D
re
S
V
n
b
u
)
Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich will sofort über eine Grunddifferenz reden.
Man muss sich nicht an Nebensächlichkeiten aufhalten,
sondern man muss Grunddifferenzen benennen können.
Das, was der Außenminister für die Regierung hier
erklärt hat, bzw. das Mandat, das zur Entscheidung vor-
gelegt worden ist, enthält zwei Botschaften. Die erste
Botschaft ist: Die Bundeswehr bleibt in Afghanistan.
Die zweite Botschaft ist: Der Krieg wird fortgesetzt. Das
ist hier erklärt worden und Inhalt des Mandats. Ich füge
hinzu: Die militärische Strategie der Bundesregierung
und der NATO zielt sogar darauf ab, den Krieg zu ver-
schärfen, weil man noch immer glaubt, dass über eine
Verschärfung des Krieges die Lage in Afghanistan
gewendet werden könnte. Das ist die Richtung, die hier
vorgegeben worden ist. Diese Richtung, Herr Außen-
minister, führt weg von dem, was Sie als politisches Ziel
erklärt haben. Sie haben hier deutlich gesagt, der Krieg
sei militärisch nicht zu gewinnen. Früher haben Sie
immer „nicht nur“ gesagt; jetzt sagen Sie schon, er sei
militärisch nicht zu gewinnen. Es muss eine politische
Lösung geben. Wer einen solchen Kurs fährt, wird aber
keine politische Lösung erreichen; er wird sie verhin-
dern. Die Linke will eine politische Lösung.
Die Herabsetzung der Obergrenze der Zahl der einge-
setzten Soldaten hat nur ein Ziel gehabt: Sie wollten
SPD und Grüne einbinden, Ihrem Mandat wieder zuzu-
stimmen. Was die SPD angeht, ist das offensichtlich ge-
lungen. Die Meinung der Grünen werden wir noch mit
Interesse hören. Die Fraktion Die Linke sagt Ihnen ganz
deutlich: Wir werden dem Club, der Deutschland am
Hindukusch verteidigen will, nicht beitreten. Wir wer-
den diesem Mandat nicht zustimmen; das ist völlig klar.
Auf diese Grunddifferenz lege ich allergrößten Wert.
Herr Außenminister, ich fand Ihre Regierungserklä-
rung ohne Mut und, ehrlich gesagt, auch ein bisschen
saft- und kraftlos – ohne Mut deshalb, weil es der
Anstand vor der Mehrheit unserer Bevölkerung verlangt
hätte, hier deutlich zu sagen, dass die bisherige Afgha-
nistan-Politik, auch der Bundesregierung, gescheitert ist.
Es wäre erforderlich gewesen, dass man deutlich sagt:
Es war falsch, eine solche Entscheidung zu treffen. Wir
wollen diese Entscheidung korrigieren.
Aber zu all dem fehlt Ihnen persönlich und auch der
Bundesregierung der Mut. Wer im elften Jahr des Krie-
ges noch immer nicht die Fähigkeit hat, so etwas auszu-
sprechen, wird keine politische Wende herbeiführen.
D
w
ic
n
d
in
s
in
s
a
S
d
d
K
d
s
L
E
S
M
z
m
s
A
n
n
s
d
te
u
T
u
S
h
m
d
a
G
w
m
g
–
te
Ja, darauf bin ich stolz. Das ist, wie ich finde, eine in-
ressante Mischung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17769
Wolfgang Gehrcke
)
)
Ich zitiere Gorbatschow:
Aus meiner bitteren Erfahrung von damals kann ich
nur raten: Raus aus Afghanistan! Diesen Krieg
kann niemand gewinnen!
Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie
Gorbatschow. Raus aus Afghanistan, das ist die Losung,
die jetzt politisch umgesetzt werden muss.
Ich will noch einen weiteren Punkt kurz ansprechen.
Ohne tatsächliche Selbstbestimmung wird sich nichts
ändern. Sie sprechen ja von einer Übergabe. Das heißt,
jetzt liegt die Macht, politische Entscheidungen zu tref-
fen, nicht in Afghanistan, nicht bei den Afghaninnen und
Afghanen. Das war auch auf der Konferenz in Bonn
nicht der Fall. Wenn Sie diese Selbstbestimmung nicht
wollen und nicht dafür eintreten – der Friede in Afgha-
nistan wird von den Afghaninnen und Afghanen ge-
schlossen werden müssen –, werden Sie nichts erreichen.
Wer Pakistan als eine Nebensächlichkeit abtut, der
weigert sich, einzusehen, dass der Krieg längst auf
Pakistan übergegriffen hat. Wo in der Welt darf man ein
anderes Land einfach so angreifen und bombardieren?
Ich sage Ihnen: Da ballt sich mehr zusammen, eine Ver-
schärfung des Krieges, eine neue Katastrophe.
Ich will eine politische Lösung. Deswegen können
wir dem Kurs der Bundesregierung nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Bijan Djir-Sarai für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist seit
fast zehn Jahren eine jährliche Tradition, dass wir hier
im Deutschen Bundestag über den Fortgang des Bundes-
wehreinsatzes in Afghanistan diskutieren. Doch dieses
Jahr ist die Diskussion anders; das muss man in dieser
Debatte deutlich betonen. Mit diesem Mandat ab 2012
beginnen wir mit der Reduzierung unseres Bundeswehr-
kontingents in Afghanistan. Es war ein langer und harter
Weg bis zur heutigen Debatte. Wenn wir heute diesen
Weg analysieren, so stellen wir fest: Es gibt in Afghanis-
tan Erfolge, aber auch Misserfolge. Das müssen wir ehr-
lich eingestehen.
2001 hat sich Deutschland unter zum Teil falschen
Vorstellungen vom Einsatz und von seinen Zielen mit
der Bundeswehr in diesen Einsatz begeben. Daher muss-
ten die Erwartungen im Laufe der Zeit genauso über-
dacht und angepasst werden wie die Einsatzstrategie
selbst. Auch wenn es immer wieder Rückschläge gibt
und auch in Zukunft geben wird, trägt die aktuelle Stra-
tegie zu einer tatsächlichen Verbesserung der Situation
im Land bei. Wir sehen: Insgesamt hat sich seit 2001
etwas Positives in Afghanistan getan. Daher stehen wir
je
s
je
U
p
U
e
g
H
d
li
A
z
S
J
s
n
lu
m
d
d
T
Z
m
s
h
re
s
n
e
A
A
g
A
p
E
d
w
e
b
re
B
li
u
z
ru
ngeduld wäre sogar gefährlich und würde die erreichte
ositive Entwicklung völlig kaputtmachen.
ns allen hier im Haus ist doch klar, dass es nicht um
inen direkten Abzug aller Soldatinnen und Soldaten
eht. Es ist aber auch klar, dass aus Afghanistan keine
ochburg der Demokratie werden wird. Es geht darum,
iesen Übergangsprozess verantwortungsvoll und ordent-
ch abzuschließen; das ist die heutige Sachlage.
Wir verlängern diesen Einsatz um ein weiteres Jahr.
ber diese Verlängerung ist kein Weiter-so; denn gleich-
eitig wird die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und
oldaten auf 4 900 reduziert. Zum ersten Mal nach zehn
ahren Einsatz lässt die Sicherheitslage einen schrittwei-
en Abzug der internationalen Truppen zu. Damit begin-
en wir direkt im Jahr 2012 und werden diese Entwick-
ng bis 2014 fortsetzen.
Deutschland wird sich auch nach dem Abzug der
ilitärischen Hilfe im Jahr 2014 weiter am zivilen Wie-
eraufbau Afghanistans beteiligen. Wir tragen dazu bei,
ass das Land nicht wieder eine Basis für internationalen
errorismus wird. Deutschland steht jetzt und auch in
ukunft an der Seite der afghanischen Bevölkerung,
eine Damen und Herren.
Eines ist klar: Es wird in Afghanistan keine militäri-
che Lösung geben. Afghanistan wird nur eine Zukunft
aben, wenn sich dort eine kraftvolle und funktionie-
nde Zivilgesellschaft entwickelt. In diesem Bereich
teht uns noch viel Arbeit bevor, die wir mit den Afgha-
en zusammen angehen müssen. Wir müssen weiter
rklären, wie wir die Zivilgesellschaft von morgen in
fghanistan konkret unterstützen können. Der innere
ussöhnungsprozess muss allerdings zuerst von den Af-
hanen selbst vorangetrieben werden; denn Frieden in
fghanistan kann nur zwischen den Parteien und Grup-
ierungen vor Ort geschlossen werden.
in kopfloser Abzug unserer Soldaten würde allerdings
ie vielen mühsam erreichten Erfolge vernichten und
äre für viele Menschen vor Ort zum jetzigen Zeitpunkt
ine echte Katastrophe.
Wir müssen uns weiterhin mit den Problemfeldern
eschäftigen. Leider verbessert sich die Menschen-
chtslage in Afghanistan nur schleppend; das hat die
undesregierung auf der Bonner Konferenz bereits deut-
ch kommuniziert. Hieran muss Afghanistan arbeiten,
nd hier muss die afghanische Regierung mehr umset-
en. Gerade im Hinblick auf Demokratie und Regie-
ngsführung gibt es weiterhin viel Arbeit.
17770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Bijan Djir-Sarai
)
)
Aber man muss auch über die Erfolge reden. Erstmals
seit Jahren hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan
trotz einiger schmerzhafter Rückschläge wieder verbes-
sert. Der Strategiewechsel hin zur verstärkten Ausbil-
dung der afghanischen Soldaten und der Polizei ist
bereits jetzt ein Erfolg. Sehr positiv fallen weiterhin die
Bereiche Bildung und Medizin auf. Hier hat es die größ-
ten Fortschritte gegeben. Für den größten Teil der Men-
schen gibt es erstmals eine flächendeckende medizini-
sche Grundversorgung, und der flächendeckende
Ausbau der Bildungschancen für beide Geschlechter
macht ebenfalls weiter große Sprünge. Diese Erfolge
dürfen wir bei aller Kritik nicht vergessen und nicht
kleinreden lassen.
Ich danke der Bundesregierung für einen sehr ehrli-
chen und guten Fortschrittsbericht. Es ist völlig richtig
und wichtig, dass wir uns anschauen, was wir mit unse-
rem Einsatz bisher erreicht haben. Dies ist auch Teil der
Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten
und notwendig, wenn über das Mandat zu entscheiden
ist. Diese Fürsorgepflicht gilt für uns alle in diesem
Haus, unabhängig vom parteipolitischen Hintergrund.
Daher ist es grundsätzlich richtig, den Einsatz sachlich
und nüchtern zu bewerten.
Um mehr als eine Bewertung der Vergangenheit ging
es letzte Woche in Bonn. Auf der Afghanistan-Konfe-
renz wurde beraten, wie die Unterstützung der interna-
tionalen Staatengemeinschaft nach 2014 aussehen kann.
Zehn Jahre nach der ersten Konferenz auf dem Peters-
berg ist Deutschland nicht nur Gastgeber gewesen, son-
dern Deutschland hat erkennbar auch eine Führungsrolle
eingenommen. Ich halte die Bonner Afghanistan-Konfe-
renz für einen großen Erfolg deutscher Außenpolitik,
und ich halte die Bonner Afghanistan-Konferenz für
einen großen Erfolg des deutschen Außenministers.
Darauf können wir alle in diesem Haus fraktionsüber-
greifend stolz sein.
Zusagen der internationalen Gemeinschaft müssen
allerdings mit verstärkten Forderungen nach Bekämp-
fung von Drogenhandel und Korruption sowie nach Stär-
kung der Menschenrechte verbunden werden. Der Erfolg
der Konferenz ruhte aber nicht zuletzt auf den Schultern
aller Teilnehmerländer. Die Nachbarstaaten Afghanis-
tans haben auf der Konferenz sehr gut mitgewirkt. So
haben China und Indien konstruktive Vorschläge in die
Diskussion eingebracht. Ohne die Unterstützung der
regionalen Nachbarn wird Afghanistan nach dem Abzug
der internationalen Kampftruppen nicht lange eine aus-
reichende Sicherheitslage halten können. Das ist die
Realität in der Region.
Wir halten mit dem Mandatstext, der hier diskutiert
wird, am Vorhaben des Truppenabzugs fest, und wir ver-
sichern: Deutschland wird sich auch nach dem Abzug
der militärischen Hilfe weiter am zivilen Wiederaufbau
Afghanistans beteiligen.
b
d
k
A
u
d
g
d
N
d
ta
k
d
w
2
a
ri
d
n
ra
b
g
–
K
E
n
k
s
K
is
e
g
s
s
H
Die Situation in Afghanistan wird von der Politik und
er Bevölkerung in Deutschland wahrgenommen und
erät nicht in Vergessenheit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Frithjof Schmidt für
ie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
er Diskussion über den Weg zum Frieden für Afghanis-
n geht es heute um drei grundlegende Bereiche: Wie
ann eine politische Lösung erreicht werden? Wie kann
er zivile Aufbau langfristig sichergestellt werden? Wie
ird der Abzug der internationalen Kampftruppen bis
014 umgesetzt?
Die Rede des Kollegen Gehrcke von der Linken ver-
nlasst mich hier schon zu einer Bemerkung: Sie igno-
eren politisch, dass es um dieses dreifache „Wie“ für
en Frieden geht. Dass Sie zu dem „Wie“ hier praktisch
ichts sagen, sondern einfach nur wiederholen: „Sofort
us, und dann mal sehen, was passiert“, ist schon ein
emerkenswertes Stück an politischer Realitätsverwei-
erung.
Doch, doch.
Es ist jetzt zwei Jahre her, dass Präsident Obama eine
ehrtwende in der Afghanistan-Politik eingeleitet hat.
r hat ausgesprochen, dass der Konflikt in Afghanistan
icht militärisch, sondern nur politisch gelöst werden
ann. Das war die Voraussetzung für den Strategiewech-
el der internationalen Gemeinschaft auf der Londoner
onferenz Anfang 2010. Das war richtig und wichtig. Es
t aber offenkundig: Diese politische Lösung ist nicht
infach zu erreichen, und sie wird vor allem einen unan-
enehmen politischen Preis haben.
Frieden schließt man mit Gegnern, das heißt in die-
em Fall, auch mit den reaktionärsten Teilen der afghani-
chen Gesellschaft. Dennoch bleibt dieser Weg richtig.
err Außenminister, ich möchte Ihnen in dieser Hinsicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17771
Dr. Frithjof Schmidt
)
)
ausdrücklich unsere Unterstützung anbieten. Wir haben
eine gemeinsame Verantwortung, den Bürgerinnen und
Bürgern zu erklären, warum dieser Weg beschritten wer-
den soll und muss und warum es trotz aller Rückschläge
und Schwierigkeiten richtig ist, den schrittweisen Abzug
der internationalen Kampftruppen mit Verhandlungen
mit den Aufständischen zu verbinden.
Wir unterstützen ebenso die Anstrengungen, das
zivile Engagement der internationalen Gemeinschaft bis
2024 und länger unvermindert sicherzustellen. Die Bon-
ner Afghanistan-Konferenz war hier sicherlich ein wich-
tiger Schritt in die notwendige Richtung. Das begrüßen
wir ausdrücklich, und wir hoffen, dass die vereinbarte
Geberkonferenz in Tokio im nächsten Juli dann auch zu
konkreten Vereinbarungen führt; denn auch das gehört
zur Wahrheit: Die fehlen bisher.
Es ist in diesem Zusammenhang auch richtig und not-
wendig, den politischen Druck auf die afghanische Seite,
auf die afghanische Regierung zu erhöhen. Hilfe kann es
nicht bedingungslos geben, und die afghanische Regie-
rung muss vor allem in den Bereichen Good Governance
und Korruptionsbekämpfung umsteuern. Das fordern
gerade auch die afghanische Zivilgesellschaft und die
afghanischen Nichtregierungsorganisationen immer wie-
der ein, und das hat die afghanische Zivilgesellschaft
auch in Bonn nachdrücklich vorgetragen.
Wenn die Bundesregierung in dieser Hinsicht Druck
macht, dann werden wir sie auch dabei unterstützen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, trotz
dieser grundsätzlichen Übereinstimmungen, die wir
politisch wichtig finden, sind wir mit dem Mandat, das
Sie uns in diesen Tagen vorlegen, unzufrieden. Ich weiß,
das wird Sie jetzt nicht wirklich überraschen; denn wir
haben ja auch das jetzt auslaufende Mandat schon kriti-
siert.
In den letzten zwei Jahren haben die ISAF-Truppen
gemeinsam mit der afghanischen Armee eine großflä-
chige offensive Aufstandsbekämpfung betrieben. Das
Ziel, insbesondere der amerikanischen Militärführung,
war es offensichtlich, die Taliban binnen 18 Monaten
sozusagen an den Verhandlungstisch zu bomben. Das hat
ebenso offensichtlich nicht funktioniert. Die Bundesre-
gierung hat, insbesondere im Rahmen des sogenannten
Partnering, die Bundeswehr in diese offensive Auf-
standsbekämpfung verstrickt. Sie hat damit den Einsatz
der Bundeswehr im Norden Afghanistans vom ursprüng-
lichen Ansatz eines Stabilisierungseinsatzes weggeführt.
Wir finden, das war falsch, und das muss beendet wer-
den.
Diese offensive Aufstandsbekämpfung geht einher
mit einer hohen Zahl an zivilen Opfern. Nach einer Stu-
die des Afghanistan Analysts Network können 95 Pro-
zent der bei den sogenannten Capture-or-kill-Operatio-
nen Getöteten nicht direkt den Aufständischen
zugeordnet werden – 95 Prozent! Es kommt dabei auch
offensichtlich zu Verletzungen des humanitären Völker-
rechts. Damit wird das Vertrauen in die ISAF-Truppen
u
s
o
z
li
A
s
d
d
a
s
e
n
d
H
a
u
s
n
p
g
A
z
b
F
D
g
li
S
je
is
te
e
le
d
s
u
a
e
z
a
n
Es ist auch ganz unverständlich, wenn die Bundesre-
ierung hier erneut die Perspektive einer fundierten
bzugsplanung bis 2014 verweigert. Die erste Ab-
ugsetappe, die Sie für dieses Mandat angekündigt ha-
en, ist – leider – im Wesentlichen eine Luftbuchung.
ast 1 000 Soldaten würden jetzt nach Hause kommen.
as haben Sie Ihre Pressesprecher vermelden lassen.
Wenn man sich die Zusammensetzung dieser Zahlen
enauer anguckt, dann wundert man sich; denn verbind-
ch übrig bleiben etwa 200, die real abgezogen werden.
ie lösen zum einen die flexible Reserve auf. Die wurde
doch zum größten Teil überhaupt nicht eingesetzt. Das
t eine Mogelpackung. Real bleiben von den 450 Solda-
n, die Sie in der ersten Tranche benennen, wenn man
s hochrechnet, 200 übrig.
Dann stellen Sie in Aussicht, dass im Jahr 2012 viel-
icht, wenn es die Umstände zulassen, weitere 500 Sol-
aten abziehen könnten. Da kann ich nur sagen: Klarheit
ieht anders aus.
Dann kommt noch Herr de Maizière in dieser Woche
nd erzählt, dass er meint, dass deutsche Kampftruppen
uch nach 2014 in Afghanistan sind. Sie stellen mal eben
ine zentrale Botschaft der internationalen Gemeinschaft
um Abzug 2014 infrage, bevor Sie damit überhaupt
ngefangen haben. So schafft man Unsicherheit bei Part-
ern, Soldaten und Bevölkerung, und das ist schlecht.
17772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Frithjof Schmidt
)
)
Wir hatten hier im Bundestag immer einen breiten
Konsens, dass ein überstürzter und ungeordneter Abzug
der internationalen Kampftruppen falsch ist, weil er zum
Anheizen eines Bürgerkrieges führen könnte.
Es muss deswegen vermieden werden, dass Ende
2014 schlagartig mehr als 4 000 Soldatinnen und Solda-
ten der Bundeswehr den Norden Afghanistans verlassen.
Das hätte eine destabilisierende Wirkung, die vorherseh-
bar ist. Ein Abzug muss schrittweise durchgeführt wer-
den, und sein Ende muss klar definiert sein.
Deshalb ist die Kritik an der Planungsverweigerung
der Bundesregierung für uns eine zentrale und wichtige
Frage.
Vor diesem Hintergrund kann ich meiner Fraktion die
Zustimmung zu dem hier von der Bundesregierung vor-
gelegten Mandat nicht empfehlen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidi-
gung, Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bundesregierung hat gestern beschlossen, das deutsche
militärische Engagement in Afghanistan um ein weiteres
Jahr verlängern und bis zum 31. Januar 2013 fortführen
zu wollen. Heute bitte ich gemeinsam mit dem Kollegen
Westerwelle dafür um Ihre breite Zustimmung.
Wir wollen mit diesem Beschluss den eingeschlage-
nen Weg einer Übergabe in Verantwortung konsequent
fortsetzen. Verantwortung beschreibt dabei den Weg und
das Ziel.
Wir sind seit 2002 an ISAF beteiligt, wie alle wissen.
Wir tragen in Afghanistan als Führungsnation für die
Nordregion und als drittgrößter Truppensteller eine
besondere Verantwortung. Es gibt außer den Vereinigten
Staaten von Amerika und uns kein anderes großes Land,
das eine solche regionale Verantwortung trägt.
Die Mandatsobergrenze beträgt derzeit 5 350 Solda-
tinnen und Soldaten. Wir sehen erstmals eine Verringe-
rung der personellen Obergrenze vor.
Ich finde die Formulierung unseres Kollegen von der
FDP – wir machen weiter, aber das ist kein Weiter-so –
eine sehr präzise Beschreibung des Sachverhaltes.
Mit Beginn des neuen Mandatszeitraums, also im
Februar 2012, soll die personelle Obergrenze für das
gesamte deutsche Einsatzkontingent ISAF einschließlich
AWACS zunächst maximal 4 900 Soldaten betragen.
Herr Kollege Erler, Sie haben mit den Zahlen von
November/Dezember dieses Jahres argumentiert und
g
e
s
v
is
h
B
u
d
w
w
3
A
s
w
B
a
w
g
v
s
s
h
n
w
v
z
v
D
s
li
O
D
A
A
d
s
e
b
W
e
d
m
la
D
Die Voraussetzungen für diese erste Reduzierung
nseres militärischen Beitrages sind in den letzten bei-
en Jahren geschaffen worden. Herr Schmidt, da haben
ir in der Tat einen Dissens. Wie sind sie geschaffen
orden? Auch durch Kampf. Die Amerikaner haben
3 000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten nach
fghanistan geschickt, wir ein paar Hundert. In der Tat
ind in diesen zwei Jahren ganze Gebiete freigekämpft
orden. Das hatte einen großen Preis und einen hohen
lutzoll – auch bei zivilen Opfern. Das ist wahr. Es war
ber auch eine notwendige Voraussetzung für die schritt-
eisen Erfolge der Sicherheit, die wir jetzt haben. Das
ehört zur Wahrheit. Wir haben da einen Dissens. Ich
erkleistere den Dissens gar nicht. Das ist aber so.
Wir wollen deswegen jetzt die Möglichkeit nutzen,
chrittweise zurückzuführen. Die Sicherheitslage ist bes-
er geworden.
Was Sie von der Konrad-Adenauer-Stiftung zitiert
aben, kenne ich jetzt nicht. Ich werde der Sache einmal
achgehen.
Wenn Sie sich die Zahlen angucken, sehen Sie, dass
ir in diesem Jahr einen Rückgang der sicherheitsrele-
anten Zwischenfälle in ganz Afghanistan um 25 Pro-
ent und im Norden, in dem wir Verantwortung tragen,
on 50 Prozent hatten. Das ist nicht unser Verdienst.
ass der Unterschied so groß ist, liegt auch an den unter-
chiedlichen Gegebenheiten. Das ist allerdings ein wirk-
cher Fortschritt.
Ich füge aber auch hinzu, dass die Zahl der zivilen
pfer unter den Afghanen höher ist als im letzten Jahr.
as bedeutet, dass es auch eine Veränderung der
nschlagstaktik gibt. Ich muss deutlich sagen:
nschläge auf eigene Landsleute zu organisieren, wie
as hier der Fall ist, ist das Niederträchtigste, was Men-
chen sich ausdenken können.
Es gibt also Fortschritte. Sie sind labil. Deswegen ist
s völlig richtig, dass wir die gleiche Formulierung wie
ei der letzten Mandatsbeschreibung wählen und sagen:
ir nehmen den Abzug vor, wenn die Sicherheitslage es
rlaubt und unsere eigenen Soldaten nicht gefährdet wer-
en. – Es ist das Selbstverständlichste der Welt, dass
an eine Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrund-
ge, um es einmal so auszudrücken, bereits formuliert.
as haben wir gesagt, das sagen wir, und das bleibt so.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17773
)
)
Herr Minister – –
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen,
wenn Sie das meinten.
Nun zur Frage der Klarheit, Herr Schmidt. Es ist so:
Wir können keine Klarheit darüber haben, wie es weiter-
geht. Wir brauchen Flexibilität, gerade für das nächste
Jahr. Darum reden wir nicht herum. Warum ist das so?
Weil die Amerikaner ihre Pläne zum Abzug bis zum
30. September 2012 befristet haben. Unser Mandat wird
jetzt bis zum Januar 2013 gehen. Die Amerikaner sagen
uns erst im April, was sie nach dem 30. September ma-
chen werden. Deswegen können wir jetzt nicht genau
festlegen, was wir in der zweiten Jahreshälfte 2012 vor-
haben. Deswegen ist die Zahl von 500 Soldaten, um die
die Truppe reduziert wird, flexibel auf das Jahr zu vertei-
len. Es bleibt dabei: Wir sind gemeinsam nach Afghanis-
tan reingegangen, und wir gehen gemeinsam raus.
Nichts anderes wäre verantwortlich.
Die Planungen darüber werden wir vorlegen, Herr
Schmidt. Aber sie folgen einem Prinzip, das ich folgen-
dermaßen beschreiben will: Wo wir sind, sind wir rich-
tig. Wir werden keine Ausdünnung an Einsatzstandorten
dergestalt machen, dass wir die Sicherheit unserer Sol-
daten gefährden. Das ist die konsequente Umsetzung ei-
nes Transitionsprozesses. Wenn Afghanistan die Verant-
wortung für die Sicherheit in Gebieten übertragen
bekommt, dann bitte schön. Das ist die Konsequenz die-
ses Prozesses. Diesen werden wir Schritt für Schritt voll-
ziehen.
Nun will ich noch ein Wort zu den Jahren danach oder
für den Weg bis 2014 sagen. Ich habe das gestern auch
schon im Verteidigungsausschuss gesagt. Einen Abzug
zu organisieren, ist so ungefähr das Komplizierteste, was
es militärisch gibt.
Um es mit einem Bild zu verdeutlichen: Von einem
Baum herunterzuklettern, ist manchmal komplizierter,
als auf einen Baum hinaufzuklettern. Deswegen werden
wir im Laufe des nächsten Jahres darüber diskutieren
und die Pläne transparent vorlegen. Ein Abzug muss
klug organisiert werden. Dazu braucht man gegebenen-
falls andere Kräfte als die, die jetzt da sind. Das werden
wir besprechen.
Wir wissen auch nicht, ob möglicherweise der ganze
Norden wegen der Unsicherheit im Osten von Pakistan
das Abzugsgebiet für die Amerikaner, Franzosen, Briten
und alle anderen ist. Dann stellen sich die Fragen 2013
noch einmal anders. Ob sich die ganze Organisation des
Abzuges über den Norden vollziehen wird, können wir
jetzt noch gar nicht sagen, Herr Schmidt. Aber ich weise
darauf hin, dass ein Abzug andere Kräfte temporär bin-
det. Darüber werden wir in Ruhe zu reden haben.
h
w
w
d
fr
Z
ta
d
Z
L
d
d
b
n
W
d
G
F
a
Z
d
S
d
g
s
s
li
a
u
ti
J
in
re
z
d
h
fo
W
te
s
n
g
Danke, Herr Präsident. – Der Herr Minister hat meine
rage leider nicht zugelassen. Ich habe mich gemeldet,
ls er davon gesprochen hat, dass die Angriffe auf die
ivilbevölkerung in Afghanistan durch Afghanen beson-
ers niederträchtig sind. Ich kann dem nur zustimmen.
ie sind heimtückisch und niederträchtig.
Aber was sind denn dann Angriffe von Killerdrohnen,
ie übers Land fliegen und nach einer Liste Menschen
ezielt töten, während sie zu Hause schlafen, während
ie zu Hause essen, während sie im Auto sitzen, während
ie auf dem Feld sind, und die auf diese Weise Tötungs-
sten abarbeiten?
Was sagt der Minister dazu, dass das nicht nur eine
bstrakte Möglichkeit ist, sondern in ganz Afghanistan
nd leider auch in Pakistan durch die US-Drohnen prak-
ziert wird? Was sagt er dazu, dass solche Drohnen ab
anuar 2012 im Verantwortungsbereich der Bundeswehr
Masar-i-Scharif stationiert werden, von da aus operie-
n und damit den Krieg in Afghanistan grundsätzlich
usätzlich eskalieren, statt zu deeskalieren und auf Frie-
en hinzuarbeiten?
Der Außenminister hat vorhin gesagt, dass er Ver-
andlungen für richtig hält und dass auf diesem Weg
rtgefahren werden muss. Ich sehe noch nicht, dass der
eg begangen worden ist. Aber sind nicht solche geziel-
n Tötungen geradezu kontraproduktiv, und verhindern
ie nicht die Verhandlungen? Wird dadurch nicht nur
euer Hass geschürt, und müssen die, die zu Verhandlun-
en bereit sind, wie es schon geschehen ist, nicht fürch-
17774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Hans-Christian Ströbele
)
)
ten, dass sie anschließend durch solche Killerdrohnen
abgeschossen werden?
Ist das der richtige Weg? Wenn Sie es mit Verhand-
lungen ernst meinen, dann müssen Sie andere Wege ge-
hen. Sie müssen möglichst bald wenigstens in dem Be-
reich zu einem Waffenstillstand kommen, in dem die
Bundeswehr Verantwortung trägt. Sie müssen mit allen,
die dazu bereit sind, darüber Verhandlungen führen.
Ich war im September selber in Afghanistan und habe
Gespräche darüber geführt. Es gibt eine Bereitschaft
zu solchen Gesprächen und Vereinbarungen. Herr
Westerwelle und Herr de Maizière, Sie kennen die
Adressen; wenn nicht, können Sie sie von mir bekom-
men. Fahren Sie dort hin und reden Sie mit den Leuten!
Reden Sie vor allen Dingen mit den US-Amerikanern,
damit sie die gezielten Tötungen einstellen, die jegliche
Verhandlungen und jeglichen Friedensprozess verhin-
dern und unmöglich machen.
Abschließend komme ich zu der persönlichen Bemer-
kung von Herrn Westerwelle. Gestatten Sie mir auch
eine persönliche Bemerkung dazu.
Sie muss jetzt aber knapp ausfallen.
Ja, das geht noch schneller als beim Außenminister.
Ich war auch in Afghanistan und habe dort Zeichnun-
gen und Gemälde von kleinen Kindern gesehen, denen
man Buntstifte gegeben hat. Es waren wunderschöne
bunte Blätter. Wenn man genau hinguckte, hat man gese-
hen, was sie für Bilder im Kopf haben: zerstörte Ge-
bäude, angreifende Flugzeuge, Waffen, abgesprengte
und herumfliegende Arme und Beine. Das ist die Reali-
tät des grausamen Krieges in Afghanistan, von dem Sie
im Deutschen Bundestag leider überhaupt nicht reden.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Herr Abgeordneter Ströbele, vielleicht hätte ich doch
Ihre Zwischenfrage zulassen sollen. Das bereue ich jetzt.
Aber gut.
Was die Frage der Drohnen angeht, haben Sie gestern
in der Fragestunde von Staatssekretär Schmidt eine über-
zeugende und abschließende Antwort bekommen. Das
will ich nicht wiederholen.
Aber ich möchte eines sagen: In der Tat ist eine mili-
tärische und kriegerische Auseinandersetzung bitter und
bluternst. Ich war vor zwei Wochen mit dem amerikani-
schen Botschafter in Ramstein und habe Soldaten gese-
hen, deren Beine zerfetzt waren. Natürlich hat eine mili-
tärische Auseinandersetzung gerade dann, wenn man
K
V
–
m
m
D
A
L
a
G
is
d
w
ti
m
K
W
u
s
w
h
N
g
u
a
s
ic
w
s
p
n
w
m
s
s
D
d
z
m
G
u
im
d
J
s
w
Jetzt hören Sie zu. – Es ist gerade das Dilemma des
odernen Krieges, dass man gezielter vorgeht als früher
it Bombenteppichen, um zivile Schäden zu vermeiden.
as ist die Ambivalenz des Zielens. Das ist aber eine
useinandersetzung zwischen Gegnern.
Was ich besonders niederträchtig finde, ist, dass
andsleute, obwohl sie vielleicht die Gegner meinen,
us psychologischen oder sonstigen, niederträchtigen
ründen ihre eigenen Landsleute in die Luft jagen. Das
t ein gewaltiger Unterschied. Es wäre nett, wenn Sie
as zur Kenntnis nähmen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
ärtigen:
Herr Kollege, da Sie auch mich in Ihrer Kurzinterven-
on angesprochen haben, möchte ich drei Bemerkungen
achen. Die erste ist: Ich glaube, dass die Bilder des
rieges gerade für die Kinder schreckliche Bilder sind.
as wir aber nicht verwechseln dürfen, sind Ursache
nd Wirkung. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Men-
chen in Afghanistan jahrzehntelang im Krieg leben, und
ir dürfen nicht vergessen, wie der Einsatz begonnen
at, nämlich mit den schlimmsten Terroranschlägen in
ew York und in Washington, die die Menschheit bisher
esehen hat, und mit den Anschlägen, die übrigens auch
ns in Europa getroffen haben, in London und Madrid,
ber auch in Casablanca. Wenn ich an die Sicherheit un-
erer eigenen Bürgerinnen und Bürger denke, dann muss
h feststellen: Wir haben nicht nur das Recht, sondern
ir haben auch die Pflicht, unsere eigene Sicherheit vor
olchem Terror zu verteidigen.
Das Zweite, was ich Ihnen sagen möchte, ist: Der
olitische Prozess wird – da gibt es keine Alternative –
ur ein Prozess sein, der in Afghanistan selbst geführt
ird. Es ist ein politischer Prozess, der uns deutlich
acht, dass man Frieden nicht zwischen Freunden
chließt, sondern dass man Frieden zwischen Gegnern
chließen muss. Das ist der entscheidende Unterschied.
ieser politische Prozess muss in Afghanistan stattfin-
en. Es muss ein afghanisch geführter politischer Pro-
ess sein.
Das Dritte, was ich Ihnen nach der Debatte sagen
öchte, ist: Ich finde, es ist bemerkenswert, wie mit der
eschichte des Afghanistan-Einsatzes in diesem Hause
mgegangen wird. Dieser Afghanistan-Einsatz ist hier
Hause beschlossen worden – ich sage das, weil Sie
ie schrecklichen Opfer beklagen –, und zwar vor zehn
ahren. Es gibt nur drei Möglichkeiten: Entweder wir
etzen den Einsatz unbestimmt immer weiter fort – das
ill doch wohl niemand –, oder wir beenden ihn sofort,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17775
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
)
)
unüberlegt, und machen alles für einen sofortigen Ab-
zug, oder aber wir organisieren verantwortungsvoll die
Rückführung unserer Kräfte und die Übergabe der Ver-
antwortung in Verantwortung.
Ich begrüße sehr, dass sich die eine Oppositionspartei
noch daran erinnert, wer diesen Einsatz seinerzeit dem
Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat. Dass Sie als
Grüne nicht mehr bei der verantwortungsvollen Abwick-
lung dieses Einsatzes mitwirken wollen, hat innenpoliti-
sche Gründe, unter denen Sie leiden und die ich nicht in
Ordnung finde.
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist nicht ganz einfach nach der Debatte in den letzten Mi-
nuten, eine Rede zum Einsatz in Afghanistan zu halten,
weil wir an die Grundlagen der ethischen Bedingungen
gekommen sind. Herr Ströbele, wenn wir mit den Bürge-
rinnen und Bürgern über Afghanistan diskutieren, dann
geschieht es oft, dass jemand eine halbe Stunde erzählt,
wie schlecht alles ist, es geschieht aber auch oft, dass je-
mand eine halbe Stunde erzählt, wie gut alles ist. Ich
muss Ihnen sagen: Beide haben recht.
Afghanistan ist ein sehr kompliziertes und differen-
ziert zu betrachtendes Land. Der Bericht der Bundesre-
gierung spiegelt das durchaus wider. Weil Sie die Ge-
schichte mit den Kindern angesprochen haben, sage ich
Ihnen, was ich mit einem Kind erlebt habe. Ich habe ein
13-jähriges Mädchen in der deutschen Schule getroffen.
Ich habe es gefragt, was man nun einmal so fragt: Was
willst du denn einmal werden? Das Mädchen sagte zu
mir: Staatsanwältin. – Warum? – Weil ich weiß, dass
Staatsanwälte in meinem Land am meisten fehlen. – Das
war ein 13-jähriges Mädchen. Auch das ist ein Teil der
afghanischen Wirklichkeit. Dieses Mädchen verlässt
sich darauf, dass die Staatengemeinschaft das einhält,
was vor zehn Jahren auf dem Petersberg zugesagt wurde,
nämlich Afghanistan beim Aufbau des Staates zu unter-
stützen.
Wir alle miteinander sollten Arroganz in der Diskus-
sion vermeiden. In manchen Talkshows treten Leute auf,
die Afghanistan für mittelalterlich erklären und behaup-
ten, die Lage sei nun einmal so, wie sie ist, und Afgha-
nistan sei gescheitert. Nein, wir müssen darauf ver-
trauen, dass die afghanische Gesellschaft zum Wandel
bereit und selbst in der Lage ist, die Geschicke ihres
Landes in die Hand zu nehmen. Ich sehe die Chance,
dass sie das tut.
W
v
n
s
s
s
D
A
a
h
m
e
S
tr
h
u
e
s
d
re
A
s
a
d
h
b
d
b
n
E
d
s
te
in
z
d
d
z
m
n
k
S
s
is
is
ru
g
m
n
e
d
n
d
d
s
)
dass sich die Bundeswehr zunächst aus der Fläche zu-
rückzieht, etwa von manchen Außenposten in Faizabad.
Aber ich habe ein bisschen Sorge, dass es zu einer Ver-
stetigung unserer unterstützenden und logistischen Auf-
gaben kommt. Ich glaube, da müssen wir aufpassen und
ein Konzept entwickeln. Die Logistik in Masar-i-Scharif
ist angewachsen, weil der Umfang der Aufgaben größer
geworden ist. Jetzt muss aufgezeigt werden, welche
Zuständigkeiten und welche Aufgaben in den nächsten
zwei Jahren Stück für Stück abgegeben werden. Nur
wenn das vorgegeben wird, wird es möglich sein, die
Anzahl der Soldaten in Masar-i-Scharif – derzeit sind es
über 3 000 – zu verringern. An dieser Stelle müssen wir
aufpassen.
Ein weiterer Punkt ist die Debatte über Kampftrup-
pen. Solange 100 Soldaten in Afghanistan sind, werden
sie natürlich auch kämpfen können; deshalb ist der
Begriff „Kampftruppen“ nicht so glücklich. Worum geht
es im Kern? Es geht darum, dass deutsche Soldaten ab
dem Jahr 2014 nicht mehr in den Dörfern, auf den Stra-
ßen, in den Städten die Verantwortung für die Sicherheit
haben. Dies müssen die Afghanen selbst leisten. Es geht
auch darum, dass Ausbildungskonzepte anders aussehen
müssen als heute. Partnering draußen kann es nach den
neuen Konzepten nicht mehr geben. Folglich erwarten
wir auch hier eine Debatte und Vorschläge zur Umstel-
lung der Ausbildungskonzepte. Es kann keine Breiten-
ausbildung durch IDAF-Kräfte mehr geben, sondern es
muss hier eher um die Spitze, um „Train the Trainer“
gehen. Alles andere werden die Afghanen selbst leisten
können und selbst leisten müssen.
Kurz vor Weihnachten sind wir ja in einer besinnli-
chen Zeit, und wir wissen alle, dass in diesen Tagen bei
den Soldaten und ihren Familien nicht einfach Alltags-
routine herrscht. Die Gedanken an die Familie und an
Freunde oder die Gedanken an die Soldaten im Einsatz
prägen sicherlich diese Tage der Soldaten und ihrer
Familien ganz besonders.
Wir alle, die wir viel mit Soldaten reden, hören ja oft:
Wir haben die Sorge, dass die deutsche Gesellschaft
unser Engagement nicht richtig sieht, nicht richtig aner-
kennt. – Ich glaube, diese Einschätzung ist falsch. Die
deutsche Gesellschaft streitet politisch über die Fortset-
zung des Mandates und des Einsatzes. Das ist normal in
der Demokratie. Aber die Soldaten, die ihren Dienst tun,
erfahren nicht nur große Anerkennung, Respekt und
Dank vom Parlament, sondern – da bin ich mir sehr
sicher – auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-
land wissen, dass die Soldatinnen und Soldaten für uns
alle eine schwierige Aufgabe wahrnehmen und dass sie
ihnen Dank schuldig sind. Mein Rat an die Uniformträ-
ger lautet also: Seien Sie da selbstbewusst! Seien Sie da
gelassen! – Soldatinnen und Soldaten haben in den
Umfragen das gleiche hohe Ansehen wie die Polizisten,
und das ist auch gut so.
Herzlichen Dank.
F
L
re
In
s
d
V
u
S
T
s
g
a
s
b
te
P
s
L
h
m
m
e
R
a
d
m
B
h
d
d
L
e
d
g
a
w
re
je
d
n
z
In
P
U
h
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
iebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
n! Ich muss an dieser Stelle für die Qualität und den
halt dieser Debatte wirklich große Anerkennung aus-
prechen. Mein Dank gilt besonders, Kollege Arnold,
en Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass sie die
erantwortung, die sie damals zu Regierungszeiten für
nser Land übernommen haben, nun auch bis zum
chluss, bis zu einem hoffentlich baldigen Abzug der
ruppen und bis zu einem hoffentlich baldigen Waffen-
tillstand, wenn nicht sogar Frieden, für eine schwierige,
ebeutelte und gequälte Region mittragen werden. Dafür
uch von meiner Fraktion ein ganz herzliches Danke-
chön.
Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den
eiden Ministern, die hier heute die Inhalte des Manda-
s vorgetragen haben und vor allen Dingen auch die
erspektive aufgezeigt haben, für ihre realistische Ein-
chätzung danken. Sie haben keine Schönfärberei der
age betrieben. Sie haben auch auf die nach wie vor vor-
andenen Risiken in diesem sehr sensiblen Prozess auf-
erksam gemacht. Ich glaube, dass gerade das Engage-
ent der Bundesrepublik, als Honest Broker, als
hrlicher Vermittler, als ehrlicher Partner, in dieser
egion ein Mindestmaß an Stabilität herzustellen, ein
ußerordentliches Kompliment und ein großes Lob ver-
ient hat.
Es ist auch sehr deutlich geworden, dass wir eine tiefe
oralische Verpflichtung gegenüber der afghanischen
evölkerung haben. Ein überstürzter Abzug der Sicher-
eitskräfte, Kollege Gehrcke, würde genau denen wieder
ie Bahn ebnen, die dazu beigetragen haben, dass sich
ieses Land und die Region heute in einer so desolaten
age befinden. Wir vergessen häufig, weil zehn Jahre ja
ine lange Zeit sind, den Grund für den Einsatz, nämlich
ass diese Region zum Opfer und zum Ziel von Kräften
eworden ist, die die internationale Staatengemeinschaft
n ihren sensibelsten Punkten herausfordern wollten und
ollen. Al-Qaida und die islamistische Bewegung füh-
n diese Versuche ja nach wie vor uneingeschränkt fort.
Kollege Ströbele, ich bin erstaunt, dass gerade Sie als
mand, der auch hin und wieder in der Fraktion quer-
enkt, in diese Falle hineintappen. Ich kann es nicht
achvollziehen. Sie wissen, dass in den letzten Jahren
ivile Opfer fast überwiegend durch Aktivitäten der
surgency verursacht wurden. Natürlich hat es auch
robleme gegeben. In diesem Hause gab es ja einen
ntersuchungsausschuss zu einem solchen Ereignis. Das
eißt, auch wir als Parlament gehen, wenn etwas in die-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17777
Elke Hoff
)
)
ser Richtung passiert, verantwortungsvoll damit um. Ich
kann von daher nicht nachvollziehen, dass Sie nicht
bereit sind, wenn Sie auf der einen Seite die NATO-
Truppen kritisieren, auf der anderen Seite auch auf das
Verhalten von Taliban, al-Qaida und anderen Gruppen
aufmerksam zu machen. Das gibt ein schiefes Bild, und
es ist für mich persönlich, lieber Herr Ströbele, ein
Schlag ins Gesicht unserer Streitkräfte.
Darf der Kollege Ströbele noch eine Zwischenbemer-
kung machen? – Bitte.
Frau Kollegin, Sie verweigern sich einfach der Reali-
tät, wie das die Minister auch schon gemacht haben.
Realität ist, dass bei den Counter-Insurgency-Maßnah-
men der Bundeswehr – vor allen Dingen aber der US-
Streitkräfte – im Norden, wo die Bundeswehr die Ver-
antwortung trägt – das hat der Kollege Schmidt vorhin
ausgeführt –, ein Großteil der getöteten Menschen nichts
mit den Taliban zu tun hat. Diese Menschen sind Denun-
zierte, es handelt sich um fehlgeleitete Bomben.
Genauso verhält es sich nach allen Statistiken bei den
Getöteten, die durch die Killerdrohnen ums Leben
gekommen sind. Das sind extralegale Hinrichtungen,
wobei ein Großteil der Getöteten – der Anteil wird auf
einen Wert zwischen 30 und 50 Prozent geschätzt –
Menschen sind, die auf die Listen geraten sind, ohne je
irgendetwas mit al-Qaida oder so zu tun gehabt zu
haben. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis!
Das heißt, da werden – wenn Sie so wollen – Zivilis-
ten getötet, nur weil sie auf eine solche Liste geraten
sind. Das muss doch eine Partei, die für sich in Anspruch
nimmt, der Gerechtigkeit und den Freiheitsrechten ver-
bunden zu sein, auf die Palme treiben. Die muss doch
sagen: Das kann so nicht weitergehen. Es handelt sich
jedes Mal um Verstöße gegen das Völkerrecht. Extrale-
gale Hinrichtungen sind verboten, auch im Krieg.
Lieber Herr Ströbele, durch ständige Wiederholung
der gleichen Argumente wird die Gesamtbetrachtung der
Lage durch Sie nicht besser. Vielleicht können Sie an
dieser Stelle zur Kenntnis nehmen: Ja, natürlich hat es
das gegeben. Ich glaube, dass im Gegensatz zu Organi-
sationen wie den Taliban und al-Qaida die NATO zumin-
dest in der Lage war, sich für diese Vorgänge zu ent-
schuldigen
und für die Betroffenen Kompensation zu leisten.
Darüber hinaus hat man versucht, durch eine Änderung
der Einsatzregeln – die hat am Ende der Reise dazu
geführt, dass die Inkaufnahme eigener Verluste wesent-
lich höher geworden ist – diesem Ereignis Rechnung zu
tragen.
e
d
g
D
W
h
is
–
e
In
P
a
d
e
w
e
H
im
e
tr
ti
S
m
e
S
h
F
n
d
li
z
s
d
in
O
d
e
z
u
s
li
w
e
W
a
u
A
jetzt bin ich dran! –, höre ich von Ihnen nie auch nur
in einziges Wort.
sofern ist für mich die Frage jetzt auch beantwortet.
Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderen
unkt eingehen. Ich habe mich in der Vergangenheit,
uch in den letzten Wochen, zu einem Thema geäußert,
as mir sehr wichtig ist und das ich an dieser Stelle noch
inmal erwähnen möchte. Selbstverständlich schicken
ir nach wie vor unsere Soldatinnen und Soldaten in
inen gefährlichen Einsatz. Deswegen bin ich Ihnen,
err Minister de Maizière, für Ihre Klarstellung gestern
Verteidigungsausschuss dankbar, dass es zurzeit
rnsthafte Bemühungen mit der wehrtechnischen Indus-
ie und mit den Verbündeten gibt, sodass unsere Solda-
nnen und Soldaten auch dann über entsprechenden
chutz verfügen, wenn sie in eine schwierige Lage kom-
en.
Ich halte dies für gut und für richtig. Ich glaube, es ist
ine entscheidende Botschaft an unsere Soldatinnen und
oldaten, dass wir im Parlament alles dafür tun, dass sie
eil und gesund an Leib und Leben wieder zu ihrer
amilie und zu ihren Freunden zurückkommen können.
Wir wissen, dass uns ganz schwierige Monate – wenn
icht sogar Jahre – bevorstehen. Ich glaube, es ist gut,
ass inzwischen auch die Regionen, um die es letztend-
ch geht, begriffen haben, dass auch sie einen Beitrag
ur Stabilität und Sicherheit auf den Weg bringen müs-
en, wenn die westlichen Truppen abgezogen sein wer-
en.
Wir haben uns immer vorgestellt, einen Prozess zu
itiieren, der in Europa erfolgreich war; ich nenne nur
SZE und KSZE. Wenn es dann am Ende der Reise
azu kommen sollte, dass Institutionen in der Region
inen solchen Prozess beginnen, wäre ich sehr froh und
ufrieden. Ich hoffe, dass Staaten wie China, Russland
nd Indien sich ihrer Verantwortung bewusst sind, dass
ie sich aktiv an einem solchen politischen Prozess betei-
gen und dass auch die Bundesrepublik Deutschland
eiterhin wie bisher mit aller Kraft daran arbeitet, dass
in solcher politischer Prozess an dieser Stelle auf den
eg gebracht wird.
Lassen Sie mich zum Schluss meiner Ausführungen
n dieser Stelle ganz besonders auch allen Soldatinnen
nd Soldaten der NATO, der mit uns verbündeten
rmeen danken, die Leib und Leben für unsere Sicher-
17778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Elke Hoff
)
)
heit einsetzen. Ich bedanke mich bei unseren Polizisten,
bei unseren für die Entwicklungszusammenarbeit
Zuständigen und bei den Diplomaten, die auch in
schwieriger Lage ihre schwierige Arbeit vollführen müs-
sen. Vor allen Dingen darf ich mich bei den Kolleginnen
und Kollegen bedanken, die dieses schwierige Mandat in
schwieriger Zeit unterstützen werden.
Vielen Dank.
Die Kollegin Christine Buchholz ist die nächste Red-
nerin für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem
Stichwort „Perspektiven in Afghanistan“ werden heute
die Ergebnisse der Bonner Afghanistan-Konferenz, der
sogenannte Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundes-
regierung und das neue Mandat für den Bundeswehrein-
satz diskutiert. Wir sagen ganz klar: Herr Westerwelle,
Herr de Maizière, Sie haben den Menschen in Afghanis-
tan keine Perspektive zu bieten. Die Bonner Afghanis-
tan-Konferenz war eine reine Showveranstaltung. Es gab
keine konkreten Maßnahmen, die die Lebensbedingun-
gen der Menschen in Afghanistan verbessern. Ihre
Bilanz ist unehrlich.
Das hat auch einen ganz konkreten Ausdruck in Bonn
gefunden: Regierungskritische Personen waren nicht
anwesend. Selbst die handverlesenen Vertreter der
afghanischen Zivilgesellschaft ziehen eine vernichtende
Bilanz. So sagt die Frauenrechtlerin Selay Ghaffar: Das
ist wie die ganzen Konferenzen zuvor, viele Verspre-
chungen werden gemacht, aber nichts geschieht. – Ich
wiederhole: Die Bonner Afghanistan-Konferenz war
eine Showveranstaltung.
Aber noch schlimmer: Sie treten die Würde der Opfer
des Krieges mit Füßen.
Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, dass Sie in Kabul in
die Augen von Kindern geschaut und Hoffnung gesehen
haben. Ich glaube Ihnen das. Warum aber haben Sie es
noch nicht geschafft, in die Augen der Waisen des von
der Bundeswehr befehligten Kunduz-Massakers zu
schauen?
Mir ist die Geschichte von Qureischa aus Kunduz
zugetragen worden. Qureischa ist Witwe, eine der
Frauen, die durch den Befehl der Bundeswehr am Kun-
duz-Fluss ihren Mann verloren hat. Sie ist 35 und hat
sechs Kinder im Alter von 4 bis 16 Jahren. Qureischa hat
k
n
a
ih
e
ta
tu
e
T
O
k
5
w
b
ti
B
R
d
F
H
M
u
b
L
H
li
h
d
A
S
w
g
n
b
p
e
C
ie die Bundeswehr und die NATO in Afghanistan zum
eind macht.
ier haben Sie nichts gelernt. Und ich sage Ihnen:
enschlichkeit kann man nicht teilen.
Der Krieg in Afghanistan war von Anfang an falsch,
nd weil Sie nicht weiterwissen, machen Sie weiter wie
isher. Der Abzug ist eine Mogelpackung und eine
üge; denn – Sie haben es selbst noch einmal betont,
err de Maizière – die Bundeswehr wird nur dann wirk-
ch abgezogen, wenn es die Sicherheitslage zulässt. Das
eißt, wenn sie es nicht zulässt, bleibt die Bundeswehr
ort. Auch das Mandat ist unverändert. Mit den
WACS-Flugzeugen, den Tornado RECCEs und den
pezialeinheiten wird – trotz Ihres Geredes vom Abzug –
eiter Krieg in Afghanistan geführt werden. Der Krieg
eht weiter, weitere drei Jahre, und dem werden wir
icht zustimmen.
Der Truppenrückzug ist nicht die Lösung der Pro-
leme, aber er ist die notwendige Voraussetzung für eine
olitische Lösung. Deshalb: Truppen raus jetzt und nicht
rst 2014!
Philipp Mißfelder ist der nächste Redner für die
DU/CSU.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17779
)
)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal nur ganz kurz zu Ihnen, Frau
Buchholz: Sie haben gesagt, die Afghanistan-Konferenz
sei eine Showveranstaltung gewesen. Abgesehen davon,
dass es sich dabei um eine vollkommen unpolitische
Bemerkung von Ihnen handelt, möchte ich fragen: Wer
hat dort überhaupt eine Show veranstaltet? Das waren
doch Sie persönlich.
Sie haben dort mit zwei weiteren Abgeordneten der
Linkspartei herumkrakeelt und den Konferenzfrieden
gestört. Ich finde, das ist einer internationalen Konferenz
nicht angemessen.
Wenn man von einer Showveranstaltung sprechen will,
dann Ihretwegen, Frau Buchholz, und wegen Ihrer bei-
den Kollegen, die dort aufgetreten sind. Dabei möchte
ich es dann aber auch belassen.
Wir reden hier über eine Entscheidung, die wir sehr
verantwortungsbewusst zu treffen haben. Nur ein paar
Flugstunden entfernt von hier erfüllen Soldatinnen und
Soldaten, Entwicklungshelfer, Diplomaten und andere,
die sich an unsere Seite stellen, für uns einen ganz wich-
tigen Auftrag. Meine Damen und Herren, Verantwortung
kann man nicht zu einem Politikum machen; Verantwor-
tung ist Realität. Deshalb bin ich sehr froh, dass der
größte Teil dieser Debatte fraktionsübergreifend von die-
ser Verantwortung geprägt war.
Die von uns vor zehn Jahren gemeinsam getroffene
Entscheidung, in den Afghanistan-Einsatz zu gehen, ist
niemandem leichtgefallen; niemand hat sie gar leichtfer-
tig getroffen – ganz im Gegenteil. Insofern ist es richtig,
dass wir uns hier alljährlich in großer Ernsthaftigkeit die
Frage stellen: Ist das, was wir in den vergangenen zwölf
Monaten getan haben, sinnvoll gewesen? Hat uns das im
Hinblick auf die Ziele, die wir uns gesetzt haben,
genutzt? Hat es zu einer Befriedung der Region, insbe-
sondere Afghanistans, beigetragen?
Natürlich gibt es – das ist von vielen Vorrednern
schon gesagt worden – Licht und Schatten. Natürlich
gibt es Fortschritte, aber auch erhebliche Rückschritte.
Es gehört für diese Regierung und die sie tragenden
Fraktionen zur Ehrlichkeit dazu, dass im Fortschritts-
bericht die Defizite deutlich angesprochen werden. Das
zeigt auch, dass wir uns diese Entscheidung keineswegs
leicht machen, meine Damen und Herren. Vielmehr plä-
dieren wir dafür, den Weg, den wir eingeschlagen haben,
die Übergabe in Verantwortung, fortzusetzen und dafür
zu sorgen, dass die Sicherheitskräfte in Afghanistan dau-
erhaft in der Lage sein werden, selbst die Sicherheit vor
Ort zu gewährleisten.
Das heißt gleichzeitig aber auch, dass wir gegebene
Versprechen nicht brechen werden. Herr Kollege Arnold,
ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es vorhin auf die Inter-
v
W
L
d
ü
n
A
e
e
b
d
z
g
a
D
s
A
s
z
W
H
e
R
T
L
n
in
g
in
g
d
g
li
S
n
u
d
u
im
H
u
li
d
d
M
te
B
m
te
g
u seinem Wort stehen. Wenn man einmal in ein Land
egangen ist, muss man später verantwortungsbewusst
us diesem Land hinausgehen.
eshalb kann man keinen abrupten Abzug vornehmen,
o wie Sie von der Linkspartei es fordern.
Es ist klar, dass wir bei den Rückschlägen, die wir in
fghanistan erkennen müssen, mit schwindender Unter-
tützung und mehr Kritik aus der deutschen Bevölkerung
u rechnen haben.
ir müssen uns bei jedem Militäreinsatz immer fragen:
aben wir die Ziele in dem Umfang erreicht, wie wir sie
rreichen wollten? Deshalb hat Minister Westerwelle zu
echt den wichtigsten Punkt der Debatte am heutigen
age angesprochen: Wir streben keine militärische
ösung der Probleme Afghanistans an. Wir geben uns
icht der Illusion hin, dass der Konflikt in der Region
sgesamt militärisch zu lösen sei, sondern streben eine
roße politische, integrative Lösung an. Dabei haben wir
den letzten zwei Jahren erhebliche Fortschritte
emacht. Zu dem Ergebnis komme ich, wenn ich mir
en Prozess der Befriedung und Aussöhnung in der
esamten Region vor Augen führe. Wir haben die Mög-
chkeit, auch Nachbarländer Afghanistans an unsere
eite zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie ihrer eige-
en Verantwortung in ihrer Region gerecht werden und
ns damit ein Stück weit entlasten. Das werte ich ein-
eutig als Fortschritt.
Vor dem Hintergrund ist es auch richtig, dass wir alle
nsere Bemühungen im zivilen, im diplomatischen und
wirtschaftlichen Bereich verstärkt haben. Ich will
errn Botschafter Steiner und seinen Mitarbeiterinnen
nd Mitarbeitern aus dem Auswärtigen Amt ausdrück-
ch danken, dass sie tatsächlich viele bürokratische Hür-
en überwunden und Maßnahmen gebündelt haben;
enn das ist nicht gerade einfach. Obwohl wir hier die
inister in großer Eintracht erlebt haben, ist festzuhal-
n: Wir haben unsere eigenen Bürokratien, auch im
ündnis selbst. Das macht es nicht einfach, die Maßnah-
en so zu bündeln, wie es notwendig ist. Herr Botschaf-
r Steiner, deshalb ein herzlicher Dank für Ihr großarti-
es Engagement, durch das Sie in den letzten Jahren
17780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Philipp Mißfelder
)
)
vieles auf den Weg gebracht haben, das ich ausdrücklich
unterstützen will.
Warum sind wir in Afghanistan? Warum sollen wir in
der Mandatszeit in Afghanistan bleiben und auch über
das Jahr 2014 hinaus, wenn auch in einem wesentlich
geringeren Umfang, Verantwortung übernehmen? Letzt-
endlich um unsere eigenen Interessen zu schützen! Das
sind in erster Linie Sicherheitsinteressen. Man kann sich
in Deutschland natürlich in Sicherheit wiegen und sagen:
Hier ist noch nie ein solcher Anschlag passiert. Der
11. September 2001 ist lange her. Seitdem sind auf der
ganzen Welt zwar weiterhin Anschläge verübt worden,
aber die wurden an anderen Orten geplant und nicht
unbedingt von Afghanistan aus koordiniert.
Auch hier möchte ich an die Regierungserklärung von
Guido Westerwelle anknüpfen. Wir dürfen nicht zulas-
sen, dass Afghanistan wieder das Planungshauptquartier
für terroristische Aktivitäten in der Welt wird. Deshalb
wäre ein Wegschauen unverantwortlich, und deshalb
müssen wir unsere Bemühungen über das Jahr 2014
hinaus aufrechterhalten, auch wenn es einen wesentlich
geringeren militärischen Anteil geben wird. Dafür müs-
sen wir wahrscheinlich mehr Anstrengungen beispiels-
weise bei der Entwicklungszusammenarbeit unterneh-
men. Da wird es mehr Bedarf geben, als das momentan
der Fall ist.
Eines ist klar: Wenn man seine Interessen einmal defi-
niert hat – dazu gehören unsere Sicherheitsinteressen –,
dann muss man sie auch seriös verteidigen. Dazu gehört
eben auch, dass man den Menschen reinen Wein ein-
schenkt. Das machen wir in dieser Debatte. Wir sagen:
Unser Ziel ist, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen,
aber wir wollen uns nicht kopflos aus Afghanistan
zurückziehen, sondern wir wollen durch eine Übergabe
in Verantwortung dafür sorgen, dass die Sicherheits-
strukturen in Afghanistan selbsttragend werden, dass die
afghanischen Streitkräfte und die Polizeikräfte in der
Lage sind, sich selber und ihre Bevölkerung zu schützen.
Klar ist auch: Wir werden Afghanistan in dieser schwie-
rigen Aufbauphase, in der es sich befindet, nicht im
Stich lassen, sondern unserer Verantwortung gerecht
werden.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin
Buchholz das Wort.
Herr Mißfelder, Sie haben eben mir und damit auch
meinen Kolleginnen Heike Hänsel und Kathrin Vogler
vorgeworfen, wir hätten den Konferenzfrieden der Bon-
ner Afghanistan-Konferenz gestört.
k
d
ro
d
D
a
A
p
a
v
d
d
d
e
ru
n
n
D
W
W
g
m
d
ti
k
g
fü
g
v
K
s
S
m
d
Wir haben nach der Rede von Hillary Clinton ein Pla-
at hochgehalten, auf dem darauf hingewiesen wurde,
ass die Politik der NATO für die Bevölkerung mit Ter-
r gleichzusetzen ist. Wir haben in der Debatte hier über
ie gezielten Tötungen, die Night Raids, gesprochen.
ie 19 Kommandoaktionen, die die NATO im Schnitt
m Tag durchführt, sind für die Zivilbevölkerung in
fghanistan Terror. Wir haben gefordert, dass die Trup-
en nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern jetzt
bgezogen werden sollten. Ich finde, es ist besser, den
ermeintlichen Frieden einer Konferenz zu stören, als
er Friedenspropaganda, wie sie von Ihnen hier im Bun-
estag vertreten wird, das Wort zu reden.
Auf der Afghanistan-Konferenz waren keine Vertreter
er afghanischen Opposition zugelassen. Wir haben in
inem persönlichen Schreiben noch versucht, regie-
ngskritische Vertreterinnen und Vertreter aus Afgha-
istan über Minister Westerwelle anzumelden. Das ist
icht gelungen, obwohl die Besucherränge leer waren.
as heißt, wir hatten keine oppositionellen Kräfte dort.
ir haben deren Position auf die Konferenz getragen.
ir haben uns dem offensichtlichen Anschein entgegen-
estellt, dass mit dieser Konferenz eine weitere Legiti-
ation für den Krieg gegeben wird.
Interessanterweise ist gerade die durch die Bombar-
ierung des Stützpunktes in Pakistan entstandene Situa-
on in den ersten Reden auf der Konferenz überhaupt
ein Thema gewesen. Sie ist ausgeblendet worden. Ich
laube daher, dass wir für unsere Partner in Afghanistan,
r demokratische und friedensorientierte Kräfte in Af-
hanistan, ein wichtiges Signal gesetzt und nicht den
ermeintlichen Frieden dieser Konferenz gestört haben.
Zur Erwiderung Kollege Mißfelder.
Nur ganz kurz dazu: Einerseits werfen Sie uns
riegspropaganda und Kriegstreiberei vor, und anderer-
eits werfen Sie uns Friedenspropaganda vor. Alles, was
ie sagen, Frau Buchholz, passt eigentlich nie zusam-
en.
Ich finde es wirklich eine Unverschämtheit, wenn Sie
ie NATO mit Terror gleichsetzen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17781
Philipp Mißfelder
)
)
Frau Buchholz, bitte beschäftigen Sie sich einfach ein-
mal mit der Historie dieses Einsatzes und mit dem
11. September 2001. Dann werden Sie sehen, wer die
Terroristen waren.
Frau Buchholz, ich habe mich sehr dafür eingesetzt,
dass Parlamentarier, auch aus Deutschland, an dieser
Konferenz teilnehmen dürfen. Die Bundesregierung hat
diesem Ansinnen unserer Fraktion entsprochen. Dafür
bin ich sehr dankbar. Wenn Sie an solchen Konferenzen
teilnehmen, dann beschädigen Sie bitte nicht das Anse-
hen von Abgeordneten und damit des gesamten Hauses.
Wenn Sie schon hingehen dürfen, dann benehmen Sie
sich bitte so, wie sich ein Abgeordneter zu benehmen
hat.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Johannes Pflug hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich teile nicht die Beurteilung der Kollegin
Buchholz, auch nicht hinsichtlich der Abqualifizie-
rung der Konferenz als Show. Herr Außenminister
Westerwelle, ich denke aber, es ist nicht nur richtig, son-
dern auch wichtig, einmal zu fragen, wie erfolgreich die
Afghanistan-Konferenz in Bonn eigentlich gewesen ist.
Lassen Sie mich einmal versuchen, die Konferenz aus
der Sicht der Medien zu beurteilen.
Wie die Beurteilung der Medien aussieht, lässt sich
aufgrund der Tatsache erahnen, dass diese Konferenz be-
reits nach einem Tag wieder aus den Schlagzeilen ver-
schwunden war. Ich denke, das ist Grund genug, sich ein
paar der behaupteten Konferenzerfolge einmal im Ein-
zelnen anzuschauen. Dabei möchte ich vor allem auf
zwei Dinge eingehen, erstens auf die langfristige Ver-
pflichtung der internationalen Gemeinschaft gegenüber
Afghanistan und zweitens auf die Selbstverpflichtung
der afghanischen Regierung zur Durchführung von Re-
formen.
Wie steht es nun um das langfristige Engagement der
Welt in Afghanistan? In der Tat verpflichteten sich die
Konferenzteilnehmer zu einem langfristigen finanziellen
Engagement in Afghanistan. Ich weiß natürlich sehr ge-
nau, dass diese Konferenz nicht als Pledging-Konferenz
angelegt war. Dennoch werden diejenigen, die konkrete
Ergebnisse erhofft haben, auf die Geberkonferenz in To-
kio im nächsten Jahr verwiesen. Das ist wohl ein Glück
für die Bundesregierung; denn die Ergebnisse einer sol-
chen Geberkonferenz dürften so ernüchternd ausfallen,
d
„
n
s
U
n
H
d
4
la
n
A
te
z
w
ü
n
a
m
re
ta
z
s
g
is
n
g
d
s
k
C
S
d
d
s
s
s
ri
R
fo
h
s
d
U
R
U
w
b
e
K
A
s
a
)
wir von Ihnen geeignete Vorschläge für die Konferenz in
Tokio. Im Zweifelsfall muss die weitere Unterstützung
von ernsthaften Reformbemühungen der Afghanen ab-
hängig gemacht werden.
Finanzielle Hilfen allein werden die Dinge in Afgha-
nistan nicht zum Guten wenden. Und mehr Geld muss
nicht notwendigerweise immer besser für Afghanistan
sein. Im Gegenteil: Es kann sogar schaden, wenn da-
durch Korruption und Klientelnetzwerke gefördert wer-
den.
Trotzdem gibt es Dinge in Afghanistan, die zwingend
einer robusten Finanzierung bedürften. Aber diese Finan-
zierung ist nach wie vor nicht einmal ansatzweise er-
kennbar. An erster Stelle dürften dabei die teuren afgha-
nischen Sicherheitskräfte stehen, ohne die kein verant-
wortungsvoller Abzug unserer Bundeswehr und unserer
Verbündeten stattfinden kann. Aber auch zivile Hilfspro-
jekte werden noch lange auf Gelder der internationalen
Gemeinschaft angewiesen sein.
Die Frage, wie sich Afghanistan in Zukunft finanzie-
ren soll, ist zu wichtig, als dass man bloß von einer Kon-
ferenz auf die nächste verweisen könnte. Diese Frage be-
darf konkreter Planung und Absprachen mit unseren
internationalen Partnern. Bei beidem erwarten wir zu-
künftig deutlich bessere Ergebnisse von der Bundesre-
gierung als bisher.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU hat der Kollege Dr. Wolfgang
Götzer das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Am 10. Oktober dieses Jahres hat der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen beschlossen, das ISAF-Mandat
bis zum 13. Oktober des nächsten Jahres zu verlängern.
Eine Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte
– auch deutscher – ist nötig, um den Prozess der Über-
nahme von Sicherheitsverantwortung durch die Afgha-
nen nicht zu gefährden.
Erst vor wenigen Tagen hat die internationale Staaten-
gemeinschaft auf der Afghanistan-Konferenz in Bonn
ihr Engagement für Afghanistan über das Jahr 2014 hi-
naus bekräftigt. Die Aufgabe ist immens: Aus einem
Krisenherd soll ein souveräner Staat werden, der seinen
eigenen Beitrag zu Frieden und Sicherheit leisten kann.
Die Bonner Konferenz hat gezeigt: Die Bereitschaft,
Afghanistan zu unterstützen, ist auch nach zehn Jahren
ungebrochen. Mit dieser Konferenz haben wir die
Grundlage für ein langfristiges Engagement der interna-
tionalen Gemeinschaft für Afghanistan über 2014 hinaus
gelegt. Dieses langfristige Engagement erstreckt sich auf
die Bereiche gute Regierungsführung, Sicherheit, in-
nerafghanischer Friedensprozess, wirtschaftliche und so-
ziale Entwicklung sowie regionale Zusammenarbeit.
S
A
a
v
D
a
w
–
s
m
a
h
d
e
g
H
g
K
D
d
g
z
d
k
V
w
re
F
s
E
G
D
V
s
w
g
d
s
c
g
z
re
s
W
V
S
fü
b
w
g
enn der Terrorismus bedroht uns alle. Sicherheit war
in zentrales Thema der Bonner Konferenz. Die Über-
abe der Sicherheitsverantwortung in afghanische
ände hat im Sommer dieses Jahres begonnen und soll
emäß den Beschlüssen der Konferenzen in London und
abul im letzten Jahr bis Ende 2014 abgeschlossen sein.
as Engagement deutscher Streitkräfte soll im Rahmen
es ISAF-Mandats entsprechend dieser Zielvorgabe fort-
esetzt werden. Dabei wollen wir in einem ersten Schritt
u Beginn des Jahres 2012 die Mandatsobergrenze von
erzeit 5 350 auf 4 900 Soldatinnen und Soldaten sen-
en. Je nach Entwicklung der Sicherheitslage und dem
erlauf des Übergabeprozesses – das ist also noch offen –
ollen wir die tatsächliche Truppenstärke 2012 weiter
duzieren. 2014 soll der Einsatz in seiner bisherigen
orm – ich betone: in seiner bisherigen Form – beendet
ein.
Wir halten eine Reduzierung der Zahl der deutschen
insatzkräfte im Laufe des nächsten Jahres aus mehreren
ründen für möglich. Zum einen werden Provinzen und
istrikte im Norden Afghanistans, also im deutschen
erantwortungsbereich, in absehbarer Zeit in afghani-
che Verantwortung übergeben. Zum anderen hat sich,
ie auch der aktuelle Fortschrittsbericht der Bundesre-
ierung zur Lage in Afghanistan zweifelsfrei feststellt,
ie Sicherheitslage verbessert. Nach zehn Jahren Hilfe
ind trotz eines immens schwierigen, oft lebensgefährli-
hen Umfeldes heute Fortschritte unübersehbar, wenn-
leich es noch ein weiter Weg bis zum Frieden ist.
Auch der Aufbau der afghanischen Armee und Poli-
ei verläuft nach Plan, sodass bis Oktober nächsten Jah-
s über 350 000 afghanische Sicherheitskräfte bereit
ein werden, Sicherheitsverantwortung zu übernehmen.
ährend des Prozesses der schrittweisen Übergabe in
erantwortung gilt es, die Fähigkeiten der afghanischen
icherheitskräfte weiter zu stärken. Konkrete Pläne hier-
r sollen bereits auf dem NATO-Gipfel im Mai 2012
eschlossen werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines der für uns
esentlichen Ergebnisse der Bonner Konferenz ist die
egenseitige Verpflichtung zwischen der internationalen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17783
Dr. Wolfgang Götzer
)
)
Staatengemeinschaft und Afghanistan. Um es ganz klar
zu sagen: Die internationale Gemeinschaft sichert Af-
ghanistan Hilfe über 2014 hinaus zu; zugleich aber neh-
men wir die Afghanen in die Pflicht. Wir werden darauf
drängen, dass Afghanistan die in Bonn bekräftigten Ver-
pflichtungen hinsichtlich guter Regierungsführung um-
setzt und einen politischen Prozess rechtsstaatlicher Teil-
habe in Gang setzt. Außerdem erwarten wir von
Afghanistan, dass ein landesweiter innerafghanischer
Aussöhnungsprozess auf der Basis der hierfür in Bonn
vereinbarten Prinzipien erfolgt. Ebenso werden wir von
der afghanischen Regierung echte Fortschritte im Kampf
gegen Korruption und Drogenanbau einfordern.
Wir müssen bereits jetzt den Blick über die Über-
gangsphase hinaus auf den sich anschließenden Trans-
formationsprozess richten, der bis zum Jahr 2024 ange-
setzt ist. Auch das war ein wichtiger Aspekt der Bonner
Konferenz. Der im Rahmen dieses Mandats eingeleitete
Truppenabzug bis 2014 ist – das möchte ich an dieser
Stelle ganz klar sagen – keineswegs das Ende des Enga-
gements der internationalen Streitkräfte.
Im Gegenteil: Um die Zukunft Afghanistans zu sichern
und die Region langfristig zu stabilisieren, muss das
ISAF-Mandat auf die Bewältigung neuer Aufgaben, vor
allem im zivilen Bereich und bei der Ausbildung der Si-
cherheitskräfte, über 2014 hinaus ausgerichtet werden.
Dabei wird die Bundeswehr weiterhin vor Ort eine wich-
tige Rolle spielen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle abschließend einmal
mehr unseren Soldatinnen und Soldaten danken, die ih-
ren lebensgefährlichen Dienst in Afghanistan leisten.
Heute, wenige Tage vor Weihnachten, richte ich damit
verbunden einen Gruß an diejenigen, die dieses Fest weit
weg von ihren Familien feiern werden.
Vielen Dank.
Der Kollege Roderich Kiesewetter hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich zum Abschluss dieser Debatte ein paar Gedanken
aufgreifen. Wir haben eine sehr sachliche Debatte ge-
führt. Ich glaube, wir haben der Bevölkerung auch sehr
viele Erklärungen geliefert, um klarzumachen, warum
wir in Afghanistan sind, warum wir dort noch eine Weile
bleiben müssen und warum Afghanistan unseren Einsatz
verdient.
Erstens haben wir deutlich gemacht: Verantwortung
geht vor Ehrgeiz. Es ist nicht unser Ehrgeiz, Afghanistan
s
u
d
b
la
h
c
s
s
R
A
g
s
re
P
h
d
ru
ta
u
D
g
d
s
w
b
D
e
G
g
s
M
li
ru
z
K
–
h
g
E
B
u
n
s
Für Sie vielleicht.
Drittens: die regionale Einbettung des Prozesses; ich
abe sie bereits angesprochen.
Lassen Sie mich viertens, weil es aufseiten der Linken
erade laut geworden ist, die Ausrichtung des zivilen
ngagements ansprechen. Wir als Parlament waren in
onn ordentlich vertreten. Wir haben uns gekümmert
nd viele Gespräche geführt. Wir haben die Chance ge-
utzt, mit 27 Vertreterinnen und Vertretern der Zivilge-
ellschaft zu sprechen. Was hat die Linke gemacht?
17784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Roderich Kiesewetter
)
)
Sie hat Transparente ausgerollt. Als wir noch zwei Stun-
den drangehängt haben, um mit Botschafter Steiner und
den 27 Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesell-
schaft zu sprechen, sind Sie mit fliegenden Rockschößen
und eingerollten Transparenten zum Bonner Hauptbahn-
hof geeilt.
In Bonn ist deutlich geworden, was die Zivilgesell-
schaft von uns erwartet. Sie erwartet, dass wir uns küm-
mern: um die Versehrten, um den Aufbau der Kranken-
häuser und um das Bildungssystem. Gefordert wird auch
eine Intensivierung der akademischen und handwerkli-
chen Ausbildung. Hier sind unsere Stärken. Diese Stär-
ken müssen wir nutzen. Wir haben durch unsere Anwe-
senheit und durch unser Interesse gezeigt, dass uns
genau daran gelegen ist. Vielen Dank an die Kolleginnen
und Kollegen, die mit dabei waren!
Lassen Sie mich abschließend einen weiteren Punkt
ansprechen – Herr Minister de Maizière hat ihn vorhin
bereits erwähnt –: In Landstuhl befindet sich zurzeit eine
Reihe schwer Kriegsversehrter, die für wenige Tage hier
sind; ich hatte die Ehre, den Minister bei seinem Besuch
zu begleiten. Lassen Sie uns in der letzten Einsatzdebatte
in diesem Jahr in unseren Gedanken bei den Einsatzver-
sehrten sein, bei den alliierten wie auch bei den deut-
schen Einsatzversehrten und Veteranen. Lassen Sie uns
in Gedanken bei unseren Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz sein, unter denen über 400 Reservistinnen und
Reservisten sind, bei unseren Polizistinnen und Polizis-
ten und den zivilen Aufbauhelfern. Lassen Sie uns von
dieser Stelle einen Weihnachtsgruß in die Einsatzgebiete
schicken.
Lassen Sie uns den Kameraden dort versichern: Wir ste-
hen an ihrer Seite, und wir unterstützen sie, und wir wol-
len unserer Bevölkerung den Einsatzwechsel und das
neue Mandat im neuen Jahr noch intensiver als bisher er-
klären. Sie haben all unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8166 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass heute Abend
eine weitere namentliche Abstimmung stattfinden wird,
und zwar zum Tagesordnungspunkt 11. Die Abstim-
mung wird vorbehaltlich aller Änderungen, die wir
s
s
S
s
s
T
D
d
K
H
n
d
k
w
n
s
–
m
d
e
m
6
g
m
m
J
ra
g
6
b
M
s
F
z
Die Beweise werde ich Ihnen jetzt vortragen.
Ich nenne drei Argumente:
Erstens. Auch Ihnen wird einleuchten, dass, wenn
an bis 67 arbeiten soll, eine Voraussetzung erfüllt wer-
en müsste, nämlich die, dass man im Alter von 64 noch
ine Arbeit hat. Hat man im Alter von 64 keine Arbeit
ehr, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mit
5 oder 66 wieder eingestellt wird, äußerst gering. Ich
laube, selbst die FDP wird dem zustimmen. Um es ein-
al ganz deutlich zu sagen: In diesem Land bekommt
an mit 65 eher das Bundesverdienstkreuz als einen
ob.
Da das so ist, müssen wir uns die Frage stellen – da-
uf ist in der Antwort auf die Große Anfrage einge-
angen worden –, wie viele Menschen im Alter von
4 Jahren eigentlich noch sozialversicherungspflichtig
eschäftigt sind. Die Antwort lautet: 8,7 Prozent der
enschen im Alter von 64 haben noch eine sozialver-
icherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung. Bei den
rauen, Frau von der Leyen, sind es übrigens nur 5 Pro-
ent.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17785
Klaus Ernst
)
)
Wenn das wirklich so ist, wie Sie es hier vorlegen,
dann bedeutet das im Ergebnis, dass Sie mit der Anhe-
bung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre 90 Prozent der
Menschen nichts anderes als eine ganz brutale Renten-
kürzung verordnen.
Das hat Ihre Antwort auf unsere Anfrage eindeutig erge-
ben.
Es wird immer gesagt, die Rente mit 67 komme erst
später. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann erken-
nen wir, dass diese Rentenkürzung bereits ab dem 1. Ja-
nuar 2012 wirken wird; das heißt, bereits im ersten
Quartal wäre eine Rentenkürzung von fast 1 Prozent für
die Menschen möglich, die nicht mehr sozialversiche-
rungspflichtig beschäftigt werden können. 90 Prozent!
Das ist Ihre Rentenpolitik!
Nun ein paar Worte zur SPD. Sie machen den Vor-
schlag – ich habe das in Ihrem Parteiprogramm gelesen –,
die Rente mit 67 erst dann einzuführen, wenn die Alters-
gruppe der 60- bis 64-Jährigen zu 50 Prozent beschäftigt
ist.
– Sozialversicherungspflichtig. – Wenn also 50 Prozent
der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen sozialversiche-
rungspflichtig beschäftigt sind, dann wollen Sie sie ein-
führen. Das bedeutet aber doch im Umkehrschluss, liebe
Genossinnen und Genossen von der SPD, dass ihr die
Rente mit 67 einführen wollt, wenn 50 Prozent dieser
Altersgruppe noch keine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung haben. Das bedeutet, Sie wollen die
Rente mit 67 einführen, obwohl Sie wissen, dass das bei
50 Prozent der Betroffenen zu einer reinen Rentenkür-
zung führt. Das ist absoluter Unfug, um es einmal ganz
deutlich zu sagen.
– Selbstverständlich ist das so; wir können doch rech-
nen.
Im Übrigen ist es die falsche Altersgruppe; denn es ist
völlig unerheblich, ob die Altersgruppe der 60- bis 64-
Jährigen einen Job hat. Ausschlaggebend ist nur die
Gruppe der 64-Jährigen; denn viele in der Altersgruppe
der 60- bis 64-Jährigen werden sicher vor dem Erreichen
des 64. Lebensjahres aus dem Beruf ausscheiden. Das
müsstet ihr von der SPD doch auch gemerkt haben. Also
bitte, kehrt auf den Pfad der Tugend und zu einer ver-
nünftigen Rentenpolitik zurück!
Das zweite Argument ist nun wirklich hochinteres-
sant. Ein wesentlicher Grund dafür, dass die Rente mit
67 eingeführt wurde, war aus Ihrer Sicht, dass die Le-
benserwartung der Menschen steigt, dass die Menschen
länger leben. Jetzt hat die Große Anfrage ergeben, dass
ausgerechnet bei der Gruppe der Geringverdiener dieser
Fakt überhaupt nicht zutrifft, dass deren Lebenserwar-
tu
b
b
W
7
im
S
w
S
s
Ih
d
k
a
–
E
u
n
n
b
d
s
F
is
d
m
e
ru
R
s
ährend sie im Jahre 2001 durchschnittlich mit
7,5 Jahren verstorben sind, verstarben sie im Jahr 2010
Durchschnitt mit 76 Jahren. Das ist ein Fakt, den die
tudie ergeben hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Ernst, weil Sie den Eindruck erwecken, dass hier
issenschaftliche Ergebnisse zitiert würden, möchte ich
ie fragen: Würden Sie mir, wenn Sie von einer Studie
prechen, recht geben, wenn ich sage, dass es eine Studie
res Kollegen Birkwald ist, die Sie hier zitieren, und
ass das sozusagen ein linker Zirkelschluss ist?
Herr Dr. Kolb, das ist eine sehr interessante Bemer-
ung. Das, was ich eben vorgetragen habe, ergibt sich
us der Antwort der Bundesregierung.
Aber selbstverständlich.
s ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf
nsere Anfrage.
Ich bin gerne bereit, Herr Dr. Kolb, Ihnen hinterher
och die Tabelle vorzutragen, damit Sie das noch einmal
achvollziehen können. Ich gebe zu, die Antwort ist ein
isschen dick geworden; sie ist sehr umfangreich. Aber
ie Rentenpolitik der Bundesregierung ist ja auch sehr
chwierig. Fakt ist jedoch, Herr Dr. Kolb – auf diesen
akt müssen wir uns doch verständigen –: Wenn es so
t, dass Geringverdiener inzwischen früher sterben,
ass man aber ausgerechnet den Geringverdienern zu-
uten will, länger zu arbeiten, dann bedeutet das, dass
ine Grundlage für die Rentenpolitik der Bundesregie-
ng überhaupt nicht vorhanden ist. Deshalb muss die
ente mit 67 zurückgenommen werden. Das ist die Kon-
equenz.
17786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Klaus Ernst
)
)
Im Übrigen – lassen Sie mich auch das noch sagen,
Herr Dr. Kolb – ist es so, dass wir offensichtlich ausge-
rechnet gegen die in diesem Land vorgehen, die wenig
verdienen. Sie weigern sich konsequent, den Mindest-
lohn einzuführen. Die Menschen mit geringeren Ein-
kommen haben geringere Renten. Jetzt stellen wir fest,
sie sterben auch noch früher. Das ist nicht hinzunehmen.
Über diesen Vorgang sollten Sie sich einmal Gedanken
machen.
Meine Damen und Herren, ein drittes Argument
möchte ich noch anführen. Es heißt immer, wir müssten
die Rente mit 67 einführen; wir könnten uns die Rente
mit 65 nicht mehr leisten. Alle Antworten der Bundes-
regierung ergeben aber, dass der Beitragssatz nur um
0,5 Beitragssatzpunkte höher wäre, wenn wir bei der
Rente mit 65 blieben. Frau von der Leyen, das sind bei
einer paritätischen Finanzierung der Rente 0,25 Bei-
tragssatzpunkte. Das sind bei einem Durchschnittsver-
diener um die 6,30 Euro monatlich.
Ich habe noch niemanden in diesem Lande erlebt, der
wegen eines um 6,30 Euro höheren Beitrags im Monat
zwei Jahre länger arbeiten möchte. Aber Sie muten das
den Leuten zu, und das ist inakzeptabel.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir haben ja nun Weihnachten. Vor Weihnachten gibt es
den Nikolaus, und der Nikolaus hat eine Rute. Ich sage
Ihnen: Wenn Sie dem Nikolaus begegnet wären, hätte er
Ihnen wegen Ihrer Rentenpolitik so lange den Hintern
versohlt, dass Sie bis Weihnachten nicht mehr sitzen
könnten.
Das Wort hat die Bundesministerin Ursula von der
Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Ernst, wenn man Ihnen zuhört, gewinnt man den Ein-
druck, als ob die Rente mit 67 den Menschen tatsächlich
etwas wegnehmen würde.
– Da hört man die Linken schreien. – Es geht aber um
gewonnene Lebensjahre.
1
z
a
d
u
D
ti
n
u
in
d
W
d
g
D
s
le
g
k
D
g
z
c
s
v
c
D
ti
d
D
le
E
p
W
S
In
s
ir haben vorhin geklärt, dass es keine Studie ist, son-
ern dass die Deutsche Rentenversicherung Statistiken
eliefert hat, aus denen Sie etwas herausgelesen haben.
ie Deutsche Rentenversicherung hat klipp und klar ge-
agt, dass aus diesen kleinen Fallzahlen kein Trend abzu-
sen ist. Aber auch da bleiben Sie beinhart in der Ver-
angenheit.
Ich empfehle Ihnen einen ausgesprochen guten Arti-
el aus der Sächsischen Zeitung.
iese Zeitung hat nämlich diesen Unsinn einmal aufge-
riffen und mit der Technik der Linken die Miniaturfall-
ahlen so analysiert, dass man auch einen vermeintli-
hen anderen Trend herauslesen kann. Danach ergäbe
ich nämlich, dass sich die Lebenserwartung von gering-
erdienenden Frauen im Osten – oh Wunder! – um lo-
kere sechs Jahre von 79 auf 85 verlängert hat.
as Ergebnis ist also hervorragend, wenn man die Statis-
ken auf die Art und Weise interpretiert, wie die Linke
amit umgeht.
as ist ein Paradestück dafür, dass die Linken mit Zah-
n nicht umgehen können.
s zeigt den tiefen Realitätsverlust der Linken. Ihnen
asst es nämlich nicht, zur Kenntnis zu nehmen, dass die
irklichkeit Ihnen inzwischen etwas völlig anderes ins
tammbuch schreibt.
Noch haben wir keinen einzigen Monat Arbeit mehr.
diesem Jahr ist es noch so, dass mit 65 Jahren die ab-
chlagsfreie Rente bezogen werden kann. Wenn die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17787
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
)
)
Rente mit 67 Jahren greift, werden wir 5 Millionen Men-
schen mehr in der Rente und 6 Millionen Menschen we-
niger im erwerbsfähigen Alter haben. Es ist schön, wenn
wir alle länger leben. Aber das heißt auch, dass die Mitte
schmilzt. Diese Veränderung in der Alterszusammenset-
zung der Bevölkerung hat längst stattgefunden. Dement-
sprechend entsteht jetzt auch ein neues Bild des Alters.
Schauen wir uns einmal die Zahlen an. In den letzten
zehn Jahren hat sich schon enorm viel verändert. Die
Zahl der Erwerbstätigen im Alter von über 55 Jahren hat
sich um 1,5 Millionen erhöht. 57 Prozent der 55- bis 64-
Jährigen stehen inzwischen im Erwerbsleben. Das ist
hinter Schweden Platz zwei in Europa. Wir können stolz
darauf sein, dass diese Veränderung inzwischen stattge-
funden hat.
Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sich die Erwerbstäti-
genquote in den letzten zehn Jahren sogar verdoppelt.
Ich weiß, dass Sie immer nur auf die sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten schauen. Dort ist die Er-
werbstätigenquote deutlich mehr als doppelt so hoch.
Mit der Technik der Linken betrachtet, hat sie um
150 Prozent zugenommen. Auch dabei handelt es sich
um einen Erfolg des Arbeitsmarktes und einen Erfolg
der Älteren am Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren,
meine Damen und Herren.
Ich glaube, wenn im Jahr 2029 – erst dann greift die
Rente mit 67 – so viel mehr Menschen älter sind und so
viel weniger Menschen am Arbeitsmarkt sind, ist es
auch eine Frage der Fairness und der Gerechtigkeit der
schmelzenden Mitte gegenüber, zu sagen: Wenn wir
zehn Jahre Lebenserwartung dazugewonnen haben, dann
können wir zwei Jahre davon in Arbeit investieren.
Das ist eine Frage der Gerechtigkeit den Jungen gegen-
über. Auch das sollten wir einmal thematisieren.
Meine Bitte an die Linken ist: Hören Sie endlich auf,
die Alten so schwachzureden.
Die Älteren sind am Arbeitsmarkt unverzichtbar. Die Äl-
teren, die später die Rente mit 67 erarbeiten werden, ge-
hören meiner Generation an. Wir sind die Ersten, die die
Rente mit 67 dann auch tatsächlich mit Leben füllen
müssen.
Frau Ministerin, der Kollege Ernst äußert den
Wunsch nach einer Zwischenfrage.
A
d
v
ü
Ic
W
w
b
s
v
h
ü
fe
s
w
s
ra
S
6
w
A
n
W
w
d
s
J
6
F
a
g
re
A
c
e
v
z
R
T
Ic
m
d
h
h
z
e
fü
arum sollten ausgerechnet wir jetzt eine Rolle rück-
ärts machen? Nein, wir bleiben standfest, weil wir das
en jungen Menschen in unserem Land schuldig sind.
Wir müssen in den nächsten Jahren nach vorne
chauen, bis die Rente mit 67 Jahren greift. Bis zum
ahre 2029 müssen wir daran arbeiten, die Rente mit
7 mit Leben zu erfüllen. Mir ist wichtig, dass wir die
rage eines guten Übergangs und der Gerechtigkeit be-
ntworten. Wir möchten dazu die Kombirente vorschla-
en, die bewirkt, dass man mit Teilzeitarbeit und Teil-
nte den Übergang in die Rente schon früher, also im
lter zwischen 63 und 67 Jahren, schaffen kann.
Wenn wir über die Rente mit 67 im Jahr 2029 spre-
hen, ist es wichtig, die Frage zu stellen – das ist eben
ine Frage der Gerechtigkeit –, ob insbesondere Gering-
erdiener, wenn sie 30, 35 oder 40 Jahre Beiträge ge-
ahlt haben, es schaffen, eine eigene auskömmliche
ente zu erhalten. Darunter sind sehr viele Frauen, die
eilzeit gearbeitet haben, aber nicht aus Bequemlichkeit.
h sage es noch einmal: Das ist meine Generation. Da-
als hat es keine Ganztagsschulen und nur wenig Kin-
ergartenplätze gegeben, von Krippenplätzen war über-
aupt nicht die Rede. Wenn diese Frauen gearbeitet
aben, dann haben sie sich wirklich krummgelegt, und
war ein Leben lang. Sie haben neben der Arbeit Kinder
rzogen und die Älteren gepflegt. Sie müssen, wenn sie
r ihr Alter vorgesorgt haben, am Ende des Lebens eine
17788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
)
)
eigene Rente haben. Deshalb streiten wir jetzt über die
Zuschussrente.
Diese Frage der Gerechtigkeit müssen wir jetzt im Inte-
resse der betroffenen Menschen beantworten. Dafür
stehe ich hier.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den jungen
Menschen gegenüber gerecht sein müssen und bereit
sein müssen, einen Teil unseres längeren Lebens in Ar-
beit zu investieren. Andererseits müssen wir den Gering-
verdienern, die sich wirklich krummgelegt und ein Le-
ben lang alles richtig gemacht haben, eine eigene Rente
ermöglichen.
Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Ohne diese Gerech-
tigkeit verliert das Rentensystem seine Berechtigung,
und ohne Kinder verliert es seine Zukunft.
Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention der Kollege Klaus Ernst.
Frau von der Leyen, ich möchte Ihnen – ich habe jetzt
doch noch die Gelegenheit, etwas zu sagen – eine ganz
konkrete Frage stellen. Ab 1. Januar nächsten Jahres,
also ab 1. Januar 2012, gibt es Abschläge bei der Rente
für langjährig Versicherte ab dem Jahrgang 1949, und
zwar in Höhe von 0,9 Prozent, also circa 1 Prozent,
wenn sie drei Monate früher in Rente gehen. Ist das rich-
tig, oder ist das falsch? Wenn es richtig ist, heißt das
dann nicht, dass die Rentenkürzung nicht erst ab 2029
greift, was Sie eben zu vermitteln versuchten, sondern
eigentlich ab dem 1. Januar des Jahres 2012? Diese
Frage ist sehr konkret. Man braucht sie auch nicht mit
Hinweis auf England, Afrika oder Frankreich zu beant-
worten. Man kann sie mit Ja oder Nein beantworten.
Zu Ihrer Zuschussrente, Frau von der Leyen. Sie wis-
sen genauso gut wie ich, dass diese Zuschussrente so gut
wie niemand erhält. Sie ist daran gebunden, dass jemand
privat vorgesorgt hat. Jetzt wissen wir ganz genau, dass
insbesondere Geringverdiener kaum in der Lage sind,
privat vorzusorgen, und das auch kaum tun. Übrigens
sind geringverdienende Männer laut dieser Statistik ganz
besonders betroffen, weil sie erstens inzwischen tatsäch-
lich eine geringere Lebenserwartung haben und weil ih-
nen zweitens kaum die Möglichkeit zur Vorsorge gege-
ben ist. Das bedeutet aber, dass sie nicht in den Genuss
der Zuschussrente kommen, weil sie nicht privat vorge-
s
w
s
A
F
e
s
M
s
n
Ic
g
w
–
Z
g
fü
s
a
u
ri
jä
5
d
w
E
w
b
G
ih
s
G
d
Frau von der Leyen zur Erwiderung, bitte.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Herr Ernst, an der Länge Ihrer verschwurbelten ersten
rage konnte man sehen, dass Sie versucht haben, einen
infachen Zusammenhang möglichst kompliziert darzu-
tellen, damit er Ihrer Realitätsverweigerung standhält.
eine einfache Antwort ist: Ab 2012 müssen die Men-
chen einen Monat länger arbeiten, Herr Ernst; mehr
icht in diesem Jahr.
h glaube, es ist eine Frage der Gerechtigkeit den Jun-
en gegenüber, dass wir langsam, aber sicher monats-
eise in die Rente mit 67 einsteigen.
Sie haben eben das Wort gehabt. Jetzt habe ich es.
