Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
– Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, dass Sie heute offenkundig besonders gut
gelaunt zur 146. Sitzung des Deutschen Bundestages er-
schienen sind, zu der ich Sie alle herzlich begrüße.
Um gleich mit einem Höhepunkt unserer heutigen
Befassung anzufangen: Der Kollege Dr. Heinz
Riesenhuber feiert heute seinen 76. Geburtstag.
Herzliche Gratulation! Alle guten Wünsche des ganzen
Hauses begleiten ihn in das neue Lebensjahr.
Meine Damen und Herren, wir müssen vor Eintritt in
die Tagesordnung noch eine Reihe von Wahlen durch-
führen.
Für die neue Amtsperiode des Verwaltungsrats des
Deutsch-Französischen Jugendwerks schlägt die Frak-
tion der CDU/CSU als ordentliches Mitglied den Kolle-
gen Dr. Andreas Schockenhoff und die SPD-Fraktion
als stellvertretendes Mitglied die Kollegin Caren Marks
vor. Können Sie diesem Vorschlag zustimmen? – Das ist
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so. Dann sind die Kollegen in den Verwaltungsrat des
Jugendwerks gewählt.
Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege
Michael Groß für den Kollegen Sören Bartol neues or-
dentliches Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung
Baukultur werden soll. Können Sie auch diesem Vor-
schlag etwas abgewinnen? – Das ist so. Dann ist der
Kollege Groß in den Stiftungsrat gewählt.
Schließlich hat die FDP-Fraktion mitgeteilt, dass der
Kollege Lars Lindemann für den Kollegen Patrick
Döring neues ordentliches Mitglied im Stiftungsrat der
Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum und der
Kollege Döring für den Kollegen Lindemann neues
stellvertretendes Mitglied werden soll. Darf ich auch für
diese gewaltige Rochade Ihr Einvernehmen feststellen? –
Das ist im Ergebnis offensichtlich der Fall. Dann sind
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Stephan
Kühn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Bedarfsfestlegung des
Baus oder Ausbaus von Bundesfernstraßen
– Drucksache 17/7885 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rüdiger
Veit, Gabriele Fograscher, Petra Ernstberger, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Schaffung einer aufenthaltsrechtlichen Bleibe-
rechtsregelung
– Drucksache 17/7933 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
17316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Klassische Schweinepest zeitgemäß bekämp-
fen – Impfen statt Töten
– Drucksache 17/7958 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi
Brase, Klaus Barthel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abi-
tur sichern
– Drucksache 17/7957 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache
Ergänzung zu TOP 40
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag der Europäischen Kom-
mission für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Schaffung ei-
nes Ordnungsrahmens für den Bodenschutz
und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund-
gesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union
Bodenschutz europaweit stärken
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea
Steiner, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Blockade beim Bodenschutz aufgeben – EU-
Bodenschutzrahmenrichtlinien voranbrin-
gen
– Drucksachen 17/7024, 17/3855, 17/7503 –
Z
Z
Z
– Drucksache 17/8003 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer
Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz
P 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Lisa Paus, Viola von Cramon-Taubadel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ein starker Haushalt für ein ökologisches und
solidarisches Europa – Der Mehrjährige Fi-
nanzrahmen 2014–2020
– Drucksache 17/7952 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17317
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 7 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 9. Dezember 2011
in Brüssel
ZP 8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Auswirkungen der deutlich gestiegenen deut-
schen Rüstungsexporte auf die internationalen
Beziehungen
Wie üblich soll von der Frist für den Beginn der Bera-
tungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Da-
rüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Zusammenhang mit der Zusatz-
punktliste aufmerksam:
Der am 10. November 2011 überwiesene nachfol-
gende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung der Internationalen Gesundheitsvor-
schriften und zur Änderung weiterer
Gesetze
– Drucksache 17/7576 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri-
büne hat der Präsident des Parlaments der Republik
Kosovo, Herr Dr. Jakup Krasniqi, mit seiner Delega-
tion Platz genommen, den ich herzlich begrüße.
Ich bin zuversichtlich, dass die ebenso freundschaftli-
chen wie offenen Gespräche, die Sie in diesen Tagen in
Berlin mit vielen Mitgliedern des Deutschen Bundesta-
ges und anderen Repräsentanten unseres Landes führen,
einen Beitrag leisten zur weiteren Entwicklung Ihres
Landes für demokratische Strukturen und zur Festigung
rechtsstaatlicher Entwicklungen. Alle guten Wünsche!
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkt 3 a und b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungs-
strukturen in der gesetzlichen Krankenversi-
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– Drucksachen 17/6906, 17/7274 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit
– Drucksache 17/8005 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Dr. Marlies Volkmer
Heinz Lanfermann
Dr. Martina Bunge
Dr. Harald Terpe
– Drucksache 17/8006 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Karl
Ewald Schurer
Otto Fricke
Michael Leutert
Katja Dörner
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Agnes Alpers, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wirksamere Bedarfsplanung zur Sicherung
einer wohnortnahen und bedarfsgerechten
gesundheitlichen Versorgung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald
Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Wirksame Strukturreformen für eine pa-
tientenorientierte Gesundheitsversorgung
auf den Weg bringen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Moratorium für die elektronische Gesund-
heitskarte
– Drucksachen 17/3215, 17/7190, 17/7460,
17/8005 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jens Spahn
Dr. Marlies Volkmer
Heinz Lanfermann
Dr. Martina Bunge
Dr. Harald Terpe
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
in Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU
nd FDP sowie ein Entschließungsantrag der SPD-Frak-
on vor.
17318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Niemand
wehrt sich. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Heinz Lanfermann für die FDP-
Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Heute ist ein wichtiger Tag für das
deutsche Gesundheitswesen, für alle Patienten, Versi-
cherten, die darauf warten, dass die Politik aktiv wird,
um gegen die Entwicklungen vorzugehen, die es vor al-
lem aufgrund des demografischen Wandels, aber auch
aufgrund vieler – ja, man muss es so nennen – Fehlsteue-
rungen, Verkrustungen und Bürokratisierungen in den
letzten Jahren in unserem Gesundheitssystem gegeben
hat. Unser Gesundheitssystem ist nach wie vor gut; es
könnte aber noch besser sein.
In wichtigen Punkten nehmen wir nun einen behutsa-
men, aber ebenso konsequenten Umbau vor.
Wir haben das in den ersten zwei erfolgreichen Jahren
der christlich-liberalen Gesundheitspolitik schon bewie-
sen. Wir hatten ein Defizit in Höhe von 11 Milliarden
Euro geerbt; dies haben wir in ein Plus verwandelt.
– Lesen Sie die Zeitung, und quaken Sie nicht immer da-
zwischen.
Wir haben mit dem Arzneimittelmarktneuordnungs-
gesetz faire Bedingungen geschaffen und das Preisdiktat
abgeschafft. Jahrzehntelang wurden in Deutschland
Preise verlangt, ohne dass über diese verhandelt wurde.
Damit haben wir Schluss gemacht und nicht etwa Vor-
gängerregierungen.
Wir haben neue Hygienestandards gesetzt. Kranken-
hauskeime haben es jetzt wesentlich schwerer in
Deutschland. Wir haben die Selbstverwaltung gestärkt,
und wir haben in den Bereichen des Gesundheitswesens,
in denen es sinnvoll und richtig ist, mehr Wettbewerb
eingeführt, und zwar zum Vorteil der Patienten.
Wir bringen jetzt mit dem GKV-Versorgungsstruktur-
gesetz eine ganze Reihe von Regelungen auf den Weg,
die sich als sehr segensreich erweisen werden. Wir tun
etwas gegen den drohenden Ärztemangel insbesondere
im ländlichen Raum, und zwar über Anreize und nicht
mit Zwang, nicht mit Planwirtschaft und nicht mit Büro-
kratie, wie es die Vorschläge der Opposition vorsehen.
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Wir ermöglichen eine zielgenauere Bedarfsplanung,
exiblere Ansätze und eine stärkere Selbstverwaltung.
ir heben die Residenzpflicht auf – und zwar, ohne dass
ie Notfallversorgung gefährdet wird –, damit Ärzte hin-
ichtlich ihrer Arbeit und ihrer Familie flexibler sein kön-
en. Familie ist ein gutes Stichwort: Wir verbessern die
ereinbarkeit von Familie und Beruf in ganz entscheiden-
en Punkten. Wir fördern den Ausbau moderner und
novativer Versorgungskonzepte. Wir wollen – dazu ste-
en wir – Leistungen von Ärzten, die in strukturschwa-
hen Gebieten tätig sind, grundsätzlich von der Abstaffe-
ng bei der Vergütung ausnehmen.
Es gibt eine ganze Reihe von guten Punkten in diesem
esetz – man kann sie gar nicht alle aufzählen –: Wir tun
um Beispiel etwas für Patienten mit Grauem Star, die
isher, wenn sie sich einer entsprechenden Operation un-
rziehen mussten, damit konfrontiert waren, dass sie,
enn sie eine bessere, für sie verträglichere Linse haben
ollten, nichts mehr von der Krankenkasse ersetzt be-
ommen haben, sondern die Kosten komplett selber tra-
en mussten. Das haben wir jetzt geändert. Die betroffe-
en Patienten zahlen jetzt das, was es mehr kostet – daher
er Name „Mehrkostenregelung“ –, aber das, was die
asse ohnehin zahlen müsste, zahlt weiterhin die Kasse.
s hat viele Jahre gedauert, um dieses liberale Ansinnen
urchzusetzen.
Wir tun etwas gegen die Bürokratie, indem wir die
mbulanten Kodierrichtlinien, die allen Ärzten drohten,
estoppt haben. Wir haben dafür gesorgt, dass in über-
ersorgten Gebieten in Zukunft Arztsitze durch die Kas-
enärztliche Vereinigung aufgekauft, sozusagen vom
arkt genommen werden können. Im Bereich der Richt-
rößen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen erfolgen mehr
lexibilisierungen. Wir schaffen mit der spezialfachärzt-
chen Versorgung ein neues Element zur besseren Zu-
ammenarbeit zwischen stationärer und ambulanter Ver-
orgung. Dazu gehört natürlich auch eine Verbesserung
es Entlassungsmanagements.
Ich habe nur fünf Minuten Redezeit; sonst würde ich
nen noch viel mehr Wohltaten vortragen.
chauen Sie in den Entschließungsantrag der Koalition.
eine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
on, schauen Sie nicht so verbissen, wenn so viel Gutes
uf Sie zukommt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17319
Heinz Lanfermann
)
)
Man sah es auch gestern im Ausschuss, dass verkniffene
Lippen es nicht schaffen, dieses Gesetz zu loben. Sie
sollten es aber tun. Es lohnt sich wirklich.
Schließen Sie sich uns an – das soll mein letzter Ge-
danke sein – in dem Appell an die Länder, dass sie – das
ist ihr Zuständigkeitsbereich, in den wir uns nicht einmi-
schen wollen, abgesehen davon, dass wir ab und zu Geld
gegeben haben – mehr Studienplätze schaffen. Jede Be-
hebung des Ärztemangels fängt mit mehr Studienplätzen
an.
Die Länder sollten zur Verbesserung der Ausbildung das
tun, was sie tun können. Sie müssen auch da mitarbeiten.
Es sind noch mehr Menschen, die gefragt sind, auch
auf der kommunalen Ebene, wo viele sehr bemüht sind.
Herr Kollege.
Auch die Ärzteschaft und die Krankenkassen sind na-
türlich aufgerufen: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam an
der Verbesserung der Situation, zugunsten der Patienten,
der Bürger in Deutschland.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Elke Ferner guckt so fröhlich, wie der
Kollege Lanfermann das ausdrücklich eingefordert hat,
und bekommt jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Wissen Sie, Herr Lanfermann, gut gemeint
ist noch lange nicht gut gemacht. Zu diesem Gesetz
muss man sagen: Es mag zwar gut gemeint gewesen
sein, aber es ist einfach schlecht gemacht, und gute Ab-
sichten ersetzen eben keine gute Politik.
Es gibt in unserem Gesundheitswesen gute und sehr
gute Elemente. Vor allen Dingen verdanken wir das den
hochmotivierten Frauen und Männern in den Praxen, in
den Krankenhäusern, in den Heimen, bei den Pflege-
diensten. Das verdient, denke ich, unseren Respekt.
Aber es gibt trotzdem Probleme, die auf dem Tisch
liegen. Wir haben Unterversorgungen in den Flächenlän-
dern, in den ländlichen Regionen, aber auch in städti-
schen Bereichen wie beispielsweise hier in Berlin in
Neukölln, und wir haben Überversorgungen in Freiburg,
in München und beispielsweise auch in Berlin-Zehlen-
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Sie haben das Thema der besseren Vereinbarkeit von
amilie und Beruf für junge Ärztinnen, aber auch für
nge Ärzte angesprochen. Ich kann nicht verstehen, wa-
m Sie die Bedingungen ausgerechnet für die Organisa-
onsformen, in denen viele jüngere Ärzte und Ärztinnen
eber arbeiten möchten als in den bisherigen niederge-
ssenen Praxen, verschlechtern. Sie nehmen hier im
rinzip Einschränkungen vor. Sie monopolisieren die
VZ. Zusätzlich schaffen Sie das Problem, dass diejeni-
en, die schon ein MVZ gegründet haben, zumindest
ann, wenn es um Erweiterungen geht, unter das neue
egime fallen und sich damit nicht weiter verbessern
önnen. Das alles, was Sie da vorgelegt haben, ist nicht
irklich ausgegoren. Vor allen Dingen führt dies – um es
och einmal am Beispiel der MVZ deutlich zu machen –
u dem Ergebnis: Das, was jetzt im Gesetz steht, ist im
rinzip das glatte Gegenteil von dem, was Sie zu Beginn
es Gesetzgebungsverfahrens wollten.
Im Gegensatz zu Ihnen habe ich es gelesen, Frau Kol-
gin.
Das ist typisch das, was Schwarz-Gelb die ganze Zeit
acht: Sie versprechen etwas. Sie versuchen nicht, den
enschen die Augen zu öffnen, sondern Sie versuchen,
nen Sand in die Augen zu streuen. Im Ergebnis kommt
ann etwas ganz anderes heraus als das, was Sie verspre-
hen. Sie werden damit keinen Erfolg haben. Wir wer-
en nach 2013, nach der Bundestagswahl, ein Versor-
ungsgesetz vorlegen, das diesen Namen auch wirklich
erdient und das die Probleme, die wir haben, auch wirk-
ch angeht.
Sie machen auch nichts, um die strukturellen Pro-
leme unseres Gesundheitswesens zu beseitigen. Es gibt
eispielsweise Fehlanreize bei der Finanzierung der
rankenhäuser. Wir haben in der Großen Koalition
chon einmal den Versuch unternommen, hier etwas zu
17320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Elke Ferner
)
)
verändern – das ist am Widerstand der Länder geschei-
tert –, aber Sie haben noch nicht einmal einen Versuch
unternommen.
Sie tun keinen einzigen Schritt, um die überholte Tren-
nung von GKV und PKV aufzuheben. Auch das ist eines
der Probleme, das wir in unserem Gesundheitswesen ha-
ben. Warum müssen denn so viele gesetzlich versicherte
Patienten und Patientinnen auf Termine beim Facharzt
oder bei der Fachärztin warten? Das liegt nicht daran,
dass es zu wenige Fachärzte gibt – in den überversorgten
Gebieten kann man besichtigen, dass es genügend gibt –,
sondern schlicht und ergreifend daran, dass für PKV-Ver-
sicherte bei gleicher Leistung deutlich höhere Honorare
als für gesetzlich Versicherte gezahlt werden. Daran
müssten Sie eigentlich arbeiten, anstatt dieses Reförm-
chen zu machen, das Sie heute auf den Weg bringen wol-
len.
Darüber hinaus kostet das Ganze auch ein bisschen
Geld. Auch da gehen die Meinungen auseinander: Der
Finanzminister hat schon deutlich gemacht, dass er die
Schätzungen des Gesundheitsministers nicht teilt. Er hat
gesagt: Wenn das so ist, dann schieben wir das Ganze
auf den Sozialausgleich. Indem wir weniger für den So-
zialausgleich tun, finanzieren wir die Mehrkosten, die
durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz möglicher-
weise entstehen. – Das ist schon ein bisschen verrückt.
Vor allen Dingen: Die gesetzlichen Krankenversicherun-
gen sagen voraus, dass die entstehenden Mehrkosten
durchaus im Milliardenbereich liegen könnten. Wir wer-
den sehen, was dann passiert.
Herr Lanfermann, noch einmal: Sie mögen das noch
so oft wiederholen; Lügen werden durch Wiederholun-
gen nicht wahrer.
Sie haben einen Überschuss übernommen, als Sie an die
Regierung gekommen sind.
Im darauffolgenden Jahr sind Sie auf ein Defizit zuge-
steuert und haben erst einmal ein Dreivierteljahr die
Hände in den Schoß gelegt und nichts unternommen, um
dem Defizit, das vorauszusehen war, zu begegnen.
Durch die Ausweitung der kollektivvertraglichen Re-
gelungen und die Einengung der einzelvertraglichen
bzw. selektivvertraglichen Regelungen beschränken Sie
die Möglichkeiten der Hausärzte. Sie schwächen also
– vielleicht wollen Sie das ja – wieder einmal die Haus-
ärzte. Beispielsweise haben Sie keine Regelung getrof-
fen, um die hausarztzentrierte Versorgung zu stärken.
Die Entwicklung geht vielmehr in die Gegenrichtung.
Ein bisschen merkwürdig ist, dass ausgerechnet dieje-
nigen, die mit ihren Planungen bisher nicht dafür sorgen
konnten, dass Überversorgung abgebaut und Unterver-
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Wolfgang Zöller ist der nächste Redner für die Frak-
on CDU/CSU.
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Frau Kollegin Ferner, Ihre Äußerungen zu un-
erem Gesetzentwurf waren nicht fern, sie waren ferner.
Gesetzentwurf steht nämlich etwas anderes als das,
as Sie hier verkündet haben.
Ich war in den letzten Jahren auf zig Veranstaltungen
u Themen wie „Ein Land ohne Ärzte“, „Zu lange War-
zeiten“ oder „Was passiert nach der Entlassung aus
em Krankenhaus?“. Ich muss sagen: Die meisten
riefe, die mich zurzeit erreichen, sind ebenfalls einer
ieser Kategorien zuzuordnen.
Wie ist es dazu gekommen? Sie alle wissen: Die Zahl
hronischer Erkrankungen und die Multimorbidität neh-
en zu; dies führt zu einem steigenden Bedarf an medi-
inischen Leistungen. Gleichzeitig sinkt das Nach-
uchspotenzial in medizinischen und pflegerischen
erufen.
Was waren bisher die Antworten der Politik? Wenn
ir ehrlich sind, ging es nie um die Qualität unseres Ge-
undheitswesens, sondern bei allen Reformen ging es
eistens um das Ziel, die Stabilisierung des Beitragssat-
es zu gewährleisten – mit den Nebenwirkungen: Ein-
chränkungen der Leistungen und Erhöhung der Zuzah-
ngen. Fest im Blick waren dabei immer die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17321
Wolfgang Zöller
)
)
vorhandenen Strukturen und die Frage, wie man sie er-
halten und finanzieren kann. Theoretisch hieß es immer,
die Reform stelle den Patienten in den Mittelpunkt. Nach
der Reform hatte man aber den Eindruck, dass der Pa-
tient allen im Wege stand.
Die bürgerlich-liberale Koalition hat mit der Gesund-
heitsreform 2011 das Gesundheitssystem dauerhaft auf
ein solides finanzielles Fundament gestellt
und damit auch Planungssicherheit für alle Beteiligten
geschaffen. Nur auf dieser Basis sind wir in die Lage
versetzt worden, einen Gesetzentwurf zu verabschieden,
der die Bedürfnisse der Patienten in den Mittelpunkt
stellt.
Ab Januar werden endlich die Strukturen an die Be-
dürfnisse der Menschen angepasst und nicht umgekehrt.
Mit dem Versorgungsstrukturgesetz sind wir auf dem
richtigen Weg, eine flächendeckende, wohnortnahe me-
dizinische Versorgung sicherzustellen.
Auch hierüber sollten wir offen diskutieren: Es wird
keinen Königsweg geben können. Mit den vielen Einzel-
maßnahmen werden wir den regionalen Besonderheiten
aber am ehesten gerecht.
Ein ganz wesentlicher Punkt wird hier zum Beispiel
die flexible Ausgestaltung der Bedarfsplanung sein. Pla-
nungsbereiche müssen künftig nicht mehr, wie bisher,
den Stadt- und Landkreisen entsprechen. Wer wie ich
aus einem Flächenlandkreis kommt, weiß, dass aufgrund
der Landkreisgrenzen oft Regionen entstehen können, in
denen man zum Beispiel den nächsten Augenarzt 40 Ki-
lometer und mehr entfernt findet. Dies werden wir än-
dern.
Von den Versicherten wird auch immer wieder be-
klagt, dass es insbesondere beim Übergang von der
haus- zur fachärztlichen Versorgung zu längeren Warte-
zeiten kommt. Mit den Maßnahmen in diesem Gesetz
werden sich die Wartezeiten besonders auch bei der
fachärztlichen Versorgung verkürzen, und die Versor-
gungsrealität der Patienten wird nachhaltig verbessert.
Der sogenannte Landarzt kann, wenn die neuen viel-
fältigen Möglichkeiten genutzt werden, wieder zu einem
Beruf werden, der mehr Freude macht. Auch der Tatsa-
che, dass immer mehr Frauen den Arztberuf ergreifen,
wird durch frauen- und familienfreundlichere Regelun-
gen Rechnung getragen.
Insbesondere wird die Anerkennung von Praxisbe-
sonderheiten vereinheitlicht und erleichtert. Vertrags-
ärzte sollen die medizinisch notwendigen Leistungen
verordnen können, ohne befürchten zu müssen, hierfür
in Regress genommen zu werden.
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Ich bin lange genug im Gesundheitswesen, in diesem
aifischbecken, tätig. So weiß ich auch, dass sich nun
arantiert viele sogenannte Berater auf den Weg machen
erden, um aus diesem Gesetz den größten Nutzen
sprich: viele Euros – herauszuschlagen, sei es für Kas-
en, Krankenhäuser, bestimmte Arztgruppen usw. All
ne, die aus Gewohnheit dieses Gesetz wieder so ausle-
17322 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Wolfgang Zöller
)
)
gen, dass Patienten nur als Mittel zum Zweck im Ge-
sundheitssystem degradiert werden, möchte ich warnen:
Bei der Umsetzung dieses Gesetzes werden wir sehr ge-
nau hinschauen, damit bei demjenigen, für den all diese
Regelungen geschaffen wurden, die Verbesserungen
auch ankommen – beim Patienten.
Wir wollen eine wirklich konsequente Orientierung
am Patienten. Nach der Gesundheitsreform 2011 zur
nachhaltigen Finanzierung, nach dem AMNOG mit sei-
ner Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel, nach
der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland für
bessere Informationen, nach dem Krankenhaushygiene-
gesetz zum Schutz vor Infektionen folgt jetzt das Versor-
gungsstrukturgesetz, das den Patienten und die von ihm
benötigten Strukturen in den Mittelpunkt stellt.
Auf diesen Satz werden Sie bestimmt warten: Danach
wird natürlich konsequenterweise das Patientenrechtege-
setz vorgelegt,
welches Patientenrechte weiterentwickelt, verständlich
zusammenfasst und dadurch auch einen Beitrag dazu
leistet, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Pa-
tient zu stärken.
Diese Gesetze sind Ausdruck einer erfolgreichen bür-
gerlichen Gesundheitspolitik, die den Patienten stärkt
und ihn damit zum Partner und nicht zum Bittsteller in
diesem Gesundheitssystem macht.
Heute ist ein guter Tag für die Patienten.
Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nun wollen Sie es verabschieden, Ihr sogenanntes Ver-
sorgungsstrukturgesetz.
Dringender Handlungsbedarf besteht, um die gesund-
heitliche Versorgung überall, in Stadt und Land, für jede
und jeden, die oder der Hilfe braucht, wirklich flächen-
deckend zu sichern.
Doch was folgt aus dem heutigen Gesetz, beispiels-
weise für den ländlichen Raum,
wo sich Omi und Opi fragen: Mein Arzt geht in Rente;
wohin gehe ich? Ebenso schaut die junge Lehrerin, die
mit Mann und den Lütten ein Bauernhaus am Rande des
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Kommen wir zurück zu den Regelungen. Viele Be-
fsgruppen scheinen diese Bundesregierung gar nicht
u interessieren. Sie scheinen gar nichts mit gesundheit-
cher Versorgung zu tun zu haben. Kein Wunder, dass
ir haufenweise Briefe von Physio-, Ergo- und Psycho-
erapeuten erhalten. Kein Wunder, dass sich die Pflege-
erbände fragen, ob denn die Pflege neuerdings nicht
ehr zur Versorgungsstruktur zählt.
Aber auch die ärztliche und psychotherapeutische
ersorgung der Bevölkerung wird sich mit diesem Ver-
orgungsgesetz nicht ausreichend verbessern. Sie wird
amit auch nicht zukunftssicherer. Nach wie vor wissen
ir nicht, wie viele Ärztinnen und Ärzte, wie viele Psy-
hotherapeutinnen und Psychotherapeuten wir eigentlich
rauchen. Es hätte Mut erfordert, die Bedarfsplanung
ndlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Aber Mut hat
iese Bundesregierung nicht.
ir haben mit unserem Antrag gezeigt, worum es geht:
Alle Gesundheitsberufe müssen in die Bedarfspla-
ung einbezogen werden, auch die Pflegeberufe, auch
ie Heilberufe, auch die Hebammen. Gesundheitsversor-
ung ist mehr als ärztliche Versorgung. Fehlanzeige bei
nen!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17323
Dr. Martina Bunge
)
)
Die Ermittlung des gesundheitlichen Bedarfs muss
auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden, statt
bei den Ärzten Zufallszahlen aus dem Jahre 1993 und to-
tal unterdeckte Zahlen bei den Psychotherapeuten aus
dem Jahre 1999 einfach fortzuschreiben. Fehlanzeige bei
Ihnen!
Es muss endlich sektorenübergreifend geplant und
versorgt werden. Was nützt eine gut durchgeführte Ope-
ration im Krankenhaus, wenn die Nachsorge im Wohn-
umfeld nicht gesichert ist? Fehlanzeige bei Ihnen!
Wir müssen endlich dafür sorgen, dass das Geld dahin
fließt, wo der Bedarf am größten ist, und nicht dorthin,
wo die meisten Ärzte sind.
Nur so könnte es gelingen, bei der Attraktivität struktur-
schwachen Regionen einen Schub zu geben und eine
einheitliche Entwicklung in unserem Land zu befördern.
Thema Barrierefreiheit. Auch bei der gesundheit-
lichen Versorgung von Menschen mit Behinderungen
herrscht trotz der eingefügten Miniregelung letztendlich
Fehlanzeige. Es lagen gute Vorschläge vor, endlich die
zum Teil beschwerliche ärztliche und schlechte zahn-
ärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen
zu verbessern. In der UN-Behindertenrechtskonvention
wird gefordert, hier etwas zu tun. Beschämend, dass
Deutschland mit dieser Bundesregierung nicht schneller
vom Fleck kommt.
Ich kann nur wiederholen, was wir seitens der Oppo-
sition schon bei der Verabschiedung des letzten Gesetzes
gesagt haben –
das bekommen wir auch allabendlich bei Gesundheits-
veranstaltungen immer wieder zu hören –: Das Beste an
dem Gesetz ist, dass es keinen dauerhaften Schaden ver-
ursacht.
Gut, dass es ab 2013 die Chance gibt, die Versorgung
ordentlich zu regeln. Wenn dann für eine optimale ge-
sundheitliche Versorgung der Bevölkerung und für gute
Arbeitsbedingungen aller im Gesundheitssystem Be-
schäftigten wirklich mehr Geld erforderlich sein sollte,
wäre durch Einführung einer solidarischen Bürgerinnen-
und Bürgerversicherung finanzieller Spielraum vorhan-
den, und zwar gerecht von allen getragen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Harald Terpe für
Bündnis 90/Die Grünen.
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Ich zitiere weiter:
Für die Leistung, die in den Gesundheitsberufen
tagtäglich erbracht wird, braucht es Motivation,
Vertrauen und Anerkennung. Genau das ist das Ziel
des Versorgungsstrukturgesetzes.
o bitte findet sich die Anerkennung der Pflegeberufe
ußer im Kontext ärztlicher Entlastung, ganz zu schwei-
en von Regelungen zur Beseitigung des Pflegenot-
tands in den Kliniken?
tattdessen werden vorrangig Partikularinteressen be-
ient. Bei mir zu Hause würde man sagen: Da will uns
iner ein X für ein U vormachen.
Aber vielleicht ist das nur im Überschwang des Eigen-
bs herausgerutscht. Im Problemaufriss des Gesetzent-
urfs wird die nachhaltige und sozial ausgewogene
inanzierung der GKV gepriesen, um sich dann weiter
inten im Gesetzentwurf zugunsten von ärztlichen und
ahnärztlichen Honorarsteigerungen notfalls unter Preis-
abe des Sozialausgleichs der sozialen Tarnung völlig zu
ntledigen.
Ich empfinde das als Vorsatz für die zweite dreiste
mverteilung zulasten der finanziell Schwächeren. Es
ird uns von dieser Regierung immer wieder ein X für
in U vorgemacht. Irreführendes politisches Marketing
nd schillernde Ankündigungen einerseits,
ber keine oder minderwertige Lieferung andererseits:
as ist das Markenzeichen der Koalition.
Ich muss an dieser Stelle auch mit dem Selbstlob im
esetzentwurf aufräumen, es gäbe keinen Sparzwang.
h schicke vorweg: Ich finde einen verantwortlichen
17324 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Harald Terpe
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Umgang mit finanziellen Ressourcen generell richtig.
Aber wer die Beitragssätze in so klarer Weise erhöht und
Zusatzbeiträge eingeführt hat und damit im Grunde ge-
nommen die Krankenkassen unter Spardruck setzt und
ihnen die Möglichkeit nimmt, innovative Ansätze zu för-
dern oder in diese zu investieren, schafft nichts weiter
als einen Sparzwang durch die Hintertür.
Zweifelsohne steht unser Gesundheitswesen vor gro-
ßen Herausforderungen. Eine älter werdende Bevölkerung
und die damit einhergehende Zunahme von chronischen
und Mehrfacherkrankungen verlangen grundlegende
strukturelle Veränderungen in der gesundheitlichen Ver-
sorgung, und das umso mehr, je weniger und später wir
die Gesundheitsförderung und Prävention vorantreiben.
Diagnostik und Heilung von Krankheiten wird zuneh-
mend von kontinuierlicher Betreuung und Begleitung
zur Sicherung der Lebensqualität der Betroffenen flan-
kiert. Dieser Wandel der Morbidität führt zwangsläufig
zu einem häufigeren Wechsel der Patientinnen und Pa-
tienten zwischen den Sektoren des Gesundheitssystems
und zieht auch schon aktuell eine multiprofessionelle
Behandlung nach sich.
Umso bedauerlicher ist, dass der Gesetzentwurf nach
den vielen Anregungen und Diskussionen im parlamen-
tarischen Prozess die strukturellen Erfordernisse so we-
nig verfolgt. Der Koalition ist es nicht gelungen, ihre
arzt- und sektorenzentrierte Sichtweise zu relativieren.
In ihrer Gesundheitspolitik geht die Bedienung der Parti-
kularinteressen in der Ärzteschaft, zum Beispiel durch
die Stärkung der Leistungserbringer im G-BA oder die
kostentreibende Honorarreform, mit einer Schwächung
der Kassen und letztendlich der Patienteninteressen ein-
her. Wir werden das nicht widerstandslos akzeptieren.
Mit unserem Antrag „Wirksame Strukturreformen für
eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung auf den
Weg bringen“ setzen wir eine klare Botschaft, wohin die
Reise mit den Bündnisgrünen in Sachen Strukturreform
geht. Unser Ziel ist eine sektorenübergreifende und pro-
fessionenübergreifende Versorgung. Dabei soll die Pri-
märversorgung deutlich aufgewertet werden. Sie ist für
uns mehr als eine hausärztliche bzw. hausarztzentrierte
Versorgung. Es bedeutet nämlich eine teamorientierte
Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gesundheitspro-
fessionen mit neugestalteter Aufgabenverteilung. Ärz-
tinnen und Ärzte als verantwortungsvolle Teamplayer
sind nicht nur eine schöne Vision, sondern es gibt sie
auch schon heute – trotz der Fehlanreize und berufsstän-
dischen Zementierungen, durch die ihre Arbeit immer
wieder erschwert wird.
Sucht man in Ihrem Gesetzentwurf nach Regelungen
zu nichtärztlichen Gesundheitsberufen, so stößt man auf
die in § 28 vorgesehene Regelung, nach der delegations-
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ber das hat nichts mit dem notwendigen strukturellen
andel infolge der Veränderung der Morbiditätsstruktur
u tun.
ort geht es um die notwendige Stärkung eigenständiger
ichtärztlicher Kompetenz – ein völlig anderer Horizont
ls Ihrer.
Lassen Sie mich kurz die wenigen Ansatzpunkte einer
ektorenübergreifenden Versorgung bewerten.
Zunächst die spezialfachärztliche Versorgung: Sie
urde als eigenständiger Sektor und mit eigenständigen
ergütungstatbeständen konzipiert. Das ist – entgegen
einer Hoffnung in der ersten Lesung – kein Start in die
ektorenübergreifende Versorgung, weil nunmehr die
inengung der im Leistungskatalog vorgesehenen Maß-
ahmen zwar die Kostenexplosion bremst, aber natürlich
novative Ansätze ebenfalls ausbremst. Es wäre besser
ewesen, klare Regelungen zu Organisation und Umfang
er Versorgung ins Gesetz zu schreiben. Ich glaube, dass
adurch jetzt eher eine Konkurrenzveranstaltung zweier
ektoren organisiert wird, wenn auch mit Kooperations-
ebot und vermutlich der Entstehung zusätzlicher Ver-
orgungskapazitäten für seltene und besondere Erkran-
ungen – das sei Ihnen zugestanden; das ist eine
erbesserung. Aber ich glaube, Chancen und Risiken der
egelung dürften relativ dicht beieinander liegen, auch
eshalb, weil dadurch ein Run zulasten anderer Fach-
rztgruppen droht.
Besonders auffällig an Ihrem Gesetzentwurf ist die
öllige Ausblendung des Krankenhaussektors, so, als ob
ukunftsweisende sektorenübergreifende Strukturverän-
erungen ohne Krankenhäuser denkbar wären. Das ist
r mich auch ein fatales Signal, besonders an die klei-
en Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen.
Lassen Sie mich noch auf zwei von der Koalition ge-
etzte zentrale Botschaften eingehen.
Erstens zur Novellierung der Bedarfsplanung: Hier
ndet sich in Ihrem Gesetzentwurf nach unserer Auffas-
ung keine nachhaltige Reform der Bedarfsplanung, um
um Beispiel auf der Grundlage verbindlicher Analysen
en künftigen Versorgungsbedarf besser ermitteln und
lanen zu können. Obwohl die Möglichkeit eines ge-
einsamen Landesgremiums geschaffen wird und im
-BA den Ländern Mitspracherechte bei den Bedarfs-
lanungsrichtlinien eingeräumt werden, fehlt es an der
urchsetzung einer sektorenübergreifenden Versor-
ungsplanung, die insbesondere auch in strukturschwa-
hen Regionen zusätzliche Versorgungskapazitäten, bei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17325
Dr. Harald Terpe
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)
spielsweise aus dem Krankenhausbereich, mobilisieren
könnte.
Die zweite Botschaft war die Schaffung eines Land-
arztgesetzes.
Unter diesem Deckmantel bringen Sie eine erneute
Reform der vertragsärztlichen Vergütung auf den Weg.
Angeblich sollen die regionalen Verantwortlichkeiten
gestärkt werden. In der Praxis wird Ihre Reform aber
eher dazu führen, dass wieder diejenigen bei der Hono-
rarverteilung das Rennen machen, deren Einfluss am
weitesten reicht. – Willkommen in der Vergangenheit!
Das ist gewiss nicht im Interesse der Patientinnen und
Patienten, sondern es ist der Abschied vom Bekenntnis
zur schrittweisen Konvergenz mit dem Ziel, vergleich-
bare Leistungen auch gleich zu honorieren. Das ist in der
Diskussion im Ausschuss ja auch klar geworden.
Das Problem der Unterversorgung und der Niederlas-
sungsunwilligkeit ist unserer Überzeugung nach allein
mit der Zahlung eines Sicherstellungszuschlags und des
vermeintlichen Wegfalls von Mengenbegrenzungen
nicht zu lösen, zumal es bei den Hausärzten auf dem
Land eine Begrenzung im relevanten Umfang gar nicht
gegeben hat und von der Neuregelung jetzt Fachärzte in
Regionen profitieren, die gar keine Unterversorgung ha-
ben.
Insbesondere auch deshalb wird dieses Problem
dadurch nicht gelöst, weil in gut versorgten Metropol-
regionen infolge einer größeren Zahl an und höheren
Vergütung durch Privatpatienten ohnehin bessere Hono-
rarsituationen bestehen. Sie verweigern eine Honorarre-
form, die die PKV letztendlich einbezieht. Das ist ganz
klar zu kritisieren.
Bei der Abstimmung über Ihren Entschließungsantrag
– er enthält Forderungen an die Länder, die wir durchaus
teilen – werden wir uns enthalten müssen, da Sie es sich
im Feststellungsteil nicht verkneifen konnten, Ihr Ver-
sorgungsstrukturgesetz zu beweihräuchern.
Ich komme zu dem Schluss, dass dieser Gesetzent-
wurf nicht geeignet ist, die notwendigen strukturellen
Reformen, die sich aus der veränderten Morbiditäts-
struktur und dem demografischen Wandel ergeben, ein-
zuleiten. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf deshalb als
unzureichend ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort erhält nun der Bundesgesundheitsminister.
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
nd Kollegen! Heute ist Welt-Aids-Tag. Wir tragen aus
olidarität mit Menschen, die an einer lebensbedrohli-
hen Krankheit leiden, heute diese Aidsschleife. Dabei
aben wir in Deutschland im Vergleich zu vielen ande-
n Ländern seit Jahren durch unsere Arbeit die nied-
gste Neuinfektionsrate der Welt. Gegenüber 2006, als
ir 3 400 Aids-/HIV-Neuinfizierte hatten, ist es uns ge-
ngen, diese Zahl 2011 nochmals zu senken: auf 2 700.
as ist ein großer Erfolg der gemeinsamen Präventions-
rbeit im Kampf gegen HIV und Aids, die wir in
eutschland seit vielen Jahren leisten.
s zeigt uns auch, dass die Versorgung von HIV-Infizier-
n mittlerweile immer besser geworden ist, dass HIV-
fizierte mit dieser nicht heilbaren Krankheit dennoch
o behandelt werden können, dass sie am gesellschaftli-
hen Leben teilhaben.
Warum erzähle ich das ganz bewusst am Anfang mei-
er Rede? Weil auch das GKV-Versorgungsstrukturge-
etz Antworten auf die Sorgen und Nöte dieser Men-
chen bietet, nämlich eine gute medizinische Versorgung
Alltag zu erleben. Das Versorgungsstrukturgesetz
chafft für Krankheiten mit besonders schwerem Verlauf
ie HIV/Aids, wie Multiple Sklerose und wie andere
eltene Erkrankungen extra eine spezialfachärztliche
mbulante Versorgung. Damit erreichen wir, dass end-
ch die starren Sektoren zwischen dem Krankenhausbe-
ich und den niedergelassenen Ärzten überwunden wer-
en, dass die Behandlung der Patienten bestmöglich – in
er Regel in Kooperation zwischen Krankenhaus und
iedergelassenen Fachärzten – gelingt. Das ist eine deut-
che Verbesserung für die Versorgung der Menschen,
erade derer, die aufgrund einer Krankheit mit besonders
chwerem Verlauf oder einer seltenen Erkrankung darauf
ngewiesen sind, dass sie die bestmögliche Versorgung
on Spezialisten bekommen.
Wir, die CDU/CSU-FDP-Koalition, haben die Priori-
ten in der Gesundheitspolitik in Deutschland verän-
ert.
ährend lange Jahre in Deutschland mehr Geld für Arz-
eimittel als für die ambulante Versorgung ausgegeben
urde, können wir nun feststellen, dass in Deutschland
ieder mehr Geld für die ambulante Versorgung als für
ie Arzneimittel ausgegeben wird. Das ist ein Erfolg un-
17326 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Bundesminister Daniel Bahr
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serer Politik, unserer Gesetze; denn wir haben mit dem
Arzneimittelgesetz Einsparungen vollzogen.
Die Menschen wissen, dass sie sich in Deutschland
auf ein Gesundheitswesen verlassen können, das seines-
gleichen sucht. Die Herausforderung ist, dieses Gesund-
heitssystem so zu erhalten, wie die Menschen es zu
schätzen wissen. Wir gewährleisten, dass im Krankheits-
fall jede Bürgerin und jeder Bürger unabhängig von Ein-
kommen, Alter, Geschlecht, Herkunft oder Vorerkran-
kung die medizinische Behandlung und Betreuung
erhält, die notwendig ist.
Dazu zählt eben auch, dass sich die Menschen auf das
verlassen können, was andere Länder so nicht kennen:
freie Arztwahl, freie Krankenhauswahl, freie Kranken-
versicherungswahl und Therapiefreiheit. Das sind Frei-
heiten, die Menschen in anderen Ländern, insbesondere
mit staatlichen Gesundheitssystemen, von denen Sie uns
immer so gerne erzählen und die Sie uns hier empfehlen
wollen, nicht erleben. Dort erleben sie Mangelverwal-
tung, die längsten Wartezeiten und die schärfsten Unter-
schiede aufgrund einer Zweiklassenmedizin. Wir in
Deutschland können stolz darauf sein, dass unser Ge-
sundheitssystem so leistungsfähig ist. Zu dessen Erhal-
tung wollen wir mit diesem Gesetz beitragen.
– Liebe Frau Ferner, liebe Frau Rawert, Sie krakeelen ja
schon wieder herum. Herr Lanfermann hat allerdings
recht: Das Dazwischenrufen macht es nicht besser.
Es scheint ja wehzutun, was ich gesagt habe.
Ihr Entschließungsantrag zeigt die Ideologie, die Ihre
Gesundheitspolitik prägt.
Sie versuchen die Interessen derjenigen, die im Gesund-
heitswesen tätig sind, die Belange der Leistungserbrin-
ger, gegen die Interessen der Patienten zu stellen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, hören Sie endlich damit auf,
zu glauben, dass der Patient besonders gut bedient ist,
wenn der Arzt demotiviert ist. Nein, wir brauchen An-
reize, damit der Leistungserbringer motiviert ist, damit
er Spaß an der Arbeit hat!
Wie soll denn ein Patient besser versorgt werden, wenn
der Arzt mit Bürokratie überlastet ist, wenn er das Ge-
fühl hat, er bekomme keine leistungsgerechte Vergü-
tung? Meinen Sie, dadurch werde eine bessere Versor-
gung für den Patienten gewährleistet? Das liegt doch im
gemeinsamen Interesse; der Patient profitiert doch da-
von, wenn auch der Arzt ein Interesse daran hat, die
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ie haben gesagt: Wir haben genügend Ärzte; die müs-
en nur zwangsweise aufs Land verteilt werden. Mit
wang werden Sie aber keine jungen Mediziner motivie-
n, in der Fläche tätig zu sein. Wir setzen die richtigen
nreize.
Jetzt reden Sie immer von Unterversorgung und
berversorgung. Selbstverständlich gibt es auch Über-
ersorgung in Deutschland. Es gibt Über-, Unter- und
ehlversorgung in Deutschland. Wir gehen das mit einer
exiblen Bedarfsplanung an. Die Bedarfsplanung, die
ir heute haben, entspricht doch gar nicht dem Bedarf.
ie ist auf den Stand Anfang der 90er-Jahre aufgesetzt,
ls man einfach alle vorhandenen Ärzte gezählt hat. Die-
en Bestand hat man dann festgeschrieben und ihn als
edarfsplan bezeichnet.
Wir ändern das, weil wir endlich dafür sorgen, dass in
en Regionen, in den Landkreisen genau geschaut wird,
o Bedarf besteht, wo ein zusätzlicher Psychologe, ein
usätzlicher Neurologe, ein zusätzlicher Dermatologe
ebraucht wird. Das heißt, wir geben die Flexibilität, um
enau zu schauen: Wo besteht Bedarf? Wo besteht viel-
icht eine Überversorgung, die abgebaut werden muss?
uch das ist nämlich bei uns enthalten: Die Kassenärzt-
chen Vereinigungen erhalten die Möglichkeit, dort, wo
nbegründet eine Überversorgung besteht, wo die Ver-
orgung nicht dem Bedarf entspricht, frei werdende
rztsitze aufzukaufen. Das – und nicht das, was Sie for-
ern – ist ein nachhaltiger Abbau der Überversorgung.
Das, was Sie fordern, ist doch nichts anderes als mo-
ernes Robin-Hood-Gehabe. Sie sagen, Überversorgung
erde abgebaut, wenn man jene Ärztinnen und Ärzte be-
traft, die sich vor 10 oder 20 Jahren entschieden haben,
einem Ballungsraum eine Arztpraxis mit viel Geld
ufzubauen. Glauben Sie, dass irgendein Arzt aus Ham-
urg seine Praxis schließt und eine neue Praxis an der
chlei eröffnet, nur weil Sie ihm Honorarkürzungen von
Prozent oder 10 Prozent verordnen?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17327
Bundesminister Daniel Bahr
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Diese Regelung stand jahrelang im Gesetz, und Sie ha-
ben sie unter Ihrer Führung nicht angewandt. Das zeigt
uns doch, dass dieses Instrument dem Abbau der Über-
versorgung nicht gerecht wird, sondern nur einen Vertei-
lungskampf in die Ärzteschaft hineinträgt. Damit ver-
bessern wir die Versorgung der Menschen in den
Ballungsräumen und in der Fläche keineswegs.
Interessant ist, dass die Ländergesundheitsminister
dort, wo Sie – Linke, Grüne, SPD – Verantwortung tra-
gen, sagen, der Bund müsse etwas für den Abbau der
Überversorgung tun. Landtagsfraktionen von Union und
FDP haben einmal vor Ort nachgefragt. Plötzlich stellen
wir fest, dass diese Ländergesundheitsminister, wie zum
Beispiel die Gesundheitssenatorin in Hamburg, leugnen,
dass es bei ihnen eine Überversorgung gibt.
Dann kritisieren Sie die langen Wartezeiten, und wir
fragen: Wie sähe es denn aus, wenn in Hamburg Arzt-
praxen geschlossen würden, wenn Überversorgung ab-
gebaut werden würde? Was würde das für die Wartezei-
ten bedeuten? Und schon wieder stellen wir Unlogisches
fest. Schon wieder stellen wir fest, dass Sie offensicht-
lich nur bei Allgemeinplätzen verharren und die Pro-
bleme und Sorgen der Menschen nicht lösen. Wir ma-
chen das.
Viele junge Mediziner haben Sorge, dass sie, wenn sie
sich in der Fläche niederlassen, doppelt bestraft werden;
nämlich mit immer mehr Patienten. Deswegen sorgen
wir dafür, dass die Mengenabstaffelung in der Fläche ab-
geschafft wird, dass es Zuschläge geben kann, damit die
jungen Mediziner, die in die Fläche gehen, auch die Per-
spektive haben, dass sie dort eine leistungsgerechte Ver-
gütung bekommen. Wir schaffen die Residenzpflicht ab.
Wir lockern die Regelungen zu Zweitpraxen. Wir geben
die Möglichkeit einer Eigeneinrichtung dort, wo sich
kein Arzt findet, und wir bauen die Sorgen vor Regress-
forderungen ab, damit der Arzt, der viele Patienten zu
betreuen hat, keine Angst haben muss, für zu viele Arz-
neimittelverschreibungen in Haftung genommen zu wer-
den. Auch das ist ein wichtiger Bereich.
Außerdem sorgen wir dafür, dass der gesellschaftliche
Wandel im Gesundheitswesen ankommt; denn wir wis-
sen, dass die Medizin immer weiblicher wird und dass
junge Männer wie Frauen heute eine andere Einstellung
zum Beruf haben. Auch auf diesen gesellschaftlichen
Wandel müssen wir Antworten finden. Die Vereinbarkeit
von Familie und Gesundheitsberuf ist uns ein ganz wich-
tiges Anliegen in diesem Gesetzentwurf,
weil der Arztberuf leider noch auf einem alten Gesell-
schaftsbild in den Strukturen von Krankenhäusern und
Kassenärztlichen Vereinigungen aufbaut.
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ir hatten damals über Gesundheitsreformen verhan-
elt. Damals habe ich mich bitter beschwert, dass die
eform wieder einmal an der FDP gescheitert ist. Da
eufzte der Kollege und meinte: Im Gesundheitsbereich
das gebe ich zu – sitzen bei uns die falschen Leute. Zu
iel Lobbyismus war damals unser Thema: zu viel Lob-
yismus, zu wenig Wettbewerb. Wissen Sie, was die
ede des Kollegen Bahr gerade gezeigt hat? Bis heute
itzen im Gesundheitsbereich bei Ihnen die falschen
eute. Der Lobbyismus ist Ihnen wichtiger als der Wett-
ewerb, Herr Kollege Brüderle.
Ich will versuchen, das darzustellen. Womit haben wir
s jetzt zu tun? Das Gesetz ist ein Versorgungsgesetz.
ber um welche Versorgung geht es denn? Es geht doch
icht um die Versorgung der Patienten oder der Versi-
herten. Es geht um die Ärzteversorgung. Das Gesetz
üsste korrekterweise Ärzteversorgungsgesetz heißen
der noch präziser: Gesetz zur Stärkung der Kassenärzt-
chen Vereinigungen. Das entspricht doch dem, was be-
chlossen wurde. Sie haben von allen Maßnahmen, die
ie Versorgung der Patienten verbessert hätten, Abstand
enommen, beispielsweise von der ungleichen Honorie-
ng durch gesetzlich Versicherte und Privatpatienten.
ies ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb die Ärzte
uf dem Land für wenig Geld lange arbeiten müssen und
den Großstädten zum Teil mit wenig Patienten gut
erdienen.
ieses Problem haben Sie überhaupt nicht anzugehen
ewagt. Die FDP steht dafür, dass die gleiche medizini-
17328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Karl Lauterbach
)
)
sche Leistung vom Privatpatienten teurer bezahlt werden
muss. Was ist denn das für ein Wettbewerb, Herr
Brüderle? Das ist doch ein Witz. In Wirklichkeit ist es
so: Der Hauptgrund für die Fehlverteilung der Ärzte
wird nicht beseitigt.
Der zweite Punkt. Auch hier werden allein die Vor-
stellungen der Kassenärztlichen Vereinigungen berück-
sichtigt. Wer wird demnächst die präzise regionalisierte
Honorarverteilung vornehmen? Nicht die Patientenver-
treter, sie erfolgt auch nicht über den Wettbewerb der
Krankenkassen, sondern sie wird durch die Kassenärztli-
chen Vereinigungen vorgenommen, also genau durch die
Einrichtung, die die Fehlverteilung, die der Minister be-
klagt, verursacht hat. Es ändert sich nichts. Es wird de
facto nichts geändert.
Der einzige Punkt, der geändert wird, ist: Die Ärzte
auf dem Land, die ohnedies überlastet sind, die bis acht
Uhr abends arbeiten, deren Praxen total voll sind, be-
kommen ein bisschen mehr Geld. Das gönne ich den
Ärzten – damit wir uns nicht falsch verstehen –, aber
diese Ärzte können keine zusätzlichen Patienten behan-
deln.
Somit wird nichts anderes gemacht, als die bestehende
Fehlversorgung aufrechtzuerhalten. Die überlasteten
Ärzte bekommen ein bisschen mehr Geld.
Sie hätten dafür sorgen müssen, dass in den überver-
sorgten Gebieten die frei werdenden Praxen aufgekauft
werden – es geht ja nicht um den Kauf von Praxen, die
nicht frei werden – und auf dem Land neue eröffnet wer-
den. Das war die Maßnahme, die wir alle für richtig hiel-
ten. Vor dieser Maßnahme haben Sie Angst gehabt, weil
Ihnen die Kassenärztlichen Vereinigungen dieses nicht
erlaubt haben. Sie sind eingeknickt vor den Lobbyisten
der Kassenärztlichen Vereinigungen. Daher wird dieses
Gesetz zum Schluss keine Verbesserung der Versor-
gungsstruktur bringen.
– Nein, es ist kein Zerrbild.
– Das ist nicht von vorgestern.
Ich nenne ein weiteres Beispiel. Sie bauen eine neue
Doppelstruktur auf. Sie bauen eine spezielle fachärzt-
liche Versorgung auf. Der Minister hat die Chuzpe be-
sessen und das sogar im Zusammenhang mit der verbes-
serten Aidsvorbeugung hier vorgetragen. Die Aids-
vorbeugung, die wir alle gemeinsam beschlossen haben,
hat mit dieser Art der Versorgung überhaupt nichts zu
tun. Sie, Herr Minister, haben das Vorbeugegesetz, das
während der Großen Koalition in der Schublade lag, ein-
gesackt; das war Ihre erste Amtshandlung. Sie haben für
die Vorbeugung – das ist doch unstrittig im Haus – bis-
her gar nichts gemacht.
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ie machen nichts für die Vorbeugung und nennen aus-
erechnet das Beispiel Aids.
Das einzige, was Sie machen, ist der Aufbau einer
euen Versorgungsstruktur, die spezielle fachärztliche
ersorgung. Die speziellen Fachärzte werden aber mit
en Hausärzten konkurrieren. Somit wird es letztendlich
eniger Hausärzte geben. Eine junge Ärztin, die sich
ach dem Studium entscheiden muss, wohin sie geht und
as sie macht, hat eine weitere Option, die mit der
ausarztversorgung nichts zu tun hat: Sie kann sich als
pezialärztliche Versorgerin in der Stadt niederlassen.
as führt dazu, dass wir weniger Hausärzte haben und
icht mehr.
Die bestehende Versorgung wird teurer, auf der
rundlage der Einschätzung der Krankenkassen um
twa 2 Milliarden Euro. Die Versorgung wird aber in der
ualität nicht besser. Die Kassenärztlichen Vereinigun-
en werden gestärkt. Und das Ganze wollen Sie uns ver-
aufen als ein Gesetz, mit dem die Versorgung der Pa-
enten verbessert wird? Ich bitte Sie! Das gelingt noch
icht einmal Herrn Lanfermann, bei dessen Rede die
nion nicht geklatscht hat. Bei allem Selbstlob, für das
ie bekannt sind, Herr Lanfermann, dieses Gesetz wird
ie Versorgungsstruktur in Deutschland nicht verändern.
Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lotter
u?
Ja.
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege Lauterbach, stimmen Sie mir ers-
ns zu, dass Hausärzte für andere Krankheitsbilder zu-
tändig sind als spezialfachärztlich tätige Ärzte und dass
s insofern zu keiner Konkurrenzsituation kommen
ann, sondern es sich um eine Ergänzung handelt?
Stimmen Sie mir zweitens zu, dass Ärzte, die ge-
wungen werden sollen, in unterversorgte Gebiete zu ge-
en, dann eher den Weg in die Schweiz oder nach Skan-
inavien wählen?
Zum ersten Punkt. Ich habe bereits ausgeführt – ich
enke, das war leicht verständlich –, dass wir zu wenige
ediziner haben. Wenn diese wenigen Mediziner sich
wischen einer schlecht bezahlten Hausarzttätigkeit auf
em Land und einer gut bezahlten Facharzttätigkeit in
er Stadt entscheiden können, dann wird es noch weni-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17329
Dr. Karl Lauterbach
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ger Mediziner geben, die sich für die Hausarzttätigkeit
entscheiden. Somit werden noch weniger Ärzte in der
Hausarztversorgung und noch mehr Ärzte in der Fach-
arztversorgung tätig sein. Sie verschlimmern ein beste-
hendes Problem.
Zum zweiten Punkt. Niemand geht ins Ausland, wenn
die Rahmenbedingungen in Deutschland stimmen. Das
heißt, egal ob es um gesetzlich Versicherte oder Privat-
versicherte geht, Ärzte müssen durch Bürokratieabbau
entlastet und auskömmlich bezahlt werden. Die Vorbeu-
gung muss besser bezahlt werden. Wir brauchen mehr
Wettbewerb und mehr Transparenz. Wir brauchen all
das. Aber das Gesetz leistet dazu keinen Beitrag. Das ist
doch der Grund, weshalb es sich immer weniger lohnt,
als Arzt in Deutschland tätig zu sein.
– Wir werden das machen. Ich gehe in der Tat fest davon
aus, dass wir Sie ab 2013 bei dieser Aufgabe entlasten
können.
Ich möchte darauf hinweisen: Dieses Gesetz – da
stimme ich der Kollegin Bunge nicht zu – kann man
nicht abtun als ein Gesetz, das zwar nichts bringt, aber
keinen dauerhaften Schaden anrichtet. Dem ist, glaube
ich, nicht so. Für all die Probleme, die wir jetzt nicht lö-
sen, gilt: Uns läuft die Zeit weg. Sie müssen bedenken:
Heute zahlen die Menschen in den unterversorgten Ge-
bieten den gleichen Beitrag wie die Menschen in den
Städten – zum Teil mehr – für eine Versorgung, die sie
de facto nicht haben. Die Menschen auf dem Land zah-
len den gleichen Beitrag, die gleichen Zusatzbeiträge
und Sonderbeiträge für eine Leistung, die sie nur bekä-
men, wenn sie umziehen würden. Wir schulden den
Menschen in den unterversorgten Gebieten schon seit
Jahren eine Verbesserung ihrer Versorgung; denn sie
zahlen voll, bekommen aber weniger. Im Hinblick da-
rauf haben Sie in diesem Gesetz nichts geleistet. Sie sind
vor den Lobbyisten eingeknickt. Das ist insbesondere für
die FDP eine Schande; denn die FDP muss in diesen
Zeiten gegen den Ruf kämpfen, nichts anderes zu sein
als eine reine Klientel- und Lobbyistenpartei.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Jens Spahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
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ntscheidend bei einem Flug ist, dass Sie sicher von A
ach B kommen, dass die entsprechenden Sicherheitsan-
rderungen erfüllt sind, dass der Pilot die entsprechende
usbildung hat, dass Sie angenehm sitzen können. Derje-
ige, der dann zusätzlich etwas will – meinetwegen die
chokolade bei der Landung –, gönnt sich die Business-
lass. Genau das ist unser Verständnis von Gesundheits-
olitik. Wir wollen eine Grundversorgung, die sicherstellt,
ass jeder – unabhängig vom Alter, vom Einkommen,
om sozialen Status und davon, wo er lebt – die notwen-
ige medizinische Versorgung auf dem aktuellen Stand
on Technik und Wissenschaft bekommt. Wer sich aber
ehr leisten will, soll das auch tun können. Beim Flie-
en den Wettbewerb und die Differenzierung selbst nut-
en und die erste Klasse genießen, in der Gesundheits-
olitik aber Wettbewerb und Differenzierung nicht
ulassen – das ist doppelzüngig, lieber Herr Kollege
auterbach. Das ist heute deutlich geworden wie selten.
Wir haben in Deutschland – das ist ohne Zweifel so;
er Herr Minister hat darauf hingewiesen – eines der
esten Gesundheitssysteme der Welt. Schauen Sie auf
ie Wartezeiten und die flächendeckende Versorgung. Es
utzt Ihnen nichts, wenn es Spitzenmedizin in London
der New York gibt, sondern es ist entscheidend, dass
ie – wie es in Deutschland der Fall ist – eine gute Ver-
orgung in der Fläche haben. Jedoch steht auch das beste
esundheitssystem der Welt vor Herausforderungen,
eränderungen und Problemen. Mit diesem Versor-
ungsstrukturgesetz gehen wir die Probleme im Versor-
ungsalltag der Menschen an, die uns ganz konkret
auch in den Bürgersprechstunden im Wahlkreis sowie
ei Veranstaltungen – nahegebracht werden. Wir greifen
ie auf und wollen sie mit einem Bündel verschiedener
aßnahmen lösen. Deswegen ist das – der Patientenbe-
uftragte hat das schon zu Recht gesagt – heute ein guter
ag für die Patientinnen und Patienten in Deutschland.
Dieses Gesetz reiht sich nahtlos ein in die Gesund-
eitsgesetzgebung der christlich-liberalen Koalition. Wir
aben mit dem GKV-Finanzierungsgesetz eine solide
asis für die gesetzliche Krankenversicherung geschaf-
n. Eines der größten Defizite, das für 2011 in der Ge-
chichte der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet
urde, haben wir mit kurzfristigen Maßnahmen, vor al-
m aber auch mit einem Konzept zur langfristigen
inanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung ab-
17330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Jens Spahn
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gewendet. Die Finanzierung erfolgt nicht mehr nur lohn-
abhängig, sondern – gerechter – über einen steuerfinan-
zierten Sozialausgleich bzw. über den Zusatzbeitrag.
Die gesetzliche Krankenversicherung befindet sich – mit
so vielen Rücklagen und so vielen Möglichkeiten wie
noch nie – in einer guten Lage. Zum einen ist das ein
Verdienst derjenigen, die ihren Beitrag leisten mussten:
der Apotheker, der Pharmaindustrie, der Ärzte und der
Krankenhäuser. Sie werden in den Jahren 2011 und 2012
weniger haben, als eigentlich geplant war. Zum anderen
ist es dem Beitrag der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber
geschuldet. Es ist aber auch ein großer Erfolg christlich-
liberaler Gesundheitspolitik. Darauf sind wir auch ein
Stück weit stolz.
Neben der Frage der Finanzierung gibt es ein zweites
entscheidendes Qualitätsmerkmal des deutschen Ge-
sundheitswesens, nämlich den Zugang zu Innovationen.
Auf der gesamten Welt findet man im Grunde kein ande-
res gesetzliches Gesundheitssystem, in dem beispiels-
weise Arzneimittel direkt ab Zulassung erstattungsfähig
sind und bezahlt werden. Das gibt es nur in Deutschland.
Wir haben aber gesagt: Es kann nicht sein, dass die jahr-
zehntelange Praxis in Deutschland fortgesetzt wird,
unabhängig vom tatsächlichen Zusatznutzen, also unab-
hängig von der Frage, ob ein neues Medikament tatsäch-
lich mehr Nutzen bringt und eine Verbesserung darstellt,
und dass wir jeden Preis zahlen, der verlangt wird. Wir
haben mit dem sogenannten Arzneimittelmarktneuord-
nungsgesetz die Balance zwischen dem Bedürfnis der
Patienten nach Hilfe – denn mit neuen Medikamenten ist
auch viel Hoffnung auf Leidminderung, etwa bei der
Krebstherapie, verbunden – und dem Bedürfnis nach an-
gemessenen Preisen hinbekommen. Sie haben jahrelang
davon geredet, wir haben es jetzt vernünftig umgesetzt.
Das ist es doch, was Sie so wurmt, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Das Versorgungsstrukturgesetz passt nahtlos zum
dritten Qualitätsmerkmal des deutschen Gesundheitswe-
sens, das darin besteht, eine flächendeckende Versor-
gung bei hoher Qualität sicherzustellen. Wir haben damit
begonnen, mit dem Krankenhausinfektionsschutzgesetz
den Versorgungsbereich in den Blick zu nehmen. Dabei
geht es um die Frage der Hygiene in den Krankenhäu-
sern. Das ist ein Thema, welches die Menschen – leider
auch immer wieder wegen trauriger Vorfälle wie jetzt in
Bremen – zu Recht massiv bewegt. Sie wollen nicht
kranker aus den Krankenhäusern kommen, als sie hi-
neingegangen sind. Wir haben da bundesgesetzlich gere-
gelt, was zu regeln war. Jetzt sind die Länder gefragt –
übrigens auch Bremen. Wir wollen Anfang nächsten
Jahres den Entwurf eines Patientenrechtegesetzes vorle-
gen.
Im Kern der Überlegungen zur Versorgungsstruktur
steht für uns aber das Versorgungsstrukturgesetz. Ein
Kernelement dieses Gesetzes ist, die flächendeckende
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Herr Kollege Lauterbach, eines unterscheidet uns
rundsätzlich – das stört mich schon den ganzen Morgen
ier in der Debatte, auch das, was Sie hier gesagt ha-
en –: Wir wissen, dass man eine gute Versorgung der
enschen im Land nur mit den Ärzten und nicht gegen
ie schafft;
ie wollen da mit dem Hammer ran. Wir hatten hier im
eutschen Bundestag schon Anträge vorliegen, in denen
ie gefordert haben: Wer als Facharzt nicht innerhalb
on zwei oder drei Wochen einen Termin ermöglicht, der
oll 10 000 oder 15 000 Euro Strafe zahlen. – Sie wollen
it dem Hammer ran; Sie wollen mit Zwang arbeiten;
ie wollen Sanktionen. Das ist nicht unser Weg; denn er
hrt am Ende nicht zu einer guten Versorgung, sondern
u Frustration.
eswegen arbeiten wir mit Anreizen, mit den Ärzten,
icht gegen sie, für eine gute Versorgung der Menschen.
Die Menschen haben ein gutes Gespür für das, was
otwendig ist. Sie wissen natürlich, dass die Debatte
ber die flächendeckende medizinische Versorgung,
ber die Verteilung der Ärzte, eine Vorbotendebatte über
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17331
Jens Spahn
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die anderen Fragen der Versorgung ist. Deswegen stellen
wir das in den Mittelpunkt. Da, wo kein Arzt ist, wird
auf Dauer auch kein Apotheker existieren können. Eine
Apotheke ohne Rezept, das ist auf Dauer schwierig. Phy-
siotherapeuten zum Beispiel werden sich auf Dauer nicht
dort niederlassen, wo es keine Ärzte gibt, weil sie dort
nicht überleben können.
Unsere Vorbotendebatte geht übrigens mit anderen
Diskussionen über die Infrastruktur im ländlichen Raum
einher. Wir haben Debatten darüber, ob Schulen vor Ort
bestehen bleiben können oder wie es mit dem Einzelhan-
del vor Ort weitergeht. Selbst Kirchengemeinden müs-
sen fusionieren. Da ist es für die Menschen gerade im
ländlichen Raum ein entscheidendes Thema, ob es noch
einen Arzt, einen Hausarzt oder einen Facharzt vor Ort
gibt. Deswegen greifen wir dieses zentrale Thema auf;
es bewegt die Menschen. Es ist fast ein höhnischer
Schlag in die Gesichter der Menschen, wenn man hört,
wie Sie hier und heute mit diesem Thema umgehen.
Es steht noch deutlich mehr in diesem Gesetz. Wir
wollen das Thema des sogenannten Entlassmanagements
angehen. Wenn ein Patient am Freitagnachmittag nach
einer Hüftoperation aus der Klinik entlassen wird: Hat
sich jemand darum gekümmert, was anschließend pas-
siert? Wurde darauf geachtet, ob ambulante oder statio-
näre Pflege nötig ist, ob eine Familie da ist, die den Pa-
tienten auffängt, oder ob jemand alleine lebt? Wurde
vorab mit dem Arzt, der weiterbehandelt, gesprochen?
Das passiert heute teilweise schon, aber viel zu selten.
Deswegen wollen wir das verbessern.
Wir greifen das Thema der spezialfachärztlichen Ver-
sorgung auf – es ist schon angesprochen worden –, um
gerade bei schwierigen Erkrankungen – im Bereich der
Onkologie, bei der Behandlung von Krebs, bei der Be-
handlung von MS und Parkinson, im Bereich der Bra-
chytherapie – höchste Qualitätsstandards und eine
Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und nieder-
gelassenen Ärzten zu erreichen, weil es im Interesse der
Menschen liegt, dass etwas für eine gute Versorgung ge-
tan wird. Herr Kollege Terpe, die Veränderungen, die
wir bei der spezialfachärztlichen Versorgung vorneh-
men, gehören zu den grundlegendsten Strukturverände-
rungen, die es in den letzten Jahren im deutschen Ge-
sundheitswesen gegeben hat. Deswegen gehen wir sie
voller Überzeugung im Sinne der Patienten an.
Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Zusammen-
arbeit der Gesundheitsberufe. Sie haben jetzt wieder, wie
schon gestern im Ausschuss, mehrfach behauptet, es
gehe nur um die Ärzte. Das stimmt so pauschal nicht.
Wir wollen ganz bewusst die Zusammenarbeit zwischen
niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern verbes-
sern, aber auch zwischen Ärzten und Apothekern. Bei-
spiel Medikationskatalog: Es gibt in Deutschland immer
mehr Menschen, die zum Teil 10, 15 oder 20 unter-
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Es ist schon bezeichnend, dass Ihnen nicht viel mehr
infällt als die lahme Kritik, die Sie vorgebracht haben.
er Entschließungsantrag, den Sie heute vorgelegt ha-
en, ist eigentlich ein Aufguss alter, oft gehörter Über-
chriften. Er wird aber nicht besonders konkret, wenn es
m die Verbesserung des vom Patienten erlebten Versor-
ungsalltags geht. Wenn wir uns heute das deutsche Ge-
undheitswesen betrachten, dann stellen wir fest: Wir ha-
en eine solide Finanzlage der Kassen und wachsenden
ettbewerb um die beste Qualität in der Versorgung. In
nserer Gesundheitswirtschaft sind 4,5 Millionen Men-
chen beschäftigt. Es ist übrigens die Branche in
eutschland, die am stärksten wächst. Dieses Wachstum
ollen wir befördern. Deswegen brauchen wir eine an-
ere Finanzierungsgrundlage. Wir haben eine Freiheit
ei der Ärztewahl und eine Therapiefreiheit, wie es sie
17332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Jens Spahn
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kaum in einem anderen Land auf der Welt gibt. Wir ha-
ben eine flächendeckende Versorgung und vor allem
Verständnis für die konkrete Versorgungssituation der
Patienten, für ihre Sorgen und Nöte. Die greifen wir mit
diesem Gesetzentwurf auf.
Christlich-liberale Gesundheitspolitik ist erfolgreich.
Sie wird auch erfolgreich bleiben. Das wurmt Sie – das
wissen wir –, weil wir vieles von dem, was Gegenstand
der gesundheitspolitischen Debatte in den letzten Jahren
war, aufgegriffen haben.
Herr Kollege.
Wir laden Sie dazu ein, diesen Weg mit uns weiterzu-
gehen. Christlich-liberale Gesundheitspolitik ist erfolg-
reich, weil sie gut für die Patientinnen und Patienten in
Deutschland ist.
Das Wort erhält nun die Kollegin Kathrin Vogler für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch beim Versorgungsstrukturgesetz, über das wir
heute abschließend beraten, müssen wir über Demenz
sprechen, und zwar über eine bestimmte Form von poli-
tischem Gedächtnisverlust, die wohl vor allem FDP-Mit-
glieder befällt.
Anders kann ich mir es nicht erklären, Herr Minister
Bahr, dass Sie jetzt bei der Ausgabe der elektronischen
Gesundheitskarte an die Versicherten den Turbo einle-
gen. Bis Ende 2012 sollen 70 Prozent der Versicherten
mit der E-Card ausgestattet sein, und das, obwohl die
Praxistests reihenweise gescheitert und viele wichtige
Fragen des Datenschutzes, der Selbstbestimmung und
der Freiwilligkeit immer noch völlig ungeklärt sind. Da-
rauf hat zu Oppositionszeiten übrigens nicht zuletzt eine
Fraktion hier im Hause deutlich hingewiesen, und das
war die FDP.
Um Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen,
greift jetzt die Linke diese immer noch richtige Kritik
auf. Wir fordern in unserem Entschließungsantrag, die
elektronische Gesundheitskarte auszusetzen, bis all diese
dringenden Fragen geklärt sind, und zwar von unabhän-
gigen Sachverständigen.
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Genau. Mit einem Änderungsantrag haben Sie das an-
ehängt. Darf ich Ihrem Gedächtnis auch diesbezüglich
uf die Sprünge helfen?
Der Kollege Stracke von der Union wies uns damals
arauf hin, welche „sehr große Bedeutung“ die Gesund-
eitswirtschaft hat und dass wir uns angesichts dieses
riesigen Wirtschaftsfaktors“ den „Entwicklungen, egal
welchem Bereich, nicht verschließen“ dürften.
as ist das eigentlich für eine Argumentation? Wir
einen, im Mittelpunkt des Gesundheitswesens müssen
mer zuallererst die Interessen der Patientinnen und
atienten und dürfen eben nicht Wirtschaftsinteressen
tehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17333
Kathrin Vogler
)
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Natürlich wecken die Milliardenbeiträge in der ge-
setzlichen Krankenversicherung Begehrlichkeiten weit
über den Gesundheitssektor hinaus. Wir wollen mit un-
serem Antrag verhindern, dass Interessen von Konzer-
nen und IT-Unternehmen immer mehr Einfluss auf die
Gesundheitspolitik erhalten. In unserem Antrag fordern
wir Sie auf, das Projekt noch einmal auf den Prüfstand
zu stellen. Dafür fehlt Ihnen aber leider der Mut; schließ-
lich geht es um bis zu 14 Milliarden Euro für die IT-
Industrie. Diese Zahl stammt übrigens nicht von den
Kritikerinnen und Kritikern des Projekts, sondern sie
stammt aus einem Gutachten der Gematik, das nicht ein-
mal der Bundestag kennen würde, hätte es damals nicht
der Chaos Computer Club gehackt. Die IT-Industrie
kann trotz erkennbarer Schwächen im Bereich der Da-
tensicherheit mit ihrer Lobbyarbeit offensichtlich ganz
zufrieden sein. Die Zeche zahlen sollen die Versicherten
in der gesetzlichen Krankenkasse mit ihren Beiträgen.
Ob die FDP zu Weihnachten so hübsche Spenden von
IT-Firmen erhalten wird wie damals nach der Hotelsteu-
ersenkung von Mövenpick, das werden nicht nur wir von
der Linken ausgesprochen interessiert beobachten.
Ich komme zum Schluss. Schon mehr als 750 000
Menschen haben gegen die E-Card unterschrieben. Ge-
meinsam mit ihnen und mit vielen Verbänden und Orga-
nisationen fordert die Linke: Patientendaten gehören in
Patientenhand. Deshalb sagen wir allen, die skeptisch
sind: Kein Foto für die E-Card! In Großbritannien wurde
ein ähnliches Projekt jüngst beerdigt, nachdem es schon
viele Milliarden Pfund verschlungen hatte. In Deutsch-
land erwies sich der elektronische Gehaltsnachweis
ELENA nicht als die Lichtgestalt, als die Sie sie uns ver-
kaufen wollten, sondern als glatter Rohrkrepierer. Bitte
lernen Sie daraus! Bitte schalten Sie Ihr Erinnerungsver-
mögen wieder an! Werfen Sie Ihr Herz über die Hürde,
und stimmen Sie einmal einem Antrag der Linken zu! Es
tut nicht weh.
Danke.
Maria Michalk hat nun das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Vogler, dass Sie von einem fahren-
den Zug abspringen wollen, das verwundert uns nicht.
Kommen wir zurück zum Versorgungsstrukturgesetz.
Wie wir heute Vormittag merken, ist eine gute, wohnort-
nahe, flächendeckende medizinische Versorgung für alle
Menschen in aller Munde. Dies ist eine berechtigte For-
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s ist die Koalition aus CDU/CSU und FDP, die dieses
roblem ernsthaft angeht.
Ich möchte jetzt auf zwei Punkte etwas genauer ein-
ehen. Mich freut besonders, dass in Zukunft der Aus-
au der Telemedizin im ländlichen Raum durch eine bes-
ere Vergütung gefördert wird. Mein Appell auch an
nsere Wirtschaftsexperten lautet: Vergessen wir dabei
icht, dass der Ausbau der Breitbandversorgung dafür
ine grundsätzliche Voraussetzung ist. Auch im länd-
chen Raum muss es eine ausreichende Breitbandver-
orgung geben und nicht nur in Ballungsgebieten, wo es
ielleicht effizienter ist.
e schneller, desto besser. Wir meinen, dass gerade junge
ediziner die Herausforderungen der Telemedizin an-
ehmen werden, weil sie sich im ländlichen Raum im
17334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Maria Michalk
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)
Bereich der telemedizinischen Versorgung an innovati-
ven Konzepten erproben und bewähren können. Das ist
eine ganz neue Herausforderung. Dies wird in Zukunft
Kreativität fördern und zu Kostenersparnis führen.
Wir sehen im Gesetzentwurf eine Vielzahl von finan-
ziellen Anreizen für Ärzte in unterversorgten Gebieten
vor. Sie werden von Begrenzungen der Vergütung ausge-
nommen, können Preiszuschläge für ihre Leistungen er-
halten und von den KVen über einen Strukturfonds ge-
fördert werden.
Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Es war uns
wichtig, die Zulassungsregelungen für die Medizini-
schen Versorgungszentren zu konkretisieren. Seit ihrer
Einführung im Jahr 2004 beobachten wir die Entwick-
lung der MVZ. Mit rund 8 600 Ärzten in rund 1 650
MVZ sind im Durchschnitt fünf Ärzte pro Einheit tätig,
die meisten im Angestelltenverhältnis. Am häufigsten
sind es Hausärzte und Internisten. Bei der Organisations-
form handelt es sich vorwiegend um GmbH oder GbR.
Der Anteil der Vertragsarztträgerschaft ist höher als der
Anteil der Krankenhausträgerschaft. Bisher gründen sich
MVZ sowohl in städtischen als auch in ländlichen Ge-
bieten, allerdings lässt sich die Mehrzahl der MVZ in
Kernstädten oder in Ober- und Mittelzentren nieder. Im
ländlichen Raum sind es 15 Prozent. Wir schaffen die
Voraussetzungen dafür, dass sich das Bild wandelt und
diese Versorgungsmöglichkeit im ländlichen Raum stär-
ker genutzt werden kann.
Wir haben für bestehende MVZ eine Bestandsschutz-
wahrung festgeschrieben, allerdings mit der Maßgabe,
dass die ärztlichen Leiter eines MVZ in medizinischen
Fragen weisungsfrei sind. Das war uns besonders wich-
tig, weil wir möchten, dass die medizinische Versorgung
im Vordergrund steht.
Für bestehende MVZ, die dies nicht einhalten, gibt es
eine Karenzzeit von sechs Monaten, dann muss es gere-
gelt sein.
Die Gründung ist nach § 95 Abs. 1 nur durch zugelas-
sene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser gemäß § 108 so-
wie SGB V sowie gemeinnützige Trägerorganisationen,
die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen,
möglich – eine Präzisierung, die wir für wichtig halten.
Wir wollen die Konzentration auf Leistungserbringer,
die den überwiegenden Teil der ambulanten und statio-
nären ärztlichen Versorgung leisten. Deshalb bin ich
froh, dass wir in diesem Gesetz noch eine Ausnahme re-
geln, nämlich für gemeinnützige Trägerorganisationen,
die als Erbringer von nichtärztlichen Dialyseleistungen
an der vertragsärztlichen Versorgung in dieser Form teil-
nehmen können.
Aktiengesellschaften sind an dieser Stelle nicht mehr
zugelassen. Sollte ein Nachbesetzungsverfahren notwen-
dig werden, dann entscheidet der Zulassungsausschuss.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt kurz anführen:
Dass wir die aufsuchende medizinische Versorgung ha-
ben, ist selbstverständlich. Hausärzte machen Hausbesu-
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Insgesamt ist festzustellen, dass wir viele kleine
unkte aufgeführt haben. Es war eine Fleißarbeit. Ich bin
ir sicher, dass alle Leistungserbringer das zum Wohle
er Versicherten und der Patientinnen und Patienten und
so hoffen wir – im Geiste dieses Gesetzes ausgestalten
erden.
Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält nun die Kollegin Marlies Volkmer für
ie SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je
chlechter ein Gesetz ist, umso mehr bedarf es der Nach-
esserung und umso mehr Änderungsanträge müssen
roduziert werden. Wer bei der Anhörung war, der hat
atürlich auch erlebt, wie verheerend diese Anhörung
r die Koalition gewesen ist. Es kamen praktisch Wat-
chen von allen Seiten.
Nun haben Sie fleißig – Frau Michalk hat es noch ein-
al gesagt – gearbeitet. Sie haben 125 Änderungsan-
äge produziert.
ur, wenn ich das in einer Beurteilung ausdrücken
üsste, würde ich schreiben: hat sich stets fleißig be-
üht. – Sie wissen selbst, was das bedeutet.
Durch die Änderungsanträge ändert sich die grund-
ätzlich falsche Ausrichtung dieses Gesetzes überhaupt
icht.
as sogenannte Versorgungsstrukturgesetz ändert eben
eine Strukturen. Aber das wäre notwendig gewesen,
eil wir mit dem klassischen Einzelkämpferarzt den An-
rderungen, die vor uns stehen, nicht gerecht werden
önnen.
Wir müssen hinsichtlich der Gewährleistung der ge-
undheitlichen Versorgung nicht vom niedergelassenen
rzt her denken, wie Sie das tun. Bei Ihnen steht dieser
ach wie vor im Mittelpunkt. Sie sagen zum Bespiel, wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17335
Dr. Marlies Volkmer
)
)
müssen die Honorare erhöhen, damit Ärzte in die ländli-
chen Regionen gehen.
Sie schaffen Voraussetzungen dafür, dass niedergelas-
sene Ärzte zusätzlich im Krankenhaus tätig werden kön-
nen.
Die anderen Leistungserbringer müssen sich, was die
Strukturen betrifft, nach dem niedergelassenen Arzt rich-
ten – sie dürfen ihm quasi nicht in die Quere kommen –,
und die Patientinnen und Patienten, für die diese Versor-
gung eigentlich da ist, müssen sich mit diesen Strukturen
zufriedengeben. Sie müssen quasi damit Vorlieb neh-
men.
Das kann nicht so bleiben. Wir müssen hinsichtlich der
Gewährleistung der Versorgung vom Patienten her den-
ken. Wir müssen fragen: Was brauchen wir für eine be-
darfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten
überall im Land, ganz egal, ob sie in der Großstadt oder
auf dem Dorf leben?
Wir alle wissen: Die Menschen werden immer älter
– der Anteil älterer und hochaltriger Menschen steigt –,
die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt zu, und wir
haben schon heute in vielen Regionen Deutschlands Ver-
sorgungsengpässe. Das alles sind Herausforderungen,
vor denen wir stehen und die wir bewältigen müssen.
Hier ist echte Teamarbeit gefragt, nicht nur zwischen
Hausärzten und Fachärzten, nicht nur zwischen nieder-
gelassenen Ärzten und Krankenhäusern, sondern auch
zwischen Ärzten und nichtärztlichen Gesundheitsberu-
fen. Es gibt im Übrigen viele Ärztinnen und Ärzte, die
das auch so sehen. Aber dieses Gesetz wird diesem An-
spruch nicht gerecht.
Durch das Gesetz zieht sich wie ein roter Faden
Klientelpolitik für Vertragsärzte.
Es gibt ein tiefes Misstrauen gegenüber modernen Ver-
sorgungsstrukturen wie zum Beispiel Medizinischen
Versorgungszentren. Auch wenn die Medizinischen Ver-
sorgungszentren hier gerade sehr gelobt worden sind,
muss man doch feststellen, dass den Medizinischen Ver-
sorgungszentren mit diesem Gesetz wieder Fesseln an-
gelegt werden.
Eines muss man der Koalition lassen: Sie ist konse-
quent, wenn es um die Klientelpolitik für niedergelas-
sene Ärzte geht.
Aber es fehlen der Wille und vielleicht auch der Mut,
konsequent etwas für die qualitätsgesicherte Versorgung
der Patientinnen und Patienten zu tun. Ein Beispiel dafür
ist, dass wir schon ewig auf das angekündigte Patienten-
rechtegesetz warten. Ich bin gespannt, ob es im Frühjahr
nächsten Jahres das Licht der Welt erblicken wird.
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er muss das bezahlen?
as müssen die Versicherten über Zusatzbeiträge allein
ezahlen; denn diese Regierung hat die Arbeitgeberbei-
äge eingefroren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie vielleicht
edenken haben, einem Gesetz zuzustimmen, das die
ersorgung nicht verbessert, das Gesundheitssystem
ber teurer macht, dann ermutige ich Sie, unserem Ent-
chließungsantrag zuzustimmen.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
nd Kollegen! Das Berlin-Institut für Bevölkerung und
ntwicklung wurde gestern in meiner Heimatzeitung mit
lgender Überschrift zitiert: Das Land muss sich neu er-
nden. – Gott sei Dank müssen wir das Gesundheitswe-
en nicht neu erfinden; denn wir haben ein gutes Ge-
undheitswesen.
s ist aber notwendig, dieses Gesundheitswesen weiter-
uentwickeln; das ist wahr.
17336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Lothar Riebsamen
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Wir müssen auf die demografische Entwicklung re-
agieren. Die Bevölkerung, also auch die Patientinnen
und Patienten, wird erfreulicherweise immer älter, und
auch die Ärztinnen und Ärzte werden erfreulicherweise
immer älter. Durchschnittlich sind sie inzwischen
53 Jahre alt. Damit läuft bereits jetzt eine Welle von In-
ruhestandsetzungen, und es ist keineswegs gewährleis-
tet, dass all diese niedergelassenen Ärzte auch tatsäch-
lich einen Nachfolger finden. Das ist ein Problem.
Ein weiteres Problem ist der Trend, dass die Bevölke-
rung raus aus ländlichen Räumen hinein in die Städte
zieht. Das hat damit zu tun, dass wir zu wenige Kinder
haben. Familien mit Kindern bevorzugen den ländlichen
Raum. Diese werden nun leider weniger, mit der Folge,
dass die öffentliche Infrastruktur, wie Schulen, Kinder-
gärten und anderes mehr, und auch die private Infra-
struktur, wie Geschäfte, Bankfilialen und auch Arzt-
praxen, im ländlichen Raum in Nöte kommen, es hier
Einschränkungen gibt und auch Einrichtungen geschlos-
sen werden.
Die dritte Herausforderung besteht darin, dass die
heutige junge Ärztegeneration eine etwas andere Vor-
stellung davon hat, ihren Beruf zu leben als die Genera-
tion vor 20 oder 30 Jahren. Hier spielen die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf, aber auch die Frage, ob man
das Risiko eingehen kann, im ländlichen Raum in eine
neue Arztpraxis zu investieren, eine wichtige Rolle.
Diesem Bündel von Veränderungen stellen wir mit
diesem Gesetzentwurf ein Bündel von Maßnahmen zur
Lösung gegenüber. Wir werden mit diesem Gesetzent-
wurf das Gesundheitsniveau in unserem Land mit wei-
terhin freier Arztwahl, freier Krankenhauswahl und ei-
ner flächendeckenden Versorgung im ambulanten und
stationären Bereich auf hohem Niveau halten.
Bei dieser Problemlage spielt natürlich die Bedarfs-
planung eine herausragende Rolle. Es ist notwendig, die
Bedarfsplanung nicht mehr global, pauschal zu betrach-
ten, sondern sie ganz konkret an den örtlichen Gegeben-
heiten, an den Distanzen bis zum nächsten Facharzt und
bis zum nächsten Hausarzt, an der konkreten Morbidität
und an der konkreten Sozialstruktur auszurichten.
Es ist bei dieser Bedarfsplanung auch notwendig, sek-
torübergreifend vorzugehen – das tun wir mit diesem
Gesetzentwurf –, Krankenhäuser und Rehakliniken mit
einzubeziehen, aus wirtschaftlichem Interesse dafür zu
sorgen, dass Doppelstrukturen abgebaut werden, und im
Interesse der Patienten zu erreichen, dass diese nicht von
Pontius zu Pilatus gehen müssen, sondern die Diagnosen
und Therapien möglichst an einer Stelle erhalten kön-
nen.
Diese Ziele können wir nicht ohne die Ärzte, sondern
nur im Zusammenspiel mit den Ärzten erreichen. Des-
wegen müssen wir Anreize setzen, um den niedergelas-
senen Ärzten vor allem im ländlichen Bereich und in be-
stimmten Stadtbezirken das Leben ein Stück weit zu
erleichtern.
Dazu gehört zum Beispiel die Abschaffung der Resi-
denzpflicht. Wenn beide Partner in verschiedenen Städ-
ten arbeiten, dann muss schon innerhalb der Familie ein
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Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8009? –
Gegenprobe! – Wer enthält sich? – Auch dieser Ent-
schließungsantrag ist mehrheitlich angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/8010? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag
ist mit Mehrheit abgelehnt.
Unter Tagesordnungspunkt 3 b setzen wir die Abstim-
mung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Gesundheit auf Drucksache 17/8005 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/3215 mit dem Titel „Wirksamere Be-
darfsplanung zur Sicherung einer wohnortnahen und be-
darfsgerechten gesundheitlichen Versorgung“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/7190 mit dem Titel „Wirksame
Strukturreformen für eine patientenorientierte Gesund-
heitsversorgung auf den Weg bringen“. Wer stimmt die-
ser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
der gleichen Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrages der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
17/7460 mit dem Titel „Moratorium für die elektroni-
sche Gesundheitskarte“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit
angenommen worden.
– Das war schon ziemlich übersichtlich.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis e sowie 20
auf:
4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silvia
Schmidt , Anette Kramme, Elke
Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für
eine inklusive Gesellschaft nutzen
– Drucksache 17/7942 –
Zimmermann, Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Neunten Buches Sozialge-
setzbuch – Gesetzliche Fristen für die Feststel-
lung der Behinderung und die Erteilung des
Ausweises
– Drucksache 17/6586 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Behindern ist heilbar – Unser Weg in eine in-
klusive Gesellschaft
– Drucksache 17/7872 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Petitionsausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
17338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert, Dr. Martina Bunge, Agnes Alpers, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Teilhabesicherungsgesetz vorlegen
– Drucksache 17/7889 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Neuntes Buch Sozialgesetzbuch im Sinne des
Selbstbestimmungsrechts der Menschen mit
Behinderung weiterentwickeln
– Drucksache 17/7951 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Elvira Drobinski-Weiß, Hans-
Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Tag des Barrierefreien Tourismus auf der ITB
unterstützen
– Drucksache 17/7827 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir offensicht-
lich so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache.
Sobald man sich auf den Bänken neu sortiert hat, erhält
die Kollegin Elke Ferner das Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Am
Samstag ist der Welttag der Menschen mit Behinderun-
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ie wollen als selbstverständlicher Teil der Vielfalt einer
esellschaft akzeptiert und respektiert werden. Sie wol-
n nicht als Bittstellerinnen oder Bittsteller am Rande
er Gesellschaft stehen. Sie wollen teilhaben können
nd nicht nur bloß teilhaben dürfen.
Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen
ilden die gleichberechtigte Teilhabe und die Selbstbe-
timmung aller Menschen, die von gegenseitigem Res-
ekt und von gegenseitiger Solidarität getragen sind, das
undament unserer Gesellschaft. Behindertenpolitik ist
eine Nischenpolitik. Sie ist Menschenrechtspolitik.
olitik für Menschen mit Behinderungen muss immer
olitik zusammen mit den Expertinnen und Experten in
igener Sache sein und keine Politik über sie.
Wir haben seit 1998 mit den Grünen viel auf den Weg
ebracht, auch wenn wir noch lange nicht alles erreicht
aben, was man erreichen muss. Wir haben das Behin-
ertengleichstellungsgesetz gemacht. Damit haben wir
rstmals Ansprüche behinderter Menschen auf barriere-
eien Zugang sowohl zu Infrastruktureinrichtungen als
uch zu Informationen und geistiger Teilhabe gesetzlich
erankert. Wir haben mit der Einführung des SGB IX als
rste den Versuch unternommen, das zergliederte Sozi-
lsystem zugunsten von Menschen mit Behinderungen
usammenzuführen. Wir haben in der Großen Koalition
egen die erbitterten Widerstände aus CDU und CSU
as Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auch in
eutschland Wirklichkeit werden lassen. Das sind si-
herlich Meilensteine in der Behindertenpolitik.
eit 2006 gilt damit erstmals ein eigenes Gesetz, mit
em die Diskriminierung von Menschen mit Behinde-
ngen sanktioniert wird. Davon – das muss man leider
agen – zehren die Koalition und die sie tragenden Frak-
onen immer noch. Bisher sind keine eigenen Initiativen
uf den Weg gebracht worden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17339
Elke Ferner
)
)
Wir haben vor zwei Jahren die UN-Behinderten-
rechtskonvention ratifiziert, und die Regierung hat
nichts geliefert. Unser Antrag enthält mehr Forderungen
und Möglichkeiten als das, was Sie in Ihrem doch sehr
zögerlichen Nationalen Aktionsplan geliefert haben. Wir
haben kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Umset-
zungsdefizit. Deshalb muss ein Aktionsplan mehr als ein
paar Absichtserklärungen und Forschungsaufträge ent-
halten.
Ich muss Ihnen sagen: Mit Ihrer konkreten Politik ge-
hen Sie zurück und nicht voran. Ich will das an ein paar
Beispielen deutlich machen. Das KfW-Programm zur
Förderung von Maßnahmen zum Bau einer barriere-
freien Wohnung läuft aus.
Was machen Sie mit den Teilen der UN-Behinderten-
rechtskonvention, in denen es um Bewusstseinsbildung
und Vorgehen gegen Diskriminierung geht? Die Mittel
für die Antidiskriminierungsstelle werden gekürzt, und
zwar Jahr für Jahr. Sie wollen die Rentenversicherungs-
beiträge von Beschäftigten im Ausbildungsbereich einer
Werkstatt für Behinderte der Verantwortung der Steuer-
zahler entziehen und diese Kosten auf die Rehaträger ab-
laden. Auch in der Novelle des Personenbeförderungs-
gesetzes ist nichts zu umfassender Barrierefreiheit in den
neuen Fernbussen, die bald auf Deutschlands Straßen
unterwegs sein werden, zu finden. All das sind Schritte
zurück und nicht nach vorne.
Der letzte Punkt, den ich im Rahmen der konkreten
Beispiele noch anführen möchte, ist, dass Sie bei der
Neuordnung der Regelsätze Menschen über 25 Jahre un-
gleich behandeln, abhängig davon, ob sie zum Rechts-
kreis des SGB XII oder des SGB II zählen. Damit haben
Sie de facto Leistungen für Menschen mit Behinderun-
gen gekürzt, Frau von der Leyen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie nach der Proto-
kollnotiz, die von der Bundesregierung im Bundesrat ab-
gegeben worden ist, heute ankündigen würden, dass Sie
schnell eine Lösung anbieten werden, statt ellenlange
Briefe zu schreiben und das Ganze auf den Sankt-Nim-
merleins-Tag zu verschieben.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Die Einzel-
heiten werden nachher noch von den anderen Rednern
und Rednerinnen erläutert. Ich glaube, dass wir in der
Behindertenpolitik einen Paradigmenwechsel brauchen.
Wir müssen uns – wir wollen das auch – an den Stärken
und Potenzialen der Menschen mit Behinderungen
orientieren, und wir müssen die bisherige Defizitorien-
tierung endlich überwinden.
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Das Wort hat nun die Bundesministerin für Arbeit und
oziales, Frau Dr. von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
erner, ich habe die Kritik im Detail gehört. Aber ich
laube, es gibt auch sehr große Gemeinsamkeiten. Ich
öchte zwei, drei Gedanken über diese Gemeinsamkei-
n vorwegschicken. Denn das ist auch der zentrale Leit-
edanke der UN-Behindertenrechtskonvention, der dies
eutlich formuliert, nämlich die Idee der Inklusion.
Unsere Vision, unser Ziel ist die Inklusion. Wir sind
uf dem Weg dorthin, dass wir eines Tages in einer Ge-
ellschaft leben, in der es in Geschäften, auf Straßen, in
otels, in einer Pizzeria, im Fernsehen, bei der Arbeit, in
er Straßenbahn, wo immer wir uns bewegen, Menschen
it unterschiedlichen körperlichen, intellektuellen oder
entalen Voraussetzungen gibt, die mit großer Selbst-
erständlichkeit ohne Trennung miteinander leben, und
ass wir das als selbstverständlich erleben. Das ist der
roße Gedanke der Inklusion der UN-Behindertenrechts-
onvention.
Für uns ist der Auftrag, die UN-Behindertenrechts-
onvention umzusetzen, ein Focal Point. Die Bundesre-
ierung hat den Nationalen Aktionsplan auf den Weg ge-
racht, mit dem wir mit 200 größeren und kleineren
aßnahmen entsprechende Schritte machen. Sie können
ie kritisieren und sagen: Das ist zu wenig. Aber die
onvention sagt zu Recht: Alle – also nicht nur die Bun-
esregierung, sondern auch die Länder, die Kommunen,
ie Wohlfahrtsverbände und die Wirtschaft – sollen sa-
en, was sie dazu beitragen, dass wir in einer inklusiven
esellschaft leben können. Der Gedanke ist, dass jeder
rst einmal selber sagt, was er oder sie für eine inklusive
esellschaft tut, bevor man mit dem Finger auf andere
eigt und sagt: Ihr müsst das tun. Man soll erst einmal
elber sagen: Was können wir beitragen?
17340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
)
)
Ich glaube, das ist ein großartiger Ansatz. Denn es ist
viel schwerer zu sagen: „Das tun wir aktiv“, sei es ein
Verband, ein Wirtschaftszweig, eine Kommune, die
Bundesregierung oder ein einzelnes Bundesland, als zu
sagen, was man von anderen fordert. Bisher hat neben
der Bundesregierung ein einziges Bundesland einen na-
tionalen Aktionsplan vorgelegt; das ist Rheinland-Pfalz.
Andere sind auf dem Weg.
Aber ich freue mich auch, dass mir zum Beispiel ein-
zelne Wohlfahrtseinrichtungen schreiben, die mir den
Aktionsplan für ihre Einrichtung zeigen wollen und mit
mir darüber ins Gespräch kommen möchten. Das ist das
Schneeballsystem. Das ist der große Gedanke der Inklu-
sion, den wir gemeinsam voranbringen wollen.
Das ist auch Ausdruck der Ernsthaftigkeit, der Gewis-
senhaftigkeit und des Ehrgeizes, mit dem wir an diese
Aufgabe herangehen.
Wir alle wissen: Es gibt auch die andere Seite. Wir
haben sehr komplexe Strukturen. Wir haben lange auf
Sondereinrichtungen, Sonderlösungen und Sonder-
programme gesetzt und eher auseinandergebracht, was
eigentlich zusammengehört. Es gibt die berechtigte
Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, Einfachheit und Au-
thentizität. Das ist, wenn ich es einmal umgekehrt for-
mulieren darf, die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in
der weder Familien noch Klassengemeinschaften daran
zerbrechen, dass ein behindertes Kind in ihnen lebt, in
der ein Unfall mit bleibenden Folgen nicht zwangsläufig
den Verlust von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
bedeutet, in der in Geschäften der Zugang nicht erst
durch eine Verbandsklage erreicht werden kann, in der
Menschen in der Bahn völlig unkompliziert von A nach B
fahren können, um nur einige Gedanken vornewegzu-
schicken. Das heißt, wir müssen jetzt konkret in einzel-
nen, vielleicht kleineren oder auch größeren Schritten
den Weg dorthin gehen.
Beispiel Deutsche Bahn: Früher konnten 1,4 Millio-
nen schwerbehinderte Menschen in einem 50-Kilometer-
Radius um ihren Wohnort kostenlos mit der Regional-
bahn fahren. Für jeden Kilometer darüber hinaus, ab
dem 51. Kilometer, mussten sie ein Ticket lösen. Das be-
deutet für Menschen, die im Rollstuhl sitzen, oder für
Menschen, die blind sind, eine enorme Barriere. Seit
September sind diese Grenzen bei der Bahn gefallen; der
Nahverkehr ist für Menschen mit schwerer Behinderung
in Deutschland unbegrenzt nutzbar.
Ich finde das großartig von der Bahn, und genau diese
Form der Unterstützung wünsche ich mir auch in ande-
ren Bereichen.
Beispiel Arbeit: Die Arbeitslosenzahl bei Menschen
mit Schwerbehinderung liegt bei knapp 174 000. Da wa-
ren wir vor zwei Jahren auch. Im Januar waren wir bei
190 000. Die Zahl ist wieder gesunken, aber wir haben
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ar nichts ändert sich, es wird gezahlt. Auch bei den ar-
eitsmarktpolitischen Instrumenten ändert sich für Men-
chen mit Behinderungen gar nichts. Ich glaube, das
ollte man einfach einmal anerkennen.
Beispiel Gesundheit: Nur 10 Prozent der Arztpraxen
ind vollständig barrierefrei.
ir als Bundesregierung setzen uns deswegen mit Ver-
etern des Gesundheitswesens zusammen. Denn für
enschen mit Behinderungen ist die vollständige Bar-
erefreiheit entscheidend, damit sie ihre freie Arztwahl
usüben können; sonst können sie dieses Recht nicht
ahrnehmen. Also ist unser Ziel, in den nächsten zehn
ahren eine deutlich erhöhte Zahl an barrierefreien Pra-
en zu schaffen.
Das zeigt: Der NAP ist ein Motor für Veränderungen,
ber kein Gesetzespaket. Diese Debatte zeigt aber auch
da danke ich noch einmal für die Anträge, die ich in
in paar Details unterstütze, in anderen nicht –,
ass wir eine große Übereinstimmung bei den Stichwor-
n barrierefreie Arztpraxen, Bildung, Reha, Arbeit und
eschäftigung haben.
Wir haben aber auch eine große Übereinstimmung
insichtlich des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen zur Weiterentwicklung des SGB IX, zur Stär-
ung des inklusiven Ansatzes. Dazu möchte ich noch
inmal sagen: Wir haben eine Bund-Länder-Arbeits-
ruppe, die sehr systematisch an der Veränderung des
GB IX arbeitet, um einerseits strukturell-inhaltlich die
ielen Brüche und Widersprüche zu eliminieren und an-
ererseits das Kostengerüst für unsere gemeinsamen
orstellungen zu entwickeln. Sie macht eine gute Arbeit
nd ist fast fertig.
Ich sage an dieser Stelle: Ich wünsche mir schlicht
nd einfach – da gibt es einen großen Konsens zwischen
und und Ländern,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17341
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
)
)
mit den unterschiedlichsten Parteien und den unter-
schiedlichsten Interessen dahinter –, dass wir diesen
Weg gemeinsam weitergehen. Dazu werde ich meinen
Teil beitragen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich
mich auf diese Rede vorbereitet habe, habe ich mir Ge-
danken darüber gemacht, wie sich mein Verhältnis zu
Menschen mit Behinderung im Laufe der Jahre verän-
dert hat. Wir sprechen hier von Menschen mit bestimm-
ten Behinderungen, ob nun mental, geistig oder körper-
lich behindert – damit es da keine Zwischenrufe gibt und
Sie wissen, wen wir meinen. Seien wir doch einmal ganz
ehrlich: Meine Generation hat eher ein scheues Verhält-
nis zu diesen Menschen. Wir haben als Kinder den sozia-
len Umgang mit ihnen nämlich nicht gelernt. Da gibt es
heute schon deutliche Verbesserungen. Wenn ich Nazis
jetzt einmal weglasse, die solche Leute schlagen – das ist
völlig indiskutabel; darüber müssen wir gar nicht disku-
tieren –, stelle ich fest: Die anderen sind eher nett, aber
eben doch zurückhaltend; sie wollen nicht so viel damit
zu tun haben und denken deshalb nicht daran.
Ich bin ganz sicher: In der Unionsfraktion und in un-
serer Fraktion hat sich dadurch etwas verändert, dass
beide Fraktionen einen Rollstuhlfahrer in ihren Reihen
haben. Ich schildere Ihnen einmal, wie das war: Wir or-
ganisierten eine Veranstaltung. Natürlich hatte keiner an
die Behinderten gedacht. Dann kam Ilja Seifert in den
Veranstaltungsraum nicht hinein, und wir mussten vier
starke Männer organisieren, um das irgendwie zu regeln.
Wir hatten an dieses Problem einfach nicht gedacht. Ich
glaube, dass sich das bei Ihrer Fraktion und bei unserer
Fraktion geändert hat, weil wir einfach gezwungen
waren, daran zu denken.
Ich möchte, dass wir jetzt einmal ehrlich im Umgang
miteinander sind und sagen: Wir müssen uns wirklich
einen Ruck geben; wir müssen ganze Generationen
darauf vorbereiten, dass sie eine gleichberechtigte Teil-
habe dieser Menschen wollen. Sie müssen erkennen,
dass es sie selbst bereichert, wenn sie anders an das
Ganze herangehen.
Für den 2. und 3. Dezember 2011 war eine Begeg-
nung von Bundestagsabgeordneten mit Menschen mit
Behinderung geplant; auch Bundesministerinnen und
Bundesminister sollten daran teilnehmen. – Abgesagt,
ausgeladen!
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ir können das nicht anders bezeichnen. Was ist jetzt
nsere Schlussfolgerung, Frau Bundesministerin von der
eyen? Diese Begegnung findet nächstes Jahr mit weni-
er Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern statt.
as kann doch nicht die Antwort sein. Die Antwort
uss sein, dafür zu sorgen, dass sie alle kommen und
ilnehmen können.
