Gesamtes Protokol
Ich begrüße Sie sehr herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.
– Ich freue mich über den sympathischen und herzlichen
Gruß.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Das Alter hat Zukunft – For-
schungsagenda der Bundesregierung für den demo-
grafischen Wandel.
– Für meine Jahrgänge ist es wichtig, dies festzustellen.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesminis-
terium für Bildung und Forschung, Herr Thomas Rachel. –
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Thomas Rachel, Parl. Staat
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen des Deutschen Bundestages! Das Bundeskabinetthat heute die vom Bundesministerium für Bildung undForschung – es ist hier federführend tätig – vorgelegteForschungsagenda der Bundesregierung für den demo-grafischen Wandel „Das Alter hat Zukunft“ – der HerrPräsident hat das bereits zitiert – verabschiedet.Diese Forschungsagenda schließt an den Demografie-bericht der Bundesregierung an, der am 26. Oktober imKabinett beschlossen wurde, und markiert einen wichti-gen Meilenstein auf dem Weg zur Demografiestrategieder Bundesregierung, die voraussichtlich im Frühjahr2012 vorgestellt wird. Es ist das erste ressortübergrei-fende Forschungskonzept einer deutschen Bundesregie-rung zu diesem Thema. Alle bei diesem Thema betroffe-nen Ressorts waren hier einbezogen.
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Darüber hinaus richten wir unser Augenmerk beson-ders auf demenzielle Erkrankungen sowie auf die Unter-stützung von Pflegebedürftigen und die Entlastung vonPflegenden, zum Beispiel mit der Zukunftswerkstatt De-menz und dem Modellprogramm zur Verbesserung derVersorgung Pflegebedürftiger.Wir richten auch das Programm „Informations- undKommunikationstechnologie 2020“ entsprechend aus:Wir wollen diese Techniken nutzen, um die gesellschaft-liche Teilhabe gerade älterer Menschen zu unterstützenund die Wohn- und Lebensräume altersgerecht zu gestal-ten.Schließlich fördern wir die Entwicklung neuartigerLösungen zur Anpassung kommunaler und sozialer In-frastrukturen. In Forschungsprojekten und Modellversu-chen werden Themen wie „öffentlicher Personenver-kehr“, „Verkehrsinfrastruktur“ und „Mobilität im Alter“adressiert.Schließlich werden die Forschungsprogramme zumlebenslangen Lernen, zur Arbeitsplatzgestaltung, zurProduktionstechnologie und zu innovativen Dienstleis-tungen so weiterentwickelt, dass ältere Menschen künf-tig ihr Wissen und auch ihre Lebenserfahrung noch bes-ser und länger in die Gesellschaft einbringen können, seies nun beruflich, privat oder im Ehrenamt. Wir werdendas Rahmenprogramm „Geistes- und Sozialwissenschaf-ten“ verstärken und hier auch Grundsatzfragen einer äl-ter werdenden Gesellschaft integrieren.Meine Damen und Herren, mit den genannten Maß-nahmen will die Bundesregierung einen Impuls für For-schung und Entwicklung, für eine Gesellschaft des län-geren Lebens setzen. Dabei spielen technologischeEntwicklungen eine Rolle, aber nicht die alleinige: So-ziale, ethische, rechtliche und andere gesellschaftlicheAspekte müssen in die Umsetzung innovativer Lösungeneingebettet werden.Wir haben es so vorgesehen, dass die Forschungs-agenda zunächst auf einen Zeitraum von fünf Jahren– bis zum Jahr 2016 – ausgerichtet ist. Sie soll am Endeder Förderperiode evaluiert werden. Dann ist zu ent-scheiden, ob es eine Anpassung der operativen Ziele ge-ben soll und ob die Forschungsagenda über das Jahr2016 hinaus fortgesetzt werden soll.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Bevor wir nun mit
der Befragung beginnen, erinnere ich an die berühmte
Ein-Minuten-Regelung: Ich bitte Sie, sich bei den Fra-
gen und Antworten auf jeweils eine Minute zu beschrän-
ken. Nach Ablauf der Minute wird ein Signal daran erin-
nern, zum Schluss zu kommen.
Ich bitte, zunächst die Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den soeben berichtet wurde. – Ich be-
ginne mit Ihnen, Frau Kollegin Petra Sitte. Bitte schön.
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b Sie in diesem Bereich investieren und bei den For-
chungsaktivitäten auch neue Dienstleistungen in den
lick nehmen wollen.
Herr Staatssekretär.
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Danke, Herr Präsident. – Liebe Frau Kollegin Dr. Sitte,
h bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Bandbreite der
hemen – von Wohnen über Arbeit bis zur Pflege – un-
rstrichen haben, die wir letztlich gemeinschaftlich
dressieren wollen. Wir haben sehr wohl im Blick, dass
chnologische Assistenzsysteme selbstverständlich Pfle-
enden und zu Pflegenden helfen können, ihre Situation
u verbessern. Aber es werden auch soziale Gesichts-
unkt in unsere Forschungsagenda aufgenommen. Ich
arf hier beispielhaft unsere Förderlinie „Forschung an
achhochschulen“ nennen, bei der es insgesamt um Pfle-
eforschung geht und wir ausdrücklich das Thema „So-
iale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ haben.
Vielen Dank. – Nächster für die Unionsfraktion, Dr.
homas Feist.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,ie haben davon gesprochen, dass in der Forschungs-genda auch soziale und ethische Komponenten eineichtige Rolle spielen und dass bei sozialer Teilhabe vorllen Dingen auf Kommunikation abgehoben wird. Nunaben wir in diesem Jahr das Jahr der Gesundheitsfor-chung. Wo gibt es besondere Schwerpunkte, die sichit diesem Themenbereich überschneiden?
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Herr Kollege Dr. Feist, das gesamte Themenfeld der
Gesundheitsforschung ist eine der ganz großen Säulen
der Forschungsagenda. Sie wissen, dass wir ein großes
Gesundheitsforschungsprogramm auf den Weg gebracht
haben, das unter der Federführung des BMBF läuft und
bei dem wir in sachlicher und kollegialer Kooperation
mit dem BMG zusammenarbeiten.
Die Themenvielfalt ist riesig. Ich will deshalb mit Ih-
rem Einverständnis ein Beispiel herausgreifen, nämlich
die Frage, wie wir Gesundheitsversorgung auch im länd-
lichen Raum gewährleisten können. Hier haben wir ein
Forschungsprojekt, das in Nordbrandenburg, also in den
neuen Ländern – Sie kommen aus den neuen Ländern –,
im Rahmen der Aktion „Gesundheitsregionen der Zu-
kunft“ durchgeführt wird. Anhand der kardiologischen
Versorgung im strukturschwachen ländlichen Raum
Nordbrandenburgs wird ein neues Betreuungsmodell für
Gebiete ohne dort ansässige Fachärzte entwickelt und
anschließend wissenschaftlich evaluiert. Ziel ist es na-
türlich, aus solchen Projekten Erfahrungen zu sammeln,
die auch auf andere ländliche Regionen übertragen wer-
den können.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller, Kollege Franz
Müntefering.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, dass das, was
in den einzelnen Ministerien bisher zu Senioren, AuS,
Wohnen und Stadtentwicklung, Gesundheit und Pflege,
Verbraucherschutz und Verkehrssicherheit unter dem
Gesichtspunkt der Interessenlage der Älteren erforscht
worden ist, nicht mehr in den einzelnen Ministerien er-
forscht wird, sondern im Wissenschaftsministerium zu-
sammengefasst wird. Sie sagen, das solle in den nächs-
ten fünf Jahren zu Ergebnissen führen. Sie kündigen für
das nächste Frühjahr eine Demografiestrategie an. Da-
raus ergibt sich für mich die Frage: In welchem Verhält-
nis steht sie zur Forschungsagenda, die Sie beschrieben
haben? Besteht die Agenda der Bundesregierung darin,
dass sie in den nächsten fünf Jahren forscht oder for-
schen will? Falls die Ergebnisse davon noch nicht vorlie-
gen: Wie belastbar und wie aussagestark wird dann die
Strategie sein, die im Frühjahr nächsten Jahres auf den
Tisch gelegt wird?
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Herr Bundestagsabgeordneter Müntefering – –
– Darf ich noch antworten? Gut.
Wir machen jetzt die Maschine aus.
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in einer Minute beantworten kann. Ich werde mir aberredlich Mühe geben, zumindest einen Teil abzuarbeiten.Sie haben recht: Das, was wir national tun, sollten wirauf internationaler Ebene abgleichen und in die interna-tionale Diskussion einbringen, zumal die Bundesrepu-blik Deutschland nicht isoliert von den Veränderungen inder Altersstruktur betroffen ist. Ich nenne in diesem Zu-sammenhang Japan, Kanada und Korea. Das sind dreiLänder, die von den demografischen Veränderungenschon sehr viel stärker betroffen sind. Natürlich nehmenwir auf, was in diesen Ländern in diesem Bereich unter-nommen wird.Konkret heißt das, dass wir in den europäischen Pro-zess der Fortentwicklung des europäischen Forschungs-rahmenprogramms – das 8. EU-Forschungsrahmenpro-gramm wird „Horizon 2020“ heißen – unsereVorstellungen im Bereich der Forschung für die älterwerdende Bevölkerung einbringen werden. Wir werdendafür kämpfen – so steht es auch in einem Papier derBundesregierung für die EU –, dass dies ein wichtigesThema wird.
– Wenn der Präsident es mir erlaubt, greife ich zumin-dest noch eine weitere Frage kurz auf. Sie haben gefragt,wie Aspekte wie Prävention aufgenommen werden kön-nen. Prävention ist im Rahmen der Gesundheitsfor-schungsaktivitäten ein eigenes Thema. Wenn ich darf,werde ich ein bisschen konkreter: Wir müssen natürlichLangzeituntersuchungen durchführen, und das tun wirauch. Wir analysieren die biologischen Vorgänge des Al-terns und versuchen, die Erkenntnisse mit der Frage inVerbindung zu bringen, ob auch sozioökonomische Fak-toren einen Einfluss auf den Alterungsprozess haben.Ganz konkret: Hier in Berlin haben wir die Berliner Al-tersstudien – „BASE“ genannt – auf den Weg gebracht.In dem Rahmen werden sowohl genetische als auch me-dizinische, aber auch immunologische Fragestellungenuntersucht und mit psychologischen und sozioökonomi-schen Faktoren kombiniert. Daran erkennen Sie, dasswir uns disziplinübergreifend um ein Gesamtbild derProzesse des Alterns bemühen.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller, Kollege
Tankred Schipanski. Bitte schön, Kollege Tankred
Schipanski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin zum einen ange-
deutet, dass das Programm evaluiert werden soll. Ich
möchte gerne wissen, wer diese Evaluierung vornehmen
wird. Zum anderen haben Sie uns die Themenfelder vor-
gestellt, mit denen sich die Forschungsagenda beschäf-
tigt. Mich würde interessieren: Von wem hat sich die
Bundesregierung beraten lassen, als es darum ging, die
Themenfelder herauszufiltern? Wie ist man auf diese
konkreten Themenfelder gekommen? – Vielen Dank.
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Wir fragen auch: Was können die Tüftler, die Erfinder,die Wissenschaftler dazu beitragen, dass Menschen, diein ihrer angestammten Wohnung bleiben wollen, tatsäch-lich möglichst lange dort bleiben können?Um es Ihnen bildhaft und konkret darzustellen: Wirfördern beispielsweise das Projekt „AlterLeben“, die„Mitalternde Wohnung“. Das sind neue Aktivitäten, aberes ist nicht so, dass deswegen die Förderung für alle an-deren Aktivitäten eingestellt wird; das will ich an dieserStelle sagen. Bei diesem Projekt werden Lösungen fürselbstbestimmtes Wohnen in den eigenen vier Wändenim Alter entwickelt. Dazu gehören nicht nur technischeAssistenzsysteme, sondern auch bautechnische Maßnah-men. Die Wohnung für Ältere in fünf, sechs oder siebenJahren wird anders aussehen als heute. Dazu gehörenauch Dienstleistungskonzepte. Denn meine grundsätzli-che Auffassung ist: Technik kann immer nur unterstüt-zend sein. Die menschliche Zuwendung muss weiterhinim Mittelpunkt stehen.
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin
Elisabeth Scharfenberg.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, in der For-
schungsagenda wird ressortübergreifendes Arbeiten an-
gekündigt. Ich deute das so, dass es unter anderem eine
ressortübergreifende Arbeit zwischen dem Ministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem
Ministerium für Gesundheit geben soll. Wie wird sich
denn da die Zusammenarbeit gestalten, und wer wird sie
koordinieren? Wer wird zuständig sein? Wir erleben ja
die Arbeit der Ministerien, die ich gerade genannt habe,
als sehr konkurrenzbehaftet. Ich denke, ein ressortüber-
greifendes Vorgehen ist da dringend geboten.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ihr Erleben deckt sich
in dem Fall nicht mit meinem, jedenfalls nicht beim
Thema Forschungsagenda. Ich stelle ein sehr gutes Mit-
einander unserer Ministerien fest. Dies liegt vielleicht
auch daran, dass wir bei der Entwicklung der For-
schungsagenda – hier hatten wir als BMBF die Feder-
führung – nichts von dem, was in den anderen Ressorts
an Sinnvollem verantwortlich gemacht wird, infrage ge-
stellt haben. Vielmehr haben wir die Dinge inhaltlich
und konzeptionell verknüpft. Es ging uns dabei auch da-
rum, Doppelförderungen möglichst zu verhindern und
insofern einen insgesamt größeren Mehrwert zu errei-
chen.
Ich darf Ihnen beispielhaft aus der Verantwortung des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zwei Schwerpunkte nennen, bei denen sich die
Kollegen aus dem Ministerium besonders engagieren.
Das sind die Bereiche „Zuhause im Alter – Wohnen im
Alter“ und „Demenz: Lebensqualität verbessern und
Pflegende unterstützen“. Hier wird sich das Familien-
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dem tun! Ohne Zweifel: Die größte Herausforderung,die wir alle, auch persönlich in unseren Familien, erle-ben werden, ist, dass das Thema Demenz keine Fragesein wird, die nur wenige Menschen betrifft. Vielmehrsind davon bereits heute 1,1 Millionen Menschen in un-serem Lande betroffen. Wir wissen, dass wir bis zumJahr 2050 eine Steigerung auf 2 bis 3,5 Millionen Men-schen, die an Demenz erkrankt sind, zu verzeichnen ha-ben werden. Jeder kann sich vorstellen – auch die Zu-schauer auf der Tribüne –: Dazu werden auch einige vonuns, die wir heute hier im Plenarsaal sind, gehören.Insofern ist es von zentraler Bedeutung – sowohl fürdie Menschen, die an Demenz erkranken, als auch fürihre Familienangehörigen, die eine erhebliche Aufgabe,nämlich die pflegerische Betreuung, zu bewältigen ha-ben, als auch für die Gesellschaft und die Volkswirt-schaft insgesamt, und zwar unter dem Gesichtspunkt derGesundheitskosten, die damit verbunden sind –, die De-menzforschung in den Mittelpunkt zu stellen. Die Bun-desregierung hat das gemacht, indem sie erstmalig in derGeschichte der Bundesrepublik ein nationales Demenz-zentrum in Bonn gegründet hat. Damit rücken wir diesesThema – von der Ursachenerforschung bis zur Frage,wie wir pflegerisch und betreuerisch korrekt mit an De-menz Erkrankten umgehen – in den Mittelpunkt.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Katharina
Landgraf.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
berücksichtigt Ihre Forschungsagenda auch die aktuelle
Situation auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere den Fach-
kräftemangel? Werden die Kompetenzen des Alters wie
Erfahrung und Fachkompetenz, die jetzt womöglich
brachliegen, der Kreativität und dem Innovationsdrang
junger Menschen gegenübergestellt? Kann man das
überhaupt gegeneinander abwägen? Könnte man die Äl-
teren nicht motivieren, länger als bisher im Arbeitsleben
zu bleiben?
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Vielen Dank, Frau Bundestagskollegin. – Ich glaube,
wir alle spüren in Gesprächen, auch in unseren Wahl-
kreisen, dass sich sehr viele Ältere gerne weiter einbrin-
gen wollen, sei es am Arbeitsplatz oder in die Gesell-
schaft insgesamt. Insofern sprechen Sie ein ganz
zentrales Anliegen an: Wir müssen den Erfahrungs-
schatz und die Bereitschaft der älteren Mitbürgerinnen
und Mitbürger, mitzutun, aufnehmen und ihnen entspre-
chende Möglichkeiten verschaffen. Das betrifft die Zi-
vilgesellschaft, die Art und Weise, wie wir Diskussions-
prozesse in der Gesellschaft insgesamt organisieren, aber
natürlich auch die Frage, wie wir Älteren mehr Hilfen
und Unterstützung auf dem Weg in den Arbeitsmarkt ge-
ben.
Wir haben das fest im Blick. Dabei spielt auch eine
Rolle, dass wir in Zeiten des Fachkräftebedarfs leben.
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daran haben müssen, Pflegekräfte zu haben, die sich bei-spielsweise auch in den Ursprungssprachen derjenigenMenschen verständigen können, die aus anderen Län-dern zu uns gekommen sind; denn wir wissen, dass ge-rade für Ältere, insbesondere wenn sie auf ihre eigenenUrsprünge zurückblicken, die türkische, die italienischeoder die griechische Sprache unter Umständen eine grö-ßere Rolle spielt als in den 20 Jahren zuvor.
Nächste Fragestellerin unsere Kollegin Frau Ewa
Klamt.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
meine erste Frage geht in folgende Richtung: Kann man
schon sagen, welches Finanzvolumen für diesen Fünf-
jahreszeitraum vorgesehen ist?
Sie sagten, man gehe ressortübergreifend vor. Werden
sich auch andere Ressorts an der Finanzierung beteili-
gen?
Meine letzte Frage interessiert bestimmt all jene, die
heute davon gehört haben, dass die Forschungsagenda
auf den Weg gebracht worden ist: Wer ist dann antrags-
berechtigt?
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Das waren mehrere Fragen, Frau Kollegin Klamt.
Wir haben im Haushalt des BMBF für das Jahr 2012,
unter der Voraussetzung, dass der Deutsche Bundestag
als Haushaltsgesetzgeber unserem Vorschlag zustimmt,
84 Millionen Euro vorgesehen. Dies wollen wir mit Un-
terstützung der Abgeordneten in den Folgejahren fort-
schreiben, sodass sich unser Ressort mit rund 415 Mil-
lionen Euro an der Umsetzung der Forschungsagenda
beteiligen wird.
Zur Frage, wer antragsberechtigt ist. Sie müssen sich
vor Augen führen: Die Forschungsagenda an sich ist
kein eigenes Programm, sondern es werden Programme,
Aktivitäten und auch Rahmenprogramme der verschie-
denen Ressorts und der unterschiedlichen Häuser zusam-
mengeführt. Insofern sind die verschiedenen Ministerien
natürlich erst einmal die Adressaten. Antragsberechtigt
sind, da es sich um eine Forschungsagenda handelt,
selbstverständlich die Hochschuleinrichtungen und -in-
stitutionen, die Vertreter von Wissenschafts- und For-
schungseinrichtungen, aber auch Unternehmen.
Uns liegt sehr daran, dass wir auch spätere Nutzer und
Anwender, wie etwa karitative Einrichtungen, einbezie-
hen, um anwendungsnahe Lösungen zu finden, beispiels-
weise die evangelische Diakonie oder die katholische Ca-
ritas. Das sind wichtige Kompetenzeinrichtungen, die
sich aufgrund ihrer Pflegeerfahrungen mit einbringen
können.