Zu Ihrer zweiten Frage: Die Zuschussrente ist auf die
ukunft ausgerichtet. Das heißt, wir stellen die Bedin-
ung der Vorsorge nicht für die Vergangenheit, sondern
r die Zukunft, auch um deutlich zu machen: Wenn un-
er Rentensystem auf Dauer halten soll, dann muss es
uf zwei Beinen stehen, nämlich der gesetzlichen Rente
nd der privaten Vorsorge.
Schon heute sind 30 Prozent der Riester-Sparer Ge-
ngverdiener. 50 Prozent aller Riester-Sparer haben ein
hrliches Einkommen von unter 20 000 Euro. Mit
Euro im Monat ist man mit dem kleinsten Einkommen
abei. Es gibt 13 Euro Zuschuss vom Staat für einen Er-
achsenen.
s gibt 25 Euro Zuschuss für ein Kind. Deshalb wollen
ir auf die Dauer die private Vorsorge als zweites Stand-
ein ausbauen. Es muss sich aber zum Schluss für die
eringverdiener lohnen, damit sie ihre Riester-Rente,
re betriebliche Altersvorsorge oder eine andere Vor-
orge tatsächlich als eigene Rente haben. Das ist der
rundgedanke der Zuschussrente. Deshalb werden wir
arum kämpfen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17789
)
)
Die Kollegin Elke Ferner hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau von der Leyen, das war ein Vortrag wie immer: viel
heiße Luft, nichts dahinter, keine eigenen Vorschläge
und den Leuten Sand in die Augen streuen. Das kennen
wir von Ihnen.
Ich werde noch auf einzelne Punkte zurückkommen.
Wir haben damals, als das Renteneintrittsalter gesetz-
lich angehoben worden ist, aus gutem Grund eine Über-
prüfungsklausel gesetzlich festgeschrieben. Dabei sollte
die Bundesregierung eine Einschätzung darüber abge-
ben, ob angesichts der Entwicklung der Arbeitsmarkt-
lage sowie der sozialen und wirtschaftlichen Lage der
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine Anhebung
des Renteneintrittsalters vertretbar ist.
Sie, die Bundesregierung, aber auch die Koalitions-
fraktionen, halten das für vertretbar. Sie erliegen damit
nicht nur einer groben Fehleinschätzung. Denn wer an-
gesichts der Zahlen zu den Beschäftigungsquoten der so-
zialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen, die von Ihnen selber in der di-
cken Drucksache als Antwort der Bundesregierung zur
Verfügung gestellt worden sind, zu einem solchen
Schluss kommen kann und gleichzeitig in derselben Wo-
che die vergleichsweise großzügigen Bedingungen bei
der Pensionierung der politischen Beamten noch weiter
vergolden will, leidet an mehr als an Realitätsverlust,
liebe Kollegen und Kolleginnen.
Sie haben von der sozialen Lage der Menschen in die-
sem Land keine Ahnung. Das ist weder christlich noch
sozial; das ist beschämend. Man könnte auch sagen, Frau
von der Leyen: Das ist betonhart.
Ich möchte noch einmal auf Ihre eigenen Zahlen ver-
weisen. Im letzten Jahr waren gerade einmal 19,1 Pro-
zent der 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig
beschäftigt. Bei den 64-Jährigen waren es noch nicht
einmal 9 Prozent. Das ist übrigens die Steigerung um
150 Prozent, die Frau von der Leyen eben angesprochen
hat.
Das zeigt, dass das Leitbild der Erwerbstätigkeit bis
zum Renteneintritt derzeit nur eine Illusion ist. Nur jeder
fünfte Versicherte ist gegenwärtig vor dem Eintritt in die
Altersrente tatsächlich sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt. Ein Viertel kommt aus Arbeitslosigkeit oder
Altersteilzeit, und der Rest hat überwiegend keinen Er-
w
n
z
tr
h
w
m
w
w
h
A
w
e
n
n
s
b
D
d
z
D
G
m
k
e
k
ü
ti
g
A
lo
m
is
h
g
0
in
E
D
z
Was ist mit denen, die arbeitslos sind? Sie werden,
enn sie langzeitarbeitslos sind, in eine abschlagsge-
inderte Rente gezwungen. Das kann man doch nicht
ollen. Das kann man nicht ignorieren. Deshalb haben
ir damals eine Überprüfungsklausel gewollt, und des-
alb schlagen wir heute in unserem Antrag vor, dass die
nhebung des Renteneintrittsalters so lange ausgesetzt
ird, bis mindestens 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen
iner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung,
achgehen.
Das Schlimme ist, dass Sie trotz dieser Zahlen nicht
ur an der Anhebung des Renteneintrittsalters festhalten,
ondern dass Sie darüber hinaus Milliarde um Milliarde
ei der aktiven Arbeitsmarktpolitik kürzen.
as heißt, Sie vergrößern nicht, sondern Sie verringern
ie Chancen der älteren Beschäftigten, im Arbeitsmarkt
u bleiben und aus der Arbeit heraus in Rente zu gehen.
as ist Ihre Politik, Frau von der Leyen. Ich sage Ihnen:
erade in Zeiten, in denen es wirtschaftlich besser geht,
uss man sich intensiv um die Langzeitarbeitslosen
ümmern; denn nur in den Zeiten haben sie überhaupt
ine Chance, wieder in Arbeit zu kommen. Stattdessen
ürzen Sie in den nächsten Jahren Mittel in Höhe von
ber 24 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarktpoli-
k. Das ist wirklich ein Armutszeugnis.
Weil Sie eben auf die Frage des Kollegen Ernst nicht
eantwortet haben, möchte ich deutlich machen, was die
nhebung des Renteneintrittsalters für Langzeitarbeits-
se bedeutet. Wer heute die Voraussetzungen erfüllt, um
it 63 Jahren in Rente zu gehen, aber langzeitarbeitslos
t, muss Abschläge in Höhe von 7,2 Prozent dauerhaft
innehmen. Mit jedem Monat der Heraufsetzung der Re-
elaltersgrenze erhöhen sich diese Abschläge um
,3 Prozentpunkte, also, wie Herr Ernst eben gesagt hat,
nerhalb von drei Monaten um knapp 1 Prozent. In der
ndstufe reden wir über 14,4 Prozent insgesamt.
ie Menschen empfinden es zu Recht als Rentenkür-
ung, wenn sie nicht die Gelegenheit haben, selber zu
17790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Elke Ferner
)
)
bestimmen, ob sie aus der Arbeit in die normale Rente
oder in eine vorgezogene Rente gehen. Die Situation,
dass die Menschen selber darüber entscheiden können,
haben wir leider immer noch nicht erreicht.
Sie haben eben über niedrige Rentenanwartschaften
gesprochen. Ich sage Ihnen: Mit Ihrer Zuschussrente, die
mittlerweile außer Ihnen selbst überhaupt niemand mehr
gut findet, lösen Sie das Problem nicht. Sie als Arbeits-
ministerin müssten sich eigentlich für Mindestlöhne
nicht nur einsetzen, sondern sie einführen. Das wäre Ihre
Aufgabe.
Sie als Arbeitsministerin müssten sich dafür einsetzen,
dass die Entgeltdiskriminierung von Frauen beseitigt
wird. Auch das ist ein Grund, warum gerade Frauen so
niedrige Renten haben; denn sie haben niedrige Löhne.
Sie müssten eigentlich Ihren Kollegen von den Koali-
tionsfraktionen auf die Finger klopfen, wenn diese ver-
einbaren, die Minijobgrenze von 400 Euro auf 450 Euro
zu erhöhen. Denn was bedeutet das? Weniger sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung, mehr Altersarmut.
Das ist das Ergebnis einer solchen Politik.
Wenn Sie nur am Ende ansetzen, dann springen Sie zu
kurz. Die Brüche in den Erwerbsbiografien können wir
nicht ausschließlich über das Rentenrecht korrigieren.
Natürlich muss man auch da korrigieren, aber aus-
schließlich da zu korrigieren, funktioniert nicht. Ihre Zu-
schussrente ist eine Belohnung für diejenigen, die privat
vorgesorgt haben. Aber all denjenigen, die wegen der Si-
tuation auf dem Arbeitsmarkt in ihren Regionen, ob im
Osten oder im Westen, oder wegen fehlender Kinderbe-
treuungsmöglichkeiten oder anderer Dinge keine voll-
ständige Erwerbsbiografie haben, helfen Sie nicht, und
denen wollen Sie auch gar nicht helfen. Sie wollen näm-
lich nur denen helfen, die eine entsprechend große An-
zahl von Jahren privater Vorsorge haben. Die anderen
lassen Sie außen vor. Damit springen Sie zu kurz.
Wir schlagen vor, dass die Rente nach Mindestent-
geltpunkten so lange verlängert wird, bis wir einen flä-
chendeckenden Mindestlohn in diesem Land haben. Wir
schlagen weiterhin vor, dass die Zeiten der Langzeitar-
beitslosigkeit höher bewertet werden, wenn insgesamt
weniger als 30 Entgeltpunkte erworben worden sind.
Das sind Nachteilsausgleiche, die wir für notwendig hal-
ten, die wir dann aber auch über Steuern und nicht über
Beiträge finanzieren wollen.
Frau von der Leyen, Sie haben eben gesagt, Sie
kämpften um Ihre Zuschussrente. Das heißt im Klartext:
Sie haben sie noch lange nicht eingetütet. Ich bin einmal
gespannt, ob der Finanzminister, wenn im nächsten Jahr
an vielen anderen Stellen noch zusätzlicher Finanzie-
rungsbedarf besteht, mit wehenden Röcken auf Sie zuge-
la
le
d
tr
tu
d
g
G
C
b
k
D
m
d
k
s
is
B
s
d
d
s
a
D
u
A
g
a
E
re
a
c
s
A
m
n
k
tr
d
g
a
fl
s
h
b
z
s
m
n
is
ti
as ist im Übrigen der Unterschied zwischen Ihnen und
ns: Sie sind grundsätzlich dagegen, während wir die
uffassung vertreten, dass man unter bestimmten Bedin-
ungen durchaus eine Anhebung des Renteneintritts-
lters vertreten kann.
Wir sehen darüber hinaus Handlungsbedarf bei der
rwerbsminderungsrente. Wir möchten gerne die Zu-
chnungszeiten in einem Schritt bis zum 62. Lebensjahr
nheben, und wir möchten gerne auch die rentenrechtli-
hen Abschläge auf die Erwerbsminderungsrenten ab-
chaffen. Ich weiß nicht, wie Sie jemandem diese
bschläge erklären können; ich konnte sie bisher nie-
andem erklären. Wer erwerbsgemindert ist, der geht
icht freiwillig in Rente, weil er es sich nicht aussuchen
ann, sondern er geht in Rente, weil er körperlich beein-
ächtigt ist und nicht mehr arbeiten kann. Angesichts
essen halten wir an dieser Stelle Abschläge für nicht
eboten; sie gehören vielmehr schlicht und ergreifend
bgeschafft.
Es ist an der Zeit, die Übergänge in die Rente so zu
exibilisieren, dass sie den Bedürfnissen und den Wün-
chen der Beschäftigten mehr entgegenkommen, als es
eute der Fall ist. Wir wollen Menschen ab dem 60. Le-
ensjahr eine Teilrente ermöglichen, die mit einer Teil-
eitbeschäftigung einhergeht. Wir möchten, dass die Ab-
chläge ausgeglichen werden können. Vor allen Dingen
öchten wir sicherstellen, dass bei Inanspruchnahme ei-
er solchen Rente keine Altersarmut vorprogrammiert
t. Wir möchten also, dass ein Schutz für die Beschäf-
gten aufgebaut wird, damit Arbeitgeber sie nicht über
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17791
Elke Ferner
)
)
die Teilrente aus der Beschäftigung herausdrängen kön-
nen.
Letzter Punkt: Wer alles soll in die Rentenversiche-
rung einzahlen müssen? Gerade weil die Erwerbsver-
läufe so vielfältig geworden sind, müssen dem auch die
sozialen Sicherungssysteme gerecht werden. Deshalb
wollen wir eine Erwerbstätigenversicherung in der ge-
setzlichen Rentenversicherung einführen. Einbezogen
werden sollen zunächst einmal die Soloselbstständigen,
die bekanntermaßen ebenfalls sehr stark von Altersarmut
bedroht sind, damit sie nach einem langen Arbeitsleben
eine entsprechende Absicherung im Alter haben.
Unterm Strich kann ich nur an Sie appellieren, liebe
Kollegen und Kolleginnen von der Koalition: Schauen
Sie sich die Zahlen einfach noch einmal an! Spielen Sie
nicht die drei chinesischen Affen – nichts sehen, nichts
hören und nichts sagen –, sondern ziehen Sie die Konse-
quenzen aus den Zahlen, die Sie selber vorgelegt haben!
Schönen Dank.
Der Kollege Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal – Frau Ferner, ich weiß, Sie mögen das
nicht –: Wir müssen hier die Verantwortungen klarstel-
len. Es war die SPD, die die Rente mit 67 in Deutschland
wollte und eingeführt hat.
Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Sie wollten die Rente mit 67. – Frau Ferner, Sie dürfen
sofort eine Zwischenfrage dazu stellen.
Jetzt gleich? – Bitte, Frau Ferner.
Herr Kollege Kolb, würden Sie bitte zur Kenntnis
nehmen, dass in unserem Wahlprogramm 2005 aus-
drücklich gestanden hat, dass wir keine Rente mit 67
wollen,
dass im Wahlprogramm der Union gestanden hat, dass
sie eine Anhebung der Regelaltersgrenze will und dass
im Koalitionsvertrag ein Kompromiss geschlossen wor-
d
s
d
ru
E
te
U
g
b
E
k
ih
g
e
F
e
w
h
u
b
w
re
d
te
S
–
d
d
Ic
w
e
fe
P
–
h
E
w
g
s heißt ja in der Bibel: An ihren Taten sollt ihr sie er-
ennen. – Nicht an ihren Wahlprogrammen, sondern an
ren Taten sollt ihr sie erkennen. Sie können mich ja
erne korrigieren, aber nach allem, was ich weiß, ist vor
iner denkwürdigen Kabinettssitzung der SPD-Minister
ranz Müntefering, der unter dem starken Druck stand,
inen Rentenversicherungsbericht vorzulegen, zu dessen
esentlichem Bestandteil eine Beitragsprojektion ge-
ört, an die Bundeskanzlerin herangetreten und hat sie
m Zustimmung zur Einführung einer Rente mit 67 ge-
eten,
eil nur so, Frau Kollegin Ferner, die Beitragsziele zu
alisieren waren, die man sich vorgenommen hatte und
ie in diesem Rentenbericht ausgewiesen werden muss-
n.
o war es nach meiner Erinnerung.
Ich war zwar nicht in der Kabinettssitzung dabei, aber
as ist damals alles sehr zeitnah und breit berichtet wor-
en und von Franz Müntefering nie dementiert worden.
h finde es einfach feige,
enn Sie sich heute hier hinstellen und sagen: Wir sind
s nicht gewesen. Die CDU war es. – Nein, die SPD war
derführend dabei und war treibende Kraft bei diesem
rojekt. Das muss man hier sehr deutlich sagen.
Wir haben damals übrigens dagegen gestimmt.
Wir hatten unsere Gründe, dass wir dagegen gestimmt
aben. Aber wir haben uns natürlich auch die weitere
ntwicklung angeschaut. Dazu will ich gerne noch et-
as sagen. Das kann ich wesentlich ausführlicher darle-
en, wenn Sie, Herr Ernst, eine Zwischenfrage stellen.
17792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
Die Beitragsziele, die man erreichen wollte, Frau
Kollegin Ferner, waren damals also maßgebend. Der
entscheidende Satz in der Drucksache 17/7966, der
schon auf Seite 3 steht, lautet:
Würde auf die Anhebung der Altersgrenzen gemäß
dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz verzich-
tet, fiele der Beitragssatz im Jahr 2030 um 0,5 Pro-
zentpunkte höher aus. Gleichzeitig wäre das Siche-
rungsniveau vor Steuern um 0,6 Prozentpunkte
geringer.
Hier müssten Sie als eine Partei, die zu Regierungszeiten
entsprechende Maßnahmen ergriffen hat, jetzt, in Oppo-
sitionszeiten, doch eigentlich in ihrem Entschließungs-
antrag eine Antwort auf die Frage geben, wie das zu-
künftig aussehen soll, statt sich einen schlanken Fuß zu
machen.
Sie sagen jetzt einfach: Wir schieben das in die Zu-
kunft. – Demografisch ändert sich aber dadurch über-
haupt nichts. Die Probleme, die Franz Müntefering
damals verantwortungsvoll lösen wollte, bestehen un-
verändert fort. Sie wollen nun die Lösung wegnehmen,
sagen aber nicht, was an die Stelle dieser Lösung treten
soll. Das finde ich einfach unverantwortlich. Auch eine
Oppositionspartei hat ein Mindestmaß an Verantwortung
in diesem Haus wahrzunehmen.
Jetzt komme ich zu dem Punkt, den auch der Kollege
Ernst angesprochen hat. – Frau Kollegin Ferner, ich
wäre dankbar, wenn Sie mir Ihre ungeteilte Aufmerk-
samkeit schenken könnten.
– Das ist sehr schön. Gut. – Jetzt frage ich Sie: Welche
Entwicklung haben Sie denn damals eigentlich bei der
Erwerbsteilhabe und der Quote der sozialversicherungs-
pflichtig beschäftigten Älteren erwartet? Sie müssen
doch irgendeine Vorstellung gehabt haben. Ich könnte ja
verstehen, dass die SPD jetzt Bauchschmerzen be-
kommt, wenn es in den letzten Jahren ganz furchtbar und
katastrophal gelaufen wäre.
Nur: Die Zahlen sprechen doch eine vollkommen andere
Sprache, Frau Kollegin Ferner.
Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen hat sich
von 2000 bis 2009 auf mehr als 40 Prozent verdoppelt.
Es handelt sich übrigens, wie ich finde, um einen Fehler
in Ihrem Entschließungsantrag, dass Sie nur auf die
Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
d
a
w
S
u
s
p
s
m
ti
s
e
je
m
V
s
D
h
tu
ü
le
n
m
W
S
n
T
–
P
Ic
nd andere, die in der Gruppe der Erwerbstätigen einge-
chlossen, aber aus der Gruppe der sozialversicherungs-
flichtig Beschäftigten ausgeschlossen sind. Wenn Sie
agen, von allen, die 64 oder 65 Jahre alt sind,
üssen 50 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäf-
gt sein, dann legen Sie die Messlatte für die Gruppe der
ozialversicherungspflichtig Beschäftigten so hoch, dass
s nie zur Einführung der Rente mit 67 kommen könnte,
denfalls nicht in den nächsten 10 bis 15 Jahren. Da
uss ich Ihnen sagen: Hier handelt es sich um einen
ersuch der Irreführung und Täuschung. Sie machen
ich hier wirklich vom Acker.
as kann ich und das werden wir Ihnen nicht durchge-
en lassen. Sie stehen hier genauso in der Verantwor-
ng.
Jetzt zu den Linken; denn eigentlich diskutieren wir ja
ber Ihre Große Anfrage und die Antworten. Herr Kol-
ge Ernst und auch Herr Kollege Birkwald – der sitzt ja
icht nur zufällig dort, sondern hat das Ganze wesentlich
it ausgearbeitet –:
ir sind ja von den Linken einiges gewohnt. Aber dass
ie es diesmal derart unseriös angehen, das ist auf der
ach unten offenen Birkwald-und-Ernst-Skala ein neuer
iefstand. Das muss man einmal klipp und klar sagen.
Herr Ernst möchte eine Zwischenfrage stellen, Frau
räsidentin.
Herr Ernst, möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?
h glaube, Herr Kolb freut sich sehr.
Ja, klar.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17793
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
Bitte schön.
Herr Dr. Kolb, nur wegen der Seriosität: Sie haben
gerade versucht, darzustellen, dass die Bezugsgröße
falsch sei, wenn man die 60- bis 64-Jährigen nehme.
Stimmen Sie mir zu, dass Rentenansprüche ausschließ-
lich diejenigen stellen, die sozialversicherungspflichtig
beschäftigt sind, die also in die Rentenkasse einbezahlt
haben?
Tatsächlich müssen wir, wenn wir nach den Voraus-
setzungen zur Einführung der Rente mit 67 fragen, die
Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
betrachten,
weil die anderen überhaupt nicht rentenbezugsberechtigt
sind.
Wenn Sie von Unseriosität reden, dann würde ich Sie
bitten, darauf zu achten, was Sie hier eigentlich sagen.
Sonst kann man Sie überhaupt nicht mehr ernst nehmen.
Ich schließe eine zweite Frage an: Stimmen Sie mir
denn zu – weil Frau von der Leyen diese Frage nicht be-
antwortet hat –, dass es tatsächlich so ist, dass langjährig
Versicherte, die jetzt, ab dem 1. Januar 2012, vor dem
67. Lebensjahr in Rente gehen – wenn sie nicht arbeiten,
weil sie keine Beschäftigung haben –, pro Monat
0,3 Prozent Abschläge hinnehmen müssen und damit bis
einschließlich März nächsten Jahres schon fast 1 Prozent
weniger Rente bekommen?
Ich bitte Sie, diese Frage nicht so kompliziert zu be-
antworten, wie es Frau von der Leyen versucht hat. Die
kann man nämlich wirklich mit Ja oder Nein beantwor-
ten.
Ihr erster Punkt war die Frage nach der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigung. Es ist klar: Nur wer
Beiträge gezahlt hat, kann hinterher Rente beantragen.
Das ist ein wesentlicher Aspekt.
Das war aber nicht mein Punkt, auf den ich Frau
Ferner hingewiesen habe. Ich habe nur gesagt: Auch
wenn sie auf die Gesamtheit der 60- bis 64-Jährigen eine
50-prozentige Sozialversicherungsquote anlegt, meint
sie in Wirklichkeit noch deutlich mehr. Dann müssten
nämlich 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Be-
s
g
to
M
A
S
m
n
lo
b
re
a
s
d
V
D
b
S
fo
g
d
s
s
u
s
d
g
F
re
s
ih
li
D
e
s
ber auch dann geht Ihre Rechnung noch nicht auf; denn
ie versuchen, eine Durchschnittsbetrachtung vorzuneh-
en. Sie müssen aber immer die individuellen Verhält-
isse berücksichtigen.
Ob und wie sich die Rente für einen Versicherten
hnt oder nicht – das klingt in dem Zusammenhang ein
isschen blöd –, hängt natürlich immer von der Gesamt-
ntenbezugsdauer im Anschluss an den Renteneintritt
b. Um eine effektive, individuelle Rentenrendite be-
timmen zu können, müssten Sie fragen: Wie lange lebt
erjenige, der früher in Rente geht, hinterher tatsächlich?
on daher hinkt Ihr Vergleich, den Sie hier vortragen.
as kann ich nicht akzeptieren.
Sie haben sich mit der Großen Anfrage Mühe gege-
en, das will ich anerkennen.
ie enthält viele Fragen, die sind auch sehr detailliert
rmuliert. Was aber inakzeptabel ist, ist die äußerst ei-
enwillige Interpretation der Ergebnisse.
Herr Ernst, Sie hatten jetzt zweimal die Gelegenheit
azu: Sie müssen mir wirklich belegen, wo in der Studie
teht, dass die Lebenserwartung von Geringverdienern
inken würde. Herr Kollege Birkwald, ich halte es für
nglaublich und ein Stück weit für unverschämt – an-
onsten schätze ich Sie sehr –, wenn Sie hier den Ein-
ruck erwecken, die Bundesregierung und die sie tra-
ende Koalition sei an einem sozialverträglichen
rühableben interessiert. Das ist nicht Bestandteil unse-
r Rentenpolitik,
ondern wir wollen, dass die Menschen möglichst lange
re Rente genießen können und das auf einem mög-
chst guten Niveau.
azu ist aber entscheidend, dass sie Arbeit haben und
ine möglichst ungebrochene Erwerbsbiografie vorwei-
en können.
17794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
Nein, Herr Birkwald, umgekehrt wird ein Schuh da-
raus. Ich glaube, ein sozialistisches Gesellschaftssystem
ist ein höheres Lebensrisiko für die Menschen als die
Rente mit 67. Das will ich Ihnen sehr deutlich sagen.
Herr Ernst und Herr Birkwald, Sie sind nicht die
Menschenfreunde, als die Sie sich hier gerne ausgeben.
Nein, Sie kochen Ihr rotes Süppchen, und Zynismus und
selektive Wahrnehmung sind ganz wesentliche Bestand-
teile Ihres Rezeptes. So sieht nämlich die Wirklichkeit
aus.
Trotzdem ist zu begrüßen, dass wir heute wieder ein-
mal die Möglichkeit haben, uns über rentenpolitische
Themen auszutauschen. Es gibt ja eine Agenda, die so-
zusagen im Raum steht. Natürlich müssen wir – Frau
Kollegin Ferner, da bin ich bei Ihnen – überlegen, wie
wir flexible Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhe-
stand schaffen können. Da haben Sie, wenn ich Sie rich-
tig verstanden habe, schon ziemlich viel von den FDP-
Vorschlägen, die in diesem Haus früh eingebracht wur-
den, übernommen.
Vielen Punkten könnten wir zustimmen.
Nicht mit gehen wir aber bei Ihrem Konzept einer Er-
werbstätigenversicherung. Auch sind wir dafür, dass
Selbstständige eine Pflicht zur Versicherung haben.
Ich will hier sehr deutlich sagen: Wir wollen für sie aber
keine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung. Dass wir uns um die Probleme, die durch Er-
werbsminderung und Erwerbsunfähigkeit entstehen,
kümmern müssen, will ich hier ausdrücklich konzedie-
ren. All das aber muss geschehen im Geiste der Verant-
wortung für unser Rentensystem und auch für die Bei-
tragsziele, die Sie ins Gesetz geschrieben haben und
denen wir uns unverändert verpflichtet fühlen.
Der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat das
Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
D
W
W
w
m
A
e
w
B
d
s
te
ru
g
D
d
w
k
n
w
v
b
u
n
B
d
g
h
g
re
W
s
e
a
R
p
p
s
g
S
Im
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir brauchen mehr Ehrlichkeit in der Politik.
ir müssen ehrlich sagen, wo die Chancen liegen, und
ir müssen ehrlich sagen, wo die Probleme sind. Auch
üssen wir ehrlich sagen, was noch zu tun ist.
Die Linke spricht in ihrer Großen Anfrage ganz am
nfang von einer ehrlichen Bestandsaufnahme und einer
chten Abwägung der Risiken, ist dann aber – das haben
ir vorhin wieder erlebt – ebenso wenig ehrlich wie die
undesregierung in ihrer Antwort.
Die Bundesregierung ist viel zu schönfärberisch, was
ie Probleme angeht: Es ist ja alles gut. Die Linke ver-
chweigt völlig die Vorteile der Anhebung der Regelal-
rsgrenze. Beides verstärkt die Ängste in der Bevölke-
ng. Nur wenn wir in beide Richtungen ehrlich sind,
ewinnen wir das Vertrauen zurück.
as gilt nicht nur für die Rentendebatte – aber gerade bei
er Rente, weil hier langfristiges Vertrauen besonders
ichtig ist.
Zunächst zu den Vorteilen: Die Linke spricht die Wir-
ung auf der Beitragsseite an: ein um 0,5 Prozentpunkte
iedrigerer Beitragssatz. Das klingt zwar nicht nach
ahnsinnig viel, stellt aber immerhin eine Entlastung
on 12,50 Euro pro Monat dar. Insgesamt macht das 4
is 5 Milliarden Euro aus, um die Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer entlastet werden. Das ist schon mal
icht nichts.
Die Linke verschweigt vor allem, dass nicht nur die
eiträge sinken, sondern dass auch das Rentenniveau
urch die Rente mit 67 steigt. Ohne Anhebung der Re-
elaltersgrenze wäre das Rentenniveau – Kollege Kolb
at schon darauf hingewiesen – um 0,6 Prozentpunkte
eringer. 0,6 Prozentpunkte bedeuten, dass die Standard-
nte durch die Rente mit 67 um etwa 1,5 Prozent steigt.
enn wir es darüber hinaus hinkriegen, dass die Men-
chen tatsächlich zwei Jahre länger arbeiten, sind das bei
iner Durchschnittsrente 60 bis 70 Euro pro Monat.
Die Erhöhung des Rentenniveaus bewirkt übrigens
uch eine Erhöhung der Rente für alle, die bereits in
ente sind. Von wegen allgemeine Rentenkürzung! Es
rofitieren alle Bestandsrentnerinnen und -rentner. Sie
rofitieren zunächst nur ganz wenig, weil die Kurve erst
achte ansteigt, dann aber immer weiter nach oben
eht. – Der Kollege Troost nickt, stimmt mir also zu.
ehr schön!
Es profitieren auch alle, die länger arbeiten können.
nächsten Jahr ist das nur ein Monat. Das dürfte vie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17795
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
len, die erwerbstätig sind, auch möglich sein. Selbst bei
den Arbeitslosen, Herr Ernst, muss genau hingeschaut
werden; denn auch wer Arbeitslosengeld I bezieht, be-
kommt im Regelfall eine höhere Rente. Beim Arbeitslo-
sengeld II ist das schon nicht mehr ganz eindeutig, weil
die Rentenhöhe hier von der Gesamtleistungsbewertung
abhängt.
Eine Rentenkürzung erhalten allerdings – da haben
Sie recht – auch schon im nächsten Jahr diejenigen Ar-
beitslosen, die von den Jobcentern frühzeitig in Rente
geschickt werden. Besonders problematisch finde ich
das im Hinblick auf Erwerbsgeminderte und Schwerbe-
hinderte, weil die Altersgrenze, ab der diese ohne Ab-
schlag in Rente gehen dürfen, im nächsten Jahr ebenfalls
um einen Monat ansteigt. Das ist aus unserer Sicht ein
schwerer Fehler, der dringend korrigiert werden muss.
Zusammenfassend sage ich: Im Durchschnitt ist die
Rente mit 67 eine Verbesserung. Deshalb sind wir
grundsätzlich für die Rente mit 67: Der Kuchen für die
Rentnerinnen und Rentner wird größer. Die Rente mit 67
bedeutet aber ausgerechnet für die Schwächsten – für
Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte, Erwerbsgemin-
derte und andere, die frühzeitig in Rente müssen – eine
Rentenkürzung; auch das ist richtig. Die Rente mit 67
führt dazu, dass die Einkommensschere im Alter weiter
auseinandergeht; auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Unsere Schlussfolgerung ist, anders als bei den Linken
und in Teilen der SPD, aber nicht: Weg damit! Unser Be-
streben ist es, dass möglichst alle von dem größeren Ku-
chen profitieren. Hier müssen wir ansetzen, und da gibt
es noch viel zu tun.
Wir halten es für ein wichtiges Signal an die Gesell-
schaft, dass die Rente mit 67 kommen wird; denn 2031
– nicht 2029, Frau Ministerin; das Rechnen fällt der
Bundesregierung sowieso schwer – brauchen wir sie.
Eine Abschaffung oder Aussetzung hilft nicht weiter.
Wir müssen jetzt an die Probleme heran und insbeson-
dere an die Unternehmen ein Signal senden, damit sie
endlich mehr Arbeitsplätze für Ältere schaffen.
Ich möchte drei Bereiche ansprechen, in denen drin-
gend gehandelt werden muss:
Erstens. Wir brauchen flexible Übergänge in den Ru-
hestand. Eigentlich ist die Bezeichnung „Rente mit 67“
Quatsch: Kein Mensch will exakt mit 67 in den Ruhe-
stand. Es ist unserem Rentenberechnungssystem ge-
schuldet, dass wir eine Regelaltersgrenze brauchen. Als
Partei der Freiheit ist es aber unser Ziel,
dass jeder und jede freier und selbstbestimmter entschei-
den kann, wann er oder sie in Rente gehen will, in wel-
chem Umfang er oder sie noch arbeiten will.
N
a
W
lu
a
E
a
g
W
a
k
K
d
W
a
re
b
v
D
b
p
la
e
u
s
v
R
u
m
ra
c
d
u
w
L
A
ru
g
g
Z
a
s ist viel besser, die Barrieren für Gesunde, die länger
rbeiten wollen, abzubauen, als die Schwachen zu zwin-
en, länger zu arbeiten.
er erwerbsgemindert oder schwerbehindert ist, muss
uch weiterhin ab 63 ohne Abschläge in Rente gehen
önnen.
Wir brauchen eine Teilrente ab 60. Wir brauchen eine
ultur der Altersteilzeit in den Betrieben, aber auch in
en Köpfen der Beschäftigten, insbesondere der Männer.
ir brauchen mehr Arbeitszeitsouveränität, nicht nur,
ber vor allem im Alter: Wir brauchen nicht nur altersge-
chte Arbeitsplätze, sondern auch altersgerechte Ar-
eitszeiten.
Zweitens. Wir müssen das Arbeitsleben insgesamt so
erändern, dass die Menschen bis 67 arbeiten können.
as heißt: weniger psychische Belastungen, mehr Ar-
eitsschutz, mehr Gesundheitsprävention am Arbeits-
latz, mehr Weiterbildung, eine bessere Work-Life-Ba-
nce. Die Rente mit 67 bietet da aus unserer Sicht eher
ine Chance, weil sie den Lebensverlauf etwas entzerrt
nd weniger Druck in der Rushhour des Lebens verur-
acht.
Drittens. Last, not least brauchen wir ein Mindestni-
eau in der Rente. Wir wollen, dass die Menschen im
egelfall eine Rente erhalten, die zum Leben ausreicht,
nd fordern deswegen die Grüne Garantierente: Wer
ehr als 30 Versicherungsjahre aufweist, muss sich da-
uf verlassen können, dass die Rente über dem Grundsi-
herungsniveau liegt. Die Zuschussrente von Frau von
er Leyen soll aber erst nach 45 Versicherungsjahren
nd zusätzlich 35 Jahren privater Altersvorsorge gezahlt
erden.
iebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Schutz vor
rmut, sondern Armutsbekämpfung für Auserwählte.
Aber es ist noch schlimmer: Erst werden 45 Versiche-
ngsjahre in der Rentenversicherung und 35 Jahre Ei-
envorsorge verlangt; danach wird die Eigenvorsorge
egebenenfalls komplett wieder abgezogen: Alle, die die
uschussrente kriegen, erhalten 850 Euro. Das ist völlig
bsurd.
17796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
Unsere Vorstellung ist das nicht. Die Grüne Garantie-
rente garantiert ein Mindestniveau; sie garantiert auch:
Wer mehr einzahlt, bekommt auch eine höhere Rente.
Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der ökonomi-
schen Vernunft.
Wir Grüne sind überzeugt, dass die Anhebung der Re-
gelaltersgrenze sinnvoll und für eine nachhaltige Finan-
zierung der Rente notwendig ist und sie den Beitragszah-
lerinnen und -zahlern sowie den Rentnerinnen und
Rentnern nützt, Herr Ernst. Wir brauchen aber flankie-
rende Maßnahmen: mehr Freiheit und Selbstbestimmung
beim Übergang in den Ruhestand, eine andere Arbeits-
welt, damit die Menschen länger arbeiten können, und
eine Rente, die effektiv vor Armut schützt. Daran sollten
wir alle gemeinsam arbeiten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Karl Schiewerling hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Herrn
Dr. Strengmann-Kuhn ausdrücklich dafür,
dass er in weiten Teilen seiner Darstellung gute sachli-
che Analysen geliefert hat. Wir stimmen zwar nicht in
allen Punkten überein, aber es war schon einmal wesent-
lich differenzierter als das, was wir vorher von der Op-
position gehört haben.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, von dem ich
glaube, dass es notwendig ist, dass wir ihn in unser
Blickfeld rücken. Es geht um die Frage, in welcher Si-
tuation wir uns eigentlich befinden. Wir dürfen nicht
– wie Frau Ferner gesagt hat – die Augen und die Ohren
zumachen und nichts sehen und nichts hören wollen.
Wenn ein System gesellschaftlich stärker akzeptiert
und damit insgesamt gestärkt aus der Krise herausge-
kommen ist, dann ist es die Rentenversicherung.
Die Rentenversicherung genießt in der politischen De-
batte eine so hohe Akzeptanz wie lange nicht mehr, und
darüber sind wir froh.
Ic
d
te
Im
ä
D
w
m
W
le
b
d
s
M
c
n
G
Z
d
z
S
w
a
a
E
R
H
g
d
M
g
g
b
ra
n
g
6
d
c
d
d
w
R
d
weitens. Wir erhöhen den Bundeszuschuss und damit
ie Steuermittel, was all die Auswirkungen nach sich
ieht, die wir mittlerweile vor dem Hintergrund der
taatsverschuldung kennen. Die dritte Möglichkeit, die
ir haben: Wir senken das Rentenversicherungsniveau
b, sodass die Menschen im Alter noch weniger haben;
ber das ist nicht akzeptabel.
s gibt noch eine vierte Möglichkeit: Wir verkürzen die
entenlaufzeit. Die Rente mit 67 ist nichts anderes.
Die Rente mit 67 ist in der Großen Koalition nicht mit
urra eingeführt worden, als etwas, mit dem wir mit
roßer Begeisterung vor die Presse getreten sind, son-
ern aus der Erkenntnis, dass wir für die Zukunft der
enschen in unserer Gesellschaft die Verantwortung tra-
en. Es sind nicht nur angenehme Antworten, die wir zu
eben haben, sondern Antworten, die sich an der Le-
enswirklichkeit der Menschen orientieren.
Der guten Ordnung halber will ich noch einmal da-
uf verweisen, was die Rente mit 67 bedeutet. Ab
ächstem Jahr arbeiten die Menschen einen Monat län-
er. Sie gehen nicht mit 65 Jahren in Rente, sondern mit
5 Jahren und einem Monat. Ich prophezeie Ihnen, dass
adurch nicht das blanke Elend in Deutschland ausbre-
hen wird. Ich halte diesen Schritt für zwingend notwen-
ig, weil wir ohne ihn keine schlüssigen Antworten auf
ie Frage geben können, wie wir in Zukunft die für alle
ichtige umlagefinanzierte Rente erhalten können.
Wir haben mit dem Beschluss zur Einführung der
ente mit 67 ein Begleitpaket geschnürt. Darin ist auch
ie Frage geregelt, wie wir die Wirkung überprüfen kön-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17797
Karl Schiewerling
)
)
nen. Man kann natürlich zu unterschiedlichen Einschät-
zungen kommen, aber ich kann doch nicht die Augen da-
vor verschließen, dass immer mehr ältere Menschen
immer länger erwerbstätig sind. Noch vor einigen Jahren
lag das Renteneintrittsalter bei 61 Jahren, heute liegt es
bei über 63 Jahren.
Die Menschen werden älter, sie können immer länger in
den Betrieben arbeiten. Das ist auch ein Teil der Wahr-
heit. Wir werden die Rente mit 67 in ihrer vollen Entfal-
tung erst im Jahre 2029 – je nach Rentenanrechnungszeit
2031, das will ich gerne konzedieren – erreicht haben.
Das müssen wir auch in den Blick nehmen.
Wir haben ferner beschlossen, die richtigen Rahmen-
bedingungen zu schaffen. So ist das Programm „50 plus“
aufgelegt worden. Es gab zahlreiche Initiativen, um
Menschen weiterhin in Beschäftigung zu halten oder in
Beschäftigung zu bringen, und das ist gelungen. Es gibt
viele Dinge, die sich gut entwickeln. Die Bundesregie-
rung und die Koalitionsfraktionen verschließen die Au-
gen nicht davor, dass es auch Probleme gibt. Das wäre ja
Schönfärberei. Es ist doch nicht so, dass wir nicht mitbe-
kommen, dass es Berufsfelder gibt, die große Probleme
hätten, wenn das Renteneintrittsalter heute vollumfäng-
lich bei 67 Jahren liegen würde.
In diesen Berufsfeldern geht es darum, sich umzustellen.
Deswegen sind wir mit der Wirtschaft aufgefordert
– diese Forderung ist wichtig –, zum Beispiel im Bereich
der körperlich sehr anstrengenden Pflege und im Bereich
der körperlich sehr anstrengenden handwerklichen Be-
rufe alles zu tun, damit die Menschen länger arbeiten
können; denn auch die Wirtschaft ist darauf angewiesen,
dass die Menschen länger arbeiten.
Wir diskutieren über Fachkräftemangel,
und wir diskutieren darüber, dass immer weniger Kinder
geboren werden. Aber es darf sich nichts ändern, und es
kann sich nichts ändern? In welcher Welt leben Sie denn
eigentlich?
Die Betriebe sind auf ihre Fachkräfte angewiesen.
Der Vertreter eines großen Industriebetriebes mit
25 000 Beschäftigten hat mir vor kurzem dargelegt, dass
2019 in seinem Betrieb über die Hälfte der Belegschaft
50 Jahre und älter sein wird, weil sie die Jüngeren nicht
b
d
D
A
W
s
s
e
u
z
d
a
d
z
B
te
D
Ic
h
d
ih
e
d
k
S
b
D
d
e
d
d
z
a
avor kann ich die Augen doch nicht verschließen.
uch die Wirtschaft weiß dies. Deswegen muss sich die
irtschaft in diesem Bereich anstrengen, und sie wird
ich anstrengen; denn es ist, wie Konrad Adenauer ge-
agt hat: Sie müssen die Menschen nehmen, wie sie sind,
s gibt keine anderen. – Das ist die Realität, mit der wir
mgehen müssen.
Lassen Sie mich wagen, wenigstens noch einen Satz
um Rentendialog zu sagen, zu dem immerhin der Präsi-
ent der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische,
uf der letzten Bundesvertreterversammlung gesagt hat,
ass diese Form des Rentendialogs allen Respekt hervor-
urufen hat; denn hier würden die Menschen auf breiter
asis einbezogen. Ich glaube, dass die von der Minis-
rin auf den Weg gebrachte Zuschussrente Teil dieses
ialoges ist.
h mache aber überhaupt keinen Hehl daraus, dass wir
inter dem Anliegen der Bundesarbeitsministerin stehen,
ass gerade diejenigen unterstützt werden sollen, die in
rem Leben getan haben, was sie konnten, die Kinder
rzogen und ihre alten Angehörigen gepflegt haben und
eswegen keine auskömmliche Rente haben, das heißt,
eine Rente, die über dem Grundsicherungsniveau liegt.
ie sollen entsprechend der Lebensleistung, die sie er-
racht haben, unterstützt und gefördert werden.
aran lasse ich keinen Zweifel. Es ist wichtig, dass auch
iese Menschen in Zukunft von der Rentenversicherung
ine Rente erhalten. Die Rentenversicherung muss für
en Teil, der steuerfinanziert ist, vonseiten des Bundes
ie notwendigen Mittel erhalten, um diese Renten aus-
ahlen zu können.
Herr Kollege, ist Ihnen bewusst, dass die Zeit mehr
ls abgelaufen ist?
Ich sehe, dass Sie mich freundlich anblinken.
17798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Karl Schiewerling
)
)
Wenn in dieser Diskussion eine Botschaft rüberkom-
men muss – danach höre ich auf –, dann ist es diese: Wir
haben allen Grund, auf diese Rentenversicherung stolz
zu sein. Sie hält unsere Gesellschaft zusammen. Sie for-
dert unsere Generationen aber auch heraus, und wir ha-
ben alles zu tun, was notwendig ist, damit sie ihre Leis-
tungsfähigkeit behält. Dazu gehört auch die Rente mit 67.
Unser Kollege Anton Schaaf hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Karl Schiewerling, ich schätze dich ja sehr, aber, um ehr-
lich zu sein, so viel Unfug, wie du jetzt gerade in Bezug
auf die Zuschussrente und ihre Wirkung erzählt hast,
habe ich selten von dir gehört.
Wir überprüfen das einmal.
Frau von der Leyen, was mich wirklich umtreibt, ist
das, was in dieser Woche geschehen ist – Sie müssen
entschuldigen, dass ich nicht sofort auf die Rente mit 67
eingehe, aber das, was in dieser Woche geschehen ist, ist
wirklich einmalig –: Die Art und Weise, wie Sie den Prä-
sidenten der Deutschen Rentenversicherung abgemeiert
haben, weil er sich fachlich und sachlich zu Ihrem Vor-
schlag geäußert hat, ist unglaublich. Das ist ein unglaub-
licher Vorgang.
Sie haben vor dem Hintergrund Ihres Modells der Zu-
schussrente Dr. Rische allen Ernstes vorgeworfen, er
würde sozusagen mit einem Schulterzucken hinnehmen,
dass die Geringverdiener altersarm werden. Das haben
Sie ihm vorgeworfen.
Ihre Zuschussrente erreicht die Leute, die Geringver-
diener, von denen Sie reden, jedoch überhaupt nicht.
Die Voraussetzungen sind nämlich so hoch, dass fast
niemand sie in Anspruch nehmen kann. Ich höre jetzt
aus Ihrem Hause, dass Sie vielleicht noch die Anerken-
nung der Erziehungs- und Pflegezeiten herausnehmen
wollen, damit die Zuschussrente mit dem Rentenver-
sicherungssystem überhaupt noch irgendwie kompatibel
ist. Aber wenn Sie das machen, erreichen Sie noch weni-
ger Menschen. Das, was Sie da betreiben, ist keine ak-
tive Bekämpfung der Altersarmut.
Wie Sie sich gegenüber Dr. Rische verhalten haben,
halte ich für in dem Fall nicht nur sachlich und fachlich
fa
ic
4
s
T
d
w
4
h
v
b
s
k
ü
th
h
p
A
S
ri
A
c
li
e
n
s
T
S
S
d
te
n
In
h
k
w
m
te
Schauen wir uns die Zuschussrente doch einmal an:
5 Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt und zu-
ätzlich 35 Jahre privat vorgesorgt – und dann kommt
ante Ursula und sagt: Weil du so fleißig warst und mit
einer Rente nicht auskommst, lege ich ein bisschen
as, sozusagen ein Almosen, obendrauf. – Ich sage: Wer
5 Jahre lang geklebt und selbst ein bisschen vorgesorgt
at – das war zumindest immer unser Anspruch –, muss
on sich aus eine vernünftige, auskömmliche Rente ha-
en und darf keine Zuschussrente brauchen.
Wo ist denn Ihr Beitrag, Frau von der Leyen, die ge-
etzliche Rentenversicherung zu stabilisieren und zu-
unftsfest zu machen? Genau das ist die Frage, die Sie
berhaupt nicht beantworten. Sie stellen sich mit viel Pa-
os hier hin und reden über diejenigen, die es verdient
aben, die zu Hause Kinder erzogen und die Eltern ge-
flegt haben. Natürlich haben die es verdient, aber mit
rmutsbekämpfung hat das nichts zu tun.
Ich erinnere nur an den Koalitionsvertrag, Karl
chiewerling, und zwar an euren, nicht an unseren. Da-
n haben die Alterssicherung und die Bekämpfung der
ltersarmut Priorität. Irgendjemand muss einmal versu-
hen, mir zu erklären, wie diese Zuschussrente tatsäch-
ch Altersarmut bekämpft.
Eigentlich ist es ziemlich zynisch, zu sagen: Wenn die
in Leben lang gering verdient haben, dann helfe ich ih-
en am Ende, wenn sie in Rente gehen, mit einem Almo-
en, damit sie über dem Sozialhilfeniveau sind.
un Sie lieber etwas gegen die Geringverdienerei! Tun
ie etwas gegen prekäre Beschäftigung in diesem Land!
orgen Sie endlich dafür, dass die Menschen einen Min-
estlohn haben und sich ordentliche Ansprüche erarbei-
n können! Aber an dieser Stelle machen Sie überhaupt
ichts.
Der Eingliederungstitel ist schon erwähnt worden.
sbesondere Menschen, die Handicaps und Schwächen
aben und deshalb nicht in den ersten Arbeitsmarkt
ommen, in einer konjunkturell guten Lage noch Gelder
egzunehmen, statt sie noch mehr an die Hand zu neh-
en und ihnen die Chance zu bieten, am Arbeitsmarkt
ilzuhaben, ist zynisch, Frau von der Leyen.
Zum Kollegen Kolb:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17799
Anton Schaaf
)
)
Herr Kolb, die Idee, dass man alle verpflichtet, sich zu
versichern und für das Alter vorzusorgen, ist prinzipiell
nicht verkehrt. Aber wer vor dem Hintergrund dessen,
was sich an den Finanzmärkten getan hat – wir wissen,
dass beispielsweise in den Vereinigten Staaten Hundert-
tausende, die sich für das Alter nur privat absichern
konnten, jetzt arm und pleite sind und sich Almosen vom
Staat holen müssen –, sagt: „Es ist egal, wo sie sich ver-
sichern. Aber wir wollen auf keinen Fall, dass sie sich in
der gesetzlichen Rentenversicherung versichern“,
der handelt entweder ziemlich fahrlässig, oder er igno-
riert die Wirklichkeit.
– Ich lasse Ihre Zwischenfrage nicht zu, Herr Kolb.
Sie haben gesagt, Sie wollen eine Versicherungspflicht.
Aber Sie wollen keine Verpflichtung dafür, sich in der
gesetzlichen Rentenversicherung versichern zu lassen.
Genau da sind wir anderer Meinung. Wir sind nämlich
der Meinung, dass alle die, die in irgendeiner Form er-
werbstätig sind, gefälligst in die Rentenversicherung
einbezahlen sollten,
weil das nämlich der beste Schutz vor Altersarmut ist,
den wir in unserem System haben.
Herr Strengmann-Kuhn, viele Ihrer Argumente teile
ich; das ist überhaupt nicht die Frage. Ich bin auch nicht
grundsätzlich gegen ein höheres Renteneintrittsalter; da-
rum geht es nicht. Aber Sie haben es doch selbst gesagt:
Wenn wir ab dem 1. Januar ein höheres Renteneintritts-
alter haben, dann sind auf jeden Fall zumindest diejeni-
gen gestraft, die nicht entscheiden können, ob sie in
Rente gehen oder nicht, sondern die in Rente gehen müs-
sen, die quasi zwangsverrentet werden müssen, weil sie
nach dem SGB II Renten beantragen müssen. Dazu sa-
gen Sozialdemokraten: Das machen wir nicht mit!
Deswegen sind wir der Meinung: Wir verschieben die
Einführung des höheren Renteneintrittsalters und regeln
erst einmal diese Sachverhalte.
Ich will einfach nicht hinnehmen, dass Menschen, die
dies nicht beeinflussen können, ab dem nächsten Jahr
dauerhaft höhere Rentenabschläge hinnehmen müssen.
Sozialdemokraten sagen: Zumindest bis wir solche Sa-
chen geregelt haben, muss die Einführung eines höheren
R
ü
K
z
w
h
z
te
b
d
D
A
je
rü
s
n
re
M
tr
w
A
w
v
e
in
a
s
E
s
s
fü
n
la
fu
m
s
s
k
p
a
te
d
d
D
G
d
d
Ich empfinde es nicht als dramatisch, dass man später
Rente gehen soll, aber für diejenigen, die nicht mehr
rbeiten können, müssen wir vernünftige Übergänge
chaffen.
lke Ferner hat völlig recht, wenn sie sagt, dass die Ab-
chlagsregelung bei der Erwerbsminderungsrente abge-
chafft werden muss. Die Menschen können nichts da-
r, dass sie nicht mehr arbeiten können. Man darf sie
icht zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Handicap be-
sten, indem man ihnen die Rente kürzt. Die Abschaf-
ng dieser Regelung ist eine Voraussetzung dafür, dass
an ein höheres Renteneintrittsalter einführt.
Elke Ferner hat unseren Antrag ausführlich darge-
tellt. Wir werden bei dem Antrag der Linken mit Nein
timmen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass es
eine Frage der Finanzierbarkeit ist; 0,5 Beitragssatz-
unkte sind finanzierbar, auf die lange Strecke bis 2029
llemal. Eines ist klar: Wenn wir die Erhöhung des Ren-
neintrittsalters jetzt verschieben würden, Herr Kolb,
ann hätte man sozusagen nur Vorfinanzierungskosten;
enn irgendwann wird das Renteneintrittsalter erhöht.
as würde also finanziell nichts ausmachen.
Mich treibt eher die Frage der Leistungsfähigkeit der
esellschaft um. Wir werden weniger Arbeitsfähige in
er Gesellschaft haben, wir werden unseren Wohlstand,
er verteilt werden soll, aber nach wie vor erarbeiten
17800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Anton Schaaf
)
)
müssen. Dies können wir mit kürzeren Lebensarbeitszei-
ten nicht schaffen. Wir müssen die Gesellschaft leistungs-
fähig halten. Darum geht es mir. Wenn man die Gesell-
schaft leistungsfähig halten möchte, kommt es in erster
Linie darauf an, dass man für Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer gute Bedingungen schafft, damit sie Leistung
erbringen können.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort an den
Kollegen Kolb.
Herr Kollege Schaaf, Sie haben meine Zwischenfrage
bedauerlicherweise nicht zugelassen. Deswegen muss
ich diese Kurzintervention nutzen, um eine falsche Wie-
dergabe unseres Konzepts für die Altersvorsorge der
Selbstständigen zu korrigieren. Sie haben gesagt, wir
wollten auf keinen Fall zulassen, dass Selbstständige in
die Rentenversicherung kommen. – Das ist so nicht rich-
tig.
Unser Konzept sieht vor, dass es keine Pflichtversiche-
rung in der gesetzlichen Rentenversicherung flächende-
ckend für jeden geben soll.
Vielmehr wollen wir, dass es eine Pflicht zur Versiche-
rung gibt. Selbstverständlich müssen auch Selbststän-
dige angehalten werden, in jedem Jahr ihrer Selbststän-
digkeit in einem ausreichenden Umfang vorzusorgen.
Ausreichender Umfang heißt, dass man so viel anspart,
dass es am Ende des Erwerbslebens zum armutsfreien
Leben im Alter reicht. Das ist unser Konzept.
Wir trauen den Menschen zu, selbst zu entscheiden,
wo sie sich versichern wollen. Jemand kann auch sagen:
Ich zahle freiwillig Beiträge in die gesetzliche Renten-
versicherung. Ich persönlich tue das übrigens auch, weil
ich die gesetzliche Rentenversicherung als eine wichtige
Säule jeder persönlichen Altersvorsorge ansehe. Men-
schen, die selbstständig sind, die ein eigenes Unterneh-
men führen können, sind auch in der Lage, eine solche
Entscheidung zu treffen.
Übrigens lehnt auch der Sachverständigenrat der
Bundesregierung in seinem aktuellen Gutachten eine
Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung erneut ab. Er hat dies bereits in 2006 getan – das
war zu Ihrer Regierungszeit – und bekräftigt nun diese
Ablehnung. Unsere Ablehnung hat also durchaus kun-
dige Fürsprecher.
w
fü
g
tü
n
h
R
P
d
D
ru
c
fü
w
R
–
K
M
z
e
M
le
ih
z
a
s
a
s
p
P
a
d
te
d
P
is
Im Übrigen warne ich vor der Idee, jetzt eine Er-
erbstätigenversicherung oder was auch immer einzu-
hren, um auf diese Weise neue Beitragszahler in die
esetzliche Rentenversicherung zu holen. Das führt na-
rlich zunächst dazu, dass viele zusätzliche Beitragsein-
ahmen generiert werden. Aber auf lange Sicht entste-
en dadurch auch Verpflichtungen für die gesetzliche
entenversicherung. Es spricht einiges dafür, dass die
robleme 2030, 2035 kulminieren werden, weil sie dann
emografisch bedingt besonders gravierend sein werden.
eswegen ist Ihr Vorschlag, die Erwerbstätigenversiche-
ng, keine Lösung des Problems. Eine Pflicht zur Versi-
herung zu installieren, wäre aber, glaube ich, sehr ziel-
hrend.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Schaaf zur Antwort, bitte.
Sehen Sie, Herr Kolb: Mich treibt um, dass es mittler-
eile eindeutige Zahlen gibt, wie hoch die Rendite der
iester-Rente ist.
Ja. Aber man muss auch dazulernen dürfen und zur
enntnis nehmen: Die Rendite der Riester-Rente ist im
oment der staatliche Zuschuss und sonst gar nichts. An
usätzlicher Rendite kommt für die Menschen, die in
ine Riester-Rente investieren, nicht viel heraus. Die
enschen, die privat vorgesorgt haben, haben in den
tzten Monaten und Jahren höllische Angst gehabt, dass
re Altersvorsorge flöten geht, weil die Finanzmärkte
usammengebrochen sind.
In Amerika, wo das System der Altersvorsorge fast
usschließlich privat organisiert ist, sind Hunderttau-
ende von Menschen aufgrund der Finanzkrise alters-
rm. In so einer Zeit zu sagen: „Die Menschen sollen
elbst überlegen, was sie machen, und sich irgendwie
rivat absichern“, halte ich für fahrlässig. Das ist der
unkt.
Das System, das den Menschen in der Vergangenheit
m meisten Sicherheit geboten hat und bei dem sich je-
er sicher sein konnte, dass es funktioniert, war das Ren-
nversicherungssystem – paritätisch und solidarisch. An
ieser Stelle wird es spannend. Sie haben nämlich ein
roblem mit dem Wort „solidarisch“. Sie glauben, jedem
t geholfen, wenn er sich selber hilft. Wir glauben, dass
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17801
Anton Schaaf
)
)
eine große, starke Gemeinschaft wie die Rentenversiche-
rung, die auf Parität und Umlageverfahren beruht, den
Menschen auch in Zukunft viel mehr Sicherheit bietet.
Der Kollege Pascal Kober hat das Wort für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, ich
glaube, Sie unterschätzen die Menschen.
Ich denke, die Menschen wissen sehr genau, dass uns die
zu erwartende demografische Entwicklung, die unab-
wendbar ist, zum Handeln zwingt. Lieber Herr Ernst, ich
möchte Ihnen das an zwei Zahlen deutlich machen.
Im Jahr 2009, also vor zwei Jahren, sind ganz genau
651 000 Kinder geboren worden. Wir wissen, dass rück-
wirkend kein einziges hinzugefügt werden kann. Wenn
die Rente mit 67 im Jahr 2029 vollumfänglich zur Gel-
tung kommt, werden diese Kinder 20 Jahre alt sein, ihre
Berufsausbildung abgeschlossen oder gerade ein Stu-
dium begonnen haben. In diesem Jahr, 2029, werden
1,35 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen. Al-
lein dieses Zahlenverhältnis zeigt, dass wir handeln müs-
sen.
Ich kann Ihnen das auch an einer anderen Zahl deut-
lich machen. Im Jahr 1970 waren es fünf Beitragszahler,
die eine Rente finanziert haben, im Jahr 2000 nur noch
drei. Wenn sich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern
und Rentnern nicht weiter zuungunsten der Beitragszah-
ler verschieben soll, dann müssen wir handeln. Die Men-
schen verstehen das und werden sich von Ihnen keine
Angst machen lassen. Aus Gründen der Generationenge-
rechtigkeit war es richtig, hier zu handeln. Wir werden
uns von diesem richtigen Weg nicht abkehren.
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, Herr Ernst. Es ist
nicht so, dass wir den Menschen Rentenzeit bzw. Le-
benszeit stehlen würden. Vor 50 Jahren betrug die durch-
schnittliche Rentenbezugsdauer 10 Jahre, heute sind es
18 Jahre. Ich halte es auch aus Gründen der Generatio-
nengerechtigkeit für vertretbar, dass wir das Rentenein-
trittsalter maßvoll und in kleinen Schritten bis 2029 er-
höhen – wohlgemerkt, die Rente mit 67 trifft erst die
Jahrgänge ab 1964, also diejenigen, die heute 47 Jahre
alt sind –, damit die Rentenversicherung auch in Zukunft
stabil und finanzierbar bleibt.
Ich glaube, dass die Politik auf dem richtigen Weg ist.
Wir dürfen den Menschen allerdings keine Angst ma-
c
h
u
s
u
d
d
s
d
d
D
h
s
s
a
s
d
e
le
w
b
s
Z
tr
w
D
M
e
Ih
h
e
m
n
D
g
g
n
6
n
W
h
ri
w
eshalb müssen die Menschen wissen – wir haben das
erade noch einmal gehört –: Die SPD hält weiterhin
rundsätzlich an der Rente erst ab 67 fest. Sie will sie
ur so lange aussetzen, bis die Hälfte aller 60- bis
4-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ei-
er sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung steht.
enn alles so weiterliefe wie bisher, dann wäre das frü-
estens in 16 Jahren, also 2027, der Fall. Frau Ministe-
n, auch einmal zu Ihren Zahlen: Das wäre ein Auf-
uchs von 1,5 Prozentpunkten pro Jahr. Mehr ist das
17802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Matthias W. Birkwald
)
)
nicht! Ich sage nur: Das ist Wischiwaschi. Entscheiden
Sie sich, liebe SPD!
So traurig es auch ist: Wer SPD sagt, wird auch weiter-
hin an Rentenkahlschlag denken müssen. Das ist die
Wahrheit.
Besonders hart würden die geforderten zwei Jahre Ar-
beit zusätzlich bis zur Rente jene treffen, die schon heute
aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie als ältere
Menschen einfach keinen Job mehr finden, vorzeitig in
Rente gehen müssen. Chemiearbeiter, Chemiearbeiterin-
nen, Elektriker und Elektrikerinnen gehen heute zum
Beispiel im Durchschnitt mit 62 Jahren in die Rente.
Knapp 70 Prozent von ihnen müssen Rentenkürzungen
hinnehmen. Bauarbeiter gehen mit knapp 63 Jahren in
die Rente – drei von fünf mit Abschlägen.
Auf diese bereits schlechte Ausgangslage setzen Sie
mit der Rente erst ab 67 nun noch einen obendrauf. Das
heißt, Sie werden Arbeitgebern Milliarden in die Tasche
spülen, und vor allem werden die Renten der Betroffe-
nen massenhaft gekürzt werden. Das ist die drohende
Wirklichkeit der Rente erst ab 67, und genau das will die
Linke verhindern.
Es heißt ja – wir haben das heute wieder gehört –, wer
länger lebt, könne länger arbeiten. Das ist an sich schon
falsch; denn die Rente erst ab 67 wird die Menschen we-
der gesünder machen noch haufenweise neue Jobs für
Ältere hervorbringen. Wo sollen die denn herkommen?
Es kommt aber noch viel schlimmer. Die Lebenser-
wartung steigt nicht für alle Menschen, Herr Kolb. Im
Gegenteil!
– Hören Sie jetzt bitte gut zu, damit Sie nicht wieder so
einen Unsinn erzählen.
Die durchschnittliche Lebenszeit von Männern mit nied-
rigen oder niedrigsten Löhnen hat sich in den vergange-
nen zehn Jahren nämlich nicht etwa erhöht, sondern sie
hat sich um zwei Jahre verkürzt.
Im Osten hat sich die durchschnittliche Lebenszeit ge-
ringverdienender Männer sogar um fast vier Jahre ver-
ringert.
d
d
fr
n
d
g
w
fr
h
E
F
ta
s
D
ru
k
tu
s
g
s
S
L
b
Der Herr Weiß würde Ihnen gerne eine Zwischen-
age stellen.
Bitte schön, Herr Weiß.
Bitte, Herr Weiß.
Herr Kollege Birkwald, nachdem bereits die Vorred-
erin, Frau Bundesministerin von der Leyen, und auch
ie Vorredner der Regierungsfraktionen Sie darauf hin-
ewiesen haben, dass Sie die Zahlen schlichtweg falsch
iedergeben,
age ich Sie: Würden Sie jetzt endlich einmal zugeste-
en, dass das, was Sie vortragen, schlichtweg falsch ist?
s ist schlichtweg falsch, und Sie haben eine üble
alschmeldung in die Presse gesetzt, weil Sie die Sterbe-
feln der Deutschen Rentenversicherung mit den Unter-
uchungen zur Lebenserwartung verwechseln.
as ist der grundlegende Fehler, den Sie gemacht haben.
Die Untersuchungen der Deutschen Rentenversiche-
ng, die Sie nachlesen können, bestätigen für alle Ein-
ommensgruppierungen eine steigende Lebenserwar-
ng. Genauso bestätigt das Statistische Bundesamt
teigende Lebenserwartungen für alle Bevölkerungs-
ruppen in Deutschland.
Ich bitte Sie jetzt herzlich, hier im Plenum des Deut-
chen Bundestages endlich diesen Fehler einzugestehen.
terbetafel hat nichts mit Lebenserwartungstafel zu tun.
esen Sie bitte die richtige Statistik, und geben Sie die
itte hier wieder.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17803
)
)
Herr Weiß, Sie müssen jetzt wirklich sehr tapfer sein,
und Sie auch, Herr Kolb. Jetzt passen Sie einmal auf.
Schauen Sie doch bitte alle einmal auf Seite 19 der Ant-
wort der Bundesregierung auf die Große Anfrage nach.
Da heißt es in der Antwort der Bundesregierung:
Die durchschnittliche Bezugsdauer … ist … gestie-
gen … Dies spiegelt … die Zunahme der Lebenser-
wartung … wider.
Damit beziehen Sie sich auf den Durchschnitt über
alle. Wenn dieser Satz richtig ist, dann ist eine gesun-
kene Rentenbezugsbedauer natürlich auch ein Beleg für
eine gesunkene Lebenserwartung.
– Selbstverständlich! Jetzt hören Sie einmal zu. Sie müs-
sen rechnen können.
– Wollen Sie jetzt eine Antwort haben oder nicht? –
Schauen Sie in den Anhang auf Seite 46 ff. Schauen Sie
sich in der PDF-Datei die Seiten 96 ff. an. Da geht es um
fast 16 400 Fälle, Männer. Das sind diejenigen, die nach
dem 65. Lebensjahr als langjährig Versicherte Rente be-
zogen haben. Da müssen Sie nur ganz einfach rechnen.
Wenn Sie ein durchschnittliches Sterbealter ausrechnen
wollen, dann müssen Sie sich ansehen, wie lange die
Rentenbezugsdauer war. Die durchschnittliche Renten-
bezugsdauer bei geringverdienenden Männern nach dem
65. Lebensjahr betrug im Jahr 2001 12,5 Jahre. Im Jahre
2010 waren es 10,5 Jahre. Das sind zwei Jahre weniger
oder minus 16 Prozent. Wer rechnen kann, ist klar im
Vorteil.
Wenn jetzt behauptet wird, Herr Weiß, das seien zu
geringe Fallzahlen: Diese über 16 000 Männer sind
7,4 Prozent aller Betroffenen. Sie können das gerne
nachrechnen. Die Zahlen stimmen. Das haben auch Jour-
nalisten gemacht und anschließend schreiben können.
Das Dementi der Regierung war sehr verhalten. Denn es
stimmt selbstverständlich, was ich Ihnen hier erzähle.
Bleiben wir dabei: Sie wollen den Menschen unter
diesen Bedingungen noch zwei Jahre länger Arbeiten
oder gekürzte Renten zumuten. Da sage ich: Das ist eine
Verhöhnung der Betroffenen und ein sozialpolitischer
Super-GAU, ein Super-GAU, den Union, SPD, FDP und
Grüne zu verantworten haben; denn de facto wird die
Rentenzahlung gerade für Männer mit geringen Einkom-
men mit der Rente erst ab 67 um bis zu sechs Jahre ver-
kürzt, wenn es bis zum Ende gerechnet wird. Das ist So-
zialpolitik mit dem Hackebeil. Auch deswegen fordert
d
A
z
d
c
d
b
d
re
b
w
J
s
D
D
p
m
d
s
R
fl
s
s
G
s
in
b
g
w
h
m
w
L
te
te
g
u
S
nd bezahlbar.
Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Max
traubinger das Wort.
17804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
)
)
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Rechenkünste des Kollegen Birkwald sind hier wie-
der dargelegt worden. Sie zeigen letztendlich: Sie sind
immer noch kommunistisch angehaucht,
und mit den kommunistischen Rechenkünsten hat man
noch nie gute Ziele und erst recht keine richtigen Ergeb-
nisse erreicht.
Wir reden wiederum, zum x-ten Mal, über das Thema
„Rente mit 67“. Ich möchte vorweg feststellen, dass die
Rente mit 67 eine Antwort auf die demografische Ent-
wicklung in Deutschland ist.
Herr Kollege Birkwald, Sie können gerne Äpfel mit
Birnen und Sonstigem in Vergleich setzen. Dabei kommt
immer Falsches heraus. Das führt zum Beispiel zu der
Behauptung, die Rentenbezugsdauer hätte abgenommen,
die Leute würden früher sterben. Eine sinkende Renten-
bezugsdauer kann auch damit zu tun haben, dass die
Menschen später in Rente gehen, weil wir die Frühver-
rentungsmöglichkeiten reduziert bzw. abgeschafft ha-
ben. Auch deshalb mag unter Umständen eine kürzere
Rentenbezugsdauer herauskommen.
Herr Straubinger, möchten Sie eine Zwischenfrage
von Herrn Birkwald zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Straubinger, es ist natürlich nicht so,
wie Sie sagen. Es sind ausschließlich die Fallzahlen von
Menschen, die ihr Leben bereits gelebt haben, verwendet
worden,
und zwar mit den Rentenbezugsjahren nach dem 65. Ge-
burtstag.
Ich bitte Sie, mir jetzt, bitte schön, einmal einen Fall
zu nennen – außer dem Sterbefall –, der ein Grund für
den Wegfall einer Rente von geringverdienenden Män-
nern sein könnte, die nach dem 65. Geburtstag Rente be-
zogen haben.
S
D
–
–
Ic
d
d
A
g
s
B
d
B
d
s
v
g
w
Z
D
K
w
s
R
6
D
w
b
s
m
as zeigt sehr deutlich: Das ist letztendlich – –
Das ist die Antwort.
Herr Kollege Ernst, weil Sie gerade dazwischenrufen:
h würde Ihnen gerne einen guten Rat geben. Sie sind ja
erzeit im Kampf um den Parteivorsitz. Da geht es auch
arum, dass Sie irgendwo wieder Zustimmung erhalten.
ber Sie sollten nicht kritiklos alles unterschreiben.
Es ist ja toll, was den Linken alles einfällt, um Be-
ründungen zu liefern, warum die Rente mit 67 unsozial
ei. In Ihrem Entschließungsantrag steht als eine dieser
egründungen auch – ich zitiere –:
Die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt, die jungen
Menschen verbleiben immer länger in Warteschlei-
fen und die Qualität der Arbeitsplätze lässt immer
mehr zu wünschen übrig.
Werte Kolleginnen und Kollegen der linken Fraktion,
ann sollten Sie aber einmal die Ergebnisse in diesem
ereich betrachten. Vorhin ist die Meldung gekommen,
ass im Jahr 2011 540 000 Ausbildungsverträge abge-
chlossen wurden. Das ist ein Plus von 4 Prozent bzw.
on 20 700 Verträgen. Außerdem hat der DIHK jüngst
emeldet, dass 70 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt
erden konnten. Das ist die Realität.
Sie wollen dazu beitragen, in unserer Gesellschaft ein
errbild dieser Realität zu erzeugen.
as werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Lieber
ollege Ernst, deshalb sollten Sie besser darauf schauen,
as Sie mit unterschreiben. Sonst kommen Sie in den-
elben Sog.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich hatte meine
ede mit der Feststellung begonnen, dass die Rente mit
7 eine Antwort auf die demografische Entwicklung in
eutschland ist. Das ist unbestritten. Bis zum Jahr 2029
ird die Lebenserwartung bei uns um drei Jahre steigen.
Das bedeutet auch, dass dann natürlich länger gear-
eitet werden muss. Toni Schaaf hat zumindest in gewis-
er Weise anerkannt, dass länger gearbeitet werden
uss. Allerdings drückt sich die SPD dann um die Ant-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17805
Max Straubinger
)
)
wort und will die Rente mit 67, die sie in der Großen Ko-
alition unter dem tatkräftigen Einsatz des damaligen
Bundesarbeitsministers Franz Müntefering mit verab-
schiedet hat, nicht mehr mittragen.
Das Ganze ist auch ein Gebot der Generationenge-
rechtigkeit. Es geht natürlich auch um Beiträge. Die
Linke-Fraktion hat hier so einfach gesagt – das hat auch
der Kollege Schaaf ganz locker gemacht –: Das sind
doch nur 0,5 Prozent. Aber es geht darum, dass die junge
Generation nicht grenzenlos mit Beiträgen, mit Abga-
ben, mit Steuern zu belasten ist,
denn sie will auch netto etwas in der Tasche haben.
Deshalb geht es bei der Entscheidung über die Rente
mit 67 darum, die Demografiefestigkeit unseres Renten-
versicherungssystems herauszustellen, und darüber hi-
naus auch um Generationengerechtigkeit gegenüber den
jüngeren Menschen in unserer Gesellschaft. Ich frage
mich, wie die SPD begründen will, dass die Rente mit 67
jetzt nicht umsetzbar sei und erst dann umgesetzt werden
könne, wenn 50 Prozent der Menschen vom 60. bis zum
64. Lebensjahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt
seien.
Herr Kollege Schaaf, Frau Kollegin Ferner, wenn sie
noch da ist, Eurostat hat für September 2010 ermittelt,
dass 48,6 Prozent der Menschen in Deutschland zwi-
schen 40 und 60 Jahren sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt gewesen sind. Das zeigt sehr deutlich, dass Sie
sich knallhart und nur mit etwas schöneren Worten von
der Rente mit 67 verabschieden und damit den gleichen
Fehler wie 1998 begehen wollen, als Sie die Einführung
des demografischen Faktors in der gesetzlichen Renten-
versicherung verhindert bzw. ausgesetzt haben und
plötzlich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder
aufgewacht ist und festgestellt hat, dass das sein größter
Fehler war.
Sie haben möglicherweise damit zwar die Bundes-
tagswahl gewonnen, aber nichts für die älteren Men-
schen und für die Rentnerinnen und Rentner in Deutsch-
land getan, nämlich dafür zu sorgen, dass es weiterhin
eine sichere und verlässliche Versorgung im Alter gibt,
gestützt auf die gesetzliche Rentenversicherung, auf die
betriebliche Altersversorgung und zusätzlich auf die pri-
vate, kapitalgedeckte Versorgung, die mit anzustreben
ist.
Bei der Zuschussrente, die die Frau Ministerin vorge-
schlagen hat, Herr Kollege Schaaf, müssen die Versiche-
rungszeiten nicht nur Beitragszeiten sein, sondern hierzu
zählen auch Zeiten der Arbeitslosigkeit, des Mutter-
schutzes, der Ausbildung und andere relevante Zeiten.
Damit ist es ein Leichtes, 45 Versicherungsjahre zu er-
reichen.
In diesem Sinne: Lasst uns die kommenden Aufgaben
angehen. Die Rente und vor allen Dingen die Rentenpo-
li
b
ti
L
h
te
w
–
T
is
d
b
e
s
k
A
s
R
D
w
–
g
k
p
d
li
b
m
ja
–
g
z
–
Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Sie haben heute oft
enug versucht, zu erklären, wie Sie zu dieser Rechnung
ommen. – Ich will ganz offen sagen: Man kann Fakten
olitisch unterschiedlich bewerten. Aber Fakten zu ver-
rehen, Herr Birkwald, ist – das finde ich ganz persön-
ch – unter Ihrem Niveau. Das ist schade.
Viel interessanter finde ich, was die SPD in dieser De-
atte abgeliefert hat. Wie Sie hier um das Thema Rente
it 67 herumgetanzt sind, ist wirklich interessant.
Ein Punkt ist: Sie wollen es nicht gewesen sein. Es sei
nur die CDU/CSU gewesen.
Doch. Sie haben gesagt, die CDU/CSU habe es durch-
esetzt, und Sie hätten den Kompromiss unter Schmer-
en vertreten.
Das ist das, was Sie behaupten.
17806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Johannes Vogel
)
)
Ich erinnere mich hingegen auch, dass der damalige
Arbeits- und Sozialminister Müntefering das Thema
Rente mit 67 aus Überzeugung und sehr offensiv vertre-
ten hat. Er hat das ja aus gutem Grund getan, Frau Kolle-
gin Ferner: weil die Lebenserwartung gestiegen ist. Das
ist eine gute Nachricht.
Als das Renteneintrittsalter mit 65 festgelegt wurde,
lag die Lebenserwartung von Frauen 20 Jahre unter der
heutigen, die von Männern 30 Jahre darunter. Dass wir
die Menschen zwei von diesen gewonnenen 30 Jahren
arbeiten lassen wollen, ist ein selbstverständlicher
Schluss, und es ist eine gute Nachricht.
Frau Kollegin Ferner, Sie haben immer wieder gesagt,
man müsse das darauf überprüfen, ob es mit der Arbeits-
marktlage zusammenpassen würde.
Interessant ist, welche Voraussetzungen Sie dafür nen-
nen. Sie sagen plötzlich, 50 Prozent der 60- bis 64-Jähri-
gen müssten sozialversicherungspflichtig beschäftigt
sein. Interessant ist, dass Sie diese Forderung nie erho-
ben haben, als Sie in der Regierung waren. Sie haben sie
plötzlich aus dem Hut gezaubert.
Das ist völlige Willkür. Sie schauen sich nämlich die
Zahlen nicht richtig an. Frau Kollegin Ferner, lassen Sie
uns ansehen, wie sich die Zahlen wirklich entwickelt ha-
ben. Sie können nicht die Gesamtquote nehmen – die
kannten Sie schon –, sondern wir müssen den Blick da-
rauf richten, wie die Entwicklung in den letzten fünf Jah-
ren war. Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeits-
markt war doch grandios: Es gibt mehr Perspektiven für
Ältere. Den Weg müssen wir fortsetzen.
Wie gesagt: Es gibt mehr Perspektiven. Bei den 60-
bis 65-Jährigen hat sich in den letzten fünf Jahren die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um
40 Prozent erhöht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was
haben Sie sich denn gewünscht? Wenn Sie ehrlich wä-
ren, dann müssten Sie zugeben: Die Entwicklung ist bes-
ser, als Sie es sich je erhofft haben. Der einzige Grund,
warum Sie von der Rente mit 67 wegtänzeln, ist, dass
Sie den Kollegen Rechenkünstlern von den Linken hin-
terherlaufen. So kann man aber keine verantwortungs-
volle Politik machen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition.
R
tr
g
H
d
B
e
w
s
K
D
p
v
E
b
d
R
R
z
n
e
W
b
te
a
d
z
Nicht nur denken.
Ich komme zum Schluss.
Wir bekennen uns zu einem generationengerechten
entensystem. Deshalb bekennen wir uns zu den Bei-
agszielen. Wir bekennen uns zur Rente mit 67. Wir sor-
en für mehr Flexibilität im aktuellen Rentendialog,
err Kollege Strengmann-Kuhn, statt nur darüber zu re-
en. Und wir investieren auch in die Qualifikation der
eschäftigten, um den Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass
r zu einer Rente mit 67 passt, wenn wir sie 2030 haben
erden.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-
erer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unser
ollege Peter Weiß. Bitte schön, Kollege Peter Weiß.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
as wirklich Bemerkenswerte in der deutschen Renten-
olitik ist, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Renten-
ersicherung in Deutschland, die schon einige sogenannte
xperten für krank und nicht mehr zu retten erklärt haben,
esser dasteht denn je. Wir haben 1,4 Monatsausgaben auf
er hohen Kante. Eine so hohe Rücklage hat es in der
entenversicherung selten gegeben.
Wir haben zum 1. Januar 2012 die Möglichkeit, den
entenversicherungsbeitrag von 19,9 auf 19,6 Prozent
u senken und damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ehmern bares Geld in der Tasche zu belassen. Das ist
in großer Erfolg.
ir werden aller Voraussicht nach die Möglichkeit ha-
en, dass ab 1. Juli nächsten Jahres die Renten im Wes-
n um 2,3 und im Osten um 3,2 Prozent steigen.
Dass wir seit langem so hervorragend dastehen, ist
uf die Reformpolitik in der Rente und gleichzeitig auf
ie gute wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre
urückzuführen. Darauf sollten wir stolz sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17807
Peter Weiß
)
)
Es muss ein Motto geben: Keine Rolle rückwärts in
der Rentenpolitik. Denn damit gefährden wir die Er-
folge, die wir bis heute erreicht haben.
Das Statistische Bundesamt sagt uns: Die Lebenser-
wartung für jeden von uns steigt kontinuierlich um etwa
sechs Wochen pro Jahr an.
Wenn diejenigen, die in den kommenden Jahren in Rente
gehen, die Chance haben, fünf oder zehn Jahre länger
Rente zu beziehen, als es ihre Großeltern und Eltern
konnten, dann ist es doch eine Frage der Gerechtigkeit,
ob man bereit ist, eventuell etwas länger zu arbeiten und
nicht alle Kosten bei den Jungen abzuladen.
Solidarität ist das Prinzip unserer Sozialversicherung,
Solidarität zwischen Jung und Alt. Die wollen wir stär-
ken, die Linken wollen sie in Wahrheit zerstören.
Das Schlimme ist, dass die Linken heute in der Debatte
und zuvor in ihrer Presseerklärung schlichtweg eine
Falschmeldung in die Welt gesetzt haben. Würden die
Linken sich die Mühe machen, die Veröffentlichungen der
Deutschen Rentenversicherung regelmäßig zu lesen, und
zwar genau, wäre ihnen zum Beispiel auch die Untersu-
chung der Deutschen Rentenversicherung zur Lebenser-
wartung der Rentnerinnen und Rentner aufgefallen, in der
festgestellt wird, dass für alle Bevölkerungsgruppen die
Lebenserwartung steigt. Auch für die sogenannten Ge-
ringverdiener ist sie zum Beispiel nach dieser Untersu-
chung zwischen 1994 und 2001 um 1,5 Jahre gestiegen.
Deswegen muss an dieser Stelle klargestellt werden: Die
Linke lügt und will mit diesen falschen, verlogenen Be-
hauptungen hier Politik machen. Das weisen wir mit aller
Entschiedenheit zurück.
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage
aus der Fraktion Die Linke?
Gerne.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Weiß, den Vorwurf der Lüge weise ich
natürlich in aller Schärfe zurück.
d
s
n
d
h
d
h
n
s
J
s
d
d
s
b
b
n
rü
d
T
d
d
b
s
k
n
b
h
a
D
d
fr
S
m
G
fa
tu
d
S
te
A
le
s
s
R
A
G
s
enauso hat Ihnen Herr Straubinger gesagt, dass es
lsch ist, die Rentenbezugsdauer mit der Lebenserwar-
ng zu vergleichen. Jetzt will ich Ihnen die entschei-
ende Antwort der Rentenversicherung geben. Ich bitte
ie, unter den Veröffentlichungen der Deutschen Ren-
nversicherung den Artikel von Rembrandt Scholz und
nne Schulz mit dem Titel „Zum Trend der differentiel-
n Sterblichkeit der Rentner in Deutschland“ nachzule-
en. Dort steht als Ergebnis, dass in allen der zehn unter-
uchten Einkommensgruppen, in die die Autoren die
entner ab 65 einteilen, die Lebenserwartung steigt.
uch in dem sogenannten dritten Dezil – also in der
ruppe, die wahrscheinlich den geringsten Verdienst hat –
tieg die Lebenserwartung über 65-Jähriger 2006 im
17808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Peter Weiß
)
)
Vergleich zu 1994 – damals hatten sie eine Lebenserwar-
tung von 13,5 Jahren – auf 15 Jahre.
Damit belegt diese Untersuchung der Rentenversiche-
rung: Auch bei den unteren Einkommensschichten ha-
ben wir es mit einer steigenden Lebenserwartung zu tun.
Das sind die Fakten der Rentenversicherung, die Sie
schlichtweg nicht lesen und die Sie hier verkehrt darstel-
len. Deswegen muss ich Ihre Behauptung mit aller Ent-
schiedenheit zurückweisen. Sie machen eine Privatrech-
nung auf, die falsch ist
und die den offiziellen Untersuchungen der Deutschen
Rentenversicherung widerspricht. Die Deutsche Renten-
versicherung ist ein solides Unternehmen, das solide
rechnet. Auf ihre Berechnungen beziehen wir uns. In al-
len Einkommensgruppen steigt die Lebenserwartung.
Das ist ein großer Erfolg für die Bevölkerung in
Deutschland.
In der Tat interessiert die einzelne Arbeitnehmerin und
den einzelnen Arbeitnehmer nicht so sehr, wie es in den
Statistiken aussieht, sondern ob man persönlich in der
Lage ist, länger zu arbeiten. Wir haben in den vergange-
nen Jahren eine dramatische Veränderung erlebt bei der
Beantragung von Erwerbsminderungsrenten durch Men-
schen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht länger ar-
beiten können. Rund 40 Prozent aller Anträge auf Er-
werbsminderungsrente werden heute wegen psychischer
Erkrankungen gestellt. Da muss ich sagen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen: Dass eine so hohe Zahl von Perso-
nen aufgrund einer psychischen Erkrankung einen Früh-
verrentungsantrag stellen muss und diese Zahl weiter
steigt, dürfen und sollten wir nicht einfach weiter hinneh-
men. Hier kann man gezielt Gegenstrategien entwickeln.
Es ist nicht so, dass wir die Menschen mit dem Thema
„Länger arbeiten in Deutschland“ alleinlassen; vielmehr
handelt diese Bundesregierung. Der Bundesgesundheits-
minister hat für seine nationale Präventionsstrategie die
betriebliche Gesundheitsförderung zum Topthema ge-
macht – richtig so!
Die Bundesarbeitsministerin hat die vom paritätisch von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzten Arbeits-
schutzausschuss erstellte Empfehlung zur psychischen
Gesundheit am Arbeitsplatz herausgegeben – hervorra-
gend! Mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit werden
zielgerichtet Projekte in Betrieben zur Weiterbildung
und zum lebenslangen Lernen, zur Gestaltung moderner,
gesundheitsgerechter Arbeitsplätze, zum besseren Ar-
beitsschutz und zur besseren betrieblichen Gesundheits-
vorsorge gefördert. Wir handeln. Die Bundesforschungs-
m
G
s
la
v
B
e
n
te
R
u
w
b
n
w
Z
ti
v
z
le
n
w
la
s
s
C
n
u
ü
T
g
d
d
b
T
a
m
g
Richtig ist: Wer lange gearbeitet hat, der sollte auch
on seiner Rente leben können. Deswegen schlägt die
undesarbeitsministerin vor, dass wir unser Rentenrecht
rgänzen, und zwar an der Stelle, wo Rot-Grün bei sei-
en Rentenreformen, die ja zu einer Senkung des Ren-
nniveaus in Deutschland führten, nicht gehandelt hat.
ot-Grün hat bei der Senkung des Rentenniveaus keine
ntere Auffanglinie vorgesehen, und deswegen werden
ir so etwas einführen. Der Vorschlag der Bundesar-
eitsministerin ist, dass, wer lange eingezahlt hat – zu-
ächst 30 Jahre, später 35 Jahre –, einen Anspruch er-
irbt, sodass zu geringe Rentenansprüche in Form der
uschussrente aufgewertet werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Koali-
on aus CDU/CSU und FDP verschließt nicht die Augen
or der Frage: Was passiert mit denjenigen, die eventuell
u geringe Rentenansprüche erworben haben? Wir wol-
n die Frage beantworten, die Rot-Grün damals bei sei-
en Rentenreformen vergessen hat. Deswegen können
ir guten Gewissens sagen: Länger arbeiten in Deutsch-
nd lohnt sich. Wir wollen die Voraussetzungen dafür
chaffen.
Vielen Dank.
Nächster und letzter Redner in unserer Debatte ist un-
er Kollege Frank Heinrich für die Fraktion der CDU/
SU. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Es ist schon eine ganze Menge gesagt
nd vieles ausgetauscht worden. Es bleibt fast nichts
brig.
rotzdem möchte ich einige Gedanken noch einmal auf-
reifen und einiges noch einmal extra betonen.
Ich finde es richtig und wichtig – das haben verschie-
ene Redner heute schon gesagt –, über dieses Thema zu
iskutieren. Es ist nämlich ein Thema, das die Menschen
ewegt. Ich danke Ihnen insofern dafür, dass Sie dieses
hema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich danke
ber auch der Regierung, dass sie eine solche Anfrage
it so viel Mühe bearbeitet hat und eine so gute Abwä-
ung der in Ihrer Großen Anfrage genannten Risiken
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17809
Frank Heinrich
)
)
vorgenommen hat. Das Gute an der parlamentarischen
Debatte ist ja, dass man hinterfragen darf, ja sogar muss.
Der Titel der Großen Anfrage lautet: „Rente erst
ab 67 – Risiken für Jung und Alt“. Mir kam an dieser
Stelle sofort der Gedanke, dass bemerkenswerte Unter-
schiede zwischen den möglichen Formulierungen beste-
hen. Die Formulierung „Rente erst ab 67“ beinhaltet ja
eine Konnotation, die Sie schon mit dem entsprechenden
Gesetz verbanden, als es 2007 von Ihnen unter Herrn
Müntefering mit auf den Weg gebracht wurde. Frau von
der Leyen versah gleich zu Beginn ihrer Amtszeit diesen
Sachverhalt mit einer anderen Konnotation: Wir reden,
ich rede von „Arbeit bis 67“. Das ist ein viel konstrukti-
verer Ansatz und beinhaltet den Anspruch, diese Zeit zu
gestalten und Strategien zu entwickeln, um damit umzu-
gehen.
Wir sollten also – Herr Strengmann-Kuhn hat das vor-
hin schon angesprochen – nicht bei den Risiken stehen
bleiben, sondern auch von den Chancen reden. Diese
wurden in der heutigen Debatte von Ihnen, Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, sehr einseitig dargestellt.
Die Rente ab 67 bzw. – so wird das heute genannt –
die Arbeit bis 67 bringt sehr viele Chancen für ältere Er-
werbstätige mit sich: Möglichkeiten zur Teilhabe, Stei-
gerung des Selbstwertgefühls, gutes Einkommen,
sozialer Status – um nur einige zu nennen. Das hat die
Bundesregierung in ihrer Antwort auf Ihre Große An-
frage auch ausdrücklich betont. Erwerbsarbeit ist ein we-
sentlicher Aspekt des gesellschaftlichen Lebens.
Wenn wir also tatsächlich Beteiligung wollen – in den
letzten Wochen haben wir dieses Wort ja sehr häufig ge-
braucht –, dann müssen wir neben den wirtschaftlichen
Bedingungen in unserem Land und den wirtschaftlichen
Bedingungen jedes Einzelnen auch diese Tür öffnen
bzw. offen halten. Viele wollen auch in Zukunft ganz be-
wusst und gern ihrer Arbeit nachgehen.
Gestern Abend sprach ich mit einem jungen Mann,
der aus einem europäischen Land kam. Er erzählte, dass
in seinem Land ein 66-Jähriger gegen den Staat klagt,
weil dieser ihn in den Ruhestand schicken will. Er be-
gründet seine Klage damit, dass er sich diskriminiert
fühlt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Siegfried Kauder?
Sehr gerne.
C
le
m
R
S
d
s
in
v
e
d
F
–
g
u
S
b
re
m
d
J
s
S
d
w
Ic
U
–
In
u
A
U
D
V
Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage stel-
n, sondern ich habe die Bitte, dafür zu sorgen, dass
an auch auf den hinteren Rängen das versteht, was der
edner vorne spricht. Ich könnte mir vorstellen, dass die
chüler oben auf der Galerie auch gerne zuhören wür-
en. – Danke.
Vielen Dank für den Hinweis. Der Hinweis richtet
ich natürlich auch an all diejenigen, die im Augenblick
den hinteren Reihen stehen und in tiefe Gespräche
erwickelt sind.
Bitte schön, Herr Kollege Heinrich.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege. – Da fühlt sich also
in 66-Jähriger in einem europäischen Partnerland da-
urch diskriminiert, dass er in Ruhestand gehen muss.
ür Unternehmer, Anwälte, Architekten, Landwirte
der eine oder andere Redner ist vorhin darauf einge-
angen – ist es selbstverständlich, oft weit über das von
ns festgesetzte Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten.
ie haben oft die größeren Erfolge in den späteren Le-
ensjahren. Ein deutscher Wissenschaftler, der nach Er-
ichung seines 70. Lebensjahrs seine Karriere in Däne-
ark fortsetzen möchte, sagte: Da kann ich so lange an
er Universität bleiben, wie sie findet, dass ich meinen
ob gut mache.
Interessant, dass Sie heute von der „Rente erst ab 67“
prechen. Es werden oft Ängste – Herr Kollege
trengmann-Kuhn hat vorhin darauf hingewiesen – da-
urch verstärkt, dass die Sachlage einseitig dargestellt
ird.
h zitiere beispielhaft die Bremer Altersforscherin
rsula Staudinger:
Oft wird der Eindruck erweckt, Arbeit sei etwas,
wovon die Politik
also wir –
den Menschen befreien müsste.
dieser Aussage ist eine Konnotation enthalten, die aus
nserer Sicht eine falsche Sicht auf das Problem zum
usdruck bringt. Meines Erachtens braucht es dabei ein
mdenken. Eine Veränderung benötigt allerdings Zeit.
eshalb braucht es eben 18 Jahre, um diese zwei Jahre
erlängerung der Lebensarbeitszeit hinzubekommen. Es
17810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Frank Heinrich
)
)
ist gut, dass das langsam geht und sich alle Beteiligten
darauf einstellen können.
Die Daten der letzten Jahre – wir haben jetzt viele ge-
hört – belegen den positiven Trend, auch wenn wir – das
betone ich ganz bewusst – noch ein ganzes Stück Weg
vor uns haben. Eine Zahl ist mir in dem Zusammenhang
wichtig: Deutschland konnte die Erwerbstätigenquote
der 55- bis 65-Jährigen in den letzten zehn Jahren von
38 Prozent auf 57 Prozent steigern. Trotz dieser beachtli-
chen Erfolge bleibt noch eine Menge zu tun, woran wir
als Politik auch beteiligt sein müssen. Wichtig ist in dem
Zusammenhang, beim Gestalten der Bedingungen, das
„Auch“.
Die Bundesregierung beteiligt sich mit veränderten
Vorgaben, die den Verbleib von Älteren im Erwerbsle-
ben besser ermöglichen sollen. Es braucht aber alle in
unserer Gesellschaft, um den Herausforderungen, die
heute mehrfach genannt wurden, gerecht zu werden, wie
zum Beispiel der Demografie.
Eine längere Lebensarbeitszeit ist eben auch eine
Chance für die Wirtschaft und für die Unternehmen,
Stichwort „Fachkräftemangel“.
Viele Unternehmen nutzen das schon. In meiner Stadt
Chemnitz merke ich, dass ein Bewusstseinswandel statt-
gefunden hat und immer noch stattfindet, besonders in
kleineren und mittleren Unternehmen, die die Fähigkei-
ten der 50-Jährigen eben nicht kleinreden oder – wie
Frau von der Leyen das vorhin gesagt hat – schlecht-
reden, sondern nutzen und entwickeln, wobei sie sich na-
türlich darauf einstellen müssen, Maßnahmen im Ge-
sundheitsbereich oder in der Ausbildung zu treffen.
Positive Zusatzeffekte dieser Regelaltersgrenzenan-
hebung sind zum Beispiel, dass ein höherer Rentenan-
spruch entsteht – auch wenn Sie das immer anders dar-
stellen – und dass dann, wenn mehr Versicherte in das
System einzahlen, der Nachhaltigkeitsfaktor zu höheren
Anpassungen führt.
Ich komme zum Schluss.
Für die Anhebung des Rentenalters spricht eine Reihe
von guten Gründen: außer der Demografie, dem Ge-
burtenrückgang, der steigenden Lebenserwartung, der
wachsenden Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Äl-
teren auch der drohende Fachkräftemangel, aber vor al-
lem – und das wollte ich betonen – die Erweiterung der
Teilhabemöglichkeiten für ältere Bürgerinnen und Bür-
ger in unserer Gesellschaft.
Wir glauben, dabei sind wir auf dem richtigen Weg,
trotz der von Ihnen genannten Risiken.
A
u
s
z
d
S
u
F
D
ti
D
d
n
K
ö
S
re
n
b
w
s
Z
1)
2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
chließungsanträge.