Nun geht es um die UN-Behindertenrechtskonven-
on; sie ist geltendes Recht. Sie ist übrigens die erste
enschenrechtskonvention in diesem Jahrhundert. Die
roße Koalition hat erklärt: Ein Aktionsprogramm ist
ar nicht nötig. Die jetzige Koalition sagt: Wir machen
in Aktionsprogramm. Allerdings müssen Sie doch ein-
umen, Frau Bundesministerin: Fast sämtliche Behin-
ertenbewegungen haben Ihren Aktionsplan kritisiert,
nd zwar aus gutem Grund: weil er eben nicht den
urchbruch bringt, den wir diesbezüglich endlich brau-
hen.
Diese Konvention verlangt eine einkommens- und
ermögensunabhängige Teilhabesicherung. Davon sind
ir aber noch weit entfernt. Ich nenne einmal ein paar
eispiele: ICE – nur zwei Plätze für Rollstuhlfahrerin-
en bzw. Rollstuhlfahrer. Begrenzungen gibt es aber
uch in Kinos, in Theatern, in Stadien. In wie vielen
ebäuden können Behinderte nicht auf Toiletten? Und
wie viele Gebäude kommen sie gar nicht erst hinein?
as gilt auch für Arztpraxen – Sie haben sie genannt; die
ahl 10 Prozent scheint mir übrigens sehr niedrig zu
ein; ich glaube, es sind mehr –, Apotheken, Hotels,
aststätten, Kultureinrichtungen, Kirchen und Wohn-
äuser. Überall müssen wir etwas tun. Es gibt übrigens
uch viele Straßenbahnen, die noch nicht behinderten-
erecht sind, das heißt, sie sind nicht entsprechend aus-
erüstet. Bei der Bahn ist es schon viel besser; aber dort
hlt oft das Personal, vor allen Dingen wenn Menschen
it Behinderung später ein- oder aussteigen wollen.
uch das ist ein Problem. Jetzt beraten wir über ein
eues Fernbus-Gesetz. Frau Bundesministerin, warum
chreiben wir in dieses Gesetz nicht hinein, dass Fern-
usse künftig barrierefrei zu sein haben? Das könnte
och verpflichtend in diesem Gesetz stehen.
Ich habe im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpom-
ern eine Werkstatt für geistig Behinderte besucht. Ich
abe festgestellt, dass diese Menschen mit großer Kon-
17342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Gregor Gysi
)
)
zentration arbeiten und immer gleiche Handgriffe
machen, wie ich es überhaupt nicht könnte. Ich habe
festgestellt, dass diese Menschen Dinge können, die ich
nicht kann. Das zu erkennen, ist ungeheuer wichtig.
Sie können das mit einer Ausdauer, die ich in einem sol-
chen Fall gar nicht an den Tag legen könnte. Aber sie be-
kommen nur ein Entgelt. Schon die Bezeichnung „Ent-
gelt“ finde ich doof. Warum kann diese Arbeit eigentlich
nicht bezahlt werden?
Die Betreuerinnen und Betreuer erzählten mir, dass
sie gerne einmal eine Prämie oder etwas Ähnliches
geben würden, aber dass das nicht gehe, weil das Geld
gleich wieder mit der Grundsicherung verrechnet werde.
Das heißt, sie bekommen es nicht wirklich ausbezahlt.
Mein Gott, warum müssen wir da so kleinkariert sein?
Können wir ihnen nicht einmal eine Anerkennung für
ihre Arbeit und ihre Leistung in Form einer Prämie gön-
nen?
Ich habe es, ehrlich gesagt, nicht verstanden.
Ich sage noch einmal: Es geht nicht zuvörderst – das
natürlich auch – um medizinische und soziale Probleme,
sondern um Menschenrechte. Das müssen wir wirklich
begreifen.
Die Konvention kann nur umgesetzt werden, wenn
alle Fachressorts der Bundesregierung daran mitwirken
– nicht sie allein, das wäre gar nicht zu schaffen; die an-
deren Ressorts müssen ebenfalls beteiligt werden –, aber
auch die Länder, die Kommunen und ebenso – sie sollte
man nicht vergessen – die Wirtschaft, die Wissenschaft
und die Kultur. Letztlich müssen alle Bereiche ein ande-
res Denken an den Tag legen, anders damit umgehen, die
Konvention verinnerlichen und sie dann so schnell wie
möglich umsetzen.
Es gibt noch etwas: Ich möchte nicht, dass über Men-
schen mit Behinderung entschieden oder geredet wird
ohne sie.
Sie müssen das Recht auf Teilhabe haben, und zwar
auch, wenn Rechtsakte vorbereitet werden. Wir haben
beim Fernbus-Gesetz keine Menschen mit Behinderung
gefragt. Sonst hätten sie gesagt: Denkt doch bitte auch
an die Barrierefreiheit! Also müssen wir im Bundestag
diese Verpflichtung wahrnehmen und immer daran den-
ken. Ilja Seifert hat mich im Laufe der Jahre immer wie-
der dazu gezwungen, sodass ich es inzwischen nicht
mehr vergesse. Das war früher anders; das bestreite ich
gar nicht. Aber, Ilja, du musst zugeben: Ich habe mich
deutlich gebessert.
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Das Wort hat nun Gabriele Molitor für die FDP-Frak-
on.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Ich mache es einmal ganz anders: Ich fange mit
twas Schönem an.
Kennen Sie die Band „Seeside“? Oder kennen Sie
SDS? Die Band „Seeside“ hat in dieser Woche den
tegrativen Musikwettbewerb gewonnen. GSDS heißt
Guildo sucht die Super-Band“. Guildo Horn hat diesen
ettbewerb gemeinsam mit der Lebenshilfe ausgerufen.
03 Bands und Musiker haben sich beteiligt. „Seeside“
at den ersten Platz errungen. Bei „Seeside“ musizieren
eistig und körperlich behinderte Menschen gemeinsam.
etzt hat die Band also den Preis errungen und hofft auf
inen Plattenvertrag.
Der Wettbewerb zeigt, was möglich ist, wenn sich
enschen engagieren. Guildo Horn hat in beispielhafter
eise deutlich gemacht, was möglich ist.
h kann Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich die
and an. Sie werden unweigerlich mitwippen, weil Sie
ie Lebensfreude erleben, die von diesen Menschen aus-
eht. Genau das brauchen wir. Wir brauchen Menschen
it Behinderung in der Mitte unserer Gesellschaft und
icht am Rand.
Es geht aber auch darum, dass behindernde Umstände
erändert werden können und müssen. Das macht auch
ie Kampagne des Bundesarbeitsministeriums „Behin-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17343
Gabriele Molitor
)
)
dern ist heilbar“ deutlich. Auf großen Plakatwänden
wird dieses Motto humorvoll umgesetzt, eben ohne
erhobenen Zeigefinger. Auch dabei geht es darum, dass
wir gesellschaftliche Veränderung brauchen. Die Politik
gibt den gesetzlichen Rahmen vor. Die Menschen sind
es, die das Motto „Behindern ist heilbar“ in die Tat um-
setzen müssen.
Mit dem Nationalen Aktionsplan stoßen wir einen
Veränderungsprozess an, der selbstbestimmtes Leben
und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Mit über
200 Maßnahmen gehen wir das Ziel einer inklusiven Ge-
sellschaft an. Unabhängig vom Unterstützungsbedarf
muss jeder Mensch das gleiche und volle Recht auf indi-
viduelle Entwicklung und Teilhabe haben. Wie erreichen
wir das? Durch die Richtigstellung der Verantwortlich-
keit. Es geht nicht darum, wie Menschen mit Behinde-
rung sein müssen, damit sie teilhaben können, sondern
es muss um die Frage gehen: Wie muss unsere Gesell-
schaft gestaltet sein, damit jeder Mensch teilhaben kann?
Genau das ist es, was mit Inklusion gemeint ist. Wenn
aber Treppenstufen, komplizierte Sprache, Bevormun-
dung oder Vorurteile Inklusion behindern, muss etwas
passieren. Es gibt ganz viele Gelegenheiten für Acht-
samkeit. Schulen müssen fragen: Welche Konsequenzen
hat der Lehrplan für einen Schüler mit Downsyndrom?
Verkehrsunternehmen müssen fragen: Werden beim
Fahrkartenautomaten auch die Belange von sehbehinder-
ten Menschen berücksichtigt? Der Unternehmer muss
sich fragen: Kann ich einen Menschen mit Behinderung
einstellen?
Nicht behindern, sondern ermöglichen: Das soll die
Grundidee unserer Projekte sein.
Inklusion fällt nicht vom Himmel. Viele Bürgerinnen
und Bürger – das müssen wir leider feststellen – wissen
wenig über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinde-
rungen. Dabei ist Behinderung weiß Gott keine Rand-
erscheinung. 10 Prozent der Weltbevölkerung gelten als
behindert. In Deutschland leben 9,6 Millionen Menschen
mit einer amtlich anerkannten Behinderung. Im Übrigen
sind die Wenigsten von ihnen von Geburt an behindert.
Behinderung kann jeden von uns aufgrund eines Unfalls
oder einer Erkrankung treffen.
Mit dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und
FDP „Barrierefreies Filmangebot umfassend ausweiten –
Mehr Angebote für Hör- und Sehbehinderte“ setzen wir
uns für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behin-
derung ein. Ich freue mich über diesen Antrag, weil auch
andere Ressorts dieses Thema jetzt bearbeiten und hier
für Verbesserungen sorgen.
Heute Morgen haben wir bei der Debatte über das
GKV-Versorgungsstrukturgesetz festgestellt, dass die
zahnärztliche Versorgung für Menschen mit Behinde-
rung verbessert werden soll. Dies ist ein entscheidender
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ür unsere Behindertenpolitik und unsere Umsetzung
er Konvention erhalten wir international viel Anerken-
ung.
iele der 100 Vertragsstaaten haben noch keinen Ak-
onsplan. Wir liegen mit unserer Politik auf dem richti-
en Kurs, und weitere Verbesserungen werden folgen.
ie, sehr geehrte Opposition, sollten zu Engagement er-
utigen, statt zu behindern.
er Nationale Aktionsplan ist ein Maßnahmenpaket,
ein Gesetzespaket. Das Paket ist nicht fest verschnürt,
ondern offen für weitere Projekte und Ideen. Sie alle
ind eingeladen, mitzumachen, wenn es heißt, die klei-
en und die großen Veränderungen voranzubringen.
Jetzt noch ein Wort zu der Veranstaltung im Deut-
chen Bundestag, die eigentlich für diesen Dezember ge-
lant war und die wir auf das nächste Jahr verschoben
aben. Diese Veranstaltung musste zunächst abgesagt
erden, weil Sicherheitsbedingungen nicht erfüllt wer-
en konnten. Für mich als verantwortungsvolle Politike-
n ist Sicherheit das oberste Gebot. Ich werde, gemein-
am mit den anderen Sprechern, alles daransetzen, dass
iese Veranstaltung im nächsten Jahr unter hoffentlich
arrierefreien Bedingungen durchgeführt werden kann.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Markus Kurth für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
ntscheidung darüber, mit wem Sie und wie Sie wohnen
ollen, nehmen Sie natürlich für sich ganz selbstver-
tändlich in Anspruch. Sie würden sich dagegen wehren,
enn Ihnen aufgrund einer medizinischen Diagnose ein
rbeitsort und ein Arbeitsplatz quasi zugewiesen wür-
17344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Markus Kurth
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den. Sie würden es als ungerecht empfinden, wenn Sie
trotz guter oder gar gesteigerter Arbeitsleistung keine
entsprechende Entlohnung erhalten würden. Es würde
Sie empören, wenn Ihnen nach Ihrem ersten berufsbil-
denden Abschluss keine weitere Möglichkeit zur Quali-
fizierung oder Weiterbildung offenstehen würde. Sie
würden sich kaum damit abfinden, wenn Ihnen ein So-
zialrichter erklären würde, zur Teilhabe am gesellschaft-
lichen Leben genüge es vollkommen, sich im Nahbe-
reich der Wohnung bewegen zu können.
Für viele Menschen mit Behinderungen in Deutsch-
land sind solche Erfahrungen jedoch Alltag und rechtlich
festgelegte Wirklichkeit. Es ist das Besondere an der
UN-Behindertenrechtskonvention, dass Rechte und Le-
benschancen, die sogenannte Nichtbehinderte ganz selbst-
verständlich in Anspruch nehmen können, nunmehr den
Status von Menschenrechten für Menschen mit Behinde-
rungen haben.
Mit diesem Status von Menschenrechten obliegt es
also nicht mehr allein den Menschen mit Behinderung,
sich optimal anzupassen und bestmöglich zu integrieren,
sondern es ist Aufgabe von Gesellschaft, Politik und
Wirtschaft, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass
alle Menschen mit ihren jeweiligen körperlichen, seeli-
schen, mentalen und geistigen Besonderheiten zumin-
dest die Möglichkeit haben, gleichberechtigt und selbst-
bestimmt am Leben teilzuhaben und ihr Leben mit
anderen zu gestalten.
Damit schafft die Behindertenrechtskonvention einen
modernen Freiheitsbegriff: Freiheit ist nach diesem in-
klusiven Verständnis nicht nur eine Abwesenheit von
Zwang. Freiheitsrechte sind mehr als Schutzrechte bei
staatlichen Eingriffen oder übermächtigen Kollektiven.
Damit Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen
ohne oder mit wenigen Ressourcen oder Menschen in
Zwangslagen ihre Freiheitsrechte überhaupt erst in
Anspruch nehmen können, braucht es das aktive ermög-
lichende Handeln von Staat und Gesellschaft. Dieser
Freiheitsbegriff weist weit über die eigentliche UN-Kon-
vention hinaus.
Er macht diese Konvention nicht nur zu einem bemer-
kenswerten, sondern, wie ich meine, auch zu einem
bahnbrechenden Menschenrechtsdokument.
Angesichts der Größe des Handlungsauftrags, den
sich die Bundesrepublik Deutschland – wir alle hier –
mit der Ratifizierung der Konvention selbst gegeben hat,
ist es allerdings geradezu erschütternd, in welcher Blo-
ckade und Erstarrung sich die Behindertenpolitik in
Deutschland befindet. In diesem Zusammenhang möchte
ich kurz einige Dinge analysieren.
Nach wie vor ist nicht geregelt, dass Teilhaberechte
– die ja zu einem großen Teil im Sozialrecht angesiedelt
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Ich glaube sogar, nicht zu übertreiben, wenn ich sage,
ass wir gewisse Rückschritte sehen. Rehabilitationsträ-
er – nach meinem Empfinden insbesondere die Kran-
enkassen – streiten einfach ab, dass etwa das Recht auf
eilhabe Vorrang vor den einzelnen Ausführungen der
eistungen hat.
as Problem ist, dass die Zersplitterung sich teilweise
rtsetzt.
Ich nenne das Beispiel der sogenannten Integrations-
chdienste. Die Integrationsfachdienste als Regelange-
ot – vom Gesetzgeber seinerzeit ins SGB IX gesetzt –
ollen Menschen mit Behinderungen bei der Arbeitsver-
ittlung unterstützen und dann am Arbeitsplatz beglei-
nd zur Seite stehen. Sie sollen Arbeitgeber beraten
der ihnen Hilfestellung beim Umbau des Arbeitsplatzes
isten. Sie sollen also eine Leistung aus einer Hand zur
eilhabe am Arbeitsleben bieten.
Was hat diese Bundesregierung jetzt gemacht? Sie hat
iese einheitliche Leistung, die genau so, wie ich es hier
eschrieben habe, im Gesetz steht, zersplittert. Sie hat
en Teil der Vermittlung jetzt einfach zur Ausschreibung
eigegeben, abgetrennt vom Teil der Begleitung und
eratung der Arbeitgeber.
Das macht natürlich überhaupt keinen Sinn. Arbeitge-
er sagen mir: Wir wollen einen einzigen Ansprechpart-
er. – Es macht natürlich auch keinen Sinn, dass derje-
ige, der die Vermittlung vornimmt, der die Kontakte zu
rbeitgebern hat, nach der Vermittlung aus dem Spiel ist
nd irgendein anderer die Begleitung und Beratung
bernimmt. Das Ganze ist eine Leistung aus einer Hand,
ie, wie gesagt, so im Gesetz formuliert ist. Ich emp-
nde es wirklich als Rückschritt und Defizit, wenn das
tzt wieder auseinandergerissen wird.
Weil der Mut zu größeren Veränderungen fehlt, wer-
en Verbesserungen viel zu häufig als Insellösungen vor-
enommen. Ich nenne das Beispiel der „Unterstützten
eschäftigung“, das die letzte Regierung, die Große Ko-
lition, auf den Weg gebracht hat. Vom Ansatz her ist das
rinzip, zuerst zu platzieren und dann zu qualifizieren,
ehr vernünftig; denn auf diese Weise kann sozusagen in-
erbetrieblich gestartet werden, statt dass irgendwelche
aßnahmen in Sondereinrichtungen absolviert werden
üssen. Was aber wird getan, aus Angst, das Ganze
önnte sich jetzt – im Hinblick auf Kosten oder was auch
mer – unabsehbar entwickeln? Das Programm wird
uf den Ausbildungsbereich beschränkt – also auf zwei
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17345
Markus Kurth
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oder maximal drei Jahre –, und es wird keine vernünftige
Nachfolgeregelung entwickelt. Das ist eine reine Insellö-
sung, die nicht in das sonstige Geschehen der Arbeits-
marktpolitik integriert ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit solch fragmen-
tierten, kleinteiligen und nicht wirklich mutigen, sondern
eher ängstlichen Schritten werden wir nicht weiterkom-
men.
Angesichts der Finanzlagen besteht das Problem, dass
sich alle, aber auch wirklich alle Akteure eingraben. Sie
versuchen erst einmal – wie in alten Zeiten –, Ansprüche
abzuwehren. Aber auch die Leistungserbringer – das
sage ich an dieser Stelle ganz offen – versuchen, ihre
Strukturen zu konservieren. Das gilt selbst für diejeni-
gen, die im Prinzip bereit wären, Dinge zu öffnen und zu
verändern. Sie sagen sich: Wir machen lieber nichts;
denn wenn wir unsere Wirtschaftlichkeitsreserven bzw.
Effizienzpotenziale, die wir vielleicht in unseren Ein-
richtungen haben, offenlegen, wird das möglicherweise
dazu führen, dass uns die Mittel gekürzt werden. – Im
Ergebnis passiert im Moment in dem gesamten Bereich
viel zu wenig.
Wir brauchen dringend mehr Bewegung. Die gesamte
Entwicklung – auch in Bezug auf Fallzahlen und Kosten;
das wird auch in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur
Eingliederungshilfe diskutiert – lässt nicht zu, dass wir
uns hier nicht weiter bewegen. Wir bekommen von kom-
munaler Seite doch allesamt klar zurückgespiegelt, dass
wir etwa im Bereich der Eingliederungshilfe am Ende
der Fahnenstange angekommen sind. Wenn wir nicht
Standards absenken wollen, müssen wir über Struktur-
veränderungen diskutieren.
Auch der demografische Wandel lässt es nicht zu, dass
wir an dieser Stelle länger warten.
Das Projekt „Inklusiver Sozialraum“ – für die Zu-
schauerinnen und Zuschauer sage ich: Dabei handelt es
sich um das Vorhaben, einen Gemeinderaum bzw. einen
öffentlichen Raum zu schaffen, in dem sich alle mit ih-
ren Beeinträchtigungen bewegen können – stellt in Be-
zug auf die Lebensqualität in unseren Städten und Ge-
meinden eine Zukunftsfrage dar.
Ich meine, dass in dieser Hinsicht gerade im Bereich der
Kostenträger mehr Kompromissbereitschaft gezeigt wer-
den muss. Wenn wir etwa das sogenannte Budget für Ar-
beit ermöglichen wollen – welches erlaubt, dass Men-
schen aus Werkstätten auch an einem allgemeinen
Arbeitsplatz tätig sein können –, geht das nur mit einem
Nachteilsausgleich auch in Form eines dauerhaften und
regulären Lohnkostenzuschusses. Es kann nicht sein,
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt über
en erweiterten Menschenrechtsbegriff bzw. darüber ge-
det, was wir in Bezug auf Ermöglichung an Teilhabe
m gesellschaftlichen Leben brauchen. Lassen Sie mich
um Schluss auch noch etwas zur Notwendigkeit der
anz akuten Verteidigung von unmittelbaren Menschen-
chten sagen. Es gibt eine Studie der Universität Biele-
ld – sie wird in der nächsten Woche bekannt werden –
ur Lebenssituation von Frauen mit Behinderung. Es ist
irklich erschütternd, was in ihr bezüglich der Gewalt-
nwendung gegenüber Frauen in Einrichtungen und Fa-
ilien festgestellt wird.
Eine große Anzahl von Frauen wurde befragt. Durch-
chnittlich ein Drittel dieser Frauen hat körperliche Ge-
alt erfahren. Sexualisierte Gewalt haben 21 bis 44 Pro-
ent der befragten Frauen und Mädchen erfahren,
sychische Gewalt in Kindheit und Jugend mehr als die
älfte. Das sind Zahlen, die uns wirklich alarmieren
üssen.
Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, ist nicht nur in den
0er-, 60er- und 70er-Jahren zu verorten, sondern diese
tudie macht sehr deutlich, dass wir auch heute noch da-
it zu kämpfen haben. Auch der Frage von Gewalt in
tationären Einrichtungen der Psychiatrie müssen wir
ns erneut stellen. Wenn man fast 40 Jahre nach der Psy-
hiatrie-Enquete mit Betroffenen redet, stellt man fest,
ass Zwangsmedikamentierungen gegen den eigenen
illen – und zwar über die Maße des sogenannten
elbstschutzes hinaus – an der Tagesordnung sind und
ass auch dort Gewalt – speziell gegen Frauen – weiter-
in ein Ausmaß hat, das wir nicht akzeptieren können.
Insofern hoffe ich, dass wir uns an dieser Stelle dieser
ache noch einmal gemeinsam annehmen und genau
inschauen werden, damit wir später nicht wieder sagen
üssen: Wir haben etwas übersehen. Teilhabe bemisst
ich am erweiterten Freiheits- und Menschenrechtsbe-
riff, aber auch an der ganz konkreten Verteidigung von
enschenrechten im Hier und Jetzt.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Maria Michalk für die CDU/CSU-
raktion.
17346 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen heute eine Debatte, von der wir uns
lange gewünscht haben, dass sie zu einer so prominenten
Zeit stattfindet.
Dafür danke ich auch der Opposition. Sie müssen aber
annehmen, dass wir den Ernst der Lage schon lange ver-
standen haben. Denn was wäre ein deutlicheres Signal
dafür, dass wir diese Debatte sehr ernst nehmen, als dass
unsere Bundesministerin in dieser Debatte das Wort er-
greift?
Übrigens ist es bisher gerade bei diesem sachlichen
Thema immer üblich gewesen, fraktionsübergreifend
nach Lösungen zu suchen, zum Wohle der Menschen mit
Behinderung. Liebe Frau Ferner, das kann ich Ihnen
nicht ersparen: Wenn diese Debatte mit dem Anwurf
beginnt, dass alles nach unten gehe, dann darf ich mit
dem Argument zurückschießen, dass wir in all den Jah-
ren Ihrer Regierungsherrschaft einen unmöglichen, dif-
fusen, dünnen Bericht bekommen haben.
Es ist unsere Ministerin, die die Datenlage und die Be-
richterstattung jetzt in eine qualitative Form bringt, so-
dass wir gut damit arbeiten können.
Herr Gysi, es tut mir leid: Ich glaube Ihnen natürlich
sofort, dass sich Ihr Verhältnis zu behinderten Menschen
rapide geändert hat. Wenn Sie ehrlich gewesen wären,
hätten Sie an genau der Stelle sagen müssen, was in den
letzten 20 Jahren im Bereich der Behindertenpolitik ge-
rade in den neuen Bundesländern passiert ist, welche
Aufbauleistung zum Wohle der Menschen vollzogen
wurde.
Sie wissen, dass die Behindertenpolitik in der DDR-Zeit
eine Wegsperrpolitik war, dass SED-Genossen und
Staatsträger ihre behinderten Kinder lieber in Klöster
gegeben haben, weil sie wussten, dass sie dort gut auf-
gehoben sind. Das gehört zur Ehrlichkeit.
Ich finde es ziemlich unverschämt, dass Sie mit Ihrer
Kritik die Verschiebung unserer gemeinsamen Aktion,
bei der sich behinderte Menschen mit dem Parlament
treffen sollten, hier kurz vor dem Internationalen Tag der
Behinderten, an dem die Aktion stattfinden sollte, instru-
mentalisieren.
Sie wissen, dass auch Ihr Kollege, Herr Seifert, nach ei-
nem langen, intensiven Beratungsprozess, in dem wir
alle möglichen Alternativen geprüft haben, zugestimmt
hat.
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s war Ihr Kollege, der lieber 80 Rollstuhlfahrer ausla-
en würde, um die Veranstaltung an diesem Wochenende
urchführen zu können.
ir haben hier im guten Einvernehmen eine richtige Lö-
ung gefunden, eine richtige Entscheidung getroffen. Ich
erbe hier ausdrücklich um die Akzeptanz dieser Ent-
cheidung. Wir bemühen uns alle nach bestem Wissen
nd Gewissen, diese Veranstaltung nächstes Jahr in guter
ualität durchzuführen.
Herr Kurth, Sie haben ein Stück weit die Leistungen
ritisiert. Im Übrigen lobe ich, dass Sie wirklich kon-
truktiv sind. Sie wissen, dass wir die Ausschreibung der
D-Leistungen aus Gründen des europäischen Rechts
urchführen mussten. Sie wissen auch, dass wir uns
erade einvernehmlich darum bemühen, im Vergabe-
cht eine Lösung zu finden, die in Zukunft das umsteu-
rt, was wir alle gemeinsam kritisieren.
Sie haben vom inklusiven Lebensraum gesprochen.
awohl, das ist etwas, was wir alle anstreben: dass alle
iteinander leben. Das gibt mir jetzt die Gelegenheit,
eine sorbischen Freunde aus der Lausitz zu begrüßen:
itaj k nam! Denn dort passiert das schon seit Jahrtau-
enden: Deutsche und Sorben leben in einer Region zu-
ammen. Wir wollen es schaffen, dass Menschen mit
nd ohne Behinderung genauso selbstverständlich mit-
inander leben. Einer hat einmal gesagt: Wenn alle Äpfel
flücken, dann braucht der Kleinwüchsige nur eine Lei-
r; dann kann er es auch. – So einfach ist das eigentlich.
Wir wissen aber – zurück zur Wirklichkeit –, dass uns
ie Wirklichkeit manchmal einholt. Deshalb will ich da-
uf hinweisen, dass wir neben der Ratifizierung der
N-Behindertenrechtskonvention, der breiten Diskus-
ion und den Beschlüssen zum Nationalen Aktionsplan
nd den vielen Aktivitäten, die der Beauftragte der Bun-
esregierung für die Belange behinderter Menschen,
ubert Hüppe – vielen Dank! –, mit dem Inklusionsbei-
t durchführt, weitere Maßnahmen ergreifen. Ich denke
ier an die Länder. Die Bahn wurde schon genannt; viele
nternehmen überlegen, wie sie den inklusiven Gedan-
en umsetzen können. Das zeigt doch, dass wir auf ei-
em guten Weg sind und in unserer Gesellschaft etwas
rreicht wurde: eine stärkere Sensibilisierung für dieses
hema.
Das heißt nicht, dass wir die Augen vor Dingen ver-
chließen, die in der Tat ärgerlich sind und die wir verän-
ern wollen. Ich will jetzt einmal einen Punkt heraus-
reifen. Es ist schon gesagt worden: Vor zehn Jahren
aben wir das SGB IX beschlossen. Das ist ein gutes
esetzbuch, dem auch wir damals aufseiten der Opposi-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17347
Maria Michalk
)
)
tion zugestimmt haben. Darin ist auch das Persönliche
Budget geregelt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Ja. – Bitte schön.
Frau Kollegin Michalk, Sie haben vorhin wahrheits-
widrig gesagt, ich hätte zugestimmt, dass die Veranstal-
tung abgesagt wird. Sind Sie so freundlich, zuzugeben,
dass ich in der Runde der behindertenpolitischen Spre-
cherinnen und Sprecher gesagt habe, dass wir alles dafür
tun sollten, dass diese Veranstaltung doch stattfindet,
wenn es sein muss, mit der Ausladung einiger,
und dass ich auch gesagt habe, dass es besser wäre, wenn
wir eine Lösung finden würden, sodass alle hereinkom-
men könnten; denn in einem Jahr ist die Situation in die-
sem Haus sicherlich nicht anders als jetzt. Ich möchte,
dass Sie ausdrücklich bestätigen, dass ich nicht einver-
standen war, dass diese Veranstaltung jetzt abgesagt
wird.
Herr Kollege Seifert, wir haben sehr lange und mehr-
fach miteinander darüber diskutiert. Wir haben uns von
der Bundestagsverwaltung Alternativen vorlegen las-
sen. Fast alle von uns haben eigene Vorschläge vorgetra-
gen. Es war allen klar – das haben wir ausdrücklich ge-
sagt –, dass wir diese Veranstaltung im Reichstag nicht
mit 130 Rollstuhlfahrern durchführen können, auch
nicht im Paul-Löbe-Haus unter Einbeziehung aller vor-
handenen Räume. Wir haben bewusst beschlossen – Sie
waren auch dabei –, dass wir für diese Begegnung das
Fluidum des Reichstages und nicht das einer Messehalle
möchten.
In diesem Zusammenhang gab es tatsächlich nur die
Alternative, mindestens 80 Rollstuhlfahrer auszuladen.
Dafür haben Sie zunächst votiert. Wir waren uns alle
einig, dass das schwierig wird; denn wer traut sich, den
130 Rollstuhlfahrern zu sagen: Du darfst kommen, du
nicht. – Deshalb haben wir beschlossen, dass es besser
ist, ehrlich zu sagen, dass es so nicht geht und dass wir
ein neues Anmeldeverfahren brauchen. Die Rechnung,
die wir aufgrund der Erfahrungen aufgestellt haben,
nämlich dass es bei solchen Veranstaltungen im Schnitt
10 Prozent Rollstuhlfahrer gibt, ist hier nicht aufgegan-
gen. Das ist eine Tatsache, die wir alle zur Kenntnis neh-
men müssen. Den Brief, den wir dann gemeinsam an die
Teilnehmer geschrieben haben, haben Sie mit unter-
schrieben.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kurth?
Bitte schön.
Frau Michalk, es freut mich sehr, dass Sie das Persön-
liche Budget als eine Möglichkeit, um trägerübergreifend
Leistungen zusammenzuführen, nennen. Aber wie be-
werten Sie die Tatsache – ich frage vor dem Hintergrund,
dass Sie gerade auch über die berufliche Reha gespro-
chen haben –, dass im Haushaltsplan der Bundesagen-
tur für Arbeit beim Persönlichen Budget Folgendes
steht – das wurde auf Seite 64 umfangreich beschrie-
ben, sogar unter Nennung der Rechtsgrundlage –: Ist
2010: 0 Euro; Soll 2011: 0 Euro; Soll 2012: 0 Euro. –
Meinen Sie nicht, dass wir an dieser Stelle Strukturver-
änderungen vornehmen müssen, zum Beispiel, indem wir
eine bewilligende Stelle errichten oder die Gemeinsamen
Servicestellen mit Entscheidungskompetenz ausstatten,
damit solche, sicherlich auch von Ihnen als trostlos emp-
fundene Haushaltsprognosen vermieden werden?
Lieber Kollege Kurth, Sie haben das ja auch in Ihrem
Antrag unter Nr. 9 festgehalten. Da stimme ich Ihnen zu.
Ich habe ja gesagt: Die Bundesagentur für Arbeit hat die
Möglichkeit zur Einrichtung eines Persönlichen Bud-
gets; diese wird zu selten genutzt. Wir haben Vergleichs-
möglichkeiten bzw. deckungsfähige Titel, und wir haben
einen Eingliederungsfonds, dessen Mittel die Mitarbeiter
vor Ort in Eigenverantwortung mit Blick auf die kon-
krete persönliche Situation einsetzen können. Dafür,
dass aus der Null im Soll im Ist etwas mehr wird, plä-
diere auch ich. Es ist aber normal, dass die Haushälter
sagen: Wenn das bisher wenig in Anspruch genommen
wurde, dann setzen wir eine Null. Liebe Haushälter, das
ist jetzt keine Kritik, sondern eine Werbeveranstaltung:
Die neuen Instrumente sollten im Haushalt ihre Entspre-
chung finden. Entscheidend ist aber, dass es vor Ort um-
gesetzt wird, und nicht, dass wir im Haushalt Mittel vor-
sehen, die später nicht genutzt werden.
Noch einmal: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir
mehr tun müssen, dass wir auch öffentlich mehr Wer-
bung machen müssen. In dieser Woche habe ich ein Ge-
spräch geführt, das mich davon überzeugt hat. Es ist
nachgewiesen, dass mit dem Persönlichen Budget die
betroffenen Menschen glücklicher sind und der Staat
einsparen kann. Das wird deutlich, wenn man den
Aspekt der Integration in den Arbeitsmarkt mit einem
möglichen Dauerarbeitsplatz berücksichtigt.
Noch wichtiger ist für meine Begriffe, gerade für die
Betroffenen, die zum Teil Ängste haben, aus ihrem ge-
schützten Bereich herauszugehen, dass wir die Durchläs-
sigkeit des Systems stärker leben. Das heißt, wenn die
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Ich will noch die anderen Anträge ansprechen. Ob
ir, wie in den uns vorliegenden Anträgen teilweise ge-
rdert, das SGB weiterentwickeln oder die Diskussion
ber ein Teilhabesicherungsgesetz vertiefen oder die
ingliederungshilfe aus dem SGB XII nehmen und in
eränderter oder unveränderter Kostenträgerschaft im
GB IX verankern, darüber lässt sich trefflich streiten.
h glaube, wir werden uns in der kommenden Aus-
chusssitzung über das Pro und Kontra austauschen. Das
t aber unerheblich. Wir sollten nicht immer suggerie-
n, dass alles mit einer Kostensteigerung verbunden ist.
h erinnere an den Beschluss der Bund-Länder-Kom-
ission zur Eingliederungshilfe, der an dem Grundsatz
er Kostenneutralität festhält. Ich glaube, dass schon vor
rt nachgewiesen wurde, dass die finanziellen Ressour-
en zielgenauer eingesetzt werden müssen.
Meinen Sie nicht auch, dass Teilhabegerechtigkeit ei-
en viel höheren Stellenwert bekommen muss als die so-
enannte Verteilungsgerechtigkeit, weil sie wirklich auf
ie Situation des einzelnen Menschen eingeht und die
klusion letztendlich ermöglicht?
Ich will zum Abschluss etwas zitieren. Wir alle lesen
fleißig die Presse und im Internet. Kobinet ist eine
chöne Homepage, auf der man viel Kritik, aber auch
ob lesen kann. Mich hat beeindruckt, was Frau Sabine
obel dort geschrieben hat:
Ein schöner Traum! Ach wie wäre das schön für
mich als Mensch mit Handicap, in einer Welt leben
zu können, wo ich nicht tagtäglich merke, dass ich
anders als die anderen bin.
as ist ein Appell an uns alle. Ändern wir uns, seien wir
ie alle!
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Silvia Schmidt für die SPD-Frak-
on.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Vor allen Dingen: Liebe Mitstreiter
uf der Tribüne, schön, dass ihr da seid und die Debatte
eute mitverfolgen könnt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17349
Silvia Schmidt
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)
Sehr verehrter Herr Gysi, diese Gesellschaft muss auf
Menschen mit Behinderungen vorbereitet werden. Das ist
richtig; ich gebe Ihnen grundsätzlich recht. Aber an einer
Stelle haben Sie nicht recht: Schon die Große Koalition,
also auch Olaf Scholz, hat gesagt, dass ein Nationaler
Aktionsplan entstehen muss. Das war auch so festge-
schrieben. – Gestatten Sie mir bitte noch eine Anmer-
kung. Sie sagten, dass Sie in einer Werkstatt für Behin-
derte waren, die dort Entgelt bekommen, und das sei
doof. Ja, darüber kann man streiten.
– Ja, aber ich spreche jetzt über das Wort „doof“. – Ich
würde mich freuen, wenn das Wort „doof“ auch bei einer
Finanzdiskussion fallen würde.
Frau Molitor, Treppensteiger zum Beispiel werden
nach einem Urteil nicht mehr von den Krankenkassen fi-
nanziert. Das verhindert Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Das ist ein Rückschritt; das müssen wir festhal-
ten. Das Gesundheitsministerium hat ganz lapidar auf
eine entsprechende Anfrage geantwortet, da müsse man
noch einmal nachfragen bzw. das sei nicht so. Die Men-
schen hängen tatsächlich in der Luft und können nicht
mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Sehr verehrte Frau Ministerin, wir alle möchten diese
inklusive Welt noch erleben; sie soll nicht erst eines Ta-
ges Realität sein.
Hierbei geht es um ein Menschenrecht für uns alle. Wir
alle profitieren davon. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sa-
gen: Die Aussage über die freie Arztwahl stimmt nicht.
Zum Beispiel in Berlin sind 86 Prozent der Arztpraxen
nicht barrierefrei. Daher gibt es hier keine freie Arzt-
wahl. Wenn man sich in einer Einrichtung befindet, zum
Beispiel in einem Pflegeheim, hat man einen Heimarzt.
Auch das ist keine freie Arztwahl.
In den Werkstätten passiert nichts; das ist ein Problem.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben zur Werkstatträ-
tekonferenz eingeladen. Es gibt ein Positionspapier der
Werkstatträte. Sie wollen mehr Mitbestimmung in den
Werkstätten. Das ist ein wichtiger Schritt. Wir müssen die
Mitwirkungsverordnung für Werkstätten ändern.
Die Bahn tut schon einiges; das ist richtig. Sie ist hier
einen Schritt weiter. Aber wenn man in einem Rollstuhl
sitzt oder wenn man blind oder gehörlos ist, dann kann
man nur sagen: „Gute Nacht, Marie!“, wenn man sich al-
leine auf einem Bahnhof befindet; denn sie sind nicht
überall barrierefrei. Ein Rollstuhlfahrer muss erst einmal
telefonieren, bevor er überhaupt eine Reise antreten
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Gestatten Sie mir, noch etwas zu sagen – ich habe nicht
ehr viel Zeit – zur Reform der Eingliederungshilfe bzw.
enerell zur Eingliederungshilfe. Es ist schon angedeutet
orden: Ob ich Akademiker bin oder in einer Werkstatt
eschäftigt bin, wenn ich Leistungen zur Teilhabe brauche
Assistenz oder was auch immer –, muss ich zum Sozial-
mt gehen, und dann werde ich automatisch zum Sozial-
ilfeempfänger. Ein Mensch geht aufgrund seiner Behin-
erung zum Sozialamt und wird aufgrund seiner
ehinderung – das muss man sich bitte vorstellen – zum
ozialhilfeempfänger und hat keine Chance mehr, aus
ieser Situation herauszukommen. Ich halte das für men-
chenverachtend. Hier muss sehr schnell etwas getan wer-
en.
Vielleicht noch eine Anmerkung: Die Vermögens-
zw. Einkommensprüfung, die stattfindet, bringt im Jahr
ngefähr 12 Millionen Euro – ForseA hat dazu ein Pa-
ier herausgegeben –; dem stehen 500 Millionen Euro
erwaltungskosten gegenüber. So viel Unsinn können
ir nun wirklich nicht gebrauchen. Vor allen Dingen:
17350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Silvia Schmidt
)
)
Welche Belastung das für Menschen mit Behinderung
bedeutet, das wissen wir doch alle hier. Das heißt, diese
Prüfung gilt es so schnell wie möglich auszusetzen.
Auch das steht nicht in Ihrem Aktionsplan.
Markus Kurth hat vorhin die Studie über Frauen mit
Behinderung aufgegriffen, die sexuell missbraucht oder
generell Gewalt ausgesetzt werden. Bitte lassen Sie uns
nicht wieder in die Vergangenheit reisen. Es findet in
den Institutionen, also in den Einrichtungen und in den
Werkstätten, statt.
Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Geld in die Hand, und
sagen Sie, dass Frauenbeauftragte in die Einrichtungen
gehören, damit nicht wieder so etwas passiert, was wir
jetzt sehr schwer und sehr langsam aufarbeiten! Wir ha-
ben das 2008 gemeinsam auf den Weg gebracht. Unter-
stützen Sie diese Frauen! Ich bitte Sie darum.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Heinz Golombeck für die FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Behindertenrechts-
konvention gilt als Meilenstein und politischer Impuls-
geber für Menschen mit Behinderung nicht nur bei uns
in Deutschland, auch in der internationalen Politik. Dis-
kriminierung von Menschen mit Behinderungen in allen
Lebensbereichen wird durch die Konvention verboten.
Bürgerliche, politische, wirtschaftliche und soziale Men-
schenrechte werden garantiert. Dadurch können Men-
schen mit Behinderung in ihrer Andersartigkeit als
gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft geachtet
und als Teil der menschlichen Vielfalt akzeptiert werden.
Im Zentrum steht dabei das Ziel, die gleichberechtigte
Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe in allen Lebens-
phasen zu verwirklichen – angefangen vom gemeinsa-
men Besuch des Kindergartens, der Schule bis zur
Schaffung von Arbeitsplätzen, auf denen Menschen mit
und ohne Behinderungen gemeinsam arbeiten.
Die Konvention verlangt von allen Vertragsstaaten
und auf allen Ebenen, die in ihr verankerten Rechte plan-
mäßig in der Politik zu verfolgen. Neben dem Bund sind
also auch Länder und Kommunen zu einer erkennbaren
Umsetzung der Konvention aufgefordert.
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und die Rechte von Menschen mit Behinderungen in
ganz Europa stärken möchte.
Umfassende Barrierefreiheit ist Grundvoraussetzung
für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Be-
hinderungen am gesellschaftlichen Leben; denn der All-
tag von Menschen mit Behinderungen ist voller Heraus-
forderungen und Tücken. Eine U-Bahn-Haltestelle ist
für einen Rollstuhlfahrer ohne Aufzug kaum erreichbar.
Baustellen sind ohne fremde Hilfe schwer zu überbrü-
cken. Das Wohnen zu Hause bereitet Schwierigkeiten.
Menschen mit Behinderungen haben kaum Chancen auf
dem Arbeitsmarkt.
In Planung sind ganz konkrete Maßnahmen wie die
Verbesserung der Anerkennung von Behindertenauswei-
sen, und zwar EU-weit.
Durch die Verleihung eines europäischen Preises für gut
zugängliche Städte oder durch eine gezielte Berücksich-
tigung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Ge-
währung staatlicher Beihilfen soll die Öffentlichkeit für
Behinderungen und behindertengerechte Einrichtungen
sensibilisiert werden. Dienstleistungsangebote und Ge-
räte für Behinderte sollen EU-weit verbessert werden.
Diese europäische Strategie ergänzt und unterstützt die
Maßnahmen der Mitgliedstaaten und bestätigt unsere
Behindertenpolitik.
Wir sind aufgerufen, im Rahmen dieser Strategie zu-
sammenzuarbeiten, um ein barrierefreies Europa für alle
zu schaffen. Insgesamt müssen wir dabei gewährleisten,
dass Vorgaben von der EU-Ebene in den Kommunen vor
Ort umgesetzt werden.
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, Menschen
mit Behinderung wie allen anderen Menschen auch ein
freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ne-
ben Gesetzen, Strategien und Aktionsplänen ist auch der
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sehr wichtig. Wir
benötigen die innere Einstellung, dass Vielfalt zu unserer
Gesellschaft gehört und jeden bereichert.
Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Ich glaube, dass Inklusion
nur gelingen kann, wenn jeder seinen Beitrag dazu leis-
tet,
angefangen mit den kleinen Dingen im Alltag, wie mehr
Zuwendung und Aufmerksamkeit gegenüber den Men-
schen mit Behinderung.
Vielen Dank.
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Lassen Sie mich doch erst einmal weiterreden. – Die
anzlerin hat ja nicht einmal zur Kenntnis genommen, dass
m vergangenen Wochenende viele Menschen, die Opfer
es Conterganskandals geworden sind, um „5 vor 12“ vor
rem Kanzleramt standen und dort eine Petition überge-
en wollten, damit ihnen endlich ein würdevolles Leben
rmöglicht wird. Aber: Fehlanzeige!
Der Geist der UN-Behindertenrechtskonvention,
ämlich die Betroffenen ernst zu nehmen und zu beteili-
en, ist in dieser Regierung nicht angekommen. Liebe
rau von der Leyen, das muss ich Ihnen auch sagen:
ehlanzeige! Warum haben Sie denn nicht einmal den
ogenannten Nationalen Aktionsplan dem Parlament als
nterrichtung zugeleitet, damit wir uns hier einmal ge-
einsam darüber unterhalten und damit befassen kön-
en? Über hundert Unterrichtungen gibt es von der Re-
ierung, diese aber nicht.
Frau von der Leyen, Sie sagen jetzt: Inklusion ist das
chlüsselwort. – Wenn dem so sein sollte: Warum über-
ehmen Sie dann nicht die Schattenübersetzung und er-
lären sie zur offiziellen Übersetzung? In Ihrer offiziel-
n Übersetzung kommt das Wort „Inklusion“ nämlich
ar nicht vor. Sie haben sogar dagegen gekämpft, als wir
s aufgenommen haben wollten.
Diese Regierung hat überhaupt nicht begriffen, wo-
m es geht und dass es alle betrifft. Wo ist denn von
errn Ramsauer, von Herrn Schäuble und von Herrn
ösler das Konjunkturprogramm „Deutschland barriere-
ei“ zur Beseitigung bestehender Barrieren? Es gibt den
orschlag, hierfür ein Konjunkturprogramm zu machen.
as ist Wirtschaftsförderung! Zehn Jahre lang jedes Jahr
indestens 1 Milliarde Euro nur zur Beseitigung beste-
ender Barrieren im Baubereich, das wäre Wirtschafts-
rderung vor Ort.
Ihre Kollegin Frau Schröder sagte auf die Frage, wo
ihrem Ressort überhaupt Geld für die Umsetzung der
N-Behindertenrechtskonvention eingestellt ist: Das ist
ei uns nicht ressortiert, das macht alles Frau von der
eyen, ich bin nicht zuständig. – Das Bundesministe-
um für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist nicht
17352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Ilja Seifert
)
)
zuständig für die Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
konvention?! Wo wohnen wir denn überhaupt?
Herr Bahr hat hier heute über die Verbesserung im
Gesundheitswesen geredet. Wo ist denn das Konzept,
mit Geld unterlegt, zur Schaffung barrierefreier Arztpra-
xen?
Wir können ja gerne über zahnärztliche Behandlungen
reden. Wie kommt ein Rollstuhlfahrer überhaupt auf den
Stuhl? Hier haben wir wirklich noch viel zu tun.
Frau Schavan, wo ist denn die behindertenpolitische
Kompetenz bei zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern,
bei Architekten, bei Ingenieuren?
Wieso gibt es denn da kein Curriculum, keine Pflicht,
das zu lernen?
In Karlsruhe wird demnächst der letzte Lehrstuhl für
hörbehinderte Menschen aufgelöst und nicht wieder neu
besetzt. Was hat das mit Inklusion und mit Umsetzung
der UN-Konvention zu tun?
Sie von der FDP: Wo ist denn von Ihren Ministern
Westerwelle und Niebel das Programm zur Einbezie-
hung von Menschen mit Behinderung in jegliche Aktivi-
täten in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit?
Wir fordern mit dem Antrag, den wir eingereicht ha-
ben, einen einkommens- und vermögensunabhängigen
Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile durch ein
Teilhabesicherungsgesetz.
Da kann man den betroffenen Organisationen – ForseA,
dem Forum behinderter Juristinnen und Juristen, dem All-
gemeinen Behindertenverband in Deutschland usw. – dan-
ken, dass dafür schon seit Wochen, seit Monaten und zum
Teil seit Jahren Konzepte vorliegen. Sie greifen die nicht
auf; wir bringen sie ins Parlament, damit etwas passieren
kann.
Die Anträge der SPD unterstützen wir. Das passt zu-
sammen. Als ihr noch die Denkschrift unterschrieben
habt, habt ihr eine ganz andere Position vertreten. Inso-
fern ist durchaus ein Fortschritt erkennbar.
Frau von der Leyen, Sie machen eine große Kampa-
gne, die „Behindern ist heilbar“ heißt. Einverstanden!
Fangen wir doch bei der Regierung an! Falls Sie einen
Therapeuten brauchen sollten, stelle ich mich zur Verfü-
gung. Dann würden wir die UN-Konvention zum Regie-
rungsprogramm machen. Das wäre eine gute Tat für
Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
iebe Kollegen! Mit dem Nationalen Aktionsplan, den
ie Bundesregierung im Juni dieses Jahres auf den Weg
ebracht hat, sorgen wir für eine umfassende Umsetzung
er UN-Behindertenrechtskonvention. Frau Ministerin
on der Leyen hat in ihrer Rede bereits darauf hingewie-
en, dass immerhin circa 200 Einzelmaßnahmen bereits
tzt enthalten sind. Es ist ein lernendes und sich fortent-
ickelndes System. Natürlich wird das eine oder andere
och ergänzt und fortgeschrieben werden können. Das
uss uns natürlich klar sein: Es ist ein Thema, das die
esellschaft dauerhaft – über die nächsten Jahre und
ahrzehnte – beschäftigen wird.
Mit dem Nationalen Aktionsplan gehen wir einen
roßen und entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer
klusiven Gesellschaft voran – einige Vorredner haben
ereits darauf hingewiesen – und regen einen Prozess an,
er in den kommenden zehn Jahren das Leben von rund
,6 Millionen Menschen mit Behinderung in Deutsch-
nd maßgeblich verbessern und beeinflussen wird.
Es liegt mir sehr am Herzen, Menschen mit Behinde-
ng eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teil-
abe mitten in der Gesellschaft zu ermöglichen. Wir ha-
en zwar bereits viel erreicht, aber wir sind noch längst
icht am Ziel angelangt. Bei der Entwicklung des Ak-
onsplans war es wichtig, die gesamte Zivilgesellschaft
inzubinden. Es wurden Wünsche und Visionen von
enschen mit Behinderung, ihren Angehörigen und ih-
n Verbänden berücksichtigt. Schließlich sollte der Plan
erade keine Auflistung über wünschenswerte Verände-
ngsvorschläge und Lebensrealitäten werden, sondern
in Aktionsplan, der den Alltag für Behinderte in
eutschland nachhaltig und bewusst verändern und in
er Praxis umgesetzt und gelebt werden soll.
Es freut mich sehr, dass ich bereits wenige Monate
ach Inkrafttreten von ersten Erfolgen berichten kann.
as Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit
er Deutschen Bahn AG vereinbart, die 50-Kilometer-
egelung nach § 147 Abs. 1 SGB IX für schwerbehin-
erte Menschen bereits zum 1. September 2011 aufzuhe-
en. Damit wird für schwerbehinderte bzw. schwer
riegsbeschädigte Reisende durchgängig eine bundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17353
Paul Lehrieder
)
)
weite kostenfreie Nutzung der Nahverkehrszüge der DB
Regio AG gewährleistet.
Wenn Kollege Seifert gerade eben unseren Verkehrs-
minister Peter Ramsauer angesprochen und ausgeführt
hat, der Nationale Aktionsplan müsste auch im Bereich
Verkehr fortentwickelt werden, so möchte ich ausdrück-
lich darauf hinweisen, dass wir derzeit mit der Bahn AG
und dem Verkehrsministerium den Umbau einer Vielzahl
von Bahnhöfen mit Bundesmitteln forcieren und för-
dern, um eine behindertengerechte Ausgestaltung von
Bahnanlagen zu ermöglichen.
Auch in meinem Wahlkreis in Würzburg ist ein Bahn-
hof, der noch längst nicht behindertengerecht ist und von
dem ich hoffe, dass bis 2018 ein Rollstuhlfahrer oder
eine Mutter mit Kinderwagen den Bahnsteig ohne
fremde Hilfe erreichen kann.
Nehmen Sie das als Beispiel, Herr Kollege Seifert,
dafür, dass diese Querschnittsaufgabe in vielen Ministe-
rien angekommen ist und dass in vielen Facetten und mit
vielen Puzzlesteinen bereits jetzt an einer inklusiven Ge-
sellschaft gearbeitet wird.
Die Kampagne „Behindern ist heilbar“, die über zahl-
reiche Medien derzeit zu sehen ist, kommt Art. 8 der
Konvention nach, ein gesamtgesellschaftliche Bewusst-
sein für dieses Thema zu schaffen. Sie alle werden das
Bild kennen, auf dem ein in 2,30 Meter Höhe angebrach-
ter Geldautomat von niemandem zu erreichen ist, weder
von dem Behinderten, dem Kleinwüchsigen, noch von
den normal Gewachsenen. Da ist Behinderung für alle
bemerkbar. Der erste Schritt muss sein, Aufmerksamkeit
zu erzeugen, Menschen für das Thema Behinderung und
für alles, was damit zusammenhängt, zu sensibilisieren.
Lieber Herr Kollege Gysi, ich habe noch nicht vieles
von dem, was Sie hier an diesem Mikrofon von sich ge-
geben haben, unterschreiben können, aber heute haben
Sie in vielen Punkten recht gehabt.
Herr Gysi, Sie haben am Beispiel des Kollegen Seifert
ausgeführt, dass wir schlichtweg oft nicht an die Belange
behinderter Menschen denken. Ich habe selber ein Déjà-
vu-Erlebnis gehabt, ähnlich wie Sie bei Ihren Organisa-
tionen: Ich habe als junger Bürgermeister die Gestaltung
eines Parkplatzes im Innerortsbereich in Gaukönigsho-
fen vorgenommen: Es handelte sich um eine Böschung
mit einer dreistufigen Treppe. Ich bin am Schluss, nach
dieser Baumaßnahme, mit einem Rollstuhlfahrer, der
durch einen Unfall an den Rollstuhl gebunden war, die
Strecke abgefahren. Er hat mich darauf hingewiesen und
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Erste Berührung mit dem Thema und umfassende In-
rmation dazu schaffen die Basis, um Toleranz zu ent-
ickeln und schließlich im nächsten Schritt eine inklu-
ive Gesellschaft zu erreichen. Es reicht nicht, Menschen
ur zu akzeptieren, sondern sie müssen auch eingebun-
en werden, sowohl im öffentlichen als auch im privaten
ereich.
Es ist erschreckend, dass laut der Antidiskriminie-
ngsstelle des Bundes Behinderung mit 25 Prozent der
eistgenannte Diskriminierungsgrund ist. Bei Mehr-
chdiskriminierungen werden die Kombination Behin-
erung und Alter mit 17 Prozent sowie Behinderung und
eschlecht mit 7 Prozent am häufigsten genannt. Dies
ilt sowohl für den öffentlichen als auch für den privaten
ereich.
Ich möchte an dieser Stelle das C im Namen unserer
raktion hervorheben.
ie zentrale Botschaft vieler Weltreligionen, nicht nur
er christlichen, ist es, nach dem Prinzip der Nächsten-
ebe zu leben. Nur so kann ein gleichberechtigtes Zu-
ammenleben innerhalb eines Völkerbundes und darüber
inaus erreicht werden. Deshalb öffnet der Nationale
ktionsplan mit folgender Vision eine Zukunftsgesell-
haft: Menschen akzeptieren Menschen so, wie sie sind. –
it der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans sind
ir hier auf dem besten Weg.
Die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Ende letzten
ahres eine Studie zur Inklusion, in welcher insbeson-
ere Handlungsbedarf an den Schulen festgestellt wurde.
ie inklusive Bildung der Kinder endet laut Studie nach
er Kita. Während in der Kindertageseinrichtung noch
0 Prozent der Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit
nderen spielen und lernen, sind es in der Grundschule
erade noch 34 Prozent. Beim Übergang in die weiter-
hrende Schule müssen dann viele Kinder aus Mangel
n inklusiven Bildungsangeboten an eine Förderschule
echseln. Mit dem Nationalen Aktionsplan wird
chulen die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeit und ihre
ngebote individuell auf die Bedürfnisse der Kinder zu-
uschneiden. Förderschulen dürfen keine Abschiebe-
chulen sein.
Wir werden über die Finanzierung der Schulbegleiter
iskutieren. Mit den Kommunen werden wir uns zusam-
ensetzen und regeln, wer welche Aufgabe in diesem
17354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Paul Lehrieder
)
)
Bereich schultern kann und schultern muss. Hier wird in
Zukunft mehr Geld erforderlich sein. Da brauchen wir
uns gar nichts vorzumachen.
Es gilt aber auch, physische Barrieren abzubauen, wie
beispielsweise der vorhin bereits angesprochene nicht
abgesenkte Bordstein, fehlende Aufzüge in öffentlichen
Gebäuden, fehlende Lichtanlagen für hörbehinderte
Menschen, fehlende Lautsignale für sehbehinderte Men-
schen. Ein weiteres Thema wird die Elektromobilität
sein. Hier wird eine zusätzliche akustische Wahrneh-
mung für Menschen mit Handicap erforderlich sein:
Wenn ein Elektroauto sehr viel leiser als ein Benziner
ist, ist die Sorge der Betroffenen, dass sie das Fahrzeug
überhören können. Wir müssen uns überlegen, wie wir
diese Fahrzeuge entsprechend ausstatten können.
Es geht aber auch um jene Barrieren, die in den Köp-
fen sitzen und die Integration und Berührungen mit
Menschen mit Behinderung verhindern.
Umfassende Barrierefreiheit ist ein zentrales Element
im Nationalen Aktionsplan und auch wesentlicher Inhalt
des Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention. Die so-
ziale Wohnraumförderung unterstützt als eine Maß-
nahme im Nationalen Aktionsplan, die ich beispielhaft
herausgreifen möchte, sowohl Mietwohnraum als auch
die Bildung von selbst genutztem Wohneigentum. So
können insbesondere für Menschen mit Behinderung
barrierefreie Wohnungen und die barrierefreie Moderni-
sierung von Altbauten gefördert werden.
Darüber hinaus werden Beratungs- und Informations-
angebote über die behindertengerechte Gestaltung von
Wohnraum und Umbauten ausgebaut und weiterentwi-
ckelt. Es ist wichtig, dass sich diese nicht nur auf bauli-
che Vorhaben bezieht, sondern auch auf barrierefreie
Kommunikation, barrierefreies Film- und Fernsehange-
bot und barrierefreies Internet. Auch hier sind wir bereits
aktiv. Die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung,
BITV 2.0, soll gewährleisten, dass öffentlich zugängliche
Internetdienste und Angebote der Bundesverwaltung von
Menschen mit Behinderung uneingeschränkt genutzt
werden können.
Meine Damen und Herren, selbstverständlich wäre es
wünschenswert, alle Punkte der umfangreichen UN-Be-
hindertenrechtskonvention sofort komplett umzusetzen.
Es ist aber wichtig, die Umsetzung als Prozess zu sehen.
Nur so kann sie wirkungsvoll sein und auch nachhaltig
in den Köpfen stattfinden.
Wir können beispielsweise von einem mittelständi-
schen Unternehmen nicht fordern, von heute auf morgen
sein komplettes Gebäude mit automatischen Türen aus-
zustatten und eine feste Anzahl von Menschen mit Be-
hinderung einzustellen. Dieser Zwang würde sicherlich
nicht zur Integration der Mitarbeiter führen, sondern
wäre in vielen Bereichen wohl kontraproduktiv.
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Frau Ministerin, der Schlüssel zu dem, was getan
erden muss, findet sich in der Präambel der Behinder-
nrechtskonvention. Ich zitiere daraus, weil ich bei Ihrer
ede nicht sicher war, ob Sie das so gelesen haben.
arin heißt es – Zitat –,
dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten all-
gemein gültig und unteilbar sind, einander bedin-
gen und miteinander verknüpft sind und dass Men-
schen mit Behinderungen der volle Genuss dieser
Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garan-
tiert werden muss …
h betone das Wörtchen „garantiert“. „Garantiert“ heißt
icht, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Jeder ist
efordert;
orderungen an die Regierung reichen nicht. Bringen
ie doch einmal Ihre Vorschläge ein!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17355
Ulla Schmidt
)
)
– Wir haben auch vieles gemacht, liebe Frau Michalk.
Garantie heißt: Das ist Ihre Verantwortung! In einer
Demokratie und einem Rechtsstaat ist die Exekutive da-
für verantwortlich, dass die Einzelrechte umgesetzt und
die Rechtsansprüche der Menschen verwirklicht werden
können.
Deswegen wundert es mich nicht, dass der Aktionsplan
heute nicht zur Debatte steht. Wir brauchen nicht mehr
darüber zu reden, was wir denn noch alles prüfen sollten
oder tun könnten. Es geht vielmehr darum, in einem
nachvollziehbaren, transparenten Plan darzulegen: Was
sind die nächsten Schritte, die wir angehen? Wie sieht
unser Zeithorizont aus? Wie verbindlich setzen wir die
Rechte von Menschen mit Behinderungen in diesem
Lande endlich um? Um nichts anderes geht es.
Und deswegen: Wir haben in unserem Antrag eine
Reihe von ganz konkreten Vorstellungen dargelegt. Über
die können wir diskutieren; denn sie heben darauf ab,
dass die Behindertenrechtskonvention zwar auf die
Rechte von Behinderten fokussiert ist, aber in dem Zu-
sammenhang noch mehr verwirklicht werden kann. Sie
bietet die Chance, dass wir nicht nur die Barrierefreiheit
umsetzen, wenn es um behinderte Menschen geht – das
müssen wir –; vielmehr bedeutet das auch Barrierefrei-
heit für Familien mit Kindern, Barrierefreiheit für die
Arbeitswelt und Barrierefreiheit für ältere Menschen.
Wir sollten jetzt damit anfangen; denn wir müssen in den
nächsten zehn Jahren die grundlegenden Voraussetzun-
gen dafür schaffen, wie wir mit dem veränderten Alters-
aufbau in unserer Gesellschaft umgehen wollen.
Deshalb geht es jetzt darum, wie verbindlich und wie
schnell wir die Dinge regeln können. Wir müssen uns
gemeinsam als Ziel setzen, durch diese Aktionen und
unser Handeln darauf hinzuwirken, dass auch in den
Köpfen der Menschen die Barrieren überwunden wer-
den. Dazu gibt es eine ganze Menge, das man schnell
machen kann.
Ihre Kolleginnen und Kollegen weisen doch nichts
Konkretes – auch nicht in den Anträgen, die wir heute
diskutieren – zum Kulturbereich auf. Warum können
nicht alle Fördermittel, die von der öffentlichen Hand
gezahlt werden, nur dann zur Verfügung gestellt werden,
wenn Barrierefreiheit garantiert wird?
Warum gibt es Filmförderung nicht nur noch dann, wenn
untertitelt wird, oder nur dann, wenn Audiodeskription
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enn uns zwingt auch niemand, unsere Augen an der
ür abzugeben, aber wir zwingen die Blinden, ihren
lindenhund abzugeben.
Ich möchte noch zwei Punkte nennen, die wichtig
ind und bei denen Sie auch eine Verantwortung haben:
er erste betrifft den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff,
ei dem Sie in der letzten Legislaturperiode verhindert
aben, dass die Beschlüsse dazu weiter gefasst wurden.
enschen mit Behinderung sagen mir: Es ist nicht
chlimm, blind zu sein; darauf kann man sich einstellen.
chlimm ist es, blind zu sein, alt zu werden und dadurch
ndere Behinderungen mit dazuzubekommen. Damit
ommen wir nicht mehr zurecht. – Da wäre der neue
flegebedürftigkeitsbegriff genau der richtige Ansatz zu
agen, wie wir damit eigentlich umgehen wollen.
Das Zweite ist die Regelbedarfsstufe 3. Sie haben die
ittel in diesem Bereich einfach um 20 Prozent gekürzt.
Behindern ist heilbar!“, diesen Satz kann man auf schö-
en Plakaten überall sehen. Dass Sie aber einem Men-
chen, der dauerhaft erwerbsunfähig ist, der entweder
lt, behindert oder krank ist – sonst wäre er als junger
ensch nicht dauerhaft erwerbsunfähig –, sagen: „Wenn
u aufgrund deiner mangelnden Fähigkeit, allein zu le-
en, in der Wohnung und im Haushalt deiner Eltern
bst, dann wirst du behandelt wie ein Ehepartner!“, das
erstößt gegen die Würde von erwachsenen Menschen,
ie auch dann, wenn sie in der Wohnung ihrer Eltern le-
en müssen, ein Recht darauf haben, dass sie ihre eigene
entität haben und ihr eigenes Leben leben können. Sie
rauchen dann vielleicht einen eigenen Fernsehapparat
der einen eigenen Kühlschrank. Von Ehepartnern kann
an vielleicht verlangen, dass sie Tisch und Bett teilen,
ber nicht von erwachsenen Menschen, die mit ihren El-
rn im gleichen Haushalt leben.
Vielen Dank.
17356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
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Das Wort hat nun Marlene Mortler für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Wer diese Debatte von Anfang an mit
verfolgt hat – ich war wirklich von Beginn an mit
dabei –, der muss den Eindruck gewinnen, wir, die wir
Regierungsverantwortung haben, würden beim Thema
Inklusion bzw. UN-Behindertenrechtskonvention bei
null anfangen. Er muss außerdem den Eindruck bekom-
men
– Moment! –, als ob wir in der Regierung alles verhin-
dern würden.
Liebe Frau Schmidt, hätten Sie doch in Ihrer Regie-
rungszeit so laut geschrien und gehandelt,
wie Sie das gerade hier getan haben!
– Ich kann das deshalb erklären, weil ich schon den Ein-
druck gewonnen habe, dass sich aufseiten der Opposi-
tion einige zum ersten Mal überhaupt mit diesem Thema
beschäftigt und versucht haben,
alle Register zu ziehen, die es gibt – und das ist unfair.
Ich weiß, wovon ich rede; denn mein Zwillingsbruder
und ich haben mit dreieinhalb Jahren – jetzt werde ich
leiser – Kinderlähmung bekommen. Wir sind schwer er-
krankt. Damals gab es keine Pflichtimpfung. Ich hatte
Glück. Man sieht mir diese Behinderung heute nicht
mehr an. Mein Bruder hingegen leidet bis heute. Für
mich war ab diesem Zeitpunkt, 1958, klar: Ich habe zu
helfen. Ich habe zu unterstützen, in der Schule, im Be-
rufsleben, wo auch immer. Ich sehe dieses Thema seit
dieser Zeit grundsätzlich mit anderen Augen.
Meine Eltern – die anderen Kinder durften mit dem
Bus in die Schule fahren – haben uns jeden Tag ohne Un-
terstützung des Staates vom Dorf in die Schule – sie war
eine Ortschaft weiter – gefahren; das war ganz selbstver-
ständlich. Wenn wir ehrlich sind: Heute ist in meinem
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azu fordern wir ständig auf, und genau darauf zielt ja
uch Ihr Antrag ab. Als Tourismuspolitikerin sage ich
benfalls ganz deutlich: Wir unterstützen die Forderung,
Rahmen der ITB, der Internationalen Tourismus-
örse, einen Tag des barrierefreien Tourismus einzurich-
n.
ber wir fordern nicht, dass ein solcher Tag ab sofort
ine Dauereinrichtung wird, sondern wir erwarten, dass
as Ganze zunächst einmal bewertet wird.
Das hat eindeutige Hintergründe. Gleichzeitig gibt es
ine Aktion der NatKo, der Nationalen Koordinierungs-
telle Tourismus für Alle. Diese Koordinierungsstelle
acht übrigens sehr gute Arbeit. Sie hat im Rahmen der
B ein Projekt gestartet und mittlerweile konzeptionell
rtiggestellt. Erst danach, also im Nachhinein, ist sie an
as BMWi herangetreten und hat gefragt, ob sie Geld da-
r erhalten kann. Das ist zwar legitim, aber da hier
eute ständig so viel Offenheit und Transparenz einge-
rdert werden, würde ich mir schon wünschen, dass Ak-
ure wie die NatKo die Regierung im Vorhinein einbin-
en, damit sie weiß, worüber sie zu entscheiden und was
ie im Falle des Falles zu finanzieren hätte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Kramme?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Mortler. – Sie haben gesagt, Sie
ätten ein behindertes Familienmitglied. Ich denke, in
iesem Fall müssten Sie in besonderer Weise nachvoll-
iehen können, welche Probleme dies mit sich bringt.
h bin in einer ähnlichen Situation: Auch ich habe bzw.
atte drei schwerstbehinderte Familienmitglieder. Meine
rage geht dahin: Was tun Sie konkret in Richtung des
arrierefreien Tourismus?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17357
Anette Kramme
)
)
Ich mache es einmal an einem einfachen Beispiel fest:
Mein Vater ist Rollstuhlfahrer. Wir waren in einem Hotel
in der Pfalz, und dieses Hotel war als barrierefrei ausge-
wiesen. Wir kamen dorthin: ein wunderbares Hotelzim-
mer, tatsächlich barrierefrei. Wir gingen hinüber in den
eigentlichen Hotelkomplex und versuchten, zu Abend zu
essen. Dort gab es leider drei Stufen.
Was machen Sie in Sachen Siegel? Was machen Sie,
damit Menschen sich bei den vorhandenen Einrichtun-
gen tatsächlich darauf verlassen können? Ich weiß, dass
Menschen mit Behinderung nur mit großer Angst und
Sorge verreisen. – Erste Frage.
Eine zweite Frage in diese Richtung: Was geben Sie
mit dem Aktionsplan tatsächlich an Geldern frei, um
Barrierefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu
erreichen? Ich kann nämlich Ihre Auffassung nicht tei-
len, dass die Situation in der Bundesrepublik Deutsch-
land befriedigend ist. Sie wissen es selber: Ganz gleich,
wohin ich komme, ganz gleich, ob ich in eine Metzgerei
gehen will, ob ich einen Arzt aufsuche, ob ich in die
Kneipe will, ob ich ins Restaurant will – ich stoße auf
Barrieren. Ich denke, es geht um einen erheblichen
finanziellen Einsatz.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese beiden
Fragen beantworten könnten.
Der Tourismusausschuss ist ein Querschnittsaus-
schuss, und ein Querschnittsausschuss bearbeitet viele
Themen bzw. hat viele Schnittstellen. Das heißt, unter
dem Strich ist nicht nur unser Ausschuss gefordert, nicht
nur die Bundesregierung ist gefordert, sondern alle sind
gefordert, so wie es die Ministerin gerade gesagt hat.
Die Frage lautete: Was tun Sie konkret? Erstens. Be-
wusstsein schaffen. Diesbezüglich ist jeder von uns ge-
fordert. Zweitens hat das Bundeswirtschaftsministerium
Studien dazu gemacht und große Veranstaltungen durch-
geführt, um das Bewusstsein zu vertiefen. Drittens ist
bereits im Oktober ein Projekt angelaufen, in dem es da-
rum geht: Wir brauchen in Zukunft eine einheitliche
Kennzeichnung, damit der behinderte Mensch sofort er-
kennen kann, ob er an einen bestimmten Ort kommt oder
nicht. Das steht für mich an erster Stelle. Wir wollen in
diesem Projekt die Leistungsträger qualifizieren. Wir
wollen quasi Schulungsmaßnahmen durchführen. In die-
sem Projekt werden wir auch eine Internetplattform er-
richten, auf der der gehandicapte Mensch barrierefreie
Angebote bzw. Dienstleistungen gebündelt finden kann.
Das sind doch alles tolle Wege und Beispiele. Wir tun
immer so, als ob jetzt alles und auf einmal umgesetzt
werden müsste. Bei allem Respekt: Wenn wir ehrlich
sind, ist dies immer mit einem bestimmten Geldbetrag
verbunden. Auf der anderen Seite gibt es auch Unterneh-
mer, Reiseveranstalter, die bewusst für sich dieses
Thema entdeckt und gesagt haben: Ich springe in diese
Lücke; die Anzahl der Menschen mit Behinderung wird
größer – Stichwort „demografischer Wandel“. Frau Ulla
Schmidt hat die Vielfalt von Behinderungen selber ange-
sprochen: Familie mit Kindern, mit Kinderwagen,
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s geht um einen permanenten Prozess.
um einen ist es ein Umsetzungsproblem; wir sind aber
icht bereit, irgendwelche Gesetze zu stricken und damit
wang auszuüben. Vielmehr sagen wir: Auch die Privat-
irtschaft, die Tourismusbranche, muss die Chance ha-
en, die Dinge in die Hand zu nehmen.
ualitätstourismus im Bereich Barrierefreiheit ist unser
iel, liebe Frau Kollegin Kramme.
Wir sollten uns nicht ständig schlechter reden, als wir
ind, liebe Frau Kollegin Kramme.
Ich komme zum Schluss: Wir als CDU/CSU-Bundes-
gsfraktion setzen im Deutschland-Tourismus auf das
ualitätsmerkmal Barrierefreiheit. Denn uns ist voll-
ommen bewusst, dass dies die Grundvoraussetzung für
elbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe und am
nde auch ein Gewinn für alle ist. Meine Damen und
erren, sorgen wir also alle dafür, dass Barrierefreiheit
icht nur anlässlich des Internationalen Tags der Men-
chen mit Behinderung am Samstag oder im Rahmen der
ternationalen Tourismus-Börse in Berlin, sondern
tändig, nämlich jeden Tag, im Fokus der Öffentlichkeit
t!
Ich glaube, ich habe deutlich gemacht: Aus persön-
cher Erfahrung, aber auch aus Überzeugung muss und
erde ich meinen Beitrag weiterhin dazu leisten.
Danke schön.
Das Wort hat nun Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-
raktion.
17358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Mortler, wie sieht es tatsächlich mit Barriere-
freiheit im Tourismus aus? Auch dazu verpflichtet uns
die UN-Behindertenrechtskonvention. Ich habe in mei-
nem Wahlkreis mit behinderten Menschen gesprochen
und sie gefragt: Wie macht ihr Urlaub? Ich muss Ihnen
sagen: Es war erschreckend, was ich da erfahren habe.
Noch immer gibt es viel zu wenig Reiseangebote. Nur
ein winziger Bruchteil der Hotels und Gaststätten ist in
Deutschland, in unserem Reiseland Nummer eins, tat-
sächlich barrierefrei. Oft scheitert der Urlaub aber schon
an der Anreise. Gehörlose und blinde Menschen haben
immer noch große Schwierigkeiten, sich auf unseren
Bahnhöfen zurechtzufinden. Herr Lehrieder, kostenfreie
Beförderung nützt gar nichts, wenn die Menschen über-
haupt nicht in die Züge hineinkommen.
Für Rollstuhlfahrer sind Busse, Züge und vor allem
Flugzeuge in der Regel entweder gar nicht oder nur mit
ganz großen Schwierigkeiten zu nutzen. Das müssen wir
ändern; denn das ist beschämend.
8 Millionen Menschen sind betroffen. Das entspricht
der Einwohnerzahl von New York oder der achtfachen
Einwohnerzahl von Köln. Diese Menschen haben ein
Recht, zu reisen und Urlaub zu machen, wie alle anderen
Menschen auch.
Die Tourismuswirtschaft scheint dieses Potenzial über-
haupt noch nicht für sich entdeckt zu haben. Wie sonst
lassen sich die bestehenden Mängel erklären? 5 Milliar-
den Euro zusätzlicher Umsatz wären möglich. 90 000
Vollzeitarbeitsplätze – das entspricht fast der Einwoh-
nerzahl einer Großstadt – könnten geschaffen werden.
Für uns alle wären weniger Hindernisse hilfreich.
Was tut die Bundesregierung für barrierefreien Tou-
rismus? Ich habe in Ihren Nationalen Aktionsplan ge-
schaut und gelesen, dass erst einmal die Länder, Städte
und Gemeinden zuständig sind. Einfacher geht es wohl
nicht.
Die Regierung schiebt den Schwarzen Peter den Län-
dern, Städten und Gemeinden zu. Die sollen etwas tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und
der FDP, liebe Bundesregierung, ich fordere Barriere-
freiheit in Ihren Köpfen. Es gibt doch auch auf Bundes-
ebene nun wirklich genug Baustellen, an die wir heran-
müssen.
Unsere Vorschläge für barrierefreies Reisen liegen
seit langem auf dem Tisch. Wir wollen erstens einen um-
fassenden Masterplan, zweitens Barrierefreiheit im
Schienenfernverkehr inklusive Umbau aller Bahnhöfe,
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Lieber Herr Kollege, wir müssen gemeinsam fest-
gen, welche Schritte getan werden sollen. Das ist
chon mehrfach gesagt worden.
s gibt einen Aktionsplan, das ist richtig. Dieser Plan
etzt aber keine Prioritäten, was zuerst abgearbeitet wer-
en soll. Das vermisse ich seitens der Bundesregierung.
iese Schritte müssen natürlich im Haushalt verortet
erden. Das ist zunächst einmal Ihre Zuständigkeit. Wir
aben unsere Forderungen auf den Tisch gelegt. Sie aber
ind an der Regierung; Sie müssen handeln.
ie müssen die Prioritäten aufzeigen, wie Sie den
ktionsplan, den Sie auf den Weg gebracht haben, ab-
rbeiten wollen. Das vermisse ich. Das passiert bei Ihnen
ider nicht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17359
)
)
Frau Kollegin, es gibt noch einen Wunsch nach einer
Zwischenfrage, und zwar vom Kollegen Scheuer.
Das ist ja enorm, was hier alles gefragt wird.
Frau Kollegin, wollen Sie bitte akzeptieren und es
näher ausführen, dass die Bundesregierung seit Jahren
für den barrierefreien Ausbau der Bahnhöfe einen drei-
stelligen Millionenbetrag zur Verfügung stellt und dabei
zusammen mit den Behindertenverbänden aussucht,
welche Bahnhöfe realisiert werden?
Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass gerade
diese christlich-liberale Koalition dem Einzelplan 12 des
Bundesverkehrsministeriums zusätzlich für die Bundes-
schienenwege noch einmal 100 Millionen Euro bereitge-
stellt hat, um die Bahnhöfe sauberer, sicherer und schö-
ner zu gestalten, aber vor allem auch, um das Thema der
Barrierefreiheit in dieses Programm zu stellen?
Welche Aktivitäten und Unterstützungen haben wir
dafür in den letzten Wochen von Ihrer Fraktion bekom-
men?
Herr Kollege, es ist richtig, dass es das Programm zur
Umgestaltung der Bahnhöfe für mehr Barrierefreiheit
gibt. Das gilt aber nur für die großen Bahnhöfe. Die klei-
neren sind davon gar nicht erfasst.
Auch in meinem Wahlkreis wurde der Bahnhof ent-
sprechend umgebaut. Ich musste aber leider feststellen,
dass die Standards, die von der Bahn gesetzt werden,
nicht dem entsprechen, was Menschen mit Behinderun-
gen brauchen.
So sind zum Beispiel die Fahrkartenautomaten für Roll-
stuhlfahrer überhaupt nicht benutzbar. Es gibt aber
angeblich keine Fahrkartenautomaten anderer Art, die
für Rollstuhlfahrer unterfahrbar wären. Das ist eine
Schwachstelle. Da muss nachgearbeitet werden.
Ich gebe Ihnen insofern recht, als dass es das Pro-
gramm gibt. Das Programm allein reicht aber noch nicht
aus. Es muss mehr getan werden, damit die Menschen
reisen können, damit sie die Bahnhöfe benutzen können.
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gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
geodätischen Referenzsysteme, -netze und geo-
topographischen Referenzdaten des Bundes
– Drucksache 17/7375 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Düngegesetzes, des Saatgutver-
kehrsgesetzes und des Lebensmittel- und Fut-
termittelgesetzbuches
– Drucksache 17/7744 –
17360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 17. Mai 2011 zur Änderung des
Abkommens vom 3. Mai 2006 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Repu-
blik Slowenien zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
– Drucksache 17/7917 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Herbert Behrens, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Die Ergebnisse öffentlicher Forschung für alle
zugänglich machen – Open Access in der Wis-
senschaft unterstützen
– Drucksache 17/7864 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
e) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP
Neue Impulse für die Sportbootschifffahrt
– Drucksache 17/7937 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Gerster, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Förderung eines offenen Umgangs mit Homo-
sexualität im Sport
– Drucksache 17/7955 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell,
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Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Stephan
Kühn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Bedarfsfestlegung des
Baus oder Ausbaus von Bundesfernstraßen
– Drucksache 17/7885 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Petra
Ernstberger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Schaffung einer aufenthaltsrecht-
lichen Bleiberechtsregelung
– Drucksache 17/7933 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra
Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Klassische Schweinepest zeitgemäß bekämp-
fen – Impfen statt Töten
– Drucksache 17/7958 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi
Brase, Klaus Barthel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Abi-
tur sichern
– Drucksache 17/7957 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
n Verfahren ohne Debatte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17361
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
fensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 40 a, 40 c bis
k, dem Zusatzpunkt 3 sowie dem Tagesordnungs-
punkt 17 a bis d. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.
Zunächst rufe ich Tagesordnungspunkt 40 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung
energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 17/7632 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 17/7984 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7984, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/7632 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der beiden Koali-
tionsfraktionen und der Grünen gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung der SPD angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zu-
vor angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7989. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken
und Grünen abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 40 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-
fassungsgericht 2 BvE 1/11
– Drucksache 17/7986 –
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, im Verfahren eine Stellungnahme abzuge-
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Tagesordnungspunkt 40 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 351 zu Petitionen
– Drucksache 17/7881 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 351 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen
von SPD und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 40 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 352 zu Petitionen
– Drucksache 17/7882 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 352 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, FDP und Grünen gegen die Stimmen
von SPD und Linken angenommen.
Tagesordnungspunkt 40 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 353 zu Petitionen
– Drucksache 17/7883 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 353 ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Ralph Lenkert, Sabine Stüber, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag der Europäischen Kom-
mission für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Schaffung ei-
nes Ordnungsrahmens für den Bodenschutz
und zur Änderung der Richtlinie 2004/35/EG
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-
tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund-
gesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union
Bodenschutz europaweit stärken
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea
Steiner, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weite-
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Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 17 c:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Klimakonferenz in Durban zum Erfolg
führen – Kyoto-Protokoll verlängern, Klima-
schutz finanzieren und Cancún-Beschlüsse
umsetzen
– Drucksache 17/7938 –
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 17 d:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Sabine
Stüber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Nur konsequenter Klimaschutz führt aus der
Sackgasse der UN-Klimaverhandlungen
– Drucksache 17/7939 –
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
„Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“
– Drucksache 17/7935 –
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Es liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag aller Frak-
tionen auf Drucksache 17/7935 vor. Wer stimmt für die-
sen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Wahlvorschlag ist einstimmig
angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun rufe ich den
Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Weltklimakonferenz in Durban – Klimapolitik
am Scheideweg
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion das Wort.
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Wir befinden uns in einer Glaubwürdigkeitskrise des
esamten Prozesses, am Ende aber auch in einer Glaub-
ürdigkeitskrise einer demokratisch legitimierten Poli-
k, die sich dieser Herausforderung nicht ausreichend
tellen kann. Ich habe keine Lust mehr, hier im Deut-
chen Bundestag darüber zu diskutieren, was China, die
SA, Indien oder wer sonst alles nicht tun.
ir sind hier im Deutschen Bundestag. Herr Umwelt-
inister, Sie können sich sicher sein – das können wir
usagen –, dass wir in Durban gemeinsam für eine deut-
che Position streiten werden. Das wird uns auch gelin-
en, aber hier im Deutschen Bundestag müssen wir über
as diskutieren, was Europa und Deutschland in dieser
rise tun bzw. was sie eben nicht tun.
Herr Umweltminister, ich kann mir schon denken,
as jetzt gleich kommt. Es wird eine schöne Rede kom-
en mit Textbausteinen, die ich bald alle auswendig
enne.
as ist alles talkshowtauglich, aber es ist eben nicht re-
ierungstauglich. Sie müssen schon sagen, was die Bun-
esregierung tut bzw. tun will und wo Deutschland steht.
17364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Frank Schwabe
)
)
Das bereitet mir Sorge. Die taz hatte in der letzten Wo-
che die Überschrift „Rösler auf Chinakurs“. Die Finan-
cial Times Deutschland hatte die Überschrift „Minister
für Ineffizienz“. Damit ist Herr Rösler gemeint, aber
auch Sie, Herr Röttgen, sind damit gemeint; denn das be-
trifft das Thema Energieeffizienz. Wir lesen über „Solar-
deckel“ und anderes. Sie sind nicht in der Lage, das Kli-
maschutzziel der Europäischen Union zu verschärfen.
Sie sind ausdrücklich auch persönlich dazu nicht in der
Lage.
Deutschland war einmal Vorreiter, da sind wir uns alle
einig. Ich glaube, dass Deutschland in den letzten Mona-
ten und Jahren eher Nachreiter geworden ist. Mittler-
weile sind wir zum Bremser innerhalb der Europäischen
Union verkommen.
Sie sprechen von einer Vorreiterrolle, die uns auf inter-
nationalen Konferenzen zugestanden wird. Das ist aber
eher ein Nachhallen einer Politik von früher, eine gute
Nachrede, die Sie noch ereilt, aber mit der heutigen
Rolle Deutschlands in der Europäischen Union hat das
nichts mehr zu tun.
Ich weiß nicht, ob man das darf, aber ich habe eine
Grafik mitgebracht, die ich Ihnen gerne zeigen würde.
Das ist eine Grafik, die die Entwicklung des Emis-
sionshandelspreises seit einem Jahr darstellt. Wissen Sie,
was das bedeutet? Die Deutsche Bank hat das vor zwei
Tagen deutlich gemacht. Es bedeutet, dass die Deutsche
Bank erwartet, dass wir im zweiten Halbjahr 2012 einen
Emissionshandelspreis von 5 bis 7 Euro sehen werden.
Wenn die europäische Politik nicht verändert wird, wer-
den wir ab dem Jahr 2013 einen Preis von unter 10 Euro
sehen. Das ist das Gegenteil von dem, was vor allen Din-
gen Politiker von der Koalition im Rahmen der Atom-
ausstiegsdebatte in Deutschland behauptet haben. Es
wurde damals beschrien, der Preis steige von 15 Euro
auf 16,50 Euro, die Industrie müsse Deutschland verlas-
sen. Jetzt liegt der Preis bei 8 Euro, und von Herrn
Fuchs, Herrn Pfeiffer und Herrn Bareiß höre ich zu die-
ser dramatischen Entwicklung der letzten Wochen und
Monate überhaupt nichts mehr.
Ich frage mich wirklich, wie Sie da noch von einer
Vorreiterrolle sprechen können. Alle wissen, dass wir in
der Europäischen Union die Treibhausgasemissionen um
30 Prozent senken müssen. Wenn wir das nicht errei-
chen, dann gibt es für die nächsten sieben, acht Jahre
keinen Anreiz für eine Klimaschutzpolitik in der Euro-
päischen Union. Wir haben kein Geld mehr für Klima-
schutzmaßnahmen. Ihren Energie- und Klimafonds kön-
nen Sie vergessen. Am Ende wird kein Geld drin sein.
Wir können für uns erst recht keine internationale An-
treiberrolle mehr reklamieren.
Vorreiterrolle bedeutet doch, vorne zu stehen im
Kampf für die Senkung der Emissionen in der Europäi-
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Das Wort hat Andreas Jung für die CDU/CSU-Frak-
on.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Es ist mir ein Anliegen, in dieser Aktuellen
tunde unsere Gemeinsamkeiten in der Klimapolitik zu
etonen. Zunächst will ich aber ein Wort zu den Ausfüh-
ngen des Kollegen Frank Schwabe sagen: Selbstver-
tändlich ist die Bundesrepublik Deutschland Vorreiter,
nd selbstverständlich wird die Bundesrepublik Deutsch-
nd international weiterhin als Vorreiter wahrgenom-
en.
Durban wird es um das Verhandeln gehen. Wir zeigen
ier durch Handeln, dass wir dieser Vorreiterrolle ge-
cht werden. Es gibt kein anderes Land, das ein so am-
itioniertes Ziel wie unser 40-Prozent-Reduktionsziel –
as gilt für Deutschland unbedingt – beschlossen hat.
Das ist mit Programmen hinterlegt. – Wir zeigen mit
er Energiewende, mit dem Ausbau der erneuerbaren
nergien zum Beispiel und mit unseren Anstrengungen
Bereich der nachhaltigen Mobilität, dass wir das um-
etzen. Wir zeigen damit, dass wir Vorreiter sind, und
ir laden andere zum Mitmachen ein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17365
Andreas Jung
)
)
Wahr ist, dass wir eine Diskussion in Europa führen.
Ich will auf einen Satz in dem Antrag, den die Koali-
tionsfraktionen in diesem Zusammenhang eingebracht
haben, der gerade beschlossen wurde, hinweisen. Es
wird auf unser unkonditioniertes 40-Prozent-Ziel ver-
wiesen, zu dem sich die Bundeskanzlerin in ihrer Haus-
haltsrede übrigens glasklar bekannt hat. Sie hat gesagt:
Das wird eingehalten; daran halten wir fest. – In unse-
rem Antrag heißt es:
Es ist anzustreben, dass die EU und die anderen
Mitgliedstaaten sich zu vergleichbar ambitionier-
ten Reduktionszielen wie Deutschland verpflichten.
Ich verstehe das ganz persönlich als Auftrag, weiterhin
für das 30-Prozent-Ziel in Europa zu werben.
Wahr ist auch – auch das hat Kollege Frank Schwabe
gesagt –, dass der internationale Klimaprozess in einer
schwierigen Situation ist. Wir haben gemeinsam ein kla-
res Ziel: Wir wollen ein verbindliches, umfassendes Ab-
kommen, wie das 2-Grad-Celsius-Ziel erreicht werden
kann. Wir wissen schon heute: Auch in Durban wird es
leider nicht zu einem Durchbruch auf diesem Weg kom-
men. Deshalb gibt es die eine oder andere Stimme, des-
halb gibt es hier und da Gegrummel, nach dem Motto:
Dann könnt ihr es auch bleiben lassen. Warum fahrt ihr
da überhaupt hin?
Ich finde, als Deutscher Bundestag müssen wir dem
ein entschiedenes Nein entgegenstellen. Natürlich geht
das zu langsam. Natürlich sind die Schritte zu klein, und
natürlich gibt es Rückschläge. Aber die Frage ist doch:
Was wäre die Alternative? Es gäbe nur eine Alternative:
aufgeben. Aufgeben dürfen wir aber nicht. Deshalb muss
dieser Weg unter dem Dach der Vereinten Nationen wei-
tergeführt werden. Die Verhandlungen müssen weiterge-
hen. Wir werden uns engagiert einsetzen und einbringen.
Gerade jetzt ist es notwendig, dass diese Konferenz
stattfindet, weil sich jetzt, vor dem Jahr 2012, die Frage
stellt, was passieren würde, wenn im Jahr 2012 das Kioto-
Protokoll ohne Anschlussregelung auslaufen würde. Gäbe
es dann überhaupt keinen internationalen Klimaschutz
mehr? Würden wir dann vor einem Scherbenhaufen ste-
hen? Deshalb ist es jetzt notwendig, Folgendes deutlich zu
machen:
Erstens. Es muss bei den flexiblen Mechanismen des
Kioto-Protokolls bleiben, weil sie einen Weg für einen
effizienten Klimaschutz auf marktwirtschaftlicher Basis
darstellen, weil sie den Entwicklungsländern nutzen und
uns global voranbringen.
Zweitens. Wir sind bereit, auch weiterhin Verantwor-
tung zu übernehmen und uns verbindlich zu Minde-
rungszielen zu bekennen. Wir werben dafür bei den
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Die Konferenz ist auch abgesehen von den Verhand-
ngen über die Minderungsziele notwendig, weil es da-
m geht, die Maßnahmen, die in Cancún beschlossen
nd auf den Weg gebracht wurden, zu operationalisieren
nd umzusetzen. Es geht um Maßnahmen im Bereich
aldschutz, um Anpassungsmaßnahmen und um Maß-
ahmen im Bereich der Technologiekooperation, weil
urch all das Klimaschutz sichtbar wird, weil wir mit
onkreten Projekten und konkreten Maßnahmen in den
ereichen Klimaschutz und Klimaanpassung vorankom-
en und weil dadurch auch die Glaubwürdigkeit ge-
tärkt wird.
Es wird auch darum gehen – Stichwort: Glaubwürdig-
eit –, die Finanzierung sicherzustellen, und zwar die
urzfristige, aber auch die langfristige Finanzierung.
eshalb muss darüber geredet werden, wie die Zusage
er Industriestaaten, 100 Milliarden US-Dollar bis 2020
ereitzustellen, mit öffentlichen Mitteln, aber eben auch
nter Einbeziehung privater Mittel umgesetzt werden
ann.
abei muss es auch wieder um die Frage der Einbezie-
ung des Flugverkehrs in den Emissionshandel gehen.
ir brauchen hier globale Fortschritte und keine euro-
äischen Rückschritte.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Jung. – Nächster Redner für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser Kollege
r. Hermann Ott. Bitte schön, Kollege Dr. Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
chön, dass wir diese Debatte hier noch bei Tageslicht
hren können; doch es ist schon etwas irritierend, dass
ir sie nicht auf Antrag der Koalition führen. Tatsache
t: Wenn es die Opposition nicht gäbe, dann würde über
ie zukunftsentscheidende Klimakonferenz in Durban in
iesem Hause gar nicht diskutiert und dann könnten Sie
17366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Hermann E. Ott
)
)
Ihren Antrag dazu nicht zur Sprache bringen. Meine Da-
men und Herren von der Union und von der FDP, es ist
erschreckend und beschämend, wie wenig ernsthaft Sie
mit einem so wichtigen Thema umgehen.
Leider ist das nicht das einzige Indiz dafür, welch ge-
ringen Stellenwert die internationale Klimapolitik bei Ih-
nen hat. Die deutsche Klimadiplomatie, früher das Para-
depferd unserer Umweltaußenpolitik, steht, bildlich
gesehen, kurz vor dem Abdecker. Sie haben keine neuen
Ideen, wie mit dem Desaster von Kopenhagen umgegan-
gen werden soll, keine strategischen Ansätze, um die
festgefahrenen Verhandlungen wieder flottzumachen.
Herr Röttgen, es tut mir leid, aber Sie sind mithilfe Ihrer
tüchtigen Beamten im BMU nicht mehr als eine Art Ver-
weser der Politik Ihrer Vorgänger Trittin und Gabriel;
dies gilt auch für Frau Merkel.
Viel zu sehr schauen Sie und die EU noch immer auf
die Blockierer im Verhandlungsprozess, vor allem auf
die USA. Nach mittlerweile 16 Vertragsstaatenkonferen-
zen und nach 100 vorbereitenden Konferenzen muss
man doch realisieren, dass von den USA auch bei der
kommenden 17. Klimakonferenz in Durban nichts ande-
res als in der Vergangenheit zu erwarten ist. Ja, mittler-
weile geht es gar nicht mehr darum, ob sich die USA
konstruktiv beteiligen oder nicht. Man muss ja schon
hoffen, dass sie eine Einigung nicht torpedieren. Dass
der amerikanische Kongress es den Fluglinien in den
USA verboten hat, am Emissionshandel der EU teilzu-
nehmen, ist ein direkter Hieb gegen die Klimapolitik und
übrigens auch ein Affront sondergleichen gegen die Eu-
ropäische Union.
Weil das so ist, fordern wir einen Strategiewechsel.
Diese neue Strategie nennen wir KLUG: Klimapolitik der
unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Diese Strategie er-
kennt die Realität an, nämlich dass die beste Lösung, also
ein Abkommen mit allen großen Verschmutzern, nicht
möglich ist. Die Strategie folgt der Erkenntnis, dass es
wichtig sein kann, letztlich alle ins Boot zu holen, aber
dass nicht unbedingt alle zur gleichen Zeit in das Boot
einsteigen müssen. Es ist politisch und völkerrechtlich
möglich, auf Grundlage der Klimarahmenkonvention oder
des Kioto-Protokolls einen Folgevertrag auszuhandeln,
der nicht von allen Staaten gebilligt werden muss.
Ein schönes Beispiel dafür ist die Seerechtskonven-
tion der Vereinten Nationen. Sie wurde von den USA bis
heute nicht ratifiziert, aber sie halten sich an die Regeln.
Genau die Industrien, die sich zu Anfang vehement ge-
gen dieses Seerechtsübereinkommen gestellt haben, for-
dern heute dessen Ratifizierung, weil es in ihrem Inte-
resse ist, weil es Rechtssicherheit verspricht.
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Herr Röttgen, meine Damen und Herren von der Ko-
lition, ich habe eben, vielleicht aus Gründen der Rheto-
k, etwas übertrieben. Das Paradepferd der deutschen
limaaußenpolitik lahmt zwar, aber etwas gute Pflege
ann es schnell wieder auf die Beine bringen. Dazu
rauchen Sie nichts als guten Willen und natürlich den
ut, die Einflüsterungen der Lobbyisten von der Un-
öglichkeit eines Strategiewechsels als das zu nehmen,
as sie sind: der hinterhältige Versuch, das fossile Sys-
m zu retten und die Lebensinteressen von jetzt 7 Mil-
arden Menschen zu opfern. Lassen Sie, lassen wir das
icht zu!
Denn in der Klimapolitik, meine Damen und Herren,
t es doch wie in der Politik allgemein: Man muss das
n, was richtig ist, nicht das, was die anderen einen tun
ssen.
Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Kollege Dr. Ott. – Jetzt für die Fraktion
er FDP unser Kollege Michael Kauch. Bitte schön,
ollege Michael Kauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kli-
aschutz hat auch in der Finanzkrise nicht an Bedeutung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17367
Michael Kauch
)
verloren. Er ist weiterhin eines der zentralen Zukunfts-
felder der deutschen Politik. Ich muss sagen, dass ich
großes Vertrauen in die Politik von Bundesumweltminis-
ter Röttgen und Bundesentwicklungshilfeminister
Niebel habe,
die entscheidend dazu beitragen, dass Deutschland auf
der internationalen Bühne weiterhin eine Vorreiterrolle
zugeschrieben wird.
Dieses Oppositionsgenöle, Deutschland und die EU
seien ja nicht mehr Vorreiter, seit Sigmar Gabriel nicht
mehr Umweltminister ist,
diese Platte kann man als Opposition immer auflegen.
Das würde ich an Ihrer Stelle wahrscheinlich auch tun.
Aber dann erklären Sie mir doch einmal: Wer in der
G 20 ist denn mehr Vorreiter als die Europäische Union,
mehr Vorreiter als Deutschland und Großbritannien?
Etwa China, etwa Saudi-Arabien oder etwa die USA?
Sie werden in der G 20 keine Länder finden, die beim
Klimaschutz stärker als die Europäische Union vorange-
hen.
Deshalb sollten Sie den Leuten hier nichts vormachen.
Wir sind Vorreiter im Klimaschutz in der G 20.
Meine Damen und Herren, einfach immer nur mehr
Ziele zu fordern, ist ja leicht.
Da Sie Großbritannien angesprochen haben: Ich schätze
Großbritanniens Engagement sehr. Großbritannien ist
für die internationale Verhandlungslinie der Europäi-
schen Union von herausragender Bedeutung. Aber ich
muss auch deutlich sagen: Großbritannien ist ein Land,
das sich in den letzten Jahrzehnten deindustrialisiert hat.
Das Geld wird bei den Banken und im Dienstleistungs-
sektor verdient.
Wir in Deutschland sind sehr froh, dass wir unseren
industriellen Kern erhalten haben; denn das hat dazu ge-
führt, dass wir glimpflich durch die Finanzkrise gekom-
men sind.
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ieses Wachstum von morgen dürfen wir nicht aufge-
en. Wir als Liberale, als christlich-liberale Koalition
ollen die industriellen Kerne Deutschlands erhalten.
as gilt sowohl für neue als auch für alte Technologien.
enn wir müssen Wertschöpfungsketten insgesamt im
and erhalten und dürfen sie nicht über die Grenze, zum
eispiel nach China oder in die Ukraine, treiben, wo
ann mit möglicherweise noch mehr Emissionen die
leichen Produkte hergestellt werden, aber dann eben
hne Arbeitsplätze in Deutschland.
Deshalb finde ich es sehr legitim, dass der Bundes-
irtschaftsminister, der für die Wirtschaft in Deutsch-
nd zuständig ist, ein waches Auge darauf hat, ob Indus-
iearbeitsplätze in Deutschland überfordert werden oder
icht. Wir stehen für eine Balance, dafür, dass der indus-
ielle Kern Deutschlands nicht beschädigt wird und wir
ugleich Klimaschutzvorreiter in der Welt bleiben.
Meine Damen und Herren, Cancún war ein Teilerfolg.
ir haben es geschafft, dass das 2-Grad-Ziel internatio-
al anerkannt worden ist. Wir haben für die Entwick-
ngsländer Finanzierungsentscheidungen getroffen. Wir
aben die Schwellenländer dazu gebracht, dass sie ei-
ene Minderungsbeiträge zugesagt haben.
Die Aufgabe, die wir jetzt in Durban haben, ist, deut-
ch zu machen, dass die Minderungsbeiträge noch nicht
usreichend sind, um das vereinbarte 2-Grad-Celsius-
iel tatsächlich zu erreichen. Das werden wir im We-
entlichen dadurch erreichen, dass wir in der Klima-
iplomatie darauf setzen, dass die Staaten, die koopera-
v sind, weiterhin das Kioto-Protokoll einhalten. Wir als
hristlich-liberale Koalition wollen eine Verlängerung
es Kioto-Protokolls, auch wenn wir noch kein globales
bkommen hinbekommen. Wir wollen mit den Schwel-
nländern, die kooperativ sind, vorangehen. Deshalb ist
s richtig, dass wir uns als Europäische Union und als
eutsche Regierung auch auf die Frage konzentrieren:
ie ist in der Klimadiplomatie unser Verhältnis zu
hina, Brasilien und Mexiko?
In einem Punkt gebe ich Herrn Ott recht: Wir können
nd dürfen nicht auf die Vereinigten Staaten von Ame-
ka warten. Wenn die USA nicht mitmachen, dann muss
ie EU mit anderen Teilen der Welt vorangehen, und
ann müssen sich die USA fragen, ob sie sich nicht zu-
ehmend isolieren, auch in der Außenpolitik und in an-
eren Feldern der Politik.
)
17368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Michael Kauch
)
)
Meine Damen und Herren, wir müssen praktisch vo-
rangehen. Mit seinem Energiekonzept ist Deutschland
im Hinblick auf erneuerbare Energien so ambitioniert
wie kein anderes Industrieland auf der Welt. Wir inves-
tieren über die Etats des Umwelt- und des Entwicklungs-
hilfeministeriums mehr als 1 Milliarde Euro im Jahr in
den Waldschutz und in Klimaanpassungsmaßnahmen.
Wir werden die Energiekooperation mit den Entwick-
lungsländern vorantreiben.
Das wäre doch ein schöner Schlusssatz.
Dirk Niebel beispielsweise hat gerade erst eine Ver-
einbarung über den Bau einer Solarfabrik in Marokko
unterzeichnet. Das ist der Weg, auf dem wir praktisch in
das neue Energiezeitalter gehen werden.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Michael Kauch. – Jetzt für die
Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Eva Bulling-
Schröter. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
Durban wird es kein umfassendes internationales Klima-
schutzabkommen geben, bestenfalls Verhandlungsman-
date auf dem Weg dorthin. Ich halte das angesichts des
drohenden Klimakollapses für erbärmlich – für richtig
erbärmlich – und sehr traurig.
Wir wissen ebenfalls: Die angestrebte Minimallö-
sung, nämlich die Verlängerung des Kioto-Protokolls bis
2015, wird eine leere Hülle sein: ohne neue Minderungs-
pflichten und ohne Einbindung der USA und Chinas.
Das ist nicht mehr als ein Platzhalter, eine Brücke hin zu
einem umfassenden Abkommen, damit nicht auch die
wenigen Mechanismen für die Industrieländer entsorgt
werden. Die Bilanz ist ernüchternd. Ich kann die Wut
verstehen, die die Menschen, die vom Klimawandel be-
troffen sind, haben – aber nicht nur die, sondern auch die
Menschen in unserem Land, die endlich etwas tun wol-
len.
Es nützt auch nichts, auf dem bevölkerungsreichen
China herumzuhacken, wie es viele zurzeit tun. Die Pro-
Kopf-Emissionen Chinas liegen deutlich unter denen der
EU und erst recht unter denen der USA, die sich seit
Jahrzehnten nicht um den Klimaschutz kümmern und
lieber Kriege anzetteln, statt Zukunft zu gestalten. Natür-
lich müssen beide Länder mit ins Boot; das ist für mich
gar keine Frage. Sonst machen internationale Abkom-
men keinen Sinn; das wissen wir.
Ja, die Wachstumsraten beim CO2-Ausstoß in den
Schwellenländern sind beängstigend. Das gibt allerdings
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h sage Ihnen: Das sind wir unseren Enkeln und vielen
nderen auch schuldig.