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Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, zu den Hand-ngsfeldern der Forschungsagenda zählt unter anderemie Verbesserung des Pflege- und Betreuungsangebots.ich würde im Speziellen interessieren, wie die Bemü-ungen in diesem Rahmen, konkret auf dieses Themaezogen, ressortübergreifend gebündelt werden sollennd welche Maßnahmen sich daraus genau entwickelnollen. Ich bin der Auffassung, dass nur technikgestütztessistenzsysteme nicht ausreichend sind.
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Sie haben natürlich vollkommen recht: Technik ist
eine Antwort und nicht die Antwort alleine. Deswegen
wird das Thema Pflegeforschung als solches inhaltlich-
konzeptionell eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich habe
schon auf das sozialwissenschaftlich ausgerichtete Pfle-
geprogramm in Zusammenarbeit mit den Fachhochschu-
len hingewiesen.
Die verschiedenen Ressorts nehmen hier ihre ganz
unterschiedlichen Verantwortungen wahr. Ich denke an
die Aktivitäten im Familienministerium. Ich habe die
Themen Demenz und Wohnen im Alter bereits ange-
sprochen, aber auch die Aktivitäten des Gesundheitsmi-
nisteriums im Bereich der Gesundheitsforschung. Das
Bundesministerium für Gesundheit hat darüber hinaus
vor, ein Modellprojekt zur Verbesserung der Versorgung
Pflegebedürftiger auf den Weg zu bringen. Ich bin mir
sicher, dass sich die Kollegen des federführenden Fach-
ausschusses in die Entwicklung und Fortentwicklung
dieses Modellprojekts einschalten werden.
Vielen Dank. – Als nächster Kollege Franz
Müntefering und dann Frau Kollegin Petra Sitte. Zu-
nächst Franz Müntefering.
Herr Staatssekretär, ist in Ihrem Forschungspaket
auch die Situation älterer Menschen in Dörfern, Kreisen
und Regionen mit abnehmender Einwohnerzahl berück-
sichtigt, in denen es große Probleme mit der ärztlichen
und medizinischen Versorgung sowie der Daseinsvor-
sorge überhaupt gibt? Wollen Sie auf dieses akute Pro-
blem im Frühjahr nächsten Jahres mit der Strategie zum
demografischen Wandel antworten oder wollen Sie jetzt
eine Forschung beginnen, die in einigen Jahren zu Er-
gebnissen führt?
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Herr Kollege Müntefering, die Frage der Versorgung
des ländlichen Raumes geht offensichtlich weit über den
Aspekt der Wissenschaftler und Forscher hinaus; sie
betrifft auch Fragen der Gesundheitspolitik, die kommu-
nale Verantwortung und die ortsnahe Zurverfügungstel-
lung entsprechender Aktivitäten. Das muss in den Berei-
chen verantwortet und diskutiert werden, die dafür
zuständig sind.
Wir versuchen, Lösungswege mit auf den Weg zu
bringen, die Antworten aus der Forschung entwickeln
können. Ich habe das Forschungsprojekt „Gesundheits-
regionen der Zukunft“ angesprochen. Hier spielt der
ländliche Raum eine Rolle, der es – im Gegensatz zur
Hauptstadt mit der Charité – strukturell sehr schwer hat,
ein allumfassendes medizinisches Versorgungsnetz zur
Verfügung zu stellen. Ich erinnere an das Projekt, das ich
vorhin erläutert habe. Dabei geht es um die kardiologi-
sche Versorgung im strukturschwachen ländlichen Raum
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sich heute offenkundig auch mit dem Rüstungsexport-bericht beschäftigt. Wie man hört, verzeichnet dieserBericht eine dramatische Zunahme der deutschen Rüs-tungsexporte. Ich frage Sie, welche Gründe die Bundes-regierung dafür sieht und welche Konsequenzen sie ausdieser Zunahme zieht.
Für die Bundesregierung, bitte schön, Herr Staatsmi-
nister.
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Frau Kollegin Dr. Enkelmann, der Rüstungsexportbe-
richt stand nicht auf der Tagesordnung der Kabinettssit-
zung vom heutigen Tage.
Vielen Dank. – Gibt es darüber hinaus weitere Fragen
an die Bundesregierung? – Das ist nicht der Fall.
So rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/7901, 17/7922 –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in dieser Fra-
gestunde gilt die Ein-Minuten-Regelung für Fragen und
Antworten. Bei der ersten Antwort werden wir das Si-
gnal jedoch jeweils nicht auslösen. Dennoch bitte ich da-
rum, auch bei der ersten Antwort die Minute nicht zu
überziehen.
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
Frage auf Drucksache 17/7922 auf:
Waren deutsche Kommandostäbe an dem NATO-Angriff
auf pakistanische Stellungen in der Nacht zu Samstag, dem
26. November 2011, beteiligt, bzw. hatten Deutsche Kenntnis
davon, und welche Auswirkungen haben die Vorkommnisse
auf die Sicherheitslage in Deutschland, besonders angesichts
der nächsten Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember 2011 in
Bonn, an der Pakistan seine Teilnahme infrage gestellt hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Ich antworte auf Teil eins der dringlichen Frage der
Kollegin Dağdelen, inwieweit deutsche Kommando-
stäbe an dem NATO-Angriff auf pakistanische Stellun-
gen in der Nacht zum Samstag, dem 26. November 2011,
beteiligt waren bzw. ob Deutsche Kenntnis davon hatten.
An der Operation vom 26. November 2011 waren weder
deutsche Stäbe beteiligt, noch hatten deutsche Soldaten
Kenntnis davon.
Herr Präsident, Teil zwei der Frage beantworte ich
mit dem Hinweis, dass dieser Teil in die Zuständigkeit
des Bundesministeriums des Innern fällt. Der Kollege
Dr. Schröder wird die Antwort darauf übernehmen.
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Herr Präsident! Frau Kollegin Dağdelen, es ist in der
Tat so, dass wir mit Bedauern Medienberichte zur
Kenntnis genommen haben, die zum Inhalt haben, dass
Pakistan der Afghanistan-Konferenz fernbleibt. Nach
diesem Vorgang hat es eine Sitzung sowohl des Defense
Committee of the Cabinet als auch der Regierung selbst
gegeben, in der diese Frage wie auch andere Konsequen-
zen, die Pakistan zunächst einmal gezogen hat, eine
Rolle gespielt haben.
Allerdings haben wir nach intensiven Bemühungen
ausdrücklich keine offizielle Absage der pakistanischen
Regierung. Solange wir noch einen Hoffnungsschimmer
sehen, dass sich Pakistan beteiligen könnte, werden wir
auf allen Ebenen der Bundesregierung und auch mit un-
seren Partnern daran arbeiten, zu versuchen, die Pakis-
tani davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, an dieser
Konferenz teilzunehmen, welche wiederum selber auf
jeden Fall ihren Sinn nicht dadurch verliert, dass Pakis-
tan möglicherweise nicht kommt. Denn Pakistan hat sich
ausgesprochen konstruktiv an dem einen großen Be-
reich, nämlich der Istanbul-Konferenz, bei der es um die
regionale Zusammenarbeit geht, beteiligt und wünscht
ausdrücklich – auch in der Kommunikation der Regie-
rung, auf die ich eben Bezug genommen hatte – den Er-
folg dieser Konferenz in Bonn.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin.
Lieber Herr Hoyer, Sie wünschen den Erfolg dieser
Konferenz. Die Friedensbewegung und auch die Linke
wünschen eigentlich keine Konferenz kolonialistischer
Manier, die Tausende Kilometer von Afghanistan ent-
fernt über die Menschen und auch die Zukunft dieses
Landes nach zehn Jahren noch einmal entscheidet. Die
Bilanz nach zehn Jahren ist katastrophal; das sehen wir.
Insoweit werden wir natürlich gegen diese Konferenz
demonstrieren.
Ich komme zu meiner zweiten Frage – Sie selbst ha-
ben es schon angesprochen –: Rupert Neudeck und viele
andere sprechen nach der Absage Pakistans – Sie sagen,
offiziell gebe es noch keine Absage; in Pakistan selber
wird verlautbart, dass es eine Absage gibt – davon, dass
es nur noch – ich zitiere – eine „halbe Konferenz“ ist, da
die Hälfte der Akteure, die wichtig sind, überhaupt nicht
anreisen wird.
Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hinter-
grund das Ziel, dauerhaft Soldaten in Afghanistan mit-
hilfe Pakistans zu stationieren, das mit der Konferenz
verbunden war, und auf der Konferenz Einigung herzu-
stellen, wenn Pakistan nicht anwesend sein wird?
Glauben Sie, dass es vor diesem Hintergrund nicht rich-
tig wäre, von dieser Konferenz abzusehen und sie abzu-
sagen?
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Frau Kollegin, ich beziehe mich zunächst einmal auf
ie wunderschöne Formulierung des Kollegen Schmidt
u Beginn seiner Beantwortung Ihrer ersten Nachfrage
nd distanziere mich von Ihren bewertenden Bemerkun-
en bezüglich der Konferenz. Wir halten diese Konfe-
nz für ausgesprochen sinnvoll. Deutschland leistet ei-
en großen Beitrag zur Zukunft Afghanistans, und wir
n das mit großem Engagement und mit großem Stolz.
s ist die größte Veranstaltung dieser Art, die in
eutschland jemals organisiert und geschultert worden
t, und die lassen wir uns nicht zerreden.
ir würden uns freuen, wenn die Pakistani kämen.
Ich sage ausdrücklich, dass ich dem von mir sehr ge-
chätzten Rupert Neudeck widersprechen muss, wenn er
on einer „halben Konferenz“ spricht. Auch die Beteili-
ung Pakistans an der langfristigen Problemlösung in
fghanistan ist nach dem, was wir bisher wissen, ge-
ährleistet. Nach dem ausdrücklichen Wunsch, den die
akistanis uns übermittelt haben, nämlich dass sie dieser
onferenz einen großen Erfolg wünschen, gehe ich da-
on aus, dass wir weiterhin auf die Zusammenarbeit mit
akistan setzen können.
Nachfragen? – Jetzt Kollegin Katja Dörner, bitte
chön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte wissen,
elche Informationen die Bundesregierung zu welchem
eitpunkt und von wem über den genannten Vorfall er-
alten hat. Ich möchte auch wissen, ob die Bundesregie-
ng die Entschuldigung der USA für angemessen und
usreichend erachtet.
C
Vielen Dank. – Ich betrachte diese Zusatzfrage alson mir zu beantworten. Die Angaben darüber, wannnd woher die Informationen über den Vorfall von offi-ieller Stelle zu uns gekommen sind, möchte ich schrift-ch nachreichen. Es gab natürlich Informationen; dieanze Öffentlichkeit war darüber informiert.Ich will aber sagen, dass die weitere Befassung mitieser Angelegenheit, bei der 25 Menschen ums Lebenekommen sind, was man nur bedauern kann, nicht iner Verantwortung unseres Landes liegt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17255
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
)
)
Ich denke, dass es richtig ist, dass wir alle unser Be-dauern ausdrücken. Dass wir das Ganze – ohne die Hin-tergründe im Einzelnen recherchieren zu können – imZusammenhang mit der Einladung an Pakistan, sich ander Afghanistan-Konferenz zu beteiligen, betrachten,wie Kollege Hoyer es dargestellt hat, darin liegt ein An-gebot zu einer weiter gehenden Zusammenarbeit.
Nächste Frage: unsere Kollegin Frau Dagmar
Enkelmann.
Dann kommen wir zum Beitrag der deutschen Regie-
rung. Die pakistanische Regierung hat gefordert, dass
der Vorfall im UN-Sicherheitsrat verhandelt wird.
Deutschland ist Mitglied des Sicherheitsrats. Wird
Deutschland dieses Ansinnen unterstützen, und mit wel-
chen Initiativen wird Deutschland in den Sicherheitsrat
gehen?
D
Im Hinblick auf eine Befassung des Weltsicherheits-
rates, gegebenenfalls aufgrund einer Initiative Deutsch-
lands, gibt es noch keine Beschlusslage; deshalb kann
ich Ihnen davon nicht berichten.
Deutschland hat gegenüber den pakistanischen Kolle-
gen in aller Form deutlich gemacht – jenseits des Bedau-
erns usw.; das versteht sich von selbst –, dass es darauf
drängen wird, im Rahmen der NATO für eine vollstän-
dige Aufklärung dieser Angelegenheit zu sorgen; denn
wir sind zutiefst betroffen.
Frau Kollegin Heidrun Bluhm.
Pakistan hat die USA bereits im Juni 2011 aufgefor-
dert, den Luftwaffenstützpunkt Shamsi zu räumen.
Shamsi dient den USA für Starts und Landungen sowie
für die Wartung der US-Drohnen. Bisher ist diese Räu-
mung aber offensichtlich nicht vollzogen worden. Mitt-
lerweile wurden die USA ein weiteres Mal aufgefordert,
binnen 15 Tagen den Stützpunkt zu räumen. Welche Ak-
tivitäten gibt es seitens der Bundesregierung, über die
ISAF-Kommandostäbe dahin gehend Druck auf die
USA auszuüben, dass sie die Forderungen Pakistans er-
füllen?
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Keine.
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17256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
Nachfrage unserer Kollegin Frau Ulla Jelpke.
Danke schön, Herr Präsident. – Mit welchen Auswir-
kungen auf den Afghanistankrieg rechnen Sie, da der
Nachschub über Pakistan organisiert wird bzw. – er wird
ja zurzeit boykottiert – organisiert wurde?
C
Frau Kollegin, Militär und Ziviles ist immer auf
Nachschub angewiesen. Das ist natürlich eine Grunder-
kenntnis. Wie dieser Nachschub zu organisieren ist und
organisiert wird, muss dann anhand der örtlichen Gege-
benheiten entschieden werden. Sie haben sicherlich auch
zur Kenntnis nehmen können, dass ISAF gerade unter
dem Eindruck der einen oder anderen Unsicherheit in
Afghanistan erhebliche Fortschritte bei der Diversifizie-
rung der Nachschubmöglichkeiten erzielt hat.
Nächste Nachfrage unseres Kollegen Dr. Rolf
Mützenich. Bitte schön, Kollege Dr. Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte kurz nach-
fragen: Auch wenn noch keine offizielle Absage der pa-
kistanischen Regierung im Hinblick auf die Bonner
Konferenz vorliegt, so habe ich doch zur Kenntnis ge-
nommen, dass die afghanische Regierung weiterhin gro-
ßen Wert darauf legt, dass die pakistanische Regierung
daran teilnimmt, weil auch für Afghanistan Pakistan of-
fensichtlich ein entscheidendes Land ist.
Vielleicht könnte die Bundesregierung hier auch da-
rüber Auskunft geben, dass viele wichtige andere Nach-
barländer ihre Bereitschaft signalisiert haben, an dem
Gelingen der Konferenz mitzuwirken. Wie bewertet die
Bundesregierung diese Aussagen?
D
Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. – Wir sind
ausgesprochen erfreut, dass diese Konferenz in der
Nachbarschaft Afghanistans auf eine so große, positive
Resonanz stößt. Wir haben schon in Istanbul sehen kön-
nen, mit welch konstruktivem Geist die Nachbarn
Afghanistans sich an diesem Prozess beteiligen möch-
ten. Deswegen sind wir erfreut, dass sie kommen wer-
den. Wir geben Pakistan auch nicht auf.
Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Pakis-
tani in ihrer unmittelbaren Reaktion anlässlich der Kabi-
nettssitzung gesagt haben:
Pakistan looks forward to the success of this con-
ference, but in view of the developments and pre-
vailing circumstances, it has decided not to partici-
pate …
Sie sind selber also stark an dem Erfolg dieses Prozesses
interessiert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17257
)
ler Staaten, die an ISAF beteiligt sind. Der Begriff „Di-versifizierung“ hat sich auch nicht auf die Länder, son-dern allein auf die Zufahrts- und Transportwege und dieFormen des Transports bezogen. Sie wissen ja, dass wir,gerade was den Norden und den Weg über andere Lan-desteile angeht, durch Abkommen mit benachbartenStaaten im Norden und Nordwesten Afghanistans unddurch andere Transportmöglichkeiten die schiere Ab-hängigkeit vom Khaiberpass reduziert haben. Das istdas, was ich mit „Diversifizierung“ gemeint habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem die dring-
liche Frage aufgerufen und beantwortet worden ist,
rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache
17/7901 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister
Dr. Werner Hoyer zur Verfügung.
Frage 1 des Kollegen Volker Beck wird schriftlich be-
antwortet.
Ich rufe Frage 2 des Kollegen Günter Gloser auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen und was plant
die Bundesregierung weiterhin zu unternehmen, um die russi-
sche Regierung zur Unterstützung von weiteren Sanktionen
gegen Syrien im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu be-
wegen?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
D
Herr Präsident! Herr Kollege Gloser, die Bundes-
regierung nutzt alle Kontakte mit der russischen Regie-
rung, um diese von der Notwendigkeit einer klaren Stel-
lungnahme des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
zur Lage in Syrien zu überzeugen. Wir werden vor dem
Hintergrund des menschlichen Leids der Zivilbevölke-
rung auch weiter intensiv um die russische Unterstüt-
zung werben und dabei insbesondere auch auf die ent-
schiedene Haltung der Arabischen Liga hinweisen.
Insoweit hat sich eine qualitative Veränderung der Situa-
tion ergeben, die wir sehr ernst nehmen und sehr begrü-
ßen. Die Arabische Liga hat ihrerseits weitere harte
Sanktionen angedroht. Von daher ist, denke ich, ein
wichtiges Argument weggefallen, das uns immer vorge-
tragen worden ist, wenn es darum ging, eine Resolution
des Sicherheitsrats zu vermeiden.
Bundesminister Westerwelle hat zuletzt am 16. No-
vember mit seinem russischen Amtskollegen zum
Thema Syrien telefoniert. Bundeskanzlerin Merkel hat
– ich war selber dabei – beim Besuch des Präsidenten
Medwedew das Thema angesprochen und für eine
schnelle Verabschiedung einer Syrien-Resolution des
Weltsicherheitsrats geworben.
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17258 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
Danke, Herr Präsident. Dank auch an den Staats-
minister für die Beantwortung. – Ich möchte konkret
nachfragen. Offensichtlich werden innerhalb der Euro-
päischen Union Überlegungen über eine weitere Runde
bei den Sanktionen angestellt. Es ist berichtet worden,
dass in diesem Zusammenhang offensichtlich auch eine
Einladung gegenüber der Arabischen Liga ausgespro-
chen worden ist, was ich insbesondere mit Blick auf die
Zusammenarbeit sehr begrüßen würde. Können Sie das
bestätigen, und können Sie bereits jetzt mitteilen, in wel-
chem Zusammenhang diese Erörterungen stehen wer-
den?
D
Vielen Dank. – Der Rat für Auswärtige Angelegen-
heiten der Europäischen Union wird morgen zusammen-
treten. Die Bundesregierung hat angeregt, den General-
sekretär der Arabischen Liga zu diesen Beratungen
hinzuzubitten. Nach meinem gegenwärtigen Kenntnis-
stand – das muss ich aber mit Vorbehalt sagen – wird das
stattfinden. Wir begrüßen es außerordentlich. Es erhöht
unsere Glaubwürdigkeit und wahrscheinlich auch die Ef-
fektivität unserer Bemühungen, wenn wir uns mit den
Vertretern der Arabischen Liga hier auf das Engste ab-
stimmen.
Vielen Dank.
Die Fragen 3 und 4 der Kollegin Dr. Eva Högl werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 5 unseres Kollegen Johannes
Pflug auf:
Welche konkreten Ergebnisse hat die Afghanistan-Konfe-
renz in Istanbul Anfang November 2011 erbracht, die eine
konstruktive Einbindung der Nachbarstaaten Afghanistans in
den afghanischen Stabilisierungsprozess begünstigen sollen,
und wie werden sich die Ergebnisse der Konferenz, nach Ein-
schätzung der Bundesregierung, auf das zukünftige deutsche
Engagement in Afghanistan auswirken?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Herr Kollege Pflug, zum Teil bin ich schon auf Ein-
zelaspekte des Themas eingegangen, das Sie mit Ihrer
Frage angesprochen haben.