Zunächst Entschließungsantrag der Fraktion der So-
ialdemokraten auf Drucksache 17/8150. Wer stimmt für
iesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion der
ozialdemokraten. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen
nd Teile von Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? –
raktion Die Linke und Teile der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme nun zum Entschließungsantrag der Frak-
on Die Linke auf Drucksache 17/8151. Die Fraktion
ie Linke verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte
ie Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
en Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt?
ein gegenteiliger Hinweis? – Das ist der Fall. Ich er-
ffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
timme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
en. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
ekannt gegeben.2)
Wenn Sie sich wieder auf die Plätze begeben, haben
ir eine Chance, die gemeinsamen Beratungen fortzu-
etzen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 a bis f sowie den
usatzpunkt 3 a bis g auf:
33 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des
Elterngeldvollzugs
– Drucksache 17/1221 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Sozialen Fortschritt und regionale Integration
in Lateinamerika unterstützen
– Drucksache 17/3214 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Anlage 3
Seite 17816 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17811
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Teilprivatisierung bei der Hochschul-
zulassung
– Drucksache 17/7642 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Beate Müller-Gemmeke, Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Prekäre Situation von Lehrbeauftragten an
Musikhochschulen sowie Hochschulen für
Musik und Theater beenden – Rahmenbedin-
gungen zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe
schaffen
– Drucksache 17/7825 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Arbeit und Soziales
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Verbraucherrecht auf ein kostenloses Giro-
konto für alle gesetzlich verankern
– Drucksache 17/8141 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Federführung strittig
f) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gem. § 56 a der Geschäftsord-
nung
Technikfolgenabschätzung
Innovationsreport
Zukunftspotenziale und Strategien nichtfor-
schungsintensiver Industrien in Deutschland –
Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und
Beschäftigung
– Drucksache 17/4983 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Schwarzelühr-Sutter, René Röspel, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen der Nanotechnologien nutzen und
Risiken für Verbraucher reduzieren
– Drucksache 17/8158 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung senken
und eine wirksame Reduktionsstrategie um-
setzen
– Drucksache 17/8157 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Eva
Högl, Marlene Rupprecht , Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Übereinkommen des Europarats zur Bekämp-
fung des Menschenhandels korrekt ratifizie-
ren – Deutsches Recht wirksam anpassen
– Drucksache 17/8156 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Recht auf Eheschließung auch gleichge-
schlechtlichen Paaren ermöglichen
– Drucksache 17/8155 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
17812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für die Einführung eines transparenten und
unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens
– Drucksache 17/8162 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes
Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstel-
len und den Ausbau der Deutschen Digitalen
Bibliothek auf ein solides Fundament stellen
– Drucksache 17/8164 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zunächst zu zwei Vorlagen, bei denen
die Federführung strittig ist.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die beiden Vorla-
gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
zu überweisen.
Ich komme zunächst zum Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/8141. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim
Finanzausschuss, die Fraktion der SPD wünscht Feder-
führung beim Rechtsausschuss, und die Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Feder-
führung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion der SPD, also Federführung beim Rechts-
ausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Das ist die Fraktion der Sozial-
demokraten. Wer stimmt dagegen? – Die
Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Über-
weisungsvorschlag ist abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, also
Federführung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz, abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind die Frak-
tionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer
stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen und die So-
z
s
s
d
s
K
d
D
D
d
T
m
n
d
A
c
s
D
–
K
F
b
g
v
s
n
s
T
p
g
te
e
s
Z
s
c
– Drucksachen 17/4199, 17/5033 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Lietz
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17813
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/5033, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4199 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der
Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Thilo
Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Verbot von Koka-Blättern – Für die völ-
kerrechtliche Anerkennung als schützens-
werte Kultur der indigenen Völker im Anden-
Raum
– Drucksachen 17/6120, 17/7291 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Dr. Rolf Mützenich
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Hans-Christian Ströbele
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7291, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6120 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – So-
zialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfrak-
tion. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung
ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim
Pfeiffer, Dr. Michael Fuchs, Kai Wegner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Dr. Martin Lindner ,
Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Weniger Bürokratie und Belastungen für
den Mittelstand – Den Erfolgskurs fortset-
zen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea
Wicklein, Garrelt Duin, Hubertus Heil ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Stagnation beim Bürokratieabbau überwin-
den – Neue Schwerpunktsetzung für den
Mittelstand umsetzen
– Drucksachen 17/7636, 17/7610, 17/8167 –
B
F
7
g
W
d
k
B
a
le
a
B
z
d
fr
S
E
D
fe
ti
H
g
n
n
W
L
H
g
)
Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 357 zu Petitionen
– Drucksache 17/7972 –
Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Enthaltungen? –
Keine. Sammelübersicht 357 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 358 zu Petitionen
– Drucksache 17/7973 –
Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen, Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dage-
gen? – Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Niemand.
Die Sammelübersicht 358 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 359 zu Petitionen
– Drucksache 17/7974 –
Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und
Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/
Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Nie-
mand. Die Sammelübersicht 359 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 360 zu Petitionen
– Drucksache 17/7975 –
Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? –
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthal-
tungen? – Keine. Sammelübersicht 360 ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 361 zu Petitionen
– Drucksache 17/7976 –
Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemo-
kraten und Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die
Sammelübersicht 361 ist angenommen.
s
h
n
s
m
S
ti
L
K
tr
G
s
g
)
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das
sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und
die Linksfraktion. Gegenprobe! – Keine. Enthaltun-
gen? – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.
Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen
des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 4 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 364 zu Petitionen
– Drucksache 17/8168 –
Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Keine. Sammelübersicht 364 ist angenommen.
Zusatzpunkt 4 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 365 zu Petitionen
– Drucksache 17/8169 –
Wer stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen und Sozial-
demokraten. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Ent-
haltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Die Sammelüber-
sicht 365 ist angenommen.
Zusatzpunkt 4 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 366 zu Petitionen
– Drucksache 17/8170 –
Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen des
Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Keine. Die Sammelübersicht 366 ist angenom-
men.
Zusatzpunkt 4 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 367 zu Petitionen
– Drucksache 17/8171 –
Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen, Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten.
Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? –
Linksfraktion. Die Sammelübersicht 367 ist angenom-
men.
Zusatzpunkt 4 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 368 zu Petitionen
– Drucksache 17/8172 –
n
W
K
d
G
ü
n
B
g
m
fr
n
S
s
D
m
s
D
K
)
Eva Bulling-Schröter Kersten Steinke Alexander Dobrindt Ansgar Heveling
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Johanna Voß
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Nein
CDU/CSU
Peter Aumer
Dorothee Bär
D
E
In
H
D
D
K
H
D
M
E
D
H
A
In
D
N
r. Thomas Feist
nak Ferlemann
grid Fischbach
artwig Fischer
irk Fischer
r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
erbert Frankenhauser
r. Hans-Peter Friedrich
ichael Frieser
rich G. Fritz
r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
go Gädechens
r. Thomas Gebhart
orbert Geis
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Dr. Martina Bunge Sabine Stüber Marie-Luise Dött Ernst Hinsken
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 a
Beratung der Beschlus
schusses nach Artikel 77
mittlungsausschusses) z
kung eines aktiven Sch
– Drucksachen 17/62
17/7932, 17/7967, 17/81
Berichterstatter:
Abgeordneter Jörg van E
Wir kommen zur Abstimmu
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3
ordnung beschlossen, dass im
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon
ja: 71
nein: 487
enthalten: 16
Ja
SPD
Klaus Barthel
Wolfgang Gunkel
Hilde Mattheis
Werner Schieder
Ottmar Schreiner
Rüdiger Veit
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
H
Ja
Ju
K
C
S
R
S
U
D
U
D
C
K
N
T
P
Je
R
Y
In
P
D
K
R
D
uf:
sempfehlung des Aus-
)
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Ruprecht Polenz
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche
Lothar Riebsamen
Jo
K
D
Jo
D
D
E
A
A
D
D
K
N
T
G
C
P
D
N
D
D
B
U
A
D
Jo
R
D
B
Jo
C
D
E
C
D
G
S
M
K
L
M
D
A
D
A
V
S
A
D
M
K
M
P
S
In
K
P
A
K
E
D
D
W
W
sef Rief
laus Riegert
r. Heinz Riesenhuber
hannes Röring
r. Norbert Röttgen
r. Christian Ruck
rwin Rüddel
lbert Rupprecht
nita Schäfer
r. Annette Schavan
r. Andreas Scheuer
arl Schiewerling
orbert Schindler
ankred Schipanski
eorg Schirmbeck
hristian Schmidt
atrick Schnieder
r. Andreas Schockenhoff
adine Schön
r. Kristina Schröder
r. Ole Schröder
ernhard Schulte-Drüggelte
we Schummer
etlef Seif
hannes Selle
einhold Sendker
r. Patrick Sensburg
ernd Siebert
hannes Singhammer
arola Stauche
r. Frank Steffel
rika Steinbach
hristian Freiherr von Stetten
ieter Stier
ero Storjohann
tephan Stracke
ax Straubinger
arin Strenz
ena Strothmann
ichael Stübgen
r. Peter Tauber
ntje Tillmann
r. Hans-Peter Uhl
rnold Vaatz
olkmar Vogel
tefanie Vogelsang
ndrea Astrid Voßhoff
r. Johann Wadephul
arco Wanderwitz
ai Wegner
arcus Weinberg
eter Weiß
abine Weiss
go Wellenreuther
arl-Georg Wellmann
eter Wichtel
nnette Widmann-Mauz
laus-Peter Willsch
lisabeth Winkelmeier-
Becker
agmar G. Wöhrl
r. Matthias Zimmer
olfgang Zöller
illi Zylajew
S
In
R
H
D
D
S
B
D
U
L
G
K
B
E
M
U
M
P
D
M
E
G
S
In
S
D
P
K
E
G
D
D
S
M
Ir
G
U
A
K
M
H
B
K
M
H
D
G
P
F
D
C
Jo
O
Jo
D
U
L
H
D
D
F
A
N
A
U
PD
grid Arndt-Brauer
ainer Arnold
einz-Joachim Barchmann
oris Barnett
r. Hans-Peter Bartels
ören Bartol
ärbel Bas
irk Becker
we Beckmeyer
othar Binding
erd Bollmann
laus Brandner
ernhard Brinkmann
delgard Bulmahn
arco Bülow
lla Burchardt
artin Burkert
etra Crone
r. Peter Danckert
artin Dörmann
lvira Drobinski-Weiß
arrelt Duin
ebastian Edathy
go Egloff
iegmund Ehrmann
r. h. c. Gernot Erler
etra Ernstberger
arin Evers-Meyer
lke Ferner
abriele Fograscher
r. Edgar Franke
agmar Freitag
igmar Gabriel
artin Gerster
is Gleicke
ünter Gloser
lrike Gottschalck
ngelika Graf
erstin Griese
ichael Groschek
ans-Joachim Hacker
ettina Hagedorn
laus Hagemann
ichael Hartmann
ubertus Heil
r. Barbara Hendricks
ustav Herzog
etra Hinz
rank Hofmann
r. Eva Högl
hristel Humme
sip Juratovic
liver Kaczmarek
hannes Kahrs
r. h. c. Susanne Kastner
lrich Kelber
ars Klingbeil
ans-Ulrich Klose
r. Bärbel Kofler
aniela Kolbe
ritz Rudolf Körper
nette Kramme
icolette Kressl
ngelika Krüger-Leißner
te Kumpf
C
C
S
B
G
K
C
K
P
U
D
F
D
A
D
T
H
A
H
Jo
D
F
D
M
G
D
S
R
D
M
M
A
A
B
M
U
S
C
S
E
F
R
S
R
D
S
P
D
C
K
D
F
W
U
D
A
D
M
B
F
Je
C
C
D
)
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Memet Kilic
SPD
Willi Brase
Joachim Günther
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ji
M
D
W
Ju
D
Jo
D
T
D
S
F
S
Jo
D
D
D
Ich rufe nun den Zusatzpunk
Aktuelle Stunde
Demokratiebewegung i
Erster Redner in dieser von a
ses beantragten Aktuellen Stund
CDU/CSU unser Kollege Dr. A
Bitte schön, Kollege Dr. Schock
Rede von: Unbekanntinfo_outline
innen und Kollegen! Die
ussland haben das zyni-
mokratie widerlegt. De-
oniert nicht. Diese Vor-
mer weiter zurück. Viele
dem jetzt eine klare Ab-
s
d
S
S
W
k
li
ä
d
M
z
s
te
je
d
in
ven-Christian Kindler
te Koczy
om Koenigs
liver Krischer
ritz Kuhn
tephan Kühn
enate Künast
arkus Kurth
ndine Kurth
r. Tobias Lindner
icole Maisch
rzy Montag
erstin Müller
grid Nestle
r. Konstantin von Notz
mid Nouripour
riedrich Ostendorff
r. Hermann E. Ott
M
M
G
S
U
B
D
A
T
U
M
S
A
M
B
D
H
age erteilt. Für sie bedeutet der
es Tandems Putin/Medwedew
tillstand und Stagnation. Imm
tagnation eben nicht Stabilit
ahrheit ein Zurückfallen Rus
unft beraubt.
Der letzte Samstag hat Russl
chen Massendemonstrationen
ndert, das viele im Westen von
iesen Wahlen schien es trotz
edwedew in Russland keinen
u geben. Im Gegenteil: Die El
chienen Veränderungen und R
n als eine neue Ära der Stagn
doch gezeigt, dass viele Mens
en Status quo und rhetorisch
dividuellen Freiheiten wollen
)
Rechte: demokratische Mitsprache, politischen Wettbe-
werb und Transparenz.
Russland steht nun am Scheideweg zwischen einem
autoritär geführten Staat und einer wirklichen Demokra-
tie. Das Erste würde Russland in die Vergangenheit zu-
rückwerfen; diese Gefahr besteht durchaus. Das Zweite
wäre die Chance auf ein modernes, rechtsstaatliches
Russland, und zwar innenpolitisch, wirtschaftlich und
außenpolitisch. Es ist klar, dass wir das Letztere wollen
und dafür auch unseren Beitrag leisten müssen.
Die Proteste waren ein Sieg über die Angst vor dem
Kreml. Sie waren vor allem ein Sieg über die politische
Apathie, die die russische Gesellschaft in den letzten
Jahren gelähmt hat. Sie haben eine neue Generation, eine
veränderte Gesellschaft gezeigt, viele junge Menschen,
Aktivisten und eine wachsende Mittelklasse. Für mich
sind das die neuen Russen – demokratisch gesinnt, aktiv,
engagiert und gut vernetzt, also alles, was Russland für
seine Modernisierung braucht. Es sind nicht Wutbürger,
sondern genau die Mutbürger, die jeder Staat braucht.
Wenn der russische Ministerpräsident heute im Fern-
sehen sagt, dass ein Teil der Demonstranten das Land
destabilisieren wolle, dann hat er noch nicht verstanden,
dass diese Aufbruchsstimmung dem Land nutzt und
nicht, wie er sagt, falsch und inakzeptabel ist.
Im Gegenteil: Diese Menschen sind die wichtigste Re-
formkraft und der wichtigste Modernisierungspartner
des russischen Staates und damit auch ein wichtiger
Partner für uns. Mit ihnen muss der russische Staat eine
Modernisierungspartnerschaft aufbauen, und wir müssen
sie gezielter als bisher in die Modernisierungspartner-
schaft mit Russland einbeziehen.
Die jüngsten Demonstrationen haben den Nichteinmi-
schungsvertrag zwischen Staat und Gesellschaft aufge-
kündigt, den viele als Markenzeichen der gelenkten De-
mokratie Putins sehen. Dieser hat zu Apathie, Zynismus
und einer gefährlichen Entfremdung zwischen Macht
und Gesellschaft geführt, die die Duma-Wahlen jetzt
aufgedeckt haben. Die Revitalisierung der russischen
Gesellschaft ist eine große Chance, vielleicht die letzte
Chance für eine bessere Zukunft Russlands. Um sie zu
nutzen, muss die russische Führung klare Antworten auf
die Wahlfälschungen geben, das heißt eine glaubwürdige
Überprüfung der Wahlergebnisse vom 4. Dezember, die
Freilassung aller inhaftierten Demonstranten und die
rechtliche Bestrafung derer, die Wahlmanipulationen zu
verantworten haben.
Russlands Zukunft entscheidet sich dann bei den Prä-
sidentschaftswahlen am 4. März. Sie müssen zeigen,
dass der nächste russische Präsident durch freie und faire
Wahlen legitimiert ist. Wenn für diese Wahlen 90 000 In-
ternetkameras in den Wahlbüros installiert werden, wie
P
d
b
W
s
w
w
o
A
s
z
ru
la
S
W
M
s
s
e
R
d
B
W
g
d
m
z
tr
E
z
B
R
2
u
a
d
G
E
b
D
n
Vielen Dank, Kollege Dr. Schockenhoff. – Nächster
edner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
er Sozialdemokraten unser Kollege Franz Thönnes.
itte schön, Kollege Franz Thönnes.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ir sprechen heute über ein Land, mit dem uns eine
anz besondere Verantwortung verbindet. Dieser Verbin-
ung kommt gerade vor dem Hintergrund unserer ge-
einsamen Geschichte im letzten Jahrhundert bis hin
ur deutschen Einheit eine besondere Bedeutung zu. Wir
agen gemeinsam Verantwortung für die Sicherheit in
uropa und in der Welt. Diese Verbindung ist auch be-
üglich unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
eziehungen wichtig.
Der Dezember scheint nicht nur in diesen Tagen für
ussland ein sehr wichtiger Monat zu sein. Vor knapp
0 Jahren, am 8. Dezember 1991, wurde die Auflösungs-
rkunde der Sowjetunion unterzeichnet. Vor 41 Jahren,
m 12. August 1970 und am 7. Dezember 1970, wurden
er Warschauer und der Moskauer Vertrag unterzeichnet.
rundlage hierfür war die von Willy Brandt entwickelte
ntspannungs- und Ostpolitik, für die er am 10. Dezem-
er vor 40 Jahren den Friedensnobelpreis in Oslo erhielt.
er Kern dieser Politik, Wandel durch Annäherung, gilt
ach wie vor und heute ganz besonders in Russland.
17820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Franz Thönnes
)
)
Russland hat sich in den letzten 20 Jahren gewandelt.
Es entwickelte sich – mit rasanten Veränderungen für
das Leben der Menschen – von einer kommunistischen
Diktatur hin zu einem Gesellschaftssystem, das aus un-
serer Sicht auf der Demokratieskala noch erheblichen
Spielraum nach oben hat. Russland hat sich auch in den
letzten Tagen verändert. So ist es gleichermaßen ein Er-
folg für die Demonstranten wie auch für die Sicherheits-
kräfte bei der Großdemonstration in Moskau am letzten
Wochenende, dass die Kundgebung gewaltfrei verlief.
Dieser Maßstab der Gewaltfreiheit muss auch in Zukunft
in Russland gelten.
Es ist ebenso ein Erfolg, dass es nicht nur die alten Re-
flexe gab, die wir teilweise erlebt haben, zum Beispiel
Verhaftungen, Behinderungen, Verbote, an der Demon-
stration teilzunehmen, oder die Ansetzung von Schulun-
terricht, sondern dass es zwischenzeitlich auch Bericht-
erstattungen in den privaten Medien und im staatlichen
Fernsehen über diese Großdemonstration gab. Auch
diese Entwicklung darf nicht zurückgedreht werden.
Der Grund für die Menschen, an der Demonstration
am 4. Dezember teilzunehmen, bestand nicht nur darin,
dass 7 000 Wahlverstöße reklamiert worden sind und die
OSZE die Wahlen als nicht fair und nicht frei bezeichnet
hat. Die Menschen haben auch nicht nur aus sozialen
Gründen protestiert. Vielmehr geht es den Menschen
– das sagen Einzelne von ihnen auf Nachfrage – um ihre
Würde. Sie haben das Gefühl, getäuscht worden zu sein.
Es geht ihnen darum, gegen Rechtswillkür, gegen Recht-
losigkeit, gegen Korruption und gegen politische Gänge-
lung auf die Straße zu gehen. Viele junge Menschen,
Akademiker und Wissenschaftler, waren bei der Demon-
stration. Die Demonstranten waren eine Abbildung der
vielschichtigen Gesellschaft: Kommunisten, Liberale,
Aktivisten aus Vereinen und Verbänden. Das zeigt deut-
lich, dass der Ruf nach Freiheit und Menschenwürde
sich immer wieder Bahn bricht.
Präsident Medwedew sagt, dass es dort, wo es Ver-
stöße gegeben hat, gerechte Entscheidungen geben wird.
Der Sprecher von Ministerpräsident Putin sagt, dass man
die Ansichten der Demonstranten respektiere, dass man
höre, was gesagt wird, und dass man auch weiter zuhö-
ren werde. Dem ist hinzuzufügen, dass wir die politisch
Verantwortlichen an genau diesen Aussagen messen
werden, wobei ich hoffe, dass der Ruf der Menschen
nach Dialog und Partizipation von den Regierenden
nicht nur gehört, sondern auch verstanden wird.
Deswegen stellen wir berechtigte Forderungen. Es geht
darum, dass in Zukunft in Russland Meinungsfreiheit,
Demonstrations- und Pressefreiheit gewährleistet wer-
den, dass die friedlichen Demonstranten, die verhaftet
w
U
g
w
s
b
S
R
d
m
re
W
d
S
W
s
n
s
ru
w
e
m
c
m
a
W
la
ja
te
k
ti
a
d
g
g
Ü
ta
in
im
m
d
h
g
)
man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt
werden soll.
Vielen Dank, Kollege Thönnes. – Nächster Redner in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP
unser Kollege Michael Link. Bitte schön, Kollege
Michael Link.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In Anbetracht dessen, was nach der letz-
ten Duma-Wahl geschehen ist, und insbesondere ange-
sichts der Demonstrationen haben sich in der Tat viele
die Augen gerieben. Offen gesagt: Auch viele von uns
hätten nicht gedacht, dass es zu einem so enormen Auf-
schrei in der Zivilgesellschaft in Russland kommt. Das
ist ein Lebenszeichen der Zivilgesellschaft, dem wir
heute durch diese vereinbarte Aktuelle Stunde Rechnung
tragen; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Marieluise Beck
hat dies angestoßen. Alle anderen Fraktionen sind ihrem
Vorschlag gerne gefolgt und haben gesagt: Wir müssen
über dieses Thema diskutieren. – Dies soll auch ein Zei-
chen der Unterstützung sein, das wir aus dem Deutschen
Bundestag an die russische Zivilgesellschaft senden.
Wir unterstützen sie in ihrem Kampf um Rechtsstaatlich-
keit, Demokratie und freie Wahlen; denn nichts weniger
hat Russland verdient.
Die Augen gerieben hat man sich mit Sicherheit auch
im Kreml. Man wird sich noch wundern, was für eine
Eigendynamik die Ergebnisse der beiden Wahlen – der
Duma-Wahl, die gerade stattgefunden hat, und der Präsi-
dentschaftswahl im März nächsten Jahres – entwickeln
können.
Weshalb gibt es diese Eigendynamik und diese Ent-
wicklung? Es ist sicherlich ganz wichtig, immer wieder
darauf hinzuweisen, dass das Machtkartell, das am
24. September dieses Jahres durch die erneute Rochade
zwischen Putin und Medwedew endgültig sichtbar
wurde, sich aber schon lange vorher angedeutet hat, die
Leute schlicht und einfach – ich sage es einmal ganz sa-
lopp und unparlamentarisch – anwidert. Es ist für junge
Leute, die nicht mehr sowjetisch geprägt sind und nicht
mehr biografisch eingeschüchtert werden können, auch
nicht durch den jetzigen Machtapparat, keine attraktive
Vorstellung, Putin erneut sechs, sieben Jahre als Präsi-
denten zu haben und Jedinaja Rossija, die Regierungs-
partei, die dem puren Machterhalt dient, sozusagen vor
die Nase gesetzt zu bekommen, egal wer tatsächlich ge-
wählt wird. Wir sind hier in einer schwierigen Situation.
Deshalb muss man die Gründe verstehen.
u
g
B
F
T
ri
S
s
d
h
a
w
li
–
–
W
z
P
k
n
n
ti
A
in
b
s
a
m
s
u
T
w
u
s
U
g
in
fr
e
s
m
Oft wird darauf hingewiesen, dass die kommunisti-
che Partei ein besonders gutes Ergebnis gehabt hat. Ja,
as stimmt. Sie hat ein erstaunlich gutes Ergebnis ge-
abt,
ber vielleicht auch deshalb, lieber Kollege Gehrcke,
eil alle anderen Alternativen, die man vielleicht noch
eber gewählt hätte, verboten worden sind.
Richtig, das kann sein. – Das zeigt aber zumindest
hier stimme ich Ihnen zu –, dass es auf jeden Fall den
unsch gibt, auszuwählen, also nicht nur zu wählen und
u akklamieren; denn so haben sich Medwedew und
utin die Wahl sicherlich vorgestellt. Eine Wahl ist aber
eine Akklamation.
Wir wünschen uns, dass eben nicht nur die Kommu-
isten und nicht nur die Liberaldemokraten dort, die sich
ur so nennen und alles andere als liberal und demokra-
sch, sondern nationalistisch und großrussisch sind, als
lternative zugelassen sind. Wir wünschen uns, dass
sbesondere bei den Präsidentschaftswahlen es die Li-
eralen unterschiedlichster Prägung endlich einmal
chaffen, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen,
lle ihre Teilungen und Spaltungen zu überwinden und
it einem gemeinsamen Kandidaten, einer demokrati-
chen Alternative zu Putin, anzutreten. Das erwarten wir
ns dringend von der russischen liberalen Opposition.
Wir appellieren aber auch an uns selbst – Kollege
hönnes hat völlig richtig darauf hingewiesen –, dass
ir uns beim Thema Visum, also bei der Frage, wie wir
ns zu Russland verhalten, dringend endlich öffnen müs-
en. Es gibt eine Initiative der Außenpolitiker der
nionsfraktion und der FDP-Fraktion, die dieses Jahr
erade auch im Kontakt mit den Innenpolitikern schon
tensiv daran gearbeitet haben – natürlich auch inter-
aktionell unterstützt –, um bei den Verfahren zur Visa-
rteilung zu echten Verbesserungen zu kommen. Ich
age es deutlich: Ziel muss langfristig die Visafreiheit
it Russland sein.
17822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Michael Link
)
)
Auf dem Wege dahin müssen wir jetzt die ersten
Schritte gehen und konkret liberalisieren. Wir brauchen
eine Willkommenskultur, die sich nicht in Debatten hier
erschöpft, sondern die für junge Russinnen und Russen
ganz konkret eine Perspektive eröffnet,
hier zu studieren, hier für einige Jahre zu arbeiten, dann
zurückzugehen und Erfahrungen zurückzubringen –
auch Erfahrungen, wie Demokratie streitig funktionieren
kann; das tut sie nämlich in Deutschland.
Ich komme zu meinem letzten Punkt, nämlich zur
Stabilität, und zum Schluss, Herr Präsident. Die Stabili-
tät wird heute sicherlich noch oft angesprochen werden.
Es wird immer gesagt: Wir brauchen Stabilität in Russ-
land. Das ist ja auch das Schlüsselwort, das wir von
Putin hören, wenn er selber sozusagen daran erinnert,
nach dem Motto: Wählt mich wieder, ich bin der Stabile.
Stabilität ist aber mehr als die Beibehaltung des Status
quo.
Kollege Schockenhoff hat völlig richtig darauf hinge-
wiesen: Es bedeutet nicht Stabilität, wenn eine Regie-
rung stabil im Sattel sitzt und sich ein Machtkartell
durchsetzen kann. Stabilität zeigt sich vor allem dann,
wenn ein Regierungswechsel tatsächlich friedlich durch-
gesetzt werden kann: mit freien Wahlen, mit dem gesam-
ten Prozess von der Kandidatenaufstellung bis zur Wahl,
natürlich mit der Stimmenauszählung und mit dem fried-
lichen Wechsel von Regierung und Administration. Das
ist wirkliche, nachhaltige Stabilität.
Wir sind überzeugt, dass Russland genau das schaffen
kann, wenn man dem russischen Volk mehr zutraut. Das
ist die große Chance; denn wir sind für Russland ein
Partner, auf den es sich verlassen kann. Wir erwarten
umgekehrt von Russland aber auch, dass es nicht perma-
nent unter seinen eigenen Möglichkeiten bleibt, wie das
jetzt – das zeigt sich am Wahlverlauf – leider wieder ge-
schehen ist. Wir setzen deshalb auf die Präsidentschafts-
wahlen und auf mehr als ein Machtkartell. Wir setzen
auf die russische Zivilgesellschaft und unterstützen sie
dabei nach unseren Kräften mit allen Möglichkeiten.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Michael Link. – Jetzt spricht
für die Fraktion Die Linke unser Kollege Wolfgang
Gehrcke. Bitte schön, Kollege Wolfgang Gehrcke.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir über dieses
Thema hier im Parlament diskutieren und dass wir das
auf der Basis einer Vereinbarung zwischen den Fraktio-
nen tun. Ich sage ganz deutlich: Wir haben ein Recht,
d
m
w
d
m
u
s
s
u
u
la
d
ra
p
ti
ü
w
s
m
a
D
la
M
s
fä
V
k
fo
N
li
G
G
ic
im
p
s
le
A
te
s
s
m
d
Ich sage aber auch: Lasst uns genau hinschauen.
icht jeder, der demonstriert, muss inhaltlich unsere So-
darität haben. Ich nehme wahr, wie nationalistische
ruppen – das geht bis hin zu rechtsextremistischen
ruppen – in diesem Feld agieren. Ich finde – das sage
h ganz deutlich, und ich wäre dankbar, wenn das hier
Parlament Übereinstimmung fände –, solchen Grup-
en, auch wenn sie regierungsamtlich gefördert worden
ind oder gefördert werden, muss man eine Absage ertei-
n.
uch für Russland ist Nationalismus keine sinnvolle Al-
rnative; das muss klar sein.
Dann lohnt es sich, sich das Ergebnis gründlich anzu-
chauen. Das ist natürlich vor allem eine Sache der russi-
chen Kolleginnen und Kollegen selber. Ich habe mit
einen Freunden in Russland telefoniert, gesprochen,
ebattiert, weil mich sehr interessiert hat: Warum haben
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17823
Wolfgang Gehrcke
)
)
die Menschen so gewählt, wie sie gewählt haben? Da
werden mir vor allen Dingen drei Gründe genannt.
Der erste Grund, den man bedenken muss, ist, dass in
diesen Wahlen auch ein Stück weit sozialer Protest
steckt. Die Regierungspartei sollte sich klar darüber
sein: Nicht nur die Neureichen in Russland sind interes-
sant. Sie sollten einmal in die Metrostationen in Moskau
und woandershin schauen, wo die armen Menschen ihr
Überleben sichern. Da steckt sozialer Protest drin.
Es ist ein Protest der Mittelschicht. Das ist völlig ein-
deutig ablesbar. Das erfordert doch politische Schluss-
folgerungen, für Russland selber, aber auch für die deut-
sche Politik gegenüber Russland.
Ferner ist es ein Protest – und das nicht wenig – gegen
den Zynismus der Macht. Dieses Jobsharing zwischen
Putin und Medwedew musste den Protest herausfordern.
Ich bin froh, dass dieser Protest auch in dieser Art ge-
gen den Zynismus der Macht gerichtet worden ist. Was
das für die Präsidentschaftswahlen bedeutet, kann noch
ziemlich spannend werden.
Ich kann der deutschen Politik, also uns selber, nur
anraten: Möglicherweise ist die Kommunistische Partei
Russlands sehr sperrig – das ist sie mit Sicherheit –, aber
schauen Sie einmal genau hin. Sie ist die stärkste Oppo-
sitionspartei. Wenn man Politik verändern will, muss
man mit einer starken Oppositionspartei kooperieren.
Das Letzte ist eine Bitte, die ich an uns richte. Wenn
wir nicht jetzt und langfristig auf die russische Gesell-
schaft zugehen, dann werden wir nichts bewegen. Ich
möchte, dass die Visafreiheit jetzt ganz deutlich im Rah-
men eines fraktionsübergreifenden Votums von diesem
Parlament unterstützt und in den Vordergrund gebracht
wird.
Das ist für Deutschland vernünftig. Das wäre für
Russland vernünftig. Ich bin davon überzeugt worden,
dass die Frage der Visafreiheit zu einer der zentralen
Fragen auch im Präsidentschaftswahlkampf werden
wird. Wo man übereinstimmt, kann man wohl auch ir-
gendwann etwas Übereinstimmendes machen.
Denken Sie auch einmal darüber nach – damit will ich
zum Schluss kommen –, ob nicht gemeinsame Netzpro-
gramme sinnvoll sind. Ich möchte nicht, dass Überwa-
chungsprogramme deutscher Technik an Russland ver-
kauft werden, mit denen Netze kontrolliert werden. Ich
möchte gemeinsame Netzprogramme mit offener De-
batte haben.
u
d
re
R
s
K
G
d
R
w
im
s
d
u
M
D
g
d
v
g
d
D
b
d
O
M
g
a
P
J
k
a
v
m
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
er Tat: Es hat eine atemberaubende Entwicklung in
ussland gegeben, und niemand hat das vorhergesehen –
ir nicht und wohl auch nicht die Herren im Kreml und
Weißen Haus.
Sie haben auf die historische Verpflichtung hingewie-
en, Herr Gehrcke. Unsere historische Verpflichtung ist,
ass wir an der Seite der Demokraten in Russland stehen
nd nicht an der Seite, die Sie eben mit „Zynismus der
acht“ beschrieben haben.
iese jungen Menschen haben auch das Recht, uns Fra-
en zu stellen.
Es hat hier Aussprüche und Einschätzungen gegeben,
ass Präsident Putin ein lupenreiner Demokrat sei. Er ist
on vielen Seiten hofiert worden. Es kann nicht darum
ehen, aus Wandel durch Annäherung einen Wandel
urch Anbiederung zu machen.
War es angemessen, dass der Ost-Ausschuss der
eutschen Wirtschaft vor den Wahlen ohne jegliche Not
ereits seine tiefe Genugtuung darüber ausgedrückt hat,
ass ein zukünftiger Präsident Putin wieder am rechten
rt in Russland sein wird? Ist das unsere Angelegenheit?
uss die deutsche Wirtschaft sich in Russland so bewe-
en? Ich glaube, nicht.
Es hat schon einmal einen großen historischen Irrtum
us Politik und Wirtschaft gegeben, und zwar gegenüber
olen. Der Westen hat nämlich noch das Militärregime
aruzelski gestützt, als sich in Polen bereits die Demo-
ratie- und Bürgerbewegung Solidarnosc formiert hatte,
n deren Seite Deutschland sich zu spät gestellt hat.
Das alles ist immer mit dem Wunsch und dem Mythos
on Stabilität zu erklären. Diese ist immer mit dem Na-
en Putin verbunden worden. Ich aber sage: Putin steht
17824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Marieluise Beck
)
)
nicht für Stabilität. – Vielleicht beginnt uns das langsam
zu dämmern.
Ein Land, in dem der Rechtsnihilismus vom Präsiden-
ten selbst diagnostiziert wird, ein Land, das in der Kor-
ruption versinkt – darunter leiden nicht nur Ausländer,
sondern auch Bürgerinnen und Bürger, die in Moskau
für jeden Cappuccino 8 Euro bezahlen müssen, weil die
Kette davor aus Abdrücken von Schutzgeldern besteht –,
ein Land, in dem Zehntausende russische Unternehmer
staatlicher Willkür ausgesetzt sind und mit der Justiz zu-
sammenstoßen – unter anderem, weil ihr Unternehmen
von jemand anderem aus dem Apparat der Macht be-
gehrt wird –, ein Land, in dem die freie Presse massiv
eingeschränkt ist, ein Land, in dem kritische Journalisten
und Journalistinnen sowie Menschenrechtlerinnen und
Menschenrechtler um ihr Leben fürchten müssen, ist
nicht stabil.
Herr Kollege Schockenhoff hat zu Recht ausgeführt,
dass Modernisierung – auch das wird ja aus Russland
selbst formuliert – nicht geht ohne eine Gesellschaft, in
der sich freie Kräfte entfalten können, und zwar in jeder
Hinsicht von Demokratie: über das Unternehmertum,
über die freie Debatte, über die Presse und damit natür-
lich auch über die Bekämpfung von Korruption.
Dieser Protest – das hat Kollege Link eben gesagt –
hat eigentlich am 24. September dieses Jahres begonnen.
Es war der russischen Bevölkerung schlichtweg „too
much“: dieses dreiste Schauspiel, das Medwedew und
Putin da im Fernsehen der Bevölkerung gezeigt haben.
Damit bin ich auch bei der Frage der Wahlfälschun-
gen. Man kann davon ausgehen, dass das Absacken der
Kreml-Partei Einiges Russland noch viel höher ist als die
15 Prozent, die jetzt zugegeben werden mussten.
Dieses Foto stammt aus dem Wahllokal 2077 in Mos-
kau. Man sieht hier eine junge Frau, die 17 Wahlscheine,
angekreuzt für Geeintes Russland, in die Urne stecken
wollte. Verhindert werden konnte das nur durch auf-
merksame russische Wahlbeobachterinnen und Wahlbe-
obachter, die unsere internationale Unterstützung und
unseren Schutz brauchen.
Es kann nicht angehen, dass eine Organisation wie
Golos, die angefangen hatte, ein flächendeckendes Netz
für eine Wahlbeobachtung aufzubauen, nunmehr vom
Staatsanwalt bedrängt wird und dass die Vorsitzende die-
ser Organisation nicht mehr nach Deutschland ausreisen
kann.
Das ist die Realität. Sie ist anders als das, was Herr
Putin heute Morgen in seiner Fernsehschau dargestellt
hat. Das heißt, wir müssen fordern, dass diese Schikane
von Wahlbeobachtungen eingestellt wird.
li
fr
A
m
d
2
m
e
ju
d
D
d
d
m
g
s
s
m
W
in
C
K
H
tu
H
li
b
s
d
D
fü
u
d
tr
w
li
b
er FSB hat bereits angekündigt, dass er dem Internet an
ie Gurgel will. Vor allen Dingen brauchen wir – das ist
as Wichtige – Reisefreiheit für junge Menschen. Dass
eine junge Übersetzerin sagt: „Es ist mir bis zum heuti-
en Tag nicht gelungen, auch nur einmal in das englisch-
prachige Ausland zu reisen, weil ich einfach kein Vi-
um bekomme“, ist ein Skandal. Unsere Innenpolitiker
üssen aufhören, die Außenpolitik zu machen.
ir brauchen Visafreiheit für die Außenpolitik.
Schönen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Beck. – Nächster Redner
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
DU/CSU unser Kollege Philipp Mißfelder. Bitte schön,
ollege Philipp Mißfelder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Ich finde es richtig, dass wir hier mit dieser Ak-
ellen Stunde zeigen, dass die Solidarität in unserem
aus denjenigen gilt, die sich demokratisch und fried-
ch an einer Demokratisierungsbewegung in Russland
eteiligen wollen, und eben nicht denjenigen, die offen-
ichtlich Wahlen fälschen.
Vor diesem Hintergrund ist schon jetzt anzumerken,
ass wir hier nicht in Hochnäsigkeit verfallen und die
ebatte mit erhobenem Zeigefinger gegenüber Russland
hren, sondern mit großer Gemeinsamkeit sagen, dass
ns nicht diejenigen am Herzen liegen, die zu einer Ra-
ikalisierung im politischen Spektrum in Russland bei-
agen wollen, sondern diejenigen, die dazu beitragen
ollen, dass sich eine demokratische Mitte oder auch
berale Parteien, die sich am Westen orientieren, heraus-
ilden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17825
Philipp Mißfelder
)
)
Man muss allerdings einschränkend sagen: Unsere
Sympathie gilt dort vor allem denjenigen, die demon-
striert haben, und nicht unbedingt denjenigen, die bei
den Wahlen aus Protest vielleicht viel besser abgeschnit-
ten haben, als sie es verdient hätten.
Immer wieder wird gefragt: Was ist die Alternative zu
Putin oder zur Putin-Partei? Die Alternative ist häufig
Separatismus, Rechtsradikalismus, Nationalismus oder
eben Kommunismus. Das ist nicht in unserem Interesse,
weder außenpolitisch noch von unserem Grundverständ-
nis für Demokratie her.
Allerdings muss ich auch sagen – das muss man sich
bei dieser Wahl genau anschauen –: Viele der jungen
Menschen, die demonstriert haben, haben bei den Wah-
len Kommunisten oder andere Parteien gewählt, um ih-
ren Protest zum Ausdruck zu bringen, weil sie keine an-
dere Möglichkeit hatten; denn der Parteienbildungs-
prozess ist noch nicht in dem Zustand, wie wir ihn uns
wünschen, dass es also tatsächlich demokratische Alter-
nativen gibt, die man wählen kann und die in der Mitte
des politischen Spektrums angesiedelt sind, anstatt in na-
tionalistischer Art und Weise die separatistischen Bestre-
bungen einer Kleinstregion zu unterstützen, womit sie
gegen vitale außenpolitische Interessen unsererseits ver-
stoßen und damit Russland in Instabilität stürzen wür-
den.
Vor diesem Hintergrund muss man sich genau an-
schauen, wer dort demonstriert. Man kann jetzt schon
positiv bilanzieren, dass die Art und Weise der Demon-
stration vom Samstag – und auch die Teilnehmer dieser
Demonstration – auf jeden Fall ein großer Schritt in
Richtung Demokratisierung Russlands war.
Diesen Schritt müssen wir weiter unterstützen. Wir
blicken jetzt mit Spannung auf den 24. Dezember dieses
Jahres, um zu sehen, wie viele Menschen zusammen-
kommen werden. Ich sage: Es spielt wahrscheinlich gar
keine so große Rolle, ob es wesentlich weniger oder we-
sentlich mehr als letzten Samstag sein werden.
Wünschenswert ist vielmehr, dass jeder, der plant, zu
einer solchen Demonstration zu gehen, die Möglichkeit
hat, dies angstfrei zu tun, dort friedlich zu demonstrieren
und den Demonstrationsplatz ohne Sorge – Herr
Gehrcke hat es angesprochen – zu verlassen, ohne Angst
an seinem Arbeitsplatz, in seinem Studienumfeld oder
im privaten Umfeld haben zu müssen. Das muss garan-
tiert werden. Deshalb müssen wir mit großer Aufmerk-
samkeit auf diese Demonstration schauen und sehen,
was dabei herauskommt.
Tatsächlich wäre es wünschenswert, dass die Hürden
zur Parteiengründung den politischen Realitäten ange-
passt werden, sodass auch demokratische Parteien eine
Chance haben, zusätzlich zur Wahl zugelassen zu wer-
den. Der Beitrag, den wir dazu leisten können – er dürfte
relativ gering sein –, ist, dass wir über die politischen
S
c
s
d
R
g
g
q
D
k
T
c
m
F
L
ß
b
c
w
m
m
S
m
a
ic
d
o
E
la
fr
w
is
u
V
s
ti
B
1
v
d
s
d
s
N
E
h
Vielen Dank, Kollege Mißfelder. – Jetzt für die Frak-
on der Sozialdemokraten unser Kollege Gernot Erler.
itte schön, Kollege Gernot Erler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
919 hat der amerikanische Autor John Reed ein Buch
eröffentlicht: „Ten Days that Shook the World“, in der
eutschen Übersetzung „Zehn Tage, die die Welt er-
chütterten“. Dieser Titel ist zu einer Art Epitheton für
ie Oktoberrevolution von 1917 geworden. Aus der rus-
ischen Szene erreichen uns in diesen Tagen dramatische
achrichten. Manche Kommentatoren erwecken den
indruck, dass wieder eine solche Situation da ist.
Ich teile diese Einschätzung nicht, aber wenn über-
aupt, dann könnte man vielleicht von „Sechs Tagen, die
17826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. h. c. Gernot Erler
)
)
Russland verändern werden“ sprechen. Dieses Buch
müsste allerdings erst noch geschrieben werden. Es
würde anfangen mit dem Wahlsonntag am 4. Dezember,
als die Machtpartei Einiges Russland so viele Federn las-
sen musste: 15 Prozentpunkte weniger und der Verlust
von 77 Mandaten, und das trotz der vielen Unregelmä-
ßigkeiten vor allen Dingen vorher bei der Nutzung der
sogenannten administrativen Ressourcen, über die be-
richtet wurde, trotz zahlreicher und konkreter Hinweise
auf Unregelmäßigkeiten am Wahltag und beim Auszäh-
lungsprozess und trotz solcher Superergebnisse wie in
Tschetschenien von über 90 Prozent, zu denen man sar-
kastischerweise seinen Dank dafür aussprechen muss,
dass nicht über 100 Prozent gemeldet worden sind.
Es ließe sich fortsetzen mit den Tagen danach, in de-
nen sich erwies, dass die Menschen in Russland, die sol-
che Unregelmäßigkeiten beobachtet haben, diesmal
nicht mehr bereit sind, ein solches Ergebnis hinzuneh-
men. Es waren erst nur wenige, die auf die Straße gin-
gen, sich reihenweise verhaften ließen und Geld- und
Arreststrafen hinnahmen,
die aber weiter in den sozialen Netzwerken kommuni-
zierten und sich zu der Demonstration am Samstag, dem
10. Dezember, verabredeten, für die erst nur 300 Teil-
nehmer gemeldet wurden. Aber dann begann über Face-
book eine Anmeldewelle: erst 10 000, dann 20 000,
30 000, 40 000 und dann immer mehr. Dann passierte ein
kleines Wunder. An anderer Stelle in Moskau wurde eine
Demonstration mit 30 000 Teilnehmern zugelassen, und
die 52 000 mobilisierten Polizisten wurden nicht gegen
die Demonstranten eingesetzt, sondern zu einer Kon-
trolle des Ablaufs dieser Großveranstaltung. Die nächste
große Protestversammlung – das ist schon mehrfach er-
wähnt worden – ist für den 24. Dezember, unseren Weih-
nachtstag, angemeldet, und es erfolgte schon die Einbe-
rufung einer Sondersitzung des Menschenrechtsrats
beim Präsidenten für den 23. Dezember, um über diese
ganzen Vorgänge zu beraten.
Dieses gar nicht so kleine Wunder in Moskau lässt
vielleicht auf einen Lernprozess an der Spitze schließen.
Ich finde, es wäre wünschenswert, wenn dieser stattfin-
den würde; denn ein solcher Lernprozess ist in der Tat
überfällig.
Für mich hat sich diese Notwendigkeit allerdings
schon am 24. September gezeigt, als der Ämtertausch
von Medwedew und Putin vereinbart wurde. Der ge-
schah in der sicheren Annahme, dass das Publikum ap-
plaudieren würde. Das hat es aber nicht gemacht, im Ge-
genteil. Danach begannen Diskussionen, auch in der
Öffentlichkeit, über zweimal sechs Jahre Sastoi, Still-
stand, in der russischen Gesellschaft. Dann gab es noch
diese Riesenpanne am 21. November bei dem Auftritt
P
B
w
v
m
S
n
b
c
S
u
o
S
D
fü
ru
le
g
E
D
d
F
B
e
P
m
M
v
L
s
K
s
F
n
ti
g
s
n
as ist die Lehre, die von diesen sechs Tagen eigentlich
r die Führung ausgehen sollte. Nur über Demokratisie-
ng kann eine nachhaltige Stabilisierung, an der bei vie-
n Nachbarn Russlands, aber auch in Russland selbst
roßes Interesse besteht, erreicht werden.
s ist unsere Aufgabe, durch unsere Angebote, vor allen
ingen über die Modernisierungspartnerschaft, genau
iesen Lernprozess zu unterstützen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Gernot Erler. – Jetzt für die
raktion der FDP unsere Kollegin Frau Marina Schuster.
itte schön, Frau Kollegin Schuster.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
iner Grundsatzrede vor seinem Amtsantritt beklagte
räsident Medwedew, dass sich in Russland kaum je-
and an existierende Gesetze halte. Der studierte Jurist
edwedew nannte dieses Problem Rechtsnihilismus,
on dem Russland so betroffen sei wie kein zweites
and. Diesen Rechtsnihilismus wollte Medwedew ent-
chlossen bekämpfen. Von diesem neuen Wind im
reml erhofften sich damals viele Verbesserungen.
Nun, fast vier Jahre und eine Duma-Wahl später, müs-
en wir Bilanz ziehen. Wie sieht denn der angekündigte
ortschritt aus? Die Bilanz ist erschreckend. Hier von ei-
er Verbesserung in Sachen Menschenrechte, Demokra-
e und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen, verbietet sich
erade mit Blick auf die jüngsten Ereignisse.
Ich möchte auf die Korruption – viele Kollegen haben
ie schon erwähnt – zu sprechen kommen, die Russland
ach wie vor fest im Griff hat. Wer sich Bestechlichkeit,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17827
Marina Schuster
)
)
Vetternwirtschaft oder organisierter Kriminalität wider-
setzt, weil er an das Richtige glaubt, nämlich an Recht
und Gesetz, dem ergeht es wie Sergej Magnitskij. Der
Rechtsanwalt Sergej Magnitskij hat einen Steuerbetrug
von mehreren Hundert Millionen US-Dollar zulasten des
russischen Volkes aufgedeckt und angeprangert. Statt
ihm zu danken, seinen Vorwürfen ernsthaft nachzugehen
und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wurden eben-
diese Personen mit der Verhaftung von Magnitskij be-
auftragt. Während die Täter frei waren, starb Magnitskij
am 19. November 2009 in der Haft einen qualvollen Tod
infolge von Folter, Misshandlung und Vorenthaltung von
medizinischer Hilfe.
Dies hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereits
im Jahr 2009, als Magnitskij noch lebte, in ihrem Bericht
für die Parlamentarische Versammlung des Europarates
kritisiert, ganz klar benannt, und sie hat sich mehrmals
an die Behörden gewandt. Wir erleben nun eine unzu-
reichende Aufarbeitung, wenn man bei dem, was
Medwedew eingeleitet hat, überhaupt von einer Aufar-
beitung sprechen kann. Diese Aufarbeitung zeigt auch
die Absurdität des Systems: Das Opfer wurde zum Täter
verunglimpft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Fall steht
exemplarisch dafür, dass der Rechtsnihilismus in Russ-
land nicht ernsthaft bekämpft wird;
denn im Grunde haben sich viele mit diesem System
arrangiert. Wir werden hier auch nicht wegschauen;
denn wir müssen Russland an seinen Taten messen und
nicht nur an seinen Worten. Die Taten haben wir bei den
letzten Wahlen gesehen: massive Wahlfälschungen im
Vorfeld, aber auch während des Wahlprozesses. Meine
Kollegin Marieluise Beck hat es angesprochen – sie war
selber für die Parlamentarische Versammlung des Euro-
parates Wahlbeobachterin –: Wir erlebten befüllte Wahl-
urnen bereits vor Öffnung des Wahllokals, Soldaten, die
für ihre Kameraden abstimmten, ganze Belegschaften,
denen man mit Kündigung drohte, falls sie nicht für die
Regierungspartei Einiges Russland stimmen, und organi-
sierte Mehrfachstimmabgaben. Dazu kommen die Be-
einflussungen und Einschränkungen vor der Wahl. So ist
die Partei PARNAS wieder nicht zugelassen worden;
man hat ihre Zulassung verhindert. Insofern muss man
gerade ODIHR und Heidi Tagliavini für ihren klugen
Bericht loben, in dem sämtliche Verfehlungen bereits
vor der Wahl aufgedeckt wurden.
Putin hat unabhängige Wahlbeobachter schon im Vor-
feld der Wahlen als Judasse bezeichnet. Das zeugt natür-
lich von einem großen Demokratiedefizit. Das zeugt
aber auch von großer Nervosität und Angst vor Verlust
an Einfluss.
Ich möchte auch die unabhängige Wahlbeobachter-
organisation Golos erwähnen. Sie wurde von der Staats-
a
d
E
L
A
m
Ic
S
g
a
J
s
M
g
D
a
D
g
rü
k
d
d
c
s
n
la
te
u
u
fü
B
s
R
te
u
R
ti
H
Aber auch die politische Konkurrenz wird massiv an-
efeindet. Erst gestern wurden Konstantin Smirnow und
ndere Mitglieder von Jabloko sowie oppositionelle
ournalisten inhaftiert. Das ist eine Eskalation, die ich
ehr erschreckend finde.
Umso erfreulicher ist es, dass so viele Menschen den
ut gefunden haben, den Protest auf die Straße zu brin-
en und den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Die
emonstranten zeigen damit eine Beharrlichkeit, die
uch das Regime in ernste Probleme bringen könnte.
as sieht man auch daran, wie die Sicherheitskräfte ge-
en die Demonstranten vorgehen.
Ich fordere deswegen ganz klar: Russland muss zu-
ck auf den Weg der Europäischen Menschenrechts-
onvention. Diese Konvention hat Russland selbst durch
ie Mitgliedschaft im Europarat anerkannt, und es sollte
ie Prinzipien des Europarats auch endlich verinnerli-
hen. Russland sollte an der Umsetzung der Europäi-
chen Menschenrechtskonvention arbeiten, statt sie zu
egieren. Das ist das Signal, das wir heute nach Russ-
nd senden Aber viel mehr ist es das Signal unserer Un-
rstützung für die Demonstranten, die für Demokratie
nd Menschenrechte und gegen Stillstand, Stagnation
nd Rechtsnihilismus auf die Straße gehen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Marina Schuster. – Jetzt
r die Fraktion Die Linke unser Kollege Stefan Liebich.
itte schön, Kollege Stefan Liebich.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
tehen an der Seite der Hunderttausenden Russinnen und
ussen auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau, in Sankt Pe-
rsburg und Perm, die sich für freie und faire Wahlen
nd mehr Demokratie in ihrem Lande aussprechen.
Russland ist ein wichtiges europäisches Land, und
ussland ist ein entscheidender Akteur auf der interna-
onalen Bühne, gerade wenn es um gemeinsame globale
erausforderungen geht. Wir in Deutschland haben ein
17828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Stefan Liebich
)
)
Interesse an einer guten Partnerschaft mit Russland, ge-
rade auch mit Blick auf die deutsch-russische Ge-
schichte, wie es Herr Thönnes vorhin schon richtig er-
wähnt hat. Wir setzen dabei nicht auf eine falsch
verstandene Stabilität, die Veränderung durch Stillstand
oder autoritäre Regierungen ausschließt, sondern auf
Stabilität, die durch die Beteiligung der Bürgerinnen und
Bürger nachhaltig gestaltet wird. Die geplante Rochade
zwischen Präsident und Ministerpräsident ist das Gegen-
teil davon. Die Demokratie wird so behandelt, als sei sie
das Privatspielzeug zweier Herren.
Deswegen finde ich es gut, dass mit der Parlaments-
wahl ein Zeichen gesetzt wurde, nämlich dass die Bürge-
rinnen und Bürger in Russland eben nicht immer autori-
täre Regierungen wählen oder ihnen folgen, weil das in
Russland so Tradition habe, wie gern gesagt wurde. Das
wiegt ja umso schwerer, als die Wahlen und der Wahl-
kampf nicht fair geführt wurden und der Verlauf selbst
Fragen aufgeworfen hat, wie es die Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihrem Mit-
gliedstaat Russland vorhalten musste. Auch der zunächst
erfolgte Einsatz staatlicher Gewalt gegen Demonstran-
tinnen und Demonstranten und die Einschränkung politi-
scher Rechte wie der Versammlungs- und Medienfreiheit
unmittelbar nach der Wahl sind nicht akzeptabel. Es ist
absurd, wenn Ministerpräsident Putin das Ausland für
die Proteste verantwortlich machen möchte. Nationalis-
mus und Wiederaufgreifen von Feindbildern zu Recht
vergangener Zeiten sind die falschen Reaktionen auf die
Proteste.
Ich hatte kürzlich Besuch von Jewgenija Tschirikowa.
Sie ist eine junge Frau, die um einen Wald, den Chimki-
Wald in der Nähe von Moskau, kämpft. Dieser Wald soll
durch eine Autobahn zerstört werden. Sie kämpft um
Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern und
damit gegen die Arroganz der Macht. Sie kämpft gegen
Baufirmen, die eher als eine Baumafia anzusehen sind.
Sie kämpft gegen Korruption und Vetternwirtschaft, aber
eben auch gegen die Interessen von dubiosen Tarnfirmen
im Bunde mit einer großen Firma aus der Europäischen
Union, dem französischen Konzern Vinci.
Frau Schuster, wenn Sie sagen, viele hätten sich mit
dem System arrangiert, so ist festzustellen, dass dazu lei-
der auch Firmen aus Mitgliedstaaten der Europäischen
Union gehören. Da schadet der Westen der Demokratie.
Denn gegen Umweltaktivisten und engagierte Bürger
vor Ort reichte nicht die massive bürokratische Schi-
kane, die es ohnehin gab. Nein, rechte Schlägertrupps
sind gegen die Zelte friedlich demonstrierender Protes-
tierer vorgegangen. Frau Tschirikowa und ihre Mitstrei-
terinnen und Mitstreiter geben nicht auf. Sie kämpfen
weiter. Diese junge, mutige Frau, die den Bürgerprotest
dort seit vielen Monaten anführt, gibt Anlass zur Hoff-
nung. Das ist die Zivilgesellschaft, die ein modernes
Russland braucht.
e
z
G
s
D
re
s
B
la
e
ri
a
m
D
d
d
w
te
d
M
Ih
n
Ih
u
B
h
k
n
u
b
n
d
h
d
K
u
D
ie Menschen müssen sich begegnen können. Das för-
ert Verständnis, Vertrauen und Solidarität. Das verän-
ert vielleicht auch ein wenig in Russland. Eine ganz
esentliche Voraussetzung für mehr Kontakte ist die Er-
ilung von mehr Visa. Ich kann allen recht geben, die
as bisher gesagt haben. Ich muss aber Sie, Herr
ißfelder, da konkret ansprechen: Es liegt letztlich an
nen, an der CDU/CSU-Fraktion. Ich hoffe, dass es Ih-
en gelingt, dass sich die konservativen Innenpolitiker
rer Fraktion endlich einen Ruck geben
nd zügig den Weg freimachen für mehr Freiheit der
ürgerinnen und Bürger Russlands. Hier können wir real
andeln. Ich bitte Sie – ich weiß, viele in Ihrer Fraktion
ämpfen dafür, aber es sind offenkundig noch nicht ge-
ug –: Handeln Sie dort endlich!
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Putin
nd Medwedew können nicht mehr so weitermachen wie
isher. Der Druck der Straße, aber auch bleibende inter-
ationale Aufmerksamkeit sind dazu wichtig. Ich hoffe,
ass wir dazu hier heute einen kleinen Beitrag geleistet
aben.
Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Liebich. – Nächster Redner für
ie Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Bernhard
aster. Bitte schön, Kollege Bernhard Kaster.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
nd Kollegen! Ja, es ist viel in Bewegung in Russland.
ie russische Gesellschaft ist in Bewegung. Viele spre-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17829
Bernhard Kaster
)
)
chen davon, wie überrascht man von dem Umfang der
Proteste und Demonstrationen und von dem Mut sei.
Ja, man kann von dem Mut überrascht sein; aber über-
rascht von der Unruhe und dem Aufbruch in der russi-
schen Gesellschaft kann man eigentlich nicht sein, wenn
man in den letzten Monaten und Jahren in Russland in
der Zivilgesellschaft unterwegs war. Es wächst das Be-
dürfnis nach Mitsprache und nach echter Demokratie. Es
wächst der Wille, sich als Bürger zu engagieren und sich
aktiv einzubringen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit in
Russland hat sich in den letzten Jahren sehr wohl gravie-
rend verändert, steht aber immer stärker im Widerspruch
zu den tatsächlichen politischen Strukturen. Dieser Wi-
derspruch ist immer stärker geworden.
Eine eigene Beobachtung dazu: Ich war vor einigen
Wochen Teilnehmer einer Veranstaltung in Moskau zum
Thema: Staat und Bürger, Bürgerengagement, Bürgerbe-
teiligung. Sie fand statt in der „Gesellschaftskammer“.
Wie in Russland insgesamt üblich, hat man auch die
Zivilgesellschaft in einen gesetzlich genau fixierten Rah-
men eingeordnet. Ich sage Ihnen: Ob nun „Gesell-
schaftskammer“ oder das Gesetz zur Registrierung von
Nichtregierungsorganisationen – das alles ist ein Wider-
spruch in sich. Bei dieser Veranstaltung ist sehr deutlich
geworden, was unter der Oberfläche brodelt. Dort wurde
nicht nur über Bürgerengagement bei den Feuerwehren
gesprochen, sondern das Ganze war viel breiter angelegt.
Dabei hat man das gespürt.
Das Bedürfnis nach mehr Demokratie, nach mehr
Bürgerengagement, man spürt es in Gesprächen mit
Austauschstudenten, man spürt es in der ganzen Breite
der Gesellschaft – von Künstlern genauso wie von Wirt-
schaftsvertretern –, man spürt es und hört es, wenn man
in den zwischenzeitlich rund 100 russischen Städten un-
terwegs ist, die enge, freundschaftliche Städtepartner-
schaften nach Deutschland unterhalten. Auch in Russ-
land hat die kommunale Selbstverwaltung schon viele
Freunde gefunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist die Bot-
schaft der jetzigen Proteste und Demonstrationen? Ist es
alleine die Wahlauszählung im engeren Sinne? Nein, sie
ist nur der Anlass, sie ist der Auslöser. Das hat das Fass
eben zum Überlaufen gebracht. Oder ist es eine konkrete
andere politische Parteienkonstellation, deren Wahlnie-
derlage vielleicht angezweifelt wird? Nein, auch das ist
es nicht; denn die politischen Alternativen sind sehr un-
klar.
Die Botschaft der Proteste ist sehr eindeutig: Es geht
um mehr Demokratie, es geht um mehr Bürgergesell-
schaft. Die Menschen in Russland möchten sich enga-
gieren für ihre Städte vor Ort, für die russische Gesell-
schaft, für ihr Land. Die Bürger selbst – das Engagement
dieser Bürger – sind immer die eigentliche Stärke eines
Landes. Bürgerengagement aber bedingt eine unabhän-
gige Justiz, eine freie Presse sowie Meinungs- und De-
monstrationsfreiheit.
M
V
D
te
le
g
k
C
s
ti
fr
la
e
s
b
e
s
E
u
W
u
e
v
n
w
W
w
d
s
T
d
A
n
m
s
d
s
s
s
Deutschland und Russland sind ja sowohl in der Poli-
k als auch in der Gesellschaft partnerschaftlich und
eundschaftlich eng miteinander verbunden. Deutsch-
nd genießt in Russland großes Ansehen als wichtigster
uropäischer Partner. Deshalb sollten wir uns unserer be-
onderen Verantwortung bewusst sein – und zwar klug,
esonnen und verantwortungsvoll –, wenn Russland an
inem politisch-gesellschaftlichen Scheideweg steht.
Lassen Sie mich sagen: Konkret sollten wir den Men-
chen in Russland Mut machen, ihr bürgerschaftliches
ngagement nach Kräften stärken, den Rechtsstaat mit
nabhängiger Justiz und Meinungsfreiheit unterstützen.
ir sollten die Grundregeln der Demokratie einfordern,
m Demokratie in ihren Kernbestandteilen – das heißt:
chtes Wahlrecht – auch zu praktizieren. Hier wurden
or Jahren riesige Fehler gemacht, als das Wahlrecht
och einmal verändert und mit neuen Hürden versehen
orden ist. Echter Wettbewerb sollte ermöglicht werden.
ir sollten die Zivilgesellschaft insgesamt stärken durch
eitere kommunale Partnerschaften, durch den Ausbau
es Jugendaustauschs – eben durch gesellschaftliche Zu-
ammenarbeit und Austausch.
Ich stimme allen Vorrednern zu: Wir können das
hema Visafreiheit und Visabedingungen konkret auf
en Weg bringen. Da sind wir schon Schritte weiter.
uch dem stimme ich aber zu: Maßstab dürfen hierbei
icht kriminelle Minderheiten sein, sondern Maßstab
uss die russische Gesellschaft in der Breite sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
chluss sagen: Wir sprechen immer gerne von den
eutsch-russischen Beziehungen im Sinne einer strategi-
chen Partnerschaft bzw. einer Modernisierungspartner-
chaft. Vielleicht sollten wir eine Demokratiepartner-
chaft, eine Partnerschaft auch der Werte anstreben.
17830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Bernhard Kaster
)
)
Leo Tolstoi hat so schön gesagt: „Es sind immer die
einfachsten Ideen, die außergewöhnliche Erfolge ha-
ben.“ Ja, die Idee der Freiheit ist ganz einfach. Die Men-
schen in Russland sehen das auch so. Wir sollten Gesell-
schaft und Politik dabei unterstützen.
Vielen Dank, Kollege Bernhard Kaster. – Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist jetzt für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck.
Bitte schön, Kollege Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese von
allen Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam
beantragte Aktuelle Stunde ist ein starkes Signal an die
Demokratiebewegung in Russland. Wir als Deutscher
Bundestag zeigen damit: Wir stehen an der Seite des rus-
sischen Volkes, an der Seite der Demokratinnen und De-
mokraten in Russland und gegen eine Macht, die, wie
Sie es gesagt haben, keinen Wechsel zulässt und letztlich
keine Demokratie in der Zivilgesellschaft anerkennt.
Präsident Putin hat das heute in seiner Rede wieder
dokumentiert, indem er die Opposition insgesamt diffa-
mierte. Er rief allen Demonstrantinnen und Demonstran-
ten zu: Es gibt sicher auch Menschen mit russischem
Pass, die im Interesse fremder Staaten und für fremdes
Geld handeln. – Das ist infam. Damit wird versucht, den
Protest in die Ecke des Unpatriotischen und des auslän-
dischen Einflusses zu stellen. Ich befürchte auch, dass
das der Beginn einer Kampagne gegen die demokrati-
sche Opposition sein könnte.
Wir als Deutscher Bundestag sollten uns den Forde-
rungen des Europäischen Parlaments anschließen: Die
Wahlen müssen unabhängig und international untersucht
werden. Wenn sich die Wahlverstöße bestätigen, muss es
zu Neuwahlen kommen. Neuwahlen setzen aber auch ei-
nes voraus: Bei den Duma-Wahlen und bei den Präsi-
dentschaftswahlen müssen sowohl neue Bewerber als
Kandidaten wie auch neue Parteien zugelassen werden.
Das setzt eine massive Herabsetzung der Hürden für die
Registrierung voraus. Ansonsten können neue demokra-
tische Kräfte das faktisch nicht schaffen.
Deshalb brauchen wir hier ein generelles Umdenken,
und wir müssen, glaube ich, gerade in diesen Tagen ge-
nauer hinschauen.
Es war gut, dass es auf Moskaus Straßen nicht zu Ge-
walt gekommen ist, dass die Polizei besonnen gehandelt
hat. In vielen Provinzstädten aber – einschließlich der
Metropole Sankt Petersburg – gab es über 400 Festnah-
men.
1
m
re
s
D
d
K
H
w
fe
z
E
te
d
d
b
w
c
w
p
v
e
ti
G
W
D
u
v
k
w
P
m
s
te
B
M
ru
g
h
G
00 von diesen Menschen sitzen noch in Haft, andere
üssen in den nächsten Wochen mit Administrativhaft
chnen. Auch diese Menschen haben unsere Aufmerk-
amkeit und unsere Unterstützung im internationalen
ialog verdient.
Es ist auch nicht so, dass in Moskau nichts passiert. In
ieser Woche wurden der Chefredakteur Maxim
owalski von Kommersant und der Leiter der Media-
olding von Kommersant, Andrej Galijew, entlassen,
eil sich die Zeitung erlaubt hat, dieses Foto zu veröf-
ntlichen, das ich Ihnen hier zeige. Das ist ein Wahl-
ettel mit einem Spruch, der Herrn Putin etwas beleidigt.
s ist aber ein Zeitdokument. So etwas dürfen Journalis-
n dokumentieren, wenn Pressefreiheit herrscht. Wenn
as der Grund ist, dass Journalisten ihre Stelle verlieren,
ann zeigt dies, wie es um die Pressefreiheit in Russland
estellt ist. – Auch das passiert dieser Tage. Deshalb sind
ir auch jetzt in der Weihnachtszeit aufgefordert, wa-
hen Auges nach Russland zu schauen und zu reagieren,
enn – trotz der Besonnenheit der letzten Tage – die Re-
ression dort wieder zuschlagen sollte.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir sowohl
on der Politik als auch von der deutschen Wirtschaft
twas weniger Naivität in der Betrachtung der innenpoli-
schen Verhältnisse in Russland. Rainer Lindner, der
eschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen
irtschaft, hat zu den Wahlen Anfang Dezember gesagt:
Ich glaube, dass wir in Russland die ersten freien
Wahlen gesehen haben.
a wird mir eigentlich nur noch übel.
Sein Chef, Herr Cordes, hat noch einen draufgesetzt
nd gesagt, er wünsche Herrn Putin Erfolg bei den be-
orstehenden Präsidentschaftswahlen.
Das ist ein Schlag ins Gesicht der russischen Demo-
ratinnen und Demokraten. Es darf nicht sein, dass wir
egschauen, bloß weil der Rubel rollt.
Ich muss sagen: Auch wir vonseiten der deutschen
olitik sind da nicht immer klar und deutlich. Im Zusam-
enhang mit der Ermordung von Journalisten, Men-
chenrechtsverteidigern und Rechtsanwälten in den letz-
n Jahren haben wir immer wieder vonseiten der
undesregierung gehört, man begrüße, dass Herr
edwedew eine unverzügliche und energische Aufklä-
ng der Taten verspreche. Wir haben dabei immer aus-
eklammert, dass wir diesen Satz schon hundertmal ge-
ört haben und die Täter jedes Mal nicht ermittelt, vor
ericht gestellt und verurteilt wurden. Da darf man nicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17831
Volker Beck
)
)
wegschauen und sich auf solche Sprachformeln der rus-
sischen Propaganda einlassen. Vielmehr muss man sa-
gen, dass man daran nicht glaubt, bis es tatsächlich zur
Aufklärung solcher Taten kommt und die Straflosigkeit
der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger in Russ-
land ein Ende findet.
Der Kollege Erler ist leider weg. Ich muss aber sagen:
Auch ich war über seine Pressemitteilung zu den russi-
schen Wahlen ein wenig erstaunt, weil sie mich ein biss-
chen an die Sätze aus der Diskussion in der deutschen
Wirtschaft erinnert hat. Er bezeichnete die Wahlen als
Ausdruck einer gewissen Normalisierung der politischen
Zustände in Russland und forderte, Putin müsse den
Nachweis erbringen, dass er die dringend erforderliche
Modernisierung des Landes voranbringen kann. Ich
glaube nicht, dass Putin die Modernisierung des Landes
voranbringen will. Ich glaube auch nicht, dass Putin oder
Medwedew ernsthaft gegen die Korruption und die
Rechtlosigkeit vorgehen wollen. Die Korruption ist im-
manenter Bestandteil des Systems der Partei Einiges
Russland.
Die kommunistische Ideologie wurde durch korrupte
Verhältnisse ersetzt, und das hält die Maschinerie am
Laufen. Die Simonie in diesen Organisationen macht
keinen Sinn, wenn man die errungenen Positionen nicht
für Korruption ausbeuten kann. Deshalb brauchen wir
eine klare Sicht auf die Dinge.
Bei aller Diplomatie – Russland ist ein wichtiger Part-
ner auf der Welt, ist unser Nachbar, ist Mitglied im UN-
Sicherheitsrat – sollten wir in den russischen Verhältnis-
sen nicht die Wahrheit übersehen. Das ist der erste
Schritt, den wir tun können – neben dem wichtigen
Schritt, jetzt etwas für die Visafreiheit zu tun: für die rus-
sische Jugend, die russischen Intellektuellen und die rus-
sischen Demokraten. Ich würde mir wünschen, dass sich
die Rednerinnen und Redner in dieser Debatte für einen
diesbezüglichen Gruppenantrag zusammentun.
Wir sind gemeinsam, fraktionsübergreifend davon über-
zeugt. Es geht hier nicht darum, eine Partei, eine Regie-
rung vorzuführen, sondern konkret darum, etwas für die
Russinnen und Russen zu bewirken.
Vielen Dank, Kollege Volker Beck. – Nächster Red-
ner für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Erich
Fritz. Bitte schön, Kollege Erich Fritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Es ist gut, dass diese Debatte
s
E
R
v
s
w
s
D
g
d
s
n
s
a
s
n
s
1
a
w
B
e
w
E
e
te
M
ä
m
fa
z
s
p
s
s
n
d
n
n
s
w
S
g
is
fü
eshalb müssen wir auf das schauen, was in Russland
eschieht.
Bei diesen Wahlen ist nicht weniger geschehen, als
ass der Putin‘sche Ansatz, vom Kreml aus ein Parteien-
ystem zu etablieren, es für eine gelenkte Demokratie zu
utzen, die Vertikale der Macht auszubauen und damit
owohl eine erfolgreiche Veränderung des Landes als
uch alte Stärke und altes Ansehen zu erreichen, ge-
cheitert ist. Die Menschen haben gemerkt, dass das
icht von ihnen ausgeht und dass es ihnen nichts nutzt,
ondern dass es nur einer Schicht nutzt, die maximal
0 Prozent der russischen Bevölkerung ausmacht.
Russland ist ein reiches Land mit 80 Prozent wirklich
rmen Menschen. Zu den anderen 20 Prozent gehören
ahnsinnig Reiche in einem korrupten System – Herr
eck hat das gerade wunderbar beschrieben –, wo der
ine auf den anderen angewiesen ist und so das System
eiter verstärkt.
s ist der wirtschaftlich freigesetzte, gut ausgebildete,
rfolgreiche und mit Lebenszielen versehene junge Mit-
lstand. Es ist doch selbstverständlich, dass sich die
enschen, mit denen man das Land wirklich positiv ver-
ndern könnte – als Präsident, als Regierung, als Parla-
ent –, auf Dauer eine weitere Entmündigung nicht ge-
llen lassen.
Wenn eine Regierung und ein Präsident so deutlich
eigen, dass sie nicht nur kein Vertrauen zu den Men-
chen haben – sonst würden sie dazu beitragen, dass
olitische Entscheidungsstrukturen von unten wachsen –,
ondern dass sie sogar glauben, ihnen eine Rochade zwi-
chen Präsident und Ministerpräsident zumuten zu kön-
en, so als wenn es der Wahl gar nicht mehr bedürfte,
ann dürfen sie sich nicht wundern, wenn der Schuss
ach hinten losgeht. Deshalb haben wir allen Grund, de-
en zu danken, die jetzt zeigen, dass demokratische Sub-
tanz in Russland vorhanden ist, die zu unterstützen es
ert ist.
Natürlich hat Kollege Erler recht. Auch mir ist ein
tein vom Herzen gefallen, dass es in Moskau nicht zu-
egangen ist wie in Minsk oder in Damaskus. Aber das
t nur die halbe Wahrheit. Die gesetzlichen Grundlagen
r den Umgang mit Demonstranten, wie er jetzt zu be-
17832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Erich G. Fritz
)
)
obachten ist, wurden gerade erst geschaffen. Das ist kein
Überbleibsel aus einer alten Zeit. Es passiert eben, dass
der Repressionsapparat dennoch funktioniert. Natürlich
war es schön, dass Demonstranten, die auf einem fal-
schen Platz gelandet sind, von der Polizei zum richtigen
geleitet und nicht wegen einer unangemeldeten Demon-
stration verhaftet wurden. Natürlich war es gut, dass vor
der Wahl Oppositionsparteien zum ersten Mal überhaupt
die Möglichkeit gehabt haben, sich auch in den staatli-
chen Medien darzustellen. Natürlich ist es gut, dass so-
gar im staatlichen Fernsehen über Wahlfälschung berich-
tet wird. Aber wer genau hinschaut, der weiß, dass die
Schere im Kopf funktioniert, weil man weiß, dass man
nicht sicher ist, wenn man es zu deutlich macht.
Die Forderung nach Transparenz ist allgegenwärtig.
Ohne zusätzliche Transparenz wird sich dieses Land
auch nicht ändern. Der Putin‘sche Gesellschaftsvertrag
lautet: Ihr lasst mich mit meinem Netzwerk alles regeln,
und ich verteile dafür so viel, dass alle irgendwie zu-
rechtkommen.
Keiner soll dabei stören, und wer stört, der kann sich an-
schließend mit Chodorkowski die Zelle teilen.
Diese Art und Weise wird sich die russische Bevölke-
rung nicht mehr gefallen lassen. Die Menschen, die jetzt
zeigen, dass sie politische Partizipation wollen und nicht
mehr manipuliert werden wollen, sind die, die Russland
für eine positive Veränderung, für Stabilität und Prospe-
rität braucht. Das sind diejenigen, die die Zukunft dieses
Landes darstellen. Das sind diejenigen, auf die man set-
zen muss. Deshalb sollten wir sie mit unserer ganzen
Solidarität und allen Möglichkeiten, die wir haben, un-
terstützen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Erich Fritz. – Jetzt für die Frak-
tion der Sozialdemokraten unser Kollege Lars Klingbeil.
Bitte schön, Kollege Lars Klingbeil.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist gut, dass wir diese Debatte überfraktio-
nell führen. Wir alle blicken in diesen Tagen nach Russ-
land und schauen auf die Ereignisse, die wir alle nicht
vorausgeahnt haben, auch nicht hinsichtlich der Dyna-
mik. Wir haben eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, die,
s
B
W
d
w
v
g
fi
M
g
c
h
b
d
w
u
k
v
s
h
ru
a
s
W
d
tu
w
k
w
z
d
A
s
w
L
W
le
W
D
h
R
c
b
M
k
e
d
D
h
a
ir wünschen uns auf jeden Fall gemeinsam, dass es
iesbezüglich vorangeht.
Wenn man diese Debatte verfolgt, erkennt man, dass
ir alle um den richtigen Ton ringen. Hier war vorhin
on Anbiederung die Rede und auch von Anklage. Ich
laube, wir versuchen, genau dazwischen einen Weg zu
nden. Als Mitglieder des deutschen Parlaments und als
itglieder der Deutsch-Russischen Parlamentarier-
ruppe bauen wir immer wieder Kontakte auf und versu-
hen, den Dialog zu fördern. Wir weisen auf Missstände
in, versuchen aber vor allem, Gesprächskanäle aufzu-
auen, sodass wir unseren russischen Freunden mit auf
en Weg geben können, was uns hinsichtlich der Ent-
icklung des Landes besorgt und an welchen Stellen wir
ns Veränderungen wünschen.
Russland ist ein Land mit einer bewegenden und
omplexen Geschichte. Die russische Bevölkerung hat
iele Herausforderungen zu meistern gehabt. Die Ge-
chichte zeigt, dass dieses Land es oft nicht leicht gehabt
at. Aber die Menschen haben sich diesen Herausforde-
ngen immer wieder gestellt, und sie sind heute stolz
uf vieles, was sie in Russland erreicht haben. Die russi-
che Gesellschaft befindet sich seit 20 Jahren auf dem
eg in Richtung Demokratie. Mir ist es deshalb beson-
ers wichtig, dass wir uns, wenn wir heute über die ak-
ellen Entwicklungen reden, bewusst machen, in
elchem Ton wir reden. Wir sehen mit unserem demo-
ratischen Selbstverständnis, dass es richtig ist, Fehlent-
icklungen in aller Deutlichkeit anzusprechen und sie
u kommentieren. Aber wir müssen aufpassen, dass wir
as nicht von oben herab tun, sondern wir müssen die
ugenhöhe suchen. Wir haben eine gemeinsame Ge-
chichte mit Russland, aus der für uns eine große Verant-
ortung resultiert, wenn es um die Entwicklung dieses
andes geht. Wir sollten uns daher selbst nicht erhöhen.
ir sollten aufpassen, wie wir aus der Distanz beurtei-
n, und wir sollten nicht pauschalisieren. Russlands
eg in die Demokratie war nicht immer einfach. Wir
eutsche wissen selbst, wie schwierig, wie steinig Wege
in zu einer Demokratie sein können und wie viele
ückschläge man in Kauf zu nehmen hat.
Wenn wir die demokratischen und zivilgesellschaftli-
hen Prozesse in Russland sehen, dann wissen wir: Das
raucht Zeit. Wenn wir heute wahrnehmen, wie viele
enschen in Russland den Willen haben, mehr Demo-
ratie zu erfahren, dann sollten wir nicht den Zeigefinger
rheben, sondern versuchen, den richtigen Ton zu fin-
en. Wir brauchen keine neunmalklugen Ratschläge.
as hilft den deutsch-russischen Beziehungen nicht, das
ilft der russischen Bevölkerung nicht, und das hilft
uch der russischen Demokratie nicht.
)
den! Sie reden wie Ihr ehemaliger Chef! – Wi-
derspruch bei Abgeordneten der SPD)
Der Frust der russischen Bevölkerung ist nachvoll-
ziehbar. Das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft
ist in eine Krise geraten, die in diesen Tagen sichtbar
wird. Bilder im Internet und im Fernsehen haben die
Wahlfälschung offensichtlich gemacht. Hohe Zustim-
mungsraten waren in Russland keine Seltenheit, aber
jetzt erleben wir die Offensichtlichkeit der Wahlfäl-
schung. Das Internet spielt dabei eine große Rolle. Hie-
rauf will ich gleich noch eingehen.
Große Teile der russischen Bevölkerung haben das
Gefühl, dass sie nicht mehr ernst genommen werden,
dass zwischen Staat und Gesellschaft ein Missverhältnis
besteht, dass die Legitimität der russischen Regierung
schwindet. Legitimität ist eine Voraussetzung für zivil-
gesellschaftliche Entwicklungen, ist Voraussetzung für
eine nachhaltige Wirtschaftspolitik und ist Vorausset-
zung für ein verlässliches politisches Handeln. Es liegt
daher im Interesse Deutschlands und der Europäischen
Union, dass jetzt Aufklärung geleistet wird, dass Verant-
wortlichkeiten benannt werden und dass die Legitima-
tion wieder gestärkt wird.
Die russische Parlamentswahl hat ebenso wie viele
andere Fälle in diesem Jahr gezeigt, welche Rolle das In-
ternet mittlerweile spielt, wenn es um die Stärkung de-
mokratischer Prozesse geht. Internet bedeutet Freiheit,
Internet stärkt die Demokratie, und Internet stärkt die
Meinungsfreiheit. Noch am Tag der Wahl erschienen
Videos auf Youtube, die Wahlfälschung zeigen. Internet-
videos sind mittlerweile ein wichtiges Medium, wenn es
um Aufklärung, Transparenz und zivilgesellschaftliche
Kontrolle geht. Die Wahlbeobachtergruppe Golos hat
zusammen mit einer Internetzeitung eine Plattform ein-
gerichtet, auf der Verstöße gegen das Wahlgesetz doku-
mentiert werden konnten.
– Lassen Sie mich bitte ausreden.
7 700 Verstöße wurden dort gemeldet. Die Informatio-
nen über Wahlfälschungen konnten in Echtzeit über
Twitter verbreitet werden, und Demonstrationen wurden
über Facebook organisiert.
Das alles zeigt uns, welche Rolle soziale Netzwerke
heute spielen. Das ist auch eine Aufforderung an uns
selbst, dass wir als Bundesrepublik Deutschland, als
deutsches Parlament darauf achten, dass das Internet ge-
stärkt wird, dass wir ein freies Internet haben, dass wir
einen freien Zugang zum Internet haben, dass wir die
F
in
e
u
B
g
A
A
d
S
B
n
R
A
s
w
b
F
W
la
H
u
s
V
a
la
s
c
ru
M
li
B
ru
d
b
k
g
D
o
M
Das Wort hat nun Staatsministerin Cornelia Pieper.
C
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
esregierung begrüßt ausdrücklich diese Aktuelle
tunde, die Sie interfraktionell beantragt haben.
Ich teile im Übrigen Ihre Auffassung, Frau Kollegin
eck, dass wir nicht von einer russischen Demokratie
ach unserem Verständnis sprechen können. Ich glaube,
ussland ist noch weit davon entfernt.
ber umso mehr haben mich persönlich, wie wahr-
cheinlich auch Sie, die Bilder der vergangenen Tage be-
egt, die wir aus Russland lange nicht mehr gesehen ha-
en. Zehntausende versammeln sich friedlich, um ihrer
orderung nach freien Wahlen Ausdruck zu verleihen.
ir waren Zeugen der größten Demonstration in Russ-
nd seit den frühen 90er-Jahren. Mich hat das an den
erbst 1989 im Osten Deutschlands erinnert. Das sollte
ns allen Hoffnung machen auf eine fortschrittliche, bes-
ere Entwicklung hin zu einer Demokratie in Russland.
Wir können aus meiner Sicht nur begrüßen, dass die
ersammlungen in Moskau und vielen anderen Städten
m vergangenen Wochenende weitgehend friedlich ver-
ufen sind. Dies ist ein Verdienst aller Beteiligten gewe-
en: der friedlich Demonstrierenden, aber auch der Si-
herheitskräfte.
Auch in Zukunft muss gewährleistet sein, dass sich
ssische Bürger frei und friedlich versammeln und ihre
einung frei äußern können. Keine Gewalt gegen fried-
che Demonstranten – das ist die klare Botschaft der
undesregierung, übrigens nicht nur an die Adresse der
ssischen Regierung.
Wir appellieren außerdem an die russischen Behör-
en, Versammlungen nicht durch allzu enge Auflagen zu
eschränken. Die Verlegung der Demonstration in Mos-
au an einen Ort, der Zehntausenden Platz bietet, war ein
utes Zeichen, aber das erwarten wir auch in Zukunft.
enn nicht in allen Städten zeigte sich die Verwaltung so
ffen für die Gewährleistung des Versammlungsrechts.
ancherorts kam es auch am vergangenen Wochenende
17834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Staatsministerin Cornelia Pieper
)
)
noch zu Verhaftungen. Hunderte von friedlichen De-
monstranten sind verhaftet worden, auch wenn Amnesty
International meldet, dass die meisten Inhaftierten in-
zwischen wieder auf freiem Fuß sind. Die Bundesregie-
rung meint: Friedlich demonstrierende Demonstranten
gehören nicht in Haft, sondern sie müssen sofort freige-
lassen werden.
Wie wir wissen, richten sich die aktuellen Proteste,
Herr Gehrcke, in Russland gegen den Verlauf der Duma-
Wahlen vor zehn Tagen. Wir begrüßen, dass – im Gegen-
satz zu den Wahlen vier Jahre zuvor – Russland dieses
Mal eine Wahlbeobachtermission der OSZE zugelassen
hat, wenngleich sie mit nur 200 Wahlbeobachtern, da-
runter auch 15 Deutsche, noch unter der von der OSZE
geforderten Mindestzahl lag.
Bedauerlicherweise sind die Wahlbeobachter zu dem
Ergebnis gekommen, dass die für einen fairen Wahl-
kampf notwendigen Bedingungen nicht erfüllt wurden.
Kritik fanden insbesondere die unzureichende Trennung
zwischen Staatsorganen und der Partei Einiges Russland,
die fehlende Unabhängigkeit der Wahlkommissionen
und die Einseitigkeit der Medien. Zu beobachten waren
zahlreiche Verfahrensfehler und offensichtlich auch Ma-
nipulationen. Bundesminister Westerwelle hat in seiner
Rede vor dem OSZE-Ministerrat in Wilna seine Sorge
hierüber ganz deutlich zum Ausdruck gebracht. Wir er-
warten, dass die russische Staatsführung diese Sorge
ernst nimmt, allen Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten
nachgeht und diese sofort und mit Entschiedenheit besei-
tigt.
Freie und faire Wahlen abzuhalten, das ist eine Ver-
pflichtung, die sich für alle OSZE-Staaten aus den
Kopenhagener Kriterien der Organisation ergibt. Alle
OSZE-Teilnehmer haben sich dazu verpflichtet und ha-
ben auch das Recht, auf Mängel im Wahlverlauf in ei-
nem anderen Land hinzuweisen.
Die Bundesregierung ist überzeugt, dass Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit Grundvoraussetzung für eine
dauerhafte positive staatliche Entwicklung sind. Das gilt
auch für Russland und insbesondere für die Modernisie-
rungspartnerschaft. Es gibt eben nicht nur wirtschaftli-
che Freiheit. Für uns sind wirtschaftliche und gesell-
schaftliche Freiheit zwei Seiten einer Medaille.
Die Bundesregierung spricht die Fragen der Men-
schenrechte und der Freiheitsrechte in bilateralen Ge-
sprächen mit russischen Politikern offen an. Eine politi-
sche und gesellschaftliche Modernisierung ist Teil der
Modernisierungspartnerschaft, die wir seit einigen Jah-
ren erfolgreich mit Russland betreiben. Die EU ist eine
W
Ic
h
s
w
Z
z
d
s
G
re
s
Ic
W
tr
ti
e
v
s
b
Z
b
D
S
n
ic
in
Z
s
D
R
M
M
A
s
E
D
G
s
M
w
K
Ic
d
d
d
Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen; denn Herr
ehrcke ruft dazwischen und fragt, was die Bundes-
gierung für die Stärkung von Bürgerrechten und Men-
chenrechten tut.
h glaube, es ist durchaus erwähnenswert, dass wir den
andel auch durch die Rechtszusammenarbeit voran-
eiben. Das Bundesjustizministerium und das Auswär-
ge Amt haben gerade in diesem Bereich in diesem Jahr
inen Schwerpunkt gesetzt. In diesem Jahr hat im No-
ember ein Symposium zur Korruptionsbekämpfung
tattgefunden sowie am 18. und 19. Mai in Sankt Peters-
urg ein großes Symposium zur wirtschaftsrechtlichen
usammenarbeit. Es gibt eine gemeinsame Juristenaus-
ildung, ein bilaterales Kooperationsprogramm mit dem
eutschen Akademischen Austauschdienst und einen
tudentenaustausch. Das Ziel muss sein, eine neue Ge-
eration von Juristen in Russland zu fördern. Das halte
h für einen ganz wichtigen Beitrag zu dem Wandel, der
Russland stattfinden soll.
Ich will auch erwähnen, dass es uns wichtig ist, die
ivilgesellschaften zusammenzubringen. Hier wurden
chon – ich glaube, von Ihnen, Herr Thönnes – das
eutschlandjahr in Russland und das darauffolgende
usslandjahr in Deutschland erwähnt. Wir wollen die
enschen zusammenbringen. Wir wollen die jungen
enschen unserer Länder zusammenbringen. Ich bin der
uffassung, dass wir zum Beispiel das Deutsch-Russi-
che Jugendwerk ausbauen müssen.
s ist im Vergleich zum Deutsch-Französischen und zum
eutsch-Polnischen Jugendwerk stark benachteiligt.
erade wenn wir die junge Generation ansprechen, dann
etzen wir auf die Zukunft Russlands; denn die jungen
enschen werden die Zukunft ihres Landes gestalten.
Ich könnte Ihnen noch viele Beispiele nennen. Ich
ill ausdrücklich unterstreichen, was alle, zum Beispiel
ollege Link, hier zur Visaliberalisierung gesagt haben.
h bin froh, dass die Bundesregierung gemeinsam mit
en polnischen Nachbarn während der EU-Ratspräsi-
entschaft den kleinen Grenzverkehr zu Kaliningrad
urchgesetzt hat. Das ist ein Schritt voran. Aber wir dür-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17835
Staatsministerin Cornelia Pieper
)
)
fen da nicht stehen bleiben. Wir müssen diesen Weg wei-
tergehen. Wir alle wissen, dass die Visaliberalisierung
Brücken zwischen den Zivilgesellschaften schafft. Da-
rauf kommt es an.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier über die feh-
lende Rechtsstaatlichkeit in Russland rede – es wurden
schon viele Beispiele genannt –, will ich noch ein Ereig-
nis erwähnen, das uns beunruhigen muss. Wenn ein Ar-
chivar zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt wird,
weil er einem Historiker biografische Informationen
über Russlanddeutsche zugänglich gemacht hat, die in
der Sowjetunion nach Sibirien deportiert worden waren,
dann finde ich das alarmierend. Auch die Menschen-
rechtsorganisation Memorial sieht das so. Sie hat deut-
lich gesagt:
Mit diesem Präzedenzfall besteht die Gefahr, dass
historische Forschungen zur Geschichte der Re-
pression in der stalinistischen Sowjetunion fortan
unter dem Damoklesschwert juristischer Konse-
quenzen stehen.
Das ist nur ein Beispiel, aber eines von vielen, die uns
ins Bewusstsein rufen sollten, dass wir in Russland sehr
viel mehr für die Rechtsstaatlichkeit tun müssen.
Putin hat die Opposition heute in der Tat scharf ange-
griffen, indem er behauptet hat, sie sei vom Westen ge-
steuert und sie würde Russland destabilisieren. Ich
glaube, es besteht die Gefahr, dass er nicht in der Lage
sein wird, die Werte, die uns wichtig sind, in Zukunft als
Regierungschef in die russische Gesellschaft zu tragen.
Er ist der, der er immer war. Er achtet Bürgerrechte
nicht. Er achtet Freiheitsrechte nicht. Er ist in dieser Hin-
sicht Autokrat. Das sollte man auch so deutlich sagen.
Wir sollten das auch im Dialog mit russischen Politikern
– nicht nur mit solchen der Opposition, sondern auch mit
solchen der Regierung – deutlich machen.
Meine Damen und Herren, wir werden die weitere
Entwicklung in Russland natürlich aufmerksam verfol-
gen. Ich würde mich freuen, wenn wir solche Debatten
des Öfteren auch hier im Deutschen Bundestag führen
würden. Die nächsten Wahlen in Russland stehen bevor,
die Präsidentschaftswahlen im März nächsten Jahres.
Wir erwarten, dass Russland seinen internationalen Ver-
pflichtungen erneut nachkommt und frühzeitig Wahlbe-
obachter der OSZE und des Europarates einlädt. Russ-
land muss im Hinblick auf diese Wahlen Lehren aus den
Feststellungen der OSZE ziehen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie
haben schon sehr deutlich überzogen.
A
b
D
s
in
ti
S
K
s
c
v
n
s
g
P
g
m
e
In
R
w
g
w
A
D
R
le
s
v
e
e
D
R
Ic
m
s
c
Das Wort hat nun Rolf Mützenich für die Fraktion der
PD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! In der Tat: Solch wichtige, möglicherweise
ogar epochale Ereignisse wie jetzt in Russland brau-
hen Bilder. Wir haben der Debatte, oft aber auch der
eröffentlichten Meinung entnommen, dass diese Ereig-
isse mit dem arabischen Frühling vergleichbar seien. Es
ind durchaus wichtige Demonstrationen, die dort statt-
efunden haben. Aber ich warne davor, an dieser Stelle
arallelen zu ziehen. Die sozioökonomischen Bedingun-
en, die Geschichte und die Kultur sind dort andere. Ge-
einsam ist den Demonstranten allerdings, dass sie für
ine freiere und demokratischere Gesellschaft eintreten.
sbesondere fordern sie, dass vom Staat bzw. von der
egierung der Respekt gegenüber dem Einzelnen ge-
ährleistet wird. In dieser Hinsicht stimmt der Ver-
leich; das ist in der Tat richtig.
Allerdings glaube ich – auch darauf möchte ich hin-
eisen –, dass wir die Entwicklung in Russland wachen
uges beobachten müssen. Dies gilt im Hinblick auf die
emonstranten, aber insbesondere im Hinblick auf die
egierung und die Mächte im Kreml, die sich in den
tzten Jahren immer wieder gegen die russische Gesell-
chaft gerichtet haben. Wir dürfen nicht die Augen davor
erschließen, dass es auch bei den Demonstrationen den
inen oder anderen Teilnehmer gegeben hat, der sich für
inen russischen Sonderweg eingesetzt hat.
as ist nicht gut für Europa, und das ist nicht gut für
ussland.
h finde, zu einer Debatte, in der es im Grunde genom-
en darum geht, dass wir uns um die russische Gesell-
chaft Sorgen machen müssen, gehört auch, einen sol-
hen gerechtfertigten Hinweis zu geben.
17836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Rolf Mützenich
)
)
Der springende Punkt ist: Die Menschen wollen gut bzw.
besser regiert werden, und sie wollen in einer solchen Si-
tuation geachtet werden. Ein freies Parlament wie der
Deutsche Bundestag muss darauf hinweisen.
Warum gibt es diese Erwartungshaltung? Ich finde,
wir sollten eine differenzierte Debatte über Russland
führen. Ich bekenne für mich persönlich ganz offen: Ich
habe gehofft, dass mit Präsident Medwedew jemand die
Präsidentschaft übernimmt, der sich für eine freiere, of-
fenere und respektvollere Gesellschaft und für einen
Staat, der sich gegenüber seinen Bürgern respektvoller
verhält, einsetzt. Er hat diese Hoffnung enttäuscht.
Er hat auch mich persönlich enttäuscht. Ich glaube, einer
der Gründe, warum die Demonstranten sagen: „Wir füh-
len uns hinters Licht geführt“, ist, dass die Verabredung
zwischen Medwedew und Putin zwar erst vor wenigen
Wochen öffentlich geworden ist, dass es aber hieß: Das
haben wir schon vor langer Zeit verabredet. So kann
man mit einer Gesellschaft nicht umgehen, die freier le-
ben will. Ich finde, diese Kritik ist gerechtfertigt, und
deswegen muss man hinter dieser Politisierung der russi-
schen Gesellschaft letztlich auch das erkennen, was sie
bedeutet: Die Menschen wollen freier, gerechter und re-
spektvoller behandelt werden.
Deswegen verlangen wir von dieser Stelle aus, dass
die Wahlergebnisse überprüft und korrigiert werden. Ich
erinnere auch daran: Es sind noch nicht alle Wahlergeb-
nisse bekannt. Es sind ja auch Regionalwahlen durchge-
führt worden. Ein ganz wichtiger Punkt ist, ob auch hier
solche Wahlmanipulationen stattfinden und die Ergeb-
nisse korrigiert werden. Die nächste Frage wird sein:
Wie wird die Präsidentschaftswahl durchgeführt?