Die Konferenz muss die Absichtserklärungen von
openhagen und Cancún mit Leben füllen. Das heißt
es wurde angesprochen –, man muss Vertrauen schaf-
n und gegenseitige Blockaden aufbrechen. Es ist
atürlich die vordringlichste Aufgabe der EU, endlich
as 30-Prozent-Ziel zu diskutieren und dann natürlich
uch zu beschließen; wir reden die ganze Zeit darüber.
ir sind uns einig, andere – natürlich die Wirtschafts-
olitiker und die Industriebosse – blockieren das.
Wir brauchen eine entsprechende Finanzierung und
erbindliche Geldzusagen. Wir brauchen frisches Geld
nd keine aufgewärmten alten Versprechen. Ich sage Ih-
en: Den Banken schmeißen Sie es in den Rachen, aber
r die betroffenen Leute ist kein Geld da.
h möchte Sie daran erinnern: Nur ein Fünftel der Mit-
l im Bundeshaushalt ist dafür zusätzlich veranschlagt.
as halte ich für einen Witz. Für diese Menschen muss
tzt endlich Geld her.
Letzte Bemerkung. Deutschland ist ein Industrieland,
as fähig ist, die Energieversorgung zügig auf eine rege-
erative Basis umzustellen. Wir können ein Vorbild da-
r sein, wie das ohne Verlust an wirklicher Lebensquali-
t geht. Allerdings müssen wir das Tempo erhöhen
das wurde schon angesprochen –, das heißt: Halbie-
ng des CO2-Ausstoßes bis 2020 und 50 Prozent des
troms aus erneuerbaren Energien. Das ist möglich, aber
as wird nur dann gelingen, wenn die Kosten nicht allein
ie Privathaushalte und die kleinen Betriebe tragen müs-
en. Die Bundesregierung schont energieintensive Indus-
ien und große Kraftwerksbetreiber. Das, was Herr
auch gesagt hat, ist eben nicht richtig.
Schauen wir uns die EEG-Umlage und den Emis-
ionshandel an. Hier werden Gewinne eingefahren. Das
ann man berechnen und beweisen. Es geht hier nicht
arum, dass wir irgendwelche Arbeitsplätze abbauen
ollen, sondern wir wollen, dass fair bezahlt wird; denn
lles andere ist absurd. Die energieintensiven Industrien
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17369
Eva Bulling-Schröter
)
)
und die großen Kraftwerksbetreiber erhalten leistungslos
Geld.
Es geht in Deutschland nicht allein um ein paar Pro-
zentpunkte mehr beim Minderungsziel. Es geht darum,
dass das Energiesystem auf komplett neue Grundlagen
gestellt wird, nämlich: erneuerbar, demokratisch und so-
zial. Wenn wir das durchsetzen, dann können wir auch
international etwas bewegen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Bulling-Schröter. – Jetzt
für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Dr. Thomas Gebhart. Bitte schön, Kollege Dr. Gebhart.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Viele fragen in diesen Wochen in der Tat: Was brin-
gen eigentlich diese Klimakonferenzen? Lohnt der Auf-
wand? Ist es nicht grotesk, dass die Warnungen vor den
Folgen des Klimawandels zunehmen, dass wir bei den
Treibhausgasemissionen im letzten Jahr historische Re-
kordwerte erreicht haben und dass gleichzeitig die Er-
wartungen an die jetzige Konferenz eher mäßig sind? Ja,
aber deswegen die Klimakonferenzen grundsätzlich in-
frage zu stellen, wäre sicherlich ein Fehler; denn am
Ende gibt es keine vernünftige Alternative dazu.
Warum ist dies so? Der Klimawandel ist ein klassi-
sches globales Problem, und es ist klar, dass wir für die-
ses Problem weltweite Lösungen brauchen. Die Staaten
müssen miteinander kooperieren. Dort, wo es möglich
ist, müssen wir unter dem Dach der Vereinten Nationen
miteinander reden, verhandeln und das, was möglich ist,
vereinbaren. Ich hoffe, dass wir in Durban zum Beispiel
Entscheidungen treffen, die zumindest die Grundlage für
weltweit verbindliche Vereinbarungen über die Mengen-
begrenzung der Treibhausgasemissionen schaffen.
Deutschland wird dabei weiterhin engagiert für mehr
Klimaschutz werben. Deutschland steht zu seinen ambi-
tionierten Zielsetzungen. Wir wollen die Treibhausgas-
emissionen bis 2020 um 40 Prozent reduzieren. Dies ist
Teil unserer Verantwortung. Dies ist der Beitrag, den wir
leisten. Es ist gut, dass es dazu einen breiten Konsens
gibt. Den sollten wir auch heute nicht zerreden.
Ich bin überzeugt: Es gibt am Ende keine vernünftige
Alternative zu diesen Klimakonferenzen und zu diesen
Verhandlungen. Ich bin aber in gleicher Weise fest davon
überzeugt, dass diese Verhandlungen – so notwendig sie
sind – am Ende alleine nicht reichen werden. Warum?
Wenn wir heute die Situation weltweit betrachten, stellen
wir fest, dass wir nach wie vor ein Wachstum der Welt-
bevölkerung erleben. Auch jene, die nicht so leben wie
wir in den westlichen Industrieländern, streben verständ-
licher- und berechtigterweise nach Wohlstand und
Wachstum. Die große Herausforderung besteht also da-
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Wir tun sehr viel. Wir sind in Deutschland auf dem
eg. Wir bauen die Energieversorgung zu einer nach-
altigen Energieversorgung um. Viele schauen in diesen
onaten auf Deutschland und fragen: Schafft ihr das?
h bin mir sehr sicher: Wir werden es schaffen.
Je besser uns dieser Umbau gelingt, desto attraktiver
ird am Ende dieser Weg auch für andere Länder wer-
en – auch weil sie erkennen, dass darin wirtschaftliche
hancen liegen.
Je besser uns dieser Umbau gelingt, desto mehr tragen
ir am Ende zum Klimaschutz insgesamt bei.
eshalb: Durban ist wichtig; aber das, was danach
ommt, ist mindestens genauso wichtig.
Ich will noch einen Punkt aufgreifen. Die Schulden-
rise überlagert im Moment viele andere Themen. Auch
er Klimawandel ist in der öffentlichen Wahrnehmung
in ganzes Stück weit nach hinten gerutscht. Wenn wir
s aber genau betrachten, dann sind Schuldenkrise und
limawandel im Grunde zwei Seiten der gleichen Me-
aille; denn beide haben die gleiche Ursache: Ein Teil
es Wohlstands von heute wird zulasten künftiger Gene-
tionen erwirtschaftet.
Gerade die Schuldenkrise lehrt uns, dass es vernünftig
t, frühzeitig und rechtzeitig den Weg zu einer nachhal-
gen Wirtschaftsweise und Politik einzuschlagen und
icht erst dann, wenn es unvermeidlich ist; denn dann
ird die Anpassung am Ende umso härter ausfallen.
leiches gilt für den Klimawandel.
Also überzeugen wir möglichst viele, mit uns gemein-
am diese Herausforderung anzugehen, und zwar jetzt!
Danke schön.
17370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Gebhart. – Jetzt für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dirk
Becker. Bitte schön, Kollege Dirk Becker.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gebhart, ich muss schon sagen: Sie haben beim
Umweltminister gelernt, wie man ein Thema würdevoll
vorträgt. Sie haben viel Richtiges gesagt. Entscheidend
ist aber, dass die Taten, die Ihre Regierung vornimmt,
auch diesen Aussagen entsprechen. Da ist es leider so,
dass Sie bei vielen energiepolitischen Weichenstellun-
gen der letzten Monate das Gegenteil tun.
Herr Kauch hat vorhin gesagt, wir sollten den Leuten
nichts vormachen. Das kann ich an Ihre Adresse zurück-
geben. Es wurde auch Sigmar Gabriel angesprochen. Ich
greife den Ball gern auf: Bei der Klimakonferenz auf
Bali im Jahr 2007 war es Sigmar Gabriel, der als erster
Umweltminister eines Industrielandes mit einem Ener-
gie- und Klimaprogramm aufgetaucht ist, in dem man
nachlesen konnte, an welchen Stellen die deutsche Re-
gierung wie viel Prozent CO2- bzw. Treibhausgasemis-
sionen nachweisbar und nachprüfbar einsparen will, um
so das 40-Prozent-Ziel zu erreichen.
Wenn Sie sagen, dass Sie weiter sind, dann muss ich Sie
enttäuschen.
Auch wenn die damalige Opposition erklärt hat, das
gehe nicht weit genug: Eines lag dem zugrunde, nämlich
eine Liste, mit welchen Maßnahmen man was erreichen
will. Ich will nur drei oder vier Punkte des damaligen
Energie- und Klimaprogramms aufgreifen.
Ich beginne mit der Novelle des Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes. Man wollte mit dem Ausbau erneuerbarer
Energien 54 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Diese
Bundesregierung hat auf der Basis von Studien zur Lauf-
zeitverlängerung die Ausbauphase erneuerbarer Energien
verlängert. Es sollte also einen verlangsamten Ausbau
geben, weil Sie die Kernenergie wollten. Als Sie Ihren
Beschluss zur Laufzeitverlängerung rückgängig machten,
haben Sie im Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht nachge-
bessert. Das heißt, Sie haben das Vorgehen verlangsamt.
Sie werden mit diesem EEG die Ziele zur Senkung der
Treibhausgasemissionen nicht erreichen.
Zweitens haben Sie gesagt, Sie wollten durch Effizi-
enzmaßnahmen Stromeinsparungen in großem Umfang
erreichen. Doch wo bleiben die Taten? Wir können es
nachlesen: Herr Rösler blockiert die Festlegung verbind-
licher Effizienzvorgaben an allen Ecken und Enden. Wir
werden durch Effizienzmaßnahmen die 25 Millionen
Tonnen, die als Ziel hinterlegt sind, dank Ihrer Politik
nicht erreichen. Herr Rösler bremst und blockiert auch
hier beim Klimaschutz.
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Woher ich das weiß? Das kann man mathematisch lö-
en. Sie unterstellen Einnahmen, die auf einem Zertifika-
preis von 33 Euro basieren. Heute liegt der Preis, eben
achgesehen, bei knapp unter 9 Euro.
err Frank Schwabe hat es eben vorgetragen: Die Deut-
che Bank rechnet damit, dass der Preis weiter sinken
ird. Dieser Fonds ist ein Flop. Mit diesem Flop floppt
uch der Klimaschutz.
Dann kommt die dreisteste Nummer, die ich mir vor-
tellen kann: Sie zeigen jetzt mit dem Finger auf die
undesländer, weil sie beim Thema Steuerentlastungen
lockieren.
Zu Recht? Sie lassen den Umweltminister hier sagen,
as diese Regierung alles für den Umweltschutz tut. Die
inanzierung aber schaffen Sie sich vom Hals. Weil Sie
der letzten Woche ohnehin schon eine hohe Neuver-
chuldung durchs Parlament jagen mussten, haben Sie
ie Förderung der Gebäudesanierung komplett aus dem
aushalt herausgenommen und auf die Länder übertra-
en. Die Länder sollen also dafür bezahlen, dass Herr
öttgen hier eine schöne Rede halten kann.
uch die CDU-geführten Bundesländer lehnen das zu
echt ab.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17371
Dirk Becker
)
)
Sie machen sich hier einen schlanken Fuß, verschieben
die Finanzierung in die Bundesländer und belassen es
hier bei warmen Worten und schönen Reden. So funktio-
niert der Klimaschutz nicht.
Das ist der Grund, warum die Vorreiterrolle Deutsch-
lands in der Welt nicht mehr wahrgenommen wird. Herr
Jung, ich gebe Ihnen recht. Ich glaube Ihnen, dass Sie
die Ziele ernst meinen. Das stelle ich überhaupt nicht in-
frage. Aber die Taten fehlen. Solange die Taten fehlen,
wird Deutschland nicht mehr Vorreiter beim Klima-
schutz sein können.
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Jetzt für die
Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Christiane
Ratjen-Damerau. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und
Herren! Wenn Sie heute nach draußen schauen, werden
Sie sehen, dass es bewölkt ist. Wie auch für mich ist für
die meisten von uns die Frage nach dem Wetter eine
Frage nach dem eigenen Wohlbefinden. Tatsächlich stel-
len aber Wetter und Klima für die meisten Menschen auf
dieser Welt eine Frage von Leben und Tod dar.
Der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid hat einen
neuen Rekordwert erreicht. Wir haben zurzeit den größ-
ten CO2-Anstieg aller Zeiten zu verzeichnen.
Die Folgen dieses dramatischen Anstiegs des klima-
schädlichen Treibhausgases in der Atmosphäre sind
durch den Klimawandel messbar und spürbar geworden.
Ganz besonders betroffen sind die Menschen auf der
südlichen Halbkugel dieser Erde und damit genau die
Menschen, die nicht das Glück haben, auf dieser Seite
der Erde, nämlich in den reichsten Ländern der Welt, ge-
boren zu sein.
Diese Menschen tragen die Hauptlast des Klimawandels,
obwohl sie am allerwenigsten dazu beitragen.
Die schwierigen Klimabedingungen der letzten Jahre
führen zum Beispiel in Nigeria dazu, dass Flüsse austrock-
nen und viele Wasserquellen versiegen. Allein die Wasser-
menge des Lake Chad ist in den vergangenen Jahren um
60 Prozent zurückgegangen. Als Folge der schwer vorher-
sehbaren Wetterbedingungen in diesem Land kommt es
immer öfter zu Bodenerosion und Überschwemmungen.
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mgekehrt ist eine nachhaltige wirtschaftliche und so-
iale Entwicklung weltweit, ohne dass klimafreundliche
ntwicklungspfade beschritten werden, nicht möglich.
aher müssen wir die Menschen in den Entwicklungs-
nd Schwellenländern auf dem Weg zum globalen Kli-
aschutz begleiten.
Unsere Partnerländer in der Entwicklungszusammen-
rbeit brauchen bei der Wiederaufforstung, bei der Ver-
inderung der Wüstenausdehnung und bei dem Schutz
er Biodiversität unsere Unterstützung. Das Bundes-
inisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
ntwicklung gibt mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr für
iese Projekte. Hinzu kommen Mittel aus dem Energie-
nd Klimafonds.
Insbesondere mit den Schwellenländern müssen wir
en Dialog verstärken. Gemessen an ihrer wirtschaftli-
hen Größe und ihrem Einfluss in der Welt müssen sie
ren Beitrag leisten. Ohne sie und ihr Mitwirken ist der
limaschutz nicht zu machen. In Durban muss die inter-
ationale Gemeinschaft den Weg für ein rechtsverbindli-
hes Klimaabkommen im Rahmen der Vereinten Natio-
en ebnen. Dabei gilt es besonders, die Ambitionen der
änder in Bezug auf ihre Emissionsminderungsziele zu
tärken und eine faire Aufteilung zwischen den Staaten
nd ihren Verpflichtungen zu schaffen. Wir werden die
ereinigten Staaten und die großen Schwellenländer da-
17372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Christiane Ratjen-Damerau
)
)
bei unterstützen, auch ihre Ambitionen beim Klima-
schutz rechtsverbindlich auszugestalten.
Im Jahr 2010 hatten wir den größten Anstieg aller
Zeiten beim Ausstoß von Kohlendioxid zu verzeichnen.
Ich wünsche der deutschen Delegation viel Erfolg bei
der Konferenz in Durban. Ich hoffe sehr, dass weitere
Rekordausstöße von Kohlendioxid mit den Ergebnissen
der Konferenz in Zukunft zu verhindern sind.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin
Frau Bärbel Höhn. Bitte schön, Frau Kollegin Höhn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte noch einmal an das Thema erinnern, um das es
hier geht, und dabei die Rolle Deutschlands beim Kampf
gegen die Klimakatastrophe beleuchten.
Deutschland hat im Klimaschutz international in den
letzten Jahrzehnten immer eine sehr aktive Rolle ge-
spielt. Ich finde es auch richtig, deutlich zu sagen: Das
war nicht das Anliegen einer einzigen Fraktion, sondern
das war das Anliegen vieler Umweltminister aus vielen
verschiedenen Fraktionen.
Es hat mit Klaus Töpfer angefangen, der 1992 viel dazu
beigetragen hat, dass wir die Konferenz in Rio hatten.
Es ist weitergegangen mit der Umweltministerin Angela
Merkel.
Und es ist – ich hoffe, dass jetzt auch alle wieder klat-
schen – mit Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel weiterge-
gangen. Ich bitte jetzt auch um Beifall!
– Danke schön!
Wenn wir heute vor Durban die Situation haben, dass
man sagt: „Durban steht unter keinem guten Stern“,
dann müssen wir auch fragen: Welche Rolle spielt dabei
eigentlich Deutschland? Bisher gingen vor jeder Klima-
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Deshalb gibt es auch die Idee einer Klimapolitik der
erschiedenen Geschwindigkeiten; wir wollen – ich
enne es einmal so – eine Koalition der Willigen. Aber
enn man eine Koalition der Willigen schaffen möchte,
eil man die großen Emittenten nicht mit ins Boot be-
ommt, dann muss man auch vor Ort, hier in Deutsch-
nd, zeigen, dass man willig ist und dass der Klima-
chutz hier bei uns eine Rolle spielt. Da vermisse ich das
ngagement der Bundesregierung. Das, was Sie hier bie-
n, ist mir zu wenig.
Wir haben alle gemeinsam, der ganze Bundestag
das war eine gute Sache –, beschlossen: 40 Prozent
O2-Reduktion bis zum Jahr 2020. Wir wissen aber alle,
ass dieses Ziel mit den jetzigen Maßnahmen nicht er-
icht werden wird.
m Ende landet man vielleicht bei 30 oder 35 Prozent,
icht aber bei 40 Prozent CO2-Reduktion. Ich sage des-
alb: Meine Damen und Herren, lassen Sie uns endlich
emeinsam ein Klimaschutzgesetz verabschieden, da-
it wir jedes Jahr überprüfen können, ob wir uns von
iesem Ziel entfernen oder nicht, damit wir rechtzeitig
gieren können, damit wir hier nicht nur große Predigten
nd Reden halten, sondern auch handeln. Klimaschutz
bt vom Handeln!
Dazu gehört auch, dass Deutschland nicht nur im ei-
enen Land aktiv ist, sondern vor allen Dingen Deutsch-
nd auch in Europa aktiv ist. Noch vor der Konferenz in
ali ist eindeutig und klar gesagt worden: 30 Prozent
O2-Reduktion – wenn die anderen mitmachen. Das war
amals etwas Neues. Heute muss man sagen: 30 Prozent
O2-Reduktion in Europa – ohne Wenn und Aber. Eine
olche Ansage hätte ich von der Bundesregierung erwar-
t.
Es ist doch eine logische Folge von zu viel ausgege-
enen Zertifikaten, dass der Preis der Zertifikate jetzt
nter 9 Euro liegt. In den Haushaltsplan sind für die Zer-
fikate 17 Euro eingestellt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17373
Bärbel Höhn
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)
Das heißt doch umgekehrt, dass wir ehrgeiziger sein
müssen. Wir müssen den CO2-Ausstoß begrenzen, damit
wir überhaupt bei 17 Euro landen können. Deshalb müs-
sen wir uns in Europa ehrgeizigere Ziele zur Reduktion
des CO2-Ausstoßes setzen. Wir müssen auf jeden Fall
den CO2-Ausstoß in Europa um 30 Prozent reduzieren.
Das ist das Ziel.
Das Zeitfenster für eine solche Forderung schließt
sich. Denn wenn Sie diese 17 Euro pro Zertifikat nicht
bekommen – und danach sieht es aus; ursprünglich lag
das Ziel sogar bei über 30 Euro –, dann heißt das, dass
Sie mit der derzeitigen Konstruktion Ihres Klimafonds
die Energiewende nicht durchsetzen können. Die Zahl
der Gebäudesanierungen bei uns ist doch eingebrochen,
weil die Einnahmen aus den Zertifikaten nicht mehr
stimmen. Wir alle wissen, die Gebäudesanierung ist ei-
ner der wichtigsten Bereiche, durch den wir CO2 einspa-
ren können. Hier müssen wir Klimaschutz betreiben.
Deshalb sage ich Ihnen: Werden Sie ehrgeiziger beim
Klimaschutz, damit wir die Energiewende hier in
Deutschland hinbekommen!
Eines muss ich wirklich sagen: Ich ärgere mich ex-
trem über Wirtschaftsminister Rösler. Was ist das für ein
Wirtschaftsminister, der wirklich wichtige Bereiche der
Wirtschaft brachliegen lässt? Maßnahmen der Energie-
effizienz beinhalten ein Potenzial zur Schaffung von
250 000 Arbeitsplätzen. Das hat der Bundesumweltmi-
nister gesagt. Ich vertraue ihm einmal an diesem Punkt.
Herr Röttgen, dann bringen Sie endlich einmal den Wirt-
schaftsminister Rösler dazu, dass er diese Vorhaben
nicht immer blockiert. Es darf doch wohl nicht sein, dass
ein Minister die Schaffung solcher Arbeitsplätze in klei-
nen und mittelständischen Unternehmen blockiert!
Er betreibt diese Politik aus ideologischen Gründen; er
spricht ja von Planwirtschaft. Er hat noch gar nicht ver-
standen, worum es hier geht. Solche Potenziale einfach
brachliegen zu lassen, geht nicht.
Ja, wir sind bereit, fraktionsübergreifend zu arbeiten.
Da sollte man sich nicht verweigern; dazu ist die Auf-
gabe viel zu groß.
Ich komme zum Schluss. Ich sage noch einmal sehr
deutlich: Die EU muss sich verbindlich auf eine CO2-
Reduktion um 30 Prozent einigen. Zusätzlich muss die
Effizienzrichtlinie der EU-Kommission unterstützt wer-
den. Bringen Sie endlich den Wirtschaftsminister dazu,
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Vielen Dank. – Nächster Render in unserer Debatte ist
r die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Josef
öppel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
reife den Vorschlag auf, Frau Kollegin Höhn, gemein-
am das Thema Klimaschutz zu behandeln. Man ist ja
irklich versucht, zu glauben, dass die Grenzlinien nicht
wischen den Parteien, sondern innerhalb von Parteien
erlaufen. Allein die Präsenz heute hier in diesem Saal
der Debatte zu diesem Punkt zeigt, dass die Umwelt-
olitiker wieder einmal fast unter sich sind. Das ist nicht
ut.
17374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Das wollen wir jetzt natürlich nicht abfragen, Herr
Kollege.
Ich beginne mit der Festlegung von Frau Merkel in
ihrer Haushaltsrede am 23. November 2011:
Unsere Reduktionsziele stehen fest. Diese werden
wir nicht ändern.
Dafür danke ich der Kanzlerin, und ich unterstütze sie
ausdrücklich. Diese Unterstützung hat sie sicherlich
auch nötig; denn offenkundig gibt es Kräfte, die den
Rückzug aus dem weiteren Ausbau von erneuerbaren
Energien, vom weiteren Klimaschutz und von mehr Kli-
maeffizienz wollen. Diese Beharrungskräfte richten sich
nach meiner Meinung gegen deutsche Interessen. Denn
die Modernisierung unserer Volkswirtschaft durch Kli-
maschutz und energetische Erneuerung ist eine wesentli-
che Triebfeder für unseren Erfolg auf den Weltmärkten.
Der deutsche Erfolg ist das beste Verhandlungsargument
auf den Klimakonferenzen.
Ich stimme den Rednern der Opposition nicht zu, die
behaupten, dass wir in diesem Bereich ins Hintertreffen
geraten werden. Ganz im Gegenteil: Es ist so, dass die
Vertreter der anderen Länder darauf schauen, wie den
Deutschen ihre mutigen Schritte „Abschaltung der
Atomkraftwerke in den nächsten zehn Jahren“ und „Ein-
leitung einer Energiewende hin zu einer kohlenstoff-
freien Energieversorgung“ gelingen. Wir sind im Blick-
feld der Weltöffentlichkeit. Ich möchte hier ausdrücklich
die Grundannahme von Minister Röttgen unterstützen,
dass wir mit entschlossenen Klimaschutzmaßnahmen
unseren wirtschaftlichen Erfolg stärken, weil wir so un-
ser Land modernisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man von die-
ser Grundannahme ausgeht, dann ist es falsch, das ei-
gene Handeln immer vom Handeln der anderen Akteure
in Europa abhängig zu machen.
Wenn wir der Meinung sind, dass unser entschlossener
Klimaschutz zu Modernisierung und wirtschaftlichem
Erfolg führt, müssen wir in der Tat den Abwehrring des
Beharrens und Abwartens durchbrechen.
Frau Kollegin Höhn, ich stimme Ihnen zu: Wir brau-
chen eine Koalition der Willigen. Es sind zusammenge-
rechnet etwa 120 Staaten, die man zu dieser Konferenz
der Willigen bringen kann. Ich möchte auch ausdrück-
lich dafür werben, meinem Kollegen Gebhart zuzustim-
men, der sagt: Es ist richtig, zu diesen Konferenzen zu
gehen, weil nur dort den vielen kleinen Ländern eine
Plattform geboten wird, auf der sie agieren können. –
Auch nach meiner Meinung wäre es völlig falsch, diese
Beratungen auf die G 20 zu beschränken und alle ande-
ren auszuschließen.
Aber unser eigenes Handeln ist Maßstab für unsere
Glaubwürdigkeit. Mit den Beschlüssen im vergangenen
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ir dürfen nicht in alte und neue Energien trennen, son-
ern wir müssen den Übergang entschlossen angehen.
as ist die Chance für unser Land. Damit geben wir
uch auf den internationalen Konferenzen ein gutes Bei-
piel.
Vielen Dank, Kollege Josef Göppel. – Jetzt folgt für
ie Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
r. Matthias Miersch. Bitte schön, Herr Dr. Miersch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ass die Stenografen eben sehr genau hinschauen muss-
n, wo geklatscht wurde, war symptomatisch. Lieber
osef Göppel, ich denke, du hast uns – jedenfalls uns, die
ir auf der von mir aus gesehen linken Seite dieses Par-
ments sitzen – allen aus dem Herzen gesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Organisation
ermanwatch stellt in ihrem Hintergrundpapier ein Zitat
on Nelson Mandela heraus; dieses lautet:
Es scheint immer so lange unmöglich, bis es wirk-
lich getan ist.
Wir haben in dieser Legislaturperiode des Parlaments
rlebt, dass ein längst beschlossener Atomausstieg rück-
ängig gemacht wurde und dass dann nach einem be-
timmten Ereignis wiederum eine Kehrtwende zuguns-
n der Erneuerbaren vollzogen und der Ausstieg erneut
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17375
Dr. Matthias Miersch
)
)
beschlossen wurde. Das zeigt, dass politisch ganz viel
möglich ist. Deswegen finde ich, Herr Kollege Gebhart,
Sie haben völlig recht: Es kann jederzeit passieren, dass
sich weltweit die Einsicht durchsetzt, dass eine interna-
tionale Klimaschutzkonferenz Erfolg haben muss. Des-
wegen ist es wichtig, diesen internationalen Kontext,
diese internationalen Verhandlungen nie aus den Augen
zu verlieren.
Aber zugleich und zu Recht haben Sie auch darauf
hingewiesen, dass es dabei nicht bleiben darf, sondern
dass wir hier unsere Hausaufgaben machen müssen. Da-
ran, lieber Herr Kollege Röttgen, krankt es im Moment.
Denn seit über zwei Jahren erleben wir, dass hier an die-
sem Pult gut geredet, aber in keiner Weise gehandelt
wird.
Da Sie nach mir reden, möchte ich Ihnen die Gelegen-
heit geben, heute zu einer Sache ebenfalls Stellung zu
nehmen. Es ist eine Woche her, da hatte ich Sie von die-
sem Pult aus darauf angesprochen, wie es um die Ver-
handlungen zwischen Rösler, Röttgen, Pofalla und
Ramsauer über Maßnahmen zur Energieeffizienz steht.
Daraufhin haben Sie erklärt – ich zitiere –:
Das werden wir – darüber sind sich der Bundeswirt-
schaftsminister, die Bundesregierung und der Bun-
desumweltminister einig – natürlich nur mit der
verbindlichen Zielsetzung durchsetzen können, …
Lieber Herr Kollege Röttgen, es dauerte keine 24 Stun-
den, bis wir in der Zeitung lesen konnten, dass Sie sich
nicht einig sind, dass Sie wieder gegen verbindliche Re-
gelungen sind. Das ist unglaubwürdig.
Daran krankt es, und daran merken die Leute: Dahin-
ter steckt nicht viel. Deswegen gebe ich Ihnen die Gele-
genheit, nach mir sehr deutlich zu sagen: Ja, ich kämpfe
dafür, aber ich habe in dieser Bundesregierung keine
Mehrheit. Ich habe keine Rückendeckung von Herrn
Pofalla, von der Kanzlerin und von Herrn Rösler.
Das, was Sie sich dort leisten, leisten Sie sich auch
auf internationaler Ebene. Wir haben hier letzte Woche
den Haushalt beraten. Wir haben beraten, was es mit den
in Kopenhagen zugesagten Fast-Start-Mitteln auf sich
hat. Wir haben festgestellt, dass diese Zusagen, die wir
den Staaten anderer Kontinente gegeben haben, nicht
eingehalten wurden. Auch das müssen wir hier benen-
nen; denn es führt nicht zu der Glaubwürdigkeit und
schafft nicht das Vertrauen, die gerade auf internationa-
ler Ebene notwendig sind.
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Dann möchte ich gemeinsam mit Ihnen zum Schluss
berlegen, ob die Taktik, mit der wir nach Durban fah-
n, eigentlich richtig ist. Wir warten darauf, wie sich die
nderen verhalten. Aber ist es nicht vielmehr sinnvoll, zu
berlegen, was wir verlieren, wenn wir vorangehen?
as verlieren wir, wenn wir unserer Industrie vorschrei-
en, effizient zu werden? Es ist nicht nur so, dass es um
limawandel geht, sondern es geht auch um urökonomi-
che Fragen. Es geht zum Beispiel um die Frage: Welche
aschinen wird man weltweit in den nächsten Jahren
och verkaufen können? Das werden die Maschinen
ein, die am wenigsten Energie verbrauchen.
Das, was wir hier machen, ist also viel mehr als Um-
eltpolitik: Es geht um Gesellschaftspolitik und um ele-
entare Fragen der Gerechtigkeit; es geht um urökono-
ische Fragen. Wir vergeben uns nichts, wenn wir zwei
chritte weiter sind als die anderen. Deswegen brauchen
ir deutlichere Signale hier in Berlin, aber auch in Brüs-
el.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Dr. Matthias Miersch. – Jetzt
r die Bundesregierung Herr Bundesminister
r. Norbert Röttgen. Bitte schön, Herr Bundesminister.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
aturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Erlauben Sie mir, dass ich zu Beginn meiner Rede
arauf eingehe, worum es bei dieser Konferenz geht;
enn einige Redner hatten das nicht im Zentrum ihrer
ede. Es geht darum, dass der Klimawandel voran-
chreitet, dynamischer als gedacht, mit all seinen Fol-
en, und dass demgegenüber die Handlungsfähigkeit der
ternationalen Politik stagniert oder vielleicht sogar ab-
immt.
as heißt, die Schere geht auseinander. Das kann man
onkret aufzeigen.
Wenn die Schere auseinandergeht, dann hat das für
iele Menschen existenzielle Folgen. Frau Kollegin, Sie
aben das bereits ausgeführt und von einer Frage von
eben oder Tod gesprochen – und das völlig zu Recht.
as hat dramatische wirtschaftliche Konsequenzen bis
in zur Zerstörung der Lebensgrundlage von vielen Mil-
onen Menschen. Es hat Auswirkungen auf Flüchtlings-
tröme, es begünstigt die Entstehung von Konflikten,
ielleicht sogar Kriegen, um Wasser und Weideland.
iese drohen immer öfter.
17376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
)
)
Letztendlich geht es um eine elementare Frage der
Menschheit, nämlich um Gerechtigkeit. Wenn wir diese
Entwicklung nicht stoppen und sie weitergeht, dann
kommt es zu einer großen Menschheitsungerechtigkeit;
denn durch unsere Wirtschaftsweise – das liegt in unse-
rer Verantwortung – tragen wir dazu bei, dass ganze Ge-
nerationen und Hunderte von Millionen, vielleicht Mil-
liarden Menschen niemals eine Chance in ihrem Leben
erhalten. Das ist die globale Menschheitsdimension des
Themas.
Darum erlauben Sie mir, dass ich einmal zugebe, wo-
rüber ich mich ärgere. Ich ärgere mich darüber, dass bei
diesem Thema – ich habe keinen Zweifel daran, dass es
nicht einen gibt, der das nicht so sieht – sehr viele, wenn
auch nicht alle, aus den Oppositionsfraktionen kleinka-
riert, relativ provinziell, nicht über den Tellerrand hi-
nausschauend debattieren, indem sie zum Beispiel über
energetische Gebäudesanierung sprechen.
Bei aller Liebe: Die energetische Gebäudesanierung ist
wichtig. Ich kann auch gleich etwas dazu sagen. Man
muss sich aber auch einmal Herausforderungen einer an-
deren Dimension stellen. Wir dürfen nicht immer nur die
kleinkarierten Debatten von gestern und vorgestern füh-
ren, nicht nur weil es intellektuell wirklich langweilig
ist, sondern weil wir alle Verantwortung haben, und zwar
nicht nur die Regierung und die Koalitionsfraktionen,
die diese Regierung tragen. Sie sollten sich an Ihrer eige-
nen Verantwortung messen lassen.
Die Aufgabe, um die es geht, ist klar zu beschreiben.
Was ist unser Ziel? Das Ziel bleibt ein globales Rechtsab-
kommen. Wir wollen, dass es zu einem Klimaschutzre-
gime kommt – rechtlich verbindlich und angemessen in
der Ambition –, das es ermöglicht, mindestens das 2-Grad-
Ziel zu erreichen. Bei diesem Ziel, ein globales Rechtsab-
kommen zu erwirken, bleibt es. Das ist das Ziel deutscher
Klimaschutzpolitik, und es ist genau das richtige Ziel.
Wie aber kommen wir dahin? Die außenpolitische
Lage ist kompliziert. Sie können ja einmal außerhalb
dieses Saales, außerhalb Ihrer eigenen Fraktionen, fra-
gen, ob irgendeiner glaubt, dass Deutschland oder Eu-
ropa das Problem seien. Nein, Deutschland oder Europa
sind nicht das Problem, weil wir dieses Abkommen wol-
len, und zwar problemadäquat. Was aber ist das Pro-
blem? Das Problem ist, dass die großen Emittenten – im
Wesentlichen China, USA und Indien – noch nicht bereit
sind, sich auf den Weg hin zu einem solchen internatio-
nal verbindlichen Regime zu machen. Das ist das Pro-
blem; denn ohne den Beitrag der Verursacher können wir
das Problem nicht lösen. Wir müssen einen Weg finden,
diese Großemittenten und -verursacher in das gemein-
same Boot zu holen. Das ist die außenpolitische und kli-
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Verantwortung – bis hin zum Waldschutz. Auch da wer-
den wir Leistungen erbringen.
Ich komme zur Frage: Was ist eigentlich unser Bei-
trag? Er besteht darin, dass wir in unserem Land und in
Europa so handeln, wie wir international reden. Das ist
die Basis der Glaubwürdigkeit.
Ich frage mich manchmal, in welchem Land Sie eigent-
lich leben. Es macht keinen Sinn, wenn die Opposition
immer so tut, als wären Entscheidungen gar nicht getrof-
fen worden. Fällt es Ihnen so schwer – nur weil diese
Entscheidungen von einer anderen Koalition, aber nicht
von Ihnen getragen werden –, die Fortschritte im Land
anzuerkennen? Die Politik dieser Bundesregierung be-
steht darin, ein unkonditioniertes Reduzierungsziel von
40 Prozent zu erreichen. Freuen Sie sich darüber, weil es
für das Land gut ist und weil es für den Klimaschutz gut
ist.
Es müsste Ihnen doch möglich sein, zur Kenntnis zu
nehmen, dass außerhalb der kleinen Gruppe der Opposi-
tion hier in Deutschland – das hat, glaube ich, Josef
Göppel so gesagt, und das ist keine Übertreibung – die
ganze Welt auf die deutsche Energiewende schaut. Sie
fragt sich: Bekommen die das hin? Schaffen die das?
Genau das ist der Maßstab, an dem wir gemessen wer-
den. Es wird gefragt: Schaffen die das, was sie beschlos-
sen haben? – Wir haben es jedenfalls beschlossen. Sie
haben damit ein parteipolitisches Problem, dass wir die
richtige Politik machen.
Das kann aber nicht der Maßstab für uns sein. Wir ma-
chen trotzdem die richtige Politik weiter, auch wenn Sie
keine Themen mehr haben und Ihre Einfallslosigkeit in
allen umwelt- und klimapolitischen Debatten hier sehr
deutlich zum Ausdruck kommt.
Ich bleibe bei dem, was als Maßstab eigentlich von al-
len Koalitionsrednern formuliert worden ist: Der wich-
tigste Beitrag, den wir als Bundesrepublik Deutschland
leisten können und werden, besteht darin, dass wir bewei-
sen, dass ein großes Industrieland – das größte in Europa –
erfolgreich in der Lage ist, sowohl wirtschaftliches Wachs-
tum, industrielle Modernisierung und Innovationen zu
schaffen als auch gleichzeitig ökologische bzw. klima-
schutzpolitische Ziele zu erreichen. Dieser Beitrag besteht
auch darin, dass wir gerade dadurch, dass wir uns zum Er-
reichen dieser Ziele verpflichten, Technologien entwi-
ckeln, Innovationen schaffen und so Wachstum erzeugen.
Den Beweis, dass beides zusammen geht, ja dass es nur
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ie haben auch deutlich am Thema vorbeigeredet. Heute
eht es nicht darum, dass wir uns alle noch einmal bestä-
gen, dass Klimaschutz wichtig ist. Das haben wir oft
enug in allen Konstellationen gemacht. Die Frage heute
utet: Welchen Beitrag leistet Deutschland auf der Kli-
aschutzkonferenz und zum nationalen Klimaschutz?
azu haben wir wieder nichts gehört.
Dabei haben Sie als schwarz-gelbe Bundesregierung
ine einmalige Chance, die in den letzten 15 Jahren ei-
entlich keine Regierung vor Ihnen hatte, nämlich dass
ie gesamte Opposition Sie bei Maßnahmen zum Klima-
chutz unterstützt. Ich erinnere mich an die Große Koali-
on, als die FDP in der Opposition war, und an die rot-
rüne Regierung, als CDU/CSU und FDP in der Opposi-
on waren. Da war das anders. Der heutige Bundesum-
eltminister hat damals gegen die ökologische Steuer-
form, gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz, insge-
amt gegen 19 von 20 Klimaschutzinstrumenten ge-
timmt. Das war in den ersten zehn Jahren dieses Jahr-
underts. Heute haben Sie eine Opposition, die möchte,
ass Sie mehr machen. Diese Opposition unterstützt Sie
der Bevölkerung. Sie würde Sie auch verteidigen,
enn Sie handeln würden. Nutzen Sie das doch einfach
us!
Sie haben in den letzten Tagen immer wieder davon
esprochen, dass die internationale Klimadiplomatie ein
17378 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Ulrich Kelber
)
)
Marathonlauf ist. Ich finde diese Bildsprache richtig.
Wenn wir sie verwenden, dann müssen wir sagen:
Deutschland ist nicht mehr der Topläufer; Deutschland
ist langsamer geworden und bleibt immer wieder stehen.
Die Läufer Röttgen und Rösler haben sich zwar zum
Ausgleich knallbunte neue Sportkleidung gekauft, mit
der man schon im Stehen verdammt schnell aussieht.
Aber sie veröffentlichen Fanmagazine und Websites und
streiten sich am Straßenrand darüber, ob man loslaufen
sollte und in welche Richtung, ob man nicht nur so
schnell laufen sollte wie die langsamsten Läufer, anstatt
einfach einmal loszulaufen und das Ganze zu gewinnen.
Röttgen und Rösler sind ein Bild des Jammers. Das sa-
gen doch längst nicht nur die Umweltverbände, die das
alles heftig kritisieren. Besuchen Sie doch einmal die
Konferenzen der Wirtschaftsverbände! Dann erfahren
Sie, dass Versäumnisse beim Klimaschutz auch ver-
passte wirtschaftliche Chancen sind. Wenn Sie zu VKU-
Konferenzen, zur Handelsblatt-Jahrestagung oder zu an-
deren Tagungen gehen, dann stellen Sie fest: Man lacht
da über den Wirtschaftsminister. Es tut sogar einem Op-
positionspolitiker weh, wenn über eine Regierung nur
noch gelacht wird. Die Ankündigungen des Umweltmi-
nisters beziehen sich immer nur auf Ziele; Maßnahmen
bleiben aus. Diese Ankündigungen werden dort nicht
mehr ernst genommen.
Schauen wir einfach auf die Maßnahmen, die notwen-
dig wären: Energieeffizienz. Minister Röttgen stellt sich
hier morgens hin und erzählt uns, die Regierung habe
sich geeinigt, und es komme zu verbindlichen Energie-
effizienzvorgaben. Aber schon am Nachmittag lesen wir,
dass der Wirtschaftsminister dem Umweltminister wi-
derspricht. Bis heute wissen wir nicht, worüber in der
Europäischen Union verhandelt wird, obwohl doch
Deutschland das Land wäre, das die meisten entspre-
chenden Technologien liefern könnte. Weil man auf we-
nige Lobbyisten hört, nimmt man uns ein großes wirt-
schaftliches Betätigungsfeld weg. Was ist die Linie der
Bundesregierung?
Ausbau der Energienetze. Auch da werden keine Ent-
scheidungen getroffen. Die Smart-Grid-Technologien
entstehen im Augenblick in anderen Ländern. Wir
schauen zu, wie uns andere überholen, obwohl wir tech-
nologisch einmal die Vor-Läufer waren.
Seit 2009 könnten die Bedingungen für die Förderung
hochflexibler, sauberer Kraftwerke definiert werden; seit
2009 erlaubt das die Europäische Union. Bis heute liegt
eine solche Definition nicht vor. In der Folge unterblei-
ben milliardenschwere Investitionen in Kraftwerke.
Bei den erneuerbaren Technologien gibt es ständig
Verunsicherung durch Briefe der Koalitionsfraktionen
und Äußerungen von Fraktionsvizevorsitzenden. Sie
müssten mir irgendwann einmal erklären, warum 2013
die Förderung im Photovoltaikbereich zurückgefahren
und die Förderung im Offshorebereich hochgefahren
werden soll, obwohl 2013 die Kilowattstunde Strom aus
Photovoltaik nach den Berechnungen Ihrer eigenen Re-
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Förderprogramme werden angehalten und dann zeit-
eise wieder aufgelegt. Solche Programme können hei-
ische Anbieter nicht nutzen; denn sie sind auf einen
tetigen heimischen Markt angewiesen. In der Folge
ird nach Deutschland geliefert, was in anderen Län-
ern Überschuss ist. In den Jahren, in denen es hier keine
örderung gibt, wird der Markt völlig trockengelegt. Das
rleben wir jetzt seit zwei Jahren: hü und hott in der
echnologieförderung.
Der letzte Punkt ist das Fast-Start-Programm. Ich
omme da zum Marathon zurück: Die Bundeskanzlerin
at den ärmsten Läufern versprochen, im Rahmen des
ast-Start-Programms die Schuhe zu bezahlen. Was
acht sie jetzt? Im Haushalt sind keine Mittel mehr für
ie Schuhe eingestellt. Es wird jetzt das Mittagessens-
eld verwendet, um die Schuhe zu kaufen, weil man der
uckligen Verwandtschaft das Betreuungsgeld und die
teuersenkungen finanzieren muss.
amit nimmt sich Deutschland die Glaubwürdigkeit;
ber Glaubwürdigkeit ist die Währung in der internatio-
alen Klimaschutzdiplomatie.
Vielen Dank, Kollege Ulrich Kelber. – Letzter Redner
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
DU/CSU Dr. Christian Ruck. Bitte schön, Kollege
uck.
Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
nd Herren! Am Schluss der Debatte möchte auch ich
ekräftigen, dass wir zwar in einer sehr schwierigen
hase der Klimaverhandlungen sind, dass nicht viele
ptimismus ausstrahlen, wir aber trotzdem nicht die
linte ins Korn werfen dürfen, sondern kämpfen müs-
en; denn das, was wir heute nicht tun, müssen zukünf-
ge Generationen teuer bezahlen. Deswegen stärken wir
llen aus diesem Hause, die nach Durban fahren
Minister Röttgen und allen Politikern der Koalition
nd der Opposition –, auch mit dieser Debatte den Rü-
ken und wünschen ihnen viel Glück.
Ich glaube, dass Durban auch deswegen wichtig ist,
eil sich die Länder die Meinung sagen und darüber
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17379
Dr. Christian Ruck
)
)
sprechen müssen, dass führende Industrienationen wie
die USA und Japan, aber auch andere politisch sehr am-
bitionierte Staaten wie China und Russland derzeit völlig
unangemessen auf die dramatisch schlechter werdenden
CO2-Bilanzen reagieren. Wir müssen ihnen sagen, dass
sie so ihrem Führungsanspruch nicht nur in der Welt,
sondern auch gegenüber ihren eigenen Bürgern nicht ge-
recht werden.
Ich möchte betonen, was Entwicklungspolitiker und
Minister Röttgen heute über die auseinandergehende
Schere gesagt haben. Die Folgen des Klimawandels sind
in der Tat regional sehr unterschiedlich. Viele Länder in
den gemäßigten Zonen, auch Deutschland, können – so
die Wissenschaft – den Klimawandel durchaus verkraf-
ten. Aber das Problem ist, dass es ganze Erdteile gibt,
deren Bevölkerung den Klimawandel nicht verkraften
wird. Das wird dann ein Desaster nicht nur für die be-
treffenden Regionen in den Entwicklungsländern, son-
dern auch für uns und zum Beispiel für die Amerikaner
werden, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir werden
ein riesiges Migrationsproblem und letztendlich auch ein
Sicherheitsproblem bekommen. Das müssen wir in Dur-
ban deutlich machen.
Ich bin der Meinung, dass wir uns als Deutsche
durchaus zum Anwalt für die Entwicklungsländer ma-
chen sollten, deren Existenz in den nächsten Jahrzehnten
auf der Kippe steht. Herr Kelber, Sie haben hier – entwe-
der bewusst oder unbewusst – die Unwahrheit über die
Fast-Start-Initiative gesagt.
– Ich habe die Zahlen dabei. Ich gebe sie Ihnen gerne.
Ich gebe Ihnen gerne Informationen darüber, was sich in
BMZ und BMU abspielt.
Wir werden neue Zusagen zum Sockelbetrag in Höhe
von 894 Millionen Euro machen.
Das haben wir entweder schon ausgegeben oder einge-
stellt. Wir werden das Plansoll erfüllen. Ich gebe Ihnen
das gerne zur Kenntnis.
– Herr Kelber, Sie haben keine Ahnung, tut mir leid.
Der Schutz der Wälder als CO2-Senken ist für uns ein
wichtiger Punkt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um
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Kleinkariert, Herr Kelber, furchtbar!
Niemand braucht nächstes Jahr zur Rio-Konferenz zu
hren, wenn die Brasilianer mit diesen Schätzen derma-
en schlecht umgehen.
Zu all dem, was der Bundesregierung vorgeworfen
urde, wenn es darum geht, was wir im eigenen Land
n, kann ich Ihnen nur die Lektüre des neuesten Gut-
chtens von Ernst & Young empfehlen. Dort steht:
17,3 Milliarden investiert Deutschland derzeit im
Kampf gegen den Klimawandel. Das ist im interna-
tionalen Vergleich das größte Budget – in absoluten
Zahlen und im Verhältnis zum Gesamthaushalt.
it ungeahnten Steigerungen der Mittel für das BMZ,
it Steigerungen der Mittel für die Energieforschung
nd mit dem EEG, mit dem unsere Bundesregierung ge-
de in den letzten Jahren gigantische, positive Erfolge
rzielt hat, haben wir innerhalb von zwei Jahren den An-
il, der von erneuerbaren Energien beim Stromver-
rauch gedeckt wird, von 16,3 Prozent auf über 20 Pro-
ent steigern können. Das ist unser Erfolg. Das lassen
ir uns von Ihnen nicht kleinreden.
Wir können über vieles reden. Wir haben noch viele
ausaufgaben zu machen, insbesondere im Bereich der
nergieeffizienz. Das ist vollkommen klar. Ich habe aber
uch die Hoffnung, dass wir mit unserer Energiewende
Deutschland einen Technologievorsprung erreichen,
er uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Ich habe
ie Hoffnung, dass dieser Wettbewerbsvorteil einen Do-
inoeffekt auslöst und uns in die richtige Richtung
hrt. Ökonomie erzwingt Ökologie. Das ist genau das,
as wir uns für die nächsten Jahre erhoffen.
17380 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Vielen Dank, Kollege Dr. Ruck. – Mir liegen keine
weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrages
sowie der Resolutionen 1368 und 1373
des Sicherheitsrates der Vereinten Na-
tionen
– Drucksachen 17/7743, 17/7995 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Dr. Frithjof Schmidt
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/8002 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir über die Beschluss-
empfehlung später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind da-
mit einverstanden. Dann ist dies so beschlossen.
Darf ich Sie bitten, die Plätze einzunehmen? – Wir
wollen dem ersten Redner dieser Debatte zuhören.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Joachim Spatz. Bitte
schön, Kollege Joachim Spatz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bundesregierung legt Ihnen einen Antrag auf Verlänge-
rung des Einsatzes im Rahmen der Operation Active
Endeavour vom 1. Januar bis zum 31. Dezember nächs-
ten Jahres vor. Die vorgesehene Höchstzahl der Solda-
tinnen und Soldaten, die zum Einsatz gebracht werden
dürfen, liegt bei 700.
Um es gleich vorwegzunehmen: Natürlich gibt es un-
terschiedliche Meinungen darüber, ob die in dem Man-
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Im Übrigen möchte ich zu Bedenken geben, dass die
ufgaben, die speziell für die deutsche Marine vorgese-
en sind – militärische Präsenz im Mittelmeer zeigen,
r Aufklärung und Überwachung sorgen und ein ge-
einsames Lagebild erstellen –, auch in der Vorstufe
iner ständigen maritimen Operation mehr als Sinn ma-
hen; denn der Umbruch in der arabischen Welt, der be-
rüßenswert ist – wir unterstützen all jene, die sich in der
emokratiebewegung engagieren –, birgt auch Risiken,
ie man heute noch nicht abschließend bewerten kann.
er Ausgang dieses Prozesses ist offen. Wir können ihn
eute noch nicht endgültig feststellen. Eingedenk der Ri-
iken macht natürlich die Präsenz unserer deutschen Ma-
ne dort im Rahmen der NATO mehr als Sinn.
Die Marine ist dort nicht – das ist im Ausschuss un-
rstellt worden – als potenzielle Eingreiftruppe im nörd-
chen Afrika eingesetzt. Wer das unterstellt, ist schief
ewickelt. Das ist überhaupt nicht der Fall. Sie lenken
it dieser Unterstellung ein weiteres Mal davon ab, dass
ir in der Südflanke der NATO zur Überwachung und
icherstellung des ordentlichen Seeverkehrs schlicht und
rgreifend weiterhin gefordert sind.
ie gesagt, leider erfolgt das noch nicht im Rahmen ei-
er ständigen Präsenz der NATO, sondern aufgrund der
erlängerung des Mandats, das seinerzeit kurz nach 9/11
rstmalig erteilt worden ist. Wir setzen diesen Einsatz in
ieser Struktur fort. Wenn man Active Endeavour in eine
tändige Mission überführen will, kommt man natürlich
m eine Beschreibung der zugrunde liegenden Szenarien
icht herum.
h gebe den Rat, bei der Beschreibung konkreter Szena-
en sehr vorsichtig zu sein. Es wäre aus diplomatischer
icht sinnvoll, sich hierbei am schon erteilten Mandat zu
rientieren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17381
Joachim Spatz
)
)
Vor dem Hintergrund der bestehenden sicherheitspoli-
tischen Herausforderungen und aufgrund der Einbin-
dung in das Bündnis – alle anderen Partner im Bündnis
sehen es genauso – halten wir es für geboten, den Ein-
satz um ein weiteres Jahr zu verlängern. Wir sollten uns
bemühen, es langfristig in eine Standing Maritime Ope-
ration zu überführen.
Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Joachim Spatz. – Jetzt für die
Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Ulla
Schmidt. Bitte schön, Frau Kollegin Ulla Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
2003 war das Mandat zur Beteiligung an der US-geführ-
ten Operation Active Endeavour im Mittelmeer stets mit
der Beteiligung an der US-geführten Operation Enduring
Freedom verbunden. Bei Enduring Freedom sind Sie im
vergangenen Jahr zu der Entscheidung gekommen, dass
sich die Aktionsformen des internationalen Terrorismus
verändert haben und dass aus diesem Grund eine weitere
Beteiligung an der Operation nicht mehr gerechtfertigt
ist. Deshalb wurde beschlossen, dieses Mandat nicht zu
verlängern.
Bei der Einbringung des Antrags zur Verlängerung
dieses Mandats hat Herr Außenminister Westerwelle da-
rauf hingewiesen, dass auch die Legitimation dieses
Mandats schwindet. Außenminister Westerwelle hat im
letzten Jahr bei der Einbringung des Antrags und der
Mandatsverlängerung gesagt, dass er die Zeit nutzen
will, um ein neues Konzept und eine neue Legitima-
tionsbasis zu entwickeln. Wir hätten uns gewünscht,
dass er dies auch getan hätte. Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten hätten sehr gerne daran mitgear-
beitet.
Wer die Missionen vergleicht, der sieht, dass die Ope-
ration Enduring Freedom darauf abzielte, Terroristen
ausfindig zu machen, gefangen zu setzen und zu be-
kämpfen. Wir sind dort ausgestiegen, weil die Legitima-
tion nicht mehr gegeben ist. Die Operation Active
Endeavour ist hingegen eine reine Beobachtungs- und
Überwachungsmission. Trotzdem ist im Antrag der Bun-
desregierung weiterhin von einer Bekämpfung von Ter-
roristen die Rede; weiterhin wird die Operation Active
Endeavour mit einem robusten Mandat für den Einsatz
von bis zu 700 Soldatinnen und Soldaten ausgestattet. Es
fällt mir schwer, zu verstehen und logisch nachzuvollzie-
hen, warum man zur Beobachtung und zum Austausch
von Informationen ein solch robustes Mandat braucht.
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Auch der Außenminister hat bei der Einbringung da-
uf hingewiesen, dass es Unsicherheiten gibt. Zu den
nsicherheiten sage ich einmal Folgendes. Viele von
ns schauen dorthin und insbesondere auf die Demokra-
ebewegungen dort. Wir wissen, dass das kein Prozess
t, der in 1, 2 Jahren beendet ist, sondern bei dem unsere
nterstützung in den nächsten 10 oder 20 Jahren gefor-
ert ist, damit die Möglichkeit gegeben ist, dass dort sta-
ile und demokratische Regierungen eingesetzt werden.
ber da geht es nicht um Terrorismus.
Seit Beginn des Mandats vor zehn Jahren wurden im
ittelmeerraum keine terroristischen Aktivitäten festge-
tellt. Wir Sozialdemokraten können absolut nicht sehen,
ass sich das mit dem arabischen Frühling geändert
ätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zehn Jahre nach den
nschlägen von New York und Washington ist das
echt zur kollektiven und individuellen Selbstverteidi-
ung eine äußerst fragwürdige Begründung. Trotzdem
rgumentiert die Bundesregierung immer wieder und so
uch in diesem Antrag mit Art. 5 des Nordatlantikvertra-
es und mit Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen.
h glaube, dass das nicht mehr trägt.
Dazu, dass von manchen das Argument kommt, dass
ier die Bündnistreue gefordert ist,
uss ich sagen: Es ist schon ein bisschen dünn, von
ündnistreue zu reden, wenn die Legitimation und die
17382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Ulla Schmidt
)
)
Begründung für ein Mandat nicht mehr da sind. Bünd-
nistreue hat von uns auch niemand eingefordert, als wir
im letzten Jahr gesagt haben: An der Operation Enduring
Freedom beteiligen wir uns nicht mehr. – Aber ich gebe
zu, für mich ist es manchmal nicht nachvollziehbar,
wann dem Außenminister die Bündnistreue wichtig ist
und wann nicht. Aber darüber können wir ja ein anderes
Mal streiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend
lässt sich festhalten: Es gibt keine aktuelle Terrorgefahr
oder terroristischen Aktivitäten im Mittelmeer, die über
dieses Mandat bekämpft werden müssen. Es gibt auch
keine Terroristen, die aufgespürt werden müssen, und
keine Terrorcamps, die vernichtet werden müssen.
Vielmehr gibt es ein auch in den Reihen der Bundesre-
gierung und natürlich, wie wir wissen, in den Reihen der
Koalitionsfraktionen erkanntes Legitimationsproblem für
ein robustes Mandat nach Art. 5 des Nordatlantikvertrags
und Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen. Deswe-
gen sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
ten Ja zu Aufklärung und Überwachung sowie dem Sam-
meln von Informationen, aber Nein zu dem vorliegenden
Antrag, und zwar ein klares Nein zu der unklaren Formu-
lierung und zu der erneuten Vermischung von Operation
Active Endeavour und Operation Enduring Freedom im
Mandat und in der Begründung.
Die Bundesregierung hat leider die Chance vertan,
sich mit uns gemeinsam für ein neues Konzept einzuset-
zen, für eine sinnvolle Gestaltung und Einbettung des
Mandats auch im Sinne der Strategie der NATO. Deswe-
gen, meine Damen und Herren, stimmen wir nicht zu.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Ulla Schmidt. – Jetzt
spricht für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Robert Hochbaum. Bitte schön, Kollege Hochbaum.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 11. September 2001 um 8.46 Uhr amerika-
nischer Zeit geschah das Unfassbare: 2 977 Menschen,
darunter 30 Deutsche, starben bei dem bisher perfidesten
Terroranschlag, den die Welt je gesehen hat. Wir alle sa-
ßen damals fassungslos vor den Bildschirmen, und uns
allen sind sicherlich die apokalyptischen Bilder der ein-
stürzenden Türme, der schreienden Menschen und der
weinenden Mütter und Kinder noch deutlich vor Augen.
Es sind Bilder des Terrors, die wir nie vergessen werden.
Diese Bilder sind unter anderem der Anlass, warum wir
heute erneut für eine Verlängerung der Operation Active
Endeavour stimmen. Denn das, was am 11. September
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Zweitens: die Bündnissolidarität. Frau Schmidt, die
peration Active Endeavour ist die Art.-5-Operation der
ATO. Aus dieser internationalen Verantwortung heraus
tehen wir natürlich auch fest an der Seite unserer Part-
er.
ür die Beendigung dieses Bündnisfalles wäre es übri-
ens notwendig, dass die Mitgliedstaaten der NATO
ststellen, dass von diesem Gebiet keine Gefahr mehr
usgeht und für dieses Gebiet keine Gefahr mehr be-
teht. Das, meine Damen und Herren, ist aber, wie ich
ingangs bereits erläutert habe, sicherlich nicht der Fall.
eswegen halten die NATO-Partner an einer Weiterfüh-
ng des Mandates fest, was wir hier und heute mit einer
roßen Mehrheit ebenfalls tun sollten. Im Übrigen unter-
treichen die kürzlich erneut verabschiedeten Resolutio-
en des UN-Sicherheitsrates abermals die Notwendig-
eit dieses Einsatzes. Was will man da mehr, liebe Frau
chmidt?
Drittens: die kooperative Sicherheit. Die Operation
istet einen hervorragenden Beitrag nicht nur zur Zu-
ammenarbeit der NATO-Staaten, sondern auch zur Zu-
ammenarbeit mit Nicht-NATO-Staaten. Das ist ein sehr
ichtiger Punkt. Länder wie Russland, die Ukraine und
arokko nehmen an der Operation teil. Das ist ein deut-
ches Signal und unterstreicht, dass es auch um die Si-
herheit von Staaten außerhalb der NATO geht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17383
Robert Hochbaum
)
)
Als vierten und letzten Punkt möchte ich auf die Man-
datierung eingehen und mich abermals an die Opposition
wenden. Dort hört man in letzter Zeit von Einzelnen, für
eine solche Aufgabe brauche man ja eigentlich gar kein
Mandat. Ich will Ihnen sagen: Sie wissen nicht, was Sie
wollen. Das eine Mal rufen Sie, wenn irgendwo ein Sol-
dat mit einen Gewehr auftaucht, sofort nach einem Man-
dat, und hier wollen manche ohne Mandat Kriegsschiffe
im Mittelmeer patroullieren lassen, immer nach dem
Motto: Wie es uns gerade gefällt. Ich wünsche mir da
sehr oft eine klarere Linie. Für uns ist es selbstverständ-
lich: Für diesen Auftrag, den wir für richtig und notwen-
dig halten, benötigen wir ein Mandat des Deutschen
Bundestages.
Abschließend möchte ich es nicht versäumen, Dank
zu sagen: Dank an all unsere Soldatinnen und Soldaten,
die durch ihren Einsatz im Mittelmeer für die Sicherheit
unseres Landes, ja, für die Sicherheit aller friedfertigen
und friedliebenden Menschen sorgen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Hochbaum. – Jetzt spricht für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Wolfgang
Gehrcke. Bitte schön, Kollege Gehrcke.
Danke sehr. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich finde es schon bedrückend, dass man,
wenn man auf die heutige Tagesordnung des Bundesta-
ges schaut, sieht: Wir sollen heute drei Mandate für Aus-
landseinsätze der Bundeswehr verlängern. Wenn man
das hier vor ein paar Jahren gesagt hätte, dann wäre man
als Spinner und absurder Denker bezeichnet worden.
Das ist aber die Realität geworden. Sie können es be-
fremdlich finden, aber ich bin nach wie vor froh darüber,
dass meine Fraktion die Bundeswehr aus allen Auslands-
einsätzen zurückholen will. Das ist meine politische
Position, und ich halte sie auch für begründet.
Beim Mandat für die Operation Active Endeavour
geht es ja um den Krieg gegen den Terror. Deswegen
lohnt es sich, besonders hinzuschauen. Ich halte die Au-
ßenpolitik der Bundesregierung für leichtgewichtig, aber
ich nehme sie trotzdem ein Stück weit ernst, und ich will
das auch mit diesem Mandat tun.
Die erste Begründung für das Mandat ist, dass der
Krieg gegen den Terror fortgeführt werden muss und
dass die Gefahr der terroristischen Anschläge von 2001
bis heute so erhalten geblieben ist. Das steht wörtlich in
der Mandatsbegründung. Sie können doch nicht ernst-
haft davon ausgehen, dass sich bis jetzt, im elften Jahr,
überhaupt nichts geändert hat und dass die Vereinten Na-
tionen nicht handlungsfähig sind. Sie tun so, als ob die
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h frage Sie ganz einfach: Wurde mit dem Krieg gegen
en Terror die Abrüstung vorangebracht? Auch das
icht! Die Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen
usgeht, ist heute größer denn je. Ich frage Sie: Hat der
rieg gegen den Terror wirklich zu mehr Demokratie
eführt, oder sind wir durch den Krieg gegen den Terror
o verändert worden, dass es weniger Demokratie gibt?
h glaube, Letzteres ist der Fall. Das heißt, mit Ihrer Be-
ründung zeigen Sie: Der Krieg gegen den Terror ist ein
inziges Desaster. Man darf kein Mandat erteilen, das
arauf beruht.
Ich will Ihnen noch zwei andere Argumente vortra-
en, weil die Bundesregierung das Parlament und die
ffentlichkeit mit ihren Anträgen ja immer täuscht.
Sie werden mit darüber entscheiden müssen, ob Art. 5
es Nordatlantikvertrages – Bündnisfall – weiterhin so
ehandhabt wird wie derzeitig. Sie wussten nicht, wie
an in den Bündnisfall einsteigt, und Sie wissen nicht,
ie man aus dem Bündnisfall aussteigt. Das ist doch in-
kzeptabel, und jetzt wollen Sie hier noch einmal die
erlängerung beschließen. Ich nenne Ihnen einen ganz
infachen Weg: Wenn Deutschland feststellt, dass der
ündnisfall nicht mehr gegeben ist, dann ist nach den
ATO-Vereinbarungen der Bündnisfall aufgehoben. So
infach kann das gehen, und zwar durch einen Beschluss
ieses Parlaments. Nur erklären müssen Sie es!
Zum Schluss will ich Ihnen doch noch einmal sagen:
ich hat die ganze Begründung für diesen Mittelmeer-
insatz sehr bedrückt. Es wird jetzt auch davon gespro-
hen, dass mit dem Mandat nebenbei eine neue NATO-
trategie „Mittelmeer“ implementiert werden soll. Sie
ollen hier über etwas entscheiden, was hier kein Abge-
rdneter kennt. Entspricht es Ihrem parlamentarischen
erständnis, dass man über etwas entscheiden soll, was
an nicht kennt? Ich sage Ihnen: Wenn ich über das Mit-
lmeer nachdenke, dann wird mir klar, dass das Mittel-
eer für mich nicht mehr das Meer des Friedens, son-
ern ein Meer ist, in dem über 14 000 Menschen beim
ersuch, nach Europa zu kommen, ertrunken sind.
17384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Wolfgang Gehrcke
)
)
Das müssen Sie doch bedenken. Sie wollen mit die-
sem Mandat im Mittelmeer eine neue Militäraktion –
auch als Antwort auf den arabischen Frühling – in Gang
setzen. Das ist doch alles unverantwortlich. Deswegen
kann ein verantwortungsvoller Abgeordneter nur gegen
dieses Mandat stimmen.
Schönen Dank.
Der nächste Redner in unserer Debatte ist für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Omid
Nouripour. Bitte schön, Herr Kollege Nouripour.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, auch
zehn Jahre nach 9/11 gibt es eine terroristische Bedro-
hung. Ja, diese Bedrohung betrifft auch das Mittelmeer.
Ja, man muss dagegen etwas tun.
Trotzdem ist die Auslandsmission, über die wir heute
hier abstimmen, diejenige in der Geschichte der Bundes-
wehr, über die am kontroversesten diskutiert wird. Es
gab noch nie die Situation, dass die Regierung ein Man-
dat tatsächlich gegen die Stimmen der Opposition durch-
drücken musste. Da stellt sich die Frage, warum das
diesmal so ist.
Sie bringen drei Argumente für dieses Mandat.
Argument eins: Die USA stehen seit zehn Jahren kon-
tinuierlich unter Angriff. – Da scheinen Sie in den letz-
ten vier oder fünf Jahren etwas erlebt zu haben, was wir
anscheinend verpasst haben. Das ist schlicht absurd.
Das zweite Argument ist nicht absurd, das ist krude:
Sie sagen, es gibt nun einmal einen arabischen Frühling.
Wir haben zwar zu dem entscheidenden Zeitpunkt im Ja-
nuar, als es darum ging, sich auf die Seite der Menschen
auf dem Tahrir-Platz zu stellen, das nicht gemacht, aber
jetzt brauchen wir etwas anderes, also schicken wir Fre-
gatten.
Das ist krude.
Das dritte Argument, das Sie nennen, lautet: Sie sind
gescheitert. Herr Spatz hat mehrfach gesagt: Wir wollten
dies, wir wollten jenes, wir wollten das Mandat so nicht,
aber auf uns hört halt niemand. – Dieses Mandat ist ein
Zeugnis des Scheiterns dieser Bundesregierung im
Bündnis und in der gesamten Außen- und Sicherheits-
politik. Deswegen können wir dem nicht zustimmen.
700 Soldatinnen und Soldaten und zwei Fregatten für
die Überwachung im östlichen Mittelmeer inklusive ei-
nes Kombattanten-Mandats – das macht überhaupt kei-
nen Sinn. Es macht auch keinen Sinn, U-Boote zu schi-
cken, um Ausbildungslager der Terroristen zu zerstören.
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Die Frage ist: Wann kommt die Bundesregierung
azu, die Außen- und Sicherheitspolitik in Form konkre-
r Gestaltungen voranzutreiben? Wann gibt es Vor-
chläge der Bundesregierung für eine Weltsicherheitsar-
hitektur in einem neuen Zeitalter? Es ist immer wieder
ie Rede von der Standing Defense Structure. Darüber
ann man reden, aber wo wird der Vorschlag eigentlich
orangebracht?
Herr Kollege Gehrcke, die Frage, wie man den Bünd-
isfall aufhebt, ist ziemlich einfach zu beantworten: ein-
timmig beschlossen muss einstimmig wieder aufgeho-
en werden. Dafür muss aber irgendjemand die Stimme
rheben. Irgendjemand muss in den NATO-Rat gehen
nd sagen: Wollen wir nicht einmal darüber nachden-
en? Sie tun es nicht, obwohl Sie es besser wissen, weil
ie ganz genau wissen, dass in der Allianz und in der
estlichen Welt niemand mehr auf Sie hört und niemand
ehr Ihre Außenpolitik ernst nimmt.
eshalb kommen Sie mit keinem einzigen konkreten
orschlag, wie man an dieser Stelle vorankommen kann.
Das Problem ist, dass es nicht nur im Bündnis so ist.
s ist auch innerhalb der eigenen Koalition so. In der
tzten Woche sagte der Außenminister, dass eine Militär-
ption gegenüber dem Iran nicht existiere. Heute sagt
er außenpolitische Sprecher der Mehrheitsfraktion ex-
kt das Gegenteil. Gibt es da ein Widerwort? Nein, er
ann sich das erlauben, weil die Stimme dieses Außen-
inisters sowieso kein Gewicht mehr hat, also sowieso
iemand mehr auf das hört, was er sagt. Das ist im Au-
enblick das Besorgniserregende, dass nur derjenige,
essen Stimme das kleinste Gewicht hat, einen solchen
ilitärschlag ausschließt.
Die Stärkung des internationalen Rechts ist der größt-
ögliche Beitrag, den auch die Bundesrepublik Deutsch-
nd im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
isten kann. Mit einem Mandat auf so – milde gesagt –
ackligen rechtlichen Beinen tun Sie genau dieses nicht,
ondern Sie beschädigen das Rechtssystem auf interna-
onaler Bühne. Damit verhindern Sie, dass es hier ein
reiteres Mandat für diese Mission gibt. Wir können dem
icht zustimmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17385
)
)
Vielen Dank. – Bevor ich dem letzten Redner in unse-
rer Debatte das Wort erteile, darf ich darum bitten, dass
wir auch ihm die notwendige Aufmerksamkeit schen-
ken. Das Wort für die Fraktion der CDU/CSU hat unser
Kollege Dr. Wolfgang Götzer. Bitte schön, Kollege
Götzer.
Herr Präsident, vielen Dank für diese vorausgeschick-
ten Worte. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die in-
ternationale Staatengemeinschaft hat die Operation
Active Endeavour der NATO als Reaktion auf den
11. September 2001 ins Leben gerufen. Dieser terroristi-
sche Angriff auf die USA hat bekanntlich erstmals seit
Bestehen der NATO den Bündnisfall gemäß Art. 5 des
Nordatlantikvertrages ausgelöst.
Der deutsche Beitrag zur OAE besteht in der Unter-
stützung der Seeraumüberwachung und der Terrorismus-
bekämpfung im Mittelmeer durch Einheiten der deut-
schen Marine. Auch nach zehn Jahren ist OAE für
Frieden, Sicherheit und Stabilität in der derzeit instabi-
len Mittelmeerregion unverzichtbar. Daher stimmen wir
einer Verlängerung der Operation bis zum 31. Dezember
2012 zu.
Seit nunmehr zehn Jahren leistet die Bundeswehr im
Rahmen von OAE einen wichtigen Beitrag zur mariti-
men Sicherheit im Mittelmeerraum. Im Einsatz sind
meistens Fregatten, aber auch U-Boote und AWACS.
Die Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten beträgt der-
zeit insgesamt bis zu 700. Allen, die dort bereits Dienst
geleistet haben oder Dienst leisten, möchte ich an dieser
Stelle einmal mehr unseren Dank aussprechen.
Einen Einsatz über ein Jahrzehnt in diesen Dimensio-
nen zu unterstützen, zeugt von unserer Solidarität mit
der NATO und den Vereinigten Staaten. Mit OAE sen-
den wir nicht nur ein wichtiges Signal an die NATO,
dass wir für kollektive Verteidigung nach Art. 5 des
Nordatlantikvertrages bereitstehen, und zwar nicht nur
kurzfristig, sondern eben auch, wenn es die Umstände
erfordern, über ein Jahrzehnt hinweg. Mit OAE zeigen
wir des Weiteren auch den USA, dass wir auch zehn
Jahre nach den verheerenden Anschlägen bereit sind, un-
serem transatlantischen Partner im Kampf gegen den
Terror zuverlässig zur Seite zu stehen.
Terrorismus ist weiterhin eine der größten Herausfor-
derungen für die internationale Staatengemeinschaft.
Seit 2001 hat der Sicherheitsrat in Resolutionen regel-
mäßig die Notwendigkeit betont, den internationalen
Terrorismus umfassend zu bekämpfen. Diesen Kampf
können wir nur gemeinsam gewinnen und nur – das ist
leider so – unter Einbeziehung militärischer Kräfte.
Die OAE ist dazu ein wichtiger Beitrag. Durch den
fortgesetzten Einsatz von See- und Seeluftstreitkräften
wehrt OAE terroristische Aktivitäten ab und schafft zu-
gleich die Voraussetzungen zu deren effizienter Bekämp-
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Aktuell ist der Beitrag der Operation insbesondere
or dem Hintergrund der schwierigen Sicherheitslage an
en Küsten Nordafrikas unverzichtbar. Darüber hinaus
at OAE während des NATO-Einsatzes gegen das
addafi-Regime einen wichtigen Beitrag zur Unterstüt-
ung der NATO-Operation Unified Protector zum
chutz der libyschen Zivilbevölkerung durch Bereitstel-
ng von Informationen und Sicherung des freien See-
erkehrs leisten können. Somit ist OAE ein zuverlässi-
er Garant von Sicherheit und Stabilität in Zeiten des
mbruchs in der arabischen Welt. Darüber hinaus ist
AE offen für die Beteiligung von Drittstaaten, vor al-
n Dingen den Partnerstaaten des Mittelmeerdialogs der
ATO, wie beispielsweise Marokko.
Für die Zukunft ist zu prüfen, ob OAE im bisherigen
ahmen weitergeführt werden soll oder in ständige
ATO-Operationen überführt werden kann. Dies erörtert
ie Bundesregierung zurzeit mit den NATO-Bündnis-
artnern. Bis zu einer Entscheidung hierüber ist die Fort-
hrung der Operation auf Grundlage des aktuellen
andats aus bündnispolitischen und aus sicherheitspoli-
schen Erwägungen aus unserer Sicht notwendig. Des-
alb werden wir der Verlängerung zustimmen.
Vielen Dank, Kollege Dr. Wolfgang Götzer.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
mpfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
ag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes
ewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung
er gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe
egen die USA. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
chlussempfehlung auf Drucksache 17/7995, den Antrag
er Bundesregierung auf Drucksache 17/7743 anzuneh-
en.
Wir werden nun über die Beschlussempfehlung na-
entlich abstimmen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
orgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an
17386 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
den Urnen alle besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne
ich die Abstimmung.
Ich frage jetzt, nachdem ich ein Signal erhalten habe,
dass möglicherweise schon alle abgestimmt haben: Ist
noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen.
Wir wollen schließlich allen folgenden Rednern die not-
wendige Aufmerksamkeit schenken.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Petra Pau, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mindestens 137 Todesopfer rechter Gewalt in
der Bundesrepublik Deutschland seit 1990
– Drucksachen 17/5303, 17/7161 –
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer
Debatte ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin
Petra Pau. Bitte schön, Kollegin Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe noch die entsetzten Gesichter in Erinnerung, als die
Nazi-Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle publik
wurde. Entsetzen auch hier im Bundestag, quer durch
alle Fraktionen. Wir sollten uns dieses Innehalten be-
wahren und nicht gleich wieder ins politische Klein-
Klein verfallen.
Ich finde, das sind wir auch allen Opfern und ihren An-
gehörigen schuldig, zumal viele Fragen weiterhin offen
sind. Deshalb hat die Linke diese Debatte heute auf die
Tagesordnung setzen lassen.
Es geht um die Frage, wie viele Menschen in
Deutschland seit 1990 von Nazis getötet wurden. Die
Recherche seriöser Journalisten belegt 138 Todesopfer.
Hinzu kommen aktuell die 10 Morde der Nazi-Zelle; da-
mit sind es also insgesamt 148. Das sind erschreckende
Zahlen.
Die Bundesregierung verharrt auf Nachfrage der Lin-
ken bei der Aussage: 48 Todesopfer. Diese Differenz ist
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b1) Ergebnis Seite 17387 C
as wiederum bedeutet: Ist die Analyse falsch, dann ist
uch alles falsch, was darauf fußt.
Deshalb wiederholt die Linke ihre Forderung: Wir
rauchen endlich eine parteipolitisch unabhängige Beob-
chtungsstelle gegen Rechtsextremismus, Rassismus
nd Antisemitismus.
Zu den übergeordneten Fragen gehört auch die nach
er Rolle der V-Leute und damit nach dem Beitrag des
taates bei der Duldung oder gar Unterstützung rechts-
xtremer Strukturen und gewalttätiger Nazis. Spätestens
tzt dürfte doch klar geworden sein: V-Leute sind keine
etten Informanten, sondern gekaufte Spitzel und ge-
alttätige Täter. Deshalb fordert die Linke: V-Leute sind
bzuschalten, und zwar unverzüglich und alle.
Die offenen Fragen betreffen nicht nur Versäumnisse
der Beihilfen von Landesbehörden in Thüringen, Sach-
en, Niedersachsen oder Hessen, sondern auch von Bun-
esbehörden. Auch diese Fragen müssen geklärt werden,
llerdings nicht durch ein handverlesenes Trio des Bun-
esinnenministers. Das nährt nur den Verdacht, dass et-
as vertuscht oder verdrängt werden soll. Die Aufklä-
ng muss unvoreingenommen, transparent und radikal
rfolgen.
Auch deshalb sollten endlich zivilgesellschaftliche
itiativen zurate gezogen werden. Sie sind offensicht-
ch kompetenter als die meisten Behörden. Wir sollten
ie endlich stärken und nicht länger verprellen. Der
ampf gegen Rechtsextremismus wird in der Zivilge-
ellschaft gewonnen – oder verloren. Da hilft auch kein
d-hoc-Aufstand. Dazu gehört ein langer Atem aller
nständigen und aller Zuständigen.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. Es gibt inzwischen
en Bericht einer unabhängigen Expertenkommission
um Antisemitismus. Darin kommt man zu dem Schluss:
s fehlt an einem politischen Gesamtkonzept im Kampf
egen Antisemitismus. Das gleiche Manko haben wir
eim Rechtsextremismus. Die falschen und auch vereng-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17387
Petra Pau
)
)
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl Rudolf HenkeMichael Hennrich
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
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r. Mathias Middelberg
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Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Helmut Brandt Jürgen Herrmann Dr. Carsten Linnemann Norbert Schindler
ten Zuständigkeiten der Bunde
Kurzum, diese großen Fragen
Antworten, jedenfalls vertragen
ten, wie es die Antwort der Bu
Große Anfrage ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wo
Liebe Kolleginnen und Kolle
ten Redner aufrufe, möchte ich
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 559;
davon
ja: 306
nein: 253
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
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sregierung gehören dazu.
verlangen nach anderen
sie nicht kleine Antwor-
ndesregierung auf unsere
sowie bei Abgeord-
NDNISSES 90/DIE
lfgang Thierse:
gen, bevor ich den nächs-
Ihnen bekannt geben das
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r. Maria Flachsbarth
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r. Stephan Harbarth
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on den Schriftführerinnen und
rgebnis der soeben durchgefü
timmung über die Beschlussem
er Bundesregierung „Fortsetzu
eter deutscher Streitkräfte bei
einsamen Reaktion auf terro
ie USA auf Grundlage des Ar
ereinten Nationen und des Art
ertrages sowie der Resolutione
001) des Sicherheitsrates der
egebene Stimmen 560. Mit Ja
ein haben gestimmt 253, Enth
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Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
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Max Straubinger
Karin Strenz
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Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
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Volkmar Vogel
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
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Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
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SPD
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Marianne Schieder
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-
Dugnus
Daniel Bahr
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
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r. Heinrich L. Kolb
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r. Birgit Reinemund
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Nun erteile ich dem Parlame
Ole Schröder das Wort.
atssekretär beim Bundes-
r verehrten Damen und
er betroffen, dass es bei
ar, dass eine rechtsextre-
2000 und 2007 mutmaß-
eitere Taten verübte, die
en. Es ist abscheulich,
onsfläche eines rassisti-
Weltbildes werden, und
Menschen deswegen ihr
t klar – darüber sind wir
hängig von der Statistik,
jedes Opfer rechtsextre-
en Hause)
nterstellen, dass die Ver-
nd im Bund das Phäno-
schleiern. 47 Todesopfer,
1990 bis zum 31. Januar
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euesten Erkenntnisse 58 Tode
esopfer rechtsextremer Gewal
ournalisten der Zeit und de
bergestellt.
Ich möchte hier noch einma
ieser Statistik nicht die zehn
erden, die es nach den neueste
üssen jetzt natürlich auch in
en werden.
Dabei zeigt das nur eines: B
ung eines solchen Phänomens
ösung. Keine Statistik ist in d
ngreifbares Bild zu zeichnen.
Derzeit ist bei der Erfassun
levant. Das Erfassungssystem
er damaligen rot-grünen Reg
ereinbart worden. Es wird sei
er wieder evaluiert und ange
ei mit einer Eingangsstatistik z
amit den Sicherheitsbehörden
elchen Straftaten wir es zu tun
tatistik kann dann im Laufe d
nd auch durch die Erkenntniss
sopfer –, werden 137 To-
t nach der Zählweise von
s Tagesspiegels gegen-
l erwähnen, dass auch in
Todesopfer mitgezählt
n Erkenntnissen gab; sie
die Statistik aufgenom-
ei der statistischen Erfas-
gibt es nie die richtige
er Lage, ein objektiv un-
BÜNDNIS 90/DIE
ne sehr große Diffe-
g das konkrete Tatmotiv
ist übrigens 2001 von
ierung mit den Ländern
tdem so fortgeführt, im-
passt. Wir haben es hier-
u tun. Das ist notwendig,
sofort bekannt ist, mit
haben. Diese Eingangs-
er weiteren Ermittlungen
e, die im Gerichtsverfah-
)
ren zutage treten, korrigiert werden. Deshalb sind jetzt
auch die neuen Erkenntnisse in die Statistik mit einge-
flossen.
Der Grund für ein solches System zur Analyse des
konkreten Tatmotivs liegt vor allem darin, dass eine
reine Zuordnung des Täters zu einem bestimmten Mi-
lieu, zum Beispiel zum rechtsextremen Milieu, keine
eindeutigen Schlüsse zulässt. Denn gerade in diesem
braunen Milieu, um das es in dieser Anfrage geht, haben
wir es eben auch mit erheblicher Allgemeinkriminalität
zu tun. Im Bereich rechtsmotivierter Straftaten sind über
50 Prozent der Täter vorher schon durch allgemeinkrimi-
nelle Delikte aufgefallen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deshalb die
Beurteilung der Bekämpfung von rechtsextremer Gewalt
nie allein an Statistiken festmachen.
Vor allem muss es darum gehen, das hinter diesen er-
schreckenden Zahlen stehende Phänomen zu erkennen,
zu verstehen und zu bekämpfen. Darauf kommt es an. Es
geht darum, dass jeder Mensch in unserem Land, unge-
achtet seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner politi-
schen Einstellung und seiner sexuellen Ausrichtung, vor
solch verabscheuungswürdiger Gewalt sicher ist.
Deshalb ist es wichtig, dass Erkenntnisse über gefähr-
liche Personen und Gruppen künftig systematisch ausge-
tauscht werden können, dass Ermittlungen besser koor-
diniert werden können, dass wir die Szene und ihre
Protagonisten noch genauer auf mögliche Gewaltpoten-
ziale hin durchleuchten können. Nur so können wir die
Informationsverluste und die Koordinierungsprobleme,
die jetzt bei den Ermittlungen zutage getreten sind, künf-
tig verhindern, und nur so können wir rechtsextreme Ge-
walt konsequent verfolgen oder – noch besser – verhin-
dern.
Dafür ist es auch wichtig, dass wir den Sicherheitsbe-
hörden die notwendigen Instrumentarien an die Hand ge-
ben. Wir sind schon einige Schritte weiter. Wir wollen
die Führungskompetenz des Bundesamtes für Verfas-
sungsschutz, wie wir es bereits im Bereich des islamisti-
schen Terrorismus haben, weiter stärken. Wir wollen
eine Gesetzesänderung dahin gehend auf den Weg brin-
gen, dass weitergehende Informationen über Rechts-
extremisten eingestellt und abgerufen werden können,
und dies eben nicht nur bei gewaltbereiten, sondern auch
bei sonstigen. Wir brauchen eine Verbunddatei, damit
keine einzige Information verloren geht. Deshalb brau-
chen wir auch ein gemeinsames Abwehrzentrum, wie
wir es bereits im Bereich des islamistischen Terrorismus
haben.
Meine Damen und Herren, keine Information darf bei
der Verfolgung von solchen abscheulichen Straftaten
verloren gehen.
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ber natürlich ist es auch wichtig, dass wir dieses Phä-
omen in Statistiken sehr deutlich erfassen. Das machen
ir weiterhin. Wir analysieren natürlich auch die Dinge,
ie jetzt zutage treten, und prüfen, ob sie Auswirkungen
uf notwendige Korrekturen haben.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
D
Was aber überhaupt nicht weiterhilft, ist der gegensei-
ge Vorwurf, dass die jeweils andere Seite irgendetwas
erschleiern wolle. Wichtig ist, dass wir das Phänomen
chtig beschreiben und gemeinsam dagegen vorgehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Gabriele Fograscher für die SPD-
raktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
rundlage der Großen Anfrage der Linken sind die in
er Zeit und im Tagesspiegel veröffentlichten Zahlen der
pfer rechter Gewalt. Dabei handelt es sich nicht nur um
ine Aufzählung, um Statistik, sondern es ist die Be-
chreibung von brutalen Angriffen, von Gewaltexzessen,
on Tötung und Mord quer durch die Republik.
137 Menschen sind von 1990 bis September 2010
rausam umgebracht worden. Mut-gegen-rechte-
ewalt.de nennt 182 Opfer, bei denen die Täter rechts-
xtremistische Motive hatten. Die polizeiliche Kriminal-
tatistik nennt für den gleichen Zeitraum die schon ge-
annten 48 Opfer. Diese Differenz, Herr Schröder, haben
ie zwar zu erklären versucht; aber Sie haben nicht ge-
agt, dass man sie auch so weit wie möglich reduzieren
uss.
Spätestens seitdem bekannt ist, dass eine rechte Ter-
rzelle über zehn Jahre lang unentdeckt gemordet und
eraubt hat, müssen wir feststellen, dass wir keine realis-
sche Lageeinschätzung rechtsextremistischer Bedro-
ungen haben, weder bei den Sicherheitsbehörden noch
der Öffentlichkeit noch in der Politik. Wir müssen da-
on ausgehen, dass das Dunkelfeld rechter Gewalt noch
rößer ist; denn nicht jeder Angriff geht tödlich aus,
icht jede Einschüchterung und Bedrohung wird zur An-
eige gebracht. Trotz Anpassung und Differenzierung
er Kriterien für die Einstufung als Straftaten mit rechter
otivation bleibt – das beschreiben Sie richtig in der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17391
Gabriele Fograscher
)
)
Anfrage – der rechtsextremistische Hintergrund einer
Tat oft im Dunkeln, weil die Motive verschleiert werden,
weil sich das Motiv erst im Laufe der Ermittlungen zeigt
oder weil die Tat falsch zugeordnet wird.
Zu lange ist verharmlost worden, ist man von verwirr-
ten Einzeltätern ausgegangen, ist die zugrunde liegende
Ideologie nicht ernst genommen worden. Diese zu-
grunde liegende Ideologie rechter Gefahr und Gewalt ist
die Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen.
Diese Ideologie ist es, die zu Fremdenhass, Rassismus,
Antisemitismus, gruppenbezogener Menschenfeindlich-
keit und Gewalt führt. Diese Ideologie wird im Internet,
in Musiktexten, in Flugblättern, in Parolen verbreitet.
Sie kursiert in der rechtsextremistischen Szene, in Ka-
meradschaften und in der NPD. Sie zeigt sich bei Auf-
märschen, Demonstrationen und leider auch in einigen
Landtagen. Sie macht sich eben nicht nur in den Rand-
gruppen breit, sondern, wie Studien von Heitmeyer und
der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen, auch in der Mitte
der Gesellschaft.
Es geht um mehr als die statistische Erfassung von
Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Wir
brauchen eine Strategie des Zurückdrängens, der Äch-
tung und der Abgrenzung zu rechtsextremen Einstellun-
gen.
Wir brauchen die lückenlose Aufklärung der Ermitt-
lungspannen, der Fehleinschätzungen und Konsequen-
zen aus der fehlenden Kooperation zwischen den Sicher-
heitsbehörden. Wir brauchen eine Demokratieoffensive
mit Verstetigung und Nachhaltigkeit von Programmen
zur Demokratieförderung. Wir brauchen eine Stärkung
und Unterstützung der Kommunen und Regionen, in de-
nen Neonazis Alltag und Meinungsführerschaft bestim-
men. Wir brauchen eine Verständigung über eine
Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus und men-
schenfeindliche Einstellungen, die Bund, Länder, Kom-
munen, Behörden, Kirchen, Parteien, Gewerkschaften,
Arbeitgeberverbände und die Zivilgesellschaft mit ein-
bezieht. Dafür brauchen wir einen langen Atem. Wir
müssen daran arbeiten, auch wenn die Berichterstattung
in den Medien sich längst wieder anderen Themen zu-
wendet.
Danke.
Das Wort hat nun Hartfrid Wolff für die FDP-Frak-
tion.
Hartfrid Wolff (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent-
hüllungen in den letzten Tagen haben das Vertrauen der
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Darüber hinaus stellt sich im konkreten Fall die Frage
ach der besseren Vernetzung der Sicherheitsbehörden.
eshalb weisen die Vorschläge des Bundesinnenminis-
rs in Bezug auf ein gemeinsames Abwehrzentrum und
ie Zusammenführung von Daten durchaus in die rich-
ge Richtung. Das Nebeneinander der Sicherheitsbehör-
en und die unverhohlene Verteidigung von Ressort-
goismen müssen der Vergangenheit angehören.
ir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur unter Ein-
eziehung der Länder.
Meine Damen und Herren, die Linke geht in ihrem
ntrag aus meiner Sicht unseriös mit den Zahlen um und
gt bei ihren Bewertungen keine rechtsstaatlichen Maß-
täbe zugrunde. Nur so kommt sie auf eine Zahl von
ber 100 Extremismusopfern in den vergangenen mehr
ls zwei Jahrzehnten. Die Bundesregierung zählt nur die
traftaten als rechtsextrem, die gerichtlich als solche
erurteilt wurden.
ie Linken wollen stattdessen ein Gesinnungsdenun-
iantentum, das die linke Szene anhand der rechtsextre-
en Straftaten hoffähig machen soll.
as bestätigt noch einmal mehr: Antifaschismusarbeit
t seit jeher Kernelement linksextremistischer Aktivität.
17392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Hartfrid Wolff
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)
Es gibt viele seriöse unabhängige Organisationen ge-
gen den Rechtsextremismus. Diese unabhängigen Orga-
nisationen, wie zum Beispiel die Kirchen, müssen wir
stärken. Aber der Kampf der Extremisten der einen Seite
hat schon immer den Extremisten der anderen Seite als
Vorwand und Rechtfertigung gedient.
Demokraten sollten – und das zeigt Weimar – auf keiner
der beiden Seiten zum Trittbrettfahrer werden.
Wir brauchen keine linksextreme Unterstützung im
Kampf gegen Rechtsextreme.
Es hat keinen Sinn, rechten gegen linken oder musli-
misch motivierten Extremismus auszuspielen.
Ich würde es begrüßen, wenn Demokraten jeglicher
Couleur gemeinsam gegen Extremismus jeglicher Cou-
leur zusammenstünden und die gleichen Maßstäbe auf
alle Gegner unserer Verfassung anwenden würden.
Das Wort hat nun Monika Lazar für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss sagen: Mir hat es nach Ihrem Redebeitrag die Spra-
che verschlagen.
Das ist bodenlos! In der aktuellen Situation und nach der
guten Debatte vor einer Woche hier im Bundestag dis-
kreditiert das nicht nur Sie und Ihre Fraktion, sondern
alle, die genauso denken.
Es ist unmöglich! Wie können Sie sich hier hinstellen
und so etwas sagen? Ich bin ebenso wie alle hier für ein
breites Bündnis aller Demokraten. Vor einer Woche ha-
ben wir es geschafft: in Form eines gemeinsamen An-
trags mit allen Fraktionen.
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infach unerhört.
Die Bundesregierung kommt auf 48 Opfer und hat
tzt die 10 dazugezählt; es sind jetzt also 58. Bei Ihrem
edebeitrag hat man gemerkt, dass man sensibilisiert
ein muss.
enn die Sensibilität fehlt, werden die Zahlen nicht an-
rkannt. Deshalb ist es wichtig, dass alle Stellen, die da-
it zu tun haben – das gilt auch für Sie –, geschult wer-
en,
amit sie erfahren, wie es in Bezug auf dieses Gedan-
engut vom Denken zum Handeln kommt. Wie gesagt,
h bin wirklich erschüttert.
Insbesondere im Hinblick auf die Zwickauer Zelle
da sind wir uns wahrscheinlich einig – muss es Aufklä-
ng geben. Dabei nützen aber solche Ausführungen,
ie Sie sie hier kundgetan haben, überhaupt nichts.
icht nur die Rechtsextremisten, sondern insbesondere
ie Rechtspopulisten verschärfen das Problem. Ihre
ede ging ganz klar in diese Richtung.
Doch, das ist so. Ich empfinde es so. Sie lenken von
em Problem ab, und Sie verhöhnen die Opfer.
Zum Abschluss möchte ich noch einige Beispiele aus
einem Heimatland Sachsen nennen: Am 1. Mai 2008
urde eine Gruppe alternativer Jugendlicher in Stolpen
der Sächsischen Schweiz angegriffen. Mehrere Neo-
azis verletzten sie schwer mit Knüppeln und Faust-
chlägen. Bis heute – dreieinhalb Jahre nach dem
ngriff – ist keiner von ihnen vor Gericht gekommen,
bwohl allesamt bekannte Neonazis sind. Einer der An-
reifer, Mirko H., war bis mindestens 2002 V-Mann des
erfassungsschutzes. Er ist ein maßgeblicher Führungs-
ader des Netzwerkes „Hammerskins“, hat eine Firma
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17393
Monika Lazar
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namens „Hate Records“ und vertreibt Hass-CDs. Vermu-
tet wird, dass er auch mit dem Terrortrio aus Zwickau in
Verbindung stand. Es ist beschämend, dass die Täter im-
mer noch frei herumlaufen, während sich die Opfer auch
heute noch unwohl und unsicher fühlen.
In Leipzig gab es vor einem Jahr einen rassistischen
Mord an einem jungen Iraker namens Kamal K. Es dau-
erte eine ganze Weile, bis auch die Justiz anerkannte,
dass er Opfer rassistischer Gewalt wurde. In der Urteils-
begründung wurde angeführt: „Er hat das Opfer nicht als
Mensch gesehen, sondern als Ausländer, den man töten
kann.“
Lebenslange Haft bekam auch der Mörder von
Marwa al-Schirbini aus Dresden. Dieser tragische Vor-
fall ist Ihnen allen sicherlich noch in Erinnerung. Marwa
al-Schirbini hatte den Täter, der sie beschimpft hatte,
wegen Beleidigung verklagt. Sie wurde im Gericht er-
stochen, und ihr Ehemann wurde lebensgefährlich ver-
letzt.
Es ist traurig, dass die Debatte immer nur dann wie-
deraufgenommen wird, wenn etwas so Furchtbares ge-
schieht. Ich finde es wichtig, dass wir unsere Arbeit in
der Demokratie auf möglichst breiter Basis voranbrin-
gen. Wir sollten eine nachhaltige bundesweite Gesamt-
konzeption entwickeln. Dazu gehört auch, dass die
Reform der Ermittlungsbehörden unter die Lupe genom-
men wird. Nicht förderlich ist es, die zivilgesellschaftli-
chen Initiativen, die wir mehr denn je brauchen, weiter-
hin mit der Extremismusklausel, die von Ministerin
Schröder und anderen Unbelehrbaren immer noch auf-
rechterhalten wird, zu knebeln.
Weiterhin ist es wichtig, dass wir jeder Form von Dis-
kriminierung und Menschenfeindlichkeit besonders in
der Mitte der Gesellschaft entgegentreten. Wir brauchen
mehr Aufklärung, Prävention und Kooperation. Das sind
wir dem Schutz unserer Demokratie und dem Schutz der
Menschenwürde schuldig.
Danke.
Das Wort hat nun Helmut Brandt für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mehrfach ist schon dargestellt wor-
den, weshalb wir uns heute hier unterhalten. Es geht tat-
sächlich um eine große Diskrepanz – das ist unbestreit-
bar –, was die Zahlen angeht. Nach meiner Auffassung
ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage schon hinreichend deutlich geworden, woran
dies liegt. Der Staatssekretär hat eben schon darauf hin-
gewiesen, dass die Kriterien, die den offiziellen Zahlen
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ereinfacht gesagt, ergibt sich die große Differenz da-
urch, ob die Beurteilung, wie in dem einen Fall, aus-
chließlich anhand des Kriteriums erfolgt, ob der Täter
em rechten Milieu zuzuordnen ist, oder ob, wie in dem
nderen Fall, sich aufgrund des Ermittlungsverfahrens
nd der Feststellungen der Gerichte hat manifestieren
ssen, dass die Gesinnung des Täters bei der Tat aus-
chlaggebend war.
Ich möchte aber gar nicht mit Ihnen darüber streiten,
b die eine oder die andere Zahl die richtige ist. Ich bin
it Ole Schröder der Auffassung: Jedes einzelne Opfer
t ein Opfer zu viel.
h denke, dass wir darin übereinstimmen. Die unsägli-
he Mordserie der Neonazi-Bande aus Thüringen ist für
ns alle erschütternd. Es trifft uns in besonderer Weise,
ass solch verabscheuungswürdige Taten gerade in unse-
m Land passieren. Dabei wurde in den letzten Wochen,
atürlich immer vorschnell, von interessierter Seite zu-
indest unterschwellig die Behauptung aufgestellt, un-
ere Behörden seien auf dem rechten Auge blind. Das
uss ich allerdings mit Entschiedenheit zurückweisen.
den letzten Jahrzehnten haben gerade wir in der Bun-
esrepublik alles getan, um unsere Vergangenheit aufzu-
rbeiten, aber insbesondere auch, um den Rechtsextre-
ismus in seine Schranken zu weisen. Es ist nicht
estreitbar, dass dies nicht vollumfänglich gelungen ist.
In der letzten Sitzungswoche – das ist hier eben zu
echt erwähnt worden – haben wir uns in einer gemein-
amen Erklärung aller fünf Fraktionen ausdrücklich ge-
en den Extremismus ausgesprochen. Meine sehr ver-
hrten Damen und Herren von links bis rechts, ich
eine, wir sollten dieses Einvernehmen gerade in dieser
rage nicht aufgeben.
Wichtig ist im Augenblick, dass die Mordtaten um-
ssend aufgeklärt werden und eine umfassende Fehler-
nalyse vorgenommen wird. Ich danke hier ganz aus-
rücklich dem Innenminister, der hier besonnen, aber
uch mit großer Bestimmtheit nicht nur Konsequenzen
us diesen Taten gefordert hat, sondern auch unverzüg-
ch Arbeitskommissionen eingesetzt hat. Inzwischen
egt der Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer
erbunddatei zum Erfassen der Rechtsextremisten in
eutschland bereits vor.
Die Erkenntnisse, die sich hier ergeben, müssen über
ie Fehleranalyse hinaus zu konkreten Schritten führen.
abei müssen auch die Länder positiv mitwirken, wenn
ich herausstellen sollte, dass die bisherigen Strukturen
u Fehleinschätzungen geführt haben.
17394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Helmut Brandt
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Wie sonst sollte man sich erklären, dass noch im Verfas-
sungsschutzbericht 2010 davon die Rede ist, dass auch
im vergangenen Jahr „in Deutschland keine rechtsterro-
ristischen Strukturen feststellbar“ waren! Diese grobe
Fehleinschätzung, die nur wenige Monate nach der Ver-
öffentlichung des Verfassungsschutzberichtes erkennbar
wurde, ist nicht hinnehmbar.
Wenn Straftaten aus niederen Beweggründen heraus
begangen werden, wenn Menschen lediglich aufgrund
ihrer Hautfarbe, Herkunft oder sonstiger Merkmale getö-
tet werden, so muss dies Gründe haben. Für mich ist die
entscheidende Frage: Wie kann man mithin diesen geis-
tigen Sumpf austrocknen, der zu solchen Straftaten
führt?
Ich habe bereits auf den Verfassungsschutzbericht
2010 hingewiesen. Daraus möchte ich zitieren. Ich habe
mir lange überlegt, ob ich dieses schier unsägliche Zitat
überhaupt verwenden sollte. Ich meine aber, dass die Öf-
fentlichkeit wissen muss, dass es so etwas in unserem
Land tatsächlich gibt. Im Verfassungsschutzbericht ist
von „rechtsextremistischen Bands und Liedermachern“
die Rede. Es ist auch die Rede davon, dass im Jahr 2010
„mehrere deutsche Tonträger mit strafbaren Inhalten“ er-
schienen sind. Die Musikgruppe Braunau hat auf einem
Tonträger mit dem Titel Unsere Lösung heißt Gewalt ein
Lied mit folgendem Text veröffentlicht – ich zitiere
wörtlich –:
Man sieht sie überall im Land, ein Mischlingskind
an jeder Hand. Sie präsentieren die häßlichen Krö-
ten, mit denen sie unsere Rasse töten. … man
müßte ihnen in die Fresse rotzen. Sie rücksichtslos
zusammenschlagen und sie samt ihrer Brut aus
Deutschland jagen.
Meine Damen und Herren, es macht mich fassungslos
– das muss ich Ihnen ganz offen sagen –, dass so etwas
in unserem Land präsentiert wird.
Wer solche Musik verbreitet oder unterstützt, wer es
zulässt, dass im Umfeld seiner politischen Tätigkeit
Konzerte von Musikgruppen stattfinden, die solche und
ähnliche Texte verwenden, wer mithin dazu beiträgt,
dass Menschen aufgestachelt werden, brutalst gegen
Mitmenschen vorzugehen, der macht sich mitverant-
wortlich für das, was in den letzten 20 Jahren seit der
Wiedervereinigung in Deutschland passiert ist.
Volksverhetzung – um solche handelt es sich hier – ist
strafbar. Die Justiz ist gefordert, diese Straftaten auch
mit Nachdruck zu verfolgen.
Wenn bekannt ist, dass im Umfeld der NPD und in
der NPD selbst Funktionäre und Unterstützer existieren,
die Konzerte mit solchem „Liedgut“ veranstalten und
besuchen, so gibt es für mich keinen Zweifel daran, dass
die NPD nicht nur eine verfassungsfeindliche Partei ist.
Nein, sie ist auch eine Partei, die unseren Staat, unsere
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Das Wort hat nun Sönke Rix für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
ollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
olff, zunächst einmal muss ich es im Namen der SPD
eutlich zurückweisen, wenn Sie den politischen Extre-
ismus und den Antifaschismus auf eine Stufe stellen.
erade für die Sozialdemokraten als älteste demokrati-
che Partei, die auch darunter gelitten hat, von politi-
chen Extremisten verfolgt worden zu sein, unter ande-
m wegen antifaschistischer Arbeit, ist das eine be-
chämende Äußerung.
Grundsätzlich gibt es beim Umgang mit dem Thema
echtsextremismus zwei Strategien. Zum einen gibt es
ie Strategie für eine offene, demokratische und tole-
nte Gesellschaft, die wir unterstützen und fördern müs-
en. Zum anderen gibt es die Strategie, die besagt: Dort,
o rechtsextreme Strukturen vorhanden sind, müssen
ir ordnungspolitisch, also mit Polizei und den zuständi-
en Organen, dagegen angehen. Wir wollen hier auch
icht differenzieren, in dem Sinne, dass die eine Strate-
ie wichtiger als die andere ist; beides ist notwendig.