Die Regionalkonferenz „Security and Cooperation in
the Heart of Asia“ am 2. November in Istanbul hat einen
regionalen Annährungsprozess, den sogenannten Istan-
bul-Prozess, zwischen Afghanistan und seinen unmittel-
baren und weiteren Nachbarn in Gang gesetzt. Ziel ist es,
die regionalen Kooperationen bei Sicherheits-, Wirt-
schafts- und Entwicklungsfragen langfristig zu vertiefen
und zu systematisieren. Das Fundament bildet eine
Reihe von Prinzipien – unter anderem Gewaltverzicht,
territoriale Integrität und Nichteinmischung –, die für die
Sicherheit und Stabilität der Region als grundlegend an-
gesehen werden und die für die Staaten der Region ver-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17259
)
vant sind. Deswegen müssen wir uns intensiv darumkümmern und müssen sagen, was geht und was nichtgeht. Ich warne vor der Dämonisierung eines solchenPartners, der für die Stabilisierung dieser Region und derWelt von herausragender Bedeutung ist. Deswegen soll-ten wir uns um einen konstruktiven Umgang bemühen.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Johannes
Pflug:
Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Ergeb-
nisse der Loya Jirga vom November 2011 mit Blick auf die
stagnierenden Gespräche zwischen der afghanischen Regie-
rung und den Aufständischen, und welche Schritte hat die
Bundesregierung unternommen und geplant, um diesen abge-
brochenen Gesprächsprozess wieder in Gang zu bringen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Die Bundesregierung begrüßt es, dass die Delegierten
der Loya Jirga den Prozess einer politischen Einbindung
der Aufständischen ausdrücklich unterstützt haben.
Nach der Ermordung des Vorsitzenden des Hohen Frie-
densrates Burhanuddin Rabbani und der aufgeheizten
Stimmungslage in den Folgewochen setzten die Dele-
gierten mit ihrer Resolution ein klares Zeichen der Fort-
setzung der Friedenspolitik.
Die Bundesregierung teilt die Auffassung der afgha-
nischen Regierung, dass eine Lösung letztlich nur poli-
tisch gelingen kann. Zwischen der afghanischen Regie-
rung und der internationalen Gemeinschaft besteht
Einigkeit, dass der Versöhnungsprozess unter afghani-
scher Führung stehen muss. Die Bundesregierung ist auf
Wunsch der afghanischen Regierung bereit, diesen Pro-
zess im Rahmen des ihr Möglichen zu unterstützen. So
wurde unter deutschem Vorsitz im Sanktionsausschuss
der Vereinten Nationen die Trennung in ein Al-Qaida-
und ein Afghanistan-Taliban-Sanktionsregime bewirkt.
Nach ersten bereits erfolgten Entlistungen – also die Strei-
chung von den Listen, wie man das so schön nennt – im
Sommer 2011 werden zurzeit weitere Anträge im Sinne
von vertrauensbildenden Maßnahmen zur Unterstützung
des politischen Prozesses bearbeitet.
Wir sind insofern bei diesem überaus komplexen
Thema verhalten optimistisch.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Pflug.
Danke schön, Herr Staatsminister. – Ein wichtiges Er-
gebnis dieser Loya Jirga ist wohl die Akzeptanz einer
dauerhaften amerikanischen Truppenpräsenz in Afgha-
nistan auch nach dem Jahr 2014. Angesichts des drama-
tisch verschlechterten Verhältnisses zwischen den USA
und Pakistan stellt sich natürlich die Frage, wie die Aus-
wirkungen einer dauerhaften Truppenpräsenz in Afgha-
nistan beurteilt werden. Halten Sie es für denkbar, dass
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)
statten. Ziel des Konzeptes ist es, das Zeitalter der globa-len Interdependenzen mit aufstrebenden Mächten durcheine kohärente Globalisierungspolitik aktiv mitzugestal-ten. Aber wir befinden uns hier in einer relativ frühenPhase. Da das Thema eine solche Dimension hat, mussich sagen: Man muss etwas wachsen lassen, und diepolitische Führung muss sich intensiv damit beschäfti-gen. Da würde ich nicht gleich jeden Referentenentwurffür bare Münze nehmen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Mützenich.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich gehe davon
aus, dass die Bundeskanzlerin keine Referentenentwürfe
in die Kabinettsberatungen einbringt. Es war aber die
Bundeskanzlerin, die im Zusammenhang mit der Dis-
kussion über Panzerlieferungen an Saudi-Arabien sehr
konkret von der Gestaltungsmacht Saudi-Arabiens ge-
sprochen hat. Deswegen verwundert es mich jetzt schon,
dass Sie auf der einen Seite noch in einem offenen intel-
lektuellen Findungsprozess mit aufstrebenden Mächten
zur Gestaltung deutscher Globalisierungspolitik sind und
auf der anderen Seite bereits Waffenlieferungen in den
Nahen Osten genehmigt haben. Wie passt das zusam-
men? Wie bewerten Sie, wenn Saudi-Arabien zu den Ge-
staltungsmächten gehört, mit Blick auf die Waffenliefe-
rungen an dieses Land eine Studie der Stiftung
Wissenschaft und Politik – die Stiftung arbeitet sowohl
der Bundesregierung als auch dem Bundestag zu; die
Studie ist im Netz abrufbar –, in der insbesondere steht,
dass Saudi-Arabien unruhigen Zeiten entgegengeht?
D
Das geht weit über den Scope Ihrer ursprünglichen
Fragestellung hinaus; aber das ist völlig legitim. – Ich
bleibe dabei, dass wir in dem Moment, in dem wir das zu
einem in der Regierung abgestimmten Konzept erklären,
eine Vorlage präsentieren müssen, die weit über die De-
finition des Begriffs „neue Gestaltungsmacht“ hinaus-
geht. Ein solches globalisierungspolitisches Konzept
gibt es aber noch nicht. Ich wäre da sehr vorsichtig. Des-
wegen würde ich den Begriff nicht auf einen Kontext re-
duzieren, der ausgesprochen streitig ist und differenziert
zu betrachten ist. Der von Ihnen hergestellte Zusammen-
hang mit Rüstungsexporten führt von vornherein auf
eine falsche Spur. Wenn man ein umfassendes Konzept
einer aktiveren Globalisierungspolitik erstellen möchte,
dann muss man sich mit dieser Frage umfassender be-
schäftigen.
Ansonsten bleibt es dabei, dass es hier um Staaten
geht, die im regionalen oder internationalen Bereich eine
besondere Wirtschaftskraft aufweisen, einen starken Ge-
staltungswillen in verschiedenen Politikbereichen haben
und denen eine zentrale Bedeutung bei der Gestaltung
globaler Ordnungspolitik zukommt. Das wäre der Ver-
such einer Definition; aber er reicht nicht aus, um ein
globalisierungspolitisches Konzept zu entwickeln.
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anstatt die ihnen innewohnenden politischen Chancen dieser
gesellschaftspolitischen Entwicklungen für die Nachbarregion
Europas aktiv politisch zu nutzen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Hier ist, glaube ich, ein begriffliches Problem entstan-en, und zwar dadurch, dass der negativ konnotierteusdruck „Gefahr für die Sicherheit“ in Zusammenhangit den Entwicklungen in Nordafrika verwendet wordent. Es ist natürlich völlig klar, dass die Bundesregierungen Entwicklungen der vergangenen Monate in nordafri-anischen Ländern in Richtung Gewährleistung vonechtsstaatlichkeit, politischer Teilhabe und Menschen-ürde mit großer Sympathie begegnet und sie begrüßt.ie Bundesregierung sieht diese Entwicklungen zu-ächst einmal als eine große Chance für diese Länderelber, aber eben auch als eine Chance für die Vertiefunger bilateralen und der interregionalen Zusammenarbeit,sbesondere der Zusammenarbeit Nordafrikas mit deruropäischen Union. Die Bundesregierung unterstützt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17261
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
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diese Entwicklungen durch konkrete Vorhaben in derZusammenarbeit, wie sie in den Transformationspartner-schaften, zunächst mit Ländern wie Tunesien und Ägyp-ten, zum Ausdruck kommen. Auch in der EuropäischenUnion setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dassdurch eine Neuausrichtung der europäischen Nachbar-schaftspolitik insbesondere die reformorientierten Staa-ten Nordafrikas unterstützt werden und wir somit dieChancen dieser Entwicklungen fördern.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Dr. Mützenich.
Bitte schön.
Herr Staatsminister, ich bin dankbar, dass wir uns da-
rauf verständigen können, dass es ein gewisses – wie Sie
es formuliert haben – begriffliches Problem gibt, was die
Stellungnahme der Bundesregierung an die Europäi-
schen Kommission betrifft. In der Tat bergen solche Um-
bruchsituationen auf der einen Seite Risiken, aber sie
bieten auf der anderen Seite durchaus auch Chancen für
Europa. Das haben Sie eben ausgeführt.
Kann es dennoch sein, dass nicht ein begriffliches
Problem besteht – diese Stellungnahme wurde unter Fe-
derführung des Wirtschaftsministeriums erarbeitet –,
sondern dass damit die Begründung für eine Lieferung
sowohl von Dual-Use-Gütern als auch möglicherweise
von Rüstungsgütern erleichtert wurde?
D
Ich will das nicht auf die Federführung des Wirt-
schaftsministeriums reduziert wissen. Das ist ein umfas-
senderes Problem; denn die Entwicklungen in den ein-
zelnen Ländern Nordafrikas sind sehr unterschiedlich.
Risiken durch die Umleitung von problematischen Gü-
tern an Dritte sind angesichts teilweise längst noch nicht
hinreichend ausgeprägter staatlicher – auch rechtsstaat-
lich kontrollierter – Strukturen nicht ganz auszuschlie-
ßen. Deswegen müssen wir uns offenen Auges mit die-
sem Problem befassen. Auf die möglichen Risiken und
Gefahren besonders vor dem Hintergrund der Ausfuhr-
kontrolle weist die Formulierung der Bundesregierung in
der Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission
hin, ohne einen falschen Verdacht produzieren zu wol-
len; das wäre sicherlich unangemessen.
Nehmen Sie als Beispiel die Risiken im Verhältnis zu
anderen fragilen Sahel-Staaten, in denen al-Qaida im is-
lamischen Maghreb seine Aktivitäten ausdehnt. Neulich
wurde uns über massive Zuflüsse von Waffen aus liby-
schen Beständen an al-Qaida in der Region berichtet.
Das ist ein Problem, das man nicht einfach wegdiskutie-
ren kann. Ich möchte aber um Himmels willen nicht die
demokratischen, rechtsstaatlichen Kräfte, die sich in
Nordafrika auf einen großartigen Reformweg begeben,
unter Generalverdacht stellen. Das wäre völlig unange-
messen.
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17262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
nen unsere Unterstützung, nicht unsere Verdächtigun-gen.Trotzdem haben wir objektiv betrachtet Probleme mitdem Nachweis des Verbleibs von bestimmten Gütern.Deswegen müssen wir der Sache genau auf den Grundgehen. Wenn Probleme im Hinblick auf die Leistungsfä-higkeit und die Belastbarkeit staatlicher Institutionen be-stehen, auch im Kontrollbereich – auf der Konferenz derKörber-Stiftung, die gestern in Berlin stattfand, habendie Menschen aus der Region das nachhaltig unterstri-chen –, dann müssen wir diese ernst nehmen, auch mitBlick auf die Gefahren, die aus den Exportaktivitäten re-sultieren können. Das ist überhaupt keine diskriminie-rende Äußerung gegenüber den Ländern in der Region.Man muss bei der Formulierung aufpassen. Dass dasWirtschaftsministerium, welches diese Vorlage, wie ichglaube, gemacht hat, darauf hinweist, dass es ein Pro-blem gibt, finde ich vollkommen realistisch. Ich glaube,Sie würden uns als Erste vorwerfen, nicht hinreichendaufgepasst zu haben, wenn ein Rüstungsgut in einemLand auftauchen würde, in das es nicht gehört.
Vielen Dank.
Wir bleiben in diesem Geschäftsbereich. Ich rufe die
Frage 12, gestellt von unserem Kollegen Niema
Movassat, auf:
Was hat der deutsche Botschafter in Namibia, Egon
Kochanke, am 16. November 2011 in Windhuk gemeint, als er
anlässlich der Unterzeichnung der bilateralen Vereinbarungen
der Entwicklungszusammenarbeit gegenüber der Presse Be-
zug auf die namibische Delegation in Berlin anlässlich der
Rückführung von Gebeinen von Opfern des deutschen Ver-
nichtungsfeldzugs nach Namibia nahm und davon sprach,
dass diese „aufgrund ihrer versteckten Agenda“ einen „negati-
Herr Staatsminister, bitte.
D
Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in
der Republik Namibia hat gegenüber der namibischen
Presse anlässlich der Unterzeichnung eines Abkommens
über die Entwicklungszusammenarbeit zwischen
Deutschland und Namibia seine Hoffnung ausgedrückt,
dass die bilateralen Beziehungen davon bestimmt sein
mögen, zukunftsgerichtet die Entwicklungschancen Na-
mibias zu erkennen und zu fördern, ohne – das möchte
ich betonen – die historischen Belastungen aus der ge-
meinsamen Geschichte zu vernachlässigen. Botschafter
Kochanke verwies mit seiner Äußerung darüber hinaus
auf den Umstand, dass die namibische Delegation, die
zur Entgegennahme von Schädeln von Herero und Nama
nach Berlin gereist war, wenn auch nur teilweise, Wie-
dergutmachungsforderungen erhoben hatte. Der Bundes-
regierung wurde im Vorfeld des Delegationsbesuchs von
der namibischen Regierung wiederholt versichert, dass
alleiniger Besuchszweck die Rückführung der Schädel
sein sollte.
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iese Organisationen haben diesen Besuch genutzt, um
chtig zuzulangen und um zu erzwingen, dass dieses
hema auf die Tagesordnung kommt. Ich glaube fast, es
äre von den namibischen Partnern zu viel verlangt,
enn man verlangen würde, darauf überhaupt nicht ein-
ugehen. Deswegen sollten wir uns einmal selbst fragen,
b dieser Besuch nicht möglicherweise doch in unange-
essener Weise in eine falsche Richtung gelenkt worden
t, nicht von den Namibiern, sondern von denen, die
ier als Kogastgeber aufgetreten sind.
Im Übrigen waren die Absprachen mit der Bundes-
gierung in diesem Zusammenhang ausgesprochen
chwierig. Der Termin ist mehrfach verschoben bzw. ab-
esagt worden. Auch die Delegationszusammensetzung
t immer wieder verändert worden. Zum Schluss wur-
en der Termin und der Ablauf der Veranstaltung von
er namibischen Seite einseitig festgelegt. Dennoch hat
ich die Bundesregierung eingebracht, auch durch die
ersönliche Teilnahme und den Redebeitrag der Kolle-
in Staatsministerin Pieper.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Danke. – Herr Staatsminister, wenn Sie die Kritikicht an der namibischen Delegation festmachen, son-ern an der deutschen Zivilgesellschaft, die in diesemereich aktiv ist, dann frage ich mich – das frage ich
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17263
Niema Movassat
)
)
Sie –: Warum hat die Bundesregierung nicht zumindestdie Chance zum Dialog genutzt? Es gab eine konkreteEinladung zu einer Podiumsdiskussion am 28. Septem-ber 2011. Dort hätte man in einen offenen, transparentenDialog mit der namibischen Delegation eintreten kön-nen. Man hätte auch über die Fragen „Völkermord“ und„Wiedergutmachung“ in einer transparenten Art undWeise reden und seine Position deutlich machen können.Das wurde versäumt. Warum?D
So laufen internationale Verhandlungen und Gesprä-
che über so komplexe Angelegenheiten nicht. Man be-
gibt sich nicht auf eine Initiativveranstaltung, um dort
mit den ausländischen Partnern Verhandlungen zu füh-
ren; so läuft das nicht. Vielmehr verabredet man vorher,
welche Themen bei einer solchen Reise behandelt wer-
den sollen, welche Abläufe es geben soll und in welchen
Formaten diskutiert werden soll. Das wird dann abgear-
beitet.
Wie gesagt: Den Vorwurf richte ich nicht in erster Li-
nie an die namibischen Freunde, sondern wir müssen
selbstkritisch fragen, ob das alles in Deutschland gut ge-
laufen ist. Wir können eine solche Veranstaltung nicht in
einer solch chaotischen Weise durchführen. Es wäre bes-
ser gewesen, wenn es über Zeit, Ablauf und Zusammen-
setzung dieser Besuchsreise eine präzise Absprache mit
der Bundesregierung gegeben hätte. Das ist leider nicht
der Fall gewesen. Da wir es in der Tat mit einem ganz
komplexen und belastenden historischen Thema zu tun
haben, sollten wir aufpassen, dass dies in der Zukunft
nicht zu weiteren Belastungen des namibisch-deutschen
Verhältnisses führt.
Vielen Dank. – Wir kommen nun zu Frage 13, eben-
falls gestellt vom Kollegen Niema Movassat:
Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass
sie dem wiederholt und mit Nachdruck vorgetragenen Be-
kenntnis zum schweren historischen Erbe, zu der daraus resul-
tierenden moralischen und historischen Verantwortung
Deutschlands gegenüber Namibia und der Sonderbeziehung
zwischen den beiden Staaten gerecht wird, wie es die Staats-
ministerin Cornelia Pieper am 30. September 2011 in ihrer
Rede in der Berliner Charité betonte, wenn der deutsche Bot-
schafter in Namibia das durch die skandalöse Abfertigung der
namibischen Delegation durch die Bundesregierung ohnehin
strapazierte Verhältnis zu Namibia durch derartige Aussagen
zusätzlich belastet?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
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Wir sind nicht der Auffassung, dass Botschafter
Kochanke, der durchaus zu handfesten Äußerungen in
der Lage ist und diese auch immer gut begründen kann,
die namibische Delegation in irgendeiner Weise belei-
digt oder das Verhältnis zu Namibia belastet hätte; das
sehe ich nicht. Im Übrigen weise ich auch deutlich den
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Ich halte davon nichts. Ich glaube, dass wir uns hier
einen Schuh anziehen, der nicht passt. Richtig ist, dass
die politische Situation in Namibia kompliziert ist und
dass es innerhalb der politischen Kräfte in Namibia in
der Frage der Wiedergutmachung und der Frage der
Rückführung der Schädel sehr unterschiedliche Positio-
nen gibt. Das hat ja auch die Vorbereitung dieser Über-
gabe so kompliziert gemacht. Deswegen sind immer
wieder Termine abgesagt worden, neu angesetzt worden,
und zum Schluss ist diese Angelegenheit, wie ich finde,
auf eine unglückliche Art und Weise abgewickelt wor-
den. Das hat die ganze Angelegenheit nicht erleichtert.
Aber wir sollten uns nicht einreden, Deutschland, das
sich ernsthaft bemüht, mit einer historischen Belastung
angemessen umzugehen, würde die Schuld auf sich la-
den, wenn es darum geht, dass der innenpolitische Pro-
zess in Namibia schwierig ist.
Vielen Dank. – Eine weitere Frage hierzu stellt unser
Kollege Hartwig Fischer.
Herr Präsident! Herr Staatsminister, ist es nicht viel-
mehr so, dass dieses Thema in den vergangenen Jahren
bei Besuchen aller Delegationen angesprochen wurde,
dass es mit der Regierung in Namibia Einigkeit in Bezug
auf die Auseinandersetzung – ich meine das im positiven
Sinne – mit den Herero gegeben hat und dass mit der
Rede und der Entschuldigung von Frau Wieczorek-Zeul
in Namibia ein Grundkonsens auch mit den damals an-
wesenden Herero geschaffen wurde?