Ich muss sagen: Ich war wirklich bitterlich ent-
täuscht – ich habe nicht viel erwartet, aber ich war den-
noch enttäuscht – über das, was Putin in der Fernsehdis-
kussion gesagt hat. Dieser Ministerpräsident, dieser Prä-
sidentschaftskandidat muss Kritik akzeptieren. Er muss
sie sozusagen auch fordern, weil das letztlich zu der Ent-
wicklung in Russland gehört,
und das verlangen wir vonseiten des Deutschen Bundes-
tages auch.
Deswegen finde ich es richtig, der Bundesregierung
zu sagen: Fordern auch Sie ihn, und sagen Sie ihm dies
deutlich! Ich finde, das kann man nicht nur hinter ver-
schlossenen Türen machen. Er muss lernen, mit Kritik
umzugehen und mit Menschen, die Kritik äußern wollen,
zu leben. In den heutigen Äußerungen gab es dafür lei-
der kein Zeichen, was man nach den Demonstrationen
hätte erwarten können.
le
w
d
fü
m
z
m
h
a
z
la
h
d
re
v
n
to
u
D
v
A
Ic
s
h
a
z
D
d
F
g
b
g
S
la
F
a
d
A
e
ih
uch das war kein gutes Signal an die russische Politik.
h finde, die Bundesregierung muss gegenüber der rus-
ischen Regierung nicht nur stärker demokratische Ver-
ältnisse einfordern, sondern insbesondere an ihre Ver-
ntwortung für die internationale Politik appellieren.
Sie haben jetzt vielleicht noch ein bisschen Zeit, dies
u tun. Ich wünsche mir das zumindest. Vonseiten des
eutschen Bundestages werden wir das weiter einfor-
ern.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Manfred Grund für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Auf dem Parteitag von Edinaja Rossija im Septem-
er hat Wladimir Putin in seiner Rede viel von Stabilität
esprochen. Er sprach von einem stabilen politischen
ystem und von einer stabilen Entwicklung, die Russ-
nd unter seiner Führung nehmen würde. Er hat die
rage gestellt: „Was sind unsere Ziele?“, und selbst be-
ntwortet: die Wahrheit, die Würde des Menschen und
ie Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Das Wahlergebnis, die Proteste nach der Wahl und die
rt und Weise, wie die russische Führung mit dem Wahl-
rgebnis bis heute umgeht, zeigen: Die Menschen trauen
rer politischen Führung nicht mehr. Sie lassen sich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17837
Manfred Grund
)
)
nicht mehr hinters Licht führen. Sie halten es für Potem-
kinsche Versprechen, dass Würde, Wahrheit und Gerech-
tigkeit als Ziele genannt wurden.
Die Proteste zeigen ein großes Misstrauen der Zivil-
gesellschaft gegenüber der politischen Führung und
auch, dass eine aufwachsende, sich selbst wieder wahr-
nehmende russische Zivilgesellschaft mit der gelenkten
Demokratie von Wladimir Putin nichts mehr anfangen
kann.
Dabei war Stabilität durchaus etwas, was Putin in sei-
nen ersten Jahren nach dem politischen und wirtschaftli-
chen Chaos der Jelzin-Zeit den Menschen in Russland
gebracht hat, Stabilität, die allerdings für viele Men-
schen in eine Stagnation hineinzuführen scheint. Auch
deswegen werden die Worte von Putin nicht mehr ernst
genommen.
Zudem herrscht Enttäuschung über Dmitrij Medwe-
dew, der angetreten ist, viele Dinge, viele Übel in Russ-
land zu benennen, der auch Abhilfe in Aussicht gestellt
hat, aber auf weniger als dem halben Weg steckengeblie-
ben ist. Auch diese Modernisierungsversprechen sind ins
Leere gelaufen. Es ist nichts daraus geworden. Das hat
mit – Herr Kollege Mützenich, Sie haben es angeführt –
zu den Enttäuschungen der Zivilgesellschaft über die
Regierenden geführt.
Nicht zuletzt hat die Art und Weise, wie auf dem Par-
teitag im September diese Rochade zwischen Medwedew
und Putin angekündigt und inszeniert wurde, hat dieses
Bäumchen-wechsel-dich-Spiel die Menschen regelrecht
beleidigt. Auch aus dieser Beleidigung heraus entwi-
ckelten sich die Proteste.
Die Frage an uns ist: Welche Auswirkungen können
dieses Wahlergebnis und der Umgang damit auf uns ha-
ben? Ich denke zum einen, wir müssen uns sorgen, dass
es durch die Legitimitätskrise, durch den Legitimitäts-
verlust zu einer defensiven Verhärtung des politischen
Systems kommen könnte. Das ist etwas, was man in
Russland durchaus befürchten muss.
Zum anderen sind die Proteste auf den Straßen Zei-
chen eines erstarkenden Mittelstands, einer erstarkenden
Zivilgesellschaft. Sie sind der Ausdruck einer selbstbe-
wusster werdenden Bürgergesellschaft. Das können wir
nur begrüßen. Das haben wir auch heute hier begrüßt.
Mehr Demokratie aber wird sich nicht automatisch
einstellen. Es wird ein Prozess sein, der aus der Gesell-
schaft heraus noch viel stärker wachsen muss. Deswegen
müssen wir uns auch klarmachen: Demokratie wird nicht
schlagartig einsetzen. Aber das, was jetzt zu beobachten
ist, ist auch für uns sehr ermutigend.
Wir müssen fordern, dass neue Strukturen, auch neue
Parteien, neue Bewegungen zugelassen werden, um sich
zu organisieren.
H
u
b
te
h
n
d
m
s
g
w
d
s
u
s
g
B
fu
p
n
m
T
a
a
R
b
k
te
o
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Förderung der Mediation und anderer
Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbei-
legung
– Drucksachen 17/5335, 17/5496 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/8058 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Sonja Steffen
Christian Ahrendt
Jörn Wunderlich
Ingrid Hönlinger
17838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Christian
Ahrendt für die FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Le-
sung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der
Mediation. Wir tun dies vor dem Hintergrund eines in
der vorletzten Sitzung des Rechtsausschusses einstim-
mig angenommenen Beschlussvorschlags. Der heutigen
Beschlussfassung ist eine intensive Beratung durch die
Fraktionen, die Berichterstatter und das Bundesministe-
rium der Justiz vorausgegangen. Ich darf mich für die
gute Beratung ganz herzlich bedanken. Denn wir verab-
schieden heute den Entwurf eines Gesetzes, das ein Mei-
lenstein in der außergerichtlichen Streitbeilegung in
Deutschland sein wird. Wir regeln dieses Gebiet das
erste Mal. Der Gesetzentwurf hat es verdient, die breite
Zustimmung des Hohen Hauses zu erfahren, sodass die
außergerichtliche Mediation starke Rückendeckung er-
hält.
Die Gesetzesberatungen wurden von einer Debatte
begleitet, die nach wie vor fortdauert. Die entscheidende
Frage lautet: Soll es neben der außergerichtlichen Me-
diation eine gerichtliche Mediation geben? Wir haben
von vielen Landesjustizministern gehört, dass das ge-
wünscht wird. Ich darf ganz offen sagen: Wenn man sich
das Gesetz genau anschaut, dann stellt man fest, dass es
weiterhin eine gerichtliche Mediation gibt. Wir haben sie
quasi in ein Güterichtermodell eingekleidet, das genauso
gut funktioniert und ausgestaltet ist wie das, was die
Länder in den vergangenen Jahren ohne rechtliche
Grundlage im Rahmen praktischer Tätigkeit mediativ an
den Gerichten geleistet haben.
Der Kernpunkt der gerichtlichen Mediation oder
– besser gesagt – des Güterichtermodells ist die Ände-
rung des § 159 der Zivilprozessordnung. Die Vertrau-
lichkeit der Mediationsverfahren wird weiterhin gewähr-
leistet. So darf beispielsweise ein Protokoll über eine
Güterichterverhandlung nur geführt werden, wenn beide
Parteien das wünschen, damit das, was dort in vertrauli-
cher Atmosphäre besprochen wird, nicht später durch
eine Zeugenvernehmung in einem Streitverfahren, das
notwendig werden würde, wenn man sich nicht vernünf-
tig hat einigen können, verwendet werden kann. Das ist
ein wichtiger und entscheidender Punkt. Deswegen ist es
falsch – das muss man an dieser Stelle ganz deutlich sa-
gen –, davon zu reden, mit diesem Gesetz werde die ge-
richtliche Mediation abgeschafft. Sie wird nicht abge-
schafft, sondern in ein neues Kleid gesteckt.
Der entscheidende Fortschritt ist, dass es daneben ein
klares Konzept für eine außergerichtliche Mediation, für
e
S
P
s
s
s
p
g
n
w
k
la
z
m
d
d
z
V
v
a
in
s
m
g
g
d
J
V
D
ri
fe
tu
s
a
je
E
h
s
in
h
E
G
M
fa
u
g
le
e
li
g
m
is
Über den nächsten Punkt haben wir sehr lange gerun-
en. Es geht um die Ausbildung. Wir haben die Ausbil-
ung im Mediationsgesetz stärker geregelt, als es das
ustizministerium ursprünglich wollte. Wir haben klare
orgaben gemacht, wie die Mediation aussehen soll.
enn wir wollen, dass die Menschen, die sich vorge-
chtlich an einen Mediator wenden, auf Personen tref-
n, die vernünftig ausgebildet sind, die wissen, was sie
n, die ihr Handwerk verstehen und dann in der Lage
ind, aufgrund ihrer Ausbildung eine Streitschlichtung
ußergerichtlich zu erreichen.
Es gibt einen weiteren Punkt. Wenn wir dieses Gesetz
tzt auf den Weg bringen, dann sind wir noch nicht am
nde. Wir sind an einem Punkt, bei dem es um Haus-
altsfragen geht. Wir wissen: Haushaltsfragen sind
chwierig,
sbesondere wenn es um das Thema der Mediations-
ilfe geht. Es kann nicht sein, dass die Mediation am
nde des Tages nur demjenigen zur Verfügung steht, der
eld hat. Vielmehr müssen wir überlegen, wie wir die
ediation als außergerichtliches Streitschlichtungsver-
hren auch denjenigen zugänglich machen, die nicht
nmittelbar über die finanziellen Möglichkeiten verfü-
en, sich einen Mediator oder ein Mediationsverfahren
isten zu können. Deswegen ist in den Gesetzentwurf
in Forschungsprojekt eingekleidet, mit dem die Mög-
chkeiten sondiert werden sollen, wie Mediation außer-
erichtlich gefördert werden kann. Das müssen wir ge-
einsam mit den Ländern machen, weil das eine Frage
t, die in erster Linie die Länderhaushalte tangiert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17839
Christian Ahrendt
)
)
Der letzte Punkt, auf den wir schauen müssen, ist,
dass wir das Gesetz einer Evaluierung unterwerfen.
Denn: Wir bringen ein neues Gesetz auf den Weg und
schaffen endlich einen strukturierten Rahmen für eine
außergerichtliche Streitbeilegung. Wir stärken die außer-
gerichtliche Mediation. Aber wir wissen auch, dass wir
damit noch nicht am Ende sind. Weil wir wissen, dass
dieser Weg noch weitergegangen werden muss und dass
wir an der einen oder anderen Stelle noch feilen müssen,
damit die außergerichtliche Mediation wirklich erfolg-
reich wird, haben wir gesagt: Wir wollen das Gesetz ei-
ner Evaluierung unterwerfen.
All diese Argumente zeigen, dass wir hier ein Kom-
pendium geschaffen haben, das ausgewogen ist und das
die Richter mit der gerichtsinternen Mediation in Form
des Güterichtermodells mitnimmt. Die Richter können
also sehen: Das, was sie früher in diesem Bereich an her-
vorragender Arbeit geleistet haben, können sie im Rah-
men des Güterichtermodells weiter leisten; das, was sie
als Mediatoren erlernt haben, geht nicht verloren, son-
dern kann weiter angewendet werden.
Wir schaffen auch den Regelungsrahmen für die Me-
diation als außergerichtliche Streitbeilegung. Diese au-
ßergerichtliche Streitbeilegung wollen wir stärken. Wir
wollen, dass die Menschen, bevor sie den Richter anru-
fen, versuchen, sich zu einigen und einen vernünftigen
Konsens herbeizuführen. In diesem Sinne ist der Gesetz-
entwurf ausgewogen. Er wird ein erfolgreiches Gesetz.
Ich hoffe, wir kommen heute in der zweiten und dritten
Beratung zu dem Ergebnis, zu dem auch der Rechtsaus-
schuss gekommen ist, und können diesen Gesetzentwurf
gemeinsam mit einer klaren Mehrheit verabschieden. Ich
danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns
noch gute Beratungen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Sonja Steffen für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Ahrendt, ich teile Ihre Euphorie. Wir Rechtspolitikerin-
nen und Rechtspolitiker feiern den heutigen Tag als ei-
nen kleinen Meilenstein in der Geschichte der Rechts-
politik – auch Sie haben das so gesagt –; denn in Zukunft
wird es ein Mediationsgesetz geben, das – so optimis-
tisch bin ich gerne – zu einer wesentlichen Verbesserung
der Streitkultur beitragen wird.
Mittlerweile haben 65 Prozent der Menschen in
Deutschland den Begriff der Mediation schon einmal ge-
hört. Sie verwechseln ihn auch nicht mehr mit der Me-
ditation. Im letzten Jahr waren es übrigens noch 8 Prozent
weniger. Das zeigt uns, dass die öffentliche Diskussion
über das Gesetzgebungsverfahren und auch die Tatsache,
dass inzwischen zwei Drittel der Rechtsschutzversiche-
re
M
s
g
n
fo
M
w
m
d
u
n
d
w
d
d
K
b
w
E
s
d
k
Ic
in
L
m
d
F
b
a
M
d
v
R
u
s
s
R
s
c
d
w
te
z
b
tu
w
R
M
Der vorliegende Gesetzentwurf legt über den Weg der
echtsverordnung Mindestvoraussetzungen für die Aus-
nd Fortbildung von Mediatoren fest. Denn selbstver-
tändlich braucht Mediation Qualität, um ihr Schattenda-
ein in Deutschland zu beenden.
Wir legen darüber hinaus fest, dass die ursprünglich im
egierungsentwurf vorgesehenen Unterscheidungen zwi-
chen gerichtsinterner, gerichtsnaher und außergerichtli-
her Mediation entfallen. Im Interesse einer Abgrenzung
er richterlichen Streitschlichtung von der Mediation
ird die gerichtsinterne Mediation in ein erweitertes Gü-
richtermodell überführt. Dieses Güterichtermodell soll
ukünftig nicht nur für die Arbeits- und die Zivilgerichts-
arkeit gelten, sondern beispielsweise auch für Verwal-
ngs-, Sozial- und Finanzgerichte.
An dieser Stelle – Kollege Ahrendt hat es schon er-
ähnt – gab und gibt es vonseiten der Richterinnen und
ichter, die in der Vergangenheit mit der richterlichen
ediation viele Erfolge erzielt haben, erhebliche Beden-
17840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Sonja Steffen
)
)
ken, die uns in den Berichterstattergesprächen viel Kopf-
zerbrechen bereitet haben. Aber wir erinnern uns: Die
gerichtsinterne Mediation war immer nur als Instrument
geplant, um der Mediation bei ihrer allgemeinen Einfüh-
rung zu helfen. Sie ist als Modell von Anfang an nicht
auf Dauer angelegt gewesen.
Ich meine, wir haben nun eine gute Lösung gefunden:
Durch das nun bundesweit installierte Güterichtermodell
wird einerseits Rollenklarheit geschaffen. Andererseits
bleibt aber die Möglichkeit erhalten, auch noch im lau-
fenden Gerichtsverfahren mithilfe des Güterichters eine
einvernehmliche Beilegung des Konfliktes zu erreichen.
Der Güterichter muss sich nicht – wie der frühere ge-
richtliche Mediator – jeder rechtlichen Bewertung ent-
halten, sondern er kann eine rechtliche Bewertung vor-
nehmen und den Parteien konkrete Vorschläge zur
Lösung des Konfliktes anbieten. Viele Parteien suchen
nach einem solchen Vorschlag. Der Güterichter ist damit
zukünftig zwar kein klassischer Mediator mehr, aber er
kann in der Güteverhandlung zahlreiche Methoden der
Mediation einsetzen.
Die Richtermediatoren haben in den letzten Jahren
bereits einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der Me-
diation geleistet. Die Erfahrung, die hier an vielen Ge-
richten erlangt wurde, kann bei dem neuen Güterichter-
modell weiter genutzt werden. Es liegt nun in der Hand
der jeweiligen Gerichte, dieses Modell mit Leben zu fül-
len.
Der letzte Punkt, der meiner Fraktion besonders wich-
tig war, war die Einführung der Mediationskostenhilfe.
Diese hat zu unserem Bedauern keinen verbindlichen
Eingang in den Gesetzentwurf gefunden, sondern es ist
lediglich die Möglichkeit eines Forschungsvorhabens
zwischen Bund und Ländern vorgesehen. Dabei ist es
meiner Meinung nach ein verfassungsrechtlicher Auf-
trag, für eine Angleichung der Situation von wohlhaben-
den und mittellosen Personen im Bereich des Rechts-
schutzes zu sorgen.
Den ärmeren Parteien wird durch die fehlende Mög-
lichkeit der Mediationskostenhilfe eine wesentliche
Chance der Rechtewahrnehmung genommen. Im Famili-
enrecht kann man dies vielleicht mithilfe des § 135
FamFG kompensieren; denn darin ist die Möglichkeit
der kostenfreien Mediation vorgesehen. In allen anderen
Bereichen geht dies gegenwärtig aber nicht.
Ich hoffe, dass dieses Forschungsvorhaben erfolg-
reich durchgeführt wird und dass wir dann in Zukunft,
nach der Evaluierung des Gesetzes, vielleicht auch die
Mediationskostenhilfe gesetzlich einführen können.
Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass wir mit der
außergerichtlichen einvernehmlichen Streitschlichtung
nicht nur eine viel größere Zufriedenheit der Parteien
erreichen, sondern wahrscheinlich auch Kosten der ge-
richtlichen Auseinandersetzung einsparen werden. Da-
h
li
g
fü
m
ri
s
u
b
s
F
R
le
d
a
d
b
u
s
z
a
d
c
is
v
w
te
m
u
fr
n
F
v
ri
m
e
re
S
z
R
d
Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
echtspolitiker – das wissen alle, die anwesend sind –
iden immer darunter, dass unsere Debatten meistens in
en späten Abendstunden bzw. zu einer nicht unbedingt
ttraktiven Plenarzeit stattfinden. Auch heute ist es
urch die Verschiebung relativ spät geworden. Die De-
atte war zu einem früheren Zeitpunkt geplant. Es ist gut
nd richtig, einmal zu einer etwas früheren Zeit über die-
es so wichtige Thema diskutieren zu können.
Wir kennen den Spruch, dass jeder vermiedene Pro-
ess ein guter Prozess ist. Diese Aussage ist nicht nur
llgemein anerkannt, sondern mit der Verabschiedung
es heutigen Gesetzentwurfs leisten wir zur Verwirkli-
hung dieses Ziels einen ganz wesentlichen Beitrag. Das
t gut und richtig so. Der Kollege Ahrendt erwähnte
orhin, dass wir mit der Verabschiedung des Gesetzent-
urfs einen Meilenstein auf dem Weg zu einer veränder-
n Streitkultur in Deutschland setzen. Auch das kann
an nur unterstreichen.
Die Deutschen sind nicht nur ein Volk der Dichter
nd Denker, sondern sie gelten auch als besonders streit-
eudig. Konflikte zwischen Nachbarn, zwischen Teil-
ehmern am Straßenverkehr, aber auch innerhalb von
amilien münden nicht selten in ausweglose Gerichts-
erfahren, weil man meint, mit der Befassung der Ge-
chte recht zu bekommen. Solche Streitigkeiten werden
eist bis zum bitteren Ende ausgetragen. Selbst wenn
in rechtskräftiges Urteil einer Seite in der Sache formal
cht gibt, sind oftmals alle Seiten Verlierer. Der Kollege
ilberhorn aus meiner Fraktion hat in der ersten Lesung
u diesem Gesetzentwurf gesagt, dass die Klärung einer
echtsfrage eben leider nicht immer mit der Befriedung
er Parteien einhergeht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17841
Andrea Astrid Voßhoff
)
)
Vor diesem Hintergrund können Mediatoren helfen,
Konflikte auf andere Art und Weise als durch ein Urteil
zu beenden, nämlich in einem Verfahren, in dem die Par-
teien mit Unterstützung des Mediators – das ist schon
gesagt worden – nach einer Lösung suchen und diese
dann – das ist besonders wichtig – eigenverantwortlich
ausgestalten und besiegeln. Damit können Streitigkeiten
häufig frühzeitiger, friedlicher und nachhaltiger gelöst
werden als mit einem Urteil.
Frühzeitiger deshalb, weil eine Lösung gefunden
wird, bevor ein Rechtsstreit eskaliert und sich zwingend
Anwälte und Richter damit befassen müssen; friedlicher,
weil die Parteien selbst Herr des Verfahrens sind und da-
her eine Lösung, wenn sie denn gefunden wird, bewusst
akzeptieren; nachhaltiger, weil eine dem äußerlichen
Konflikt zugrunde liegende Interessenlage und Span-
nungslage erkannt, aber auch – das ist wichtig – gelöst
wird.
Dass Mediation kein Allheilmittel ist und nicht auf
alle Fälle passt, ist sicherlich nachvollziehbar. Mit Inte-
resse nehmen wir zur Kenntnis, dass die Berliner Grünen
die Mediation in der Politik gerade intern testen, interes-
santerweise, meine Damen und Herren Kollegen von
den Grünen, gar mit zwei Mediatoren. Wir haben gesagt,
dass wir nach geraumer Zeit die Entwicklung dieses Ge-
setzes evaluieren werden. Wir schauen also mit sehr viel
Sorgfalt darauf, wie das mit zwei Mediatoren bei den
Berliner Grünen klappt.
Was wir heute verabschieden – das ist hier schon von
meinen Vorrednern gesagt worden, und ich muss es nicht
in aller epischen Breite wiederholen –, nämlich in erster
Linie die Installierung der außergerichtlichen Mediation,
ist ein sehr wichtiger und wesentlicher Schritt. Es ist gut
und richtig, dass wir in dieser Frage über die EU-Richtli-
nie, die das nur für grenzüberschreitende Rechtsstreitig-
keiten vorsah, hinausgehen.
Ich möchte in der Kürze der mir zur Verfügung ste-
henden Zeit aber auch noch einmal betonen – der Kol-
lege Ahrendt und die Kollegin Steffen haben es vorhin
gesagt –: Uns ereilen im Zusammenhang mit diesem Ge-
setzgebungsverfahren, das heute zum Abschluss kommt,
auch kritische Bemerkungen, insbesondere der Länder-
justizminister. Mit Verlaub, über das eine oder andere
Schreiben ärgert man sich als Parlamentarier schon – je-
denfalls von der inhaltlichen Diktion her –, weil der Ein-
druck erweckt wird, die gerichtsinterne Mediation werde
ersatzlos abgeschafft, und das stimmt schlicht nicht.
Richter, die bisher als Mediatoren tätig waren, können
ihre Erfahrung, ihr Wissen in dieser Frage im erweiterten
Güterichtermodell – das ist hier von den Kolleginnen
und Kollegen schon gesagt worden – weiterhin mehr
oder weniger einbringen. Demzufolge ist es misslich
– man muss es ja nicht gut finden, was wir hier
machen –, den Eindruck zu erwecken, wir schafften die
gerichtliche Mediation ab. Aber genau das ist nicht der
Fall.
g
p
d
w
re
te
b
G
m
in
F
M
e
d
ic
n
d
M
g
h
im
fü
K
d
e
d
s
a
v
A
ru
fa
M
w
b
B
J
g
s
L
D
li
Wenn wir die gerichtsinterne Mediation, also das ei-
entliche Instrument der Mediation, als neues Leistungs-
aket in die Justiz integriert hätten, dann hätten wir auch
ie Frage der Kostenregelung im Sinne der Wettbe-
erbsgleichheit mit der außergerichtlichen Klärung
geln müssen. Gerade das wollten wir nicht, auch im In-
resse der Bürgerinnen und Bürger, die von dem Ange-
ot, das wir künftig zur Verfügung stellen, nachhaltig
ebrauch machen sollen.
Demzufolge ist es nur zu begrüßen – vieles ist von
einen Vorrednern gesagt worden –, dass dieses Gesetz
einem guten halben Jahr sehr intensiv beraten wurde.
rau Ministerin, wir hatten eine gute Vorgabe aus dem
inisterium. In erster Linie darf ich meinem Bericht-
rstatterkollegen von der FDP, Herrn Ahrendt, aber auch
em Kollegen Sensburg ganz herzlich danken, die, wie
h glaube, einen guten Entwurf aus dem Ministerium
och besser gemacht haben. Offenbar ist der heute in
iesem Hause vorgelegte Gesetzentwurf, auch dank der
itberatungen der Berichterstatter der Opposition, so
ut, dass er hoffentlich – wie im Rechtsausschuss –
eute einstimmig angenommen wird. Auch das ist nicht
mer an der Tagesordnung. Es könnte ein gutes Vorbild
r weitere Initiativen sein. Die Opposition kritisiert die
oalition oft genug für das, was sie vorlegt. Angesichts
essen ist das beste Lob für die Arbeit der Koalition die
instimmige Zustimmung zu einem Gesetzentwurf. In
iesem Sinne kann ich nur hoffen und wünschen, dass es
o kommt.
Ich bitte auch das Justizministerium, für dieses Gesetz
ktiv in Form von Informationsbroschüren und Offensi-
en zu werben. Die Kollegin Steffen sagte es: Nach einer
llensbach-Studie können nur 65 Prozent der Bevölke-
ng zumindest etwas mit dem Begriff „Mediation“ an-
ngen. Ich habe aber auch gelesen, dass 41 Prozent der
ediation skeptisch gegenüberstehen. Deshalb sollten
ir für dieses hervorragende Gesetz sehr offensiv wer-
en – da setze ich auch auf das BMJ –, damit es bei den
ürgern Akzeptanz findet. Vielleicht können wir in fünf
ahren im Großen und Ganzen zufrieden feststellen, wie
ut es war, dass wir heute einstimmig ein sehr gutes Ge-
etz auf den Weg gebracht haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Jens Petermann für die Fraktion Die
inke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Was lange währt, sollte schlussend-
ch gut werden. Diese Formel kann man mit Fug und
17842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Jens Petermann
)
)
Recht auch für das heute zu Ende gehende Gesetzge-
bungsverfahren bemühen. Es wird hoffentlich heute sei-
nen Abschluss im Bundestag finden; ich bin da sehr op-
timistisch.
Frau Ministerin, der Entwurf aus Ihrem Haus ist ge-
genüber der ursprünglichen Drucksache so weit nachge-
bessert, dass heute auch die Linke zustimmen kann. Das
hatte ich bereits in der ersten Lesung in Aussicht gestellt,
und da lasse ich mich gern beim Wort nehmen.
Der vorliegende Text ist ein Kompromiss, der die In-
teressen der Beteiligten weitgehend berücksichtigt und
vor allem aufgrund wesentlicher Impulse aus dem Parla-
ment selbst zustande gekommen ist. Daher lohnt sich ein
Blick in die Historie.
Am 21. Mai 2008 erteilten der Europäische Rat und
das Europäische Parlament den Mitgliedsländern den
Auftrag, für grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil-
und Handelssachen den Zugang zur Mediation zu för-
dern und innerhalb von drei Jahren ein entsprechendes
Landesgesetz auf den Weg zu bringen. Am 4. August
2010 veröffentlichte das Ministerium dann den ersten
Referentenentwurf, dem acht Monate später ein durchaus
ambitionierter Gesetzentwurf folgte. Im Rechtsaus-
schuss führten wir dann zeitnah eine Sachverständigen-
anhörung durch, der sodann eine Reihe von Bericht-
erstattergesprächen folgte.
Mit dem jetzt vorliegenden Änderungsantrag hat die
Koalition die Vorschläge der Berichterstatter weitgehend
aufgegriffen und umgesetzt. Eingeflossen ist dabei übri-
gens auch ein Entschließungsantrag der Linksfraktion
vom 11. April 2011. Zentrale Fragen der Berufsausbil-
dung, der -zulassung und -ausübung sowie der Fort- und
Weiterbildung der Mediatoren sind nunmehr sachgerecht
geregelt. Die für die sachkundige Durchführung der Me-
diation erforderliche Qualifikation wird damit zukünftig
gewährleistet sein.
Mit der geplanten Zertifizierung, einer Art TÜV für
Mediatoren, wird es außerdem bundesweit einheitliche
Standards geben. Hinsichtlich der bislang unzureichend
beantworteten Frage der Mediationskosten zeigt § 7 des
Entwurfs in Anlehnung an die Regelungen zur Prozess-
kostenhilfe einen Weg zur Förderung der Mediation auf.
Die Zuweisung von Bundesmitteln ist daran geknüpft,
dass zwischen dem Bund und den Ländern Forschungs-
vorhaben vereinbart werden, auf deren Grundlage dann
im Einzelfall eine Mediationskostenhilfe gezahlt werden
kann. Ob tatsächlich ein Rechtsanspruch des Hilfebe-
dürftigen besteht, ergibt sich daraus leider nicht. Er ist
damit nicht hundertprozentig gewährleistet. Es bleibt
aber zu hoffen, dass der Bund ausreichende Mittel zur
Verfügung stellt und die Länder sodann auf diese Mittel
auch zurückgreifen. Sollte dies nicht gelingen, droht eine
soziale Schieflage, da der Zugang zur Mediation für so-
zial Schwache erschwert würde.
Die bisherige Regelung in § 4 zur Verschwiegenheits-
pflicht wirft eine Reihe von Auslegungsfragen auf, zum
Beispiel, ob ein als Zeuge benannter und geladener Me-
diator allgemein nach dem Prozessrecht aussagen muss.
Außerdem gibt es Unterschiede zwischen anwaltlichen
u
d
Z
fü
s
k
U
g
s
d
h
R
S
m
c
ti
u
ti
e
fü
z
ti
a
d
b
c
d
K
G
b
d
a
li
fä
M
m
s
g
is
ri
E
re
n
d
n
R
s
T
c
d
d
g
d
s
h
)
dem Verfassungsrecht zu erörtern. Da sehe ich mich mit
Ihnen einig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Denn eines hat die parlamentarische Diskussion um
den vorliegenden Gesetzentwurf gezeigt: Nur verständ-
nisvolles Zuhören und Eingehen auf die Argumente des
jeweils anderen können zu einem Interessenausgleich
führen. In diesem Sinne ist das heute zu beschließende
Gesetz eine kleine Erfolgsgeschichte und darf sich auch
unserer Zustimmung erfreuen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun Ingrid Hönlinger für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin! Der heutige Tag ist ein Festtag. Der
heutige Tag ist ein Feiertag für alle Bürgerinnen und
Bürger, die in unserem Land eine andere Konfliktkultur
und eine bessere Streitkultur wollen.
Mit der Verabschiedung dieses ersten Gesetzes zur För-
derung der Mediation und anderer Verfahren der außer-
gerichtlichen Konfliktbeilegung in Deutschland läuten
wir eine neue Ära im Bereich alternativer Konfliktlösun-
gen ein.
Wenn wir dieses Gesetz mit seinen Chancen in der
Praxis ausschöpfen, haben wir ungeahnte Möglichkei-
ten, das Rechtsempfinden unserer Bürgerinnen und Bür-
ger nachhaltig zu stärken. Wir ermöglichen Konfliktpart-
nern – ob Einzelpersonen, Unternehmen oder Verwal-
tungen – die Anwendung eines neuen zwischenmensch-
lichen und juristischen Koordinatensystems. Mit diesem
Gesetz erleichtern wir Konfliktpartnern, die Lösung ih-
res Konflikts selbstverantwortlich in die eigene Hand zu
nehmen.
Ich sage – und das auch als Juristin – mit großer
Überzeugung: Wir haben in Deutschland eines der bes-
ten juristischen Systeme. Und: Es gibt Konfliktfälle, die
brauchen eine klare und konsequente Aufarbeitung in ju-
ristischer Hinsicht. Aber: Nicht jeder Konfliktfall ist ein
juristischer Konflikt. Bei unseren Gerichten landen jedes
Jahr Zigtausende von Gerichtsverfahren, die im Kern
keinen juristischen, sondern einen anderen Lösungsweg
brauchen.
Wir alle wissen doch aus eigener Lebenserfahrung
– ganz gleich, welchen Beruf wir haben –: Es geht sehr
oft ums Prinzip. Sprachlosigkeit führt häufig zum Recht-
habenwollen, und dann geht es nicht mehr darum, die
beste Lösung zu finden. An dieser Stelle können Media-
toren helfen, das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
Denn bei Konflikten gilt der Satz von Paul Watzlawick:
„
D
F
b
T
M
s
n
d
te
d
g
te
n
s
d
K
b
k
fr
W
s
e
d
te
u
P
k
s
S
–
E
h
g
–
U
h
s
M
d
G
ju
im
s
w
a
p
g
s
)
diatorenwahl und Einbeziehung von Stakeholdern –
braucht aber ihren eigenen privatautonomen Raum und
Rahmen. Diese Erkenntnis haben wir im Laufe der Bera-
tungen gewonnen. Deshalb müssen wir hier auch be-
grifflich eindeutig und unmissverständlich sein, und wir
müssen dafür sorgen, dass keine unnötigen Konflikt-
linien entstehen.
Deshalb möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, und auch die verehrten Richterinnen und Richter
bitten, diese Entscheidung mitzutragen und auch in die
Länder zu kommunizieren. Richter, die Mediation als al-
ternative Konfliktlösung praktizieren wollen, können
das im Rahmen ihrer richterlichen Kompetenz weiterhin
tun. Einen Streit um Worte sollten wir hier wirklich nicht
entfachen.
Meine Damen und Herren Kollegen, mit dem Media-
tionsgesetz gehen wir einen großen Schritt nach vorn.
Weitere müssen zügig folgen. Die nächste große Heraus-
forderung besteht in der Einführung einer Mediations-
kostenhilfe. Es ist, wie wir alle wissen, so: Streitparteien,
die sich Gerichtsverfahren finanziell nicht leisten kön-
nen, haben Anspruch auf Prozesskosten- oder Verfahrens-
kostenhilfe. Mit der Mediationskostenhilfe sollten wir
dafür sorgen, dass Mediation für alle – unabhängig vom
Einkommen – möglich ist. Wir sehen hier eine erhebli-
che Chance zur Entlastung der Gerichte und auch zur
Kostendämpfung. Deshalb wäre es wünschenswert, dass
sich möglichst viele Bundesländer möglichst schnell an
den Forschungsvorhaben zur Mediationskostenhilfe, die
wir im Gesetz auch vorgesehen haben, beteiligen. Der
Erfolg des Gesetzes hängt davon ab, dass die Justiz in
den Ländern die neuen Chancen und Möglichkeiten die-
ses Gesetzes zielstrebig nutzt.
Mit diesem Mediationsgesetz haben wir das momen-
tan Bestmögliche erreicht. Wir stellen hier dem Hoheits-
akt der Konfliktaustragung durch eine Entscheidung des
Gerichts eine alternative, konsensuale und selbstregulie-
rende Form der Konfliktlösung zur Seite. Damit schaf-
fen wir eine Win-win-Situation für die Bürgerinnen und
Bürger, die Gerichte und die Mediatoren. Damit eröffnen
wir allen die Möglichkeit, Konflikte auf neue Art zu lö-
sen.
Ich danke ganz herzlich allen: der Ministerin, ihren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und
Kollegen im Rechtsausschuss und den Verbänden. Ihnen
allen danke ich dafür, dass wir in einer überfraktionellen
und sachorientierten Zusammenarbeit ein gutes Gesetz
geschaffen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Patrick Sensburg für die CDU/
CSU-Fraktion.
M
D
e
D
d
te
u
W
li
s
g
E
d
u
e
d
T
u
b
d
E
d
v
lu
te
C
v
P
te
d
w
g
K
S
la
la
d
w
d
d
rü
R
li
w
h
u
b
Das Gesetz ist eine Weichenstellung – ja! –; aber Me-
iation ist nun wirklich kein neues Verfahren. Es ist für
ns neu, dass wir es jetzt in Gesetzesform gießen; aber
s geht hier um ein Verfahren, das sich viele Jahrhun-
erte, teilweise Jahrtausende zurückverfolgen lässt:
Bereits im Jahre 594 vor Christus gab es in Athen den
itel „Archon und Diallaktes“, also höchster Beamter
nd zugleich Schiedsrichter oder, wie man vielleicht
esser sagen sollte, Versöhner. Auch da findet sich schon
er Gedanke, dass es nicht immer nur kontradiktorische
ntscheidungen geben darf, sondern es Interessen gibt,
ie man besser zum Ausgleich bringt, wenn man den
ersöhnenden Ansatz wählt.
Es wäre auch beim Westfälischen Frieden nicht ge-
ngen, die unterschiedlichsten Interessen der Kriegspar-
ien in Einklang zu bringen, wenn es nicht Alvise
ontarini gegeben hätte, der dies geschafft hat, weil er
on allen Parteien anerkannt war und das Vertrauen der
arteien genoss, an dieser Stelle einen Ausgleich der In-
ressen zu erreichen.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hat der Gedanke
er Mediation, des Ausgleichs der Interessen gerade im
irtschaftlichen Bereich, in den Vereinigten Staaten Fuß
efasst, um einen besseren Weg zu finden und, wie es
ollegin Hönlinger gerade gesagt hat, zu einer Win-win-
ituation zu kommen, also nicht eine Partei obsiegen zu
ssen und die andere unzufrieden von dannen ziehen zu
ssen, sondern herauszuarbeiten, wo in einem Konflikt
ie wirklichen Interessen liegen, und dann möglicher-
eise – in vielen Fällen, in viel mehr Fällen, als man
enkt, geht das – zu einem Ergebnis zu kommen, bei
em beide Parteien erkennen, dass ihre Interessen be-
cksichtigt worden sind.
Auch die Europäische Union hat beim Europäischen
at von Tampere 1999 erkannt, dass die außergericht-
che Streitbeilegung in den Mitgliedstaaten befördert
erden muss. Über einzelne Schritte, vom Grünbuch bis
in zur Richtlinie, die wir heute mit leichter Verspätung
msetzen wollen, ist es gelungen, diesen neuen Weg zu
eschreiten und diese Weichenstellung vorzunehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17845
Dr. Patrick Sensburg
)
)
Was ist nun das Besondere an diesem Gesetz? Es ist
schon an vielen Stellen angesprochen worden: Das Be-
sondere ist die Entscheidung, die außergerichtliche Streit-
beilegung bzw. Mediation zu stärken und zu sagen: Wir
wollen bundesweit ein Güterichtermodell etablieren und
wissen, dass auch in diesem Rahmen alle mediativen
Elemente, die bisher in vielen guten Projekten in den
Bundesländern angewendet worden sind, angewendet
werden können.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bank des Bundesra-
tes heute etwas besser gefüllt wäre.
Denn es gab im Vorfeld viele Diskussionen, Anrufe und
Schreiben. Ich wundere mich, dass die Bundesratsbank
heute leider nicht voll besetzt ist.
Gleichzeitig muss ich aber sagen: In den Gesprächen,
die ich geführt habe, ist deutlich geworden, dass die
Bundesländer erkannt haben, dass dieser Gesetzentwurf
sehr ausgewogen ist, dass die Fähigkeiten und Kompe-
tenzen, die im Rahmen der Projekte, die gute Arbeit ge-
leistet haben, die die Mediation vorangebracht haben,
weil Richter dafür begeistert worden sind, entwickelt
worden sind, auch in Zukunft genutzt werden können.
Dafür haben wir gesorgt; auch das war uns wichtig.
Die Alternative wäre nämlich ein Kostenmodell ge-
wesen. Dazu haben wir am 25. Mai eine Anhörung
durchgeführt, auf der die Experten und Sachverständi-
gen die Meinung geäußert haben, dass ein Kostenmodell
nicht der bessere Weg ist. Dies entspricht der Rückmel-
dung aus den Bundesländern, dass hier das Güterichter-
modell zu bevorzugen ist. Wir haben schon die Hoff-
nung, dass die mediativen Elemente auch weiterhin von
den Richtern genutzt und gefördert werden.
Die Kollegin Steffen und der Kollege Petermann ha-
ben es gesagt: Wir dehnen die Mediation auch auf die
Bereiche aus, in denen teilweise Skepsis herrschte: auf
die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Finanzgerichtsbar-
keit und die Arbeitsgerichtsbarkeit. Denn wir wissen:
Mediation ist ein freiwilliges Verfahren; wenn die Par-
teien die Mediation nicht akzeptieren, können sie gar
nicht dazu gezwungen werden. Insofern ist es gut, diese
Chance in jedem Bereich zu eröffnen, also zu sagen:
Wenn Interessen im Rahmen einer Mediation zum Aus-
gleich gebracht werden können, dann nutzen wir die
Chancen, die uns das Mediationsverfahren bietet.
Wir haben versucht, die Brüche, die natürlich vorhan-
den sind, weil Güterichtermodell und Mediation nicht
eins zu eins das Gleiche sind, möglichst gering zu halten,
und zwar – das hat der Kollege Ahrendt angesprochen –
durch § 159 Abs. 2 ZPO, wo wir sagen: Wenn die Be-
sorgnis besteht, dass die Vertraulichkeit, die bei der Me-
diation gegeben ist, im Güterichtermodell nicht gegeben
is
P
s
M
k
d
d
z
ti
s
n
g
e
s
d
w
k
n
D
V
ro
w
m
ru
e
w
u
M
w
M
d
a
z
d
h
E
Ic
s
d
Ic
v
ra
m
a
e
K
c
n
b
Wir wollen die Qualitätssicherung durch Mindest-
tandards erreichen. Über Mindeststandards kann man
atürlich hinausgehen. Wir haben uns auf 120 Stunden
eeinigt. Hinzu kommen hinterlegte Inhalte, die wir in
iner Verordnung regeln wollen, die es noch zu verab-
chieden gilt. Wir haben auch Sorge dafür getragen, dass
ie Altfälle, die bisherigen Mediatoren, berücksichtigt
erden, die bisher noch nicht die 120 Stunden erreichen
onnten, um sich zertifizierter Mediator nennen zu kön-
en, in der Praxis bisher aber gute Arbeit geleistet haben.
iese erfahren damit auch Anerkennung.
Wir haben eine weitere Änderung im Bereich der
ollstreckbarkeit vorgesehen – eines der drei Vs der eu-
päischen Richtlinie –, indem wir gesagt haben: Wir
ollen die Vollstreckbarkeit über die bestehenden Nor-
en der ZPO erreichen, nämlich durch die Protokollie-
ng bei einem deutschen Gericht, die Beurkundung bei
inem Notar oder die Vereinbarung in Form eines an-
altlichen Vergleichs. Damit erfüllen wir die Richtlinie
nd erreichen die Vollstreckbarkeit der im Rahmen der
ediation erzielten Ergebnisse. Das ist eine sehr ausge-
ogene Regelung, die dem Mediationsgesetz und der
ediationsrichtlinie Rechnung trägt.
Ich möchte an dieser Stelle allen Berichterstattern für
ie exzellente Zusammenarbeit danken. Wir haben über
lle Fraktionen hinweg das Ziel gehabt, ein gutes Gesetz
u verabschieden. Ich möchte Herrn Kollegen Ahrendt
anken, dass er immer wieder auf die Frage wert gelegt
at: Wer zertifiziert die Zertifizierer?
r hat auch die Qualitätssicherung im Blick behalten.
h möchte der Kollegin Steffen danken, die dafür ge-
orgt hat, dass wir die Mediationskostenhilfe nicht aus
en Augen verlieren.
h möchte der Kollegin Hönlinger danken, die sich auf
erschiedene Fragen konzentriert hat, zum Beispiel da-
uf, welche Ausbildung die Zertifizierer mitbringen
üssen. Sie hat auf die Qualitätssicherung geachtet und
uch auf die Beantwortung der Frage, wie lange es dau-
rn wird, bis wir das neue Modell einführen können. Der
ollege Petermann hat auch noch in den letzten Gesprä-
hen auf die wissenschaftlichen Forschungsvorhaben
ach § 6 hingewiesen. Alle Fraktionen haben sich einge-
racht. Dieses Ergebnis wäre nicht erzielt worden, wenn
17846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Patrick Sensburg
)
)
das Bundesministerium der Justiz uns nicht immer wie-
der in Bezug auf unsere Wünsche zugearbeitet hätte. So
ist in der Gesamtheit ein exzellentes Gesetz zustande ge-
kommen. Zum Abschluss schließe ich mich meinen Vor-
rednern an. Jetzt liegt es an den Verbänden und den Me-
diatoren, daraus gelebte Praxis zu machen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist so richtig schön vorweihnachtlich, dass wir uns
alle so einig sind und uns gegenseitig so sehr loben.
Witz beiseite: Das Gesetz ist wirklich Grund genug,
dass wir uns gemeinsam loben und unsere Freude da-
rüber zum Ausdruck bringen; denn der Gesetzentwurf,
den wir heute abschließend beraten, ist ein hervorragen-
des Beispiel für gute Rechtsetzung. Darauf können wir
hier im Deutschen Bundestag richtig stolz sein. Das ist
in der bisherigen Debatte auch zum Ausdruck gekom-
men.
Da ich selbst keine Berichterstatterin war, schließe
ich mich ausdrücklich dem Dank an alle Berichterstatter
an. Ich habe das alles staunend aus einiger Entfernung
beobachtet. Ich finde, es ist Hervorragendes geleistet
worden; denn das Gesetz ist entscheidend verbessert
worden.
Auch als Europapolitikerin habe ich mich sehr gefreut
– ich schließe an das an, was Herr Sensburg schon ge-
sagt hat –; denn der vorliegende Gesetzentwurf ist ein
gutes Beispiel für die vollständige und gelungene Um-
setzung einer europäischen Richtlinie. Da wir in diesen
Tagen so wenig gute Nachrichten aus Europa erhalten
– wenn ich das hier so sagen darf –, finde ich es wichtig,
zu betonen, dass das Gesetz einen Beitrag dazu leistet,
das Recht in Europa fortzuentwickeln, und dass wir
nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa
durch gemeinsame Regeln einheitliche, gesetzliche Stan-
dards für die Mediation sichern. Auch das ist ein Grund,
Freude zum Ausdruck zu bringen.
Ich finde nicht nur die Inhalte vorbildlich, sondern
auch den Prozess. Wir haben hier im Deutschen Bundes-
tag unsere Verantwortung wahrgenommen. Wir haben
einen Gesetzentwurf der Bundesregierung unter Berück-
sichtigung der Anregungen des Bundesrates – dessen
Vertreter heute leider nicht da sind, aber bestimmt wird
das, was wir hier zum Ausdruck bringen, verfolgt – und
vor allen Dingen unter Einbeziehung zahlreicher Exper-
tinnen und Experten entscheidend weiterentwickelt und
verbessert.
s
d
s
K
u
w
W
lu
d
te
n
M
ti
s
u
d
d
F
s
ru
M
c
w
s
g
Ih
c
d
d
w
d
re
d
D
g
D
h
w
g
W
je
n
A
w
th
ti
c
d
k
e
Diese Regelung steht auch im Einklang mit Art. 12
es Grundgesetzes. Auch darüber wurde im Vorfeld dis-
utiert. Ich begrüße ganz ausdrücklich, dass der Gesetz-
ntwurf in einem Arbeitskreis erarbeitet worden ist und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17847
Dr. Eva Högl
)
)
das Justizministerium über § 6 die Möglichkeit hat, nä-
here Bestimmungen über die Aus- und Fortbildung in
Form einer Rechtsverordnung zu erlassen. Das, was wir
jetzt schon vereinbart haben, die Mindeststundenzahl
von 120 Stunden für die Ausbildung, ist – Herr
Sensburg, Sie haben das schon gesagt – ein Mindeststan-
dard. Ich meine, wir können an der einen oder anderen
Stelle noch etwas hinzupacken, wenn es um eine spe-
zielle Qualifikation oder den Nachweis von praktischer
Erfahrung geht, etwa um Supervision. Das ist sicherlich
noch etwas ausbaufähig, aber ich bin auf jeden Fall sehr
froh, dass wir uns entschieden haben, das in dieser Art
und Weise zu regeln.
Ich begrüße ganz ausdrücklich auch § 8 des neuen
Gesetzes, die Berichtspflicht. Ich habe mich sehr ge-
freut, dass die Aus- und Fortbildung explizit erwähnt
wird, dass nicht nur gesagt wird: „Wir evaluieren das
Gesetz“, sondern direkt hineingeschrieben worden ist:
„Wir achten dabei auch auf die Aus- und Fortbildung“,
und das Justizministerium in fünf Jahren darüber Bericht
erstatten muss. Wir alle werden sicherlich ganz genau
hinschauen, wie sich das entwickelt, und dann gemein-
sam schauen, ob die Regelungen, die wir heute vereinba-
ren, ausreichen oder noch etwas verbessert werden müs-
sen.
Ich finde auch den Vorschlag, der in der Diskussion
ist, eine Institution damit zu beauftragen, auf die Aus-
und Fortbildung genau zu achten und zu schauen, wie
die beteiligten Akteure agieren, gut. Eine Stiftung dafür
einzurichten, halte ich für eine gute Idee. Ich finde, das
sollten wir in der weiteren Debatte auf jeden Fall noch
einmal besprechen.
Ich will ganz kurz auf die Richtlinie hinweisen. Ich
bin der Auffassung, wenn wir § 5 nicht so formuliert hät-
ten, wie wir ihn formuliert haben, dann hätten wir die
Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Das wird
deutlich, wenn man sich die Richtlinie ganz genau an-
schaut. Die Richtlinie schreibt ganz klar vor, dass wir die
Qualitätskontrolle sichern müssen und die Mediation für
die Parteien wirksam, unparteiisch und sachkundig
durchgeführt werden muss und das im Zusammenhang
mit der Aus- und Fortbildung zu sehen ist. Deswegen
freue ich mich, dass wir bei der Umsetzung der Richtli-
nie keinen Punkt offengelassen haben.
Also: ganz viel Freude, ganz viel Zufriedenheit und
ein schönes Gesetz, dem die SPD auf jeden Fall – so hat
es meine Kollegin Sonja Steffen gesagt – heute sehr
gerne zustimmt. Ich möchte uns gemeinsam ermuntern,
weiter an den Themen Qualitätssicherung und -kontrolle
im Bereich Aus- und Fortbildung zu arbeiten und das
Gesetz in diesem Sinne, wenn nötig, weiterzuentwi-
ckeln. Wir haben durch die Evaluierung die Möglichkeit
dazu. Heute können wir ein bisschen stolz sein. Die
Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker können an die-
ser Stelle zufrieden in die Weihnachtspause gehen.
Herzlichen Dank.
F
H
s
n
d
H
w
ri
a
is
M
h
g
h
z
A
re
z
U
V
a
W
e
ti
J
b
g
b
M
s
n
s
R
la
e
a
R
g
te
in
s
g
ti
s
F
b
li
ier waren hervorragende Mediatoren am Werk, denen
ir zu Dank verpflichtet sind. Das gilt für die beiden Be-
chterstatter der Koalitionsfraktionen, aber natürlich
uch für die Berichterstatter der Opposition. Dank aller
t ein gutes Gesetz zustande gekommen. Ihnen, Frau
inisterin, gebührt Dank dafür, dass die Initiative über-
aupt gekommen ist und dass wir auf diese Weise eine
ute Ergänzung unseres Instrumentenkastens gefunden
aben, um Rechtsfrieden innerhalb der Gesellschaft her-
ustellen.
Die deutsche Justiz genießt ein hohes Ansehen – im
usland wie auch in unserer Bevölkerung. Die Verfah-
n werden von fachkundigen Richterinnen und Richtern
ügig durchgeführt, von Ausnahmen einmal abgesehen.
nsere Justiz genießt nicht ohne Grund ein so hohes
ertrauen, sodass sie jetzt sehr stark belastet ist; denn
ufgrund ihres Vertrauens finden viele Menschen den
eg zur Justiz. Deswegen ist eine so hohe Belastung
ntstanden. Daher haben die Länder schon sehr frühzei-
g darüber nachgedacht, wie wir Wege finden, um die
ustiz zu entlasten. In diesem Zusammenhang ist man
ereits sehr frühzeitig auf den Gedanken der Mediation
ekommen.
Bei dieser Frage geht es aber nicht allein um die Be-
zw. Entlastung der Justiz, sondern es geht auch um die
öglichkeit, einen größeren Rechtsfrieden in die Gesell-
chaft hineinzubringen. Das erleben wir bei einem Urteil
icht unbedingt. Ein Urteil entscheidet einen Streit zwi-
chen zwei Parteien. Natürlich hat es auch die Aufgabe,
echtsfrieden herzustellen. Aber ich habe in meiner
ngjährigen Tätigkeit als Anwalt eigentlich noch nicht
rlebt, dass eine unterlegene Partei mit der Erkenntnis
us dem Gerichtssaal gekommen ist, soeben ihren
echtsfrieden gefunden zu haben. Das Gegenteil ist oft
enug der Fall. Wir erleben immer wieder, dass ein Ur-
il gerade Anlass für einen noch vertiefteren Streit ist,
sbesondere wenn es um Familienstreitigkeiten, Erb-
chaftsstreitigkeiten oder Nachbarschaftsstreitigkeiten
eht und die Nachbarn oft generationenlang in gegensei-
ger Verärgerung und sogar Abscheu leben. Da ist es
chon eine Überlegung wert, ob wir nicht eine andere
orm der Streitbeilegung finden. Das Mediationsgesetz
ietet hier eine Struktur, die dies, wie ich meine, ermög-
cht.
17848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Norbert Geis
)
)
Es gibt gewissermaßen zwei Bereiche dieser Media-
tion, zum einen im gerichtlichen Bereich. Darüber ist
hier schon geredet worden. Wir haben den sogenannten
Richtermediator bereits sehr früh eingesetzt. Viele Län-
der sind längst dazu übergegangen, den Güterichter ein-
zusetzen, weil der Richtermediator nur eine sehr be-
grenzte Bewegungsfreiheit hat. Der Güterichter hat
bereits sehr erfolgreich gewirkt.
Der Güterichter tritt in Erscheinung, wenn der jewei-
lige Spruchkörper einen Rechtsstreit an ihn verweist. Er
hat dann die Aufgabe, die Parteien zusammenzuführen
und wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Ge-
gensatz zum Richtermediator hat er auch die Möglich-
keit, Belehrungen zu erteilen und Beratungen durchzu-
führen, was oft genug notwendig ist. Zudem hat er die
Möglichkeit, einen Lösungsvorschlag zu machen, der
dann, wenn er protokolliert wird, auch vollstreckbar sein
kann. Insofern ist die Entscheidung in Zusammenhang
mit diesem Gesetzentwurf, das Güterichterkonzept ganz
besonders zu stärken und den Richtermediator gewisser-
maßen wieder abzuschaffen, eine richtige Entscheidung
gewesen.
Für die Parteien ist es sehr oft wichtig, dass sie unter-
einander einen Ausgleich finden, bevor sie überhaupt
zum Gericht gehen. Dafür ist der zweite große wichtige
Teil dieses Gesetzentwurfs zu verabschieden, nämlich
die Mediation außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens.
Insbesondere sie soll durch dieses Gesetz große Bedeu-
tung bekommen. Ich meine, die Chance dazu besteht.
Es wird ein strukturiertes Verfahren angeboten, in
dem die Parteien mithilfe eines Mediators, der gut aus-
gebildet ist – das ist natürlich notwendig, da sonst kein
Vertrauen besteht –, versuchen, zueinanderzukommen.
In einem vertrauensvollen Raum gegenseitigen Ver-
ständnisses, das erst geweckt werden muss, in Freiwil-
ligkeit und Selbstverantwortung sollen sie eine Lösung
finden. Wenn diese Lösung gefunden ist, kann sie natür-
lich protokolliert werden und gemäß § 794 ZPO – das
sieht der Gesetzentwurf ja vor – sogar einen vollstreck-
baren Titel ermöglichen.
Erstens ist die Vollstreckbarkeit einer in einem Me-
diationsverfahren gefundenen Vereinbarung wichtig.
Zweitens ist natürlich sehr wichtig, dass die Mediatoren
gut ausgebildet sind; denn sonst wächst kein Vertrauen.
Drittens sollte man sich Gedanken machen – das ist in
diesem Gesetzentwurf noch nicht berücksichtigt worden –,
dass die Durchführung eines Mediationsverfahrens au-
ßerhalb des Gerichtes finanziell unterstützt werden
muss. Bei Gericht gibt es die Prozesskostenhilfe. Das
Mediationsverfahren außerhalb des Gerichtes soll ja
dazu führen, dass Prozesse vermieden werden; das ist
die Absicht des Gesetzes. Daher ist es logisch und rich-
tig, dass man das Mediationsverfahren fördert. Ich
meine, wir sollten bei einer Evaluierung überlegen, ob
wir diesen wichtigen Schritt gehen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren
Gedanken anführen, der jetzt nicht ganz zu der großen
Zustimmung passt. Wir müssen ein wenig darauf achten,
dass durch die Mediationsverfahren nicht eine Privatisie-
ru
e
D
s
g
s
d
z
z
fü
w
ra
s
G
re
d
F
ß
m
s
v
e
w
1
d
s
s
is
u
G
W
w
m
1)
ie Justiz hat erstens die Aufgabe, über einen Streit zwi-
chen zwei Parteien zu entscheiden. Sie hat, wie ich ein-
angs sagte, zweitens die Aufgabe, Rechtsfrieden herzu-
tellen; das wird nicht immer gelingen. Sie hat drittens
ie Aufgabe, eine Entscheidung nach Gesetz und Recht
u fällen und so das gesellschaftliche Zusammenleben
u ordnen. Diese Aufgabe kann die Justiz nicht mehr er-
llen, wenn zu viele Mediationsverfahren eingeleitet
erden. Deswegen müssen wir bei der Evaluierung da-
uf achten, dass dies nicht zum Nachteil gerät. Das wäre
chade. Ich hoffe sehr, dass die Mediation außerhalb des
erichtes, aber auch während des gerichtlichen Verfah-
ns ein großer Erfolg sein wird.
Ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
esregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
örderung der Mediation und anderer Verfahren der au-
ergerichtlichen Konfliktbeilegung. Zu dieser Abstim-
ung liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
chäftsordnung der Kollegin Dyckmans, des Kollegen
an Essen und der Kollegin Kopp vor.1)
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
mpfehlung auf Drucksache 17/8058, den Gesetzent-
urf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/5335 und
7/5496 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
iejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
ung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
timmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
t damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
urf ist damit in dritter Beratung einstimmig angenom-
en.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marianne Schieder , Ulla
Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes
Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Krista Sager, Kerstin
Anlage 4
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17849
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft
und Forschung
– Drucksachen 17/5541, 17/7756 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Marianne Schieder für die SPD-Fraktion das Wort.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolle-
ginnen! Wie wird sie wohl ausgefallen sein, die Antwort
der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zum
Thema Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und
Forschung?
Ich glaube, Sie alle ahnen es. Es ist wie auch sonst in un-
serer Gesellschaft: Es gibt sie, die qualifizierten Frauen,
auch in Wissenschaft und Forschung. Doch in den Füh-
rungsetagen sind sie nicht zu finden.
Sie kommen nicht nach oben. Alle Beteuerungen und
Selbstverpflichtungen haben daran nicht viel geändert.
Inzwischen schließen sogar mehr Frauen als Männer
erfolgreich ein Hochschulstudium ab. Sie promovieren
auch. 44,1 Prozent derjenigen, die promovieren, sind
Frauen, wie die Statistik besagt. Blickt man auf die Zahl
der Professorinnen, stellt man aber fest: Hier beträgt der
Frauenanteil 18,2 Prozent. Leider steigen immer noch
überproportional viele Frauen nach der Promotion aus
dem Wissenschaftssystem aus. Das ist nicht nur den
Frauen gegenüber ungerecht, sondern auch volkswirt-
schaftlich gesehen eine absolut schlechte Entwicklung.
Wir erlauben uns an dieser Stelle eine massive Ver-
schwendung intellektueller Potenziale.
So geht die Prognos AG in einer aktuellen Studie da-
von aus, dass der volkswirtschaftliche Schaden durch die
unzureichende Ausschöpfung des Arbeitsmarktpoten-
zials von Frauen allgemein – kumuliert bis 2030 – bei
rund 2 Billionen Euro liegt. In der Studie wird der mög-
liche volkswirtschaftliche Gewinn durch die Erhöhung
der Erwerbsbeteiligung von Hochschulabsolventinnen
bis 2015 auf 70 Milliarden Euro beziffert.
In der Antwort auf unsere Große Anfrage wird leider
mehr als deutlich, dass die Bundesregierung keine Vor-
stellung davon hat, was getan werden kann und muss,
um die Entwicklung auf einen besseren Weg zu bringen.
Dabei ist es höchste Zeit, tätig zu werden. Denn im
Z
1
ja
ri
d
e
s
d
g
g
u
H
s
s
d
s
ra
d
re
b
F
T
u
m
g
D
g
le
U
H
d
d
8
te
S
F
d
2
n
–
G
Auf unsere Fragen nach Initiativen und Planungen
ibt es lediglich den Verweis auf Programme der Vor-
ängerregierungen, es gibt Appelle ohne Konsequenzen,
nd es wird von Evaluierungen gesprochen, aus denen
andlungsansätze folgen sollen. Wie diese Ansätze aus-
ehen sollen, bleibt aber äußerst nebulös. Bei mir ent-
teht der Eindruck – allerdings nicht nur bei mir –, als sei
ie Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und For-
chung für diese Bundesregierung eine völlig neue He-
usforderung. Ich sage: Das ist Perspektivlosigkeit auf
er ganzen Linie.
Schlimmer noch: Da und dort erkennt die Bundes-
gierung nicht einmal den Handlungsbedarf. So ist es
eispielsweise Fakt, dass Frauen in Wissenschaft und
orschung deutlich häufiger als Männer befristet oder in
eilzeit beschäftigt sind
nd dass immer mehr Nachwuchswissenschaftlerinnen
it schlecht oder gar nicht bezahlten Lehraufträgen ab-
espeist werden.
avor verschließt die Bundesregierung gänzlich die Au-
en und suggeriert eine intakte Situation. Aufgrund feh-
nder Daten, heißt es da, nehme man an, dass es keinen
nterschied zu anderen Branchen gebe und deshalb kein
andlungsbedarf bestehe.
Ähnlich problematisch sieht es dort aus, wo die Bun-
esregierung direkten Einfluss hätte, zum Beispiel in
en von ihr eingerichteten Beratungsgremien. Von
8 Gremien sind gerade einmal drei paritätisch und wei-
re zwei annähernd paritätisch besetzt. In der Reaktor-
icherheitskommission des BMU sitzt überhaupt keine
rau. Im Deutschen Komitee Katastrophenvorsorge e. V.
es Auswärtigen Amtes liegt der Frauenanteil bei
,94 Prozent. Wieso nutzt die Bundesregierung hier
icht ihre Einflussmöglichkeiten?
Ich finde das nicht besonders lustig und sehe keinen
rund, sich albern darüber zu amüsieren.
17850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Marianne Schieder
)
)
Es ist doch wirklich nicht nachvollziehbar, dass man
nicht nach Frauen sucht, die diesen Gremien angehören
könnten. Es gibt solche Frauen nämlich. Hier muss sich
dringend etwas ändern.
Ich möchte persönlich, aber auch im Namen von Frau
Kollegin Ulla Burchardt dir, liebe Krista Sager, und dir,
liebe Petra Sitte, ganz herzlich danken, und zwar für die
fraktionsübergreifende und wirklich sehr gute Zusam-
menarbeit und vor allen Dingen für die Bereitschaft, in
dieser so wichtigen Frage an einem Strang zu ziehen.
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Union und FDP: Ziehen Sie mit uns am gleichen Strang,
und lassen Sie uns für die Perspektiven von Frauen in
Wissenschaft und Forschung mehr tun!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Helge Braun.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Bundesregierung ist die Steigerung des
Frauenanteils in Wissenschaft und Forschung ein wirk-
lich wichtiges Anliegen.
Frau Schieder, Sie haben es eben schon gesagt: Es geht
hier zwar zuallererst, aber nicht nur um Geschlechter-
gerechtigkeit, sondern es geht auch um die Qualität und
die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissenschaftssys-
tems; denn wir wissen, dass die Leistungen von Frauen
im Studium und in der Schule im Durchschnitt häufig
höher sind als die von Männern.
Deshalb hat sich die Bundesregierung das Ziel ge-
setzt, die Frauenquote nachhaltig zu erhöhen, doch Sie
müssen mit mir gemeinsam darin übereinstimmen – Sie
schimpfen hier und machen die Bundesregierung dafür
verantwortlich, indem Sie sagen, dass es ihr Versagen sei –,
dass es natürlich zuallererst eine Aufgabe der autonomen
Hochschulen ist, sich hierum zu bemühen. Bei aller
Wahrung der Autonomie müssen wir deshalb auch die
Hochschulen und die Forschungseinrichtungen bitten,
ihre eigenen Initiativen zu verstärken.
iebe Frau Sitte, in zweiter Linie ist es auch wichtig
deshalb schlägt das auf viele von Ihnen zurück –, die
änder zu bitten, genauso tätig zu werden.
Das, was die Bundesregierung getan hat, ist in beein-
ruckender Weise erfolgreich: Bundesministerin Annette
chavan hat in einem ersten Schritt dafür gesorgt, dass
Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwei zusätzliche
ertragsjahre pro Kind für Qualifikationszeiten aufge-
ommen wurden. Das ist ein wichtiger Schritt für die
ereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Karri-
re.
Zum zweiten Schritt. Das Professorinnen-Programm
at dazu geführt, dass wir 260 Professorinnen feste Pro-
ssorenstellen geben konnten – 81 davon im Bereich
er Natur- und Ingenieurwissenschaften.
uch das ist ein großer Erfolg, den Bund und Länder in
emeinsamer Finanzierung erreicht haben.
Ich darf Ihnen heute ankündigen, dass die Bundesre-
ierung bereit ist, das Professorinnen-Programm in einer
euen Periode weiter fortzuführen, wenn Bund und Län-
er gemeinsam bereit sind, die Finanzierung hierfür zu
bernehmen. Das Professorinnen-Programm ist eine der
entralen Säulen unserer Gleichstellungspolitik.
Wenn Sie sich einmal die Gesamtzahl der Frauen im
ußeruniversitären und im universitären Bereich an-
chauen, dann werden Sie sehen, dass wir da, wo die
undesregierung Verantwortung trägt, zum Beispiel bei
en Pakten und Programmen – ich greife aus Zeitgrün-
en heute nur die Exzellenzinitiative heraus –, von den-
nigen, die Anträge gestellt haben, immer auch erwartet
aben, dass sie mit ihren Anträgen eine konsistente
leichstellungsstrategie verbinden. Der Frauenanteil in
en Graduiertenschulen beträgt 37 Prozent und in den
xzellenzclustern 35 Prozent. Damit ist der Frauenanteil
diesen Programmen im Rahmen der Exzellenzinitia-
ve fast doppelt so hoch wie an den Hochschulen im
urchschnitt. Ich glaube, die Bundesregierung hat in ih-
n Programmen durchaus vorbildlich gewirkt.
Ich kann Ihnen heute etwas mitteilen, was Sie in der
orliegenden Beantwortung der Großen Anfrage noch
icht finden können, weil die Gemeinsame Wissen-
chaftskonferenz von Bund und Ländern dies erst vor
enigen Wochen beschlossen hat: Wir haben gemein-
am beschlossen – das ist dem Gleichstellungsmodell
er DFG ähnlich –, dass für die Forschungseinrichtun-
en von Bund und Ländern zukünftig für alle Qualifika-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17851
Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
)
)
tionsstufen ein Kaskadenmodell angewendet werden
muss.
Damit folgen wir der Überzeugung, dass es dafür,
Frauen in Führungspositionen aufzubauen, natürlich er-
forderlich ist, den Anteil der Frauen in jeder Qualifika-
tionsstufe signifikant zu erhöhen, wodurch auch deutlich
wird, dass wir diesen Prozess nicht nur anstoßen, son-
dern auch kontrollieren und gegenüber dem Deutschen
Bundestag transparent machen wollen. Deshalb wird be-
reits im „Paktbericht 2012“ hierüber ein erster Bericht an
Sie erfolgen.
Aus dem Bereich, für den die Bundesregierung zu-
ständig ist, könnte ich Ihnen noch viele Programme nen-
nen. Aus Zeitgründen muss ich darauf verzichten. Ich
will nur einige Beispiele nennen, wie das Programm
„Effektiv!“ des „Kompetenzzentrums Frauen in der Wis-
senschaft“, in dem viele Best-Practice-Beispiele dafür,
wie man Hochschulen familienfreundlicher gestalten
kann, erarbeitet wurden und allen Hochschulen zur eige-
nen Anwendung empfohlen worden sind.
Ich nenne den Pakt für Frauen in MINT-Berufen, an
dessen Programmen bereits 170 000 junge Mädchen teil-
genommen haben, und das mit einem durchschlagenden
Erfolg: Rund zwei Drittel dieser jungen Frauen haben
sich dann tatsächlich entschieden, einen MINT-Beruf zu
ergreifen. Das ist, glaube ich, gerade für diesen Bereich,
in dem der Frauenanteil bisher besonders gering ist, ein
großer und durchschlagender Erfolg.
Meine Damen und Herren, keine Bundesregierung
zuvor – Frau Schieder, auch Ihre Partei hat in der Ver-
gangenheit häufig Verantwortung in diesem Bereich ge-
tragen – hat so viel aufgewendet, um Geschlechterge-
rechtigkeit in der Wissenschaft zu verwirklichen. Noch
nie war die Dynamik der Zunahme der Zahl der Frauen
in den Funktionen der Wissenschaft so hoch wie im Mo-
ment. Die Zunahme in Form einer runden Verdoppelung
in den letzten zehn Jahren, denke ich, kann mit Fug und
Recht auch als ein beeindruckender Erfolg bezeichnet
werden.
Damit da kein Missverständnis entsteht: Die absolu-
ten Zahlen von Frauen in der Wissenschaft sind auch für
die Bundesregierung bei weitem noch nicht zufrieden-
stellend.
– Sie sind bei weitem noch nicht zufriedenstellend.
Aber, Frau Schieder, so ist das ja, christlich und vor
Weihnachten: An ihren Taten sollt ihr sie messen.
Angesichts der Tatsache, dass wir in den vergangenen
Jahren so viel erreicht haben, hat auch, glaube ich, diese
Bundesregierung die besondere Glaubwürdigkeit, wenn
s
w
d
li
d
L
B
d
L
w
s
v
g
d
W
J
n
d
d
fl
je
d
–
g
u
m
m
li
u
v
g
w
F
e
d
u
n
F
K
d
Bereits vor 17 Jahren hat der Bundestag beschlossen,
ie Teilhabe von Frauen an Beratungsgremien auf Bun-
esebene zu erhöhen. Darunter sind auch knapp 100 ein-
ussreiche wissenschaftliche Beiräte. Was zeigt sich
tzt nach 17 Jahren? Weniger als ein Viertel der Mitglie-
er dieser Beiräte sind Frauen. In einigen Gremien
Frau Schieder hat es ja schon gesagt – sind bis heute
ar keine Frauen. Das ist eine interessante Entwicklung
nd ein ganz toller Erfolg.
Man fragt sich: Wieso konnte das überhaupt so kom-
en? Das ist so gekommen, weil die Beschlüsse von da-
als schlicht und ergreifend zu unscharf, zu unverbind-
ch waren. Sie hatten die Qualität von weichgespülten
nd dadurch eben auch vielfach wirkungslosen Selbst-
erpflichtungen.
Was ist die Folge davon? Es fehlen vielen Empfehlun-
en aus diesen Beratungsgremien der spezifische Blick-
inkel von Frauen und die spezifische Bewertung von
rauen.
Was heißt das wiederum weiterführend? Ich bringe
in Beispiel: das Gesundheitsforschungsprogramm. För-
erprogramme, wissenschaftliche Methoden sind nach
nserer Auffassung dort zu eng ausgelegt. Es ist zu tech-
ikzentriert, und es wird zu wenig auf die Spezifik von
rauen bezogen geforscht.
Nun haben sich Bund und Länder auf ein sogenanntes
askadenmodell geeinigt. Quoten sollen entsprechend
em Frauenanteil der jeweils vorausgehenden Stufe in
17852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Petra Sitte
)
)
der Karriere des Wissenschaftssystems einordnen. Wenn
dieses Modell konsequent umgesetzt werden soll, dann
muss auch mit Anreizen gearbeitet werden, und es muss
vor allem endlich auch einmal mit Sanktionen gearbeitet
werden, wenn ein Ziel nicht erreicht wird.
Wir denken, dass das Kaskadenmodell allemal aus-
baufähig ist. Aber es ist immerhin ein erster Schritt hin
zu mehr Gerechtigkeit in der Wissenschaft. Bislang galt
die Maxime, Frauen fit für die Institutionen zu machen.
Jetzt sind sie fit für die Institutionen. Und was ist mit den
Institutionen? Sie sind nicht fit für die Frauen. Deshalb
muss man sie eben fit für die Frauen machen.
Das heißt: Weg mit den ollen, verfilzten Puschen! För-
derprogramme und Imagekampagnen des Bundesminis-
teriums beispielsweise in den Naturwissenschaften sind
allemal sinnvoll; Sie selber haben das erwähnt. Aber erst
wenn auch die strukturellen Barrieren in den Institutio-
nen fallen, hören Frauen auf, über diese ollen, blöden,
verfilzten Puschen zu stolpern. Immerhin liegt der Anteil
von Frauen bei den Promotionen zum Beispiel im ma-
thematisch-naturwissenschaftlichen Bereich bereits
heute bei 40 Prozent; das ist ein interessanter Befund der
vom BMBF herausgegebenen Studie. Das entspricht nun
fast dem Durchschnitt aller Wissenschaftsbereiche und
bei den Juniorprofessuren. Aber wie hoch ist der Anteil
der Frauen bei den Professuren insgesamt? Er liegt bei
peinlichen 18 Prozent. Bei den höher dotierten Stellen
sind es sogar nur 11 Prozent. Das kann ja wohl nicht an-
gehen.
Das Wissenschaftssystem ist also noch immer höchst
ungerecht und bietet Frauen und Männern bei gleicher
Leistung eben nicht die gleichen Perspektiven. Das gilt,
Herr Braun, insbesondere für die außeruniversitären Be-
reiche; für die ist der Bund verantwortlich. Die Quoten
könnten aus unserer Sicht zusätzlich gestärkt werden.
Wir schlagen vor, sie mit dem Hochschulpakt zu ver-
knüpfen. Das heißt, wenn man das Soll erfüllt, dann
kann man mehr Mittel eintreten. Wenn es nicht erreicht
wird, sollte man Mittel abziehen. Das Gleiche kann man
bei der institutionellen und projektorientierten For-
schungsförderung des Bundes machen. Man kann auch
diese an die Erfüllung des Gleichstellungskonzepts bin-
den.
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass damit
echte Innovationsschübe ausgelöst werden können.
Wir brauchen weiterhin transparentere Personalent-
scheidungen. Wir brauchen familienfreundlichere Ar-
beitsbedingungen und mehr wissenschaftliche Selbst-
ständigkeit im Mittelbau, also für den Nachwuchs. Die
von Frau Schieder geschilderte Qualität der Beschäfti-
g
M
N
s
k
m
in
5
h
n
W
1
e
S
c
k
D
s
W
F
ti
K
v
v
D
h
s
ti
V
s
b
d
E
icht einmal in der Leiharbeit sind die Bedingungen so
chlecht wie für Frauen im Wissenschaftsbereich. Das
ann nicht angehen. Deshalb sind wir der Meinung, dass
an zwar nicht mit den Befristungen generell, wohl aber
dieser spezifischen Form aufhören muss. Wenn
8 Prozent der Betroffenen in diesem Bereich Verträge
aben, die weniger als ein Jahr gelten, dann kann man
icht von verlässlicher Planung sprechen.
ir brauchen Mindestvertragslaufzeiten und müssen
0 000 unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau
inrichten, wenn wir unser Ziel erreichen wollen. Diese
tellen sollen dann ruhig mit Männern und Frauen glei-
hermaßen besetzt werden.
Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Schluss
ommen.
Ich bin dabei. – Abschließend möchte ich sagen:
eutschland ein Land der Ideen? Wunderbar! Zeigen Sie
ich endlich auch bei der Gleichstellung von Frauen im
issenschaftssystem ideenreich! Das wäre ein echter
ortschritt.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat nun Martin Neumann für die FDP-Frak-
on.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Ich sage es gleich vorab – auch an die Adresse
on Frau Sitte –: Ohne eine gleichberechtigte Teilnahme
on Frauen im deutschen Wissenschaftssystem würde
eutschland seine Exzellenz und seine Wettbewerbsfä-
igkeit in den konkurrierenden Wirtschafts- und Wissen-
chaftssystemen der Welt aufs Spiel setzen; das ist meine
efe und feste Überzeugung.
Wir sind auf einem guten Weg und kommen unserer
erantwortung nach. Ich will das gleich anhand der ver-
chiedenen Positionen begründen, die sich ergeben ha-
en. Die uns aus der Antwort der Bundesregierung auf
ie Große Anfrage vorliegenden Zahlen belegen die gute
ntwicklung sehr deutlich. Wir haben – auf diesen Punkt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17853
Dr. Martin Neumann
)
)
müssen wir immer wieder hinweisen – eine Dauerauf-
gabe auf diesem Gebiet zu bewältigen; denn wir können
uns Zurückhaltung bei der Einbeziehung von Frauen
schlichtweg nicht leisten.
Meine Fraktion hat sich immer für das Kaskaden-
modell – ich sage ganz bewusst nicht Quotenmodell –
ausgesprochen. Stellen Sie sich einmal eine Kaskade
vor: Sie beginnt immer an der Spitze. Die Übertragung
von Verantwortung und Leitungsaufgaben an Frauen ist
eine Führungsaufgabe ersten Ranges.
Daher werden wir in einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz
die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in Wis-
senschaft und Forschung als Grundsatz verankern.
– Frau Burchardt, warten Sie ab. Sie werden das
erleben. – Bereits vor 20 Jahren hat die FDP-Bundes-
tagsfraktion die Forderung erhoben und durchgesetzt,
eine wirkliche Chancengleichheit für Frauen in der Wis-
senschaft schrittweise umzusetzen. Es hat sich seitdem
wirklich viel getan. Seit Beginn der 90er-Jahre hat sich
der Anteil von Frauen, die sich für eine wissenschaftli-
che Karriere entscheiden, deutlich erhöht. Es zeigt sich
aber auch – das muss ich an dieser Stelle deutlich sagen –,
dass kurzlebige Kampagnen eben nicht zum Erfolg füh-
ren. Gerade weil es im Bereich der Wissenschaft um
Nachhaltigkeit geht, muss man eine Daueraufgabe lösen
und einen langen Atem haben.
Jetzt noch einmal zurück zur Kaskade. Was nutzt die
beste Quote, wenn in der jeweiligen Vorstufe, also in der
vorhergehenden Stufe, keine befähigten Studentinnen
und Doktorandinnen herangebildet werden? Bund und
Hochschulen haben hier eine ganze Reihe von Aktivitä-
ten unternommen, um genau an dieser Stelle zu fördern.
Die erzielten Ergebnisse zeigen ganz deutlich eine be-
achtliche Trendwende. Ich glaube, auf diesem Weg kann
man weitergehen.
Ich möchte ein paar Zahlen zu dem Ergebnis nennen,
die hier schon angesprochen worden sind: Fast 48 Pro-
zent aller Studierenden sind heute Frauen. 51 Prozent
der Studierenden, die einen Abschluss erreichen, sind
Frauen. Aber – jetzt komme ich auf die Fragestellung
der Großen Anfrage zurück, die dabei eine Rolle gespielt
hat –: Eine wirkliche Teilhabe von Frauen auf allen Stu-
fen ist noch nicht erreicht. Darin sind wir uns einig. Wir
müssen in der wissenschaftlichen Forschung tatsächlich
noch viel tun, weil Frauen hier noch unterrepräsentiert
sind.
Alle Verantwortlichen müssen den stetig wachsenden
Anteil von Frauen mit qualifizierten Berufsabschlüssen
in der Forschung und in der Wissenschaft stärker nutzen.
Aber – auch das müssen wir an dieser Stelle deutlich
hervorheben – die Vorbereitung dafür beginnt bereits in
der Schule, also nicht erst dann, wenn wir am Ende der
K
E
z
S
ju
fü
b
e
d
v
F
S
O
g
P
d
s
z
b
fe
e
u
n
w
s
m
d
n
d
b
li
b
S
v
d
W
S
z
d
s
enn das so ist, dass es eine einseitige Rekrutierung der
pitzenleute aus einer Gruppe gibt, die dadurch gekenn-
eichnet ist, dass sie dem gleichen Geschlecht angehört,
ann folgt daraus schon rein logisch, dass das eines nicht
ein kann: eine Bestenauslese.
17854 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Krista Sager
)
)
Herr Neumann, Sie haben völlig recht: Wir haben im
Wissenschaftsbereich nicht nur offenkundig ein massi-
ves Gerechtigkeitsproblem, sondern auch ein Innova-
tions- und Qualitätsproblem. Bei mangelndem Erfolg in
der Gleichstellungspolitik im Wissenschaftsbereich stellt
sich die Frage nach der zukünftigen Wettbewerbsfähig-
keit des deutschen Wissenschaftssystems. Der demogra-
fische Wandel macht die Frage umso dringlicher: Wie
können wir die besten weiblichen Kräfte für die Wissen-
schaft gewinnen, sie dann aber auch dort halten?
Es hat niemand behauptet: Da findet nichts statt.
Oder: Es passiert nichts. Aber Frau Sitte hat doch voll-
kommen recht: Es geht viel zu langsam.
Wer von uns will bis zum Ende des Jahrhunderts warten,
bis wir Parität erreicht haben? Daraus folgt logisch: Wir
müssen mehr Schwung hineinbringen.
Die Wissenschaftsorganisationen haben das Thema
Gleichstellung glücklicherweise zunehmend in den Fo-
kus gerückt. Die Gleichstellungsstandards der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft zeigen im universitären
Bereich Wirkung. Das bestreitet hier ja auch niemand.
Nur, Teile des Wissenschaftsbereichs und der Hochschu-
len verharren in gleichstellungspolitischer Rhetorik und
lassen dem wenige Taten folgen. Auch das ist leider eine
Tatsache.
Herr Neumann, niemand bestreitet, dass es in den ver-
schiedenen Fachdisziplinen unterschiedliche Vorausset-
zungen gibt. Nur, wenn ich feststelle, dass die Fraunho-
fer-Gesellschaft es in 20 Jahren gerade einmal geschafft
hat, ihren Frauenanteil beim Führungspersonal von 2 Pro-
zent auf 2,8 Prozent zu steigern,
möchte ich sagen: Ich erwarte von einer leistungsstarken
Forschungsorganisation auch mehr Leistung bei frauen-
politischen Zielen.
Meine Schlussfolgerung ist: Wir brauchen mehr Ver-
bindlichkeit. Wir brauchen Zielquoten, die sich am Kas-
kadenmodell orientieren, eine Überprüfung der Zieler-
reichung, und wir brauchen Anreize, Sanktionsmecha-
nismen und gezielte Rekrutierungsmaßnahmen.
Es ist in der Tat bedenklich, dass viele junge Leute
nach der Promotion den Wissenschaftsbereich verlassen,
nicht weil sie für diesen ungeeignet sind, sondern weil
ihnen die Perspektiven für den Nachwuchs zu unsicher
und die Beschäftigungsverhältnisse zu schlecht sind.
Aber wenn junge Frauen noch stärker die Tendenz ha-
ben, den Wissenschaftsbereich zu verlassen, weil sie in
höherem Maße teilzeitbeschäftigt sind und prekäre be-
fristete Verträge bzw. befristete Teilzeitverträge haben,
dann müssen wir feststellen, dass unser Wissenschafts-
s
g
T
b
A
s
d
d
d
W
ti
g
n
m
ri
w
s
te
u
W
W
a
A
K
li
a
h
g
A
u
o
m
Herr Braun, Sie haben gesagt, wir sollen Sie an Ihren
aten messen. Ich finde es gut, dass Sie heute gesagt ha-
en, dass das Professorinnen-Programm weitergeht.
ber die Frage, warum Sie Ihre eigene Projektfor-
chungsförderung nicht mit den Gleichstellungsstan-
ards der Deutschen Forschungsgemeinschaft verbin-
en, haben Sie nicht beantwortet.
Warum verbinden Sie die Ressortforschung des Bun-
es nicht mit verbindlichen Gleichstellungsstandards?
arum haben Sie beim Pakt für Forschung und Innova-
on nicht für eine verbindliche Gleichstellungspolitik
esorgt? Erklärungsbedürftig ist auch, warum Sie es
icht einmal bei den eigenen wissenschaftlichen Gre-
ien schaffen, auch nur annähernd so etwas wie eine Pa-
tät zu erreichen.
Alle diese Fragen haben Sie nicht beantwortet. Des-
egen können Sie dankbar sein, dass sich die wissen-
chaftspolitisch engagierten Frauen der Opposition un-
rgehakt haben,
m deutlich zu machen: Hier brauchen wir mehr frischen
ind und Schwung für die Gleichstellungspolitik in der
issenschaft. Dabei müssen wir dem Bund ein bisschen
uf die Sprünge helfen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin
nette Hübinger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Aus der Debatte heute Abend ist schon deut-
ch geworden: Weihnachten ist für Frauen noch nicht,
ber das Fest der Freude bringt Hoffnung, und Hoffnung
aben auch die Antworten der Bundesregierung bei mir
eweckt. Dennoch zeigen die Zahlen – das wurde heute
bend schon öfter gesagt –, dass bei Immatrikulationen
nd Abschlüssen Frauen spitze sind; aber wenn die Luft
ben dünner wird, ist der Anteil der Frauen kaum noch
it dem Fernglas zu erkennen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17855
Anette Hübinger
)
)
Deswegen muss etwas getan werden. Aber wir müssen
auch zugeben: Ganz bei null beginnen wir nicht. Nur
muss der eklatante Sprung bei den Karrierewegen aufge-
hoben werden. Dass keine Frauen in Spitzenpositionen
sind, findet seinen Grund mit Sicherheit nicht darin, dass
es keine Frauen gibt. Das sieht man an den Abschlüssen:
Da sind wir spitze.
Allerdings zeigen die Antworten der Bundesregie-
rung auch, dass in den letzten zehn Jahren schon eine
Dynamik eingetreten ist und dass es zu mehr Chancen-
gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen im Wissen-
schaftssystem gekommen ist. Den Grund dafür sehe ich
im Gegensatz zur Opposition auch darin, dass die Bun-
desregierung die Verbesserung der Repräsentanz von
Frauen als ein strategisches Erfordernis ansieht und dass
das BMBF die Erhöhung des Anteils von Frauen in Spit-
zenpositionen in der Wissenschaft als wichtigen Be-
standteil in seine Fördermaßnahmen integriert. Professo-
rinnen-Programm, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung
und Innovation und Hochschulpakt haben mit Sicherheit
ihren Teil dazu beigetragen. Ein weiterer Grund – auch
das wurde heute Abend schon erwähnt – ist die freiwil-
lige Selbstverpflichtung der DFG, der auch viele Hoch-
schulen, die der DFG angeschlossen sind, beigetreten
sind. Trotz dieser Dynamik sind wir uns einig, dass diese
Fortschritte noch nicht ausreichen und wir als Frauen mit
Sicherheit nicht noch einmal 20 Jahre warten wollen, bis
vielleicht noch einmal eine Verdoppelung der Habilita-
tionszahlen eingetreten ist. Das wäre Ressourcenver-
schwendung.
Wo setzen wir an? Aus meiner Sicht gibt es erst ein-
mal zwei Faktoren, die entscheidend sind. Erstens haben
wir weiter mit dem Phänomen der „leaky pipeline“
– Frau Sager hat das auch schon erwähnt – zu kämpfen.
Sobald Frauen die Promotion haben, brechen sie ihre
Karriere im Wissenschaftssystem ab. Hier brauchen wir,
so sage ich, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Wissenschaft – das ist das A und O –, genau wie in der
Wirtschaft. Der Bund hat die ersten Schritte eingeleitet,
indem er das Krippenausbauprogramm beschleunigt hat,
damit Frauen ihre Kinder unterbringen können. Genauso
ist aber erforderlich, dass eine spezifische Frauenförde-
rung stattfindet; denn Frauen sind in Bewerbungen zu-
rückhaltender, wie die Forschung festgestellt hat. Sie be-
werten sich oft sehr selbstkritisch und fühlen sich nicht
wie die Männer als Hecht im Karpfenteich. Auch hier tut
der Bund das Seine zur Unterstützung von Karrierewe-
gen, zum Beispiel durch das Professorinnen-Programm
oder Monitoringprogramme.
Zweitens. Das Ausscheiden von Professorinnen und
Professoren in den nächsten Jahren muss genutzt wer-
den. Laut Statistischem Bundesamt scheiden bis 2019
ungefähr 11 000 Professorinnen und Professoren aus,
und zwar aus Altersgründen. Bei der Berufung in den
nächsten Jahren können die Akteure im Wissenschafts-
s
C
d
R
d
re
fü
k
F
n
b
d
d
s
a
s
h
S
d
W
w
m
s
ti
n
p
b
ru
w
Ic
–
T
w
a
s
d
H
m
m
A
n
A
k
G
Natürlich gibt es fachspezifische Unterschiede, und
ie müssen auch bei der Gleichberechtigungsfrage eine
olle spielen. Dort, wo aufgrund vergangener Ausbil-
ungsstrukturen noch keine Frauen sind, kann man keine
krutieren. Aber man muss schlicht und ergreifend da-
r sorgen, dass mehr Frauen in diese Bereiche hinein-
ommen. Ich denke dabei an die weitere Förderung von
rauen in MINT-Berufen. Aber wir dürfen auch nicht
achlassen, Frauen auf ihren Karrierewegen mit einer
esonderen Unterstützung zu begleiten.
Damit komme ich zur Quote, die die Opposition in
er Presse gefordert hat. Heute Abend wurde das Kaska-
enmodell mehrfach angesprochen. Das hatten wir
chon in unseren Antrag zu Zeiten der Großen Koalition
ufgenommen. Dieses Kaskadenmodell ist für mich ein
ehr guter Ansatz. Es setzt aber voraus – auch das wurde
eute Abend gesagt –, dass man bei der Abfolge vom
tudienabschluss bis hin zu den einzelnen Karrierestufen
arauf achtet, dass auch genügend Frauen kommen.
enn nämlich keine Frauen unten sind, können auch nie
elche nach oben befördert werden. Diese Kaskade
uss mit Zielvorgaben auf den einzelnen Karriereleiter-
tufen versehen werden, um die Parität von Frauen künf-
g zu erreichen. Wenn diese Zielorientierung in den
ächsten Jahren nicht sichtbar greift und eine Selbstver-
flichtung des Wissenschaftssystems keine Fortschritte
ringt, dann befürworte auch ich die gesetzliche Einfüh-
ng des Kaskadenmodells.
Die Akteure des Wissenschaftssystems haben die Ent-
icklung in den kommenden Jahren selbst in der Hand.
h bin deshalb gespannt, was der Wissenschaftsrat
Herr Braun hat die entsprechende Studie genannt – an
hemen und an Verbesserungsvorschlägen aufführen
ird. Ich muss zugeben: Für die christlich-liberale Ko-
lition und für mich sind Lösungen, die aus dem Wissen-
chaftsbereich kommen, immer noch die besten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Burchardt von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
err Neumann, ich finde es wirklich rührend – ich
eine das ganz ehrlich und unironisch, auch wenn Sie
ir das vielleicht nicht glauben –, wie ernsthaft Sie Ihr
nliegen zum Ausdruck gebracht haben. Ich glaube Ih-
en das auch. Nur muss ich sagen: Wenn man sich die
ntwort der Bundesregierung auf die von SPD, der Lin-
en und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam gestellte
roße Anfrage anschaut, dann kann man eine Quint-
17856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Ulla Burchardt
)
essenz formulieren: Nicht wissen, nicht wollen, nicht
können.
Was das Nichtwissen betrifft, zum Beispiel bei der
Implementierung von Genderaspekten in der Ressortfor-
schung: Es wird auf formale Prüfungsakte von Vorhaben
verwiesen; aber evaluiert wird überhaupt nichts. Das be-
deutet doch nichts anderes, als dass man aus Erfahrung
nicht lernen will; schließlich erhebt man diese Daten
überhaupt nicht und schaut nicht, was passiert ist und
was man besser machen kann.
„Wir wissen das nicht“, das ist auch die Antwort auf
unsere Frage nach einer möglichen Diskriminierung bei
den Einkommen in Spitzenpositionen. Die strukturelle
Benachteiligung von Frauen manifestiert sich nicht nur
bei der Repräsentanz in Leitungspositionen, sondern ins-
besondere auch in der Beschäftigungssituation. Die Kol-
leginnen haben es schon angesprochen: Prekäre Be-
schäftigung in der Wissenschaft trifft überwiegend
Frauen. Das ist übrigens ein Grund für die Kinderlosig-
keit von Akademikerinnen. Die Elternzeit, Herr Braun,
kann in den meisten Fällen praktisch überhaupt nicht in
Anspruch genommen werden. Insofern haben Sie an die-
ser Stelle ein totes Pferd geritten.
Was die Einkommenssituation angeht: Viele Wissen-
schaftlerinnen, gerade in leitenden Positionen, gehen da-
von aus, dass es sehr unterschiedliche Leistungsbewer-
tungen in Form von Einkommen gibt, wenn es um hoch-
dotierte Posten in den Hochschulen, um die höchstbe-
zahlten Professuren mit Leistungszulagen und um die
Leitungspositionen in der Forschung geht. Dazu sagt die
Bundesregierung: Wir wissen das nicht; wir haben über-
haupt keine Zahlen. – Das ist immer das Tollste: Wenn
man nichts weiß, dann ist man auch nicht verantwortlich.
Wenn man will, könnte man diese Zahlen aber durchaus
erheben. Man könnte zum Beispiel Entgeltberichte er-
stellen, wie sie im Übrigen im Rahmen des GWK-Ab-
kommens vorgesehen sind. Machen Sie das doch einfach
einmal!
Was das Können betrifft, das heißt eine ambitionierte,
strategisch angelegte Politik, um Frauen in Wissenschaft
und Forschung zu fördern, muss ich Ihnen sagen: Minis-
terin Bulmahn und die rot-grüne Regierungskoalition ha-
ben damals die Messlatte gelegt. Die Grundsatzabteilung
wurde mit Strategieentwicklung beauftragt. Das Leitziel
Chancengleichheit wurde im Haushalt verankert. Mit
dem Programm „Chancengleichheit“ wurden Promotio-
nen und Professuren von Frauen gefördert; das ist keine
neue Idee von Ihnen. Kindereinrichtungen in For-
schungseinrichtungen wurden ermöglicht. Juniorprofes-
suren wurden als Karriereschub für junge Wissenschaft-
lerinnen eingeführt. Das Center of Excellence Women
and Science wurde zu Zeiten der rot-grünen Koalition
gegründet. Schön, dass auch Sie gut finden, dass es das
gibt. Die Förderung von Frauen in MINT-Berufen, die
Einrichtung des Girls’ Day und die Verbindung von Ex-
z
F
ru
g
N
A
d
d
rü
g
le
g
h
D
c
g
z
B
D
fe
e
g
a
a
tu
h
re
p
A
u
w
s
v
W
is
K
g
e
F
d
b
h
Keine Frage: Es ist gut und lobenswert, dass in der
achfolge im BMBF manches weitergeführt wurde.
ber, mit Verlaub, das Professorinnen-Programm und
as Förderprogramm „Frauen an die Spitze“ sind so
ünn ausgelegt, dass sie nicht mehr sind als der be-
hmte Tropfen auf dem heißen Stein. Sie sollten sich
ut überlegen, ob Sie das als Säule Ihrer Arbeit darstel-
n. Denn Sie sollten dabei beachten: Die Decke wird
anz schnell einbrechen, so dünn wie das Ganze ist.
Man fragt sich, ob die Durchbrüche wirklich über-
aupt gewollt sind. Es ist darauf hingewiesen worden:
a, wo Sie selber zuständig sind, etwa in wissenschaftli-
hen Beratungsgremien, in Ressortforschungseinrichtun-
en, ist wirklich nicht viel los; da ist mit der Durchset-
ung von Gleichstellung kein Staat zu machen, Herr
raun und Herr Neumann. Das muss man doch sagen.
a hat die Regierungskoalition doch schlicht und ergrei-
nd versagt. Da könnten Sie mehr machen.