Besonders wichtig ist es, zu wissen, dass der Boden
es Rechtsextremismus dadurch gegeben ist, dass wir in
inigen Bundesländern mehr als nur einen kleinen Anteil
on NPD-Wählern oder von Nazis, die auf die Straße ge-
en, haben. Wir haben leider das Problem, dass Rassis-
us und Fremdenfeindlichkeit bis in die Mitte unserer
esellschaft reichen. Das ist der Boden für solche extre-
istischen Bewegungen. Das müssen wir anerkennen.
enn wir glauben, das sei nur eine Randerscheinung
nd kein Problem der Mitte unserer Gesellschaft, dann
önnen wir nicht mit zivilgesellschaftlichen und demo-
ratischen Aktionen dagegen vorgehen. Deshalb ist es
ichtig, dass wir die Zivilgesellschaft beim Kampf ge-
en Rechtsextremismus, aber vor allem bei ihrer Arbeit
r mehr Toleranz und Demokratie unterstützen.
azu gehört die politische Bildung; aber dazu gehört
uch, entsprechende Strukturen in den Kommunen vor-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17395
Sönke Rix
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)
zuhalten, damit sich solche Szenen nicht bilden können,
damit wieder anerkannt wird, dass die Demokratie das
bessere System ist. Es darf nicht wieder solche dramati-
schen Untersuchungen geben, in denen behauptet wird,
die Demokratie bringe uns nichts. Daran sollten wir alle
gemeinsam arbeiten.
Ich möchte noch etwas zur Statistik anmerken. Es ist
schon fragwürdig – es sind ja keine unseriösen Medien
und auch keine unseriösen Vereine und Verbände, die die
Statistik aufgestellt haben –, warum es eine solche Diffe-
renz zwischen der offiziellen Statistik und der durch die
Zivilgesellschaft und durch die Medien erarbeiteten Sta-
tistik gibt. Mich hätte gefreut, wenn vonseiten der Regie-
rungskoalition geäußert worden wäre: Ja, es gibt eine
dramatische Differenz, und die gilt es aufzuarbeiten.
Diese Aussage habe ich, so deutlich formuliert, leider
nicht gehört.
Selbstverständlich ist jedes Todesopfer, egal aus wel-
chem Grund getötet wurde, ein Opfer zu viel. Letztend-
lich kann man natürlich sagen: Das ist nur eine Statistik.
Es macht aber einen Unterschied, wenn ich als Angehö-
riger eines Opfers höre, dass ein Familienmitglied, zum
Beispiel mein Ehepartner, infolge eines Streits über eine
banale Sache Opfer einer Gewalttat wurde und die Ge-
walttat keinen rassistischen Hintergrund hat. Gerade das
zeigen ja die sogenannten Döner-Morde. In diesen Fäl-
len wurde immer davon ausgegangen, dass es keinen
rassistischen Hintergrund gibt. Es ist wichtig, dass der
rassistische Hintergrund deutlich gemacht wird.
Wir können nur dann dagegen vorgehen, wenn wir den
rassistischen Hintergrund anerkennen. Ich glaube, wir
alle gemeinsam sind es den Angehörigen dieser Opfer
schuldig, zu sagen: Ja, wir überarbeiten die Kriterien
dieser Statistik gemeinsam. Wir sollten den Angehörigen
der Opfer sagen: Ja, euer Angehöriger ist Opfer rechter
Gewalt geworden.
Danke schön.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
legen Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Dieser Tage waren Vertreter der Grünen und der
FDP-Fraktion bei einer Veranstaltung des Deutschen
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Alexander von Brünneck hat ein Buch über die Justiz
der frühen Bundesrepublik geschrieben. Er hat deswe-
en selbst Probleme bekommen. Er ist der Frage nachge-
angen, wie man in der frühen Bundesrepublik mit poli-
schen Prozessen umgegangen ist. Er hat gezeigt, dass
amals in der Tat eine Einseitigkeit bei der politischen
ewertung vorherrschte und man oft nicht genau hinge-
chaut hat, wenn es Vorfälle von rechts gab. Ich bin al-
rdings der Meinung, dass wir seitdem eine viel reifere
esellschaft geworden sind. Ich glaube, wir alle kennen
olizistinnen und Polizisten, aber niemand von uns
ürde ihnen unterstellen, dass sie Taten, die hier von
chter Seite begangen wurden, vertuschen oder auch
ur verharmlosen wollen. Diesbezüglich sind wir heute
iel weiter als in der frühen Bundesrepublik.
Ich finde die Art, in der Frau Pau das hier thematisiert
at, vollkommen richtig. Natürlich ist es ein Stachel in
nserem Fleisch, wenn ein Fall in unserer Statistik nicht
okumentiert ist. Wir müssen darüber nachdenken, wa-
m dieser Fall nicht dokumentiert wurde. Wir müssen
ei jedem einzelnen Fall fragen: Wie konnte es dazu
ommen? Wir sollten aber nicht so tun – das haben Sie
uch nicht getan –, als ob dahinter ein bösartiger Kom-
lott steht.
Insofern bitte ich alle Beteiligten, den Schmerz, den
ieser Rechtsextremismus uns allen als Demokraten zu-
gt, noch eine gewisse Zeit so zu empfinden. Wir soll-
n nicht so schnell nach Lösungen suchen, sei es das
PD-Verbot, seien es konkrete Gesetze oder andere
inge. Wir sollten den Schmerz einfach noch ein biss-
hen aushalten. Wir müssen uns der Sache zivilgesell-
chaftlich nähern und sollten nicht zu schnell vermeint-
che Lösungen präsentieren; denn wir alle müssen, so
laube ich, registrieren, dass es angesichts dieses Phäno-
ens eine einfache Antwort nicht gibt. Deswegen brau-
hen wir mehr Ermittlungen. Wir müssen jedem einzel-
en Fall nachgehen. Unterstellungen wie die meinem
ollegen Wolff gegenüber sind der Sache sicherlich
icht dienlich.
17396 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Stefan Ruppert
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Ich glaube, wir sollten hier gemeinsam vorgehen und
nicht schon jetzt Differenzen suchen, wo eigentlich
keine sind.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7990.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von Linken und Grünen bei Enthaltung
der SPD abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na-
tionen von 1982 und der Resolutionen 1814
vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom
2. Juni 2008, 1838 vom 7. Oktober 2008,
1846 vom 2. Dezember 2008, 1897
vom 30. November 2009, 1950 (2010)
vom 23. November 2010 und nachfolgender
Resolutionen des Sicherheitsrates der Verein-
ten Nationen in Verbindung mit der Gemein-
samen Aktion 2008/851/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 10. November 2008,
dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 8. Dezember 2009,
dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und
dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 7. Dezember 2010
– Drucksachen 17/7742, 17/7996 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/8004 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Auf der Grundlage der einschlägigen Beschlüsse
es UN-Sicherheitsrates empfiehlt die Bundesregierung
ie weitere Teilnahme an der gemeinsamen EU-geführ-
n Mission Atalanta zur Gewährung der Sicherheit auf
en Seewegen am Horn von Afrika. Dabei ist festzustel-
n, dass dieses Mandat bisher erfolgreich ist. Seit sei-
em Bestehen wurden circa 100 Schiffstransporte im
uftrag des Welternährungsprogramms durchgeführt
nd circa 700 000 Tonnen Nahrungsmittel zuzüglich an-
erer Versorgungsgüter erfolgreich nach Somalia ge-
racht. Genauso ist festzustellen, dass es im letzten Jahr
eniger erfolgreiche Kaperungen durch Piraten gab. Das
eißt, erstmals war die Zahl der erfolgreichen Übergriffe
uf zivile Schiffe rückgängig. Ich denke, das spricht da-
r, dass dieses Mandat verlängert werden sollte.
Auch die deutsche Hilfe bei der Ausbildung somali-
cher Truppen in Uganda sollte fortgesetzt werden; denn
ines ist klar: Wir betreiben durch die Sicherung der
eewege nur Symptombekämpfung. Das heißt, parallel
u dem Mandat muss die Übergangsregierung in Soma-
a weiterhin politisch unterstützt werden. Uns wird im-
er wieder vorgeworfen – Herr van Aken, ich weiß, Sie
erden es wieder tun –, dass wir eine Regierung unter-
tützen, die nicht vollständig von der Bevölkerung getra-
en wird. Das ist uns wohl bewusst. Aber diese Regie-
ng – eine Übergangsregierung in einem völlig
errütteten Staatswesen – wird von der Afrikanischen
nion und der zuständigen Regionalorganisation für
stafrika unterstützt. Letztendlich ist sie die einzige
offnung darauf, dass man dort irgendwann zu geordne-
n staatlichen Strukturen zurückkehrt. Auf jeden Fall
auen wir der Afrikanischen Union und ihrer Regional-
rganisation eher zu, das zu beurteilen, als Ihnen.
Wir verfolgen insofern einen Ansatz mit zwei Zielen:
ir sichern durch den Einsatz unserer Schiffe, soweit
öglich, die Seewege und somit die humanitäre Versor-
ung der Menschen im Land; dies ist in der letzten Zeit
ichtiger und nicht unwichtiger geworden. Gleichzeitig
nterstützen wir einen politischen Prozess, der irgend-
ann hoffentlich zum Wiederaufbau geordneter staatli-
her Strukturen führt. Deshalb kommen wir zu dem
chluss, dass dieser Einsatz aus humanitären und aus
olitischen Gründen weiterhin geboten ist und dass das
andat verlängert werden muss.
Danke schön.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17397
Joachim Spatz
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)
Das Wort hat nun Karin Evers-Meyer für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch im dritten Jahr der Mission Atalanta bleibt die See-
fahrt vor Somalia gefährlich. Über 90 Prozent aller Pira-
tenübergriffe weltweit konzentrieren sich auf diese
Region. Im vergangenen Jahr gab es allein vor der soma-
lischen Küste fast 50 Schiffsentführungen. Über 1 000
Seeleute wurden zu Geiseln der Piraten, und es ist nicht
anzunehmen, dass es 2011 besser sein wird. Das heißt
für uns: Atalanta bleibt eine notwendige Mission. Ata-
lanta bleibt ein wichtiger Bestandteil des Maßnahmenpa-
kets, das notwendig ist, um das Sicherheitsproblem vor
der somalischen Küste zu lösen.
Sicherheit vor der Küste Afrikas zu schaffen, ist ein
zentraler Beitrag, um die dringend notwendige humani-
täre Hilfe für Somalia zu gewährleisten. Es geht darum,
die Lieferungen von Hilfsgütern des Welternährungspro-
gramms nach Somalia sicherzustellen. Wie uns die Hun-
gerkatastrophe in diesem Jahr beweist, ist die Bevölke-
rung von Somalia dringend darauf angewiesen, und es
ist in unserem Interesse, dass wir Hunger und Not vor
Ort lindern. Denn Hunger und Not sind die bitteren
Nachschubgaranten für die kriminellen Banden, die vor
der somalischen Küste ihr Unwesen treiben.
Über 4 Millionen Menschen in Somalia sind abhängig
von Hilfen der internationalen Gemeinschaft. Diese
Hilfe läuft eben vor allem über See. Daher bleibt es rich-
tig, die Hilfstransporte nach Somalia auf dem Seeweg
abzusichern. Seit es den Geleitschutz für die Hilfsgüter
nach Somalia gibt, wurde kein Schiff mehr von Piraten
überfallen. Über 700 000 Tonnen Nahrungsmittel konn-
ten so im letzten Jahr ihr Ziel erreichen. Das ist ein ech-
ter Erfolg, über den wir eigentlich viel zu wenig spre-
chen, wenn wir über den Sinn von Atalanta reden.
Das humanitäre Interesse an dieser Mission steht zu
Recht im Vordergrund. Es gibt für unser Land aber auch
ein wirtschaftliches Interesse. Deutschland ist, wie wir
alle wissen, ein äußerst erfolgreiches Exportland. Das
soll ja auch so bleiben. Gerade deswegen brauchen wir
nicht nur gute Produkte; wir sind auch auf sichere Han-
delswege angewiesen. Diese Handelswege sind eben im
Falle Deutschlands zu über 90 Prozent Seewege. Die
Route durch den Suezkanal und den Golf von Aden ist
einer dieser wichtigen Handelswege. Als Exportnation
haben wir ein fundamentales Interesse daran, dass dieser
Weg sicher bleibt. Daher muss eines ganz klar sein: Wir
werden uns sehr konsequent für die Sicherheit unserer
Handelswege nicht nur mit militärischen Mitteln, aber
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Die Mission Atalanta sorgt also seit 2008 dafür, dass
ir am Golf von Aden inzwischen eine weitgehend sta-
ile Situation haben. Ein Teil der Angriffe hat sich aber
or die Ostküste Somalias verlagert. Das macht noch
inmal klar, dass der Kampf gegen die Piraterie vor So-
alia noch nicht vorbei ist. Für die Stabilität und Sicher-
eit der Seewege und natürlich auch für die Sicherheit
erer, die diese Wege befahren, brauchen wir weiterhin
ie Unterstützung durch die Marine. Atalanta wird wei-
r benötigt. Deshalb wird meine Fraktion dem Mandat
ustimmen.
Wir wollen aber natürlich auch die Defizite der deut-
chen Politik in diesem Bereich deutlich benennen. So
hlt bis heute ein stringentes Konzept der Bundesregie-
ng, wie sie denn gemeinsam mit unseren Partnernatio-
en die Piraterie vor Somalia nachhaltig bekämpfen will.
h habe es schon gesagt: Die Ursachen für die Piraterie
egen an Land. Wir werden die Mission Atalanta erst
eenden können, wenn die Ursachen für die Piraterie be-
eitigt sind.
eder, der sich die Bilder der kleinen Piratenboote an-
ieht, von denen aus auf hoher See die Handelsschiffe
ngegriffen werden, bekommt eine Vorstellung davon,
elches Elend und welche Armut an Land herrschen
üssen, um die Piraten zu solchen waghalsigen Angrif-
n zu treiben. Im Mandatstext führen Sie zwar einige
aßnahmen auf, die dabei helfen sollen, die Ursachen
er Piraterie zu bekämpfen – diese Schritte sind richtig –;
ber das sind viel zu kleine Schritte, und sie sind zu zö-
erlich.
Mir ist natürlich klar, dass es unglaublich schwierig
t, in diesem zerrütteten Land so etwas wie staatliche
trukturen aufzubauen und zu fördern. Genauso schwie-
g ist es sicherlich, dort eine vernünftige wirtschaftliche
ntwicklung in Gang zu bringen. Aber dass es schwierig
t, kann doch nicht bedeuten, dass wir so gut wie gar
ichts vor Ort unternehmen. Es wäre aus meiner Sicht an
er Zeit, dass wir die Unterstützung für ein Land wie So-
alia gemeinsam mit unseren internationalen Partnern
rganisieren. Wir Deutschen sind nicht die Einzigen, die
in Interesse an stabilen Verhältnissen dort haben. Dazu
ndet sich im Mandatstext aber so gut wie nichts. Ich
ill von Ihnen wissen, welche Schritte die Bundesregie-
ng hier unternehmen will und – vor allem – ob sie da-
ei auf unsere internationalen Partner zugehen will.
Ein ganz wichtiges Thema ist die Strafverfolgung.
ie wollen wir das regeln? Wir können dieses Thema ja
icht irgendwelchen exotischen Inseln überlassen. Die
oote der Piraten zu zerstören, ist auch nicht der Weis-
eit letzter Schluss. Also: Die Pirateriebekämpfung ist
tückwerk. Neben Atalanta gibt es Missionen der USA,
er NATO, Russlands und Indiens. Außerdem haben
hina, einige arabische Staaten und Japan Schiffe vor
ie somalische Küste entsandt. Das zeigt, wie viele Län-
17398 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Karin Evers-Meyer
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der diese Bedrohung ernst nehmen. Aber es wäre besser
und sehr wahrscheinlich auch effektiver, wenn man
diese Einsätze bündeln würde; es liegt ja auch ein ent-
sprechender Beschluss des UN-Sicherheitsrates vor.
Deswegen regen wir an, eine gemeinsame UN-Mission
zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia einzurichten.
Das wäre dann auch die Chance, die Bekämpfung der
Piraterie an Land auf eine breitere Grundlage zu stellen.
Es ist höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung mit
mehr Engagement als bisher daranmacht, die Ursachen
gemeinsam zu bekämpfen. Denn wenn wir die Zustände
in Somalia nicht in den Griff bekommen, werden wir
auch die Situation vor Somalia nicht in den Griff bekom-
men. Ein Dauermandat für unsere Marine vor der soma-
lischen Küste kann nicht unser Ziel sein. Ein solches
Mandat wird es mit uns auch nicht geben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
daran erinnern, dass bis zu 1 400 deutsche Soldatinnen
und Soldaten bis 2012 im Rahmen von Atalanta einge-
setzt sein werden. Damit ist diese Mission, anders als
etwa UNIFIL, personell gut ausgestattet. Im Namen mei-
ner Fraktion danke ich von hier aus allen Soldatinnen
und Soldaten, die bei Atalanta eingesetzt sind, für ihren
Einsatz. Die Fregatte Köln hat das Einsatzgebiet vor ge-
nau einer Woche verlassen und befindet sich auf Heimat-
kurs in Richtung Wilhelmshaven. Ich denke, es ist im
Sinne des ganzen Hauses, den Soldatinnen und Soldaten
der Fregatte Köln von hier aus eine gute Heimkehr zu
wünschen und ihnen stellvertretend für alle anderen, die
an diesem Einsatz beteiligt sind, für ihr Engagement zu
danken.
Es ist eine besondere Herausforderung, unter diesen
schwierigen klimatischen Bedingungen Tausende Kilo-
meter von Deutschland entfernt Dienst zu tun, einen
Dienst, der große Aufmerksamkeit erfordert und die Fä-
higkeit, innerhalb weniger Minuten die richtige Ent-
scheidung zu treffen. Die deutschen Einheiten haben das
bisher gut hinbekommen und bei Atalanta wirklich gute
Arbeit geleistet. Das wird allseits anerkannt. Ich bin mir
sicher, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Florian Hahn für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-
gen! Piraterie ist ein Verbrechen und wird international
geächtet. Sie muss global verfolgt werden; denn sie fügt
auch der internationalen Gemeinschaft erheblichen
Schaden zu. Die Piraterie am Horn von Afrika ist nichts
anderes als organisierte Kriminalität. Sie richtet sich
nicht nur gegen Waren, sondern auch gegen Menschen.
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Strategie für das Horn von Afrika verabschiedet. Sie hat
damit klargemacht, dass wir das Ziel von Frieden, Si-
cherheit und guter Regierungsführung nicht aus den Au-
gen verlieren werden.
In der gestrigen Sitzung des Rats für Außenbeziehun-
gen in Brüssel wurde noch einmal über die derzeitige Si-
tuation beraten. Ich begrüße es, dass die Bundesregie-
rung eine Erweiterung des Mandats bis an die Strände
Somalias prüfen wird. Sofern diese Prüfungen positiv
ausfallen, müssten wir das Mandat im Frühjahr nächsten
Jahres gegebenenfalls anpassen.
An dieser Stelle möchte ich den 558 Frauen und Män-
nern der Bundeswehr, die derzeit ihren Dienst am Horn
von Afrika leisten, meine Anerkennung und meinen
Dank aussprechen und weiterhin Gottes Segen wün-
schen.
Insbesondere möchte ich hierbei die Fregatte Bayern er-
wähnen, in deren Freundeskreis ich Mitglied bin. Mit
großem Interesse verfolge ich die Berichte von Bord, die
alle paar Wochen zu uns kommen. Es freut mich, zu hö-
ren, dass wir hier eine ausgezeichnete Crew und eine
gute Führungsriege an Bord haben, die mit viel Elan und
Einsatz die tagtäglichen Herausforderungen in ausge-
zeichneter Weise meistern. In wenigen Tagen wird die
Bayern heimkehren – nicht an den Tegernsee, das ist
klar, aber nach Hause.
Meine Damen und Herren, unser Kompass ist klar: Es
gilt, zu helfen, wo die Werte des Völkerrechts bedroht
sind. Wir stimmen für die Verlängerung des Atalanta-
Mandats.
Das Wort hat nun Jan van Aken für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wollen
heute zum dritten Mal die Beteiligung am Militäreinsatz
Atalanta verlängern.
Ich frage mich die ganze Zeit: Warum eigentlich?
Die Menschen in Somalia leben immer noch in bit-
terster Not, sie leiden unter Armut und einem Bürger-
krieg, der die Entwicklung in dem Land seit Jahren be-
hindert. In den letzten Jahren, seit es Atalanta gibt, hat
sich die Situation immer weiter verschlechtert. Jetzt
kommt auch noch diese Dürrekatastrophe dazu: 4 Mil-
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Das Problem der Piraterie – das sagen Sie alle – lässt
ich nur an Land bekämpfen, nur mit einer politischen
trategie. Hier würde mich doch wirklich einmal interes-
ieren: Was haben Sie in den letzten drei Jahren für eine
olitische Lösung getan? Was haben Sie getan, um den
ürgerkrieg zu deeskalieren? Was haben Sie getan, um
ndlich eine Waffenruhe und Verhandlungen zu ermögli-
hen? Was haben Sie getan, um die Einmischung der
achbarstaaten zu beenden? Und was haben Sie getan,
m endlich eine lokale wirtschaftliche Entwicklung zu
rdern? Nichts, nichts und wieder nichts.
Gestern im Ausschuss habe ich Herrn Westerwelle
enau das gefragt: Was haben Sie konkret getan, außer
riegsschiffe zu schicken? Wissen Sie, was er geantwor-
t hat? Er hat geantwortet: Ich kann Ihnen gerne unser
onzept für Somalia vorstellen. – Konzepte kann er
chreiben, wenn er in der Opposition ist, aber als Außen-
inister muss er doch handeln.
infach nur Kriegsschiffe schicken und nicht eine ein-
ige Sache für die Menschen in Somalia zu tun, finde ich
nverantwortlich.
Sie haben bis heute einfach keine politische Strategie.
re Fixierung auf das rein Militärische kann nichts zu
em dringend notwendigen Friedensprozess beitragen.
Gegenteil: Sie unterstützen völlig einseitig eine Par-
i im Bürgerkrieg. Sie bilden deren Soldaten noch aus,
nd dann wundern Sie sich, dass die Gewalt immer wei-
r eskaliert. Das ist genau der falsche Weg.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus
en Reihen der FDP?
Gern.
17400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Herr van Aken, Sie behaupten, dass für das humani-
täre Engagement in Somalia nichts getan wird. Sind Sie
in der Lage, nachzuvollziehen, dass das Atalanta-Man-
dat unter anderem die wesentliche Aufgabe hat, die Nah-
rungsmitteltransporte nach Somalia zu beschützen, um
so zu helfen, dass die Menschen dort nicht verhungern?
Das ist das, was Sie jetzt sagen. Wo, bitte sehr, treiben
sich die manchmal bis zu 46 Kriegsschiffe denn herum?
Begleiten diese 46 Kriegsschiffe ausschließlich die
Schiffe des World Food Programme? Das ist eben nicht
der Fall. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Sie suchen
hier händeringend nach einer Entschuldigung, nach ei-
nem Grund, nach irgendeiner guten Nachricht, weil Sie
genau wissen, dass Sie nichts für eine politische Lösung
im Land tun. Herr Westerwelle stellt sich immer hin und
sagt: „Es kann nur im Land gelöst werden“, tut aber
nichts. Dann finden Sie etwas und ignorieren, dass die
meisten dieser Kriegsschiffe in dem ganzen großen Ge-
biet eingesetzt werden – fernab von den Hilfsschiffen
des World Food Programme. Deswegen ist es eine völlig
scheinheilige Argumentation von Ihrer Seite.
Wir sind deshalb der Meinung – damit Sie den Kon-
flikt nicht weiter eskalieren –, dass Sie die Ausbildung
somalischer Soldaten einstellen und endlich damit auf-
hören sollten, die wahnsinnig großen Herausforderungen
in dieser Region immer nur durch die militärische und
polizeiliche Brille zu sehen.
Das gilt auch für den Militäreinsatz Atalanta. Ver-
meintliche Piratenschiffe werden nicht nur beschossen,
sondern auch versenkt – ohne jeden Beweis. Der bloße
Verdacht genügt. Herr Stinner von der FDP hat es ges-
tern im Ausschuss noch bestritten. Herr Stinner, ich
muss Ihnen sagen, Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht
gemacht. Jede Woche bekommen wir Meldungen von
der Bundesregierung über die verschiedenen Militärein-
sätze. Wenn Sie sich die genau durchlesen, stellen Sie
fest, dass dort beispielsweise steht: Auftrag, die beiden
Motorboote zu zerstören, oder: Motorboote durch Be-
schuss versenkt, usw. Die Bundesmarine hat haufen-
weise Boote versenkt. Sie sind der Einzige in Ihrer Frak-
tion, der überhaupt ein bisschen über dieses Mandat
Bescheid wissen müsste. Wenn nicht einmal Sie wissen,
was vor Ort passiert, wie können Sie dann guten Gewis-
sens einem solchen Mandat zustimmen?
Machen Sie das nächste Mal bitte Ihre Hausaufgaben!
Die Piraterie bekämpfen Sie mit der Methode jeden-
falls nicht. Sie sorgen doch einfach nur dafür, dass auf
See immer weiter aufgerüstet wird. Deshalb lehnen wir
diesen Antrag ab.
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iese Menschen können nur von See her versorgt wer-
en; das wurde auch von Ihnen nicht bestritten. Die
chiffe auf See werden aber von Piraten bedroht. Das
eißt, ohne den sicheren Geleitschutz für die Schiffe des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17401
Kerstin Müller
)
Welternährungsprogrammes können wir die Menschen
in Somalia nicht mit Nahrungsmitteln versorgen. Genau
das leistet Atalanta. Deshalb ist es richtig, diesem Man-
dat zuzustimmen.
– Rufen Sie hier nicht rein! Machen Sie einen Vorschlag.
Sie haben keinen Vorschlag dazu gemacht, wie Sie diese
4 Millionen Menschen versorgen wollen, genauso wie
beim letzten Mal. Sie sprechen von der Ursachenbe-
kämpfung. Das ist richtig.
– Ja, das wollen wir alle. Aber wissen Sie was? Sie wis-
sen genau, dass das nicht von heute auf morgen geht. So-
malia ist seit mehr als 20 Jahren ein gescheiterter Staat.
Es wird hier keine schnellen Lösungen geben. Auch das
haben Sie verschwiegen. Das finde ich unverantwort-
lich; denn es ist nicht so einfach, eine friedliche Lösung
für Somalia und das Horn von Afrika zu finden.
Wenn man all das macht, was Sie vorgeschlagen ha-
ben – es sei dahingestellt, ob das vernünftig ist –, stellt
sich die Frage: Was passiert in der Zwischenzeit? Wollen
Sie die Menschen verhungern lassen, bis diese Lösungs-
ansätze greifen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das
Ihr Ernst ist.
Wenn Sie sagen, dass nicht Atalanta oder andere mul-
tilaterale Organisationen dort tätig sein sollen: Was ist
dann die Alternative? Die Alternative ist, dass die Black-
waters dieser Welt auf Container- und Getreideschiffen
künftig für Sicherheit sorgen. Ich frage Sie: Wollen Sie
das? Wir wollen das nicht, weil wir das für eine gefährli-
che Militarisierung der zivilen Schifffahrt halten. Genau
das wollen wir nicht.
Auch das ist für uns ein Grund, diesem vernünftigen
Mandat zuzustimmen.
Die Hungerkatastrophe wird noch dadurch verschärft,
dass die al-Schabab-Milizen die humanitäre Hilfe poli-
tisch instrumentalisieren. Am Montag wurden 16 Büros
wichtiger Hilfsorganisationen zur Versorgung der Hun-
gernden durch die al-Schabab geplündert und geschlos-
sen. Darunter sind UNICEF, WHO und die GIZ. Das
zeigt noch einmal ganz klar, wie skrupellos bestimmte
al-Schabab-Milizen ihren Krieg führen. Ich will hier
sehr deutlich sagen: Wir verurteilen das auf das
Schärfste. Das ist absolut zynisch! Das ist absolut inak-
zeptabel! Wir fordern, dass die Schließung der Büros
dieser Hilfsorganisationen sofort wieder rückgängig ge-
macht wird.
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Leider ist zu befürchten – das möchte ich hier anspre-
hen –, dass dies auch eine Reaktion auf die militärische
tervention Kenias ist. Ich finde es ziemlich befremd-
ch, meine Damen und Herren von der Bundesregie-
ng, dass wir hierzu bis heute nichts Kritisches gehört
aben. Nicht nur, dass dieser Schritt nicht mit der soma-
schen Übergangsregierung abgesprochen war – der
räsident der TFG hat protestiert –, sondern er ist auch
ehr riskant für Somalia und das Horn von Afrika.
Wenn wir im Sinne echter Krisenprävention nicht
chtzeitig gegensteuern, können der zusätzliche Ein-
arsch äthiopischer Truppen, die Waffenlieferungen an
l-Schabab aus Eritrea, also das Wiederaufflammen des
wigen Stellvertreterkrieges zwischen diesen beiden
ändern, zu einem Flächenbrand am gesamten Horn von
frika führen. Das dürfen wir nicht zulassen. Diese mili-
rische Intervention ist für die Lage der Flüchtlinge und
ungernden verheerend. Statt Schutz und Nahrung zu
rhalten, geraten sie noch einmal zwischen die Kriegs-
onten.
Wenn wir den Menschen langfristig helfen wollen
das heißt hier, das eine tun, ohne das andere zu lassen –,
ann brauchen wir jetzt einen Strategiewechsel in der
uropäischen und internationalen Somalia-Politik. Ich
eine, dass man auf Distanz zu der korrupten und unfä-
igen Übergangsregierung gehen muss. Sie haben ge-
agt, Herr Kollege Spatz, die AU arbeite mit ihr zusam-
en. Die AU ist nicht die einzige und letzte Instanz, die
r uns einziges Kriterium sein darf.
enn die Afrikanische Union hat schon oft versagt, zum
eispiel in Libyen, wo sie bis zuletzt an Gaddafi festge-
alten hat.
Die Übergangsregierung hat bisher versagt. Das ist
iemlich klar. Wir müssen daher viel stärker auf den
ufbau lokaler und auch regionaler Strukturen setzen,
ie es gibt. Dazu gehört auch – das sage ich offen –, ei-
en Dialog zumindest mit den gesprächsbereiten Teilen
er al-Schabab zu versuchen, ohne den es keine Versöh-
ung geben wird. Das sagen alle Fachleute, und das for-
ern auch die erfahrenen NGOs vor Ort, sofern sie noch
ort sind.
Also: Eine Friedenslösung für Somalia ist nicht ein-
ch. Aber ich meine, dass die Bundesregierung
Deutschland hat einen Sitz im Sicherheitsrat – den da-
insiechenden Friedensprozess etwas mutiger voranbrin-
en muss. Denn die Menschen in Somalia brauchen eine
ukunft. Auch da haben wir eine Verantwortung.
Danke.
)
17402 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Das Wort hat nun Burkhardt Müller-Sönksen für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Mission Atalanta ist ein Erfolg; sie ist ein Erfolg für die
Bevölkerung von Somalia. In diesem Jahr hat jedes der
Schiffe des Welternährungsprogramms, das in die soma-
lischen Häfen geschickt wurde, diese auch erreicht. Das
ist der Beweis, Herr van Aken, dass Sie nicht recht ha-
ben und dass Atalanta ein Erfolg ist.
Die Mission Atalanta ist auch ein wichtiger Baustein
zur Verbesserung der Sicherheit der Handelsschifffahrt
am Horn von Afrika. Auch wenn die Zahl der Angriffe
weiterhin auf demselben Niveau wie im Vorjahr geblie-
ben ist,
hat sich die Zahl der erfolgreichen Entführungen hal-
biert.
Um der Piraterie zu begegnen, braucht es eine umfas-
sende Strategie, die weit über den militärischen Bereich
hinausreicht. Wir stärken durch eine Vielzahl von Maß-
nahmen die staatlichen Institutionen vor Ort, in der Re-
gion. Ziel ist es, dass sie immer stärker auch selbst gegen
die Piraterie vorgehen können.
Eines sage ich ganz deutlich, weil es in den Debatten
von den Linken, wie auch heute wieder von Ihnen, Herr
van Aken, immer wieder bestritten wird: Piraterie ist
mitnichten ein Ausdruck des Protests der notleidenden
somalischen Bevölkerung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Nein. – Piraterie ist eine der schwersten Formen orga-
nisierter Kriminalität.
Die Piraten und ihre Hintermänner nehmen Mord, Tot-
schlag und Entführung billigend in Kauf.
In den letzten Monaten wurde häufig über die Mög-
lichkeit diskutiert, Soldaten an Bord deutscher Schiffe
zu nehmen. Bei jährlich mehr als 3 000 Schiffen allein
unter deutscher Flagge sind solche Vorschläge illuso-
risch. Um den Schutz der Besatzungen weiter zu erhö-
hen, ist es notwendig, die Sicherheitsmaßnahmen an
Bord laufend zu verbessern. Die Reeder leisten hierbei
unter anderem mit der Einrichtung von Schutzräumen ei-
nen wichtigen Beitrag.
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Für uns als FDP ist in der Frage des Einsatzes privater
icherheitskräfte ein Punkt nicht verhandelbar: Mit uns
ird es keine Kriegswaffen in privaten Händen an Bord
eben.
Die Mission Atalanta leistet einen wichtigen Beitrag
icht nur für die maritime Sicherheit, sondern dient vor
llem auch der Verbesserung der Situation der somali-
chen Bevölkerung. Damit diese wichtige Arbeit fortge-
etzt werden kann, bitte auch ich Sie um Zustimmung
ur Verlängerung des Mandats.
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Hans-
hristian Ströbele das Wort.
Herr Kollege, trotz der Nichtzulassung meiner Frage
ommen Sie nicht drum herum, meine Meinung zu hö-
n. Sie können sich dann auch dazu äußern.
Sie haben gesagt, Aufgabe sei die Sicherung der Lie-
rungen des World Food Programmes, des Welternäh-
ngsprogramms. Sie haben hinzugefügt, es sei aber
uch Aufgabe der Kriegsschiffe der kriegsführenden
taaten dort, die Handelswege zu sichern.
So etwas Ähnliches habe ich vorhin schon von der
ollegin von der SPD, Frau Evers-Meyer, gehört. Für
ich stellt sich deshalb die Frage: Ist es nun tatsächlich
ach Auffassung des Deutschen Bundestages – derer, die
ier zustimmen –, Aufgabe der Bundeswehr, in Zukunft
andelswege für die deutsche Exportnation zu sichern?
ann sollte man das auch laut so sagen.
Ich erinnere mich daran, dass der frühere Bundesprä-
ident aufgrund einer Interviewäußerung, in der er das
hnlich in den Raum gestellt hat, Veranlassung gesehen
at, sein Amt abzugeben. Deshalb stellt sich doch ernst-
aft die Frage – die müssen Sie gegenüber der deutschen
evölkerung beantworten –: Ist es Aufgabe der Bundes-
ehr, einer Bundeswehr, die jetzt nicht mehr aus Wehr-
flichtigen besteht, in Zukunft die Handelswege für die
xportnation Deutschland zu sichern? Wenn das so ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17403
Hans-Christian Ströbele
)
)
– und das hört sich hier heute so an –, dann schreiben Sie
das auch in den Auftrag hinein, damit die Bevölkerung
weiß, wofür sie entweder zur Bundeswehr geht oder wo-
für sie Steuern für die Bundeswehr zahlt.
Meiner Meinung nach darf das nicht Aufgabe der
Bundeswehr sein, zumal wenn – wie auch in diesem Fall
an der Küste von Somalia – es Alternativen gibt und der
Einsatz der Bundeswehr bzw. der Einsatz der Atalanta-
Truppen eben nicht das letzte Mittel, sondern ein Mittel
lange vor dem letzten Mittel ist.
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Ströbele, vielen Dank. – Ich will es kurz
machen. Einmal verweise ich auf das Weißbuch und zum
anderen auf Nr. 2 b) des Mandates, des Antrags der Bun-
desregierung. Ich zitiere:
… b) aufgrund einer Einzelfallbewertung der Erfor-
dernisse Schutz von zivilen Schiffen in den Gebie-
ten, in denen sie im Einsatz ist; …
Dazu gehören selbstverständlich auch die deutschen
Schiffe, von denen ich gerade gesprochen habe.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
legen Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Ströbele, vielleicht schauen Sie auch ein-
fach einmal auf die Homepage des Bundesverteidi-
gungsministeriums. Der können Sie entnehmen:
Auftrag der Mission
Neben dem Schutz der Handelsschifffahrt im Golf
von Aden und entlang der somalischen Küste beste-
hen deren weitere Aufgaben im Schutz der Schiffe
des Welternährungsprogramms für Hilfslieferungen
nach Somalia.
Das ist also keine geheime Kommandosache oder Ähnli-
ches.
Ich empfehle sowieso vielen Mitgliedern dieses Hau-
ses, insbesondere auf der linken Seite, doch einmal nur
die Stichworte „Somalia“, „Versorgung“, „Einwohner“,
„Sterblichkeitsrate“ in eine Suchmaschine im Internet
einzugeben. Dazu können die Menschen alles bei
Google finden und nachlesen. Diejenigen, die sich mit
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man, wenn man mit den Rebellen nicht zusammenarbei-
tet, eine Perspektive hat.
Herr van Aken, die Art und Weise, wie Sie hier auf-
treten, ist für mich militante Menschenverachtung
und keine Rücksichtnahme auf diejenigen, die keine
Chance haben, sich selbst zu helfen, sondern die auf die
Weltgemeinschaft angewiesen sind, damit sie im Kampf
ums Überleben unterstützt werden. Ich bitte die große
Mehrheit dieses Hauses, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich habe eine weitere Bitte an die Grünen. Die Grü-
nen haben ja einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich
möchte Sie bitten, mit den anderen Fraktionen zu reden,
bevor Sie einen solchen Entschließungsantrag vorlegen.
Ich sehe in diesem Entschließungsantrag sehr viele gute
Ansätze; ich könnte sie Punkt für Punkt zitieren. Ich
glaube, gerade die Stabilisierung Somalias ist ein
Thema, an dem wir gemeinsam arbeiten können, weil es
viele Gemeinsamkeiten gibt. Die wenigen trennenden
Punkte sollten beiseitegeschoben werden.
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen
Gehrcke das Wort.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Ich weiß, Sie wollen
abstimmen; es ist ja auch das Recht und die Verpflich-
tung des Parlaments, abzustimmen.
Ich möchte nicht stehen lassen, dass meinem Kolle-
gen van Aken „militante Menschenverachtung“ vorge-
halten wird.
Ich bitte Sie: Überlegen Sie sich einmal, was Sie hier
ausführen. Sie können die Güte, die Korrektheit unserer
Konzepte bezweifeln. Sie können zur Kenntnis nehmen,
dass wir selber darüber nachdenken, was möglich und
was nicht möglich ist; dass wir skeptisch sind, ob es
wirklich so ist, dass nicht Militär, sondern zivile Hilfe
und die politische Auseinandersetzung und Dialog die
Probleme lösen. Aber eines können Sie nicht machen:
Sie können uns nicht vorhalten, dass irgendjemand bei
uns menschenverachtend ist.
Menschenverachtend sind immer Krieg und Kriegs-
einsätze; das ist die Wahrheit. Wenn wir uns in der Aus-
einandersetzung über die beste Lösung quälen, sollten
Sie uns dabei unterstützen und uns nicht solche Vorhal-
tungen machen.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
mpfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
ag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
ung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-
eführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Pira-
rie vor der Küste Somalias.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
ng auf Drucksache 17/7996, den Antrag der Bundesre-
ierung auf Drucksache 17/7742 anzunehmen. Wir stim-
en nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab.
h bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
orgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist offensicht-
ch erfolgt. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Die obligatorische Frage: Haben alle anwesenden
itglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? – Das ist
ffensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstim-
ung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
it der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ih-
en später bekannt gegeben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz
u nehmen; denn wir kommen nun zur Abstimmung
ber den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen auf Drucksache 17/8014. Wer stimmt für
iesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
nthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
timmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Lin-
en gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der
PD abgelehnt.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 a bis d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Marieluise Beck , Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Private Sicherheitsfirmen umfassend regulie-
ren und zertifizieren
– Drucksache 17/7640 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ergebnis Seite 17407 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17405
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Katja Keul, Tom Koenigs, Omid Nouripour, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN
Regulierung privater Militär- und Sicherheits-
firmen
– Drucksachen 17/4573, 17/6780 –
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Nichtstaatliche militärische Sicherheitsunter-
nehmen registrieren und kontrollieren
– Drucksachen 17/4198, 17/7998 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Roderich Kiesewetter
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Bijan Djir-Sarai
Jan van Aken
Kerstin Müller
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Höger, Paul Schäfer , Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Ratifizie-
rung der „Internationalen Konvention gegen
die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung
und die Ausbildung von Söldnern“ der Gene-
ralversammlung der Vereinten Nationen
– Drucksachen 17/4663, 17/5799 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Henning Otte
Michael Groschek
Joachim Spatz
Paul Schäfer
Katja Keul
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debatte um die Fortsetzung des Atalanta-
Einsatzes hat gerade noch einmal deutlich gemacht, dass
wir uns stärker als bisher mit der Tätigkeit privater Si-
cherheitsfirmen beschäftigen müssen. Die Bundesregie-
rung empfiehlt mittlerweile deutschen Reedereien, ihre
Handelsschiffe durch private Sicherheitsteams schützen
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Wir können aber nicht abwarten, bis sich dieses unregu-
erte Geschäftsfeld im Graubereich von selbst etabliert.
rst im letzten Jahr hat uns der Fall der Firma Asgaard be-
chäftigt, die mit einem somalischen Warlord vertraglich
ereinbarte, seine Kämpfer auszubilden und weitere mili-
rische Dienstleistungen zu erbringen. Glücklicherweise
ilt im Falle Somalias ein Embargo, gegen das die Firma
uf diese Weise verstoßen hatte. Nur auf dieser Grundlage
onnte die Staatsanwaltschaft Münster strafrechtliche Er-
ittlungen aufnehmen. Ohne dieses Embargo hätte der
eutsche Staat keine Handhabe gegenüber der Firma ge-
abt.
Wir fordern mit unserem heutigen Antrag, die Erbrin-
ung von Sicherheitsleistungen im Ausland an die stren-
en Genehmigungsvoraussetzungen des Außenwirt-
chaftsgesetzes für Rüstungsexporte zu binden. Die
riterien der Rüstungsexportrichtlinien müssen nicht
ur für die Waffe selbst gelten, sondern auch für die
and, die die Waffe führt.
Mit dem Antrag der SPD stimmen wir in vielen Punk-
n überein. Probleme habe ich allerdings mit dem unbe-
timmten und weiten Begriff der „Militärdienstleister“.
ier muss eine klare Linie gezogen werden. Der Kern-
ereich militärischen Handelns ist nicht zu regulieren,
ondern muss Privaten schlicht verboten sein.
17406 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Katja Keul
)
)
Weder Kampfhandlungen noch Ausbildung von Streit-
kräften gehören als Aufgabe in private Hände. Gleiches
gilt für den Besitz und die Nutzung von Kriegswaffen.
Da uns diese rote Linie im Antrag der SPD nicht deut-
lich genug ist, werden wir uns an dieser Stelle enthalten.
Einig sind wir uns in der Forderung nach einer transpa-
renten Übersicht über die in Deutschland ansässigen Si-
cherheitsfirmen. Eine Registrierungspflicht ist dafür un-
abdingbar. Auch die Forderung nach internationalen
verbindlichen Normen teilen wir mit der SPD.
Auf internationaler Ebene tritt die Bundesregierung
leider auf die Bremse. Es ist beschämend, dass Deutsch-
land sich den Verhandlungen im UN-Menschenrechtsrat
über die Regulierung privater Sicherheitsfirmen verwei-
gert.
Wenn Sie meinen, dass das nicht das richtige Forum ist,
dann zeigen Sie wenigstens anderswo Initiative, anstatt
einfach gar nichts zu tun. Die Regierung unterstützt
nicht einmal den freiwilligen Verhaltenskodex der inter-
nationalen Sicherheitsbranche. Das Auswärtige Amt hat
weltweit über 140 Sicherheitsfirmen unter Vertrag. Auf
die Unterzeichnung dieser Selbstverpflichtung wird bei
der Auftragsvergabe aber kein Wert gelegt. Dabei hat
sich die Bundesrepublik im Dokument von Montreux
vom September 2008 sogar verpflichtet, innerstaatliches
Recht zur effektiven Bindung privater Sicherheitsfirmen
an das humanitäre Völkerrecht zu erlassen.
Auch das Europäische Parlament hat bereits konkrete
Vorschläge unterbreitet. Der Europäische Gerichtshof
hat mehrfach erklärt, dass die Europäische Union auf
dem Gebiet des Sicherheitsgewerbes auch selbst tätig
werden kann. Gehen Sie endlich voran, und legen Sie
konkrete Vorschläge vor, bevor es andere tun!
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Roderich Kiesewetter für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
dieses Thema nicht umsonst bereits in der zweiten Le-
gislaturperiode auf der Tagesordnung. Seit dem Ende
des Kalten Krieges hat es im Bereich der Sicherheits-
politik gravierende Änderungen gegeben, nicht nur im
militärischen Bereich, sondern auch im gesellschaftli-
chen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Be-
reich. All diese Entwicklungen bestimmen die Sicher-
heitspolitik. Wir stehen außerdem vor außerordentlich
gravierenden Achsverschiebungen, die auch Auswirkun-
gen auf unsere strategischen Koordinaten haben.
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nicht ausreichend. Wir werden sie deshalb ablehnen.
– ich verkürze, es ist ein viele Zeilen langer Titel – mit-
Sicherheitskräften zurückziehen oder nichtstaatliche Un-
ternehmen einbinden, sehen wir als Union einen Hand-
4
B
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 547;
davon
ja: 472
nein: 63
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Michael Frieser
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
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Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Ich halte deshalb fest: Dort, wo sich Staaten mit ihren teilen: Abgegebene Stimmen 547. Mit Ja haben gestimmt
machbar. Wir stellen fest: Mehr
der greifen deshalb schon heute
Sicherheitskräfte zurück. Hier b
Es gibt eine weitere Herau
Anträgen nicht deutlich wird,
Soldaten im Ausland mehr un
cherheits- und Militärunternehm
ren werden. In Afghanistan und
private Sicherheitskräfte einge
der sich auch künftig fortsetzen
es – hat nicht nur positive Kons
Ich ziehe für unsere Fraktion
tens. Wir brauchen eine Regelu
gehen, wenn deutsche Firmen im
cherheits- und Militärunter
Zweitens. Wir haben einen Reg
sen wir definieren – für deutsc
kräfte im Ausland, wenn unse
private Unternehmen der Par
Kräfte treffen.
Dies ist übrigens in einer A
dieses Jahres zusammen mit de
macht habe, von fünf teilnehme
nehmlich bestätigt worden.
Die Anträge der Opposition
und mehr deutsche Ree-
auf den Schutz privater
esteht Handlungsbedarf.
sforderung, die in Ihren
nämlich dass deutsche
d mehr mit privaten Si-
en der Partner kooperie-
im Irak haben die USA
setzt. Das ist ein Trend,
wird. Das – wir wissen
equenzen.
zwei Folgerungen: Ers-
ng darüber, wie wir vor-
Ausland auf private Si-
nehmen zurückgreifen.
elungsbedarf – den müs-
he staatliche Sicherheits-
re Sicherheitskräfte auf
tner statt auf staatliche
nhörung, die ich im Juni
m Koalitionspartner ge-
nden Ministerien einver-
sind in diesem Bereich
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ngsbedarf. Auch wenn wir De
altmonopol stützen und förd
icht immer der Fall. Das Probl
ch komplexer, als in den Anträ
Wenn Staaten ihre Aufgabe
rund von Haushaltszwängen
en, dann muss man über die K
ativen nachdenken dürfen.
Ich sage abschließend: Wir
uffassung, dass die Behandlun
herheits- und Militärunterneh
atten wir bereits einen Runden
en, wir bleiben am Thema dran
ng im zuständigen Unterauss
n auf Bewegung.
Herzlichen Dank für die Auf
lfgang Thierse:
ner das Wort erteile, will
nnen und Schriftführern
ergehenden namentli-
eschlussempfehlung des
Antrag der Bundesregie-
ng bewaffneter deutscher
n Operation Atalanta …“
17408 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
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r. Patrick Sensburg
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r. Frank Steffel
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r. Peter Tauber
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Dr. Martin Lindner
Dr. Erwin Lotter
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Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
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Petra Müller
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Dr. Martin Neumann
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Cornelia Pieper
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Dr. Birgit Reinemund
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Dr. Stefan Ruppert
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Nun erteile ich dem Kollege
SPD-Fraktion das Wort.
! Liebe Kolleginnen und
t im Deutschen Bundes-
ndesregierung – Einver-
em Thema zu tun haben,
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ei dem es weiteren Handlungs
ffen darüber diskutieren. Das d
es Ungefähren bleiben. Ich g
eitergehende Informationen d
Wir haben mittlerweile –
iesewetter hier beschrieben –
herheitspolitik, der zunehmen
t. Insbesondere treten offe
kteure auf, die einer großen
)
– offensichtlich aber auch von privaten Gewaltakteuren –
nachkommen. Ich glaube, wenn wir eine verantwortliche
Außen- und Sicherheitspolitik machen wollen, sollten
wir uns im Deutschen Bundestag schon Gedanken da-
rüber machen, wie wir bei diesem Thema entsprechende
Regelungen einführen können.
Ich will einen zweiten Punkt benennen – auch er
sollte der Bundesregierung Sorge machen –: Diese
Akteure höhlen das staatliche Gewaltmonopol aus. Es
handelt sich dabei aus meiner Sicht – neben anderen Be-
reichen – um einen Eckpfeiler der europäischen Frie-
densordnung, der im Grunde genommen dieses Europa
so einzigartig gemacht hat. Schlimme Erfahrungen ha-
ben zu der Erkenntnis geführt, das staatliche Gewaltmo-
nopol – dies ist auch gelungen – im Innern, aber auch
nach außen hin zu sichern. Das wird möglicherweise
durch diesen internationalen Trend mehr und mehr aus-
gehöhlt. Deswegen ist es, glaube ich, die Aufgabe von
Politik, sich insbesondere mit diesen Herausforderungen
zu beschäftigen und nicht nebenher zu erwähnen, dass es
keine Rolle spiele.
Genau das ist, glaube ich, die Frage, welche heute ins-
besondere die Bundesregierung umtreiben muss. Die
Antwort auf die Große Anfrage der Grünen hat doch ge-
zeigt, dass zwar einerseits an der einen oder anderen
Stelle gesagt wird, dass es Handlungsbedarf gibt, wir an-
dererseits im Grunde genommen aber keine Vorschläge
dazu haben. Wir beteiligen uns nicht an einer Debatte,
die unbedingt notwendig ist.
Ich bin der festen Überzeugung: Dieser Bereich ist zu
wenig kontrolliert. Wir wissen zu wenig darüber. Weil er
global organisiert ist, müssen wir versuchen, nicht nur
national zu handeln, sondern global letztlich unsere Vor-
schläge in die Debatte einzuführen.
Deswegen haben wir, die Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten, schon vor zehn Monaten einen Antrag
vorgelegt – nachdem es bereits in der letzten Legislatur-
periode einen Antrag dazu gegeben hatte –, in dem wir
uns mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und auch
Vorschläge unterbreitet haben. Ich hatte schon ein wenig
die Hoffnung – nachdem wir in den vergangenen Mona-
ten mit Herrn Kiesewetter, aber auch mit anderen Kolle-
ginnen und Kollegen gesprochen hatten; Herr Mißfelder
hat in der letzten Woche, als wir über Atalanta sprachen,
gerade auf die Bedeutung des staatlichen Gewaltmono-
pols hingewiesen –, dass wir zu einer gemeinsamen Lö-
sung im deutschen Parlament kommen würden. Das ist
nicht gelungen. Ich bedauere das. Auch bin ich letztlich
sehr enttäuscht darüber.
Herr Kiesewetter, wenn ich Ihre Rede richtig verstan-
den habe, war sie weniger ein Appell an die Fraktionen
auf der linken Seite, sondern offensichtlich mehr an Ih-
ren Koalitionspartner, zumindest eine gewisse Bewe-
gung zu unternehmen. Wir unterstützen Sie darin.
Ich will auf den Antrag hinweisen, der zwischen na-
tionalem und internationalem Handlungsbereich unter-
scheidet. Wir sprechen von einer „Registrierungspflicht
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ei diesem Phänomen, das nicht nur für Sie von der
undesregierung, sondern auch für das Parlament im
inblick auf die internationale Situation eine Herausfor-
erung darstellt, hilft es nicht weiter, nur zu beobachten.
ir müssen hier gestalten. Die Bundesregierung hätte
as tun können.
Sie sind jetzt Mitglied im Sicherheitsrat. Sie hätten
ie Initiative an sich ziehen können. Sie hätten in Genf
ei der Lösung dieser Fragen eine wichtige Rolle spielen
önnen. Leider kam nichts. Das hat auch der Bundes-
ußenminister offenbart, als wir ihn gestern im Auswär-
gen Ausschuss gefragt haben: Was passiert denn ei-
entlich in diesem Bereich? Er wusste keine Antwort.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17411
Dr. Rolf Mützenich
)
)
Ich finde das schwierig; ich finde das schlecht für die
deutsche Außenpolitik.
Ich hoffe, dass in nächster Zukunft etwas getan wird,
nicht nur im Rahmen des Sicherheitsrats, sondern auch
im Rahmen der Europäischen Union; auch hier ist ein
Handlungsfeld gegeben. Die Regelungen sind dringend
notwendig, weil die Herausforderungen für Deutschland,
aber auch für die internationale Gemeinschaft sehr groß
sind. Deswegen werden auch wir, Frau Kollegin Keul,
uns nicht entmutigen lassen; wir werden weiterarbeiten.
Herr Kiesewetter, ich warte schon mit Spannung darauf,
wie Sie in dieser Legislaturperiode mit Ihrem Koali-
tionspartner – wenn Sie wollen, auch mit uns; wir wären
dabei – eine gemeinsame Regelung vorlegen wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Bijan Djir-Sarai für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Debatte um private und militärische Sicher-
heitsunternehmen ist in den letzten Jahren besonders
aufgrund der internationalen Berichterstattung wieder
ins Rollen gekommen. Das Unternehmen Blackwater
Worldwide dürfte allen Kollegen ein einschlägiger Be-
griff sein. Auch mir sind die fragwürdigen Methoden
dieses Unternehmens unangenehm aufgefallen. Die
Schlagzeilen, die der Einsatz dieses Unternehmens ge-
macht hat, haben zu einer starken Verunsicherung in der
Bevölkerung sowie bei Regierungen und Parlamenten
geführt. Unkontrollierte Handlungen von privaten und
militärischen Sicherheitsunternehmen in jedem Fall zu
verhindern, ist daher das große Thema, das große Ziel.
Daher sehe ich es genauso wie Sie, meine Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir bei
diesem Thema gar nicht so weit auseinanderliegen: Nie-
mand will, dass die Sicherheit in nicht stabilen Ländern
oder Regionen durch solche Tätigkeiten zusätzlich be-
droht wird. Trotzdem kann ich den vorliegenden Anträ-
gen an dieser Stelle nicht mehr als eine gute Intention
abgewinnen. Problematisch sind mehrere rechtliche wie
auch tatsächliche Aspekte.
Ganz zu Beginn stellt sich die Frage, wie überhaupt
private und militärische Sicherheitsunternehmen in Zu-
kunft verbindlich definiert werden. In den meisten Fäl-
len ist eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeitsfelder
betroffen, die sogar im sogenannten Montreux-Doku-
ment nicht abschließend aufgeführt werden. Laut Mon-
treux-Dokument werden zivile und militärische Aktivi-
täten sogar auf einer Ebene angesiedelt. Es kann nicht
sein, dass sogar Unternehmen, die zivile Hilfstätigkeiten
ausführen, unter die Rubrik „privates und militärisches
Sicherheitsunternehmen“ fallen, nur weil sie für eine Si-
cherheitsbehörde arbeiten.
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Herr Kollege, das habe ich ja auch gesagt. – Aus die-
em Grunde ist die Diskussion zumindest auf nationaler
bene derzeit nicht zielführend. Die Regulierung sorgt
um jetzigen Zeitpunkt nur für eines, nämlich für mehr
ürokratie. Im schlimmsten Fall könnte durch Zertifizie-
ng und Regulierung sogar ein Anreiz für Unternehmen
eschaffen werden, sich in diesem Bereich erst recht zu
ngagieren. Das ist mit Sicherheit nicht wünschenswert,
nd das will auch niemand in diesem Haus.
Lässt man diese beiden großen Punkte weg, bleibt im-
er noch die Frage, wie die Arbeit dieser Unternehmen
Ausland überhaupt überprüft werden soll.
as stelle ich mir ebenfalls sehr schwierig vor, wenn es
icht sogar unmöglich ist. Auf europäischer Ebene rei-
hen zum heutigen Zeitpunkt entsprechende Vorschrif-
n des Sanktionsrechts, des Gewerberechts und des Au-
enwirtschaftsrechts völlig aus, um Gefahren durch
ilitärische Sicherheitsunternehmen entgegenzutreten.
Vor einigen Monaten ist ein weiterer Aspekt dieses
hemas näher diskutiert worden: Wie kann im mariti-
en Bereich stärker mit privaten und militärischen Si-
herheitsunternehmen zusammengearbeitet werden, um
as sehr hartnäckige Problem der Piraterie zu lösen? Die
undesregierung überprüft in diesem Zusammenhang
erzeit mögliche Regelungen zur Zertifizierung von Un-
rnehmen, die für Sicherheit auf deutschen Schiffen
orgen. Das ist ebenfalls eine interessante Diskussion,
ie ein selbstbewusstes Parlament zum gegebenen Zeit-
unkt führen muss.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Paul Schäfer für die Fraktion Die
inke.
17412 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fügt
sich in der Tat gut, dass wir die Debatte über private Si-
cherheitsdienstleister im Anschluss an die Debatte über
das Mandat für die Operation Atalanta diskutieren. Da-
mit ist klargestellt: Wir diskutieren nicht im luftleeren
Raum, sondern es geht um sehr praktische Dinge. Am
Horn von Afrika wird seit Jahren versucht, das Problem
der Piraterie mit militärischen Mitteln in den Griff zu be-
kommen. Ein durchschlagender Erfolg ist das nicht. Jetzt
sollen private Sicherheitsfirmen Abhilfe schaffen, die
man als Wach- und Begleitschutz einsetzen will. Das
folgt der sattsam bekannten Logik, Gewalt mit Gewalt
zu bekämpfen. Das Problem wird dabei nicht gelöst.
Was aber die Gewaltlogik im Fall der Privatisierung
angeht, haben wir das besondere Problem, zu klären, wie
die Wahrung rechtlicher Normen, klare Verantwortlich-
keiten sowie die Vermeidung unkontrollierbarer Eskala-
tion möglich sein sollen. Die Befürworter – oder zumin-
dest jene, die sagen, es geht nicht anders, als das
staatliche Gewaltmonopol aufzuweichen – führen ins
Feld, man wolle die Privaten klaren Regeln unterwerfen.
Aber ja doch: Auf dem Papier dürfte vermutlich stehen,
welche Waffen eingesetzt werden und welche Vorschrif-
ten für die Anwendung von Gewalt einzuhalten sind.
Solche Papiere, sprich: Verträge, gab es aber auch schon
beim Einsatz von Blackwater im Irak und in Afghanis-
tan. Wenn es dann Anwürfe, Klagen gibt, dann wird ein
solches Unternehmen kurzerhand dichtgemacht, es löst
sich in Luft auf, wird umbenannt und neu gegründet.
Blackwater heißt heute Xe Services. Das verweist doch
darauf, dass es überhaupt keine Garantien geben wird,
dass die rechtlichen Grenzen eingehalten werden und
dass es klare Verantwortlichkeiten gibt. Das spricht ge-
gen die Notwendigkeit, solche Gewaltbefugnisse an pri-
vate Firmen zu übertragen. Die Gefahr, dass ethische,
moralische und rechtliche Standards bröckeln, ist riesen-
groß. Warum sollte man eine Gefahr lostreten, wenn
man sie abwenden kann?
Transparenz ist natürlich sinnvoll. Die öffentliche Re-
gistrierung und Zertifizierung von Sicherheitsunterneh-
men ist nicht von Übel. Wer wollte dem widersprechen?
Das fordert die SPD in ihrem Antrag. Abgesehen davon
muss man sagen, dass die demokratische Kontrolle in
diesem Milieu verdammt schwierig ist. Das zeigt der
Blick auf den Rüstungssektor und die Waffengeschäfte.
Das ist bei kommerziell ausgerichteten Söldner- oder Si-
cherheitsfirmen noch schwieriger. Sie haben keine Pro-
duktionsstandorte, die man kontrollieren könnte, und
überwiegend freie Mitarbeiter mit kleinem Handgepäck.
Das tödliche Know-how steckt im Kopf.
Entscheidend ist Folgendes – das werden wir in unse-
rem grundsätzlichen Antrag schreiben; darauf kommt es
nämlich an –:
Erstens. Die Bundeswehr soll keine Aufträge an aus-
ländische Unternehmen wie Xe Services zu militäri-
schen Unterstützungsleistungen vergeben.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir beraten heute Anträge, die zumindest teilweise in
ie richtige Richtung gehen, bei genauerer Betrachtung
r uns jedoch leider nicht zustimmungsfähig sind.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17413
Robert Hochbaum
)
)
Lassen Sie mich zunächst auf die Anträge der SPD
und der Grünen eingehen. Hier ist unter anderem als Be-
gründung zu lesen, dass die Reduzierung der Bundes-
wehr zu einer verstärkten Inanspruchnahme privater mi-
litärischer Sicherheitsunternehmen führen kann – ich
betone: kann – und deshalb eine Zertifizierung notwen-
dig ist. Auch lese ich von umfangreichen Berichten, die
gefordert werden. Sie können doch nicht tatsächlich er-
warten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt ein neues büro-
kratisches Monstrum schaffen. Ein solches fordern Sie
ein, wenn Sie es auch nicht wahrhaben wollen.
Natürlich sehen auch wir Handlungsbedarf, jedoch
nicht so, wie von Ihnen hier im Einzelnen dargestellt.
Es kann doch nicht sein, dass Sie, obwohl wir immer für
einen Abbau der Bürokratie kämpfen, an dieser Stelle
vehement nach Bürokratie rufen. Wenn wir uns diesem
Thema nähern – das müssen wir in naher Zukunft; das
haben wir heute schon gehört –, sollten wir gerade da-
rauf besonders achten.
Sie begründen Ihren Antrag mit Negativbeispielen
aus anderen Staaten. Da stellt sich für mich natürlich die
Frage, ob Sie die Unternehmen in Deutschland sozusa-
gen prophylaktisch mit in Haftung nehmen wollen, ob
Sie alle erst einmal unter Generalverdacht stellen, um sie
dann einer Prüfung zu unterziehen. Meiner Meinung
nach ist das nicht der richtige Weg. Was in anderen Län-
dern schiefgegangen ist, sollte nicht automatisch auf
Deutschland übertragen werden. Wir brauchen eigene
Lösungen.
Ich unterstelle Ihnen, meine Damen und Herren von
der SPD und von den Grünen, dass Sie es gut gemeint
haben. Ich glaube aber nicht, dass Sie der Sache, zumin-
dest in der vorliegenden Form, einen Gefallen getan ha-
ben. Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Wenn es tat-
sächlich sogenannte schwarze Schafe bei den privaten
Sicherheitsunternehmen gibt, werden sich diese sicher-
lich nicht in Deutschland zertifizieren lassen. Sie agieren
dann durch Firmenneugründungen oder Zweitniederlas-
sungen in anderen, problematischen Staaten. Man findet
in Ihren Anträgen keine Vorschläge, wie man einer sol-
chen Problematik Herr werden kann.
Nur um den Versuch zu unternehmen, dem einen Rie-
gel vorzuschieben, müsste weltweit überwacht und kon-
trolliert werden. Ganz zu schweigen davon, dass dies nur
sehr schwer möglich wäre, müsste verhindert werden,
dass die Kosten einer solchen gigantischen Aufgabe aus-
ufern. Letztendlich müsste wieder einmal der deutsche
Steuerzahler die Zeche zahlen. Dem können und wollen
wir auf gar keinen Fall zustimmen.
Möchten Sie die Zwischenfrage der Kollegin Keul
zulassen?
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icht nur, dass Ihr Antrag – zumindest in der schriftli-
hen Form – ein wenig lieblos mit kaum einer Begrün-
ung daherkommt, er zielt eigentlich darauf ab, ein ge-
erelles Verbot von privaten Sicherheitsfirmen im
uslandseinsatz zu erwirken.
as halten wir für wenig sinnvoll.
Sicherlich ist ein Söldnereinsatz in Krisengebieten
bzulehnen,
ber es gibt heute durchaus sinnvolle Sicherheitspartner-
chaften mit privaten Dienstleistern, beispielsweise bei
umanitären Einsätzen oder bei der Ausbildung lokaler
icherheitskräfte. Es soll sogar zivile Aufbauhelfer ge-
en, die einen Schutz durch solche Sicherheitsfirmen be-
orzugen, um nicht zu eng mit militärischen Kräften zu
perieren. Also, auch private Dienstleister sorgen somit
nter Umständen aktiv für Sicherheit und Frieden.
Ebenso ist es wenig zielführend, dieses Thema so ver-
ürzt zu betrachten, wie Sie es getan haben, und nicht
etailliert auf die mit Sicherheit wichtigen Probleme und
rsachen einzugehen. Ich kann dazu nur sagen: Thema
erfehlt! Wir lehnen auch diesen Antrag ab.
Sehr geehrte Damen und Herren, mein Blick geht in
ichtung SPD und Grüne. Ich sagte schon zu Beginn
einer Rede: Ihre Anträge, denen wir in der vorliegen-
en Form nicht zustimmen können, weisen zumindest
ilweise in die richtige Richtung. Darum – ich kann hier
atürlich nur für die CDU/CSU sprechen – sind die Türen
u weiteren Verhandlungen von unserer Seite nicht ver-
chlossen. Die Messlatte liegt jedoch hoch. Sie liegt,
enn es an der Zeit ist, bei einer kostengünstigen, prakti-
17414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Robert Hochbaum
)
)
kablen, nicht überbürokratisierten und rechtlich sicheren
Lösung.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7640 an die Ausschüsse vorgeschlagen,
die Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie ein-
verstanden? – Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD
mit dem Titel „Nichtstaatliche militärische Sicherheits-
unternehmen registrieren und kontrollieren“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7998, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/4198 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Was macht die Linke?
– Sorry, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen bei
Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die
Linke. Die SPD hat dagegen gestimmt. Bündnis 90/Die
Grünen hat sich enthalten.
Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Ratifizierung der ‚In-
ternationalen Konvention gegen die Anwerbung, den
Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söld-
nern‘ der Generalversammlung der Vereinten Nationen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/5799, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/4663 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak-
tionen; abgelehnt haben die Oppositionsfraktionen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
des Friedensprozesses in Bosnien und Herze-
gowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein-
barung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
der Resolution des Sicherheitsrates der Ver-
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Frau Präsidentin! Auch nach 16 Jahren Engagement
der Region, um die es nun geht, müssen wir feststel-
n: Der militärische Einsatz, den wir damals begonnen
atten, war notwendig. Im Rückblick können wir sagen:
r war außerordentlich erfolgreich.
r hat dazu geführt, dass die grausamen Bilder, die wir
lle noch in Erinnerung haben, der Vergangenheit ange-
ören, dass die Situation in Bosnien-Herzegowina we-
entlich besser geworden ist und wir jetzt von einem
iedlichen Umfeld reden können.
Erinnern wir uns daran: Wir hatten ursprünglich über
0 000 Soldaten in der Region. Jetzt sind es noch einige
undert, vielleicht tausend. Insgesamt sind gegenwärtig
ur noch vier deutsche Soldaten in Bosnien-Herzego-
ina stationiert – nur noch vier.
Aber natürlich ist es auch weiterhin wichtig und rich-
g, dass wir als Europäer in diesem geschundenen Land
ilitärische Präsenz aufrechterhalten, und zwar aus
ymbolischen Gründen. Wir wollen deutlich machen,
ass wir nicht gewillt sind, eine Rückkehr in alte Zeiten
uzulassen, dass wir nicht gewillt sind, dass wieder Bür-
erkriegssituationen entstehen.
Aus diesem Grunde umfasst das Mandat auch die Er-
ächtigung, dass wir neben den Soldatinnen und Solda-
n vor Ort ein Reservebataillon vorhalten – „over the
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17415
Dr. Rainer Stinner
)
)
horizon“, nennt man das –, das bei Bedarf eingeflogen
werden kann, um eventuell notwendige Maßnahmen
dort durchzuführen. Das ist völlig richtig; das ist wich-
tig. Aus diesem Grunde ist auch die Obergrenze des
Mandats mit 800 Soldaten völlig richtig. Wir erinnern
uns: Ein Bataillon hat circa 600 Leute, mit Unterstüt-
zung circa 700 Leute. Das Mandat ist völlig richtig zuge-
schnitten.
Aber natürlich wissen wir alle, dass das nur eine Seite
der Medaille ist. Worauf es auch hier wieder ankommt
– wir können zu diesem Bereich ähnliche Reden halten
wie zuvor –: Es ist uns klar: Das Militär ist nur ein Teil
der Problemlösung gewesen. Die wesentliche Problem-
lösung muss natürlich auch in Bosnien-Herzegowina auf
der politischen Ebene erfolgen. Hier sehen wir leider bis
zum heutigen Tag nicht die Erfolge, auf die wir alle ge-
wartet haben und die dringend notwendig sind, um das
Land zu befrieden, um das Land vor allen Dingen inner-
lich zu befrieden, um das zu erreichen, was wir ja wol-
len: im Sinne des europäischen Lebensgefühls gute
Nachbarschaft hervorzurufen. Von guter Nachbarschaft
ist man bedauerlicherweise in Bosnien-Herzegowina
heute nach wie vor meilenweit entfernt. Das bedauern
wir außerordentlich.
Aus diesem Grunde ist auch weiterhin internationale
Unterstützung, internationale Präsenz in diesem Land
politisch notwendig.
Jetzt kommt routinemäßig, liebe Frau Beck – ich kann
es uns beiden nicht ersparen –, unsere Auseinanderset-
zung über die Rolle des OHR. Ich bin nachhaltig dafür
– die Bundesregierung ist es auch –, dass die Rolle des
OHR überflüssig geworden ist und deshalb abgeschmol-
zen werden soll.
Wir haben mittlerweile einen europäischen SR, einen
europäischen Special Representative, Herrn Sörensen.
Er hat seine Arbeit gerade aufgenommen, und ich höre,
dass er in der Region sehr gut ankommt und sehr gut an-
genommen wird, dass er mit dem richtigen Ton, mit der
richtigen Intention in die Region hineingeht. Genau das
muss die Richtung sein: mit europäischen Instrumenten,
mit europäischen Wertehaltungen das Land näher an die
Europäische Union zu bringen.
Wir alle wissen aber auch: Mit dem Rahmen, den wir
geben, sowohl durch die Bereitschaft, militärisch noch
präsent zu sein, wenn es denn notwendig ist – zum
Glück war das ja schon lange nicht mehr der Fall –, als
auch durch die Bereitschaft, politisch flankierend tätig
zu sein, können wir nur eine Hilfestellung geben. Die
Botschaft an das Land Bosnien-Herzegowina muss ein
weiteres Mal lauten: Die Tür nach Europa steht offen.
Durch die Tür müsst ihr, muss Bosnien-Herzegowina,
selber gehen. Dabei können wir euch nur unterstützen.
Aber den Weg müsst ihr selber beschreiten, so schwer er
auch sein mag.
Wir erleben im Augenblick die Situation, dass Bos-
nien-Herzegowina anderthalb Jahre nach der Wahl noch
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längerung des Mandats heute ein weiteres Mal zustim-
men.
Schönen Dank.
Michael Groschek spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ja, auch wir werden der Mandatsverlängerung
zustimmen. Ein ehemals sehr großes europäisches Mili-
tärengagement wird jetzt im Grunde in eine Ausbil-
dungsmission umgewandelt, bei der das Militär nur noch
der kleinste Teil, der zu mandatierende Teil ist.
Althea ist ein gutes Beispiel für eine funktionierende
zivil-militärische Kooperation und ein gutes Beispiel für
eine funktionierende Kooperation zwischen NATO und
EU und zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU.
Es war nicht selbstverständlich, dies zu prognostizieren;
denken Sie nur an den Beginn der Mission. Aber seit
2004, als durch den Einsatz von 7 000 Militärs aus SFOR
EUFOR wurde, ist dieses Mandat einem Wandel unterzo-
gen worden, der noch im letzten Jahr zu heftigen Aus-
einandersetzungen zwischen der Kollegin Beck und dem
Kollegen Stinner geführt hat. Vor einem Jahr ging es um
die Frage: Rückzug und Wandel – ist das Flucht aus der
Verantwortung? Das war jedenfalls – zugespitzt – die
Formulierung der Kollegin Beck. Der Vorwurf war, die
Darstellung der Beendigungsperspektive in Bezug auf
das Mandat sei pure Schönrednerei, weil sie in Deutsch-
land zwar innenpolitisch notwendig, aber angesichts der
Sicherheitslage außenpolitisch verantwortungslos sei.
Ich glaube, wir sind heute einen Schritt weiter. Die mili-
tärische Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina ist
durchaus als solide zu bezeichnen. Politisch gibt es we-
sentlich größere Probleme. Diese hat die CDU/CSU auch
auf den Punkt gebracht. In der Sitzung des Verteidigungs-
ausschusses haben die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU sehr deutlich gemacht, dass militärische Prä-
senz nicht die Ausrede für außenpolitische Orientierungs-
und Ratlosigkeit sein darf.
Diesen Vorhalt können wir nur teilen. Wir glauben,
dass unter anderem auf dem Balkan die Orientierung der
deutschen Außenpolitik verloren gegangen ist und dass
hier deshalb im Grunde über ein Mandat diskutiert wird,
ohne eine klare Orientierung dafür zu haben, was wir
jenseits dieser Mandatierung wollen und wie wir die
Einladung, die 2003 ausgesprochen wurde – im Hause
Europas sind noch Zimmer frei –, in die Tat umsetzen
wollen. Hier würden wir uns eine aktivere deutsche au-
ßenpolitische Rolle wünschen. Hier können wir Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, nur un-
terstützen, sich in der Koalition durchzusetzen.
Seit 2003 gilt: Der Westbalkan gehört zu Europa.
Auch Serbien gehört zu Europa, aber Serbien hat eine
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Das führt dazu, dass wir über die Wölfe im Schafspelz
den müssen. Wir haben unter anderem von General
ühler aktuell gehört, dass manches, was als ethnische
entität dargestellt wird, im Grunde nur eine Verklei-
ung für Korruption und Mafia ist.
as muss man dann allerdings schon so präzise benen-
en, damit deutlich wird, dass vernetzte Sicherheit neben
er militärischen Komponente im zivilen Bereich vor al-
n Dingen eines gewährleisten muss: eine konsequente
trafverfolgung. Das ist die Voraussetzung für ein Si-
herheitsgefühl, auf das die Menschen Anspruch haben.
ur wenn es gelingt, nach der militärischen Sicherheit
uch juristische und polizeiliche Sicherheit zu gewähr-
isten, werden wir Erfolg dabei haben, den Menschen
as Gefühl zu geben: Der staatliche Aufbau und die
echtsstaatlichkeit machen Fortschritte.
Deshalb abschließend: Ja, die deutsche Außenpolitik
räuchte einen neuen Schwung. Wenn Sie die Debatten
on heute Nachmittag Revue passieren lassen, dann er-
ennen Sie, dass in jeder Debatte ein ähnliches Element
orkam, nämlich die Kritik daran, dass unsere Außen-
olitik orientierungslos geworden ist und dass sie eben
icht die klaren Perspektiven bietet, die nottäten. Das
ilt auch im Zusammenhang mit Bosnien-Herzegowina
nd dem westlichen Balkan.
Deshalb ermutigen wir Sie von der Union: Machen
ie Ihrem Koalitionspartner Dampf, solange das noch
otwendig ist. Es werden andere Zeiten kommen,
denen die Außenpolitik nach innen und außen wieder
erlässlich und Berechenbarkeit ein Gütesiegel dieser
olitik wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17417
)
)
Philipp Mißfelder hat das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich auf unsere
Verantwortung hinweisen – auch Kollege Stinner hat dies
sehr eindringlich getan –, die wir bei dieser Entscheidung
haben. Vor 16 Jahren ereignete sich das eigentlich für un-
möglich Gehaltene mitten in Europa, nämlich dass wir
Krieg und Zerstörung nach so langer Zeit wieder in Eu-
ropa akzeptieren mussten.
– Wir wollten es nicht akzeptieren. Dies alles hat trotz-
dem vor unserer Haustür stattgefunden, und zwar wegen
der Unfähigkeit der europäischen Gemeinschaft, dieses
Problem in Europa zu lösen.
Deshalb muss man natürlich an dieser Stelle sagen,
dass auch nach so langer Zeit dem NATO-Einsatz und all
denjenigen ein großer Dank gebührt, die überhaupt bereit
gewesen sind, vor allem die Amerikaner, die Verantwor-
tung, der wir Europäer allein nicht gerecht geworden sind,
zu übernehmen und letztendlich für Frieden und Sicher-
heit in Europa zu sorgen.
Das Problem und damit auch die größte Herausforde-
rung für die Zukunft sind natürlich, einen dauerhaften
Frieden in Europa zu implementieren. Dazu gehört auch
diese Region, selbst wenn die Länder im Westbalkan
nicht Teil der Europäischen Union sind. Wir müssen so-
wohl politisch als auch wirtschaftlich dort, wo es not-
wendig ist, sehr viel Engagement daransetzen. Wir spre-
chen in diesem Rahmen auch über ein militärisches
Mandat, um durch das militärische Engagement deutlich
zu machen, dass wir als Europäische Union ein großes
Interesse daran haben, diese Probleme vor unserer Haus-
tür – nein, eigentlich in Europa – selbst zu lösen.
Es ist seit 1995 sehr viel Erfreuliches passiert. Slowe-
nien ist 2004 Mitglied der EU geworden, Kroatien steht
nach dem aktuellen Fortschrittsbericht vor einer Auf-
nahme. Die Länder des westlichen Balkans, auch Bos-
nien und Herzegowina, sehen ihre Zukunft eindeutig in
Europa. Die EU ist für Bosnien und Herzegowina der
mit Abstand wichtigste Handelspartner. Diese Länder
dauerhaft an uns zu binden, ist natürlich ein viel wichti-
gerer Schritt als das militärische Engagement, auf das
wir auch nicht den Schwerpunkt legen, selbst wenn wir
hier über ein Mandat der Bundeswehr diskutieren. Es ist
hier schon sehr deutlich geworden – auch durch die Bei-
träge der Vertreter der Koalitionsfraktionen –, dass wir
eine politische Lösung anstreben und dass das militäri-
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Was tun die Männer und Frauen der Bundeswehr, was
n wir in Bosnien-Herzegowina im Rahmen von Althea?
ie sorgen für die Einhaltung des Friedensvertrages von
ayton. Sie stellen sicher, dass sich internationale Orga-
isationen und NGOs in Bosnien frei bewegen können,
m ihre Arbeit zu tun, und sie überwachen die Einhal-
ng des Rüstungskontrollabkommens. All das sind keine
infachen Aufgaben.
Dies entbindet nicht davon, politisch auch weiterhin
ktiv zu sein und daran zu arbeiten, dass sich gerade
uch im zivilen Bereich Strukturen herausbilden können,
ie dauerhaft selbst und eigenständig für eine funktionie-
nde Polizei und für Militärstrukturen sorgen können.
azu gibt es natürlich nach wie vor große offene Fragen,
ie wir auch diskutieren müssen. Außerhalb dieses Man-
ats geht es natürlich darum, welche Möglichkeiten die
uropäische Union überhaupt hat, dort stabilisierend
inzugreifen und auf welche Strukturen und Institutio-
en man sich überhaupt verlassen kann.
Unser Kompass ist dabei klar: Wir übernehmen Ver-
ntwortung für Frieden und Sicherheit in Europa und
ollen das auch weiterhin tun. Wir arbeiten an einem
tabilen und sicheren Bosnien. Wir wollen vor diesem
intergrund zwar diesen militärischen Beitrag so schnell
s geht beenden, aber da er zurzeit noch notwendig ist,
ird unsere Fraktion heute für eine Verlängerung dieses
insatzes stimmen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Marieluise Beck zulassen?
17418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Nein. Ich bin schon fertig.
Herzlichen Dank.
Es wäre jetzt eine Kurzintervention möglich.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Nein, keine Kurzintervention.
Dann gebe ich der Kollegin Annette Groth für die
Fraktion Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Wieder einmal soll der Einsatz deutscher Streit-
kräfte in Bosnien verlängert werden. 6,8 Millionen Euro
sollen im nächsten Jahr für diesen sinnlosen Einsatz aus-
gegeben werden. Während andere europäische Staaten
ihre Truppen abziehen, will die Bundesregierung ein
Mandat für den Einsatz von 800 Soldaten.
Dieser Militäreinsatz ist nicht nur sicherheitspolitisch
fragwürdig. Viele unabhängige Beobachter meinen so-
gar, er blockiere geradezu jeglichen politischen Fort-
schritt.
Nehmen Sie sich ein Beispiel an anderen europäischen
Staaten! Ziehen Sie endlich die deutschen Truppen vom
Balkan ab!
Die Linke steht im Gegensatz zu allen anderen Fraktio-
nen für die Beendigung dieses Einsatzes.
Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist katastrophal.
Daran haben auch die deutschen Truppen nichts geän-
dert. Es ist verheerend, welche Signale die deutsche
Balkanpolitik aussendet. Ihre völkerrechtswidrige Aner-
kennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des
Kosovo fällt in Bosnien auf fruchtbaren Boden. Mit die-
ser Anerkennung haben Sie kroatischen, serbischen und
bosniakischen Nationalisten in Bosnien geradezu in die
Hände gespielt. Die Linke dagegen steht gegen diese
völkerrechtswidrige Anerkennungspolitik.
Diese Politik schürt immer nur neue Konflikte. Mit
welchem Recht wollen Sie dem Anspruch der bosni-
schen Serben oder der serbischen Kosovaren auf einen
eigenen Staat entgegentreten, wenn Sie gleichzeitig die
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Es ist auch beschämend, dass die Bundesregierung
ichts, aber auch gar nichts für den sozialen Zusammen-
alt von Bosnien-Herzegowina getan hat. Statt beispiels-
eise einen öffentlichen Dienst in Bosnien zu fördern,
er diesen Namen auch verdient, wurde eine Privatisie-
ngspolitik gefördert, von der vor allem die nationalisti-
chen Kräfte aller Seiten profitiert haben. Die Linke
teht gegen diese Förderung des Nationalismus. Es ist
in Skandal, dass von den Milliarden an Hilfsgeldern für
osnien so wenig bei der Bevölkerung ankommt.
Sie beschwören in Bosnien geradezu das völkerrecht-
che Prinzip der territorialen Integrität, welches Sie zu-
leich im Kosovo mit Füßen treten. Sie warnen vor Se-
aratisten und ethnischen Einzelinteressen in Bosnien
nd lassen keine Gelegenheit aus, um sich über die UN-
esolution 1244 oder die souveränen Grenzen Serbiens
inwegzusetzen, notfalls auch durch Gewaltanwendung
er KFOR oder durch tatkräftige Unterstützung der Poli-
isten von EULEX.
Die Linke steht dagegen für die Verteidigung des Völ-
errechts.
ie Linke kämpft gegen Ihre Politik der doppelten Stan-
ards,
ie schon so viel Unheil angerichtet hat. Die Linke ist
uch gegen eine Politik der militärischen Lösungen und
er Militärprotektorate. Deshalb lehnen wir diesen Bun-
eswehreinsatz ab.
Während Sie gegenüber Serbien die Anerkennung der
inseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zur
edingung für einen EU-Beitritt machen, hofieren Sie
utmaßliche Kriegsverbrecher, wie diese Woche im
undestag den Chef einer kosovarischen Todesschwa-
ron, Xhavit Haliti.
as wollen Sie den Menschen auf dem Balkan damit si-
nalisieren?
Ich komme zum Schluss.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17419
Annette Groth
)
)
Die deutsche Balkanpolitik nach dem Prinzip „Teile und
herrsche!“ ist an Heuchelei nicht zu überbieten. Die
Linke will, dass deutsche Außenpolitik endlich wieder
Friedenspolitik wird. Setzen Sie dafür ein Zeichen! Zie-
hen Sie die Bundeswehr aus Bosnien ab! Beenden Sie
Ihre Politik der doppelten Standards!
Danke.
Marieluise Beck hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bitte gestatten Sie mir, eine Minute über ein anderes
Land zu sprechen, bevor wir zu Bosnien kommen, näm-
lich über Belarus. Gestern sind in Minsk gegenüber
Dmitrij Konowalow und Wladislaw Kowaljow Todesur-
teile ergangen, von denen wir nicht wissen, ob sie nicht
vielleicht schon heute vollstreckt worden sind – zwei To-
desurteile nach völlig zweifelhaften Prozessen nach ei-
nem ominösen Anschlag in der U-Bahn im vergangenen
Frühjahr, von dem niemand weiß, ob die Spuren nicht
eher zum KGB und in den Präsidentenpalast führen als
zu diesen beiden Männern. Es gibt niemanden, der ir-
gendeine Verbindung zu diesen beiden jungen Männern
hat, die nach zwölf Stunden gestanden haben sollen.
Ich möchte zunächst meinem Entsetzen über dieses
Urteil Ausdruck verleihen, gegen das keine Revision zu-
gelassen wurde, und außerdem von dieser Stelle für den
Deutschen Bundestag Präsident Lukaschenko dringlich
auffordern, von den Hinrichtungen abzusehen.
Nun zu Bosnien: Wir sprechen heute über ein Man-
dat. Auch die Grünen werden der Verlängerung dieses
Mandates, das immer mehr auch eine symbolische Funk-
tion bekommt, zustimmen. Ich möchte aber auch auf die
Stimmen aus Bosnien selber hinweisen, die uns davor
warnen, dass wir zugunsten der innenpolitischen Bot-
schaft, dass wir ein Mandat zu Ende bringen können, da-
rüber hinwegsehen, dass die Situation krisenhafter ist,
als wir es manchmal wahrhaben wollen. Das ist in etwa
das, was ich schon vor einem Jahr gesagt habe. Der Ko-
sovo zeigt uns, wie schnell in einer Situation, die wir für
einigermaßen beruhigt halten, der Konflikt wieder auf-
brechen kann. Insofern ist das Vorhalten einer gewissen
Zahl militärischer Kräfte durchaus sinnvoll.
Wichtiger aber ist es, über die Politik in dem Land
und über das zu sprechen, was notwendig ist. Wir hören
ständig, es gehe um vermeintliche Konflikte zwischen
drei Ethnien. Das erzählen uns vor allem immer wieder
diejenigen, die von genau diesem Narrativ leben: die
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Ich habe gestern Vertreter der Initiative K 143 getrof-
n. Sie heißt K 143, weil sie aus NGOs besteht, die für
ie 143 bosnischen Kommunen stehen. Ihre Mitglieder in-
ressieren sich nicht mehr für diese Debatte der ethni-
chen Führer; vielmehr fordern sie den Aufbau kommuna-
r Strukturen und von Institutionen, die Entscheidungen
llen, wirtschaftliche Entwicklung und den Wiederauf-
au der Landwirtschaft und Ausbildungsmöglichkeiten
nd Perspektiven für ihre Jugend. Sie wollen also eine
esamtstaatliche Funktionalität und keinen ethnischen
ationalismus, verbunden mit dem Zwang, sich zu defi-
ieren. Das ist die Zukunft Bosniens. Auf diese jungen
eute sollte die Europäische Union ihr Augenmerk rich-
n und nicht auf die nationalistischen Führer.
Jetzt noch ein Wort zum OHR, weil alle auf diesen
auerbrenner, die entsprechende Debatte zwischen
errn Stinner und mir, warten. Es ist richtig, dass die
erformance des OHR nicht immer überzeugend ist.
ber es sollte uns doch stutzig machen, dass es gerade
ie Separatisten, Präsident Dodik und Herr Mitrovic,
ind, die die Auflösung des OHR fordern, und nicht die
ngen Leute von der Initiative K 143. Genau das sollte
ns wirklich stutzig machen. Was haben wir denn noch
der Hand, wenn der OHR nicht mehr existiert, wenn
ir – wie es die deutsche Diplomatie anstrebt – ihn
weghauen“ und wir dann nichts mehr über die „Bonn
owers“ durchsetzen können?
17420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Frau Kollegin.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Was wollen wir tun, wenn zum Beispiel Herr Dodik,
wie angekündigt, ein Referendum durchführt?
Ich warne vor dieser risikoreichen Strategie. Lassen Sie
uns nicht etwas „weghauen“, bevor wir eine gute und
überzeugende Alternative haben. An dem Punkt sind wir
noch nicht.
Schönen Dank.
Jetzt hat der Kollege Peter Beyer für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz oder
auch gerade wegen der Routine, die bei der alljährlichen
Debatte über die Verlängerung des Althea-Mandats ein-
gekehrt ist, bleibt es geboten und unsere Aufgabe, die
Notwendigkeit der weiteren Beteiligung an diesem Ein-
satz immer wieder aufs Neue zu hinterfragen und auch
neu zu begründen. Denn unser Ziel muss es sein, dass
die Operation Althea keine Dauereinrichtung wird. Es
sollte absehbar das Jahr kommen, in dem eine weitere
Mandatsverlängerung entbehrlich wird und wir uns eine
Debatte, wie wir sie heute führen, ersparen können.
Staatssekretär Kossendey hat an dieser Stelle vor drei
Wochen den sicherheitspolitischen Rahmen für diesen
Einsatz ausführlich skizziert und begründet. Das möchte
ich hier jetzt nicht wiederholen. Ich erlaube mir einer-
seits, das bisher Erreichte kurz zu bilanzieren, und ande-
rerseits, auch einen Blick nach vorn zu werfen.
Welche Situation treffen wir heute also in Bosnien
und in Herzegowina an? Was hat die Operation Althea
erreicht? Kurz: Wo stehen wir?
Um einen sogenannten Frozen Conflict handelt es
sich bei dem Konflikt in Bosnien-Herzegowina glückli-
cherweise nicht. Denn die militärische Karte ist für keine
der im Land Einfluss ausübenden Gruppen eine Option.
Das ist zu einem erheblichen Anteil ein Erfolg der EU,
die sich nachhaltig engagiert und um Krisenbewälti-
gung, Stabilitätstransfer und Konfliktbewältigung ge-
kümmert hat. Dennoch ist die Lage im Land kompliziert,
politisch instabil und auch festgefahren. In der Aus-
einandersetzung zwischen den Gruppen und Lagern do-
miniert kraftvolle Rhetorik.
Der Frieden selbst kann in Bosnien-Herzegowina nur
von innen heraus wachsen. So weit ist das Land heute,
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Wie geht es nun weiter in Bosnien-Herzegowina?
elchen Weg wird das 4,5-Millionen-Einwohner-Land
uf dem westlichen Balkan nehmen? Das liegt – wie
önnte es anders sein? – zuvörderst in den Kräften vor
rt. Nur sie selbst können wirkliche und nachhaltige
ortschritte erzielen. Wir können sie dabei begleiten.
ukunftsfest müssen sie das Land selbst machen. Die
olitischen Eliten sind dabei gefordert, eine gemeinsame
altung zu entwickeln; denn bisher endet die politische
lockade immer erst dann, wenn das Büro des Hohen
epräsentanten eine Entscheidung auferlegt. Diese Pra-
is stellt keine tragfähige Strategie da. Im Gegenteil: Die
olitischen Akteure sehen es nur zu gern, wenn ihnen
er Hohe Repräsentant die unpopuläre Kompromiss-
uche abnimmt.
Aus unserer Sicht ist und bleibt es daher wünschens-
ert, dass am Ende des Prozesses die Mitgliedschaft
osnien-Herzegowinas in der Europäischen Union steht.
an kann allerdings zuweilen Zweifel daran haben, ob
ie maßgeblichen politischen Kräfte des Landes noch
rnsthaft hinter dem Projekt EU-Beitrittsperspektive ste-
en. Dass der Beitritt allerdings baldmöglichst erfolgen
ollte, sehen wir so nicht. Bosnien-Herzegowina muss
ie Effizienz seiner Strukturen und der bisher komple-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17421
Peter Beyer
)
)
xen Entscheidungsverfahren erheblich verbessern. Denn
am Ende des Tages gelten für Bosnien-Herzegowina wie
übrigens für alle anderen EU-Beitrittsaspiranten die glei-
chen Kriterien: Kein Beitrittsland darf zeitlich bevorzugt
werden. Einen EU-Beitritt gibt es nur bei strikter und voll-
ständiger Erfüllung sämtlicher Kriterien. – Das ist die Vo-
raussetzung. Es gilt der Leitsatz: Wer beitritt, muss bei-
tragen.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaff-
neter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Althea. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/7997, den Antrag der
Bundesregierung auf Drucksache 17/7577 anzunehmen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch
keine Möglichkeit hatte, seine Stimmkarte abzugeben? –
Das ist nicht der Fall. Nachdem nun auch die letzte Urne
gefüllt ist, schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Kolbe , Gabriele Fograscher, Dr. Hans-
Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Rechtsextremismus vorbeugen – Unsere De-
mokratie braucht gute politische Bildung und
eine starke Bundeszentrale für politische Bil-
dung
– Drucksache 17/7943 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren.
– Damit das möglich wird, bitte ich all jene, die sich
noch mehr für andere Dinge interessieren, den Plenar-
saal zu verlassen, all jene, die zuhören wollen, sich zu
setzen, und all jene, die miteinander reden wollen, dies
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1) Ergebnis Seite 17423 C
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
PD-Fraktion die Kollegin Daniela Kolbe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Es ist eine spannende Debatte. Es
eht um politische Bildung. Man kann auf jeden Fall et-
as lernen und wird nicht dümmer.
Am Freitag, dem 11. November, hat die letzte Kurato-
umssitzung der Bundeszentrale für politische Bildung
tattgefunden, sehr früh am Morgen in der Dependance
er Bundeszentrale in Berlin. Wir haben uns über Web-
.0-Angebote und über die Angebote unterhalten, die die
undeszentrale für politikferne Schichten anbietet. Die
bendige Debatte hat gezeigt: Eigentlich wünschen wir
ns mehr solcher Angebote und nicht weniger.
Wir haben auch über die Haushaltsdebatte gespro-
hen. Die Bereinigungssitzung war gerade vorbei, und
aktionsübergreifend mussten wir alle die schmerzhafte
rfahrung machen, dass sich trotz des einstimmigen Ap-
ells des Kuratoriums die Koalitionsfraktionen nicht er-
eichen ließen und dramatische Kürzungen beschlossen
aben. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich
ei allen Kuratoriumsmitgliedern bedanken. Ich emp-
nde die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit als
ehr gut, sehr tiefgründig und auf wirklich hohem Ni-
eau. Vielen Dank dafür.
Im Laufe des 11. November geschieht dann Unglaub-
ches. Es wird bekannt, dass in einer angezündeten
ohnung in Zwickau eine Waffe gefunden wird, eine
eska. Es wird bekannt, dass diese Waffe die Waffe war,
it der neun Morde an ausländischen Kleinunterneh-
ern begangen wurden. Die Erkenntnis, dass 13 Jahre
ng eine rechtsterroristische Zelle unentdeckt durch
eutschland ziehen und Menschen erschießen konnte,
ifft uns alle wie ein Schlag. Zehn Tote gehen auf das
onto dieser Rechtsterroristen. Ich persönlich war an
iesem Wochenende wie in Schockstarre, aber allmäh-
ch ist bei mir die Erwartung gewachsen: Jetzt werden
ie Fraktionen doch erkennen, dass sie die Mittel für die
undeszentrale nicht in dieser Weise kürzen können.
17422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Daniela Kolbe
)
)
Immerhin gab es neue Erkenntnisse, und es ist etwas
eingetreten, was niemand so erwartet hatte. An anderer
Stelle hat das – ich nenne hier Fukushima – doch auch zu
einer Änderung Ihrer Position geführt. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass in der zweiten und dritten Lesung des
Haushaltes auch bei Ihnen eine solche Änderung der
Haltung eingetreten wäre.
Wir hätten Ihnen Applaus gespendet für diesen Erkennt-
nisgewinn. Da können Sie sicher sein.
Die Bundeszentrale ist die Instanz, die sich massiv
und nachhaltig für eine lebendige Demokratie und für ei-
nen lebendigen demokratischen Diskurs in unserem
Land einsetzt. Wer wollte in diesen Tagen bestreiten,
dass wir einen solchen Diskurs und eine solche leben-
dige Demokratie dringend brauchen? Sie setzt sich ex-
plizit gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein bzw.
arbeitet diese Themen auf, und zwar in beiden Säulen.
Es gibt ja das Haupthaus, die Zentrale, und es gibt die
Trägerförderung.
Ich habe Ihnen ein Beispiel mitgebracht, das auf mei-
nem Schreibtisch lag, als ich an meiner Rede gearbeitet
habe. Es ist ein Abreißblock der Bundeszentrale zum
Thema Vorurteile; er ist für Lehrer gemacht. Man kann
ihn super verwenden.
Schauen Sie ins Internet. Dort gibt es eine wunder-
bare Seite zum Thema Rechtsextremismus von der Bun-
deszentrale.
Dort publizieren, auch wenn es Sie im Moment nicht in-
teressiert, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Union, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
die Ihnen nahestehen. Das können Sie dort nachlesen.
Die Bundeszentrale hat auch infrastrukturell sehr
wichtige Projekte auf den Weg gebracht, nicht nur den
Wahl-O-Mat.
Ich nenne das Beispiel „Schule ohne Rassismus“. Das
ist ein ganz spannendes
Projekt. Es wurde von der Bundeszentrale entwickelt
und wird glücklicherweise auch im Jahr 2012 noch
finanziert, und zwar – das war eine sehr kurzfristige Ent-
scheidung – aus Restgeldern des Bündnisses für Demo-
kratie und Toleranz.
Mitfinanziert wird auch jugendschutz.net. Dort gibt
es ein Monitoring von Rechtsextremismus in unserem
Land. Das kommt auch den Ermittlungsbehörden zu-
gute. Die Frage ist: Kann das die Bundeszentrale noch
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ie Kürzungen waren schon vor Bekanntwerden des
echtsterrorismus komplett unverständlich und kontra-
roduktiv. Jetzt kann man sie nur noch als brandgefähr-
ch und peinlich für Sie bezeichnen.
Gestern in der Fragestunde klang dann durch: Das ist
och nicht so schlimm; dann muss die Bundeszentrale
ben umschichten; dann wird eben bei anderen Stellen
ekürzt als beim Rechtsextremismus. – Ich finde das,
hrlich gesagt, ziemlich naiv. Die Bundeszentrale hat na-
rlich noch ganz andere Aufgaben als nur die Rechts-
xtremismusprävention. Sie soll die Euro-Krise erklären.
ie soll die Finanzkrise verständlich machen. Sie soll de-
okratischen Diskurs initiieren. Wo soll sie denn sparen
ngesichts der Kürzungen, die schon in den letzten Jah-
n vorgenommen wurden? Soll sie weniger im Internet
räsent sein? Soll sie weniger Bücher oder „Schwarze
efte“, die viele von Ihnen vielleicht noch aus dem Stu-
ium kennen, auflegen? Soll sie sich weniger um die bil-
ungsfernen Schichten kümmern oder weniger Projekte
r Menschen mit Migrationshintergrund entwickeln?
oll es weniger Veranstaltungen zu aktuellen Themen
eben? Soll sie vielleicht nicht ganz so professionell
der nicht ganz so unabhängig sein, wie sie es bisher
ar? Wo soll die Bundeszentrale bei der Trägerbezu-
chussung sparen? Das wären gravierende Einschnitte.
oll sie bei Schülerseminaren in der Gedenkstätte Ho-
enschönhausen oder bei Seminaren zur Integration und
ur demokratischen Teilhabe sparen? Glauben Sie mir:
iese Kürzungen werden zu ganz schmerzhaften Ein-
chnitten führen, die wir alle – auch Sie – spüren wer-
en. Tolle Träger der politischen Bildung werden von
er Landkarte verschwinden – auch solche, die Ihnen na-
estehen, und auch solche aus Ihren Wahlkreisen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17423
Daniela Kolbe
)
)
Manfred Behrens
Ute Granold
Reinhard Grindel
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
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r. Norbert Lammert
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r. Max Lehmer
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gbert Liebing
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Veronika Bellmann Michael Grosse-Brömer Jürgen Klimke Michaela Noll
Ich kann nur sagen: Wir brau
sche Bildung und nicht weniger
. Wir brauchen Planungs-
Programm „Zusammen-
m Kampf gegen Rechts-
ändern bei der Bundes-
inanzierung hierfür läuft
lanungssicherheit. Auch
Planungssicherheit, und
und neue Richtlinien; die
aushalt wäre all das dar-
3,5 Millionen Euro. Das
t – das sieht und hört man
oblembewusstsein bei ei-
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rtfahren, gebe ich Ihnen
und Schriftführern ermit-
chen Abstimmung be-
ung der Beteiligung be-
te an der EU-geführten
Stabilisierung des Frie-
erzegowina im Rahmen
e 1-A und 2 der Dayton-
dem NATO-Hauptquar-
aben, auf Grundlage der
der Vereinten Nationen
ionen, Drucksachen 17/
wurden 535 Stimmen.
lleginnen und Kollegen,
thalten haben sich 7.
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
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r. Michael Luther
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r. Thomas de Maizière
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r. Michael Meister
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r. h. c. Hans Michelbach
r. Mathias Middelberg
hilipp Mißfelder
ietrich Monstadt
arlene Mortler
r. Gerd Müller
17424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
)
)
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön
Dr. Kristina Schröder
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
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Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
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lvira Drobinski-Weiß
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r. h. c. Gernot Erler
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r. Edgar Franke
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artin Gerster
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ettina Hagedorn
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ichael Hartmann
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abriele Hiller-Ohm
rank Hofmann
r. Eva Högl
hristel Humme
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ans-Ulrich Klose
r. Bärbel Kofler
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nette Kramme
icolette Kressl
ngelika Krüger-Leißner
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hristine Lambrecht
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r. Karl Lauterbach
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r. Wilhelm Priesmeier
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Wort dem Parlamentarischen St
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Dr. Christoph Bergner, P
Bundesminister des Innern:
Frau Präsidentin! Meine Dam
Frau Kolbe, es sei mir gestattet
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der letzten Woche den Haushalt
Sie thematisieren jetzt einen T
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er zu dieser Debatte führt, uns
chten über rechtsterroristisch
erne die Gelegenheit, um für
lares Bekenntnis zur politisch
en und zur Arbeit der Bundesz
ung im Besonderen abzugeben
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zw. dem politischen Extremism
ge, eine wesentliche Dauerau
chtung fragt sie nach Bildung
ntstehen extremistischer Einst
altungen. Sie fragt nach prä
xtremistische Einstellungen z
ungswegen, um verfestigte e
u verändern, sowie nach Bildun
esellschaftliche Kräfte, um die
xtremistischen Einstellungen u
v und erfolgreich zu bestehen.
widmet sich diesem Ar-
mit weiteren Fachberei-
Ute Koczy Dorothee Menzner Monika Lazar
Johannes Vogel
Dr. Daniel Volk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck
Volker Beck
Cornelia Behm
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann E. Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
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DIE LINKE
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chen innerhalb, aber auch außerhalb der Bundeszentrale
für politische Bildung.
So weit das klare Bekenntnis zu den Aufgaben, wel-
che die Bundesregierung für wichtig und zentral erachtet
und die im Lichte der Ereignisse, die uns umtreiben, eine
besondere Bedeutung bekommen.
Daneben ist ein zweiter Gesichtspunkt zu berücksich-
tigen. Das ist die Notwendigkeit der Haushaltskonsoli-
dierung, der wir uns im Jahr 2010 bei den Haushaltspla-
nungen – mit Blick auf die vom Verfassungsgesetzgeber
eingeführte Schuldenbremse – zu stellen hatten.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam
machen, dass die SPD in den Haushaltsberatungen ge-
rade mit Blick auf die Einhaltung der Vorgaben der
Schuldenbremse – ich erinnere an die Reden von Carsten
Schneider – eher mehr als weniger Konsequenz in Bezug
auf Einsparungen gefordert hat.
Sie können davon ausgehen, dass wir uns im Bundesin-
nenministerium dieser Aufgabe mit großem Verantwor-
tungsbewusstsein gestellt und die Kuratoriumsvoten
mit entsprechender Aufmerksamkeit und Sorgfalt ge-
prüft haben. Ich warne davor, so zu tun – das wird auch
in Ihren Zurufen deutlich –, als ob die nominelle Höhe
des Haushaltstitels der Bundeszentrale für politische Bil-
dung als ein gewissermaßen schlüssiger und abschlie-
ßender Indikator für die Bedeutung der politischen Bil-
dung gerade auch mit Blick auf die Extremismus-
bekämpfung betrachtet werden könnte. Ich empfehle Ih-
nen, sich die Haushaltspläne seit 1998 und die Planun-
gen für die zukünftigen Jahre anzuschauen. Dabei wer-
den Sie feststellen, dass zwischen 1999 und 2000 – es ist
bekannt, wer damals politische Verantwortung trug – der
Titel von umgerechnet 41 Millionen Euro auf 36,8 Mil-
lionen Euro abgesenkt wurde. Ich behaupte nicht, dass
die politische Bildung in der damaligen Situation als
Beitrag zur Extremismusbekämpfung weniger ernst ge-
nommen wurde. Wir können aber nicht seriös diskutie-
ren, ohne andere Programme zu berücksichtigen, die da-
mals in anderen Häusern ins Leben gerufen wurden.