D
In der Tat, Herr Kollege Fischer: Das Problem ist da-
mals in einer würdigen Form erledigt worden. Das heißt
nicht, dass wir uns unserer historischen Belastung nicht
immer bewusst sein werden und dies auch gegenüber
den namibischen Freunden zum Ausdruck bringen soll-
ten. Aber das Thema Wiedergutmachung war damit
durch. Man muss schon feststellen, dass es ständig von
Kräften innerhalb der Bundesrepublik Deutschland neu
aufgemischt wird. Das ist nicht hilfreich für den weite-
ren Prozess in Namibia selber, und es ist mit Sicherheit
nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
Die Frage 14 der Kollegin Kotting-Uhl wird schrift-
lich beantwortet.
Die Frage 15 der Kollegin Dağdelen wurde zurückge-
zogen.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern.
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satz zur Bundesregierung das für alle Mitgliedstaaten gleicher-
maßen gültige Assoziationsrecht so auslegt, dass von
türkischen Staatsangehörigen zum Beispiel keine Sprachnach-
weise im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug
verlangt werden dürfen, und inwieweit hält die Bundesregie-
rung einen Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 30. März 2010 noch für tragfähig, nachdem dieses
vom Gericht selbst in einer anderen europarechtlichen Frage
als überholt bezeichnet wurde und nach
diesem Urteil weitere maßgebliche Entscheidungen des Euro-
päischen Gerichtshofs ergangen sind, die damals noch nicht
berücksichtigt werden konnten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom
0. März 2010 die Rechtsauffassung der Bundesregie-
ng bestätigt, dass die Regelungen zum Sprachnach-
eiserfordernis mit europäischem Recht, insbesondere
it Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtli-
ie und dem Assoziationsrecht EU-Türkei, vereinbar
ind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem von der
ragestellerin zitierten Kostenbeschluss vom 28. Okto-
er 2011 im Verfahren lediglich darauf hingewiesen,
ass die Europäische Kommission im Mai 2011 in einem
erfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eine ver-
nderte Rechtsauffassung vertreten hat. Entgegen der
arstellung der Fragestellerin hat sich das Bundesver-
altungsgericht dabei weder auf eine Entscheidung des
uropäischen Gerichtshofs berufen, noch kann man dem
ostenbeschluss entnehmen, dass das Bundesverwal-
ngsgericht von seiner Auffassung, wonach das deut-
che Sprachnachweiserfordernis mit Grundgesetz und
uropäischem Recht vereinbar ist, abweichen wollte.
Die Bundesregierung hält ebenfalls an dieser Rechts-
uffassung fest. Unbeschadet der Tatsache, dass die
uropäische Kommission in der Frage der Vereinbarkeit
er Sprachnachweisregelung mit der Familienzusam-
enführungsrichtlinie eine andere Rechtsauffassung als
ie Bundesregierung vertritt, bleibt der EuGH zur ab-
chließenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts beru-
n. Der EuGH hat sich zu dieser Rechtsfrage noch nicht
eäußert. Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht der
undesregierung kein Anlass für Gespräche mit der nie-
erländischen Regierung über die Vereinbarkeit nationa-
r Sprachnachweisregelungen mit dem europäischen
echt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,an kann es sich natürlich einfach machen, indem man
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17265
Sevim Daðdelen
)
)
Sevim Dağdelennur das wiederholt, was man bis vor kurzem auch immerbehauptet hat: dass das Gericht in seiner Entscheidungvom März 2010 nicht von seiner Auffassung abgerücktist. Fast alle Expertinnen und Experten in der Fachweltsagen aber genau das Gegenteil von dem, was Sie hierbehaupten.Natürlich ist mir die Rechtsauffassung der Bundes-regierung aufgrund der Antworten auf die vielen KleinenAnfragen, die wir in dieser Sache gestellt haben, seit län-gerem bekannt. Eines verstehe ich aber nicht: Das Asso-ziationsabkommen gilt doch für alle EU-Mitgliedstaatengleichermaßen und mit gleichem Inhalt. Wenn man nunsieht, dass die Niederlande, die, wenn ich das so sagendarf, nicht unbedingt eine migrantenfreundliche Regie-rung haben – schließlich wird sie vom RechtspopulistenWilders gestützt –, zu dem Schluss gekommen sind, dassGesetzesverschärfungen durch die Einführung von Re-gelungen bezüglich der Sprachanforderungen mit demVerschlechterungsverbot des Assoziationsrechts unver-einbar sind, dann darf das der Bundesregierung nichtegal sein. Irgendein Land – entweder Deutschland oderdie Niederlande – muss ja bei der Umsetzung dieses As-soziationsrechts im Unrecht sein.Insofern möchte ich gerne wissen: Warum wird sei-tens der Bundesregierung nicht der Versuch unternom-men, sich hier auszutauschen, um eine EU-einheitlicheUmsetzung des Assoziationsrechts zu erreichen, bzw.sich wenigstens über die unterschiedlichen Anwendungs-praxen und juristischen Argumente auszutauschen?D
Für uns ist nicht entscheidend, was ein niederländi-
sches Gericht gesagt hat, sondern für uns ist erstens ent-
scheidend, welche Gesetze der Deutsche Bundestag ge-
macht hat. Die Rechtslage in Deutschland ist so, dass ein
Sprachnachweis erforderlich ist. Das halten wir als Bun-
desregierung auch für richtig und notwendig, weil das
eine wichtige Maßnahme für eine bessere Integration ist.
Für die Bundesregierung ist zweitens maßgeblich,
was deutsche Gerichte sagen. Das Bundesverwaltungs-
gericht hat ein entsprechendes Urteil gesprochen, und
eine Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen.
Das ist für uns entscheidend.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, Sie irren schon, wenn Sie von ei-
nem niederländischen Gericht ausgehen. Es ging nicht
um ein niederländisches Gericht, sondern es ging um
den EuGH, der einen Einzelfall aus den Niederlanden
betrachtet hat und kurz vor der Entscheidung stand. Da-
raufhin haben die Niederlande die Regelung zurückge-
zogen und ein Visum erteilt, ohne die Sprachkenntnisse
verpflichtend zu machen und festzustellen. Die Regie-
rung hat also sozusagen unter Vorwegnahme eines Ent-
scheides des EuGH gehandelt, weil sie wusste, dass das,
was in den Niederlanden geschehen und in Deutschland
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17266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
wir sie mit der Übernahme von großen Teilen der Sozial-kosten entlastet, nämlich der Grundsicherung.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
meiner Kenntnis nach ist die Verantwortung für Ret-
tungsdienste erst Ende der 90er-Jahre an die Länder
übertragen worden. Meine Frage ist jetzt: Wenn sich eine
Kommune oder ein Land außerstande sieht, für die An-
schaffung von Spezialtechnik aufzukommen, gibt es
dann Möglichkeiten, dass der Bund dafür Mittel zur Ver-
fügung stellt?
D
Was wir machen, ist, die Länder im Bereich des Ka-
tastrophenschutzes zu unterstützen. Mit der Neukonzep-
tion aus dem Jahr 2008 hat man sich darauf verständigt,
dass der Bund insgesamt 5 046 Einsatzfahrzeuge zur
Verfügung stellt. Von denen haben wir bisher 3 651 aus-
geliefert. Daran sehen Sie schon, dass der Bund seiner
Verantwortung gerecht wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich darf noch einmal nachfragen. Habe ich Sie richtig
verstanden, dass Sie der Meinung sind, dass der Bund
seiner Verantwortung gerecht wird? Korrekt?
D
Ich fasse zusammen, dass das kommunale Feuerwehr-
wesen sowie die Organisation des Rettungsdienstes aus-
schließlich Sache der Länder sind. Nichtsdestotrotz un-
terstützen wir.
Vielen Dank. – Wir kommen nun zu Frage 20 der
Kollegin Jelpke:
Wie viele V-Leute sind vom Bundesamt für Verfassungs-
schutz, BfV, durchschnittlich in den letzten fünf Jahren in der
Ursprünglich war hier schriftliche Beantwortung erbeten
worden. Jetzt aber ist die Fragestellerin anwesend. Ist die
Bundesregierung sprechbereit?
– „Immer“ wird mir signalisiert. – Bitte schön, Herr
Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17267
)
Die ganze Öffentlichkeit spricht inzwischen darüber.
Es gibt Zeitungsartikel. Es ist vieles an die Öffentlich-
keit gedrungen. Aber hier soll es nicht möglich sein, we-
nigstens diese Fragen zu beantworten? Das ist schon
sehr eigenartig.
Meine Frage betrifft Brandenburg. Der dortige Ver-
fassungsschutz hat bereits 1998 Hinweise auf das Trio
gegeben, um das es unter anderem geht. Warum sind
diese Hinweise vom Bundesamt für Verfassungsschutz
damals nicht so bearbeitet worden, dass es nicht noch
weiterer 13 Jahre bis zur Aufklärung bedurfte? Das ist
auch inzwischen vom Verfassungsschutz Brandenburg
öffentlich bestätigt.
D
Sie können es weiter versuchen, aber ich werde keine
Details zur Arbeit des Bundesamts für Verfassungs-
schutz preisgeben.
Wir kommen damit zur Frage 21:
Wie viel Geld wird vonseiten des BfV für den Einsatz von
V-Leuten in der Szene der extremen Rechten jährlich ausge-
geben ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Ich hatte bereits beide Fragen beantwortet, indem ich
darauf hingewiesen habe, dass ich darauf keine Hin-
weise geben kann.
Frau Jelpke will es trotzdem nicht unversucht lassen
und hat ihre erste Nachfrage.
Ja, genau. Ich meine, dass die Öffentlichkeit ein
Recht hat, zu erfahren, wie viel Geld vom Verfassungs-
schutz gezahlt wird. Es sind schließlich Steuergelder, die
dafür ausgegeben werden.
Meine Nachfrage bezieht sich darauf, wie das Bun-
desamt für Verfassungsschutz verhindern will, dass V-
Leute vom Staat Gelder bekommen, die sie dann wieder
in die Nazi-Szene investieren.
D
Der Verfassungsschutz hat hierfür Mechanismen, in-
dem jede einzelne Aussage selbstverständlich kontrol-
liert und evaluiert wird. Mehr kann ich hierzu aber nicht
sagen.
Sie haben eine zweite Nachfrage.
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17268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
sagen, wie hoch der Prozentsatz dessen ist, was von die-sen Mitteln an V-Leute gezahlt wird?D
Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen.
Die Fragen 22 und 23 der Kollegin Aydan Özoğuz,
die Fragen 24 und 25 der Kollegin Sabine Zimmermann,
die Fragen 26 und 27 des Kollegen Frank Tempel und
die Fragen 28 und 29 des Kollegen Jan Korte werden
schriftlich beantwortet. Wir sind immer noch im Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Ich rufe die Frage 30 der Kollegin Wawzyniak auf:
Wie viele der 10 000 Personen, die sich auf der zweiten
Namensliste der Gruppierung Nationalsozialistischer Unter-
grund, NSU, befinden, wurden über ihre Erfassung durch die
Terrorzelle informiert, und wie wurden die Betroffenen unter-
richtet?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Lassen Sie mich eingangs deutlich machen, dass wir
es mit mehreren Listen des Nationalsozialistischen Un-
tergrunds, NSU, zu tun haben, die sich auf verschiede-
nen, in der ausgebrannten Wohnung des Zwickauer Trios
sichergestellten Datenträgern befinden. Das Bundeskri-
minalamt hat aus diesen Listen zur Vereinfachung der
weiteren Bearbeitung eine umfangreiche Liste mit circa
10 000 Personen und Institutionen erstellt. Alle Daten
auf diesen NSU-Listen stammen offenbar aus der Zeit
vor dem Jahr 2006 und wurden nach bisherigen Erkennt-
nissen aus öffentlich zugänglichen Quellen im Internet
erhoben.
Die Ermittlungsbehörden gehen aktuell nicht davon
aus, dass diese Liste einen größeren Verteilerkreis erfah-
ren hat. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags
sowie ehemalige Abgeordnete, deren Namen sich in die-
sen Listen befinden, wurden vom BKA angeschrieben.
Ihnen wurde ein Beratungsgespräch angeboten. Nach
dem jetzigen Stand der Ermittlungen sind keine konkre-
ten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die in der Liste
aufgeführten Personen und Objekte Opfer einer Straftat
werden sollten oder in anderer Weise gefährdet sind.
Im Übrigen haben BKA und Landeskriminalämter
vereinbart, dass sie bzw. die örtlich zuständigen Polizei-
behörden in eigener präventivpolizeilicher Zuständigkeit
mit den im jeweiligen Zuständigkeitsbereich lebenden
Personen, sofern es sich nicht um Mitglieder der Verfas-
sungsorgane des Bundes handelt, schriftlich Kontakt
aufnehmen. Das ist aber auch schon bereits angelaufen.
Dabei wird zugleich darauf hingewiesen, dass Anhalts-
punkte für eine Gefährdung dieser Personen und Institu-
tionen nicht festgestellt werden konnten und die Mög-
lichkeit besteht, sich bei gleichwohl bestehenden
Bedenken mit der nächsten Polizeibehörde oder dem zu-
ständigen Landeskriminalamt in Verbindung zu setzen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17269
)
gerufen. Seit einigen Jahren propagieren regional aktiveKameradschaften den Kampf gegen die jeweils örtlicheAntifa.Schließlich ist in diesem Zusammenhang die denBundessicherheitsbehörden im Juli dieses Jahres be-kannt gewordene Internetseite Projekt Nürnberg 2.0 zunennen. Auf dieser Webseite wird mit Bezug auf dieNürnberger Kriegsverbrecherprozesse als Ziel angekün-digt – ich zitiere –:Aufbau einer Erfassungsstelle zur Dokumentationder systematischen und rechtswidrigen Islamisie-rung Deutschlands und der Straftaten linker Fa-schisten zur Unterdrückung des deutschen Volkes.Weiter heißt es wörtlich – ich zitiere –:Aufgabe des Projektes Nürnberg 2.0 ist es, dieseRechtsverstöße zu erfassen, die Verantwortlichenzu benennen und sie zu einem geeigneten Zeitpunktöffentlich dafür, nach dem Muster des NürnbergerKriegsverbrecher-Tribunals von 1945, zur Verant-wortung zu ziehen.Auf der Unterseite „Verantwortliche“ sind nach Erkennt-nissen der Bundessicherheitsbehörden Namen von rund20 Politikern eingestellt.
Nachfrage, Frau Kollegin Wawzyniak.
Liegen Ihnen Anhaltspunkte vor, dass Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter von mobilen Beratungsteams gegen
Rechtsextremismus ebenfalls besonders bedroht wer-
den?
D
Darüber habe ich keine Erkenntnisse. All diejenigen,
die auf der 10 000er-Liste stehen, werden benachrichtigt.
Diese werden selbst Kenntnis davon haben und können
sich dann wiederum an die Sicherheitsbehörden wenden.
Weitere Nachfrage?
Eine Nachfrage habe ich noch. Wie unterstützt die
Bundesregierung diese zivilgesellschaftlichen Projekte
in ihrem Kampf gegen Rechtsextremismus?
D
Das machen wir. Diese Bundesregierung gibt so viel
Geld für Projekte gegen Rechtsextremismus aus wie
keine Bundesregierung zuvor.
Die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Jens
Petermann werden schriftlich beantwortet.
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17270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
Zunächst einmal will ich vehement widersprechen,
dass es sich um eine leichte Absenkung handelt. In Be-
zug auf die Haushaltsjahre 2011/2012 handelt es sich um
Kürzungen von insgesamt 5 Millionen Euro. Dieses
Geld wäre nur in Sachmittel geflossen, mit denen nur
politische Bildung finanziert worden wäre. Mit diesen
Kürzungen begeben wir uns auf das Niveau von vor der
Wiedervereinigung zurück. Da von geringen Kürzungen
zu sprechen, halte ich schon für eine gewagte Aussage.
Ich möchte auf einen Brief des Bundesministers des
Innern, Herrn Friedrich, zu sprechen kommen. Er hat auf
die Frage des Kuratoriums der Bundeszentrale für politi-
sche Bildung, das einen einstimmigen Beschluss gegen
diese Kürzungen gefasst hat, geantwortet, dass diese
Leistung eine freiwillige Leistung sei und man sie des-
halb kürzen müsse, weil sonst die innere Sicherheit in
diesem Land gefährdet sei; sonst müsse man nämlich
Geld aus genau diesem Bereich nehmen. Entspricht es
dem Sicherheitsbild der Bundesregierung, dass Präven-
tion nicht dazugehört?
D
Ich kann nur noch einmal betonen, dass keine Bundes-
regierung zuvor so viel Geld für Programme gegen
Rechtsextremismus ausgegeben hat wie diese. Wenn man
sich einmal die einzelnen Ansätze des Haushalts der Bun-
deszentrale für politische Bildung anschaut und ver-
gleicht, wie es vor 2005 aussah, dann hat man festzustel-
len, dass im Jahr 2004 der Sollansatz bei 18 313 000 Euro
lag, während er im Jahr 2011 bei 18 686 000 Euro liegt.
Insofern, glaube ich, muss man das, was Sie gesagt haben,
etwas relativieren. Sie sehen natürlich nur den Gesamtan-
satz „Bundeszentrale für politische Bildung“ und nicht,
wofür die Gelder innerhalb der Bundeszentrale für politi-
sche Bildung verwandt werden.
Dann kommen wir zur Frage 35 der Abgeordneten
Daniela Kolbe:
Wie begründet die Bundesregierung die Kürzungen bei
den freien Trägern der politischen Bildung vor den aktuellen
Geschehnissen um das sogenannte Nazi-Trio, und welche
Auswirkungen erwartet die Bundesregierung im Kontext der
Bekämpfung des Rechtsextremismus in der Arbeit der Bun-
deszentrale?
D
Die haushalterischen Maßnahmen im Bereich der
Trägerförderung der Bundeszentrale für politische Bil-
dung beziehen sich nicht auf einzelne Arbeitsbereiche
der Träger. Die freien Träger der politischen Bildung be-
stimmen ihre Arbeitsschwerpunkte in eigener Verant-
wortung. Da die Jahresanträge der Träger für 2012 erst
im Dezember 2011 gestellt und die Mittelvergabe durch
die Bundeszentrale für politische Bildung erst im Januar
2012 abgeschlossen werden, sind gegenwärtig keine ent-
sprechenden Auswirkungen auf einzelne Themenfelder
absehbar. Die Bundeszentrale für politische Bildung
wird unter Berücksichtigung qualitativer und quantitati-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17271
)
extremismus aus als beispielsweise Rot-Grün. Das bitteich zur Kenntnis zu nehmen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Minis-
teriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur Verfü-
gung.
Die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Strässer so-
wie die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Dr. Franke
sollen schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 40 der Kollegin Sonja
Steffen:
Hat sich, und wenn ja, wie, die Bundesregierung in Bezug
auf die Neuregelung des Sorgerechts nichtehelicher Väter ge-
einigt, bzw. ist eine Einigung absehbar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Die Kollegin Steffen fragt nach der Neuregelung des
Sorgerechts nichtehelicher Väter. Auf eine schriftliche
Frage ihrer Kollegin Ingrid Hönlinger vom 24. Oktober
2011 nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung
habe ich eine Antwort gegeben und Folgendes ausge-
führt – ich zitiere –:
Es trifft zu, dass sich die Koalitionsfraktionen derzeit
intensiv im Gespräch befinden, um sich auf einen ge-
meinsamen Regelungsvorschlag zur Neuregelung
der gemeinsamen Sorge bei nicht miteinander ver-
heirateten Eltern zu verständigen. Ein konkreter
Termin der Vorlage eines Gesetzentwurfs an das
Kabinett ist noch nicht geplant.
Diese Darstellung stellt weiterhin den aktuellen Sachver-
halt dar.