Natürlich ist in den letzten zehn Jahren einiges
rreicht worden. Das ist dank unserer Vorarbeiten
eschehen. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion
uch bei den vielen Frauen und Männern bedanken, die
n führender Stelle in Hochschulen, Forschungseinrich-
ngen und Wissenschaftsinstitutionen dafür gearbeitet
aben. Es ist eine Menge erreicht worden; aber das
icht nicht. Die Dynamik ist zu schwach. Der Aufhol-
rozess beispielsweise gegenüber den USA, was das
usschöpfen all dieser Potenziale angeht, ist völlig
nzureichend. Da hängen wir gnadenlos hinterher. Des-
egen muss mehr passieren. Ich sage Ihnen: An der
ofortigen Einführung von Zielquoten führt kein Weg
orbei.
ir warten, Frau Hübinger, nämlich schon 20 Jahre. Es
t jetzt wirklich an der Zeit, dass endlich Nägel mit
öpfen gemacht werden.
Bei allem Respekt gegenüber der Offensive Chancen-
leichheit von DFG und außeruniversitären Forschungs-
inrichtungen: Das alles reicht nicht. Mit so schlappen
ortschritten können wir uns doch nicht ernsthaft zufrie-
en geben. Das, was Bund und Länder in der GWK
eschlossen haben, ist völlig unmissverständlich. Dort
eißt es, dass
Zielquoten … unverzichtbar sind und die Anwen-
dung des „Kaskadenmodells“ … unbedingt erfor-
derlich ist.
)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17857
Ulla Burchardt
)
)
Es reicht eben nicht mehr, nur auf Selbstverpflichtung zu
setzen, auf Sonntagsreden und schöne Worte. Man muss
jetzt auch über Sanktionen reden. Anders funktioniert
die ganze Geschichte nämlich überhaupt nicht.
Wenn Sie jetzt kommen und sagen, das alles gehe
nicht, empfehle ich Ihnen eine wunderbare Lektüre, falls
Sie noch nicht genug zum Lesen unterm Weihnachts-
baum haben. Es handelt sich um eine Broschüre, die
vom BMBF herausgegeben wurde und die ein Gutachten
enthält, das von Ihrem Ministerium – Herr Braun, Sie
kennen es vielleicht – in Auftrag gegeben wurde, um die
rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen zur Förderung
der Chancengleichheit in der Wissenschaft zu prüfen.
Dieses Gutachten wurde von Frau Professor Susanne
Baer verfasst. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass aus
europarechtlichen Gründen und Vorgaben, aber auch aus
verfassungsrechtlichen Gründen
und aufgrund von Maßgaben aus allen Rechtsgebieten,
die Deutschland überhaupt zu bieten hat, die Förderung
von Maßnahmen und die Einführung von Zielquoten mit
entsprechender Sanktionierung notwendig und auch
machbar sind.
Frau Professor Susanne Baer ist seit Februar dieses
Jahres Richterin am Bundesverfassungsgericht.
Mir kann jetzt keiner mehr sagen, dass es sich hierbei
nur um irgendwelche illusionären Dinge handelt, mit
denen sich eine Bundesregierung nicht befassen muss.
Ich stelle für heute fest, dass wir an vielen Stellen ja
gar nicht so weit auseinander sind, und zwar nicht nur
wegen der weihnachtlichen Harmonie. Die Wissen-
schaftlerinnen in unserem Lande haben es nämlich ver-
dient, dass sie mehr Unterstützung bekommen. Über
60 Jahre nach Verabschiedung des Art. 3 im Grundge-
setz ist es höchste Zeit, dass sich mehr bewegt und sich
der Deutsche Bundestag etwas intensiver als in der Ver-
gangenheit mit diesem Thema beschäftigt, nach Stell-
schrauben sucht und schaut, was man machen kann,
damit in den nächsten fünf Jahren große Fortschritte
erreicht werden. Deswegen hielte ich es für eine wunder-
bare Sache, wenn sich unser Ausschuss Anfang nächsten
Jahres ein sehr konkretes Programm geben würde, wie
nach entsprechenden Wegen und Möglichkeiten gesucht
werden kann. Wir sollten nicht erst wieder 50 Jahre war-
ten, bis wir hier ein paar kleine Fortschritte beklatschen
können.
Vielen Dank.
d
H
Ü
d
s
h
e
v
e
n
ti
li
E
g
v
d
B
s
d
d
d
lu
d
d
k
in
D
is
s
g
n
in
a
b
e
d
u
s
J
s
s
h
e
ass Frauen immer noch an die gläserne Decke stoßen,
t eben auch ein Beispiel von Vergeudung volkswirt-
chaftlichen Potenzials, was wir uns in Anbetracht des
lobalen Wettbewerbs überhaupt nicht mehr leisten kön-
en.
Im Fünften Gremienbericht wird dargelegt, dass auch
wissenschaftlichen Beratungsgremien der Frauen-
nteil nach wie vor zu niedrig ist. Das Bundesgremien-
esetzungsgesetz bedarf insofern meiner Ansicht nach
iner Überarbeitung, um das Ziel der Gleichstellung und
er gleichwertigen Besetzung von Gremien dort, wo wir
nmittelbar Einfluss haben, zu fördern und wirklich eine
trukturelle Veränderung zu erreichen.
Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass in den im
ahr 2008 beschlossenen forschungsorientierten Gleich-
tellungsstandards der Deutschen Forschungsgemein-
chaft, der DFG, die Verbesserung der Chancengleich-
eit von Frauen und Männern in der Wissenschaft
xplizit als Anliegen formuliert ist.
17858 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Sibylle Laurischk
)
)
Die Einführung der Gleichstellungsstandards hat zu
einer grundsätzlich neuen Situation geführt, in der die
wissenschaftliche Reputation von Hochschulen und wis-
senschaftlichen Einrichtungen – ebenso wie die For-
schungsförderung selbst – an die Bemühungen um die
Beseitigung von strukturellen und personellen Nachtei-
len für Frauen geknüpft ist. Es ist also ein Qualitäts-
merkmal, Frauenförderung nachzuweisen.
Insofern habe ich den Eindruck, dass im Wissen-
schaftsbereich zumindest versucht wird, tatsächlich eine
Frauenförderung auf den Weg zu bringen. Man sieht es
ja auch an der Diskussion, die wir heute führen: Das
Kaskadenmodell ist von Herrn Professor Neumann sehr
plastisch dargestellt worden, und selbst der Staatssekre-
tär hat von der Frauenquote gesprochen. An einem Tag,
an dem wir – zwar außerhalb des Parlaments, aber doch
mit einer Reihe von Parlamentarierinnen aus allen Frak-
tionen – eine Berliner Erklärung zur Förderung von
Frauen in Führungsaufgaben verabschiedet haben, ist
das, denke ich, ein gutes Signal dafür, dass in der For-
schung möglicherweise doch schon etwas weiter gedacht
wird. Dennoch bleibt viel zu tun.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt das Wort die Kollegin Monika Grütters von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, Kollegin-
nen und Kollegen! „Eine Frau, die so gut sein will wie
ein Mann, hat einfach nicht genug Ehrgeiz.“ – Wer auch
immer diese Einsicht, die ja häufig zitiert wird, zuerst
formuliert hat – eines ist jedenfalls klar: Die Wege der
Frauen an die Spitze der Gesellschaft – auch in der Wis-
senschaft – sind eben oft mühsamer als die von euch,
den Herren der Schöpfung.
Es ist offensichtlich, dass dieser Befund nicht nur für
die Gesamtgesellschaft, sondern leider eben auch für die
Wissenschaftsgemeinschaft gilt. Wir haben es heute
schon ein paarmal gehört: 52 Prozent der Studierenden
in Deutschland sind weiblich, der Promotionsanteil liegt
bei 44 Prozent, der Habilitationsanteil bei 24 Prozent,
aber nur 18 Prozent schaffen es auf einen Professorin-
nenplatz. Immerhin, das fand ich doch bemerkenswert
bei dieser Studie – wir reden ja bei dem heutigen Thema
über die Zehnjahreszeiträume, so wie bei der Quotierung
von Frauen in den Aufsichtsräten –: In der Wissenschaft
ist in den letzten zehn Jahren wesentlich mehr passiert
als bei den DAX-Unternehmen. Der Anteil der Professo-
rinnen hat sich immerhin verdoppelt.
– Ich finde es zu wenig. Aber, Frau Burchardt, bei den
DAX-Unternehmen war es ein klägliches, lächerliches
P
D
b
d
m
G
–
m
B
m
n
P
li
n
F
D
L
h
g
fü
a
H
P
s
m
tr
d
d
b
g
K
s
s
–
m
ri
d
n
d
tr
ü
m
g
d
nein, das glaube ich nicht –, weder mit Quoten noch
it Sanktionen. Hier gilt, dass das Ganze nicht nur den
und betrifft, sondern dass auch die Länder mitmachen
üssen und – das hat Herr Staatssekretär Braun gesagt –
atürlich in erster Linie die Hochschulen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis: Die
rogramme, die es gibt, sind ja sinnvoll. Das Land Ber-
n ist das einzige Bundesland, das tatsächlich ein eige-
es Programm zur Förderung der Chancengleichheit in
orschung und Lehre hat.
as haben wir in der Großen Koalition aufgelegt. Das
and gibt dafür immerhin 3,5 Millionen Euro aus. Des-
alb wird da jede vierte Professur von einer Frau wahr-
enommen; ansonsten ist es im Durchschnitt nur jede
nfte. Es geht also. Ich kann nur sagen: Nachahmung
usdrücklich empfohlen.
Ob das ein Tropfen auf den heißen Stein oder, wie
err Braun sagt, eine Säule ist: Das Professorinnen-
rogramm hat 200 Professuren mehr für Frauen ge-
chaffen. Das Programm „Zeit gegen Geld“ sorgt im-
erhin dafür, dass Stipendiengelder in die Kinderbe-
euung gesteckt werden können. Ich glaube aber auch,
ass es vor allen Dingen – wie überall – darum geht,
ass man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
essern muss. Der Rechtsanspruch auf einen Kinder-
artenplatz in Berlin – hier schaffen wir 23 000 neue
indergartenplätze – ist, glaube ich, in dieser Hinsicht
ehr wichtig. Es ist auch schon gesagt worden, dass die
ensible Phase die zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr
das heißt nach der Promotion – ist. Da beginnt die Fa-
ilienbetreuung, und ab da ist es besonders schwierig.
Der Kinderbetreuungszuschlag beim BAföG war
chtig. Das Elterngeld spielt hier – es kommt auch Stu-
ierenden mit Kindern zugute – eine wichtige Rolle. Zu
ennen sind weiter: der garantierte Betreuungsplatz und
as Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbe-
euung“. Es gibt also viele Möglichkeiten. Ich finde
brigens auch, Frau Burchardt, dass man da noch viel
ehr machen muss.
Wir sind uns einig: Gerade auch aufgrund der demo-
rafischen Entwicklung können wir auf die Potenziale
er Frauen nicht verzichten. Und auch diese Erkenntnis
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17859
Monika Grütters
)
)
haben wir – auch wir von der CDU; jedenfalls viele,
gerade aber die Frauen – inzwischen alle: Da, wo Frei-
willigkeit nicht weiterführt, muss es eben doch ein biss-
chen Druck sein – manchmal vielleicht auch ein biss-
chen mehr. Ich bin nicht immer eine Quotenfreundin und
schon gar nicht eine Kampfhenne; wir haben aber bei
den DAX-Unternehmen deutlich gemerkt: Da geht es
nur mit Druck. Sanktionen sind, finde ich, immer proble-
matisch.
Es gibt intelligentere Programme. Ich habe gerade ein
paar genannt.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wenn „Advent“
Erwartung heißt, dann ist und bleibt dieses Thema ein
sehr adventliches.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum bes-
seren Schutz der Verbraucherinnen und
Verbraucher vor Kostenfallen im elektroni-
schen Geschäftsverkehr
– Drucksache 17/7745 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Bundesministerin Leutheusser-
Schnarrenberger.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Lassen Sie mich mit einigen Zahlen beginnen. Über
55 Millionen Bundesbürger haben regelmäßigen Zugang
zum Internet. Pro Tag werden Hunderte von Millionen
Suchanfragen gestellt. Das Netz ist für viele, vor allem
jüngere Menschen bereits jetzt alleiniges Leitmedium.
Das Internet bietet Information, Kommunikation und
Unterhaltung.
b
k
D
M
Z
ru
G
b
je
e
b
li
H
li
G
V
U
a
s
s
O
c
ü
fa
n
e
S
tr
a
b
n
E
w
b
S
s
d
A
R
D
li
e
S
d
c
A
ie gefährden das Vertrauen der Verbraucher in den elek-
onischen Geschäftsverkehr insgesamt. Das wissen wir
us zahlreichen Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern.
Mit diesem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung
ei genau diesem Sachverhalt ein und schiebt der „Inter-
etabzocke“ einen Riegel vor.
in Vertrag im Internet kommt zukünftig nur zustande,
enn der Verbraucher bei der Bestellung ausdrücklich
estätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Die
chaltfläche für das Aufgeben der Bestellung, der Be-
tellbutton, muss unmissverständlich und gut lesbar auf
ie Zahlungspflicht hinweisen. Eine Schaltfläche mit der
ufschrift „kostenpflichtig bestellen“ macht jedem die
echtsfolge seines Tuns klar.
ies gilt immer, wenn Waren oder Dienstleistungen on-
ne bestellt werden, und zwar unabhängig davon, ob
ine Bestellung mit dem heimischen Computer, dem
martphone oder dem Tablet-PC aufgegeben wird.
Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir diesen Bereich
es Geschäftsverkehrs im Internet ein Stück sicherer ma-
hen. Wir sind damit Vorreiter in Europa. Ich bin sicher:
ndere europäische Staaten werden und müssen schnell
17860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
)
)
nachziehen; denn diese Form von Geschäftsgebaren en-
det natürlich nicht an nationalen Grenzen. Deshalb ha-
ben wir, die Bundesregierung, uns sehr dafür eingesetzt,
dass diese sogenannte Buttonlösung Teil der Verbrau-
cherrechterichtlinie der Europäischen Union geworden
ist;
sie ist Anfang dieser Woche in Kraft getreten. Wir wol-
len nicht warten, bis wir am Ende der zweijährigen Um-
setzungsfrist angelangt sind, sondern wollen mit unse-
rem Gesetzentwurf zügig vorangehen.
Wir begrenzen den Gesetzentwurf bewusst auf Ver-
träge zwischen Unternehmern und Verbraucherinnen
und Verbrauchern. Damit halten wir uns eng an die Vor-
gaben der Verbraucherrechterichtlinie. Die Informa-
tionspflichten auf Verträge zwischen Unternehmern aus-
zuweiten, würde zusätzliche bürokratische Hemmnisse
für die Wirtschaft schaffen. Wir halten eine solche Rege-
lung in diesem Rechtsverkehr für nicht geboten und für
nicht notwendig. Die Erfahrungen zeigen, dass fast aus-
schließlich Verbraucher auf solche Angebote hereinfal-
len und Opfer einer Kostenfalle werden. Dies haben wir
im Vorfeld der Erarbeitung des Gesetzentwurfs auch im
Rahmen einer Anhörung feststellen können, die wir mit
beteiligten Kreisen und vielen Vertretern von Verbänden
durchgeführt haben. Im reinen Geschäftsverkehr halten
wir eine solche Regulierung also für nicht notwendig,
und da, wo wir Gesetze für nicht notwendig halten, soll-
ten wir sie auch vermeiden. Deshalb legen wir Ihnen den
Gesetzentwurf in dieser Fassung vor.
Ich hoffe, dass wir bei den Gesetzgebungsberatungen
mit diesem Gesetzentwurf am Ende so konstruktiv um-
gehen, wie es heute schon bei einem anderen Thema, bei
der Mediation, der Fall war.
Vielen Dank.
Jetzt hat die Kollegin Marianne Schieder von der
SPD-Fraktion das Wort.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolle-
ginnen! Ich glaube, alle von uns kennen das schöne, alte
Weihnachtslied Alle Jahre wieder. Die Bescherung, die
unzähligen Verbraucherinnen und Verbrauchern auch in
diesem Jahr wieder zuteilgeworden ist oder noch zuteil-
wird, bringt aber keine guten Gaben, sondern Forderun-
gen von zumeist dubiosen Inkassofirmen, die häufig mit
betrügerischen Abofirmen unter einer Decke stecken.
Über Anzeigen auf Suchmaschinen locken unseriöse
Unternehmen Internetnutzerinnen und -nutzer auf ihre
Seiten. Viele rechnen nicht damit, dort für Dienste oder
Software, die es im Internet im Normalfall kostenlos
gibt, zum Beispiel Kochrezepte, bezahlen zu müssen. In
g
v
e
g
V
K
s
d
s
d
d
te
J
e
z
w
te
w
H
P
A
b
ti
A
S
b
te
A
im
o
K
B
V
jä
w
fa
P
h
–
je
b
z
d
te
–
s
S
Vor fast genau einem Jahr, am 2. Dezember 2010, ha-
en wir darüber in diesem Hause abschließend disku-
ert.
ber statt unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, Herr
taatssekretär, und eine schnelle Lösung auf den Weg zu
ringen, haben Sie ihn abgelehnt. Seit einem Jahr könn-
n wir Kostentransparenz im Internet haben. Unseriösen
nbietern wäre es erschwert worden, die Konsumenten
Internet durch unklare oder versteckte Preisangaben
der an Benutzerregistrierungen gekoppelte Verträge in
ostenfallen zu locken. Bedenkt man, dass zu diesem
ereich monatlich über 20 000 Beschwerden bei den
erbraucherzentralen eingehen und bei den Betroffenen
hrlich ein mehrstelliger Millionenschaden angerichtet
ird, müssen Sie sich, Frau Ministerin, den Vorwurf ge-
llen lassen, die Menschen ein weiteres Jahr mit dem
roblem und den finanziellen Folgen alleingelassen zu
aben.
Sie hätten vor einem Jahr umsetzen können, wozu Sie
tzt endlich bereit sind, weil Ihnen nichts anderes übrig
leibt.
Umfragezahlen des Infas-Instituts vom August 2011
eigen klar, was Sache ist: 8,5 Millionen Menschen sollen
emnach in den vergangenen zwei Jahren Opfer eines In-
rnetbetrugs geworden sein. 5,4 Millionen Menschen
das sind 11 Prozent aller deutschen Internetnutzer –
ind in eine Abofalle geraten. Es ist sehr bedauerlich, dass
ie erst jetzt bereit sind, das Problem zu erkennen, sich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17861
Marianne Schieder
)
)
ihm anzunehmen und unseren Vorschlägen zu folgen. Das
sind wir aber von Ihnen gewöhnt.
Wir sind bereit, den vorliegenden Gesetzentwurf zü-
gig, aber mit der nötigen Sorgfalt zu beraten, damit die-
sen kriminellen Machenschaften endlich der Boden ent-
zogen werden kann.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der
Kollege Marco Wanderwitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Ministerin hat schon skizziert, worüber wir
sprechen: über unseriöse Angebote, die getarnt im Inter-
net auf diejenigen warten, die durchaus mit vielen seriö-
sen Angeboten in Kontakt gekommen sind. Frau Kolle-
gin Schieder, Sie haben schon darauf hingewiesen, dass
es eben nicht nur schwarze Schafe gibt. Abofallen funk-
tionieren deshalb so gut, weil man sie leider oft auf den
ersten und auch auf den zweiten Blick nicht von seriösen
Angeboten unterscheiden kann.
Die Folge ist Inkasso-Stalking. Das heißt, man wird mit
Forderungen überzogen, die sich schnell zu größeren
Summen anhäufen. Viele zahlen unter Druck, weil sie
die Sorge haben, dass es noch teurer werden kann oder
weil sie vielleicht überhaupt keine Erinnerung mehr da-
ran haben; denn eine solche Forderung kommt meist
nicht eine Woche danach, sondern mit erheblicher zeitli-
cher Verzögerung. Viele scheuen den Gang zum Anwalt.
Zwar sind die Summen teilweise erheblich – 100 Euro
kommen da schnell zusammen –; aber trotzdem überlegt
man, ob die anwaltliche Beratung nicht wahrscheinlich
genauso viel kostet.
Die politischen Aktivitäten, die es in den letzten Jah-
ren hier im Hause im Zusammenhang mit dem Verbrau-
cherschutz im Internet gegeben hat, sind zahlreich.
Ich will als Beispiel die unerlaubte Telefonwerbung nen-
nen; das haben wir gesetzlich geregelt. Wir haben auch
die Verbraucherzentralen gemeinsam unterstützt, und ich
nenne Softwareprogramme als Abzockschutz.
G
e
–
la
g
m
le
S
S
d
k
W
d
d
d
v
w
s
n
re
b
M
m
–
s
–
a
d
d
–
b
B
e
d
g
ri
Hören Sie einfach einmal zu. Das ist nicht zu viel ver-
ngt. Wir haben doch auch schön zugehört. – Wir haben
esagt: Es hat wenig Sinn, ein europäisches Phänomen
it nationaler Gesetzgebung allein bekämpfen zu wol-
n. Viele Betreiber dieser Abzockseiten haben ihren
itz eben nicht in Deutschland. Deswegen hätte es wenig
inn gemacht, wenn wir ein deutsches Einzelgesetz auf
en Weg gebracht hätten, um dieses Phänomen zu be-
ämpfen.
ir haben stattdessen eine europäische Regelung beför-
ert. Genau diese Verbraucherrechterichtlinie hat nun
en Rat passiert, federführend vorangetrieben von der
eutschen Seite. Insofern haben wir uns überhaupt nichts
orzuwerfen; denn wenn wir nicht Gas gegeben hätten,
äre es in Europa nicht so schnell gegangen.
Wir sind in Europa – das hat die Ministerin schon ge-
agt – so ziemlich die Ersten, die die Richtlinie in natio-
ales Recht umsetzen. Jetzt haben wir den Zeitpunkt er-
icht, an dem es Sinn macht, ein Gesetz auf den Weg zu
ringen; denn wir werden es nicht ein paar Wochen oder
onate nach Verabschiedung das erste Mal korrigieren
üssen.
Frau Schieder, Sie wussten natürlich, wie die europäi-
che Regelung genau aussehen wird, nicht wahr?
Sie haben sie formuliert. Das ist, finde ich, ein sehr
müsanter Einwurf. Ich habe Ihren Gesetzentwurf aus
em letzten Jahr noch einmal gelesen. Der sah etwas an-
ers aus als die jetzige Regelung.
Doch, es stimmt. Wir können das außerhalb der De-
atte gerne noch einmal übereinanderlegen.
Wir orientieren uns, weil wir das Gesetz nicht in
älde wieder verändern wollen, hinsichtlich des Gesetz-
ntwurfs weitestgehend an der Richtlinie. Wir werden
ie sogenannte Schaltflächenlösung verankern und aus
enau diesem Grund nur das Verhältnis zu Verbrauche-
nnen und Verbrauchern regeln. Auch daran ist im Vor-
17862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Marco Wanderwitz
)
)
feld Kritik geäußert worden. Es wurde gesagt, dass man
das Ganze auch auf die sogenannten B2B-Verträge aus-
weiten könnte. Die Richtlinie sieht aber gerade den Ver-
braucherschutz vor. Deshalb wollen wir auch nur im
Verhältnis zu Verbrauchern tätig werden.
Die rechtlichen Konsequenzen sind klar: Wer die
neuen Gestaltungspflichten nicht beachtet, insbesondere
hinsichtlich der Schaltfläche, mit der man ausdrücklich
bestätigt, dass man zur Kenntnis genommen hat, dass es
sich um eine kostenpflichtige Bestellung handelt – es
geht auch darum, wie sie beschaffen ist, und um noch ein
bisschen mehr –, der hat künftig keinen Vertrag.
Sie haben vorhin angesprochen, Frau Kollegin
Schieder, dass Millionen Menschen in solche Fallen ge-
raten sind. Ich glaube, wir müssen zur Kenntnis nehmen,
dass auch das neue Gesetz nicht dafür sorgen wird, dass
es künftig keine solchen Seiten mehr gibt. Wer eine Zah-
lungsaufforderung künftig bezahlt, ob im guten Glauben
oder aus vorauseilendem Gehorsam, kann auch künftig
in eine solche Falle tappen; denn dieses Gesetz wird
nicht dafür sorgen, dass es keine schwarzen Schafe mehr
gibt, die versuchen, eine Abzockfalle zu installieren. Im
Übrigen gilt auch nach derzeitigem Recht – das ist aus-
geurteilt –, dass in solchen Fällen kein Vertrag zustande
kommt. Das ist deutsches Zivilrecht. Das steht im BGB.
Wenn die betrügerische Absicht nachweisbar ist, wofür
es des subjektiven Tatbestands bedarf, haben wir es
möglicherweise auch mit einer Straftat zu tun. Dieses
Gesetz sorgt natürlich dafür – schon allein deshalb ist es
gut –, dass die Öffentlichkeit für diese Thematik sensibi-
lisiert wird; es wird aber nicht verhindern können, dass
Menschen in eine aufgestellte Falle tappen.
Mit diesem Gesetzentwurf nehmen wir – das ist ein
Kritikpunkt, der zwar nicht in diesem Haus, aber von
Unternehmern geäußert wird – einen gewissen Mehrauf-
wand für die Unternehmen in Kauf. Das ist ein relativ
kleiner Aufwand. Im Regelfall ist es damit getan, den
Webshop einmal umzustellen. Das halten wir für zumut-
bar. Gleichwohl – das muss man sagen – kostet der ge-
steigerte Verbraucherschutz die Unternehmen ein biss-
chen Geld. Gerade bei kleinen Shops wird sich das
möglicherweise am Ende bei den Produkten niederschla-
gen. Das muss man in diesem Zusammenhang zumin-
dest einmal erwähnt haben.
Ich sehe – zumindest dieses Thema möchte ich im
Zuge des parlamentarischen Verfahrens ansprechen – ein
behebbares praktisches Problem: Wir wollen, dass die
Schaltfläche so aussieht, dass die gesamte Bestellung auf
dem Bildschirm erkennbar ist, ohne dass man scrollen
muss, wenn man am Ende den entscheidenden Klick auf
„Ja, ich kaufe“ macht. Das ist regelmäßig unproblema-
tisch, wenn wir uns einmal einen Internetshop mit einem
Warenkorb vorstellen, in den ich vielleicht zwei Bücher
gelegt habe. Wenn ich aber sehr kleinteilig bzw. schlicht
s
s
S
e
w
S
s
n
A
ti
h
S
F
H
m
fü
d
w
E
S
a
H
D
A
s
b
P
g
s
s
d
d
ü
d
A
h
m
fo
S
d
Z
s
d
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Das Internet ist aus der modernen Welt nicht
ehr wegzudenken. Leider ist es auch ein Tummelplatz
r Abzocker geworden. Wer kennt nicht diese Mails,
ie so vielversprechend lauten: Sie haben 500 Euro ge-
onnen. – Aber wenn man nicht aufpasst, hat man am
nde eine Waschmaschine gekauft. Geködert wird mit
pielen, Handys, Glücksspielen, Digitalkameras oder
uch angeblich kostenlosen Diensten wie Kochrezepten,
ausaufgabenhilfen und Softwareprogrammen. In
eutschland liegt der Schaden durch diese unseriösen
nbieter im mehrstelligen Millionenbereich. Das ist hier
chon mehrfach thematisiert worden.
Während die Liste der Verfahren gegen unseriöse An-
ieter immer länger wird, schießen neue Angebote wie
ilze aus dem Boden. Eine neue Website ist leicht pro-
rammiert, eine neue Firma schnell gegründet. So weit
cheinen wir alle uns in diesem Hohen Hause einig zu
ein. Das alles ist aus meiner Sicht in den letzten Jahren
adurch möglich gewesen, weil die Bundesregierung
ieses Thema viel zu lange verschlafen hat.
Was die Bundesregierung uns heute vorlegt, ist längst
berfällig. Meine Kollegin von der SPD hat schon etwas
azu gesagt, dass die Chance vertan wurde, einem SPD-
ntrag zu diesem Thema zuzustimmen. Auch Die Linke
atte schon vor einer ganzen Weile im Zusammenhang
it dem TKG die Einführung eines Internetbuttons ge-
rdert.
ie haben die Chancen verpasst. Leidtragende sind auch
ie Verbraucherinnen und Verbraucher, die seit dieser
eit sehr viel Geld verloren haben. Im Endeffekt sind
chon viel zu viele Verbraucherinnen und Verbraucher in
ie Internetkostenfalle getappt. Wären Sie nicht so zö-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17863
Caren Lay
)
)
gerlich gewesen, hätte das alles verhindert werden kön-
nen.
Des Weiteren sind die Regelungen, die jetzt vorge-
schlagen worden sind, aus unserer Sicht nicht weitrei-
chend genug. Wir wünschen – das können wir im Laufe
der Debatte weiter diskutieren – zum Beispiel wirksa-
mere Bußgelder. Die Gewinnmöglichkeiten für unseriö-
se Internetanbieter sind riesengroß. Man hat per Internet
schnell Zugriff auf ein Riesenpublikum. Die bisherigen
Bußgelder sind dagegen ein Witz und müssen tatsächlich
deutlich erhöht werden.
Weiter sagen wir als Linke: Wer von Internetabzocke
spricht, der darf auch über Inkassoangstmache nicht
schweigen. Ich habe sehr wohl vernommen, dass auch
die CDU/CSU dieses Thema heute angesprochen hat.
Ich bin gespannt, wie wir uns hier im Laufe des Gesetz-
gebungsverfahrens verständigen werden. Beides gehört
unmittelbar zusammen; denn das Zusammenspiel von
Internetabzockern und unseriösen Inkassofirmen ist gän-
gige Praxis.
Viele Menschen zahlen heute aus Angst selbst unbe-
rechtigte Forderungen. Oft lassen Phantasiepreise, Auf-
schläge und Zinsen die Gesamtkosten explodieren. Eine
Schuldnerberatung hat beispielsweise von folgendem
Fall berichtet: Es gab eine ursprüngliche Forderung in
Höhe von 20,84 Euro. Am Ende wurden 1 200 Euro ver-
langt.
Eine Auswertung der Verbraucherzentralen von 4 000
Verbraucherbeschwerden über Inkassofirmen hat erge-
ben: 99 Prozent der Verbraucherbeschwerden waren be-
rechtigt.
Es kann doch nicht sein, dass die Politik auf diese or-
ganisierte Abzocke nur alle paar Jahre mit wenigen zag-
haften Schritten antwortet. Ich finde, die Bundesregie-
rung hinkt den immer neuen Anbietertricks hoffnungslos
hinterher. Das halte ich aus verbraucherpolitischer Sicht
für eine Zumutung.
Wir als Linke fordern Maßnahmen, die konsequent und
vorausschauend sind. Wir werden die Bundesregierung
und die Koalition nicht an ihrer Rhetorik, sondern an der
Wirksamkeit ihrer Maßnahmen messen.
Vielen Dank.
K
u
h
s
z
n
w
D
n
d
m
s
D
D
M
d
ri
d
k
a
h
v
is
w
k
G
s
s
T
T
s
g
in
d
to
w
B
lo
s
R
s
s
d
li
e
lö
M
d
)
bis Sie sich dazu entschlossen haben, eine Lösung vor-
zuschlagen.
Ich habe schon davon gesprochen: Die rechtliche Si-
tuation ist das eine, die Realität in den Augen der juristi-
schen Laien, also der meisten Verbraucherinnen und
Verbraucher, ist das andere. Zu einem solchen unterge-
schobenen Vertrag gehört natürlich auch das Inkasso-
unternehmen. Entscheidend ist ja nicht, welcher Vertrag
zustande kommt, sondern, ob der Kunde wirklich zahlt.
Durch die deutliche Buttonlösung werden wir bestimmt
viele Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, aber
das Problem mit den unseriösen Inkassounternehmen ist
dadurch nicht gelöst. Es gehören immer zwei dazu: der
eine, der den dubiosen Vertrag in irgendeiner Form an-
bahnt, und der andere, der den Verbrauchern das Geld
aus der Tasche zieht.
Im ELV-Ausschuss haben wir in dieser Woche mit
Freude zur Kenntnis genommen, dass zumindest Eck-
punkte für eine Regulierung der dubiosen Inkassounter-
nehmen geplant sind. Man muss aber sagen, dass inoffi-
zielle Eckpunkte bei den meisten schwarzen Schafen auf
dem Markt nicht unbedingt das große Zittern auslösen.
Da muss man schon etwas mehr tun. Wir warten also auf
einen Gesetzentwurf statt inoffizieller Eckpunkte.
Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen. Das
Tempo, in dem sich im digitalen Zeitalter die Märkte
und damit auch dubiose Geschäftspraktiken entwickeln,
stellt an uns Politiker als Regulierer höhere Anforderun-
gen bezüglich der Geschwindigkeit, mit der wir reagie-
ren. Mein Eindruck hinsichtlich dieser Buttonlösung,
aber auch hinsichtlich der Maßnahmen gegen diese In-
kassounternehmen ist, dass die Politik mit Ihnen als
schwarz-gelbe Regierung vorweg bei diesem Tempo
nicht mithalten kann. Das finde ich schade. Wir können
nicht mit der Geschwindigkeit des analogen Zeitalters
auf verbraucherpolitische Herausforderungen der digita-
len Zeit reagieren. Das ist zu langsam. Das ist die Kritik,
die in diesem Zusammenhang geäußert werden muss.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Mechthild Heil.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit der heute zu treffenden Entscheidung zur
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches lösen wir ein
weiteres wichtiges Verbraucherschutzversprechen des
Koalitionsvertrages ein. CDU/CSU und FDP haben ver-
einbart, ein verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle
Vertragsabschlüsse im Internet zu schaffen. Wir wollen
d
d
lö
c
L
5
g
In
d
E
lu
te
d
te
le
g
G
D
e
s
M
n
g
le
c
P
le
s
le
d
V
n
g
n
s
m
fl
a
G
u
tr
s
m
s
G
k
s
Worum geht es? Wir sprechen von einer Button-
sung. Was ist das, und was wollen wir damit errei-
hen?
aut einer aktuellen Untersuchung von Infas sind bereits
,4 Millionen deutsche Internetnutzer in eine Abofalle
etappt; das sind immerhin 11 Prozent aller deutschen
ternetnutzer. Bei den Verbraucherzentralen gehen bun-
esweit rund 22 000 Beschwerden im Monat ein.
s geht um Kochrezepte, Horoskope, Fun-Videos und
stige Klingeltöne, die vom Nutzer als scheinbar kos-
nlose Dienste heruntergeladen werden. Oft steht auf
er Seite ganz prominent „gratis“ oder „free“. Weiter un-
n – versteckt – steht dann „kostenpflichtig“ oder viel-
icht auch „Nur frei für die erste von weiteren Lieferun-
en“. Andere Seiten ködern mit Sach- oder
eldgewinnen. Da werden Handys, Spielekonsolen oder
igitalkameras versprochen. Manch einer glaubt, der
inzige Schritt, der ihn noch vom Hauptgewinn trennt,
ei das Eintragen seiner persönlichen Daten in die
aske.
Auf die teilweise beträchtlichen Kosten wird meist
ur versteckt im Kleingedruckten hingewiesen. Bei eini-
en Anbietern muss man bis an das Ende der Seite scrol-
n bzw. blättern, um dann, versteckt zwischen zahlrei-
hen anderen Informationen, im Fließtext den
reishinweis zu finden. Leicht hat man, ohne es zu wol-
n, mit einem Klick ein ganzes Abo bestellt. Auch ver-
ierte Internetnutzer lassen sich so überrumpeln. Darauf
gen es diese Firmen an. Es geht ums schnelle Geldver-
ienen. Die Geschäftsidee ist Verschleiern, Verstecken,
erschweigen.
Klar ist: Schon heute müsste der Verbraucher meist
icht zahlen, weil kein rechtmäßiger Vertrag zustande
ekommen ist. Aber wer weiß das schon? So etwas kön-
en Juristen gut beurteilen; aber die meisten Verbraucher
ind nun einmal keine Juristen. Als Verbraucher fühlt
an sich dann hilflos, wenn eine Rechnung ins Haus
attert. Man ärgert sich vielleicht über sich selber, gibt
m Ende aber zermürbt auf und zahlt, auch weil man den
ang vors Gericht scheut. Doch damit, meine Damen
nd Herren, ist heute Schluss. Zukünftig gilt: Der Ver-
ag kommt nur zustande, wenn der Kunde auf eine ge-
onderte Schaltfläche, also auf einen Button, klickt. Dort
uss zu lesen sein: „zahlungspflichtig bestellt“. Es müs-
en Angaben zum Preis, zur Vertragslaufzeit und zu den
esamtlieferkosten zu finden sein. Diese einfache und
lare Lösung schützt die Kunden vor Kostenfallen und
tärkt das Vertrauen der Kunden ins Internet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17865
Mechthild Heil
)
)
Wir wählen für die Schaltflächenlösung einen tech-
nikneutralen Ansatz. Sie funktioniert auf Tablet-PCs und
Smartphones genauso wie auf Spielekonsolen. Dies be-
deutet für den Handel erheblich niedrigere Umsetzungs-
kosten.
Ein schwieriger Punkt im Hinblick auf Abofallen wa-
ren in den letzten Wochen und Monaten vor allen Din-
gen Smartphones. Hier gab es ein weiteres Schlupfloch.
Schon ein Klick auf ein Werbebanner konnte dazu füh-
ren, dass unseriöse Anbieter über den Telefonprovider
Beträge für eine fiktive Dienstleistung in Rechnung
stellten und sie einfach vom Konto der Mobilfunknutzer
abzogen, in der Fachsprache „WAP-Billing“ genannt.
Dieses Schlupfloch haben wir bereits vor einigen Wo-
chen im Telekommunikationsgesetz erfolgreich ge-
schlossen.
Jeder Smartphonenutzer kann diese Form der Abrech-
nung jetzt sperren lassen, um sicherer im Internet zu sur-
fen.
Die Verbraucherzentralen tragen unsere Lösung un-
eingeschränkt mit. Wir haben in Brüssel durchgesetzt,
dass diese Buttonlösung europaweit zum Standard wird.
Nur die Freunde der Opposition meckern weiter herum –
auch heute. Schade, dass Sie nicht gutheißen können,
was wirklich gut gemacht ist.
Wir helfen den Internetnutzern, und das ist das, was
zählt. Auf diesem Weg werden wir weitergehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Tack für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Vom Grundsatz her begrüßen wir diesen Ge-
setzentwurf, und wir werden ihm auch zustimmen. Das
können wir an dieser Stelle sagen; denn es ist ja ganz
eindeutig, dass unser Vorschlag, den wir hier vor sage
und schreibe 525 Tagen eingebracht haben, von Ihnen
abgelehnt worden ist. Ich finde, nach 525 Tagen kann
man sehr wohl einmal sagen: Das hat aber lange gedau-
ert, Frau Ministerin.
h
E
w
D
H
w
w
B
a
z
b
R
k
s
G
ü
n
u
V
d
D
g
P
th
n
d
s
–
G
re
A
w
p
G
Ic
la
H
a
Als wir das hier vor über 500 Tagen debattiert haben,
at ein Kollege aus der CDU gesagt, man wolle das mit
uropa regeln, aber wenn das so lange dauert, dann
olle man im Herbst einen eigenen Entwurf vorlegen.
ie Rede war vom Herbst des Jahres 2010.
eute, kurz vor Weihnachten des Jahres 2011, kommen
ir endlich zu einem Gespräch über einen völlig not-
endigen Gesetzentwurf. Aber wir wissen ja, dass die
undesregierung immer ein wenig mehr Zeit braucht,
ls man das erwarten kann, wenn es darum geht, die Ab-
ocke und die Kosten der Verbraucherinnen und Ver-
raucher zu minimieren.
Die Baustellen sind groß. Ich nenne zum Beispiel die
egelungen zur Einführung eines Rechts auf ein Giro-
onto für jedermann, die Gebühren für ein Pfändungs-
chutzkonto, die Gebühren für das Onlinebanking, die
ebühren für das Geldabheben an Bankautomaten, die
berzogenen Dispozinsen und die Einführung von Ho-
orarberatungen. Allüberall gibt es offene Baustellen
nd geht es um die Abzocke von Verbraucherinnen und
erbrauchern und um Kosten, die ihnen entstehen, ohne
ass es gesetzlich reglementiert werden würde.
ie Kosten, die dadurch entstanden sind, dass so lange
ewartet wurde, wurden hier mehrfach angedeutet.
Dieser Gesetzentwurf ist aber eben nur ein Teil des
roblems. Die Inkassounternehmen, die mit ihren Me-
oden dazu beitragen, dass die Kosten der Verbraucher
och um ein Vielfaches steigen, sind die andere Seite
erselben Medaille. Die Inkassounternehmen verhalten
ich teilweise wie im Wilden Westen und bewegen sich
darin sind wir alle uns hier sehr einig – jenseits von
ut und Böse.
Auch das will ich deutlich sagen: Eckpunktepapiere
ichen hier nicht aus.
ls es um die Honorarberatung ging, haben wir gesehen,
ie die Bundesregierung mit einem vorgelegten Eck-
unktepapier umgeht. Die Aussage zum Zeitplan ist:
ründlichkeit vor Schnelligkeit.
h glaube nicht, dass es noch in dieser Wahlperiode, wie
nge sie auch noch gehen mag, zu einer Regelung für
onorarberater kommt, und ich nehme Ihnen auch nicht
b, dass aus dem Eckpunktepapier zur Reglementierung
17866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Kerstin Tack
)
)
der Inkassounternehmen noch in dieser Wahlperiode
eine Regelung hervorgehen wird.
Darüber können wir uns gerne unterhalten, wenn ein Ge-
setzentwurf vorgelegt wird, sodass wir über geeignete
Maßnahmen reden können.
Ich glaube, dass Maßnahmen gegen Kostenfallen im
Internet überfällig sind. In der Tat werden Opfer von
Kostenfallen sehr häufig die Menschen, die an ganz vie-
len Stellen, mehrfach, zum Opfer werden, also nicht nur
durch Kostenfallen im Internet oder durch Inkassounter-
nehmen. Das sind ganz häufig Leute, die aufgrund ihrer
eigenen Situation immer wieder eines besonderen Schut-
zes bedürfen.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir bei diesem Gesetz-
entwurf nicht nur darüber reden, wie die Verbraucherin-
nen und Verbraucher vor einer Abzocke geschützt wer-
den können, sondern auch darüber, dass für uns der
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher auch in
anderen Bereichen vor den Interessen der Unternehmen
und der Wirtschaft steht. Hier warten wir auf Ihre Vor-
schläge, auch für all die anderen Baustellen, die ich ge-
rade genannt habe.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind darauf
angewiesen, dass Sie tätig werden. Also, bitte schön, le-
gen Sie vor!
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/7745 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Kai Gehring, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen
für Kinder und Jugendliche unbürokratisch,
zielgenau und bedarfsgerecht erbringen
– Drucksache 17/8149 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall.
te
n
te
P
v
B
W
P
B
g
v
B
A
k
n
s
d
b
v
m
m
g
te
d
d
m
S
e
d
a
g
G
fr
e
e
w
d
s
w
li
a
z
)
Aus der Ratsfraktion Hamm bekomme ich die Rück-
meldung:
Die Vorgaben der Bundesregierung verhindern
mehr, als sie fördern. Ein Hoch auf die Bürokratie.
Die Verwaltung verschlingt nach meinen Hochrech-
nungen bis zu 30 Prozent der gesamten Mittel. Das Ein-
zige, was wirklich boomt, sind die Neueinstellungen in
den Sozialämtern, um das Ganze abzuwickeln.
Es gibt etliche Widersprüche und Verfahren, weil es
unbestimmte Rechtsbegriffe gibt. Nehmen wir zum Bei-
spiel die Lernförderung, bei der überhaupt nicht richtig
klar ist, zu welchem Zeitpunkt vor dem Schuljahres-
wechsel man überhaupt in den Genuss der Lernförde-
rung kommt. Muss man schon kurz vor „ungenügend“
oder „mangelhaft“ stehen, oder reicht auch die Gefahr,
dass man in den Bereich „ausreichend-minus“ oder
„mangelhaft“ kommt? Es gibt Verwaltungsstellen, die
sagen: Warten wir erst einmal ab. Wir machen die Lernför-
derung im Mai, zwei Monate vor der Zeugnisvergabe. – Es
gibt einen Flickenteppich von unterschiedlichen Rechts-
verhältnissen und einen ganz hohen bürokratischen Auf-
wand bei Antragstellern, Schulen, Vereinen und Behör-
denmitarbeitern.
Sehr treffend, finde ich, hat es ein Lehrer vom Neu-
köllner Albert-Schweitzer-Gymnasium ausgedrückt – das
war vorgestern im Tagesspiegel nachzulesen –, der sagte:
Im Verhältnis zu den Summen, die bewilligt wer-
den, ist das
– er meint den bürokratischen Aufwand –
schlicht Wahnsinn.
So ist es auch.
Was macht diese Bundesregierung? – Sie stiehlt sich
aus der Verantwortung. Frau von der Leyen steht hier
und verkündet und verkündet. Der Staatssekretär Ralf
Brauksiepe antwortet auf meine Frage am 30. November
2011:
Die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes
obliegt nicht der Bundesregierung; denn Träger …
sind die Kreise und kreisfreien Städte.
Er schließt:
Der Bund hat hierbei keine Regelungs- und Ent-
scheidungskompetenz.
Sie stehlen sich aus der Verantwortung. Ich fordere Sie
auf: Beraten Sie unseren Antrag! Wir machen sehr ziel-
genau und differenziert Vorschläge, was man auszahlen
und was man über die Infrastruktur abwickeln kann. Ma-
chen Sie endlich einen Schritt, damit wir nicht nächstes
Jahr zu Weihnachten wieder sagen müssen: Das ist ein
Paket, das man nicht auspacken kann.
K
K
n
p
s
Ih
D
G
w
c
d
h
s
li
h
L
in
G
in
G
S
e
p
u
b
s
W
d
E
n
m
O
te
b
A
D
enn, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von den
rünen, eine echte Chance, wie Sie es nennen, haben
ir Kindern und Jugendlichen gegeben, als wir von der
hristlich-liberalen Koalition gemeinsam mit der SPD
as Bildungspaket im Frühjahr beschlossen haben. Wir
aben rund 2,5 Millionen Kindern Teilhabe an gesell-
chaftlichen Aktivitäten und Bildungsangeboten ermög-
cht. Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes er-
ält nahezu jedes zweite Kind in unserem Land eine
eistung aus dem Bildungspaket.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
sbesondere Herr Kurth, vielleicht waren Sie mit Ihren
edanken bei der Ausformulierung Ihres Antrags noch
der vorletzten Legislaturperiode, als Sie die Hartz-IV-
esetze auf den Weg gebracht haben. Anders als die
PD haben Sie sich aus der Verantwortung gestohlen, als
s in diesem Frühjahr darum ging, wie das Bildungs-
aket bzw. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
mgesetzt werden kann.
Mit dem Gesetz zum Bildungs- und Teilhabepaket ha-
en wir erstmals seit der Einführung der Hartz-IV-Ge-
etze eine sachbezogene, zielgerichtete Leistung auf den
eg gebracht, die dorthin fließt, wohin sie direkt soll:
irekt zum Kind.
s ist erfreulich, dass das Bildungs- und Teilhabepaket
ach ersten Anlaufschwierigkeiten inzwischen von im-
er mehr Familien in Anspruch genommen wird. Bis
ktober 2011 haben 44 Prozent der Anspruchsberechtig-
n für ihre Kinder Leistungen aus dem Bildungspaket
eantragt. Einen Monat später ist die durchschnittliche
ntragsquote sogar auf mehr als 45 Prozent gestiegen.
ie Tendenz steigt. Das zeigt: Es gibt eine Bereitschaft
17868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Heike Brehmer
)
)
bei den Familien, das Bildungspaket zu beantragen und
zu nutzen.
Dass diese Bereitschaft noch mehr zunimmt, wünsche
ich mir für die Zukunft.
Bedauerlicherweise verläuft die Antragstellung in der
Praxis trotz positiver Entwicklung schleppend. Das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales hat diese Ent-
wicklung beobachtet und sehr schnell reagiert.
– Hören Sie doch einmal zu! Dann lernen Sie vielleicht
dazu. – Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr hat un-
sere Ministerin Frau von der Leyen einen runden Tisch
einberufen und gemeinsam mit Vertretern von Bund,
Ländern und Kommunen die Umsetzung des Bildungs-
paketes beraten. Der beim letzten runden Tisch verein-
barte Globalantrag geht in die richtige Richtung. Mit
ihm soll die Beantragung des Bildungspaketes für die El-
tern einfacher gestaltet werden. Die Kommunen feilen
derzeit daran, diesen vereinfachten Antrag nach ihren
Möglichkeiten umzusetzen. Dort, wo durch das Bil-
dungspaket zusätzlicher Aufwand entsteht, können die
Behörden mehr Personal einstellen. Der Bund stellt da-
für 163 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Die
christlich-liberale Koalition ermöglicht damit Teilhabe
und beugt Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen
vor.
Aus meinem Wahlkreis Harz und dem Salzlandkreis
kann ich berichten, dass die meisten Zuschüsse zum Mit-
tagessen und zum Schulbedarf genutzt werden. Diese
Leistungen wurden vom Kitaalter bis zum Abitur bean-
tragt. Die Nachfrage steigt. Dies beweist die wachsende
Zahl der Anträge seit dem Sommer.
Frau Kollegin Brehmer, der Kollege Kurth möchte Ih-
nen eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?
Nein.
Nein, keine Zwischenfrage.
Die Kommunen sind bemüht, die Möglichkeit der
Antragstellung an die Eltern vor Ort heranzutragen. Ei-
n
H
ri
S
c
ih
T
m
s
g
o
s
J
K
d
li
li
S
c
B
N
M
k
d
g
k
s
S
m
M
k
V
re
z
z
n
ü
3
s
Da viele zu Weihnachtsfeiern müssen, mache ich es
urz. – Ich möchte Sie darauf hinweisen, Frau Brehmer,
ass die Inanspruchnahmequote von 45 Prozent, die Sie
enannt haben, vor allen Dingen deswegen zustande
ommt, weil das sogenannte Schulbasispaket, das es
chon vorher gegeben hat, also etwa Zuschüsse zu
chulbüchern, natürlich weiterhin in Anspruch genom-
en wird. Wenn wir uns das differenziert anschauen,
ittagessen, Teilhabepauschale, Lernförderung, dann
ommen wir auf eine wesentlich geringere Quote.
Sie haben gesagt: Der Bund stellt noch mehr Geld für
erwaltungskosten zur Verfügung. Ich wollte Sie wäh-
nd der Debatte fragen, ob Sie auch nur eine andere So-
ialleistung kennen, bei der das, was ausgereicht wird,
u dem, was für die Verwaltung verwendet wird, in ei-
em derart grotesken Missverhältnis steht, nämlich dass
berschlägig für jeden Euro, der ausgegeben wird,
0 Cent an Verwaltungskosten entstehen.
Zur Erwiderung Frau Brehmer.
Herr Kurth, Sie haben sicher recht: Es ist regional
ehr unterschiedlich, wie die Angebote genutzt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17869
Heike Brehmer
)
)
Einige Einrichtungen bieten kostenfreies Mittagessen für
alle Kinder an. Deswegen kann man das nicht pauschal
auf die ganze Bundesrepublik beziehen und alles über ei-
nen Kamm scheren.
Auf der anderen Seite muss man sagen: Sie können
sich daran erinnern, dass ursprünglich die Bundesagen-
tur diese Aufgaben in voller Zuständigkeit übernehmen
wollte. Die Kommunen wollten aber Träger sein. Jetzt
sollen sie diese Aufgaben umsetzen und verantworten.
Auch haben sie die Kostenerstattung gefordert. Dem
sind wir nachgekommen und haben dem Rechnung ge-
tragen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Krüger-
Leißner von der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
gibt uns Gelegenheit, am Ende des Jahres nach der Ein-
führung des Bildungs- und Teilhabepaketes eine erste
Bilanz zu ziehen und zu schauen: Was ist gut gelaufen
und was nicht? Haben wir Kinder und Jugendliche über-
haupt erreichen können, denen wir mehr Chancen für
Bildung und Teilhabe geben wollten? Wie sieht es in den
Jobcentern und in den Grundsicherungsämtern aus?
Müssen wir gegebenenfalls etwas ändern? Meine spon-
tane Antwort darauf – ich bin Ihnen für den Antrag
dankbar – ist: Erstens. Es tut not, dass wir darüber reden.
Zweitens. Ganz im Gegensatz zu der Vorrednerin muss
ich sagen: Wir müssen Veränderungen vornehmen.
Reden wir zunächst über das Bildungs- und Teilhabe-
paket im ersten Jahr. Ministerin von der Leyen ist mit ei-
nem Paradigmenwechsel angetreten und hat verkündet:
Jedes bedürftige Kind bekommt Bildungs- und Teilhabe-
leistungen als Rechtsanspruch unter dem Motto: Kinder
sollen schnell zu ihrem Recht kommen. – Im Übrigen
kann das jeder auf der Internetseite des BMAS nachle-
sen.
Wie sieht es in der Praxis damit aus? Die Zahlen spre-
chen eine deutlich andere Sprache. Im Oktober konnte
registriert werden, dass erst 45 Prozent aller Anspruchs-
berechtigten Leistungen beantragt haben. Das ist weni-
ger als die Hälfte. Damit kann selbst eine Ministerin
nicht zufrieden sein, und unsere Fraktion ist damit noch
lange nicht zufrieden. Uns ist das einfach zu wenig.
Es entspricht auch nicht dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichtes, allen bedürftigen Kindern den Zu-
gang zu Bildung und Teilhabe zu garantieren. Ange-
sichts dieser Bilanz muss man sich die Frage stellen:
Warum bleiben eigentlich so viele Kinder und Jugendli-
che auf der Strecke? Was läuft da falsch?
Ich finde, dafür lässt sich eine Reihe von Ursachen
finden. Erstens ist das Bildungs- und Teilhabepaket kein
Gesamtpaket zum Beispiel in Form einer pauschalen
G
G
k
A
N
k
m
w
z
E
z
d
s
le
re
d
B
m
P
A
P
N
tr
fa
S
s
n
e
d
J
v
d
h
te
n
F
m
z
a
k
fu
k
z
re
a
D
C
a
Diese Päckchen hat die Ministerin wortreich und blu-
ig – wir erinnern uns – gepackt und verschnürt, so als
äre schon damals Weihnachten gewesen. In der Umset-
ung vor Ort ergeben sich daraus erhebliche Probleme.
inige Päckchen lassen sich relativ leicht aufschnüren,
um Beispiel die Mittagsverpflegung, die Ausflüge und
ie Klassenfahrten. Das wird am meisten beantragt.
Andere sind dagegen fest verschlossen oder lassen
ich nur unter erschwerten Bedingungen öffnen: Schü-
rbeförderung, Lernförderung und soziale und kultu-
lle Teilhabe. Gerade das letzte Päckchen ist außerhalb
er großen Städte ein Riesenproblem, weil im ländlichen
ereich geeignete Angebote schlichtweg fehlen.
Aber es gibt auch bürokratische Hürden, die erst ein-
al überwunden werden müssen, um an den Inhalt eines
äckchens zu kommen. Dazu zählen das umfangreiche
ntragsverfahren, das viele abschreckt, und ein Mehr an
ersonal zur Beratung und Bearbeitung der Anträge.
achweise müssen erbracht und mit den Trägern Ver-
äge geschlossen werden; es kommen Widerspruchsver-
hren hinzu, und es gibt zusätzliche Belastungen für die
ozialgerichte. Kurzum: In der Sozialgesetzgebung un-
eres Landes ist dieser Bürokratieaufbau einmalig.
Ich kann Frau von der Leyen, die leider nicht hier ist,
ur sagen: Sie nimmt eine Spitzenstellung ein, und zwar
ine sehr negative. Denn 30 Prozent der Mittel gehen in
ie Verwaltung, und nur 70 Prozent stehen Kindern und
ugendlichen zur Verfügung. Das ist ein krasses Miss-
erhältnis zwischen Kosten und Nutzen. Die Leidtragen-
en sind Kinder und Jugendliche, die an dieses Paket
erankommen sollten. Ich finde, das kann nicht so wei-
rgehen.
Ich will Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis
ennen: Die achtjährige Sahra möchte gerne wie ihre
reundin Mitglied in einem Judoverein werden. Dafür
uss sie einen Mitgliedsbeitrag von 26 Euro im Monat
ahlen. Sie braucht als Grundausstattung einen Judo-
nzug für 54 Euro. Für die Teilnahmegebühr für Wett-
ämpfe braucht sie jährlich 40 Euro. Wenn sie eine Prü-
ng bestanden hat und einen neuen Gürtel braucht, dann
ostet das 7 bis 10 Euro. Ihre Eltern, beide ALG-II-Be-
ieher, haben einen Antrag gestellt. Aber letztendlich
ichen die 10 Euro aus dem Teilhabepäckchen nicht
us. Sahra bleibt also der Judosport im Verein verwehrt.
amit bleibt sie ausgegrenzt und bekommt keine echte
hance.
Ähnlich sieht es mit dem Päckchen der Lernförderung
us. Ich kann mich der Meinung von Herrn Kurth nur
17870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Angelika Krüger-Leißner
)
)
anschließen: Allein die bescheinigte Versetzungsgefähr-
dung zur Grundlage der Entscheidung zu machen, ist
viel zu kurz gedacht. Auch hier muss es Veränderungen
geben.
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ja, vielen Dank. – Der letzte runde Tisch im Novem-
ber hat der Ministerin die Auflage erteilt, im SGB II
nachzujustieren. Ich denke, es ist an der Zeit, zum Bei-
spiel über einen Globalantrag nachzudenken. Dessen
Bearbeitung würde Zeit sparen, er würde entbürokrati-
sieren und auch die Hürden für den Antragsteller senken.
Dann könnte Frau Ministerin wirklich ihr Ziel erreichen:
Kinder sollen schnell an die Hilfen aus dem Bildungs-
und Teilhabepaket kommen.
Ich danke.
Jetzt spricht der Kollege Pascal Kober für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die
Grünen, Sie scheinen mir schon ein sehr eigenartiges Po-
litikverständnis zu haben. Mit Ihrem heutigen Antrag
und vor allen Dingen mit der Geschichte, die zu diesem
Antrag geführt hat, erwecken Sie den Eindruck, als wür-
den Sie erst selbst die Probleme schaffen wollen, die Sie
nachher lösen wollen. Ich möchte Ihnen einmal in Erin-
nerung rufen, wie sich das alles historisch zugetragen
hat.
Vielleicht erinnern Sie sich, dass es der ursprüngliche
Vorschlag der Bundesregierung war, die Administration
des Bildungs- und Teilhabepakets bei der Bundesagentur
für Arbeit und den Jobcentern anzusiedeln. Ich bin mir
sicher, dass eine einheitliche Regelung im gesamten
Bundesgebiet mit einem einheitlichen Antragsverfahren
und einem einheitlichen Abrechnungssystem geholfen
hätte, den Start des Bildungs- und Teilhabepakets zu er-
leichtern. Aber unter anderem Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, wollten das
nicht. Sie wollten ausdrücklich die Verantwortung für
das Bildungs- und Teilhabepaket an die Kommunen
übertragen.
S
d
W
a
v
s
s
ra
–
Ic
–
s
v
S
ti
u
tr
B
u
S
d
e
Ich darf Sie einmal an Ihre eigenen Worte erinnern.
ährend der Hartz-IV-Verhandlungen, als Sie die Ver-
ntwortung gescheut und die Verhandlungen fluchtartig
erlassen haben, haben Sie in Ihrem Parteirat einen Be-
chluss gefasst. Ich darf Ihnen die entsprechende Pas-
age zitieren. Das Zitat aus Ihrem einstimmig im Partei-
t gefassten Beschluss lautet:
Gleichwohl haben wir in den langen Verhandlungen
bis zum gestrigen Abend wichtige Änderungen er-
reicht: Das Bildungs- und Teilhabepaket wird von
den Kommunen organisiert und nicht von den Job-
centern, wie sich dies die Arbeitsministerin vor-
stellte.
Seien Sie doch nicht so nervös, Herr Kurth.
h zitiere weiter:
Hier haben wir … Bürokratie verhindert. … Und
die Kommunen haben
passen Sie jetzt einmal auf –
eine hohe Gestaltungsmöglichkeit bei der konkre-
ten Umsetzung der Leistungen vor Ort …
Dieses Zitat stammt aus einem einstimmigen Be-
chluss des Parteirats des Bündnisses 90/Die Grünen
om 21. Februar 2011.
Nur noch einmal zur Erklärung: Im Februar rühmen
ie sich, dass Sie eine angeblich überbordende Bürokra-
e verhindert haben,
nd heute beschweren Sie sich in dem vorliegenden An-
ag über eine angeblich überbordende Bürokratie des
ildungs- und Teilhabepakets. Hier, liebe Kolleginnen
nd Kollegen, zeigt sich wieder Ihre grüne Doppelmoral.
ie haben die einheitliche, unbürokratische Umsetzung
es Bildungs- und Teilhabepakets in den Verhandlungen
xplizit nicht gewollt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17871
Pascal Kober
)
)
Sie wollten explizit, wie ich gerade vorgelesen habe,
„eine hohe Gestaltungsmöglichkeit bei der konkreten
Umsetzung der Leistungen vor Ort“. Jetzt wundern Sie
sich, dass die Kommunen gerade diese hohe Gestal-
tungsmöglichkeit der Leistungen vor Ort, inklusive eige-
nes Formularwesen und eigenes Abrechnungssystem,
selbst wahrnehmen und jede Kommune selbstständig
vorgeht. Dieser Flickenteppich, den Sie, Herr Kurth, ge-
rade in Ihrer Rede bemängelt haben, war vorauszusehen.
Aber Sie wollten ihn explizit.
Wenn Sie diese Gestaltungsmöglichkeiten der Kommu-
nen wollten, dürfen Sie sie heute nicht kritisieren. Es ist,
als ob Sie selber Feuer legen würden, um sich dann zu
beschweren, dass es brennt.
Das aber ist keine seriöse Politik, und das lassen wir Ih-
nen auch nicht durchgehen.
Mit dem Antrag, den Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen vom Bündnis 90/Die Grünen, heute hier zur Bera-
tung vorgelegt haben, versuchen Sie, das Bildungs- und
Teilhabepaket wesentlich schlechter zu machen, als es
ist. Es steht außer Frage, dass das Bildungs- und Teilha-
bepaket Anlaufschwierigkeiten hatte und dass dies vor
allem mit seiner dezentralen Ausgestaltung zusammen-
hängt.
Aber, wie gesagt, Sie wollten das so.
Anfang November hatten wir eine Inanspruchnahme
von 43,5 Prozent. Das ist deutlich besser als zu Beginn
und zeigt, dass die Nachsteuerungen, die der Runde
Tisch zum Bildungspaket, den die Bundesministerin ins
Leben gerufen hat, vorgenommen hat, förderlich sind.
Die Bundesregierung nimmt sich also der Probleme an.
Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Beim letzten Tref-
fen des Runden Tisches zum Bildungspaket wurde ver-
abredet, dass mit einem sogenannten Globalantrag beim
regelmäßigen Routinebesuch der Eltern im Jobcenter
erst einmal per Ankreuzen der allgemeine Anspruch der
bedürftigen Kinder auf das Bildungspaket festgehalten
werden kann. Wird später eine konkrete Leistung wie
Kosten für Mittagessen in Schule und Kita oder der Bei-
trag für den Sportverein abgerufen, so kann das Geld di-
rekt erstattet werden. Zudem sollen Kinder und Jugend-
liche auch nachträglich Geld für Ausflüge erstattet
bekommen, wenn eine rechtzeitige Antragstellung nicht
möglich war. Das alles zeigt, dass wir mit den Kommu-
n
s
N
G
e
h
n
„
s
s
K
d
S
n
m
s
z
k
K
a
u
is
D
V
D
w
e
b
u
rü
s
S
h
E
v
g
d
S
Außerordentlich gut gearbeitet“, kann ich die Men-
chen vor Ort, bei uns in Reutlingen, nur beglückwün-
chen.
Von diesen Best-Practice-Beispielen müssen andere
ommunen – Sie haben einige angeführt, Herr Kurth,
ie anscheinend in Ihrem Umfeld sind – lernen. Ich lade
ie, aber auch Ihre Kollegen von Bündnis 90/Die Grü-
en gerne einmal nach Reutlingen ein. Sie können dann
it den Verantwortlichen vor Ort sprechen und von die-
en guten Beispielen lernen.
Im Übrigen, lieber Markus Kurth, eine hundertpro-
entige Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepa-
ets werden wir nicht erreichen können; denn nicht alle
inder benötigen das Bildungspaket und werden deshalb
uch in Zukunft nicht für jede Leistung des Bildungs-
nd Teilhabepakets einen Antrag stellen. Beispielsweise
t vielerorts das Schulmittagessen bereits kostenfrei.
ie Schülerbeförderung kostet nichts, und auch viele
ereine nehmen bedürftige Kinder ohne Beiträge auf.
eren Eltern werden dann keinen Antrag stellen und
erden damit von der Statistik nicht erfasst. Insofern ist
s falsch, anzunehmen, dass 100 Prozent der Anspruchs-
erechtigten am Ende die Leistungen dieses Bildungs-
nd Teilhabepakets zu 100 Prozent abrufen werden. Da-
ber sollten Sie noch einmal nachdenken.
Ich bitte Sie: Wenn Sie Politik gestalten wollen, dann
ollten Sie in Zukunft auch das Ende bedenken. Wenn
ie die kommunale Hoheit über das Bildungs- und Teil-
abepaket fordern, dann sollten Sie auch wissen, was das
rgebnis und die entsprechenden Schwierigkeiten sind.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein
on der Fraktion Die Linke.
Danke schön. – Herr Präsident! Meine lieben Kolle-
innen und Kollegen! Am Montag fand sich in der Mag-
eburger Volksstimme ein kleiner Artikel über die
chließung des Lerntreffs in Olvenstedt, einem Stadtteil
17872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Rosemarie Hein
)
)
von Magdeburg. Das Jobcenter hatte diesen bisher finan-
ziert, und es hat nun die Finanzierung eingestellt. Eine
der betreuten Schülerinnen hat sich seitdem in ihrem No-
tendurchschnitt von 2,8 auf 3,9 verschlechtert.
Was hat das mit dem vorliegenden Antrag zu tun?
Sehr viel. Es zeigt nämlich die Untauglichkeit des von
der Regierung beschlossenen Paketes für Bildung und
Teilhabe. Für den Fall der Schülerin aus Olvenstedt ist es
nämlich nicht gemacht. Erst wenn sie sich so weit ver-
schlechtert hat, dass sie versetzungsgefährdet ist – da ist
die Aussage der Bundesregierung leider sehr klar –, kön-
nen die Eltern Lernförderung beantragen. Ob der Be-
treuer des Lerntreffs ihr dann allerdings noch helfen
kann, ist völlig unklar. So funktioniert das. Funktionie-
rende Strukturen werden einfach abgeschafft. Das ist nur
ein Beispiel. Ich will weitere nennen.
Vereine, die Mitgliedschaften für sozial Benachtei-
ligte bisher kostenfrei angeboten haben, nehmen nun-
mehr Beiträge. Essenanbieter erhöhen die Preise, damit
sie nicht auf den Verwaltungskosten sitzen bleiben. An-
träge bleiben, vor allen Dingen in den Jobcentern, wo-
chenlang liegen, weil die Bearbeiterinnen und Bearbeiter
überlastet sind. Zudem werden gleiche Anträge in
gleichartigen Fällen sehr unterschiedlich beschieden,
weil zwei verschiedene Bearbeiter gleiche Fälle eben
nicht gleich entscheiden. Die Zuständigkeiten sind un-
klar, zum Beispiel: Wer bezahlt das Schulmittagessen,
das in den Schulferien im Hort ausgereicht wird?
Was die Schülerbeförderung betrifft, haben Sie recht
– das muss ich zu meinem Vorredner sagen –: Natürlich
bieten einige Länder kostenfreie Beförderung mindes-
tens bis zum Ende der zehnten Klasse, manche sogar bis
zur elften oder zwölften Klasse. Andere Länder gewäh-
ren Vorteile dieser Art gar nicht oder nur sehr mäßig.
Nicht abgedeckt sind aber jene Fälle, in denen Schüler-
beförderungskosten entstehen, weil zum Beispiel Auszu-
bildende einen sehr weiten Weg zum Blockunterricht ha-
ben. So etwas ist nicht vorgesehen; dafür gibt es keine
Leistungen aus diesem Paket.
Die 10 Euro für soziale Teilhabe decken viele Bedarfe
nicht ab; Beispiele dafür hat Frau Krüger-Leißner vorhin
genannt. In der Musikschule Magdeburg kostet die güns-
tigste Unterrichtsstunde im Monat 42 Euro. 7 Euro In-
strumentengebühr kommen hinzu. Solche Kosten sind
im Paket gar nicht berücksichtigt. Vielleicht liegt es auch
daran, dass dieser Teil nur von etwa 15 Prozent abgeru-
fen wird.
Man kann es sehr knapp zusammenfassen: Das Bil-
dungs- und Teilhabepaket geht an der Lebenswirklich-
keit der Kinder und Jugendlichen vorbei. Das ist das
Schlimme daran.
Das ist auch die Ursache dafür, dass nach einem halben
Jahr noch nicht einmal die Hälfte der Berechtigten An-
träge gestellt hat, selbst noch nicht einmal für eine oder
mehrere Leistungen, geschweige denn für alle Leistun-
gen. Dabei ist das Mittagessen noch Spitzenreiter. Lern-
förderung funktioniert am schlechtesten; Herr Kurth hat
die Zahlen genannt.
d
li
ru
tr
b
ti
d
s
d
te
o
1
2
d
g
G
m
p
li
d
T
p
g
d
g
m
s
fa
C
L
m
b
b
o
d
re
d
T
Dabei ist es offensichtlich, dass die Antragszahlen bei
en Jobcentern durchgängig prozentual etwas niedriger
egen als die bei den Sozialämtern. Ich frage mich, wa-
m. Aber auch wenn entsprechende Leistungen bean-
agt werden, ist es noch lange nicht sicher, dass sie auch
ewilligt werden.
Was für ein Fazit kann man daraus ziehen? Die Poli-
k, insbesondere die der Bundesregierung, ist eben nicht
ie bessere Anwältin der Kinder. Besser wäre es gewe-
en, das gesamte Geld samt Verwaltungskosten gleich
en Familien und Kommunen zu übereignen. Diese hät-
n das mit Sicherheit besser hinbekommen und damit
rdentlich etwas anfangen können, und es wäre zu
00 Prozent bei den Kindern angekommen.
Die Bundesregierung sollte zügig daraus lernen; denn
013 ändert sich die Berechnungsgrundlage. Der Antrag
er Grünen bietet sicherlich eine gute Gelegenheit dazu.
Die Linke fordert seit Jahren eine Erhöhung der Re-
elsätze, noch besser wären eine bedarfsdeckende
rundsicherung und eine bessere Ausstattung der Kom-
unen.
Bei dem Dilemma mit dem Bildungs- und Teilhabe-
aket ist mir ein Märchen in den Sinn gekommen, näm-
ch das vom Fischer, der auf Geheiß seiner Frau Ilsebill
reimal zum Butt ging und „Manntje, Manntje, Timpe
e“ rief. Ich fand, dass es da zur heutigen Situation ein
aar Parallelen gibt, nur dass es sich bei den Forderun-
en der Kinder nicht um überzogene Forderungen han-
elt. Deshalb habe ich mich hingesetzt und ein Märchen
eschrieben, das sich darauf bezieht. Ich habe es auf
eine Internetseite gestellt, weil ich hier so viele Bei-
piele gar nicht nennen kann. Das Schlimme ist: Es ist
st nichts erfunden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Lehrieder von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
iebe Kollegen! Das Bildungs- und Teilhabepaket er-
öglicht Kindern und Jugendlichen aus Familien, die Ar-
eitslosengeld II, Sozialgeld, Leistungen nach § 2 Asyl-
ewerberleistungsgesetz, Sozialhilfe, Kinderzuschlag
der Wohngeld beziehen, mitzumachen, gemeinsam mit
en anderen zu musizieren und gemeinsam mit den ande-
n in der Schulkantine zu essen. Die Leistungen für be-
ürftige Kinder wurden im Rahmen des Bildungs- und
eilhabepaketes massiv ausgeweitet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17873
Paul Lehrieder
)
)
Erlauben Sie mir zu Beginn der Rede, auch darauf
hinzuweisen, dass diese Leistungen bei Einführung der
Hartz-IV-Regelungen unter Rot-Grün, lieber Herr Kurth,
schlichtweg vergessen wurden. Das Bundesverfassungs-
gericht hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 aber
einen entsprechenden Sozial- und Teilhabeanspruch fest-
geschrieben. Wir versuchen, diesen bestmöglich zu er-
füllen:
So können nun bedürftige Kinder bei Sport und Kul-
tur mitmachen. Jedes Kind kann dank des Pakets Ver-
eins-, Kultur- und Ferienangebote nutzen. Bedürftige
Schülerinnen und Schüler können Lernförderung in An-
spruch nehmen. Es gibt Zuschüsse zu einem warmen
Mittagessen in Kita, Schule und Hort. Es gibt 100 Euro
pro Schuljahr für Lernmaterialien; das wurde früher als
Schulbedarfspaket bezeichnet.
– Das gab es früher schon. Das ist richtig.
Aber das ist in dieses Paket, in diesen großen Weih-
nachtssack, mit hineingepackt worden.
Zudem ist die Erstattung der Kosten für eintägige Schul-
ausflüge möglich.
Meine Damen und Herren der Grünen, Sie schreiben
in Ihrem Antrag, dass ein pauschaler Kinderregelsatz bü-
rokratieärmer wäre. Das mag richtig sein; doch das Ziel,
gerade die bedürftigen Kinder gezielt dort zu fördern,
wo Bedarf besteht, würde auf diese Weise in vielen Be-
reichen weit verfehlt werden.
Würde man beispielsweise jedem bedürftigen Kind, un-
abhängig davon, ob es eine Lernförderung braucht oder
nicht, einen statistisch ermittelten Pauschbetrag für
Lernförderung gewähren, so würde dies bedeuten, dass
Familien, für die tatsächlich Förderstunden bezahlt wer-
den müssen, keine ausreichende Unterstützung erhalten.
Die bestehende Regelung erlaubt es doch gerade, jedes
Kind individuell dort zu fördern, wo Förderbedarf be-
steht.
– Ich habe den Antrag sehr wohl gelesen. Ich gehe schon
noch auf einige Passagen ein, Herr Kurth. Keine Angst!
d
s
s
m
u
k
B
d
n
E
ja
te
a
k
b
g
k
B
z
s
w
n
a
re
D
p
p
J
T
E
F
h
s
T
fa
d
ru
d
2
A
a
F
Darüber hinaus betreibt gerade vor diesem Hinter-
rund die Bundesregierung eine intensive Öffentlich-
eitsarbeit und informiert über die Möglichkeiten des
ildungs- und Teilhabepakets. Durch den Runden Tisch
um Bildungspaket, der bereits vom Vorredner ange-
prochen wurde, wird das Programm begleitet und be-
ertet.
Im Frühjahr werden weitere Kommunikationsmaß-
ahmen durchgeführt werden. So werden Motivations-
nzeigen in Verbands- und Vereinszeitschriften der Be-
iche Sport, Musik und Kultur publiziert werden.
arüber hinaus wird im direkten Umfeld zu Discountsu-
ermärkten auf Plakaten für das Bildungs- und Teilhabe-
aket geworben.
edes Kind soll die Möglichkeiten des Bildungs- und
eilhabepakets wahrnehmen können.
Es ist wichtig, einen Appell an die Verantwortung der
ltern zu richten, die Angebote wahrzunehmen und die
ördermöglichkeiten für ihre Kinder zu nutzen. Eltern
aben hier eine ganz entscheidende Schlüsselrolle, die
ie ausfüllen müssen.
Dass viele Kinder ihren Anspruch auf Bildung und
eilhabe nicht wahrnehmen können, ist schlichtweg
lsch. Inzwischen profitieren rund 43 Prozent der Kin-
er in den Städten und Landkreisen, die in Grundsiche-
ng leben, von diesem Angebot; im Juni waren es in
en Landkreisen noch 29 Prozent und in den Städten nur
5 Prozent.
n dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es durch-
us normal ist, wenn das Bekanntwerden einer neuen
örderung etwas Zeit braucht, um sich zu etablieren.
17874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Paul Lehrieder
)
)
Sie haben es selbst angesprochen, Frau Kollegin
Krüger-Leißner: Haben wir genügend Kinder erreicht?
Sie haben natürlich recht: Wir haben sie noch nicht alle
erreicht. Die Zahl reicht bislang noch nicht aus. Hier
müssen wir noch etwas tun; das habe ich bereits ange-
sprochen. Die Zahlen beweisen aber, dass wir auf einem
guten und richtigen Weg sind.
Herr Kurth, Sie haben eine Umfrage gemacht. Ich
habe mich auch erkundigt, und zwar bei meiner Kom-
mune, in meinem Wahlkreis Würzburg. Hier leben 2 200
bezugsberechtigte Kinder. Seit Inkrafttreten des Bil-
dungs- und Teilhabepakets gingen beim dortigen Job-
center 1 700 Anträge ein. Sie sehen, das Paket kommt
an.
Ich freue mich, dass bei Ihnen die Erfolgsquoten ähnlich
hoch sind. Das heißt: Sie sprechen wider besseres Wis-
sen von einer anderen Situation als der, die Sie in Ihrem
Wahlkreis tatsächlich wahrnehmen. Das muss auch ein-
mal gesagt werden.
Meine Damen und Herren, die christlich-liberale Ko-
alition sorgt dafür, dass bedürftige Kinder gefördert wer-
den und Chancen haben, genau wie andere Kinder auch.
Wir begleiten den Erfolg des Programmes und erwarten
im Frühjahr 2012 die Ergebnisse einer in Auftrag gegebe-
nen unabhängigen Studie des Instituts für Sozialfor-
schung und Gesellschaftspolitik. Denn der gute Wille al-
lein reicht hier nicht aus; das Programm muss ankommen
und angenommen werden. Und genau dafür setzen wir
uns ein.
Lieber Kollege Kurth, ich bin für Ihre konstruktiven,
kritischen Anmerkungen immer sehr dankbar. Wir be-
achten, was Sie in Ihrem Antrag schreiben; aber wir wer-
den diesen Antrag heute natürlich ablehnen.
Ihnen wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und
besinnliche Stunden mit Ihren Familien.
Herzlichen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepa-
kets für bedürftige Kinder überhaupt nicht zufrieden.
Ja, es ist ein bürokratisches Monster. In manchen Städten
sind bis zu fünf unterschiedliche Behörden zuständig.
K
b
K
d
z
u
d
g
g
a
g
u
k
M
b
fu
D
L
s
s
d
fr
a
L
b
B
d
K
fü
S
O
L
ti
d
ein Wunder, dass sich viele Antragsteller in diesem La-
yrinth verirren und die Leistungen dann nicht bei den
indern ankommen! Das müssen wir ändern!
Schade, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen,
ass Sie sich im letzten Jahr im Vermittlungsausschuss
urückgezogen haben
nd nicht mit uns gemeinsam bei der Gestaltung des Bil-
ungs- und Teilhabepakets gekämpft haben. Wir hinge-
en haben viele Verbesserungen für die Kinder und Ju-
endlichen durchgesetzt. Einsatz zur richtigen Zeit und
m richtigen Ort lohnt sich also.
Wir haben im Vermittlungsausschuss auch Ideen vor-
estellt, wie die Leistungen diskriminierungsfrei und
nbürokratisch bei den Kindern und Jugendlichen an-
ommen können. Diese Vorschläge wurden von der
inisterin allerdings nicht aufgegriffen.
In meinem Wahlkreis in Lübeck beispielsweise gab es
ereits vor dem Bildungs- und Teilhabepaket einen gut
nktionierenden Bildungsfonds für bedürftige Kinder.
ieser wird von Schulen und Kitas selbst verwaltet.
ehrkräfte und Erzieherinnen kennen ihre Kinder
chließlich am besten und wissen, wo Förderbedarf be-
teht. In Hamburg gibt es übrigens ein ähnlich gutes Mo-
ell ohne riesigen Verwaltungsaufwand. Warum, so
age ich Sie, greift die Ministerin diese Vorschläge nicht
uf? Sie muss den Prozess steuern. Wer denn sonst?
So wie es jetzt aussieht, wird Frau Ministerin von der
eyen zu Weihnachten auf ihren Bildungs- und Teilha-
epaketen sitzen bleiben, und die Kinder gehen bei der
escherung leer aus. Ist das der Plan, um den Haushalt
er Ministerin zu schonen? Wo, liebe Kolleginnen und
ollegen der Regierungsfraktionen, bleibt Ihr Einsatz
r die Kinder? Von Bildungsgerechtigkeit keine Spur!
Immer noch verlässt jeder zehnte Jugendliche die
chule ohne Abschluss.
hne mit der Wimper zu zucken, hat Ministerin von der
eyen trotzdem zum Beispiel die Gelder für das so wich-
ge Programm „Schulverweigerung – die 2. Chance“
rastisch gekürzt. Unglaublich ist das!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17875
Gabriele Hiller-Ohm
)
)
Wir fordern gute Bildungschancen für alle Kinder.
Auch wollen wir, dass jedes Flüchtlingskind, das bei uns
lebt, das Bildungs- und Teilhabepaket bekommt. Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktio-
nen, haben dies abgelehnt. Hartherziger geht es ja wohl
gar nicht mehr.
Ein trauriges Weihnachten für Deutschlands Kinder!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das än-
dern.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8149 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung
im Bund und zur Änderung weiterer dienst-
rechtlicher Vorschriften
– Drucksache 17/7142 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 17/8178 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster
Michael Hartmann
Dr. Stefan Ruppert
Frank Tempel
Dr. Konstantin von Notz
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksachen 17/8185, 17/8178 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Bettina Hagedorn
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Katja Dörner
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen vor, über den wir später namentlich
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
n
F
n
re
fa
6
2
S
la
z
E
u
w
b
U
m
d
s
W
re
B
te
b
h
d
c
ru
w
fr
z
L
re
ri
s
fü
fe
g
re
B
a
B
P
w
in
s
tu
e
d
)
Um die Attraktivität spezieller Berufsbilder im öffent-
lichen Dienst zu steigern, gibt es einen ganzen Fächer
von Maßnahmen, zum Beispiel den Personalgewin-
nungszuschlag, mit dem wir mit finanziellen Anreizen
systematisch auf Personalengpässe reagieren. Gezielt
sollen Fachkräfte, insbesondere Ärztinnen und Ärzte bei
der Bundeswehr oder IT-Fachkräfte bei der Polizei, ge-
wonnen werden können. Ob und, wenn ja, wie dieser
Zuschlag zum Einsatz kommt, liegt im Ermessen der
Personalstellen. Er ersetzt und erweitert die bisherigen
Sonderzuschläge und kann immerhin bis zu 20 Prozent
des Grundgehalts betragen, in Besoldungsgruppe A 13
zum Beispiel 690 Euro im Monat für längstens 48 Mo-
nate; das kann einmal verlängert werden. Ich glaube, das
ist ein starkes Anreizprogramm.
Ebenso werden wir Besoldungsverluste beim Wechsel
in den Bundesdienst ausgleichen. Landes- oder Kommu-
nalbeamte erleiden bei ihrem Einstieg im Bund oft Ein-
kommenseinbußen, beispielsweise der Rechtspfleger,
der aus Baden-Württemberg zum Bundesamt für Justiz
in Bonn wechselt. Diese Einkommenseinbußen werden
wir ausgleichen.
Ganz besonders freut mich, dass es uns gelungen ist,
verbesserte Einstiegsmöglichkeiten für IT-Fachkräfte
und Ingenieure im gehobenen Dienst zu ermöglichen.
Wie sehr dort der Schuh drückt, zeigt sich allein schon
bei der Bundeswehr: Im November 2011 waren 700 Stel-
len für Ingenieure unbesetzt. Künftig wollen wir des-
halb, dass IT-Fachkräfte im Eingangsamt A 10 und Inge-
nieure fakultativ im Eingangsamt A 11 eingestellt
werden können. Das ist ein sehr starkes Signal.
Die Wehrpflicht hat einen spürbaren Beitrag zur ärzt-
lichen Versorgung in der Bundeswehr geleistet; das ist
vielen vielleicht gar nicht bewusst. Durch die Ausset-
zung der Wehrpflicht wird es jetzt aber notwendig, die
Vergütung der Sanitätsoffiziere in den Bundeswehrkran-
kenhäusern zu verbessern und an die Vergütung im zivi-
len Gesundheitssystem anzugleichen. So werden wir die
ärztlichen Bereitschaftsdienste nunmehr deutlich attrak-
tiver vergüten.
Auch die Polizeizulage in der Bundesfinanzverwal-
tung wird durch dieses Gesetz neu geordnet. Über die
zulagenberechtigten Bereiche – ein nicht ganz einfaches
Verfahren – entscheidet künftig das BMF selbst. Das ist
deutlich unbürokratischer.
Eines war mir selbst sehr wichtig: Wir werden eine
Verpflichtungsprämie für polizeiliche Auslandsverwen-
dungen einführen und dadurch endlich die Vergütungs-
unterschiede zwischen bilateralen und europäischen Pro-
jekten beseitigen können. Das war überfällig; das weiß
jeder, der einmal draußen im Einsatz war.
– Danke für die Mühe, Clemens.
Ich verspreche, dass es jetzt etwas interessanter wird.
d
d
d
g
a
e
S
ri
B
w
s
n
a
ü
d
c
ti
z
S
v
s
h
k
B
te
d
B
K
ö
lu
d
s
d
v
h
D
V
z
D
s
s
e
w
z
ü
E
K
c
Peter Heesen vom dbb beamtenbund sagte: insgesamt
in wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. – Karsten
chneider vom Deutschen Gewerkschaftsbund meinte:
chtiger Schritt. – Hans-Ulrich Benra vom VBOB und
ernd Niesen von der Gewerkschaft Technik und Natur-
issenschaft begrüßten den Gesetzentwurf. Die Ex-
taatssekretäre Lutz Diwell und Johann Hahlen bezeich-
eten die Verbesserungen als gut, erforderlich und
ngemessen. – Da man eine solche im Wesentlichen
bereinstimmende Zustimmung von allen Sachverstän-
igen in einer Anhörung selten erfährt, fühlt sich die
hristlich-liberale Koalition in ihrer Strategie sehr bestä-
gt. Wenn ich das so sagen darf: Wir sind wirklich sehr
ufrieden mit uns.
Das gilt natürlich auch für den vornehmlich von der
PD kritisierten Punkt der Verbesserung der Versorgung
on Beamten, die in den einstweiligen Ruhestand ver-
etzt werden. Meine Damen und Herren, wir sprechen
ier über einen Personenkreis von 422 Spitzenführungs-
räften, also von Staatssekretären, Abteilungsleitern,
otschaftern, dem Generalbundesanwalt, den Präsiden-
n der Sicherheitsbehörden BKA, BfV und BND. Für
iese Positionen suchen wir verständlicherweise die
esten. Aber genau jene, die bereits eine entsprechende
arriere und Laufbahn vorweisen können, zögern immer
fter, vor allem wegen der geltenden Versorgungsrege-
ng; denn wer ein solches Amt übernimmt, hat durch
as Maß an übertragener Verantwortung ein deutlich ge-
teigertes Risiko, nach verhältnismäßig kurzer Verwen-
ung ohne seinen Willen in den einstweiligen Ruhestand
ersetzt zu werden.
Nur wer dann mindestens fünf Jahre im Amt war, er-
ält heute für drei Jahre 71,75 Prozent seiner Bezüge.
anach bekommt er nur noch den deutlich geringeren
ersorgungssatz, der sich an seinen vorherigen Dienst-
eiten orientiert, und zwar für den Rest seines Lebens.
agegen würde ein normaler Beamter, der vorher bei-
pielsweise in B 6 war und bleibt, mit größter Wahr-
cheinlichkeit den Höchstpensionssatz aus diesem Amt
rreichen. Ein Beispiel: Ein 49-jähriger Beamter mit B 6
ürde so im Fall einer Berufung nach B 9 und Verset-
ung in den einstweiligen Ruhestand nach sechs Jahren
ber die gesamte Lebenszeit gerechnet über 400 000
uro verlieren.
lingt das für Sie attraktiv für die Besten, die wir su-
hen?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17877
Armin Schuster
)
)
Die sehr nachteilige Regelung wurde im Jahr 1998
verabschiedet.
Wir werden mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz nicht
die vor 1998 geltende Regelung wieder einführen, son-
dern lediglich die ersten drei Jahre im einstweiligen Ru-
hestand, in denen der Beamte einen Teil seiner Besol-
dung als Spitzenbeamter weiter erhält, für seine Pension
berücksichtigen. Es handelt sich also um eine sehr mo-
derate Verbesserung. Der Vorwurf der SPD, es handele
sich um einen goldenen Handschlag, ist deutlich über-
trieben. Heute ist das ein Handschlag aus verrostetem
Blech. Wenn wir das Gesetz verabschiedet haben, ist es
ein Handschlag aus zinkfreiem Edelstahl. Ich glaube, das
sind wir den verdienten Beamten auch schuldig.
Herr Hartmann, gestatten Sie mir eine persönliche
Anmerkung. Wir wollen attraktive Bewerber für Spit-
zenfunktionen gewinnen.
Vorzugsweise haben sie in der Verwaltung bereits erfolg-
reich Karriere gemacht und wollen dies auch perspekti-
visch weiterhin tun. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir
jedoch keine Bewerber, die leichtfertig damit einverstan-
den sind, bei hohem Verantwortungsrisiko im ungünsti-
gen Fall schlecht versorgt zu sein. Das können am Ende
eigentlich nur Jobhopper sein, denen das Risiko gleich-
gültig ist, weil sie sowieso nur eine kurzfristige Station
planen, bevor sie in die nächste Großkanzlei weiterzie-
hen.
Herr Hartmann, wenn Sie die Rückkehrmöglichkeit in
die Privatwirtschaft begrenzen möchten, wenn Sie die
Zahl der Externen in der Bundestagsverwaltung reduzie-
ren möchten, dann überlegen Sie bitte, was das heißt.
Wenn Sie es logisch durchdenken, dann stellen Sie fest,
dass unsere Lösung die richtige ist.
Die wollen Sie auch, Sie haben es nur noch nicht richtig
verstanden. Vielleicht wird das noch etwas. Es sind ja
noch ein paar Minuten.
Damit die Grünen nicht ganz leer ausgehen, komme
ich auf die zweite kritische Frage zu sprechen: das Amt
des Direktors beim Sachverständigenrat für Umweltfra-
gen.
Mit unseren umwelt- und energiepolitischen Zielen ste-
hen wir vor einer Herkulesaufgabe.
Was ist eigentlich so ungewöhnlich daran, dass wir mit
dem Fachkräftegewinnungsgesetz eine Institution perso-
n
T
S
ö
s
s
A
g
b
ru
ir
re
d
fr
s
w
w
V
rü
s
v
W
V
d
d
b
w
Z
a
S
d
S
ie erlauben mir sicher auch die Feststellung, dass die
ffentliche Einschätzung des Vorsitzenden des Sachver-
tändigenrates für uns Parlamentarier nicht das aus-
chlaggebende Kriterium sein kann.
n dem Sturm im Wasserglas, den die Grünen hier we-
en eines schon gefühlten künftigen Dienstposteninha-
ers veranstalten, beteiligen wir uns nicht. Die Regie-
ng wird im kommenden Jahr unabhängig von
gendwelchen herumgeisternden Vermerken ein regulä-
s Stellenbesetzungsverfahren mit Ausschreibung
urchführen.
Herr Kollege Schuster, erlauben Sie eine Zwischen-
age der Kollegin Bulling-Schröter?
Ja.
Bitte schön.
Herzlichen Dank für die Möglichkeit, eine Frage zu
tellen. – Sie haben den Sachverständigenrat für Um-
eltfragen angesprochen. Ich begrüße es, dass im Um-
eltbereich neue Stellen geschaffen werden sollen. Als
orsitzende des Umweltausschusses kann ich mich da-
ber nur freuen. Ich muss hinzufügen: Gerade um den
ozial-ökologischen Wandel zu begleiten, gehört noch
iel mehr dazu. Das wissen Sie alle. Ich denke, dieser
andel wird auch unterstützt. Wir wissen aber, dass der
orsitzende des Sachverständigenrates keine Stelle for-
ert und dass eine Stellenforderung auch nicht begrün-
et ist. Ich halte es für sehr seltsam, wenn Sie eine Stelle
esetzen, die von einem Gremium gar nicht gefordert
urde. Wenn man sich die Zeitungsartikel der letzten
eit dazu ansieht, muss man feststellen – ich sage das
ls Bayerin –: Das Ganze riecht sehr nach Amigos oder
eilschaften.
Eine Frage habe ich nicht gehört. Ich versuche, trotz-
em zu antworten. Ich will versuchen, zu erspüren, was
ie denken.
17878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Armin Schuster
)
)
Wir reagieren – das dürfte allen Parlamentariern ein-
leuchten – eigentlich nie darauf, wenn Behördenleiter
etwas fordern oder eben nicht fordern. Stellen Sie sich
einmal vor, wir würden immer eine Stelle einrichten,
wenn ein Behördenleiter des Bundes sie fordert.
Genauso wenig interessiert uns im Parlament, wenn ein
Behördenleiter nichts fordert. Das ist nicht unser Thema.
Für mich ist das politische Thema:
Passt es in den Masterplan „Energie- und Umweltwende
in diesem Land bis 2022“?
Wir sind zu der Erkenntnis gekommen: Wir brauchen
derartige Aufwertungen, derartige Verbesserungen. Des-
wegen erlauben wir uns, ganz unabhängig vom Sachver-
ständigenrat, etwas Gutes zu tun, was sich vielleicht erst
später bemerkbar macht.
Darf auch Frau Höhn Ihnen eine Zwischenfrage stel-
len?
Guten Tag, Herr Präsident!
Einen wunderschönen guten Abend! Sie achten offen-
kundig besonders auf den Wechsel des amtierenden Prä-
sidenten. – Bitte schön.
Herr Abgeordneter, uns liegt ein Vermerk vor, der der
Schaffung dieser Stelle auf dubiose Art und Weise zu-
grunde liegt. Hier steht: Diese neue Stelle soll den Sach-
verständigenrat für Umweltfragen nach außen vertreten.
Hierdurch soll der SRU auch in seiner Außendar-
stellung dem unmittelbaren politischen Einfluss
von Rot-Grün entwunden und dauerhaft in den
politischen Einfluss- und Steuerungsbe-
reich der Koalitionsfraktionen gebracht werden.
Sind Sie mit mir der Meinung, dass ein Sachverstän-
digenrat eigentlich unabhängig sein sollte, wie auch das
Bundesumweltministerium es definiert? Hat es Sie nicht
verwundert, dass der Bundesumweltminister diese Stelle
nicht gefordert hat, dass er sie sogar für überflüssig hält
und sagt: „Wenn die Abgeordneten das unbedingt wol-
len, dann werde ich gegen meine eigene Überzeugung
diesen Beschluss umsetzen“?
c
ru
S
d
P
s
re
d
d
d
W
d
E
m
R
d
D
g
H
w
Ic
s
H
ü
h
Frau Höhn, herzlichen Dank für die Frage. – Sie spre-
hen mit einem ehemaligen Behördenleiter, der Erfah-
ng damit hat. Wenn man darüber nachdenkt, eine neue
telle zu schaffen, haben viele Menschen Interesse
aran, auf diese Stelle zu kommen. Was sich in der
hase bis zum Stellenausschreibungsverfahren – das
ind etwa drei Monate – in einer Behörde normalerweise
gulär hinter den Kulissen abspielt, entspricht ungefähr
em Verfahren, das wir jetzt gerade im Deutschen Bun-
estag erleben.
Erstens. Es ist egal, ob jemand nachts davon träumt,
ass er gut auf diese Stelle passt. Das spielt keine Rolle.
ir werden ein reguläres Ausschreibungsverfahren
urch den Bundesumweltminister durchführen lassen.
Zweitens, Frau Höhn.
s ist das Recht des Parlaments – ich hoffe, Sie stimmen
ir diesbezüglich zu –, eigene Ideen zu haben, die die
egierung umzusetzen hat, sobald wir eine Mehrheit
afür haben.
ie Umweltpolitiker von CDU/CSU und FDP hatten
emeinsam die Idee, dass das für den Masterplan von
errn Röttgen eine gute Sache sein könnte. Deswegen
erden wir das umsetzen.
h glaube, dass der Bundesumweltminister die Sache
ehr konstruktiv begleiten wird.
Jetzt haben Sie noch eine halbe Minute fürs Finale,
err Kollege.
Toll. Ich mache es kurz.