Auch Umstrukturierungen müssen dabei berücksichtigt
werden, die in einem Bereich wie dem der politischen
Bildung immer wieder erforderlich sind.
Ich weise darauf hin, dass wir – verbunden mit den
Haushaltsentscheidungen, die Sie kritisieren – versucht
haben, die Bundeszentrale für politische Bildung auch
dadurch zu stärken, dass wir die Regiestelle des Bundes-
programms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ unter das
Dach der Bundeszentrale für politische Bildung gestellt
haben. Dabei geht es um insgesamt 18 Millionen Euro,
die in die Arbeit der Bundeszentrale fließen. Schließlich
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nd dies keine Frage ist, die die Bundesregierung bei ih-
n Haushaltsansätzen zu berücksichtigen hat. Vielleicht
prechen Sie mit den Kollegen Ihrer Fraktion, die ein
ntsprechendes Votum abgegeben haben.
Zweiter Punkt. Sie fordern ein Anschlussprogramm
r das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Ich
ersönlich stehe dieser Forderung sehr aufgeschlossen
egenüber, will aber darauf aufmerksam machen, dass es
och zu früh ist, um über die Fortsetzung eines Program-
es zu sprechen, das 2013 ausläuft. Ich betrachte diese
orderung aber auch als ein Kompliment für die Gestal-
ng dieses Programmes.
Schließlich fordern Sie, „neue Richtlinien für die Trä-
erförderung der BpB“ zu erlassen und „Rechtssicher-
eit hinsichtlich der Umsatzsteuer“ zu schaffen. Ich
ann Ihnen sagen, dass die neue Richtlinie für die Trä-
erförderung vorliegt und im Einvernehmen mit dem
undesrechnungshof und dem Bundesfinanzminister er-
tellt wurde. Wir gehen davon aus, dass sie die rechtli-
hen Unsicherheiten bei der Umsatzsteuererhebung be-
eitigt. Diese Richtlinie muss nun allerdings mit den
ändern abgestimmt werden, die für den Steuervollzug
uständig sind. Ich hoffe, dass das so erfolgreich gelingt
ie mit dem Bundesrechnungshof und dem Bundes-
nanzministerium, sodass dieser Forderung spätestens
b Januar 2013 nachgekommen wird.
Ich hoffe, ich habe verdeutlicht, dass wir das Anlie-
en, das Sie vorgetragen haben, durchaus ernst nehmen.
h möchte Sie dazu einladen, darüber nicht in der Eng-
hrung zu diskutieren: Wie hoch ist der Haushaltstitel?
ie ernst wird das politische Anliegen genommen?
ichtig ist, dass man auch in Zeiten der Haushaltskon-
olidierung politisch gestaltet.
as wollen wir gemeinsam tun.
Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17427
)
)
Agnes Alpers hat jetzt für die Fraktion Die Linke das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 5 Millionen
Euro sollen jetzt bei der Bundeszentrale für politische
Bildung gekürzt werden: Millionen Euro weniger für
Projekte, die die Teilhabe an Demokratie stärken, Millio-
nen Euro weniger für Projekte, die aufklären und Zivil-
courage stärken, gerade auch in den Regionen, in denen
sich der braune Sumpf breitgemacht hat. Ich meine, das
ist einfach nur skandalös.
Herr Bergner, zur Klarstellung: Alle Oppositionsfrak-
tionen haben Vorschläge für den Haushalt gemacht.
Noch im Februar waren sich alle Mitglieder des Kurato-
riums der Bundeszentrale für politische Bildung einig
– das sind Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen –:
Demokratie braucht politische Bildung. – Deshalb waren
wir alle noch im Februar einstimmig gegen die Kürzun-
gen.
Ich erinnere an die Entschließung des Kuratoriums:
Gerade in Deutschland sollte man nicht vergessen,
dass die Demokratie … tagtäglich neu gelehrt und
gelernt, gestaltet und bewahrt werden muss.
Wie wahr, meine Damen und Herren! Aber wie viel ist
der Bundesregierung diese grundlegende politische Ein-
sicht wert? Nichts, wie sich gleich zeigt. Denn Bundes-
innenminister Friedrich sagt: Auch die Bundeszentrale
für politische Bildung muss ihren solidarischen Beitrag
zur Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse leis-
ten; die Aufgaben der Bundeszentrale sind keine Pflicht-
leistung des Staates; die Kürzungen kann man nicht zu-
rücknehmen, weil dies sonst negative Auswirkungen auf
den Sicherheitsbereich hat. – Herr Friedrich, wie blind
und ignorant muss man eigentlich in der gegenwärtigen
Situation sein, um solche Aussagen zu treffen?
Tag für Tag gibt es Nachrichten über Nazi-Morde. Tag
für Tag wird aber auch der Ruf nach einer stärkeren Zi-
vilgesellschaft lauter. Wie soll es nun weitergehen? Es
kann jedenfalls nicht weitergehen, indem man die einsei-
tig gescheiterte V-Männer-Strategie weiter verfolgt, zu-
mal wir jetzt hören, dass die V-Leute in der rechten
Szene Nazis sind.
Die Gelder, die Herr Bergner gerade im Zusammen-
hang mit der Haushaltskonsolidierung angesprochen hat,
wurden bei der Bundeszentrale gekürzt. Aber sie wurden
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Herr Bundesinnenminister Friedrich, im Namen aller
emokratinnen und Demokraten fordere ich Sie auf,
ndlich Verantwortung zu übernehmen. An politischer
ildung darf nicht gespart werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Ruppert für die
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Wir alle stehen unter dem Eindruck dieser
rchterlichen rechtsterroristischen Taten. Natürlich
agt man sich in solchen Momenten: Woran lag es? Was
ätten wir tun können? Was hätten Behörden tun kön-
en? Was hätten andere Demokraten tun können? Was
ätte man strukturell aufarbeiten können? Wo liegen die
efizite? Diese Fragen sollten wir nicht zu schnell zu
en Akten legen, sondern wir sollten darauf achten, dass
17428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Stefan Ruppert
)
)
wir eine genaue Aufklärung der Ursachen betreiben. Ich
befürchte, wir werden dann aber feststellen, dass die Be-
antwortung dieser Fragen relativ schwierig ist.
Es ist eben nicht so monokausal, wie es hier eben an-
klang: Ein bisschen mehr Bildung hier, ein bisschen
mehr Unterstützung freier Träger dort, ein bisschen mehr
Aufklärungsarbeit an dieser oder jener Stelle, und dann
wird uns das Problem nicht wieder begegnen. Ein laten-
ter Antisemitismus, der in Teilen der Bevölkerung in un-
serem Land leider nach wie vor herrscht, ist eben nicht
dadurch zu bekämpfen, dass man an einzelnen Stellen
etwas mehr draufsetzt.
Man hätte es sich einfach machen und sagen können: Ja,
das war ein Fehler. Wir hätten etwas anderes machen
müssen. – Aber ich sage Ihnen: Nein, die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land erwarten von uns allen,
dass wir Geld sparen.
Viele Menschen sagen mir: Ihr müsst das Problem der
Haushaltsverschuldung – es war unter anderem Peer
Steinbrück, der uns Schulden in Höhe von 86 Milliarden
Euro hinterlassen hat – lösen.
Diese Menschen hätten wenig Verständnis dafür, wenn
wir wie Ihr Kollege Schneider abstrakt sagten: „Wir
müssen sparen“, aber bei jedem Einsparvorschlag fest-
stellten, dass es gerade an dieser Stelle doch nicht geht. –
Ich mache es mir bewusst nicht einfach. Ich sage: Ja,
auch das BMI musste sparen. Wir haben nicht nach der
Rasenmähermethode gespart. Wir haben die freien Trä-
ger anders behandelt als die Bundeszentrale. Insofern
können wir, glaube ich, zu dieser Entscheidung selbstbe-
wusst stehen.
Die Kollegin Alpers würde Ihnen gerne eine Zwi-
schenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?
Gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich habe folgende
Nachfrage: Sie haben gerade gesagt, dass wir konsoli-
dieren müssen, dass wir die Vorgaben der Schulden-
bremse einhalten müssen, dass wir sparen müssen. Aus
der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine An-
frage wissen wir – das habe ich gerade schon erwähnt –,
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ir sind der Meinung: Das war die richtige Stelle. Sie
ind der Meinung: Das war die falsche Stelle. Sie sollten
ber nicht so tun, als ob wir durch entsprechende Mit-
laufwendungen dieses gravierende Problem, das wir in
eutschland haben, auch nur ansatzweise hätten lösen
önnen.
Man sollte auch nicht so tun, als ob der Bund an die-
er Stelle nicht tätig wäre. Wir haben mehrere Pro-
ramme aufgelegt, zum Beispiel das Programm „Zusam-
enhalt durch Teilhabe“. Bei vielen Antiextremismus-
rogrammen ist es notwendig, zu schauen, ob sie so
nktionieren, wie wir uns das vorstellen. Man schaue
ich die Programme vom Anfang der 90er-Jahre an: Vie-
s von damals wirkt aus heutiger Sicht ein wenig hilf-
s, weil man keine klare Vorstellung vom Extremismus
atte, weil man nicht genau wusste, was man bekämpft.
erade bei der Arbeit gegen Extremismus ist es wichtig,
mer wieder zu evaluieren und dann festzustellen, wel-
he Tätigkeiten sinnvoll und welche nicht so sinnvoll
ind. Wir stehen zu diesem Programm. Wir setzen große
offnungen in dieses Programm. Wir wollen es evaluie-
n, wenn es dazu an der Zeit ist, und dann – hoffentlich –
rtführen.
Ich bitte alle hier vertretenen Fraktionen, nicht zu
chnell einzelne Lösungsansätze zu favorisieren; ich
abe das heute schon einmal gesagt. Einige sagen, dass
ns das NPD-Verbotsverfahren entlasten würde. Ich
ann Ihnen aufgrund meiner Beschäftigung mit dem
PD-Verbotsverfahren als wissenschaftlicher Mitarbei-
r am Bundesverfassungsgericht sagen, dass sich die
ediale Aufmerksamkeit nach Stellung des Verbotsan-
ags erst einmal verringert hat. Das habe ich damals
ehr genau verfolgt. Es war nicht so, dass die Menschen
esagt haben: Jetzt, da der Antrag gestellt ist, sind wir
otiviert; wir engagieren uns weiter und stärken die Zi-
ilgesellschaft. – Man hatte manchmal sogar das Gefühl,
ass der eine oder andere den Eindruck hatte, dass es
ich um einen symbolischen Akt handelt und man des
roblems schon Herr werden könnte. Dabei gehen die
robleme in der Tat viel tiefer.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17429
Dr. Stefan Ruppert
)
)
Aus meiner Sicht brauchen wir eine bessere Analyse,
eine bessere strafrechtliche Verfolgung, bessere Struktu-
ren und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den
Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundes-
amt für Verfassungsschutz. Wenn wir wissen, woran es
liegt, können wir Instrumente entwickeln, die dem ent-
gegenwirken.
Das ist aber nicht so einfach, wie Sie es uns heute hier
suggerieren wollen.
Am Ende sage ich ganz persönlich: Wenn wir in der
Tat feststellen sollten, dass die Bundeszentrale für politi-
sche Bildung die zentrale Schaltstelle für die Bekämp-
fung des Rechtsextremismus ist, dann werden wir uns ei-
ner zusätzlichen Mittelaufwendung sicherlich nicht in
den Weg stellen. Zuerst kommt aber die Analyse, und
diesbezüglich stehen wir meiner Meinung nach erst ganz
am Anfang. Darauf sollten wir mehr Zeit verwenden.
Vielen Dank.
Kai Gehring hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss wirklich sagen: Ich habe selten so einen Unsinn
gehört. Wenn es um die Analyse politischer Bildung
geht, dann ist normalerweise völlig unstrittig, dass sie
ein wesentliches Präventivmittel gegen Extremismus ist
und der Demokratieförderung dient. Deshalb muss man
den Bereich der politischen Bildung ausbauen, anstatt an
dieser wichtigen Stelle zu knausern.
Sie nehmen milliardenschwere Steuersenkungen vor,
laufen allen Lobbyisten
dieser Republik hinterher, aber knausern an dieser Stelle
im Etat des Innenministeriums, an der es um 3,5 Millio-
nen Euro geht. Das ist die völlig falsche Stelle. Es kann
nicht sein, dass sich die Schuldenbremse letztlich als
Bildungsinvestitionsbremse entpuppt. Das geht so nicht.
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ine solche Gefährdung des friedlichen und freiheitlich-
emokratischen Zusammenlebens darf sich nie wieder-
olen.
Demokratiefeindliche Ideologien, die Fremdenfeind-
chkeit, Rassismus und gruppenbezogene Menschen-
indlichkeit propagieren, müssen offensiv bekämpft
erden. Zur Bekämpfung brauchen wir einen Ausbau
ämtlicher präventiver Mittel. Dazu gehören nicht nur
ie Programme gegen Rechtsextremismus – wir haben
ie Aufstockung der entsprechenden Mittel gefordert;
ber auch das hat Schwarz-Gelb leider abgelehnt –, son-
ern auch die politische Bildung aller Generationen.
olitische Bildung ist Zukunftsvorsorge für unsere De-
okratie.
Wer dem braunen Mob den Nährboden entziehen
ill, muss politische Bildung systematisch stärken. De-
okratisches Bewusstsein fällt nicht vom Himmel, son-
ern muss dauerhaft gefördert werden. Alle Erfahrungen
nd Studien zeigen, wie gut politische Bildung funktio-
iert, um Menschen über den demokratischen Prozess zu
formieren, sie zu aktivieren, am Gemeinwesen, am de-
okratischen Handeln zu partizipieren, gesellschaftliche
ielfalt als Chance zu schätzen, politische Zusammen-
änge und gesellschaftliche Debatten zu reflektieren.
olitische Bildung ist auch immer ein Seismograf für ge-
ellschaftliche Entwicklungen. Aus all diesen Gründen
t politische Bildung für unsere Demokratie systemrele-
ant.
Ich möchte Ihnen, Herr Staatssekretär, und dem
inister noch einmal in Erinnerung rufen, dass alle Op-
ositionsfraktionen hier seit Jahren in Anträgen in den
aushaltsberatungen fordern, die Kürzung der Mittel zu-
ckzunehmen. Es ist eine Frage des politischen Willens,
b diese Haushaltskürzungen zurückgenommen werden
der nicht. Es ist gelogen, wenn die Bundesregierung be-
auptet, beim Kampf gegen Rechtsextremismus werde
icht gekürzt. Sie wollen nur davon ablenken, dass Bun-
17430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Kai Gehring
)
)
desinnenminister Friedrich im Windschatten von Minis-
terin Schröders Dauerdilettantismus die Axt an den Etat
der Bundeszentrale für politische Bildung gelegt hat.
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Bei den fraktionsübergreifenden Arbeiten im Kurato-
rium für politische Bildung haben wir alle gemeinsam
gesagt, dass es keine Kürzungen der Mittel im Bereich
der politischen Bildung geben darf. Daher muss man
hier in der Plenardebatte umso deutlicher machen, dass
Schwarz-Gelb der Bundeszentrale mit den massiven
Kürzungen in den Rücken fällt. Es kann nicht sein, dass
dieser Etat um 21 Prozent, um 3,5 Milliarden Euro, ge-
kürzt wird. Das sind 3,5 Millionen Euro weniger für Bil-
dungsangebote. Das ist in diesen Zeiten noch unanstän-
diger, als es ohnehin schon wäre.
Ich fordere Sie deshalb auf, diese Kürzungen
schnellstmöglich zurückzunehmen; denn sie würden sich
negativ auch auf die bundesweite Infrastruktur, auf die
rund 430 Träger politischer Bildung, die überparteilich
wertvolle politische Bildungsarbeit vor Ort fördern, aus-
wirken. Wir brauchen eine systematische Aufwertung
der politischen Bildung, nicht nur hinsichtlich der jun-
gen Generation, sondern auch hinsichtlich der Erwach-
senen. Denn die Themen Rechtsextremismus, Men-
schen- und Demokratiefeindlichkeit gehen uns alle an.
Ich wünsche mir, dass von dieser Debatte ein geschlos-
senes Signal ausgeht, zumindest von den Mitgliedern
des Kuratoriums der Bundeszentrale, –
Herr Kollege.
– aber eben auch von möglichst vielen Fraktionen,
dass die politische Bildung gestärkt werden muss und
die Kürzungen bei nächster Gelegenheit zurückgenom-
men werden.
Der Kollege Michael Frieser hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dass man über politische Bildung spricht, ist
grundsätzlich gut, auch wenn für die Debatte nur eine
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h darf vielleicht auch sagen: Man tut sich überhaupt
einen Gefallen, wenn man diesen Ort und dieses Pult in
ieser Art und Weise zur Plattform der Agitation macht,
m gegen oder für etwas oder was auch immer – was
icht ganz klar ist – zu sein. Aber in jedem Falle geht
ines nicht: die Fakten aus der Debatte über den Haus-
alt der Bundeszentrale für politische Bildung herumzu-
rehen und zu sagen, diese Bundesregierung hätte tat-
ächlich in der Frage der Extremismusbekämpfung
espart – das ist definitiv nicht wahr –; einmal abgese-
en von den Vorwürfen, die Sie an Ministerin Schröder
der an Minister Friedrich richten.
s ist in keinster Weise wahr, dass Aufwendungen für
ie Bekämpfung des Extremismus zurückgefahren wor-
en wären. Auch das Kleinreden trifft nicht zu.
Ich will auch zu dieser Fehleinschätzung, der Bundes-
nenminister hätte hier eine Aufrechnung zwischen in-
erer Sicherheit und politischer Bildung vorgenommen,
agen: Ist das Budget beschlossen, dann muss der Minis-
r für Deckung sorgen. In dieser Frage muss ich deut-
ch sagen – –
Die Frau Kollegin möchte gern eine Zwischenfrage
tellen. Frau Kollegin, ich würde diesen Gedanken gern
rst zu Ende führen. Vielleicht finden wir dann noch
aum für die Zwischenfrage.
Heißt das: im Moment nicht, aber dann vielleicht? –
ie geben ein Zeichen.
Wenn man das Budget des Haushalts des Innenminis-
riums beschließt, man dann aber einen Austausch vor-
ehmen möchte, muss man deutlich sagen, welche Haus-
altmittel wofür genommen werden. Das kann ich
ewusst falsch verstehen, wenn ich will. Ein solches
erhalten dient aber einem Ziel nicht, nämlich der Un-
rstützung der politischen Bildung.
Frau Kollegin, bitte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17431
)
)
Frau Hendricks, das wäre jetzt der passende Zeitpunkt
für Ihre Fragen. Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. Danke schön, Herr
Kollege Frieser. – Wir wollen doch bitte noch einmal ge-
meinsam den Gang der Geschichte darlegen. Im Februar
dieses Jahres, also völlig unabhängig von dem Bekannt-
werden der erschreckenden Mordtaten der Nazis, hat das
gesamte Kuratorium der Bundeszentrale für politische
Bildung einen Appell an die Mitglieder des Haushalts-
ausschusses und an die Bundesregierung gerichtet, keine
weiteren Kürzungen vorzunehmen, denn schon für das
Jahr 2011 waren Haushaltskürzungen zulasten der Bun-
deszentrale für politische Bildung vorgenommen wor-
den.
Die Mitglieder des Kuratoriums wollten parteiübergrei-
fend Vorsorge treffen, dass dies nicht wiederum gesche-
hen würde.
Die Mitglieder des Kuratoriums haben dafür im
Haushaltsausschuss bei der Mehrheit der schwarz-gel-
ben Koalition keinen Rückhalt gefunden, und zwar auch
bevor diese erschreckenden Mordtaten bekannt wurden.
Denn die Beratungen zum Haushalt des Bundesinnen-
ministeriums waren ja schon vorher im Gange. Zugege-
ben, die allerletzte Bereinigungssitzung war später, aber
die Beratungen waren natürlich längst im Gange.
Im Übrigen: Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
Herr Kollege Frieser, dass von Ihrer Koalition und auch
von der Bundesregierung schon beabsichtigt war, die
Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus – also
nicht nur die Mittel für die Bundeszentrale für politische
Bildung, sondern auch die Mittel zur Bekämpfung des
Rechtsextremismus – zurückzufahren?
Im Gespräch der Fraktionsvorsitzenden nach Be-
kanntwerden dieser schrecklichen Mordtaten hat dann
Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kauder, eingelenkt.
Der Antrag der SPD lag schon vor; es war dann nicht
mehr nötig, ihn zu stellen, weil Ihr Fraktionsvorsitzender
nach Bekanntwerden der Mordtaten eingelenkt hatte.
Wollen Sie dann bitte im Übrigen zur Kenntnis neh-
men, dass die Oppositionsfraktionen im Innenausschuss
– wie sich das gehört – selbstverständlich auch Vor-
schläge zur Deckung einer Erhöhung der Mittel auf die
Höhe, wie sie bis 2011 zur Verfügung standen, gemacht
hatten?
Wollen Sie weiter zur Kenntnis nehmen, dass mehr
als 400 freie Träger auf diese Mittel angewiesen sind
und dass diese mehr als 400 freien Träger einen breiten
gesellschaftlichen Konsens darstellen – über die Kir-
chen, die Gewerkschaften, die parteinahen Stiftungen
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s wäre mir recht, wenn Sie das berücksichtigen wür-
en.
Ja. Das Problem ist, dass der Kollege zwar vom Pult
eggehen, aber auch seine Ohren zumachen kann; das
ann ich nicht verhindern. Aber so, wie Sie es dargestellt
aben, Herr Kollege Frieser, trifft es einfach nicht zu.
Frau Kollegin Hendricks, lassen Sie mich bitte sagen:
enn Sie Redezeit haben wollen, dann bewerben Sie
ich in Ihrer Fraktion um Redezeit bei diesem Thema.
ann können wir über diese Frage ordnungsgemäß dis-
utieren.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es im Eindruck
ieser wirklich niederschmetternden Erkenntnisse und
orkommnisse durchaus einen politischen Konsens gab,
as die Ausstattung freier Träger betrifft. Ich glaube,
ns kann niemand vorwerfen, dass wir vonseiten der
DU/CSU-Fraktion und der Koalition hier in irgend-
iner Art und Weise auf dem falschen Dampfer gewesen
ären.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Haushalt des
undesministeriums des Innern natürlich gegen
chmerzliche Widerstände so gestaltet worden ist.
lauben Sie denn, wir als diejenigen, die in diesem
uratorium Verantwortung tragen, hätten uns nicht mit
en Kollegen auseinandergesetzt? Ich bitte Sie, in Ihren
eiträgen darauf zu achten, dass Sie nicht den Eindruck
rwecken, es gehe hier ausschließlich um das Herunter-
hren der Mittel zur Extremismusbekämpfung.
as ist definitiv nicht der Fall. Ich bitte Sie, durch Ihre
ortbeiträge auch nicht diesen Eindruck zu erwecken.
17432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Michael Frieser
)
)
Ich will auf die Schwerpunkte der Arbeit der Bundes-
zentrale für politische Bildung hinweisen. Sie bestehen
darin, politische Sachverhalte aufzuklären und zu för-
dern, die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stär-
ken und das demokratische Bewusstsein zu festigen. Das
sind die zentralen Punkte.
Ich bin dem Kollegen Ruppert dankbar, dass er deutlich
gemacht hat: Es ist nicht die Bundeszentrale für den
Kampf gegen Extremismus.
Diesen Eindruck sollten wir auch nicht erwecken.
Ich möchte darauf hinweisen, dass man im Hinblick
auf das Budget der Bundeszentrale für politische Bil-
dung natürlich die Prioritäten ändern kann.
Man kann auch einmal die Frage stellen, wo Umschich-
tungen machbar sind und ob man angesichts der ziem-
lich großen Veranstaltungsdichte nicht auch den einen
oder anderen Beitrag erwarten kann.
Herr Kollege, es gäbe jetzt noch eine Zwischenfrage
des Kollegen Lemme.
Nein, danke. Ich würde diesen Gedanken gerne zu
Ende führen.
Ich bitte Sie, zu beachten, dass man in der gesamten
Diskussion unter keinen Umständen den Eindruck erwe-
cken sollte, als könne man Terroristen durch politische
Bildung von ihren Taten abhalten.
Ich will deutlich sagen, dass politische Bildung Sensibi-
lisierung der Öffentlichkeit ist. Dies ist nicht nur ein
wesentlicher Faktor der Aufklärung, sondern betrifft vor
allem auch den Blick auf politisch Verirrte. Wir sollten
unter keinen Umständen den Eindruck erwecken, als
seien wir durch das, was der Staat im Bereich politischer
Bildung tun kann, in der Lage, terroristische Anschläge
zu verhindern.
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Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen des gesamten
auses, die organisatorischen Voraussetzungen, vor allem
ie der Dienste und der Sicherheitskräfte, zu stärken, um
u einem guten Ergebnis zu kommen, zur Aufklärung
eizutragen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Man
ollte an dieser Stelle nicht den Fehler machen, zu versu-
hen, den Menschen etwas Sand in die Augen zu
treuen. Man sollte auch nicht versuchen, diese Debatte
u einem falschen Ergebnis zu führen,
ur weil sie im Augenblick zur richtigen Diskussion
asst. Damit tun wir der politischen Bildung und der Ex-
emismusbekämpfung mit Sicherheit keinen Gefallen.
Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 17/7943
n die Ausschüsse, die Sie in der Tagesordnung finden,
u überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
ffensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Verteidigungsausschusses als 1. Unter-
suchungsausschuss gemäß Artikel 45 a Absatz 2
des Grundgesetzes
– Drucksache 17/7400 –
Es ist vorgesehen, hierzu eine Stunde zu debattieren. –
azu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ver-
hren wir so.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
ollegen Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir sprechen hier heute über ein Thema, das mit vielen
oten und Verletzten sowie viel Trauer bei den Angehö-
gen der Opfer verknüpft ist. Dem sollten wir in der De-
atte auch gerecht werden.
Das Thema Luftschlag Kunduz ist wie der gesamte
insatz in Afghanistan oder auch aktuell im Kosovo
atürlich stark mit der sehr grundsätzlichen Frage ver-
nüpft, wie und inwieweit wir unserer Bundeswehr in
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17433
Michael Brand
)
)
einem lebensbedrohlichen Einsatz Möglichkeiten ein-
räumen, um sich gegen unmittelbar drohende Gefahren
für Leib und Leben der Soldatinnen und Soldaten schüt-
zen und nötigenfalls Gewalt dabei anwenden zu können.
Der Ernst der Frage und die Schwere des Vorfalls gebie-
ten es, dieses Thema hier im Hohen Haus in aller Ruhe
und aller Sorgfalt und auch im Respekt vor den Toten
und im Respekt vor der Lage der Bundeswehr in einem
schweren Einsatz zu erörtern.
Für die Bundeswehr und ihren Einsatz in Afghanistan
– das gilt für Einsätze generell – ist dieser Vorfall sicher
in gewissem Ausmaß eine Zäsur. Nie zuvor haben Bun-
deswehrangehörige einen solchen Luftangriff befohlen,
und nie zuvor ist ein solches Ausmaß an unschuldigen
Toten zu beklagen gewesen. Dabei muss hier zweifels-
frei klargestellt werden: Der Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan ist vom Völkerrecht gedeckt.
Die Afghanen sind dankbar für den Schutz durch die
Bundeswehr, die Bundeswehr hat das Recht und die
Pflicht, ihren Schutzauftrag in Bezug auf die in Afgha-
nistan zu leistende Aufgabe durchzusetzen, und sie hat
das Recht und die Pflicht, Mörder, Terroristen und At-
tentäter von ihrem mörderischen Tun abzuhalten – und
das auch mit militärischen Mitteln.
Unmittelbar nach dem Luftschlag in Kunduz haben
die Bundeskanzlerin, der damalige Außenminister
Steinmeier und der damalige Verteidigungsminister
Franz Josef Jung den zivilen Opfern und deren Familien
auch hier vor dem Hohen Haus ihre aufrichtige Anteil-
nahme ausgedrückt. Die Bundeskanzlerin hat in einer ei-
genen Regierungserklärung eine umfassende Aufklärung
des Vorgangs angekündigt – und sie hat Wort gehalten.
Wir als Deutscher Bundestag haben uns ebenso in der
Pflicht gesehen, die Umstände eingehend zu untersu-
chen. Der Beschluss zur Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses erfolgte aus gutem Grund im Kon-
sens aller Fraktionen dieses Hauses.
Der Ausschuss hat zentrale Fragen gestellt und beant-
wortet. Einige will ich herausgreifen.
Die Fragen waren unter anderem: Wie sind die Re-
geln im Einsatz? Welche Regeln sind bei internationalen
Einsätzen zu beachten? Was ist nachzujustieren? Hier
gab es unmittelbar nach dem Luftschlag bereits Verände-
rungen, und es hat Klarstellungen gegeben.
Es gab weitere Fragen: Wie kommen wir an verlässli-
che Daten? Wie sichern wir möglichst fehlerfreie Ab-
läufe, vor allem beim Einsatz von schweren Waffen?
Hier hat sich gezeigt, dass wir beim Thema Aufklärung
in technischer und personeller Hinsicht einen klaren
Nachholbedarf haben.
Zudem war die Frage zu untersuchen: Wie kam es zu
der tragischen Fehlinformation, dass die Personen um
die gewaltsam gekaperten Tanklaster nicht ausschließ-
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können festhal-
n: Der Ausschuss hat sich die Arbeit nicht leicht ge-
acht. Trotz aller teils harter und auch polemischer Aus-
inandersetzungen und trotz massiver Kritik vor allem
m Verhalten der SPD im Ausschuss nehme ich die SPD
eim Wort. Es gilt das Wort des Kollegen Arnold, der
inngemäß formuliert hat: Wir wollen der Bundeswehr
icht in den Rücken fallen.
Wenn das so ist, lieber Herr Arnold, und wenn das
on weiten Teilen von SPD und Grünen so mitgetragen
ird, können wir von hier aus den Soldatinnen und Sol-
aten im Einsatz zusichern, dass sie sich gerade auch
ann auf dieses Parlament verlassen können, wenn die
ituation kritisch wird. Wir lassen sie nicht im Stich, und
ir werden uns nicht auf ihre Kosten profilieren.
Wir haben im Ausschuss vor allem die Frage unter-
ucht, wie es trotz der obersten Priorität der Bundes-
ehr, nämlich Zivilisten nicht zu schädigen, genau dazu
ommen konnte. Oberst Klein hat im Untersuchungsaus-
chuss die dramatisch verschärfte Sicherheitslage klar
ezeichnet. Er hat überzeugend das damalige Risiko be-
17434 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Michael Brand
)
)
schrieben, dass der gekaperte Tanklaster als rollende
Megabombe gegen die Bundeswehr genutzt werden
könnte. Dazu lagen auch im Vorfeld klare Warnungen
vor. Zudem wurde er mit einer kriegerischen Lage kon-
frontiert, in der die Bundeswehr in Gefechten gebunden
wurde. Es gab Gefallene und Verletzte. Die Zahl der
Kämpfe war massiv angestiegen. Viele im Ausschuss
– auch ich persönlich – waren sehr beeindruckt bis scho-
ckiert über die Kriegsrealität, die sich in den deutschen
Medien so nicht wiederfand und auch in den Lagebildern
der militärischen Führung bis dahin nicht immer in der
Deutlichkeit dargestellt wurde. Wie einfach machen es
sich die, die Tausende Kilometer entfernt, von der war-
men Stube aus, im Nachhinein alles besser wissen.
Oberst Klein hat in seinen Handlungen und in seinem
Vortrag einen integeren und sehr verantwortungsvollen
Eindruck hinterlassen. Er ist auch ein Beleg für das hohe
Maß an Umsicht und Verantwortungsgefühl, das die
Kommandeure der Bundeswehr im Einsatz – von Afgha-
nistan bis hin zum Kosovo – zeigen. Sie räumen sowohl
dem Schutz der eigenen Truppe als auch dem Schutz der
Zivilisten oberste Priorität ein.
Bei aller Tragik der Ereignisse können wir im Ergeb-
nis festhalten: Selbst in diesem schweren Einsatz – ich
sage bewusst: unter Kriegsbedingungen – zeigt sich die
Bundeswehr als eine hochverantwortliche, moderne Ar-
mee, die den hohen Ansprüchen an eine Einsatzführung
gerecht wird, die wir als Deutscher Bundestag auch zu
Recht anlegen.
Dabei gilt der Grundsatz: Wer angreift, um zu töten, der
muss mit unserer Verteidigungsbereitschaft rechnen.
Wer die Lage in Afghanistan und in Pakistan analy-
siert, wer die Lage in Teilen Ostafrikas und vor der
ostafrikanischen Küste betrachtet, der weiß: Sicherheit
kann im Zeitalter des internationalen Terrorismus nicht
mehr nur auf dem heimatlichen Territorium verteidigt
werden. Auch das hat etwas mit unserem Einsatz in Af-
ghanistan und mit dem Luftschlag und seiner ganzen
Vorgeschichte zu tun.
Viel ist im Untersuchungsausschuss über Themen und
Nebenthemen geredet worden, die nichts mit dem Auf-
trag zu tun hatten. Auch das ist wahr. Ich will nur kurz,
aber dafür umso klarer das Lieblingsthema der Opposi-
tion aufgreifen – ein Thema, das mit dem Luftschlag
nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte –: die Angriffe
auf den Minister, der zum Zeitpunkt des Luftschlags gar
nicht im Amt war. Dazu stellen wir klipp und klar fest:
Wer die Bundeswehr in den Einsatz schickt, der steht in
der Verantwortung – auch in der Opposition.
Wer dann auf der innenpolitischen Bühne – Tausende
Kilometer vom Einsatz entfernt – ein unwürdiges Schau-
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Wir haben trotz dieser Obstruktion durchgesetzt, die
chtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir können mit
iniger Genugtuung festhalten, dass nach fast zwei Jah-
n Ausschussarbeit wesentliche Teile der Forderungen
ereits sehr zeitnah nach dem Luftschlag umgesetzt wor-
en sind.
Herr Brand, Herr Gehrcke wollte Ihnen gerne eine
wischenfrage stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
chluss.
Aber Sie haben mich gehört?
Ich komme jetzt zum Schluss.
Für die CDU/CSU, für die Koalition und sicher auch
r die große Mehrheit hier in diesem Haus stelle ich
st: Die Bundeswehr kann sich als Parlamentsarmee bei
ren gefährlichen und verantwortungsvollen Einsätzen
r Sicherheit und Frieden auf die Unterstützung des
arlaments verlassen. Das gilt von Afghanistan über So-
alia bis hin nach Bosnien und in das Kosovo. Wir ste-
en zu unseren Soldaten. Wir sagen ihnen auch heute
ank für ihre zum Teil sehr gefährlichen Einsätze. Das
erdienen die Männer und Frauen, die im Einsatz sprich-
örtlich Leib und Leben für unsere Sicherheit riskieren.
Vielen Dank.
Der Kollege Gehrcke bekommt das Wort zu einer
urzintervention.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Brand, ich
abe bis zum Schluss gewartet, ob Sie ein Wort, einen
atz, einen halben Gedanken der Trauer oder des Mit-
ids für die Opfer dieses Bombenangriffs finden,
b nicht von diesem Parlament aus endlich ein Signal an
ie Menschen in Afghanistan gehen kann, deren Ange-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17435
Wolfgang Gehrcke
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)
hörige umgekommen sind: Wir trauern mit euch. Wir
entschuldigen uns für das, was passiert ist.
Sie haben kein einziges Wort für die Opfer gefunden.
Das finde ich schändlich. Das finde ich bedauerlich. Das
entspricht auch nicht der Würde dieses Parlaments.
Herr Brand, möchten Sie antworten? – Bitte schön.
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte Ihre Äußerung als
unwahr zurückweisen. Sie waren ganz offensichtlich zu
Beginn dieser Rede nicht anwesend.
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen – wenn Sie es
schon nicht im Plenarsaal tun, dann lesen Sie es im Pro-
tokoll nach –, dass ich mit einer sehr differenzierten
Position und auch mit dem Benennen der Opfer und mit
Worten der Trauer der unschuldigen Opfer gedacht habe.
Herr Gehrcke, Sie zeigen exemplarisch, was die
Linkspartei in den letzten zwei Jahren in diesem Aus-
schuss veranstaltet hat. Ihnen ging es nicht um die Sa-
che. Ihnen ging es um Propaganda.
Jetzt hat Rainer Arnold das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, das war der folgenschwerste Waffeneinsatz
der Bundeswehr, seit die Bundeswehr in unserem Auf-
trag bei internationalen Einsätzen engagiert ist: über
60 erwachsene Zivilisten und über 20 tote Kinder. Das
ist eine Tragödie, Herr Kollege Brand, über die wir nicht
mit diesem schneidigen, rechthaberischen und forschen
Ton hinweggehen können und dürfen.
Jedes Menschenleben in Afghanistan ist so viel wert
wie jedes Menschenleben der Welt. In diesem Sinn und
mit diesem Maßstab haben Sozialdemokraten und auch
andere in dem Ausschuss ihre Aufklärungsarbeit betrie-
ben. Dies heißt auch im Sinn einer Parlamentsarmee,
Herr Kollege Brand: Man fällt den Soldaten nicht in den
Rücken, wenn man Fehler sorgfältig untersucht, auswer-
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Übrigens hat Ihre Kanzlerin damals am 8. September
009 versprochen – ich zitiere –:
Die lückenlose Aufklärung des Vorfalls … und sei-
ner Folgen ist für mich und die ganze Bundesregie-
rung ein Gebot der Selbstverständlichkeit.
ichts ist passiert.
eine Aufklärung durch die Bundesregierung, nicht ein-
al die angemessene Entschädigung für die Opfer, wie
ie in Afghanistan üblich ist.
Deshalb war es notwendig, dass der Untersuchungs-
usschuss seine Arbeit geleistet hat, dass wir dort aufge-
rbeitet haben, wo die Regierung versagt hat. Das ging
ber viele Stunden. Das war eine große, auch nervliche
elastung für uns alle. Wir müssen das machen, das ist
nsere Aufgabe. Ich möchte aber ein ausdrückliches
ankeschön an unsere Mitarbeiter und vor allen Dingen
uch an alle Mitarbeiter im Ausschusssekretariat richten,
ie über viele Stunden, über 200, zusätzlich gearbeitet
aben.
Dieser Einsatz wurde von der Spitze des Ministe-
ums als „militärisch-operativ angemessen“ bezeichnet.
aben Sie, die Kollegen von der Koalition, nicht reflek-
ert, dass das ein gesuchter Begriff im Sinne von Schutz
r Oberst Klein war? Dafür habe ich Verständnis. Ich
rwarte sogar von der Führung, dass sie sich schützend
or ihre Untergebenen stellt. Das ist die eine Seite.
Auch mir geht es so. Ich empfinde so, wie es in einem
chönen Satz im Talmud geschrieben ist: Verurteile nie-
anden, bevor Du in seiner Lage warst. – Niemand
ollte in dieser Nacht in der Lage von Oberst Klein ge-
esen sein. Deshalb geht es nicht um Verurteilen. Aber,
ebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben als Parlamen-
rier die Verpflichtung, diesen schwerwiegenden Ein-
atz zu beurteilen, die Fakten, auch wenn sie schmerzhaft
ind, zu benennen. Dabei gibt es nichts herumzureden.
Dieser Einsatz war ein schwerer Fehler. Er beruhte
uf Fehleinschätzungen, was die Gefährdung durch die
anklastzüge und eine Gefahr für das Camp angeht, die
icht bestanden hat. Schwere Regelverstöße waren ak-
nkundig, was in den Befragungen deutlich wurde. Das
teht außer Frage. Es ist auch klar geworden: Ohne die
17436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Rainer Arnold
)
)
Regelverstöße hätte Oberst Klein nicht die Legitimation
zur Anforderung der Flugzeuge gehabt.
All dies muss gesagt werden. Das heißt nicht, den
Soldaten in den Rücken zu fallen; es ist vielmehr unsere
Aufgabe, seriös aufzuklären. Im Gegensatz zu Ihnen ha-
ben die Grünen und wir den Begriff „lessons learned“
sehr ernst genommen und auf einigen Seiten in dem
500 Seiten langen Bericht festgehalten, welche politi-
schen Konsequenzen und operativen Folgerungen not-
wendig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Parlamentarier
haben allerdings nicht die Aufgabe, militärisch-operativ
zu beurteilen. Wir haben die Aufgabe, nach politischen,
ethischen und strategischen Maßstäben unser Urteil zu
finden. Es geht nicht an, dass eine Bundeskanzlerin fast
zwei Jahre nach dem schweren Vorfall in der Zeugenbe-
fragung immer noch sagt: Ob er richtig oder falsch war,
kommt auf den Blickwinkel an.
Nein, es gibt hier nur den politischen Blickwinkel. Dafür
sind wir als Abgeordnete gewählt. Wir brauchen die
Kraft und den Mut, dies auch deutlich zu sagen.
Es geht noch weniger an, Herr Kollege Brand, dass
der ehemalige Verteidigungsminister zu Guttenberg, vor
den Sie sich gerade wieder schützend gestellt haben, das
noch weiter auslegt, indem er sagt: Auch ohne Regelver-
stöße wäre der Einsatz zwingend gewesen.
Er hat dazu von niemandem Rat eingeholt. Im Gegenteil:
General Schneiderhan hat ihn sogar gewarnt, ein biss-
chen vorsichtiger zu sein, und darauf hingewiesen, dass
die Dinge wahrscheinlich komplizierter sind als ange-
nommen.
Er musste nachher sein Urteil korrigieren, weil der öf-
fentliche Druck und auch der Druck aus dem Parlament
größer wurden; denn jeder, der den ISAF-Abschlussbe-
richt lesen konnte – auch zu Guttenberg sagt, er habe ihn
gelesen –, kann zu keiner anderen Erkenntnis kommen,
als dass der Einsatz falsch war und es schwere Regelver-
stöße gab. Dass Sie sich heute noch vor den Minister
stellen, finde ich außerordentlich bemerkenswert. Denn
die Geschichte in den letzten zwölf Monaten hat gezeigt:
Es gibt Zweifel an der Seriosität, Wahrhaftigkeit und der
Bereitschaft, Verantwortung gegenüber den beiden Per-
sonen zu übernehmen, nämlich Generalinspekteur
Schneiderhan und Staatssekretär Wichert, die er entlas-
sen hat. An den beiden gibt es keinen Zweifel.
Es würde sich für Sie anbieten, zu lesen, was Volker
Rühe, Ihr ehemaliger CDU/CSU-Verteidigungsminister,
zu diesen Vorgängen festgestellt hat. Sie haben nichts
davon aufgenommen. Sie haben Ihren Abschlussbericht
so geschrieben, Herr Brand, dass ich den Eindruck habe,
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Lassen Sie mich noch einige Sätze zu der Verantwor-
ng des damaligen Ministers Jung sagen. Um es gleich
orweg klar zu artikulieren: Die Haltung von Minister
ung war letzten Endes konsequent. Sie verdient zumin-
est Respekt. Er hat angesichts der großen Dramatik und
es Leids, das in Afghanistan geschehen ist, vergleichs-
eise kleine Fehler begangen. Er hat die Öffentlichkeit
icht schnell genug informiert. Vielleicht hat er auch
icht die Kraft gehabt, zu sagen: „Das ist politisch bri-
ant; ab jetzt laufen alle Fäden bei mir zusammen“, statt
lle Abteilungen vor sich hinarbeiten zu lassen. Das wa-
n seine Versäumnisse. Dafür hat er die Verantwortung
bernommen. Dies halten wir ausdrücklich für in Ord-
ung.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Spiegel-
triche zum Thema „lessons learned“ anmerken.
Bei „ein paar Spiegelstrichen“ werde ich unruhig.
Ich nenne nur noch einen Punkt, der uns als Sozialde-
okraten besonders wichtig ist. Wir werden uns damit
eschäftigen müssen, ob das deutsche Recht in allen Be-
ichen zu unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
asst. Wir werden uns auch damit beschäftigen müssen,
b die Arbeit der menschlichen Quellen, die der Arbeit
es Bundesnachrichtendienstes sehr nahe ist, von der
undeswehr so weiter geleistet werden soll und welche
arlamentarische Kontrolle dafür notwendig ist.
Herr Kollege.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Arbeit ist
ichtig. Die Frage ist aber, wie sie gemacht wird.
Wir haben also mit dem heutigen Abschlussbericht
einen Schlussstrich zu ziehen. Mit dem heutigen Ab-
chlussbericht sagen wir vielmehr: Vor uns liegt noch
iel Arbeit in dem Sinne, aus Fehlern zu lernen, damit
ich so etwas nach menschlichem Ermessen nicht mehr
iederholt.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Joachim Spatz hat jetzt das Wort für die
DP-Fraktion.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17437
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat stellte das Einsatzjahr 2009 mit den eigenen
Opfern im April und den bedauernswerten zivilen Op-
fern am Kunduz-Fluss am 4. September 2009 einen Ein-
schnitt in der Geschichte der Bundeswehr und auch der
Bundesrepublik Deutschland dar. Spätestens mit diesem
Einsatzjahr war klar, dass wir uns in Afghanistan – man
kann das jetzt juristisch formulieren, aber ich sage es
einmal so, wie es der normale Mensch empfindet – im
Krieg befinden.
Ich denke, vieles was danach an Konsequenzen
folgte, bis hin zur Bundeswehrreform in der Gestalt, wie
sie jetzt angegangen wird, ist der Tatsache geschuldet,
dass man sich diesen Realitäten unausweichlich hat stel-
len müssen.
Zur Beurteilung des Vorfalls am Kunduz-Fluss war es
unumgänglich, einen Untersuchungsausschuss einzu-
richten. Deshalb wurde er auch – der Kollege Brand hat
darauf hingewiesen – einstimmig eingesetzt. Als öffent-
liche Einrichtung muss sich die Parlamentsarmee genau
wie die Polizei bei der Wahrnehmung ihrer Machtmittel
einer kritischen Prüfung unterziehen. Deshalb bekennen
wir uns auch dazu, dass sich das Handeln in diesem Fall
der kritischen Prüfung durch einen Untersuchungsaus-
schuss zu unterziehen hatte.
Dabei hat aber nicht nur die Bundesregierung, son-
dern auch das Parlament die Aufgabe, diese Prüfung vor
dem Hintergrund ihrer Verantwortung wahrzunehmen.
Dazu muss ich schon sagen – da teile ich die Bewertung
des Kollegen Brand –, dass das nicht in jedem Fall die
alleinige Richtschnur gewesen sein kann, an der sich die
Opposition orientiert hat. Bei uns standen auf jeden Fall
die Sachaufklärung und das, was wir an Folgerungen für
die weitere Tätigkeit der Bundeswehr daraus zu ziehen
haben – mit dem Stichwort „lessons learned“ wurde das
schon erwähnt –, im Vordergrund.
An der Stelle sei auch einmal erwähnt, dass die Koali-
tion gemeinsam mit SPD und Grünen im Feststellungs-
teil unseres Berichtes einen Weg gefunden hat, wenigs-
tens die Sachaufklärung auf einen gemeinsamen Stand
zu bringen. Eigentlich war bis zum Schluss auch die
Linke mit dabei, die sich dem dann aber ganz kurz vor
Toresschluss entzogen hat. Als Beweggründe dafür eig-
nen sich – darauf komme ich später bei einzelnen Punk-
ten noch zurück – wohl nur andere als die gemeinsame
Sachaufklärung. Hier hat anscheinend die Regie aus dem
Backoffice dominiert.
Wir als Koalition haben uns die Bewertung der Tätig-
keit oder der Entscheidungen des Oberst Klein an die-
sem Tag nicht leichtgemacht. Wir sind zu dem Ergebnis
gelangt, dass man nach Abschluss aller Untersuchungen
zu dem Schluss kommen muss, dass die Entscheidung
zwar militärisch nicht angemessen war – dazu bekennen
wir uns auch –, dass er aber nach bestem Wissen und Ge-
wissen und zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten,
die ihm genauso unterstellt waren wie die zivilen Be-
diensteten, die im Lager dabei waren, gehandelt hat. Wie
gesagt: Im Nachhinein, nach Vorliegen aller Informatio-
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owenig wie wir an dieser Stelle ein Werturteil über die
ersonen oder deren Lebensleistung abgegeben haben,
o wenig kann ich diejenigen ernst nehmen, die sich ein
rteil über ein Verhalten in dieser konkret angesproche-
en Sachlage herausnehmen,
bwohl sie in keiner Weise daran beteiligt waren. Das
ill ich hier schon noch einmal klarstellen.
Jetzt zu etwas anderem; das ist vor allem an die Linke
erichtet. Es geht um den Versuch, die Bundeswehr,
tichwort „Task Force 47“, in eine bestimmte Richtung
u rücken, wodurch nahegelegt wird, dass sie gewisser-
aßen Listen von Targets abarbeitet oder Beihilfe zu
eheimoperationen leistet. Dergleichen ist noch nicht
inmal im Ansatz belegbar gewesen. Es ist ein Unding,
ass Sie das offensichtlich weiterhin behaupten.
17438 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Joachim Spatz
)
)
Es gab nicht einmal einen Anfangsverdacht. Das Ganze
ist nichts anderes als Diffamierung. Auch hier wird wie-
der der Versuch deutlich, diesen Einsatz, die Bundes-
wehr und ihre Führung an dieser Stelle zu diskreditieren.
Man tut so, als ob sich unsere Soldatinnen und Soldaten
zu solchem Tun – Geheimdienstoperationen entweder
aus eigenem Antrieb oder im Auftrag anderer abzuarbei-
ten – hergeben. Das ist nicht der Fall.
Es gab nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass es an-
ders gewesen ist.
Zu Ihrer Behauptung, der Luftschlag sei völkerrechts-
widrig gewesen, kann ich nur sagen: Die deutsche Justiz,
die über die Anklage gegen Oberst Klein zu entscheiden
hatte, ist schlicht und ergreifend anderer Meinung.
– Da können Sie lachen. Bei juristischen Meinungen gibt
es natürlich immer unterschiedliche Auffassungen. Es
gibt ja den Spruch: Drei Juristen, fünf Meinungen.
Wenn es bei solchen Fragen von den zuständigen Institu-
tionen eine Entscheidung gibt, ist es Aufgabe des Parla-
ments, das nicht zu ignorieren und nicht weiterhin zu be-
haupten, dass man völkerrechtswidrig unterwegs ge-
wesen ist.
Alles in allem kann man sagen, dass die Tätigkeit des
Untersuchungsausschusses diejenigen Dinge zutage ge-
fördert hat, die wir ändern mussten, sowohl im Einsatz-
gebiet selbst als auch in der Kommunikation des Bun-
desministeriums der Verteidigung; denn auch da waren
offenkundig Unzulänglichkeiten vorhanden. Diese Än-
derungen sind weitgehend geschehen. Die Versuche, so-
wohl den Einsatz wie auch handelnde Personen in Miss-
kredit zu bringen oder gar zu diffamieren, sind gescheitert.
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Bombenangriff von Kunduz am 4. September 2009 war
eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dass
ein Bundeswehroberst den Befehl zu einem Luftangriff
gibt, bei dem über 100 Menschen, darunter überwiegend
unschuldige Zivilisten, umkommen sollten, lag außer-
halb des Denkhorizonts der deutschen Öffentlichkeit.
Das hat viele aufgeschreckt, viele entsetzt, und es ist gut,
dass sich die Deutschen auch über 60 Jahre nach dem
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Wir sind durch die Arbeit des Untersuchungsaus-
chusses zu klaren Bewertungen gekommen. Wir sind
avon überzeugt, dass der Luftangriff vom 4. September
009 gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen hat
nd dass er deshalb nie hätte stattfinden dürfen.
berst Klein hätte alles tun müssen, um definitiv auszu-
chließen, dass sich am Angriffsort Zivilisten befinden.
avon kann aber keine Rede sein. Schon allein die Frage
ach dem Verbleib des besonders schutzbedürftigen,
eil verschleppten Lkw-Fahrers zu ignorieren, war fahr-
ssig.
ber auch das stete Kommen und Gehen einer großen
ahl von Menschen, die Benzin aus dem Tanklastwagen
bzapfen wollten, sprach gegen die Annahme, dies seien
eine Zivilisten. Oberst Klein hätte vor dem Angriffsbe-
hl zwingend Tiefflugaktionen der Piloten anordnen
üssen – ich rede vom Bürgerrecht –, um die Zivilisten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17439
Paul Schäfer
)
)
auf der Sandbank vor einem Luftangriff zu warnen und
ihnen die Gelegenheit zu geben, den Ort unverzüglich zu
verlassen. Das sind völkerrechtliche Gebote. Das ist
nicht geschehen, weil es ja gerade das Ziel des Bomben-
angriffs war, den lokalen Taliban-Führern und den ver-
meintlichen Aufständischen einen – so hieß es ja – „ver-
nichtenden Schlag zu versetzen“. Das war das Kalkül.
Dass sich die Bundeswehrführung intern und in ihrer Be-
ratung des damaligen Ministers dieses Kalkül zu eigen
gemacht
und damit den Luftschlag gerechtfertigt hat, hat die Sa-
che wahrlich nicht besser gemacht, im Gegenteil. Das
haben wir im Untersuchungsausschuss auch herausge-
funden.
Wir konnten uns auch in dieser Bewertung nicht zu-
letzt auf den NATO-Untersuchungsbericht stützen. Er
enthält alle wesentlichen Fakten, auch klare Hinweise
auf die gravierenden Regelverstöße durch Oberst Klein,
und er macht keinen Hehl daraus, dass der Angriffsbe-
fehl ohne unmittelbare Gefahr für die Bundeswehr und
auch für afghanische Zivilisten sowie ohne ausreichende
Klärung, wer durch die Bomben getroffen werden
würde, nicht hätte gegeben werden dürfen.
Es ist ein Trauerspiel, dass dieser COMISAF-Bericht
weiter topsecret ist, lieber Kollege Brand. Die Bundesre-
gierung hat lange mit dem Finger auf die NATO gezeigt.
Peinlich nur, dass durch den Untersuchungsausschuss
herauskam – man kann es nachlesen –, dass das deutsch
geführte PRT Kunduz auch daran beteiligt war, an der
Geheimeinstufung festzuhalten. Das ist doch bemer-
kenswert.
General Ramms, zeitweilig ranghöchster deutscher
Offizier bei der NATO, war einer der Zeugen. Er hat aus-
gesagt, seine Schlussfolgerung nach der Lektüre des
COMISAF-Berichts habe gelautet: Ich empfehle die ge-
richtliche und disziplinarische Untersuchung des Vor-
falls. – Das war die Meinung eines führenden Militärs.
Wie ist die Bundesregierung damit umgegangen? Vor
dem Hintergrund der sich verschärfenden Kämpfe und
dieses Ereignisses am Kunduz-Fluss hat man die Weich-
spülterminologie aufgegeben. Seit Oktober 2009 spre-
chen wir von Krieg in Afghanistan.
Man mag das als Anerkennung der Realitäten anse-
hen, aber es geht um mehr: Krieg und Kriegsopfer gehö-
ren zusammen, und wenn schon Krieg ist, dann ist auch
mehr erlaubt, also auch verschärfte Angriffshandlungen.
Einen Oberst, der gegnerische Kombattanten nach sei-
nen eigenen Worten vernichten will, zu belangen, wird
schwierig. Man konnte davon ausgehen, dass eine auch
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Die Bundeswehr hat gegen Oberst Klein ein förmli-
hes Disziplinarverfahren erst gar nicht eingeleitet. Hier
cheint ein Grundmuster auf, das überaus kritikwürdig
t. Es mag sein, dass eine Staatsanwaltschaft der Mei-
ung ist, eine strafrechtliche Verurteilung sei nicht zu er-
arten. Aber die disziplinarische Würdigung ist etwas
nderes, und sie darf nicht einfach an eine unterblei-
ende Strafverfolgung angehängt werden. Gravierende
erstöße gegen NATO-Regeln zum Beispiel – die liegen
indeutig vor – sind zu ahnden, wenn man nicht riskie-
n will, dass das schlechte Beispiel Schule macht.
s kann doch nicht sein, dass schlampiges Waffenreini-
en geahndet wird
nd ein tödlicher Waffeneinsatz, der in der heutigen
undeswehrführung als Riesenfehler eingestuft wird,
it Beförderung belohnt wird. Das kann nicht sein.
Die Bundeskanzlerin hat am 8. September 2009 da-
on gesprochen, dass durch Kunduz „wie in einem
rennglas“ die „grundsätzlichen Fragen sichtbar“ wer-
en, „die wir uns seit Beginn des Einsatzes der Bundes-
ehr in Afghanistan immer wieder stellen müssen“.
ohl wahr. Dazu gehört auch die Frage, ob sich die
undeswehr an einer solchen Form der offensiven Auf-
tandsbekämpfung beteiligen soll, wie sie im Norden
tattfindet. Man hat seit Beginn 2009 gesagt, man müsse
ich jetzt wehren. Dann kam Kunduz. Für die politischen
ntscheidungsträger schien es dann vor allem darum zu
ehen: Wie kann man den allzu bohrenden Fragen nach
er Sinnhaftigkeit des Einsatzes an der Heimatfront
egegnen? Das ist der kritische Punkt. Wenn die
auptsorge ist, ob die Truppe noch angemessen kriege-
sch funktioniert, und dies die Bedenken, ob die völker-
chtlichen und rechtlichen Schranken zur größtmögli-
hen Schonung der Zivilbevölkerung auch strikt
eachtet werden, in den Hintergrund drängt oder überla-
ert, dann sind wir auf der schiefen Ebene. Deshalb gilt
s an dieser Stelle, innezuhalten und umzukehren. Genau
as ist es, was gemacht werden muss.
Die entscheidende Schlussfolgerung, die die Linke
us dem 4. September 2009 zieht, lautet: Krieg darf kein
ittel der Politik mehr sein.
Danke.
17440 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Omid Nouripour das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wis-
sen nicht genau, wie viele Menschen am 4. September
2009 zu Schaden gekommen sind. In den Berichten gibt
es variierende Zahlen: bis zu 142. Wir wissen aber, dass
viele Zivilistinnen und Zivilisten darunter waren und
dass auch Kinder dort versehrt worden sind. Das ist der
Grund, warum wir heute zu Recht sagen, dass es eine
Zäsur war, nicht nur in der Geschichte der Bundeswehr,
sondern auch beim Einsatz in Afghanistan, und das ist
der Grund, warum es einen Untersuchungsausschuss ge-
geben hat.
Wir fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass ein
solches Fehlurteil gefällt wurde? Wie ist die Politik da-
nach mit diesem Fehler umgegangen? Welche Lehren
ziehen wir daraus? Diese Fragen haben wir sehr lange
miteinander erörtert. Es war nicht immer einfach. Aber
ich finde unter dem Strich, dass dieser Ausschuss vieles
erreicht hat. Wir haben viel über den Einsatz in Afgha-
nistan gelernt, wir haben viel über Afghanistan selbst ge-
lernt, und wir haben sehr viel über die Bundeswehr und
das Bundesministerium der Verteidigung gelernt.
Vieles war schleppend. Bei den meisten Akten war es
am Anfang nicht einfach, sie zu bekommen. Die Bun-
desregierung hat aus unserer Sicht vieles nicht oder nur
sehr langsam geliefert. Wir haben immer wieder mit der
Mehrheit zu kämpfen gehabt. Nicht alle Auseinanderset-
zungen, die wir im Ausschuss hatten – ich schließe an die-
ser Stelle keine Fraktion aus –, waren sachlich. Ich finde,
dass vieles nicht ernsthaft genug diskutiert wurde – ich
persönlich meine, vor allem vonseiten der Koalition. Ich
fand es auch nicht gut, wenn erst gesagt wurde, dass be-
stimmte Sitzungen öffentlich sein sollen, dann aber aus
Gründen, die ich bis heute nicht nachvollziehen kann,
anders entschieden wurde. Das zeugte nicht von Zuver-
lässigkeit.
Aber noch einmal: Wir haben es geschafft, miteinan-
der zu einem gemeinsamen Feststellungsteil zu kom-
men. Das ist gut. Das ist etwas mehr gewesen, als ich am
Anfang erwartet hatte.
Trotzdem kommen wir bei der Frage, wen man ent-
lasten kann, zu einem anderen Ergebnis als die Aus-
schussmehrheit. Franz Josef Jung hat der Öffentlichkeit
tagelang die Wahrheit verschwiegen, dass es zivile Opfer
gegeben hat, obwohl das bereits am 4. September in in-
ternationalen Nachrichten bekannt geworden war. Be-
reits am 4. September gab es Meldungen über Kinder in
Krankenhäusern in Kunduz.
Die Bundeskanzlerin hat nicht widersprochen. Sie ist
zwar für die Richtlinienkompetenz zuständig; sie ist aber
in der Wahlkampfsituation abgetaucht. Sie hat verspro-
chen, dass es ihrerseits vollständige Aufklärung geben
werde. Ich selbst habe sie im Ausschuss gefragt, was nun
ihr persönlicher Beitrag zur Aufklärung sei. Ihre Ant-
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as Auswärtige Amt hat nicht widersprochen, sich aber
enigstens von den Äußerungen von Franz Josef Jung
lug distanziert.
Herr Kollege Spatz, bei Karl-Theodor zu Guttenberg
llt mir nur ein: ein Minister, drei Meinungen.
nfangs gab es eine Bewertung, in der es hieß: militä-
sch angemessen und zwingend. Danach hieß es: Nein,
as war falsch. Später hieß es: Es war politisch nicht an-
emessen, aber militärisch doch. – Wie er zu diesen
einungswechseln kam, ist bis heute nicht wirklich klar.
r konnte uns das nicht sagen; er hatte halt den Über-
lick verloren. Die Herren Wichert und Schneiderhan
önnen wir Grüne auch nicht entlasten. Sie sind Opfer
ines Systems geworden, das sie jahrelang selbst im
inisterium installiert haben.
Erlauben Sie mir bitte, noch einige Sätze zu Oberst
lein zu sagen. Er hat in einer unglaublich schwierigen
ituation Fehler gemacht. Er hat in dieser Situation ge-
en Einsatzregeln verstoßen und das völkerrechtlich ver-
nkerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht eingehal-
n.
Nun hat natürlich auch die Politik, die Soldaten und
oldatinnen entsendet, eine Fürsorgepflicht. Verehrte
olleginnen und Kollegen der Union, ich finde, es ist
ein richtiges Verständnis von Fürsorge, wenn man Feh-
r einfach nicht benennt. Hinsichtlich des Disziplinar-
erfahrens würde ich mir nicht anmaßen, ein Ergebnis
orwegzunehmen. Das Problem ist jedoch die Begrün-
ung des BMVg. Die Begründung für die Einstellung
es Disziplinarverfahrens lautete: Anhaltspunkte für ein
ienstvergehen haben sich nicht ergeben. – Das ist
chlicht falsch. Für eine Beurteilung muss man die inter-
ationalen Berichte lesen, man muss die NATO-Ergeb-
isse lesen – und dann muss man einfach zu einem ande-
n Ergebnis kommen.
Im Untersuchungsausschuss waren einige Menschen
it goldenen Sternen auf der Schulterklappe als Zeugen,
ei denen ich mich gefragt habe, ob sie sich einfach im-
er wieder weggeduckt haben. Wir hatten aber auch
ehr viele Soldaten als Zeugen im Ausschuss, die ein
usterbeispiel für Innere Führung waren. Die Frage ist:
elches Signal sendet die Führung des Ministeriums in
ichtung der eigenen Soldatinnen und Soldaten aus,
enn es darum geht, was eigentlich Innere Führung ist?
in permanentes Wegdrücken von Fehlern und die Hal-
ng, auch das, was international bekannt ist, nicht zu
ematisieren, ist kein gutes Beispiel, wenn man das
rinzip der Inneren Führung verankern will.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17441
Omid Nouripour
)
)
Die Koalitionsfraktionen wollten den Ausschuss be-
reits nach drei Monaten beenden. Zu dem Zeitpunkt war
die Bundeskanzlerin noch gar nicht als Zeugin vernom-
men worden. Wir hatten viel Ärger miteinander. Nun
kann man sagen, es sei ein bekanntes Spiel in Untersu-
chungsausschüssen, dass sich Koalition und Opposition
auch in den Formalitäten beharken.
Das Problem aber ist Folgendes: Wir haben am Ende
mehrfach angeboten, uns gemeinsam hinzusetzen und
einmal aufzuschreiben – der Kollege Arnold hat es ge-
sagt –, was wir denn eigentlich aus dem Ganzen gelernt
haben, damit wir schließlich gemeinsame Empfehlungen
abgeben können. Sie haben sich diesem Gespräch ver-
weigert.
Das ist sehr bedauerlich und zugleich ein Bärendienst,
nicht nur für die Akzeptanz der Truppe, sondern auch für
die Akzeptanz des Einsatzes in Afghanistan.
Erlauben Sie mir, einige wenige Lektionen vorzutra-
gen, die wir – Sozialdemokraten und Grüne – aufge-
schrieben haben:
Die Einsatzregeln der ISAF müssen den Soldatinnen
und Soldaten im Einsatz konsequent und systematisch
vermittelt werden. Das gilt erst recht im Hinblick auf das
Völkerrecht und die Konsequenzen, die sich daraus erge-
ben können.
Die Struktur der Feldlager, also der PRTs, kann so
nicht mehr aufrechterhalten werden. Es kann nicht sein,
dass es formal eine Doppelspitze gibt, bei der allerdings
der militärische Führer 1 000 Menschen unter sich hat,
der zivile hingegen nur zwei. Hier muss die zivile Seite
deutlich mehr tun, damit eine Doppelspitze auf gleicher
Augenhöhe agieren kann.
Die Bundeswehr braucht mehr Aufklärungsmittel. Es
geht natürlich auch darum, dass Quellen anders geführt
werden, auch beim Einsatz in Afghanistan. Es geht in
erster Linie darum, dass das Prinzip der Inneren Führung
konsequent vermittelt wird. Wenn Soldatinnen und Sol-
daten der Meinung sind, dass ein Befehl, der ihnen erteilt
worden ist, nicht regelkonform ist – sei er völkerrecht-
lich zweifelhaft, sei er mit den Einsatzregeln nicht zu
vereinbaren –, dann müssen sie dem wie selbstverständ-
lich widersprechen. Das ist nicht immer selbstverständ-
lich; das muss es aber werden.
Im Ministerium gab es – der Kollege Spatz hat das zu
Recht gesagt – eine mangelnde Krisenkommunikation.
Sie sagten, dass es danach Änderungen gegeben habe;
alles sei besser geworden. In dem Zusammenhang
möchte ich an den Fall der Gorch Fock erinnern, bei dem
man nicht das Gefühl hatte, dass irgendetwas gelernt
worden war. Da hat man den Fehler, nämlich erst einmal
alles beiseitezudrücken, was es an Fehlern gab, wieder-
holt. Wichtig wäre, dass die Bundeskanzlerin oder ab
2013 der nächste Bundeskanzler – meines Wissens sind
bisher alle Gegenkandidaten Männer –
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Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder für die
nionsfraktion.
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein Untersu-
hungsausschuss ist ein Hilfsinstrument für das Parla-
ent zur Sachaufklärung eines skandalisierten Sachver-
alts. Er ist aber auch politisches Kampfmittel. Wir
tellen fest, dass Untersuchungsausschüsse in letzter Zeit
mer mehr zu einem politischen Kampfmittel und im-
er weniger zu einem Aufklärungsinstrument geworden
ind. Wenn Sie es mir nicht glauben, kann die SPD das
Buch von Wiefelspütz auf Seite 30 nachlesen. Den
inken empfehle ich Badura in der Festschrift für Helm-
ch, Seite 191.
Im Rahmen einer politischen Kampfstimmung ist es
ormal, dass man sich einmal im Ton vergreift, dass man
it Unterstellungen und subtilen Behauptungen, die sich
icht bewahrheiten lassen, argumentiert und dass man
us diesen Unterstellungen Schlussfolgerungen zieht,
ie ebenfalls nicht stimmen.
Kollege Kauder, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
ung der Kollegin Keul?
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Nein, sie kann eine Kurzintervention machen. –
eine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür,
ass man im politischen Meinungskampf mit Unterstel-
ngen arbeitet. Jedoch habe ich überhaupt kein Ver-
tändnis dafür, dass man glaubt, die Generalbundes-
nwältin attackieren zu müssen,
17442 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Siegfried Kauder
)
)
mit den ungehörigsten Argumentationen, die ich jemals
erlebt habe. Die Linken haben der Bundesregierung un-
terstellt, sie habe gewissermaßen Einfluss auf die Gene-
ralstaatsanwaltschaft genommen, damit diese das Ver-
fahren einstelle.
Da hört es auf. Eine objektive Behörde muss sich nicht
gefallen lassen, dass behauptet wird, sie sei von einer
Bundesregierung determiniert. Das stimmt nicht. Sie
können es nicht beweisen, und deshalb dürfen Sie es
auch nicht behaupten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es ge-
hört sich auch nicht, der Generalbundesanwaltschaft zu
unterstellen, sie habe oberflächlich gearbeitet und kei-
nerlei militärpolitische Kenntnisse.
Deshalb rate ich jedem, bei den Aufgaben eines Untersu-
chungsausschusses zu bleiben.
Wir haben in diesem Untersuchungsausschuss durch-
aus etwas gelernt. Ein hohes Gericht hat Ihren Plan eines
Showdowns durchkreuzt. Eine Gegenüberstellung von
Guttenberg, Schneiderhan und Wichert, wie Sie sie woll-
ten, ist von uns abgelehnt worden. Das Gericht hat uns
recht darin gegeben, dass es sich nicht um ein Minder-
heitenrecht handelt, sondern dass die Mehrheit das ab-
lehnen kann. Wir wollen keinen Showdown in Untersu-
chungsausschüssen.
Ich empfehle, dass die Opposition in sich geht und da-
rüber nachdenkt, ob es nicht besser ist, aus einem Unter-
suchungsausschuss wieder das zu machen, was eigent-
lich vorgesehen war, nämlich ein Instrument der
Sachaufklärung.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieser Untersu-
chungsausschuss hat wieder einmal bestätigt: Wir müs-
sen das parlamentarische Untersuchungsausschussrecht
reformieren. Es gibt da zu viel Leerlauf, und es wird zu
viel unnütz gemacht.
Man kann da einiges verbessern. Ich habe einen Gesetz-
entwurf in der Tasche; jeder kann daran mitarbeiten.
Es ist nämlich eine Aufgabe des Parlaments, sich funk-
tionierende Regeln zu geben. Es darf nicht sein, dass
Zeugen vernommen werden und am Ende in deren Aus-
sagen etwas hineininterpretiert wird, was diese nicht her-
geben.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wer liest
enn diese über 300 Seiten Abschlussbericht?
580 Seiten, sagt der Kollege. Vielleicht kommen wir
inmal dazu, das präziser und knapper zu formulieren,
inen Bericht hinzubekommen und Sondervoten abzuge-
en, die Hand und Fuß haben.
Nehmen Sie sich ein Beispiel am Bündnis 90/Die
rünen. Ein Kompliment: Sie haben ein Sondervotum
bgegeben, das zwar nicht unsere Meinung widerspie-
elt, aber sauber aufgebaut ist, im Ton moderat ist und
inen Sprachgebrauch pflegt, wie wir ihn im Parlament
nd im Plenum gewohnt sind: nicht unter der Gürtelli-
ie. Daraus können die anderen Fraktionen nur lernen.
Kollege Kauder, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
ung der Kollegin Hänsel?
Siegfried Kauder (CDU/
SU):
Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kauder, Sie
aben sich gefragt: Wer liest eigentlich diesen Untersu-
hungsbericht? Sind Sie sich eigentlich dessen bewusst,
ass die Menschen in Afghanistan sehr genau schauen,
as hier passiert, wer Verantwortung übernimmt und
ie mit der ganzen Situation umgegangen wird? Wissen
ie eigentlich, dass immer mehr Menschen in Afghanis-
n auf die Straße gehen, um sich gegen genau solche
ombardierungen zu wehren, weil sie feststellen, dass
ichts passiert und es nicht einmal einen Aufschrei gibt?
s ist nicht egal, was in diesem Untersuchungsbericht
teht. Immer mehr Menschen in Afghanistan wenden
ich gegen ein solches Vorgehen.
Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass
eute hier oben auf der Besuchertribüne ein junger Af-
hane sitzt, der solche Demonstrationen organisiert und
agt: „Wir wehren uns gegen diese Bombardierungen“,
er mitbekommt, worüber wir hier diskutieren. Es ist
icht egal, was in einem solchen Bericht steht; es wird
ehr genau auf jedes Wort geachtet, auch auf Ihre Worte
nd darauf, ob es hier ein Stück weit Empathie gibt oder
ie nur sachlich-technisch über diesen Untersuchungs-
usschuss reden. Ich bin froh, dass sich junge Afghanen
agegen wehren, und möchte Said Mahmood Paiz herz-
ch willkommen heißen. Herzlichen Dank, dass du da
ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17443
)
)
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Liebe Kollegin, Sie vermitteln diesen jungen Men-
schen damit allerdings, auch in Deutschland gäbe es
keine rechtsstaatlichen Prinzipien. Denn Sie, die Linken,
waren es, die der Generalbundesanwaltschaft vorgewor-
fen haben, sie habe in einem äußerst bedenklichen, wenn
nicht sogar rechtsstaatswidrigen Vorgang das Verfahren
gegen Oberst Klein eingestellt. Sie dürfen den jungen
Menschen in Afghanistan nicht vermitteln, dass die Ge-
neralbundesanwaltschaft „bedenklich“ und „rechts-
staatswidrig“ vorgeht – das tut sie nicht –; denn diese
jungen Menschen wissen, was es heißt, nicht rechtsstaat-
lich behandelt zu werden.
Sie sehen also, dass es durchaus seinen Sinn hat, auch
über Prinzipien zu diskutieren. Vielleicht lernen Sie
noch etwas daraus. Ich würde es mir und uns allen wün-
schen.
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Keul das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Kauder, wir haben heute mehrfach in der Debatte gehört,
dass alle ein Interesse an Sachaufklärung hatten, an einer
öffentlichen Aufklärung, wie sie uns die Kanzlerin ver-
sprochen hatte. Es sah beim Untersuchungsausschuss zu
Beginn auch so aus, als seien wir da auf einem guten
Wege. So hatten wir einen Kompromiss mit den Koali-
tionsfraktionen im Hinblick auf Geheimhaltungsbedürf-
tigkeit und öffentliche Aufklärung gefunden; wir hatten
einen Kompromiss gefunden, welche Zeugen öffentlich
und welche nicht öffentlich vernommen werden sollten.
Das war eine vernünftige Grundlage; sie bestand etwa
zwei bis drei Monate.
Ich möchte Sie heute fragen: Warum war es gerade
Ihnen, die Sie nach zwei bis drei Monaten erschienen, so
besonders wichtig, dafür zu sorgen, dass dieser Aus-
schuss nie wieder öffentlich tagte und sämtliche Verneh-
mungen von Zeugen, egal ob schutzbedürftig oder nicht,
nur noch im Geheimen stattfanden?
Sie haben das Wort, Kollege Kauder.
Siegfried Kauder (CDU/
CSU):
Frau Kollegin, schlicht und ergreifend deshalb, weil
ich in das Grundgesetz geschaut habe. Schon der Vertei-
digungsausschuss tagt nicht öffentlich, aus gutem
Grund: weil es da um militärische Informationen geht,
die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sein sollen. Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn im Grundgesetz
steht, dass schon der Verteidigungsausschuss bei solchen
Sachverhalten nicht öffentlich tagt, warum soll dann ein
Untersuchungsausschuss, bei dem es ans Eingemachte
geht, auf einmal öffentlich tagen können?
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o etwas gab es nicht von der Bundesregierung, obwohl
ie Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung „lü-
kenlose Aufklärung“ angekündigt hatte. Nichts hat sie
orgelegt. Dafür brauchten wir diesen Ausschuss, dafür
ibt es jetzt diesen Bericht.
Der Anlass war wichtig genug: die folgenschwerste
ilitärische Operation in der Geschichte der Bundesre-
ublik Deutschland mit über 100 Toten, mit Kritik von
ielen NATO-Partnern, mit einer eigenen hochnotpeinli-
hen NATO-Untersuchung, mit einem zur Ruhe gesetz-
n Generalinspekteur, einem entlassenen Staatssekretär
nd zwei verloren gegangenen Bundesministern. Das
ar nicht nichts.
17444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Hans-Peter Bartels
)
)
Es war unsere parlamentarische Schuldigkeit, uns hier
an die Arbeit zu machen.
Solche Untersuchungsausschüsse sind aufwendig und
deshalb selten. Aber allein die Möglichkeit, dass es ei-
nen Untersuchungsausschuss geben kann, hat eine Wir-
kung auf die Exekutive. Nicht nur die tatsächliche stän-
dige parlamentarische Kontrolle, sondern die jeder-
zeitige Möglichkeit dieser Kontrolle durch einen beson-
deren Ausschuss sollte als regulative Idee nicht unter-
schätzt werden. Gerade wenn wir immer von der Bun-
deswehr als Parlamentsarmee sprechen, sollten wir uns
nicht vor der zusätzlichen Arbeit scheuen, und wir haben
das auch nicht getan.
Der nun vorliegende dicke Bericht enthält tatsächlich
eine gemeinsame Bewertung: Der Luftschlag von Kun-
duz war ein schwerer Fehler; es hätte nicht dazu kom-
men dürfen. – Ich gebe zu, dass ich im Begründungsteil
die Argumentation meiner Fraktion, der SPD, etwas
schlüssiger finde als die Logik der Koalitionsmehrheit
von CDU/CSU und FDP.
Die lautet etwa so: Der Bombenabwurf war falsch; aber
alles, was dazu geführt hat, war richtig. Das klingt etwas
paradox.
Aber ich will hier gar nicht unterschlagen, dass es gute
Gründe dafür gibt, sich nicht immer ganz so sicher zu
sein.
Oberst Klein hat als Zeuge auf die Schwierigkeit hin-
gewiesen, militärische Entscheidungen auf der Grund-
lage eines niemals vollständigen Lagebildes treffen zu
müssen. Er hat vor dem Ausschuss ausgesagt und hinter-
her noch einmal zu den Fraktionsvoten Stellung genom-
men. Damit hat er in jeder Weise die Aufklärungsarbeit
unterstützt. Ich will das betonen, weil es wichtig ist für
das Vertrauensverhältnis zwischen Armee und Parlament
nicht nur im Alltag, sondern auch, wenn tragische Ereig-
nisse aufzuarbeiten sind.
Am Ende seiner Stellungnahme schreibt Oberst Klein:
… vor dem Hintergrund der heutigen Kenntnisse
muss ich die Folgen meiner Entscheidung als ver-
hängnisvoll bezeichnen.
So ist es, und soweit besteht gewissermaßen Überein-
stimmung zwischen Militär und Politik.
Zum Schluss noch ein Wort zum zurückgetretenen
Verteidigungsminister, der gerade jetzt wieder in die
deutsche Öffentlichkeit drängt. Er hatte sich ja ursprüng-
lich dazu verstiegen, zu sagen, es habe so oder so zu dem
Luftschlag kommen müssen. Im Ausschuss hat er zu
Protokoll gegeben, er habe vorher selbst den geheimen
NATO-Untersuchungsbericht durchgearbeitet. – Das
geht nicht zusammen. Die NATO kommt zu dem Ergeb-
nis, dass der Bombenbefehl nicht mit der Weisungslage
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arauf antwortet Guttenberg am 2. Dezember 2009,
benfalls handschriftlich – Zitat –:
Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Wichert, offenbar gibt
es interessierte Kreise, die mit Setzen von ver-
meintlichen Zitaten und gezielten Unwahrheiten
Unfrieden, ja Zwietracht säen wollen.
Am 18. Dezember 2009 schreibt er noch einmal an
ichert – Zitat –:
Mein bisheriges Verständnis war, dass über den In-
halt unseres persönlichen Gesprächs am 25. No-
vember 2009 keine Information der Öffentlichkeit
erfolgt.
Ausschuss hat der Zeuge Guttenberg in der ihm eige-
en Art die Frage offengelassen, wer den Spiegel über
en Verlauf des vertraulichen Gesprächs in seinem Büro
formiert hat. Der Spiegel selbst weiß das natürlich, hat
s aber damals nicht geschrieben.
Dafür finden wir diese Woche dort einen schönen
atz. Er ist so schön, dass ich damit schließen will:
Im Buch sagt er …
Guttenberg –
sein Verhalten in der Kunduz-Affäre sei von „abso-
luter Wahrhaftigkeit“ geprägt gewesen, im Berliner
Regierungsviertel gibt es wahrscheinlich keine fünf
Leute, die das genauso sehen.
on diesen fünf – das füge ich hinzu – arbeitet keiner
ehr im Spiegel-Büro. So gibt es überall Fortschritt.
Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
lorian Hahn für die Unionsfraktion das Wort.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17445
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Der Untersuchungsausschuss sollte die Umstände
des Luftschlages vom 3. und 4. September 2009 auf zwei
Tanklastwagen aufklären, bei dem es zum tragischen
Tod vieler Zivilisten kam, was wir immer bedauert ha-
ben. Das zu bezweifeln, ist, finde ich, unanständig.
Ebenso ging es darum, die diesbezügliche Aufklärungs-
und Informationspraxis der Bundesregierung und die
Vereinbarkeit der gewählten Vorgehensweise mit natio-
nalen und multinationalen politischen, rechtlichen und
militärischen Vorgaben für den Einsatz zu untersuchen.
Diese Aufklärung haben wir durch intensive Beweis-
aufnahme, durch Zeugeneinvernahme und detaillierte
Informationskenntnisse erreicht. Im Ergebnis kann fest-
gehalten werden, dass Oberst Klein auf Basis der damals
vorliegenden Faktenlage nachvollziehbar gehandelt hat.
Seine Entscheidung diente dem Schutz der ihm anver-
trauten Soldatinnen und Soldaten. Daran habe ich, vor
allem mit Blick auf die Sicherheitssituation damals und
mit Blick auf seinen Auftritt im Ausschuss, keinen
Zweifel. Keinen Zweifel habe ich zudem, dass es unter
anderem nie zu diesem Luftschlag gekommen wäre,
wäre erkennbar gewesen, dass so viele Zivilisten bei den
Lastzügen gewesen sind. Oberst Klein hat sogar zu je-
dem Zeitpunkt versucht, zivile Opfer zu vermeiden. Da-
rin liegt die besondere Tragik in diesem Fall. Die ver-
schiedenen Verfahrensfehler und Verletzungen von
Einsatzrichtlinien sind heute bekannt. Deshalb muss aus
heutiger Sicht der Einsatz als nicht angemessen bezeich-
net werden. Er hätte nicht durchgeführt werden dürfen.
Es bleibt zudem festzustellen, dass sich die Bundesre-
gierung korrekt verhalten und sich unverzüglich um die
Aufklärung der Lage vor Ort gekümmert hat.
Darüber hinaus haben die Kanzlerin, der Minister sowie
die Bundesregierung von Anfang an ihr Bedauern und
ihren Respekt gegenüber den unschuldigen Opfern zum
Ausdruck gebracht. So weit zu den Fakten.
Auch ich darf an dieser Stelle ein Dankeschön sagen
an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschuss-
sekretariats und des Ministeriums für die Vor- und Auf-
bereitung der Sitzungen und der Sitzungsunterlagen.
Sie haben noch ein Stück mehr gearbeitet als wir. Ein
herzliches Dankeschön!
Abgesehen von der Faktenlage gibt es immer auch
eine persönliche Bewertung eines solchen Untersu-
chungsausschusses. Hierbei kann ich meinen Ärger da-
rüber nicht ganz verhehlen, dass wir uns in diesen
bewegten Zeiten, in denen unsere Soldatinnen und Sol-
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nd das oftmals nur, weil die Opposition es nicht lassen
onnte, auch unter den kleinsten Stein mindestens fünf-
al zu schauen, um zum Teil abstruse und abenteuerli-
he Theorien zu verfolgen. Wir hätten uns viele Sitzun-
en sparen können; denn das Ergebnis, das jetzt vorliegt,
ar schon lange absehbar. Das geringe Medieninteresse
den letzten Monaten ist ein Beleg dafür.
Ich sage ganz klar: Als Demokrat und Parlamentarier
abe ich vollstes Verständnis für die Notwendigkeit von
ntersuchungsausschüssen. Ich halte sie für ein wichti-
es Minderheitenrecht und für unverzichtbar. Aber
ieses politische Instrument droht dann Schaden zu neh-
en, wenn der Untersuchungsgegenstand in den Hinter-
rund und parteipolitisches Taktieren den Maßstab bil-
et.
Wir müssen uns auch fragen, ob es nicht beschämend
ar, wenn wir bei Zeugenbefragungen junge Soldaten
anchmal stundenlang nicht nur befragt, sondern regel-
cht ins Kreuzverhör genommen haben. Dieses Verhal-
n, das wir Parlamentarier dabei gezeigt haben, ist
ahrlich keine Auszeichnung. Ich hoffe, dass dies das
ild, das die Soldaten von ihrem Parlament haben, nicht
achhaltig prägen wird.
Beschämend fand ich auch den öffentlichen Umgang
it der Person Oberst Klein. Ich hoffe, dass es nicht
sus in unserem Land wird, dass wir militärische Führer
uf diese Art und Weise an einen Pranger stellen und
orverurteilen. Ich hoffe, dass sich jetzige und künftige
ilitärische Entscheidungsträger davon nicht abschre-
ken lassen und ihre Entscheidungen weiterhin so tref-
n, wie es die Situation erfordert.
Erschreckend war meines Erachtens auch, im Zuge
es gesamten Verfahrens erleben zu müssen, was man-
he Kolleginnen und Kollegen unter Geheimhaltung ver-
tehen. Nicht selten war die Sitzung noch in vollem
ange, da konnte man schon über die Ticker Details der
efragungen lesen.
ies ist nicht nur unredlich und geschmacklos, sondern
ann auch Zeugen gefährden. Ein verantwortungsvoller
mgang mit dem Instrument Untersuchungsausschuss
ieht wahrlich anders aus.
17446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
)
Kollege Hahn, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung der Kollegin Keul?
Das kann die Kollegin Keul am Schluss meiner Rede
gerne machen.
Fernab von den warmen Sitzungszimmern hier in
Berlin befinden sich unsere Soldatinnen und Soldaten in
einem Einsatz, der sie oftmals an die Grenzen ihrer
Kräfte bringt und in dem sie großen Gefahren ausgesetzt
sind. Vielleicht werden dort Entscheidungen unter ande-
ren Voraussetzungen als im sicheren Büro getroffen. Ich
will nichts verteidigen und nichts beschönigen; aber un-
sere Truppen haben ein Anrecht darauf, dass wir hinter
ihnen stehen, dass wir Verständnis für ihre Anliegen und
ihre Sorgen zeigen und dass wir uns in ihre Lage verset-
zen.
Dass wir uns stärker in ihre Lage versetzen können,
das haben der tragische Vorfall in Kunduz und die Dis-
kussion darüber bewirkt. Deutschland musste plötzlich
der Realität ins Auge sehen und erkennen, dass es sich
hier um einen Einsatz handelt, in dem es tagtäglich zu
Kampfhandlungen kommt. Karl-Theodor zu Guttenberg
konnte daraufhin die Neubewertung des Einsatzes vor-
nehmen. Seither sprechen wir unter anderem von einem
kriegsähnlichen Zustand. Es ist wichtig, dass wir das
Kind nun beim Namen nennen. Auch das gehört zu einer
verantwortungsvollen Politik gegenüber den Soldatinnen
und Soldaten, aber auch gegenüber der Gesellschaft.
Im Bewusstsein dessen, dass nicht jeder das bevorste-
hende Weihnachtsfest im Kreise seiner Familie feiern
kann, dass viele Soldatinnen und Soldaten im Einsatz
sind, wünsche ich ihnen und ihren Familien an dieser
Stelle alles Gute und Gottes Segen.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Entschuldigung, ich habe die Kurzintervention der
Kollegin Keul vergessen. Die Aussprache ist geschlos-
sen; aber bevor wir zur Abstimmung kommen, hat zu ei-
ner Kurzintervention die Kollegin Keul das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Hahn,
Sie haben eben die Indiskretion bzw. die Weiterleitung
von Informationen an die Presse angesprochen. Haben
Sie irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Indiskre-
tion aus dem Kreis der Kollegen – Sie haben uns als
Kolleginnen und Kollegen angesprochen – gekommen
ist? Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren wegen
Geheimnisbruch immerhin mit der Begründung einge-
stellt, dass im Verteidigungsministerium und darum he-
rum so viele Menschen Zugang zu diesen Akten haben,
dass es aus Sicht der Staatsanwaltschaft schlicht nicht
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Der Kollege Hahn hat das Wort.
Liebe Frau Kollegin Keul, vielleicht ist es naiv, aber
ie Tatsache, dass wir Meldungen zeitgleich oder – sa-
en wir einmal – mit einer Verzögerung von fünf
inuten in den Untersuchungsausschuss während einer
eheimen Sitzung zum Teil mit Zitaten von Befragten
ereingereicht bekommen haben, ist für mich Beweis
enug, dass es eine solche Indiskretion von den Kolle-
innen und Kollegen – entweder den Parlamentariern
der denen, die mit in diesem Raum saßen – gegeben ha-
en muss. Anders kann ich mir das nicht vorstellen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
chlussempfehlung des Verteidigungsausschusses als
. Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss empfiehlt in
einer Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7400,
en Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Unter-
uchungsausschuss zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt
r diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
er enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein-
timmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta
Zapf, Doris Barnett, Dr. h. c. Gernot Erler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel,
Volker Beck , Marieluise Beck (Bremen),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Die OSZE ausbauen und stärken
– Drucksache 17/7824 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Uta Zapf für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Ich freue mich, dass wir endlich einmal über die
SZE diskutieren; denn ich hatte ein bisschen das Ge-
hl, sie ist in Vergessenheit geraten. Dabei haben uns
iele Ereignisse in der letzten Zeit gezeigt, dass es drin-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17447
Uta Zapf
)
)
gend erforderlich ist, die OSZE wieder zu stärken und zu
befördern.
Die Geschichte der OSZE bzw. des Vorläufers KSZE
bis hin zur Schlussakte von Helsinki im Jahr 1975 und
darüber hinaus ist die Geschichte von Bemühungen, den
Kalten Krieg zu überwinden. Auf Helsinki folgten fünf
weitere Gipfel, die die KSZE und später die OSZE wei-
terentwickelten. Aber, liebe Freunde, seit 1999, nach
dem Gipfel von Istanbul, stagnierte die Weiterentwick-
lung der OSZE. Vor mehr als einem Jahr, als wir uns in-
tensiv mit den Vorbereitungen zu dem Gipfel von Astana
beschäftigt haben, hatten wir einen gewissen Optimis-
mus bezüglich der Weiterentwicklung. Es gab Hoffnun-
gen auf einen erneuerten Prozess, der die OSZE stärken
und beleben könnte, indem ein Aktionsplan verabschie-
det würde, der in der Tat sehr ambitioniert war.
Die Gipfelerklärung von Astana erschien uns als
Lichtblick, bestätigte sie doch die Grundsätze der OSZE
in allen Dimensionen. Die Schlussakte von Helsinki, die
Charta von Paris und die Charta für europäische Sicher-
heit und damit die Grundprinzipien der drei Dimensio-
nen der OSZE wurden bekräftigt. Einige von uns hatten
das in der Klarheit sicherlich gar nicht erwartet.
Die politisch-militärische Dimension sollte zu einer Si-
cherheitsgemeinschaft gefestigt werden. Vertrauensbil-
dung, Transparenz, Abrüstung und die im sogenannten
Korfu-Prozess diskutierten Vorschläge des russischen
Präsidenten Medwedew sollten zu einem europäischen
Sicherheitsvertrag fortentwickelt werden. Aus dem
Kreis der Mitgliedstaaten kam im Vorfeld eine wirklich
beeindruckende Fülle von Vorschlägen, um diesen Ak-
tionsplan, auf den ich angespielt habe, zustande zu brin-
gen. Dies ließ in der Tat einen positiven Schub zur Stabi-
lisierung, zur Stärkung und zum Ausbau der OSZE
erwarten. Allerdings ist es anders gekommen. Der Ak-
tionsplan wurde nicht beschlossen. Damit war der Gipfel
von Astana für mich ein ziemlicher Reinfall. Der bevor-
stehende Ministerrat im Dezember dieses Jahres sollte
die Implementierung dieses Aktionsplans überprüfen.
Bisher sieht es aber nicht so aus, als würde dies gesche-
hen. Es sieht auch nicht so aus, als würde dort viel wei-
terentwickelt.
Heute, kurz vor dem Ministertreffen der OSZE in Vil-
nius, wollen wir mit dem Antrag, den wir eingebracht
haben, an die damalige Hoffnung anschließen. Wir for-
dern die Bundesregierung auf, sich für die Umsetzung
des in Astana vorgelegten Aktionsplans einzusetzen. Es
geht tatsächlich um nichts Geringeres als um eine neue
Sicherheitsarchitektur für Europa. Zweifelsohne hat die
sicherheitspolitische Dimension bis 1999 die größten Er-
folge für Stabilität und Sicherheit bewirkt. Vertrauens-
bildende Maßnahmen, Manöverbeobachtungen und
schließlich die konventionelle Rüstungskontrolle führten
in Europa zu einer Stabilität und Sicherheit, die den Kal-
ten Krieg überwunden hatte. Der KSE-Vertrag von 1990
führte zu substanziellen Abrüstungsschritten. Die Verifi-
kationsmaßnahmen waren ein großer Beitrag zur Ver-
trauensbildung. In Istanbul wurde 1999 der neue, ange-
passte KSE-Vertrag, der sogenannte AKSE-Vertrag,
beschlossen. Diesen haben allerdings nur Russland,
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Sie uns also nicht die Chance eines intensiven Dialogs
mit Russland verspielen. Dieser Dialog darf natürlich
nicht nur in der OSZE, sondern er muss auch woanders
stattfinden, zum Beispiel im NATO-Russland-Rat. Wir
müssen über Militärdoktrinen und Verteidigungsplanun-
gen sowie über die Frage reden, wie wir gemeinsame
Sicherheit wiederherstellen. Die Erkenntnis, dass Sicher-
heit nicht gegeneinander, sondern nur miteinander ge-
wonnen werden kann, muss wieder Platz greifen.
Sicherheit kann nicht militärisch gesichert werden.
Alle drei Dimensionen der OSZE gehören dazu. Las-
sen Sie uns weiter daran arbeiten, dass die schönen Vor-
gaben des Astana-Aktionsplanes doch noch umgesetzt
werden können.
Danke sehr.
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die OSZE ist immer noch auf der Suche nach
ihrer Rolle. Sie ist eines der wichtigsten Foren für
Sicherheit und Zusammenarbeit und umfasst ganz
Europa. Ihre Reichweite erstreckt sich auf immerhin
56 Staaten und geht von Vancouver bis nach Wladi-
wostok.
Nach der Auflösung der Blockbildung in Ost und
West, die auch ein Ergebnis der Arbeit der OSZE war,
hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa mit den sogenannten drei Dimensionen – der
politisch-militärischen Dimension, der wirtschaftlich-
ökologischen Dimension und der menschlichen Dimen-
sion – ihre Aufgaben erweitert. Die Diskussion über die
Modernisierung der OSZE ist also in Gang gekommen.
Das Problem besteht ein bisschen darin, dass sie noch
immer in Gang ist.
Die OSZE hat 17 Feldoperationen und sich dadurch
insbesondere bei der Konfliktprävention, beim Krisen-
management, bei der Überwachung von Menschen- und
Minderheitenrechten, von Pressefreiheit und Rechts-
staatlichkeit und bei der Wahlbeobachtung Verdienste
erworben. Deshalb wird sie auch weiter gebraucht.
Bei dem Gipfel in Astana auf der Ebene der Staats-
und Regierungschefs im letzten Jahr wurden die Grund-
lagen der OSZE nochmals bekräftigt. Darüber hinaus
wurde der Begriff „Sicherheitsgemeinschaft“ eingeführt
und versucht, Antworten auf neue Herausforderungen
und Gefahren, wie den internationalen Terrorismus oder
die Cybersicherheit, zu geben. Dieses Fernziel der
Sicherheitsgemeinschaft müssen wir jetzt durch kon-
krete Schritte angehen.
Ich sehe in diesem Zusammenhang vor allem Bedarf
an einer stärkeren Koordinierung der OSZE mit den
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Die NATO will die Zusammenarbeit mit der OSZE in
rei Bereichen stärken. Es geht darum, den Ansatz ver-
etzter Sicherheit zu etablieren, neue sicherheitspoliti-
che Herausforderungen anzunehmen – internationaler
errorismus, Cybercrime, Proliferation von Massenver-
ichtungswaffen oder Energiesicherheit –, und es geht
arum, Erfahrungen im Bereich der Konfliktprävention
nd des Krisenmanagements auszutauschen. Der NATO-
eneralsekretär hat dazu praktische Vorschläge zur Zu-
ammenarbeit gemacht. Diese Ansätze sollten weiter
erfolgt werden.
Mit Blick auf die besondere Rolle der NATO für die
eutsche Außen- und Sicherheitspolitik kann allerdings
ie OSZE nicht der richtige Ort sein, um über Militär-
oktrinen oder Verteidigungsplanung zu diskutieren.
as muss militärischen Bündnispartnern vorbehalten
leiben. Wir werden eine bessere Zusammenarbeit der
erschiedenen Sicherheitsorganisationen nur dann errei-
hen, wenn wir die Kernkompetenzen jeder Organisation
tärken. Das ist der Weg, um Synergieeffekte zu erzie-
n.
Die Europäische Union ist auf das Engste mit der
SZE verbunden. Die Mitgliedstaaten der EU stellen die
älfte der OSZE-Mitglieder. Sie leisten zwei Drittel der
SZE-Beitragszahlungen. Es besteht eine enge Zusam-
enarbeit bei Konfliktprävention und in vielen anderen
ereichen. Einige Programme der OSZE werden ge-
einsam von OSZE und EU finanziert, beispielsweise in
er Wahlbeobachtung. Die Europäische Union ist in vie-
n Bereichen, etwa beim sicherheitspolitischen Dialog,
nerhalb der OSZE engagiert.
Frau Kollegin, Sie haben angesprochen, dass die
uropäische Union in Astana die Verabschiedung eines
ktionsplans angestrebt hat. Das ist am Dissens über
egionalkonflikte gescheitert. Dennoch kann dieser EU-
ktionsplan Grundlage für die Weiterentwicklung zu
em Fernziel einer Sicherheitsgemeinschaft sein.
Meine Empfehlung für die Zusammenarbeit zwischen
SZE und Europäischer Union ist, weitere Anstrengun-
en zu unternehmen, um die diplomatischen Mittel der
uropäischen Union mit denen der OSZE zu bündeln,
sbesondere mit Blick auf diese regionalen Konflikte.
enn wenn Sicherheit unteilbar ist, dann muss es mög-
ch sein, Konflikte wie in Transnistrien, Georgien oder
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17449
Thomas Silberhorn
)
)
Bergkarabach zu lösen, zum Beispiel auch mit einer
OSZE-Präsenz vor Ort.
Vielfältige Anknüpfungspunkte für eine Zusammen-
arbeit mit der OSZE bietet auch der Europarat. Seit 2004
besteht bereits eine gemeinsame Koordinierungsgruppe
für Maßnahmen in den Bereichen Terrorismusbekämp-
fung, Kampf gegen den Menschenhandel, Schutz natio-
naler Minderheiten und Förderung von Toleranz und
Nichtdiskriminierung. Es gibt durchaus Potenzial, die
Zusammenarbeit auf weitere Bereiche zu erstrecken. Ich
nenne hier nur Menschenrechtsschutz, Konfliktpräven-
tion und -nachsorge, stärkere Abstimmung der Feldmis-
sionen beider Organisationen.
Ich habe versucht, aufzuzeigen, wie man den Auftrag
des letzten OSZE-Gipfels praktisch umsetzen könnte,
eine Sicherheitsgemeinschaft zu bilden. Das kann gelin-
gen, indem man an bestehende euro-atlantische Struktu-
ren anknüpft, indem man die jeweiligen Stärken der be-
treffenden Organisationen akzentuiert und indem man
gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Handlungsfel-
der identifiziert. Eine engere Kooperation von OSZE,
EU, NATO und Europarat ist möglich, wenn jede Orga-
nisation ihre Kernkompetenzen einbringen kann.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa führt ein Schattendasein. Das hat sie eigentlich
nicht verdient. Wir begrüßen daher den Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen und SPD; denn er bietet uns die
Möglichkeit, dass wir diese wichtige Organisation heute
thematisieren, auch ganz offen und ehrlich über deren
Probleme reden und Signale zu ihrer Stärkung aussen-
den. Deshalb wird unsere Fraktion diesem Antrag auch
sehr gern zustimmen.
Ich möchte an die Gründungsidee der KSZE erinnern;
Frau Zapf hat darauf schon hingewiesen. Im Sommer
1973: Bruno Kreisky, Erich Honecker,
Helmut Schmidt, Gerald Ford – alle sitzen an einem
Tisch und unterschreiben die Schlussakte von Helsinki.
Damals war der Gedanke, dass man Frieden durch Ver-
trauensbildung erhalten möchte, auch über Systemgren-
zen hinweg. Man hat ferner seinen Willen zur Abrüstung
demonstriert, um Kriegsgefahren zu vermeiden und
Geldverschwendung zu begegnen. Frieden und Sicher-
heit durch Abrüstung und Vertrauensbildung nicht nur
unter Verbündeten, das ist auch heute noch richtig.
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wostok bis Vancouver ist weiter ein wichtiges und gutes
Ziel. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu.
Danke schön.
Der Kollege Dr. Djir-Sarai hat für die FDP-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Hier liegt uns ein Antrag vor, der viele gute
Ideen und Maßnahmen aufzeigt; das möchte ich an die-
ser Stelle ganz klar betonen.
„Die OSZE ausbauen und stärken“, das ist ein Ziel,
das dem gesamten Deutschen Bundestag am Herzen lie-
gen sollte. Die Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa hat sich zu einem sehr wichtigen
Forum für die gesamteuropäische Sicherheitszusammen-
arbeit entwickelt. Viele erfolgreiche Instrumente der
zivilen Krisenprävention sind aus ihr hervorgegangen.
Aber – da machen wir uns nichts vor – das sind häufig
Erfolge der Vergangenheit. Der zweitägige Gipfel in
Astana im vergangenen Jahr war seit elf Jahren wieder
ein erstes großes und wichtiges Treffen. Trotzdem hat
diese Konferenz die Krise der Organisation nicht auf-
gehalten. Der Gipfel in Astana hat den Sinkflug in die
Bedeutungslosigkeit, wenn überhaupt, nur wenig aufge-
halten. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.
Als die Organisation für Sicherheit und Zusammenar-
beit vor nunmehr 36 Jahren gegründet wurde, war
Europa eindeutig in Ideologien und Allianzen geordnet.
Heute hat jeder Staat seine eigenen Sicherheitsvorstel-
lungen. Für die OSZE ist diese Entwicklung eine enorme
Herausforderung.
Die Diskussion über neue Sicherheitsstrukturen ist
immens wichtig für das Überleben der Organisation. Sie
ist aber auch eine große Chance, ihre alte Rolle zurück-
zugewinnen. Die Herausforderungen und Gefahren, die
in heutiger Zeit lauern, brauchen diese Debatte. Sie brau-
chen einen neuen Sicherheitsdialog in der OSZE. Nur so
kann sich die OSZE wieder zu einem wesentlichen Ele-
ment gesamteuropäischer Sicherheit entwickeln. Ich
stimme den Antragstellern in dieser Einschätzung voll-
kommen zu.
Ich bin genau wie die Antragsteller der Meinung, dass
eine stabile Sicherheit nicht ohne die Achtung der Men-
schenwürde und intakte demokratische Institutionen aus-
kommen kann. Ich bin sehr froh, dass der Gipfel in
Astana wenigstens eines erreicht hat: Alle Staaten haben
sich erneut klar zu den Prinzipien der OSZE bekannt,
und alle haben sich auch explizit zu der eben schon an-
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Zukunft kann für die OSZE nur bedeuten, dass sich
lle Staaten mit Einsatz hinter diese Ziele klemmen.
ann muss es auch endlich vorangehen mit der Lösung
on Gebietskonflikten, der Abrüstung und den Men-
chenrechten. Dazu sind Offenheit und ein fairer Dialog
otwendig, der auch aufmerksames Zuhören einschließt.
Die jetzige leichte Dynamik müssen wir in Richtung
onkreter und zukunftsfähiger Schritte lenken. Wir brau-
hen Impulse für einen spürbaren Sicherheitsfortschritt
Europa, Impulse, die wir jedoch nicht allein durch An-
äge im Parlament bekommen, welche die Bundesregie-
ng zu Handlungen auffordern, die bereits im Gange
ind.