Frau Kollegin Steffen, haben Sie eine Nachfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
vielleicht können Sie Auskunft geben über den Stand der
Diskussion. Wir wissen ja, dass es zwei Grundmodelle
gibt: ein Antragsmodell und ein Widerspruchsmodell.
Können Sie vielleicht etwas genauer erklären, wie der
derzeitige Diskussionsstand ist?
D
Frau Kollegin Steffen, Sie benennen richtig den zen-
tralen Streitpunkt. Es ist ja so, dass wir keinerlei Pro-
bleme haben, wenn nicht miteinander verheiratete El-
ternteile sich auf eine gemeinsame Sorge für das Kind
einigen. Es ist ebenfalls klar, dass im Streitfall am Ende
eine gerichtliche Entscheidung zu treffen ist und dass
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17272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
)
D
Nach unseren Vorstellungen ist vorgesehen, dass die
Wohlverhaltensphase von sechs auf drei Jahre verkürzt
werden soll, falls der Schuldner innerhalb dieses Zeit-
raums eine Mindestbefriedigungsquote von 25 Prozent
erfüllt. Eine weitere Verkürzung – von sechs auf fünf
Jahre – ist vorgesehen, wenn der Schuldner innerhalb
dieses Zeitraums zumindest die Verfahrenskosten be-
gleicht. Wenn keine der beiden Voraussetzungen erfüllt
wird, soll die Wohlverhaltensperiode sechs Jahre betra-
gen und dann die Restschuldbefreiung erteilt werden.
Eine weitere Nachfrage? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu Frage 42 des Kollegen Burkhard
Lischka.
Wie erklärt es die Bundesregierung, dass angesichts von
762 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Jahr 2010
– darunter 638 Körperverletzungen – lediglich 68 Anträge auf
Gewährung von „Härteleistungen für Opfer extremistischer
Übergriffe“ positiv beschieden worden sind und im Jahr 2010
aus dem mit 1 Million Euro ausgestatteten Haushaltstitel
681 01 des Bundesamtes für Justiz insgesamt nur 8 160 Euro
für Opfer extremistischer Übergriffe ausbezahlt wurden?
D
Zu dieser Frage darf ich mitteilen, dass im Jahr 2010
bei dem für die Bearbeitung dieser Anträge zuständigen
Bundesamt für Justiz von Opfern rechtsextremistischer
Übergriffe insgesamt 97 Anträge auf Bewilligung von
Härteleistungen gestellt worden sind. Davon sind 67 An-
träge positiv beschieden worden, 22 Anträge abgelehnt
worden, und über acht Anträge ist noch nicht entschie-
den.
Die Diskrepanz zwischen der Zahl der erfassten
rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die ja hö-
her liegt, und der relativ geringen Zahl der gestellten An-
träge lässt sich vielleicht teilweise dadurch erklären,
dass die jährlichen polizeilichen Statistiken über poli-
tisch motivierte Kriminalität weitaus mehr Taten erfas-
sen als jene, bei denen die Opfer Härtefallleistungen er-
halten können. Ein weiterer Grund dürfte darin liegen,
dass in den Bundesländern ein sehr unterschiedliches
Netz von Opferberatungsstellen existiert. In manchen
Ländern wird sehr intensiv beraten, in anderen weniger.
Gleichwohl sind diese Erklärungen auch für uns nicht
völlig ausreichend. Insgesamt sind die Gründe für die
geringe Zahl der Antragsstellungen daher nicht genau zu
benennen.
Wir bemühen uns, die Opfer verstärkt zu informieren.
Dafür gibt es verschiedene Maßnahmen, die ich wegen
der Ein-Minuten-Regel jetzt nicht im Detail aufzählen
kann. Aber das Bundesministerium der Justiz ist mit al-
len Stellen, die für die Opfer in Betracht kommen, in
Kontakt und informiert über die Möglichkeit der Antrag-
stellungen, mehrmals jährlich auch mit Rundschreiben.
Es bleibt zu hoffen, dass damit diese Möglichkeit der Er-
satzleistungen besser bekannt wird und die Zahl der An-
träge, für die ja Mittel zur Verfügung stehen, zunehmen
wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17273
)
führung einer nachträglichen Therapieunterbringung würde„vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem EuropäischenGerichtshof für Menschenrechte nicht bestehen“?D
Ich darf dazu aus der Pressemitteilung des Bundes-
ministeriums der Justiz vom 9. November 2011 die Pas-
sage, auf die Sie sich beziehen, wörtlich zitieren, sonst
kann man den Zusammenhang nicht verstehen. Dort
heißt es:
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, deren
Wiedereinführung nun einige Bundesländer for-
dern, war wenig praxisrelevant, rechtlich kaum
handhabbar und hatte negative Auswirkungen auf
den Vollzug insgesamt. Ihre Wiedereinführung birgt
das Risiko, dass das deutsche Recht vor dem Bun-
desverfassungsgericht oder dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte abermals nicht be-
steht. Das kann dazu führen, dass erneut Siche-
rungsverwahrte entlassen werden müssten. Dieses
Risiko sollte gerade angesichts des äußerst geringen
Anwendungsbereichs der nachträglichen Siche-
rungsverwahrung unbedingt vermieden werden.
Um Ihre Frage mit der hier gebotenen Kürze zu be-
antworten: Wir haben auf bestehende Risiken hingewie-
sen. Es kann keine sichere Prognose gestellt werden, wie
das von einigen Ländern vorgeschlagene Institut bei den
beiden genannten Gerichten letztendlich bewertet
würde. Aber wenn man die bisherige Rechtsprechung
betrachtet, sehen wir da jedenfalls ein erhebliches Ri-
siko. Darauf haben wir hingewiesen.
Nachfrage, Herr Kollege Lischka?
Vielen Dank. – Herr Stadler, darf ich Ihrer Antwort
entnehmen, dass Sie es für unmöglich halten, eine ver-
fassungskonforme Regelung im Hinblick auf eine nach-
trägliche Therapieunterbringung zu entwickeln?
D
Das habe ich nicht gesagt. Ich darf auf Folgendes hin-
weisen: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung
– selbst wenn man jetzt eine andere Bezeichnung wählt,
handelt es sich unserer Meinung nach in der Sache um
eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, die in die De-
batte gebracht wird – ist mit der Reform zum 1. Januar
2011 vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat mit
den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD zu-
gunsten eines neuen Konzepts abgeschafft worden. Das
neue Konzept sieht den Ausbau der sogenannten primä-
ren Sicherungsverwahrung und der im Urteil vorbehalte-
nen Sicherungsverwahrung vor. Auch die Fraktion der
Grünen hat diesen Teil der Reform für richtig gehalten.
Wir sind der Meinung, dass man bei der vor etwa ei-
nem Jahr politisch getroffenen Entscheidung bleiben
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Wie verhält sich die Anzahl der Anordnungen des Vorbe-halts der Sicherungsverwahrung im Erwachsenenstrafrecht inden ersten zehn Monaten dieses Jahres im Vergleich zu denersten zehn Monaten letzten Jahres?D
Herr Kollege Rebmann, Sie fragen nach den Zahlen
der sogenannten vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.
Darunter versteht man, dass in einem Strafurteil noch
nicht die Entscheidung getroffen wird, ob der Verurteilte
nach Verbüßung der Strafe in Sicherungsverwahrung
kommen wird, dass aber diese Möglichkeit vorbehalten
wird und eine Entscheidung darüber später ergeht.
Diese im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung
wird in den Statistiken der Strafrechtspflege nicht er-
fasst. Wir werten aber die Einträge im Bundeszentralre-
gister aus, weil sich daraus ein – wenngleich nicht voll-
ständig präzises – Bild ergibt. Dem Register haben wir
folgende Zahlen entnehmen können: Im Jahr 2009 sind
bisher neun Urteile rechtskräftig geworden, in denen die
Sicherungsverwahrung im Urteil vorbehalten worden ist.
Im Jahr 2010 war dies erst in einem einzigen Urteil der
Fall.
Nachfrage, Herr Kollege Rebmann?
Herzlichen Dank. – Herr Staatsekretär Stadler, ich
habe eine Nachfrage: Wie beurteilen Sie und die Bun-
desregierung die Prognose, dass aufgrund des Wegfalls
der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung
die Anzahl der Anordnungen der vorbehaltenen Siche-
rungsverwahrung ansteigen wird?
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Herr Kollege Rebmann, ich habe darauf hingewiesen,
dass die jetzt genannten Zahlen noch kein vollständiges
Bild ergeben. In das Bundeszentralregister werden nur
rechtskräftige Verurteilungen eingetragen. Das heißt, Ur-
teile aus dem Jahr 2011, nach denen Sie gefragt haben,
werden erst nach und nach in dieses Register Eingang
finden, nämlich dann, wenn sie rechtskräftig geworden
sind. Außerdem gibt es bestimmte Fristen für den Ein-
trag, sodass das Ganze nur eine Momentaufnahme ist.
Ich rechne damit, dass der Anstieg der Zahlen, bei de-
nen von der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Ge-
brauch gemacht wird, erst noch bevorsteht. Wir haben
jetzt den Vergleich von einem Fall in 2010 zu neun Fäl-
len in 2009. Das ist noch nicht aussagekräftig genug. Ich
rechne durchaus noch mit höheren Zahlen von vorbehal-
tener Sicherungsverwahrung im Urteil, so wie es der
Konzeption des von uns gemeinsam verabschiedeten Re-
formprojekts entspricht.
Weitere Nachfrage? – Nein. Danke schön.
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der Überarbeitung der Rechnungslegungsrichtlinien (78/660/
EWG und 83/349/EWG) im Ministerrat verhalten?
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Herr Kollege Kekeritz, die Bundesregierung begrüßtrundsätzlich die Bemühungen der Europäischen Kom-ission, ihre eigene CSR-Strategie fortzuentwickeln undntwicklungen im internationalen Bereich zu reflektie-n. Aus Sicht der Bundesregierung sollte dabei jedochn einem Verständnis von CSR als freiwillige, über ge-etzliche Vorgaben hinausgehende Übernahme gesell-chaftlicher Verantwortung im Kerngeschäft eines Un-rnehmens festgehalten werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17275
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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Die Bundesregierung hat am 6. Oktober 2010 eineNationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwor-tung von Unternehmen beschlossen, um CSR in Unter-nehmen und öffentlicher Verwaltung besser zu veran-kern. Der Aktionsplan CSR der Bundesregierung basiertauf einer breiten Diskussion und Akzeptanz im deut-schen Multi-Stakeholder-Gremium „Nationales CSR-Forum“.Gerade der Grundsatz der Freiwilligkeit ist im ge-meinsamen Verständnis des Nationalen CSR-Forumsdeutlich zum Ausdruck gebracht und von der Bundesre-gierung bei Verabschiedung des Aktionsplans CSR über-nommen worden. Die Bundesregierung hat dies in ihrenStellungnahmen gegenüber der Kommission wiederholtbetont und darauf hingewiesen, dass eine strategischeAbkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit mit dem inDeutschland praktizierten Verständnis von CSR nichtvereinbar ist. Die Bundesregierung spricht sich aus-drücklich gegen neue gesetzliche Berichtspflichten zurOffenlegung sozialer und ökologischer Informationen,wie von der Kommission in ihrer CSR-Mitteilung ange-kündigt, aus. Solche gesetzlichen Berichtspflichten wür-den eine Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit bedeutenund wären mit erheblichem Bürokratieaufwand insbe-sondere für kleine und mittlere Unternehmen inDeutschland, aber auch für alle anderen Unternehmens-gruppen verbunden.Der Vollständigkeit halber sei auf Folgendes hinge-wiesen: Soweit es um die Erweiterung bereits bestehen-der Berichtspflichten im Bereich der handelsrechtlichenRechnungslegung gehen könnte, führt die Kommissionderzeit nach eigenen Angaben eine Folgenabschätzungdurch, die Grundlage eines entsprechenden Regelungs-vorschlags im kommenden Jahr werden könnte. Dahersind die ebenfalls am 25. Oktober 2011 vorgelegten Vor-schläge der Kommission zur Überarbeitung der zitiertengesellschaftsrechtlichen Richtlinien 78/660/EWG und83/349/EWG von einem entsprechenden neuen Vor-schlag zu unterscheiden.
Vielen Dank. – Kollege Kekeritz, Ihre Nachfrage,
bitte.
Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum die Bun-
desregierung auf das Instrument der freiwilligen Selbst-
verpflichtung pocht, nachdem wir jetzt seit 30 Jahren Er-
fahrung mit dem Instrument haben. Ich kann mich an
kein Beispiel erinnern, bei dem dieses Instrument tat-
sächlich die Wirkung erzielt hat, die man sich von ihm
erhoffte. Außerdem isoliert sich die Bundesregierung da-
mit wieder im europäischen Kontext; viele andere euro-
päische Länder verabschieden sich inzwischen von der
Freiwilligkeit und halten eine verpflichtende Maßnahme
für sinnvoll.
Mein Thema ist aber Steuerhinterziehung in Steuer-
oasen. Dieses Thema wurde 2008 auf der G-8-Konfe-
renz in London sehr intensiv diskutiert. Damals veröf-
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gelaufen sein wird.1) Deswegen sind diese KollegenStaatssekretäre, wenn sie nicht an der Aktuellen Stundeteilnehmen wollen, entlassen.Herr Kurth, Ihre Nachfrage.
Herr Staatssekretär Brauksiepe, auch wenn Sie sagen,
dass die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes
nicht in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, so
werden Sie mir doch zustimmen, dass die Bundesregie-
rung dafür zu sorgen hat, dass der verfassungsrechtlich
garantierte, individuelle Rechtsanspruch auf Bildung
und Teilhabe sichergestellt ist. Bei einer Inanspruch-
nahme von derzeit unter 50 Prozent und einer noch nied-
rigeren Inanspruchnahme speziell der Bildungs- und
Teilhabeleistungen, die über die Pauschale von 10 Euro
im Monat gewährt werden, kann man nicht sagen, dass
das flächendeckend gewährleistet ist. Ab welchem Pro-
zentsatz der Inanspruchnahme sehen Sie denn den indi-
viduell und verfassungsrechtlich garantierten Anspruch
auf Bildung und Teilhabe sichergestellt?
D
Herr Kollege Kurth, der Auftrag des Bundesverfas-
sungsgerichts richtete sich zunächst an den Gesetzgeber;
das sind Sie. Bundestag und Bundesrat sind, wie Sie wis-
sen, für die gesetzgeberischen Maßnahmen zuständig, um
Bildung und Teilhabe und damit ein menschenwürdiges
Leben für jedes einzelne Kind zu garantieren. Die gesetz-
gebenden Organe der Bundesrepublik Deutschland sind
diesem Auftrag, der sich aus dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts ergeben hat, gerecht geworden.
Selbstverständlich beteiligt sich die Bundesregierung
bzw. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am
gesamten Prozess und moderiert ihn. Selbstverständlich
sind mit einer solchen Umstellung auf Sach- und Dienst-
leistungen auch Probleme in der Übergangszeit verbun-
den. Wir stellen fest, dass die Leistungen des Bildungs-
und Teilhabepaketes mehr und mehr nachgefragt und in
Anspruch genommen werden.
Wenn Sie auf eine weitere Nachfrage verzichten, kön-
nen wir Ihre zweite Frage auch noch abwickeln; sonst ist
die Zeit abgelaufen.
Dann bitte noch die nächste Frage.
Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Markus Kurth auf:
Wie erklärt die Bundesregierung den offensichtlichen Wi-
derspruch, wonach das Bundesministerium für Arbeit und So-
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1) Die Antwort auf Frage 98 lag bei Redaktionsschluss nicht vor und
wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
sowohl ein Rechtsgutachten zur Bewertung der rechtlichen
Möglichkeiten für eine „KinderBildungsStiftung“ als auch
eine Prüfung der Praktikabilität einer solchen Stiftung in Auf-
trag gegeben hat?
D
Herr Kollege Kurth, es ist richtig, dass das Bundes-
inisterium für Arbeit und Soziales aufgrund der Ent-
cheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Fe-
ruar 2010 zu den Regelleistungen in der Grundsicherung
r Arbeitsuchende, auf die ich in der vorherigen Frage
chon Bezug genommen habe, hatte prüfen lassen, inwie-
eit die Möglichkeit besteht, eine bundesunmittelbare
tiftung des öffentlichen Rechts mit der Sicherung des
pezifischen soziokulturellen Existenzminimums von
indern und Jugendlichen zu betrauen. Zu einer entspre-
henden Stiftungsgründung ist es aber nicht gekommen.
ntsprechende Vorüberlegungen sind bereits im Juni
010 nicht weiter verfolgt worden, nachdem im Rahmen
utachtlicher Prüfungen erhebliche Gegengründe offen-
ar geworden waren. Die Überlegungen sind auch später
icht wieder aufgenommen worden.
Ob es anderweitig eine Stiftung namens KinderBil-
ungsStiftung gibt, ist der Bundesregierung nicht be-
annt.
Nachfrage? – Keine. Vielen Dank.
Damit beende ich die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Standort Deutschland sichern – Stuttgart 21
zügig umsetzen und geplante Mehrbelastung
für den Mittelstand durch grüne Steuerpolitik
verhindern
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
h das Wort dem Kollegen Thomas Strobl von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ie Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs ha-en am vergangenen Sonntag bei der Volksabstimmungber den Bahnhof Stuttgart 21 eine sehr klare Entschei-ung getroffen.
9 Prozent stimmten mit Nein. Sie stimmten gegen denusstieg Baden-Württembergs aus diesem Bahnhofspro-kt. Nur 41 Prozent waren für einen solchen Ausstieg,nd das bei einer für Volksabstimmungen sehr, sehr ho-
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Thomas Strobl
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hen Wahlbeteiligung von nahezu 50 Prozent. Das ist einesehr klare Entscheidung für den Bahnhof Stuttgart 21und damit auch eine sehr klare Entscheidung für denWirtschaftsstandort Baden-Württemberg und für denWirtschaftsstandort Deutschland.
Hier ist auch klar zu sagen, dass diese Entscheidungin Baden-Württemberg sehr konsistent gewesen ist. Diegroße Mehrheit der Menschen im ländlichen Raum inBaden-Württemberg hat sich für diesen Bahnhof ausge-sprochen. Auf der Alb, an der Donau, aber auch amNeckar, im Hochverdichtungsraum und in der StadtStuttgart selbst, in der dieses Thema
– von Ihnen, Herr Kollege Kuhn, immer wieder befeu-ert – über viele Monate hinweg eine große Rolle gespielthat, haben die Bürgerinnen und Bürger entschieden, dasssie diesen Bahnhof wollen. In der Region Stuttgart wardie Mehrheit sogar noch größer. Das ist eine klare Ent-scheidung. Jetzt haben wir klare Verhältnisse.
Ich bin sehr froh darüber, dass dieses ökologisch undökonomisch wichtige Schienenprojekt
für Baden-Württemberg, aber auch für ganz Deutsch-land, jetzt realisiert werden kann, und es sollte schnellrealisiert werden. Herr Kollege Kuhn, damit sollten auchdie Querschüsse – nicht die Zwischenrufe, aber dieQuerschüsse – ein Ende haben.
Das gilt beispielsweise für Querschüsse aus der Landes-regierung Baden-Württembergs. Das gilt für die Quer-schüsse aus den Reihen der Grünen, und das gilt fürweitere Querschüsse. Deswegen fordere ich den Minis-terpräsidenten des Landes Baden-Württemberg und sei-nen Verkehrsminister nachdrücklich dazu auf, zum Stutt-garter Bahnhof zu gehen und mit den Menschen dort zusprechen, um ihnen das Abstimmungsergebnis zu erklä-ren, um zu erklären, dass der Bahnhof gebaut wird. DieGrünen haben die Menschen dort über Jahre hinweg aufdie Bäume gebracht.
Sie haben die Stimmung angeheizt. Jetzt holen Sie dieMenschen bitte wieder von den Bäumen herunter, underklären Sie, dass der Bahnhof gebaut wird.