Liebe Freunde von der Opposition, wenn man bei
ber 20 Einzelmaßnahmen zwei Dinge so an den Haaren
erbeizieht, dann muss die Not groß sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17879
Armin Schuster
)
)
Ich verstehe das ja. Die Koalition liefert im monatlichen
Rhythmus Attraktivitätssteigerungen für den öffent-
lichen Dienst.
Dass Sie das ärgert, ist mir völlig klar. Ich empfehle
Ihnen: Halten Sie es mit einem bekannten Münchener
Fernsehstarkoch, der in Situationen, in denen er das
Essen anderer Kollegen beurteilen soll und es eigentlich
gut findet, das aber nicht äußern will, sagt: „Ja, was
willst’n da meckern?“
Das wäre eine schöne Haltung gewesen. Das gleicht
einer Zustimmung.
Ich kann für meine Fraktion und für die Koalition
sagen: Wir werden den öffentlichen Dienst erfolgreich
weiterentwickeln. Das ist nicht die letzte Maßnahme;
wir haben weitere in der Pipeline. Am Ende wird ein
attraktives Angebot für den Einstieg in die Bundesver-
waltung stehen. Wir stimmen dem Antrag der Grünen
natürlich nicht zu, aber begeistert unserem eigenen
Antrag.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Hartmann
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ehrlich gesagt, Herr Schuster, da wir uns kollegial
gut verstehen: Manchmal bedauere ich Sie, dass Sie die-
sen merkwürdigen Politikzickzackkurs der Koalitions-
fraktionen im Bereich des öffentlichen Dienstrechts zu
vertreten haben. Manchmal ist es geradezu zu spüren,
wie schwer Ihnen das fällt. Aber immerhin: Sie haben in
aller Redlichkeit dargestellt, was an Großartigem, Schö-
nem und Gutem in diesem Gesetz steht.
Deshalb brauche ich das nicht zu wiederholen oder zu
ergänzen. Vielmehr darf ich Ihnen sagen: Wir haben
bereits bei der Einbringung des Gesetzes klar erklärt,
dass wir ihm zustimmen möchten.
Denn in der Tat brauchen wir Fachkräfte in einer Zeit
des demografischen Wandels und einer größeren Kon-
kurrenz auch im öffentlichen Dienst und müssen dafür
gute und positive Anreizsysteme schaffen.
Das ist in dem Gesetz geschehen.
a
e
d
Ä
g
K
n
S
p
b
S
A
k
z
H
Z
E
4
im
v
u
G
d
z
u
S
a
s
d
w
v
v
d
F
s
u
d
w
re
h
s
g
P
g
v
li
R
w
Denn Sie wollen, dass eine kleine Gruppe hochbe-
ahlter Beamtinnen und Beamten mit dem goldenen
andschlag nach Hause geht. Es sind – Sie haben die
ahl dargestellt – auf dem Papier 422 Personen. Im
rnstfall sind es in der Regel unter 100 Personen. Diesen
22 oder unter 100 Personen – welchen Parameter auch
mer Sie wählen möchten – steht ein Beamtenapparat
on 320 000 Personen gegenüber, wenn ich die Soldaten
nd unsere Richter hinzunehme. Wir reden hier über die
ruppe dieser, so sage ich, weniger als 100 Personen,
ie allenfalls betroffen sein könnten und die im Regelfall
wischen 9 000 und 11 000 Euro plus verdienen – nur
m einmal die Dimensionen klarzumachen, nachdem
ie, Herr Schuster, vorhin Armut und Elend dieser
rmen politischen Beamten beweint haben.
Jetzt wollen Sie dafür sorgen, dass nach einem – an-
cheinend von Ihnen erwarteten – Regierungswechsel
iese Beamten, die dann unter Umständen in den einst-
eiligen Ruhestand geschickt werden, bis zu drei Jahre
ersorgungserhöhend und damit zusätzliche Zahlungen
on bis zu 635 Euro fürs Nichtstun erhalten.
Das machen wir nicht mit. Das ist und bleibt ein gol-
ener Handschlag.
Zum einen hat das nichts, aber auch gar nichts mit
achkräftegewinnung zu tun. Das ist ja der Titel des an
ich guten Gesetzes. Wir reden hier über Beamtinnen
nd Beamte, die ab dem nächsten Jahr ausscheiden wür-
en, und die sind, mit Verlaub gesagt, im Regelfall
eder lebensjünger, wie Sie in Ihrer Begründung anfüh-
n, noch neugewonnene Fachkräfte, bei denen eine
arte Konkurrenz gegenüber der gewerblichen Wirt-
chaft besteht. Nein, es geht um etwas ganz anderes: Es
eht um die Privilegierung einer kleinen Gruppe. Diese
rivilegierung ist nicht begründbar, zumal im einstweili-
en Ruhestand – ich sage das wegen der Armutspredigt
on Herrn Schuster vorhin – neben den Bezügen reich-
ch Zuverdienstmöglichkeiten vorhanden sind, die im
egelfall auch weidlich genutzt werden, wie wir alle
issen. Das möchte ich niemandem verwehren, verden-
17880 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Michael Hartmann
)
)
ken oder zum Vorwurf machen; aber wir werden keinem
Gesetzentwurf zustimmen, in dem vorgesehen ist, dass
für diese kleine Gruppe Sondertatbestände geschaffen
werden, während gleichzeitig – das ist das Problem der
Leihbeamten und anderer – im öffentlichen Dienst
immer mehr Personal abgebaut wird, zum Beispiel im
Sicherheitsbereich, sodass die Beamten dort auf dem
Zahnfleisch gehen.
Ich rate allen, nicht zu behaupten, dies sei eine Neid-
diskussion; dies war an mancher Stelle zu vernehmen.
Erstens nehmen Sie mit dem, was Sie jetzt vorhaben,
Ihre eigene Entscheidung aus Ihrem letzten Regierungs-
jahr 1998 zurück. Das heißt, der Vorwurf träfe Sie selbst.
Zweitens ist dies die einzige der damals getroffenen
Regelungen, die jetzt korrigiert wird. Ich sage Ihnen,
geschätzter Herr Schuster, mit Verlaub: Das verstehe ich
in der Tat intellektuell nicht.
Wie erklären Sie das einem Kollegen – Sie sind Bun-
despolizist –, der durch dienstliche Verrichtungen
erwerbsunfähig geworden ist und durch die damals voll-
zogenen Änderungen Abschläge in Höhe von 10,8 Pro-
zent hinnehmen musste? Wie erklären Sie ihm, dass die
politischen Beamten nun einen goldenen Handschlag
erhalten sollen?
Und wie erklären Sie zum Beispiel allen Bundesbeam-
ten, die Sie bei der ausstehenden oder nicht vollzogenen
Rücknahme einer Kürzung um mindestens ein Jahr
Weihnachtsgeld geprellt haben, dass nun endlich
Gerechtigkeit für die politischen Beamten herrschen
müsse? Oder wie erklären Sie das zum Beispiel jungen
Menschen – es geht ja um Fachkräftegewinnung –, die
sich tatsächlich für den öffentlichen Dienst interessieren,
aber dann erfahren, dass es noch immer keine Mitnah-
mefähigkeit ihrer Ansprüche gibt? Über Neid zu spre-
chen, hilft an dieser Stelle nicht weiter. Wenn Sie wirk-
lich etwas Substanzielles für qualifizierte Fachkräfte
machen wollen, dann regeln Sie die Portabilität und ver-
weigern Sie sich diesem Thema nicht länger.
Es geht hier also nicht um eine Neiddiskussion, son-
dern um eine Gerechtigkeitsdiskussion. Nachwuchs-
kräfte wirbt man nicht durch einen Hinweis auf einen
goldenen Handschlag für Spitzenverdiener, sondern
durch Anreize für Junge und Neue.
Bei der ganzen Argumentation hören wir immer wie-
der ein ganz triftiges Argument: Weil sie später so
schlecht dastehen, findet man niemanden mehr, der poli-
tischer Beamter werden will. Vielleicht findet diese
Koalition niemanden mehr, der politischer Beamter wer-
den will; das ist eine Möglichkeit.
E
d
A
d
n
te
n
Ic
d
g
h
d
h
V
d
d
d
te
s
g
F
re
d
H
in
F
h
g
B
v
fü
z
K
D
Stefan Ruppert ist der nächste Redner für die FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Jammer,
ass ein so kompetenter und angenehmer Kollege wie
err Hartmann
seiner Rede zum öffentlichen Dienstrecht und zur
achkräftegewinnung im Bund kein Wort dazu gesagt
at, dass der einfache Dienst, der mittlere Dienst und der
ehobene Dienst von der geplanten Regelung in diesem
ereich sehr stark profitieren.
Herr Hartmann, Sie haben die Gegenargumente selbst
orweggenommen. Sie haben eine typische Debatte ge-
hrt. Wenn es um den höheren Dienst geht, wird mit ge-
ielten Argumenten Neid gegenüber hochqualifizierten
olleginnen und Kollegen geschürt.
as ist besonders betrüblich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17881
Dr. Stefan Ruppert
)
)
Was werden wir mit diesem Gesetz erreichen? In Zei-
ten des Fachkräftemangels und des demografischen
Wandels sorgt es dafür, dass viele Menschen im öffentli-
chen Dienst, die Tag für Tag wunderbare Arbeit leisten,
bessergestellt werden. Ich nenne beispielsweise das Ein-
gangsamt für IT-Fachkräfte und Ingenieure. Ein anderes
Beispiel sind die Zulagen für Mannschaftsdienstgrade in
der Bundeswehr. Viele dieser Punkte sind in diesem Ge-
setzentwurf enthalten. Es hätte Ihnen gut angestanden,
wenn Sie dazu etwas mehr gesagt hätten.
Aber nein, Sie widmen sich ausschließlich einem
Punkt.
Jeder Abgeordnete, der eine solche Regelung in Bezug
auf höhere Besoldungsgruppen verteidigen muss, fragt
sich in der Tat: Hat das Potenzial zur Skandalisierung?
Dieses Potenzial zur Skandalisierung haben Sie aus mei-
ner Sicht leider in populistischer Manier zu nutzen ver-
sucht.
Wie ist der zugrunde liegende Sachverhalt? Ich nenne
Ihnen ein Beispiel. Ein 49-Jähriger, der sich auf eine Ab-
teilungsleiterstelle bewirbt – so ergeht es übrigens auch
Parteifreundinnen und Parteifreunden von Ihnen –, geht
das Risiko ein, auf seine Lebenszeit gerechnet eine halbe
Million Euro zu verlieren. Jetzt kann man natürlich sa-
gen: Das sind sehr reiche Menschen. – Aber es ist festzu-
stellen, dass immer mehr Unterabteilungsleiter sagen, sie
würden zwar gerne die Aufgabe, nicht aber das Besol-
dungsamt übernehmen. Nun behaupten Sie: Wer so et-
was sagt – weil er vielleicht zwei Kinder hat, die studie-
ren –, sei charakterlich schlicht nicht geeignet. – In
Anbetracht dessen, dass sich Menschen reihenweise an-
ders entscheiden, finde ich, das ist ein bisschen zu pau-
schal beurteilt.
Man kann natürlich immer sagen: Das sind hochbe-
zahlte Beamte. Am besten nehmen wir denen sogar noch
Geld weg. – Aber man sollte auch einmal überlegen, ob
sich eine Beförderung für den Betreffenden nicht positiv
auswirken muss. Ich kenne niemanden, der von dieser
Regelung betroffen ist. Mit mir hat niemand darüber ge-
sprochen. Ich habe mir die Sache in Ruhe überlegt, und
der Sachverhalt hat mich überzeugt.
Meine These lautet: Was die Fachkräftegewinnung
betrifft, dürfen wir beim gegenwärtigen Stand nicht auf-
hören. Bei der Portabilität, der Mitnahme von Altersver-
sorgungsansprüchen beim Wechsel in die Privatwirt-
s
s
fe
fr
d
ü
ti
s
w
S
ri
je
g
m
s
w
d
a
d
E
b
k
ih
B
im
g
1
d
c
e
n
R
a
c
w
h
h
te
z
g
b
)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Ein letzter Punkt, der mich als jemand, der durchaus
ein Freund von Anhörungen ist, besonders interessiert
hat: Die SPD hat eine Anhörung beantragt. In dieser An-
hörung ging es um die politischen Beamten und um den
Sachverständigenrat für Umweltfragen. Bereits in der
gestrigen Fragestunde wurde hier nachhaltig versucht,
dieses Thema zu skandalisieren. Das Interessante war,
dass von denjenigen, die an diesem Thema vermeintlich
sehr interessiert sind, nämlich den Grünen, kein einziger
Kollege an dieser Anhörung teilgenommen hat.
Ich finde, wenn Sie nicht an der Anhörung teilnehmen,
dann können Sie hier auch nicht so vehement Kritik
üben.
Es ging Ihnen anscheinend nur darum, die Dinge im Ple-
num und vor laufenden Kameras zu besprechen, anstatt
sich den Sachverstand zu erwerben, der dort hätte erwor-
ben werden können.
Ich sage das an dieser Stelle sonst nicht, weil man auf
Kollegen nicht in dieser Form einschlägt;
aber wer so austeilt, der muss auch einstecken können
und es sich gefallen lassen, wenn hier darauf hingewie-
sen wird, dass er an der Anhörung überhaupt nicht teil-
genommen hat.
Insofern: Das ist ein guter Gesetzentwurf. Herr von
Notz, wenn Sie in der Anhörung gewesen wären, dann
hätten auch Sie heute zugestimmt.
So werden Sie wahrscheinlich leider ablehnen; aber das
werden wir nicht mehr verhindern können.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Frank Tempel für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Es geht hier um ein wichtiges Thema, näm-
lich um eine verbesserte Fachkräftegewinnung im Bund.
M
la
w
e
A
F
ja
F
n
D
s
e
s
c
B
u
d
e
d
V
le
d
w
g
s
S
fü
re
s
p
fe
ra
F
G
tü
u
le
a
h
w
e
Um die Verständlichkeit zu erhöhen, gibt es zwei
öglichkeiten, nämlich erstens, dass der Redner etwas
uter spricht, und zweitens, dass sich diejenigen, die et-
as hören wollen, etwas weniger laut unterhalten. Ich
mpfehle die Verbindung beider Verfahren.
Zu diesem wichtigen Thema gehören die finanziellen
nreize, die Überalterung in den Bundesbehörden, der
achkräftemangel im Bundesgebiet insgesamt – es sind
mehrere Branchen betroffen – und die Antwort auf die
rage, wie die Maßnahmen des Bundes auch einmal
icht auf Kosten der Länder organisiert werden können.
Wir hätten an dieser Stelle die Erkenntnisse aus der
ebatte zur Berufszufriedenheit in der Bundespolizei
ehr gut nutzen können. Dort hat sich gezeigt, dass es
ben nicht nur um die Bezahlung der Fachkräfte geht,
ondern auch um Themen, die Sie noch nicht ausrei-
hend behandeln, wie Überstunden, Aufgabenhäufung,
eförderungsstau, Vereinbarkeit von Familie und Beruf
sw. Hier gäbe es viel zu reden. Aber nein, wir sind
urch Ihre Art und Weise, hier zu agieren, gezwungen,
ine Debatte zu führen, die Ihre Mauscheleien offenlegt.
Sie haben es ja nicht öffentlich gemacht; aber unter
er Teilüberschrift „Änderung weiterer dienstrechtlicher
orschriften“ haben Sie solche Dinge wie den finanziel-
n Nachschlag für politische Beamte versteckt. Das hat
er Herr Hartmann hier wunderschön vorgerechnet. Des-
egen kann ich auch gleich zum nächsten Thema über-
ehen.
Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf ganz neue Ver-
orgungsposten schaffen. Ja, für die Linke ist das ein
kandal. Das, was Sie hier zum Jahresende betreiben, ist
r die Linke ein Weihnachtsmarkt.
Sie wollen einen Versorgungsposten, einen Direkto-
nposten, mit einer B-4-Besoldung schaffen. So weit,
o schlecht. Der Gipfel aber ist, dass Sie damit einen
arteipolitisch angebundenen Direktorenposten schaf-
n wollen. Dieser Direktor soll dem Sachverständigen-
t für Umweltfragen, kurz: SRU, vorangestellt werden.
ür diejenigen, die das nicht wissen: Der SRU ist ein
remium aus sieben Professoren, das die Politik und na-
rlich auch die Regierung in Umweltfragen beraten soll,
nd zwar parteipolitisch unabhängig. Das geschah zu-
tzt in wichtigen Fragen, wie zum Beispiel beim Atom-
usstieg, wobei der Rat Ihnen nicht unbedingt geholfen
at. Doch dieser Direktorenposten war, wie bereits er-
ähnt, mit dem Rat selbst weder besprochen, noch war
r erwünscht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17883
)
)
Einen Augenblick, Herr Kollege. – Ich darf die Kolle-
ginnen und Kollegen, die aus nachvollziehbaren Grün-
den jetzt allmählich in den Plenarsaal kommen, bitten,
erstens Platz zu nehmen und zweitens für einen Auf-
merksamkeitspegel zu sorgen, der dem Beratungsgegen-
stand angemessen ist. Erst dann setzen wir die Debatte
fort.
Ich bitte noch einmal darum, Platz zu nehmen. Es gibt
doch noch genügend freie Plätze.
Bitte schön.
Danke schön. – Ich finde es gut, dass sich so viele für
dieses Thema interessieren.
Ein guter Vorschlag kam übrigens gerade zu dieser
Problematik. Wenn Geld in die Hand genommen werden
soll, so finden wir das nicht schlecht. Aber mit zusätzli-
chen Referentenstellen wäre diesem Sachverständigenrat
wesentlich mehr geholfen.
Im Plenum wird ja manchmal viel geredet. Sie haben
sich in den letzten Tagen auch Mühe gegeben, neue Be-
gründungen zu finden. Aber ich möchte Sie nicht entlas-
sen, ohne noch einmal aus diesem FDP-Papier zu zitie-
ren:
Hierdurch
– also durch den Direktorenposten –
soll der SRU auch in seiner Außendarstellung dem
unmittelbaren politischen Einfluss von Rot-Grün
Sie wollen ein neutrales Beratungsgremium auf Par-
teilinie bringen. Das ist das Ziel, und das muss hier auch
so gesagt werden.
In dem Papier ist übrigens noch mehr zu lesen. Darin
steht auch, dass die Schaffung zunächst keine Konse-
quenzen hätte und kaum Beachtung finden würde. Das
ist schiefgegangen, und zwar gründlich.
fü
s
w
a
rü
d
s
p
B
S
s
w
k
K
n
N
D
s
B
b
k
fü
a
A
fü
d
d
ü
u
e
ru
s
d
li
A
w
te
z
D
Die Linke fordert Sie auf, diese Änderung sofort zu-
ckzunehmen. Das geht auch, indem Sie dem Antrag
er Grünen zustimmen, der hier noch zur Abstimmung
teht. Ich hätte mich gefreut, wenn noch etwas zu den
olitischen Beamten enthalten gewesen wäre.
Die Linke hätte übrigens diesem Gesetzentwurf in
ezug auf den Fachkräftebedarf, zu dem er richtige
chritte enthält – auch wenn sie noch nicht ausreichend
ind –, sehr gerne zugestimmt. Nun werden wir uns,
enn der Änderungsantrag der Grünen nicht durch-
ommt, aber enthalten müssen.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grü-
en.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Der Entwurf – das wurde hier ge-
agt – verfolgt im Grundsatz ein richtiges Anliegen. Der
und muss für qualifizierte Bewerberinnen und Bewer-
er attraktiv bleiben und attraktiver werden. Das Grund-
apital unseres Staates sind vor allem die Menschen, die
r ihn arbeiten. Der Entwurf bietet einen bunten Strauß
n Verbesserungen, zumeist in Gestalt von finanziellen
nreizen. Das reicht natürlich nicht. Wer Interesse hat,
r den Bund zu arbeiten, den lockt primär eben nicht
as Geld. Wir dürfen die Interessierten jedenfalls nicht
urch starre Hierarchien abschrecken, sondern brauchen
berzeugende Behördenstrukturen, flache Hierarchien
nd durchgehende Aufstiegsmöglichkeiten.
Insofern bleibt viel zu tun. Aber von Ihren eventuell
inmal vorhandenen lauteren Absichten zur Verbesse-
ng der Fachkräftegewinnung wird öffentlich – das
age ich Ihnen, Herr Kollege Ruppert – wenig bleiben;
enn als ginge es Ihnen darum, selbst hier bei grundsätz-
ch sinnhaften Vorhaben ein bisschen Mövenpick-
tmosphäre zu erzeugen, nutzen Sie diesen Gesetzent-
urf als Trojanisches Pferd für Ihre unlauteren Absich-
n.
Der Änderungsantrag der schwarz-gelben Koalition
u diesem Gesetzentwurf ist von bemerkenswerter
reistigkeit; er ist gespickt mit sachfremden Vorstößen,
17884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Konstantin von Notz
)
)
die mit der Fachkräftegewinnung rein gar nichts zu tun
haben. – Herr Kollege Ruppert, da können Sie noch so
ungläubig gucken. Es geht um Ämterpatronage. Da sind
Ihre Ausreden einfach zu dünn, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Zur Wiedereinführung der Ruhebezüge bei einstweili-
gem Ruhestand hat der Kollege Hartmann hier schon et-
was gesagt. Wer wie die Koalition bestehende Regelun-
gen als drastische Einbuße bezeichnet, zeigt sein Herz
nur für die topverdienenden Spitzenbeamten. Das so-
ziale Grundverständnis dieser Koalition bei der Beam-
tenversorgung ist: unten immer weiter streichen, oben
ordentlich draufschaufeln.
Hier werden Fallschirme für eine FDP-Besatzung
aufgespannt, deren Maschine lichterloh brennt und die
offenbar jeden Moment herunterkommt.
Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein handfester Fall
von Selbstbedienung im Amt. Die Politik wird in Verruf
gebracht, und die Politikerverdrossenheit wird weiter ge-
fördert. Das darf sich dieses Parlament nicht gefallen
lassen, meine Damen und Herren.
Schließlich der Fall der Direktorenstelle beim Sach-
verständigenrat für Umweltfragen: Hier wird mit leeren
Behauptungen versucht, die Notwendigkeit einer neuen
Stelle zu begründen. Man spricht von akademischer
Aufwertung. Die betroffene Institution selbst hat man zu
dieser akademischen Aufwertung vorsichtshalber vorher
nicht befragt. Warum eigentlich nicht? Ich kann es Ihnen
allen sagen: Die Stelle ist unnütz, und der SRU will sie
nicht.
Der Bundesumweltminister hat in dieser Woche auch
noch ausdrücklich die Unabhängigkeit dieses Sachver-
ständigenrats gewürdigt. Sie, werte Kolleginnen und
Kollegen von Union und FDP, argumentieren hingegen
genau wie in dem geleakten Vermerk der FDP-Fraktion
beschrieben. Da unterscheiden Sie nämlich zwischen
dem Ziel und der Begründung nach außen. Bei der Be-
gründung nach außen sprechen Sie wider besseres Wis-
sen von der akademischen Aufwertung. Bezüglich des
Ziels heißt es aber – der Kollege Tempel hat es wortwört-
lich zitiert –, dass das Gremium „dauerhaft in den … politi-
s
fr
V
z
re
d
S
e
u
d
g
d
c
U
s
n
h
tr
d
U
z
D
fe
B
s
a
s
is
s
s
n
s
d
g
ic
w
In der gestrigen Fragestunde hat die zuständige
taatssekretärin des Umweltministeriums ausdrücklich
rklärt, es handele sich bei der Schaffung dieser Stelle
m einen Wunsch der Koalitionsabgeordneten, dem sich
as Ministerium lediglich beuge.
Zur Vergewisserung, ob die Schaffung dieser unsinni-
en Stelle tatsächlich dem Wunsch der Abgeordneten
ieses Hauses entspricht, haben wir daher die namentli-
he Abstimmung beantragt.
nser Änderungsantrag, über den wir namentlich ab-
timmen, zielt auf die direkte Streichung dieser mit
ichts zu begründenden Stelle. Daher bitte ich Sie ganz
erzlich um Ihre Zustimmung zu unserem Änderungsan-
ag.
Ganz herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
esregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
nterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund und
ur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften.
er Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
hlung auf Drucksache 17/8178, den Gesetzentwurf der
undesregierung auf Drucksache 17/7142 in der Aus-
chussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungs-
ntrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
ache 17/8184 vor, über den wir zuerst abstimmen. Dazu
t namentliche Abstimmung beantragt.
Die Abstimmung beginnt, sobald alle Urnen besetzt
ind. – Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Ab-
timmung.
Gibt es noch jemanden im Saal, der seine Stimmkarte
icht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Die Ab-
timmung ist geschlossen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
er Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Er-
ebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche
h die Sitzung. Das ist deswegen unvermeidlich, weil
ir das Abstimmungsergebnis kennen müssen, um über
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17885
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Michael Gerdes Florian Pronold Roland Claus Viola von Cramon-Taubadel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Anton Schaaf
Axel Schäfer
H
W
D
D
A
D
D
A
U
D
H
eidrun Dittrich
erner Dreibus
r. Dagmar Enkelmann
iana Golze
nnette Groth
r. Gregor Gysi
r. Barbara Höll
ndrej Hunko
lla Jelpke
r. Lukrezia Jochimsen
arald Koch
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Martin Gerster Dr. Sascha Raabe Dr. Diether Dehm Ekin Deligöz
den Vorschlag des Ausschusse
zu können.
Die Sitzung ist unterbrochen
mert:
t wieder eröffnet.
fü
m
tr
B
1
a
N
g
ru
ichael Hartmann
ubertus Heil
r. Barbara Hendricks
ustav Herzog
abriele Hiller-Ohm
etra Hinz
rank Hofmann
r. Eva Högl
hristel Humme
sip Juratovic
liver Kaczmarek
hannes Kahrs
r. h. c. Susanne Kastner
lrich Kelber
ars Klingbeil
r. Bärbel Kofler
aniela Kolbe
ritz Rudolf Körper
nette Kramme
ngelika Krüger-Leißner
te Kumpf
hristine Lambrecht
hristian Lange
teffen-Claudio Lemme
urkhard Lischka
abriele Lösekrug-Möller
irsten Lühmann
aren Marks
atja Mast
ilde Mattheis
etra Merkel
llrich Meßmer
ranz Müntefering
r. Rolf Mützenich
ndrea Nahles
olger Ortel
ydan Özoğuz
einz Paula
r. Wilhelm Priesmeier
B
M
W
S
C
O
S
E
F
R
S
R
D
S
P
D
C
K
D
F
W
R
U
A
D
D
M
B
D
Ja
A
D
H
K
M
H
E
D
Ich gebe das von den Schrif
hrern ermittelte Ergebnis der
ung über den vorhin angesp
ag zur zweiten Beratung d
undesregierung – Drucksache
7/8184 – bekannt: abgegeben
lso für den Änderungsantrag,
ein haben gestimmt 296. Ein
in hat sich der Stimme enthal
ngsantrag abgelehnt.
ernd Scheelen
arianne Schieder
erner Schieder
ilvia Schmidt
arsten Schneider
ttmar Schreiner
wen Schulz
wald Schurer
rank Schwabe
olf Schwanitz
tefan Schwartze
ita Schwarzelühr-Sutter
r. Carsten Sieling
onja Steffen
eer Steinbrück
r. Frank-Walter Steinmeier
hristoph Strässer
erstin Tack
r. h. c. Wolfgang Thierse
ranz Thönnes
olfgang Tiefensee
üdiger Veit
te Vogt
ndrea Wicklein
r. Dieter Wiefelspütz
agmar Ziegler
anfred Zöllmer
rigitte Zypries
IE LINKE
n van Aken
gnes Alpers
r. Dietmar Bartsch
erbert Behrens
arin Binder
atthias W. Birkwald
eidrun Bluhm
va Bulling-Schröter
r. Martina Bunge
Ja
Ju
S
R
M
S
U
U
D
C
K
N
T
P
Je
R
Y
In
P
K
R
D
S
D
F
D
K
Jo
H
H
Jö
B
D
K
M
V
C
B
A
)
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth
Monika Lazar
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller
Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Ulrich Schneider
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
W
W
N
K
M
D
H
D
D
H
R
C
G
A
M
D
E
In
H
D
D
K
H
D
M
E
D
H
A
In
D
N
A
E
M
P
D
U
R
H
M
M
M
M
O
F
D
Jü
G
D
H
M
F
R
M
Jü
A
E
P
C
R
F
Jo
A
T
D
olfgang Börnsen
olfgang Bosbach
orbert Brackmann
laus Brähmig
ichael Brand
r. Reinhard Brandl
elmut Brandt
r. Ralf Brauksiepe
r. Helge Braun
eike Brehmer
alph Brinkhaus
ajus Caesar
itta Connemann
lexander Dobrindt
arie-Luise Dött
r. Thomas Feist
nak Ferlemann
grid Fischbach
artwig Fischer
irk Fischer
r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
erbert Frankenhauser
r. Hans-Peter Friedrich
ichael Frieser
rich G. Fritz
r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
go Gädechens
r. Thomas Gebhart
orbert Geis
lois Gerig
berhard Gienger
ichael Glos
eter Götz
r. Wolfgang Götzer
te Granold
einhard Grindel
ermann Gröhe
ichael Grosse-Brömer
arkus Grübel
anfred Grund
onika Grütters
lav Gutting
lorian Hahn
r. Stephan Harbarth
rgen Hardt
erda Hasselfeldt
r. Matthias Heider
elmut Heiderich
echthild Heil
rank Heinrich
udolf Henke
ichael Hennrich
rgen Herrmann
nsgar Heveling
rnst Hinsken
eter Hintze
hristian Hirte
obert Hochbaum
ranz-Josef Holzenkamp
achim Hörster
nette Hübinger
homas Jarzombek
ieter Jasper
D
A
D
B
H
S
A
B
S
D
R
E
E
V
Jü
Je
H
T
M
G
D
R
B
D
D
A
D
K
U
D
P
D
In
M
D
P
D
D
D
K
D
H
A
S
D
M
D
D
P
D
M
D
S
D
B
M
D
F
E
H
D
R
U
D
S
B
r. Franz Josef Jung
ndreas Jung
r. Egon Jüttner
artholomäus Kalb
ans-Werner Kammer
teffen Kampeter
lois Karl
ernhard Kaster
r. Stefan Kaufmann
oderich Kiesewetter
ckart von Klaeden
wa Klamt
olkmar Klein
rgen Klimke
ns Koeppen
artmut Koschyk
homas Kossendey
ichael Kretschmer
unther Krichbaum
r. Günter Krings
üdiger Kruse
ettina Kudla
r. Hermann Kues
r. Karl A. Lamers
ndreas G. Lämmel
r. Norbert Lammert
atharina Landgraf
lrich Lange
r. Max Lehmer
aul Lehrieder
r. Ursula von der Leyen
gbert Liebing
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
aniela Ludwig
r. Michael Luther
arin Maag
r. Thomas de Maizière
ans-Georg von der Marwitz
ndreas Mattfeldt
tephan Mayer
r. Michael Meister
aria Michalk
r. h. c. Hans Michelbach
r. Mathias Middelberg
hilipp Mißfelder
ietrich Monstadt
arlene Mortler
r. Gerd Müller
tefan Müller
r. Philipp Murmann
ernd Neumann
ichaela Noll
r. Georg Nüßlein
ranz Obermeier
duard Oswald
enning Otte
r. Michael Paul
ita Pawelski
lrich Petzold
r. Joachim Pfeiffer
ibylle Pfeiffer
eatrix Philipp
C
R
E
T
D
E
L
Jo
K
D
Jo
D
E
A
A
D
K
N
T
G
C
P
D
N
D
D
B
U
A
D
Jo
R
D
B
Jo
C
D
C
D
G
S
M
K
T
L
M
D
A
D
A
V
S
A
D
M
K
M
P
S
In
P
A
K
E
D
D
etlef Seif
hannes Selle
einhold Sendker
r. Patrick Sensburg
ernd Siebert
hannes Singhammer
arola Stauche
r. Frank Steffel
hristian Freiherr von Stetten
ieter Stier
ero Storjohann
tephan Stracke
ax Straubinger
arin Strenz
homas Strobl
ena Strothmann
ichael Stübgen
r. Peter Tauber
ntje Tillmann
r. Hans-Peter Uhl
rnold Vaatz
olkmar Vogel
tefanie Vogelsang
ndrea Astrid Voßhoff
r. Johann Wadephul
arco Wanderwitz
ai Wegner
arcus Weinberg
eter Weiß
abine Weiss
go Wellenreuther
eter Wichtel
nnette Widmann-Mauz
laus-Peter Willsch
lisabeth Winkelmeier-
Becker
agmar G. Wöhrl
r. Matthias Zimmer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17887
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9 a und b:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
Wer ist dagegen? – Wer enthält
setzentwurf in dritter Lesung m
alition gegen die Stimmen von
Grünen bei Stimmenthaltung de
genommen.
Ich rufe nun den Tagesordnu
Beratung des Antrags de
Lauterbach, Elke Ferne
Abgeordneter und der Fr
Folgen von Kassenschl
und Beschäftigte schü
ken, Zusatzbeiträge ab
– Drucksache 17/6485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Sozi
Interfraktionell ist vorgeschl
sem Tagesordnungspunkt zu Pr
sehen als Rednerinnen und Red
sich? – Damit ist der Ge-
it den Stimmen der Ko-
SPD und Bündnis 90/Die
r Fraktion Die Linke an-
ngspunkt 10 auf:
r Abgeordneten Dr. Karl
r, Bärbel Bas, weiterer
aktion der SPD
ießungen – Versicherte
tzen, Wettbewerb stär-
schaffen
ales
agen, die Reden zu die-
otokoll zu geben. Vorge-
ner waren die Kollegin- 1)
SPD, FDP und BÜNDN
Menschenwürde ist ni
dingungen in griechis
sofort verbessern
– Drucksache 17/7979 –
b) Beratung des Antrags
Jelpke, Annette Groth, S
Abgeordneter und der Fr
Menschenrechtliche Si
in Griechenland verbe
rische Flüchtlingspoliti
– Drucksache 17/8139 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte
Ausschuss für die Angelegenh
Anlage 5
IS 90/DIE GRÜNEN
cht verhandelbar – Be-
chen Flüchtlingslagern
der Abgeordneten Ulla
evim Dağdelen, weiterer
aktion DIE LINKE
tuation für Flüchtlinge
ssern – Für eine solida-
k der EU
und Humanitäre Hilfe
eiten der Europäischen Union
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-
Dugnus
Daniel Bahr
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
S
L
D
M
O
P
G
P
D
D
H
C
G
D
D
D
D
B
F
C
Ji
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? –
Das ist die Opposition, SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthält sich jemand? – Die Linke. Dann ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
n
L
s
D
fü
e
s
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/6485 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
17888 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese
Aussprache 30 Minuten andauern. – Dazu höre ich kei-
nen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Stephan Mayer für die CDU/CSU das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-
nen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist wirklich keine Selbst-
verständlichkeit, dass vier Fraktionen dieses Hauses
heute einen gemeinsamen Antrag vorlegen. Es ist zudem
alles andere als selbstverständlich, wenn dies im Bereich
der Innenpolitik erfolgt.
An sich sind die Themen, mit denen wir uns in der In-
nenpolitik beschäftigen, sehr konfliktträchtig. Vor dem
Hintergrund erachte ich es wirklich als große Leistung
und großen Erfolg, dass es uns, den vier Fraktionen, ge-
lungen ist, einen gemeinsamen Antrag zu einem Thema
zu erarbeiten, das uns alle gleichermaßen besorgt und
besorgen sollte.
Der Antrag geht zurück auf eine Delegationsreise des
Innenausschusses im September sowohl nach Griechen-
land als auch in die Türkei. Wir haben uns intensiv mit
der Flüchtlingssituation im griechisch-türkischen Grenz-
gebiet beschäftigt. Ich glaube, es erging allen Teilneh-
mern der Delegation gleichermaßen: Wir waren erschüt-
tert und sind nach wie vor außerordentlich besorgt, wie
die Situation vor Ort in den Flüchtlingslagern ist. Wir
haben das Aufnahmelager in Filakio und die Polizeista-
tion in Tychero besucht.
Ich sage hier ganz offen und in keiner Weise ankla-
gend, sondern wirklich sehr besorgt und nachdenklich:
Ich halte es für ein Land, das Mitglied der Europäischen
Union ist, für nicht würdig, dass derartige humanitäre
Zustände dort herrschen. Deswegen sollte von dieser
Debatte und auch von diesem Antrag ein klarer Appell
an die griechische Adresse, insbesondere an die der grie-
chischen Regierung, ausgehen, hier schnellstmöglich,
also ohne weitere Verzögerung, für humane, menschen-
würdige Zustände in den Flüchtlingslagern in Griechen-
land zu sorgen.
Ich sage noch einmal ganz deutlich: Es geht nicht da-
rum, Griechenland an den Pranger zu stellen. Es geht
auch nicht darum, hier eine Anklage zu erheben, sondern
es muss innerhalb der Europäischen Union das gemein-
same Interesse bestehen, für diejenigen Flüchtlinge, die
den schweren Weg über die türkisch-griechische Grenze
auf sich nehmen, zu sorgen.
Ich sage auch in aller Deutlichkeit: Die Verbesserung
der Lage in diesen Flüchtlingslagern ist in erster Linie
d
a
w
s
d
H
G
U
e
d
w
v
g
u
s
d
F
2
g
d
o
g
a
g
S
la
g
g
fe
h
u
e
w
V
in
m
W
w
k
s
m
G
s
s
u
te
d
Z
s
m
B
le
d
d
d
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der
undesregierung sehr dankbar, dass sie gerade in den
tzten Monaten, auch in den entsprechenden Sitzungen
es JI-Rates, immer wieder deutlich gemacht hat, dass
as Ganze ein Anliegen der Bundesregierung und damit
er Bundesrepublik Deutschland ist. Ich möchte insbe-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17889
Stephan Mayer
)
)
sondere Ihnen, sehr geehrter Herr Staatssekretär
Dr. Schröder, danken, dass Sie in mit Sicherheit nicht
einfachen Gesprächen mit Ihrem griechischen Kollegen,
mit dem griechischen Bürgerschutzminister, immer wie-
der insistiert haben. Sie haben deutlich gemacht, dass
wir uns mit dem, was bisher gemacht wurde, nicht zu-
friedengeben – ganz im Gegenteil. Wir fordern, dass ge-
rade angesichts des anbrechenden Winters im Evros-Ge-
biet, wo die Temperaturen teilweise sehr niedrig sind,
schnellstmöglich für Verbesserungen gesorgt wird.
Ich bin der Bundesregierung auch dafür sehr dankbar,
dass sie insbesondere vor zwei Wochen noch einmal
deutlich gemacht hat, dass die Dublin-II-Verordnung ge-
genüber Griechenland weiterhin ausgesetzt ist, solange
in den Unterkünften auf griechischer Seite keine ordent-
lichen, humanen Bedingungen vorherrschen, und dass
sie von Rückführungen aus Deutschland nach Griechen-
land absieht.
Ich bin dem Bundesinnenminister Dr. Friedrich sehr
dankbar, dass er unmissverständlich zum Ausdruck ge-
bracht hat, dass für das gesamte kommende Jahr bis zum
12. Januar 2013 von Rückführungen nach Griechenland
abgesehen wird. Es wäre nicht akzeptabel und es wäre
nicht hinnehmbar, wenn unter den jetzigen Bedingungen
Flüchtlinge nach Griechenland zurücküberstellt werden.
Hier gilt es wirklich, schnellstmöglich Vorsorge zu tref-
fen.
Ich sage ganz offen: Das ist natürlich nicht nur eine
Aufgabe der griechischen Seite, sondern es gibt auch ei-
nen Verantwortungsbereich, der die Türken betrifft. Es
gibt ein Rückführungsabkommen zwischen der Europäi-
schen Union und der Türkei, das von der türkischen
Seite bislang leider Gottes nicht ratifiziert wurde. Die
Türken weigern sich unnachgiebig, ihrer Verpflichtung
nachzukommen. Man muss bei aller Fairness also auch
sehen, dass es nicht nur eine Verantwortung der griechi-
schen Seite gibt, sondern dass genauso auch die türki-
sche Seite in der Verantwortung steht.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es
ist wichtig, dass von der heutigen Debatte der klare Ap-
pell ausgeht, dass wir uns nicht mit dem zufriedengeben,
was in der Vergangenheit geschehen ist – ganz im Ge-
genteil. Allerdings sehen wir es aber weiterhin für sinn-
voll an, dass die deutsche Seite Verantwortung insoweit
wahrnimmt, als Bundespolizeibeamte im Rahmen von
Frontex im griechischen Grenzgebiet eingesetzt werden.
Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass es gut ist, dass
Frontex vor Ort ist. Frontex hat nämlich dazu beigetra-
gen, dass die Spannungen, die zwischen der griechischen
und der türkischen Seite bestehen, etwas abgebaut wur-
den.
Ich halte es aber zugleich für richtig, dafür zu sorgen,
dass deutsche Beamte, die dort im Rahmen des Frontex-
Einsatzes tätig sind, weder die Transporte von Flüchtlin-
gen in Aufnahmelager begleiten noch in diesen Lagern
selbst präsent sind. Die Zustände in diesen Aufnahmela-
g
m
d
s
A
z
g
re
W
g
v
u
ti
–
e
K
F
u
fü
w
F
b
w
s
s
b
s
z
n
D
g
re
s
z
A
M
tr
k
V
a
le
ir
Lieber Kollege Mayer, ich nutze die Gelegenheit
erne, Ihnen zu Ihrem heutigen Geburtstag zu gratulie-
n.
ir freuen uns, dass Sie sich entschlossen haben, den
rößeren Teil des Abends mit uns gemeinsam hier zu
erbringen,
nd wünschen Ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute.
Nun hat der Kollege Rüdiger Veit für die SPD-Frak-
on das Wort.
Wir machen es selbstverständlich so, wie Sie es unter-
inander verabredet haben. Jetzt redet also zuerst Frau
olbe, und später folgt der Kollege Veit. Bitte schön,
rau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
nd Kollegen! Ich kann mich noch sehr gut an das Ge-
hl der Hilflosigkeit erinnern, das mich befallen hat, als
ir auf unserer Delegationsreise erst das Aufnahmelager
ilakio und später die Polizeistation Tychero besucht ha-
en. Damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, was
ir dort gesehen haben, möchte ich Ihnen ein wenig be-
chreiben, wie es in Tychero zugeht.
Es handelt sich um eine Polizeistation, in der Men-
chen, die die türkisch-griechische Grenze übertreten ha-
en – zum Teil sind das Asylsuchende, zum Teil sind es
ogenannte illegale Migrantinnen und Migranten –, bis
u sechs Monate festgehalten werden. Wir haben dort ei-
en Zellenraum gesehen und auch betreten können. In
eutschland würde man ihn als einen 100 Quadratmeter
roßen dunklen Kellerraum beschreiben. In diesem wa-
n etwa 40 Männer unterschiedlichen Alters und unter-
chiedlicher Herkunft. Geschlafen haben sie auf Matrat-
enfetzen, die unangenehm rochen. Die sanitären
nlagen waren in einem unbeschreiblichen Zustand.
an konnte fast froh sein, dass in dem Raum kein elek-
isches Licht war. Es gab kein Warmwasser, es gab
eine Heizung, es gab keine Fensterscheiben.
Die Menschen klagten über schlechte medizinische
ersorgung und schlechtes Essen. Am schlimmsten war
us unserer Sicht diese unglaubliche Enge und die feh-
nde Möglichkeit, diese Zelle auch nur einmal am Tag
gendwie zu verlassen. Das heißt, die Menschen waren
17890 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Daniela Kolbe
)
)
dort unter diesen schlimmen Bedingungen rund um die
Uhr eingesperrt, und zwar bis zu sechs Monate.
Ich kann mich an einen gebildeten Mann aus dem Iran
oder aus Syrien erinnern, der, als er mit uns gesprochen
hat, mit der Genfer Flüchtlingskonvention auf Englisch
vor uns herumwedelte und darauf hinwies, dass ihm als
Flüchtling doch auch Rechte zustünden. Ich kann mich
noch gut erinnern, wie hilflos ich mich gefühlt habe, als
ich ihm bloß sagen konnte: Wir werden uns um Verbes-
serungen bemühen. Wir werden beim Minister insistie-
ren. Wir werden versuchen, irgendetwas zu tun, damit
diese Zustände abgestellt werden.
Dass daraus jetzt ein interfraktioneller Antrag gewor-
den ist, beweist zunächst einmal, wie unbeschreiblich
die Situation war, wie sehr sie uns erschüttert und be-
rührt hat und wie bewegend das für uns alle war. Men-
schenrechte sind nicht verhandelbar, in keiner Situation.
Griechenland ist hier in der Pflicht. Das ist das Signal,
das heute von dieser Debatte ausgehen muss und ausge-
hen wird.
Wir müssen uns zugleich immer bewusst sein, dass
wir an Griechenland das Signal senden müssen: Ihr seid
in der Verantwortung; aber wir sehen auch die schwie-
rige Situation, in der ihr euch befindet. Denn ein Groß-
teil der Flüchtlinge, die derzeit zu Hunderttausenden
nach Europa strömen, wählen die Grenze zwischen der
Türkei und Griechenland. Sie kommen in ein Land, das
von einer verheerenden Wirtschafts- und Finanzkrise
erschüttert wird; ein Land mit 11 Millionen Einwohnern,
das sich damit konfrontiert sieht, dass dort über 1 Mil-
lion Menschen illegal lebt.
Darüber, wie man damit umgeht, gibt es keinen Kon-
sens in diesem Haus. Die SPD würde sagen: Wir müssen
endlich darüber sprechen, wie wir eine europäische Ver-
antwortungsteilung hinbekommen und dass wir Grie-
chenland und auch Malta in dieser Situation nicht allein
lassen können.
Darüber gibt es hier keinen Konsens. Ich würde aber
sagen: Es gibt noch keinen Konsens; denn dass wir
irgendwie agieren müssen, liegt, glaube ich, auf der
Hand.
Es gibt aber einen Konsens, dass wir niemanden mehr
nach Griechenland zurückschicken, auch 2012 nicht.
Das ist ein großer Erfolg. Es gibt überdies den Konsens,
dass wir die Griechen auffordern, in diesen Lagern um-
gehend menschenwürdige Bedingungen herzustellen.
Wir appellieren an Griechenland, das endlich zu gewähr-
leisten, und verweisen dabei noch einmal auf die euro-
päischen Hilfen, die zur Verfügung stehen.
Dass das etwas bringt, konnten wir von NGOs erfah-
ren, die uns nach unserem Besuch berichtet haben, dass
sich einige Kleinigkeiten verbessert haben – sei es nur
d
a
u
e
m
b
F
u
d
g
in
d
U
E
in
D
E
d
fu
te
in
b
e
d
g
re
s
fü
fe
A
c
F
g
fa
S
u
b
re
V
v
G
z
s
E
la
w
Das Wort hat der Kollege Serkan Tören für die FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! An der griechisch-türkischen Grenze wer-
en Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingun-
en in griechischen Haftlagern festgehalten. Dieser
terfraktionelle Antrag ist ein gemeinsamer Appell an
ie griechische Regierung zu einem humanitären
mgang mit Flüchtlingen.
Unsere Forderungen in diesem Antrag sind ganz klar:
s ist erforderlich, die menschenunwürdigen Zustände
den Auffanglagern des Landes endlich zu beenden.
azu sollten die hierfür bereitstehenden Mittel aus dem
U-Flüchtlingsfonds endlich beantragt werden. Außer-
em sollte Griechenland zügig mit dem Aufbau eines
nktionierenden Asylsystems beginnen und die Migran-
n anderweitig unterbringen, solange sich die Situation
den Auffanglagern nicht gebessert hat.
Die Bundesregierung möchten wir ermuntern, sich in
ilateralen Verhandlungen mit Griechenland weiter für
in Ende dieser unhaltbaren Zustände einzusetzen. In
iesem Zusammenhang möchte ich mich für die bisheri-
en Bemühungen bedanken. So hat sich die Bundes-
gierung am 27. und 28. Oktober dieses Jahres im Brüs-
eler Rat für Justiz und Inneres gegenüber Griechenland
r eine Verbesserung der Situation eingesetzt. Auch lau-
n auf bilateraler Ebene zwischen dem Auswärtigen
mt und der griechischen Seite bereits intensive Gesprä-
he zur Lösung dieser Problematik.
Im Jahr 2010 reisten schätzungsweise 90 Prozent der
lüchtlinge, die nach Europa strebten, über die türkisch-
riechische Landesgrenze ein. Dort werden sie in Auf-
nglagern teilweise bis zu sechs Monate festgehalten.
ie sind in großer Enge, ohne Warmwasser und Heizung
nd ohne Zugang zu medizinischer Versorgung unterge-
racht. Der Europäische Gerichtshof für Menschen-
chte hat Griechenland dafür bereits mehrfach wegen
erstößen gegen die Europäische Menschenrechtskon-
ention verurteilt.
Als FDP-Bundestagsfraktion möchten wir betonen:
riechenland ist trotz Finanzkrise und allen damit
usammenhängenden Problemen verpflichtet, die Men-
chenrechte einzuhalten. Deutschland bietet auf EU-
bene seine Hilfe vor Ort an. Dies kann für Griechen-
nd aber nicht bedeuten, aus der Pflicht und der Verant-
ortung entlassen zu werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17891
Serkan Tören
)
)
Über die griechisch-türkische Landesgrenze gelangen
aktuell pro Tag 200 bis 300 Flüchtlinge in die EU. Nach
der Festnahme durch die Polizei werden diese zunächst
in Flüchtlingslager verbracht. Der massive Zustrom in
die Lager führt zu menschenunwürdigen Lebensbedin-
gungen für die Migranten. Die katastrophale Situation
vor Ort macht eine weitgehende Überforderung der grie-
chischen Stellen deutlich.
Grundsätzlich positiv einzuschätzen ist dagegen aus
Sicht der FDP der Einsatz der Agentur Frontex an der
Grenze. Die Beamten – gerade auch die der Bundespoli-
zei – tragen zum Know-how-Transfer bei. Auch gewähr-
leisten die Beamten eine humanitäre Situation beim
Übertritt. Ferner ermöglichen sie eine weitestgehend
offene Kooperation zwischen der Türkei und Griechen-
land. Dennoch sollten Einsätze von Frontex – wie unter
Umständen die Screenings der Flüchtlinge in den Lagern –
differenziert betrachtet werden.
Frontex kann und darf allerdings nicht für das Versa-
gen von einzelnen Mitgliedstaaten verantwortlich
gemacht werden. Das Mandat von Frontex ist eng. Es
umfasst nicht die Verantwortung für die Flüchtlings-
lager. Diese Verantwortung liegt voll und ganz bei den
griechischen Behörden. Bei Gesprächen mit der griechi-
schen Seite hat die Delegation des Bundestagsinnenaus-
schusses eindringlich die Beseitigung gravierender men-
schenunwürdiger Zustände angemahnt.
Griechenland stehen, wie vorhin schon erwähnt,
genug EU-Fördermittel zur Verfügung, die bisher aber
nicht abgerufen wurden. Die Reform des griechischen
Asylrechts – welche unter anderem eine Verlagerung der
Zuständigkeit von der Polizei auf eine eigenständige
Asylbehörde vorsieht – kommt zudem nur in kleinen
Schritten voran.
Alle Teilnehmer der Bundestagsdelegation waren sich
einig – dies war das Resümee der Reise –: Es sollte mehr
Druck auf Griechenland ausgeübt werden, um die
Zustände in den Flüchtlingslagern zu verbessern und
schnellstmöglich eine menschenwürdige Situation zu
schaffen.
Ich möchte allerdings auch offen ansprechen: Trotz
dieses interfraktionellen Antrags besteht kein überfrak-
tioneller Konsens hinsichtlich der Konsequenzen, die aus
der aktuellen Situation zu ziehen sind. Dies betrifft vor
allem die Form der europäischen Solidarität. Hierzu zäh-
len die europäische Verantwortungsteilung, ein etwaiger
Reformbedarf bei der Dublin-II-Verordnung sowie eine
Verlängerung laufender Frontex-Missionen in Griechen-
land. Auch gibt es Unterschiede bei der Bewertung des
europäischen Drucks auf die Türkei, damit das euro-
päisch-türkische Rückübernahmeabkommen ratifiziert
und das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit Grie-
chenland umgesetzt wird.
d
M
d
B
d
la
D
ic
d
n
In
h
n
ru
h
s
d
D
a
d
w
b
la
tr
K
g
e
J
n
d
s
V
M
s
k
s
h
–
Nun spricht die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion
ie Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
h war bei dieser Reise als Delegationsteilnehmerin
abei. Ich kann die Erschütterung, die meine Kollegin-
en und Kollegen hier bereits geäußert haben, nur teilen.
sbesondere in dem Lager Filakio, das wir besuchten,
errschen menschenunwürdige Zustände. Ich habe noch
ie erlebt, dass Menschen an die Gitterstäbe klopfen und
fen: Holt uns hier raus! Holt uns hier raus! – Es wurde
ier beschrieben, wie die kellerartigen Räume dort aus-
ehen und wie die Menschen dort hausen müssen. Sie
ürfen diese Zellen ein halbes Jahr lang nicht verlassen.
as ist zutiefst unmenschlich. Von daher ist der Druck
uf Griechenland voll berechtigt. Das zum einen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal abgesehen
avon, dass die rechte Seite des Hauses sowieso nicht
ollte, dass die Linke an diesem Antrag mitarbeitet und
eteiligt werden soll, bin ich der Meinung, dass Deutsch-
nd nicht Griechenland allein die Verantwortung über-
agen kann. Selbstkritisch muss gesehen werden – einige
ollegen, wie es beispielsweise der Kollege Tören eben
etan hat, haben es zumindest angedeutet –, dass es auch
ine Mitverantwortung der EU gibt.
Die EU-Flüchtlingspolitik hat in den vergangenen
ahren vor allen Dingen auf Abschottung gesetzt. Ich
enne hier Frontex und das Schengener Abkommen, wo-
urch vor allem die Außengrenzen dichtgemacht werden
ollen. Vor allen Dingen nenne ich auch die Dublin-II-
erordnung und die neuen, sich in Planung befindlichen
aßnahmen wie beispielsweise das EUROSUR. Es wird
o getan, als habe man damit jetzt neue große Möglich-
eiten, die Grenzen abzuschotten.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat zum Bei-
piel gerade eine Presseerklärung herausgegeben. Dort
eißt es:
Anlässlich des letzten EU-Innenministertreffens in
diesem Jahr zieht PRO ASYL flüchtlingspolitische
Bilanz: 2000 tote Flüchtlinge
nur in diesem Jahr 2011 –
17892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Ulla Jelpke
)
)
an den europäischen Außengrenzen, keine Solidari-
tät bei der Flüchtlingsaufnahme, Dauerblockade bei
der Schaffung gemeinsamer Asylrechtsstandards
und populistische Debatten, die selbst die innereu-
ropäische Freizügigkeit zur Disposition stellen –
das waren die zentralen Merkmale der EU-Flücht-
lingspolitik im Jahr 2011. Diese desaströse Bilanz
des Jahres 2011 zeigt aus Sicht von PRO ASYL,
dass die Europäische Union in Fragen des Flücht-
lings- und Menschenrechtsschutzes politisch und
moralisch versagt.
Diese Einschätzung kann die Linke voll unterstützen.
Wir können viele Beispiele dafür bringen.
Tatsächlich ist es so: Die Europäische Union müsste
wirklich darüber diskutieren, eine Umverteilung in
Europa vorzunehmen. Griechenland ist gegenwärtig das
Hauptzielland der Flüchtlinge; sie versuchen dann, von
dort aus in andere EU-Staaten zu kommen. Man könnte
im Grunde genommen sehr schnell Abhilfe schaffen.
Dafür müsste man nicht nur – davon sprechen Sie jetzt –
300 Flüchtlinge pro Jahr aus den gesamten EU-Staaten,
die kein Asylsystem haben, im Rahmen eines Resettle-
ment-Verfahrens in Deutschland aufnehmen, sondern
wirklich dafür sorgen, dass die Staaten je nach Höhe des
Bruttosozialprodukts mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Damit könnte man Griechenland sehr solidarisch unter-
stützen. Es geht hier in erster Linie um Solidarität, unter
den EU-Staaten, vor allen Dingen aber mit den schutz-
suchenden Flüchtlingen, die von Europa insgesamt
alleingelassen werden.
Das kann einfach nicht hingenommen werden.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Auch
der UNHCR hat in diesen Tagen einen Lagebericht
herausgegeben. Auch er kritisiert Deutschland und sieht
dringenden Handlungsbedarf „bei der Durchführung des
sogenannten Dublin-Verfahrens in Deutschland, in dem
entschieden wird, welches Land für die Prüfung eines
Asylantrages zuständig ist. So sei es notwendig, von der
bisher geltenden Gesetzeslage abzurücken, nach der ein
einstweiliger Rechtsschutz gegen die Überstellung in ein
anderes Land ausdrücklich ausgeschlossen sei. Auch aus
der Europäischen Menschenrechtskonvention ergebe
sich, dass ein Zugang zum einstweiligen Rechtsschutz
vorhanden sein müsse.“
Hier muss man ganz deutlich sagen: Deutschland hat
mit verhindert, dass eine Regelung getroffen wird, nach
der man im Rahmen des Dublin-Abkommens nicht in
Länder wie beispielsweise Italien, Griechenland und
Zypern, aber auch andere europäische Staaten, die kein
Asylsystem haben, zurückschiebt. Es wird vielmehr wei-
ter zurückgeschoben.
Ich nehme einmal das Beispiel Malta. Einerseits nah-
men Sie im vorletzten Jahr 50 und jetzt noch einmal 150
Flüchtlinge aus Malta auf. Malta läuft quasi über; die
Flüchtlingszahl ist für Malta nicht zu bewältigen. Ande-
rerseits jedoch werden Flüchtlinge im Rahmen der Dub-
li
k
T
k
e
u
k
k
F
w
z
E
S
le
N
K
S
g
h
w
b
B
s
te
E
J
F
k
u
rä
E
s
e
d
rü
d
g
d
c
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
ge Josef Winkler das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Ich denke, es ist ein gutes und wichtiges
ignal, dass hier vier Fraktionen des Hauses einen
emeinsamen interfraktionellen Antrag formuliert
aben, auch wenn die Linksfraktion nicht dabei ist;
enn ich es richtig verstanden habe, enthalten Sie sich
ei diesem Antrag, sodass wir durch einen einstimmigen
eschluss ein starkes Signal in Richtung der griechi-
chen Regierung, aber auch des griechischen Parlamen-
s und der griechischen Öffentlichkeit senden können.
s kann nicht angehen, dass wir es in einem Europa des
ahres 2011 zulassen, dass solche Zustände in den
lüchtlingslagern eines Mitgliedstaates herrschen, dass
eine humanitären Mindestbedingungen gegeben sind
nd kein Zugang zu einem fairen Asylverfahren einge-
umt wird. Das darf nicht sein, das muss sofort ein
nde haben.
Es kommt mir selten über die Lippen, aber es ist tat-
ächlich so, dass der Innenminister zum zweiten Mal
ine sehr richtige Entscheidung getroffen hat, indem er
ie Regelung, keine Flüchtlinge nach Griechenland zu-
ckzuüberstellen, um ein Jahr verlängert hat. Die Bun-
esregierung hat sich ausweislich der Protokolle der Ta-
ung des Rates für Justiz und Inneres sehr intensiv für
ie Beseitigung dieser Problematik eingesetzt, was si-
herlich nicht nur zur Erheiterung der anderen Beteilig-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17893
Josef Philip Winkler
)
)
ten beigetragen hat. Dafür von meiner Fraktion einen
herzlichen Dank. Ich denke aber auch, dass es eine
Selbstverständlichkeit ist, dass eine deutsche Regierung
in dieser Frage deutlich auftritt.
Die ganze Systematik des europäischen Flüchtlings-
rechts – so wie es sich durch die Dublin-II-Verordnung
darstellt –, dass wir die Flüchtlinge, die in andere Länder
weitergegangen sind, in die Länder rückverteilen, in die
sie zuerst eingereist sind, kann nur funktionieren – wenn
man es politisch als Systematik akzeptiert –, wenn in den
Ländern, in die man zurückschiebt, die Bedingungen ge-
nauso qualitativ hochwertig sind und den menschen-
rechtlichen Standards entsprechen, wie das in Deutsch-
land der Fall wäre. Sonst wäre es unverantwortlich,
Menschen in eine Lage zu bringen, in die sie eigentlich
nicht geraten dürfen. Wenn das Dublin-II-System und
das europäische Asylsystem, so wie es bisher organisiert
ist, so bleiben sollten – wenn man das denn will –, ist es
unerlässlich, dass die griechische Regierung handelt und
die Lage umgehend verbessert.
Ich teile viele der Kritikpunkte, die Kollegin Jelpke
vonseiten der Linksfraktion gegen das System vorge-
bracht hat. Aus grüner Sicht hat es sich in der derzeitigen
Krisensituation nicht bewährt. Es ist nicht in der Lage,
bei solchen Massenzuströmen, wie sie manchmal auftre-
ten, wenn es zum Beispiel in Nordafrika Volksaufstände
gibt oder wenn Flüchtlingsströme über die Türkei kom-
men, ein faires Umverteilungsverfahren zu garantieren.
Meine Fraktion sieht auch in diesem Bereich Reformbe-
darf. Wir werden nicht locker lassen.
Jetzt geht es uns um das starke und gemeinsame Si-
gnal an das griechische Volk. An und für sich wäre das
im historischen Griechenland ein klassischer Fall für den
Ostrakismos gewesen: die Verantwortlichen für solche
Zustände gehörten längst vor das Scherbengericht und
zehn Jahre in die Verbannung. Wenn Sie das nicht wol-
len, können Sie die Lage verbessern. Das wäre aus unse-
rer Sicht die humanere Variante für alle Beteiligten.
Wir als Fraktion finden es durchaus bedenklich, dass
deutsche Beamte über die Frontex-Einsätze mittelbar an
der Unterbringung – wenn man das überhaupt so nennen
will – der Menschen in Flüchtlingslagern beteiligt sind.
Das haben wir immer deutlich gemacht. Wir werden das
auch weiterhin kritisch durchleuchten. Wir würden uns
auch wünschen, dass die deutsche Seite in Richtung der
etwa 10 000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge,
die in Griechenland zum Teil auf der Straße leben, ein
humanitäres Signal senden und sie aufnehmen würden.
Das werden wir auch im nächsten Jahr im Innenaus-
schuss mit Nachdruck begleiten. Heute bedanke ich
mich zunächst für die breite Unterstützung unseres An-
liegens.
U
u
Z
N
h
Z
u
v
le
s
n
s
F
is
v
z
tu
a
lö
m
B
s
L
v
k
g
fe
li
k
A
T
A
h
v
d
m
A
n
U
h
F
te
s
s
a
v
c
)
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Serkan Tören [FDP])
Ich sage aber auch, dass dies keine Dauerlösung sein
kann. Grundsätzlich ist Griechenland nach der Dublin-II-
Verordnung für die Durchführung der Asylverfahren zu-
ständig. Eine grundsätzliche Veränderung dieses Verfah-
rens – auch das mache ich deutlich – lehnen wir ab; denn
das Dublin-II-Abkommen war und ist der Garant dafür,
dass wir keinen unkontrollierten und auch für uns nicht
mehr zu bewältigenden Asylbewerberstrom haben. Aus
diesem Grund lehnen wir den vorliegenden Antrag der
Fraktion Die Linke ab.
Ich habe Verständnis dafür, dass Griechenlands der-
zeitige finanzielle Lage vieles überlagert. Ich verstehe
auch, dass Griechenland aufgrund seiner geografischen
Lage von vielen Migranten als Einfallstor genutzt wird,
um von dort aus nach Mittel- und Nordeuropa zu gelan-
gen. Dies entbindet Griechenland jedoch nicht von sei-
ner Verantwortung, die ihm aufgrund der Dublin-II-Ver-
ordnung zukommt. Je weniger Griechenland bereit oder
in der Lage ist, für ein geordnetes und zügiges Asylver-
fahren zu sorgen, desto attraktiver wird der Weg über
Griechenland für die Schleuserbanden. Für die Schleu-
serbanden ist es doch ganz einfach: Wenn die Situation
in Griechenland so bleibt, können Länder wie Deutsch-
land die über Griechenland zu ihnen Gelangten nicht zu-
rückschieben. Man muss sich doch fragen – dieser Ein-
druck drängt sich auf – ob dies nicht im Endeffekt so
gewollt ist.
Deshalb müssen wir – das ist hier von allen zu Recht
gefordert worden – von der Bundesregierung verlangen
– diese Erwartung wird ja auch erfüllt –, dass sie auf
Griechenland weiterhin intensiv einwirkt, schnellstmög-
lich die in unserem Antrag formulierten Dinge umzuset-
zen.
Hinsichtlich der Frage, wie die Mitgliedstaaten Grie-
chenland bei dieser Mammutaufgabe unterstützen kön-
nen und welche Reformen im Bereich der europäischen
Flüchtlingspolitik notwendig sind – auch das ist hier
deutlich geworden –, gibt es unterschiedliche Auffassun-
gen. Eines steht für mich jedoch fest: Ein solch men-
schenunwürdiges Dasein der Flüchtlinge, das gegen alle
internationalen Standards verstößt, können wir nicht län-
ger dulden.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, in bilate-
ralen Verhandlungen weiterhin die bestehende inakzep-
table Situation zu thematisieren und auf eine schnelle
Verbesserung hinzuwirken. Außerdem muss geprüft
werden, welche Hilfen Griechenland zur Verfügung ge-
stellt werden können, um es in die Lage zu versetzen, die
vorhandenen Mittel abzurufen.
Ich will meinen Vortrag mit der Bitte abschließen, un-
serem Antrag, dem gemeinsamen Antrag der vier Fraktio-
nen, Ihre Zustimmung zu geben. Das wäre zum jetzigen
Zeitpunkt das richtige Zeichen, auch für Griechenland.
Besten Dank.
R
W
n
F
d
u
ic
te
u
le
a
S
D
w
K
d
b
o
m
w
li
g
s
n
d
p
d
Z
n
a
s
v
w
W
d
v
v
ü
s
e
s
s
le
m
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
üdiger Veit für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
enn Sie mir vorausgesagt hätten, dass ich heute in ei-
er ausländerrechtlichen bzw. flüchtlingspolitischen
rage dem Kollegen Stephan Mayer, dem Vorredner aus
er CSU, ausdrücklich für seine Ausführungen danken
nd sie Wort für Wort unterschreiben würde, dann hätte
h das nicht unbedingt für höchst wahrscheinlich gehal-
n, sondern für eher ungewöhnlich, genauso wie auch
nseren Antrag, an dessen Zustandekommen meine Kol-
gin Daniela Kolbe maßgeblich beteiligt war, der ich
uch dafür danke.
Die Entschiedenheit hinsichtlich des Eintretens in der
ache traf auch für Stephan Mayer in seiner Funktion als
elegationsleiter zu, als wir gemeinsam in Griechenland
aren. Sie dürfen nicht glauben, liebe Kolleginnen und
ollegen, dass wir uns mit der Schilderung unserer Ein-
rücke und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen
ei den Gesprächen mit griechischen Parlamentariern
der beim Gespräch mit dem dafür zuständigen Innen-
inister etwa zurückgehalten hätten. Vielmehr haben
ir uns tendenziell eher sehr undiplomatisch und inner-
ch noch aufgewühlt von den Eindrücken, die wir dort
esammelt haben, sehr kritisch mit ihnen auseinanderge-
etzt.
Da ich Sozialdemokrat bin, habe ich mir im Einver-
ehmen mit meinen Kolleginnen und Kollegen erlaubt,
em Innenminister von der PASOK zu sagen: Als euro-
äischer Sozialdemokrat muss ich mich dafür schämen,
ass ein anderer europäischer Sozialdemokrat für solche
ustände verantwortlich ist. – Er hat sich übrigens nicht
ur die ursprünglich zugesagten 20 Minuten, sondern
nnähernd zwei Stunden Zeit genommen, um mit uns zu
prechen. Aber wir haben ihn nicht sehr optimistisch
erlassen, was die Frage angeht, ob sich nun wirklich et-
as Grundlegendes ändert.
Die Zustände sind beschrieben worden, obwohl sie in
ahrheit unbeschreiblich sind. Aber mit Rücksicht auf
ie Wahrung der Intimsphäre und die Sicherheitsbelange
ersteht es sich wohl von selbst, dass man in der Situation
on diesen Unterbringungsmöglichkeiten, wenn man das
berhaupt so bezeichnen kann, und auch von den Men-
chen dort keine Videoaufnahmen macht, um das dann
indrucksvoll zu dokumentieren. Sie müssen sich also
chon auf das übereinstimmende Urteil derjenigen verlas-
en – Sie können sich auch darauf verlassen –, die die De-
gationsreise unternommen haben. So weit, so gut.
Übereinstimmung gibt es im Grunde genommen auch
it allen übrigen Redebeiträgen. Ich will Ihnen nur sa-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17895
Rüdiger Veit
)
)
gen, wo wir als Sozialdemokraten – das gilt möglicher-
weise auch für die Grünen, tendenziell auch für einige in
der Partei Die Linke und für einen Teil Ihres Antrages –
uns ein wenig von den anderen unterscheiden.
Ich möchte die mir noch verbliebene Redezeit nutzen,
um Ihnen die Dimension des Problems deutlich zu ma-
chen. Nach seriösen Schätzungen, die uns in Griechen-
land, in der Türkei, aber auch von Frontex-Mitarbeitern
in Piräus genannt wurden, gibt es derzeit eine Flücht-
lingsbewegung von außerhalb Europas nach Europa vor
allen Dingen mit dem Ziel Zentral- und Nordeuropa in
der Größenordnung von 400 000 bis 500 000 Menschen
pro Jahr. 90 Prozent, so lauten die ernstzunehmenden
Schätzungen, kommen über Griechenland. Griechenland
hat 11 Millionen Einwohner. Ich stelle Ihnen anheim,
das einmal nachzurechnen: Hochgerechnet auf unsere
Bevölkerungszahl würde das eine unkontrollierte Zu-
wanderung in der Größenordnung von rund 3 Millionen
Menschen pro Jahr bedeuten. Ich erinnere nur an die
Diskussion Anfang der 90er-Jahre um die Asylbewer-
berzahlen und die Spätaussiedler, wo wir auf insgesamt
900 000 Menschen gekommen sind. Das war nur zwei
Jahre lang so, dann war das wieder vorbei. Aber in Grie-
chenland ist das seit vielen Jahren so.
In der Situation kann man nicht sagen: Griechenland
ist sozusagen der Pförtner des Hauses Europa. Es hat
zwar die Verpflichtung, die Menschen hereinzulassen,
darf sie aber nur in der Pförtnerloge unterbringen und
nicht ins Haus lassen. – Das kann man sinnvollerweise
nicht als europäische Flüchtlingspolitik bezeichnen. Das
kann auch jenseits aller ökonomischen Belange, die
noch dahinterstehen, nicht gut gehen. Das ist auch von
der Bevölkerung in Griechenland selber irgendwann
nicht mehr zu tolerieren. Das führt zu politischen Ver-
werfungen, die wir alle uns nicht wünschen können.
Ich darf klipp und klar sagen: Wir als Sozialdemokra-
ten sind davon überzeugt, dass wir eine echte europäi-
sche Verantwortungsteilung brauchen.
Dies darf nicht nur bedeuten, dass wir versuchen, das mit
Geld gutzumachen oder abzufedern, sondern das muss
auch heißen: Entsprechend der Wirtschaftskraft und der
Größe der Bevölkerung sollten sich alle EU-Staaten
dazu verpflichten, Flüchtlinge, die im Moment vorzugs-
weise in Griechenland den europäischen Boden betreten,
bei sich aufzunehmen. Wenn ich sage, dass sie sie bei
sich aufnehmen sollen, dann heißt das automatisch – das
sollte klar sein –: Wir müssen bereit sein, die Verfahren
durchzuführen. Wir können nicht sagen, dass die ande-
ren die Verfahren durchführen sollen und wir diejenigen,
die dann übrig bleiben, verteilen. Wir müssen bereit sein,
die Verfahren hier in Deutschland durchzuführen.
Denjenigen, die Angst haben, dass sich Menschen-
massen in unsere Richtung in Bewegung setzen, sage
ich: Wenn Sie das auf Bevölkerungszahlen und Wirt-
schaftskraft in der gesamten EU umrechnen, dann sehen
Sie, dass das nicht automatisch heißt, dass Deutschland
mehr Flüchtlinge aufnehmen muss, als es im Augenblick
d
b
R
w
s
w
d
m
d
D
lu
R
n
fi
s
tu
fe
d
B
d
v
A
F
D
„
in
W
W
U
u
d
D
fü
v
s
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/
ie Grünen auf Drucksache 17/7979 mit dem Titel
Menschenwürde ist nicht verhandelbar – Bedingungen
griechischen Flüchtlingslagern sofort verbessern“.
er stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
er enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
nionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion
nd der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
er Fraktion Die Linke angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/8139 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu dem Antrag der Frak-
tion der SPD
Bei der Vergabe von Exportkreditgarantien
auch menschenrechtliche Aspekte prüfen
– Drucksachen 17/7810, 17/7988 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
17896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Erich G. Fritz für die Unionsfraktion, Christoph Strässer
für die SPD, Dr. Martin Lindner für die FDP, Ulla Lötzer
für die Fraktion Die Linke und Ute Koczy für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/7988, den Antrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7810 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissa-
bon konsequent anwenden – Mitwirkungs-
rechte des Bundestages in Angelegenheiten der
Europäischen Union weiter stärken
– Drucksache 17/8137 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Demokratie stärken – Parlamentarische Rechte
in EU-Angelegenheiten ausbauen
– Drucksache 17/8138 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
d
Ic
s
J
D
F
M
n
a
T
S
s
R
m
d
F
1) Anlage 6 2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 17/8137 und 17/8138 an die in der
agesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Paul Schäfer , Wolfgang
Nešković, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Widerruf der gemäß § 8 des Parlamentsbetei-
ligungsgesetzes erteilten Zustimmungen zu den
Anträgen der Bundesregierung vom 28. Januar
2011 und 23. März 2011
Bundeswehr aus Afghanistan abziehen
– Drucksachen 17/7547, 17/8027 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Johannes Pflug
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Hans-Christian Ströbele
Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die
eden zu Protokoll zu nehmen. – Ich sehe, Sie sind da-
it einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgen-
er Kolleginnen und Kollegen: Sibylle Pfeiffer und
lorian Hahn für die Unionsfraktion, Lars Klingbeil für
Anlage 7
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17897
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
die SPD, Dr. Bijan Djir-Sarai für die FDP, Stefan Liebich
für die Linke und Tom Koenigs für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8027, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/7547 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der
FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen , Christoph Poland, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Reiner
Deutschmann, Patrick Kurth ,
Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Ratifizierung der UNESCO-Konvention
zum immateriellen Kulturerbe vorantreiben
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt
, Siegmund Ehrmann, Martin Dörmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Agnes Krumwiede,
Claudia Roth , Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ratifizierung des UNESCO-Übereinkom-
mens zur Bewahrung des immateriellen
Kulturerbes vorbereiten und unverzüglich
umsetzen
– Drucksachen 17/6314, 17/6301, 17/8121 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Börnsen
Ulla Schmidt
Reiner Deutschmann
Dr. Lukrezia Jochimsen
Agnes Krumwiede
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen mit
überdurchschnittlichem Durchhaltevermögen und ge-
s
W
d
re
re
ru
n
s
w
k
D
K
V
A
s
d
A
m
a
a
tu
g
d
b
m
z
K
e
re
d
h
a
e
S
b
n
d
u
m
le
In
K
fr
e
te
D
d
e
u
fü
s
S
d
w
u1) Anlage 8
)
und Beethoven, die Klassiker in Weimar, natürlich,
Goethe und Schiller: Das ist wahre Weltkultur – auch!
Aber der Tango aus Argentinien, die Makishi-Maskerade
in Sambia, Aserbaidschans Teppichkunst, Akupunktur in
China und die Spanische Hofreitschule in Wien? Diese
wie auch 210 weitere kulturelle Ausdrucksformen aus
aller Welt sind von der UNESCO anerkannt und gelten
als bedroht. Die Bundesrepublik ist mit keiner Kulturtra-
dition vertreten.
Eine erste Initiative von uns, der Union, im Jahre
2007 scheiterte. In den Ländern wie in der Bundesregie-
rung gab es damals zu viele Skeptiker. Die Vorbehalte
reichten von den Kosten über die Bedenken aufgrund der
Unkalkulierbarkeit von kuriosen Anträgen bis hin zu un-
geregelter Bund-Länder-Kompetenz. Ernst zu nehmen
waren Hinweise auf unsere Diktaturvergangenheit, in
der man mit der Regional- und Volkskultur Schindluder
getrieben hatte.
Doch durch die Erfolge unserer europäischen Nach-
barn wurde viele Bedenken zerstreut. Dort erlebt man
auf allen Ebenen – auch bei den Bürgern – eine neue
Aufgeschlossenheit gegenüber der Brauchtumskultur.
Man erkennt die immaterielle Kultur als Quelle von In-
spiration und Identität, als Ausgangspunkt für interkultu-
rellen Austausch, als Möglichkeit zur Integration von
Migranten.
Die Auffassungen, die in den hier vorliegenden An-
trägen zum Ausdruck kommen, sind ähnlich, fast de-
ckungsgleich. Sie dokumentieren eine grundsätzliche
Übereinstimmung unter Kulturpolitikern. Wir wollen,
dass unser lebendiges kulturelles Erbe unseren Alltag
und unser Leben auch in Zukunft mitprägt. Wir wollen
den Menschen, die in der Brauchtumskultur ihre Heimat
finden, eine Perspektive bieten.
In Österreich und in der Schweiz hat deren Beitritt zur
UNESCO-Konvention zu einem neuen Kulturinteresse
geführt, zur Revitalisierung mancher Kulturtraditionen
und auch zu der Erkenntnis, dass für das immaterielle
Kulturerbe mehr getan werden muss. Auch wir hier in
Deutschland besitzen ein bedeutendes, kraftvolles und
kreatives Kulturerbe auf allen Ebenen. Manche Kultur-
tradition ist auch bei uns gefährdet.
Ein Beitritt zu dieser Konvention wird das Ableben
mancher Brauchtumskultur nicht verhindern. Die
UNESCO-Konvention ist keine künstliche Beatmung,
aber dieses Übereinkommen, das die Bedeutung der im-
materiellen Kulturgüter für die Menschheit herausstellt,
schafft eine gerechte, solidarische und faire Ausgewo-
genheit zwischen den Staaten unserer Welt, die einen
Reichtum an materiellen Kulturgütern besitzen, wie wir
in Europa, und denen, die ihre Identität in der Volks- und
Brauchtumskultur erfahren.
Stimmen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für
unseren Antrag. Geben Sie damit unserem Kulturerbe
die Möglichkeit, weltweit anerkannt und geschützt zu
werden.
Herzlichen Dank.
F
H
B
s
m
n
m
s
m
g
p
G
m
w
w
le
s
e
R
D
ti
le
g
z
v
v
R
d
m
tä
in
Ih
d
d
D
h
s
m
e
w
re
in
e
M
m
re
u
n
re
)
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Herr Kollege Börnsen, Sie haben selbst darauf hinge-
wiesen, dass andere Länder schon weiter sind und dass
manche Dinge aufgelistet sind, die uns fremd sind, so bei
der letzten Liste der indonesische Saman-Tanz. Aber es
gibt auch Bekanntes, wie Flamenco oder französische
Esskultur. Ich hätte gerne meine Aachener Printen auch
endlich auf dieser Liste. Es tut mir wirklich weh, bei
jeder Liste, die veröffentlicht wird, feststellen zu müs-
sen, dass das Land der Dichter und Denker nicht dabei
ist. Ich finde, es wird Zeit, dass sich das ändert. Wir
haben genug diskutiert. Die Bedenken, die Sie selber in
Ihrem Antrag erwähnen, nämlich dass vielleicht die
ganze Konvention zu konservativ ausgerichtet ist, dass
es möglicherweise Missbrauch durch ideologisch ausge-
richtete Interessen geben könnte oder neue Rechtsan-
sprüche entstehen könnten, sind alle ausgeräumt. Es gibt
eine gute Praxis in anderen Ländern, die uns zeigt: Das
geht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak-
tionen, wenn wir das UNESCO-Übereinkommen für das
immaterielle Kulturerbe noch in dieser Legislaturperiode
ratifizieren wollen, müssen wir schon heute die konkre-
ten Punkte vor Augen haben, die abzuarbeiten sind. Ich
lade Sie ein, mitzumachen und unsere Forderungen zu
unterstützen.
Wir fordern erstens einen konkreten Zeitpunkt, zu
dem die Ratifizierung spätestens vollzogen sein soll:
Ende 2012.
Wir fordern zweitens die Bundesregierung auf, umge-
hend zu überprüfen, ob das Übereinkommen Gegen-
stände der Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 59 des
Grundgesetzes berührt und damit ein Vertragsgesetz
erforderlich ist, und ergänzend zu prüfen, ob es auch
Umsetzungs- bzw. Ausführungsgesetze braucht.
Wir fordern drittens, schon jetzt parallel eine Verstän-
digung über eine qualitätsgesicherte Methodik zur
Erstellung der Bestandsaufnahme des immateriellen
Kulturerbes vorzunehmen.
Wir fordern viertens die Verständigung über ein bun-
desweit einheitliches Verfahren und klare Entschei-
dungskriterien für die Erstellung der nationalen Inven-
tarliste.
Wir fordern fünftens ein Konzept für einen angemes-
senen Schutz der immateriellen Kulturgüter.
Wir fordern sechstens die Einrichtung eines gemein-
samen Fachforums wie in Österreich und der Schweiz,
um den Prozess der Ratifizierung vorzubereiten und die
Umsetzungspraxis zu begleiten.
Wir tun gut daran, dies so konkret zu benennen; denn
wenn wir bis Ende 2012 die Ratifizierung umgesetzt
haben wollen, müssen diese Dinge auf den Weg gebracht
werden. Dann muss man auch genaue Aufträge geben:
Fangt bitte sofort an und geht diese einzelnen Schritte
durch.
A
n
e
e
…
z
S
S
o
la
e
re
in
V
e
U
b
te
s
k
b
a
L
u
F
K
g
E
d
B
D
W
z
v
d
s
v
K
N
Der Kollege Reiner Deutschmann hat für die FDP-
raktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
olleginnen und Kollegen! Eine der wesentlichen Auf-
aben der UNESCO ist die Bewahrung des kulturellen
rbes.
Schon in der ersten Lesung des uns heute vorliegen-
en Antrags haben wir zum Ausdruck gebracht, welche
edeutung dem Schutz des kulturellen Erbes zukommt.
azu stehen der Weltgemeinschaft eine Vielzahl von
erkzeugen – wie die UNESCO-Welterbekonvention –
ur Verfügung.
Das kulturelle Erbe hat viele Facetten. Mit der heute
on uns debattierten UNESCO-Konvention zum Schutz
es immateriellen Kulturerbes betreten wir Neuland und
chließen zugleich eine Lücke im Schutzsystem. Wir
ervollständigen den Schutz des Weltkulturerbes.
Viele Länder – das wurde bereits gesagt – haben diese
onvention schon ratifiziert. Darunter sind auch unsere
achbarländer Schweiz, Österreich und Frankreich. In
17900 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Reiner Deutschmann
)
)
unseren parlamentarischen Debatten in der 16. und
17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wurde
deutlich, dass unsere Nachbarn durchweg positive
Erfahrungen mit der Konvention sammeln konnten.
Ich selbst stamme aus dem Siedlungsgebiet der Sor-
ben. Die Sorben in Sachsen und Brandenburg konnten
ihre Identität im Laufe der Geschichte nur durch die
Pflege ihrer Tradition und ihrer Sprache erhalten. Dies
war und ist nicht leicht in einem Umfeld, in dem die
überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die Hauptme-
dien und auch der größte Teil des kulturellen Angebots
an der deutschen Sprache und Kultur ausgerichtet sind.
Aber gerade da zeigt sich, welche Bedeutung Kultur und
Brauchtumspflege im Leben der Menschen haben. So ist
die Förderung von nationalen Minderheiten eine Angele-
genheit, die unserer speziellen Aufmerksamkeit bedarf.
Dies gilt insbesondere für das sorbische Volk, das keinen
eigenen Staat im Hintergrund hat.
Trotzdem sollten wir unser Augenmerk in abge-
schwächter Form auch auf die oftmals überraschend
unterschiedlichen regionalen Traditionen und Bräuche
richten. Schließlich macht gerade die Vielfalt der Regio-
nen auch die Vielfalt Deutschlands aus. Als Kulturnation
brauchen wir diese Vielfalt, um daraus Kraft zu schöp-
fen, Rückhalt zu gewinnen und Ideen für Neues zu ent-
wickeln. Deswegen müssen wir die Kräfte nutzen, die
durch die Ratifizierung der Konvention in Deutschland
frei werden und wirken können.
Das Schutzsiegel „UNESCO“ ist ein Gütenachweis
ersten Ranges. Wer sich damit schmücken kann, dem ist
die besondere Aufmerksamkeit im In- und Ausland
gewiss. Laut UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokowa
liegt jedes Jahr eine sehr hohe Anzahl an Anmeldungen
vor. Sie denkt darüber nach, die Zahl der Neuanmeldun-
gen auf 60 pro Jahr zu begrenzen. Käme es zu einer sol-
chen Begrenzung, dann könnte Deutschland nicht ein-
mal jedes zweite Jahr einen Titel anmelden. Gerade auch
deswegen ist es wichtig, dass Deutschland mit der Rati-
fizierung nicht länger zögert. Wir sind schon durch die
Nichtratifizierung in den letzten Jahren zurückgefallen.
Zwischenzeitlich hat Frankreich, wie schon erwähnt, das
gastronomische Mahl, Portugal die Fado-Musik und
Brasilien den Samba durch die Konvention schützen las-
sen. Allein Spanien steht zwölfmal auf der Liste, Brasi-
lien fünfmal und Frankreich neunmal.
Ich denke, wir sind es den Bewahrern der verschie-
densten immateriellen Kulturgüter in Deutschland schul-
dig, dafür zu sorgen, dass diese Form des deutschen Kul-
turgutes unter den Schutz der Konvention fällt. Deshalb
ist es für uns wichtig, dass dieser Antrag heute diskutiert
wird und die Reden nicht zu Protokoll gegeben werden.
Eigentlich besteht die Liste der UNESCO-Welterbe-
konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes
aus drei Listen mit eigenen Schwerpunktsetzungen. Es
gibt die Repräsentative Liste, die die Vielfalt der imma-
teriellen Kulturformen deutlich machen soll. Es gibt das
R
g
K
e
im
b
d
le
U
L
n
b
ti
m
d
b
n
ru
v
S
z
k
v
Im
H
Ic
e
m
d
D
L
d
ic
m
w
W
s
z
h frage mich: Wieso wollen die Koalitionsfraktionen
it ihrem Antrag nicht, dass diese Konvention alsbald,
enigstens im Jahre 2012, ratifiziert wird?
arum wollen Sie das nicht? Sie führen den Wort-
chwall all derer aus, die das wollen, aber das passt nicht
u dem Antrag, den Sie uns hier vorlegen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17901
Dr. Lukrezia Jochimsen
)
)
Acht Jahre, nachdem die UNESCO die Konvention
beschlossen hat, fünf Jahre, nachdem die notwendigen
30 Staaten sie ratifiziert haben, und nachdem mehr als
139 Staaten – ich wiederhole: 139 Staaten! – beigetreten
sind, legen Sie uns einen zu nichts entschlossenen An-
trag unter dem Titel vor: „Ratifizierung … vorantrei-
ben“. „Vorantreiben“ klingt gut, sagt aber gar nichts aus,
zum Beispiel wann denn ratifiziert werden kann, soll,
darf.
Im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen steht
ein festes Datum: Ende 2012. Davon enthält der CDU/
CSU-FDP-Antrag kein Wort. Er will ja auch nur „voran-
treiben“ und meint, uns mit einem großen Wortschwall
klarzumachen, was alles erledigt werden muss: Man
muss werben. Man muss Interessierte und Betroffene
einladen. Man braucht Verständnis und Zustimmung. –
Unsere Zustimmung haben Sie, und zwar schon seit fünf
Jahren, als wir uns mit der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ für eine Ratifizierung ausgesprochen
haben.
Die Zustimmung der anderen beiden Oppositionspar-
teien haben Sie auch. Also: Warum solch ein unbe-
stimmter, im Grunde nichtssagender Antrag? Hier braucht
Deutschland doch nicht das Rad neu zu erfinden.
Unter den 139 Ländern, die bereits ratifiziert haben,
befinden sich unsere Nachbarn Schweiz und Österreich.
Da lässt sich gut und schnell lernen, wie man solch eine
Konvention umsetzt, statt sie irgendwie „voranzutrei-
ben“.
Wie lange und wie oft noch wollen Sie uns eigentlich
versprechen, die Ratifizierung in Abstimmung mit den
Ländern zu prüfen und zu prüfen und nochmals zu prü-
fen? Seit 2007 hören wir dieses Argument immer wieder –
ohne irgendein Ergebnis.
Warum ist die Ratifizierung dieser Konvention so
wichtig und so dringend? Weil es um den Schutz und Er-
halt von Traditionen und Ritualen in unserem Land geht,
die in Vergessenheit geraten, und dies schneller als man
denkt. Denken Sie nur an Volksfeste, Brauchtum, auch
religiöse Rituale!
Es heißt oft, die Weltkulturerbestätten seien materiel-
ler Ausdruck unseres kulturellen Gedächtnisses. Das im-
materielle Kulturerbe entspricht unserem ganzen Leben
in all seinen Ausdrucks-, Erinnerungs- und Genussfor-
men. Lassen Sie es uns tatsächlich jetzt schützen und
fördern, statt nur die Idee dazu irgendwie weiter voran-
zutreiben. Wenn schon die Aachener Printen auf die
Liste kommen, dann plädiere ich auch sehr für die Thü-
ringer Klöße.
Vielen herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. Jeder hat so seine Anregungen. –
Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen ist unsere Kollegin Frau Agnes Krumwiede. Bitte
schön, Frau Kollegin.
2
k
ra
lä
e
B
d
In
w
U
S
s
le
m
re
g
Id
Im
d
g
fl
G
s
s
im
s
V
K
Id
A
tr
b
fa
a
K
W
K
unserem gemeinsamen Antrag mit der SPD fordern
ir die Bundesregierung auf, Rahmenbedingungen zur
msetzung festzulegen. Wir brauchen ein mit dem in der
chweiz vergleichbares Verfahren, das die Zivilgesell-
chaft bei der Erstellung von Inventarlisten immateriel-
r Kulturgüter für das UNESCO-Übereinkommen un-
ittelbar beteiligt.
Immaterielle Kulturgüter sind fester Bestandteil unse-
s Alltags. Kinderlieder, Märchen, das Kunsthandwerk
enauso wie unsere Ess- und Trinkkultur prägen unsere
entität.
materielle Kulturgüter lassen sich schwer eingrenzen;
enn sie befinden sich in ständiger Veränderung durch
enerationsbedingte, soziale und interkulturelle Ein-
üsse. Die Debatte um die Nominierung immaterieller
üter ist in vollem Gange. Allein schon dieser gemein-
ame Suchprozess ist ein Gewinn für unsere Gesell-
chaft; denn die Auseinandersetzung mit der Bedeutung
materieller Kulturgüter stärkt das kollektive Bewusst-
ein für ihren Wert. Mittlerweile kursieren zahlreiche
orschläge, von den Kneippkuren bis hin zum Thüringer
loß und dem Reinheitsgebot für das deutsche Bier. Den
een sind keine Grenzen gesetzt.
Wir brauchen dringend verbindliche Kriterien für das
uswahlverfahren in Deutschland. Das gesamte Spek-
um unseres Reichtums an immateriellen Gütern muss
erücksichtigt werden. Ich halte es aber für eine Denk-
lle, bei der Auswahl das Kriterium „typisch deutsch“
ls hauptsächlichen Maßstab anzulegen; denn Kunst und
ultur kennen keine nationalen Grenzen. Zahllose
erke deutschsprachiger Komponisten, Autoren und
ünstler sind inspiriert durch multikulturelle Einflüsse.
17902 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Agnes Krumwiede
)
)
Der Christopher Street Day oder auch Balkan-Partys
sind heute in Deutschland ebenso etablierte Traditions-
feste wie das Münchener Oktoberfest.
Immaterielle Kulturgüter kennzeichnen die Einzigar-
tigkeit und Vielfalt gesellschaftlicher Gruppen. Ideolo-
gisch und politisch motivierte Ausgrenzungstendenzen
haben beim Auswahlverfahren genauso wenig verloren
wie rein kommerzielle Überlegungen. Kulturtraditionen
aller kulturellen und gesellschaftlichen Gruppen müssen
bei der Auswahl gleichberechtigt berücksichtigt werden.
Auch das traditionsreiche Kulturgut der deutschen
oder in Deutschland lebenden Minderheiten muss eine
Rolle spielen. Ein Auswahlkriterium könnte daher die
Schutzbedürftigkeit sein. In Österreich zum Beispiel
wurde die Sprache der Burgenland-Roma in die Vor-
schläge mit aufgenommen. Auch unser Kulturleben ist
geprägt durch die mündlichen Überlieferungen der Ge-
schichten und Lieder und der von Generation zu Genera-
tion weitergegebenen Instrumentalmusik der Sinti und
Roma.
Mit der Nominierung immaterieller Kulturgüter von
deutscher Seite muss ein angemessener Schutz gewähr-
leistet sein. Mittlerweile hat die UNESCO dafür auch ei-
nen internationalen Fonds eingerichtet. Wie dieser ange-
messene Schutz konkret umgesetzt werden kann, dazu
gibt es von der Bundesregierung leider noch keine Vor-
schläge. Deshalb fordern wir die Entwicklung solcher
Konzepte.
Hier liegt auch eine der zukünftigen politischen Haupt-
aufgaben mit großer Tragweite. Wenn wir zum Beispiel
die mündlichen Überlieferungen der Kulturtradition von
Sinti und Roma unter Schutz des UNESCO-Überein-
kommens stellen, müssen Sinti und Roma selbst auch
angemessenen Schutz erhalten. Das bedeutet auch: Sinti
und Roma müssen Bleiberecht erhalten in den Ländern,
wo sie langjährigen Duldungsstatus haben.
Wenn unsere Opern-, Konzert- und Theatertradition
als immaterielles Kulturgut vorgeschlagen und aner-
kannt werden sollte, dann müssen wir dafür sorgen, dass
sich die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für
Kulturschaffende verbessern,
damit der künstlerische Beruf auch für nachfolgende Ge-
nerationen attraktiv ist und sich die Tradition fortsetzen
kann.
Die Ratifizierung der UNESCO-Übereinkunft ist also
mit weitreichenden Konsequenzen verbunden. Genau
darin liegt auch die große Chance für unsere Gesell-
schaft und für die Weiterentwicklung unserer kulturellen
Vielfalt.
Danke.
d
P
K
d
m
B
W
m
V
T
ja
U
b
s
le
in
n
u
z
le
d
te
s
w
Ih
ü
re
v
d
H
E
s
D
ru
d
U
e
–
Vielen Dank, Frau Kollegin Krumwiede. – Jetzt für
ie Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Christoph
oland. Bitte schön, Kollege Poland.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Ich werde hier nicht Wiederholungen vermei-
en können; denn wir haben uns mit Blick auf das im-
aterielle Kulturerbe wahrscheinlich auf viele gleiche
eispiele konzentriert. Ich glaube, es ist heute, kurz vor
eihnachten, eine gute Zeit – es ist ja eine Zeit, in der
an Brauchtum besonders pflegt –, darüber zu reden.
ielleicht kommen die Nürnberger Lebkuchen oder der
hüringer Kloß zum Gänsebraten. Das ist in dieser Zeit
zu erwarten.
Diese UNESCO-Konvention ist ein Pendant zu den
NESCO-Welterbestätten. Diese sind ja materiell greif-
ar. Hier geht es um immaterielles Kulturgut, das wir
chützen wollen. Wegen der Umsetzung gab es in den
tzten Jahren bei uns Bedenken. Die guten Ergebnisse
Österreich, das zum Beispiel die Aufnahme des Weih-
achtsliedes „Stille Nacht“ als Kulturgut beantragt hat,
nd auch die Beispiele der Schweiz haben uns über-
eugt, die Ratifizierung der Konvention zum immateriel-
n Kulturerbe voranzutreiben. Es hilft uns, wenn wir in
en Nachbarländern gute Erfolge sehen. Die 139 Staa-
n, die bis jetzt dem Übereinkommen beigetreten sind,
ind ein gutes Beispiel. Wir würden uns isolieren, wenn
ir es diesen Staaten nicht gleichtun würden.
ren Antrag jedoch müssen wir ablehnen, weil in ihm
bersehen wird, dass von Bundesseite bereits alle Vorbe-
itungen getroffen sind. Wir haben Kostenermittlungen
orgenommen und Abstimmungen mit den Ländern und
er UNESCO-Kommission getroffen. Wir haben im
aushalt 2012 des Staatsministers für Kultur 100 000
uro zur Finanzierung der notwendigen Koordinierungs-
telle eingestellt.
as ist doch ein Zeichen dafür, dass die Bundesregie-
ng diese Ratifizierung will,
ass wir uns zu der Verpflichtung bekennen, der
NESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe
ndlich beizutreten.