Gerade Deutschland kann und wird seinen Beitrag zu
ieser Diskussion weiter leisten. Gerade Deutschland
ird seinen Beitrag leisten, wenn es um die Stärkung der
SZE geht. Deutschland wird das politische Ziel der
SZE als einer Sicherheitsgemeinschaft nachdrücklich
nterstützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Viola von Cramon-
aubadel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17451
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben bereits
mehrmals gehört: Wer sich heutzutage noch mit der
OSZE beschäftigt, bekommt meist die Frage gestellt:
Hat sich das Thema nicht längst erledigt? Hat die OSZE
noch eine Zukunft? Von Berlin über London bis
Washington bekommt man immer wieder denselben Ein-
druck: Die Daseinsberechtigung der OSZE wird infrage
gestellt.
Was wollten wir mit unserem Antrag erreichen? Wir
wollten sagen, dass sich auf jeden Fall diese Frage für
uns nicht erledigt hat. Wir würden sie mit einem klaren
Ja beantworten: Die OSZE hat nach wie vor ihre Da-
seinsberechtigung. Wir möchten das kurz erläutern.
Die Institution der OSZE ist trotz der Auflösung der
klassischen Blocksituation, die wir in den 70er- und
80er-Jahren hatten, wichtiger denn je. Aus den Nachfol-
gestaaten der Sowjetunion sind mittlerweile Mitglieder
der OSZE geworden. Einige von ihnen sind dieser Orga-
nisation aber nicht freiwillig beigetreten, sondern haben
die Mitgliedschaft qua Unabhängigkeit geerbt. Diese
Staaten langfristig einzubinden, ist und bleibt eine der
Kernaufgaben der OSZE.
Wir haben eben über Kunduz gesprochen. Wir sagen:
Angesichts der Krise in Afghanistan, angesichts der un-
sicheren Lage in Pakistan, der permanent rivalisierenden
und auseinanderdriftenden Kräfte in Zentralasien stellt
die OSZE eine der stabilisierenden Institutionen in der
Region dar.
Die OSZE – das ist interessant – als inter- und intrare-
gionales Sicherheitskonstrukt dient derweil auch ande-
ren Regionen als Vorbild für vertrauensbildende Maß-
nahmen. So spielen beispielsweise die Anrainerstaaten
im südchinesischen Meer mit dem Gedanken, den gro-
ßen Nachbarn China in Form einer OSZE-Struktur ein-
zubinden, um dessen wachsende Vorherrschaft in dem
gesamten Raum multipolar aufzufangen. Ich denke, die-
ses Beispiel zeigt, wie sinnvoll und nach wie vor aktuell
diese Struktur ist. Deswegen müssen wir sie stärken.
Uns Grünen liegt es allerdings nicht nur am Herzen,
die sicherheitspolitische und damit die politisch-militäri-
sche Dimension der OSZE herauszustreichen, sondern
wir haben in dem Antrag insbesondere die menschliche
Dimension unterstrichen und wollen diese weiterentwi-
ckeln.
Wir wollen deswegen das ODHIR-Büro, das Büro für
demokratische Institutionen und Menschenrechte, stär-
ken und möchten vor allem für die Beauftragte für Me-
dien- und Pressefreiheit ungehinderten Zugang zu allen
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Für uns stellt die OSZE nicht nur eine Sicherheits-,
ondern vor allem eine Friedensgemeinschaft dar, deren
ufgaben, Abrüstung und Rüstungskontrolle, nicht ohne
eiteres durch andere Institutionen, wie zum Beispiel
ie NATO, übernommen werden können. Es geht längst
icht mehr nur um Abschreckung und Aufrüstung, son-
ern um ein kooperatives Sicherheitssystem. Daher wer-
en wir für eine starke OSZE, damit zum Beispiel die
ussische Föderation mit den USA und anderen westli-
hen Partnern auf Augenhöhe verhandeln kann, und
war im Sinne einer gesamteuropäischen Sicherheit.
Wir haben eben auch schon gehört, dass viele der seit
ngem schwelenden Konflikte, also der Konflikt in Na-
orny Karabach und um die Regionen Südossetien und
bchasien, ohne einen konstruktiven Beitrag Russlands
icht zu lösen sind. Wer also für eine friedliche Bei-
gung dieser Konflikte und die Schließung dieser im-
er noch offenen Wunden eintritt – das wird uns wahr-
cheinlich noch einige Zeit begleiten –, benötigt die
SZE heute dringender denn je.
Ich habe mich gefreut, dass Sie alle diese Punkte in
nserem Antrag herausgestrichen haben. Wir würden
ns natürlich freuen, wenn wir diesen interfraktionellen
ntrag noch etwas „aufhübschen“ könnten. Sie sind
erzlich eingeladen, sich noch weiter zu beteiligen. Wir
ehmen auch Sie gern noch mit auf den Antrag drauf.
Danke schön.
Den Beitrag des Kollegen Manfred Grund aus der
nionsfraktion nehmen wir zu Protokoll.1)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
rucksache 17/7824 mit dem Titel „Die OSZE ausbauen
nd stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
timmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist
it den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Frak-
on gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion
ie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-
elehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 a und b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Anlage 4
17452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelun-
gen bei der Bekämpfung von Kinderporno-
graphie in Kommunikationsnetzen
– Drucksache 17/6644 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur
Bekämpfung der Kinderpornographie in
Kommunikationsnetzen
– Drucksache 17/776 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Jörn Wunderlich, Dr. Petra Sitte,
Agnes Alpers, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Aufhebung von Zugangs-
beschränkungen in Kommunikationsnetzen
– Drucksache 17/646 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker
Beck , Birgitt Bender, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur
Erschwerung des Zugangs zu kinderporno-
graphischen Inhalten in Kommunikations-
netzen und Änderung weiterer Gesetze
– Drucksache 17/772 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/8001 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ansgar Heveling
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Burkhard Lischka,
Lars Klingbeil, Christine Lambrecht, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zugangserschwerungsgesetz aufheben – Ver-
fassungswidrigen Zustand beenden
– Drucksachen 17/4427, 17/8001 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ansgar Heveling
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
inisterin der Justiz:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Man kann es nicht oft genug betonen:
arstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern gehö-
n zu den abscheulichsten Inhalten im Internet. Herstel-
ng, Verbreitung, Erwerb und Besitz sind unter Strafe
estellt. Diese widerwärtigen Abbildungen müssen aus
em Internet verbannt werden – dauerhaft und nachhal-
g.
Hinter jeder Darstellung stehen eine reale Misshand-
ng von Kindern, fürchterliches Leiden und Schmerz.
ie Bundesregierung hat sich deshalb dazu entschlossen,
iese Inhalte vorbehaltlos zu löschen, national und in in-
rnationaler Zusammenarbeit, und auf Löschen statt
perren zu setzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
erden die in der letzten Legislaturperiode verabschiede-
n Sperrregelungen des Zugangserschwerungsgesetzes
ufgehoben.
Wir ziehen damit die Konsequenzen aus einer sehr in-
nsiv geführten Debatte zur Wirkung und Auswirkung
on Netzsperren. Die heutige Entscheidung, die hier auf
orlage eines Gesetzentwurfes der Bundesregierung ge-
offen wird, ist ein wichtiger Bestandteil der Netzpolitik
ieser Regierung. Selbstregulierung und Transparenz
tatt einer hochproblematischen Sperrinfrastruktur sind
r uns die richtigen Antworten.
Die Erfolge geben uns Recht: In Deutschland werden
iese Inhalte heute binnen weniger Stunden gelöscht. Im
usland tritt der Erfolg nach wenigen Tagen ein. 90 Pro-
ent der kriminellen Seiten liegen auf Servern in den
ereinigten Staaten von Amerika, in der Russischen Fö-
eration, in den Niederlanden und in Großbritannien.
ber die Ergebnisse in den Vereinigten Staaten von
merika, wo sehr viele dieser scheußlichen Seiten ge-
ostet werden, konnte ich mich selbst vor kurzem bei
einem Besuch des National Center for Missing & Ex-
loited Children in Washington überzeugen. Dort wird
tensiv am Löschen gearbeitet, und zwar mit Erfolg.
ie Zusammenarbeit dort ist gut. Genau das machen wir
Deutschland auch. In Deutschland ist es durch das Zu-
ammenwirken der verschiedenen Stellen, die sich auf
iesem Gebiet einsetzen, gelungen, dass innerhalb von
iner Woche 70 Prozent der Inhalte gelöscht sind, nach
wei Wochen über 80 Prozent und nach vier Wochen na-
ezu alle.
Die statistischen Angaben werden von Beschwerde-
tellen, die einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17453
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
)
)
auch vom Bundeskriminalamt unterschiedlich erhoben
und sind deshalb auch nicht vollständig vergleichbar.
Aus den Jahresberichten des internationalen Beschwer-
destellennetzwerks Inhope ergibt sich, dass 75 Prozent
der gemeldeten Seiten, wie eben gesagt, innerhalb von
sieben Tagen gelöscht werden. Auch eco, der Verband
der deutschen Internetwirtschaft, hat eine hervorragende
Bilanz vorgelegt: Er weist für 2010 eine Löschquote von
bis zu 91 Prozent innerhalb von zwei Wochen aus.
Deshalb: Löschen statt Sperren ist der richtige Weg.
Wir haben ihn in monatelangen Verhandlungen in der
Europäischen Union durchgesetzt. Auch dort gibt es
jetzt keine verpflichtenden Netzsperren, sodass wir nicht
mehr befürchten müssen, eine solche EU-Richtlinie um-
setzen zu müssen. Der von der Bundesregierung ge-
wählte Weg ist damit frei.
Die intensive Debatte der letzten Monate hat ergeben,
dass Sperren gerade in technischer Hinsicht die schlech-
teren Lösungen sind: erstens, weil sie den Blick auf das
eigentliche Ziel, nämlich die Löschung der Inhalte an
der Quelle, vernebeln; zweitens, weil die kinderporno-
grafischen Inhalte noch vorhanden, die Sperren aber
leicht und ohne vertiefte technische Vorkenntnisse zu
umgehen sind, und drittens, weil immer auch legale In-
halte versehentlich mit gesperrt werden können, weil
also eindeutig über das Ziel hinausgegangen wird. Des-
halb sind Sperren kein wirkungsvolles Instrument im
Kampf gegen diese Darstellung sexuellen Missbrauchs
von Kindern, gegen diese kinderpornografischen Abbil-
dungen.
Sie setzen ein netzpolitisch völlig falsches Signal.
Einmal aus möglicherweise nachvollziehbaren Gründen
eingerichtet, kann eine solche Sperrinfrastruktur dann
aber natürlich auch für andere Zwecke eingesetzt wer-
den.
Ich bin froh, dass wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf
nach intensiver, nicht leichter Debatte mit einem intensi-
ven Austausch der unterschiedlichen Argumente und
Standpunkte zu einem richtigen Ergebnis gekommen
sind und dass diese Sperrregelungen mit der heutigen
Beschlussfassung aufgehoben werden. Das ist ein großer
Erfolg und zeigt auch einen realistischen Blick für eine
gute und ausgewogene Netzpolitik.
Vielen Dank.
Der Kollege Lars Klingbeil hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, das war ja ein
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Wir sind uns hier im Parlament darüber einig, dass
er sexuelle Missbrauch und die sexuelle Gewalt an Kin-
ern zu den schlimmsten Verbrechen gehören, die es
ibt. Wir sind uns einig darüber, dass es keine Rechtfer-
gung und keine Entschuldigung für solche Verbrechen,
ass es keine Duldung solcher Verbrechen geben darf.
ir als Parlamentarier sind gefordert, nach den besten
egen zu suchen, wie wir mit diesen Verbrechen umge-
en können und wie wir sie wirksam bekämpfen können.
Das ist auch genau das, worüber wir in den letzten
wei Jahren gestritten haben. Wir haben darüber gestrit-
n, was die besten Wege sind, um mit diesen furchtba-
n Taten umzugehen. Ich sage: Mit der heutigen Ent-
cheidung darf dieser Weg nicht aufhören. Diese Frage
uss uns weiter beschäftigen.
Ursula von der Leyen war es, die als Ministerin in der
roßen Koalition die Netzsperren durchgesetzt hat. Sie
at das mit Unterstützung meiner Partei getan. Ich will
ier wie auch an anderen Stellen deutlich sagen: Ich bin
ankbar, dass meine Partei erkannt hat, dass es ein Feh-
r war, auf die Netzsperren zu setzen. Wir haben schon
or über einem Jahr einen Aufhebungsantrag für das Zu-
angserschwerungsgesetz in das Parlament eingebracht.
h weiß, dass es nicht an der FDP lag, dass es so lange
edauert hat, und ich bin froh darüber, dass nun die
chwarz-gelbe Koalition, die Regierung, ein Gesetz vor-
gt, dem wir alle zustimmen können und das dafür
orgt, dass Netzsperren hier in Deutschland nicht statt-
nden werden.
Wir haben als Gegner der Netzsperren immer betont,
ass sie vor allem eines sind: Sie sind eine Symbolpolitik.
17454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Lars Klingbeil
)
)
Ein Stoppschild gegen Kinderpornografie im Internet,
das klingt gut, das lässt sich gut vermarkten. Es hat aber
zwei Jahre, in denen wir argumentiert haben, gedauert,
um zu zeigen, dass dies der falsche Weg ist, und es hat
zwei Jahre gedauert, bis wir eine Mehrheit dafür hatten,
zu zeigen, dass Netzsperren eben keinen wesentlichen
Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie im In-
ternet leisten können, dass sie wenig effektiv sind, dass
sie ungenau sind, dass sie sogar kontraproduktiv sein
können, weil sie technisch leicht zu umgehen sind, und
dass nebenbei – die Ministerin hat es angesprochen – eine
Infrastruktur aufgebaut wird, die sogar verfassungsrecht-
lich sehr bedenklich ist.
Als Gegner der Netzsperren haben wir auch immer
deutlich gemacht, dass es Alternativen gibt. Wir haben
immer betont, dass wir einfordern, dass kinderpornogra-
fisches Material im Internet gelöscht wird. „Löschen
statt Sperren“ war die Aussage, mit der viele Menschen
vor zwei Jahren angetreten und in die Debatte eingestie-
gen sind. Heute sehen wir, dass es der richtige Weg war,
nicht auf symbolische Stoppschilder zu setzen, und dass
es richtig war, einzufordern, dass das Material von den
Servern gelöscht wird. Zahlreiche Anhörungen im
Rechtsausschuss, im Unterausschuss „Neue Medien“, in
den Fraktionen, aber auch viele andere Gremien haben
immer wieder bestätigt: Dieser Weg ist richtig.
Es gab aber Argumente, die immer wieder angeführt
wurden. Es gab zum Beispiel das Argument, man könne
das Material nicht löschen, weil sich die Server in Staa-
ten befänden, die weit weg von hier seien und mit denen
wir keine Kooperation hätten. Auch dieses Argument
konnten wir in den zwei Jahren dieser Debatte widerle-
gen. Wir sehen: Die Mehrzahl der Server steht in den
USA, in Russland und in Westeuropa, auch in Deutsch-
land. Da ist es doch für niemanden verständlich, dass es
hier keine internationale Kooperation der Strafermitt-
lungsbehörden gibt. Genau hier haben wir in den letzten
zwei Jahren Druck gemacht. Wir haben darauf gedrun-
gen, dass die Meldeverfahren effizienter und die Lösch-
bemühungen international besser werden. Eco, der Ver-
band der deutschen Internetwirtschaft, sagt heute, dass
innerhalb kürzester Zeit 90 Prozent der Seiten gelöscht
werden können. Das ist auch ein Verdienst von Parla-
mentariern, die immer wieder Druck gemacht haben,
dass der Weg des Löschens gegangen wird.
Auch wenn wir bei über 90 Prozent sind, kann uns das
nicht reichen. Wir müssen weiter Druck machen. Wir
müssen die Löschbemühungen weiter steigern. Ich will
hier etwas Wasser in den Wein gießen; denn ich hätte
mir schon gewünscht, dass die vereinbarte Evaluierung
der Löschbemühungen von der Bundesregierung durch-
geführt worden wäre und dass sie uns Hinweise gegeben
hätte, was man hätte besser machen können, gerade da
wir gemeinsam feststellen, dass unser Weg noch nicht zu
Ende ist und wir noch besser werden müssen, was das
Löschen angeht.
Wir haben in den zwei Jahren einer kontrovers ge-
führten Diskussion viel Zeit verloren. Dabei gibt es viele
Instrumente, die auf der Hand liegen, aber die wir in den
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Am Ende will ich etwas zur generellen Diskussion sa-
en. Ich habe schon zu Beginn gesagt, dass es eine emo-
onale Diskussion war. Ich empfinde keine Genugtuung
m heutigen Tag, aber ich will doch sagen: Vor zwei Jah-
n musste ich mir als Gegner von Netzsperren so man-
he Argumentation anhören, die lautete: Wenn du nicht
r Netzsperren bist, dann unterstützt du Kinderporno-
rafie. Dann willst du nichts gegen Kinderpornografie
achen. – Ich will all denen hier im Parlament, aber
uch außerhalb des Parlaments danken, die immer wie-
er dagegen argumentiert haben. Am Ende haben wir
cht behalten. Mit der heutigen Aufhebung des Zu-
angserschwerungsgesetzes bekommen wir recht. Wir
ollten keine Genugtuung empfinden, aber wir sollten
ns als Parlament fragen, wie wir so manche Debatte in
en letzten zwei Jahren geführt haben und ob so man-
her Populismus angebracht war. Wir werden weitere
iskussionen in den nächsten Monaten haben, etwa
enn es um die Vorratsdatenspeicherung geht. Einige
ennen meine Position dazu. Ich warne aber auch hier:
er gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, ist nicht ge-
en eine effiziente Strafverfolgung. Lassen Sie uns in
ns gehen und uns fragen, ob wir nicht gerade netzpoliti-
che Debatten auf einem seriöseren und sachlicheren Ni-
eau führen können.
Ich glaube, die Diskussion über Netzsperren hat uns
ier im Parlament vorangebracht. Das ist so etwas wie
er Startschuss zu einer digitalen Diskussion, die wir
ier im Bundestag begonnen haben. Viele weitere Dis-
ussionen werden folgen. Netzpolitik bedeutet nicht,
witter und Facebook zu benutzen, sondern die Umbrü-
he einer digitalen Gesellschaft zu begreifen. Wenn die
iskussion über Netzsperren in den letzten zwei Jahren
azu beigetragen hat, dass wir in den kommenden Jahren
eriöser diskutieren und andere Argumente ernst neh-
en, dann hat diese ganze Diskussion eine erfolgreiche
eite gehabt.
Ich freue mich, dass wir heute einstimmig das Zu-
angserschwerungsgesetz aufheben, und danke Ihnen
r das Zuhören.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17455
)
)
Der Kollege Ansgar Heveling hat für die Unionsfrak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn ein Gesetz mit einer sehr breiten Mehrheit im Par-
lament verabschiedet wird, so deutet dies auf den ersten
Blick auf einen größtmöglichen Konsens in der Sache
hin. So wie es nach der gestrigen Beschlussfassung im
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages aussieht,
werden wir gleich im Anschluss an die Beratungen in
zweiter und dritter Lesung mit dieser breiten Mehrheit
das Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes zur Erschwe-
rung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in
Kommunikationsnetzen beschließen.
Wenn also die Sache so läuft, dann empfiehlt es sich
eigentlich tunlichst, nicht aus der Reihe zu tanzen, das
Gemeinsame und Einende zu beschwören, den gemein-
samen Erfolg in den Mittelpunkt zu stellen und dann das
Thema bloß schnell zum Abschluss zu bringen.
Ich habe mich dennoch bei meinem Wortbeitrag dage-
gen entschieden. Ich habe mich dagegen entschieden,
weil ich zwar glaube, dass der angesprochene Konsens
in dieser Sache von allen wirklich ernsthaft gewollt ist,
ich ihn dennoch an manchen Stellen für etwas vorder-
gründig halte.
Ich habe mich nicht dazu entschieden – das sei vor-
weg gesagt –, weil es noch fundamentale Erwägungen
gibt, die gegen diese konkrete Gesetzesentscheidung
sprechen; auch nicht, weil ich irgendjemandem hier in
diesem Parlament die Bemühungen um den Konsens in
der Sache absprechen möchte. Alle – das meine ich an
dieser Stelle ausdrücklich so – sind um ein gutes Ergeb-
nis bemüht.
Schließlich habe ich mich nicht – eindeutig nicht –
deshalb dagegen entschieden, weil es an diesem Gesetz
irgendein Jota mit Vehemenz zu verteidigen gäbe. Wie
soll ein Parlament auch ein Gesetz verteidigen, das auf
Initiative einer Regierung eingebracht wurde, die kurz
nach dem Abschluss des parlamentarischen Verfahrens
nichts Eiligeres zu tun hatte, als sich schleunigst wieder
davon zu distanzieren?
Insofern bleibt dieses Gesetz ein Lehrstück, ein Lehr-
stück dafür, was passiert, wenn Gesetze im Zuständig-
keitsgestrüpp einer Regierung wachsen. Seinerzeit bei
der Entstehung des Gesetzes hat das eigentlich federfüh-
rende Ministerium nicht die Feder geführt. Ein anderes
Ministerium hat sich dann die Zuständigkeit aus der Ver-
fassung herbeikonstruiert. Schließlich hat ein gänzlich
unzuständiges Ministerium die Debatte beherrscht.
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So bleibt für mich die bange Frage: Welches Staats- und
Gesellschaftsbild haben diejenigen im Kopf, die mit
Verve „Zensur“ gebrüllt haben, um das Gesetz zu Fall zu
bringen? Denn da geht es wohl um mehr als um die
Frage der Tauglichkeit des Mittels Internetsperren. Es
geht offensichtlich um die grundsätzliche Haltung zu
staatlichen Eingriffen zur Abwehr von Straftaten. Ge-
setzmäßigkeit, Rechtsschutzgarantie und Verhältnismä-
ßigkeit, also Geeignetheit, Erforderlichkeit und Ange-
messenheit, sind die klassischen Instrumente des
Rechtsstaates zur Limitierung von Eingriffen. Wer diese
Mechanismen aber aufgeben möchte, redet entweder
dem überstarken Staat das Wort oder einem Staat, für
den unter dem Diktum vorgeblicher „Freiheit“ der Aus-
gleich divergierender Grundrechte – etwa die Schutz-
pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, für de-
ren Sicherheit zu sorgen – gleichgültig zu sein hat. Das
aber ist meiner Ansicht nach ein Verständnis von Frei-
heit, das mit der Gefahr behaftet ist, sich in letzter Kon-
sequenz gegen sie selbst zu richten.
Heinrich Wefing, der Publizist, hat im Juli 2009, also
auf dem Höhepunkt der Debatte um die Verabschiedung
des Gesetzes, in der Zeit – diese Publikation ist nun voll-
kommen unverdächtig, das Kampfblatt rechtskonservati-
ver Law-and-Order-Sheriffs zu sein – einen bemerkens-
werten Beitrag verfasst. Er schreibt dort unter anderem:
Eine Sperrseite, die den Zugang zu einer Webseite
mit – ohnehin verbotener – Kinderpornografie ver-
hindern oder wenigstens erschweren soll, kann also
juristisch gar keine Zensur sein. Sie ist Teil des Ver-
suchs , die
Verbreitung der gesellschaftlich geächteten Kin-
derpornos zu unterbinden. Hier „Zensur“ zu schreien
ist entweder Ahnungslosigkeit. Oder Polemik. Auf
das grundgesetzliche Verbot der Zensur jedenfalls
kann sich nicht berufen, wer gegen die Internetsper-
ren kämpft.
Aber was tun die Ajatollahs anderes? Die chinesi-
schen Parteikader oder ägyptischen Sittenwächter,
die sich jede Zeile eines Lyrikers vorlegen lassen,
missliebige Webseiten abschalten und jede abwei-
chende Meinung unterdrücken?
Es gehört zum ideologischen Glutkern der Debatte
um die Kinderporno-Sperren, dass deren Kritiker
den kategorialen Unterschied zwischen einem offe-
nen System wie dem der Bundesrepublik und einer
Diktatur wie in China oder Iran partout nicht zur
Kenntnis nehmen wollen. Die Sperrung von Inter-
netseiten, die verbotene Kinderpornografie verbrei-
ten, haben frei gewählte Abgeordnete eines freien
Parlaments beschlossen. Es gibt darüber eine völlig
ungehinderte, vor Emotionen vibrierende, wüst hin
und her wogende Diskussionen in Artikeln, Leser-
briefen und in der Onlinewelt. Und unabhängige
Gerichte werden die Verfassungsmäßigkeit des Ge-
setzes innerhalb kurzer Zeit überprüfen. Nichts da-
von in China, nichts davon in Iran.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Justizministerin! Es ist schon viel gesagt worden:
Wir entscheiden heute darüber, ein Gesetz aufzuheben,
welches seinerzeit in blindwütigem Aktionismus angeb-
lich – ich betone: angeblich – zum Kampf gegen Kin-
derpornografie und sexuellen Missbrauch von Kindern
erlassen worden ist und über welches gesagt worden ist
– ich mache mir das Zitat zu eigen –:
Deshalb komme ich zu folgendem Schlusssatz …:
Das einzig Gute, was man über Ihr Gesetz sagen
kann, ist, dass es offensichtlich gut gemeint sein
könnte; aber das Zugangserschwerungsgesetz er-
reicht seinen Zweck nicht und enthält Risiken und
Nebenwirkungen, vor denen man nur dringend war-
nen kann.
Das ist ein Zitat des von mir sehr geschätzten Kollegen
Dr. Stadler, inzwischen Staatssekretär, vom 18. Juni
2009; das ist fast zweieinhalb Jahre her.
Zu den erwähnten „Risiken und Nebenwirkungen“
gehörte die Befürchtung der Einführung einer vom Bun-
deskriminalamt kontrollierten Struktur zur Überwa-
chung des Internets ohne rechtsstaatliche Kontrolle. Das
waren die Befürchtungen: totale Überwachung und
Sperrung von unliebsamen Websites; China ließ grüßen.
Deswegen hat sich Frau von der Leyen letztlich den
Spitznamen „Zensursula“ eingehandelt.
Nachdem das Gesetz dann verabschiedet war und der
Bundespräsident es nach langem Zaudern endlich unter-
schrieben hatte, wurde es per Ministerialerlass nicht an-
gewendet. Ein vom Parlament beschlossenes, verab-
schiedetes Gesetz wurde – auch wenn man noch so viele
Bedenken dagegen hatte – per Ministerialerlass nicht an-
gewendet: ein Zustand, der aus rechtsstaatlicher Sicht
überhaupt nicht haltbar war. Daher hat die Linke, die von
Anfang an gegen dieses, wie wir uns heute alle einig
sind, sinnlose Gesetz war, Anfang 2010 beantragt, dass
höchstumstrittene Gesetz aufzuheben; das ist auch schon
fast zwei Jahre her.
Inzwischen haben auch die anderen Fraktionen der
Opposition entsprechende Anträge eingebracht, um die-
sen rechtswidrigen Zustand zu beenden. Immerhin, Ende
Juli 2011, circa ein Jahr nach der Anhörung im Rechts-
ausschuss zu dieser Rechtslage, legte auch die Bundesre-
gierung einen Gesetzentwurf vor, um dieses vor über
zwei Jahren beschlossene Gesetz endlich aufzuheben. Es
hat anderthalb Jahre gedauert, bis sich die Regierungs-
koalition endlich der Meinung der Linken angeschlossen
hat,
nicht zuletzt auf Druck der Onlinepetition mit gut
134 000 Mitzeichnungen. Wie oftmals dauert es bei die-
ser Koalition etwas länger. Aber immerhin: Links wirkt.
Ich denke, unser Antrag, der vorsieht,
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das ist das Schöne: Wenn Sie hier aufjaulen, dann habe
h den richtigen Ton getroffen,
einlich würde es, wenn Sie applaudieren würden –, die
erichtspflichten noch genauer zu definieren und enger
inzugrenzen, um die Strafverfolgung der Täter und das
öschen der Seiten noch effektiver zu gestalten und zu
eschleunigen – das muss oder sollte zumindest unser al-
r Ziel sein –, wird über kurz oder lang eine Mehrheit
nden.
Ja, ich spreche aus staatsanwaltlicher und aus richterli-
her Sicht, da haben Sie recht. –
s dauert halt ein bisschen, bis die Regierung es be-
reift. – Es ist gut, wenn Sie vor Staatsanwaltschaft und
ericht Angst haben.
Aber – jetzt mache ich Ihnen noch mehr Angst – als
berzeugter Lutheraner sage ich:
ie Linke wirkt, Gott sei Dank!
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Kol-
ge Dr. Konstantin von Notz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
gen! Sehr geehrter Kollege Heveling, ich habe Ihre
achdenklich vorgetragene Rede genau verfolgt. Sie hat-
n zwölf Minuten Zeit; man wird ganz neidisch, wenn
ndere so viel Zeit haben. Ich habe deutlich weniger.
r Vortrag relativiert sich leider, wenn Sie die ganze
eit über Sperren und Zensur sprechen, aber die wesent-
che Forderung derjenigen, die sich gegen dieses Gesetz
ewehrt haben, nämlich „Löschen statt Sperren“, einfach
usblenden.
17458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Konstantin von Notz
)
)
Wenn diese Worte in zwölf Minuten nicht einmal fallen,
ist der ganze Vortrag leider „Thema verfehlt“. Insofern
kann ich sagen: Sie haben diese zwölf Minuten vergeu-
det.
Heute ist ein guter Tag; denn das Zugangserschwe-
rungsgesetz wird endlich zurückgenommen, wir haben
zwei Jahre darum gerungen. Heute ist aber auch ein
wichtiger Tag für all diejenigen, die sich gegen Netz-
sperren und Stoppschilder, die letztlich ein hoch ineffek-
tives Mittel sind, Herr Kollege, engagiert haben, und
auch für all diejenigen, die für „Löschen statt Sperren“
gekämpft haben, dafür, dass man vor Straftaten keine
spanischen Wände aufstellt, sondern dass man die Seiten
löscht. Deswegen freue ich mich, dass wir dieses Gesetz
zurücknehmen.
Die Gegner des Gesetzes – deswegen ist das auch de-
mokratietheoretisch ein schöner Tag –
haben die besseren Argumente gehabt und sich durchge-
setzt. Zunächst haben sie 134 000 Menschen von Ihren
Argumenten überzeugt – die zweitgrößte Petition in der
Geschichte des Deutschen Bundestages –, und dann ha-
ben sie dafür gesorgt, dass das von der Großen Koalition
verabschiedete Gesetz am Anfang dieser Legislaturpe-
riode ausgesetzt wurde. Man muss an dieser Stelle deut-
lich sagen – ich weiß, dass das viele hier im Haus kri-
tisch sehen –, dass es verfassungsrechtlich ausge-
sprochen problematisch ist, Gesetze par ordre du mufti
auszusetzen. Das ist ein eher untypisches parlamentari-
sches Verhalten.
Letztlich wird es heute zurückgenommen. Deswegen an
dieser Stelle auch von uns einen herzlichen Dank an die
digitale Bürgerrechtsbewegung, allen voran an den AK
Zensur und die Petentin Franziska Heine.
Ich erspare uns allen eine Wiederholung der Diskus-
sion der letzten zwei bis drei Jahre im Detail, also über
das, was über die Netzsperren gesagt wurde, und all die
Aussagen, dass es sich dabei um eine „Brückentechnolo-
gie“ handelt, und viele haben immer wieder durchschei-
nen lassen, dass man eigentlich doch lieber gegen Urhe-
berrechtsverstöße im Netz vorgehen wollte. Auch auf-
grund des Abstimmungsverhaltens einiger in der Union
gestern in den Ausschüssen und die offenkundige Tole-
rierung dieses Verhaltens durch die Fraktionsspitze kann
ich mir eine Sache aber nicht verkneifen.
Wer im Jahr 2011 im Bereich der Netzpolitik glaubhaft
agieren möchte und gleichzeitig Netzsperren fordert, der
denkt wahrscheinlich auch, Atomkraft sei eine Ökoener-
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Lieber Kollege Dr. von Notz, der Präsidentenwechsel
at Ihnen noch ein paar Sekunden Redezeit mehr einge-
racht.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aufhe-
ung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von
inderpornographie in Kommunikationsnetzen. Der
echtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
chlussempfehlung auf Drucksache 17/8001, den Gesetz-
ntwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/6644
nzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
ustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind alle
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17459
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Fraktionen dieses Hauses. Wer stimmt dagegen? – Eine
Stimme aus den Reihen der Union. Stimmenthaltungen? –
Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Eine Stimme wie in der vorigen
Abstimmung. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzent-
wurf ist angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8001,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Keiner. Enthal-
tungen? – Keine. Somit ist die Beschlussempfehlung
einstimmig angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem
Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Aufhebung des
Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in
Kommunikationsnetzen. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8001, den Gesetzentwurf der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/776 für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Keiner. Enthaltungen? – Keine. Somit ist die
Beschlussempfehlung angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Aufhebung von Zugangsbeschränkungen
in Kommunikationsnetzen. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8001, den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 17/646 abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Die Linke.
Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/
Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs
zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunika-
tionsnetzen und Änderung weiterer Gesetze. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/8001, den Gesetzentwurf
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/772 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen
worden.
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschluss-
empfehlung des Rechtausschusses auf Drucksache
17/8001 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe e seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4427 mit dem Titel
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ieser Antrag wird am nächsten Dienstag, am 6. Dezem-
er, auch noch von den tschechischen Linken im tsche-
hischen Parlament eingebracht werden.
In der kurzen Redezeit, die ich habe, möchte ich nicht
uf den Feststellungsteil eingehen, in dem wir gemein-
am herausstellen, welchen Anteil die deutsche Wirt-
chaftspolitik mit ihrem Setzen auf Export und Handels-
ilanzüberschüsse an der Euro-Krise hat. Ich will mich
meiner Rede auf die wesentlichen fünf Punkte in un-
erem gemeinsamen Antrag beschränken.
Erstens geht es um die Einführung einer Finanztrans-
ktionsteuer. Darauf sollte man nicht bis zum Endlostag
arten. Vielmehr sollten die Länder Frankreich und
eutschland sie schnellstmöglich einführen. Über den
ntrag ist bereits heute Morgen in der Nationalver-
ammlung diskutiert worden. Der für Europapolitik zu-
17460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Axel Troost
)
)
ständige Minister Leonetti hat in die Debatte eingegrif-
fen und der französischen Linken gesagt, sie solle uns
ausrichten, wir sollten die Bundesregierung einmal fra-
gen – das tue ich jetzt gerade; vielleicht kann sie auch
zuhören –, was sie davon hält, wenn Deutschland und
Frankreich in einer Koalition der Willigen damit begin-
nen würden. Wahrscheinlich kennt er die deutschen Ver-
hältnisse und hat deshalb gesagt, dass wir die Bundesre-
gierung fragen sollen und nicht die beiden sie tragenden
Fraktionen. Nach der Anhörung gestern im Finanzaus-
schuss zur Finanzmarkttransaktionsteuer kann man nur
vermuten, dass Heckenschützen nach wie vor mit aller
Macht versuchen, die Einführung zu verhindern.
Zweitens geht es um die europaweite Einführung ei-
ner Sondervermögensabgabe für natürliche Personen mit
einem Privatvermögen von mehr als 1 Million Euro.
Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Profiteure
der Krise an den entstandenen Kosten beteiligt werden.
Drittens geht es – Herr Kollege Brinkhaus, hier habe
ich in der Tat die Punkte fünf und sechs zusammenge-
fasst –
um die Reregulierung der Finanzmärkte. Um es einfach
zu sagen: Es geht um ein Verbot von ungedeckten Leer-
verkäufen und Kreditversicherungen sowie um ein Ver-
bot des Hochfrequenzhandels. Es geht auch darum, alle
Käufe und Verkäufe von Produkten über geordnete Han-
delsplattformen wie Börsen zu führen und nicht, wie bis-
her, unreguliert zu lassen.
Viertens – das steht insbesondere in Frankreich an,
aber möglicherweise auch in Deutschland – geht es da-
rum: Wenn wir eine Rekapitalisierung der Banken mit
öffentlichen Mitteln brauchen, dann muss sichergestellt
sein, dass für diese öffentlichen Mittel auch eine dauer-
hafte Mehrheitsbeteiligung des Staates am Kapital dieser
Banken gewährleistet wird – damit also nicht das pas-
siert, was in Deutschland bei der Commerzbank passiert
ist – und dass der Staat dann dafür sorgt, dass aus den
Zockerbanken Banken bzw. Dienstleister für die Erspar-
nisbildung und die Kreditvergabe werden.
Fünftens fordern wir die Einführung eines europäi-
schen Fonds für eine soziale, solidarische und ökologi-
sche Entwicklung, damit die Länder des Südens über-
haupt eine Chance haben, aus der Schuldenkrise
herauszukommen.
Heute Morgen waren im Finanzausschuss Kollegen
aus Griechenland. Es ist völlig klar – dies wird eigent-
lich von niemandem bestritten –, dass diesen Ländern in
einem Prozess von 10 bis 20 Jahren geholfen werden
muss. Das geht nur mit einem solchen Fonds, der dann
auch Zugang zum Geld der Europäischen Zentralbank
hat, um das entsprechend zu finanzieren.
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lso werde ich mich auch eingehend mit Ihrem Antrag
eschäftigen, Herr Troost.
Erst einmal ist es ja zu begrüßen, dass Sie einen An-
ag zusammen mit Ihren Kollegen aus Frankreich ein-
ringen. Sie haben aber leider nicht das Copyright; das
aben die Kollegen von der SPD, die das nämlich auch
chon einmal gemacht haben.
inmal ganz unabhängig vom Inhalt des Antrags ist das
sofern wirklich eine ganz gute Sache, weil ich glaube,
ass wir uns in dem europäischen Prozess, in dem wir
ns momentan befinden, als deutsches Parlament neu
efinieren müssen. Ich glaube, dass die Rolle der natio-
alen Parlamente in der europäischen Entscheidungsfin-
ung viel zu kurz kommt. Wir müssen uns da mehr ein-
ringen. Wenn wir uns da mehr einbringen wollen, dann
chaffen wir das nur, wenn wir das zusammen machen.
sofern ist dieses Vorgehen gut. Das ist aber auch das
inzig Gute an Ihrem Antrag.
ie werden verstehen, dass ich den Rest nicht so gut
nde.
Der Antrag ist so gegliedert, wie alle Oppositionsan-
äge gegliedert sind. Im ersten Teil findet sich die übli-
he Regierungsbeschimpfung, bei Ihnen – das ist der
onderfall – noch angereichert mit ein wenig marxisti-
cher Folklore.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17461
Ralph Brinkhaus
)
)
Der zweite Teil enthält dann das Vorschlagspaket. Sie
haben ja schon die Punkte von sechs auf fünf herunterge-
beamt. Der dritte Teil enthält die Begründung. Da ist Ih-
nen die Luft ein bisschen ausgegangen, weil Sie von Ih-
ren sechs Vorschlägen nur drei begründet haben.
Das mag auch für sich sprechen.
Kommen wir jetzt einmal zu Ihren einzelnen Vor-
schlägen in chronologischer Reihenfolge:
Der erste Vorschlag war, einen Fonds aufzulegen. Da-
rin ist irgendetwas mit Solidarität, Ökologie, Gerechtig-
keit und ähnlichen Geschichten enthalten. Dazu kann
man nur sagen: Gibt es schon. Es gibt mehrere Fonds auf
europäischer Ebene, die sich genau mit diesen Themen
beschäftigen. Ich vermute aber einmal, dass Sie auf diese
untaugliche Weise etwas anderes adressieren wollten, et-
was, was auch uns betrifft, nämlich dass die Konsolidie-
rung in Europa die eine Säule ist, die unsere Zukunft
beeinflussen wird. Die andere Säule ist, dass wir tatsäch-
lich nicht nur über Haushaltskonsolidierung nachdenken
können und müssen, sondern dass wir uns auch damit
beschäftigen müssen, wie die betroffenen Länder wirt-
schaftlich wieder auf die Beine kommen.
Nur, Herr Troost, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, es ist wahrscheinlich ein untaugliches Mit-
tel, dies mit einem amorph formulierten Fonds anzuge-
hen.
Kommen wir zum zweiten Punkt. Sie möchten, dass
die Banken, die gestützt werden, quasi verstaatlicht wer-
den. Das heißt, dass der Staat eine Mehrheitsbeteiligung
übernimmt und dann – zweiter Schritt – dafür sorgt, dass
sich diese Banken darauf konzentrieren, die Wirtschaft
und die Gesellschaft mit Krediten zu versorgen.
Hier gibt es zwei Fehlannahmen. Die erste Fehlan-
nahme ist, dass staatliches bankliches Handeln nicht un-
bedingt besser ist als privates bankliches Handeln. Das
haben wir am Beispiel der WestLB und auch einiger an-
derer Landesbanken sowie unserer Tochtergesellschaft
IKB gesehen.
Die zweite Fehlannahme ist, dass es die einzige Auf-
gabe von Banken ist, die Kreditversorgung sicherzustel-
len. Banken haben noch ganz andere Funktionen. Sie
sind Zahlungsmittelversorger, sie führen eine Fristen-
transformation durch, und sie machen vor allen Dingen
eines, was Sie wahrscheinlich als fürchterlich schäbig
erachten: Sie sichern Risiken ab. Dafür braucht man De-
rivate, und zwar aus ganz realwirtschaftlichen Gründen.
Insofern läuft das, was Sie hier fordern, fehl.
Der dritte Punkt ist die Finanztransaktionsteuer. Da
muss man sagen: Wie neu und innovativ ist diese Idee!
Es ist so, dass die Europäische Kommission einen Vor-
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llerdings haben wir gestern in der Anhörung erfahren
das hat mit Verschwörungstheorien oder damit, dass da
eckenschützen zugange waren, nichts zu tun –,
ass es wohl doch nicht so einfach ist, eine Finanztrans-
ktionsteuer einzuführen, wie Sie es sich immer denken,
ach dem Motto: Wenn wir jetzt die Finanztransaktion-
teuer einführen, ist der Hunger auf der Welt bekämpft,
t der Klimawandel aufgehalten und sind sämtliche
aushalte saniert. Das funktioniert so nicht.
Die Finanztransaktionsteuer, meine Damen und Her-
n, hat ganz viel mit Technik zu tun. Man muss sich
ehr viele Fragen stellen und überlegen: Wer ist das
teuersubjekt? Wer ist das Steuerobjekt? Wie sieht es
it der Bemessungsgrundlage aus? Wie sieht es mit den
arifen aus? Wie sieht es mit der Steuererhebung aus?
ll das sind Fragen, die auch im Vorschlag der Europäi-
chen Kommission noch nicht zufriedenstellend beant-
ortet sind.
Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt in Ihrem Opus
agnum, das Sie auf den Weg gebracht haben. Sie wol-
n eine Vermögensabgabe für Millionäre.
h finde es klasse, dass Sie diese Forderung hier adres-
ieren. Sie haben das wohlgefällige Nicken der Grünen
nd auch der SPD an dieser Stelle vom Rednerpult aus
icherlich zur Kenntnis genommen.
enn wir über das Thema Vermögensabgabe reden,
ann sollten wir auch über alle anderen steuerpolitischen
läne reden, die von der linken Seite des Parlaments ver-
lgt werden. Da geht es nicht nur um die Vermögensab-
abe, sondern auch um eine höhere Erbschaftsteuer, eine
öhere Einkommensteuer und eine Substanzbesteuerung
Rahmen der Gewerbesteuer.
17462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Ralph Brinkhaus
)
)
Daran zeigt sich wieder einmal: Unsere Seite des Par-
laments steht für eine kontinuierliche, gemäßigte Steuer-
politik.
Ihre Seite des Parlaments steht für eine Steigerung der
Steuereinnahmen bis zum Exzess. Aufgrund Ihres sozia-
listischen Weltbildes kann man vielleicht noch nachvoll-
ziehen,
dass Sie sagen: Die bösen Reichen werden jetzt ge-
schröpft. – Nur, das Problem an der ganzen Sache ist,
dass es nicht nur um die „bösen Reichen“ geht, sondern
dass die meisten Steuern, die ich gerade genannt habe, in
irgendeiner Art und Weise mit Produktivvermögen – das
heißt auch mit Arbeitsplätzen – zusammenhängen.
Erklären Sie uns doch bitte einmal, wie die Liquidität,
die auf diese Art und Weise aus den Betrieben herausge-
zogen wird, ersetzt werden soll, und das in Zeiten, in de-
nen wir von Unternehmen fordern, ihre Eigenkapital-
quoten zu steigern, und in denen die Kreditversorgung
vielleicht nicht mehr so sicher ist, wie sie es einmal war.
Insofern freuen wir uns als christlich-liberale Koalition
wirklich darauf, diese steuerpolitische Auseinanderset-
zung in den nächsten anderthalb Jahren mit Ihnen zu
führen.
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Menschen
in diesem Land sehen, was Sie wirklich wollen. Es ist
eine unheilige Allianz, die auf der linken Seite dieses
Saales sitzt. Insofern ist es gut, dass Sie Ihre Pläne ein-
mal benannt haben.
Kommen wir zu einer weiteren Forderung, die Sie er-
heben. Sie sagen: Wir müssen die Leerverkäufe verbie-
ten. Da frage ich mich, liebe Kollegen von den Linken:
Wo waren Sie im Mai und Juni letzten Jahres, als wir ge-
nau das gemacht haben? Diese christlich-liberale Koali-
tion war die erste Koalition in der Geschichte Deutsch-
lands, die genau dieses Thema angepackt hat, und zwar
sehr umfänglich.
Wir haben ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und
Staatsanleihen verboten. Wir haben dafür gesorgt, dass
Credit Default Swaps, also Kreditversicherungen, nur
genutzt werden, um solche Risiken abzusichern, die tat-
sächlich mit Krediten unterlegt sind;
das wird von Ihnen, meine Damen und Herren, gemein-
hin unterschlagen. Wir haben der BaFin ein scharfes
Schwert an die Hand gegeben. Wir haben der BaFin
nämlich gesagt: Ihr könnt alle Instrumente vom Markt
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In Frankreich nicht.
Jetzt kommen wir zu einem wichtigen Punkt, Herr
roost. Wenn Sie sagen: „In Frankreich nicht“,
ann könnten Sie in Ihrem Antrag doch vielleicht auch
inmal dezent darauf hinweisen,
ass Deutschland vorangegangen ist und dass sich der
est Europas momentan an der Blaupause, die wir auf
en Weg gebracht haben, orientiert.
ementsprechend nehme ich mit Freude zur Kenntnis,
ass Sie in der Sozialistischen Internationale – sorry, in
er Kommunistischen Internationale – in Europa dafür
erben werden, dass dieses Gesetz auch in anderen eu-
päischen Ländern Einzug hält. Ich kann den Kollegen
on der SPD nur empfehlen, sich genauso zu verhalten.
s gibt ja irgendwo auch eine grüne europäische Bewe-
ung; vielleicht bekommen die das auch hin. Manchmal
ann man auch von uns lernen. Das ist eine Sache, die
ns wirklich gut gelungen ist. Sie war bahnbrechend, ge-
auso wie übrigens auch einige andere Gesetze, zum
eispiel das Banken-Restrukturierungsgesetz.
Dann haben Sie noch adressiert, dass Sie den Hoch-
equenzhandel bekämpfen müssen. Damit sind Sie auch
in bisschen hinter der Zeit; denn auch dieses Thema ist
icht neu.
Jetzt komme ich zum letzten Punkt in Ihrem Antrag.
er ist ja geradezu rührend formuliert: Der OTC-Handel
oll geschlossen werden. Die Vorstellung ist: Ich habe
inen Laden und schließe den ab; ich schließe den OTC-
andel. Ganz ehrlich: Der OTC-Handel wird reguliert
erden. Es gibt die EMIR-Initiative auf europäischer
bene. Diese Initiative wird maßgebend von der deut-
chen Bundesregierung unterstützt, ist also auch mit
eutschem Input auf den Weg gebracht worden. Ich
enke einmal, dass wir hier viel weiter sein werden als
iele andere Rechtssysteme in dieser Welt;
enn in diesen Rechtssystemen gibt es diese Regelung
och nicht. Wir als christlich-liberale Koalition nehmen
ns zusammen mit unseren europäischen Partnern genau
ieses OTC-Handels an, und wir werden dafür sorgen,
ass das transparent ist. Wir werden hier eine Menge er-
ichen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17463
Ralph Brinkhaus
)
)
Ich komme zu Ihrer letzten Forderung. Das ist das
Rührendste und Naivste, was ich überhaupt gesehen
habe. Sie wollen den Ratingagenturen verbieten, Staats-
anleihen zu raten, nach dem Motto: Das Ergebnis gefällt
uns nicht, deswegen verbieten wir es ihnen. Sie müssen
sich einmal überlegen, ob Rating vielleicht auch etwas
mit Meinungsfreiheit zu tun hat und ob wir nicht in einer
Welt leben, in der sich beispielsweise asiatische oder
amerikanische Investoren fragen, was eine Ratingagen-
tur zu der Staatsanleihe sagt, die sie kaufen wollen. Nach
dem Vorschlag der Linken ist es dann so, dass gesagt
wird: Nein, dazu können wir nichts sagen, weil uns das
verboten worden ist. – Sie glauben doch wohl nicht, dass
es dann noch irgendeinen Investor aus Übersee geben
wird, der in europäische Staatsanleihen investiert. Das
ist der Gipfel der Naivität.
Jetzt komme ich langsam zum Ende meiner Ausfüh-
rungen, und ich fasse das Ganze noch einmal zusammen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, es ist
schön und begrüßenswert, dass Sie europäische Initiati-
ven starten. Es ist auch schön und begrüßenswert, dass
Sie versuchen, auf internationaler Ebene etwas zu errei-
chen. Aber auch für Vorschläge, die man zusammen mit
dem französischen und, wie ich gerade gehört habe, dem
tschechischen Parlament macht, gibt es gewisse Min-
deststandards. Zu diesen Mindeststandards gehört – das
muss man sich vielleicht einmal überlegen –, dass man
seine Vorschläge ordentlich begründet – und das nicht
nur an drei Stellen – und dass man diese ganzen Dinge
auch in einen vernünftigen Zusammenhang stellt.
Sie wissen, meistens halte ich meine Reden hier ohne
Papier. Das fällt mir normalerweise auch leicht, weil hin-
ter jedem Antrag, der hier eingebracht wird, eine Ge-
schichte, ein Zusammenhang, eine Logik steht. Ich muss
ganz ehrlich sagen: Als ich mich heute Nachmittag auf
diese Rede vorbereitet habe, hatte ich wirklich Schwie-
rigkeiten, ihre zusammenhanglos aneinandergereihten
Vorschläge irgendwie logisch zu ordnen.
Dementsprechend war es nicht ganz leicht, diese Rede
hier vorzubereiten, weil kein System ersichtlich ist.
Damit komme ich zu dem, was die christlich-liberale
Koalition macht.
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Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. – Jetzt für die
raktion der Sozialdemokraten Kollege Manfred
öllmer. Bitte schön, Kollege Manfred Zöllmer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
amen und Herren! „Und jetzt?“, fragte der Spiegel in
ieser Woche die Bundesregierung im Zusammenhang
it der Euro-Krise. Eine Antwort haben wir bisher nicht
rhalten.
ines können wir jedenfalls feststellen: Die sogenannte
uro-Krise verschärft sich von Woche zu Woche.
er ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank
pricht bereits von der größten Krise seit dem Zweiten
eltkrieg. Doch nicht der Euro ist gescheitert, geschei-
rt ist die Krisenstrategie dieser Bundesregierung.
Auf Spiegel Online stellte Herr Münchau, immerhin
in Experte für diese Fragen, in dieser Woche fest – ich
itiere einmal wörtlich –:
Die Chance auf eine bezahlbare Euro-Rettung ist
vertan – und schuld ist die Bundeskanzlerin.
Angela Merkel wird uns alle ruinieren, weil sie mit
ihrem Zaudern die Krise verschärft. Jetzt hat sie nur
noch zwei politische Optionen: Bankrott oder Ruin.
Ich will nicht hoffen, dass Herr Münchau mit seinen
chlussfolgerungen richtig liegt, aber bei der Beschrei-
17464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Manfred Zöllmer
)
)
bung des Krisenmanagements dieser Bundesregierung
liegt er richtig, da hat er recht.
Diese Bundesregierung lief der Krise immer hinter-
her. Als der Baum schon brannte, räsonierte man immer
noch darüber, ob man nicht lieber elektrische Kerzen
statt Wachskerzen nehmen sollte.
Wir erinnern uns doch alle noch daran, wie sich die
Bundeskanzlerin von der Bild-Zeitung als eiserne Lady
hat feiern lassen. Ihr Motto: Kein Geld für Griechen-
land! Dann doch Geld für Griechenland. Aber keinen
Cent mehr, so Kollege Fricke von der FDP.
Da hatte er ja völlig recht; denn kurze Zeit später ging es
nun wirklich nicht um Cents, sondern um zusätzliche
Milliarden. Die Halbwertszeit der gebrochenen Be-
schwichtigungssprüche der Bundesregierung liegt schon
jetzt unterhalb von einem Monat. Eine so miserable Kri-
senstrategie hat dieses Land, hat der Euro wirklich nicht
verdient, und diese Stümperei geht leider immer noch
weiter.
Schauen wir uns ganz kurz die Situation bei der EFSF
an. Hier hieß es zuerst: Niemand hat die Absicht, den
Fonds zu hebeln. Zwei Tage später war klar: Er soll ge-
hebelt werden, und es gab zwei Varianten. Jetzt zeigt
sich, dass man die Rechnung wohl ohne die Investoren
gemacht hat. Sie sind offenkundig nicht bereit, mitzu-
spielen. Diesen Eindruck hatten wir bei dem Besuch des
Finanzausschusses in Luxemburg bereits vor zwei Wo-
chen.
Jetzt haben wir einen Rettungsfonds, der offensicht-
lich seine Aufgabe nicht erfüllen kann, weil zu wenig
Geld im Topf ist. Da fragt man sich: Wo ist eigentlich
der Plan B der Bundesregierung? Gibt es ihn? Man stellt
fest: Es gibt keinen. Alle denkbaren Alternativen werden
von der Bundesregierung mit Ekel, Abscheu und Empö-
rung abgelehnt. Man will nun mit Vertragsänderungen
den Krisenbrand löschen – mit Vertragsänderungen, die
mehrere Jahre zu ihrer Umsetzung brauchen.
So wird die Bundesregierung ungewollt zum Totengrä-
ber des Euro.
– Ja, in der Tat, warten Sie ab. Es gibt inzwischen selbst
Minister, die das in Talkshows nicht mehr ausschlie-
ßen. – Die Bundeskanzlerin ist auf dem Weg, zur großen
„Buhfrau“ in Europa zu werden. Das wundert einen auch
nicht angesichts dessen, dass von ihr die Forderung ver-
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Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen“,
at Herr Kauder als CDU-Fraktionsvorsitzender freude-
trahlend auf dem CDU-Parteitag verkündet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten heute
orgen ein Gespräch mit griechischen Abgeordneten.
in griechischer Kollege sagte: Wir Deutsche müssten
ns entscheiden, ob wir ein deutsches Europa oder ein
uropäisches Deutschland wollen. Da hat der Mann
irklich recht.
Das hat er wörtlich so gesagt.
Jetzt wollen wir uns einmal dem Antrag der Linken
uwenden.
etzt wollen die Linken eine neue deutsch-französische
itiative, sozusagen „Mercozy reloaded“, Deauville II.
ir haben eben schon einmal gesagt, dass Plagiate unzu-
ssig sind. Das sollten Sie sich eigentlich in diesem Zu-
ammenhang überlegen.
Natürlich ist die deutsch-französische Zusammenar-
eit in Europa von großer Bedeutung. Aber es muss um
usammenarbeit gehen, nicht um Hegemonie und nicht
m Unterordnung.
Jetzt wenden wir uns dem Antrag der Fraktion Die
inke etwas präziser zu.
as wollen Sie uns mit diesem Antrag sagen? Meine
hese ist: Sie wollen einfach darüber hinwegtäuschen,
ass Ihre Fraktion in Bezug auf Europa völlig gespalten
t. Wenn man den Antrag liest, wird das sehr schön
eutlich; denn Einleitungsteil und Forderungsteil haben
berhaupt nichts miteinander zu tun. Im Einleitungsteil
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17465
Manfred Zöllmer
)
)
heißt es markig: Der Euro ist gescheitert, und das Six-
pack der EU sei – so wörtlich – „ein nicht hinzunehmen-
der Angriff auf die Grundprinzipien der Demokratie“.
Jetzt würde der kundige Leser natürlich erwarten,
dass die Linken im Rahmen der Forderungen Alternati-
ven zum Euro vorschlagen. Liest man die Forderungen
– der Kollege Brinkhaus hat sie eben hier seziert –, fin-
det man nur das Übliche und in diesem Zusammenhang
gar nichts. Das ist Ihr Problem. Offenkundig haben sich
die Europafeinde im ersten Teil verbal austoben dürfen,
und die Realos haben sich dann im zweiten Teil bei den
Forderungen durchgesetzt.
– Sehr schön. – Wer soll Ihren Antrag eigentlich ernst
nehmen, wenn sich aus Ihrer Analyse überhaupt keine
Schlussfolgerungen ziehen lassen? Man kann zusam-
menfassend sagen: Die Linken wissen nicht, was sie
europapolitisch wollen, aber das mit ganzer Kraft.
Das Gleiche gilt für den Bereich der Krisenursachen-
diagnose. Laut Ihrem Antrag sind die deutschen Exporte
schuld an der Krise. Wörtlich heißt es:
Das bedeutet, dass der deutsche Exportboom und
die wachsenden Schuldenberge in Griechenland …
zwei Seiten derselben Medaille sind.
Herr Kollege Troost, Sie waren doch dabei, als der grie-
chische Kollege heute Morgen gesagt hat: Wir Griechen
haben über unsere Verhältnisse gelebt.
– Das hat er gesagt. Das war auch richtig. – Diese Schul-
den ermöglichten es Griechenland, deutsche Produkte zu
kaufen.
Was wollen Sie eigentlich den deutschen Arbeitneh-
mern sagen, deren Arbeitsplätze vom Export abhängen?
Bei mir in der Region wird bis zu 70 Prozent der Pro-
duktion exportiert.
– Das ist letztendlich der Export.
– Herr Kollege Troost, hören Sie doch einmal zu, was
Ihre Parteivorsitzende, Frau Lötzsch, an dieser Stelle in
der letzten Woche in der Haushaltsdebatte ausgeführt
hat. Ich darf wörtlich zitieren:
Deutschland ist auf den Export in andere EU-Län-
der dringend angewiesen. Ein drastischer Rückgang
der Exporte würde uns heute noch härter treffen als
im Jahr 2008.
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ielleicht können Sie erst einmal intern Ihre Position
lären, bevor Sie uns hier Anträge vorlegen. Machen Sie
och erst einmal Ihre Hausaufgaben, dann können wir
ber die Ergebnisse diskutieren.
Jetzt noch eine Schlussbemerkung an die Adresse der
undesregierung. Es muss endlich Schluss sein mit der
erfehlten Krisenpolitik. Nehmen Sie doch zur Kenntnis,
ass die Politik der kleinen Schritte bei der Euro-Krise
escheitert ist. Was wir brauchen, ist ein vernünftiges
risenmanagement, das den Herausforderungen wirk-
ch gerecht wird.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Manfred Zöllmer. – Jetzt für
ie Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Volker Wissing.
itte schön, Kollege Volker Wissing.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Wir erleben jetzt in jeder finanzpolitischen
ebatte, dass sich die Sozialdemokraten hier hinstellen
nd der Bundesregierung vorwerfen, sie hätte von An-
ng an entschlossener bei der Stabilisierung der Euro-
one handeln müssen. Herr Kollege Zöllmer, das, was
ie sagen, wäre erträglich, wenn es nicht ein kleines Pro-
lem in dem Verhalten der Sozialdemokraten in diesem
usammenhang gäbe.
Wir haben, als wir das Euro-Rettungspaket für Grie-
henland geschnürt haben, hier im Deutschen Bundestag
ine sozialdemokratische Fraktion erlebt, die gezaudert
at, die sich nicht zu Europa bekannt hat und die mit
rer kraftvollen Enthaltung nicht wusste, wohin sie will.
ls wir die ersten Stabilisierungsmaßnahmen auf den
eg gebracht haben, haben sich die Sozialdemokraten in
anz Europa blamiert.
Sie müssen sich schon die Dinge anhören, die Sie
lsch gemacht haben. – Deswegen sollten Sie sich hier
icht hinstellen und anderen sagen, dass sie engagierter
nd couragierter hätten vorgehen müssen. Sie haben an
er entscheidenden Stelle gezaudert und sich nicht zu
uropa bekannt. Das werden Sie in der Geschichte der
uro-Stabilisierung nicht mehr los.
17466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Volker Wissing
)
)
Zur Steuerpolitik – das ist hier schon angesprochen
worden – haben die Grünen auf ihrem Parteitag erklärt:
Es muss massive Steuererhöhungen geben.
Wir brauchen die Einnahmen aus Steuererhöhungen für
alles Mögliche. Die Sozialdemokraten freut das sehr.
Auch sie klatschen bei Forderungen nach Steuererhö-
hungen starken Beifall. Zugleich beantragen Sozial-
demokraten und Grüne im Bundesrat eine Senkung des
Steuersatzes für Ausflugsschifffahrten.
Sie müssen einmal der Öffentlichkeit erklären, wie das
zusammenpassen soll.
Nun zur Linken. Es ist schon interessant: Wir haben
in Europa eine Staatsverschuldungskrise. Die Haushalte
sind nach dieser schweren Wirtschafts- und Finanzkrise
in einem schrecklichen Zustand.
Die Schuldenstandsquoten liegen jenseits des Erträg-
lichen. Dann sagen die Linken: Wir brauchen in Europa
jetzt keine Haushaltskonsolidierung, sondern wir brau-
chen einen Fonds für soziale, solidarische und ökologi-
sche Entwicklung, der mit neuen Schulden finanziert
werden soll. Sie müssen einmal der Bevölkerung erklä-
ren, wie man in dieser Situation mit einer so albernen
Lösung einen Beitrag zur Stabilisierung leistet.
Auf die Frage, woher das Geld für Ihren merkwürdigen
Fonds kommen soll, bleiben Sie jede Antwort schuldig.
Wollen Sie es sich an den Kapitalmärkten leihen? Wie
wollen Sie mit zusätzlichen Schulden für zusätzliche
Staatsausgaben das Vertrauen in die Euro-Zone zurück-
gewinnen? Das ist völlig irreal.
Ihr Antrag passt eher zu einer Märchenstunde, als
dass er irgendeinen Beitrag zur Stabilisierung der Situa-
tion leistet; der Kollege Brinkhaus hat schon darauf hin-
gewiesen. Wenn Sie behaupten, die Lösung des Pro-
blems der Finanzmärkte könne darin liegen, dass man
private Banken verstaatlicht und zu öffentlichen Banken
macht, ignorieren Sie völlig, dass gerade die öffentlichen
Banken, die Landesbanken in Deutschland, ein größeres
Problem darstellten. Deswegen sollten Sie mit diesem
Märchen aufhören. Das mag zwar zu Ihrer Ideologie
passen, aber es passt nicht in die Realität, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.
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Kollege Dr. Wissing, gestatten Sie eine Zwischen-
age der Kollegin Lisa Paus?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Wissing, Sie haben gerade die Finanztrans-
ktionsteuer angesprochen. Da mir bisher nicht bekannt
t, welche Meinung Sie zu dem vorliegenden Entwurf
er Kommission zur Einführung der Finanztransaktion-
teuer haben, und mir bisher auch nicht bekannt ist, dass
ie sich aktiv dafür einsetzen, dass in Europa eine
inanztransaktionsteuer eingeführt wird, bitte ich Sie,
eine folgenden Fragen zu beantworten: Wie bewerten
ie den aktuell vorliegenden Entwurf? Welche Schritte
üssen Ihrer Meinung nach gegangen werden, damit wir
Europa tatsächlich die Finanztransaktionsteuer be-
ommen? Welchen Beitrag leistet die FDP-Fraktion
azu?
Zunächst einmal wissen Sie genau, welche Haltung
ie FDP-Fraktion einnimmt. Denn CDU/CSU und FDP
aben im Deutschen Bundestag – ich gehe davon aus,
ass Sie die Themen verfolgen, die hier beraten werden –
inen gemeinsamen Antrag verabschiedet, in dem wir
indeutig sagen, dass wir die Einführung einer Finanz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17467
Dr. Volker Wissing
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)
transaktionsteuer auf der Ebene der EU 27 unterstützen.
Das ist die Haltung der FDP-Fraktion.
Jetzt gibt es Vorschläge, die beinhalten, eine solche
Steuer auch unterhalb der Ebene der EU 27 einzuführen.
Wir sind skeptisch, weil wir die Befürchtung haben,
dass, nachdem wir, die CDU/CSU und die FDP, im Ge-
gensatz zu Ihnen in Deutschland eine sehr starke Finanz-
marktregulierung betrieben haben – Sie haben die
Märkte dereguliert –, bei Einführung einer solchen
Steuer die Finanztransaktionen aus Deutschland in weni-
ger regulierte Märkten abwandern. Das kann nicht klug
sein; denn wir sehen voraus, dass wir dann die globalen
Finanzmarktrisiken schnell wieder im eigenen Land hät-
ten. Deswegen ist es wichtig, Frau Kollegin, dass Sie
nicht vorschnell die Einführung einer Finanztransaktion-
steuer nur in wenigen Ländern fordern, beispielsweise in
Deutschland und Frankreich, wie die Linke es tut, und
damit das Risiko eingehen, dass die Finanztransaktionen
vom dank CDU/CSU und FDP regulierten deutschen
Markt
in weniger regulierte Märkte abwandern.
Sie haben nun darauf gedrungen, dass im Finanzaus-
schuss eine weitere Sachverständigenanhörung zu die-
sem Thema stattfindet. Dort hat man wieder Bedenken
gegen diese Steuer geäußert, weil es administrative
Schwierigkeiten gibt, die Gefahr von Verlagerung be-
steht und viele andere Fragen offen sind.
Wenn diese Steuer nicht in allen Ländern eingeführt
wird und die Besteuerung nach dem Sitzlandprinzip er-
folgt, stellt sich beispielsweise die Frage, wie man dann
die Informationen von den Ländern bekommt, in denen
die Transaktionen stattfinden.
Sie machen sich leider nicht die Mühe, die Auswir-
kungen Ihrer Vorschläge auf die Bundesrepublik
Deutschland zu überdenken.
Wir müssen aber verantwortlich handeln.
Nachdem uns die Finanzmärkte von Rot-Grün in desola-
tem Zustand hinterlassen worden sind – unter anderem
wegen der von Rot-Grün vorgenommenen Deregulie-
rung –,
können wir in Europa leider nicht so holzschnitzartig
Finanzmarktpolitik machen.
Deshalb handeln wir genau so, wie wir handeln. Wir ma-
chen das strukturiert und lassen uns auf die komplexen
Dinge ein. Wir setzen nicht wie Sie einen Vorschlag
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Zu Ihrer Sondervermögensabgabe, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von der Linken. Sie bringen in dieser
rise keinen vernünftigen Vorschlag, wie man auf der
usgabenseite sparen und den Haushalt konsolidieren
ann, aber gleichzeitig einen Vorschlag nach dem ande-
n zu neuen Staatsausgaben, die dann durch zusätzliche
teuereinnahmen finanziert werden sollen. Dazu kann
h nur feststellen: Bei einer Umsetzung Ihrer Vor-
chläge würde alles schlimmer, die Schuldenkrise würde
erschärft, die wirtschaftliche Situation von Unterneh-
en und Privaten in Deutschland würde sich verschlech-
rn und Arbeitsplätze würden gefährdet. Welchen Fort-
chritt das bringen soll, müssen Sie den Menschen in
eutschland und auch den Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmern, die Sie gewählt haben, erst noch erklären.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen endlich
uch damit aufhören, die Realität völlig auszuklammern;
as tut leider auch die SPD. Dabei wissen Sie, Herr Kol-
ge Zöllmer, doch, dass CDU/CSU und FDP in
eutschland die Avantgarde bei der Finanzmarktregulie-
ng in Europa darstellen. Wir haben die Dinge sehr
chnell aufgegriffen. Inzwischen folgt uns Europa, und
as ist gut. Wir werden jetzt die Vorschläge abwarten,
ie von der Kommission kommen, und diese dann natio-
al umsetzen.
enn Vorhaben, die die Kommission aufgegriffen hat
nd derzeit in eine Richtlinie umsetzt, dürfen wir – das
issen Sie ganz genau – national gar nicht mehr aufgrei-
n. Deshalb kommen Sie leider mit Ihrer Forderung, wir
ollten endlich die Finanzmärkte regulieren, zu spät. Wir
aben das schon getan. Das, was Sie sich jetzt an zusätz-
chen Dingen noch haben einfallen lassen, haben wir
chon auf europäischer Ebene vorangetrieben. Wir müs-
en jetzt warten, bis die Richtlinie kommt. Dann werden
ir sie umsetzen.
Wir regulieren die Finanzmärkte in Deutschland. Ihre
interlassenschaften haben wir, soweit es ging, bereits
eseitigt. Wir werden weiter regulieren, nicht nur im
ationalen Alleingang, sondern auch mit unseren euro-
äischen Partnern. Wir haben für Stabilität gesorgt.
as, was Sie verursacht haben, wird sich nicht wieder-
olen.
17468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
)
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Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. – Nächste
Rednerin in unserer Debatte ist für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen unsere Kollegin Lisa Paus. Bitte
schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Wissing, Sie sagten gerade: „Wir haben für Stabilität ge-
sorgt.“ Das kann ich heute, am 1. Dezember 2011, in der
Form nun wirklich nicht feststellen. Im Gegenteil, wir
befinden uns heute wieder in einer sehr zugespitzten
Lage. Wir mussten gestern alle miteinander wahrneh-
men, dass es zur Stabilisierung der internationalen
Finanzmärkte wieder einmal notwendig war, dass die
Zentralbanken eine konzertierte Aktion durchführten.
Offenbar ist es so, dass der Interbankenmarkt schon wie-
der fast vollständig ausgetrocknet ist. Bei der Europäi-
schen Zentralbank werden zurzeit wöchentlich 270 Mil-
liarden Euro geparkt. In normalen Zeiten sind es
10 Milliarden Euro.
Heute findet parallel zu der Sitzung hier eine Grund-
satzrede des französischen Präsidenten zur Schulden-
krise statt. Wir stehen am Vorabend einer Regierungser-
klärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel – wieder
einmal im Zusammenhang mit einer Zuspitzung der
Krise, wieder einmal in Vorbereitung des nächsten Kri-
sengipfels. Man fragt sich, der wievielte es eigentlich ist.
Wir haben hier eine Debatte, sozusagen einen Schlag-
abtausch, erlebt, der sich im üblichen Rahmen bewegt
hat. Damit will ich mich jetzt nicht mehr aufhalten, zu-
mal ich dazu gar nicht die Zeit habe. Außerdem besteht
morgen früh noch einmal Gelegenheit dazu, die gegen-
sätzlichen Positionen in allen Details auszubreiten. Des-
halb von meiner Seite zu Ihrem Antrag nur so viel: Darin
ist nicht alles falsch, aber, liebe Linksfraktion, wer die
Euro-Krise bekämpfen will, ohne einen einzigen Satz
bzw. einen einzigen Vorschlag zur Senkung der Staats-
verschuldung zu machen, der wird nicht erfolgreich sein.
Ohne Senkung der Staatsverschuldung wird es wohl
nicht gehen, liebe Linkspartei.
Das haben wir jetzt noch einmal bestätigt bekommen.
Das ist aber wirklich jenseits der Debatte. Man muss
schon sparen und investieren. An einer Senkung der
Staatsverschuldung kommen wir nicht vorbei.
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eutschland und Frankreich sollten vielmehr an einem
trang ziehen. Dann kommt es zumindest zu Deutsch-
ranzösisch und nicht zu Deutsch allein.
Eine zweite Forderung, bei der wir eigentlich an ei-
em Strang ziehen sollten, ist tatsächlich die nach Ein-
hrung einer Finanztransaktionsteuer. Auf diesem Ge-
iet ist lange wenig passiert.
arüber hat es auch in Frankreich eine durchaus kontro-
erse Diskussion gegeben. Wir von der Opposition hat-
n jedenfalls den Eindruck, dass es im Sommer zu ei-
em Durchbruch gekommen ist. Wir Grüne haben auch
ehr positiv zur Kenntnis genommen, wie die CDU/
SU-Fraktion agiert hat, als Herr Semeta im Finanzaus-
chuss gewesen ist. Wir dachten: Es geht jetzt voran;
tzt gibt es einen konkreten Vorschlag der EU-Kommis-
ion. – Dieses Vorgehen wurde grundsätzlich begrüßt,
nd zwar nicht nur auf Regierungsebene. Erstmals hat
ieses Haus die Bundesregierung nämlich aufgefordert,
iesen Vorschlag aktiv zu unterstützen und dafür zu sor-
en, dass er nicht wieder im Sande verläuft, sondern um-
esetzt wird.
Frau Kollegin Lisa Paus, der Kollege Dr. Wissing
öchte Ihre Redezeit verlängern. Gestatten Sie eine
wischenfrage?
Ja, das ist nett.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17469
)
)
Bitte schön, Herr Dr. Wissing.
Frau Kollegin Paus, wenn die Öffentlichkeit Ihnen
zuhört, stellt sie sich die Frage, weshalb es zu den Zei-
ten, als die Grünen zusammen mit den Sozialdemokraten
in Deutschland regiert haben, weder einen Vorstoß gab,
die Finanztransaktionsteuer auf nationaler Ebene einzu-
führen, noch einen Vorstoß der rot-grünen Bundesregie-
rung, die EU-Kommission zu veranlassen, Vorschläge
für eine solche Steuer zu machen. Würden Sie der Öf-
fentlichkeit bitte erklären, was die Gründe dafür sind?
Ein Grund war sicherlich, dass wir damals noch nicht
die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 hatten.
Ich kann Sie aber beruhigen: Meine Fraktion, die Frak-
tion der Grünen, hat sich schon damals dafür eingesetzt,
dass die Finanztransaktionsteuer eingeführt wird, und sie
hat diese Forderung auch entsprechend in der Koalition
eingebracht.
Wir dachten jedenfalls, das Ganze sei auf gutem Weg,
und deswegen hatten wir gewisse Hoffnungen an diese
Anhörung gestern geknüpft. Aber wir wurden wirklich
enttäuscht. Das war eine volle Rolle rückwärts der Koali-
tion, und das ist grob fahrlässig. Die Koalition hat nicht
nur fast ausschließlich Gegner der Finanztransaktion-
steuer eingeladen, sondern auch nur diese befragt,
und das in einer Art und Weise – Herr Präsident, ich
komme zum Schluss –, dass ein negativer Standard ge-
setzt wurde.
Die erste Frage von Herrn Flosbach ging an einen
Vertreter der Kreditwirtschaft und lautete: Wie bewerten
Sie den Kommissionsvorschlag? Direkt die Frösche ge-
fragt
und gleich die entsprechende Antwort bekommen: Es
gibt eine Vielzahl von Problemen; das geht gar nicht. –
Aha, was für eine Überraschung!
Frau Paus, Sie haben mir gerade etwas versprochen;
vielleicht erinnern Sie sich.
Ja. – Mein vorletzter Satz. Die FDP machte in glei-
cher Manier weiter. Sie fragte Professor Kaserer: Ist der
Finanzsektor unterbesteuert? Antwort: Nein. – In dieser
Art und Weise fand die ganze Anhörung statt. Das gibt
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Deswegen fordere ich Sie hier und jetzt noch einmal
uf: Ändern Sie Ihren Kurs! Das, was Sie machen, gibt
ieser Regierung keine Rückendeckung, sondern be-
irkt das Gegenteil. Machen Sie endlich voran! Arbei-
n Sie konkret an der Umsetzung der Finanztransaktion-
teuer!
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Drucksache
uf Vorlage 17/7884 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch er-
ebt sich nicht. Sie sind also damit einverstanden. Dann
t dies so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung einer Visa-Warndatei und zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/6643 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 17/7994 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Michael Hartmann
Hartfrid Wolff
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
iesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen1). –
ie sind damit einverstanden. Die Namen der entspre-
henden Kolleginnen und Kollegen liegen hier im Präsi-
ium vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
mpfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
he 17/7994, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
uf Drucksache 17/6643 in der Ausschussfassung anzu-
ehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
er Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
eichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
timmt dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen.
nthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in
weiter Beratung angenommen.
Anlage 6
17470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? –
Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Hans-Josef Fell, Krista Sager, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Moratorium jetzt – Dringliche Klärung von
Fragen zu Mehrkosten des ITER-Projekts
– Drucksachen 17/6321, 17/7934 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
René Röspel
Dr. Martin Neumann
Dr. Petra Sitte
Sylvia Kotting-Uhl
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
Der vorliegende Antrag ist ein neuerliches Beispiel
für die destruktive Haltung der Grünen. Alles muss erst-
mal gestoppt, verhindert oder beendet werden. Dieses
Vorgehen der Grünen ist bundesweit bekannt. Und auch
heute werden wir uns wieder damit beschäftigen müs-
sen. Ich empfehle Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, sich einmal sachlich mit dem Thema
auseinanderzusetzen und eine konstruktiv-kritische Hal-
tung einzunehmen. Dem wird Ihr Antrag nicht gerecht.
Aus folgenden Gründen:
Erstens: Sie fragen in Ihrem Antrag nach den Zeitver-
zögerungen durch Lieferschwierigkeiten in Japan. Die
Antwort: Inzwischen konnte eine Teillieferung der japa-
nischen Komponenten durch Südkorea übernommen
werden. Dies begrenzt die Verzögerung auf ein Jahr. So-
mit wird die Fertigstellung nicht 2019, sondern 2020 er-
folgen. Deshalb das ganze Projekt abzulehnen, ist ab-
surd.
Zweitens: Sie verlangen in Ihrem Antrag Verbesse-
rungen bei den Managementstrukturen der europäi-
schen Agentur Fusion for Energy und eine transparente
Ausschreibungs- und Vergabepraxis. Zu Recht verlan-
gen Sie dies. Die Bundesregierung hat hier den richtigen
Ansatz gewählt und auf Verbesserungen gedrungen.
Mittlerweile wurden, wie Sie in Ihrem Antrag korrekt
schreiben, das Management ausgetauscht und Kontroll-
und Überprüfungsmechanismen installiert. Außerdem
wurde ein Projektbegleiter etabliert, der die Auftrags-
vergabe kontrolliert und auch das Controlling verbes-
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ropäischen Union auch China, Indien, Japan, Südkorea,
Russland und die USA. Ein Projekt von dieser Größe
und Bedeutung erfordert internationale Zusammenar-
beit. Deshalb ist Verlässlichkeit gegenüber den interna-
tionalen Partnern wichtig.
Im Übrigen wurde der ITER-Vertrag in der rot-grü-
nen Regierungszeit ausgehandelt. Die Grünen hätten
damals die Chance zum Ausstieg gehabt. Zumindest
aber hätten Sie verhindern können, dass der Vertrag gar
keine Ausstiegsmöglichkeiten für Euratom vorsieht.
Stattdessen haben Sie diesem Vertrag zugestimmt. Und
heute wollen Sie davon nichts mehr wissen. So geht es
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen!
Die wesentlichen im Antrag aufgeworfenen Fragen
sind damit beantwortet. Aus diesem Grund können wir
den Antrag der Grünen gut begründet ablehnen. Die
Strategie der Bundesregierung, die Defizite konstruktiv
zu beseitigen, ist allemal erfolgversprechender als die
Strategie der Grünen, gleich alles hinzuschmeißen. Da-
rüber hinaus möchte ich der Grünen-Fraktion etwas
mehr Technologiebegeisterung nahelegen. Niemand
verlangt von den Grünen, dass sie technikverliebte Pira-
ten werden, aber ein bisschen mehr Offenheit könnte
nicht schaden.
Bei der Kernfusionsforschung handelt es sich um
bahnbrechende Grundlagenforschung. Ich empfehle Ih-
nen daher eine Besichtigung des Versuchsreaktors Wen-
delstein 7-X in Greifswald. Es ist einfach faszinierend,
wie deutsche Forscher hier einen Fusionsreaktor nach
dem Stellarator-Prinzip aufbauen und bei jedem einzel-
nen Schritt auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen kön-
nen, weil es noch nie vorher ausprobiert wurde oder
überhaupt möglich war, so etwas aufzubauen. Die fort-
schrittlichste Technologie der Welt verbunden mit
höchster Präzision und begleitet von den besten Wissen-
schaftlern der Welt: Das ist ein faszinierendes Beispiel
für bahnbrechende Forschung. Besuchen Sie Greifs-
wald! Ich kann es Ihnen nur empfehlen. Wir von der
CDU/CSU-Fraktion sind davon überzeugt, dass die Fu-
sionstechnologie viele Zukunftschancen bietet. Lassen
Sie uns deshalb das ITER-Projekt weiterhin konstruktiv,
aber kritisch begleiten!
In meinem Wahlkreis in Garching befindet sich seit
1971 die größte Forschungsanlage für Kernfusion in
Europa, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik,
auch IPP genannt.
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik ist nicht
nur das größte Forschungsinstitut auf diesem Gebiet, es
bearbeitet im Bereich der deutschen Fusionsforschung
gemeinsam mit den Instituten in Karlsruhe und dem
Forschungszentrum Jülich alle relevanten Fragestellun-
gen, die auf dem Weg zu einem Fusionsreaktor zu lösen
sind.
Alle dort erzielten Ergebnisse fließen in die Planung
des internationalen Testreaktors ITER mit ein. Das IPP
verfügt hier also über ungeheures Wissenspotenial, das
es zu nutzen und zu fördern gilt.
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bin zutiefst davon überzeugt, dass mit der Fusionstech-
nik ein Quantensprung im neuen Energiezeitalter begin-
nen wird.
Kernargument im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
für ein Moratorium ist die Finanzierung des Projektes.
Die ITER-Finanzierung teilen sich EU, USA, Japan,
Russland, China, Indien und Südkorea. Sie wissen doch,
Forschungsprogramme kosten immer erst einmal Geld,
viel Geld. Das ist überall so. Die Bundesregierung ist
dennoch darauf bedacht, dass die Kosten auf europäi-
scher Ebene nicht aus dem Ruder laufen. Deshalb wur-
den auch die Kosten entsprechend auf 6,6 Milliarden
Euro gedeckelt.
Die Fusionsforschungsarbeiten in Deutschland und
Europa und das Internationale Fusionsexperiment ITER
stehen für eine funktionierende internationale Zusam-
menarbeit in der Energieforschung. Das wollen und
können wir nicht durch ein Moratorium, wie im Antrag
der Grünen gefordert ist, aufs Spiel setzen: erstens weil
wir nicht alleine sind und weil es sich hier um eine inter-
nationale Kooperation handelt, in der wir als zuverläs-
siger Partner nicht wegfallen dürfen. Zum Zweiten ist
Deutschland auch nur mittelbar an dem Projekt betei-
ligt, denn Euratom ist der eigentliche Vertragspartner.
Drittens wären Moratoriumskosten oder gar Ausstiegs-
kosten immens hoch, ohne dass etwas erreicht würde.
Deutschland hätte sich hier einmal wieder ins finan-
zielle und technologische Abseits katapultiert, seinen
technologischen Vorsprung verspielt und wichtige
Standorte verloren. Dies wird es mit uns allerdings nicht
geben. Deutschland muss ein wettbewerbsfähiger Indus-
triestandort bleiben!
Die Debatte um ITER hat sich im Deutschen Bundes-
tag, wie es die Kollegin Petra Sitte einmal ausdrückte,
zu einem wahren „Dauerbrenner“ etabliert. In regel-
mäßigen Abständen diskutieren wir in diesem Hause die
Themen Fusionsforschung, ITER und seit kurzem auch
vermehrt Euratom.
Bei ITER handelt es sich um ein gemeinsames Projekt
von EU, Japan, Russland, USA, China, Indien und Süd-
korea zum Bau und Unterhalt eines Fusionsforschungs-
reaktors. In diesem Reaktor sollen die Mechanismen, die
die Sonne aus menschlicher Sicht zu einer unerschöpf-
lichen Energiequelle machen, mit einem Fusionsreaktor
auf die Erde geholt werden. Nach aktuellem Stand wer-
den die Baukosten für ITER auf über 15 Milliarden Euro
geschätzt, was eine Verdreifachung der ursprünglichen
Kosten bedeutet. Ein Teil der Mehrkosten ist durch Infla-
tion und steigende Rohstoffpreise bedingt. Weitere
Gründe für die Kostensteigerungen sind neue Erkennt-
nisse, insbesondere zur Steigerung der Sicherheit des
ITER sowie offenbar Missmanagement. Für die EU be-
deutet dies einen Kostenanstieg auf circa 7,2 Milliarden
Euro, im Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro, die bei
Vertragsunterzeichnung vereinbart waren; ein Betrag,
der auf 6,6 Milliarden Euro gedeckelt werden soll.
Heute diskutieren wir den hier vorliegenden Antrag
der Grünen bereits zum zweiten Mal. Seit der ersten
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Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch ein
anderes Thema ansprechen. Denn bei den Debatten um
die Fusionsforschung kommen immer wieder Behauptun-
gen und Vergleiche auf, die ich so allerdings auch nicht
stehen lassen möchte. Bei aller gerechtfertigten Kritik an
dem Bau von ITER: Man darf Kernspaltung – gemeinhin
Atomkraft genannt – und Kernfusion nicht in denselben
Topf werfen. Zum Beispiel wäre eine Katastrophe wie in
Fukushima oder Tschernobyl – nach heutigem Wissens-
stand – bei einem Fusionsreaktor nicht möglich. Zur
Fusion benötigt man eine konstant enorm hohe Energie-
zugabe. Diesen Energiefluss lang genug zu halten ist
bisher das technische Problem. Fällt diese Energie-
zuführung weg, zum Beispiel bei einem Unfall, bricht
auch die Fusion ab. Denn anders als bei der Atomkraft
ist bei der Fusionstechnologie eine unkontrollierte Ket-
tenreaktion unmöglich.
Ich sehe deshalb nicht die von Ihnen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen der Grünen, beschriebene gesell-
schaftliche Ablehnung – analog zur Atomkraft – bei der
Fusionstechnologie. Wenn man mal nachfragt, wissen
die meisten Menschen noch gar nicht, was sich genau
hinter der Fusionstechnologie verbirgt. Das sollte sich
ändern. Abgelehnt wird das ITER-Projekt bisher vor-
wiegend aufgrund finanzieller Erwägungen. Dies im-
pliziert aber nicht eine grundlegende Ablehnung der
Fusionstechnik.
Als SPD-Bundestagsfraktion sehen wir die Fusions-
forschung als ein spannendes Feld der Grundlagenfor-
schung. Für die notwendige Energiewende wird diese
Technik aber definitiv zu spät kommen. Deshalb treten
wir für eine Deckelung der Kosten und einen Ausbau der
erneuerbaren Energien ein.
Alle Jahre wieder beschäftigen wir uns mit dem
Wunsch der Grünen, aus dem ITER-Projekt auszustei-
gen. Im April 2010 haben sie beantragt, den ITER-Ver-
trag zu kündigen. Das hat die Mehrheit des Deutschen
Bundestages vor der Sommerpause 2010 abgelehnt. Im
Juni 2011 haben sie ein ITER-Moratorium gefordert, mit
diesem Antrag beschäftigen wir uns heute nochmals ab-
schließend. Mit einer weiteren Variante im kommenden
Jahr rechnen wir bereits fest. Die Grünen sprechen in
ihren Anträgen aktuelle und wichtige Fragen an, zum
Beispiel die erheblichen Mehrkosten oder die Folgen
der japanischen Erdbebenkatastrophe in Fukushima. Im
Grunde geht es aber immer um ihre grundsätzliche Ab-
lehnung des ganzen Projektes und der Kernfusionsfor-
schung überhaupt. Es ist ihr gutes Recht, dagegen zu
sein. Probleme lassen sich mit dieser Haltung aber eher
nicht lösen.
Die Energieversorgung ist ein drängendes Problem.
Sie ist die Grundlage für die Erhaltung des Lebensstan-
dards, den wir uns in Deutschland erarbeitet haben. Das
Thema Energieversorgung beschäftigt uns seit Jahr-
zehnten, und es ist kein Ende absehbar. Viele Möglich-
keiten wurden erwogen, manche Wege ausprobiert, und
immer wieder zeigt die Erfahrung: Jede Technologie
birgt Chancen und Risiken, jeder Fortschritt zeitigt auch
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trag: „Wenn diese Technik Marktreife erlangt, ist die
Kernfusion eine sichere, saubere, nahezu unerschöpfliche
und nachhaltige Energiequelle, die zudem noch grund-
lastfähig ist.“ Dieser Glaubensgrundsatz gilt bereits seit
den 60er-Jahren, und immer dauert es nur noch 30 bis 40
Jahre bis zur Marktreife der Technologie. Wenn das Wört-
chen „wenn“ nicht wär!
Aber die Frage ist doch nicht, ob wir das Wünschens-
werte ersehnen, sondern ob wir das Notwendige tun,
wenn man sich die äußerst komplizierten Verhandlungen
der Weltklimakonferenz in Durban ansieht, wenn man
sich ansieht, dass wir mit unserer Art der automobildo-
minierten Mobilität zwei Drittel des geförderten Erdöls
einfach verbrennen, dass der Klimawandel zuerst in den
ärmsten Länder der Erde massive Schäden verursacht –
etwa in Bangladesch, Myanmar und Honduras.
Wenn man sich also ansieht, dass die industrialisierte
Welt trotz aller guten Absichtsbekundungen keine wirk-
same Antwort auf das Klimaproblem gefunden hat, dann
muss man ein unsicheres Projekt wie ITER zugunsten
des Notwendigen auf den Prüfstand stellen dürfen.
Nun steht nicht nur die praktische Seite des Projekts
vor immer neuen Hürden, sondern auch die finanzielle.
Vergangene Woche konnten sich Rat und Parlament er-
neut nicht darüber einigen, wie die allein bis 2013 feh-
lenden 1,3 Milliarden Euro aufgebracht werden sollen.
Heute sitzen Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten
wieder zusammen. Die Bundesregierung hat sich, so war
es auch in der Presse zitierten internen Berichten zu ent-
nehmen, klar geäußert: Andere Bereiche im EU-Haus-
halt müssen bluten, darunter auch die Etats für For-
schung und Innovation. Bitte sagen Sie, liebe Frau
Forschungsministerin, dann mal konkret, was Sie aus
dem laufenden Forschungsrahmenprogramm für ver-
zichtbar halten, damit Ihre Abwägungsentscheidung
hier im Parlament transparent wird. Sagen Sie bitte
dazu, dass auch deutsche Interessen an einer Rückzah-
lung von Agrarüberschüssen in dieser Entscheidung
eine Rolle spielen.
Die Probleme bei ITER treiben die europäische Ener-
gieforschung insgesamt in eine absurde Schieflage: Der
Europäische Verband für Windenergie rechnete jüngst
aus, dass die Atomenergie, darunter die Fusionstechnik,
mit mindestens 1,3 Milliarden Euro in 2012 durch die
EU gefördert werden soll, während für alle anderen
Energieträger inklusive Kohle lediglich 355 Millionen
zur Verfügung stünden, darunter lächerliche 24 Millio-
nen für die Windenergie. 80 Prozent der Mittel gehen in
risikobehaftete Atomtechnologien.
Ist das die Prioritätensetzung, mit der wir schnell und
nachhaltig einen Ausbau und vor allem die Netzintegra-
tion der erneuerbaren Energien erreichen können? Ins-
besondere im Bereich der Wärmeerzeugung, aber auch
im Verkehrssektor sind wir weit von den angestrebten
Ausbauzielen entfernt. 2050 wollen wir 80 Prozent weni-
ger CO2 ausstoßen. So spannend die Fusionsenergie ist,
sie wird nichts zur Erreichung dieses Ziels beitragen.
Ebenso wenig hilft sie bei der Lösung der Finanz-
und Wirtschaftskrise, die in vielen Ländern Arbeitslosig-
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der ist die Kernfusion mit ihrer reaktorbedingten zentra-
len Struktur keine Option. Die Investitionen für den Bau
der komplizierten Fusionsreaktoren werden sie auch
nicht bezahlen können.
Der ITER bleibt ein Unikum. Einzigartig ist bei ITER
auch die vertraglich vereinbarte Idee, die einzelnen
Komponenten auf verschiedenen Erdteilen produzieren
zu lassen und dann am Standort Cadarache zusammen-
zubauen. Bei allen daraus für die Forschungszusam-
menarbeit resultierenden wertvollen Erkenntnissen ist
zu konstatieren: Was den Zeitplan und den Kostenrah-
men angeht, ist dieses Experiment international bereits
gründlich gescheitert. Anders lassen sich die immensen
Kostensteigerungen des 2007 in Kraft getretenen Vertra-
ges – auf das Dreifache – nicht deuten. Noch ist Zeit, den
Großteil der heute auf 16 Milliarden Euro geschätzten
Baukosten sinnvoller auszugeben. Schließlich ist auch
nach anderthalb Jahren Kenntnis der Finanzierungs-
lücke von „gedeckelten“ 1,3 Milliarden Euro allein für
die Jahre 2012 und 2013 noch nicht klar, wie die Finan-
zierung der Mehrkosten nun erfolgen sollte und welche
Auswirkungen dies auf die nationalen Haushalte und die
Forschungsförderung der EU hätte.
Neuerdings sollen 572 Millionen Euro aus dem Agrar-
etat 2011 für die Bewirtschaftung der natürlichen Res-
sourcen kommen. Auch die Verwaltungsausgaben – Ru-
brik 5 im EU-Haushalt 2011 – sollen um 243 Millionen
Euro geschrumpft werden. Damit bleibt es aber noch im-
mer bei einer Umschichtung von 460 Millionen Euro aus
dem Forschungsetat. Zumindest ist jetzt klar, welche an-
deren Forschungsprogramme darum fürchten müssen,
für ITER um 100 Millionen Euro reduziert zu werden. Es
wird die gemeinsamen Technologieinitiativen treffen.
Gekürzt werden zum Beispiel ARTEMIS, also die For-
schung an intelligenten Kleinstrechnersystemen in
Schlüsselbereichen, ENIAC, also das Forschungs- und
Entwicklungsprogramm der EU für die Nanotechnolo-
gie, Clean Sky, also die Entwicklung von rasch einsetz-
baren umweltfreundlichen Luftfahrttechnologien, SESAR,
also die Forschung für das Flugverkehrsmanagement
der Zukunft und nicht zuletzt die Initiative „Innovative
Arzneimittel“. Zur Einhaltung des Kostendeckels wurde
beteuert, dass man die Managementprobleme bald im
Griff habe. Das Prestigeprojekt ist allerdings auf einer
Ebene angesiedelt, auf der es bisher keine Kontrollme-
chanismen gibt. Es wäre ja widersinnig, wenn das ITER-
Council beschließen würde, sich selbst und seine Auf-
gabe abzuschaffen.
Zumindest die EU versucht, sicherzustellen, dass ef-
fektive Kontrollmechanismen und funktionsfähige Ma-
nagementstrukturen beim gemeinsamen Unternehmen
F4E geschaffen werden. Dazu soll jetzt auch die „Stelle
des Direktors des europäischen gemeinsamen Unterneh-
mens für den ITER und die Entwicklung der Fusions-
energie“ neu besetzt werden. Immerhin besteht die Hoff-
nung, dass, wenn schon Milliarden in ein Experiment
mit ungewissem Ausgang investiert werden, wenigstens
der Rücklauf mit Vertragsabschlüssen für die Industrie
der Mitgliedstaaten klappt. Wir meinen: Forschungs-
und Technologieförderung geht besser und günstiger als
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, weiterer Abgeordneter und der
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Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union
– Drucksachen 17/7768, 17/7809, 17/7769,
17/8012 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Dörflinger
Peer Steinbrück
Oliver Luksic
Thomas Nord
Viola von Cramon-Taubadel
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen.1) –
Alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kollegin-
nen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union auf Drucksache 17/8012 zu drei Anträgen zu Stel-
lungnahmen des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23
Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 10 des
Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregie-
rung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksa-
che 17/7768 mit dem Titel: „Einvernehmensherstellung
von Bundestag und Bundesregierung zum Beitrittsantrag
der Republik Montenegro zur Europäischen Union und
zur Empfehlung der EU-Kommission vom 12. Oktober
2011 zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das ist die Links-
fraktion. Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozialdemo-
kraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7809. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koali-
tionsfraktionen. Gegenprobe! – Die Sozialdemokraten
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die
Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/7769. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das
sind die Fraktionen der Sozialdemokraten und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die Linksfraktion.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
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W1) Anlage 5
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same Organisation gegründet, die FATF, die sich dieser
Problematik im internationalen Bereich annimmt.
Wir diskutieren heute vor allem die Auswirkungen
der Prüfung Deutschlands durch die FATF. Durch diese
Prüfung sind einige Defizite aufgedeckt worden, die wir
in Deutschland beheben müssen. Aus dem FATF-Bericht
habe ich mir zwei Zitate herausgesucht, die verdeutli-
chen, warum wir diesen Gesetzentwurf vorlegen.
Das eine Zitat lautet: Viele Indikatoren deuten darauf
hin, dass Deutschland anfällig für Geldwäsche und Ter-
rorismusfinanzierung ist, auch aufgrund seines großen
Wirtschafts- und Finanzplatzes sowie seiner strategi-
schen Lage in Europa und einer starken internationalen
Verflechtung.
Das zweite Zitat, das einen Lösungsansatz in sich
birgt, lautet: Wichtige Faktoren, dass Deutschland das
Risikoprofil für Geldwäsche reduzieren kann, sind seine
starke rechtliche Tradition, die Rechtsstaatlichkeit, das
politische Umfeld und eine effektive Finanzaufsicht.
Ich glaube, wir haben an vielen Dingen, die ja zum
Teil auch bei der Anhörung genannt wurden, gemerkt,
dass die Schlussfolgerungen der FATF richtig sind. Wir
werden gemeinsam mit großer Mehrheit die Konsequen-
zen aus diesem Bericht ziehen.
Einige Zahlen, die aktuell vom Bundeskriminalamt
veröffentlicht worden sind, zeigen, wie hoch das Gefah-
renpotenzial der Geldwäsche in unserem Land ist. Im
Jahre 2010 stieg die Zahl der Verdachtsfälle um 22 Pro-
zent auf insgesamt 11 042; das ist vor allem einer ver-
stärkten Sensibilisierung der Betroffenen zu verdanken.
Bei 44 Prozent dieser Meldungen wurden Straftaten kon-
kret nachgewiesen. Etwa 90 Prozent der Verdachtsmel-
dungen wurden von Finanzinstituten gemeldet. Andere
Institutionen und Personen, für die wir heute Regelun-
gen treffen, sind für die Gefahren der Geldwäsche noch
nicht so stark sensibilisiert, vor allem nicht die Güter-
händler.
Ein anderer wesentlicher Punkt: Die Internetkrimina-
lität nimmt verstärkt zu. Allein im Jahr 2010 hatten wir
in Bayern 22 900 Fälle, von denen 500 dem Bereich der
Geldwäsche zugerechnet werden konnten.
Mit diesem Gesetz werden, wie vorher schon ange-
sprochen, die Empfehlungen des FATF-Berichts umge-
setzt. Die Dritte EG-Geldwäscherichtlinie, über die im
Moment in Europa diskutiert wird, wird sicherlich in
dieses Gesetz einfließen. Frau Paus, Sie haben eben das
Zitat von Volker Kauder kritisiert: Europa spricht
deutsch. – Dieses Zitat kann man sicherlich in vielerlei
Facetten deuten. Mit dem Gesetz zur Geldwäsche, das
wir heute beschließen werden, sind wir sicherlich auch
Vorbild in Europa. Zumindest wir in Deutschland ziehen
Konsequenzen und erlassen Regelungen, die schärfer
sind als in anderen europäischen Ländern.
Wir haben das Unsere zu tun und das Ganze umzuset-
zen. Hier hapert es sicherlich noch – deswegen schütteln
Sie sicherlich den Kopf, Herr Dr. Schick –, aber es ist
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die anderen Fraktionen in diesem Hohen Hause zustim-
men.
Weiterhin haben wir Regelungen für sogenannte poli-
tisch exponierte Personen auf den Weg gebracht, also für
Personen, bei denen großes Risikopotenzial besteht. Das
gilt insbesondere für diejenigen, die ihr Amt im Ausland
ausüben. Die Regelung sieht ein zweistufiges System
vor, das normale und erhöhte Sorgfaltspflichten vorsieht.
Normalen Sorgfaltspflichten unterliegen die inländischen
Abgeordneten wie die Bundestagsabgeordneten und die
Europaabgeordneten. Erhöhten Sorgfaltspflichten unter-
liegen diejenigen, die ihr Amt im Ausland ausüben. Sie
werden verstärkt kontrolliert.
Ich möchte noch einmal kurz auf die wesentlichen
Punkte eingehen. Mit diesem Gesetz zur Geldwäsche-
prävention haben wir einen weiteren Schritt getan in
Richtung einer verstärkten, zusätzlichen Optimierung
des Kampfes gegen Geldwäsche, der vor allem der orga-
nisierten Kriminalität vorbeugt, der aber nicht unnötig
Bürokratie schafft. Das ist ein wesentliches Ziel, dem
wir mit dem Gesetz, das wir heute mit großer Mehrheit
dieses Hauses verabschieden werden, sicherlich näher-
kommen werden. Es muss uns gemeinsam gelingen, dass
Bund und Länder verstärkt Maßnahmen zur Bekämp-
fung der Geldwäsche auf den Weg bringen. Wir haben
bei den Berichterstattergesprächen – dabei saßen auch
Ländervertreter mit am Tisch – gemerkt, dass uns das
Ziel eint und wir einen gemeinsamen Weg gehen.
Ein wesentliches Element – das steht zwar nicht im
Gesetz, ist aber vereinbart – ist, dass wir als Bundestag
beim Forum für Geldwäscheprävention mitarbeiten dür-
fen. Das ist uns vom BMF zugesagt worden. Das ist,
glaube ich, ein schönes Signal, gemeinschaftlich dem
Ziel der Geldwäscheprävention näherzukommen. Ein
weiteres zusätzliches Element, das auf Vorschlag der
Oppositionsparteien eingeführt worden ist, besteht darin,
nach drei Jahren eine Evaluierung dieses Gesetzes vor-
zunehmen. Wir wollen uns dann gemeinsam ansehen,
wie die Regelungen wirken und ob man dem Ziel ge-
recht geworden ist, der Geldwäsche in unserem Land
vorzubeugen.
Ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren:
Stimmen Sie diesem Gesetz zu, damit wir gemeinsam
dem Ziel, das wir uns gesetzt haben, nämlich der Geld-
wäsche vorzubeugen, gerecht werden können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Peter Aumer. – Als Nächster
hat unser Kollege Ingo Egloff für die Fraktion der So-
zialdemokraten das Wort. Bitte schön, Kollege Ingo
Egloff.
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Der Weg zu diesem Gesetz war ein wenig schwierig.
s hat viele Berichterstattergespräche gegeben. Kaum
atte das Vorhaben das Licht der Öffentlichkeit erblickt,
agelte es Kritik aus den Reihen der Wirtschaft, aber
uch von Verbraucherorganisationen und Datenschüt-
ern. Einwände kamen auch aus den Reihen der Länder.
as Problem besteht darin, dass die Länder in erhebli-
hem Maß für die Umsetzung der gesetzlich vorgesehe-
en Aufsicht zuständig sind. Deswegen ist es, glaube
h, gut, dass wir uns Zeit genommen haben, über das
esetz intensiv zu beraten. Außerdem ist es gut – der Ti-
l des Gesetzes lautet ja „Gesetz zur Optimierung der
eldwäscheprävention“ –, dass wir das Wort „Optimie-
ng“ ernst genommen und uns gemeinsam bemüht ha-
en, etwas Sinnvolles hinzubekommen.
An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich beim
ollegen Aumer für die faire und konstruktive Zusam-
enarbeit und beim Bundesfinanzministerium dafür be-
anken, dass es uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite
estanden hat.
Ein auf Prävention angelegtes Gesetz wie das Geld-
äschegesetz kann nur dann Wirkung zeigen, wenn es
elingt, die Menschen auf dem vorgesehenen Weg mit-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17479
Ingo Egloff
)
)
zunehmen und sie zu überzeugen, dass die mit dem Ge-
setz verbundenen Maßnahmen notwendig und effizient
sind; sie müssen auch verständlich und anwendbar sein.