Diese Entscheidung in Baden-Württemberg ist, someine ich, auch ein gutes Signal für Deutschland. Wa-rujesdMgwdkajepSskkgWri–zsinladgDbeAsBdHk
Jetzt hören Sie doch einmal zu; das gehört ebenfallsur parlamentarischen Demokratie, auch wenn eschwerfällt. – Mit großer Mehrheit hat die Bevölkerung Baden-Württemberg, das Volk, bestätigt, was in jahre-ngen parlamentarischen Prozessen – im Gemeinderater Stadt Stuttgart, in der Verbandsversammlung der Re-ion Stuttgart, im Landtag von Baden-Württemberg, imeutschen Bundestag und im Europäischen Parlament –eraten und entschieden worden ist. Ich finde, das istine Bestätigung unserer parlamentarischen Demokratie.uch deswegen dürfen wir uns über diese klare Ent-cheidung der Baden-Württemberger Bürgerinnen undürger freuen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lange von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Im September letzten Jahres hat die Bundes-anzlerin von diesem Pult aus erklärt – ich zitiere –:Bei völlig rechtmäßig getroffenen Entscheidungenbraucht man keine Bürgerbefragung in Stuttgart.
Vielmehr wird genau die Landtagswahl im nächstenJahr die Befragung der Bürger über die Zukunft Ba-den-Württembergs, über Stuttgart 21 und viele an-
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17278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
Christian Lange
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dere Projekte sein, die für die Zukunft dieses Lan-des wichtig sind.Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben inBaden-Württemberg alles auf eine Karte gesetzt, und Siehaben alles verloren.
Ich sage Ihnen: Stellen Sie sich nur eine Sekunde vor,Sie wären im September letzten Jahres auf den Vor-schlag der SPD in Baden-Württemberg, auf den Vor-schlag von Nils Schmid eingegangen!
Sie haben die Landtagswahl verloren, und die Bürgerinnenund Bürger haben jetzt mit 58,8 Prozent für Stuttgart 21gestimmt. Sie müssen sich doch angesichts dieser Bilanzder CDU-Politik in Baden-Württemberg schwarzärgern.
Was zeigt uns Stuttgart 21? Erstens. Die StuttgarterBürger haben uns darauf hingewiesen, dass die Legitimi-tät eines Verwaltungsverfahrens nicht mehr genügt. DieKonsequenz kann nicht sein, Bürgerproteste mit Wasser-werfern zu stoppen, sondern die Konsequenz muss sein,die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, die Pla-nungs- und Genehmigungsverfahren zu verkürzen, dieMenschen in Baden-Württemberg zu beteiligen. Das istdas Ergebnis des Prozesses von Stuttgart 21.
Zweitens. Was zeigt uns Stuttgart 21 darüber hinaus?Wenn es die Menschen umtreibt, dann beteiligen sie sichauch. Das ist das Gegenteil von Politikverdruss. DieWahlbeteiligung von 48,3 Prozent zeigt dies eindrucks-voll. Das ist ein Beweis, dass direkte Demokratie funk-tioniert. Das sollte uns ermutigen. Wir sollten dies nichtabstreiten oder relativieren.Drittens. Meine Damen und Herren von der CDU, ha-ben Sie keine Angst! Den Dagegen-Parteien fällt dieMobilisierung nicht zwangsläufig leichter. Im Gegenteil:In Stuttgart bekam das Dagegen-Lager zwar mehr Men-schen auf die Straße als das Dafür-Lager,
aber am Tag der Abstimmung war es genau umgekehrt.Genau deshalb sollten wir ermutigt aus der Abstimmungüber Stuttgart 21 gehen.
Viertens. Wer von der schweigenden Mehrheitspricht, wer davon spricht, dass nicht diejenigen dieMehrheit sind, die am lautesten schreien, wer also derSsDaaWgIcBeaPSwLUtiPuaukdMStiDbwvgbWjeere
eshalb ist es gut und richtig, dass die Landesregierungngekündigt hat, dass die Quoren in Baden-Württembergbgesenkt werden, dass Bürgerbeteiligung in Baden-ürttemberg möglich und üblich wird und dass die soetroffenen Entscheidungen dann auch gelten.
h will für uns auf Bundesebene sagen: Mut zu mehreteiligung heißt auch Mut zu mehr Beteiligung, wenns darum geht, das Recht auf Volksbegehren und Volks-bstimmungen im Grundgesetz zu verankern.
Fünftens. Natürlich ist die Landesregierung in derflicht. Ministerpräsident Kretschmann hat noch amonntagabend unzweifelhaft klargestellt: Stuttgart 21ird mit der Unterstützung der Landesregierung gebaut.andesverkehrsminister Hermann wird sich an seinemmgang mit Stuttgart 21 messen lassen müssen. Kri-sch-konstruktiv zu begleiten, reicht nicht.
rojektförderpflicht ist angesagt. Insofern steht er unternserer verschärften Beobachtung.Sechstens. Ja, direkte Demokratie ist anstrengend;ber sie ist auch ein Beitrag zu politischer Kultur. Pro-nd Kontrastände in bunter parteipolitischer Färbungonnten wir in den letzten Wochen und Monaten in Ba-en-Württemberg erleben.
ancher Passant war verdutzt und irritiert. Die üblichenchubladen passten nicht mehr. So zeigt sich Demokra-e von ihrer besten Seite, wie ich finde.
eshalb gibt es auch keine Verliererinnen und Verliererei der Stuttgart-21-Debatte, sondern die Sache hat ge-onnen. Stuttgart 21 wird gebaut.Schließlich: Ja, die Volksabstimmung verlangt auchon den Bürgern, das Ergebnis zu akzeptieren. Das Stutt-arter Ergebnis mit 52,9 Prozent für Stuttgart 21 hilft da-ei – davon bin ich fest überzeugt –, eine befriedendeirkung zu entfalten. Gerade die Projektgegner habentzt aber eine große Verantwortung. Trauern – ja. Dochs waren keine Verschwörungen und auch keine finste-n Mächte, die das Ergebnis herbeigeführt haben.
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Christian Lange
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Wer so argumentiert, der kann der direkten Demokratienichts Richtiges abgewinnen. Auch das gehört zur gan-zen Wahrheit.Schließen will ich mit einem Zitat von Tissy Bruns.Sie hat gestern im Tagesspiegel geschrieben:In der Volksabstimmung zeigt sich ein erfreulicherCommon sense, den öffentliche Debatten in denletzten Jahren so oft vermissen ließen. Das Ergebnishat nicht nur aufgeräumt mit der Vorstellung einerallmächtigen Bürgerwut. Es entmystifiziert auchdie überzogenen Befürchtungen und Beschwörun-gen einer „Dagegen“-Republik, in der jeder undjede nur noch an den eigenen Vorgarten denkt. DieEnergiewende wird schwierig; dass sie aber an denWiderständen doppelmoralischer Bürger scheitert,die keine Atomkraft wollen, aber den Netzausbaublockieren, ist sehr unwahrscheinlich. Die Bürger,hat sich in Stuttgart gezeigt, wollen mitreden, undsie lassen mit sich reden.Das finde ich ermutigend.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick
Döring das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst erlaube ich mir, weil man das der Rede des ge-schätzten Kollegen Lange nicht so sehr anmerkte, dieBemerkung, dass die Mehrheit der Bevölkerung von Ba-den-Württemberg bereits bei der vergangenen Landtags-wahl überwiegend für die Parteien, die für Stuttgart 21waren, gestimmt hat; denn die SPD konnte man ja ein-deutig dazuzählen. Deshalb war die Wahl als solchekeine Abstimmung über dieses Projekt. Aber ich sageauch: Die Mehrheit vom vergangenen Sonntag bestätigtdas, was der Kollege Strobl gesagt hat: Stadtrat, Landtagund Bundestag haben in ihren zahlreichen Entscheidun-gen für Stuttgart 21 nicht gegen den Willen des Volkesagiert, sondern den Geist und den Mut der Menschenganz offensichtlich getroffen.
Die deutsche Bevölkerung ist demnach zukunftsfähi-ger, aufgeschlossener gegenüber Neuem und aufge-schlossener gegenüber Innovationen, als von einigen indiesem Hause gelegentlich der Eindruck erweckt wird.Die deutsche Bevölkerung ist offenbar auch viel mehrbereit, Opfer auf sich zu nehmen – in Stuttgart selbstdurch jahrelange Bautätigkeit –, als hier gelegentlich ge-glaubt wird. Ja, die repräsentative Demokratie hatte beidiesem Thema in den vergangenen 15 Jahren offenbarden richtigen Riecher. Dafür dürfen wir all denjenigen,dremuRepzDretisleHsmbsGIccHvsSeMbWticsmumtuD
eshalb erwarte ich, dass auch die Landesregierung ih-n Teil dazu beiträgt, die jetzt entstandene zwölfmona-ge Verzögerung bei der Realisierung des Projekts durchchnelles Verwaltungshandeln ein Stück weit aufzuho-n. Es muss aufhören, dass die von Herrn Ministerermann in Dienst gestellten früheren Demonstranten ineinem Ministerium Häcksel in die Wurst schneiden. Sieüssen endlich damit anfangen, das Projekt wirklich zuefördern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Am letzten für die Grünen in diesem Hause sochmerzlichen Sonntag hat auch ein Bundesparteitag derrünen stattgefunden.
h will mir, weil wir über Mobilität und Verkehr spre-hen, bei dieser Gelegenheit erlauben, dieses Hoheaus, aber auch die Zuhörerinnen und Zuhörer auf dieerkehrspolitisch und mobilitätspolitisch relevanten Ent-cheidungen hinzuweisen, die dort getroffen wurden.
Sie haben sich in Ihrem Beschluss dazu bekannt, dassie mit Steuern steuern wollen. Sie wollen nicht nur inine ganz andere Richtung steuern, nein, Sie wollen denenschen in Wahrheit ihr Lebensgefühl und ihre Le-ensart diktieren. Dazu sagen wir: Das ist der falscheeg, um die Menschen mitzunehmen – auch in der poli-schen Debatte.
Sie haben entschieden, die Pendlerpauschale zu strei-hen und damit den Weg von der Wohnung zur Arbeits-tätte für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-er, die jeden Morgen viele Kilometer auf sich nehmen,m ihrer Arbeit nachzugehen, ihr Leben schwerer zuachen, deren Steuerlast zu erhöhen und damit leis-ngsfeindliche Anreize zu setzen.
as ist falsch.
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17280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
Patrick Döring
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Sie haben sich dafür entschieden, die Lkw-Maut zueiner Schwerverkehrsabgabe umzubauen und damit aufallen Straßen in Deutschland für alle Fahrzeuge schwe-rer als 3,5 Tonnen Gebühren zu erheben. Das ist leis-tungsfeindlich für die vielen Handwerkerinnen undHandwerker in Deutschland, die Arbeitsplätze schaffen,für den Mittelstand und für das örtliche Gewerbe. Das istfalsch in der sozialen Marktwirtschaft.
Obwohl Deutschland als eines der wenigen Länderauf der Erde bereits eine Luftverkehrsabgabe erhebt, ha-ben Sie sich entschieden, zusätzlich als einziges Landauf der Welt Kerosin zu besteuern. Das ist falsch in ei-nem Land, das vom Export lebt, das international denktund handelt und das vor allen Dingen ohne Luftfrachtnicht existieren könnte. Auch das eine falsche Entschei-dung.
Noch viel besser finde ich, dass Sie die tolle Idee ge-boren haben, die Besteuerung von Mineralöl zukünftigan einen Verbraucherpreisindex zu koppeln. Man mussdazu wissen, dass die Inflation in diesem Bereich seit1999 etwas höher als insgesamt war. Das würde dazuführen – ich habe das heute einmal ausgerechnet –, dassdie Mineralölsteuer für 1 Liter Diesel um etwa 5 Centund danach jedes Jahr um die Teuerungsrate des Ener-giepreises steigen würde. Es gibt dann also noch extraeinen Anreiz dafür, dass der Staat nicht preismilderndeingreift, zum Beispiel durch die Zerschlagung von Kar-tellen, sondern preistreibend.
Wer das in der Steuerpolitik tatsächlich realisieren will,ist auf dem falschen Dampfer und handelt wieder leis-tungsfeindlich und entgegen den Prinzipien der sozialenMarktwirtschaft.
Ein Letztes. Sie haben den schönen Satz beschlossen– ich will ihn deshalb hier vorlesen, weil er so unfassbarist –:Die Bundesregierung muss endlich ihre Blockade-politik gegen Möglichkeiten aufgeben, Sanktionennicht nur bei übermäßigen Defiziten, sondern auchbei übermäßigen Leistungsbilanzüberschüssen ver-hängen zu können, um makroökonomische Un-gleichgewichte abzubauen.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leidig von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja,ir haben in der vergangenen Woche erlebt, wie die Pro-ktbetreiber einen Machtkampf um Stuttgart 21 organi-iert haben – Goliath gegen David, sozusagen.
ie Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes sindnterlegen. So ist es.Es würde sich lohnen, sich die Bedingungen, die Irre-hrungen und die konkreten Ergebnisse dieser Volksab-timmung im Detail anzuschauen. Aber das würdeeine Redezeit hier sprengen. Nur so viel: In der Stadttuttgart haben über 47 Prozent für den Ausstieg ge-timmt. Die Bevölkerung ist tief gespalten. Daran sindie Grünen in der Landesregierung mit schuld, weil sieie offensichtlichen Fehler dieses Projektes nicht zumusstieg genutzt haben, sondern auf Koalitionsfriedenit der SPD setzen.Damit bin ich bei dem Thema, das tatsächlich auf dieagesordnung des Bundestages gehört: Stuttgart 21 istum Scheitern verurteilt, so oder so, weil eine Reiheanz gravierender Probleme überhaupt nicht gelöst ist.avon will ich hier nur zwei herausgreifen:Erstens: die Kostenfrage. Bereits am Tag nach derolksabstimmung hat Bahnchef Grube angedeutet, waslle schon längst wissen: Bereits vor Baubeginn ist dieostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro überschrit-n.
eder hier im Plenarsaal weiß, dass bis ins nächste Jahr-ehnt hinein 7 Milliarden Euro und mehr für dieses Pro-kt fällig werden, aber Bund, Land und Stadt haben er-lärt, keine Mehrkosten zu tragen, und die DB AGeigert sich, die Kostenübernahme zuzusichern.Was bedeutet das? Wenn angefangen wird, zu graben,önnten Bauruinen entstehen. Die Anlagen können näm-ch erst dann in Betrieb genommen werden, wenn sieollständig fertiggestellt sind. Wir werden etwas Ähnli-hes erleben wie bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17281
Sabine Leidig
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Nürnberg–Erfurt, wo seit Jahren So-da-Brücken in derLandschaft stehen, Brücken, die einfach so da stehen,weil das Bauprojekt nicht fertiggestellt wird. Der Unter-schied ist, dass die gigantische Bauruine inmitten derLandeshauptstadt liegen wird.
– Nein, das liegt daran, dass das Geld nicht reicht.
Als zweiten Punkt nenne ich den Schaden für dieSchiene. Dieser Punkt ist der allergravierendste. Die Ar-gumente dafür, dass dieses Projekt der Schiene schadet,waren von Anfang an der wichtigste Einwand gegen denTunnelbahnhof. Das hat auch in der Faktenschlichtungeine zentrale Rolle gespielt. Ich erinnere an den Schlich-terspruch von Heiner Geißler vor etwa einem Jahr, anden sich alle Projektbeteiligten quasi wie an einen Ur-teilsspruch gehalten haben. Dort heißt es:Die Deutsche Bahn AG muss dabei den Nachweisführen, dass ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungs-zuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebs-qualität möglich ist.Im Sommer dieses Jahres hat die Bahn verkündet:Unsere Überprüfung der Simulationsergebnisse hatgezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte imHauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belaste-ten Stunde … abgewickelt werden können.Auch dazu haben Sie hier in einer Aktuellen Stunde tri-umphiert, während das Aktionsbündnis aus guten Grün-den gezweifelt hat. Nun ist vergangene Woche bekanntgeworden, dass die Ergebnisse dieses Stresstests falschsind. Die Fakten über die Fälschung sind auf der Inter-netplattform WikiReal nachzulesen. Sie wurden vonDr. Engelhardt zusammengetragen, der als Sachverstän-diger an der Stresstestpräsentation teilgenommen hat.Das ist unter anderem im ZDF-Magazin Frontal 21 do-kumentiert und durch einen der bekanntesten Verkehrs-wissenschaftler im deutschsprachigen Raum bestätigtworden, Professor Knoflacher.Demnach hat die Bahn systematisch gegen die Richt-linie verstoßen, die für eine solche Simulation maß-gebend ist, nämlich die Richtlinie mit der Bezeichnung„Fahrwegkapazität R 405“. Tatsächlich können in derSpitzenstunde nämlich nicht 49, sondern maximal38 Züge abgefertigt werden. Was bedeutet das? Das sindweniger Züge als im heutigen vernachlässigten Kopf-bahnhof und nur 60 Prozent von dem, was ein ertüchtig-ter Kopfbahnhof leisten könnte.
Das ist der Punkt, an dem die Bundesregierung ein-greifen muss, Herr Ramsauer. Die Untersuchung zeigt,dinDdcindeDdhTSnIcVinnASMZliWcWg
a können Sie sich nicht einfach zurücklehnen und sichamit herausreden, dass es sich um ein eigenwirtschaftli-hes Projekt der Bahn handelt.
Mit Stuttgart 21 wird der entscheidende Bahnknoten Südwestdeutschland enger gezogen. Es wird ein Na-elöhr geschaffen. Dafür sollen Milliarden Euro an Steu-rgeldern fließen. Wenn Sie es mit dem Standorteutschland gut meinen, dann dürfen Sie nicht zulassen,ass die Eisenbahn in ihrer zukünftigen Entwicklung be-indert wird.
Wir werden nicht nachlassen, die Fakten auf denisch zu bringen. Die Linke will dazu beitragen, dasstuttgart 21 aus vernünftigen Gründen scheitert undicht im Desaster endet.
h fordere Sie auf, Herr Ramsauer: Übernehmen Sie dieerantwortung, und wenden Sie Schaden von der Bahn-frastruktur in diesem Land ab!Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn von Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diektuelle Stunde heißt: Standort Deutschland sichern –21 zügig umsetzen und grüne Pläne zur Belastung desittelstands stoppen. – Ich kann nur sagen: Jedemehntklässler in Deutschland würde man diese Formu-erung um die Ohren hauen.
enn Sie in Zukunft einmal Formulierungshilfen brau-hen, können Sie sich gerne an meine Fraktion wenden.ir beherrschen so etwas, Herr Kauder.Ich kann zur Abstimmung über Stuttgart 21 nur sa-en, Herr Kauder: Damit hat die grün-rote Regierung
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17282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
Fritz Kuhn
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dem Land und der Demokratie einen großen Gefallengetan.
Was ihr in 17 Jahren nicht geschafft habt – so langeläuft das Ganze schon –, ist jetzt durch einen Volksent-scheid entschieden worden. Selbstverständlich werdenwir als Grüne – das hat die Landesregierung immer zumAusdruck gebracht – uns an dieses Votum halten undStuttgart 21 jetzt umsetzen,
Wichtig ist, dass Ihre These „Das ist jetzt gut für denStandort Deutschland“ ein bisschen überhöht ist, HerrStrobl.
Wir werden weiter die Frage stellen: Was ist gut für denStandort Deutschland? Es könnte sein, dass die Milliar-den, die jetzt für den unterirdischen Bahnhof verwendetwerden – wie gesagt, wir akzeptieren die Entscheidung –,an anderen Stellen auch in Baden-Württemberg fehlenund Schieneninfrastruktur dann nicht mehr gebaut wer-den wird.