Ja, das ist so.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17903
Christoph Poland
)
)
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir viele Anträge, in
die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen
zu werden, zu erwarten haben, zum Beispiel aus dem
Handwerk. Denken Sie einfach nur einmal an die Hand-
werksgesellen, die ihre Heimat verlassen haben, um
fremde Bräuche kennenzulernen und sie in ihre alte Hei-
mat zu tragen. Gesellenwanderschaft erweitert den Hori-
zont und bereichert den Erfahrungsschatz.
Stichwort „Handwerk in seinen verschiedensten As-
pekten“: Ich würde das nicht so eng sehen. Frau
Krumwiede, Sie sprechen nur vom Kunsthandwerk, nur
von Kunst und Kultur. Das Handwerk der Böttcher ist
dabei, auszusterben.
Kaum noch einer weiß, was das ist. Ich erinnere auch an
das Netzknüpfen der Fischer und ähnliche Dinge. All
das ist schützenswert. Handwerk dieser Art sollten wir
nicht vergessen. Ein Viertel aller angemeldeten Gewerbe
entfällt nämlich auf das Handwerk.
12,2 Prozent aller Erwerbstätigen und 30,3 Prozent aller
Auszubildenden sind im Handwerk beschäftigt. In die-
sem Bereich gibt es ganz viel Traditionelles und Schüt-
zenswertes.
Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das Bä-
ckerhandwerk. Wir haben heute schon von verschiede-
nen Seiten gehört: Unser täglich Brot gib uns heute. Wir
haben in Deutschland 300 Brotsorten und mehr als 1 200
verschiedene Kleingebäcksorten. In Gesprächen mit der
Bäckerinnung erfährt man, dass sie darüber nachdenkt,
nach der Ratifizierung dieser UNESCO-Konvention die
Anerkennung des Brotes als immaterielles Kulturerbe zu
beantragen.
Ich möchte aus meinem zweiten Berufsleben spre-
chen: Als Brauer und Mälzer bin ich relativ schnell dem
Deutschen Institut für Reines Bier beigetreten. Die Ini-
tiative, die Herbert Frankenhauser und der Deutsche
Brauer-Bund im Frühjahr dieses Jahres ergriffen haben,
nämlich das deutsche Reinheitsgebot unter Schutz zu
stellen, kann ich nur unterstützen. Glauben Sie mir: Das
Brauen ist ein schönes Handwerk.
Das Risiko einer Folklorisierung oder einer Kommer-
zialisierung des immateriellen Kulturerbes sehe ich
nicht. An meinen Beispielen erkennen Sie, dass es sich
beim immateriellen Kulturerbe um eine gelebte Kultur-
tradition handelt und dass es nicht um museale Erhaltung
geht; das ist überhaupt nicht unsere Absicht. Wir wollen
auch keine rein touristische Präsentation von Brauch-
tum.
Das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriel-
len Kulturerbes von 2003 ist ein wichtiges Bindeglied
zwischen der Welterbekonvention von 1972 und dem
Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der
Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005. Wenn
w
tr
d
m
le
te
v
c
K
h
d
s
d
s
K
e
D
B
d
D
U
v
lu
D
n
fe
fi
F
n
te
B
u
B
n
fr
fe
n
)
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Rechtsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Sie sind alle damit einverstanden. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 17/8128 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzent-
wurf soll federführend beim Innenausschuss beraten
werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Durchführung der Verordnung
Nr. 211/2011 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 16. Februar 2011
über die Bürgerinitiative
– Drucksache 17/7575 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 17/8029 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Gerold Reichenbach
Jimmy Schulz
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen sind hier in der Sitzungsleitung be-
reits bekannt.
Europa befindet sich durch die Staatsschuldenkrise in
seiner schwersten Bewährungsprobe. Es stellt eine ge-
waltige Herausforderung dar, diese zu meistern und die
Wirtschafts- und Währungsunion wieder zu einer Stabi-
litätsunion zu machen. Mit den Beschlüssen des europäi-
schen Gipfels der vergangenen Woche haben die Staats-
und Regierungschefs einen Weg aufgezeigt, die Ursa-
chen der Krise zu bekämpfen und ein Auseinanderbre-
chen der Eurozone zu vermeiden. Gleichzeitig haben sie
das Tor zur vertieften politischen Integration weit aufge-
stoßen. Das ist ohne Zweifel ein großer Erfolg für unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsch-franzö-
sische Partnerschaft, die diesen Durchbruch ermöglicht
hat.
Der Weg zu einer weiteren Vertiefung der europäi-
schen Einigung kann nur erfolgreich beschritten
werden, wenn Europa – als demokratischer Zusammen-
s
h
H
w
D
u
D
d
s
g
z
v
g
k
p
c
re
F
fü
d
s
d
d
z
–
–
–
–
–
–
d
m
d
Z
k
r
d
U1) Anlage 9
)
ses Defizit abzubauen. Denn es gibt den Bürgern in Eu-
ropa erstmals die Möglichkeit, direkt und nicht vermit-
telt über Wahlen oder eine Petition an der europäischen
Gesetzgebung mitzuwirken. Mit dieser unmittelbaren
Mitwirkungsmöglichkeit verbindet sich die Hoffnung,
dass die Menschen die Politik und das Gesetzgebungs-
verfahren in Europa besser kennenlernen und verstehen.
Das Interesse an Europa soll gesteigert werden, und für
Europakritiker soll es schwieriger werden, zu argumen-
tieren, dass ausschließlich ferne EU-Bürokraten über
angeblich machtlose Unionsbürger entscheiden. Auf-
grund der Tatsache, dass die Unterstützer aus mehreren
Mitgliedstaaten kommen müssen, ist eine Vernetzung
von nationalen Bewegungen und Organisationen erfor-
derlich, wodurch ein transnationales, europäisches Be-
wusstsein vertieft werden soll.
Dabei liegt die Zielrichtung der europäischen Bür-
gerinitiative nicht darauf, dass sich Lobbygruppen diese
zunutze machen, sondern – wie der Name schon sagt –
darauf, dass sich idealerweise Bürgerinnen und Bürger
grenzübergreifend zusammenfinden, um ein nach ihrer
Ansicht drängendes Thema auf die Agenda der Euro-
päischen Kommission zu setzen. Dass ein solches grenz-
überschreitendes Bündnis von Bürgern gelingt, ist
zugegebenermaßen nicht einfach. Jedenfalls ist Grund-
voraussetzung dafür, dass die Bürger in Europa über
dieses neuartige Instrument der direkten Demokratie gut
informiert sind. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit
nutzen, um einige wichtige Voraussetzungen und die Ab-
folge der Verfahrensschritte dafür kurz darzustellen.
Die europäische Bürgerinitiative wird den Unions-
bürgern ab 1. April 2012 zur Verfügung stehen. Ein Gre-
mium von mindestens sieben Personen aus sieben Mit-
gliedstaaten reicht aus, um das entsprechende Verfahren
in Gang zu setzen. Es war ein großer Erfolg für das Eu-
ropäische Parlament, dass diese erste Hürde so niedrig
angesetzt ist. Die Europäische Kommission wollte ur-
sprünglich die Zulässigkeit von Bürgerinitiativen erst
prüfen, wenn 300 000 gesammelte Unterschriften vorge-
legt worden wären.
Inhalt einer Bürgerinitiative muss die Aufforderung
an die Europäische Kommission sein, im Rahmen ihrer
Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unter-
breiten, zu denen es nach Ansicht der Bürgerinnen und
Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die euro-
päischen Verträge umzusetzen. In nahezu allen Politik-
bereichen, die in den Kompetenzbereich der Union
fallen, hat die Kommission das Initiativrecht. Dement-
sprechend können Bürgerinitiativen zu fast allen The-
men angestoßen werden. Allerdings gibt es zwei Ein-
schränkungen: Erstens darf der Rechtsakt, der mit der
Bürgerinitiative erreicht werden soll, höherrangigem
europäischem Recht nicht widersprechen und die
Grundrechte der Union nicht verletzen. Zweitens ist eine
Änderung des Primärrechts, also der grundlegenden
Verträge der EU, ebenfalls ausgeschlossen.
Als nächster Schritt erfolgt die Registrierung der Bür-
gerinitiative durch die Europäische Kommission auf
einer Webseite. Danach können die Organisatoren der
Initiative beginnen, innerhalb eines Jahres Unterstüt-
z
n
W
s
d
d
1
b
B
c
re
r
d
je
p
d
D
1
d
b
D
w
d
d
te
D
p
b
m
a
p
d
G
g
p
P
F
g
s
te
m
w
s
In
g
s
z
n
la
m
z
e
d
k
D
B
s
d
Zu Protokoll ge
)
gerinitiative innerhalb einer öffentlichen Anhörung im
Europäischen Parlament vorzustellen. Innerhalb von
drei Monaten legt die Kommission ihr beabsichtigtes
Vorgehen und die Gründe dafür dar. Falls sie nicht be-
absichtigt, Maßnahmen zu ergreifen, begründet sie dies
ebenfalls.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung werden, wie es die EU-Verordnung über die
Bürgerinitiative verlangt, für das Institut der europäi-
schen Bürgerinitiative nationale Zuständigkeiten zuge-
wiesen und Verfahren festgelegt. Dabei handelt es sich
im Wesentlichen um folgende Regelungen:
Als national zuständige Behörde, die die Unterstüt-
zungsbekundungen überprüft und die Bescheinigungen
über die Zahl der gültigen Bekundungen in Deutschland
ausstellt, wird das Bundesversicherungsamt benannt.
Außerdem wird das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik als die zuständige Behörde be-
nannt, die bescheinigt, ob ein Onlinesammelsystem mit
den technischen und sicherheitsrelevanten Anforderun-
gen der EU-Verordnung über die Bürgerinitiative ver-
einbar ist.
Die EU-Verordnung sieht die Möglichkeit vor, die Zu-
lässigkeit der gesammelten Unterstützungsbekundungen
stichprobenartig zu überprüfen. Davon machen wir in
Deutschland Gebrauch, um den Verwaltungsaufwand
gering zu halten. Zudem wird die Überprüfung von Un-
terstützungsbekundungen durch einen automatisierten
Datenaustausch zwischen Bundesversicherungsamt und
Meldebehörden erleichtert. Zu diesem Zweck wird die
Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung ergänzt.
Außerdem werden Bußgeldvorschriften erlassen, die
Verstöße der Organisatoren einer Bürgerinitiative gegen
die EU-Verordnung sanktionieren.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Instrument
der europäischen Bürgerinitiative durchaus bürger-
freundlich ausgestaltet und dazu geeignet ist, einen Bei-
trag für eine bessere Identifikation der Unionsbürger
mit Europa und zur Verminderung des Demokratiedefi-
zits in der EU zu leisten.
Allerdings dürfen die positiven Wirkungen der euro-
päischen Bürgerinitiative auch nicht überschätzt wer-
den. Denn die gestalterischen Möglichkeiten, die den
Unionsbürgern mit diesem Instrument gesetzt wurden,
sind begrenzt: Die Europäische Kommission kann das
Begehren der Bürgerinitiative mit Gründen zurückwei-
sen und von konkreten Umsetzungsmaßnahmen absehen.
Im Falle der Ablehnung der Bürgerinitiative ist auch
keine Volksabstimmung vorgesehen.
Ob die europäische Bürgerinitiative ein Erfolgsmo-
dell wird und die in sie gesetzten Erwartungen wird er-
füllen können, wird entscheidend davon abhängen, wie
die Europäische Kommission mit den Begehren umge-
hen wird, ob sie also in einen echten Dialog mit den
Unionsbürgern eintreten wird, um die vielfach kritisierte
Bürgerferne in Europa zu vermindern. Das ist jedenfalls
meine Erwartungshaltung an die Kommission, wenn die
e
s
w
D
s
B
e
F
m
m
fe
w
d
c
ti
g
D
M
B
p
ta
g
d
te
fü
n
u
g
H
a
d
w
s
R
z
u
w
ro
ro
b
n
D
d
d
k
ro
d
„
fü
z
m
w
u
Zu Protokoll ge
)
Sozialdemokraten in Europa sind gewillt, dieses In-
strument auch zu nutzen, sollten sich erneut die Lobby-
isten der Börsen, Banken und Spekulanten durchsetzen
und die Einführung einer europäischen Finanztrans-
aktionsteuer auf die lange Bank schieben.
Wieder darf ich gute Neuigkeiten zur europäischen
Bürgerinitiative berichten. Der Innenausschuss hat in
seiner Sitzung am 30. November 2011 dem Gesetz zur
Durchführung der Verordnung zugestimmt, und das so-
gar überfraktionell: mit den Stimmen von den Fraktio-
nen CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD und
natürlich mit unseren Stimmen. Lediglich die Linke hat
sich enthalten – na wenigstens waren sie nicht dagegen.
Alles in allem also gute Nachrichten.
Das EU-Parlament hat bereits im Dezember 2010 die
Grundlagen für die Umsetzungsgesetze der Länder ge-
legt. Rechtzeitig können wir nun verkünden, dass
Deutschland für die europäische Bürgerinitiative bereit
ist. Meine Kollegin aus dem EU-Parlament, Alexandra
Thein, sagte so schön, dass sie stolz sei, damals im Ver-
fassungsausschuss des Europäischen Parlaments,
AFCO, an der historischen Abstimmung über die EBI
dabei gewesen zu sein. Es sei eine feierlich-andächtige
Stimmung gewesen. Hier im Deutschen Bundestag dür-
fen wir nun ebenfalls stolz sein, ein Gesetz zu beschlie-
ßen, das die Bürgerinitiative ermöglichen wird.
Mit diesem Gesetz ist es aber nicht getan. Das Gesetz
ist nämlich nur das Gerüst, nur die Anleitung, wie Bür-
gerinitiativen umgesetzt werden. Das schafft zwar beste
Voraussetzungen, garantiert aber nicht, dass dieses
Instrument zur Teilhabe auch genutzt wird. Wir alle,
liebe Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundes-
tag, in den Landtagen und in den Kommunen, sind auf-
gerufen, für die europäische Bürgerinitiative zu werben
und Bürgerinnen und Bürger, die dieses neue Beteili-
gungsinstrument nutzen möchten, mit Rat und Tat zu un-
terstützen. Wichtig ist es, Bürgerinnen und Bürger zu er-
mutigen und zu motivieren, sich über politische
Entscheidungen zu informieren, zu diskutieren und sich
direkt an politischen Entscheidungen zu beteiligen.
Hierfür müssen wir die Grundlagen schaffen. Es ist
unsere Aufgabe, Strukturen zur barrierefreien Informa-
tion, zum Dialog und zur Teilhabe durch Abstimmungen
auch in Deutschland zu schaffen. Hier sehe ich das
Internet als besondere Chance für eine neue Partizipa-
tionskultur.
Wir stehen derzeit am Anfang einer Entwicklung, die
mithilfe der Digitalisierung der Partizipation ein neues
Gesicht verleihen kann. Durch den digitalen Fortschritt
und die damit einhergehenden veränderten Möglichkei-
ten eröffnen sich neue, kreative Chancen der Mitbestim-
mung und der Integration der Bürger in die politische
Debatte. Meiner Ansicht nach sind hierbei drei Stufen
relevant, die es zu berücksichtigen gilt:
Erstens zeigen jüngste Entwicklungen immer wieder,
dass die Bürgerinnen und Bürger sich nicht ausreichend
informiert fühlen. Die Fülle an Informationen, die fast
unmöglich aufzubereiten ist, ist hierbei genauso ent-
s
li
m
In
k
s
M
te
z
ih
ü
W
w
n
n
s
b
T
b
a
D
m
e
d
m
e
s
w
b
s
q
k
Ü
ti
T
e
u
S
D
d
te
m
s
v
g
K
v
u
re
In
Zu Protokoll ge
)
Daran wird – dessen sind wir uns sehr wohl bewusst –
auch die europäische Bürgerinitiative, die im Lissabon-
Vertrag verankert ist, nichts grundlegend ändern. Zu
groß sind gegenwärtig die Defizite in Sachen Beteili-
gungsdemokratie, zu klein das Engagement politischer
Akteure, daran etwas zu ändern.
Aber es wäre falsch nicht anzuerkennen, dass die
europäische Bürgerinitiative ein erster, kleiner Schritt
hin zu mehr Beteiligungsdemokratie ist. Sie ermöglicht
Menschen erstmals, sich zusammenzutun und ihre Inte-
ressen zu artikulieren. Sie verbrieft das Recht, die Euro-
päische Kommission aufzufordern, zu einem Thema eine
Gesetzesinitiative in Gang zu bringen. Damit wird noch
keine gute, aber eine neue und eine bessere Qualität er-
reicht. Deshalb werden wir dem Gesetz zustimmen. Es
ist besser als gar nichts und es eröffnet die Möglichkeit,
dass sich Bürgerinnen und Bürger grenzüberschreitend
ihrer Interessen bewusst werden und zur Durchsetzung
dieser Interessen organisieren.
Wir wünschen uns und werden weiterhin dafür kämp-
fen, dass die Menschen in Europa mittels Volksabstim-
mungen mitregieren können. Es gibt aus unserer Sicht
keinen einzigen Bereich, bei dem Bürgerinnen und Bür-
ger nicht mitreden sollten. Sie sind der Souverän und es
ist dringend notwendig, ihnen unter Ausnutzung aller
Instrumente der Demokratie diese Souveränität auch zu-
zugestehen.
In Bezug auf die europäische Bürgerinitiative wün-
schen wir uns und werden dafür kämpfen, dass auch jene
Mitbürgerinnen und Mitbürger mitmachen und unter-
schreiben können, die erst 16 oder 17 Jahre alt sind oder
die in einem europäischen Land leben, ohne über die
EU-Staatsbürgerschaft zu verfügen.
Wir wollen und werden uns dafür einsetzen, dass die
europäische Bürgerinitiative ausgebaut und weiterent-
wickelt wird im Hinblick auf Transparenz in der Finan-
zierung.
Direkte oder indirekte Finanzierung durch Firmen
muss aus unserer Sicht ausgeschlossen, stattdessen über
eine Kostenbeteiligung der Kommission geredet werden.
Die Fristen für das Sammeln der Unterschriften müssen
verlängert, Formulare müssen vereinfacht und von bü-
rokratischem Ballast befreit werden.
All diese Aufgaben stehen an, brauchen Mehrheiten
und Engagement, um erledigt zu werden. Am Ende muss
aus unsere Sicht ein Initiativrecht für Bürgerinnen und
Bürger stehen, das handhabbar und transparent ist und
keine Hürden aufbaut.
Die europäische Bürgerinitiative ist kein Element di-
rekter Demokratie im Sinne von Bürgerbegehren und
Bürgerentscheiden. Dies nicht klar und deutlich zu sa-
gen, wäre Augenwischerei. Aber es wäre auch nicht zu
verantworten, die Gelegenheit verstreichen zu lassen,
wenigstens einen Anfang in Richtung mehr demokrati-
sche Teilhabe zu machen. Zu groß ist inzwischen das Le-
gitimationsproblem der Europäischen Union gegenüber
ihren Bürgerinnen und Bürgern.
s
T
z
ih
p
n
c
n
m
e
G
d
fe
d
g
d
p
c
u
h
n
a
s
D
C
c
F
Ö
b
g
fr
D
u
B
B
h
m
B
m
m
a
z
z
F
Z
e
lo
im
N
la
u
K
Zu Protokoll ge
)
bedanken. Auf Initiative der Grünen hat es das Europäi-
sche Parlament geschafft, die von der EU-Kommission
vorgesehenen hohen Hürden abzubauen. Die Anzahl der
Mitgliedstaaten, in denen Unterschriften gesammelt
werden müssen, konnte von neun auf sieben gesenkt wer-
den; die Prüfung, ob eine EU-Bürgerinitiative über-
haupt zugelassen wird, findet gleich am Anfang und
nicht erst nach 300 000 bereits gesammelten Unter-
schriften statt; Initiatorinnen und Initiatoren erfolgrei-
cher Bürgerinitiativen haben ein Recht auf Anhörung
und können nicht mit einem Brief der EU-Kommission
abgespeist werden. Außerdem muss die Europäische
Kommission den Initiatorinnen und Initiatoren eine kos-
tenlose Software für die Onlineunterschriftensammlung
zur Verfügung stellen und eine Kontaktstelle für Bera-
tung und Nachfragen einrichten.
Ich freue mich, dass die europäische Bürgerinitiative
schon im ersten Anlauf ein bürgerfreundliches, unbüro-
kratisches und praktikables Instrument geworden ist. Ab
April 2012, wenn die ersten Initiativen starten, müssen
wir schauen, wie gut die derzeitige Ausgestaltung funk-
tioniert. Wenn erforderlich, kann in drei Jahren nachge-
bessert werden. Auch dafür haben sich die Grünen ein-
gesetzt. Diese Gelegenheit der Nachbesserung werden
wir nutzen, um uns beispielsweise erneut für die Herab-
setzung der Altersgrenze auf 16 Jahre einzusetzen. Und
außerdem ist klar: Wir Grüne sind offen für Ideen zur
Weiterentwicklung der europäischen Demokratie. Dabei
ist und bleibt jedoch wichtig: Wenn die Bürgerinitiative
ein Anfangspunkt der Entwicklung von direkter Demo-
kratie auf europäischer Ebene werden soll, muss sie in
der Praxis von Politik und Zivilgesellschaft ernsthaft
und seriös behandelt und genutzt werden. Aber bis dahin
hoffe ich auf einen fulminanten Startschuss im April
2012 und viele erfolgreiche Initiativen. Ich bin zuver-
sichtlich, dass wir mit der europäischen Bürgerinitiative
in Europa ein Instrument gewonnen haben, mit dem sich
die Bürgerinnen und Bürger stärker Gehör im Brüsseler
Politikbetrieb verschaffen und damit die Debatte über
die Weiterentwicklung der EU enorm bereichern kön-
nen. Und darauf freue ich mich.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/8029, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/7575 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen,
Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt
dagegen? – Niemand. Stimmenthaltungen? – Linksfrak-
tion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten,
Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Nie-
mand. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.
R
g
b
v
n
d
s
n
G
s
d
re
e
o
re
n
g
F
p
te
w
d
R
k
w
im
b
n
V
a
p
e
D
)
gleichen. Damit soll gewährleistet werden, dass beide
Ehepartner an dem wirtschaftlichen Erfolg in der Ehe
gleichermaßen partizipieren. Der Zugewinnausgleich
berücksichtigt fast alle während der Ehezeit erzielten
Vermögenszuwächse mit Ausnahme von Ansprüchen, die
der Altersvorsoge dienen und daher dem Versorgungs-
ausgleich vorbehalten bleiben.
Darüber hinaus sieht das deutsche Recht weitere Gü-
terstände vor, die die Eheleute vertraglich vereinbaren
können. Das sind im Wesentlichen die Gütergemein-
schaft, bei der alle eingebrachten und erworbenen Ver-
mögensgegenstände gemeinsames Vermögen der Ehe-
partner sind, sowie die Gütertrennung, die – wie der
Name schon sagt – durch eine strikte Trennung der Ver-
mögensmassen der Eheleute gekennzeichnet ist, ohne
dass im Falle einer Scheidung irgendein Ausgleich zwi-
schen ihnen erfolgt.
In Frankreich stellt hingegen die Errungenschaftsge-
meinschaft den gesetzlichen Normalfall dar. Dabei han-
delt es sich vereinfacht gesprochen um eine Mischform
aus der deutschen Gütertrennung und Gütergemein-
schaft. Alle in die Ehe eingebrachten Vermögensgegen-
stände bleiben dabei zunächst im Alleineigentum der
Ehepartner. Im Unterschied zur Zugewinngemeinschaft
fließen jedoch die während der Ehe erwirtschafteten
Vermögensgegenstände, die sogenannten Errungen-
schaften, kraft Gesetzes in ein gemeinschaftliches Ver-
mögen der Ehepartner ein, das dann im Falle einer
Scheidung zwischen ihnen hälftig aufgeteilt wird.
Die Unterschiede zwischen den gesetzlichen Güter-
ständen in Deutschland und Frankreich sind also signi-
fikant. Dies führt im Scheidungsfall bei binationalen
Ehen, aber auch bei Ehepartnern mit gleicher Nationa-
lität, die in einem anderen Staat leben, häufig zu Proble-
men. Welches nationale Scheidungs- und Scheidungsfol-
genrecht zur Anwendung kommt, regelt sich in diesen
Fällen nach dem jeweils anzuwendenden nationalen
Kollisionsrecht. In der Praxis kommt es dabei immer
wieder vor, dass für die Rechtsfolgen der Ehe das mate-
rielle Familienrecht eines anderen Staates gilt, das den
Beteiligten am Rechtsverkehr unter Umständen völlig
unbekannt war und ist.
Mit Blick auf eben diese Fallkonstellationen und die
damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten wollen
Deutschland und Frankreich nun den betroffenen Ehe-
partnern die Möglichkeit geben, einen neuen Güterstand
zu wählen, der sowohl Elemente des deutschen als auch
des französischen Rechtssystems miteinander verbindet
und unabhängig vom jeweils geltenden Kollisionsrecht
zur Anwendung kommt.
Dieser neue und heute zur Abstimmung stehende
Wahlgüterstand orientiert sich dabei im Wesentlichen an
der deutschen Zugewinngemeinschaft. Das ist keine
Selbstverständlichkeit und ganz offensichtlich Ergebnis
einer guten Verhandlungsführung der Bundesregierung.
Gleichwohl berücksichtigt der neue Wahlgüterstand
auch einige französische Besonderheiten. So soll bei-
spielsweise die Trennung des Ehegattenvermögens ei-
nige Beschränkungen erfahren. Anders als im gesetzli-
chen Güterstand der Zugewinngemeinschaft wird zudem
d
m
w
E
V
w
b
B
H
u
d
E
E
o
F
d
re
n
te
e
S
E
k
a
v
d
tä
re
d
L
V
d
s
fr
w
te
in
m
b
s
S
z
le
R
m
k
W
G
d
d
w
fü
tr
n
v
F
Zu Protokoll ge
)
dem Staatsvertrag zudem die ausdrückliche Hoffnung,
dass sich auch andere EU-Staaten dem Vertrag an-
schließen.
Allerdings will ich an dieser Stelle für die Union aus-
drücklich betonen, dass wir eine Harmonisierung des
materiellen Familienrechts in der Europäischen Union
entschieden ablehnen. Dieser Punkt ist für uns von zen-
traler Bedeutung. Gerade das Familienrecht weist in
den Mitgliedstaaten zum Teil erhebliche, auch kulturell
bedingte und über Jahrhunderte gewachsene Unter-
schiede auf. Der Versuch einer Beseitigung oder Nivel-
lierung dieser Unterschiede wäre völlig falsch und kon-
traproduktiv und stünde im krassen Widerspruch zum
geltenden EU-Recht. Abgesehen davon hätte ich erheb-
liche Zweifel, dass es dafür überhaupt einen praktischen
Bedarf gäbe. Deshalb darf die europäische Harmonisie-
rung im Familienrecht keineswegs zum Selbstzweck
werden. Alle künftigen Initiativen – ob sie nun Fragen
der Zuständigkeit und Anerkennung ausländischer Ge-
richtsentscheidungen oder das Kollisionsrecht betref-
fen – werden wir in diesem Sinne streng nach dem Maß-
stab des Subsidiaritätsprinzips bewerten.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass wir mit der Ra-
tifizierung des Staatsvertrages und der Umsetzung des
deutsch-französischen Wahlgüterstandes in deutsches
Recht gerade für viele binationale Ehen nicht unerhebli-
che praktische Erleichterungen schaffen. Aus diesem
Grund bitte ich auch um Ihre Zustimmung.
Deutschland und Frankreich werden ja immer wieder
als Motor der Europäischen Union bezeichnet. Nach-
dem Versuche, das materielle Familienrecht zu verein-
heitlichen, bisher auf europäischer Ebene gescheitert
sind, übernehmen Deutschland und Frankreich nun
auch in diesem Bereich eine Vorreiterrolle: Am 4. Fe-
bruar 2010 wurde in Paris das deutsch-französische Ab-
kommen über den Güterstand der Wahl-Zugewinnge-
meinschaft unterzeichnet.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die-
ses Abkommen in nationales Recht um und schaffen die
Ratifizierungsvoraussetzungen. Der Rechtsausschuss
des Deutschen Bundestags empfiehlt einstimmig die An-
nahme dieses Gesetzentwurfs.
Hintergrund hierfür ist, dass mit dem Voranschreiten
der Europäischen Integration auch die Zahl der binatio-
nalen Paare zunimmt. Im Jahr 2010 war jede achte Ehe-
schließung in Deutschland eine binationale. Und hierzu
zählen nur Paare, bei denen mindestens ein Ehegatte
eine ausländische Staatsbürgerschaft hat. Ehen von ein-
gebürgerten Personen werden nicht mitgezählt.
Zwischen den gesetzlichen Güterständen der einzel-
nen Europäischen Mitgliedstaaten bestehen teilweise
große Unterschiede. Dies führt vor allem im Fall der
Auflösung einer Ehe zu Problemen bei der Frage, wel-
ches Recht anzuwenden und wie der Güterstand aufzulö-
sen ist. Aber auch bei bestehenden Ehen kann es zu
Schwierigkeiten kommen, beispielsweise bei der Finan-
zierung von Immobilienkrediten.
D
s
h
D
d
g
B
w
w
B
V
g
E
li
n
k
s
k
a
g
d
a
M
e
s
e
M
b
z
S
k
Z
n
s
te
la
e
s
d
h
s
g
Z
d
tr
te
h
w
s
g
Zu Protokoll ge
)
Der Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft
kann von den Ehegatten durch einen Ehevertrag verein-
bart werden. Dieser Vertrag kann vor der Ehe oder wäh-
rend des Bestandes der Ehe geschlossen werden. Der
Güterstand kann auf drei Arten enden: erstens wenn das
Ehepaar den Güterstand wechselt, zweitens wenn die
Ehe rechtskräftig geschieden wird oder mit jeder ande-
ren gerichtlichen Entscheidung, die den Güterstand be-
endet, oder drittens wenn einer der Ehegatten verstirbt.
Das Abkommen vom 4. Februar 2010 sieht vor, dass
der Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft optio-
nal neben den jeweiligen nationalen Bestimmungen be-
stehen soll. Dadurch ist gewährleistet, dass nationale
Eigenheiten und gewachsene Rechtstraditionen nicht
beeinträchtigt werden.
Der deutsch-französische Wahlgüterstand ist so aus-
gestaltet, dass er zunächst nur zwischen Deutschland
und Frankreich Gültigkeit erlangt. Das Abkommen steht
aber auch den anderen Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union zum Beitritt offen.
Dies ist vor dem Hintergrund eines immer enger zu-
sammenwachsenden Europas ein Schritt in die richtige
Richtung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass im
Jahr 2009 bei circa 13 Prozent der Ehen in Deutschland
mindestens ein Ehegatte eine ausländische Staatsange-
hörigkeit besaß. Darunter waren rund 34 000 deutsch-
französische Ehepaare.
Durch das Abkommen vertiefen wir das Zusammen-
wachsen, indem wir mögliche Ansatzpunkte für Rechts-
streitigkeiten bei grenzüberschreitenden Ehen abbauen.
Somit schaffen wir für die Menschen in Deutschland und
Frankreich mehr Rechtssicherheit und mehr Rechtsklar-
heit. Wir sollten uns auf dem Erreichten jetzt nicht aus-
ruhen, sondern daran arbeiten, dass sich auch andere
Mitgliedstaaten dem Abkommen anschließen.
Im Jahre 2003, immerhin vor mehr als acht Jahren,
gab es anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertra-
ges die gemeinsame deutsch-französische Erklärung, in
der unter der Überschrift „Harmonisierung von Recht
und Gesetz“ auch dem Wunsch Ausdruck verliehen
wurde, das deutsche und französische Recht, insbeson-
dere das Familienrecht anzugleichen. Mit dem vorliegen-
den Gesetz zum Abkommen vom 4. Februar 2010 wird
diesem Wunsch weiter Rechnung getragen. In diesem Ab-
kommen haben die beiden Regierungen die Möglichkeit
eines gemeinsamen Wahlgüterstandes für binationale
Ehen geschlossen, also erstmals einheitliches materielles
)
gen gesetzlichen Güterständen sind erheblich. Dass sich
Frankreich und Deutschland nun mit dem Abkommen
über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft
dazu entschlossen haben, eine Lösung für einen Großteil
dieser Probleme zu finden, ist sehr zu begrüßen.
Das Abkommen und der dazu gehörende Gesetzent-
wurf sehen vor, einen gemeinsamen, in beiden Staaten
identischen Wahlgüterstand zu schaffen, der in modifi-
zierter Form dem deutschen Zugewinnausgleich ent-
spricht, aber französische Besonderheiten berücksich-
tigt. Dass dieser Impuls von Deutschland und
Frankreich ausgeht, ist wenig verwunderlich und nur
konsequent. Die guten Beziehungen zwischen Frank-
reich und Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ha-
ben für die europäische Integration eine entscheidende
Rolle gespielt. Initiativen zur europäischen Einigung
nahmen ihren Anfang auch in der Vergangenheit oft auf
bilateraler deutsch-französischer Ebene. Nicht umsonst
werden Deutschland und Frankreich häufig als Motor
der europäischen Integration bezeichnet.
Der Austausch zwischen Frankreich und Deutschland
ist äußerst lebendig. Ich denke hier zum Beispiel an die
Partnerschaften von Städten, Gemeinden und Regionen,
die vielen deutsch-französischen Begegnungen auf sehr
lebendige Weise einen Rahmen verleihen. Regelmäßig
finden deutsch-französische Jugendbegegnungen statt.
Es gibt eine Vielzahl von deutsch-französischen Institu-
tionen wie das Deutsch-Französische Jugendwerk, das
Deutsch-Französische Institut, das seinen Sitz in mei-
nem Wahlkreis Ludwigsburg hat, und auch den Fernseh-
sender arte. Deutsche und französische Bürgerinnen
und Bürger lernen sich kennen, schließen Freundschaf-
ten und häufig auch Ehen.
Auf europäischer Ebene gibt es derzeit keine konkre-
ten Pläne für eine Angleichung des Eherechts. Mit dem
vorliegenden Abkommen und dessen Umsetzung kommt
Deutschland und Frankreich eine Vorreiterrolle zu.
Andere Mitgliedstaaten können folgen, denn das Abkom-
men eröffnet auch anderen Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union die Möglichkeit, dem Abkommen beizu-
treten.
Damit kommen wir einer weiteren Vereinfachung und
Harmonisierung auf dem Gebiet des europäischen Fa-
milienrechts einen Schritt näher. Das ist begrüßenswert,
denn es steht zu erwarten, dass die Zahl binationaler
Eheschließungen in Zukunft nicht abnehmen, sondern
ansteigen wird.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/8059, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/5126 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer
stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Auch
nicht. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
u
G
D
s
A
A
m
fü
C
n
d
k
n
B
te
p
z
A
m
h
K
s
B
D
b
u
p
u
g
H
der SPD
Freiwilligendienste aller Generationen verste-
tigen – Engagement ohne Altersgrenzen stär-
ken
– Drucksache 17/7980 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind da-
it einverstanden.
Somit komme ich zur ersten Rednerin dieser Debatte:
r die Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Petra
rone. Bitte schön, Frau Kollegin Petra Crone.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin-
en! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir begehen in
iesem Jahr das Europäische Jahr der Freiwilligentätig-
eit. Freiwilligkeit ist, um einmal den Bogen zu span-
en, neben Printen und Klößen sicherlich auch ein Stück
rauchtum. Freiwilliges Engagement stand in den letz-
n Monaten aber nicht nur deshalb häufig im Mittel-
unkt unserer Diskussionen. Vielmehr hat die Ausset-
ung der Wehrpflicht und die damit verbundene
ussetzung des Zivildienstes dazu geführt, dass wir uns
it der Einführung eines neuen Dienstes beschäftigt
aben: mit dem neuen Bundesfreiwilligendienst.
Ich möchte an dieser Stelle nicht unsere grundlegende
ritik an dem Gesetz und dem Dienst wiederholen. Las-
en Sie mich nur eines deutlich machen: Wir als SPD-
undestagsfraktion stehen der Altersöffnung dieses
ienstes äußerst skeptisch gegenüber.
Es geht nicht nur um die Arbeitsmarktneutralität, die
ei der Öffnung der neuen Dienste für ältere Zielgruppen
nbedingt auf den Prüfstand muss. Es geht auch um die
ädagogische Begleitung der Älteren, die vielerorts noch
nklar ist. Gemeinsame Seminare mit der jüngeren Ziel-
ruppe stellen das pädagogische Personal vor ganz neue
erausforderungen.
17914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Petra Crone
)
)
Dabei sind die Anforderungen an sie – ebenso wie an die
Träger von Freiwilligendiensten – zurzeit bereits hoch
genug, Herr Kollege. Eine Überforderung geht dann aber
zulasten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Neben dem Bundesfreiwilligendienst gibt es die Frei-
willigendienste aller Generationen. Viele Freiwillige
engagieren sich unter diesem Dach – viel zu viele, um
eine Struktur jetzt, nach nur drei Jahren Programmlauf-
zeit, wieder zu zerschlagen.
Wir brauchen junge wie ältere Menschen, die motiviert
sind, sich je nach persönlichem Zeitbudget zu engagie-
ren. Diese Möglichkeit haben die Freiwilligendienste
aller Generationen eröffnet, und damit bieten sie eine
entscheidende Voraussetzung für ehrenamtliches Enga-
gement.
Der Bundesfreiwilligendienst leistet das nicht. Er ver-
langt mindestens 20 Stunden in der Woche für eine
ehrenamtliche Tätigkeit, und zwar verpflichtend.
Alle Erfahrungen vor Ort zeigen: Das ist nicht realis-
tisch, das ist eine deutlich zu hohe Stundenzahl. Das ist
gegenüber der Mindestdauer von 7 Stunden bei den Frei-
willigendiensten aller Generationen deutlich zu hoch
gegriffen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, 64 Prozent aller
Teilnehmer bei den Freiwilligendiensten aller Generatio-
nen sind über 50 Jahre alt.
Das erklärte das Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend zuletzt in einer Pressemitteilung
über den Erfolg dieses Projekts. Das zeigt das enorme
Potenzial, das insbesondere Ältere mit ihren Erfahrun-
gen und ihrem Wissen einbringen. Sie wollen dies
berechtigterweise in verlässlichen Strukturen tun. Men-
schen jenseits der 65 Jahre stehen heute noch lange nicht
am Ende ihres aktiven Lebens. Alt sein ist nicht gleich-
bedeutend mit Gebrechen und Hilfsbedürftigkeit. Ältere
Menschen wollen sich auf vielfältige Weise engagieren
und an der Gesellschaft teilhaben.
Ein Modell zu stoppen, das genau diese Potenziale
nutzt und für die Gesellschaft erreichbar macht, ist mir
– ganz besonders im Hinblick auf den demografischen
Wandel – völlig unverständlich.
Im Gegenteil: Wir müssen mehr Geld in die Hand neh-
men und gezielt Menschen im Übergang zwischen
Berufsleben und Ruhestand ansprechen.
u
E
q
E
ti
B
h
u
g
d
w
E
u
z
g
le
P
s
b
w
M
F
b
g
Z
g
fi
p
Q
a
d
R
lo
A
g
n
s
te
s
W
w
p
e
W
)
Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Crone. – Der
nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist Kollege
Markus Grübel. Bitte schön, Kollege Grübel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 2011 war, wie gesagt, das Europäische Jahr
der Freiwilligentätigkeit. Das Thema Freiwilligendienste
wurde nicht nur vom Bund, von den Ländern und den
Kommunen, sondern vor allem auch von der Zivilgesell-
schaft aufgegriffen. Die Diakonie hat das Thema freiwil-
liges Engagement zum Jahresschwerpunkt gemacht. Das
Jahr 2011 war ein sehr gutes Jahr für die Freiwilligentä-
tigkeit. Daran kann auch die Aussage der SPD zum Aus-
laufen der Projektförderung bei den Freiwilligendiensten
aller Generationen nichts ändern.
Wir haben im Jahr 2011, wie gesagt, den Bundesfrei-
willigendienst neu eingeführt, und er ist ein großer
Erfolg geworden.
Knapp 30 000 Menschen allen Alters engagieren sich in
diesem neuen Dienst. 20 Prozent davon sind über
27 Jahre alt. Es handelt sich also um einen Freiwilligen-
dienst aller Generationen. Die 20-Stunden-Regelung ist
bewusst eingeführt worden. Wir kennen aus dem Frei-
willigen-Survey die Zahlen, mit wie vielen Stunden sich
Menschen ehrenamtlich engagieren. Bei über 15 Stun-
den in der Woche gibt es fast niemanden mehr, der sich
ehrenamtlich engagiert. Wir wollten das Ehrenamt nicht
verstaatlichen, indem wir es auch in den Bundesfreiwil-
ligendienst eingliedern.
Die Kindergeldfrage, die am Anfang offen war, ist
jetzt auch geklärt. Herr Kollege Koch, Sie haben gewet-
tet und sogar eine Flasche Wein eingesetzt, dass wir das
nicht hinkriegen. Ich werde – das ist noch besser – drei
Flaschen Wein dagegensetzen. Vielleicht werden wir sie
gemeinsam trinken und uns gemeinsam über diesen
Erfolg freuen. Die Regelung der Kindergeldfrage ist im
Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Die Kinder-
geldstellen zahlen nun aus.
Neben den knapp 30 000 Menschen, die sich im Bun-
desfreiwilligendienst engagieren, engagieren sich 42 000
junge Menschen in den klassischen Jugendfreiwilligen-
diensten: im Freiwilligen Sozialen Jahr, dem Freiwilli-
gen Ökologischen Jahr oder in internationalen Freiwilli-
gendiensten. Insgesamt gibt es also 72 000 Menschen in
Deutschland, die dieses Jahr einen Freiwilligendienst
leisten. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis,
und es ist ein gutes Zeugnis für die positive Einstellung
in unserem Land sowie für den Geist, der in unserem
Land weht. Zusammen mit dem breiten Ehrenamt ist
D
a
ti
e
m
K
te
p
tr
h
li
D
li
e
B
d
le
c
s
s
d
5
M
s
B
G
e
b
n
m
M
ä
d
s
n
a
im
H
d
z
F
w
c
s
E
lä
B
h
)
für unseren Schlaf oder eventuell für die Möglichkeit,
nachher noch zusammenzusitzen.
Vielen Dank.
Um bei der Wahrheit zu bleiben: Es sind 48 Sekun-
den, auf die Sie verzichtet haben.
Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Heidrun Dittrich
für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Heute steht der Antrag der SPD mit dem Ti-
tel „Freiwilligendienste aller Generationen verstetigen –
Engagement ohne Altersgrenzen stärken“ zur Debatte.
Mein Vorredner, Herr Grübel, hat es schon richtig ge-
ahnt, als er gesagt hat, dass ich daran etwas zu kritisieren
habe. Ich möchte auch sagen, an welchen Punkten.
Die Linke sieht, wie von Ihnen angesprochen, die Ar-
beitsmarktneutralität gefährdet. Sie sieht auch die Ge-
fahr, dass sich durch den Bundesfreiwilligendienst und
den Freiwilligendienst aller Generationen ein neuer Nied-
riglohnsektor verstetigen könnte; das wünscht sich jede
Fraktion hier im Bundestag, bis auf die Linke.
Die Linke sieht zudem eine große Gefahr in der Über-
schreitung der Regelaltersgrenze: Das Engagement soll
bis zum 70. Lebensjahr möglich sein. Ich will das be-
gründen, erst einmal mit einem Beispiel dafür, wie man
überhaupt im hohen Alter zu solch einer Stelle im Frei-
willigendienst kommt: Nehmen wir an, Sie sind 67 Jahre
alt. Da kommt es öfter vor, dass Sie zum Arzt gehen. Der
Arzt schlägt Ihnen vor: Wenn Sie schon drei Kinder er-
zogen haben, könnten Sie doch zum Vorlesen in den
Kindergarten gehen. – Beim Freiwilligendienst aller Ge-
nerationen gibt es eine Aufwandsentschädigung von 50
bis 150 Euro.
Beim Freiwilligendienst der Bundeswehr gibt es mehr
Geld: Wenn Sie nach Afghanistan gehen, dann kommen
Sie aus Hartz IV heraus, aber möglicherweise nicht mehr
zurück.
Deshalb rate ich davon ab. Dort gibt es 1 200 Euro. Beim
BFD gibt es 500 Euro, beim Freiwilligen Sozialen Jahr
330 Euro, mit den Zuschüssen für die Unterkunft 400 Euro.
Wenn Sie, wie im geschilderten Fall, als Rentnerin in
der Grundsicherung sind, weil Sie selber zu wenig Rente
haben – gut 450 Euro –, dann können Sie mit den
150 Euro Aufwandsentschädigung nicht über die Grund-
sicherung hinauskommen. Frau H. aus meinem Wahl-
kreis hat diese Tätigkeit abgelehnt. Sie möchte lieber
selbstbestimmt über ihre Zeit verfügen.
K
q
le
ri
w
K
s
o
b
w
e
d
re
z
z
w
li
h
B
n
2
D
„
b
A
s
s
k
k
d
h
te
Z
m
z
s
n
D
S
e
n
v
te
d
7
a
s
b
Jede fachliche Tätigkeit kann, wenn sie erst einmal
egrationalisiert ist, in Einzelteile zerlegt und als unqua-
fizierte, als zusätzliche Tätigkeit definiert werden. Das
eißt, offensichtlich bestimmt die Haushaltslage der
undesregierung, wann eine gesellschaftliche Arbeit
otwendig ist und bezahlt werden soll. Von 1991 bis
006 wurden 2 Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen
ienst weggespart; das geht aus der Veröffentlichung
Genug gespart!“ von Verdi aus dem Jahr 2008 hervor.
Wer außer der Bundesregierung hat früher die Ar-
eitsmarktneutralität begründet? Die Bundesagentur für
rbeit. Früher hieß es gemäß dem Bundessozialhilfege-
etz, eine Tätigkeit könne nur ausgeführt werden, wenn
ie sonst nicht in diesem Umfang ausgeübt werden
önne und wenn sie gemeinnützig ist; denn erst dann
önne sie als „zusätzlich“ anerkannt werden. Genau an
iesem Punkt wird es nun gefährlich, weshalb ich gesagt
abe, dass wir einen neuen Niedriglohnsektor befürch-
n. Die Bundesagentur für Arbeit hat laut Süddeutscher
eitung vom 2. Dezember erklärt, dass sie auf die Merk-
ale der Zusätzlichkeit und der Gemeinnützigkeit ver-
ichten möchte. Das bedeutet doch, dass wir jederzeit,
taatlich subventioniert, einen Arbeitsplatz fördern kön-
en, dessen Bezahlung unter dem Hartz-IV-Satz liegt.
as darf nicht sein. Besteuern Sie die Reichen! Sorgen
ie für mehr Staatseinnahmen! Einen anderen Weg gibt
s nicht.
Ein Freiwilligendienst aller Generationen, in dem sich
och 70-Jährige engagieren können, sieht doch schon
or, dass die Regelaltersgrenze von 67 Jahren überschrit-
n werden kann. Die Bundesregierung könnte doch auf
ie Idee kommen, zu sagen: Wenn die Menschen bis
0 Jahre freiwillig tätig sein können, dann können sie
uch bis 70 Jahre arbeiten. Damit untergraben Sie sozu-
agen die feste Regelaltersgrenze.
Frau Kollegin, Sie wissen, was die Lichter vor Ihnen
edeuten?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17917
)
)
Ich bin gleich fertig. – Sie führen Lohndumping ein,
verschieben die Regelaltersgrenze und machen genau
das, was zur Weltwirtschaftskrise geführt hat.
Wir als Linke unterstützen die Jugendfreiwilligen-
dienste als individuelle Lerndienste; aber den Bundes-
freiwilligendienst und den Freiwilligendienst aller Gene-
rationen würden wir gerne abschaffen.
Vielen Dank, Frau Kollegin.
Die übrigen Redner geben ihre Reden zu Protokoll,
unter anderem der Kollege Florian Bernschneider, der
anwesend ist. Er hat heute Geburtstag. Herzlichen
Glückwunsch, Kollege Florian Bernschneider.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7980 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 a und b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Geset-
zes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
– Drucksache 17/8098 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung(f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Herbert Behrens, Thomas
Nord, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
– Drucksache 17/8129 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.1)
d
h
a
e
G
d
d
–
d
d
h
p
V
g
d
R
te
h
F
s
F
g
g
e
V
d
li
R
v
ü
fe
F
d
te
s
u
s
te
b
fu
n
w
m
v
fe
z
U
b
d
n
im
s
s
k
le
r1) Anlage 10
)
Geschäftsmodells oder die Ausdehnung des Anwen-
dungsbereichs auch auf kleinere Flughäfen und Flug-
plätze mit weniger als 5 Millionen Fluggastbewegungen
jährlich wären deutlich über die eigentlichen Anforde-
rungen der EU-Richtlinie hinausgegangen.
Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet dagegen
eine angemessene und nachvollziehbare Regelung be-
züglich der Entgelte und deren Festsetzung. Er veran-
kert die allgemeinen Grundsätze der Entgelterhebung
wie Transparenz und Diskriminierungsfreiheit und ge-
währt Flughäfen mit mehr als 5 Millionen jährlichen
Fluggastbewegungen einige Sonderbestimmungen. So
wird die Durchführung eines obligatorischen Konsul-
tationsverfahrens zwischen Flughafenunternehmern und
-nutzern eingeführt. Zudem werden die für die bezüglich
der Genehmigung der Entgeltordnung zuständigen Lan-
desbehörden verpflichtet, zu prüfen, ob eine Orientie-
rung an einer effizienten Leistungserstellung erkennbar
ist. Bei einvernehmlicher Regelung der Entgelte zwi-
schen Flughafenbetreibern und den Luftverkehrsunter-
nehmen kann die Genehmigungsbehörde jedoch von der
Prüfung der Effizienzorientierung absehen.
Auch über die Thematik der Flughafenentgelte hi-
naus beinhaltet der vorliegende Entwurf überaus wert-
volle Änderungen des Luftverkehrsgesetzes. So werden
erstmalig Regelungen bezüglich ziviler unbemannter
Luftfahrtsysteme, sogenannter Drohnen, festgeschrie-
ben. Die Geräte, die mittlerweile auch in der zivilen Nut-
zung, beispielsweise zur Umwelt- oder Verkehrsüberwa-
chung oder zum Schutz von Pipelines, immer größere
Bedeutung erlangt haben, werden als neue Kategorien
von Luftfahrzeugen eingeführt.
Des Weiteren wird auch die Verbraucherschutzbe-
stimmung aus der Verordnung Nr. 1008/2008 des
Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. Sep-
tember 2008 über gemeinsame Vorschriften für die
Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemein-
schaft mit der vorliegenden Änderung des Luftverkehrs-
gesetzes umgesetzt. Ziel ist es, allen Flugpassagieren
transparente Preise und einen diskriminierungsfreien
Zugang zu den Flugpreisen zu gewähren.
Zuletzt wird mit der Änderung von § 20 LuftVG klar-
gestellt, dass Flüge zum Absetzen von Fallschirmsprin-
gern – wie Luftsportgeräte auch – generell von der Be-
triebsgenehmigung nach § 20 Abs. 1 befreit sind,
unabhängig davon, ob es sich um Flüge gewerblicher
Art oder im Rahmen einer Vereinstätigkeit handelt.
Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen, dass
die Bundesregierung einen angemessenen und ausba-
lancierten Gesetzentwurf vorgelegt hat, der eine wirk-
same Umsetzung der EU-Flughafenentgelt-Richtlinie in
deutsches Recht darstellt. Die CDU/CSU-Fraktion im
Deutschen Bundestag wird sich in den nun angestoße-
nen parlamentarischen Beratungen verantwortungsbe-
wusst und ergebnisoffen mit der Vorlage auseinander-
setzen und, sollte ein entsprechender Bedarf bestehen,
notwendige Korrekturen anregen. Dennoch betone ich
an dieser Stelle gerne, dass die Bundesregierung die
Zielsetzung der notwendigen Ausgestaltung des bisheri-
gen Genehmigungsverfahrens für Flughafenentgelte er-
fü
Ä
z
v
d
n
li
d
u
s
g
te
d
E
b
g
te
g
E
d
te
n
d
m
b
g
la
s
d
a
w
e
te
w
a
F
5
m
J
s
w
w
D
tr
B
d
m
s
tr
b
D
Zu Protokoll ge
)
zwischen Flughafenunternehmen und Flughafennutzern
stattfinden, in denen über mögliche Probleme gespro-
chen und diese gelöst werden sollen. Außerdem soll in
der Entgeltordnung von Verkehrsflughäfen eine Diffe-
renzierung nach Lärmschutzgesichtspunkten und nach
Schadstoffemissionen erfolgen.
Mit dem Gesetzentwurf werden zugleich die Verbrau-
cherschutzbestimmungen aus der Verordnung
Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vor-
schriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten
in der Gemeinschaft umgesetzt.
Wir wissen doch alle, wenn nicht aus eigener Erfah-
rung, so doch aus Presse, Funk und Fernsehen, wie
kompliziert das Buchen von Flügen oftmals sein kann.
Oftmals ist ein Preis, der am Anfang der Buchung steht,
nur ein Bruchteil dessen, was der Kunde bei Beendigung
des Vorgangs tatsächlich zu zahlen hat. Das soll ein
Ende haben.
Für mich bedeutet das, dass für alle Kunden die
Preise transparent und in gleicher Weise auch für alle
zugänglich sein müssen. Diejenigen, die online buchen,
müssen also genauso informiert sein wie diejenigen, die
im Reisebüro buchen. Dadurch soll die Vergleichbarkeit
von Flugpreisen erleichtert werden.
Zudem sollen durch den Gesetzentwurf unbemannte
zivile Luftfahrzeugsysteme als eine neue Kategorie von
Luftfahrzeugen eingeführt werden. Die Technik schreitet
voran, und man muss sich den Entwicklungen auch ge-
setzgeberisch stellen. Wenn also zum Beispiel Landver-
messer diese nutzen, Biologen ganze Landstriche be-
obachten, so muss das gesetzlich geregelt sein, damit
kein Missbrauch geschieht. Außerdem steckt dahinter
ein nicht zu unterschätzender Markt, der in Deutsch-
land, dem Erfinderland, auch Unterstützung von politi-
scher Seite erwarten kann.
Ein weiterer Punkt, den dieses Gesetz regeln wird, ist
die Klarstellung, dass Flüge zum Absetzen von Fall-
schirmspringern genauso wie Flugsportgeräte generell
von der Betriebsgenehmigung nach § 20 Abs. 1 befreit
sind. Dies soll auch dann gelten, wenn Flüge dieser Art
gewerblich oder im Rahmen einer Vereinstätigkeit
durchgeführt werden.
Doch nun steht uns nach der genauen Lektüre des Re-
gierungsentwurfs die Diskussion in den Ausschüssen be-
vor, und erst dann werden wir sehen, inwieweit noch
Änderungen vorgenommen werden, bevor es zur zweiten
und dritten Lesung kommt. Gehen wir es an!
Wir debattieren heute in erster Lesung über einen Ge-
setzentwurf der Bundesregierung und der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes. Deutsch-
land hat 23 internationale Verkehrsflughäfen. Insgesamt
bieten sie rund 850 000 Menschen direkt oder indirekt
einen Arbeitsplatz. Eine Umfrage ergab, dass 86 Pro-
zent der Unternehmen in Deutschland eine Luftver-
kehrsanbindung als Standortfaktor wichtig finden.
Damit ist die Anbindung an die internationalen Luftver-
k
h
n
d
W
w
d
m
d
k
R
M
s
F
U
z
n
R
z
fe
w
d
b
A
tu
G
m
in
F
F
u
n
B
ti
g
r
k
a
ß
fr
fa
F
s
a
d
F
li
ti
h
w
h
s
w
in
s
F
Zu Protokoll ge
)
Die Fluggesellschaften wiederum stehen ebenfalls
unter enormen Druck. Das nachlassende Wirtschafts-
wachstum macht ihnen zu schaffen. Außerdem beklagen
sie sich zu Recht über die unsinnige Luftverkehrsabgabe
in Deutschland. Hier ist ein fairer Ausgleich zu schaffen.
Wir begrüßen es daher, dass der vom Bundeskabinett be-
schlossene Gesetzentwurf grundsätzlich der EU-Richt-
linie über Flughafenentgelte folgt und somit klare Stan-
dards im Sinne einer Fortentwicklung des deutschen
Luftverkehrs setzt.
Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Luftverkehrsgesetzes setzt die Bundesregierung
vorrangig eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates um, die bei den Flughafenentgelten für
mehr Effizienz und Kostenwahrheit sorgen soll. Ein Vor-
haben, das wir als FDP-Bundestagsfraktion ausdrück-
lich unterstützen.
Bekanntlich ist die wesentliche Aufgabe eines Flug-
hafens die Abfertigung von Luftfahrzeugen, angefangen
von der Landung bis hin zum erneuten Start. Hierfür ste-
hen den Flughäfen allerdings nur begrenzte Kapazitäten
zur Verfügung, die wiederum nicht beliebig und teil-
weise nur gegen massive Widerstände erweitert werden
können, wie wir derzeit in Frankfurt am Main oder auch
in Berlin beobachten können. Bei Großflughäfen, die da-
rüber hinaus häufig über eine enorme Marktmacht ver-
fügen und somit als ein natürliches Monopol bezeichnet
werden können, bedarf es besonderer Anforderungen an
die Regulierung.
Dieses greift sowohl die Richtlinie als auch der uns
vorliegende Gesetzentwurf auf. Besonderer Wert wird
dabei auf die Informationspflicht und die transparente
und diskriminierungsfreie Berechnung der Gebühren
gelegt. Hierzu sollen zwischen dem Betreiber und den
Nutzern des Flughafens regelmäßige Konsultationen
stattfinden. Das ist aus meiner Sicht ein unverzichtbares
Element für einen fairen und freien Wettbewerb. Schließ-
lich kann Mobilität in einer Systempartnerschaft wie
dem Luftverkehr nur dann effizient stattfinden, wenn
beide Partner ein gemeinsames Interesse an einem mög-
lichst reibungslosen und konfliktfreien Betriebsablauf
haben. Die im Gesetzestext verankerte Differenzierung
der Entgelte nach Lärmschutzaspekten und Schadstoff-
emissionen rückt darüber hinaus auch Umwelt- und An-
wohnerinteressen vermehrt in den Fokus.
Ein weiterer Aspekt, der maßgeblich zur Effizienzstei-
gerung und damit auch günstigeren Entgelten führen
soll, sind Leistungsvereinbarungen über die Qualität der
Dienstleistungen. Sie berücksichtigen in einem hohem
Maße die besondere Beziehung zwischen den Flughafen-
unternehmen und ihren Nutzern. Gemeinsam können
und sollen alle Beteiligten maßgeschneiderte Lösungen
für ihre Bedürfnisse entwickeln. Ein Ansatz, von dem am
Ende alle profitieren werden.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der mit dem uns vorlie-
genden Gesetzentwurf umgesetzt werden soll, sind neue
Verbraucherschutzbestimmungen. Dabei geht es im We-
sentlichen darum, den Kunden kostenpflichtige Zusatz-
le
c
s
o
o
fr
s
g
g
n
te
B
te
fe
D
d
B
z
v
m
ih
w
F
g
lu
r
B
A
g
a
fa
S
m
d
n
s
b
B
h
b
F
tä
in
s
N
W
d
Zu Protokoll ge
)
scher Interessen. Gesundheit geht vor Profit, das ist
unsere Maxime.
Grundsätzlich halten wir es für geboten, über das
Luftverkehrsgesetz eine Regelung für ein konsequentes
Nachtflugverbot in dicht besiedelten Gebieten zu erwir-
ken. Damit wäre ein für alle Mal klar, dass ein Großflug-
hafen – wie in Schönefeld – in dicht besiedelten Gebie-
ten nicht oder nur mit einem Flugverbot zwischen 22 bis
6 Uhr gebaut werden darf. Für alle würden die gleichen
Bedingungen gelten.
Mit einer solchen Klarstellung wären teure Gerichts-
verfahren für die Bürgerinnen und Bürger überflüssig,
und auch die Flughafenbetreiber hätten Rechtssicher-
heit. Ein Streit wie jetzt der um das Nachtflugverbot auf
dem Frankfurter Flughafen wäre unnötig.
Wir begrüßen es, wenn in den Entgeltordnungen von
Verkehrsflughäfen unterschiedliche Gebühren für lei-
sere und lautere Flugzeuge gelten können und – das ist
ein ganz wesentlicher Punkt – die Gebühren je nach
Schadstoffemissionen gestaffelt werden sollen. Damit
geht die Bundesregierung ein Stück über die Richtlinie
hinaus. Das unterstützen wir ausdrücklich.
Lassen Sie uns die weiteren Beratungen zum Luftver-
kehrsgesetz dafür nutzen, die notwendigen Schritte zum
Schutz von Betroffenen zu machen. Ein neues Gesetz
sollte aber nicht nur den Anforderungen europäischer
Richtlinien entsprechen, sondern in erster Linie dem
Schutz der Menschen dienen.
Die Koalition legt einen Gesetzentwurf zur 14. Ände-
rung des Luftverkehrsgesetzes vor.
Mit der Umsetzung der EU-Entgeltrichtlinie von
2009 werden in Deutschland die seit langem angestreb-
ten gemeinsamen Grundsätze der Gemeinschaft für die
Erhebung von Flughafenentgelten geschaffen.
Ziel ist es, dass auf Flughäfen mit jährlich mehr als
5 Millionen Flugbewegungen die sogenannten Entgelte,
die von den Fluggesellschaften für Dienstleistungen wie
zum Beispiel für das Starten und Landen der Flugzeuge
oder die Abfertigung der Passagiere und des Gepäcks
erhoben werden, nach klaren gemeinsamen Kriterien er-
folgen und kein Anbieter diskriminiert werden kann. Bei
den Gebühren für das Starten und Landen sieht der Ge-
setzentwurf beispielsweise zwingend vor, dass diese
nach Lärmschutzgesichtspunkten und nach dem Ausstoß
von Schadstoffemissionen differenziert erhoben werden
sollen.
Wir begrüßen ausdrücklich den Einsatz lärm- und
emissionsabhängiger Start- und Landegebühren als öko-
nomischen Anreiz, um die Nutzung besonders lauter, kli-
maschädlicher Flugzeuge gegenüber den leisen, emis-
sionsarmen deutlich teurer zu gestalten bzw. diese vom
Verkehr auszuschließen.
Hinsichtlich des Lärmschutzes stellt sich allerdings
die Frage, wie die Bundesregierung dies mit dem vorge-
legten Gesetzentwurf realisieren will, da sie wieder
keine Regelung schafft, die bundeseinheitliche Kriterien
fü
b
b
s
b
a
Z
ü
z
T
n
p
K
w
h
k
B
s
d
k
k
F
le
b
L
lu
tr
s
n
r
A
r
L
v
b
E
E
d
L
tr
g
a
k
le
A
L
d
L
ro
k
w
in
)
schlagen. – Andere Vorschläge liegen nicht vor. Infolge-
dessen ist die Überweisung dann so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Bas, Johannes Pflug, Michael Groß, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD
Duisburger Hafen muss in öffentlicher Hand
bleiben
– Drucksache 17/8140 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen sind dem Präsidium bekannt.
Wie in dem vorliegenden Antrag der SPD-Bundes-
tagsfraktion bereits richtig erkannt, handelt es sich bei
dem Duisburger Hafen um den weltweit größten Binnen-
hafen, welcher auf eine äußerst positive wirtschaftliche
Entwicklung blicken kann. Neben der Stadt Duisburg
und dem Land Nordrhein-Westfalen ist auch die Bundes-
republik Deutschland zu einem Drittel Teilhaber an der
Duisburger Hafen AG. Der Standort zählt heute zu den
bedeutendsten Arbeitgebern innerhalb der Ruhrregion
und umfasst, gemeinsam mit den benachbarten Binnen-
häfen, einen zentralen Kern des Nationalen Hafenkon-
zeptes der Bundesregierung.
Während des Entwicklungsprozesses hin zu einem in-
ternational signifikanten Logistikstandort flossen zahl-
reiche öffentliche Mittel in das Unternehmen. Vor dem
Hintergrund der bisher getätigten Investitionen kann es
also nur logische Konsequenz der Bundesregierung
sein, alle Aspekte einer fortlaufenden Teilhabe gründ-
lich zu überprüfen. Dies geschah bereits vor längerer
Zeit, wie man auch der Antwort auf die Kleine Anfrage
der Bundestagsfraktion Die Linke vom Februar 2011
entnehmen kann. Im Zuge dieser Revision kam die Bun-
desregierung schon damals zu dem Ergebnis, dass ein
Verkauf der eigenen Anteile dem Unternehmen zukünftig
keinen Nachteil verschaffen würde.
Vielmehr ist die Bundesregierung gemäß § 65 Abs. 1
Nr. 1 der Bundeshaushaltsordnung stets dazu verpflich-
tet, zu prüfen, ob ein wichtiges Bundesinteresse im Zuge
einer derartigen Beteiligung weiterhin gegeben ist oder
ob das vom Bund angestrebte Ziel sich gegebenenfalls
auch anderweitig erfüllen ließe. Ein vordringliches Bun-
desinteresse besteht bereits seit geraumer Zeit nicht
mehr, siehe Antwort der Bundesregierung, Drucksache
17/4831. Weder die Erfüllung staatlicher Aufgaben
durch die Bundesrepublik Deutschland als Akteur ist
hier vonnöten, noch kann der Bund das zukünftig benö-
tigte Kapital für die Hafen AG bereitstellen. Darüber
hinaus hat auch der Bundesrechnungshof die Bundes-
re
d
H
d
h
s
p
E
h
te
la
s
a
e
g
e
a
te
V
m
tu
g
p
d
d
k
m
p
fü
s
w
d
m
g
D
fa
z
D
Im
ih
In
H
B
s
rh
g
re
a
k
w
w
s
tu
)
Inhaltslosigkeit dieses Antrages toppt sogar noch die-
jenige intellektuelle Leere, die sozialdemokratische
Anträge sonst auszeichnet.
Das fängt schon beim Titel an. Er ist wörtlich von der
Drucksache 15/1912 des Landtages von Nordrhein-
Westfalen übernommen worden. Bezeichnenderweise
war dies kein Antrag der Sozialdemokraten, sondern
einer der Fraktion Die Linke. Die Sozialdemokraten
haben aber noch nicht einmal die Gelegenheit genutzt,
dem Ganzen das fehlende „der“ zu spendieren und so
das fehlende Sprachgefühl der extremen Linken auszu-
gleichen. Dazu waren sie zu fantasielos. Sie haben
schlicht und einfach abgekupfert, was die Staatskapita-
listen vorgegeben haben.
Das war auch nötig, denn die Sozialdemokraten
haben dieses Thema erst dann aufgegriffen, als die So-
zialisten es mit verschiedenen Anfragen und Anträgen
auf Bundes- und Landesebene schon zu Tode geritten
hatten. Alles, was zu diesem Thema wichtig ist, wurde
daher schon gesagt, und zwar von uns.
Wegen der schon oben angeführten Inhaltslosigkeit
des Antragstextes kann ich mich mit diesem nicht aus-
einandersetzen. Kein ernsthafter Mensch würde bezwei-
feln, dass der Duisburger Hafen der weltweit größte
Binnenhafen ist. Das ist so, darüber kann man nicht dis-
kutieren; und mit Sozialdemokraten erst recht nicht.
Nicht viel anders verhält es sich mit den Forderungen
an die Bundesregierung. Sie sind entweder absurd oder
enthalten nur Gemeinplätze. Die Verfasser dieses Antra-
ges hätten nicht nur die Überschrift des Antrages der
Linken aus Düsseldorf übernehmen sollen, sondern
auch deren Forderungen. Da wird mit revolutionärem
Elan die Veränderung der Hafenwelt gefordert. Da wird
mit Liebe ein Engagement zugunsten der Gemeinschaft
geheuchelt. Da schauert es dem Leser wohlig bei guten
alten Kampfbegriffen wie „neoliberalem Dogma“ und
„Gewinnmaximierung“. Doch selbst daran fehlt es hier.
Im Gegensatz zu den Linken mangelt es den Sozial-
demokraten völlig an der Fähigkeit zur Selbstkarikatur.
Sie sind spaßfrei und langweilig. Ihre Forderungen
schläfern ob ihrer Langweiligkeit sogar die empörtesten
Klassenkämpfer ein. Dennoch sind sie nach Meinung
der meisten Juristen kein Verstoß gegen das Betäu-
bungsmittelgesetz. Doch der Reihe nach:
Unzweifelhaft hat der Binnenhafen Duisburg eine
außerordentliche Bedeutung für Nordrhein-Westfalen,
Deutschland und Europa. Das haben wir schon vor eini-
ger Zeit gemerkt. Deshalb findet er auch in unserer Ver-
kehrspolitik gebührende Beachtung. Wir sollen die Bun-
desregierung dazu auffordern, das Verfahren zur
Veräußerung der Anteile des Bundes an der Duisburger
Hafen AG sofort zu stoppen. Aber warum? Argumente
nennen die Antragsteller nicht. Das ist auch kein Wun-
der. Die gibt es nämlich nicht. Gerade der Standort
Duisburg hat bei einem Einstieg privater Investoren
sehr gute Entwicklungschancen. Viele Unternehmen
rund um den Hafen prägen schon jetzt den Wirtschafts-
standort Nordrhein-Westfalen nachhaltig. Warum soll
dies für den Hafen nicht gelten? Warum soll das erfolg-
re
n
n
G
n
c
n
a
d
e
d
m
d
ö
o
d
g
ih
h
In
H
s
b
s
is
h
B
fi
s
e
G
d
d
b
G
s
W
te
tr
r
z
p
s
r
s
m
g
u
fi
s
z
h
g
N
d
g
Zu Protokoll ge
)
ist so überflüssig wie der gesamte Antrag. Das praktizie-
ren wir doch schon seit Jahren täglich! Dieser Antrag
zeigt jedem, der es wissen will, dass die SPD sich nicht
nach rechts oder links bewegt, sondern mit voller Kraft
die Vergangenheit ansteuert. Diese Menschen dürfen
unser Land nicht regieren.
Eigentlich denkt man ja eher an Hamburg, Rotter-
dam, Boston oder Schanghai, wenn das Stichwort Hafen
fällt – und weniger an Chicago, Lüttich oder Duisburg.
Und doch ist es so, dass es Zeiten gab – etwa Mitte der
70er-Jahre – in denen der Duisburger Hafen einen grö-
ßeren Umschlag als der Hamburger Hafen hatte. Noch
heute ist der Duisburger Hafen der weltweit größte Bin-
nenhafen, der sich selbst in der Wirtschaftskrise positiv
weiterentwickelt hat. Rund 350 Unternehmen sind im
Hafen ansässig, insgesamt sind 40 600 Arbeitsplätze
von ihm abhängig. Die Logistikdrehscheibe Duisburg ist
heute ein wesentlicher Motor für Wohlstand und Arbeits-
plätze in Duisburg, Nordrhein-Westfalen und auch für
Deutschland.
Der Grundstein für die moderne Entwicklung des Ha-
fens wurde mit der Gründung der Duisburg-Ruhrorter
Hafen Aktiengesellschaft bereits 1926 gelegt, als die
Stadt Duisburg ein Drittel des Stammkapitals und der
damalige Staat Preußen zwei Drittel des Stammkapitals
übernahmen. Noch heute ist der Bund mit einem Drittel
an der Duisburger Hafen AG beteiligt, dies sind circa
15,4 Millionen Euro – der Wert dieses sogenannten Bun-
des-Drittel wird jedoch auf rund 50 Millionen Euro ge-
schätzt. Es ist ein Unding, dass nun die schwarz-gelbe
Bundesregierung ihre Anteile als Tafelsilber verschleu-
dern möchte! Die Folgen eines Verkaufs auf die Be-
schäftigten und die Entwicklung des Hafens sind nicht
abzuschätzen – außerdem verzichtet der Bund völlig
ohne Not auf die wachsenden Gewinne des Hafens. Dies
soll mir mal einer erklären.
Als 1993 das Krupp-Hüttenwerk in Duisburg-Rhein-
hausen geschlossen wurde und über 6 000 Arbeitsplätze
auf dem Spiel standen, war es der Duisburger Hafen, der
den Duisburger Bürgerinnen und Bürgern neue Hoff-
nung bot: Auf dem Gelände des ehemaligen Krupp-
Stahlwerkes entstand mit 2 300 Arbeitsplätzen ein Zen-
trum für Logistikunternehmen unter dem Namen Log-
port. Die Stadt Duisburg hatte bereits in den 70er- und
80er-Jahren durch Modernisierungen in der Stahlindus-
trie und im Bergbau Zigtausende von Arbeitsplätzen ver-
loren – geprägt von der Monostruktur aus Kohle-, Stahl-
und Bergbauindustrie stand der Stadt ein schwerer
Strukturwandel bevor. Im Hafen sahen die Duisburger
nun einen Lichtblick für eine hoffnungsvolle Entwick-
lung der Stadt, der das Geld für dringend notwendige
Umstrukturierungsmaßnahmen fehlte.
Auf der Ruhrgebietskonferenz im Februar 1988
wurde die Kapitalerhöhung der Duisburger Hafen AG
von 30 auf 90 Millionen D-Mark durch die Anteilseigner
Stadt Duisburg, das Land Nordrhein-Westfalen und den
Bund beschlossen. Mit der Kapitalaufstockung war die
Hafengesellschaft nun in der Lage, die notwendigen
w
n
ß
g
w
s
m
d
a
u
w
L
k
s
B
R
d
A
w
d
n
H
le
d
„
v
d
a
k
d
D
n
n
li
d
li
fü
u
g
d
lä
ro
B
v
D
te
s
s
tu
R
Zu Protokoll ge
)
ewig Anteilseigner am Hafen bleiben soll, aber nicht nur
das. Darüber hinaus fordern Sie auch noch einen deut-
lich stärkeren staatlichen Eingriff ins operative Ge-
schäft des Duisburger Hafens. Bemerkenswert finde ich
Ihre Begründung mit der ökonomischen Vernunft. Das
ist ein Widerspruch. Der Staat ist nicht der bessere Un-
ternehmer, genauso wenig, wie er der bessere Bänker
ist, was wir bei den Landesbanken in der Finanzmarkt-
krise sehen konnten. Ihnen ist hoffentlich auch klar, dass
der Staat damit voll im Haftungsrisiko stehen würde und
in schlechten Zeiten auch die dann anfallenden Verluste
tragen müsste. In der öffentlichen Debatte sprechen Sie
immer nur von den angeblichen Vorteilen staatlicher
Unternehmen. Sie betonen die Einnahmemöglichkeiten,
blenden aber voll das unternehmerische Risiko aus.
Wie naiv sind Sie eigentlich, dass Sie an stetig wach-
sende Gewinne bei Unternehmen glauben, wie es in Ih-
rem Antrag steht? Denken Sie wirklich, dass der wirt-
schaftliche Aufschwung ewig andauert, dass es nie
schlechte Zeiten gibt? Oder kommen all die Risiken bei
der weit ins Sozialistische rückenden SPD nicht vor?
Oft genug hat sich gezeigt, dass private Investoren ei-
ner Firma guttun. Sie sorgen für frischen Wind und bre-
chen verkrustete Strukturen auf. Wettbewerb tut Unter-
nehmen gut, staatliche Protektion führt auf Dauer zu
nichts! Tun Sie doch nicht so, als ob staatliche Lenkung
gut für die Wirtschaft ist. Welchem Unternehmen hat öf-
fentlicher Einfluss je gutgetan? Ihre Allmachtsfantasien
und Vorstellungen von vollständiger Kontrolle sind von
der Wirklichkeit widerlegt worden!
Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung regel-
mäßig überprüft, ob sich der Bund nicht von einzelnen
Staatsbeteiligungen trennen kann oder muss. Das gilt für
den Bereich Infrastruktur ebenso wie für die Telekom-
munikationsbranche oder einzelne Verkehrsträger. Al-
lerdings muss im Rahmen einer solchen Veräußerung
immer darauf geachtet werden, dass ein entsprechender
Investor keine Einzelinteressen verfolgt und einen dis-
kriminierungsfreien Zugang der Infrastrukturanlagen
gewährleistet. Wichtig ist auch, dass es zu keinen Wett-
bewerbsverzerrungen für andere Binnen- und Seehäfen
kommt. Den weiteren Prozess werden wir daher als
Deutscher Bundestag aufmerksam begleiten. Dem An-
trag der SPD stehe ich kritisch gegenüber und bin ge-
spannt auf die kommenden Beratungen.
Wirtschaftlich arbeitet die Duisburger Hafen AG als
öffentliches Unternehmen im gemeinsamen Eigentum
des Bundes, des Landes NRW und der Stadt Duisburg
erfolgreich. So hat sie neue Beschäftigungsperspektiven
in der vom Strukturwandel hart betroffenen Region
eröffnet und mit den Projekten Logport Rheinhausen
und Logport II eine sinnvolle Umnutzung von brachlie-
genden Industrieflächen ermöglicht. Als zentrale Dreh-
scheibe der Rhein-Ruhr-Region generiert der Duisbur-
ger Hafen fast die Hälfte der gesamten Umschlagmenge
Nordrhein-Westfalens im Wasser- und Bahnumschlag;
durch die Kooperation mit den Häfen Amsterdam und
R
n
v
A
g
w
d
d
u
a
S
L
li
fl
to
A
L
s
V
n
e
ti
li
A
D
li
g
s
e
p
o
n
li
U
s
g
A
N
d
d
R
d
g
je
m
d
d
te
s
ta
s
s
d
Zu Protokoll ge
)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion,
wir werden Ihrem Antrag zustimmen. Wenn Ihr Antrag
hier mehr ist als eine Pflichtübung parteipolitischer
Profilierung, dann sollten ihm auch Taten in NRW fol-
gen. Im Januar werden auf Initiative der Linken im
NRW-Landtag die Ergebnisse einer Anhörung zum Duis-
burger Hafen ausgewertet. In Duisburg und auch in
Düsseldorf können die Mehrheiten der Oppositionspar-
teien in diesem Hause die vernunftwidrigen Privatisie-
rungspläne von Schwarz-Gelb durchkreuzen. Sie können
kluge Entscheidungen treffen, die das öffentliche Eigen-
tum am Duisburger Hafen sichern und eine Kooperation
von Land und Kommunen an Rhein und Ruhr fördern.
Die grüne Bundestagsfraktion sieht den geplanten
Verkauf der Anteile des Bundes an der Betriebsgesell-
schaft des Duisburger Hafens durchaus kritisch. Der
Hafen, der zu jeweils einem Drittel im Eigentum von
Bund, Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Duis-
burg ist, stellt einen diskriminierungsfreien Zugang zur
Hafeninfrastruktur und die gebotene Wettbewerbsneu-
tralität sicher. Bundesstraßen, Autobahnen und Schiff-
fahrtskanäle werden ja auch nicht privatisiert.
Wie so oft ist auch hier, bei der geplanten Veräuße-
rung der Bundesanteile an der Duisburger Hafen AG,
die Position der Bundesregierung unklar: Herr
Ramsauer steht dem Verkauf des Duisburger Hafens mit
„allergrößter Skepsis“ gegenüber und hält diesen sogar
für eine „Verschleuderung von Bundesvermögen“.
Gleichzeitig hat sein Kabinettskollege, Finanzminister
Schäuble, den Verkauf der Bundesanteile bereits fest im
Bundeshaushalt 2012 eingeplant.
Eine klare Linie sieht anders aus. Am 22. Juli dieses
Jahres antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage der grünen Bundestagsfraktion, dass ein „Bun-
desinteresse an der Beteiligung schon seit langem nicht
mehr gegeben ist“.
Tatsächlich könnte das Interesse des Bundes an einer
leistungsfähigen Hinterlandanbindung der ZARA-Häfen
Amsterdam und Rotterdam nicht größer sein. Denn al-
leine der Wirtschaftsstandort NRW erwirtschaftet mehr
als ein Fünftel des deutschen Bruttoinlandsproduktes.
Die Bundesregierung gibt mit dem Verkauf die Möglich-
keit aus der Hand, die Zukunft des weltweit größten Bin-
nenhafens am wichtigsten Wirtschaftsstandort Deutsch-
lands weiterhin erfolgreich mitzugestalten, und das nur,
weil sie ihre Sichtweise unnötig auf die deutschen Nord-
seehäfen verengt. Diese sind jedoch für das Einzugsge-
biet des Duisburger Hafens eher uninteressant. Zum
Vergleich: Der Straßentransport eines Frachtcontainers
200 Kilometer ins Hafenhinterland weist dieselbe Ener-
giebilanz auf wie der weltweite Transport desselben
Containers per Frachtschiff von Schanghai bis nach
Rotterdam.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei der Finan-
zierung der dringend nötigen Schienengüterverkehrsan-
bindung zum Duisburger Hafen ab. Obwohl die Bundes-
regierung per schriftlicher Vereinbarung bereits 2002
die Finanzierung des deutschen Anschlusses an die Be-
tu
s
h
E
S
d
d
1
S
N
rh
a
a
n
A
li
v
e
F
o
s
n
B
p
D
fü
v
R
g
b
n
e
e
s
g
s
zu dem Antrag der Abgeordne-
)
politischen und ökonomischen Verhältnissen einen groß-
artigen Beitrag für die Gesellschaft geleistet.
Daher ist es eine Frage der Rentengerechtigkeit, ja
der Anerkennung der Lebensleistung, dass Konten von
Rentnerinnen und Rentnern sauber und korrekt geklärt
werden können. Menschen verdienen Gerechtigkeit.
Um hier Ungerechtigkeiten zu vermeiden und jedem
Versicherten Gelegenheit zu geben, seine Konten zu klä-
ren sowie alle seine rentenanwartschaftsbegründenden
Beschäftigungszeiten und Arbeitsentgelte vollständig zu
erfassen, beschloss der Bundestag im Oktober 2006, die
zum Jahresende 2006 auslaufende Aufbewahrungs-
pflicht um fünf Jahre zu verlängern. Die CDU/CSU hat
diesen Beschluss unterstützt und mehrheitlich mit be-
schlossen.
Diese verlängerte Aufbewahrungsfrist für Lohnunter-
lagen aus DDR-Zeiten läuft zum Jahresende 2011 ab. In
ihrem Antrag fordert die Fraktion Die Linke, diese Auf-
bewahrungsfrist erneut um fünf Jahre zu verlängern,
und zwar über den 31. Dezember 2011 hinaus bis zum
31. Dezember 2016.
Dieser Antrag entspricht scheinbar dem Anliegen der
Rentengerechtigkeit. Leider ist dies nur vordergründig
der Fall. Denn eine beliebig und wiederholt verlängerte
Frist löst kein Problem, sondern verschiebt es willkür-
lich nach hinten hinaus. Wir müssen konstatieren: Trotz
einer Verlängerung im Jahr 2006 haben viele Bürgerin-
nen und Bürger keine Kontenklärung beantragt. Eine
weitere Verlängerung wird dieses Problem nicht lösen.
Auch wird die Verantwortung für die Kontenklärung
hier unverhältnismäßig stark von den Versicherten auf
die Betriebe abgeschoben. Es sind die Arbeitgeber, auf
die die zusätzlichen Lagerkosten und der zusätzliche
Verwaltungsaufwand zukommt. Die Betriebe haben rund
20 Jahre lang im Interesse der Versicherten und der
Deutschen Rentenversicherung die Lohnunterlagen auf-
bewahrt, und das zusätzlich zu den jeweils aktuell zu
speichernden Daten.
Es ist auch zu bemerken, dass viele dieser DDR-Be-
triebe mittlerweile nicht mehr existieren. Das bedeutet,
dass ihre Rechtsnachfolger oder auch private Firmen
sich um die Aufbewahrung der alten Lohnunterlagen
kümmern. Diese werden durch eine Verlängerung der
Fristen unverhältnismäßig stark belastet.
Leider müssen wir auch feststellen, dass die Versäum-
nisse bei der Kontoklärung hauptsächlich darauf zu-
rückzuführen sind, dass die Versicherten ihrer Mitwir-
kungspflicht nicht nachgehen. Ohne aktives Mitwirken
der Versicherten selbst ist die Beschaffung von fehlen-
den Unterlagen durch den Rentenversicherungsträger
kaum möglich. Es geht hier also um eigene Verantwor-
tung und Selbstständigkeit der Versicherten.
Damit sind wir inhaltlich nicht nur bei der Frage
nach Rente und Rentenklärung. Wir sind bei der Frage
nach dem Menschenbild und dem Staatsverständnis.
Hier unterscheiden sich die Ansätze der Linken und der
CDU/CSU grundsätzlich. Für uns steht das mündige
Subjekt im Mittelpunkt der Politik. Dieses kann in Frei-
h
R
s
L
m
s
E
S
n
li
fü
h
K
e
n
u
te
c
P
tu
b
tu
a
D
g
te
n
s
S
F
O
A
A
fr
2
fü
H
§
im
te
b
k
k
d
z
W
n
k
m
s
r
Zu Protokoll ge
)
gierungsfraktionen nicht. Das entspricht einem Anteil
von rund 12 Prozent der Versicherungskonten mit Be-
schäftigungszeiten in der ehemaligen DDR und ist aus
Sicht der SPD-Fraktion nicht zu vernachlässigen. Die
Betroffenen verlören auf diese Weise nicht unerhebliche
Teile ihrer Rentenanwartschaften. Versicherungsrecht-
lich relevante und rentenrelevante Daten drohen somit
verlorenzugehen. Es ist zutiefst beschämend, wie die
CDU/CSU mit ehemaligen DDR-Bürgern umgeht. Das
tut sie nicht nur in diesem Fall, sondern das gilt auch für
den rentenpolitischen Umgang mit ehemaligen DDR-
Flüchtlingen. Die „FDP in Liquidation“ verhält sich da
nicht anders und folgt stillschweigend dem größeren
Partner.
Im Rahmen der Beratungen zum Vierten SGB-IV-Än-
derungsgesetz hat meine Fraktion einen Änderungs-
antrag eingebracht, der unter anderem eben diese Ver-
längerung der Aufbewahrungsfrist von Lohnunterlagen
in DDR-Betrieben zum Gegenstand hatte. Wir waren im
Gegensatz zur Linksfraktion der Meinung, dass dies mit
dem Vierten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze hätte erreicht
werden können, weil die Aufbewahrungsfrist Regelungs-
bestandteil des SGB IV ist.
Die Koalitionsparteien haben unseren diesbezügli-
chen Antrag in der Ausschusssitzung am 30. November
2011 und am darauf folgenden Tag im Plenum des Deut-
schen Bundestages abgelehnt. Auch die Bundesregie-
rung hat sich in dieser Sache trotz entsprechender
Stellungnahmen von Sachverständigen, die für eine Ver-
längerung plädierten, als beratungsresistent erwiesen.
In dem vorliegenden Antrag der Linksfraktion wird
die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der sicherstellt, dass die Frist über den
31. Dezember 2011 hinaus bis zum 31. Dezember 2016
verlängert wird. Der Antrag ist in der Sache richtig und
wird daher von meiner Fraktion unterstützt.
Nach der Beratung im Ausschuss sind wir als FDP-
Fraktion weiterhin überzeugt, dass es keinen nachvoll-
ziehbaren Grund gibt, die im Zuge der deutschen Einheit
beschlossene Sonderregelung für die Aufbewahrung von
Lohnunterlagen für abhängig Beschäftigte aus der DDR
erneut zu verlängern.
Es muss den Rentenversicherungsträgern möglich
sein, die Arbeitgeber im Hinblick auf ihre Meldepflicht
und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV zu über-
prüfen – insbesondere um die Absicherung der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen.
Grundsätzlich ist dafür ein Zeitraum von fünf Jahren
vorgesehen. Um den besonderen Umständen Rechnung
zu tragen, die sich durch die deutsche Einheit ergeben
haben, wurde dieser Zeitraum für Beschäftigte in der
DDR zunächst um zweimal fünf Jahre verlängert, dann
erneut um fünf Jahre – also auf insgesamt 20
Jahre. Eine erneute Verlängerung um fünf Jahre auf
dann insgesamt 25 Jahre ist völlig unangemessen und
v
tu
L
r
d
P
z
re
J
s
n
w
K
in
tr
A
d
c
K
n
J
m
s
g
a
n
s
fü
n
s
a
w
s
fü
r
n
d
a
la
Ih
u
v
a
L
D
Zu Protokoll ge
)
Fraktion, die Linke, sowie die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Aufbewahrungsfrist
von Lohnunterlagen aus DDR-Zeiten verlängern. Die
Fraktionen von Union und FDP wollen das gerade
nicht. Selbst die über 645 000 ungeklärten Rentenkonten
in Ostdeutschland scheinen Sie nicht zu beeindrucken.
Für uns hingegen hat dies eine Dimension, auf die
wir als Gesetzgeber reagieren müssen. Sie hingegen re-
den das Problem klein und sprechen von lediglich
286 000 ungeklärten Rentenkonten in Ostdeutschland.
Diese Zahl stammt – im Ergebnis meiner diesbezügli-
chen Frage an die Bundesregierung – von der Deut-
schen Rentenversicherung Bund und erfasst deshalb
auch nur Versicherte, die dort geführt sind. Die von mir
bei den Regionalstellen der DRV im Sommer erfragten
Zahlen, die in Summe in unserem Antrag enthalten sind,
haben Sie ignoriert.
Ich darf die Zahlen der ungeklärten Rentenkonten
hier anführen: Deutsche Rentenversicherung Berlin-
Brandenburg: Brandenburg – 78 956, Ostberlin –
137 896, Deutsche Rentenversicherung Nord: 57 900,
Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland: 110 000,
alle mit Lücken bis 31. Dezember 1991; 23 000 Versi-
cherte davon sind inzwischen in den alten Bundeslän-
dern.
Auch mir ist klar, dass nicht alle Lücken in den unge-
klärten Rentenkonten mit Beschäftigungszeiten in der
DDR zu tun haben. Aber nach Schätzung der Deutschen
Rentenversicherung Nord sind es in Mecklenburg-Vor-
pommern gut zwei Drittel, nämlich 45 000 von 57 000.
Kaum Erkenntnisse gibt es über die Rentenkonten
derjenigen, die seit 1990 innerhalb des Landes von Ost
nach West gingen oder sich auch außer Landes befinden.
Klar ist auch, dass die Dinge im Fluss sind und sich
mittlerweile viele Betroffene um ihre Lohnunterlagen
gekümmert haben. Monatlich sollen aber immerhin noch
rund 2 600 Anfragen bei den Behörden eingehen. Eine
Größenordnung, die wir meines Erachtens als Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier nicht ignorieren
sollten.
Doch unabhängig davon gibt es einen weiteren stich-
haltigen Grund, die Aufbewahrungsfrist der Lohnunter-
lagen zu verlängern, nämlich die vielen Klageverfahren,
die häufig die Beibringung weiterer Papiere erforder-
lich machen. Diesen Aspekt schlagen Sie einfach in den
Wind.
Und Ihnen ist auch bekannt, dass es – glücklicher-
weise für die Betroffenen – immer wieder auch Urteile
zum Rentenrecht gibt, die nicht nur auf den Kläger ange-
wandt werden, sondern auf analoge Fälle und damit oft
auf größere Gruppen. Für all diese Menschen wird dann
– zumindest potenziell – ein Zugang zu den Lohnunterla-
gen wichtig.
Aber auch die Änderung des Rentenüberleitungsge-
setzes, wie meine Fraktion sie seit Jahren verlangt,
würde einen Zugriff auf die Dokumente nötig machen.
Andere Gesetze können das ebenfalls erfordern. So hat
sich dieser Tage die zuständige Landesbehörde für die
S
d
d
L
m
r
k
in
r
d
n
in
fa
F
s
F
u
fi
n
S
d
w
g
d
A
D
„
D
B
te
u
d
n
s
ti
a
a
k
li
V
tr
R
A
z
d
U
g
A
d
s
fo
p
te
Zu Protokoll ge
Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung
und sowie der DRV Berlin-Brandenburg, der DRV Mit-
ldeutschland und der DRV Nord gibt es rund 648 000
ngeklärte Rentenkonten von Versicherten in den ost-
eutschen Bundesländern. Was diese Zahlen jedoch
icht abbilden, ist die Anzahl derjenigen, die nach Her-
tellung der Einheit von Ost nach West gingen. Laut Sta-
stischem Bundesamt waren das allein bis 2008 mehr
ls 2,7 Millionen Menschen. Es ist leider nicht davon
uszugehen, dass alle ihre Rentenangelegenheiten ge-
lärt haben. Der Deutschen Rentenversicherung Bund
egen keine Zahlen vor, für wie viele Personen dieses
ersichertenkreises noch keine Kontenklärung bean-
agt wurde. Natürlich resultieren nicht alle Lücken in
entenkonten aus Zeiten der Berufstätigkeit in der DDR.
ber die Deutsche Rentenversicherung Nord schätzt
um Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern, dass von
en 57 900 offenen Konten etwa 45 000 wegen fehlender
nterlagen aus DDR-Zeiten noch nicht abschließend
eklärt werden konnten. Das sind mehr als drei Viertel.
ll diese Versicherten werden vom 1. Januar an die Ver-
ienstnachweise aus den Jahren vor 1992 nicht mehr be-
chaffen können, da alle Arbeitgeber und Rechtsnach-
lger von DDR-Betrieben, die zuvor gesetzlich ver-
flichtet waren, die alten Lohnunterlagen aus DDR-Zei-
n aufzuheben, diese nun vernichten können. Was nicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17929
Dr. Martina Bunge
gebene Reden
17930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
belegt werden kann, wird bei der Rentenberechnung
nicht berücksichtigt.
An dieser Stelle verweisen die Kolleginnen und Kolle-
gen der Regierungsfraktionen gerne auf die Glaubhaft-
machung nach SGB VI. Konkret ist eine Glaubhaftma-
chung mit einem Verlust von einem Sechstel des
eigentlichen Anspruchs verbunden. Das wäre eine Be-
lastung vor allem für diejenigen, die längere Zeiten von
Arbeitslosigkeit hinnehmen mussten und ohnehin nur
geringe Rentenansprüche aufgebaut haben. Sie sind
auch ohne diese Lücken von Altersarmut bedroht. Weil
jeder Euro zählt, ist es wichtig, dass wir die Aufbewah-
rungsfrist der Lohnunterlagen von DDR-Betrieben über
den 31. Dezember dieses Jahres hinaus um mindestens
fünf weitere Jahre verlängern.
Zudem gibt es Menschen, für die selbst eine Glaub-
haftmachung schwer, wenn nicht gar unmöglich ist, zum
Beispiel Menschen, die aus der ehemaligen DDR geflo-
hen waren – nachvollziehbarerweise ohne alle Unterla-
gen – und die heute nur noch vage Erinnerung an ge-
naue Beschäftigungszeiten und an das Einkommen
haben.
Die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist hat einen
wesentlich höheren Nutzen als sie Kosten verursacht.
Jede Lücke im Versicherungskonto ist bares Geld wert,
und zwar für den Einzelnen, der oder die bei der Rente
Einbußen wegen Versicherungslücken hinzunehmen hat.
Aber auch für die Gemeinschaft, der allen Zahlen zu-
folge auch ohne diese einheitsbedingten Lücken in den
Erwerbsbiografien ein Anstieg an Grundsicherungsbe-
zugsbeziehenden ins Haus steht. Darüber hinaus ist
auch der Aufwand für die Deutsche Rentenversicherung
nicht zu unterschätzen. Denn bei derart vielen ungeklär-
ten Konten würde sich der Aufwand zur Feststellung von
Rentenansprüchen ohne den weiteren Zugang zu den
Lohnunterlagen massiv erhöhen.