Gerade im Nichtfinanzsektor gibt es hier Defizite. 2010
– darauf hat der Kollege Aumer hingewiesen – gab es
11 000 Verdachtsanzeigen bei der FIU. Davon kamen
92 Prozent aus dem Finanzsektor. Das heißt, nur 8 Pro-
zent kamen aus dem Nichtfinanzsektor. Aber auch Spiel-
bankbetreiber, Makler, Anwälte und Betriebe, die mit
hochwertigen Gütern wie Schmuck, Luxusuhren und
teuren Autos handeln, müssen sich der Tatsache bewusst
sein, dass ihre Geschäfte für Geldwäscher attraktiv sind.
Wenn aus dem zahlenmäßig starken Bereich der Güter-
händler 2010 nur 33 Verdachtsanzeigen gekommen sind,
dann offenbart das meines Erachtens eine gefährliche
Schieflage. Wir haben hier gesagt: Verdachtsanzeigen
sind nicht gleich Strafanzeigen. Ich hoffe, damit haben
wir die Schwelle für diejenigen, die einen Verdacht ha-
ben, herabgesetzt, sodass sie – wozu sie gesetzlich ver-
pflichtet sind – leichter den Weg zu den Behörden finden
und sagen, was vielleicht nicht in Ordnung ist.
Gleichzeitig ist es wichtig, die beschlossenen Rege-
lungen auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen und die
internationalen Standards zielgerichtet weiterzuentwi-
ckeln. Schließlich ist die Umsetzung der Anti-Geldwä-
sche-Richtlinie und des entsprechenden Gesetzes für die
Unternehmen häufig mit arbeits- und kostenintensiven
Prüfverfahren verbunden. Das liegt in der Natur der Sa-
che. Wenn man bestimmte Vorgänge genau analysieren
und Missbrauch verhindern will, dann muss man eben
genauer hinschauen. Deswegen war unser Bestreben bei
diesem Gesetz, einerseits so effektiv wie möglich zu sein
und andererseits überflüssige Bürokratie zu vermeiden.
Ich denke, es hat durchaus seine Berechtigung, dass
bestimmte Dinge vonseiten der Wirtschaft, der Banken
und der Versicherungen sowie politisch exponierter Per-
sonen kritisiert worden sind. Im Forum für Geldwäsche-
prävention müssen wir auf die Wirksamkeit der Maß-
nahmen achten, aber auch darauf, ob Aufwand und
Output in einem angemessenen Verhältnis stehen. Es
wird in Zukunft unsere Aufgabe sein, gemeinsam mit
dem Ministerium und den entsprechenden Behörden da-
rauf zu achten, dass hier kein Missverhältnis entsteht.
Wir dürfen uns nicht mit der Aussage beruhigen, wir hät-
ten doch alles getan, obwohl die Maßnahmen in Wahr-
heit gar nicht effektiv sind, weil sich überhaupt keine
neuen Erkenntnisse ergeben. Vielmehr verursacht man
dann im Zweifelsfall nur erhebliche Kosten bei den Un-
ternehmen, die diese Maßnahmen umsetzen müssen.
Der Kollege Aumer hat bereits die Bestimmungen
zum E-Geld angesprochen. Ich denke, dass wir mit den
Schranken, die wir eingezogen haben – auch mit der
100-Euro-Grenze – ermöglichen, auch im unteren Be-
reich Geldkarten ohne Identifikation zu nutzen. Der
Schwellenwert von 100 Euro und das damit verbundene
Pooling-Verbot sind unseres Erachtens wirksame Maß-
nahmen, um auf der einen Seite unnötige Bürokratie zu
vermeiden und auf der anderen Seite die Nutzung dieser
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Lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Der
nlinebereich entwickelt sich weiter. Im nächsten Jahr
ird das Bundesland Schleswig-Holstein Onlineglücks-
piele zulassen. Wir haben im Berichterstattergespräch
uch darüber geredet und sind übereingekommen, dass
ir uns das sehr genau anschauen und hier die Notwen-
igkeit besteht, im Hinblick auf Geldwäsche präventiv
tig zu werden; auch das ist ein Bereich, in dem krimi-
elle Aktivitäten möglich sind. Deswegen sind wir ver-
flichtet, zu kontrollieren.
Meine Damen und Herren, insgesamt handelt es sich
ier, wie immer bei der organisierten Kriminalität, um
as alte Hase-und-Igel-Spiel. Wir müssen versuchen,
orn zu sein. Arbeiten wir weiterhin gemeinsam daran!
Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Ingo Egloff. – Jetzt spricht für
ie Fraktion der FDP Kollege Björn Sänger. Bitte schön,
ollege Björn Sänger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
n! Ich begrüße auch den Kollegen Fricke auf der Tri-
üne.
Das heißt, die Abgeordneten stellen 50 Prozent der Zu-
örer.
Vollkommen richtig, Herr Präsident. – Das Thema
eldwäsche erfreut sich zu Recht einer großen Beliebt-
eit, auch zu diesem späten Zeitpunkt am Abend. Das ist
chtig; denn Geldwäsche – es ist mir wichtig, das gleich
u Beginn festzuhalten – ist ein krimineller Akt. Es han-
elt sich dabei um Einnahmen aus dem Bereich der orga-
isierten Kriminalität – zum Teil aus widerlichen Vorta-
17480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Björn Sänger
)
)
ten wie Drogen- und Menschenhandel sowie Umwelt-
delikten – oder um einen Vorgang, nicht versteuertes
Einkommen weißzuwaschen. Auch das ist ein kriminel-
ler Akt; denn am Ende werden die ehrlichen Steuerzah-
ler belastet. Wenn alle ehrlich ihre Steuern abführen
würden, müssten sie insgesamt weniger entrichten. Des-
wegen ist die Geldwäschebekämpfung notwendig. Da-
rüber besteht im Parlament breiter Konsens. Wir wollen
die Vorgaben der FATF und der EU erfüllen und auch
Schaden von der deutschen Wirtschaft abwenden, damit
unser Land nicht auf bestimmten Listen der OECD er-
scheint.
Gleichzeitig haben wir ein grundsätzliches Problem.
Wir leben in einer Marktwirtschaft mit Bargeldverkehr.
Es gibt Wirtschaftsbereiche, in denen es völlig normal
ist, dass mit Bargeld gezahlt wird. Die entsprechenden
Branchen sind gefährdet. Denn wie soll der Einzelhänd-
ler beispielsweise im Schmuckbereich erkennen, ob vor
ihm ein Geldwäscher steht? Es könnte möglicherweise
auch ein zukünftiger Stammkunde sein,
der gerade zum ersten Mal in das Geschäft kommt und
eine hohe Summe in bar zahlt. Es geht darum – die Bun-
desregierung hat das freundlicherweise zugesagt –, wei-
terhin aufzuklären; denn unser Ziel ist es, die Geldwä-
sche zu bekämpfen.
Wir müssen in der Wirtschaft Akzeptanz schaffen.
Das ist uns dahin gehend gelungen, dass wir die sehr bü-
rokratischen Vorgaben zur Bestellung eines Geldwä-
schebeauftragten entschlackt haben. Wir räumen der
Aufsicht nun, was die Gesamtwirtschaft angeht, einen
weiten Ermessensspielraum ein. Sie soll sich an Be-
triebsgröße und Gefahrengeneigtheit des jeweiligen Be-
triebes orientieren. In gefährdeten Branchen – Handel
mit hochwertigen Maschinen, Gebrauchtwagenhandel,
Schmuck- und Juwelenhandel – muss es einen engen Er-
messensspielraum geben. Es ist wichtig, dass die Auf-
sicht ein entsprechendes Fingerspitzengefühl entwickelt.
Ich bin mir sehr sicher, dass die Länder das entsprechend
umsetzen werden. Wir haben mit den Regelungen zur
Bestellung eines Geldwäschebeauftragten gemeinsam
eine sehr gute Lösung erarbeitet.
Das zweite große Problem bei der Bekämpfung der
Geldwäsche stellen die E-Geld-Produkte dar. Dieser Be-
reich ist für Geldwäsche anfällig. Man kann mithilfe der
Cash-out-Funktion zu Bargeld kommen, mit mehreren
Karten Beträge poolen – zumindest bislang – und auch
Mittel ins Ausland abziehen. Aber die E-Geld-Produkte
sind auch ein Teil einer boomenden Wirtschaft, einer di-
gitalen Welt und Ausdruck eines veränderten Konsum-
verhaltens. Es besteht der berechtigte Wunsch der Kon-
sumenten, in der Internetwelt mit einem Produkt, das
ähnlich wie Bargeld funktioniert, zu zahlen und den ei-
nen oder anderen Kauf anonym zu tätigen. Wir haben
eine Lösung gefunden, indem wir die E-Geld-Produkte
gleichstellen. Das heißt, wir unterscheiden nicht mehr
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner für die
raktion Die Linke ist unser Kollege Richard Pitterle.
itte schön, Kollege Richard Pitterle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
nd Kollegen! Unter Geldwäsche versteht man die Ein-
chleusung illegal erwirtschafteten Geldes in den legalen
irtschaftskreislauf, erwirtschaftet zum Beispiel durch
rogen-, Waffen- oder Frauenhandel.
Wie sieht es in Deutschland aus? Ich zitiere aus dem
andelsblatt vom 8. November dieses Jahres:
Was die Schweiz und Liechtenstein für Steuerhin-
terzieher sind, ist Deutschland für Geldwäscher: ein
Paradies.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17481
Richard Pitterle
)
)
Das muss sich ändern, schon allein deshalb, weil die Di-
mension immens ist. Geldwäscheexperten gehen davon
aus, dass allein in Deutschland zwischen 40 und 60 Mil-
liarden Euro aus kriminellen Handlungen gewaschen
werden. Dass die Geldwäsche bekämpft werden muss,
steht also außer Frage.
Wenn wir uns bei der Abstimmung über diesen Ge-
setzentwurf enthalten, dann, weil wir ihn für verbesse-
rungsbedürftig halten. Erster Punkt. Nach dem Gesetz-
entwurf sind die Spielgerätebetreiber von den Melde-
pflichten ausgenommen, obwohl uns die Fachleute sa-
gen, dass dort Tag für Tag in großem Stil Geld gewa-
schen wird.
Zweiter und wichtigerer Punkt. Unternehmen, die mit
Gütern handeln, können von Behörden verpflichtet wer-
den, einen Geldwäschebeauftragten zu bestellen; das ist
hier schon gesagt worden. Dieser Beauftragte hat die
Pflicht, den Behörden zu melden, wenn er den Verdacht
hat, dass es im Umfeld seines Betriebes zu Geldwäsche
kommt. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist jedoch,
dass die Koalition im Gesetz dem Beauftragen keinen
Sonderkündigungsschutz gewährt. Mit Sicherheit wird
es passieren, dass der Geldwäschebeauftragte in Loyali-
tätskonflikte gegenüber dem Arbeitgeber kommt. Da hat
er im Betrieb den Verdacht, dass einer der Kunden sein
Geld illegal erwirtschaftet hat und es nun durch Einkauf
von Waren und Dienstleistungen des Betriebes waschen
will. Aber der Geschäftsführer sagt ihm, dass er nichts
melden soll, weil er sonst diesen wichtigen und zah-
lungskräftigen Kunden verliert. Wenn sich der Beauf-
tragte dann so verhält, wie wir es von ihm erwarten, und
den Verdacht meldet, dann muss er um seinen Arbeits-
platz fürchten. Das ist absolut unakzeptabel.
Es geht beim Kündigungsschutz für den Geldwäsche-
beauftragten gar nicht mal so sehr um Arbeitnehmer-
freundlichkeit. Dass ich diesbezüglich von der Koalition
keine Unterstützung erwarten kann, ist mir klar. Aber da
ich unterstelle, dass es uns allen darum geht, ein effekti-
ves Instrument zur Geldwäschebekämpfung zu haben,
geht es doch darum, diesen Beauftragten mit einer Kon-
fliktfähigkeit auszustatten, damit er das leisten kann, was
wir alle von ihm erwarten. Der Abfallbeauftragte, der
Emissionsschutzbeauftragte, der Datenschutzbeauftragte,
alle haben einen Sonderkündigungsschutz, weil der Ge-
setzgeber wusste, dass sie bei ihrer Aufgabenerfüllung in
Interessenkonflikte kommen können, die nicht zulasten
der gesetzlichen Aufgabenerfüllung gelöst werden sol-
len. Warum wollen Sie den Beauftragten für Geldwäsche
schlechterstellen? Dafür gibt es doch überhaupt keinen
Grund. Auch Empfehlung 16 der FATF besagt, dass der
Beauftragte vor negativen Folgen seiner Tätigkeit zu
schützen ist. Daher sagen wir: Ein Sonderkündigungs-
schutz für Geldwäschebeauftrage ist unerlässlich.
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zeigen, sind schon genannt worden – insbesondere im
Finanzbereich nicht. Das Gesetz wird kaum angewendet,
weil die einzelnen Verwaltungen kein Interessen daran
haben und weil die verpflichteten Händler bisher über-
haupt nicht aufgefordert werden, systematisch zur Lö-
sung dieses Problems beizutragen; teilweise verfolgen
sie auch entgegengesetzte Interessen.
Wir haben deswegen erstens großen Wert darauf ge-
legt, dass wir als Abgeordnete in dem neu geschaffenen
Geldwäscheforum wirklich mitwirken und darauf achten
können, dass das Nebeneinander und das Nichthandeln
der Behörden an dieser Stelle beendet wird. Wir in
Deutschland müssen Geldwäscheprävention endlich ernst
nehmen.
Zweitens ist uns wichtig – auch hier sind wir vorange-
kommen; die Bundesregierung hat uns hierzu im Aus-
schuss Zusagen gemacht –, dass es eine Evaluierung ge-
ben wird, und zwar durch eine Institution, die selber
nicht mit der Umsetzung beauftragt ist. Es wird also je-
mand überprüfen, ob das, was wir hier tun, wirklich
greift. Das wird sehr wichtig sein; denn wir müssen da-
mit rechnen, dass die FATF Deutschland erneut abmah-
nen wird. Nach der schallenden Ohrfeige im letzten Jahr,
wo ganz viele kritische Punkte vor allem aufgrund der
Umsetzungsmängel genannt worden sind, ist nach Ver-
abschiedung des Gesetzentwurfes nicht unbedingt damit
zu rechnen, dass wir sofort ein positives Votum bekom-
men. Vielmehr wird in den nächsten Jahren eine inten-
sive Weiterentwicklung dieses Gesetzes notwendig sein.
Ich will noch kurz auf den Änderungsantrag einge-
hen, den die Linkspartei vorgelegt hat. Ich muss sagen:
Die Tatsache, dass beide Redner von den Koalitionsfrak-
tionen nicht dazu Stellung genommen haben, zeigt – ge-
nauso im Ausschuss –: Ihre Gegenargumente sind denk-
bar schwach. Es ist einfach nicht einzusehen, dass der
Beauftragte für den Datenschutz gesetzlich geschützt ist,
aber beim Geldwäschegesetz ein entsprechender Schutz
verweigert wird. Wenn man die Umsetzung sicherstellen
will, dann muss man dafür sorgen, dass die Zuständigen
ihre Arbeit wirklich machen können. Das verweigern Sie
an der Stelle. Das wird ein Defizit bleiben, an dem wir
nach wie vor dranbleiben müssen.
Trotzdem ist dieses Gesetz ein Schritt in die richtige
Richtung.
Aber ich möchte es hier ganz deutlich sagen: Es ist
ein Schritt, der ein paar Defizite abbaut. Zu einer wirk-
lich konsistenten Gesamtstrategie von Bund und Län-
dern in Deutschland braucht es aber noch wesentlich
mehr, da braucht es eine andere Prioritätensetzung und
auch ein anderes Engagement im Bundesministerium der
Finanzen. Was es an der Stelle jedoch nicht braucht, ist,
dass man an einer anderen Stelle, nämlich zum Beispiel
mit einem Steuerabkommen mit der Schweiz, denjeni-
gen, die in Deutschland Geldwäscheprävention leisten
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Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick.
Ich schließe die Aussprache.
Zur Abstimmung liegt eine Erklärung von unserem
ollegen Norbert Schindler nach § 31 Abs. 1 der Ge-
chäftsordnung des Deutschen Bundestages vor.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Optimie-
ng der Geldwäscheprävention. Der Finanzausschuss
mpfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
achen 17/7950 und 17/8043, den Gesetzentwurf der
undesregierung auf Drucksache 17/6804 in der Aus-
chussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
inke auf Drucksache 17/8015 vor, über den wir zuerst
bstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
as sind die Linksfraktion, die Sozialdemokraten und
ündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das
ind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine.
er Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
usschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
hen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemo-
raten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dage-
en? – Niemand. Enthaltungen? – Die Linksfraktion.
er Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
ommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
as sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grü-
en und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Nie-
and. Stimmenthaltungen? – Die Fraktion Die Linke.
er Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Dağdelen, Jan van Aken, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Für eine Normalisierung der Beziehungen der
Europäischen Union zu Kuba
– Drucksachen 17/3188, 17/4273 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Egon Jüttner
Dr. Rolf Mützenich
Anlage 3
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17483
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Marina Schuster
Sevim Dağdelen
Hans-Christian Ströbele
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Maurer, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Freilassung der „Miami Five“
– Drucksache 17/7416 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier vor.
Mit ihrem Antrag „Für eine Normalisierung der Be-
ziehungen der Europäischen Union zu Kuba“ möchte
die Fraktion Die Linke erreichen, die Beziehungen der
Europäischen Union zu Kuba zu normalisieren. Die
erste Lesung zu diesem Antrag fand bereits vor über ei-
nem Jahr statt. Dieses eine Jahr ist für verfolgte und in-
haftierte Menschen und deren Angehörige eine lange
Zeit. Bedauerlicherweise hat sich in dieser Zeit die Si-
tuation der Menschen auf Kuba nicht zum Positiven ge-
ändert. Es besteht daher kein Grund, dem Antrag der
Linken zuzustimmen und unsere Position gegenüber dem
Regime auf Kuba zu ändern.
Wir haben es noch immer mit einem der totalitärsten
Systeme der westlichen Hemisphäre zu tun, in dem die
bürgerlichen und politischen Rechte stark eingeschränkt
sind. Regierungskritiker werden inhaftiert; freigelas-
sene Häftlinge berichten, dass sie während der Haft ge-
schlagen worden seien. Die kubanische Bevölkerung lei-
det nach wie vor unter erheblichen Einschränkungen
ihrer persönlichen Freiheit. Es gibt weiterhin keine
Pressefreiheit. Das Recht auf freie Meinungsäußerung
ist genauso stark beschnitten wie das Recht auf Vereini-
gungs- und Versammlungsfreiheit. Nach wie vor hindert
die Einschränkung der Bewegungsfreiheit Journalisten,
Menschenrechtsverteidiger und politisch engagierte
Bürger an der Ausübung rechtmäßiger und friedlicher
Aktivitäten.
Kurz nachdem wir im Oktober vergangenen Jahres
zum ersten Mal über den Antrag der Linken beraten ha-
ben, fand in Straßburg die Verleihung des vom Europäi-
schen Parlament verliehenen Sacharow-Preises für
geistige Freiheit statt. Preisträger war der unabhängige
Journalist und politische Dissident Guillermo Farinas.
Er war der dritte kubanische Regimekritiker seit 2002,
der diesen Menschenrechtspreis erhielt. Wie im Falle
seiner beiden Vorgänger blieb auch sein Stuhl bei der
Preisverleihung leer, weil die kubanischen Behörden
sich weigerten, ihm die Ausreise zu genehmigen. Meine
Damen und Herren von den Linken, haben Sie dies nicht
zur Kenntnis genommen? Sind Sie sich der Wirkung Ih-
res Antrages auf Menschenrechtsverteidiger in der gan-
zen Welt eigentlich bewusst? Erwarten Sie tatsächlich,
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gesucht haben. Ich bin mir sicher, dies wird auch weiter-
hin der Fall sein.
Es ist bedauerlich, dass nicht das gesamte Hohe Haus
an der Seite des notleidenden kubanischen Volkes steht.
Es ist beschämend, wie die Linke sich in Solidaritätsbe-
kundungen mit den politischen Führern des unterdrück-
ten kubanischen Volkes übt.
Wir von der CDU/CSU lehnen den Antrag der Linken
ab und befinden uns damit in guter Gesellschaft mit den
Regierungen in Europa. Wir lehnen es ab, die Situation
auf Kuba schönzureden. Es sind aufseiten Kubas keine
Anhaltspunkte zu erkennen, die ein Entgegenkommen
Europas rechtfertigen würden. Die Menschenrechts-
situation ist nicht besser als vor einem Jahr. Eine Nor-
malisierung der Beziehungen, wie sie in dem Antrag der
Linken gefordert wird, wäre unseres Erachtens das fal-
sche Signal an die kubanische Führung. Wir werden des-
halb dem Antrag der Linken nicht zustimmen.
Mit ihren Anträgen zu den Beziehungen der Europäi-
schen Union zu Kuba beweist die Fraktion der Linken
wieder einmal mehr, dass sie in der heutigen Zeit noch
nicht ganz angekommen ist. Ohne die Öffnung Kubas
hin zu einem rechtsstaatlichen und demokratischen Sys-
tem werden die existenziellen Probleme dieses Landes
nicht gelöst. Insbesondere die weit verbreitete Armut
und die hohe Zahl der Arbeitslosen im Land können
durch das politisch wie wirtschaftlich gescheiterte kuba-
nische Modell nicht überwunden werden. Zwar sind ver-
einzelt marktwirtschaftliche Ansätze im Wirtschaftssys-
tem Kubas zu verzeichnen. So können in manchen
Bereichen private Investoren eigene Unternehmen grün-
den. Doch sind sie wirklich frei von jeglicher staatlicher
Kontrolle? Wer glaubt, dass sich ein kommunistisches
und planwirtschaftliches System unter Fortdauer dersel-
ben politischen Führung und Ideologie seiner Machtmit-
teln ohne Druck entledigen wird, täuscht sich. Eine Neu-
ausrichtung der kubanischen Politik ist nicht erkennbar.
Die Frage stellt sich also, weshalb die Europäische
Union ihre Politik des gemeinsamen Standpunkts aufhe-
ben sollte. Weil Kuba wieder einmal politische Gefan-
gene freigelassen hat? Dass sowohl die Europäische
Union als auch die Bundesregierung dies begrüßen,
steht außer Frage. Allerdings muss man sich dabei vor
Augen führen, aus welchen Gründen diese Menschen
überhaupt erst inhaftiert wurden und welche Umstände
zu ihrer Freilassung geführt haben. Diese 52 Personen
haben ihre Meinung frei geäußert. Das war ihr „Verge-
hen“. Solche sogenannten Gesinnungshäftlinge gehör-
ten in Kuba schon seit Fidel Castro zum politischen All-
tag. Nun gilt es das schlechte Image des Landes
aufzupolieren und auf dem internationalen Parkett
Schäden zu begrenzen. So will das Land demonstrieren,
dass die Lage der Menschenrechte doch „gar nicht so
schlecht ist, wie immer behauptet wird“. Dieses Mittels
hat sich Kuba in den vergangenen 50 Jahren immer wie-
der bedient, um internationale Spannungen abzubauen.
Hinzu kommt, dass die 52 Dissidenten ja nicht ein-
fach freigelassen wurden. Nein, sie wurden direkt nach
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Zu Protokoll ge
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Sonderinteressen bestehen bei den anderen EU-Mit-
gliedstaaten nicht oder zumindest nicht in diesem Aus-
maß.
Dennoch ist es auch nicht so, dass die Europäische
Union kein großes Interesse an den Belangen der kuba-
nischen Bevölkerung hätte. Die EU engagiert sich im
Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in beachtli-
chem Umfang. Allein für die Jahre 2008 bis 2010 erfolg-
ten finanzielle Hilfen in Höhe von über 57 Millionen
Euro zur Behebung von Schäden nach den Wirbel stür-
men des Jahres 2008 sowie für Vorbeugemaßnahmen.
Diese kamen unterschiedlichen Sektoren zugute, wie
zum Beispiel der Nahrungsmittelversorgung, dem Be-
reich Arbeit und Soziales oder dem Umweltschutz. Für
die Folgejahre 2011 bis 2013 wurden wieder 20 Millio-
nen Euro eingeplant.
Es gibt jedoch keinen Grund, die aktuelle europäi-
sche Haltung zu ändern. Neben den elementaren Grund-
bedürfnissen eines Menschen ist für ihn das Wichtigste
die Respektierung seiner Grundrechte. Die Möglichkeit,
seine Meinung frei zu äußern, sich im eigenen Land und
über die Grenzen hinaus frei bewegen zu können, sich
eine eigene, frei gewählte Lebens- und Arbeitsgrundlage
zu schaffen, ist für jeden Menschen wichtig. Solange ein
Staat diese Rechte seiner Bürger nicht garantieren kann
oder will, existiert für einen demokratisch und rechts-
staatlich ausgerichteten Staatenverbund wie die Euro-
päische Union keine Grundlage für intensivere Bezie-
hungen zu diesem Land.
Der heute zu entscheidende Antrag zu den Beziehun-
gen der EU zu Kuba ist über ein Jahr alt, hat aber leider
kaum an Aktualität eingebüßt. Gleiches gilt für den
neueren Antrag zur Freilassung der „Miami Five“, der
im Grunde nur wiederholt und ausführt, was bereits im
ersten Antrag stand. Deshalb ist die Versuchung groß,
dieselbe Rede wie am 7. Oktober 2010, also vor 14 Mo-
naten, noch einmal zu halten. Alles stimmt noch.
Die Geschichte der „Miami Five“ wartet noch immer
auf ein gutes Ende. Vier der fünf sind noch in Haft, einer
nach langer Haft unter Auflagen entlassen. Alle Solida-
ritätskampagnen, alle Rechtswege, alle Gnadengesuche
blieben erfolglos. Selbst der jedem Schwerstkriminellen
gestattete Kontakt mit Angehörigen war und ist weiter
eingeschränkt und erschwert. Alle, die diese Vorgänge
noch irgendwie rechtfertigen und verteidigen wollen,
frage ich: Was wäre wohl weltweit los, wenn es umge-
kehrt wäre? Wenn US-Amerikaner in Kuba oder sonst
wo derart behandelt würden, wenn rechtsstaatliche
Prinzipien auf diese Art mit Füßen getreten würden?
Keine Frage: Die „Miami Five“ müssen endlich freige-
lassen werden.
Der Appell des Antrags der Linken an die Bundesre-
gierung, sich für die Freilassung der noch vier Gefange-
nen der „Miami Five“ einzusetzen, für die Ausreise des
fünften und für Besuchsrechte, dürfte jedoch kaum zu
realisieren sein. Eine solche Einmischung in die US-Jus-
tiz oder Appelle an den US-Präsidenten kann die
Bundesregierung mit schlichten formalen Vorwänden
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nehmen und mit Leben zu füllen. Dort kann man unter
anderem lesen: „Wir wollen unser Gewicht in die euro-
päisch-lateinamerikanischen Beziehungen einbringen,
um für Kohärenz der europäischen Position zu sorgen
und die strategische Partnerschaft zwischen unseren Re-
gionen zu stärken und lebendig zu halten.“
Und an anderer Stelle heißt es nach einer Aufzählung
der großen politischen und geografischen Vielfalt der
Region: „Nötig sind deshalb auch neue Formate der
politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, tech-
nologischen, ökologischen und entwicklungspolitischen
Zusammenarbeit, die auf die Besonderheiten der einzel-
Überall wimmelt es von Dialog, von Menschenrech-
ten, Zusammenarbeit und wirtschaftlicher Entwicklung.
Von Druck, Boykott, der Hinnahme und faktischen Stüt-
zung von Blockaden lese ich nichts. Wer wirklich mehr
Öffnung und Liberalität, wer die positiven Veränderun-
gen in Kuba unterstützen will, muss den konfrontativen
Geist und die diskriminierende Praxis, die im offiziellen
EU-Standpunkt enthalten sind, aufgeben.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass bereits vor
mehr als einem Jahr die Bundesregierung auf meine ent-
sprechenden Fragen in der Fragestunde vom 10. No-
vember 2010 mitgeteilt hat, dass
es ihre Linie sei, „ergebnissoffen die Optionen einer
Neuausrichtung der EU-Kuba-Politik zu prüfen“. Da-
rüber werde sie dem Bundestag berichten. Da ist doch
nach so langer Zeit die Frage erlaubt: Was ist seither
geschehen, zu welchen Erkenntnissen ist die Bundesre-
gierung im Zuge ihrer Prüfungen gelangt und welche
Schlüsse zieht sie daraus? Vielleicht erfahren wir ja
heute mehr, sonst fragen wir noch einmal in geeigneter
Form nach.
Wir fordern also die Bundesregierung zu nicht mehr
und nicht weniger auf, als das von ihr selbst beschlos-
sene Lateinamerika- und Karibik-Konzept ernst zu neh-
men und umzusetzen.
Zurück zu den Anträgen: Wir halten aber auch die im
„Linken“-Antrag enthaltene unvermittelte Vermischung
von EU-Standpunkt und dem Thema „Miami-Five“ für
verfehlt. Schade, dass die „Linke“ das nicht korrigieren
wollte.
Aus dem hier Dargestellten ergibt sich, dass die SPD-
lichen EU-Standpunkt anstreben und den Bilateralismus
überwinden wollen, aber das Grundanliegen teilen.
„Entweder wir ändern uns, oder wir gehen unter“ –
so etwa äußerte sich der Staats- und Regierungschef Ku-
bas Raúl Castro im Dezember vergangenen Jahres vor
der kubanischen Nationalversammlung. Selbst Fidel hat
davor einräumen müssen, dass das alte System des ku-
banischen Sozialismus, des Sozialismus unter Palmen,
nicht mehr funktioniert. Gestatten Sie mir, dies aus libe-
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September 2011 wurden mehr als 560 Dissidenten vo-
rübergehend festgenommen – die größte Festnahme-
Welle seit 30 Jahren.
Man ist nun nur dazu übergegangen, unterhalb der
Schwelle langer Haftstrafen oder prominenter Fälle, die
international Aufmerksamkeit bewirken, repressive
Maßnahmen durchzuführen. Der autoritäre Charakter
des Systemerhalts durch physische Drangsalierung,
Kurzzeitverhaftungen und Einschüchterung ist dabei
gänzlich unstrittig.
Seit dem arabischen Frühling sind mehr Ressourcen
auf den Repressionsapparat verwendet worden als je-
mals zuvor. Auch das Internet ist Teil davon. An dieser
Stelle möchte ich auch gern nochmals betonen, dass
Freilassung nicht gleichzusetzen ist mit Exil. Letzteres
ist nämlich das Schicksal der politischen Gefangenen
des Schwarzen Frühlings, die in Spanien um Asyl ersu-
chen mussten.
In dem Antrag der Linksfraktion gibt diese an, dass
die Zusammenarbeit mit Kuba ein großes Potenzial
hätte im Bereich Verwirklichung der wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte. Leider ver-
kennt die Linksfraktion die Realität: Kuba hat nicht ein-
mal den internationalen Pakt über bürgerliche und poli-
tische Rechte oder den Pakt über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte ratifiziert. Außerdem hat Kuba
selbst im Jahre 2003 die bilaterale Zusammenarbeit so-
wohl im kulturellen und bildungspolitischen als auch im
entwicklungspolitischen Bereich ausgesetzt.
In ihrem zweiten Antrag fordert die Linksfraktion eine
Freilassung der „Miami Five“, von denen mittlerweile
noch vier in amerikanischer Gefangenschaft sind. René
González war im Oktober mit drei Jahren auf Bewäh-
rung, in denen er die USA nicht verlassen darf, aus der
Haft entlassen worden. Die schwerwiegende Anklage in
den USA lautete für alle fünf auf Spionage. Die fünf An-
geklagten waren 2001 in einem rechtsstaatlichen Ver-
fahren nach internationalen Rechtsstandards in dem
Rechtsstaat USA für schuldig erklärt und rechtmäßig
verurteilt worden. Unmittelbar nach der Freilassung
von René González im Oktober hatte die USA Kuba den
Vorschlag unterbreitet, René González gegen Alan
Gross auszutauschen. Alan Gross war im April von ei-
nem kubanischen Gericht zu 15 Jahren Haft wegen
„Vergehen gegen die Unabhängigkeit und Integrität des
Staates“ verurteilt worden und ist nun in Havanna in-
haftiert. Diesen Vorschlag hatte Kuba ausgeschlagen.
Die USA und Kuba befinden sich in der Frage der
Freilassung bzw. Überstellung von Gefangenen in Kon-
takt. Der Antrag der Linksfraktion ist dahin gehend ob-
solet. In der Frage des Besucherrechts stimme ich je-
doch mit den Antragstellern überein. Dies genügt jedoch
nicht, dem Antrag zuzustimmen.
Uns muss es darum gehen, Kuba auf dem Weg in eine
freie und demokratische Zukunft zu unterstützen, um das
Leid der kubanischen Bevölkerung endlich zu beenden.
Es gilt deshalb, die vorsichtigen positiven Zeichen zu se-
hen, aber gleichzeitig die negativen Signale nicht auszu-
blenden. Der zweigleisige Ansatz, der bereits seit 1996
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Respekt. Die US-Justiz hat sie indes unter dem Vorwurf
der Spionage zu hohen Haftstrafen verurteilt. Wir er-
warten von der Bundesregierung, dass sie sich für die
Freiheit der fünf einsetzt. Aber wir erkennen keinerlei
Bemühungen. Dabei bestätigen weltweit Menschen-
rechtsorganisationen und auch die UNO, dass Verhaf-
tung, Prozessverlauf und Haftbedingungen rechtsstaat-
lichen Standards völlig entgegenliefen. Seit Jahren
dürfen zum Beispiel die Ehefrauen ihre Männer nicht im
Gefängnis besuchen.
Wir freuen uns, dass René González Sehwerert nun
zumindest aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dass er
allerdings nach wie vor die USA nicht verlassen und
nicht in sein Heimatland ausreisen darf, ist nicht hin-
nehmbar und eine Verlängerung dieses unfassbaren Jus-
tizskandals. Die Bundesregierung will ihre internatio-
nale Politik an den Menschenrechten ausrichten? Hier
hätte sie etwas zu tun.
Die Fraktion Die Linke fordert gemeinsam mit vielen
Menschen weltweit: Freiheit für Antonio Guerrero
Rodríguez, Fernando González Llort, Gerardo
Hernández Nordelo und Ramón Labañino Salazar und
die freie Ausreise für René González Sehwerert!
Dem Antrag der Linken, den Gemeinsamen Stand-
punkt der EU zu Kuba aufzugeben, kann kein ernsthafter
Menschenrechtsverteidiger zustimmen, auch nicht einer
wie ich, der Kuba und die Kubaner mag. Der Gemein-
same Standpunkt stellt keinen Boykott Kubas dar, wie
die Linke sagt, und er zielt auch nicht auf einen System-
wechsel, obwohl der an der Zeit wäre. Der Standpunkt
beinhaltet keine Sanktionen, wie die Linke behauptet,
sondern fordert eine Intensivierung des Dialogs und der
Zusammenarbeit. Es geht der EU um „Achtung der
Menschenrechte“, „Verbesserung des Lebensstandards
der kubanischen Bevölkerung“ sowie Stärkung von De-
mokratie in Kuba. Vor allem der letzte Punkt sei eine
unrechtmäßige Einmischung in die inneren Angelegen-
heiten eines Staates und ein Bruch der UN-Charta, be-
hauptet die Linke. Zur Erinnerung für die Linke: Nach
§ 1 der kubanischen Verfassung ist Kuba eine Demokra-
tie, nach § 3 geht die Macht vom Volke aus. Wo ist also
der Bruch der UN-Charta, von dem der Antrag fabu-
liert, wenn man Demokraten und Demokratie in Kuba
fördern will? Dass dies Ziele der EU sind – und zwar
nicht nur in den Beziehungen zu Kuba, sondern in allen
auswärtigen Beziehungen –, wird doch hoffentlich in
diesem Haus nicht zur Debatte gestellt.
Die kubanische Regierung macht es sozial engagier-
ten Menschen und Menschenrechtsverteidigern schwer,
aufseiten Kubas zu sein. Ja, die Erfolge in den Bildungs-
und Gesundheitssystemen, der Ausgleich zwischen den
sozialen Schichten, das schnelle und uneigennützige
Engagement der Ärzte Kubas im Ausland, zum Beispiel
in Haiti – so betrachtet wäre Kuba in der Tat ein Vorbild,
nicht nur in der Region. Die durchschnittliche Lebens-
erwartung der Kubaner ist zehn Jahre höher als die der
übrigen Lateinamerikaner, sogar höher als die in den
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Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/4273, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/3188 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Gegenprobe! – Die Fraktion Die Linke. Ent-
haltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die
Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 17/7416 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Wiedergewährung
der Sonderzahlung
– Drucksache 17/7631 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 17/8007 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster
Michael Hartmann
Dr. Stefan Ruppert
Frank Tempel
Dr. Konstantin von Notz
Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/8011 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider
Otto Fricke
Roland Claus
Katja Dörner
Alle Reden, die uns hierzu gemeldet worden sind, ge-
hen zu Protokoll.1) Sie sind damit einverstanden? – Wi-
derspruch erhebt sich nicht. Die Namen der Kolleginnen
und Kollegen liegen hier vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Wiedergewährung der Sonderzah-
lung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/8007, den Gesetzent-
wurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf
Drucksache 17/7631 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion der Sozialdemo-
kraten und die Linksfraktion, also alle miteinander. Wer
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den neuen Bundesländern gar keine kommunalen Wur-
zeln? Sind deren Vertreter in Stadt- oder Gemeinderäten
so wenig relevant, dass mit ihnen nicht mehr gesprochen
wird, oder haben diese Vertreter dort auch schon jegli-
chen Kontakt außerhalb ihrer Klientel verloren? Erlau-
ben Sie mir bitte, dass ich beispielhaft nur einmal die
beiden Anliegerkommunen Aken und Magdeburg he-
rausgreife, um mich nicht dem Geruch der Parteilichkeit
auszusetzen, indem ich mich nur auf Parteifreunde in
meinen Aussagen beschränke.
Mit dem SPD-Bürgermeister Müller aus Aken hat
eine der wesentlichen Autoren des Antrags, unsere Kol-
legin Kurth, wohl kaum gesprochen. Seine wörtlichen
Ausführungen zu dem Antrag möchte ich lieber hier
nicht öffentlich zitieren. Zitieren kann ich aber wohl aus
dem Brief des Beigeordneten für Kommunales, Umwelt
und allgemeine Verwaltung der Stadt Magdeburg, Herrn
Holger Platz, den er uns im Auftrag des SPD-Oberbür-
germeisters Trümper am 14. Oktober geschrieben hat:
„Die Hochwasserpartnerschaft Elbe – ein Zusammen-
schluss mehrerer Kommunen zwischen Geesthacht und
in einzelnen Streckenbereichen das Hochwasserrisiko
deutlich erhöht wird. Insbesondere dort, wo gegenwär-
tig die Unterhaltung durch Entnahme von Geschiebe ge-
währleistet wird, sind Aufsandungen zu befürchten, die
nicht nur der Schifffahrt, sondern auch dem Gewässer-
abfluss nicht zuträglich sind.“
Das Zitat dürfte wohl kaum mit dem Antrag in Über-
einstimmung zu bringen sein. Es ist daher auch nur kon-
sequent, wenn sich die SPD im Ausschuss zu dem Antrag
der Stimme enthalten hat.
Konsequenter wäre natürlich eine Ablehnung gewe-
sen, doch man will wohl dem Lieblingskoalitionspartner
nicht zu große Schmerzen zufügen. Nach dem Debakel
von Stuttgart 21 ist das wohl verständlich. Doch nicht nur
die Abstimmung zu Stuttgart 21 zeigt, wie schief die Grü-
nen damit liegen, wenn sie meinen und öffentlich immer
wieder lautstark proklamieren, die Meinung des Volkes zu
vertreten. Das INFO-Meinungsforschungsinstitut aus
Berlin, das sehr stark mit dem Max-Planck-Institut zu-
sammenarbeitet, hat in Sachsen-Anhalt eine repräsenta-
tive Bevölkerungsbefragung zur infrastrukturellen Ent-
wicklung durchgeführt, zu der mehr als 1 000 Personen
befragt wurden. Erlauben Sie mir, dass ich daraus zitiere:
Drei Viertel der Befragten, genau 74 Prozent sind der
Meinung, dass die Schifffahrt auch künftig für Trans-
porte und Tourismus möglich sein sollte. Nur 21 Prozent
waren der Ansicht, dass die Flüsse renaturiert werden
sollten. Jeweils mehr als drei Viertel der Wähler von
CDU, SPD und Linkspartei geben ein positives Votum
zur Binnenschifffahrt ab, aber auch 65 Prozent der Wäh-
ler von Bündnis 90/Die Grüne.
Selbst bei Ihren eigenen Wählern, meine Damen und
Herren von den Grünen, wollen nur ganze 35 Prozent,
dass unsere Flüsse renaturiert werden.
Eine größere Ohrfeige für einen solchen Antrag und
insbesondere für die Aussage, dass man für alle relevan-
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aus dem Jahr 1996 bis hin zu den Erkenntnissen aus Un-
terhaltungsmaßnahmen, die dann insbesondere nach
1996 gemeinsam von Biosphärenreservat und Wasser-
und Schifffahrtsamt Dresden gewonnen wurden. So
brachte der zweijährige Unterhaltungsstopp nach dem
Elbe-Hochwasser von 2002 keine wirklich neuen Erfah-
rungen, da die seit 2001 arbeitende Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe in einem Unterhaltungsplan schon vieles
bedacht hatte.
Auch der Gedanke, die Auswirkungen der Klimaver-
änderung auf die Elbe zu untersuchen, ist beileibe nicht
neu. Das Ministerium für Landesentwicklung und Ver-
kehr des Landes Sachsen-Anhalt hat im November 2009
zwei Unternehmensberatungen damit beauftragt, alle
aktuellen Studien zur Schiffbarkeit von Elbe und Saale
zusammenzutragen und auf eventuelle Defizite in der
Forschungslage zu untersuchen. Die Studie wurde im
Rahmen des Projektes LABEL im Central-Europe-Pro-
gramm von den Unternehmen LUB Consulting GmbH
und Uniconsult durchgeführt.
Es war dabei nicht der Auftrag, zu überprüfen, ob die
Aussagen der begutachteten Studien richtig oder falsch
sind, sondern lediglich zu untersuchen: Mit wie viel
Nachweisen in welcher wissenschaftlichen Qualität sind
welche Aussagen der Studien untermauert? „Politi-
sche“ Dokumente wie Konzepte von Bundes- oder Lan-
desverwaltungen flossen dabei ganz bewusst nicht in die
Untersuchung ein. So wurden insgesamt 69 Studien und
Forschungsprojekte ausgewertet.
Bei der sehr nüchterne Analyse war für mich interes-
sant, dass immer wieder festgestellt wurde: „Die kriti-
schen Aussagen basieren häufig auf aktuellen Daten, ge-
hen jedoch von falschen Annahmen aus…“, „Ein
eindeutiger Trend lässt sich seriöserweise nicht ablei-
ten…“, „Kritische Positionen arbeiten teilweise mit fal-
schen Annahmen oder nehmen bewusst ungünstige
Transportmengenvergleiche vor.“ Dagegen steht dann:
„Gleichwohl wird die Plausibilität der befürwortenden
Aussagen signifikant höher bewertet.“ Waren da viel-
leicht einige Studien nicht doch mit einem klaren politi-
schen Auftrag versehen oder von Auftragnehmern aus-
geführt worden, die von vornherein klar zuzuordnen
waren?
Wenn dann in der Berichterstattung der Grünen be-
sonders darauf abgehoben wird, dass durch den Klima-
wandel bedingt die Unterhaltungsziele nicht erreicht
werden, muss man deutlich sagen, dass von 21 Studien,
die dazu eine Aussage treffen, 14 davon ausgehen, dass
der Klimawandel zu einer Verschlechterung der Schiff-
fahrtsverhältnisse auf der Elbe führt. Jedoch die 7 Stu-
dien, die genau dieser Aussage nicht folgen, weisen durch
umfangreichere Daten, eindeutigere und bessere Quellen
und eine höhere Plausibilität in ihren Schlussfolgerungen
nach, dass die Folgen des Klimawandels nicht so einfach
vorhersehbar und von einem hohen Unsicherheitsfaktor
gekennzeichnet sind. Die Evaluierung aller Studien stellt
dann auch fest: So gehen bei geografisch kleinräumigen
Vorhersagen, wie für das Elbstromgebiet, „die Vorhersa-
gemodelle teilweise sehr weit auseinander und sind daher
nur bedingt als Entscheidungsgrundlage anzusehen.“
Eine so apodiktische Aussage zur Auswirkung des Klima-
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In weiten Strecken zeigt die Elbe immer noch den Cha-
rakter eines frei fließenden Flusses mit großem ökologi-
schen Wert. Der natürliche Charakter ist eigentlich ge-
prägt durch ständige Änderungen in seinem Lauf, durch
die Bildung neuer Schleifen, durch Abschneiden alter
Schleifen, die sich in Seen verwandeln. An einer Stelle
bricht Ufer weg, an anderen Stellen werden Sandbänke
angeschwemmt und sind Nahrungs- und Bruthabitate für
Flussregenpfeifer und Co. Dieser grundsätzlichen Bedeu-
tung der Elbe muss immer Rechnung getragen werden.
Dieses Ökosystem ist schon seit langem durch
menschliche Eingriffe geprägt, sie durch eine mensch-
lich geprägte Kulturlandschaft. Sie ist deutlich verkürzt
worden, durch Buhnen und Deiche ist ihr Lauf befestigt
worden, ihre Fließgeschwindigkeit hat sich im Laufe der
Schiffbarmachung erhöht. Damit einhergegangen ist
eine Veränderung der Landschaft und der Lebensräume
entlang der Elbe. Das Flussprofil wurde enger. Das be-
deutet: Ufer wurden steiler, weniger Fläche wird bei
Hochwasser überschwemmt, Nebenarme, Kiesbänke
und Inseln verschwanden. Kurz: Lebensräume haben
sich verändert.
Nach der Vereinigung Deutschlands keimten sofort
Pläne, den lange vergessenen Fluss zur genormten Was-
serstraße weiter auszubauen. Viele Fürsprecher in den
Verbänden verhinderten dies und setzten einen Kompro-
miss durch, der bis heute gehalten hat und für den wir
weiter stehen.
Richtig ist: Die Elberegion profitiert vom Naturraum
Elbe. Der Tourismus ist ein wichtiges Standbein, Ar-
beitsplätze sind im Tourismus entstanden. Richtig ist
aber auch: Die Elbe hat eine Bedeutung als Wasser-
straße, insbesondere als Hinterlandverbindung für den
Hamburger Hafen und im weiteren Verlauf etwa für die
Häfen in Magdeburg, in Roßlau und Bernburg. Die Bin-
nenschifffahrt kann für die Elbe-Region ein Wirtschafts-
faktor sein, wenn es gelingt, die verschiedenen Interes-
sen von Naturschutz, Naherholung und Industrie
zusammenzubringen.
Es stimmt, die reine Menge der transportierten Güter
auf der Elbe nimmt ab. Gleichzeitig ändert sich aber auch
die Art der Güter, die transportiert werden. Neben Mas-
sengüter- und Containerumschlägen nehmen zunehmend
hochwertige Transporte von Sperrgütern einen hohen
Stellenwert ein. Turbinen, Transformatoren, Generatoren,
Kompressoren, Schiffskörper von Küstenmotorschiffen
und Teile für Windkraftanlagen sind als Sondertransporte
kaum anders zu bewegen als über den Verkehrsträger
Wasserstraße.
Es ist klar: Wir stehen dafür, nicht nur den Status quo
zu erhalten. Wir wollen den ökologischen Zustand der
Elbe verbessern, weil wir den Wert des Lebensraumes
Elbe kennen, weil wir ein wirtschaftliches Potential im
Tourismus an der Elbe und weil wir die Ziele und Ver-
pflichtungen der Wasserrahmenrichtlinie hochhalten.
Diese definiert die ökologischen Mindestanforderungen,
sie fordert explizit eine Verbesserung des ökologischen
Zustandes.
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Naturlandschaften zu erhalten. Es geht darum, die Le-
bensräume für die Kraniche, Störche und andere Popu-
lationen, die in Größenordnungen wieder zurückgekehrt
sind, zu erhalten. Auch das muss in einer Zieldefinition
klar enthalten sein.
Ich weiß um den Spagat, der notwendig ist, die Bin-
nenschifffahrt zu erhalten und gleichermaßen die Natur-
landschaften zu schützen und, wenn möglich, auch wie-
der herzustellen. Dieser Spagat ist nicht einfach. Er ist
aber notwendig. Sowohl im Tourismus als auch in den
Häfen arbeiten Menschen an der Elbe. Lassen Sie uns
diese Arbeitsplätze nicht gegeneinander ausspielen.
Als Vorsitzender der parlamentarischen Gruppe
„Frei fließende Flüsse“ habe ich große Sympathie für
den Schutz von Flüssen und Auen. Deshalb begrüße ich
grundsätzlich Ihre Initiative.
Das Flussgebiet Elbe ist heute eine der ökologisch
wertvollsten Flusslandschaften, und das, obwohl vor
1990 die Elbe mit der Saale im Wettbewerb um den Titel
„dreckigster Fluss Mitteleuropas“ stand. Mittlerweile
bestehen gerade entlang der Mittelelbe wieder zahlrei-
che Biosphärenreservate, Naturparks oder Naturschutz-
gebiete. Und trotzdem: Die Klassifizierung der mittleren
Elbe in mäßig und stark veränderte Flussabschnitte
zeigt auf, dass noch viel zu tun ist.
Zwischen Saale und Mulde sind viele Altwässer unzu-
reichend an das Elbwasser angebunden. In der Folge
droht vielen Feuchtgebieten die Verlandung. Gerade in
Sommermonaten droht der Sauerstoffgehalt der Elbe zu
kippen. Diese Problematik ist erkannt: Gute Wasserqua-
lität ist nur mit dem Erhalt und der Wiederherstellung
der hydromorphologischen Gegebenheiten erreichbar.
Die starken Schäden durch die letzten Hochwasser sind
noch nicht vollständig beseitigt. Mit dem „Rahmenkon-
zept Unterhaltung“ ist die Bundesregierung hier aktiv.
Es besteht weiter Handlungsbedarf. Schnellschüsse
bringen uns dabei aber nicht weiter. Fluss- und Auen-
schutz kann nur durch jahrelange Kärrnerarbeit erreicht
werden. Hierfür arbeiten wir!
Man muss aber auch konstatieren, dass neben den
Maßnahmen der Bundesregierung auch die Länder ge-
fragt sind. Mit der wasserwirtschaftlichen Unterhaltung
hat der Bund hier eine Verantwortlichkeit, die bereits
weit über verkehrliche Aufgaben hinausgeht. Wir dürfen
von den Bundesländern erwarten, dass die Themen Soh-
lenstabilisierung oder die Errichtung von Längs- und
Querbänken – die notwendig ist für unterschiedliche
Fließgeschwindigkeiten – von den Bundesländer aktiv
betrieben werden. Die Verantwortung für derartige
Maßnahmen liegt klar bei den Ländern.
Ein weiteres Problem stellte auch die 1960 errichtete
Staustufe Geesthacht dar. Die Durchlässigkeit der Stau-
stufe für Fische war und ist umstritten. Mit der neuen
zweite Fischtreppe, die im September des letzten Jahres
fertiggestellt wurde, könnte nun theoretisch sogar der
Stör wieder heimisch werden.
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sen fest im Griff. Weil wir in den letzten hundert Jahren
die Flüsse immer weiter ausgebaut haben, ist der mate-
rielle Schaden enorm hoch. Dabei ist die Elbe noch ei-
ner der naturnahen Flüsse. Zumindest auf 400 Kilome-
tern im Mittellauf ist sie ohne Kanalisierung und wenig
verbaut. Wer auf dem Elbe-Radweg unterwegs ist, fährt
hier durch die schönste Auenlandschaft.
Die Extremwetterlagen werden in den nächsten Jah-
ren noch weiter zunehmen. Das bedeutet: noch häufiger
Hochwasser. Aber genauso wird es extremes Niedrig-
wasser geben, wie wir es in diesen Tagen gerade erle-
ben. Daran müssen wir uns nicht gewöhnen, daran müs-
sen wir uns anpassen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir
uns generell für eine naturnahe Entwicklung der Flüsse
entscheiden.
Das bedeutet Umdenken. Andere Wege suchen, ist im-
mer ein hartes Stück Arbeit, auch wenn das Ziel klar ist.
Das dauert und braucht Partner. Wenn wir uns die Elbe
ansehen, dann können wir feststellen, dass es schon eine
Menge von Einzelbausteinen gibt. Der Antrag der Grü-
nen tut das Seinige dazu. Da können wir Linken in vie-
lem zustimmen. Aber wir meinen, dass es an der Zeit ist,
das Puzzle zusammenzusetzen.
Ein Flusskonzept, davon war schon nach dem Hoch-
wasser 2005 die Rede. Nun ist es offensichtlich so weit.
Sei einigen Tagen liegen Eckpunkte für ein Gesamtkon-
zept für die Elbe im deutschen Flussraum vor. Jetzt geht
es darum, aus den Eckpunkten ein strategisches Gesamt-
konzept zu entwickeln. Das wird nur mit einem breiten
gesellschaftlichen Beteiligungsprozess gehen. Es gibt
viele verschiedene Nutzungsinteressen. Wir werden si-
cher noch öfter darüber diskutieren.
Vorab zwei Punkte zu den Grünen-Forderungen. Die
Schifffahrt auf der Elbe abzuschaffen, werden wir nicht
unterstützen, aber wir fordern flussangepasste Schiffsty-
pen. Die Bundesregierung hat zwei Investitionsförder-
programme für die Modernisierung der Binnenschiffs-
flotte. Das teilte sie auf unsere Kleine Anfrage hin mit.
So weit, so gut. Aber sie teilte auch mit, dass sie fluss-
angepasste Schiffstypen stärker fördern würde, wenn es
dafür zusätzliches Geld im Haushalt gäbe. Das kann
nicht sein, es dürften nur noch und ausschließlich fluss-
angepasste Binnenschiffe mit öffentlichem Geld geför-
dert werden. Dann wird ein Schuh daraus. In Magde-
burg wurde ein Container-Leichter als Prototyp für die
Elbe entwickelt. Das sind unternehmerische Aktivitäten,
die unterstützt werden sollten.
Im Punkt Hochwasserschutz stimmen wir mit den
Grünen überein. Warum hat der vorbeugende Hochwas-
serschutz für uns Linke eine so hohe Priorität? Der
Hochwasserschutz wird so preiswerter, und gleichzeitig
kann das Ökosystem Flusslandschaft aufatmen. Bei Len-
zen wurde der Elbdeich auf einer Länge von 7,4 Kilome-
tern zurückverlegt. Damit wurden zusätzliche Überflu-
tungsflächen geschaffen und dem Fluss 420 Hektar Aue
wiedergegeben. Der Rhythmus der Elbe hat mit Überflu-
tung bei Hochwasser und Trockenheit bei Niedrigwasser
in wenigen Jahren eine lebendige Auenlandschaft ge-
schaffen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Kolleginnen
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und verbessert werden.“ Wahrscheinlich ist auch der
Bundesregierung klar, dass diese Ziele sich zum Teil wi-
dersprechen und es ein starkes Konfliktpotenzial gibt.
Jedoch scheint sie sich, anders als wir, davor zu
scheuen, diese Konflikte zu benennen und Lösungsvor-
schläge zu machen.
Der Staatssekretär im Verkehrsministerium Enak
Ferlemann hingegen erklärt permanent der Binnen-
schifffahrtslobby in Deutschland, aber auch im Nach-
barland Tschechien, welch rosige Zukunft die Binnen-
schifffahrt auf der Elbe hat. Wie er das ohne eine
Vertiefung erreichen will, kann er nicht erklären. Auch
gaukelt er weiter freudig Tschechien vor, dass es kein
Problem sein wird, die versprochene und für die Wirt-
schaftlichkeit der tschechischen Staustufe notwendige
Mindesttiefe von 1,60 m dauerhaft zu erreichen. Dieses
Ziel wird aber seit Jahren deutlich verfehlt. Auf Nach-
fragen von uns muss selbst Ferlemann zerknirscht zuge-
ben, dass eine Mindesttiefe für die Elbe nicht garantier-
bar ist.
Ja, was denn nun, liebe Bundesregierung? – Seien Sie
doch endlich ehrlich und geben Sie das Phantomziel von
1,60 m Mindesttiefe ganzjährig auf! Folgen Sie dem Vor-
schlag ihrer eigenen Experten, die Elbe zukünftig ins
Nebennetz einzuordnen! Da gehört sie nämlich hin.
Wenn Sie sich dazu durchringen können, ist eine gute
Grundlage geschaffen, um gemeinsam Ideen und Kon-
zepte für die Zukunft der Elbe-Region zu diskutieren.
Dazu haben wir erste Anstöße in unserem Antrag gege-
ben. Kern des Antrages ist es, die Entwicklung einer
Strategie unter Einbeziehung aller relevanten Gruppen
anzustoßen. Auch wir haben noch keine abschließende
Patentlösung für die Zukunft des Elbe-Raums. Aber wir
benennen die Konflikte, wir bestimmen die Rahmenbe-
dingungen und Ziele einer solchen Strategie. Die ge-
meinsame Entwicklung von detaillierten Konzepten
muss jetzt folgen.
Für diese Ansätze unseres Antrages gab es ja auch
durchaus viel Lob im Umweltausschuss, mal abgesehen
von der CDU/CSU-Fraktion; viele Kolleginnen und
Kollegen meinten, der Antrag enthalte durchaus sinn-
volle Passagen und man müsse das Thema weiterdisku-
tieren. Leider konnte sich keiner von ihnen zu einer Zu-
stimmung durchringen. Aber wir nehmen das Angebot
zur weiteren Diskussion gerne an. Wir erwarten bald
auch vonseiten der Bundesregierung und aller anderen
Fraktionen im Bundestag entsprechende Vorschläge.
Nur so können wir gemeinsam ein gutes Konzept für eine
nachhaltige Zukunft der Elbe-Region entwickeln.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7681,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/4554 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
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ie sind alle damit einverstanden. Die Namen der Kolle-
innen und Kollegen liegen hier bei uns vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
rbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
hlung auf Drucksache 17/7991, den Gesetzentwurf der
undesregierung auf Drucksache 17/6764 in der Aus-
chussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
em Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
ollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
aktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Op-
ositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz-
ntwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
as sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
as sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen?
Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 26:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bahnpreiserhöhung stoppen
– Drucksache 17/7940 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Anlage 8
17496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
)
)
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen uns hier vor.
Preiserhöhungen, egal welcher Art, werden von den
Verbrauchern negativ gesehen. Deshalb wurde die
Preiserhöhung der Deutschen Bahn in der Öffentlichkeit
mit Kritik bedacht. Auf diesen Zug will die Linke auf-
springen, ohne wirklich auf Argumente einzugehen oder
die wirtschaftlichen Aspekte zu beleuchten.
Ja, es ist richtig, dass die Deutsche Bahn AG ihre
Preise erhöht, aber dies geschieht nicht überzogen, son-
dern moderat. Nach dem Verzicht auf eine Preiserhö-
hung im Fernverkehr im vergangenen Jahr hebt die
Deutsche Bahn zum 11. Dezember 2011 die Preise im
Fernverkehr um durchschnittlich 3,9 Prozent an.
3,9 Prozent für zwei Jahre – diese Erhöhung bewegt sich
im Rahmen der Inflationsrate. Im Nahverkehr beträgt
die Anhebung durchschnittlich 2,7 Prozent. Auch hier
bewegt sich die DB wiederum im Rahmen der Inflations-
rate. Berücksichtigen wir dann noch, dass der Preisbre-
cher Energie einen großen Teil der Betriebskosten bei
der DB ausmacht, zeigt sich, dass die Erhöhung durch-
aus akzeptabel ist.
Dies zeigt sich auch im Vergleich mit den Nahver-
kehrsverbünden. Hier schneidet die DB mit ihrer Preis-
erhöhung sogar gut ab, da sie sich weit unterhalb der
Preisentwicklung der großen Verkehrsverbünde bewegt
hat. Die Preise bei der DB sind in Summe seit 2002 we-
sentlich geringer gestiegen als bei den öffentlichen Ver-
kehrsverbünden. Während die Preise bei den Verkehrs-
verbünden im Zeitraum von 2002 bis 2012 um
37 Prozent gestiegen sind, sind die Preise bei DB Regio
um circa 30 Prozent und die Preise bei DB Fernverkehr
nur um circa 15 Prozent gestiegen.
Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Entscheidung
der DB, Kundengruppen mit kleinem Geldbeutel nicht
stärker zu belasten. Deshalb bleibt die Jugend Bahn-
card 25 mit einer einmaligen Bearbeitungsgebühr von
10 Euro und Gültigkeit bis einschließlich des 18. Le-
bensjahres preisstabil. Das Gleiche gilt auch für die er-
mäßigte Bahncard 25 für Schüler, Studenten und Senio-
ren für 39 Euro in der 2. Klasse. Erfreulich ist auch, dass
im Fernverkehr auf eine Verteuerung der Sparpreise
verzichtet wurde. Somit gibt es den Sparpreis unverän-
dert für die einfache Fahrt ab 29 Euro in der 2. Klasse
und für Kurzstrecken bis 250 Kilometer ab 19 Euro –
gültig für Reisen im ICE oder Intercity/Eurocity.
Der moderate Anstieg der Fahrpreise wird auch künf-
tig dazu führen, dass die Bahn weiterhin allen eine kom-
fortable, umweltgerechte und vor allem preisgünstige
Mobilität ermöglichen wird. Und die Bahn ist und bleibt
sozial. Die DB hat im Vergleich zu anderen touristischen
Anbietern besonders günstige Angebote für Familien.
Im Gegensatz zu den Airlines fahren Kinder bis 14 Jahre
in Begleitung ihrer Eltern bei der DB kostenlos. Pro
Jahr befördert die DB beispielsweise im Fernverkehr
über 4 Millionen Kinder kostenlos.
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lässigkeit der Bahn wiederherzustellen. Hierfür braucht
er nicht nur ein wenig Zeit, sondern auch die notwendi-
gen Einnahmen. Die von der Bahn durchgeführte Preis-
erhöhung ist moderat und angemessen.
Der vorliegende Antrag der Linksfraktion ist schlicht
und ergreifend eines: populistisch.
Mit ihrem Antrag kritisiert die Linksfraktion die An-
kündigung der Deutschen Bahn AG, zum 11. Dezember
2011 die Fahrpreise im Fern- und Nahverkehr zu erhö-
hen. Zudem wird die Bundesregierung aufgefordert, bei
der DB AG auf einen Verzicht auf diese Erhöhung hinzu-
wirken. Natürlich möchte niemand Preiserhöhungen.
Kein Mensch will mehr bezahlen – egal wofür. Doch die
Frage ist hier, um welchen Preis dies möglich wäre.
Denn durch diesen Antrag wird deutlich, welches Ver-
ständnis die Linksfraktion von einer Bahn in Deutsch-
land hat: Die Linke wünscht sich eine Staatsbahn, in der
die Politik die Entscheidungen diktiert – bis hin zur
Festlegung der Fahrpreise. Doch es war immer das Ziel
aller Fraktionen im Deutschen Bundestag, die Bahn aus
dem politischen Geschacher herauszuholen.
Daher hat der Bundestag vor sehr langer Zeit be-
schlossen, aus der Bahn eine Aktiengesellschaft zu ma-
chen. Auch die linke Seite des Plenums hat diese Politik
nicht nur getragen, sondern ist gerade in der Zeit sozial-
demokratischer Verkehrsminister dabei sogar über das
Ziel hinausgeschossen: Die extreme Fokussierung auf
einen Börsengang hat die Bahn viel Reputation gekostet.
Dennoch: Wenn Politik ständig bei der Bahn „hinein-
fummeln“ würde, wäre der Schaden größer als der Nut-
zen.
Auch die öffentliche Anhörung zur Bahnstruktur, wel-
che wir im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung am 19. Oktober 2011 durchgeführt haben, hat deut-
lich belegt: Die Bahnreform von 1994 war die absolut
richtige Entscheidung. Das war auch unter den Sachver-
ständigen unstreitig. Mit Recht genießt die deutsche
Bahnreform international ein hohes Ansehen. Ihr primä-
res Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, hat sie
erreicht, und zudem hat sie auch noch für eine Entlas-
tung des Bundeshaushaltes gesorgt. So stieg etwa die
Verkehrsleistung auf der Schiene im Personenverkehr im
Zeitraum zwischen 1994 und 2010 von gut 65 Milliarden
Personenkilometern auf 83 Milliarden Personenkilome-
ter. Auf der anderen Seite ist im gleichen Zeitraum die
nominelle jährliche Belastung des Bundeshaushaltes
von 20 Milliarden Euro auf etwa 17 Milliarden Euro ge-
sunken. Im Vergleich dazu stieg in Großbritannien der
betreffende Wert im gleichen Zeitraum um 99 Prozent
und in Frankreich um 18 Prozent.
Auch der Wettbewerb funktioniert auf dem deutschen
Schienenmarkt immer besser. Die Bundesnetzagentur
überwacht als unabhängige und mit umfangreichen
Kompetenzen ausgestattete Regulierungsbehörde die
Markteintrittsbedingungen.
Zudem hat die DB AG seit der Bahnreform in der Zeit
von 1994 bis 2010 im Durchschnitt jährlich knapp
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Der 11. Dezember wird ein schwarzer Tag für die Ver-
kehrswende in Deutschland. Denn da erhöht die Deut-
sche Bahn AG die Preise für Fahrkarten im Nah- und
Fernverkehr, für Platzreservierungen über das Internet
sowie für die BahnCards. Sparpreise werden gestrichen,
Bedienzuschläge werden mehr und der Mitfahrerrabatt
wird begrenzt. Für die Bürgerinnen und Bürger ist das
– verständlicherweise – schwer nachzuvollziehen. Ich
nenne nur drei Beispiele:
Da hören sie – erstens –, dass die Deutsche Bahn AG
in diesem Jahr einen Rekordgewinn von mehr als zwei
Milliarden Euro einfahren wird. Warum werden also die
Fahrpreise erhöht, wenn das Unternehmen so viel Ge-
winn macht? Da haben sie – zweitens – das Chaos im
Winter, die kaputten Klimaanlagen im Sommer oder die
Verspätungen und Zugausfälle vor Augen und fragen
sich: Warum werden die Fahrpreise erhöht, wenn die
Qualität nicht gestiegen ist? Und da fragen sich die Bür-
gerinnen und Bürger – drittens –, wie sie ausgerechnet
eine Preiserhöhung dazu motivieren soll, sich nicht für
das Auto oder das Flugzeug zu entscheiden, sondern auf
die Bahn umzusteigen.
Bahnfahren muss billiger werden in Deutschland,
denn die Menschen brauchen Alternativen im Verkehrs-
bereich. Eine Alternative zum Auto ist das Bahnfahren.
Für eine verkehrspolitische Wende muss vonseiten der
Bundesregierung aber wirksam eingegriffen werden: Ich
fordere die Bundesregierung auf, einen Bahngipfel zur
Umsetzung von billigeren Fahrkarten einzuberufen. Da-
rüber hinaus sind weitere Maßnahmen für günstigeren
und zuverlässigeren Schienenverkehr umzusetzen. Als
Eigentümerin der Deutschen Bahn AG ist die Bundesre-
gierung an erster Stelle gefordert.
Wir müssen der Bahn wieder einen Vorrang bei den
Verkehrsträgern einräumen – und zwar in vielen Berei-
chen. Ich möchte an dieser Stelle nur zwei nennen: Wir
müssen endlich mehr in die Infrastruktur investieren. Ich
wünsche mir für eine Verkehrswende ein klares Bekennt-
nis zur Bahn und die Zusage des Bundes, deutlich in die
Infrastruktur zu investieren. Die 100 Millionen Euro zu-
sätzlich für die Schiene sind zu wenig; das ist mehr als
offensichtlich.
Unter Schwarz-Gelb ist der Grundsatz „Schiene vor
Straße“ verloren gegangen. Wir müssen ihn wieder auf-
nehmen und es ermöglichen, dass die Schiene maximal
ausgelastet wird. Wir müssen die Bahn von Steuern ent-
lasten. Da gibt es zwei Ansatzpunkte: Erstens: In keinem
Land der Welt außer in Deutschland zahlt die Bahn den
vollen Mehrwertsteuersatz. Deshalb sind in einem ers-
ten Schritt die Bahnen von der Mehrwertsteuer zu be-
freien. Zweitens: In keinem Land der Welt schlägt die
Mineralölsteuer derart zu Buche wie bei uns. Da gibt es
also auch noch großen Spielraum – und damit auch bei
den Fahrpreisen, die deutlich günstiger werden könnten.
Die Bundesregierung spricht immer viel über Steuer-
erleichterungen. Im Bahnverkehr wären sie sinnvoll, so-
wohl im Personen- als auch im Schienengüterverkehr.
Die Krux ist natürlich: Die Steuervergünstigungen müs-
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einen der Väter unserer sozialen Marktwirtschaft, zu zi-
tieren:
Die Verstaatlichung von Monopolen löst das Mono-
polproblem nicht. Staatliche Monopole – zum Bei-
spiel der Eisenbahn oder Elektrizitätswerke – trei-
ben regelmäßig ebenso monopolistische Politik wie
private Monopole. […] Vielfach ist sogar die Nei-
gung, die Monopolposition vollständig auszunut-
zen, bei staatlichen Monopolverwaltungen größer
als bei privaten. Die staatliche Monopolverwaltung
fühlt sich nämlich zu diesem Verhalten berechtigt,
weil die Einnahmen dem Staat oder der Stadt zuflie-
ßen, also eine indirekte Steuer darstellen und nicht
zu privaten Zwecken verwendet werden. Im Übri-
gen fühlt sich der Staat viel sicherer vor einer mög-
lichen Konkurrenz; er kann zum Beispiel aufkom-
mende Substitutionskonkurrenz mit Mitteln der
Gesetzgebung beschränken.
Wenn Sie wirklich für besseren Service und niedrigere
Preise sind, dann sollten Sie sich nicht an Marx und
Lenin, sondern an Walter Eucken und Ludwig Erhardt
orientieren – das heißt, Monopole auflösen und einen
freien, fairen Wettbewerb ermöglichen. Das Problem im
Bahnverkehr ist ja gerade nach wie vor nicht, dass es
dort zu wenig Staat gäbe, sondern dass er zu oft an den
falschen Stellen tätig wird. Der Staat soll in der sozialen
Marktwirtschaft nicht die Preise diktieren, sondern ei-
nen fairen und offenen Wettbewerb um das beste Ange-
bot gewährleisten. Bei diesem Ziel sind wir, vor allem
auch im Personenverkehr, immer noch nicht weit genug
gekommen.
Die FDP-Fraktion hat ihre Haltung in dieser Frage
in der Vergangenheit mehrfach und deutlich dokumen-
tiert. Unser Nahziel ist eine strengere Trennung zwi-
schen der Infrastrukturgesellschaft DB Netz AG und den
Betriebsgesellschaften. Dazu gehört bekanntermaßen
auch die Kappung der Gewinnabführungsverträge.
Dazu haben wir das Nötige im Koalitionsvertrag gesagt.
Als Fernziel muss man auch die Privatisierung zumin-
dest einzelner Sparten im Blick behalten, auch wenn dies
derzeit sowohl aufgrund des Zustands der verschiedenen
Unternehmensteile als auch aufgrund der Bedingungen
an den Finanzmärkten nicht auf der Tagesordnung steht.
Der jetzige Zustand ist und bleibt ordnungspolitisch
nicht zufriedenstellend. Dieses Problem zu lösen, dazu
sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Links-
fraktion, einen Beitrag leisten – und nicht die Schlachten
von vorgestern noch einmal schlagen.
Bahnfahren wird schon wieder teurer – wie jedes
Jahr. Für uns Bundestagsabgeordnete kein Problem,
weil wir mit der kostenlosen Netzkarte reisen – und zwar
erste Klasse. Aber die allermeisten Leute, die umweltbe-
wusst die Bahn nutzen oder die darauf angewiesen sind,
werden übermäßig zur Kasse gebeten. Und das dürfen
wir nicht zulassen. Konkret steigen die Preise zum Fahr-
planwechsel in diesen Tagen um 3,9 Prozent im Fernver-
kehr und um 2,7 Prozent im Nahverkehr.
Wir haben mal alle Preiserhöhungen der letzten
Jahre zusammengestellt. Eine Grafik dazu finden Sie in
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Sorgen Sie dafür, dass Bahnfahren gut und günstig
wird! Mit einem einheitlichen und nachvollziehbaren
Preissystem, das deutschlandweit für den gesamten öf-
fentlichen Verkehr gilt, wie es die Schweiz mit dem „di-
rekten Verkehr“ macht. Mit Preisen, die auch für Men-
schen mit geringerem Einkommen erschwinglich sind,
und mit attraktiven Dauerkarten, um viel mehr Stamm-
kundinnen und Stammkunden für die Bahn zu gewinnen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die Bahnpreis-
spirale zu stoppen. Sorgen Sie dafür, dass die jüngste
Fahrpreiserhöhung zurückgenommen wird – so lange,
bis die Leistung stimmt!
Der Antrag der Linken zu Bahnpreisen greift ein Pro-
blem auf, das viele Menschen täglich trifft. Bahnfahren
ist in den letzten Jahren immer teurer geworden. Treu-
este Bahn-Fans wurden verprellt und steigen um: in Bil-
ligflieger. Vor allem aber spielen auch Pkw eine immer
größere Rolle. Die Nutzung von Mitfahrgelegenheiten
ist zu einem Massenphänomen geworden. Der einzige
Grund, warum sich Menschen für Fahrten quer durch
Deutschland zu dritt auf die Rückbank eines Kleinwa-
gens quetschen, liegt in den hohen Preisen der Bahn.
Viele von ihnen würden viel lieber Bahn fahren, aber bei
oft dreimal höheren Kosten ist der Anreiz einfach nicht
gegeben.
Die Analyse der Fahrtkosten in dem Antrag ist grund-
sätzlich richtig. Sie haben hier das Offensichtliche und
jedem Bekannte noch einmal fein säuberlich aufgelistet.
Leider fehlt diese Sorgfalt für Ihren Politikansatz, wie
Sie dieses Problem lösen wollen, und es werden die fal-
schen Schlussfolgerungen gezogen. Hier wird eine ein-
fache Lösung für ein sehr komplexes Problem vorgegau-
kelt. Das dürfte wahrscheinlich sehr populär sein, geht
aber an den Realitäten vorbei. Auch ich habe natürlich
nichts gegen niedrige Bahnpreise. Die Deutsche Bahn
ist jedoch ein selbstständiges Unternehmen, über das
der Bund als Eigentümer nur in strategischen Grund-
satzentscheidungen im Aufsichtsrat Einfluss nehmen
kann. Ein Eingriff in die Preisgestaltung ab Dezember
gehört hier sicher nicht dazu. Wenn Sie in die Preise der
Bahn eingreifen wollen, dann müssen Sie die gesamte
rechtliche Form des Unternehmens ändern. Wollen Sie
etwa wieder zurück zur Behördenbahn? Mit einem An-
trag zu den Preisen erreichen Sie hier gar nichts, und es
ist falsch, den Menschen in unserem Land etwas anderes
vorzugaukeln.
Auch bleiben Sie völlig unkonkret, was Sie unter einer
Reform des Preissystems verstehen und wie das umge-
setzt werden könnte. Über den Aufsichtsrat werden Sie
nur begrenzt Einfluss nehmen können. Schließlich müss-
ten Sie auch konkretisieren, was Sie mit der „Förderung
und dem Ausbau der Mobilitätskarten BC50 und
BC100“ meinen. Hierzu finden sich in Ihrer Begrün-
dung wieder ausführliche Analysen, aber leider ist nicht
zu erfahren, ob Sie hier eine Förderung aus dem Bun-
deshaushalt meinen, was das eventuell kosten würde und
womit Sie das finanzieren wollen. Dazu erwarte ich kon-
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Politiker haben wir aber die Aufgabe, nicht die Interes-
sen eines Unternehmens zu bedienen, sondern wir müs-
sen die gesamte Gesellschaft im Blick haben.
Insofern fordere ich die Kolleginnen und Kollegen
der Linken auf, konstruktiv an den Ursachen der hohen
Bahnpreise zu arbeiten und für mehr Wettbewerb auf der
Schiene zu sorgen, statt Augenwischerei zu betreiben
und eine einfache Lösung dort vorzumachen, wo ein
dickes Brett zu bohren ist.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7940 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Die Überweisung ist so
beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses zu
dem
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über ein Ge-
meinsames Europäisches Kaufrecht
KOM(2011) 635 endg.; Ratsdok. 15429/11
hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2
zum Vertrag über die Europäische Union und
zum Vertrag über die Arbeitsweise der Euro-
– Drucksachen 17/7713 Nr. A.5, 17/8000 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Eva Högl
Burkhard Lischka
Marco Buschmann
Raju Sharma
Ingrid Hönlinger
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier vor. – Sie sind damit
einverstanden.
Eines möchte ich gleich zu Beginn meiner Rede beto-
nen: Ich bin von ganzem Herzen überzeugter Europäer.
Die Europäische Union ist Garant für Stabilität und
Frieden, für Wachstum und Wohlstand in Europa – und
das seit über 50 Jahren.
Wenn der Deutsche Bundestag daher heute – zum
zweiten Mal überhaupt – eine Subsidiaritätsrüge gegen
den Verordnungsvorschlag der Kommission für ein Ge-
meinsames Europäisches Kaufrecht erhebt, hat dies rein
gar nichts mit einer europakritischen oder gar europa-
skeptischen Haltung zu tun. Im Gegenteil: Ich bin der
festen Überzeugung, dass Europa nicht nur die Antwort
auf die Schrecken der zwei Weltkriege im letzten Jahr-
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Auch ein systematischer Vergleich mit Art. 118 AEUV
bestätigt dies. Mit dieser mit dem Vertrag von Lissabon
eingeführten Vorschrift können europäische Rechtstitel
über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen
Eigentums im ordentlichen europäischen Gesetzge-
bungsverfahren geschaffen werden. Diese Rechtstitel
treten dann neben die entsprechenden Rechtstitel der
Mitgliedstaaten, ohne diese anzugleichen, zu ändern
oder zu ersetzen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass
nur in diesem begrenzten Bereich die Union die Kompe-
tenz hat, legislative Maßnahmen zu erlassen, die paral-
lel neben die mitgliedstaatlichen Regelungen treten. Das
Gemeinsame Europäische Kaufrecht kann daher nicht
auf Art. 114 AEV gestützt werden.
Dies wurde zuletzt auch durch die Sachverständigen
im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Rechtsaus-
schusses des Bundestages am 21. November 2011 bestä-
tigt.
Diese fehlende Kompetenz kann nach unserem Ver-
ständnis auch im Rahmen der Subsidiaritätsrüge geprüft
und gerügt werden. Dieses weite Verständnis entspricht
mittlerweile auch der weit überwiegenden Auffassung
im Schrifttum. Die Frage der Kompetenz ist eine der
Subsidiarität notwendig vorgelagerte Frage. Eine Klä-
rung durch den EuGH steht freilich noch aus. Falls un-
sere Rüge keinen Erfolg hinsichtlich der Rechtsgrund-
lage haben sollte, könnte im Wege einer Klage dann
auch insofern Rechtsklarheit geschaffen werden.
Ich möchte noch hinzufügen, dass ich mir vorstellen
kann, dass die Kommission diesen – nochmals: nicht
tragfähigen – Weg über Art. 114 AEUV deshalb gewählt
hat, um Mehrheitsentscheidungen bei der Einführung
und der späteren Änderung des Gemeinsamen Europäi-
schen Kaufrechts zu ermöglichen. Bei der als Alterna-
tive in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des Art.
352 AEUV wäre nämlich jeweils ein einstimmiges Votum
erforderlich. Durch dieses Prinzip der Einstimmigkeit
im Rat wäre das Vorhaben der Justizkommissarin Re-
ding zur Einführung eines EU-Kaufrechtes aber mit al-
ler Wahrscheinlichkeit gescheitert. Denn sehr viele Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union haben wie wir
erhebliche Bedenken, dass ein einheitliches EU-Kauf-
rechts erforderlich ist. Zu nennen sind hier neben
Deutschland Dänemark, Finnland, Frankreich, Groß-
britannien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Slo-
wenien und die Tschechische Republik. Die Wahl der
Rechtsgrundlage scheint mir also durchaus eine nicht
nur rechtliche, sondern auch politische Dimension ge-
habt zu haben.
Auch in der Sache glaube ich nicht, dass ein Gemein-
sames Europäisches Kaufrecht den grenzüberschreiten-
den Handel entscheidend fördern wird. Das zeigen uns
nicht nur die Erfahrungen mit dem UN-Kaufrecht. In
seltener Allianz der Verbraucher- und der Wirtschafts-
verbände wurde in der durchgeführten Anhörung des
Rechtsausschusses vielmehr bestätigt, dass entschei-
dende Barriere nicht so sehr die Unterschiedlichkeit der
jeweiligen Rechtsordnungen ist, sondern die Sprache
und die schiere räumliche Entfernung und die daraus re-
sultierenden logistischen Probleme. Das ist ein Signal,
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weiten Teilen erst durch Gerichte herausgebildet. In der
Europäischen Union gibt es aber keine einheitliche Zi-
vilgerichtsbarkeit, die diese Prägung und Fortbildung
vornehmen könnte. Vielmehr würden die unbestimmten
Rechtsbegriffe in den 27 Mitgliedstaaten durch die dor-
tigen nationalen Gerichte zunächst nach den dort herr-
schenden Prinzipien und der dort herrschenden Metho-
dik ausgelegt und angewandt. Hierbei gibt es in Europa
aber erhebliche Unterschiede – das zeigt allein der Ver-
gleich zum Case-Law-System in Großbritannien. Dies
unterscheidet sich wesentlich vom Ansatz kodifizierter
Rechtsordnungen, wie er etwa in Deutschland oder
Frankreich besteht. Folge ist, dass – sicherlich als Ex-
tremfall – ein Begriff des Verordnungsvorschlages in
27 Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt würde.
Klärung könnte nur der Europäische Gerichtshof her-
beiführen. Dieser ist von seiner Funktion, Struktur und
Ausstattung dazu allerdings gar nicht in der Lage. Über-
dies würde ein solcher Prozess – wie wiederum der Ver-
gleich der Entwicklungen der nationalen Rechtsordnun-
gen zeigt – lange Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in
Anspruch nehmen. In dieser Zeit bis zur abschließenden
Klärung würde nicht mehr, sondern weniger Rechtssi-
cherheit bestehen. In dieser Übergangszeit würde der
grenzüberschreitende Handel gerade nicht gefördert. Er
würde vielmehr wegen dieser Rechtsunsicherheit und
der damit einhergehenden höheren Transaktionskosten
gehemmt. Das sehen auch die Unternehmensvertreter so –
ihnen würden Steine statt Brot gegeben. Das wollen wir
nicht.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Der Deut-
sche Bundestag stellt sich nicht gegen die Intention der
Kommission, die Qualität und Kohärenz des europäi-
schen Rechts, namentlich des Kaufrechts, zu verbessern.
Wir glauben aber, dass hier ein falscher – und wenn man
sich das Verfahren genau anschaut: in Teilen auch über-
eilter – Weg gewählt wurde: Es fehlt an einer Kompe-
tenzgrundlage, und auch ein Bedarf für ein Gemeinsa-
mes Europäisches Kaufrecht ist bislang nicht
hinreichend belegt.
Mit unseren Bedenken stehen wir nicht allein: Auch
Großbritannien hat Subsidiaritätsrüge erhoben. Aus Ös-
terreich und Frankreich erhalten wir ähnliche Signale.
Die heute zum Beschluss vorliegende Subsidiaritäts-
rüge wird von allen Fraktionen mitgetragen – das war
uns wichtig, weil wir ein starkes Signal nach Brüssel
senden wollten. Es ist die zweite Subsidiaritätsrüge, die
der Deutsche Bundestag überhaupt erhebt. Das zeigt,
dass der Bundestag seine Mitwirkungsrechte nach dem
Lissabonner Vertrag ernst nimmt. Wir kommen damit
auch unserer Integrationsverantwortung nach, die das
Bundesverfassungsgericht angemahnt hat.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung.
Die Vorschläge der Europäischen Kommission für ein
Gemeinsames Europäisches Kaufrecht haben wir im
Rechtsausschuss außergewöhnlich intensiv erörtert.
Bereits im vergangenen Jahr haben wir bei einer Dele-
gationsreise nach Brüssel das Gespräch unter anderem
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Sachverständigen unsere Bedenken zur Nichtanwend-
barkeit von Art. 114 AEUV bestätigt haben.
Wir dürfen in der Europäischen Union nicht länger
zulassen, dass Vorhaben auf den Weg gebracht werden,
weil sie politisch opportun erscheinen, und dann eine
Rechtsnorm „passend gemacht wird“, auf deren Grund-
lage das Vorhaben auf dem vermeintlich einfachsten
Wege realisiert werden kann. Es ist ja auffällig, dass die
Kommission im vorliegenden Fall gerade nicht die na-
heliegende Klausel zur Kompetenzergänzung nach
Art. 352 AEUV heranzieht, weil diese einstimmige Ent-
scheidungen erfordert. Stattdessen wird Art. 114 AEUV
bemüht, der – wie wir alle wissen – Entscheidungen mit
qualifizierter Mehrheit vorsieht. Die Rechtsangleichung
im Binnenmarkt darf aber nicht einfach das Einstimmig-
keitserfordernis des Art. 352 AEUV aushebeln und zu ei-
nem Einfallstor für allerlei Wünschenswertes werden,
für das der EU eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung
fehlt.
Doch auch jenseits der gewählten Rechtsgrundlage
haben wir massive Bedenken bezüglich der Vereinbar-
keit des vorliegenden Verordnungsentwurfs mit den
Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
Sowohl Verbraucherverbände als auch die Vertreter der
kleinen und mittleren Unternehmen – also ausgerechnet
die Kreise, für die das Europäische Kaufrecht gedacht
ist – haben mehrfach – zuletzt im Rahmen unserer öf-
fentlichen Anhörung – bekräftigt, dass sie keine Notwen-
digkeit für ein Europäisches Kaufrecht sehen. Bei ge-
nauerem Hinsehen offenbaren dies auch die
Eurobarometer-Studien, die die EU-Kommission hierzu
selbst in Auftrag gegeben hat.
Die europäischen Verbraucherverbände befürchten
jedenfalls mittelfristig eine Abschwächung des Verbrau-
cherschutzniveaus. Zudem sehen sie die Gefahr gestei-
gerter Verbraucherverwirrung bei parallel anwendba-
ren nationalen und europäischen Kaufrechtssystemen.
Die kleinen und mittleren Unternehmen betonen, dass
schon heute im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr
keine nennenswerten Schwierigkeiten bestünden. Das
UN-Kaufrecht als bereits vorhandenes optionales Ver-
tragsinstrument habe sich bewährt. Durch die Schaffung
eines zusätzlichen optionalen Instruments in Form des
EU-Kaufrechts sei Rechtsunsicherheit zu befürchten.
Das Zivilrecht ist mit seiner Fülle an unbestimmten
Rechtsbegriffen und Generalklauseln stark richterrecht-
lich geprägt. Dabei bedarf es vieler Jahre, bis ein Be-
griff wie „sittenwidrig“ durch die Rechtsprechung aus-
gefüllt wird. Bei einem Europäischen Kaufrecht müssten
unbestimmte Rechtsbegriffe und allgemeine gesetzliche
Regelungen neu durch die Judikative ausgelegt werden.
Es existiert aber keine einheitliche europäische Zivilge-
richtsbarkeit. Der Europäische Gerichtshof ist für diese
Aufgabe weder ausgelegt noch ausreichend ausgestat-
tet, sodass eine gefestigte Rechtsprechung Jahre oder
gar Jahrzehnte dauern würde.
Hinzu kommt: Die Haupthemmnisse für grenzüber-
schreitende Geschäfte innerhalb der Europäischen
Union sind Sprachbarrieren und räumliche Distanzen.
Diese natürlichen Hindernisse lassen sich auch durch
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gliedstaaten, wenn die EU doch schon nicht zum Erlass
respektiver Maßnahmen autorisiert ist? Noch letztes
Jahr fand zu diesem Thema eine Sachverständigenanhö-
rung im Bundestag statt, und die Experten und Expertin-
nen befürworteten eine solche umfassende Auslegung
des Rügeumfangs.
Man muss sich insbesondere vor Augen führen, wel-
chen Weg die Kommission eingeschlagen hat: Wider
besseres Wissen – so scheint es mir, nachdem wir die
Sachverständigen zu diesem Thema gehört haben – hat
die Kommission als einschlägige Rechtsgrundlage die
Querschnittskompetenz des Art. 114 AEUV benannt. Da-
nach kann die Union die notwendigen Maßnahmen zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
erlassen, wenn sie die Errichtung und das Funktionieren
des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Nur findet
eben eine solche Angleichung der Rechtsvorschriften
nicht statt. Wir sprechen hier über ein zusätzliches, fa-
kultatives System. Wo liegt da eine Angleichung der na-
tionalen Rechtsvorschriften?
Und ja, es gäbe eine möglicherweise einschlägige
Vorschrift: Art. 352 AEUV. Danach kann der Ministerrat
auf Vorschlag der Kommission die geeigneten Vorschrif-
ten erlassen, wenn ein Tätigwerden der Union im Rah-
men der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche
erforderlich erscheint, um eines der Ziele der Verträge
zu verwirklichen. Diejenigen, denen die Vorschrift be-
kannt ist, müssten jetzt aufhorchen; denn zwei bedeu-
tende Verfahrensvoraussetzungen fehlen noch: Erst
nach Zustimmung des Europäischen Parlaments und bei
Einstimmigkeit des Ministerrats ist ein Tätigwerden
nach Art. 352 AEUV möglich. Mit dem Zustimmungs-
recht hat das Parlament weitreichende Einflussmöglich-
keiten auf diejenigen Vorschriften erhalten, die auf der
Grundlage der Flexibilitätsklausel erlassen werden sol-
len. Darüber hinaus darf der deutsche Vertreter im Rat
nur zustimmen, nachdem der Bundestag mit Zustim-
mung des Bundesrates ihn durch ein Gesetz gemäß
Art. 23 Abs. 1 des Grundgesetzes hierzu ermächtigt hat,
§ 8 Integrationsverantwortungsgesetz. Diese Anforde-
rungen sehenden Auges durch die Wahl einer alternati-
ven, aber nicht einschlägigen Kompetenzgrundlage un-
terlaufen zu wollen, lässt dem Deutschen Bundestag nur
eine Möglichkeit: Mit einer Subsidiaritätsrüge klar zu
adressieren, dass sich die deutschen Parlamentarier
nicht auf den Arm nehmen lassen.
Aber auch an der Verhältnismäßigkeit der durch den
Vorschlag verfolgten Regelung bestehen erhebliche
Zweifel. Zwar hat die Sachverständigenanhörung im
Hinblick auf das „Ob“ eines Gemeinsamen Europäi-
schen Kaufrechts keine endgültige Entscheidung ge-
bracht. Das Ziel, den Binnenmarkt anzukurbeln und
Transaktionskosten zu senken, ist zwar begrüßenswert,
nur stellt sich die Frage: Kann und würde dieses Ziel
mithilfe des jetzigen Kommissionsvorschlags erreicht
werden? Hierzu kann ich nur auf die Experten verwei-
sen: In einer bislang ungewohnten Übereinstimmung
sprechen sich die Vertreter der Verbraucher sowie der
Wirtschaft geschlossen gegen den Kommissionsvor-
schlag aus. Für beide Seiten entstünden durch das Ge-
meinsame Europäische Kaufrecht Nachteile. Die eigent-
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der Verordnungsentwurf. Er lässt das bestehende Zivil-
recht der Mitgliedstaaten unberührt. Zu diesem Ergeb-
nis gelangte auch die Mehrheit der Sachverständigten in
der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des
Bundestages am 21. November 2011.
Neben der fehlenden Rechtsgrundlage sprechen auch
materielle Argumente gegen den Entwurf. Die Kommis-
sion verfolgt angeblich das Ziel, Handelshemmnisse in
Europa abzubauen. Dazu sollen Transaktionskosten ge-
senkt werden, indem rechtlicher Beratungsbedarf ver-
mindert wird. Der Verordnungsvorschlag löst dieses
Problem aber gerade nicht. Er sorgt nur noch für mehr
Aufwand. Denn im Ergebnis zeugt der Entwurf 27 zu-
sätzliche rechtliche Chimären. Der Entwurf muss näm-
lich wegen seiner fragmentierenden Regelungstechnik
bei Stellvertretung, Geschäftsfähigkeit etc. auf das je-
weilige Rechtssystem der Mitgliedstaaten zurückgreifen.
Der Aufwand für Rechtsberatung wird also nicht ver-
mindert, sondern gesteigert.
Im Übrigen spricht es ja auch Bände, dass alle Frak-
tionen des Deutschen Bundestages diese Skepsis teilen.
Das könnte nicht zuletzt auch mit der Tatsache zu tun ha-
ben, dass die Kommission den Eindruck erweckt, als
wäre sie an einem echten Austausch der Argumente
nicht interessiert. Bereits Anfang des Jahres 2011 haben
wir zu dem vorangegangenen „Grünbuch zur Ein-
führung eines Europäischen Vertragsrechts“ interfrak-
tionell eine kritische Stellungnahme gegenüber der
Kommission abgegeben. Damit standen wir in dem Kon-
sultationsverfahren des Grünbuches keineswegs alleine
da. Über 300 größtenteils kritische Stellungnahmen er-
reichten die Kommission bis zum Ende des Konsulta-
tionsverfahren am 31. Januar 2011. Auch wurde in der
gesamten Bandbreite der Interessengruppen von Wirt-
schaft, Handwerk bis hin zu den Verbraucherschützern
Kritik an dem Vorhaben der Kommission geübt. Dass die
Kommission nur gut neun Monate nach Ende der Kon-
sultation einen Vorschlag vorlegt und damit behauptet,
sie hätte diese 300 Stellungnahmen gewürdigt, ausge-
wertet und den Entwurf daraufhin verbessert, ist
schlicht nicht glaubwürdig.
Daher ist diese Subsidiaritätsrüge auch ein Signal an
die Kommission, mit dem wir zu einer besseren Berück-
sichtigung der Anregungen aus Praxis, Wissenschaft, Zi-
vilgesellschaft und aus den mitgliedstaatlichen Parla-
menten aufrufen.
Bevor ich mich dem Gemeinsamen Europäischen
Kaufrecht widme, möchte ich noch eine Anmerkung zur
gemeinsamen Entschließung von Union, SPD, FDP und
Grünen zur Sache machen. Diese Entschließung der
Fraktionen im Rechtsauschuss ist inhaltlich sehr sinn-
voll und findet die Zustimmung auch der Linken. Es ist
mir sehr wichtig, das zu erwähnen. Denn es kommt nicht
oft vor, dass gerade aus den Reihen von Union und FDP
derart vernünftige Vorschläge kommen. Mancher wird
sich fragen, warum Die Linke dann die Entschließung
nicht mitgezeichnet hat, wenn sie sich schon inhaltlich
einverstanden erklärt. Der Grund dafür ist einfach:
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die Europäische Union zu verabschieden. Die Linke
wird dem zustimmen; denn anders als die Kalten Krie-
ger der Union nehmen wir unsere Verantwortung ernst.
Die europäische Integration hat mittlerweile eine
langjährige Geschichte. Einer der größten Erfolge der
Europäischen Union ist der gemeinsame Binnenmarkt.
Die Errichtung des europäischen Binnenmarkts hat den
grenzüberschreitenden Handel in der Europäischen
Union enorm erleichtert. Daher ist es grundsätzlich zu
begrüßen, dass die Kommission der Europäischen Union
den Handel im Binnenmarkt weiter ausbauen will. Dies
geschah in der Vergangenheit bereits durch vereinheitli-
chende Maßnahmen im Gesellschaftsrecht, Wettbe-
werbsrecht oder Verbraucherrecht.
Nun soll mit der vorliegenden Verordnung ein Schritt
weiter gegangen werden: Ein Gemeinsames Europäi-
sches Kaufrecht mit hohem Verbraucherschutzstandard
soll Handelshemmnisse im Binnenmarkt beseitigen. Das
Anliegen, durch die Wahl eines Gemeinsamen Kauf-
rechts die Transaktionskosten in der Europäischen
Union zu senken, halten wir generell für sinnvoll. Aber
wir fragen uns: Ist dies der richtige Schritt zur richtigen
Zeit? Sind die Bürgerinnen und Bürger in der Europäi-
schen Union schon so weit, dass sie sich auf ein
Europäisches Vertragsrecht berufen wollen, wenn sie
grenzüberschreitend einkaufen? Und vor allem: Sind es
tatsächlich die Unterschiede in den Vertragsrechten der
Mitgliedstaaten, die die Bürger davon abhalten, Ge-
schäfte in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union zu tätigen?
Wir denken, dass auch viele andere Faktoren den
Handel einschränken, wie zum Beispiel die fremde Spra-
che oder Bedenken bezüglich der Rechtsdurchsetzung in
einem anderen Staat. Erfahrungen mit dem Internatio-
nalen Kaufrecht der Vereinten Nationen haben dies be-
stätigt. Daher ist der Bedarf für eine solche Verordnung
fraglich. Besteht aber kein Bedarf, so ist die Verordnung
kein Instrument, um Handelshemmnisse zu beseitigen.
Das Gemeinsame Europäische Kaufrecht wäre dann
nicht geeignet, den Handel zu fördern.
Weitere Zweifel haben wir in Bezug auf die Wahl der
Rechtsgrundlage, auf die die Kommission ihren Verord-
nungsvorschlag stützt. Die Kommission wählt Art. 114
des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union, AEUV, als Kompetenznorm, eine Vorschrift, die
keine Einstimmigkeit für den Erlass der Verordnung vo-
raussetzt, sondern eine Mehrheitsentscheidung im Rat
der Europäischen Union ermöglicht. Art. 114 AEUV
setzt voraus, dass es sich bei der zu erlassenden Verord-
nung um eine Maßnahme zur Angleichung der nationa-
len Rechtsvorschriften handelt. Von einer Angleichung
kann hier jedoch keine Rede sein, denn die Verordnung
tritt als weiteres Vertragsrecht neben die nationalen Ver-
tragsrechte. Sie bildet ein optionales Instrument, das
Unternehmer den Käufern anbieten können, wenn sie
grenzüberschreitenden Handel tätigen. Die Regelungen,
die in der Verordnung getroffen werden, beschränken
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Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
Der vorliegende Antrag beschäftigt sich mit dem
wichtigen Thema vernachlässigter – oft armutsassozi-
ierter – Krankheiten, und es ist wichtig und richtig, dass
sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages mit die-
sem Thema auseinandersetzen. Neben dem Antrag der
Fraktion Die Linke hat sich die SPD mit einem Antrag
zum Thema positioniert, und auch die christlich-liberale
Koalition wird in Kürze einen eigenen Antrag ins parla-
mentarische Verfahren einbringen, um das sehr zu be-
grüßende Engagement der Bundesregierung in diesem
Bereich konstruktiv zu begleiten. In diesem Punkt liegen
sicherlich die größten Unterschiede zwischen unserem
Antrag und den Anträgen der Opposition.
Bezüglich der Analyse der verheerenden Auswirkun-
gen dieser Krankheiten sind wir uns sicherlich einig.
Von vernachlässigten Krankheiten sind weltweit Millio-
nen von Menschen – insbesondere in Entwicklungs- und
Schwellenländern – betroffen. Zwar führen nicht alle
Krankheitsverläufe zwangsläufig zum Tod, doch schrän-
ken die Krankheiten oftmals das Leben der Betroffenen
so stark ein, dass von einer selbstbestimmten, unabhän-
gigen Lebensführung nicht mehr gesprochen werden
kann.
Nicht so eindeutig wird allerdings oft die Frage dis-
kutiert, welche Krankheiten denn eigentlich zu den ver-
nachlässigten Krankheiten zu zählen sind. Einen guten
Anhaltspunkt gibt in dieser Frage die Weltgesundheits-
organisation, die 17 Krankheiten – wie die afrikanische
Schlafkrankheit, Leishmaniose oder Chagas – zu den
vernachlässigten Krankheiten zählt. Strittig ist, ob die
sogenannten großen Drei bzw. großen drei „Killer“
HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose auch dazu gezählt
werden können bzw. müssen. Dafür spricht, dass viele
Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern von diesen drei Krankheiten betroffen sind. So-
weit vorhanden, sind entsprechende Medikamente zur
Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose oft
sehr teuer und damit für die meisten Menschen uner-
schwinglich.
Dagegen spricht, dass den drei großen „Killern“ eine
wesentlich höhere Aufmerksamkeit als den nach WHO-
Definition ausgewiesenen vernachlässigten Krankheiten
zukommt und große Summen in die Bekämpfung dieser
Krankheiten investiert werden. Doch der Fokus liegt
hier auf den Industrieländern, also auf lukrativen Märk-
ten.
Von vernachlässigt im engeren Sinn kann also bei
HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose nicht so einfach ge-
sprochen werden. Diese Differenzierung kommt im vor-
liegenden Antrag der Linken leider zu kurz. Da in die
Erforschung dieser Krankheiten von deutscher wie von
internationaler Seite schon sehr viel Geld fließt, traf die
Bundesregierung die richtige Entscheidung, sich im
Rahmen des Förderkonzeptes „Vernachlässigte und ar-
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Ausgestaltung von Patenten und natürlich auch Fragen
der Entwicklungszusammenarbeit. Dieses breite Spek-
trum ist zwar richtig, allerdings wird bei fast allen ange-
sprochenen Punkten genauso deutlich, dass die Rollen
von Opposition und Regierungsfraktion dann doch sehr
unterschiedlich sind.
Als Beispiel möchte ich den Punkt 7 und die damit
verbundene Forderung nach jährlich 500 Millionen
Euro für die nichtkommerzielle klinische Forschung mit
dem Schwerpunkt vernachlässigte Krankheiten aufgrei-
fen. Bei allem Engagement für das Thema: Realitätssinn
sieht anders aus.
Ich finde es sehr schade, dass die Fraktion Die Linke
mit dem vorliegenden Antrag leider in vielen Punkten ei-
nen realitätsfernen Weg eingeschlagen hat, den wir
– trotz der Wichtigkeit des Themas – so nicht mittragen
können. Rechtliche und fiskalische Fantasterei sowie
Zwangsverpflichtungen helfen uns bei der Bekämpfung
von vernachlässigten und armutsassoziierten Krankhei-
ten nicht weiter.
Ich freue mich aber auf interessante Debatten zum
Thema in den kommenden Monaten und hoffe, dass sich
die Oppositionsparteien unseren bald vorliegenden
– realistischen – Forderungen anschließen werden, um
das Thema mit der gebotenen Ernsthaftigkeit voranzu-
treiben.
Der Antrag der Linken ist klar abzulehnen, da er halt-
los ist, jeder Grundlage entbehrt und die Tatsachen ver-
dreht. Als Oppositionspartei will sie – wie unter Punkt 7
im Antrag gefordert – „die nichtkommerzielle For-
schung mit einer halben Milliarde jährlich aus Bundes-
mitteln fördern“. Das ist abenteuerlich. Aber von der
Linkspartei kennen wir das nicht anders: Immer voll-
mundig Geld ausgeben wollen, aber nicht sagen, wie es
bezahlt werden soll, wer es bezahlen soll und ob die In-
vestitionsmittel nachhaltig eingesetzt werden.
Etwas Positives gibt es dennoch in diesem Antrag:
Einige Punkte sind tatsächlich eins zu eins aus unserem
Antrag zu Zeiten der großen Koalition übernommen
worden. Diese werden auch schon längst umgesetzt. Das
ist offensichtlich an der Linkspartei vorbeigegangen, da
sie sich mit diesem Thema augenscheinlich nur ober-
flächlich beschäftigt hat.
Ich kann und möchte gar nicht auf alle 26 geforderten
Punkte des Antrages eingehen, aber einige sollen schon
angesprochen werden. Die Erforschung der vernachläs-
sigten und armutsassoziierten Krankheiten müssen wir
weiter fördern, da über eine Milliarde Menschen darun-
ter leiden. Zu diesen Krankheiten mit katastrophalen
Folgen oder gar tödlichem Verlauf zählen: HIV, Mala-
ria, Tuberkulose, Chagas, das Dengue-Fieber oder die
Leishmaniose. Das sind nur einige der 17 vernachläs-
sigten Krankheiten, die die WHO aufführt.
Wir fördern die Grundlagenforschung, die präklini-
sche Forschung und die klinische Phase an vielen uni-
versitären und außeruniversitären Einrichtungen, Ten-
denz steigend. Mit der Gründung eines Deutschen
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Bundestag dieses Themas angenommen und einen Un-
terausschuss „Gesundheit in Entwicklungsländern“
– der sich auch mit den vernachlässigten Krankheiten in
diesen Ländern befasst – eingerichtet hat, der dem
Thema angemessenes Gewicht im parlamentarischen
Raum verleiht.