Wir sind sehr gespannt, ob Herr Ramsauer die Rheintal-trasse oder die Strecke Frankfurt–Mannheim in den In-vestitionsplan aufnehmen wird oder ob die Mittel dafürfehlen.
Das werden wir genau verfolgen.
Interessant ist jedenfalls, dass Sie auf einmal, obwohlSie die Volksabstimmung im Landtag immer abgelehnthaben, dies alles toll finden. Wir sind sehr gespannt da-ragTSgTdbSdVsimDgsFredwWW„„SSje
onst wird Ihre Begeisterung nämlich als taktische Be-eisterung in die Geschichte eingehen, die keine fünfage lang anhält.
Ich rate Ihnen, Herr Strobl: Wenn man gewonnen hat,ann muss man souverän sein und sich freuen, statt zurüllen wie von der Tarantel gestochen.
eien Sie doch einfach souverän und freuen Sie sich,ass Sie nach der verlorenen Landtagswahl jetzt eineolksabstimmung gewonnen haben!In dieser Debatte soll es angeblich auch um Wirt-chaftspolitik, Belastung des Mittelstands und was auchmer gehen.
azu will ich noch wenige Punkte ansprechen.Herr Döring, Sie haben gesagt, wir würden das Flie-en verteuern. Ich kann Ihnen ehrlich sagen: In dem Be-chluss, den wir gefasst haben, haben wir in der Tat dierage gestellt: Wie kann es mit der ökologischen Steuer-form weitergehen? Ich sage Ihnen, warum: Wir finden,ass eine Marktwirtschaft heute eine ökologische Markt-irtschaft sein muss, in der die Preise die ökologischeahrheit sagen.
ir machen uns Gedanken, während von Ihnen nurBlockade“, „Nein“, „Nichts“, „Wollen wir nicht“,Geht nicht“, „Stillstand“ usw. kommt.
ie haben noch gar nicht begriffen – deswegen stehenie in Umfragen in Baden-Württemberg und im Bundtzt bei 3 Prozent –,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17283
Fritz Kuhn
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dass die Menschen in Deutschland eine ökologischePolitik wollen, aber nicht den Murks, den Sie veranstal-ten.
Herr Strobl, dass hohe Leistungsbilanzüberschüsseebenso wie hohe Leistungsbilanzdefizite in einem Ge-meinschaftsmarkt mit einer gemeinsamen Währungschwierig sind und ein Problem darstellen, können Sie injedem Volkswirtschaftshandbuch nachlesen. Ich finde eserstaunlich, wie wenig Ahnung die FDP inzwischen beisolchen Fragen an den Tag legt.
Wir haben uns auf dem Parteitag eine Frage gestellt,die bei Ihnen bisher noch fehlt, nämlich: Wie kann mandie 40 Milliarden Euro, um die sich Bund, Länder undGemeinden heute noch verschulden, bewältigen? Wirhaben Vorschläge gemacht, zum Beispiel eine einmaligeVermögensabgabe,
mit der wir 100 Milliarden Euro Schulden, durch die Fi-nanzkrise und die Konjunkturprogramme verursacht, til-gen wollen. Wir sind die erste Partei, die sagt, wie manSchulden tilgen kann. Sie sagen nur immer, wie man sieerhöhen kann.
Der Haushalt, den Sie vorgelegt haben, hat dies entspre-chend dargestellt.Deswegen rate ich Ihnen: Wenn Sie wieder solchedepperten Titel für eine Aktuelle Stunde auswählen, den-ken Sie besser vorher nach. Das hätte sicherlich gehol-fen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Stefan Kaufmann
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich muss zunächst noch etwas zurechtrücken, lieberKollege Kuhn. Sie, die Grünen, haben im Herbst 2010im Landtag die Absenkung des Quorums auf 25 ProzentvwnleWDgZhdwAagsüUdgEkdtiwsMbeevsmkdüdtiB
Seit Sonntag haben wir Gewissheit: Stuttgart 21 isticht nur von den Parlamenten mehrfach demokratischgitimiert worden, nein, es entspricht auch dem klarenillen der deutlichen Mehrheit der Bevölkerung.
ie Bürgerinnen und Bürger haben der grün-roten Re-ierung gezeigt, dass sie ihre Steuergelder lieber in dieukunftsfähigkeit von Stadt, Region und Land investiertaben wollen als in die Finanzierung von Nostalgie oderie Erfüllung hoher Schadensersatzforderungen. Nunissen wir auch, dass die Grünen und Teile der Medienugenwischerei betrieben haben, als sie immer so taten,ls ob ganz selbstverständlich eine Mehrheit im Land ge-en das Projekt sei. Die sogenannten Wutbürger wurdenchlichtweg von der bisher schweigenden Mehrheitberstimmt.Dies scheint der Münchner SPD-Oberbürgermeisterde genauso zu sehen: Er plant einen Volksentscheid fürie dritte Startbahn des dortigen Flughafens mit der Be-ründung – ich zitiere –:Es soll den Grünen nicht gelingen, wie bei Olympiain Garmisch oder bei Stuttgart 21 viele Monate zubehaupten, sie würden im Namen der Bürger spre-chen, und erst am Ende zeigt sich: Es gibt keineMehrheit!
r fährt fort: Der Glaubenskrieg um Verkehrsprojekteann die Grünen die Politikfähigkeit kosten.
Für uns Projektbefürworter gilt es nun, den Kritikernie Hand zu reichen und alle einzuladen, sich konstruk-v einzubringen und das Projekt zu begleiten. Nutzenir die Chance, in Stuttgart die Spaltung der Stadtgesell-chaft zu überwinden und den Konflikt zu befrieden!öglichkeiten gibt es genug: Auf Initiative von Ober-ürgermeister Schuster wird noch im Dezember dasrste Bürgerforum starten. Auch die Bahn hat mehrfachrklärt, dass sie den Austausch mit den Bürgern intensi-ieren wird. Insbesondere bei den anstehenden Planfest-tellungsbeschlüssen für die Anbindung des Flughafensuss es einen echten Dialog geben.Ich begrüße es zudem ausdrücklich, dass Bundesver-ehrsminister Peter Ramsauer an einem Gesetz arbeitet,as Verwaltungsverfahren bei Infrastrukturprojektenbersichtlicher gestalten und Bürger noch vor Beginnes Planfeststellungsverfahrens einbinden soll.
Klar ist: Wir müssen Lehren aus den jahrelangen hef-gen Diskussionen ziehen und über neue Formen derürgerinformation und -beteiligung nachdenken. Aber
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Dr. Stefan Kaufmann
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zur Beteiligung gehört auch, dass sich die Betroffenenselbst frühzeitig einbringen – und nicht erst, wenn dieBagger rollen und die Bäume gefällt werden.Ich selbst habe diese Rede übrigens dazu genutzt, dieBürgerinnen und Bürger im Wahlkreis im Vorfeld überFacebook zu beteiligen, indem ich um Vorschläge zumInhalt dieser Rede gebeten habe. Die Resonanz auf die-ses Demokratie-Experiment war grandios.
So einfach, meine Damen und Herren und meine Kolle-ginnen und Kollegen von den Grünen, kann eine Politikdes Gehörtwerdens sein.Was Stuttgart 21 angeht, so steht fest: Querschüsseaus der Landesregierung und Irreführungen der Bürgerdurch den grünen Teil der Regierung sind nicht mehrlänger hinnehmbar.
Sie schaden dem Wirtschaftsstandort Baden-Württem-berg und dem Vertrauen in Deutschland als Rechtsstaat.
Schädlich ist auch, Frau Kollegin Leidig, wenn mannach der verlorenen Volksabstimmung nun fortlaufendmonothematisch bei jeder passenden und unpassendenGelegenheit erklärt, man wolle nicht mehr bezahlen alsursprünglich vereinbart. Im Finanzierungsvertrag ist klargeregelt, dass bei etwaigen Mehrkosten „Gespräche zwi-schen den Projektpartnern aufzunehmen sind“. Nunkann man Verträge gut finden oder schlecht, sie als Ver-tragspartner zu ignorieren, ist unseriös.
Das Projekt wird bis Ende 2019 gebaut werden. Heuteüber Kostensteigerungen zu streiten, die vielleicht odervielleicht auch nicht in einem halben Jahrzehnt auftre-ten, ist einfach nicht produktiv. Überdies scheint denHerren Kretschmann und Hermann nicht ganz klar zusein, dass Wirtschaftsunternehmen wie die DeutscheBahn allein schon aus betriebswirtschaftlichen Gründenein originäres Interesse daran haben, dass die Kosten imRahmen bleiben.
Ich will mit einigen Forderungen schließen: Ich rufedie Bahn auf, den Bau nunmehr, wie angekündigt, zügigfortzusetzen und Stuttgart 21 im geplanten Zeitrahmen
abzuschließen.Die Projektpartner rufe ich auf, sich zum Finanzie-rungsvertrag zu bekennen und die Bahn zu unterstützen.Das heißt auch: Wer Stuttgart 21 plus will, muss auchStuttgart 21 plus bezahlen.bEmmIcfrasFsvulemsvdLsmswfrtitaASW
ondern im Interesse des Landes auch einmal Ja zumortschritt zu sagen. Ich rufe das Aktionsbündnis auf,eine Demonstrationen zum Zwecke der Deeskalationom Bahnhof weg zu verlagern
nd unseren Polizei- und Ordnungskräften, die in dentzten Wochen und Monaten viel gelitten haben, wiederit Respekt zu begegnen. Rücken Sie von Ihren Ver-chwörungstheorien ab und gestalten Sie die Zukunfton Stadt und Land mit!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Pronold von
er SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Herr Kaufmann, wer Fortschritt organi-ieren und den Standort sichern will, der, glaube ich,uss für einen neuen Konsens bei Infrastrukturprojektenorgen. Das bedeutet eine ganze Menge mehr als das,as wir heute in der Debatte bisher gehört haben. Icheue mich, dass die Begeisterung für direkte Demokra-e in der Union und in der FDP nach dem letzten Sonn-g auf einmal so gewachsen ist.
ber vor diesem Sonntag schaute das ganz anders aus.
ie, die CDU, haben eine Landtagswahl in Baden-ürttemberg verloren,
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Florian Pronold
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weil Sie Angst vor dem Votum der Bürgerinnen undBürger hatten. Sie haben ihnen misstraut und nicht ge-glaubt, dass sie zu vernünftigen Entscheidungen fähigsind. Das ist die Wahrheit. Sie hätten das alles ja nicht zublockieren brauchen.
Auch die Grünen hatten große Bedenken bei dem Volks-entscheid. Sie sind aber das Risiko wenigstens eingegan-gen. Das ist, so finde ich, lobenswert. Sie stehen auch ineiner anderen Tradition. Sie hatten vielleicht geahnt,dass es keine Mehrheit für die Ablehnung von Stutt-gart 21 gibt, und waren deswegen ein bisschen vorsichti-ger. Aber die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehenmüssen, ist doch: Wie stellen wir einen neuen Konsensbei Infrastrukturprojekten her? Da hilft es nicht, imNachhinein Volksentscheide zu loben, sondern manmuss sagen, was man in Zukunft tun will, um Bürgerin-nen und Bürger besser beim Ob und Wie einer Infra-strukturplanung zu beteiligen. Sie selber haben das Pla-nungsbeschleunigungsgesetz, das im Innenministeriumerarbeitet wird – jetzt habe ich gehört, es werde neuer-dings im Verkehrsministerium weiter bearbeitet; dasweiß ich aber nicht –, gestoppt.
Es wäre übrigens ein Fehler, wenn dieses Gesetz die-sen Titel behalten würde. Wenn es nämlich nur um Pla-nungsbeschleunigung geht – ich halte es übrigens fürwichtig, dass das geschieht –,
aber das Gesetz keine echte Bürgerbeteiligung, und zwareine neue Form der Bürgerbeteiligung, beinhaltet, dannwerden wir die Planungsbeschleunigung, die wir viel-leicht erreichen, zum Schluss wieder verlieren, weil eseine ganze Menge Klagen geben wird. Es braucht einenneuen Konsens für Infrastrukturprojekte, und das heißtechte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern.
Wir in Bayern haben die Debatte – Herr Kaufmann,Sie haben es angesprochen – über die dritte Startbahn.Da ist es ähnlich wie bei Stuttgart 21. Christian Ude undich, wir haben bereits im Sommer den Vorschlag ge-macht, die bayerische Verfassung zu ändern, um bayern-weite Volksentscheide zu ermöglichen.
Das hat die CSU abgelehnt.
Gestern höre ich, dass auch Horst Seehofer auf einmaldafür ist, aber nach dem Motto „Copy and paste“ undohne Quellenangabe. Guttenberg lässt grüßen.–gkmsnrelidfrdsdssvAdLzbnBtuaGsdgligDtiwBVkgzzresp
Das kennen wir. – Eine echte Kultur der Bürgerbeteili-ung heißt aber, dass man tatsächlich über das Ob redenönnen muss. Wenn Sie nämlich nur über bessere Infor-ation reden, was auch wichtig wäre – in diesem Zu-ammenhang muss man die Möglichkeiten des Internetsutzen –, es aber keine Möglichkeit gibt, über das Ob zuden, dann handelt es sich um keine echte Bürgerbetei-gung. Dann fühlen sich die Menschen zu Recht hinterie Fichte geführt. Das darf nicht sein.Wir haben in der SPD-Bundestagsfraktion einen In-astrukturkonsens auf den Weg gebracht. Wir werdenas Planungsbeschleunigungsgesetz begleiten. Aber ichage Ihnen ganz deutlich: Da muss eine Menge mehr alsas passieren, was bisher bekannt ist. Das ist das Ent-cheidende. Lassen Sie uns doch nicht nach der Ent-cheidung zu Stuttgart 21 im Nachhinein ein Hickhackeranstalten. Die CDU erweckt allein durch den Titel derktuellen Stunde den Eindruck, dass es jetzt darum geht,ie letzte Wahlniederlage psychologisch aufzuarbeiten.
assen Sie uns die Aktuelle Stunde vielmehr dafür nut-en, zu überlegen, wie wir die Bürgerinnen und Bürgeresser beteiligen können. Dazu gehört die Frage des Mo-itorings, die Frage der Information und die Frage, wieürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe mit der Verwal-ng beteiligt werden können. Dazu gehört auch die Be-ntwortung der Fragen: Wie beschleunigen wir dasanze? Wie können wir dafür sorgen, dass die Prozessechneller ablaufen? Ich glaube, dass es dann, wenn manie Bürgerinnen und Bürger früher an den Entscheidun-en, auch über das Ob, beteiligt, gelingen kann und ge-ngen muss, im Gegenzug die Verfahren zu beschleuni-en.
as, was wir in Stuttgart erlebt haben, kann ja nicht rich-g sein: dass 17 Jahre, nachdem das Verfahren gestartetorden ist,
aubeginn ist. Bürgerfeindlich ist übrigens auch, wennerfahren so lange dauern.Es wäre eine wichtige Aufgabe für dieses Haus, jetzt,urz nach diesem – aus Sicht der Mehrheit gut ausgegan-enen – Volksentscheid, nicht nur Lippenbekenntnisseu äußern und auf einmal das Hohelied der Demokratieu singen, sondern dafür zu sorgen, dass in einem Be-ich, in dem „mehr Demokratie“ normalerweise nichttattfindet, nämlich bei der Planung von Infrastruktur-rojekten, künftig mehr Demokratie praktiziert wird.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege
Dr. Daniel Volk.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Herr Kollege Pronold, Sie habenmit der Forderung, wir müssten jetzt einen neuen Kon-sens für Infrastrukturprojekte schaffen, eigentlich unter-stellt, dass es zuvor keinen Konsens gegeben habe.
Ich möchte dem ganz deutlich widersprechen. Ichglaube, wir haben über die mehr als 15 Jahre Planungdes Projekts Stuttgart 21 durchgehend einen Konsens ge-habt.
Es gab auch eine Bürgerbeteiligung: mehr als 3 000 Ein-gaben. In der Volksabstimmung am letzten Sonntag hatsich dieser Konsens noch einmal deutlich abgebildet.
Insofern sehe ich nicht, dass hier ein neuer Konsens her-beigeführt werden muss, sondern es muss der Konsens,den wir über Jahre hatten, beibehalten werden.
Ich halte es für vollkommen sinnvoll, dass hier eineAktuelle Stunde angesetzt wird, in der die beiden The-men, nämlich die Verhinderung von wichtigen Infra-strukturmaßnahmen durch die Grünen und die von denGrünen beabsichtigte Steuerpolitik, behandelt werden.Eines wird klar: Durch die Verhinderung von wichtigenInfrastrukturprojekten einerseits, durch massive, gera-dezu unverschämte Steuererhöhungen andererseits, diedie Grünen für den Fall einer Regierungsbeteiligung an-kündigen, wird ein Frontalangriff seitens der Grünen ge-gen den deutschen Mittelstand, gegen die deutsche Mit-telschicht, gegen die Zukunft unseres Landes gefahren.
Ich möchte Ihnen nur ein paar Punkte aus dem fantas-tischen Steuerbeschluss der Grünen vom Wochenendedarlegen. Sie sagen, der Staat müsse mehr Steuern ein-nehmen, damit er Schulden abbauen kann. In den Bun-desländern, in denen Sie Regierungsverantwortung tra-gen, fällt auf, dass Sie zusätzliche Steuereinnahmennicht zum Schuldenabbau verwenden.
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Nordrhein-Westfalen müssen Sie sich vom Verfas-ungsgerichtshof schwarz auf weiß erklären lassen, dassie einen verfassungswidrigen Haushalt aufstellen.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Mehr Steuereinnah-en werden von den Grünen niemals in den Abbau vontaatsverschuldung gesteckt, sondern immer für eineusgabenerhöhung verwendet. Das Schlimmste an die-er Sache ist: Dieses Geld wird in sinnlose Ausgaben ge-teckt.
Ich möchte Ihnen hier einfach einmal einen Schlüs-elsatz aus Ihrem Beschluss vorlesen:
… Finanz- und Haushaltspolitik … darf nicht imengen Gewand des strengen Kassenwarts daher-kommen.o Ihr O-Ton.
Das ist genau der Schlüsselsatz, der zeigt: Sie wollenen Bürgern nur noch mehr Geld wegnehmen, damit Sieoch mehr Geld für sinnlose Dinge ausgeben können.
Wenn man sich dann einmal direkt die steuerpoliti-chen Vorschläge anschaut, so stellt man fest, dass dierünen die Linkspartei mittlerweile links überholen. Daird eine Vermögensabgabe und in der Ferne eine Ver-ögensteuer vorgeschlagen, die allerdings nicht nur pri-ate Vermögen, sondern auch betriebliche Vermögen be-sten soll.
teressant, dass Sie dies fordern. Die Linkspartei fordert mit der Vermögensteuer „nur“ die Belastung des pri-aten Vermögens. Erklären Sie doch bitte einmal demittelstand oder kleinen Handwerksbetrieben, dass sieuf Betriebsfahrzeuge Vermögensteuer zahlen sollen.as ist doch insgesamt ein Angriff auf die Kapitalbasises Mittelstandes. Das kann diesem Lande nicht guttun.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17287
Dr. Daniel Volk
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In der Überschrift wird von einem „solidarischen Fi-nanzkonzept“ gesprochen, im Text ist dann aber dieRede von einer „massiven Erhöhung der Grundsteuer“.Sie wollen die Grundsteuer massiv erhöhen, indem Sieals Bemessungsgrundlage den Verkehrswert der jeweili-gen Immobilie ansetzen.
Das wird zwangsläufig dazu führen, dass sich dieGrundsteuer massiv erhöht. Jetzt frage ich mich nur, wiesolidarisch es ist, dass der Vermieter,
der möglicherweise mehrere Wohnungen hat, also einVermögender, diese massiv erhöhte Grundsteuer als um-lagefähige Nebenkosten seinem Mieter, der sich geradeeinmal eine Wohnung zur Miete leisten kann, in Rech-nung stellt. Wie solidarisch ist eigentlich Ihr Finanzkon-zept?