Altersarmut droht besonders in Ostdeutschland. Dort
drohen nach Berechnungen des DIW aufgrund der an-
haltend hohe Arbeitslosigkeit und der Absenkung des
Rentenniveaus die Altersbezüge für künftige Rentnerin-
nen und Rentner massiv zu sinken. Natürlich reicht eine
Verlängerung der Aufbewahrungszeiten für die Lohnun-
terlagen als Maßnahme gegen Altersarmut nicht aus,
sondern wir brauchen insbesondere für den Osten eine
Garantierente, die über dem durchschnittlichen Grund-
sicherungsniveau liegt. Die Garantierente kann und soll
aber eigene Ansprüche nicht ersetzen. Deswegen gilt es
jetzt sicherzustellen, dass die am 31. Dezember 1991 im
Beitrittsgebiet vorhandenen Entgeltunterlagen mindes-
tens bis zum 31. Dezember 2016 vom Arbeitgeber aufbe-
wahrt werden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/8045, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/7486 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Oppo-
s
s
R
g
ti
d
te
r
fe
n
Z
s
m
n
d
g
la
s
s
s
r
tr
p
k
g
c
R
Z
e
D
z
d
s
g
d
e
fu
A
b
)
projekte im Energie- oder im Verkehrsbereich, nicht so
verändern, dass diese sich kaum noch durchsetzen las-
sen. Darauf wird zu achten sein. Ich will noch auf einen
Punkt hinweisen: Es wäre wünschenswert, wenn wir
künftig stärker am Anfang eines Entscheidungsprozesses
hinsichtlich Infrastrukturvorhaben die Bürgerinnen und
Bürger einbinden würden. Ich bin sicher, dass sich da-
durch etliche Klagen am Ende eines Prozesses vermei-
den ließen. Dort müssen wir ansetzen.
Im November 2006 haben wir in der Großen Koali-
tion das Umwelt-Rechtsbehelfs-, das Öffentlichkeitsbe-
teiligungs- und das Aarhus-Übereinkommen-Gesetz ver-
abschiedet. Diese Gesetze sollten zu mehr Transparenz
bei Planungs- und Genehmigungsverfahren und zu
einem verbesserten Rechtsschutz für die Umweltver-
bände führen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat diesen
Gesetzentwürfen seinerzeit zugestimmt, nicht zuletzt
weil bereits ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig
war und die Zeit für die Umsetzung der jeweiligen EU-
Richtlinien und des Aarhus-Übereinkommens drängte.
Allerdings wies die Arbeitsgruppe Umwelt der SPD-
Bundestagsfraktion – und so auch ich – bereits damals
in einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages darauf hin, dass das Umwelt-
Rechtsbehelfsgesetz in der vorliegenden Fassung nach
unserer Einschätzung nicht den Vorgaben gerecht wird,
die durch das Aarhus-Übereinkommen und in der EG-
Richtlinie zu den Rechtsbehelfen gefordert werden. Wir
waren der Auffassung, dass das europarechtliche Ziel,
der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu
den Gerichten zu gewähren, nur durch ein unbeschränk-
tes Verbandsklagerecht umgesetzt werden kann. Genau
dies sah der Gesetzentwurf aber nicht vor – und genau
deswegen ist Deutschland jetzt vom Europäischen
Gerichtshof verklagt worden.
Bitte machen Sie sich Folgendes bewusst: Ursächlich
für das mangelhafte Umsetzen der EU-Vorgaben war die
Angst vor dem Bürger in den Reihen der Union sowie in
Teilen der Ministerien und der Bundesländer. Aber auch
die Wirtschaftsverbände waren gegen den weiten Zu-
gang zu Gerichten, wie es das Aarhus-Übereinkommen
und europäisches Recht vorsahen. Es wurde das
Schreckgespenst der Klageflut heraufbeschworen und
davor gewarnt, dass in Deutschland Bau- und Infra-
strukturprojekte überhaupt nicht mehr oder bestenfalls
nach jahrelangem Rechtsstreit und zu gestiegenen Kos-
ten realisiert werden können. Mittlerweile stellt sich
heraus, dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist: Nur
mit einer zeitnahen und umfangreichen Beteiligung kön-
nen kostspielige Auseinandersetzungen erst vermieden
werden.
Leider ging auch der damalige Referentenentwurf des
Innenministeriums zur Vereinheitlichung und Beschleu-
nigung von Planfeststellungsverfahren in die falsche
Richtung. Der Gedanke hinter diesem Referentenent-
wurf war es, den Bürger möglichst aus dem Planfeststel-
lungsverfahren herauszuhalten, weil dies angeblich zu
einer Beschleunigung des Verfahrens führen würde. Spä-
te
D
D
tu
h
S
im
D
s
g
e
fa
a
fü
im
d
B
im
g
d
e
n
fü
g
E
„
n
B
e
a
z
g
b
b
U
1
r
g
R
ü
ö
R
u
k
in
G
U
d
te
n
s
Zu Protokoll ge
)
Damit sind die Klagemöglichkeiten für Umweltver-
bände nach geltendem deutschen Recht auf drittschüt-
zende, und auf Europarecht basierende, Normen be-
schränkt. Dies ist nach dem genannten EuGH-Urteil
europarechtswidrig. Es bedarf somit einer Anpassung
des deutschen Rechts an die europarechtlichen Vorga-
ben.
Hieraus ergibt sich Handlungsbedarf für den deut-
schen Gesetzgeber. Denn die Grundsätze der EuGH-
Entscheidung gelten bereits jetzt unmittelbar für alle
laufenden und zukünftigen gerichtlichen Verfahren.
Des Weiteren hat sich das EuGH-Urteil nur zur Rüge-
fähigkeit von umweltbezogenen Vorschriften des EU-
Rechts geäußert. In Bezug auf rein nationale Umwelt-
vorschriften besteht daher auch nach dem EuGH-Urteil
Rechtsunsicherheit bezüglich des Umfangs der Rüge-
pflicht.
Die Koalitionsfraktionen haben daher bereits gehan-
delt und einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den
Weg gebracht. Dieser befindet sich derzeit noch in der
Ressortabstimmung und wird voraussichtlich im Früh-
jahr nächsten Jahres in den Bundestag eingebracht wer-
den.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen gibt als
Grund für den Änderungsbedarf auch eine solche An-
passungsnotwendigkeit an die europarechtlichen Vorga-
ben an. In Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung ent-
fällt daher in § 2 Abs. 1 und Abs. 5 die Beschränkung auf
die Schutznormlehre, indem die Worte „Rechte Einzel-
ner begründen“ gestrichen werden.
Im Weiteren und in seinen Forderungen geht der Ge-
setzentwurf jedoch deutlich über die mit dem EuGH-Ur-
teil vorgegebenen Anpassungsnotwendigkeiten hinaus.
Diese weitergehenden Forderungen halten wir für unbe-
gründet und lehnen den Gesetzentwurf der Fraktion der
Grünen daher ab.
Denn als liberale Partei wollen wir in Deutschland
Vorhaben verwirklichen und nicht ausbremsen. Schon
jetzt dauern Genehmigungsverfahren in Deutschland zu
lange. Durch die in dem Gesetzentwurf der Grünen ge-
forderten Änderungen würden die Klagemöglichkeiten
deutlich ausgeweitet.
Gestrichen wird – über das Urteil des EuGH hinaus-
gehend –, dass die dem Umweltschutz dienenden Vor-
schriften „für die Entscheidung von Bedeutung sein
können“. Dieser Vorschlag geht deutlich über den Um-
setzungsbedarf, der sich aus der EuGH-Entscheidung
ergibt, hinaus.
Ebenso ohne Veranlassung durch das EuGH-Urteil
wird der bisherige § 4 „Fehler bei der Anwendung von
Verfahrensvorschriften“ geändert, indem der Begriff
„wesentliche Verfahrensvorschriften“ in Satz 1 einge-
fügt wird und in Satz 2 erläutert wird, welches diese
„wesentlichen Verfahrensvorschriften“ sind. Die dort
genannten Ziffern 1 und 2 sind jedoch mit der geltenden
Fassung identisch.
Außerdem fordert der Gesetzentwurf, ebenfalls über
die europarechtlichen Forderungen hinaus, neben den
a
tu
a
li
n
a
h
w
V
w
u
tr
in
w
D
w
r
le
s
li
e
h
fo
re
fa
a
n
n
d
a
d
G
a
b
s
S
d
d
b
k
S
w
k
h
w
re
d
re
b
G
Zu Protokoll ge
)
der Beispiele ließe sich fortführen – mir fallen da als
Erstes die Bürgerproteste ein. Oft handelt es sich dabei
um überregionale Großvorhaben, die sehr viel Geld kos-
ten, meistens die volle Unterstützung der jeweiligen
Landesregierung haben und häufig auch von Bundesin-
teresse sind. In der Bevölkerung sind sie dagegen oft
umstritten; denn trotz langer Planungsverfahren haben
die Menschen vor Ort dabei nicht wirklich viel zu sagen.
Deshalb gehen Bürgerinnen und Bürger immer öfter auf
die Straße, um gegen so riesige Vorhaben, die ihr Um-
feld und ihre Umwelt, also ihr Leben, ihren Alltag verän-
dern werden, zu protestieren. Es sind keine Wutbürgerin-
nen und Wutbürger, wie sie so gerne etwas abfällig
genannt werden. Nein das sind Menschen, die wissen
wollen: Was, warum, wann und auch wie?
In unserem Land wird viel über die Beteiligung der
Öffentlichkeit gesprochen. In Genehmigungsverfahren
für Vorhaben mit Umweltauswirkungen ist sie sogar ge-
setzlich vorgeschrieben. Aber so, wie das bisher in
Deutschland abläuft, funktioniert das nicht. Der Öffent-
lichkeit und den Umweltverbänden werden die bereits
fertigen Planungen vorgelegt. Dann bleiben einige Wo-
chen Zeit, um alles zu begutachten und gegebenenfalls
Kritikpunkte einzubringen. Ein Beispiel ist der Ausbau
des Flughafens Berlin-Schönefeld. Hier wurden den
Bürgerinnen, Bürgern und Umweltverbänden 37 prall
gefüllte Aktenordner mit Planungsunterlagen auf den
Tisch gestellt. Eine Begutachtung in den gesetzten Fris-
ten war daher fast aussichtslos. Bei dieser Art öffentli-
cher Beteiligung ist der Gang vor Gericht praktisch vor-
programmiert. Klagen durfte aber lange Zeit nur, wer
sich direkt in seinen Persönlichkeitsrechten einge-
schränkt sah.
Mehr öffentliche Beteiligung zur Teilhabe und Mitge-
staltung der Gesellschaft, das stand in der EU schon
2005 auf der Tagesordnung. Nach europäischem Recht
ist seitdem nicht nur eine umfassende und frühzeitige In-
formation der Öffentlichkeit bei Großvorhaben Pflicht,
sondern es kann auch eine umfassende gerichtliche
Kontrolle der Genehmigungen von Umweltverbänden
eingeklagt werden.
Auch wenn die Bundesregierung immer so tut, als
hätte sie die Beteiligung der Zivilgesellschaft erfunden,
hinkt sie dem EU-Recht hinterher. Umweltverbände dür-
fen in Deutschland zwar gegen die Verletzung von Vor-
schriften zum Schutz der Bevölkerung klagen, aber im-
mer noch nicht zum Schutz der Natur selber.
Ein armes Land wie Ecuador dagegen hat den Schutz
der Natur in die Verfassung aufgenommen. Dort ist fest-
gelegt, dass die Bevölkerung in einer „gesunden und
ökologisch ausgeglichenen Umwelt“ leben soll; zudem
wird der Schutz und Erhalt der Umwelt als „öffentliches
Interesse“ anerkannt. Und wir in unserem reichen
Deutschland haben es nicht einmal in sechs Jahren ge-
schafft, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzuset-
zen. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt den Umwelt-
verbänden recht gegeben. Auch Deutschland muss die
gerichtliche Prüfung der Genehmigung von Großvorha-
ben auf ihre Naturverträglichkeit zulassen.
n
s
s
2
D
g
M
U
J
le
h
z
m
d
A
U
G
s
v
s
n
g
s
H
im
W
d
A
u
d
u
d
je
a
fü
w
s
s
e
g
a
tu
K
d
k
d
D
M
v
Zu Protokoll ge
)
gesetzes auch im deutschen Umweltrecht hohe Stan-
dards zu setzen. Wir Grüne vermissten schon damals,
dass den Verbänden adäquate Beteiligungsrechte einge-
räumt werden. Wir Grüne haben auch schon damals das
Gleiche gefordert wie heute; der Europäische Gerichts-
hof hat uns recht gegeben. Sie hätten sich viel Ärger
ersparen können, wenn Sie auf uns gehört und eine
umfassende Umsetzung des EU-Rechtes im Sinne der
stärkeren Beteiligung der Öffentlichkeit vorangetrieben
hätten.
Sie wollten sich damals nicht von uns überzeugen las-
sen, was uns nicht überrascht. Aber wären Sie doch der
Empfehlung des Sachverständigenrats für Umweltfra-
gen, des offiziellen Regierungsberatungsgremiums,
gefolgt! Der schrieb damals an den Umweltausschuss:
Der SRU hält den vorliegenden Gesetzentwurf in einem
entscheidenden Punkt für sachlich unbefriedigend und
europarechtlich fragwürdig, nämlich hinsichtlich der
Beschränkung der Verbandsklage darauf, die Verletzung
individueller Rechte geltend machen zu können.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigte
nun fünf Jahre später diese Einschätzung des Sachver-
ständigenrates für Umweltfragen vollkommen. Das war
mal wieder ein Beweis für die unschätzbare Kompetenz
des SRU. Dass einige Kolleginnen und Kollegen Pro-
bleme haben, den guten fachlichen Rat des SRU anzu-
nehmen, haben insbesondere die Koalitionsfraktionen in
den letzten Tagen wieder in peinlichster Art und Weise
bewiesen.
Aber vergessen wir die Fehler der Vergangenheit!
Lassen Sie uns gemeinsam endlich eine europa- und völ-
kerrechtlich konforme Anpassung des deutschen
Umweltrechts vornehmen! Genau dem dient unser
Gesetzentwurf. Wir hoffen, dass Sie sich einen Ruck
geben und diesen Entwurf konstruktiv mit uns in den
Ausschüssen beraten, damit wir möglichst schnell zu
einer Verabschiedung des Gesetzes kommen. Spätestens
im Mai 2012, zum ersten Jahrestag des „Trianel“-
Urteils, sollte eine entsprechende Gesetzesänderung in
Kraft getreten sein. Das sind wir den Bürgerinnen und
Bürgern, die sich für die Rechte der Umwelt engagiert
einsetzen, schuldig.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/7888 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Werner, Annette Groth, Wolfgang Gehrcke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Menschenrechte und Demokratie in den Staa-
ten des Südkaukasus fördern
– Drucksache 17/7645 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe
R
g
li
w
s
u
te
M
p
s
s
e
re
k
n
u
lu
m
d
k
d
A
d
w
K
z
s
e
s
p
G
H
d
ti
g
s
d
d
d
e
ta
s
A
d
c
g
fü
m
g
)
Der Aktionsplan, der im Rahmen der Europäischen
Nachbarschaftspolitik mit Aserbaidschan im Jahr 2006
vereinbart wurde, enthält wichtige Reformforderungen
in den Bereichen Justiz und Verwaltung, Bürgerrechte
und demokratische Standards. Dringend notwendig sind
Reformen – das ist besonders hervorzuheben; denn trotz
der nunmehr zehnjährigen Mitgliedschaft der drei Süd-
kaukasusstaaten im Europarat und den damit verbunde-
nen menschenrechtlichen Verpflichtungen, bestehen
große Defizite bei der Umsetzung der Menschenrechte.
So ist Angaben von Menschenrechtsgruppen zufolge von
einer Vielzahl politischer Gefangener in Aserbaidschan
auszugehen. Der Sonderberichterstatter des Europara-
tes für politische Gefangene, der Abgeordnete Christoph
Strässer, erhielt bislang kein Einreisevisum, um prüfen
zu können, inwieweit die Standards der Europäischen
Menschenrechtskonvention eingehalten werden. Inter-
nationale Organisationen und Oppositionelle werfen
der Regierung Aserbaidschans Einschränkungen bür-
gerlicher Grundrechte vor. Presse- und Meinungsfrei-
heit sind ebenso wie Versammlungsfreiheit stark einge-
schränkt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und
die Freiheit der Medien sind auch in Armenien stark ein-
geschränkt. Kritische Journalisten werden in ihrer Ar-
beit behindert. Eine fehlende Unabhängigkeit der Justiz
ist auch für Armenien zu beanstanden.
In Georgien sind die Demokratieversprechen noch
nicht eingelöst. Deutschland stellte in den vergangenen
sieben Jahren Mittel in Höhe von rund 3 Millionen Euro
für den Aufbau einer rechtsstaatlichen und unabhängi-
gen Justiz zur Verfügung. Die Chancen Georgiens, auf
dem Weg der Reformen im Bereich der Menschenrechte
voranzukommen, erhöhen sich wesentlich durch die eu-
ropäische Politik der „Östlichen Partnerschaft“ und die
im Sommer 2010 aufgenommenen Verhandlungen über
ein Assoziierungsabkommen. Die Menschenrechte und
die Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern
Deutschland und die Europäische Union bereits vielfäl-
tig. Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab, da er in be-
kannter Tradition der Verfasser ein unrealistisches Bild
zeichnet und unterstellt, dass dem nicht so sei.
Die Europäische Union bezieht die Länder des Süd-
kaukasus – Armenien, Georgien und Aserbaidschan –
seit 2004 in ihre Nachbarschaftspolitik ein. Bei allen
wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen
Europas gilt es vor allem, die Lage der Menschen in die-
ser Region in den Fokus zu nehmen. Die Forderung
nach einer Förderung von Menschenrechten und Demo-
kratie in den Staaten des Südkaukasus ist daher aus-
drücklich zu begrüßen.
Alle drei Staaten haben – jeweils spezifisch – nach ih-
rer Unabhängigkeit eine Reihe innenpolitischer, wirt-
schaftlicher und sozialer Entwicklungen und Konflikte
durchlaufen, ja sogar Kriege erlebt. Eine vollständige
Stabilität ist noch nicht erreicht, und wir tun gut daran,
diese Länder im Rahmen der Nachbarschaftspolitik wei-
ter auf ihrem Weg zu begleiten, auch weil die Folgen der
Kriege, in erster Linie die Menschenrechtsverletzungen
durch Flucht und Vertreibung, noch aufgearbeitet und
d
g
in
s
E
K
h
w
d
m
g
c
w
s
u
tr
z
o
E
c
g
p
d
k
h
u
c
c
e
a
s
d
g
s
c
re
M
re
s
b
n
L
s
g
A
ti
E
E
n
P
m
E
Zu Protokoll ge
)
eben auch untrennbar mit dem Begriff der Freiheit ver-
bunden.
Wir lehnen es ab, Festlegungen auf eine bestimmte
Form der Gesellschaft oder Wirtschaft zu betreiben. Un-
ser Maßstab ist die Einhaltung der wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte in den Unternehmen und
Staaten.
Lassen Sie uns vielmehr die Länder des Südkaukasus
begleiten und die Gesellschaften der jeweiligen Länder
auf ihrem spezifischen, eigenen Weg zu Demokratie und
Menschenrechten unterstützen. Unser Fokus muss dabei
auf den Menschen und der Zivilgesellschaft liegen; ihre
Interessen und ihre Rechte gilt es im Rahmen der Nach-
barschaftsbeziehungen zu befördern – oder falls not-
wendig: einzufordern.
Am 26. Mai 2012 findet in Baku das Finale des Euro-
vision Song Contest statt. Das ist ein Anlass, bei dem
sich Besucher, Reporter und die Öffentlichkeit sicher tie-
fer mit dem Land auseinandersetzen werden. Die parla-
mentarische Versammlung des Europarates, bei der ich
mit großem Herzblut dabei bin, hat in der Junisitzung ei-
nen wichtigen Bericht von meinem sehr geschätzten Kol-
legen Dick Marty angenommen. Er hat dabei den Be-
richt, Dok. 12634, vorgestellt mit dem Titel „The
progress of the Assembly’s monitoring procedure“ und
dabei eine Reihe von Staaten untersucht, nämlich zehn
Staaten, die dem Monitoring unterliegen und vier, die
dem sogenannten Postmonitoring unterliegen.
Dabei stellt sein Memorandum unter Punkt 22 fest,
dass bei den Wahlen in Aserbaidschan im November
2010 eine Reihe von Unzulänglichkeiten aufgetreten ist,
nicht nur am Wahltag selbst. Die notwendigen Voraus-
setzungen für kompetitive Wahlen waren nicht gegeben.
Es gab unter anderem keine ausbalancierte Medien-
berichterstattung und eine Reihe von Hürden bei der
Registrierung von Parteien oder bei der Ermöglichung
eines freien Wahlkampfs. Überdies führt der Bericht aus,
dass es bei den fundamentalen Menschenrechten, insbe-
sondere bei der freien Meinungsäußerung und der Ver-
sammlungsfreiheit „outstanding concerns“, also sehr
große Besorgnis, gibt. Dies wird auch von Amnesty
International bestätigt: Journalisten und zivilgesell-
schaftliche Aktivisten werden Schikanen ausgesetzt.
Nicht nur die Versammlungsfreiheit wird von den aser-
baidschanischen Behörden massiv eingeschränkt.
Die konstante Zunahme von Repressionen gegenüber
Andersdenkenden – im Inland wie im Ausland – ist
besonders auffällig. Ausweislich des Berichts von Am-
nesty International „The Spring That Never Blossomed –
Freedoms suppressed in Azerbaijan“ wurde die Mei-
nungsfreiheit seit 2009 noch weiter eingeschränkt. Wirt-
schaftlicher Wohlstand und relative Stabilität täuschen
nicht darüber hinweg, dass die Regierung in Baku die
Zügel weiter anzieht. Zunehmend richtet sich die Verfol-
gung auch gegen Meinungsäußerungen im Internet, so
der Bericht von Amnesty. Blogger, die zu Protesten auf-
rufen, werden verhaftet und Internetnutzer insgesamt
g
m
m
h
lu
d
B
v
p
w
V
p
2
k
fü
a
s
ti
m
E
im
F
E
z
B
in
re
r
m
b
s
d
m
ro
h
W
a
re
s
R
d
d
u
S
d
a
V
ti
te
d
b
n
E
Ö
s
e
e
b
g
Zu Protokoll ge
)
Aber auch ein Blick nach Armenien selbst ist notwen-
dig. So kritisierte Amnesty International die Vorgänge
nach der Präsidentschaftswahl 2008. Infolge von Mas-
senprotesten wegen der umstrittenen Präsidentschafts-
wahl im Februar wurde für 20 Tage der Ausnahmezu-
stand verhängt, woraufhin bürgerliche sowie politische
Rechte für den Rest des Jahres rigoros beschnitten blie-
ben. Die Rechte auf Versammlungsfreiheit und freie Mei-
nungsäußerung waren stark eingeschränkt. Nach ihrem
Besuch in Armenien im September 2010 äußerte sich die
UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen
besorgt über Misshandlungen und Prügel gegen Unter-
suchungsgefangene und Häftlinge. Auch beanstandete
sie, dass Untersuchungsgefangene unter Druck gesetzt
wurden, um ihnen Geständnisse abzupressen. Auch
Armenien gilt also aufgefordert, die Europäische Men-
schenrechtskonvention voll umzusetzen. Im Bericht von
Dick Marty, den ich zu Beginn erwähnt habe, wird
Armenien zudem aufgefordert, gerade im Hinblick auf
die Wahlen im Mai 2012 eine umfassende Wahlrechtsre-
form umzusetzen, mit dem Ziel, faire und gleiche
Bedingungen für alle Wahlbewerber herzustellen und
das öffentliche Vertrauen in den Wahlprozess zu erhö-
hen.
Zum Schluss erlauben Sie mir, dass ich noch kurz auf
Georgien eingehe. Ausführlich werden wir dies im Aus-
schuss tun. Wir wissen, dass der Aufarbeitung der Ver-
stöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die während
des Kriegs zwischen Georgien und Russland im August
2008 und unmittelbar danach begangen wurden, eine
ganz entscheidende Rolle zukommt; denn es gibt eine
Reihe von Nachwirkungen. Die EU hat seit dem geor-
gisch-russischen Krieg eine wichtige Rolle bei der Kon-
fliktlösung, unter anderem durch die EU-Beobachter-
mission EUMM. Zu den Eckpfeilern der EU-Politik
gehören die territoriale Integrität und Souveränität Ge-
orgiens, die Ablehnung des Aufbaus russischer Militär-
basen in Abchasien und Südossetien und der Aufruf zur
friedlichen Konfliktlösung unter Nutzung der EU-ge-
führten Genfer Gespräche. Die Probleme des Südkauka-
sus sind vielfältig. Die bislang ungelösten Regionalkon-
flikte in der Region bereiten weiterhin Grund zur Sorge.
Sie haben unmittelbaren Einfluss auf die Menschen-
rechtslage und damit die Lebenssituation der Menschen
vor Ort. Daher ist das abgestimmte Vorgehen der Bun-
desregierung mit seinen Partnern in EU und OSZE wei-
terhin fortzusetzen und zu begrüßen.
Die Europäische Union verhandelt gegenwärtig mit
den Staaten des Südkaukasus über den Abschluss von
Assoziierungsabkommen für umfassenden Freihandel.
Die Linke interessiert sich dafür, wie sich die bisherige
Nachbarschaftspolitik der EU auf die Menschenrechts-
situation in den Südkaukasusländern ausgewirkt hat. Es
muss geprüft werden, ob die Politik der Bundesregie-
rung und der EU überhaupt der Förderung von Demo-
kratie zugutekommt oder ob damit vor allem eigene Inte-
ressen verfolgt werden.
Die EU-Nachbarschaftspolitik im Südkaukasus trägt
in erheblichem Maß dazu bei, dass die Entwicklung von
M
v
te
W
m
te
lo
E
te
G
s
p
e
a
E
M
h
n
d
s
g
g
W
e
k
S
la
s
k
N
s
g
s
s
ü
s
E
in
ü
L
s
k
d
s
z
m
re
E
n
m
w
s
C
6
s
z
G
g
8
Zu Protokoll ge
)
schiede sind schon beachtlich. Dennoch sagt die Linke:
Jede und jeder Oppositionelle in Haft ist eine bzw. einer
zu viel. Alle haben ein Recht auf faire Gerichtsverfahren
und müssen gegebenenfalls freigelassen werden.
Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in allen drei
Ländern nicht frei von politischer Bevormundung durch
staatliche Stellen. Armenien hat in diesem Bereich in
den letzten Jahren aber Verbesserungen erzielt. Aus die-
sem Grund möchte ich mit Nachdruck an die armenische
Regierung appellieren, auch das Einreiseverbot gegen
den bekannten Journalisten André Widmer aufzuheben,
der kritisch über die Situation in den armenisch besetz-
ten Gebieten in Aserbaidschan berichtet hat.
Bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechten nimmt Aserbaidschan den Spitzenplatz ein. Bei
der Religionsfreiheit und den Rechten von Minderheiten
kann das Land auf eine lange historische Tradition der
gesellschaftlichen Toleranz zurückblicken, von der auch
manche EU-Staaten lernen könnten. Zudem hat der
Staat mittels einer aktiven Umverteilungspolitik und
massiver staatlicher Infrastrukturinvestitionen die vor-
mals hohe Massenarmut und Massenerwerbslosigkeit
nachhaltig abgebaut. Die grundsätzliche Entwicklungs-
richtung stimmt, auch wenn noch finanzielle Spielräume
für die Steigerung der Masseneinkommen und für stär-
keren sozialen Ausgleich bestehen. Die erzielten Erfolge
sollten allerdings gewürdigt werden, dies gehört aus un-
serer Sicht zu einer ehrlichen Menschenrechtsbilanz
dazu.
In Georgien und Armenien ist die soziale Situation
dagegen sehr angespannt und von dauerhafter Massen-
armut geprägt. Den dahinterliegenden Zusammenhang
kennen wir auch aus dem eigenen Land: Durch unge-
hemmten Marktradikalismus werden Menschen ihrer so-
zialen Rechte beraubt und materiellen Existenznöten
ausgesetzt. Wenn der Staat hingegen wirtschaftlich in-
terveniert, können soziale Rechte gesichert oder vielfach
erst durchgesetzt werden.
Die Entwicklung von Menschenrechten und Demo-
kratie erfordert ein stabiles gesellschaftliches Umfeld
und geeignete politische Rahmenbedingungen. Ein
großes Hindernis sind hierbei die territorialen und zwi-
schenstaatlichen Konflikte im Südkaukasus. Insbeson-
dere der Konflikt zwischen Armenien und Aserbai-
dschan um Berg-Karabach droht in jüngster Zeit wieder
aufzuflammen. Verletzungen des Waffenstillstands an
der sogenannten Kontaktlinie sind eher die Regel als die
Ausnahme. Im Frühjahr 2011 wurde der erst neunjäh-
rige Fariz Badalov von einem mutmaßlichen Scharf-
schützen getötet, und vor wenigen Tagen verloren erneut
zwei junge Soldaten ihr Leben.
Die Linke fordert einen absoluten Gewaltverzicht und
die friedliche Lösung des Konflikts. Der Konflikt muss
auf Basis des Völkerrechts gemäß den Beschlüssen der
UNO und den Vereinbarungen der Minsker Gruppe der
OSZE gelöst werden. Die Linke hat einseitige Sezessio-
nen stets abgelehnt und verteidigt die Prinzipien der ter-
ritorialen Integrität und staatlichen Souveränität. Zwi-
schen dem Selbstbestimmungsrecht und der territorialen
Integrität besteht kein zwangsläufiger Widerspruch. Das
S
n
k
m
A
d
tr
ih
M
s
re
D
w
d
s
G
R
K
fü
S
r
R
d
S
s
Ic
L
o
N
b
s
le
P
d
M
s
je
s
ti
tu
s
w
d
n
U
v
a
fr
s
s
n
D
le
Zu Protokoll ge
Europa und besonders auch Deutschland widmen der
egion Südkaukasus zu wenig Aufmerksamkeit. Der
aukasus wird im Allgemeinen nur als Transitstrecke
r Pipelines wahrgenommen. Oder er gerät in die
chlagzeilen, wenn es richtig kracht, wie bei der kriege-
ischen Auseinandersetzung zwischen Georgien und
ussland im August 2008. Deshalb freue ich mich, dass
ie Linken einen Antrag zu den Menschenrechten im
üdkaukasus vorgelegt haben. Auch wir Grünen be-
chäftigen uns intensiv mit den Staaten im Südkaukasus.
h selbst bereiste in den letzten beiden Jahren alle drei
änder und führte ausführliche Gespräche sowohl mit
ffiziellen Vertreterinnen und Vertretern als auch mit
ichtregierungsorganisationen.
Zunächst zur Außenpolitik. Bereits im Mai 2009 ha-
en die Mitgliedstaaten der EU im Rahmen der Europäi-
chen Nachbarschaftspolitik, ENP, das an die regiona-
n Bedingungen angepasste Programm der Östlichen
artnerschaft, ÖP, aufgelegt. Das übergeordnete Ziel
ieser Partnerschaft lautet, durch die Förderung von
arktwirtschaft und Demokratie die östlichen Nachbar-
taaten der EU nachhaltig zu stabilisieren. Mithilfe der
tzt aufgelegten Neuausrichtung sollen mittels einer
tärkeren Konditionalisierung von EU-Hilfen demokra-
sche Reformprozesse gestärkt werden. Bei Nichteinhal-
ng von Menschenrechts- und Demokratiestandards
ollen EU-Finanzhilfen gekürzt werden und möglicher-
eise auch Sanktionen greifen. Das heißt umgekehrt,
ass die Umsetzung der Reformschritte durch die Part-
erländer durch eine zielgerichtete Erhöhung der EU-
nterstützung belohnt wird.
„Die Menschen in den Partnerstaaten müssen direkt
om politischen Wandel in ihrem Land profitieren“, so
ntwortete die Bundesregierung in unserer Kleinen An-
age zur Neuausrichtung der Europäischen Nachbar-
chaftspolitik. Wir fordern daher die Stärkung der Zu-
ammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
Ich beginne mit Georgien. Ich stimme den Kollegin-
en und Kollegen der Linksfraktion in einem Punkt zu:
ie Menschenrechtslage in Georgien hat sich in den
tzten Jahren leider verschlechtert. Wir bewerten die
17938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Katrin Werner
gebene Reden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011 17939
Viola von Cramon-Taubadel
)
)
autoritären Tendenzen des Saakaschwili-Regimes sehr
kritisch. Die Bereitschaft des Präsidenten Saakaschwili,
für seinen Machterhalt auf repressive Mittel zurückzu-
greifen, erregt große Besorgnis. Die Schere zwischen
Arm und Reich ist größer geworden. Die Regierung ig-
noriert die sozialen Fragen weitgehend. Anzuerkennen
sind die Erfolge, die Saakaschwili in der Korruptionsbe-
kämpfung erzielt hat. So liegt Georgien jetzt auf
Platz 68, nachdem es 2005 noch auf Platz 130 von
178 bewerteten Ländern lag. Aber dieser Erfolg kann
nicht davon ablenken, dass soziale Mindeststandards
und Umverteilungsinstrumente fehlen. Die Arbeitslosig-
keit liegt bei etwa 17 Prozent, und etwa 30 Prozent der
Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Wir for-
dern die Bundesregierung auf, sich gegenüber der geor-
gischen Regierung für mehr Vielfalt in der politischen
Landschaft und vor allem auch für die Freilassung aller
politischen Gefangenen einzusetzen.
Die Lage der Binnenflüchtlinge ist noch immer unbe-
friedigend. 60 Millionen Euro erhält Georgien im Zeit-
raum 2011 bis 2013 aus dem Nachbarschafts- und Part-
nerschaftsinstrument der EU. Diese Mittel sollen nach
Auskunft der Bundesregierung unter anderem für die
Verbesserung der Lebensbedingungen der Binnenver-
triebenen aufgewendet werden.
Armenien, das kleinste der drei südkaukasischen
Staaten, kämpft nicht erst seit der Wirtschaftskrise 2008
ums wirtschaftliche Überleben. Die Industrie ist unter-
entwickelt, investiert wurde vor allem im Bausektor, die
Abhängigkeit von Überweisungen aus der Diaspora ist
immens. Ebenso verhindern Nepotismus, Korruption
– Armenien nimmt nach Transparency International im
Jahr 2010 Platz 134 von 178 ein – und ein ineffizientes
Steuersystem eine positive Wirtschaftsentwicklung. Der
Ombudsmann für Menschenrechte beklagt eklatante
Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Misshandlun-
gen auf Polizeiwachen, in Gefängnissen und der Psychi-
atrie. Seine Berichte führen leider kaum zu Veränderun-
gen.
Aserbaidschan ist das größte und bevölkerungs-
reichste Land des Südkaukasus. Die aserbaidschanische
Wirtschaft hängt an der Erdöl- und Erdgasindustrie.
Das ist der Grund für eine beeindruckende Wirtschafts-
entwicklung und positive Außenwirtschaftsdaten. Die
Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion loben
Aserbaidschan, weil die Regierung viel Geld in Sozial-
programme pumpt. Es ist sicher richtig, dass die Armut
in Aserbaidschan aufgrund der Einnahmen aus Öl und
Gas geringer ist als in Georgien oder Armenien, aber
sehr viel Geld fließt in die Aufrüstung, alleine 2010 sind
es knapp 1,5 Millionen US-Dollar. Präsident Ilham
Alijew regiert autokratisch. Die starke Einschränkung
von Medien- und Versammlungsfreiheit in Aserbai-
dschan beeinträchtigt die demokratische Chancen-
gleichheit. Die seit langem verzögerte Umsetzung von
eigens unterschriebenen Vorgaben des Europarates, ins-
besondere hinsichtlich der Medienfreiheit, muss scharf
kritisiert werden. Eine ganze Reihe führender Mitglieder
von Oppositionsparteien sowie weitere Aktivisten sitzen
in Untersuchungshaft. Blogger werden bedroht und ver-
folgt.
s
D
P
e
a
E
E
d
E
a
s
J
s
s
u
n
d
D
fü
v
d
R
g
g
w
te
In
2
g
z
g
w
in
z
)
Die Behauptung, die Teilnehmerzahlen seien infolge
von Sparmaßnahmen gesunken, ist falsch. Die Zahl der
Teilnehmer ist zwar in der Tat leicht rückgängig. Das ist
aber auf gesunkene Neuzuwandererzahlen zurückzufüh-
ren. Zudem ist die Zahl der bereits länger in Deutsch-
land lebenden Migranten mit eigenem Teilnahmeinte-
resse gesunken, da die Kurse bereits seit einigen Jahren
laufen. Darüber hinaus wird das Angebot an Kursen
inzwischen bedarfsgerechter ausgebaut, erkennbar zum
Beispiel an den Frauen- und Elternintegrationskursen.
Lassen Sie mich festhalten: Jeder Teilnahmeberechtigte
kann heute damit rechnen, innerhalb von circa vier Wo-
chen nach Antragstellung seinen Kurs zu beginnen.
Lassen Sie mich nun auf die einzelnen vermeintlichen
Missstände, die im Antrag aufgeführt werden, eingehen:
Bei den Integrationskursen der Bundesregierung wird
nicht gespart – und das trotz der angespannten Haus-
haltslage. Im Gegenteil: Die Mittel für die Kurse werden
im kommenden Jahr sogar noch einmal erhöht, und
zwar um weitere 6 Millionen Euro auf insgesamt
224 Millionen Euro.
Auch die Mindestvergütung der Lehrkräfte wird zu
Unrecht angegriffen. Zwar lässt sich nach Aussage des
BAMF kein Zusammenhang zwischen der Entlohnung
und der Qualität der Kurse feststellen. Ich halte dennoch
eine angemessene Entlohnung der Kursleiter für wichtig
und selbstverständlich. Hier ist aber die Bundesregie-
rung der falsche Ansprechpartner: Für die Bezahlung
der Lehrkräfte sind allein die zugelassenen Kursträger
verantwortlich. Derzeit gibt es über 1 400 Integrations-
kursträger. Deshalb fällt die Bezahlung der Kursleiter
entsprechend unterschiedlich aus. Der überwiegende
Teil der Kursträger wirtschaftet effizient und verantwor-
tungsvoll mit den Geldern, die zur Durchführung der
Integrationskurse zur Verfügung stehen, und bezahlt
seine Lehrkräfte adäquat. Kursträger, die ihren Lehr-
kräften Dumpinglöhne von unter 18 Euro pro Unter-
richtsstunde bezahlen, erhalten vom BAMF nur noch
Zulassungen für ein Jahr. Dies waren im Jahr 2010 aber
nur 40 Träger.
Ein weiterer Kritikpunkt ist auch, dass die bisherigen
Erhöhungen des Budgets für Integrationskurse inner-
halb der Träger verbleiben und nicht weitergegeben
werden. Hier musste das BAMF in der Tat in der Vergan-
genheit leider wiederholt feststellen, dass Erhöhungen
nicht von allen Kursträgern an ihre Lehrkräfte weiter-
gegeben worden sind.
Unabhängig davon ist das Abhalten von Integrations-
kursen auch nicht als Hauptberuf bzw. einziger Job der
Lehrkräfte angedacht gewesen. Dies zeigen auch die
Daten zu den Kursleitern: Lediglich circa ein Drittel
sind in diesem Gebiet hauptberuflich tätig. Ein weiteres
Drittel sieht in dieser Tätigkeit einen Nebenverdienst;
für das letzte Drittel stellt diese Tätigkeit lediglich eine
Übergangsbeschäftigung dar. Es erscheint somit nicht
unbillig, die Kursleiter analog zu anderen Volkshoch-
schul-Kursleitern zu betrachten, die ebenfalls nicht ein-
zig und allein von ihren Kurshonoraren leben.
Hier spielt aber noch ein anderer Punkt mit hinein:
Wir müssen zwischen Integrationskursen in Städten und
im
m
li
In
O
s
is
w
Z
m
e
U
a
te
d
tu
A
fl
g
W
s
a
v
g
m
E
e
z
e
1
m
e
a
m
e
tr
d
B
E
K
d
F
A
n
b
le
A
s
d
A
b
d
s
d
d
h
Zu Protokoll ge
n einem Kurs mit höherer Wochenstundenzahl nicht
öglich war.
Lassen Sie mich zuletzt noch auf die Kinderbetreuung
ingehen: Die integrationskursbegleitende Kinderbe-
euung ist derzeit zwar nur für Spätaussiedler aus-
rücklich geregelt. Da es aber der Regierung wie dem
AMF ein besonderes wichtiges Anliegen ist, den
ltern, vor allem den Müttern, bei Bedarf durch eine
inderbetreuung die Kursteilnahme zu ermöglichen, hat
as Bundesamt ein entsprechendes Angebot mit Eltern-,
rauen- und Alphabetisierungskursen eingerichtet. Seit
pril 2010 finanziert das Bundesamt Betreuungsmaß-
ahmen, soweit in einer Maßnahme mindestens drei
erechtigte Kinder, das heißt Kinder von Spätaussied-
rn oder von Teilnehmern an Eltern-, Frauen- und
lphabetisierungskursen vorhanden sind. Es ist vorge-
ehen, eine entsprechende Regelung in die Neufassung
er Integrationskursverordnung explizit aufzunehmen.
ber eine über dieses Angebot hinausgehende Kinder-
etreuung wird es in näherer Zukunft nicht geben, da
ies dem Beschluss des Haushaltsausschusses wider-
präche und auch wegen der generellen Zuständigkeit
er Länder und Kommunen nicht vorgesehen ist.
Ich möchte ausdrücklich feststellen: Es ist falsch, wie
ie Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen,
ier von den Grünen allein auf die von der Bundesregie-
17940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 149. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2011
Michael Frieser
gebene Reden
)
)
rung angebotenen Integrationskurse reduziert werden.
Es dürfte doch auch Ihnen nicht verborgen geblieben
sein, auf welch vielfältigen Wegen Migranten heute die
Sprache ihres Ankunftslands erlernen. Für die einen ist
das Selbststudium, sei es auf der Grundlage gedruckter
Arbeitsmaterialien, sei es durch Nutzung von Online-
kursen oder E-Learning, der beste Weg. Andere lernen
eher „by doing“, durch intensive kontinuierliche Ge-
spräche in der Familie, im engeren Wohnbereich, in Ver-
einen oder am Arbeitsplatz. Wieder andere gehen in die
heute so zahlreichen Sprachschulen. Wir orientieren
unsere Politik nicht am Stereotyp des Migranten, der
permanenter, allseitiger staatlicher Förderung und Len-
kung bedarf. Eine solche Sicht ist beleidigend für die
große Mehrzahl der Migranten, die nach Deutschland
kommen und mitgestalten sowie aus eigener Motivation
und Kraft vorwärtskommen wollen. Diesen ist mit Res-
pekt und Anerkennung zu begegnen, nicht aber mit
einem Gestus der Betreuungsbedürftigkeit.
Unsere Gesellschaft befindet sich im permanenten
Wandel. Die Migration und Integration von Migranten
sind zentrale Teile dieses Wandels; mit der Migration
werden sich auch kontinuierlich die Anforderungen an
unsere Integrationskurse ändern. Wir müssen natürlich
deren Ergebnisse weiterhin kritisch verfolgen, erkenn-
bar gewordene Schwächen beheben, die Leistungsfähig-
keit der Kurse verbessern. Das ist unbestritten. Bei die-
sem Bemühen um weitere Effizienz sollten wir – auch die
Grünen – aber die Balance halten zwischen der Kritik
des Istzustandes und dem Niveau, das wir schon erreicht
haben. Wir fördern den Spracherwerb von Migranten in-
zwischen Jahr für Jahr mit über 200 Millionen Euro.
Nirgendwo in der Welt wird auf diesem Feld so viel ge-
leistet. Die mit den Sprachkursen erreichten Erfolge
sind schon jetzt unübersehbar.
Aber klar ist auch, dass wir mit diesen Integrations-
kursen nur einen Teil der Integrationsproblematik lösen
können. Richten wir deshalb, statt die Erfolge auf dem
Gebiet der Sprachkurse kleinzureden, den Fokus lieber
auf das weitaus wichtigere ergänzende Feld der Integra-
tionspolitik, auf das Bildungs- und Ausbildungssystem.
Hier wären uns brauchbare Vorschläge, auch der Grü-
nen, viel eher willkommen als auf dem schon recht gut
beackerten Feld der Integrationskurse.
Vorweg: Die SPD-Bundestagsfraktion teilt und unter-
stützt die Stoßrichtung und die Ziele Ihres Antrags. Dies
haben wir bereits mit unserem Änderungsantrag in den
Haushaltsberatungen zur Durchführung von Integra-
tionskursen deutlich gemacht. Damit bin ich schon bei
einer wichtigen Detailfrage, die unsere Position von Ih-
rem Antrag unterscheidet: Bei der Mindestvergütung für
freiberufliche Lehrkräfte in Integrationskursen haben
wir eine Erhöhung des Integrationskurshaushaltes um
52 Millionen gefordert, mit dem Ziel eine Lohnunter-
grenze von 26 Euro für Freiberufler zu erreichen. Aus
diesem Grunde müssen wir uns zu Ihrem, ansonsten ge-
lungenen Antrag enthalten. Neben dieser trennenden
Detailfrage teilen wir Ihren Ansatz, über die Vergabe-
politik des BAMF die Mindestvergütung zielgerichtet zu
s
F
a
Z
g
h
s
d
d
w
g
w
q
K
In
ü
T
In
k
li
A
D
tä
d
s
n
s
le
z
re
T
a
n
g
R
s
e
ti
r
v
b
re
m
a
s
Ic
e
fü
P
w
ih
s
is
d
n
e
Zu Protokoll ge
)
mand zurückgelassen wird. Diese beiden Beispiele zei-
gen eindrücklich, dass die Bundesregierung nur halb-
herzig handelt.
Damit komme ich nun zum letzten Punkt, der Kurs-
qualität und der Vergütung der Kurslehrer. Die Lehr-
kraft in den Integrationskursen ist so etwas wie die Vi-
sitenkarte Deutschlands für die Teilnehmer. Wir, die
SPD-Bundestagsfraktion, setzen uns dafür ein, dass
Lehrkräfte für diese wichtige Arbeit gute Honorare er-
halten, damit sie motiviert qualitativ hochwertigen Un-
terricht anbieten.
Die Bundesregierung hat 2005 sehr richtig daran ge-
tan, die quasi kostenlosen und flächendeckenden Inte-
grationskurse einzuführen. Da die Grünen es in ihrem
Antrag versäumen, die weitreichende Bedeutung und die
enorme finanzielle Ausstattung dieser besonderen Kurse
angemessen zu würdigen, möchte ich das an dieser
Stelle kurz nachholen.
Bis heute haben über 700 000 Migranten einen Kurs
besucht. Ursprünglich waren die Integrationskurse des
Bundes als ein Instrument für Neuzuwanderer gedacht.
Aber es kamen insbesondere diejenigen Menschen in die
Kurse, die oft schon jahrzehntelang in Deutschland le-
ben. Die Integrationskurse wurden somit zu einem wich-
tigen Angebot und Instrument der nachholenden Inte-
gration.
Auch die finanzielle Ausstattung und die Rahmenbe-
dingungen für Teilnehmer sind bemerkenswert. Die Teil-
nehmer zahlen maximal 1 Euro pro Kursstunde. Die
restliche Summe übernimmt das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge. Dass ein Staat jährlich über
200 Millionen Euro in Sprachunterricht für Zuwanderer
investiert, ist weltweit einmalig. Daran sollte sich auch
die Opposition dann und wann mal wieder erinnern.
Und entgegen einiger Meldungen wird die christlich-li-
berale Koalition die Mittel hier nicht kürzen. Das Ge-
genteil ist der Fall: Wir werden die Mittel für die Inte-
grationskurse im kommenden Jahr noch einmal um
6 Millionen Euro auf 224 Millionen Euro erhöhen.
Nichtsdestotrotz: Die erfolgreiche Gestaltung der In-
tegrationskurse ist ein Prozess, ein gesellschaftlicher
und politischer. Die Zielgruppen und Anforderungen än-
dern sich, etwa durch variierende Zuwanderungszahlen,
durch den demografischen Wandel oder durch eine sich
verändernde Bildungsstruktur unter Migranten. Das ist
ein natürlicher Prozess. Und daher gilt es für uns, die
tatsächlichen Baustellen zu identifizieren, zu beheben
und die Kurse qualitativ weiterzuentwickeln. Dabei lade
ich die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition
herzlich ein, an der Weiterentwicklung konstruktiv mit-
zuwirken. Die teils sehr verzerrte bis falsche Darstel-
lung der aktuellen Lage fällt sicher nicht darunter.
So fordern die Grünen in ihrem Antrag etwa einen
Teilnahmeanspruch für subsidiär geschützte Personen
und Bleibeberechtigte. Diese Forderung geht von einer
falschen Prämisse aus. Denn subsidiär geschützte Per-
sonen und Bleibeberechtigte haben glücklicherweise be-
re
In
s
A
g
B
e
Z
a
tu
g
L
s
R
te
In
G
L
K
fü
m
h
r
g
tä
„
s
z
n
le
is
s
d
7
n
K
ti
g
n
d
„
A
e
s
d
W
A
n
s
b
g
c
e
D
v
d
D
e
Zu Protokoll ge
)
sätzlich besonderer Förderung und Hilfestellungen in
jeder Lebenslage bedarf, ist falsch und respektlos ge-
genüber den vielen Menschen mit Migrationshinter-
grund, die Ehrgeiz, Motivation und Gestaltungswillen
mitbringen, wenn sie nach Deutschland kommen.
Die stetige Überprüfung, Erfolgskontrolle und Ver-
besserung der Kurse hat für die christlich-liberale Ko-
alition hohe Priorität. Die Koalition arbeitet derzeit in-
tensiv an der Überarbeitung der Integrationskursver-
ordnung. Mittels eines neu gestalteten Trägerzulas-
sungsverfahrens soll künftig für eine erhöhte Qualität
des Systems gesorgt werden. Es wird verschärfte Rege-
lungen zur Verhinderung von Abrechnungsbetrug geben.
Es darf nicht sein, dass die überwiegend gute und enga-
gierte Arbeit der Lehrkräfte und Teilnehmer von weni-
gen schwarzen Schafen in Misskredit gebracht wird. Das
gilt im Übrigen auch für die Kursträger, die ihren Lehr-
kräften Dumpinglöhne zahlen. Die Erhöhung der Min-
destvergütung von 15 auf 18 Euro hatte ich eingangs er-
wähnt. Kursträger, die ihren Lehrkräften Dumpinglöhne
zahlen, sollten keine Zulassung mehr erhalten.
Auch für die Sicherstellung der Kurse im ländlichen
Raum wollen wir mehr tun. Denn tatsächlich leben mehr
als 50 Prozent der Migranten im ländlichen Raum. Dort
unterliegt die Durchführung von Integrationskursen be-
sonderen Herausforderungen. Oft scheitert dort das Zu-
standekommen eines Integrationskurses an mangelnder
Kooperation zwischen Kursträgern, etwa wenn die Min-
destteilnehmerzahl nicht erreicht ist. Künftig sollen Trä-
ger im Sinne der Teilnehmer zur Kooperation verpflich-
tet werden können. Auch bei den Einstufungstests wollen
wir neue Verfahren einführen, um die Kurse künftig noch
passgenauer und somit erfolgreicher für die Teilnehmer
zu gestalten. Wir werden die Erfolgsgeschichte der Inte-
grationskurse fortschreiben. Unser Ziel ist, aus Migran-
ten Bürger dieses Landes zu machen, Bürger, die sich
verantwortlich fühlen, partizipieren und Deutschland
mitgestalten. Und genau das wollen die meisten Migran-
ten auch.
Integration gibt es nicht zum Nulltarif.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP
findet sich die Vereinbarung, dass Integrationskurse
„quantitativ und qualitativ aufgewertet“ werden sollen.
Auch im Nationalen Integrationsplan verpflichtete sich
der Bund dazu, das Angebot an Integrationskursen zeit-
nah und flächendeckend auszubauen. Tatsächlich ist
dies auch dringend notwendig. Doch statt der vollmun-
digen Beteuerungen und Ankündigungen gab es infolge
der unzureichenden Finanzausstattung des Integrations-
kurssystems im Jahr 2010 lange Wartelisten bei der
Zulassung zu einem Integrationskurs und zum Teil auch
einen Aufnahmestopp bei Personen ohne einen Rechts-
anspruch auf Teilnahme. Seit Januar 2011 ist der Besuch
eines Integrationskurses zwar wieder weitgehend ohne
Wartezeit möglich, doch sind die durch das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, BAMF, ergriffenen und
von Sprachkursträgern kritisierten Sparmaßnahmen
immer noch wirksam. Dazu zählen insbesondere Ein-
s
d
b
B
m
M
s
d
m
V
g
8
d
ja
2
B
fr
h
k
fo
n
d
R
a
u
k
n
k
a
S
s
ti
c
L
li
6
G
u
g
te
d
2
fe
E
h
g
p
d
re
k
v
g
n
w
s
w
Zu Protokoll ge
)
Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass in
dem Antrag auch jegliche Kritik daran fehlt, dass
Sprachanforderungen im Aufenthaltsrecht zunehmend
als Droh- und Sanktionsmittel eingesetzt werden – etwa
durch die seit dem 1. Juli 2011 geltende Neuregelung des
§ 8 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz. Danach darf eine länger-
fristige Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn
zuvor ausreichende Sprachkenntnisse nachgewiesen
wurden. Die Grünen sind auch nicht grundsätzlich ge-
gen Zwangs- und Sanktionsmittel zur Durchsetzung des
Spracherwerbs. Verpflichtende Sprachkurse wurden
schließlich mit dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz
erst eingeführt, und die Grünen halten seitdem im Be-
reich der Integration an der populistischen Ideologie
des angeblichen Förderns und Forderns fest. Dabei hat
sich diese nur scheinbar ausgewogene Formel längst als
Rechtfertigung einer vor allem repressiven Politik ent-
puppt.
Keine Spur von Selbstkritik ist auch bezogen auf die
unzureichenden Finanzmittel in Sicht, die seit der Ein-
führung der Integrationskurse unter anderem von der
Aktion Butterbrot und dem DaZ-Netzwerk kritisiert wur-
den. Diese wandten sich von Anfang an gemeinsam ge-
gen die prekären Arbeitsbedingungen: Private Sprach-
kursträger steigern ihren Profit am leichtesten durch
eine Reduzierung der Honorare. Diese reichen dann für
ein menschenwürdiges und existenzsicherndes Einkom-
men häufig nicht aus. Viele Lehrkräfte im Integrations-
kursbereich sind auf ergänzende Sozialleistungen
angewiesen. Sie erhalten kein Urlaubs- und kein Kran-
kengeld, fürs Alter müssten sie selbst vorsorgen, wofür
aber das Geld fehlt. Notwendig wäre deshalb nach Auf-
fassung von Betroffenen, Gewerkschaften und Verbän-
den – aber auch der Linken – ein Mindesthonorar in
Höhe von 30 Euro pro Unterrichtseinheit, statt der der-
zeit gezahlten etwa 18 Euro.
Das von den Grünen angestrebte Stundenhonorar in
Höhe von 24 Euro ist viel zu gering. Selbst ein Honorar
in Höhe von 30 Euro würde lediglich eine Bezahlung
hochqualifizierter Lehrkräfte mit Zusatzausbildung ver-
gleichbar der Eingangsentlohnung im Schulbereich er-
möglichen. Die berechtigten Interessen der Lehrkräfte
an einer existenzsichernden und fairen Entlohnung ihrer
Arbeit dürfen auch nicht gegen das Ziel eines erweiter-
ten Zugangs zu Integrationskursen ausgespielt werden,
wie es die Grünen in der Begründung tun. Es kann nicht
sein, dass unter dem Vorwand eines vermeintlichen
Sparzwanges ein Ausgleich zwischen berechtigten For-
derungen der Dozentinnen und Dozenten im Integra-
tionskursbereich und der Erweiterung des berechtigten
Teilnehmendenkreises gesucht wird, der den Lehrkräften
weiterhin Dumpinglöhne und Armut trotz arbeitsauf-
wändiger Lehrtätigkeit aufzwingt. Dass dies offenkundig
für die Grünen ein geringeres Problem zu sein scheint,
wird an einer anderen Stelle deutlich. Denn sie fordern
nicht etwa ein Mindesthonorar, sondern lediglich, dass
Sprachkursträgern, die weniger als 24 Euro pro Stunde
zahlen, keine langjährige Zulassung erteilt werden soll.
Dies entspricht der derzeit geltenden, völlig unzurei-
chenden Praxis. Dieses – und damit auch das grüne –
Modell lässt es zu, dass Träger sogar Honorare unter
1
a
li
d
G
k
A
V
L
ü
e
v
u
J
tr
ir
n
1
B
ih
ro
s
z
s
k
K
v
g
u
s
w
g
K
li
d
b
P
te
d
b
S
s
b
z
m
w
k
le
b
g
d
ta
G
g
d
u
c
ti
g
Zu Protokoll ge
)
immer mehr milliardenschwere Geschenke in Form von
Euro-Rettungspaketen zu machen, sollten sich Bundes-
regierung und die Grünen für gute Löhne und gute Inte-
grationskurse einsetzen. Das wäre schon mal ein guter
Anfang.
Die Integrationskurse sind ein maßgeblicher Teil der
Integrationspolitik, werden aber ihrem Anspruch nicht
gerecht. Anstatt die Kurse für interessierte Einwande-
rinnen und Einwanderer attraktiv zu gestalten, unter-
nimmt die Bundesregierung vieles, um einen erfolgrei-
chen Kursabschluss zu verhindern.
Das ist besonders bedenklich, weil der Aufenthalts-
status maßgeblich von den Deutschkenntnissen der Ein-
wanderinnen und Einwanderer abhängt. Erst im März
diesen Jahres hat die Bundesregierung den Erhalt einer
mehrjährigen Aufenthaltserlaubnis noch erschwert:
Nach dem neuen § 8 Abs. 3 AufenthG wird die Aufent-
haltserlaubnis nur für jeweils höchstens ein Jahr verlän-
gert werden, bis die erfolgreiche Teilnahme an einem In-
tegrationskurs nachgewiesen ist. Nur wer also den
abschließenden Test besteht, erhält eine Aufenthaltser-
laubnis mit einer längeren Gültigkeitsdauer. Die Bun-
desregierung unterstellt damit, dass Eingewanderte kein
Interesse am Erlernen der deutschen Sprache hätten,
und versucht sie so als Integrationsverweigerer zu stig-
matisieren. Motivierung sieht wahrlich anders aus.
Bei der Durchführung der Integrationskurse erken-
nen wir drei Hauptprobleme, denen wir mit den in unse-
rem Antrag enthaltenen Vorschlägen entgegenwirken
wollen.
Erstens ist problematisch, dass die Zahl der Teilneh-
mer an den Integrationskursen seit Jahren ganz erheb-
lich sinkt. So sank die Zahl der Teilnahmeberechtigten
von 215 000 im Jahr 2005 auf 115 000 im Jahr 2010.
Das entspricht einem Rückgang von 46 Prozent. Beson-
ders bedenklich ist der überproportionale Rückgang der
Zahl von Personen, die freiwillig an einem Integrations-
kurs teilnehmen. So sank die Zahl der freiwillig teilneh-
menden Alteinwanderer allein von 2009 auf 2010 um
41 Prozent. Allerdings geht die Bundesregierung im
Hinblick auf den Kreis sogenannter Alteinwanderer, die
Interesse am Besuch eines Integrationskurses haben, im-
mer noch von einem „hohen Potenzial“ aus. Diese
Menschen seien aber – so die Bundesregierung –
„schwieriger zu adressieren als in den Anfangsjahren“
. Trotz des angenom-
menen Interesses an den Integrationskursen unternimmt
die Bundesregierung keine Anstrengungen, um die Alt-
einwanderer für einen Integrationskursbesuch zu gewin-
nen.
Der zweite unhaltbare Zustand sind die niedrigen Er-
folgsquoten bei den Kursabschlüssen. Nur die Hälfte
aller Teilnehmenden erreicht das für eine Aufenthalts-
verfestigung erforderliche Sprachniveau B1. Seit 2008
beendet mehr als ein Drittel der Teilnehmenden ihren In-
tegrationskurs sogar ganz ohne Abschluss. Die 2010
eingeführte Beschränkung, dass Personen, die ihren In-
te
s
w
L
b
g
te
H
s
n
ü
D
m
w
a
d
v
m
ti
T
2
K
a
m
K
h
2
d
d
2
g
e
ä
n
In
h
d
d
h
le
K
fü
w
k
e
tu
b
c
d
re
A
U
Zu Protokoll ge
)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/8179, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/7639 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Ge-
genprobe! – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? –
Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Rettung einheimischer Rebsorten durch Er-
haltungsanbau
– Drucksache 17/7845 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
Die von der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/7845 unterbreiteten Vorschläge zur Rettung einhei-
mischer Rebsorten sind zwar gut gemeint, aber letztlich
nicht praktikabel. Die CDU/CSU kann diesem Antrag
nicht zustimmen.
Es ist nicht zu bestreiten, dass der Antrag ein wichti-
ges Thema aufgreift. Im Weinbau wie auch in anderen
Kulturen müssen wir uns um den Erhalt unserer Nutz-
pflanzen kümmern. In der Landwirtschaft konzentriert
sich der Pflanzenbau häufig auf bestimmte Sorten – bei-
spielsweise auf besonders ertragreiche oder gut ver-
marktungsfähige Sorten. So kommt es, dass einige Sor-
ten in Vergessenheit geraten und vom Aussterben
bedroht sind. Das Bundesamt für Landwirtschaft und
Ernährung, BLE, führt eine rote Liste, in der über
900 Sorten als gefährdet eingestuft werden. Das Julius-
Kühn-Institut, JKI, schätzt, dass von den 300 Rebsorten,
die in der Vergangenheit im deutschsprachigen Raum
heimisch waren, heute noch 15 bis 20 klassifiziert sind.
Natürlich ist es wichtig, dass sich die pflanzliche Er-
zeugung in der Landwirtschaft an den Märkten ausrich-
tet. Dies bedeutet nicht, dass wir bedrohte Nutzpflanzen-
sorten ihrem Schicksal überlassen sollten. Alle Sorten
sind grundsätzlich schützenwert, weil sie ein Kulturgut
darstellen und gleichzeitig auch Teil der biologischen
Vielfalt sind. Darüber hinaus gilt es, genetische Res-
sourcen zu bewahren, die für die Züchtung neuer Sorten
unerlässlich sind. Züchtungsfortschritte sind auch in Zu-
kunft notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Land-
wirtschaft zu steigern und die wachsende Anzahl von
M
b
s
d
ti
te
R
s
U
W
w
B
n
g
s
d
fe
te
b
fi
g
w
a
tr
o
z
le
s
L
b
d
te
h
a
n
a
s
d
z
s
fö
m
G
d
d
A
d
N
z
b
s
D
te
S
d
Z
)
Aufbauend auf der Agrobiodiversitätsstrategie, wur-
den vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz Fachprogramme entwi-
ckelt, mit denen Maßnahmen zum dauerhaften Erhalt
unserer Nutzpflanzen koordiniert und maßgebliche Ak-
teure miteinander vernetzt werden. Die Erhaltung unse-
rer Nutzpflanzen kann die Bundesregierung nicht allein
leisten. Bei der lohnenswerten Aufgabe, unsere vielfälti-
gen genetischen Ressourcen an kommende Generatio-
nen weiterzugeben, sind Bund und Länder, Wissenschaft,
Züchter und Landwirtschaft gleichermaßen gefordert.
Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Die Linke
zur Rettung einheimischer Rebsorten durch Erhaltungs-
anbau mit der Drucksache 17/7845. Der Antrag widmet
sich zentral der Erhaltung unserer alten Rebsorten und
damit der Basis unserer Weinbaukultur. Das ist zunächst
einmal eine ganz gute und richtige Sache. Wein wurde
zwar schon von den Kelten angebaut und getrunken,
doch den eigentlichen Durchbruch für unsere ältesten
Anbaugebiete gab wohl der römische Kaiser Probus. Er
hat unter anderem der Region Mosel erlaubt, Reben zu
besitzen und Wein zu erzeugen, worauf ich als Rhein-
land-Pfälzer besonders gerne hinweise. Das war im
dritten Jahrhundert nach Christus, und seither ist eine
Menge geschehen, worauf unsere heutige Weinbaukul-
tur, unsere Kulturlandschaft und unsere Weine basieren.
Über 100 000 Hektar werden in Deutschland mit fast
140 anerkannten Rebsorten bebaut. Das ist schon ein
reicher Fundus. Doch angesichts der weltweit geschätz-
ten fast 10 000 Sorten und der Tatsache, dass über
80 Prozent der deutschen Anbaufläche mit gerade mal
zehn Sorten angebaut werden, wird schnell klar: Wir
müssen etwas tun, um die Vielfalt unseres Kulturgutes zu
schützen. Wir müssen uns auch um die Sorten kümmern,
die unwirtschaftlich sind und deswegen kaum angebaut
werden.
Die größte Anzahl Rebsorten führt ein Nischendasein
in alten Weingärten, Klosteranlagen oder gar unent-
deckt in guten Händen von Weinliebhabern. Für den
kommerziellen Anbau spielen solche Sorten keinerlei
Rolle und daher schwindet ihre Anzahl in zunehmendem
Tempo und mit ihr die Genreserve, die wir brauchen, um
zukünftigen Züchtungsanforderungen möglicherweise
gerecht werden zu können. Alte Sorten müssen wir dau-
erhaft nutzbar erhalten, und dazu brauchen wir einen
Erhaltungsanbau und eine nationale Genbank. Das ist
zwar eine der Kernforderungen des Antrags und ist auch
richtig. Warum können wir diesen Antrag dennoch nicht
unterstützen? Wir haben seit 2010 eine Deutsche Gen-
bank Rebe, die über 2 000 Einträge unter dem Suchbe-
griff „Vitis vinifera L.“ auflistet, fast 500 davon aus
Deutschland. Ein Netzwerk aus sieben rebenerhaltenden
Einrichtungen kümmert sich darum, dass Reben und
Sorteneigenschaften nicht verloren gehen.
Unverzichtbar sind aber auch der Erhaltungsanbau
auf den Betrieben, der nicht nur die Genreserve erhält,
sondern auch die Anbaueigenschaften und Anpassungs-
fähigkeiten an sich ändernde Umweltbedingungen.
D
s
h
b
tr
r
R
u
d
im
fi
d
d
b
m
W
fä
te
a
F
u
M
b
a
d
d
s
ic
R
A
d
d
a
r
a
a
b
s
s
u
li
b
d
g
a
g
B
v
u
w
W
d
a
d
Zu Protokoll ge
)
einheimische Rebsorten zuzulassen. Hier sprechen Sie
mit Ihren Forderungen leider den falschen Adressaten
an. Denn zuständig für die Zulassung in den Anbauge-
bieten ist das jeweils zuständige Bundesland, in dem die
Reben angebaut werden.
Viele Bundesländer sehen der Zulassung alter Reb-
sorten mit großem Interesse entgegen. Hier kann das
Bundesland Hessen vorbildlich genannt werden, wie
man es beispielsweise an der Sorte „Roter Riesling“
jetzt auch erst praktiziert hat. Roter Riesling ist die
Urform des Rieslings und hatte zum Beispiel den Vorteil,
dass Anbautests, die sehr kostenintensiv sind, nicht
durchgeführt werden mussten. Ich bin mir also sicher,
dass die heutige Zulassungspraxis auf Länderebene
auch mit etwas weniger Bürokratie stattfinden konnte.
Wie immer bei einem Antrag der Linken soll alles kos-
tenlos sein. Ich frage mich aber, wie wir einen Wegfall
der Gebühren gegenüber den privaten Züchtern recht-
fertigen würden, die bisher für ihre Züchtung eine
Gebühr zu zahlen hatten.
Insbesondere muss aber ein weiterer Punkt in den
Fokus gebracht werden: Sie führen in Ihrem Antrag an,
dass Biodiversität von Reben ein grundsätzlich gutes
Ziel wäre und diese auch nicht nur im Versuch, sondern
auch im Erhaltungsanbau durchgeführt werden müsste.
Hier muss man insbesondere darauf achten, dass wir
uns durch ein Mehr an Biodiversität nicht Probleme und
Krankheiten einhandeln. Die Reblaus bei wurzelechten
Reben sollte uns eine Warnung sein. Aus diesem Grund
ist mir die Sicherheit für die Weinwirtschaft deutlich
wichtiger als eine zu lasche Zulassung von jedweden
Reben.
Wenn es eine Rebe ist, die für den Ertragsanbau kom-
men soll, dann muss sie sich sowieso rechnen. Denn
Rebsorten sind für den Züchter dann interessant, wenn
auch eine Nachfrage seitens des Konsumenten besteht.
Auch hier kann übrigens auch in Nischen mit autochtho-
nen Rebsorten rentabel gewirtschaftet werden. Das zei-
gen auch die Erfahrungen der alten Rebsorten im
Ertragsweinbau. Die alten autochthonen Rebsorten
Heunisch und Orleans sind ebenfalls in Hessen klassi-
fiziert und werden von einigen Winzern erfolgreich
angebaut. Hier ist die Klassifizierungsverordnung der
Länder verantwortlich dafür, welche Rebsorten als Qua-
litätswein angebaut werden dürfen. Aus diesen genann-
ten Gründen können wir dem Antrag der Linken nicht
zustimmen.
Der Wein spielt seit Jahrtausenden eine bedeutende
Rolle für unsere mediterrane und europäische Kultur.
Wein ist seit Jahrtausenden in Europa Lebensmittel, Ge-
nussmittel, Kultgegenstand und Rauschmittel. Doch um
alte, europäische Rebsorten ist es oft gar nicht gut be-
stellt. Was aber für die vielen kommerziell kaum genutz-
ten Obstsorten geht, sollte auch bei alten Rebsorten
funktionieren: Europa – die Europäische Union – kennt
Richtlinien zum Erhalt alter, gefährdeter Obstsorten, die
in unseren Regionen die Vielfalt der Landschaften und
Speisekarten bereichern. Für deren Erhaltungsanbau
s
R
A
v
a
m
S
k
ta
H
1
la
g
e
e
d
D
o
D
ti
d
u
W
w
m
s
u
re
c
le
s
s
A
d
te
k
b
fö
E
d
m
E
s
d
k
w
s
e
b
b
v
Zu Protokoll ge
)
Winzer noch aus einem Reichtum von über 400 Rebsor-
ten wählen. Heute werden gerade noch 25 Sorten in nen-
nenswertem Umfang angebaut; viele andere sind bereits
unwiederbringlich verloren gegangen. Verantwortlich
dafür ist auch eine falsche Politik, welche zur – prinzi-
piell richtigen – Förderung der Übermengenreduktion
auch die Rodung alter Weingärten finanziell belohnt.
Auch an solchen Details wird deutlich, wie dringend
eine ökologische Reform der Agrarpolitik auf EU-, Bun-
des- und Länderebene angegangen werden muss. Ähn-
lich wie bei historischen Obst- und Gemüsesorten müs-
sen wir auch unsere Anstrengungen deutlich verstärken,
noch existierende alte Rebsorten vor dem Verschwinden
zu bewahren.
Es geht bei diesem Thema zum einen um die Erhal-
tung wertvollen Kulturerbes. Zum Zweiten geht es auch
um aktive Zukunftssicherung durch Bewahrung einer
breiten genetischen Basis für künftige Sortenentwicklun-
gen. Denn eine große Vielfalt an Sorten und Wildarten
ist unverzichtbare Grundlage erfolgreicher Züchtung
und Voraussetzung für die Bewältigung von Herausfor-
derungen wie neuen Schädlingsplagen, Krankheiten und
Auswirkungen des Klimawandels, zum Beispiel stärkere
Trockenheit oder steigende Gefahr von Frostschäden.
Zwei Beispiele belegen diese Bedeutung der Agrobiodi-
versität auch im Weinbau. Die Reblaus hätte den euro-
päischen Weinbau im 19. Jahrhundert zum Erliegen ge-
bracht, wenn es keine resistenten amerikanischen Sorten
als Rebenunterlage gegeben hätte. Heutzutage werden
mit dem Klimawandel und den damit verbundenen stei-
genden Temperaturen Sorten aus der Warmphase wäh-
rend des Mittelalters wieder interessant, die spät ausrei-
fen. Dazu zählen zum Beispiel die fränkische Sorte
Bouquetrebe und die Sorte Gelber Orleans.
Fachexperten und Privatpersonen haben in den ver-
gangenen Jahren mit großem Engagement diese und
viele andere alte Sorten aufgespürt, identifiziert und do-
kumentiert. Ein wesentlicher Beitrag dazu wurde durch
das Projekt „Erfassung rebengenetischer Ressourcen in
Deutschland“ geleistet, in dessen Rahmen 242 histori-
sche Sorten wiedergefunden wurden. Es ist sachlich
nicht nachvollziehbar, warum die Veröffentlichung des
bereits im Herbst 2010 fertiggestellten umfangreichen
Abschlussberichts dieses Projektes sowie ein ergänzen-
des 35-seitiges Strategiepapier zu diesem sehr erfolgrei-
chen Vorhaben bis heute vom Auftraggeber, dem
BMELV, und der ihm unterstellten Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung, verweigert wird. Auch
die Datenbank mit den zugehörigen Analysen, Ergebnis-
sen und Schlussfolgerungen ist der Öffentlichkeit nicht
zugänglich, nur ein sehr knapper Kurzbericht liegt bis-
lang vor. Wir sollten uns unseren Schweizer Nachbarn
als Vorbild nehmen, wo Abschlussberichte im Internet
veröffentlicht werden, wenn das Projekt mit Steuergel-
dern finanziert wurde.
Der große Erfolg des Projekts mit der Entdeckung
bislang als ausgestorben geglaubter Sorten und sowie
die Richtigstellung von 130 Falschbenennungen in deut-
schen Rebsortenlisten wirft aber auch die Frage auf, ob
die in diesem Bereich tätigen öffentlichen Institutionen
mit den bisherigen Strukturen wirklich effektiv und
n
b
w
b
b
te
tu
w
h
L
fü
d
le
S
g
S
re
d
a
in
c
a
D
la
te
d
b
a
K
k
s
re
d
d
A
d
S
tr
G
b
d
k
e
ß
E
tu
s
a
r
E
te
c
A
m
b
a
r
N
Zu Protokoll ge
)
sind, begrüßen wir die im Antrag enthaltene Aufforde-
rung an die Bundesregierung, bei der EU-Kommission
die Ergänzung der EU-Erhaltungsrichtlinie für alte
Rebsorten einzufordern.
Wir dürfen bei der Rettung alter Sorten keine Zeit
mehr verlieren, sonst werden klingende Namen wie Tau-
berschwarz, Blaue Seidentraube und Putzscheere bald
nur noch in der historischen Erinnerung existieren. Von
der Hälfte der alten Sorten, die im Rahmen des Erhe-
bungsprojektes gefunden wurde, existieren nur fünf oder
noch weniger Exemplare. Der Antrag „Rettung einhei-
mischer Rebsorten durch Erhaltungsanbau“ greift die-
ses wichtige Problem auf und enthält viele wichtige An-
satzpunkte und Forderungen, die meine Fraktion im
Wesentlichen teilt. Wir werden daher zustimmen, obwohl
wir bei einzelnen Punkten Änderungsbedarf sehen. So
ist zum Beispiel die Grenze von fünf Hektar Anbaufläche
für die Klassifizierung als Erhaltungssorte viel zu hoch;
0,1 bis 0,5 Hektar reichen vollkommen aus.
Neben politischem Handeln können wir alle auch als
Privatmenschen direkt etwas für den Erhalt der biologi-
schen Vielfalt beim Wein tun. Es gibt einige Projekte und
Winzer, die sich der Rettung historischer Rebsorten wid-
men und unsere Unterstützung verdienen. Diese kann
auch darin bestehen, Wein aus alten Rebsorten gezielt
nachzufragen nach dem Motto „Erhalten durch Genie-
ßen“.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7845 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Vorsorgeprinzip anwenden – Zulassung des
Pestizidwirkstoffs Glyphosat aussetzen und
Neubewertung vornehmen
– Drucksache 17/7982 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen wurden beim Präsidium angege-
ben.
Pflanzenschutzmittel sind keine gewöhnlichen Ge-
brauchsgüter: Bei Zulassung und Anwendung ist größte
Sorgfalt geboten, um Menschen und Umwelt vor Risiken
z
d
re
m
e
p
w
L
B
P
O
fr
a
T
U
d
s
te
w
d
d
D
A
S
a
n
H
a
B
s
d
e
te
s
d
A
B
v
z
d
te
a
a
s
k
d
G
d
im
s
d
s
d
m
p
en Erfahrungen am Menschen auf Basis des jahrzehn-
langen Einsatzes glyphosathaltiger Herbizide oder
us epidemiologischen Studien ergeben sich Hinweise
uf genotoxische oder kanzerogene Risiken von Glypho-
at beim Menschen.“
Aufgrund der eindeutigen Aussagen von anerkannt
ompetenten Stellen hat die CDU/CSU keine Bedenken,
ass zugelassene Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff
lyphosat weiterhin in der Landwirtschaft im Rahmen
er Anwendungsbestimmungen eingesetzt werden. Die
Antrag der Grünen erhobene Forderung, die Zulas-
ung von Glyphosat auszusetzen und eine Neubewertung
es Wirkstoffs vorzunehmen, wird nicht unterstützt.
Die EU, die für die Zulassung von Pflanzen-
chutzwirkstoffen zuständig ist, wird unter Beteiligung
es Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebens-
ittelsicherheit bis 2015 eine Neubewertung von Gly-
hosat vornehmen. Dabei wird der Wirkstoff einer um-
)
)
fassenden Prüfung unterzogen. Derzeit liegen aber keine
gesicherten Erkenntnisse vor, die eine Aussetzung der
Zulassung rechtfertigen würden. Nach dem Stand der
Wissenschaft ist vielmehr davon auszugehen, dass bei
bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung
von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln keine ne-
gativen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesund-
heit von Mensch und Tier eintreten.
Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen sprechen
auch die Erfahrungen aus der Praxis dafür, Glyphosat
nicht vom Markt zu nehmen. Die Anwendung von gly-
phosathaltigen Pflanzenschutzmitteln hat sich zur Un-
krautbekämpfung im Pflanzenbau sehr bewährt. Ein
Verzicht auf Glyphosat würde zu einem vermehrten Ein-
satz anderer Pflanzenschutzmittel sowie zu einer intensi-
veren Bodenbearbeitung führen. Landwirte in Deutsch-
land sind seit vielen Jahren mit glyphosathaltigen
Pflanzenschutzmitteln vertraut und nutzen diese – wie
andere Mittel im Übrigen auch – in verantwortungs-
voller Weise. Mir liegen keine Hinweise vor, dass hier-
zulande die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzen-
schutzmittel in der Landwirtschaft zu unerwünschten
Nebenwirkungen führt. Im Gegenteil: Glyphosat macht
eine ökologisch sinnvolle, nichtwendende Bodenbear-
beitung häufig erst möglich!
Mit Blick nach Nord- und Südamerika bestehen Be-
fürchtungen, dass durch den Anbau von herbizidtoleran-
ten Sojapflanzen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel
in großen Mengen ausgebracht werden und sich da-
durch überhöhte Glyphosatrückstände in importierten
Sojafuttermitteln ergeben könnten. Aus meiner Sicht ist
es sinnvoll, Futtermittelimporte verstärkten Kontrollen
zu unterziehen. Ich begrüße es, dass in dem von Bund
und Ländern festgelegten „Kontrollprogramm Futter-
mittel für die Jahre 2012 bis 2016“ Glyphosat als ein
vorrangig zu kontrollierender Wirkstoff benannt wird
und Importeure von Futtermitteln in Kontrollen einbezo-
gen werden. In der Vergangenheit wurden bei importier-
ten Futtermitteln keine Überschreitungen der Rück-
standshöchstgehalte festgestellt.
Ich bin überzeugt, dass bei sachgerechter Anwendung
von Glyphosat kein Anlass zur Sorge besteht. Insbeson-
dere sehe ich keinen Grund, Verbraucher und Landwirte
zu verunsichern. Stattdessen gilt es zu betonen: Über die
Zulassung von Pflanzenschutzwirkstoffen wird weiterhin
auf Grundlage strenger wissenschaftlicher Maßstäbe
entschieden, damit der Verbraucher-, Tier- und Umwelt-
schutz gewährleistet ist. Gute Wirkstoffe sind unver-
zichtbar, denn nur so kann der Pflanzenschutz zu hohen
Erträgen und damit zu einer guten Versorgung mit be-
zahlbaren und gesunden Lebensmitteln beitragen.
Die Einhaltung des Vorsorgeprinzips hat für uns So-
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten Priorität. Bei
Glyphosat handelt es sich um das weltweit am häufigs-
ten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel. Es wird dort
eingesetzt, wo keine Pflanze überleben soll, zum Beispiel
zur Vorbereitung von Ackerflächen für die Aussaat von
K
p
s
s
F
o
s
d
z
w
s
a
A
U
g
u
M
a
P
a
r
G
s
p
g
w
n
b
S
v
d
z
b
z
e
c
e
a
u
v
k
m
v
m
s
h
g
s
S
m
e
K
li
Zu Protokoll ge
)
Landwirtschaft bedient. Die Grünen betreiben keine am
Schutz der Natur, der Sicherheit unserer Lebensmittel
orientierte Politik. Sie betreiben reine Destruktionspoli-
tik, die Ängste schürt, um daraus politischen Nutzen zu
ziehen. Schon im ersten Absatz wird die Hysterie ange-
facht. Natürlich werden dem Wirkstoff Netzmittel und
andere Zusatzstoffe beigemischt, damit eine verbesserte
und genauere Wirkung erzielt wird. Sie sorgen dafür,
dass das Mittel die Oberfläche der Blätter benetzen und
direkt dort wirken können. Sie verringern damit die für
die gewünschte Wirkung erforderliche Menge an Gly-
phosat. Insofern kann die Toxizität von Formulierungen
unter Umständen erhöht sein, dies wird aber bereits in
Sicherheitshinweisen für die Anwendung berücksichtigt.
Eine falsche sachliche Analyse einer Situation ist un-
geeignet als Vorbereitung für sinnvolle politische
Schlussfolgerungen. Das Strickmuster solcher Anträge
der Grünen ist bekannt: Die Grünen nutzen das Vorsor-
geprinzip als Deckmantel für die unterschiedlichsten
Forderungen nach Verboten, Abgaben, mehr Verordnun-
gen, mehr Bürokratie. Sie diskreditieren Behörden und
wissenschaftliche Einrichtungen, wenn deren wissen-
schaftliche Ergebnisse grüner Ideologie widersprechen.
Die durchaus notwendige politische Diskussion, wie wir
die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Intensi-
vierung der Landwirtschaft in Deutschland gestalten
sollten, wird durch solche Anträge behindert und nicht
befördert.
Der Wirkstoff Glyphosat wird seit den 1970er-Jahren
in Breitbandherbiziden eingesetzt. Er blockiert ein für
Pflanzen lebenswichtiges Enzym, das nur in Pflanzen
vorkommt. Dies begründet seine hohe Wirksamkeit und
breite Anwendung in der Landwirtschaft und die ver-
gleichsweise geringen Effekte bei tierischen Organis-
men oder dem Menschen. Die Wirkung von Glyphosat
auf Nichtzielorganismen wurde umfangreich untersucht,
unter anderem durch die EPA, die WHO, die EU und von
vielen anderen Ländern und Wissenschaftlern. Der wis-
senschaftliche Konsens ist, dass Glyphosat bei ord-
nungsgemäßer Anwendung keine Gesundheitsrisiken
birgt. Bei sachgerechter Anwendung gilt Glyphosat ver-
glichen mit anderen Herbiziden als wenig umweltbelas-
tend; es ist biologisch abbaubar und für Menschen nicht
toxisch. Es gibt umfangreiche epidemiologische Studien
und Fallkontrollstudien aus Regionen, in denen Glypho-
sat in großem Umfang und seit vielen Jahren angewen-
det wird. Dort wurden keine erhöhten Krankheitsraten
gegenüber Kontrollgebieten festgestellt. Demgegenüber
stehen einzelne Studien selbsternannter Experten, deren
Ergebnisse von anerkannten Wissenschaftlern als wenig
brauchbar eingeordnet werden.
Alle Pflanzenschutzmittel werden vor ihrer Zulassung
umfassend geprüft. Die Prüfung berücksichtigt mögliche
Auswirkungen auf die menschliche und tierische Ge-
sundheit wie auch auf die Natur. Nur Pflanzenschutzmit-
tel, die höchsten Kriterien genügen, werden in Deutsch-
land und der EU zugelassen. Dabei ist eine Beteiligung
vonseiten des Umwelt- und Naturschutzes durch das
Umweltbundesamt sichergestellt. Alle Zulassungen für
Wirkstoffe sind zeitlich befristet und müssen unter Vor-
lage der neuesten wissenschaftlichen Daten erneut be-
w
v
b
re
s
le
d
T
b
D
9
li
g
h
s
M
d
w
in
v
a
D
h
te
te
s
s
h
le
te
c
d
g
s
a
D
te
fr
z
fu
d
S
r
d
e
te
d
m
s
k
s
v
F
D
d
w
k
je
Zu Protokoll ge
)
Kommission regelmäßig überprüft. Weitere Verschär-
fungen bringen keine zusätzliche Sicherheit für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher. Wir lehnen die Forde-
rungen des Antrages entschieden ab.
Untersuchungen der Universität Gießen haben ge-
zeigt, dass ein Verbot von Glyphosat einerseits aus Sicht
des Umweltschutzes völlig kontraproduktiv wäre und
andererseits zu Wohlfahrtsverlusten in Milliardenhöhe
führen würde. Resistenzen und andere Folgen des Herbi-
zideinsatzes lassen sich durch gute fachliche Praxis, ein
modernes Wirkstoffmanagement und weitere Vorsorge-
maßnahmen problemlos lösen, ohne die immer unter-
schätzten negativen Folgen eines Verbotes von Pflanzen-
schutzwirkstoffen in Kauf zu nehmen. Es ist typische
Praxis bei der romantischen Verklärung einer Museums-
landwirtschaft, die möglichen Folgen moderner Technik
drastisch zu überhöhen und gleichzeitig die Konsequen-
zen der Alternative vollkommen auszublenden. Die
grüne Verhinderungspolitik verweigert sich ihrer gesell-
schaftlichen Verantwortung.
„Glyphosat ist das weltweit am häufigsten einge-
setzte Herbizid. Der US-Agromulti Monsanto brachte es
1974 unter dem Namen Roundup auf den Markt“,
schreibt das Umweltinstitut München. Bis vor ein paar
Monaten war die breite Anwendung dieses Pflanzen-
schutzwirkstoffs von Verbraucherinnen und Verbrau-
chern nahezu unbemerkt. Er wird aber schon drei Jahr-
zehnte auf Äckern auch in der Bundesrepublik ver-
wendet.
Die engagierte Aufklärungsarbeit von Umweltschutz-
und Menschenrechtsverbänden hat Glyphosat ins Ram-
penlicht gerückt. Die breite Anwendung von Glyphosat
steht auch im Zusammenhang mit dem umfangreichen
Anbau glyphosatresistenter Gentech-Soja. Berichtet
wird unterdessen über Missbildungen bei Mensch und
Tier, die ursprünglich gar nicht mit Glyphosat in Zusam-
menhang gebracht worden waren, oder über Rückstände
des Planzenschutzmittels in Lebensmitteln. Diese Be-
richte haben klargemacht: Es gibt ein Problem. Von
„Bild“ bis „Zeit“ gab es Artikel. Sucht man „Glypho-
sat“ bei Google, finden sich über 150 000 Einträge. Was
ist also dran am Glyphosat, dass sich nun auch der
Deutsche Bundestag damit befasst?
Glyphosat greift in den Stoffwechsel wachsender grü-
ner Pflanzen ein und führt zu ihrem Absterben. Daher
muss es also entweder so gespritzt werden, dass die
Blätter gewünschter Pflanzen nicht getroffen werden –
es sei denn, sie wurden gegen dieses Gift gentechnisch
resistent gemacht.
Es gibt zwei Problembereiche beim Glyphosat: die
Anwendung glyphosathaltiger Pestizide im Zusammen-
hang mit gentechnisch veränderten Pflanzen – vor allem
in Nord- und Südamerika – und die Anwendung des
Wirkstoffs in Deutschland, zum Beispiel im Obst- oder
Weinbau.
Zum Ersten: Die Agro-Gentechnik wird immer wieder
als Wunderwaffe gegen den Hunger der Welt gepriesen.
In
te
z
d
s
ü
u
g
tr
o
a
b
g
R
s
m
e
F
U
u
p
d
b
w
in
g
im
s
A
ü
d
E
p
re
in
L
w
te
b
n
H
s
z
G
g
z
w
R
b
n
E
O
a
is
v
d
d
G
e
Zu Protokoll ge
)
Glyphosathaltige Pestizide finden sich in jedem Bau-
und Gartenmarkt und werden eifrig beworben. Im Klein-
garten haben diese Unkrautkiller aber nichts zu suchen,
finde ich. Sie werden gerne benutzt, um im sogenannten
Vorauflauf – also bevor die Nutzpflanze wächst – den
Acker oder das Beet unkrautfrei zu machen. Das ermög-
licht eine pfluglose Bodenbearbeitung, die aus betriebs-
wirtschaftlichen Gründen immer beliebter wird. Dann
ist der Acker sauber, und die gewünschte Kultur kann
zunächst konkurrenzlos aufwachsen. Alle Unkräuter
sind weg. Rainald Grebe singt in seinem Lied „Aufs
Land“ „Das sind doch keine Unkräuter, das sind Bei-
kräuter“ und betont damit die Bedeutung der Ackerbe-
gleitflora. Ist sie erst mal vernichtet, wirkt sich das ne-
gativ auf die Artenvielfalt des Agrarökosystems aus.
Schmetterlinge und andere Insekten finden weniger
Nahrung. Der Einsatz von Totalherbiziden ist daher
ökologisch sehr fragwürdig. Auch nach Ende der Wuchs-
phase wird gerne auf Glyphosat zurückgegriffen. Beim
sogenannten Totspritzen wird die fast reife Ackerfrucht
auf der Zielgeraden unterstützt. Das Gift ermöglicht
eine schnellere Trocknung, erleichtert dadurch die Ernte
oder lässt die Pflanze schneller reifen. Mag sein, dass
sich das ökonomisch für den Betrieb rechnet – für die
Volkswirschaft rechnet sich das nicht. Deshalb müssen
wir andere Wege gehen.
Was tun? Die Forderung eines Verbots von Glyphosat
hört sich logisch an, würde aber aktuell das Problem
nicht lösen. Derzeit sind keine unbedenklicheren Alter-
nativen verfügbar und auch nicht in Sicht. Für eine Neu-
bewertung des Wirkstoffes ist es allerdings höchste Zeit.
Bisher wurde Glyphosat als relativ umweltfreundliches
Pestizid angesehen; das hat sich nun durch seine mas-
senweise Anwendung und die neuen wissenschaftlichen
Berichte geändert. Seine vielfältigen Einsatzmöglichkei-
ten müssen kritisch überprüft werden. Auch die Kombi-
nation von Gentechpflanze und dazugehörigem Un-
krautkiller muss durch die EU viel stärker unter die
Lupe genommen werden.
Die Gentechnikabteilung der Europäischen Behörde
für Lebensmittelsicherheit, EFSA, fühlt sich für die Un-
tersuchung von Pestizidrückständen, Begleit- und Ab-
baustoffen, Metaboliten, nicht zuständig, wenn sie einen
Zulassungsantrag für eine herbizidresistente, HR, Gen-
techpflanze auf dem Tisch hat. Das ist inakzeptabel. So-
wohl im Zulassungsverfahren, als auch im späteren Mo-
nitoring müssen Herbizid und herbizidresistente Pflanze
gemeinsam betrachtet werden. Übrigens ist das Problem
nicht auf Glyphosat beschränkt, sondern betrifft auch
seinen kleinen Bruder Glufosinat aus dem Hause Bayer.
Im Kleingarten gehört Roundup Ready aus Sicht der
Linken verboten, weil dort eine sachgerechte Anwen-
dung mehr als schwierig und damit riskant ist. Nötig ist
der Unkrautkiller dort sowieso nicht. Auch die Belas-
tung von Lebens- und Futtermitteln durch glyphosathal-
tige Pestizide ist stärker zu prüfen. Hier gibt es Defizite
in der Prüfhäufigkeit der Länder und in der Untersu-
chungsdurchführung. Die Linksfraktionen in den Land-
tagen haben dies durch mehrere Kleine Anfragen he-
rausgefunden. Die Abbauprodukte, AMPA, und die
Netzmittel, POE-Tallowamine, der glyphosathaltigen
P
n
s
e
d
d
a
k
V
u
re
fü
n
s
te
u
k
J
g
P
g
p
N
r
d
A
h
B
r
n
K
H
n
s
s
w
b
U
ti
N
z
P
z
S
le
s
u
H
g
G
n
h
s
R
Zu Protokoll ge
(C)
von Gentechnikbefürwortern gerne versprochen wird,
sind wir also weiter entfernt denn je.
Angesichts dieser Mengen sollte selbstverständlich
sein, dass Hinweisen auf mögliche Gesundheits- oder
Umweltgefahren von Glyphosat besonders intensiv
nachgegangen wird. Aber genau das ist leider nicht der
Fall. Stattdessen mehren sich beim Blick auf die Zulas-
sungsverfahren unsere Fragezeichen. Schon in der Erst-
bewertung von Glyphosat haben Bundesbehörden Hin-
weise auf Störungen der Embryonalentwicklung durch
Glyphosat ignoriert, obwohl diese Daten nicht etwa von
Umweltverbänden, sondern vom Antragsteller, Mon-
santo, selbst geliefert wurden. Statt diesen Hinweisen
nachzugehen, wurden Schäden, die in der embryologi-
schen Fachliteratur eindeutig als Fehlbildung definiert
werden, einfach als „Entwicklungsvarianten“ relati-
mittel – in die Umwelt auszubringen, an den Beleg einer
entsprechenden Sachkunde gebunden. Allerdings gilt
das nur für den landwirtschaftlichen Bereich. In vielen
Garten- und Baumärkten können Verbraucher verschie-
denste Pestizide für ihre Haus- und Kleingärten er-
werben, darunter zahlreiche Glyphosatprodukte. Ein
Pflanzengift, das alle Arten von Pflanzen abtötet, das
nachgewiesenermaßen problematisch für im Wasser le-
bende Organismen ist und das jetzt auch noch unter
dringendem Verdacht steht, die Embryonalentwicklung
massiv zu stören, darf nicht von Hobbyanwendern in der
Nähe von spielenden Kindern oder Haustieren einge-
setzt werden. Weihnachten ist auch eine Zeit der Wün-
sche, und ich wünsche uns allen deshalb, dass uns die
Kolleginnen und Kollegen der Koalition im Sinne eines
vorsorgenden Verbraucherschutzes dabei unterstützen,
den Einsatz glyphosathaltiger Mittel in Haus- und
viert. Auf die Korrektur dieser offensichtlichen Fehlbe-
urteilung durch die Bundesregierung warten wir bis
heute.
Es muss leider davon ausgegangen werden, dass die
Gesundheits- und Umweltgefahren von Glyphosat bis-
her weder von den Herstellern noch den zuständigen Be-
hörden wirklich mit der erforderlichen kritischen Dis-
tanz bewertet wurden. Daraus ergibt sich zwangsläufig
unsere Kernforderung, die Zulassung von Glyphosat so
lange auszusetzen, bis das Ergebnis einer neuen und um-
fassenden Risikobewertung vorliegt, die diesen Namen
auch wirklich verdient.
Eine wichtige Forderung aus unserem Antrag sehen
wir durch unsere kritischen Fragen bereits umgesetzt:
Zwei Tage nach Einbringung des vorliegenden Antrages
hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
mittelsicherheit, BVL, sechs Zusatzstoffen von glyphosat-
haltigen Pflanzenschutzmitteln die Zulassung entzogen,
in denen POE-Tallowamine enthalten sind. Der Schritt
kommt zwar spät, wird von uns aber ausdrücklich be-
grüßt. Denn es kann nicht toleriert werden, dass toxiko-
logisch bedenkliche Stoffe in großem Umfang in die
Umwelt ausgebracht werden, obwohl es nirgendwo in
Deutschland ein Labor gibt, das diese Tallowamine
überhaupt nachweisen kann.
Im neuen wie im alten Pflanzenschutzgesetz wird die
Erlaubnis, Gifte – nichts anderes sind Pflanzenschutz-
K
e
s
S
u
d
s
fo
a
D
fü
v
d
fü
h
d
9
e
(D
leingärten zu untersagen.
Gerade Deutschland muss in seiner Rolle als Bericht-
rstatter in der EU für die Glyphosatzulassung jetzt
eine Verantwortung im Sinne einer Risikovorsorge zum
chutz der Menschen und der Ökosysteme wahrnehmen
nd die tatsächlichen Gefahren der Glyphosatanwen-
ung ernst nehmen. Bis eine wirklich gewissenhafte Ri-
ikoprüfung auch im Lichte der neuen Erkenntnisse er-
lgt ist, muss die Zulassung des Wirkstoffs umgehend
usgesetzt werden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/7982 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
erstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
ie Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht
r möglich halten, aber wir sind am Schluss unserer
eutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 16. Dezember 2011,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
ine gute Nacht.