Dass die Thematik der vernachlässigten Krankheiten
vielschichtig ist und nicht nur die Dimension der Ent-
wicklungspolitik betrifft, sondern auch wichtige Impli-
kationen für die Forschungspolitik in Deutschland mit
sich bringt, wird auch an dem heute zur Debatte stehen-
den Antrag der Fraktion Die Linke deutlich: Die Schaf-
fung von Grundlagen für eine nachhaltige Bekämpfung
der vernachlässigten Krankheiten beschränkt sich nicht
ausschließlich auf unsere Bemühungen in den Ziellän-
dern, sondern hängt auch ganz konkret von forschungs-
politischen Weichenstellungen hier in Deutschland ab.
Das grundsätzliche Anliegen des hier zu debattierenden
Antrags, der Thematik der vernachlässigten Krankhei-
ten auch in der Forschungsförderung des Bundes mehr
Gewicht zu verleihen, können wir nachvollziehen. Dies
wird im Grundsatz auch vonseiten der SPD-Bundestags-
fraktion befürwortet.
Nach eingehender Lektüre des Antrags kommen uns
jedoch erhebliche Zweifel, ob dieser Rundumschlag der
Fraktion Die Linke der Sache bzw. dem Ziel wirklich
dienlich ist. Vielmehr kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass dieser Antrag sich auf zahlreichen Ne-
benschauplätzen verliert und zudem mit einer Reihe un-
reflektierter und unrealistischer Forderungen gespickt
ist.
Da wäre zunächst die unter Punkt 7 erhobene Forde-
rung, die nichtkommerzielle klinische Forschung mit
jährlich 500 Millionen Euro zu fördern. Mit einem Blick
auf den Forschungsetat des Bundes, der ein Gesamtvo-
lumen von circa 13 Milliarden Euro umfasst, wird deut-
lich, dass eine Forderung in dieser Größenordnung als
wenig realistisch einzustufen ist. Mit unrealistischen
Forderungen dieser Art ist den Betroffenen in den jewei-
ligen Zielländern nur wenig geholfen: Wie zielführend
ist eine Forderung nach Mitteln, die der Haushalt nicht
hergibt? Zumal eine Förderung von klinischer For-
schung in dieser Höhe einseitig Mittel im Forschungs-
haushalt binden würde. Dies ist weder ausgewogen noch
nachhaltig, zumal eine Mittelaufstockung in diesem Be-
reich unweigerlich Kürzungen an anderer Stelle zur
Folge hätte, etwa im Bereich der Grundlagenforschung.
Auf diese Weise könnte es auch negative Rückwirkungen
auf die Bekämpfung der vernachlässigten Krankheiten
geben: etwa wenn durch eine mangelnde Finanzierung
der Grundlagenforschung die Entdeckung neuer, viel-
versprechender Wirkstoffe gegen vernachlässigte
Krankheiten nicht ermöglicht wird.
Daneben weist der vorliegende Antrag noch zahlrei-
che weitere unreflektierte Appelle auf. Ich will an dieser
Stelle nur auf die Forderung eingehen, die die öffentli-
che Förderung klinischer Studien zwangsläufig an die
Auflage einer Open-Access-Publikation binden möchte.
Ich halte es für richtig, darüber nachzudenken, wie mit
Ergebnissen aus öffentlich finanzierter Forschung um-
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ausdrücklich dem Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Braun im BMBF für sein Engagement. In diesem
Falle hat die Kanzlerin die weise Entscheidung getrof-
fen, dass das BMBF für die PDP zuständig sein soll.
Hätte man dies dem Minister Niebel überlassen, würden
heute vermutlich keine Gelder mehr zur Verfügung ste-
hen. Dies zeigt die Einstellung der Förderung für die
Mikrobizidforschung deutlich.
Wenn jetzt unsere Forderung aus dem vergangenen
Jahr, PDP mit 100 Millionen Euro zu fördern, noch um-
gesetzt wird und dann Förderung auch auf die Bereiche
Aids/HIV und Tuberkulose ausgedehnt würde, wären wir
einen großen Schritt weiter.
Einen großen Schritt können wir auch gehen, wenn
wir endlich eine stärkere Kohärenz zwischen nationalem
und europäischen Handeln in der Forschung erreichen.
Deswegen setzen wir uns für eine Einbeziehung der PDP
in das 8. Forschungsrahmenprogramm der EU ein.
Ein anderer Weg ist das Projekt TBVI, das über Bürg-
schaften durch die Europäischen Mitgliedstaaten die
Finanzierung der Forschung und Entwicklung eines
Impfstoffes gegen Tuberkulose erreichen möchte. Auch
dieses Projekt unterstützen wir ausdrücklich.
Die SPD-Fraktion hat bereits im vergangenen Jahr
einen Antrag vorgelegt, der Maßnahmen zur verbesser-
ten Medikamentenversorgung in den Entwicklungslän-
dern aufzeigt. Dass jetzt ein weiterer Antrag vorliegt,
der unsere Forderungen unterstützt, lässt mich hoffen,
dass sich bald auch die Mehrheit des Hauses für eine
Verbesserung der Forschungs- und Versorgungssitua-
tion mit Medikamenten für die Armen dieser Welt einset-
zen wird.
Es wäre sehr schön, wenn alle Menschen weltweit un-
geachtet ihrer Kaufkraft Zugang zu den für sie notwen-
digen Medikamenten und Produkten hätten. So weit sind
wir natürlich noch lange nicht. Wir nähern uns so gro-
ßen Zielen Schritt für Schritt. Einer davon ist das För-
derkonzept für Forschung und Entwicklung zu vernach-
lässigten Krankheiten und zu solchen Krankheiten, bei
denen Armut eine große Rolle spielt. Es sind meist Infek-
tionskrankheiten, und sie führen in Entwicklungs- und
Schwellenländern dazu, dass sehr viele Menschen chro-
nisch krank sind oder früh sterben. Besonders die soge-
nannten Großen Drei – Malaria, HIV/Aids und Tuberku-
lose – haben eine hohe Sterblichkeit zur Folge. An der
Diagnose und Behandlung dieser Krankheiten wird seit
langem und auch erfolgreich geforscht. Die Weltgesund-
heitsorganisation zählt weitere 17 tropische Krankhei-
ten zu den sogenannten vernachlässigten Krankheiten,
für die es bisher keine oder nur unzureichende Behand-
lungsmöglichkeiten gibt.
Sie meinen, der pharmazeutische Markt versage in
der Bereitstellung entsprechender Produkte. Das sehen
wir Liberalen anders. Wenn die Pharmaindustrie sich
auf Medikamente konzentriert, mit denen sich Gewinne
erzielen lassen, ist das kein Versagen und auch nicht
moralisch verwerflich, sondern das ist markt-
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adäquaten Behandlungsmethoden gibt. Denn nur zehn
Prozent der globalen Forschungsausgaben fließen in
Krankheiten, die etwa 90 Prozent zur globalen Krank-
heitslast beitragen. Zu den vernachlässigten Krankhei-
ten zählen heute laut der Weltgesundheitsorganisation
WHO vor allem noch Malaria und Tuberkulose sowie
weitere 17 tropische und armutsassoziierte Krankheiten.
Die Pharmaindustrie betreibt indes lieber Wirkstoff-
forschung für Wellnessmedikamente, die später große
Gewinne in den Industrieländern versprechen, anstatt
den lebensnotwendigen Bedarf in den Entwicklungslän-
dern zu bedienen. So forschen Wissenschaftler jahrelang
an einem Wirkstoff gegen Haarausfall, statt einen le-
bensrettenden neuen Tuberkulosetest zu entwickeln.
Kein anderes Beispiel zeigt das ganze Ausmaß des Di-
lemmas deutlicher: Wollen Ärzte heute eine Tuberkulose-
infektion nachweisen, sind sie im Grunde immer noch
abhängig von der Methode, die Robert Koch vor über
100 Jahren entwickelt hat – ein Test, der zudem nicht
sehr genau ist. Infizierte werden so schlussendlich nicht
behandelt und stecken weitere Menschen an.
Unterdessen sind wir auf den Mond geflogen und ha-
ben Atome gespalten. Aber für eine Krankheit, die in nur
einem einzigen Jahr nach Schätzungen der WHO über
1,8 Millionen Menschen tötet, haben wir noch nicht ein-
mal neue Methoden bei der Diagnostik entwickelt! Für
die Menschheit im 21. Jahrhundert ist es ein absolutes
Armutszeugnis, dass die Tuberkulose immer noch die
weltweite Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten
anführt.
Gleichzeitig investiert die Pharmaindustrie doppelt
so viel Geld in Marketing wie in Forschung. Durch die
profitgeleitete Schwerpunktsetzung auf unwichtige
Krankheitsbilder und Werbemaßnahmen erzielen die In-
vestitionen heute kaum mehr einen therapeutischen
Mehrwert.
Eine Ausnahme bildet der Kampf gegen HIV/Aids:
Dieser war in den letzten Jahrzehnten in vielen Berei-
chen sehr erfolgreich. Das macht Hoffnung. Die Weltge-
meinschaft hat beweisen, dass sie die notwendigen Res-
sourcen mobilisieren kann, wenn sie will. Wir dürfen
aber in unseren Bemühungen nicht nachlassen. Die
Bundesregierung, und hier namentlich Dirk Niebel, tap-
pen aber blauäugig genau in diese Falle: die mangelnde
finanzielle Unterstützung für den Globalen Fonds zur
Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose genau
in dem Moment infrage zu stellen, wo erste Erfolge zu
verzeichnen sind. Das gefährdet unmittelbar Menschen-
leben. Es ist bedauernswert, dass Schwarz-Gelb trotz
eindringlicher Appelle aller Oppositionsparteien und
mit dem Thema befassten zivilgesellschaftlichen Organi-
sationen diesen Fehler begeht.
Öffentlich geförderte Grundlagenforschung in den
Industrieländern ist häufig die Basis für neue Pharma-
entwicklungen. Die Politik nutzt die ihr dadurch entste-
henden direkten Einflussmöglichkeiten bisher allerdings
kaum.
Wenn ein Pharmakonzern mithilfe von Patenten über-
höhte Preise durchsetzt, behindert dies die weiterge-
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Vernachlässigte Krankheiten und der universelle Zu-
gang zu Medikamenten ist neben dem Aufbau von sozia-
len Sicherungssystemen ein wichtiges Thema in der
Entwicklungs- und internationalen Gesundheitspolitik.
Krankheiten fördern Armut und haben entscheidende
sozioökonomischen Konsequenzen, ganze Gesell-
schaften sind in ihrer Entwicklung durch die enorme
Krankheitslast gehindert. Vernachlässigte Krankheiten
sind aber ebenso Ergebnis von missachteten Menschen-
rechten. Wir stehen in der Verpflichtung, diese um-
zusetzen, Menschenrechte sind nicht verhandelbar.
Wir Grünen begrüßen in diesem Zusammenhang die
neue Förderungslinie des BMBF für Produktentwick-
lungspartnerschaften im Bereich der vernachlässigten
und armutsbedingten Krankheiten. Allerdings ist die
jährliche Förderungssumme von 5 Millionen Euro nur
ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir Grünen haben da-
her auch in unserem Änderungsantrag zum Haushalt für
diesen Titel einen Aufwuchs von 20 Millionen Euro
gefordert.
Es braucht aber noch mehr, um für die 1,3 Milliarden
Menschen, die von diesen Krankheiten bedroht sind,
eine Perspektive zu schaffen. Gerade die Gelder, die in
die öffentliche Forschung investiert werden, müssen mit
sozialen Kriterien verknüpft werden können. Pri-
vatwirtschaftliche Unternehmen wie Pharmakonzerne,
die die Ergebnisse aus öffentlichen Forschungseinrich-
tungen nutzen, müssen sich der Gesellschaft gegenüber
verantworten und sicherstellen, dass es eine sozialver-
trägliche Verwertung der Ergebnisse gibt.
Vernachlässigte Krankheiten kämpfen vor allem mit
zwei zentralen Problemen: erstens mit einer eklatanten
Forschungslücke und zweitens mit einer großen Versor-
gungslücke. Es gibt zu wenige oder zu wenig geeignete
Medikamente für Krankheiten, die insbesondere in
ärmeren Ländern auftreten. Von 1 556 Neuzulassungen
zwischen 1974 und 2004 gab es nur 21 für vernachläs-
sigte Krankheiten, einschließlich Malaria und Tuberku-
lose. Ebenso ermöglicht das derzeitige Patentrecht den
Pharmaunternehmen Monopolrechte und damit die
Möglichkeit, so hohe Medikamentenpreise zu erheben,
dass viele Menschen – insbesondere in Entwicklungs-
und Schwellenländern – sich das Medikament nicht leis-
ten können. Hier werden falsche Anreize gesetzt. Nicht
die Gesundheitsrendite, also der größtmögliche gesell-
schaftliche und gesundheitliche Nutzen, ist ausschlagge-
bend, sondern die größten Gewinnchancen. Gesundheit
ist aber ein Menschenrecht. Mit der Doha-Erklärung
von 2001 zum WTO-Übereinkommen über handelsbezo-
gene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, den
sogenannten TRIPS-Abkommen, haben sich die WTO-
Staaten verpflichtet, die öffentliche Gesundheit zu schüt-
zen und den Zugang zu Medikamenten zu fördern. Das
war ein wichtiger Schritt. Allerdings lassen sich die
TRIPS-Flexibilitäten, die die Umsetzung dieser Aspekte
sicherstellen sollen, oftmals nur schwer durchsetzen.
Hinzu kommt, dass wir mittlerweile beobachten müssen,
dass vor allem durch Freihandelsabkommen versucht
wird, TRIPS-Flexibilitäten gravierend einzuschränken
und verschärfte Regelungen in Bezug auf geistiges
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Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Kudla
Peer Steinbrück
Joachim Spatz
Dr. Diether Dehm
Dr. Frithjof Schmidt
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Lisa Paus, Viola von Cramon-Taubadel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ein starker Haushalt für ein ökologisches und
solidarisches Europa – Der Mehrjährige Fi-
nanzrahmen 2014–2020
– Drucksache 17/7952 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Die Reden werden, wie in der Tagesordnung ausge-
wiesen, zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier bei uns vor.
Wir beraten heute in zweiter Lesung den Antrag der
CDU/CSU und FDP zum Mehrjährigen Finanzrahmen
der EU 2014 bis 2020. Ebenso beraten wir einen Antrag
der SPD zum gleichlautenden Thema. Die Beratungen
sind geprägt von der aktuell schwierigen Situation der
Refinanzierung von Staaten. Die Krise hat zwei Ursa-
chen: zu hohe Staatsverschuldung und mangelnde Wett-
bewerbsfähigkeit. Daher muss die Prioritätensetzung
des Mittelfristigen Finanzrahmens besonders auf dem
Gebiet der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der ein-
zelnen Staaten liegen. Dies ist natürlich leichter gesagt
als getan.
Aber eines ist unstrittig: Investitionen und nicht kon-
sumtive Ausgaben müssen der Schwerpunkt des Finanz-
rahmens sein – und zwar nachhaltige Investitionen. Eine
Investition ist ja immer langfristig angelegt. Dass inner-
halb der Mittelfristigen Finanzrahmens die Schwer-
punkte besonders in den südeuropäischen Ländern in
der Vergangenheit nicht immer richtig gesetzt wurden,
haben Abgeordnete anderer europäischer Parlamente
selbst bestätigt. Folglich gilt es, sowohl Planung als
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verschuldet ist, so einfach aufgeben. Auch dürfen keine
Finanzinstrumente und Fondskonstruktionen eingeführt
werden, die zu einer Verschuldung des europäischen
Haushaltes führen. Deswegen lehnen wir auch in unse-
rem Antrag die Einführung von Euro-Bonds nochmals
strikt ab.
Es verwundert schon sehr, wie leichtfertig die Oppo-
sition hier unserer deutschen Bevölkerung zumuten will,
für Schulden anderer Länder zu haften. Eine solche
Politik wäre völlig verantwortungslos. Sie würde
Deutschland unter Umständen in den Abgrund führen.
Sie würde Deutschland in eine Situation bringen der
übermäßigen Verschuldung – aus einer Situation, aus
der sich auch ein wirtschaftlich starker Staat nicht mehr
befreien könnte. Unserer eigener Wohlstand und auch
damit unserer Sozialsysteme wären gefährdet. Europa
würde nicht weiter zusammenwachsen, sondern eher
auseinanderdriften, da man unserer Bevölkerung das
Projekt Europa dann auch nicht mehr vermitteln könnte,
da es zu erheblichen Ungerechtigkeiten führen würde.
Deutschland hat selbst ein Schuldenstand von rund
80 Prozent des Bruttosozialproduktes. Wir können nicht
noch für Schulden anderer Länder aufkommen. Wir kön-
nen daher auch nicht unsere Nettozahlerposition ver-
schlechtern. Es ist geradezu eine Hybris, wie die SPD in
ihrem Antrag mit dem Steuergeld unserer Bürger um-
geht, indem sie sagt, dass wir quasi Milliarden mehr
zahlen sollen. Die Zukunft Europas liegt darin, dass wir
die Menschen mitnehmen. Die Menschen sind bereit, in
der Krise solidarisch zusammenzustehen und sich als
Europäer zu verstehen. Diesen Vertrauensvorschuss
dürfen wir nicht mit Euro-Bonds, mit nicht abzuschät-
zenden Risiken oder Blankoschecks verspielen.
Wenn wir uns heute auf Antrag der Koalitionsfraktio-
nen, auf Antrag der CDU/ CSU und der FDP, mit dem fi-
nanziellen Geschehen der Haushaltspolitik in der Euro-
päischen Union befassen, dann sprechen wir ein Thema
an, das auch außerordentlich gut in die innenpolitische
Situation Deutschlands passt. Auch wir haben vor weni-
gen Tagen den Bundeshaushalt 2012 verabschiedet.
Auch wir wollen innerstaatlich bei uns in Deutschland,
sozusagen als Hausaufgabe, nachhaltig haushalten und
verantwortungsvoll unsere Haushaltspolitik umsetzen,
um die Grundpfeiler der Stabilität in Deutschland wie-
der zu gewährleisten.
Diese von uns und für uns vorgegebenen Rahmen-
richtlinien müssen auch für andere gelten. Wir wissen,
dass ausschließlich stabilitätsorientierte Haushaltspoli-
tik und stabilitätsorientiertes Wirtschaften die Schlüssel
für die Zukunft sind. Die jetzige Finanzkrise in Europa
hängt ja großenteils damit zusammen. Es sind in den
letzten Jahren außerordentlich viele Fehler gemacht
worden. Deutschland hat nicht das Recht, mit Fingern
auf andere zu zeigen.
Gerade in der Zeit der rot-grünen Koalitionsregie-
rung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, unter dem
Vizekanzler Fischer und unter dem sozialdemokrati-
schen Finanzminister Hans Eichel hat Deutschland in
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Für mich ist unerheblich, ob die Fehlerquellen im
EU-Räderwerk, in Brüssel selbst, ihre Ursache haben
oder nach Zuteilung auf die europäischen Länder. Der
Bericht des Europäischen Rechnungshofes ist geradezu
erschreckend. Gerade bei Ländern, die offensichtlich
sehr leichtfertig mit europäischem Geld umgehen, ist es
unabdingbar notwendig, mit ganz besonderer Akribie
„hinzuschauen“.
Größtes Augenmerk muss dabei auf den EU-Ausga-
benbereich „Kohäsion, Energie und Verkehr“ gelegt
werden. Man muss sich die Zahlen ja geradezu zweimal
anschauen. Beim ersten Lesen meint man, man sei einem
Schreib- oder Lesefehler unterfallen, wenn der Rech-
nungshof angibt, dass von 243 geprüften Zahlungen im
genannten Bereich geradezu die Hälfte fehlerhaft ist,
nämlich 49 Prozent. Diese unglaublich anmutende Feh-
lerquote ist nicht singulär. Schon im Jahr 2009 gab es
ähnliche Beanstandungen.
Jetzt, im Jahr 2010, wird mit einer Gesamtfehlerquote
von circa 7,7 Prozent gerechnet. Aus diesem Grunde ist
es geradezu ein Gebot des Augenblicks, dass insbeson-
dere für Spanien und Italien, also jenen Staaten, die sich
am meisten in unverantwortlicher Weise aus diesen
Haushaltstiteln bedienen, ein Zahlungstopp verordnet
wird. Nach den mir vorliegenden Zahlen schuldet Spa-
nien der EU allein im Kohäsionsbereich 2,9 Milliarden
Euro, Italien 930 Millionen Euro. Alleine an diesen Zah-
len ist erkennbar, dass die EU mit einem auf 1 Prozent
des Bruttonationaleinkommens begrenzten Haushalt
– immer noch eine gigantische Summe von fast 1 Billion
Euro – durchaus auskommen kann, insbesondere dann,
wenn man die eigenen Missstände abbaut.
Die eigenen Versäumnisse aufrechtzuerhalten, um in
das „Fass ohne Boden“ die nationalen Gelder einflie-
ßen zu lassen, das wäre fürwahr die banalste Art. Mit
„Wirtschaften“ im wahrsten Sinne des Wortes hat das
nichts mehr zu tun. Wirtschaften bedeutet, mit knappen
Gütern sinnvoll umzugehen. Sinnvoller Umgang scheint
mir nicht gegeben zu sein.
Die Sache ist für EU-Behörden deshalb einfach, weil
sie mit fremdem Geld, nämlich den Beiträgen aus den
EU-Ländern, in einer nicht zu rechtfertigenden Großzü-
gigkeit umgehen. Auch bei EU-Agenturen müssen wir zu
echter Erfolgskontrolle kommen. All diese 43 Agenturen
müssen einer unmittelbaren politischen Kontrolle unter-
stellt werden.
Auch mit einem anderen Unfug muss aufgehört wer-
den: Geradezu jedes EU-Mitgliedsland, das für ein hal-
bes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, hat sich
scheinbar mit der Einrichtung einer „eigenen neuen
Agentur“ bedient, eines zusätzlichen Wasserkopfes, der
wie zum Beispiel die Agentur für Grundrechte in Wien
von den EU-Mitgliedstaaten dauerhaft bezahlt werden
muss.
Wegen der Kürze der Redezeit kann nicht auf jeden
Punkt eingegangen werden. Demnach unterstütze ich
ausdrücklich, dass der Anteil der Agrarpolitik am Ge-
samthaushalt deutlich verringert wird. Der Haushalts-
vorschlag des Bundesministeriums für Ernährung mit
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Die Debatte über den neuen Mehrjährigen Finanz-
rahmen und den EU-Haushalt müssen wir daher mit
Blick auf die politischen Prioritäten und weniger mit ei-
nem auf Nettozahlungsströme führen. Gerade in der Si-
tuation, in der sich der Prozess der europäischen Inte-
gration befindet, ist das entscheidend.
Wichtig sind Antworten auf die Fragen, was wir mit
dem Budget finanzieren wollen, wo Europa hin will und
was es leisten soll, wie es sich gegenüber anderen auf-
strebenden Mächten in Asien und Südamerika aufstellt
und welches die europäischen Vorhaben sind, die einen
Binnenmarkt mit 500 Millionen Menschen für die Zu-
kunft sichern, Innovationen bereitstellen und Wohlstand
generieren können?
Bei der Beantwortung müssen wir bereit sein, ausrei-
chende Mittel zur Verfügung zu stellen, ohne dabei au-
ßer Acht zu lassen, dass Investitionen in einen Haushalt
auch Wirkung erzielen müssen. Wir müssen über den na-
tionalen Tellerrand das große Ganze, das europäische
Projekt, im Blick haben. Die Aufstellung einer finanziel-
len Grundlage Europas unabhängig von gemeinsamen
politischen Zielen muss Stückwerk bleiben.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen der öffent-
lichen Haushalte weniger Mittel für den EU-Haushalt
bereitstellen zu wollen, ist nachvollziehbar. Wir müssen
nur aufpassen, dass wir nicht über das Ziel hinausschie-
ßen. Bei allen Konsolidierungsanstrengungen muss der
neue Haushalt auch den neuen Aufgaben der EU nach
dem Vertrag von Lissabon gerecht werden. Wir müssen
den Aufgabenbereich Außenpolitik – mit dem Europäi-
schen Auswärtigen Dienst – und den Innen- und Justiz-
bereich angemessen ausstatten. Wir haben es mit erheb-
lichen Herausforderungen im Bereich des Klimawandels
und der Umweltpolitik zu tun, mit der Notwendigkeit in
europäische Infrastruktur zu investieren. Wir müssen au-
ßerdem verhindern, dass die EU-2020-Strategie scheitert
und eine kohärente Wirtschaftspolitik, die zur Erholung
angeschlagener Volkswirtschaften notwendig ist, mög-
lich wird. Dies würde im originären Sinne einen euro-
päischen Mehrwert des Finanzrahmens ausmachen.
Ein wesentliches Ziel muss also die Balance zwischen
einer effizienten Gestaltung der Ausgaben und einer
ausreichenden Ausfinanzierung europäischer Politik
sein. Die Finanzen der EU müssen zu einem glaubwür-
digen und substanziellen Baustein der neuen Wachs-
tumsstrategie „EU 2020“ werden. Sie müssen nachhal-
tiges Wachstum generieren, Beschäftigung fördern und
wichtige Zukunftsfelder, wie Forschung, Innovation und
Energieeffizienz voranbringen. Sie müssten außerdem
behilflich sein, die für die Union schädlichen Wettbe-
werbsunterschiede zu überwinden.
Die Unwuchten des EU-Haushaltes sind historisch
gewachsen und spiegeln schwierige Kompromisse in
den letzten Jahrzehnten wider. Ein Großteil der Mittel
soll auch in der nächsten Periode in die Gemeinsame
Agrarpolitik und die Struktur- und Kohäsionsfonds flie-
ßen. Für die Agrarpolitik sind im Jahr 2020 noch immer
33 Prozent des Budgets vorgesehen. Wir werden es also
mit einem langsamen Abschmelzen zu tun haben, aber
auch 33 Prozent sind für einen Sektor, der keine 3 Pro-
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benstruktur so ausgerichtet wird, wie ich es eben be-
schrieben habe, also das Budget zu einem Planungs-
instrument zukunftsorientierter Politiken entwickelt
wird.
Ich erwarte mit einiger Spannung, wie sich die Bun-
desregierung bei den Verhandlungen zu den leidigen
Korrekturmechanismen schlagen wird. Der deutsche Ra-
batt auf den Briten-Rabatt läuft aus und das Prinzip der
Beitragsgerechtigkeit könnte auch weiterhin Korrektur-
mechanismen notwendig machen. Dabei ist aus unserer
Sicht ein allgemeiner und deutlich vereinfachter Korrek-
turmechanismus, der ungerechtfertigten Ungleichge-
wichten entgegenwirkt, sinnvoller als Sonderregelungen
für bestimmte Mitgliedstaaten. Bei diesen Gesprächen
wünsche ich den deutschen Vertretern eine gute Reise,
aber dennoch viel Erfolg.
Zum Schluss: Europa steht an einem Scheideweg, so-
wohl in der kurzfristigen Bewältigung der Staatsschul-
denkrise als auch in der Entwicklung einer langfristigen
Vision eines Europas der Zukunft. Mit einem fortschritt-
lichen und ambitionierten Finanzrahmen für die Jahre
2014 bis 2020 hätten wir einen wichtigen Schritt schon
getan. Ich kann daher an die Bundesregierung nur ap-
pellieren, Kleinmut und Zaghaftigkeit für das zentrale
europäische Planungsinstrument hintanzustellen und
politische Prioritäten des reinen Saldos vorzuziehen.
Europa lohnt sich, auch wenn es etwas kostet.
Lassen Sie mich, kurz bevor ich auf die grundlegen-
den inhaltlichen Aussagen unseres Koalitionsantrags
zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab 2014 zu
sprechen komme, auf das Verfahren und die frühzeitige
Beratung und Verabschiedung des Antrages eingehen.
Auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm, in der
das Gericht unterstreicht, dass der Bundestag bei we-
sentlichen haushaltspolitischen Fragen der Einnahmen
und Ausgaben nicht in die Rolle des bloßen Nachvoll-
zugs gedrängt werden darf, freut es mich besonders,
dass dem EU-Haushalt und seiner strategischen Neu-
ausrichtung für die kommenden sieben Jahren erstmals
in der vergangenen Haushaltswoche Platz in der immer
eng getakteten Haushaltsdebatte eingeräumt worden ist.
Denn: Auch wenn ein neuer Eigenmittelbeschluss noch
de jure der nachträglichen Zustimmung des Deutschen
Bundestages bedarf, wissen wir doch alle, dass nach
jahrelangen Verhandlungen, nach schwierigster Kom-
promisssuche und dem für Europa auch wichtigen und
notwendigen Interessensausgleich zwischen großen und
kleinen, neuen und alten, Agrar- und Nicht-Agrarlän-
dern ein Nein de facto dann nicht mehr möglich ist.
Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich der Deutsche
Bundestag frühzeitig in die Verhandlungen einbringt
und der Bundesregierung einen klaren Rahmen für ihre
Verhandlungen auf europäischer Ebene in diesem frühen
Stadium mit auf den Weg gibt. Natürlich muss der Deut-
sche Bundestag vor seiner abschließenden inhaltlichen
Bewertung die Vorlage und Beratung aller Legislativ-
vorschläge für die einzelnen Ausgabenbereiche abwar-
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aus öffentlichen Mitteln sollte im Prinzip degressiv und
befristet sein. Wir müssen uns ehrlich fragen: Welchen
europäischen Mehrwert und welche Wirkung hat uns
diese oder jene Politik gebracht und was bringt diese
uns für die Zukunft?
Natürlich – und das bedingt auch das Wort Degres-
sion – dürfen Erfolge bei der Förderung nicht durch
plötzliche Brüche gefährdet werden. Deshalb wollen wir
beispielsweise im Bereich der Struktur- und Kohäsions-
politik nicht nur Verbindungen zwischen den Kohäsions-
und Konvergenzzielen sowie dem Ziel der Steigerung
der Wettbewerbsfähigkeit herstellen, sondern gleichzei-
tig die Erfolge der Strukturpolitik in Bezug auf die posi-
tive wirtschaftliche Entwicklung vieler Regionen da-
durch sichern, dass für diejenigen Regionen, die
absehbar aus dem Konvergenzziel herausfallen werden,
sowie für die aktuellen Phasing-out-Regionen ein
Sicherheitsnetz in Höhe von zwei Dritteln der Förderung
aus 2007 bis 2013 etabliert wird.
Dies gilt auch für den zweiten sehr großen Posten im
EU-Haushalt, dem Agrarbereich. Hier ist das Ziel, einen
marktorientierten, wettbewerbsfähigen und umweltver-
träglichen EU-Agrarsektor zu schaffen, was sich dann
auch in einem sinkenden Anteil des Agrarbereichs am
Gesamthaushalt widerspiegeln muss. Dieser weitere Re-
formweg, unter anderem durch den Vollzug der Entkop-
pelung von der Produktionsart auch in allen übrigen
EU-Ländern, ist eine wichtige Voraussetzung, um eine
Absenkung der Direktzahlung fortzuführen, ohne land-
wirtschaftliche Betriebe existenziell zu gefährden – wie
wir dies auch ausführlich in unserem Antrag dargelegt
haben.
Leider bleibt mir nicht genügend Zeit, auf jeden Poli-
tikbereich ausführlich einzugehen. Ich möchte jedoch
unterstreichen, dass für die FDP-Fraktion neben der
allgemeinen Förderung der Wettbewerbsfähigkeit in al-
len Politikbereichen insbesondere die Stärkung der In-
novationskraft der EU als ein Kernelement der Europa-
2020-Strategie die Zukunftsfähigkeit Europas sichert.
Prioritäre Ziel müssen deshalb Forschung und Entwick-
lung, Bildung und der Ausbau grenzüberschreitender In-
frastruktur sein.
Uns als bürgerlich-liberale Koalition ist es gerade in
Zeiten der notwendigen öffentlichen Haushaltskonsoli-
dierung wichtig zu betonen, dass eine ausschließliche
Finanzierung des Netzausbaus mit EU-Haushaltsmitteln
aus ordnungspolitischer Sicht nicht die Lösung sein
kann und zur Realisierung notwendiger Zukunftsinves-
titionen zusätzlich auch privates Kapital mobilisiert
werden muss. Bei der Planung und Finanzierung des
Ausbaus von Energie- sowie Informations- und Kommu-
nikationstechnologienetzen sind wir zudem der Mei-
nung, dass bis auf wenige bestimmte Ausnahmefälle wie
beispielsweise bei der Peripherieproblematik dies Sache
der Privatwirtschaft bleiben muss.
Während wir uns als Koalition privatwirtschaftliche
Projektanleihen zur Erschließung neuer Finanzierungs-
quellen für Infrastrukturprojekte unter bestimmten
Voraussetzungen – keine Erhöhung der mittel- bis lang-
fristigen Finanzierungslasten der nationalen Haushalte,
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Durch diese anderen privatwirtschaftlichen Projekt-
anleihen verbliebe zudem noch mehr Spielraum im
Haushalt, den neu geschaffenen institutionellen Rahmen
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und
das bisher notorisch unterfinanzierte Auswärtige Han-
deln und die Außeninstrumente der EU angemessen aus-
zustatten.
Auch die künftige EU-Finanzierung im Bereich der
Innen- und Rechtspolitik muss angemessen im Hinblick
auf die Aufgaben und Herausforderungen angepasst
werden. Dazu gehört für uns Liberale beispielsweise bei
der Bekämpfung der illegalen Migration auch die ange-
messene finanzielle Ausstattung bei der Unterstützung
von Drittstaaten bei der Reintegration und der Umset-
zung von EU-Rücknahmeabkommen unter Berücksichti-
gung der national und international geltenden Flücht-
lings- und Menschenrechtsvorschriften.
Während ich bisher schwerpunktmäßig die Ausga-
benstruktur dargestellt habe, lassen Sie mich noch kurz
auf wichtige Prinzipien der Struktur des Haushalts und
vor allem auf die Frage eingehen, wie die Finanzierung
dieser Ausgaben gesichert werden soll.
Als Liberale setzen wir uns mit Blick auf das Gebot
der Haushaltsklarheit und -wahrheit sowie der parla-
mentarischen Kontrolle seit langem für die notwendige
Überführung aller Fonds außerhalb des Finanzrahmens
ein. Deshalb lehnen wir ebenfalls die nun von der Kom-
mission vorgeschlagenen neuen Nebenhaushalte klar ab
und fordern eine Struktur, die Transparenz und eine
lückenlose Prüfungskontrolle der EU-Gelder bietet.
Lassen Sie mich nun zu meinem letzten, aber nicht
minder wichtigen Punkt kommen, zu der Frage der
Finanzierung der Europäischen Union.
Die von der EU-Kommission angestrebte Einführung
von EU-Steuern – namentlich einer EU-Finanztransak-
tionsteuer und einer EU-Mehrwertsteuer – wird auch
von der hiesigen Grünenopposition herzlich willkom-
men geheißen. EU-Steuern widersprechen aber klar ord-
nungspolitischer Vernunft. Der positive Prüfauftrag der
Sozialdemokraten zur Überwindung rechtlicher und
politischer Hürden zur Einführung einer EU-Steuer im
Sinne einer eigenen Steuererhebungskompetenz verwun-
dert deshalb nicht.
Diese Einführung würde weder Transparenz noch Ak-
zeptanz bei den Bürgern schaffen und würde aufgrund
der mangelnden Planbarkeit von Steuereinnahmen die
existierende Nullverschuldung des EU-Haushalts ge-
fährden. Die Zusage der Kommission unter anderem in
Person des Kommissars Lewandowski und die blauäugi-
gen Aussagen von Grünen und SPD, die Zahlungen der
Mitgliedstaaten dann um die Einnahmen aus künftigen
Steuern zu reduzieren, hören sich zwar gut an, werden
sich aber in der Praxis nicht realisieren lassen. Denn
Aufkommensneutralität ist bei einem Übergang zu einem
steuerfinanzierten System nicht sicherzustellen. Diese
Forderung greift ins Leere, da die Nationalstaaten we-
der politisch noch rechtlich gezwungen werden können,
eine Absenkung um bestimmte Prozentpunkte durchzu-
setzen.
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Nicht nur Schulden, auch Forderungen werden vererbt.
Diese Schuldner sind auch nicht sakrosankt für die He-
ranziehung zur Krisenbezahlung.
Die kenntnislose und ökonomisch falsche Gleichset-
zung von überschuldeten Staats- mit schwäbischen Pri-
vathaushalten, die dem politischen Pennälerniveau der
„Bild“-Zeitung entspricht, und die daran geknüpfte De-
ckelungsforderung ist ja nichts anderes als Austeritäts-
politik – auch so ein Euphemismus: Verarmungspolitik
wäre treffender, aber auch aufscheuchender. Die Aus-
wirkungen der 1-Prozent-Forderung kann man exem-
plarisch bereits an der Einigung auf den EU-Haushalt
2012 beobachten: Mit einer unterhalb der Inflation lie-
genden Steigerungsrate handelt es sich de facto um eine
Schrumpfung. Dann muss die Politik natürlich Farbe
bekennen und sagen, wo sie kürzen will.
Die verordnete Methode ist bekannt: So wie in den
krisengeschüttelten Mitgliedstaaten die Realwirtschaf-
ten geschliffen und die Sozialsysteme gleich ganz zer-
stört werden, zeichnet sich auch in den Ausgabenrubri-
ken des MFR eine ähnliche Schwerpunktsetzung ab.
Beim Instrument für „Heranführungshilfe“, also der
Hilfe für Beitrittskandidaten, wird gekürzt, bei der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hingegen
nicht.
Im Agrarsektor, dem neben der Kohäsionspolitik
größten Posten im Haushalt, sind gerade einmal 2 bis
3 Prozent aller Beschäftigten in der EU tätig. Und diese
ist nicht einem Dreiklang aus sozialen, ökonomischen
und ökologischen Kriterien verpflichtet, sondern die
Kommission redet dezidiert von Ressourceneffizienz und
der Koalitionsantrag will gleich die Entkoppelung der
Direktzahlungen von der Produktionsart. Das nützt viel-
leicht einigen wenigen Großagrariern, aber gewiss nicht
der Mehrheit der EU-Bürger. Hier haben wir es in der
Tat mit einer Frage der Generationengerechtigkeit zu
tun.
Auch die geplante Beteiligung privater Investoren am
Infrastrukturausbau ist sowohl aus grundsätzlichen Er-
wägungen als auch ganz praktischen Erfahrungen nur
als wahnsinnig zu bezeichnen. Mobilität ist ein öffentli-
ches Gut und kein Spekulationssektor.
Wenn der stellvertretende Generaldirektor für For-
schung und Innovation der EU-Kommission, Rudolf
Strohmeier, erklärt, dass der Forschungsetat auf 80 Mil-
liarden Euro aufgestockt werden soll, klingt das ja erst
mal ganz nett. Die Kommission will aber künftig nicht
nur Forschungsprogramme fördern, sondern „die ge-
samte Innovationskette berücksichtigen“. Das heißt
übersetzt, dass nicht mehr nur die Wissenschaft, sondern
auch die Industrie die EU-Forschungsthemen definieren
wird.
Gespart werden soll hingegen in dem Bereich, der
sich direkt auf die Realwirtschaft und die Lebenswirk-
lichkeit der Menschen auswirkt – die Kohäsionspolitik –,
und das, obwohl doch die Kommission selbst bekennt,
dass die Armut in Europa ein „untragbares Maß“ – un-
erträglich ist es im Übrigen auch – erreicht hat. Ist die
Konditionierung der Mittelvergabe auf wirtschaftliche
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müssen EU-Gelder sinnvoller, zielgenauer und effizien-
ter eingesetzt werden. Wir müssen einen Mehrwert bei
gleichbleibendem Umfang schaffen.
Neben der Höhe unterscheidet sich unser Antrag
auch in der Frage einer EU-Steuer. Meine Kollegin hat
diesen Punkt in der ersten Lesung bereits ausführlich er-
läutert. Daher nur so viel: Wir wollen die Finanztrans-
aktionsteuer als echte EU-Steuer bei gleichzeitiger Zu-
rückführung der Beiträge der Mitgliedstaaten. Wir
wollen keine zusätzlichen Einnahmen für die EU. Das ist
auch nicht der Vorschlag der Kommission. Die Koali-
tion sollte auch damit aufhören, dieses Märchen immer
wieder zu erzählen. Die Finanztransaktionsteuer ist eine
unserer Antworten auf die Krise: Wir beteiligen einen
Bereich, der die Krise mit verursacht hat. Außerdem set-
zen wir in den Mitgliedstaaten Mittel für dringend not-
wendige Investitionen frei.
Es geht aber auch darum, auf der Ausgabenseite eine
Antwort auf die Krise zu finden. Ich möchte das an ei-
nem Beispiel zeigen: Eine Studie des Deutschen Zen-
trums für Luft- und Raumfahrt prognostiziert, dass er-
neuerbare Energien 2050 in Griechenland 144 Prozent
des Strombedarfs abdecken können. Im Fall von Spanien
sind es sogar 473 Prozent. Ähnlich sieht es bei Portugal
und Irland aus. Wir stehen also heute vor der Entschei-
dung, ob wir weiterhin jedes Jahr Milliardenbeträge für
Energieimporte ausgeben wollen oder ob wir das Poten-
zial nutzen, das in Griechenland, Spanien, Portugal und
Irland steckt. Ich finde, wir sollten das Potenzial nutzen
und Energie als den Exportschlager erkennen, mit dem
Länder wie Griechenland ihre Handelsbilanzdefizite zu-
rückfahren können.
Gleichzeitig wird in Brüssel gerade über einen EU-
Haushalt 2012 verhandelt, der 1,3 Milliarden Euro für
den Nuklearsektor vorsieht. Für Windenergie bleiben
unterm Strich 24 Millionen. Noch einmal zum Mitschrei-
ben: 1,3 Milliarden für den Nuklearsektor, 24 Millionen
für Windenergie. Das können und dürfen wir uns in Zu-
kunft nicht mehr leisten. Da müssen wir radikal umsteu-
ern. Ein Großteil der 1,3 Milliarden geht für das Kernfu-
sionsprojekt ITER drauf, ein Projekt, das uns frühestens
2050 Energie liefern wird – wenn überhaupt. Wir wollen
dieses Projekt daher auf Eis legen, um das frei werdende
Geld sinnvoller einsetzen zu können.
Zu den wichtigen Aufgaben für den EU-Haushalt ab
2014 zählen aus unserer Sicht vor allem Forschung und
Entwicklung und die Realisierung des Green New Deals
auf europäischer Ebene. Neben der Förderung der er-
neuerbaren Energien zählt vor allem der Ausbau des eu-
ropäischen Stromnetzes dazu. Die EU muss vor allem
bei grenzüberschreitenden Stromnetzen die notwendigen
Anreize und Impulse setzen, um so die Voraussetzung für
eine Europäische Gemeinschaft für erneuerbare Ener-
gien zu schaffen.
Für die Bewältigung der wichtigen Zukunftsaufga-
ben, die wir in unserem Antrag noch ausführlicher aus-
führen, müssen vor allem die beiden großen Ausgaben-
blöcke Strukturpolitik und die Gemeinsame Agrarpolitik
ihren Beitrag leisten.
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Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Seefischereigesetzes und des
Seeaufgabengesetzes
– Drucksache 17/6332 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz
– Drucksache 17/7992 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gitta Connemann
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, wer-
den die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der
Kolleginnen und Kollegen liegen hier bei uns vor.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Nach diesem
Grundsatz handelte die EU und beschloss im September
2008 die EG-Verordnung zur Verhinderung, Bekämp-
fung und Unterbindung der illegalen Fischerei, IUU-
Verordnung. Dieser folgte ein Jahr später die EG-Ver-
ordnung zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kon-
trollregelung, Kontrollverordnung.
Die illegale Fischerei ist eine der größten Gefahren
für die lebenden aquatischen Ressourcen. Sie untergräbt
die Grundlage der gemeinsamen Fischereipolitik und
alle internationalen Bemühungen um einen verantwor-
tungsbewussteren Umgang mit den Weltmeeren. Sie be-
droht die biologische Vielfalt der Meere, und sie nimmt
zu – an Ausmaß, aber auch an Spielarten.
Wer illegal handeln will, ist kreativ und dreist. Große
Fahrzeuge fangen unter irgendeiner Drittweltflagge jen-
seits von Quoten und Bewirtschaftungssystemen, die
Fänge werden verarbeitet und dann in die EU verkauft.
Umladungen auf See entziehen sich jeglicher Kontrolle
und sind vor so mancher Küste gängige Praxis, um die
unrechtmäßige Herkunft der Fänge zu verschleiern. Bei
Fischereierzeugnissen, die von Fahrzeugen aus Dritt-
ländern gefangen und in die EU eingeführt werden, war
bislang keine ausreichende Kontrolle gewährleistet.
Die bisherigen Regelungen konnten nicht alle As-
pekte dieses Phänomens erfassen. Als weltweit größter
Markt für Fischereierzeugnisse und Importeur musste
die EU reagieren und neue Vorschriften erlassen. Dies
erfolgte in Gestalt der IUU- und der Kontrollverordnun-
gen.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf werden diese Verordnungen in
nationales Recht umgesetzt – und zwar fristgerecht.
Denn die EU hatte den Mitgliedstaaten eine Frist bis
zum 31. Dezember 2011 gesetzt.
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Deshalb haben wir die Kritik der Sachverständigen
auch sehr ernst genommen. Wir haben uns die erforder-
liche Zeit genommen, um in den Beratungen der letzten
Wochen wirksame Veränderungen an dem Gesetzent-
wurf einzubringen. Insoweit richte ich stellvertretend
meinen Dank für die sehr konstruktive und intensive Zu-
sammenarbeit insbesondere mit dem Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
an den Leiter des Referates für Seefischereimanagement
und -kontrolle, Herrn Walter Dübner. Dank des großen
Engagements aller Beteiligten liegt jetzt ein Gesetzent-
wurf vor, mit dem wir der IUU-Fischerei wirksam entge-
gentreten können und der gleichzeitig die besonderen
Vorleistungen unserer heimischen Fischer berücksich-
tigt.
Dort gab es zum Beispiel spezielle Hinweise wie die
Forderung nach einer Ausnahme von der Wiegever-
pflichtung vor jeder Anlandung. Für unquotierte Arten
macht sie keinen Sinn und schafft nur Bürokratie und
Kosten. Die Krabbenfischerei müsste eine Waage an-
schaffen, warten und den Fang, der ohnehin direkt nach
der Anlandung gesiebt und gewogen wird, vor dem
Transport zur Siebstelle noch zeitaufwändig wiegen.
Deshalb haben wir darauf bestanden, dass in der Ver-
waltungsverordnung zu diesem Gesetz Ausnahmen von
Wiegeverpflichtungen ermöglicht werden, soweit dies
mit dem Fischereirecht der Europäischen Union verein-
bar ist.
Wir haben uns für die Einführung praktikabler Baga-
tellgrenzen eingesetzt. So wurde einer Forderung fast al-
ler Sachverständigen Rechnung getragen. Damit wird
die Verhältnismäßigkeit bei geringfügigen Verstößen ge-
wahrt. Und so konnten wir verhindern, dass unsere
Fischer kriminalisiert werden. Wenn eine einzelne
Scholle einem Dorschfischer in der Ostsee ins Netz geht,
zieht dies keine Konsequenzen nach sich. Vorgesehen ist,
dass ein schwerer Verstoß erst dann vorliegt, wenn die
zulässige Beifangmenge um mehr als 1 Tonne bei einem
Gesamtfang von 5 Tonnen überschritten wird.
Zur Verhältnismäßigkeit gehörte es übrigens auch,
den Bußgeldrahmen von 200 000 Euro auf 100 000 Euro
zu senken.
Auf der anderen Seite mussten wir aber nach intensi-
ver Prüfung auch feststellen, dass manche Kritik nicht
griff. So wurde die Einführung einer Strafvorschrift
durch den Gesetzentwurf scharf angegriffen. Die Sach-
verständigen rügten, dass der Gesetzgeber von der al-
ternativen Möglichkeit der Verhängung von Verwal-
tungssanktionen keinen Gebrauch gemacht habe.
Tatsächlich schreibt Art. 44 Kontrollverordnung vor,
dass ein schwerer Verstoß mit administrativen Sanktio-
nen oder alternativ mit strafrechtlichen Sanktionen ge-
ahndet werden muss. Das deutsche Recht kennt aber
keine Verwaltungssanktionen. Diese wären nach Auffas-
sung des Bundesjustizministeriums auch nicht mit dem
Grundgesetz vereinbar, da eine Sanktion nur nach dem
Schuldprinzip festgelegt werden könne und nicht nach
der Höhe des wirtschaftlichen Wertes eines Verstoßes.
Insoweit bleibt laut Ministerium für Deutschland nur die
Möglichkeit, von der Alternative der Strafvorschriften
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Ich möchte aber zunächst sagen: Ich bin der Ansicht,
dass wir das Beste für unsere Fischerei erreicht haben.
Kein Fischer muss nun fürchten, dass ihm bei einem
kleinen Vergehen das Patent entzogen wird. Die Fischer
werden auch nicht an den Pranger gestellt. Wir tun mit
der Änderung des Gesetzes vielmehr etwas gegen die
schwarzen Schafe. Wer hier also tatsächlich Schindluder
treibt, muss sich zukünftig noch wärmer anziehen.
Wir hatten in der Anhörung im Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am
28. September 2011 vereinbart, noch etwas länger abzu-
warten, um zu sehen, was die anderen Mitgliedstaaten
machen.
Fakt ist aber: Wir sind bei der Umsetzung ganz vorne,
wie so oft. Wir müssen jetzt hoffen, dass die anderen Mit-
gliedstaaten unserem Beispiel folgen. Wir haben jetzt
über mehrere Monate über schwere Verstöße, Straf-
punkte, Patententzug und Gefängnisstrafen im Zusam-
menhang mit der Fischerei gesprochen. Wir haben auch
eine Anhörung im Ausschuss dazu abgehalten, und of-
fensichtlich haben wir gut daran getan. Zu einigen der
in der Anhörung von Fischereiseite vorgetragenen Kri-
tikpunkte möchte ich gleich noch nähere Ausführungen
machen.
Es gibt viele Umweltverbände, die sich in Zeiten, da
die EU ihre Fischereipolitik reformiert, lautstark enga-
gieren. Beim Seefischereigesetz war das nicht so. Keine
NGO war bereit, einen Sachverständigen zur Anhörung
zu stellen. Wahrscheinlich war das Thema nicht öffent-
lichkeitswirksam genug.
Eines wurde in der Anhörung aber klar: Die Fischer
fühlen sich langsam, aber sicher kriminalisiert. Außer-
dem fürchten die Fischer, dass ihnen in Zukunft schon
bei einem kleinen Vergehen das Patent entzogen wird
oder ihr Schiff an der Kette liegt. Ich möchte an dieser
Stelle den Fischern versichern, dass wir sie keineswegs
für Kriminelle halten. Ich bin mir auch sicher, dass
durch das neue Seefischereigesetz niemand ins Gefäng-
nis wandern oder einem Kapitän das Patent entzogen
wird.
Denn Fakt ist: So gesetzestreu wie der gemeine Deut-
sche, so gesetzestreu sind auch unsere Fischer. Wir ha-
ben uns genau angesehen, welche Verstöße es in der Ver-
gangenheit gegeben hat und wie diese Verstöße unter
dem neuen Regime geahndet worden wären. Es stellte
sich heraus, es wären nur eine Handvoll Punkte verge-
ben worden und niemand hätte sein Patent verloren.
Sollten wir aber doch ein schwarzes Schaf in unseren
Reihen haben, so muss dieser Mensch in Zukunft mit er-
heblichen Strafen rechnen, zusätzlich zu denen aus be-
stehenden Regelungen.
Der Anreiz für deutsche Fischer, schwere Verstöße zu
begehen, ist äußerst gering. Die deutschen Fischer ver-
fügen nämlich über ein sehr günstiges Verhältnis von
Fangmöglichkeit zu Kapazität. Das soll heißen, die
Fischer kommen mit den ihnen zur Verfügung stehen
Quoten ziemlich gut zu recht. In anderen Mitgliedstaa-
ten ist dieses Verhältnis deutlich ungünstiger und dem-
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nes Moratoriums oder eines Fangverbots. Dazu zählt
auch das Fangen ohne Fangerlaubnis. Allerdings geht
es hier nicht um ein paar Kilo Beifang, für den der
Fischer keine Quote hat. Hier geht es um das wissentli-
che Fangen ohne Fangerlaubnis, bei dem der Fischer
aus Gewinnsucht oder gewerbsmäßig handelt. Hier geht
niemand wegen ein paar Kilo Beifang ins Gefängnis.
Gleiches gilt für die Manipulation der Maschine, das
Führen eines Schiffs ohne Flagge oder das Umladen mit
einem bekannten IUU-Schiff. Aber auch hier gibt es
noch eine Hürde, denn der Täter muss sein Handeln be-
harrlich wiederholen.
Diese Beispiele machen deutlich, dass hier niemand
ins Gefängnis muss, wenn er nicht etwas wirklich
Schwerwiegendes getan hat.
In der täglichen Praxis wird sich also bald erweisen,
dass die Ängste auf Fischereiseite unbegründet waren.
Sollte einem Fischer tatsächlich das Patent entzogen
werden, handelt es sich dabei auch nicht um ein Berufs-
verbot. Der Kapitän wird die viel bemühte Barkasse im
Hamburger Hafen fahren können. Damit wurde auch der
Kritik Rechnung getragen, bei den begangenen Verge-
hen handele es ich um fischereiliche Vergehen und nicht
um verkehrsrechtliche.
Ein weiterer Kritikpunkt der Fischer, dem wir nach-
gekommen sind, war die Forderung nach einer einheitli-
chen Anlaufstelle für die elektronische Voranmeldung
und die Anlande- und Umladeerklärung.
Auch wenn die Länder formal die Zuständigkeit für
die Fahrzeuge bis 500 BRZ haben, so macht es doch we-
nig Sinn, dass jedes der drei Küstenländer eine Stelle
hat, die 7 Tage die Woche 24 Stunden besetzt ist.
Ich möchte auch noch etwas zum Bußgeldrahmen sa-
gen. Dieser war im Regierungsentwurf auf 200 000 Euro
für bestimmte Vergehen festgesetzt, die in Art. 90 Abs. 1
der Kontrollverordnung näher benannt werden. Dazu
zählt zum Beispiel das wissentliche Fischen während ei-
nes Moratoriums oder das Einlaufen in einen Hafen
ohne Genehmigung. Letzteres hat es in Deutschland ja
schon mal gegeben.
Ich möchte aber nicht verschweigen, dass der Buß-
geldrahmen für alle anderen Vergehen von bislang
75 000 Euro auf 50 000 abgesenkt wird. Der bisherige
Bußgeldrahmen wurde allerdings auch niemals ausge-
nutzt.
Deshalb ist es richtig, dass wir den Bußgeldrahmen
auf 100 000 Euro festgesetzt haben. Den Fischer, der
sich tagtäglich an Recht und Gesetz hält, betrifft das
aber nicht. Abschließend möchte ich sagen, dass wir so-
wohl den Vorgaben der Europäischen Union Rechnung
getragen als auch die deutschen Fischer vor ungerecht-
fertigten Strafen bewahrt haben.
Wir haben es leider nicht geschafft, Bürokratie zu
verringern. Das Gegenteil ist der Fall. Nichtsdestotrotz
haben wir unter den gegebenen Umständen das Beste
getan. Die SPD stimmt diesem Gesetzentwurf aber zu,
denn wir haben uns aktiv im Gesetzgebungsverfahren
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wollen dadurch sicherstellen, dass unserer heimischen
Fischerei keine Wettbewerbsnachteile entstehen. Ich
danke für die breite Unterstützung dieses Antrages im
Ausschuss.
Die deutschen Fischer verhalten sich bereits heute
weitgehend vorbildlich. Es gab in den letzten Jahren
keine nennenswerten Verstöße gegen die umfassenden
europäischen und nationalen Regelungen zur Seefische-
rei. Deshalb ist es sachgerecht, den Bußgeldrahmen auf
100 000 Euro zu begrenzen. Der Wunsch der Grünen auf
Beibehaltung eines hohen Bußgeldrahmens, der zu kei-
ner Zeit auch nur annähernd ausgeschöpft wurde, ist
reine Symbolpolitik und ohne praktische Relevanz.
Als Instrument des Schutzes der Fischbestände soll-
ten, dort wo es möglich ist, allein Quoten und nicht zu-
sätzlich Fangaufwandsregelungen verwendet werden.
Ob die EU-Verordnungen einen wirksamen Beitrag zum
Schutz der Fischbestände und zur Nachhaltigkeit der
Fischereiwirtschaft leisten, soll nach drei Jahren eva-
luiert werden. Auch das haben wir in unserem Entschlie-
ßungsantrag festgelegt.
Ebenso sollten offene Fragen zum Datenschutz ge-
klärt werden. Eine lückenlose Videoüberwachung der
Fischer ist unangebracht und lässt sich trotz hoher Kos-
ten von 30 000 Euro pro Boot prinzipiell umgehen. Sinn-
voller wären Inspekteure an Bord, wenn ein begründeter
Verdachtsfall vorliegt.
Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die mel-
depflichtigen Positionsdaten nicht an die Konkurrenz
aus den Nachbarstaaten gelangen kann. Hier müssen
praktikable Durchführungsverordnungen von der Bun-
desregierung vorgelegt werden. Die Fischereiwirtschaft
ist entscheidend abhängig vom Zustand der maritimen
Ressourcen. Gleichzeitig beeinflussen der Klimawandel,
die wirtschaftliche Entwicklung, der gesellschaftliche
Wandel und regionale Entwicklungen die Zukunft der
Fischer in Deutschland und Europa. Nur eine konse-
quente europaweite Umsetzung der IUU-Verordnung
kann eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer mariti-
men Ressourcen sicherstellen und gewährleisten, dass
die Bevölkerung ausreichend mit Fischen und Meeres-
früchten versorgt wird, die wirtschaftliche Zukunft der
Fischer gesichert wird und die natürlichen Bestände er-
halten bleiben.
Wenn es um die Ernährung der Welt geht, richten sich
die Blicke meistens auf Wiesen, Weiden und Äcker. Auf
das Meer schaut kaum jemand, doch birgt es unvorstell-
bar große, wenn auch bedrohte Potenziale, nicht nur für
die Ernährung des Menschen, sondern auch für das
Klima und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Über
370 Millionen Quadratkilometer der Erdoberfläche sind
Wasser. Das sind circa 71 Prozent. In fast allen diesen
Gewässern darf gefischt werden, angefangen vom klei-
nen Angler bis hin zum großen industriellen Fischtraw-
ler. Egal wo: Entscheidend ist, dass nachhaltig gefischt
wird. Dass heißt: Die Fischerei darf die Fischbestände
nicht gefährden. Das aquatische Ökosystem darf dabei
nicht zerstört werden. Gerade im Bereich der Tiefsee-
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erden. Das bedeutet, dass er für einen bestimmten Zeit-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17527
Dr. Christel Happach-Kasan
gebene Reden
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raum als „unzuverlässig“ eingestuft wird und somit kein
Schiff mehr führen darf. Die Linksfraktion will aber wie
die meisten Sachverständigen, dass das Fahren eines
Fischerbootes verboten werden kann, aber die Naviga-
tion eines anderen Schiffes weiterhin erlaubt bleiben
soll. Im Änderungsantrag der Koalition steht nun, dass
der Entzug des Führerscheins verschoben werden kann.
Wir sind mit diesem Kompromiss weiter nicht zufrieden.
Richtig ist, dass Straf- und Bußgeldvorschriften nur
dann Sinn machen, wenn auch was dahinter steht. Daher
ist der Ansatz mit der Punktesammlung angemessen.
18 Punkte sind keine Bagatelle. Aber es ist richtig, dass
der maximale Bußgeldrahmen von 200 000 auf
100 000 Euro wieder herabgesetzt wurde. Bisher gab es
überhaupt noch keine Verurteilungen zu 100 000 Euro.
Deshalb muss man nicht unnötig mit dem Säbel rasseln
und höhere Strafen androhen, wie die Grünen fordern.
Das ist eine unangemessene Drohgebärde gegen die
überwiegend gesetzeskonformen Fischerinnen und
Fischer. Dass sie das auf die Palme bringt, weil sie sich
kriminalisiert und vorverurteilt fühlen, kann ich gut
nachvollziehen. Dazu gehört im Übrigen auch die De-
batte über Kameras oder Kontrolleure an Bord. So rich-
tig Kontrollen sind, so verständlich finde ich Argumente
gegen solche Überwachungsinstrumente. Die Schiffs-
positionen werden sowieso online erfasst, also ist auch
eine gezielte Kontrolle möglich. Eine Kameraüberwa-
chung in den Abgeordnetenbüros würden wir ja auch ab-
lehnen – und nicht nur, weil wir als frei gewählte Abge-
ordnete eine Sonderstellung haben.
Als Linksfraktion begrüßen wir die beiden EU-Ver-
ordnungen; auch den Ansatz des Gesetzentwurfes finden
wir richtig. Die Kritik der Fischerinnen und Fischer in
der Ausschussanhörung hat die Koalition jedoch nur
teilweise durch ihren Änderungsantrag aufgegriffen.
Daher können wir uns beim geänderten Gesetzentwurf
nur enthalten. Dass die Koalition mit dem Ergebnis ih-
rer Nachverhandlungen selbst nicht ganz zufrieden ist,
kann man gut im Entschließungsantrag der Koalition
nachlesen. Wir teilen seinen Inhalt und stimmen zu.
Die IUU-Verordnung und die Fischereikontrollver-
ordnung der EU, die durch das neue Seefischereigesetz
umgesetzt werden, stehen in der Fischereiwirtschaft
vielfach in der Kritik, weil sie ein schwer zu überbli-
ckendes Maß an Regelungen und ein enormes Maß an
zusätzlicher Bürokratie gebracht haben. Diese Kritik ist
sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch
muss man feststellen: Beide Verordnungen sind für die
Bekämpfung der illegalen, unregulierten und ungemel-
deten Fischerei und für die Einhaltung der Rechtsvor-
schriften der EU-Fischereipolitik dringend notwendig
und waren ein enormer Schritt nach vorn.
Ein erfolgreiches Fischereikontrollrecht der EU wird
Dumping-Fischimporte aus der illegalen Fischerei in
den EU-Markt spürbar vermindern. Das dürfte sich für
die rechtstreuen Fischereibetriebe wirtschaftlich positiv
auswirken. Wenn die Fischereikontrolle erfolgreich ist,
dann wird sie auch zur Erholung überfischter Bestände
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über das Punktesystem und die Furcht vor dem Entzug
von Fanglizenzen und Kapitänspatenten doch ein gewis-
ser Sturm im Wasserglas. Um eine Kriminalisierung un-
serer Fischerei zu verhindern, waren die geringfügigen
Änderungen durch die Koalitionsfraktionen also gar
nicht mehr nötig, auch wenn die sich diesen Erfolg
gerne an die Brust heften wollen.
Zum geforderten Gleichklang der Umsetzung in allen
EU-Mitgliedstaaten bzw. zu der Vermeidung von stren-
geren deutschen Regeln ist zu sagen, dass das nur er-
reicht werden kann, wenn entweder die EU haarklein je-
des Detail vorgibt – was wohl niemand von uns will –,
oder aber, indem sich Deutschland immer nur am nied-
rigsten Standard aller EU-Mitgliedstaaten orientiert. Si-
cherlich ist es richtig, wenn die Bundesregierung dem
Bundestag wie gefordert berichtet, wie die anderen Mit-
gliedstaaten das EU-Fischereikontrollrecht umsetzen.
Es kann aber nicht richtig sein, daraus einen Wettbe-
werb um den niedrigsten gemeinsamen Standard zu ma-
chen. Vielmehr gilt es, alles daran zu setzen, dass die
Kommission auf eine ambitionierte Umsetzung in allen
Mitgliedstaaten drängt. Das hilft dann nicht nur unseren
Fischern, sondern auch dem Erhalt der Fischbestände.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7992, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/6332 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen
und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt da-
gegen? – Niemand. Stimmenthaltungen? – Bündnis 90/
Die Grünen und Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemo-
kraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Stimmenthal-
tungen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7992 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen, die Sozialdemokraten und die Linksfraktion.
Gegenprobe! – Niemand. Enthaltungen? – Bündnis 90/
Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einrichtung und zum Betrieb eines bun-
desweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen
Frauen“
– Drucksache 17/7238 –
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Kinder, die miterleben müssen, wie die Mutter geschla-
gen wird, Menschen, die gewaltbetroffenen Frauen hel-
fen wollen. Auch hier bietet das Telefon Unterstützung.
Das Hilfetelefon ist für alle Menschen zugänglich, die
Frauen in ihrer Notsituation helfen wollen. Das vergrö-
ßert die Chancen, auf den gesamten Kontext der Gewalt
einwirken zu können.
Als eigenes Unterstützungsangebot ergänzt das bun-
desweite Hilfetelefon die Einrichtungen, die auf Länder-
und kommunaler Ebene agieren. Das Hilfetelefon soll
eine Erstanlaufstelle sein und dann eine Lotsenfunktion
übernehmen. Das heißt, der anrufenden Person werden
geeignete Hilfen und Unterstützungsangebote in Wohn-
ortnähe oder, wenn Distanz sinnvoller ist, in ganz
Deutschland angeboten. Es übernimmt damit eine wich-
tige Brückenfunktion in das bestehende Hilfesystem.
Damit werden auch die Beratungsstellen entlastet, weil
die Frau dann direkt bei der richtigen Stelle ankommt.
Damit wird auch die wichtige Rolle der Unterstützungs-
einrichtungen vor Ort gestärkt; es wird sichtbarer wer-
den, was diese leisten. Es ist zu erwarten, dass ein
Erfolg des Hilfetelefons auch eine Steigerung der Nach-
frage nach Unterstützungsangeboten vor Ort hervor-
bringen wird, zum Beispiel auch die Nachfrage nach
Plätzen in Frauenhäusern.
Wir hatten im Koalitionsvertrag deshalb neben der
Einrichtung der bundesweiten Hilfenummer auch einen
Bericht zur Lage der Frauenhäuser vereinbart. Das
Bundesministerium für Familie hat dazu Gutachten in
Auftrag gegeben: zum einen zu einer Bestandsaufnahme
zum bestehenden Hilfesystem und auch zum verfas-
sungsrechtlichen und sozialrechtlichen Hintergrund.
Diese Gutachten werden aller Voraussicht nach bis zum
Ende des Jahres vorliegen. Sobald die Auswertung dazu
erfolgt ist – dies soll nach meiner Information im ersten
Quartal 2012 der Fall sein –, wird die Frage nach einer
nachhaltigen Finanzierung der Frauenhäuser erneut zu
diskutieren sein. Solange es Gewalt gegen Frauen gibt,
brauchen wir Frauenhäuser. Ich hoffe, dass wir zukünf-
tig zu einer Lösung kommen können, die den Frauen-
häusern mehr Planungssicherheit gibt.
Das Thema Gewalt gegen Frauen muss in der gesell-
schaftspolitischen Debatte eine viel größere Rolle spie-
len. Mit dem bundesweiten Hilfetelefon wird ein neues
öffentliches Signal zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen gesetzt. Es ist gut, dass das Hilfetelefon mit kon-
tinuierlichen Kampagnen einer bereiten Bevölkerung
bekannt gemacht werden soll und auf diesem Weg öffent-
lichkeitswirksam zur weiteren Enttabuisierung des The-
mas Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen beitragen
kann.
Das Hilfetelefon ist mit einem umfassenden Etat aus-
gestattet: 3,1 Millionen Euro sind für den Aufbau des
Hilfetelefons im Jahr 2012 vorgesehen. Für den Voll-
betrieb ab 2013 sind circa 6 Millionen Euro pro Jahr
veranschlagt. Dadurch soll der Bestand auf Dauer ab-
gesichert werden.
Das Hilfetelefon soll unter dem Dach des Bundesam-
tes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
angesiedelt werden. Hier kann die vorhandene Infra-
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kann, das entsprechend geahndet werden muss. Nur
wenn solche Gewalttäter erkennen, welche Folgen ihr
Verhalten hat, werden sie umdenken und sich in ihrem
Verhalten anpassen.
Das Gleiche gilt für Prostituierte und Frauen in Asyl-
bewerberheimen, die überproportional oft Gewalttätig-
keit ausgesetzt sind. Auch hier muss die Polizei mehr als
bisher eingreifen und solche Straftaten verfolgen. Die
sozialen Dienste müssen stärker auf solche Vorfälle in
diesem Milieu achten. Gerade für diese Frauen kann das
mehrsprachige Hilfetelefon eine große Hilfe sein. Denn
dort können sie in ihrer Muttersprache ihre Sorgen der
Mitarbeiterin am anderen Ende des Hilfetelefons kund-
tun und ohne Angabe von persönlichen Daten fachkun-
digen Rat erhalten. Auch kann von dort durch entspre-
chende Benachrichtigung der Behörden Unterstützung
herbeigerufen werden.
Gewalt gegen Frauen gibt es aber nicht nur in den
drei vorgenannten Gruppen. Gewalt wird mindestens im
selben Umfang auch gegen deutsche Frauen von deut-
schen Männern verübt, und dies sehr oft in der häusli-
chen Umgebung, in der eigenen Wohnung, also im pri-
vaten, intimen Bereich. In zwei Drittel dieser Fälle, so
sagt uns eine Studie aus dem Familienministerium,
kommt es zu schweren bis lebensbedrohlichen Verletzun-
gen. Opfer sind oft Schwangere, die in einer besonderen
hilflosen Situation sind, aber auch Mädchen mit Behin-
derungen, insbesondere auch geistigen Behinderungen,
die sich nicht wehren können. Die Folgen sind nicht sel-
ten schwere körperliche, aber auch schwere psychische
Schäden.
Meist kommt diese Gewalt im intimen Bereich der
Wohnung von ehemaligen oder auch aktuellen Partnern
vor. Die betroffenen Frauen sind dann nicht selten so
sehr in ihrem Innersten verletzt, so eingeschüchtert,
dass sie außerstande sind, sich selbst aus diesem Teu-
felskreis von Privatheit, Abhängigkeit und Gewalt zu be-
freien. Wegen dieser außerordentlichen Betroffenheit
sind diese Frauen auch gar nicht in der Lage, sich an die
nächstmögliche Einrichtung zu wenden, um Hilfe zu su-
chen – dies, obwohl wir in Deutschland ein dichtes Netz
von entsprechenden Einrichtungen haben. Die von Ge-
walt bedrohten Frauen wenden sich aus den verschie-
densten Gründen nicht an solche Einrichtungen. Sie
schämen sich. Sie wollen nicht, dass ihre Situation be-
kannt wird. Sie haben Angst vor ihrem Partner, er könne
davon erfahren und sie erneut schlagen und quälen und
so ihre Not nur noch vergrößern. Aus all diesen Gründen
nehmen 80 Prozent der betroffenen Frauen die angebo-
tene Hilfe nicht in Anspruch.
Von daher ist es nicht nur richtig, sondern dringend
geboten, ein niederschwelliges Angebot vorzuhalten,
das schnell erreichbar ist. Diese Aufgabe kann das ge-
plante bundesweite Hilfetelefon leisten. Dort können die
Frauen kostenlos, anonym, auch in fremder Sprache,
anrufen und so Hilfe erlangen. Entscheidend ist, dass
dieses Telefon barrierefrei, das heißt kostenlos, jederzeit
und ohne Probleme benutzt werden kann, dass die Tele-
fonnummer bekannt ist und am anderen Ende immer so-
fort abgehoben und von geschultem Personal sofort ent-
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bens Gewalt ausgesetzt. Täter sind häufig Partner, Ehe-
männer oder Menschen aus dem familiären Umfeld. In
besonders hohem Maße sind Frauen und Mädchen mit
Behinderungen gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden.
Dies wurde anlässlich des Internationalen Tages gegen
Gewalt an Frauen, den wir letzte Woche begangen ha-
ben, wieder einmal deutlich gemacht.
Wir begrüßen die geplante bundesweite Einführung
des barrierefreien Frauenhilfetelefons ausdrücklich. Ich
freue mich über die Einstimmigkeit, die wir hier bei dieser
Maßnahme zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen er-
zielen. Das Frauenhilfetelefon wird unter einer bundes-
weit einheitlichen Nummer erreichbar und rund um die
Uhr besetzt sein. Die Frauen können sich darauf verlas-
sen, dass ihre Anonymität gewahrt ist, und sie können in
ihrer Muttersprache reden. Das Hilfetelefon stellt keine
Konkurrenz dar zu den bereits bestehenden Einrichtun-
gen, die wichtige und hervorragende Arbeit leisten. Viel-
mehr ist es eine Ergänzung, um noch niedrigschwelligere
Hilfe zu gewährleisten. Die Erstberatung durch das Hilfe-
telefon wird den Frauen eine erste Hilfestellung geben
und ihnen den Weg zu den jeweiligen Unterstützungsein-
richtungen vor Ort weisen helfen.
Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist Bestandteil der
sozialen Daseinsvorsorge. Die Beratungsstellen und
Frauenhäuser vor Ort leisten eine unverzichtbare und
wertvolle Arbeit. Sie brauchen endlich eine gesicherte
Finanzierung und bundesweit einheitliche Regelungen.
Hier ist die Bundesregierung gefordert, in Zusammenar-
beit mit den Ländern Lösungen zu finden. Die zu schaf-
fenden und auszubauenden Schutz- und Unterstützungs-
einrichtungen müssen dabei auch die besondere
Situation von Frauen mit Behinderungen, wie bereits
ausgeführt, aber auch die Situation von Migrantinnen
berücksichtigen.
Das Frauenhilfetelefon ist Bestandteil der Umsetzung
europäischer Vorgaben zum Schutz von Frauen vor Ge-
walt. Hier ist viel bereits geschafft worden in Deutsch-
land. Aber es ist auch noch viel zu tun. Besonders der
Europarat – ich bin Mitglied der Parlamentarischen
Versammlung des Europarats – ist bei dem Thema
Schutz von Frauen vor Gewalt vorbildlich aktiv. Er hat
eine Konvention erarbeitet, die inzwischen von 17 Staa-
ten unterzeichnet wurde.
Es wird höchste Zeit, dass Deutschland die Konven-
tion des Europarats gegen Gewalt an Frauen ratifiziert
und umsetzt. Das Abkommen schafft einen übergreifen-
den rechtlichen Rahmen zur Bekämpfung von Gewalt
und beschreibt auch konkrete Maßnahmen.
Der Europarat hat auch eine wie ich finde sehr gute
Kampagne zum Thema Schutz von Frauen vor häusli-
cher Gewalt gestartet. Als Kontaktparlamentarierin der
Kampagne für Deutschland würde ich mich sehr freuen,
wenn wir als Abgeordnete, wenn dieses Parlament die
Kampagne aktiv unterstützen würde.
In Deutschland haben wir schon viel erreicht in Sa-
chen Schutz von Frauen vor Gewalt, sowohl was die Ge-
setzgebung angeht als auch die Arbeit von Beratungs-
einrichtungen und Frauenhäusern vor Ort. Ich danke
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Hilfetelefon mittels nachhaltiger Öffentlichkeitsarbeit
bundesweit bekannt wird. Es darf in Zukunft den Fall
nicht mehr geben, dass eine von Gewalt betroffene Frau
aufgrund der üblichen Öffnungs- und Telefonzeiten von
Unterstützungseinrichtungen vor Ort keine qualifizierte
Hilfe erreicht. Gewaltopfer müssen wissen, dass sie sich
jederzeit, entgeltfrei, mehrsprachig und barrierefrei an
die Hotline wenden können.
Abschließend möchte ich ein mir besonders am Her-
zen liegendes Thema ansprechen: Die Finanzierung von
Frauenhäusern. Das Hilfetelefon ist ein wichtiger erster
Schritt der Kontaktaufnahme und kann somit eine Brü-
cke zu bestehenden Hilfeangeboten bauen. Gerade des-
wegen müssen wir jetzt in besonderem Maße auch diese
Beratungs- und Hilfeeinrichtungen in den Blick nehmen.
Wir müssen, um die kommunalen Angebote zu stärken,
eine Lösung für eine nachhaltige Finanzierung von
Frauenhäusern finden, die bundesweit einheitlich gere-
gelt ist. Opfer von familiärer Gewalt brauchen sichere
Zufluchtsorte. Wir müssen dafür sorgen, dass diese
Schutzräume langfristig finanziell abgesichert werden.
Die Einrichtung eines bundesweit erreichbaren, kos-
tenlosen und rund um die Uhr besetzten Hilfetelefons ist
eine richtige Maßnahme, um möglichst viele Betroffene
an die Hilfeeinrichtungen in Wohnortnähe weiterzulei-
ten. Damit kann eine Lücke im bestehenden Unterstüt-
zungssystem für von Gewalt Betroffene geschlossen wer-
den. Die bedrückende Zahl, dass 80 Prozent der von
Gewalt betroffenen Frauen bisher in keine der bestehen-
den Hilfenetze vermittelt werden können, spricht für sich
selber. Darin sind sich wohl alle hier im Hause ebenso
wie auch die Vertreterinnen der Schutz- und Hilfsein-
richtungen vor Ort einig.
Die Implementierung des Hilfetelefons muss aber von
einer Reihe von Maßnahmen begleitet werden, die in der
vorliegenden Gesetzesvorlage leider nicht vorkommen.
So sollten vor der Inbetriebnahme exakte Standards fest-
gelegt werden, die sich an denen der vorhandenen Not-
rufe orientieren. Denn wenn dieses Hilfetelefon einen
Lotsencharakter haben soll, also an die richtige Stelle
weiterleiten und zugleich für die gesamte Bandbreite der
Gewaltfälle zuständig sein soll, brauchen wir Konkreti-
sierungen und entsprechende Standards.
Das Hilfetelefon soll in folgenden Fällen weiterhel-
fen durch weiterleiten: im Falle häuslicher Gewalt, im
Falle von Gewalt außerhalb von Beziehungen, im Falle
sexualisierter Gewalt, bei Stalking, Zwangsheirat, Ge-
walt im Namen der „Ehre“, Genitalverstümmelung,
Zwangsprostitution, Gewalt an Migrantinnen, an
Frauen mit Behinderungen sowie älteren Frauen und
andere Gewaltfälle gegen Frauen. An das Hilfetelefon
sollen sich sowohl die direkt Betroffenen wenden kön-
nen, aber auch Nachbarn, Familienangehörige, Ärzte,
Lehrerinnen, alle diejenigen, die versuchen zu unterstüt-
zen und dafür Rat brauchen.
Das setzt umfangreiche Datenbanken voraus, damit
die Frauen bei den unterschiedlichen Schutz- und Hilfe-
einrichtungen vor Ort auch tatsächlich ankommen. Die
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Umsetzung der Hilfetelefone auf der nationalen Ebene
überwachen soll. Dieser Forderung schließt sich die
Linke an. Nach all dem Gesagten wird deutlich, dass die
im Gesetz vorgesehene Evaluierung des Hilfetelefons
nach fünf Jahren völlig an der Realität vorbei geht. Be-
reits in der Einführungsphase ist eine wissenschaftliche
Begleitung notwendig, damit rechtzeitig Schwachstellen
erkannt und beseitigt werden können. Die Evaluierung
muss sich auf das gesamte Hilfesystem erstrecken und
sollte nicht nur das zentrale Hilfetelefon abdecken.
Die Bundesregierung muss also trotz der im Gesetz-
entwurf erkennbaren guten Absicht noch deutlich nach-
arbeiten. Damit sollte sie schnell beginnen, damit die
dringend nötige Hilfe dann 2013 auch in vollem Umfang
geleistet werden kann.
Jedes Jahr fliehen in Deutschland etwa 40 000
Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt in eines der
etwa 360 Frauenhäuser. Jede vierte in Deutschland le-
bende Frau hat körperliche oder sexuelle Gewalt durch
aktuelle oder frühere Partner erlebt. 60 Prozent der Be-
troffenen leben mit Kindern zusammen. Häusliche Ge-
walt ist die häufigste Ursache für Verletzungen bei
Frauen, häufiger als Verkehrsunfälle, Überfälle und
Vergewaltigungen zusammen. Diese Zahlen machen
deutlich: Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles,
sondern ein gesellschaftliches Problem.
Gewaltfreiheit gehört zu den zentralen Grundwerten
des menschlichen Zusammenlebens. Die Ausübung von
Gewalt verletzt Menschen in ihren verfassungsmäßig
verbürgten Grundrechten und beschränkt sie in ihrer
Entfaltung und Lebensgestaltung. Es ist Aufgabe des
Staates, Gewalt gegen Frauen auch im sozialen Nah-
raum zu verhindern, ihr vorzubeugen und für Schutz und
Hilfe für die Opfer zu sorgen. Wir sind uns einig: Die
Einrichtung des Hilfetelefons ist richtig.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch noch einmal da-
rauf hinweisen, dass eine gute Umsetzung nur in Zusam-
menarbeit mit den Fachfrauen aus den bereits bestehen-
den Notrufen und Beratungsstellen gelingen kann. Die
Besetzung des Beirats muss nun zügig angegangen wer-
den, damit die Fachfrauen die Umsetzung des Gesetzes
aktiv mitgestalten können. Es muss abgesprochen wer-
den, wie das Hilfetelefon qualitativ ausgestaltet werden
muss, welche Aspekte die Evaluation beinhalten soll und
wie das Ziel erreicht wird, das Telefon bundesweit be-
kannt zu machen.
Ich finde es richtig, dass der Bund im Sinne der öf-
fentlichen Fürsorge die Kosten der Einrichtung des Hil-
fetelefons übernimmt. Der Bund ist zuständig und darf
die Länder damit nicht alleine lassen. Unklar bleibt bis-
her jedoch, wer die Folgekosten trägt.
Die Schutzräume und Beratungsstellen sind von zen-
traler Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg des neuen
Angebots des Hilfetelefons. Die Kommunikation mit den
Ländern muss deutlich verbessert werden, damit es nicht
zu Kürzungen bei den Hilfeeinrichtungen vor Ort
kommt. Lokale Strukturen müssen erhalten bleiben, da
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Legen Sie den lang angekündigten Bericht zur Lage
der Frauenhäuser vor! Dann können wir gemeinsam ein
Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen
angehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8008, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/7238 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Wer stimmt da-
gegen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dage-
gen? – Niemand. Stimmenthaltungen? – Niemand. Da-
mit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen , Peter Altmaier, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Claudia
Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen, Gabriele
Molitor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Barrierefreies Filmangebot umfassend auswei-
ten – Mehr Angebote für Hör- und Sehbehin-
derte
– Drucksache 17/7709 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben. Die Namen der Kollegin-
nen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
Kunst und Kultur sind unsere geistige Nahrung. Sie
erweitern den Horizont jedes Einzelnen und tragen zur
Identitätsbildung unserer Bürgerinnen und Bürger und
Gesellschaft bei. Sie bereichern uns mit Lebensmut und
Lebensfreude. Ohne den Zugang zu Kunst und Kultur
wäre das Leben für uns alle ärmer.
Diese Wirkungen gelten ebenso für Menschen mit Be-
hinderungen. In Deutschland leben etwa 9,6 Millionen
Menschen mit einer Behinderung, also mehr als
11,7 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Darunter be-
finden sich circa 1,2 Millionen blinde und sehbehinderte
Menschen sowie weitere Millionen gehörlose, schwer-
hörige und ertaubte Menschen.
Aus Art. 30 der UN-Behindertenrechtskonvention er-
gibt sich für uns – und es sollte selbstverständlich sein:
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men: die Verleihförderung und die Förderung des Video-/
DVD-Bereichs sowie für die Filmtheater.
Was nützt ein barrierefrei ausgestatteter Film, wenn
in den Kinosälen die Kopfhörer für die Übermittlung der
Audiodeskription fehlen?
Zwar hat für Hör- und Sehgeschädigte das Ansehen
von Kinofilmen per DVD oder Video eine besondere Be-
deutung, trotzdem sollen auch sie nach unserer Auffas-
sung am Gemeinschaftserlebnis Kino teilhaben können.
Die Resonanz auf alle diese Förderangebote ist je-
doch verschwindend gering. Es besteht Handlungsbe-
darf. Offensichtlich spielen die Kosten eine entschei-
dende Rolle.
Möglicherweise muss bei allen Akteuren ein entspre-
chendes Problem- und Bedarfsbewusstsein verbessert
werden. Der Film muss sich stärker öffnen für die Hör-
und Sehgeschädigten. Im Präsidium der Filmförde-
rungsanstalt haben wir mehrfach auf diese Problematik
hingewiesen und wiederholt für den Ausbau der barrie-
refreien Angebote plädiert.
Inzwischen haben wir erste positive Resonanzen da-
rauf erhalten.
Wir begrüßen, dass die Allianz Deutscher Produzen-
ten – Film & Fernsehen in einem Rundschreiben bei ih-
ren Mitgliedern dafür geworben hat, dass möglichst
viele Filme entsprechend ausgerüstet werden. Dies lässt
vorsichtig hoffen, dass die Filmwirtschaft nicht nur die
Berechtigung dieses Anliegens von Millionen Hör- oder
Sehgeschädigter im Land anerkennt, sondern dass sie
auch den Nutzen für sich selbst erkannt hat: Sie kann mit
ihren Produktionen deutlich mehr Zuschauer und Zuhö-
rer erreichen. Weitere erste Ansätze gibt es erfreulicher-
weise schon, unter anderem durch die Berlinale, die re-
gelmäßig Wettbewerbsfilme mit Audiodeskription zeigt,
und durch den Deutschen Hörfilmpreis. Beispielgebend
ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung: Er
kooperiert seit 2007 mit der Deutschen Hörfilm gGmbH
und bietet hierbei regelmäßig Hörfilme im Kleisthaus in
Berlin an.
Auch die Rundfunkanstalten, vor allem die öffentlich-
rechtlichen, sehen wir in der Pflicht. Die Haushalts- und
Betriebsstättenabgabe, die ab dem Jahr 2013 eingeführt
werden soll, werden auch hör- und sehbehinderte Men-
schen zahlen müssen. Also haben sie auch Anspruch da-
rauf, die öffentlich-rechtlichen Sendungen und Fernseh-
filme rezipieren zu können.
Großbritannien erweist sich hier als vorbildlich. Die
britischen Sender haben sich auf eine Hörfilmquote von
20 Prozent verpflichtet. Wir appellieren an die Bundes-
länder, zusammen mit den Rundfunkanstalten ähnliche
Zielmarken ins Auge zu fassen.
Wir erkennen an, dass es auch hier erste Bewegung
gibt. Die Ankündigung der ARD vom September dieses
Jahres, wonach bis 2013 alle Erstsendungen mit Unter-
titeln versehen werden sollen, werden wir auf ihre Re-
alisierung hin überprüfen.
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„Deutschland wird inklusiv“ – so heißt die Dachkam-
pagne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-
vention der Bundesregierung. Das Schwerpunktthema in
diesem Jahr ist Arbeit und Barrierefreiheit.
Die Kampagne macht mit sehr eindrücklichen Bil-
dern zum Beispiel von unerreichbaren Geldautomaten
darauf aufmerksam, dass man „einfach alles erreich-
bar“ machen kann. Alle, die keinerlei Behinderungen
haben, vergessen sehr leicht, wie beschwerlich der Weg
durch eine Stadt mit einem Rollstuhl sein kann. Erst
wenn man Eltern wird, wird man ansatzweise daran er-
innert, steht man mit Kinderwagen und vollen Einkaufs-
taschen vor einer endlosen Treppe.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich in einer
alltäglichen Situation daran erinnert wurde, wie es ist,
einen wunderbaren Film nicht sehen zu können. Ich be-
gann den Oscar-nominierten Film von Caroline Link
„Jenseits der Stille“ zu Hause an meinem Fernseher an-
zusehen. Die Einstellungen waren aus irgendwelchen
Gründen automatisch so, dass die Audiodeskription ein-
geschaltet war. Im ersten Moment dachte ich, es gehöre
zu dem Film dazu, die Beschreibung der mündlichen
Szenerie war einfach wunderschön und sehr exakt. Nach
einer Weile schaltete ich dann die Audiodeskription aus,
aber ich musste noch oft daran denken, welch einmalige
Filmerlebnisse sehbehinderte Menschen mit anderen
Menschen auch im Kino würden teilen können, gäbe es
nur regelmäßig das Angebot dazu.
Die Digitalisierung der Kinos bietet dazu derzeit eine
einmalige Chance. Ich danke dem BKM, der Filmwirt-
schaft, der FFA, dem Bund und den Ländern ausdrück-
lich für das gemeinsame Förderprogramm zur Digi-
talisierung der Kinos und bitte darum, dass die
Förderungsrichtlinien der Filmförderungsgesellschaf-
ten in dieser Hinsicht um verpflichtende Richtlinien zur
sen, dass hierfür im Jahr 2010, dieses Jahr und auch
2012 jeweils vier Millionen Euro bereitgestellt werden.
Dabei kann auch die technische Voraussetzung für
die Filmvorführungen mit Audiodeskription in Kinos ge-
schaffen werden. Durch diese simple technische Voraus-
setzung und natürlich durch ein großes Film-
angebot mit Audiodeskription würden wir vielen sehbe-
hinderten Menschen ein „inklusives“ Filmerlebnis er-
möglichen. Das ist natürlich nur ein Teil des barriere-
freien Filmangebots. Angebote mit Gebärdensprache
sowie mit deutschen Untertiteln und in einfacher Spra-
che müssen ebenso ausgebaut werden.
Hier sind besonders die öffentlich-rechtlichen Sender
gefordert und kommen dem auch bereits teilweise nach.
Auch durch den einfachen Schritt der Überarbeitung der
Brandschutzverordnungen können wir Rollstuhlfahrern
auch in Gruppen den barrierefreien Kinogenuss ermög-
lichen.
Unser gemeinsames Ziel muss es schlichtweg sein,
mehr Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Der
Zeitpunkt ist durch die Digitalisierung der Kinos und
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tung zugunsten von barrierefreien Filmfassungen wahr-
genommen wird. Bin aber leider enttäuscht worden.
Ich selbst habe mich an den Vorstand der Filmförde-
rungsanstalt gewandt, um zu erfahren, für wie viele
geförderte Filme eine Endfassung mit einer deutschen
Audiodeskription und einer Untertitelung hergestellt
worden sind. Auch wenn es dazu noch keine aussage-
kräftigen Zahlen gibt, deutet doch alles darauf hin, dass
sich kaum ein Produzent für die Bedingung der Erstel-
lung einer barrierefreien Filmfassung entschieden hat.
Hier müssen wir nachlegen. Die Förderbedingung ist
ganz offensichtlich zu weich formuliert. Die SPD-Bun-
destagsfraktion fordert eine klare Regelung, die nicht
mehr zu umgehen ist. Wir werden auch die Länderförde-
rer auffordern, ähnlich zu verfahren. Auch die Förder-
möglichkeiten für Untertitelung und Audiodeskription in
der Verleih- und Videoförderung haben bisher keine
wirkliche Verbesserung der Situation gebracht, weil ein-
fach viel zu wenig Gebrauch gemacht wird davon. Das
Gleiche gilt für Förderung von Modernisierungsmaß-
nahmen im Rahmen der Kinoförderung nach dem FFG.
Danach kann theoretisch der Umbau von Kinos zum
Einbau von Induktionsschleifen für den Einsatz von
Kopfhörern für hörgeschädigte Menschen gefördert
werden. Auch diese Fördermöglichkeit wird kaum ge-
nutzt. Auch hier müssen wir Anreize schaffen, damit
wirklich etwas passiert.
Wenn bisher immer das Kostenargument als größtes
Hindernis vorgebracht wurde, dann eröffnen sich mit
der Digitalisierung doch jetzt ganz neue Möglichkeiten.
Demnächst wird es in der Regel nur noch digitale End-
fassungen von Filmen geben. Mit der digitalen Filmdis-
tribution und digitalen Filmvorführung müssen nicht
mehr aufwendig einzelne barrierefreie Kopien gefertigt
werden, sondern jeder Film kann kostengünstig digital
sowohl mit Audiodeskription als auch Untertitelung ver-
sehen werden. Dieses Angebot kann dann nach Belieben
aktiviert werden. Deshalb fordern wir, dass sich diese
neuen Möglichkeiten auch in den verschiedenen Förder-
richtlinien niederschlagen.
Das neue Filmförderungsgesetz wird ab 2014 in Kraft
treten. Wir bereiten es jetzt vor, aber das dauert. Wir
sollten jetzt prüfen, ob wir nicht schon vorher Über-
gangsregelungen – etwa über untergesetzliche Richt-
linienänderungen – finden können. Ich bin dafür!
Die SPD-Bundestagsfraktion erarbeitet derzeit einen
Antrag, mit dem wir den Handlungsbedarf für den ge-
samten Kultur- und Medienbereich aufzeigen, der sich
aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen ergibt. Darin fordern wir konkrete
Maßnahmen, die einen gleichberechtigten Zugang von
Menschen mit Behinderung zu Kultur, Information und
Kommunikation sicherstellen. Auch unsere Forderungen
zum Filmbereich finden sich hier. Ganz wichtig: Die
nötigen Anpassung gehen über das Filmförderungs-
gesetz hinaus. Denn die Anreize für barrierefreie Filme
müssen sich im gesamten Filmförderungssystem nieder-
schlagen. Auf die Länderförderer bin ich schon einge-
gangen. Auf Bundesebene müssen auch für den Deut-
schen Filmförderfonds die entsprechende Richtlinien
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Handlungsbedarf haben der Deutsche Bundestag und
die Bundesregierung bereits in der Vergangenheit gese-
hen. So existiert bereits eine Reihe von Fördermöglich-
keiten für barrierefrei produzierte Filme: Das FFG sieht
Förderungsmöglichkeiten für programmfüllende Filme
mit deutscher Audiodeskription und mit deutschen Un-
tertiteln für Menschen mit Hörbehinderungen vor.
Ebenso sind die Kosten für die Herstellung von ausführ-
licher Untertitelung oder von Audiodeskription sowohl
im Rahmen der Verleihförderung als auch im Rahmen
der Videoförderung nach dem FFG anerkennungsfähig.
Dennoch ist die Anzahl der bisher produzierten barrie-
refreien Filme sehr gering. Auch die Förderungsmittel,
welche für die barrierefreie Ausstattung von Kinosälen
für Hör- und Sehbehinderte gewährt werden können,
sind wenig beantragt worden.
Die gemeinsame Aufgabe liegt nun darin, den barrie-
refreien Film weiterzuverbreiten und ihn aus seiner
Nische hervorzuholen. Einige Institutionen haben die
Bedeutung und das Potenzial bereits erkannt. Die Berli-
nale hat seit 1999 jährlich mindestens zwei Filme, da-
runter auch Wettbewerbsfilme, mit Audiodeskription ge-
zeigt. Insbesondere der Deutsche Hörfilmpreis erbringt
in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag. Die Deut-
sche Hörfilm gGmbH leistet im Bereich des barriere-
freien Films sehr konstruktive Arbeit.
Mit dem vorliegenden Antrag der christlich-liberalen
Koalition soll bei allen relevanten Akteuren der Film-
branche das schon vorhandene Problem- und Bedarfs-
bewusstsein noch weiter gesteigert werden. Die Bundes-
regierung ist aufgefordert, zu prüfen, ob Kinos für
Investitionen in die barrierefreie Ausstattung ihrer Vor-
führsäle Ermäßigungen ihrer Abgabe an die Filmförde-
rungsanstalt, FFA, erhalten können. Darüber hinaus ist
zu prüfen, ob geförderte Filmproduktionen ab einer be-
stimmten Förderhöhe zur barrierefreien Ausstattung des
Films verpflichtet werden können.
Mit der nächsten FFG-Novelle sollte eine Regelung
gefunden werden, deren Ziel es ist, die Bedürfnisse von
seh- und hörbehinderten Kinobesuchern besser einzube-
ziehen.
Auch die Rundfunkanstalten sehen wir in der Pflicht.
Sie sollen ihr barrierefreies Angebot erweitern. Damit
könnten sie Nutznießer einer wachsenden Zielgruppe
sein.
Die Filmbranche ist aufgerufen, dem Ziel der Förder-
hilfen stärker gerecht zu werden. Unser Ziel ist es, dass
sich mittelfristig Investitionen in die barrierefreie Aus-
stattung von Filmen aus dem Markt refinanzieren lassen.
Wir freuen uns auf die gemeinsame Beratung im Aus-
schuss. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbei-
ten, dass jeder von uns in Deutschland Filme uneinge-
schränkt erleben kann.
Auf meine Frage an die Bundesregierung, welche in
den Jahren 2009 und 2010 mit Bundesmitteln geförderte
Filme barrierefrei – Audiodeskription, Untertitelung
und Gebärdensprache – produziert worden sind und
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vention in der UNO-Vollversammlung ist, frage ich, in-
wieweit die Koalition den Geist dieser Menschenrechts-
konvention begriffen hat.
Zu Recht verweist die Koalition in ihrem Antrag auf
Art. 30 „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erho-
lung, Freizeit und Sport“, aber es ist zu dieser Thematik
nicht der einzig wichtige Artikel. Grundlage sind auch
Art. 2 bis 5, 8 „Bewusstseinsbildung“, 9 „Barrierefrei-
heit“, 21 „Recht der freien Meinungsäußerung, Mei-
nungsfreiheit und Zugang zu Informationen“, 24 „Bil-
dung“ und 29 „Teilhabe am politischen und öffentlichen
Leben“. Die Koalition „vergisst“ beim Verweis auf die
UN-Behindertenrechtskonvention, dass zu Beginn jedes
Artikels steht, dass der Staat die nachfolgenden Rechte
zu gewährleisten hat. Es geht also nicht um „sollte“ und
„könnte“, um Prüfaufträge und Bitte-Bitte-Gespräche,
sondern um die Wahrnahme von – spätestens seit dem
26. März 2009 gesetzlich verankerten – Pflichten der
Bundesregierung.
Die Koalition stellt – wie bei allen Maßnahmen für
Menschen mit Behinderungen – auch bei diesem Antrag
unter Punkt II die Formulierung „Der Deutsche Bun-
destag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der
verfügbaren Haushaltsmittel …“ voran. Nun haben wir
vor einer Woche gerade den Bundeshaushalt 2012 be-
schlossen, und trotz entsprechender Vorschläge von den
Linken wurden zur Umsetzung der UN-Behinderten-
rechtskonvention, auch in den Bereichen Kultur und Me-
dien, keine nennenswerten Akzente gesetzt. Nichts, was
in diesem Antrag steht, steht nicht auch schon im Ak-
tionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention vom 15. Juni 2011. Wozu
also dieser Antrag? Statt Prüfaufträge brauchen wir
endlich wirksame Maßnahmen. Auch wenn ich mich
wiederhole: Die Linke fordert, dass bei allen Förderun-
gen mit Mitteln der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
die Barrierefreiheit ein verbindliches Kriterium sein
muss. Das heißt auch: keine Förderung einer Filmpro-
duktion, welche nicht auch mit Audiodeskription, Unter-
titelung und Gebärdensprache produziert wird; keine
Förderung von Filmfestivals und Filmveranstaltungen
mit Filmen, die nicht barrierefrei zur Verfügung stehen,
und keine Förderung von Baumaßnahmen und Investi-
tionen in Kulturstätten, die auch nach der Maßnahme
nicht barrierefrei sind.
Die Linke fordert ein Baurecht in Bund und Ländern,
welches barrierefreies Bauen nicht nur als Empfehlung,
sondern als grundsätzlich zwingende Verpflichtung vor-
sieht. Die Linke fordert, dass Bundestag und Bundes-
regierung bei der Bereitstellung barrierefreier Angebote
an Kultur und Information beispielhaft vorangehen. Das
schließt entsprechende Angebote bei der Übertragung
von Sitzungen des Bundestages – auch wenn sie mal
nicht so kulturvoll und inhaltsreich sind – mit ein.
Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Vor wenigen Monaten hatte ich die große Ehre, der
Jury des Deutschen Hörfilmpreises anzugehören. Dort
habe ich in tief beeindruckender Weise erfahren, welche
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edeutung der barrierefreie Zugang zu Filmen für
linde und sehbehinderte Menschen hat. Die Hörfassun-
en der 2011 mit Preisen ausgezeichneten Filme „Die
äpstin“, „Lippels Traum“ und „Ganz nah bei Dir“ zei-
en beispielhaft, was möglich ist.
Meine erste Reaktion auf diese Juryarbeit war die
rage, warum das Angebot an barrierefreien Filmen in
eutschland immer noch so gering ist – auch im Ver-
leich zu anderen europäischen Ländern. Denn Hörfilm-
ssungen können mit einem relativ geringen Aufwand,
it circa 55 Euro pro Filmminute, erstellt werden. Da-
it lassen sich Zugangsbarrieren für über eine Million
linde und sehbehinderte Menschen absenken und ihre
öglichkeiten der kulturellen Teilhabe deutlich erwei-
rn. Bei der Untertitelung für hörbehinderte Menschen
llen die Kosten sogar noch geringer aus.
Weil das Angebot so unzureichend ist, habe ich mich
März 2011 mit schriftlichen Fragen an die Bundes-
gierung gewandt und wollte unter anderem wissen, ob
ie Erleichterung der Förderbedingungen für Filme mit
udiodeskriptionen für blinde und sehbehinderte Men-
chen und für Filme mit ausführlicher Untertitelung für
örbehinderte, die die letzte Novelle des Filmförderge-
etzes ja vorsieht, zu einer Zunahme des Anteils von bar-
ierefreien Filmen bei den durch Bundesmitteln geför-
erten Filmen geführt hat. Die Bundesregierung konnte
eine Auskunft geben mit dem Hinweis, dass die in den
ahren 2009 und 2010 geförderten Filmen zum überwie-
enden Teil noch nicht fertiggestellt seien.
Diese Antwort halte ich für unzureichend. Die Bun-
esregierung hätte ja bei der FFA oder auch bei Firmen
nd Institutionen, die mit der Herstellung von barriere-
eien Filmen beschäftigt sind, nachfragen können, ob
umindest eine Tendenz abzusehen ist, was die Wirksam-
eit der Neuregelungen im FFG angeht.
Wir haben uns deshalb selbst auf die Suche gemacht –
it einem negativen Resultat. Der Deutsche Blinden-
nd Sehbehindertenverband, der einen guten Überblick
der Sache hat, signalisierte uns, dass so gut wie keine
ositiven Tendenzen abzusehen seien. Die wichtigsten
roduzenten von Audiodeskriptionen – DHG, Bayeri-
cher Rundfunk, Hörfilm e. V. – konnten keinen Auftrag
r Audiodeskriptionen und Hörfilmproduktionen auf
ie Novellierung des FFG und die Einführung des För-
erkriteriums 6 h – Herstellung einer deutschen Audio-
eskription und deutschen Untertitelung – zurückführen.
ei den FFA-Anträgen wird dieses Kriterium wohl auch
ur in ganz wenigen Fällen angekreuzt.
Mit dieser Erkenntnis wandten wir uns dann im Juni
n Herrn Staatsminister Neumann und auch an Herrn
örnsen von der Unionsfraktion – mit einer deutlichen
roblemanzeige und auch dem Angebot, hier gemein-
am nach einer schnellen und sachgerechten Lösung zu
uchen. Ich freue mich, dass die Regierungskoalition mit
rem Antrag, den sie nun einbringt, zumindest andeutet,
ass auch sie hier inzwischen eine Aufgabe sieht und
ich damit – zumindest in der Problemanzeige – in un-
ere Richtung bewegt. Enttäuschend ist aber, dass der
ntrag sich an vielen Stellen nur mit Prüfaufträgen be-
nügt. Statt klare Handlungsaufträge zu erteilen, regiert
17540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
Dr. Ilja Seifert
gebene Reden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011 17541
Claudia Roth
(C)
(B)
über weite Strecken der Konjunktiv. Das ist nicht ausrei-
chend.
Gut wäre es auch gewesen, zwischen den Fraktionen
koordinierter vorzugehen und einen interfraktionellen
Antrag auszuarbeiten – so wie wir das vorgeschlagen
hatten. Wenn es nun Hinweise aus der Koalition gibt,
dass wir in der weiteren Beratung eine gemeinsame Be-
schlussempfehlung erarbeiten können, in die dann auch
weitere Anträge und Überlegungen einfließen, dann ist
das ein gutes Signal und wäre auch für uns ein gangba-
rer Weg. Bedingung wäre allerdings, dass wir bei den
konkreten Handlungsaufträgen weiterkommen.
Wir Grüne wollen rasch mehr barrierefreie Filme –
und das nicht um Jahre aufschieben, bis Regelungen in
einer kommenden FFG-Novelle greifen. Angesichts der
überschaubaren Kosten und nicht zuletzt auch der
Marktchancen für barrierefreie Filme müsste eine sol-
che rasche Ausweitung des Angebots doch möglich sein!
Deshalb von unserer Seite nochmals ein klares Ge-
sprächsangebot und der Wunsch, gemeinsam nach
schnell wirksamen Lösungen zu suchen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es nicht
glauben: Wir sind am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung angelangt. Ich weiß, dass wir alle gemeinsam
noch die Kraft hätten, weiter zu beraten.
Dennoch werde ich die Sitzung jetzt beenden und be-
rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestag auf
morgen, Freitag, den 2. Dezember 2011, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.