Ich kann nur eines sagen: Das Finanzkonzept der Grünenist weder solidarisch noch solide. Das Einzige, was esist: Es ist grün und damit auf jeden Fall zu verhindern.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Werter Kollege Dr. Volk, ich glaube, Sie haben am Sonn-tag gepennt. Wir hatten am Sonntag einen Volksent-scheid, und Baden-Württemberg hat entschieden. Erstdurch diesen Volksentscheid ist für das Projekt Stutt-gart 21 Klarheit geschaffen worden. Das müssten Sieeinfach einmal zur Kenntnis nehmen.
Ich kann mich gut erinnern: Wie wurden wir hier vor15 Monaten mit Häme überschüttet, wie sehr wurden wirals dumm und dusselig dargestellt, als wir diesen Volks-entscheid ins Spiel gebracht haben!
DKFWuAJUBsgddgHCIhBnLuBhzDwVshesh
er war denn noch dagegen? Auch der Kollege Kuhnnd die Grünen im Landtag waren dagegen.
uch die FDP war dagegen.
etzt lassen Sie sich auf einmal feiern, als wären Sie derrheber des Ganzen und hätten es zum Erfolg geführt.itte bleiben Sie einmal bei der Wahrheit!
Es zeigt sich, dass dieser Vorschlag, eine Volksab-timmung durchzuführen, richtig war und dazu beigetra-en hat, dass es zu einer Versöhnung der widerstreiten-en Parteien gekommen ist, zumindest im Hinblick aufie Frage, die jetzt am Sonntag geklärt wurde.
Lieber Kollege Strobl, es ist keine Zeit für Triumph-eheul. Sie müssten schon ein bisschen im eigenenause kehren und nachschauen, welchen Anteil dieDU an dem Konflikt um Stuttgart 21 hat. Insbesonderer OB hat für Verwirrung gesorgt: Er hat 2004 einenürgerentscheid in Aussicht gestellt und ihn dann dochicht stattfinden lassen, er hat nicht informiert und dieeute nicht, wie es so schön heißt, mitgenommen, und,nd, und.
leiben Sie auf dem Teppich! Ich glaube, es tut uns allenier gut, aus der Auseinandersetzung um dieses Projektu lernen und unsere Lehren daraus zu ziehen.
Ich denke, es ist eher Demut angesagt, schlichtwegemut. Auch die CDU sollte sich an die Nase fassen. Esurde uns nämlich mit dieser Entscheidung am Sonntagerantwortung übertragen und auch Vertrauen ge-chenkt, dass das, was wir zur Entscheidung vorgelegtaben, auch richtig ist, dass wir das, was wir in der Aus-inandersetzung besprochen haben, auch einhalten. Die-es Vertrauen, das uns geschenkt wurde, gilt für uns alleier im Parlament. Es gilt aber auch für das Verkehrs-
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Ute Kumpf
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ministerium und für die Bahn. Dieses Vertrauen darfnicht wieder enttäuscht werden, sonst kann dieses Pro-jekt nicht zügig und auch nicht sinnvoll zu Ende geführtwerden.
Es hat sich auch gezeigt, dass direkte Demokratienicht zwangsläufig eine Dagegen-Bewegung ist.
Sie stellt eine große Chance dar, dass Projekte zusam-men mit den Bürgerinnen und Bürgern endgültig zu ei-nem guten Abschluss gebracht werden.Ich will gern Tissy Bruns, eine sehr kluge Journalis-tin, zitieren, die geschrieben hat:Der Wutbürger ist im Licht der Abstimmung kleingeworden, viel kleiner als er im Scheinwerferlichtder Medien vor einem Jahr schien.
Das heißt, Verantwortung haben auch die Medien, undzwar dafür, wie sie solche Projekte begleiten, wie sie fürTransparenz und Information sorgen und auch die Kom-munikation organisieren. Ich denke, es ist ganz wichtig,dass man auch dies einmal untersucht und beleuchtet.
Das heißt, Kollege Strobl, die CDU wird ja nicht sodumm sein, sich einzuigeln und jetzt so zu tun, als hättesie alles schon vorher gewusst.
Ich hoffe, die CDU lernt dazu, nicht zu viel, damit sie inBaden-Württemberg nicht so erfolgreich wird.
– Das hat immer Kollege Rommel zu mir gesagt. Er hatgesagt: Frau Kumpf, ich wünsche Ihnen viel Erfolg, abernicht zu viel.Es hat sich gezeigt, dass die Wirtschaftsbürger keinenPolizeieinsatz im Schlossgarten wollen; denn es könntenihre Kinder oder ihre Enkel dabei sein.
Solche Projekte können also nicht mit der Polizei undmit Knüppeln durchgedrückt werden.
– Klatschen, genau.Jetzt kommen die Grünen an die Reihe
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der wie die FAZ sagt: Das Volk hat der Straße gezeigt,o es langgeht.
Jetzt, lieber Kollege Kuhn, beginnt für die grüne Re-ierung in Baden-Württemberg der echte Stresstest, unden werden wir auch entsprechend begleiten.
er vergangene Sonntag hat aber auch gezeigt: Die Bür-erinnen und Bürger sind bei weitem klüger, als wir den-
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Ulrich Lange
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ken oder als wir es hier manchmal diskutieren. Sie wis-sen nämlich, wie man mit langfristig notwendigenInvestitionsentscheidungen umgehen muss
und dass Zukunftsprojekte, die Generationenprojektesind, umgesetzt werden müssen. Schienenausbaupro-jekte waren immer schon langfristige Projekte und Pro-jekte für gesamte Regionen. Ich darf aus bayerischerSicht sagen, dass wir uns im bayerisch-schwäbischenRaum über die Entscheidung besonders freuen.
Lieber Kollege Pronold, Sie haben bei der drittenStartbahn des Münchener Flughafens die erste Pirouettegerade hinter sich. Auch Ihnen sei es vergönnt, jedenTag ein bisschen mehr Einsicht zu gewinnen. Aber wennich den Beschluss der bayerischen SPD aus dem Jahr2009 richtig im Kopf habe, dann waren Sie bis zur „Krö-nung“ von Ude der Meinung, die dritte Startbahn verhin-dern zu müssen.Jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, dass Sie sichgemeinsam mit uns und mit der Bayerischen Staatsregie-rung für diese dritte Startbahn einsetzen und sogar einRatsbegehren beantragen wollen.
Lieber Herr Pronold, ich sage Ihnen: Die CSU im Mün-chener Stadtrat hat bereits ein Ratsbegehren für diesedritte Startbahn beantragt. Sie kommen wieder hinterher.
Auf den Krach in der Koalition im Münchener Rathauskönnen wir uns heute schon einstellen. Ich verweise nurauf die gescheiterten Koalitionsverhandlungen in Berlin.Die A 100 lässt grüßen.
An die Adresse der Grünen muss ich sagen: ToniHofreiter hat gestern in der Welt auf die Frage, ob Stutt-gart 21 gebaut wird, gesagt: Das ist offen. – Ich kanndem Vorsitzenden des Infrastrukturausschusses, des Ver-kehrsausschusses, nur raten, er möge jetzt nicht alsTrotzkopf durch die Gegend laufen,
sondern mit dem Verkehrsausschuss gemeinsam diesesProjekt entsprechend unterstützen. Das hat der Souveränam Sonntag so entschieden. Diese Entscheidung giltauch für die Mitglieder unseres Ausschusses.
Ein herzliches Dankeschön gilt dem Bundesverkehrs-minister Peter Ramsauer, der als InfrastrukturministersgWdWuDtudfüBAHsinhGdNorireofürengtahle
a können Sie sich winden, wie Sie wollen: Infrastruk-r ist unser Markenzeichen. Anders verhält es sich beien Grünen, wie auf ihrem Parteitag deutlich wurde:
r mehr Bahnverkehr, aber gegen den Ausbau vonahntrassen; für regenerative Energien, aber gegen denusbau der Stromnetze.
err Kuhn, ich sage Ihnen noch eines: Sie haben be-chlossen, die Schulden tilgen zu wollen. Die Koalition Bayern tilgt bereits Schulden. Sie kommen wiederinterher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sonntag war einlück für unsere Infrastruktur, aber auch ein Glück fürie Demokratie. Die Demokratie braucht nämlich keineeinsager, die Demokratie braucht keine Wutbürgerder Berufsverweigerer. Was wir brauchen, sind Bürge-nnen und Bürger, die mit einem vernünftigen, transpa-nten und mutigen Dafür für unseren Wirtschaftsstand-rt und für unser Land stehen und arbeiten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
r die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Das Volk hat in der Tat am vergangenen Sonntagicht nur der Straße gezeigt, wo es langgeht. Die über-roße Mehrheit der Baden-Württemberger hat am Sonn-g auch all jenen eine Lektion erteilt, die sich angemaßtaben, sie seien das Volk und sie seien im Besitz der al-inigen Wahrheit und Deutungshoheit.
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17290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
Dr. Joachim Pfeiffer
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Egal ob drittklassige Schauspieler, Berufsquerulantenoder grüne Verkehrsminister: Das Volk hat klar gegenderen Position entschieden, und das ist auch gut so.
Ich darf jetzt, wo alles klar ist, Winfried Hermann, derin diesem Hause kein Unbekannter ist, zitieren. In denletzten Monaten war ihm als Minister, aber auch schonin der Zeit davor keine Lüge zu dreist und keine Halb-wahrheit zu dumm, um gegen Stuttgart 21 vorzugehenund dagegen zu kämpfen.
Nach dem Ergebnis vom Sonntag hat er gesagt –
– wer gelogen hat, ist im Landtag von Baden-Württem-berg festgestellt worden; da hat er nämlich eindeutig dieUnwahrheit gesagt –: Die Volksabstimmung gibt keineLegitimation mehr, gegen das Projekt zu kämpfen. Undwo er recht hat, hat er recht. Da kann ich ihm nur vorbe-haltlos zustimmen.Ich erwarte jetzt von den Grünen – denen kommt einebesondere Aufgabe zu –, dass sie dafür sorgen, dass sichnicht weiterhin die Straße gegen das Volk stellt, sonderndass jetzt Einsicht waltet und das Ergebnis akzeptiertwird.
Da steht Ihnen eine Aufgabe bevor. Der Herr Lösch– auch so ein Aktivist –, ein Regisseur, ich glaube, sogarder Mann von der stellvertretenden Fraktionsvorsitzen-den der Grünen im Landtag,
sprach noch am Montag von einer sogenannten Volksab-stimmung, die als scheindemokratisch zu verwerfen undnicht anzuerkennen sei.
So viel zu dem, was die unter Demokratie verstehen.
Das Ergebnis stimmt mich aber froh, weil ganz offen-sichtlich der Wutbürger zwar medial präsent ist, er oftsogar überhöht wird – das sind ja auch viele, kein Zwei-fel –, er aber Gott sei Dank in diesem Lande nicht dieMehrheit ist.DgsdskücafaAPv1li–feZgwDussTcczwnwswMnOadhle
as ist, so glaube ich, die wichtigste Botschaft vom ver-angen Sonntag, insbesondere für den Ausbau der Infra-truktur, egal ob im Verkehr, auf der Schiene oder aufer Straße, ob bei Flughäfen oder bei der Energieinfra-truktur.
Aber in der Tat – ich freue mich, dass das schon ange-lungen ist –: Wir können jetzt nicht zum „Weiter so!“bergehen, sondern müssen uns genau überlegen, wel-he Lehren und Schlussfolgerungen wir daraus ziehen,uch im Hinblick auf Planungsrecht und Planungsver-hren. Ganz offensichtlich liegt es doch schon dort imrgen.Stuttgart 21 beschäftigt mich persönlich – weil ich beirofessor Heimerl studiert habe – seit 1988. Dort wurdeor 23 Jahren die Ursprungsidee entwickelt.
994 ist das Projekt daraus entstanden. Ein solches zeit-ches Auseinanderfallen von Planung und Umsetzunges vergehen ja noch einmal zehn Jahre, bis das Ganzertig ist – können wir uns nicht leisten.
Warum brauchen wir eine solch lange Zeit? Dieseeit brauchen wir, weil wir immer mehr Bürgerbeteili-ungen, immer mehr demokratische Rechtsmittel undas auch immer eingebaut haben.
azu gehören auch Umweltverträglichkeitsprüfungensw. Aber ganz offensichtlich kommen die bei den Men-chen gar nicht an; denn all die Auslegungen in Rathäu-ern, die Erörterungstermine zu den Einwendungen inurnhallen oder wo auch immer sie stattfinden, errei-hen ganz offensichtlich die Menschen nicht oder errei-hen sie dann, wenn es sie nicht interessiert. Fünf oderehn Jahre später, wenn es dann an den Bau gehen soll,ill oder kann sich keiner mehr daran erinnern.Deshalb müssen wir in der Tat etwas ändern. Es ge-ügt nicht, dass wir die bestehenden Prozesse so lassen,ie sie sind, und um eine wie auch immer geartete bes-ere Beteiligung der Bürger ergänzen. Vielmehr müssenir die Projektzeiten insgesamt kräftig verkürzen undittel und Wege finden, die Bürger direkt am Anfang ei-es Vorhabens bei der grundsätzlichen Frage nach demb einzubeziehen und sie bei der Frage nach dem Wie innderer Form zu beteiligen. Das Ganze muss aber auf je-en Fall schneller gehen. Deshalb müssen wir die beste-enden Planungs- und Genehmigungsverfahren umstel-n.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011 17291
Dr. Joachim Pfeiffer
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Lassen Sie mich aber – weil wir ja zwei Teile haben,wie der Kollege Kuhn sehr klug festgestellt hat – ab-schließend noch etwas zu dem direkten Angriff auf die-jenigen, die im Lande den Wohlstand erwirtschaften, sa-gen. Die Grünen wollen nicht nur Politik gegen Familienmachen, das Ehegattensplitting und anderes mehr ab-schaffen und eine Steuerorgie veranstalten,
sondern – das will ich noch einmal betonen – auch denSpitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen.
Das trifft aber nicht nur den normalen Bürger, das trifftvor allem die Unternehmen. 76 Prozent der Unterneh-men in diesem Land mit rund 80 Prozent der Beschäftig-ten sind Personengesellschaften und Einzelunternehmen,und die wollen Sie in dieser Krise mit Ihren Steuererhö-hungsorgien überziehen.
Auch das muss man, glaube ich, den Menschen drau-ßen sagen. Dann wird es gar nicht erst zu Fragen wie beiStuttgart 21 kommen, denn dann werden Sie, die Grü-nen, von vornherein überhaupt nicht gewählt.
Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich dem Kollegen Steffen Bilger von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inden vergangen Monaten haben wir im Bundestag unsschon vielfach mit dem Projekt Stuttgart 21 beschäftigenmüssen. Ich hoffe doch sehr, dass wir uns nach demVotum der Bürger in Stuttgart und ganz Baden-Württem-berg nun auf die positive Begleitung dieses Projekts, vorallem im Verkehrsausschuss, konzentrieren können. Umes einmal deutlich zu sagen: Eine konstruktiv-kritischeBegleitung, wie sie Winfried Hermann angekündigt hat,wäre, so wie wir ihn kennen, nach diesem Votum zu we-nig.
Ich halte die aktuelle Diskussion über mögliche Kos-tensteigerungen bei Stuttgart 21 für unangemessen. Daswirkt für mich wie das Nachkarten schlechter Verlierer.
Es drängt sich doch der Eindruck auf, die Grünen wür-den höhere Kosten geradezu herbeisehnen.
as ist für mich nicht kritisch-konstruktiv; das istchlicht destruktiv.
inige von Ihnen scheinen die Grundeinstellung zu ha-en, immer nur das Negative zu erwarten oder zu erhof-n.
ber das ist keine Einstellung, mit der wir die Heraus-rderungen der Zukunft meistern können.Ja, die Volksabstimmung hat Klarheit gebracht;
ber sie hat auch viel Zeit und Geld gekostet,
m letztendlich doch die demokratischen Mehrheitsbe-chlüsse aller Gremien, von Gemeinderat bis Bundestag,u bestätigen.
Ich kann Sie von den Grünen nur auffordern, endlichamit aufzuhören, Stuttgart 21 teurer machen zu wollen,m so doch noch irgendwie das klare Bürgervotum um-ehen zu können.
er jetzt sagt, bei der Volksabstimmung sei es doch nurm ein Ja oder Nein zum Finanzierungsanteil des Landesegangen, wie es einige Vertreter der Stuttgart-21-Geg-er getan haben, der nimmt den Bürger nicht ernst. Dennas Votum ist ganz klar: Ja zu Stuttgart 21.
Wir alle können sicherlich aus den ganzen Entwick-ngen bei Stuttgart 21 lernen. Dazu gehört für michuch, dass wir von der Union durchaus Versäumnisse imrozess der Planung von Stuttgart 21 eingestehen undaraus Lehren für die Zukunft ziehen.
Es ist gut, wenn sich Bürger mittlerweile mehr für sieetreffende Projekte interessieren. Es sollte sich abericht wiederholen, dass ein solches Interesse auf die Artnd Weise politisch instrumentalisiert wird, wie es dierünen in Baden-Württemberg getan haben.
Metadaten/Kopzeile:
17292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 30. November 2011
Steffen Bilger
(C)
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Meine Damen und Herren, bei allem Protest und derBerichterstattung darüber wurde lange kaum zur Kennt-nis genommen, wie viele Befürworter von Stuttgart 21es gab und gibt. Umso mehr will ich all den Bürgern, diesich zum Teil trotz Beleidigungen und harter Auseinan-dersetzungen für Stuttgart 21 einsetzen, an dieser Stellefür ihr Engagement danken.
Alle diese Projekte verdienen Unterstützung, aber nichtNEN]: Unter Ihrer Regierung hätte es nie eineVolksabstimmung gegeben!)Mein Dank gilt auch den Polizisten, die seit Jahren amStuttgarter Hauptbahnhof sehr viel hinnehmen müssen,obwohl sie nur ihren Dienst tun.
Dasselbe gilt im Übrigen für die Polizeibeamten, diebeim Castortransport im Einsatz waren. HerrKretschmann sagt:… Protest macht jetzt eigentlich keinen Sinn mehr.Recht hat er. Aber was fällt Frau Roth dazu ein? Sie sagt:Der Polizeieinsatz … ist ein Anschlag auf die De-mokratie.Eine solche Aussage ist unglaublich.
Meine Damen und Herren, die Bahnhofsgegner inStuttgart wurden von unserem früheren Verkehrsaus-schussvorsitzenden Winfried Hermann massiv unter-stützt. Ich muss ehrlich sagen, dass es mich beim Ergeb-nis der Volksabstimmung mit am meisten gefreut hat,dass die Verunsicherungstaktik von Herrn Hermannnicht aufgegangen ist:
Weder hat das Sichten alter Ministeriumsakten durchseine zahlreichen neuen Mitarbeiter und die gezielteWeitergabe an Journalisten zur Aufbauschung vermeint-licher Skandale etwas bewirkt, noch hat es funktioniert,die Regionen Baden-Württembergs gegeneinander aus-zuspielen.
Die Bürger waren zu schlau, um auf all das hereinzufal-len.
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wei Tage nach der Volksabstimmung gab es bei deneratungen zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-ürttemberg zur zweiten Rheinbrücke die Gelegenheitazu. Man hätte darauf wetten können – das Ergebnisar vorhersehbar –:
ichts ist passiert. Die Grünen wollen auch hier keinefrastrukturinvestitionen. Dabei ist das Signal vomonntag klar: Die Menschen wollen eine Zukunft, in derir weiterhin eine führende Wirtschaftsnation mit Inno-ationsgeist und dem Mut zur Veränderung sind. Dazuollten wir alle unseren Beitrag leisten.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
chluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 1. Dezember
011, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.