Protokoll:
17136

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 136

  • date_rangeDatum: 27. Oktober 2011

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:44 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/136 16071 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung telekom- munikationsrechtlicher Regelungen (Drucksachen 17/5707, 17/7521) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Waltraud Wolff, – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Tele- kommunikationsmarkt verbraucher- gerecht regulieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netz- neutralität sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Universal- dienst für Breitband-Internet- anschlüsse jetzt 16071 C 16072 B Deutscher B Stenografisc 136. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Wahl des Abgeordneten Michael Hartmann als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsa- men Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Frank Schwabe als stellvertretendes Mitglied in der Parlamenta- rischen Versammlung des Europarates . . . Wahl des Abgeordneten Sören Bartol als or- dentliches Mitglied des Eisenbahninfra- strukturbeirates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Frau Jutta Frasch als stellvertreten- des Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ . . . . . . Wahl des Abgeordneten Florian Pronold als ordentliches Mitglied im Stiftungsrat der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt- Forum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16071 A 16071 B 16071 B 16071 B Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbrau- cherschutz in der Telekommunika- tion umfassend stärken undestag her Bericht tzung en 27. Oktober 2011 l t : – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Lars Klingbeil, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Netzneu- tralität im Internet gewährleisten – Diskriminierungsfreiheit, Transpa- renzverpflichtungen und Sicherung von Mindestqualitäten gesetzlich re- geln – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schnelles In- ternet für alle – Flächendeckende Breitband-Grundversorgung sicher- stellen und Impulse für eine dynami- sche Entwicklung setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Ab- II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen das Zwei-Klassen-Internet – Netzneu- tralität in Europa dauerhaft ge- währleisten (Drucksachen 17/4875, 17/5367, 17/5902, 17/5376, 17/4843, 17/6912, 17/3688, 17/7521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Martin Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stand und Per- spektiven des Breitbandausbaus in Deutschland (Drucksachen 17/3899, 17/5588) . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16072 C 16073 A 16073 A 16074 A 16075 D 16076 C 16078 B 16079 B 16080 C 16081 D 16082 D 16084 C 16086 A 16086 D 16087 D 16088 A 16088 D 16089 D 16090 B 16091 C 16093 A 16093 C 16093 D 16095 A 16095 C 16096 B 16097 D 16098 A 16098 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energie sparen, Kosten senken, Klima schützen – Für eine ambitionierte Effizienzstrategie der deutschen und euro- päischen Energieversorgung (Drucksache 17/7462) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 30: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Energiewende ge- lingt nur mit KWK (Drucksachen 17/6084, 17/7516) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Am Ausbau der hoch- effizienten Kraft-Wärme-Kopplung festhalten (Drucksachen 17/3999, 17/4492) . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Ak- tionsplan der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 17/6927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16099 D 16100 A 16100 A 16100 B 16100 B 16101 C 16103 B 16105 B 16106 B 16106 D 16107 C 16107 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 III Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Statistik der Überschuldung privater Personen (Überschuldungs- statistikgesetz – ÜSchuldStatG) (Drucksache 17/7418) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Veronika Bellmann, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Oliver Luksic, Patrick Döring, Werner Simmling, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Weißbuch Verkehr – Auf dem Weg zu einer nachhaltigen und bezahl- baren Mobilität (Drucksache 17/7464) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein CASTOR-Transport nach Gorleben zu Lasten des Strahlenschutzes – Zwi- schenlagerung hochradioaktiver Wie- deraufarbeitungsabfälle verursacherge- recht neu gestalten (Drucksache 17/7465) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Masterplan Stra- ßenverkehrssicherheit – Ambitioniertes Nationales Verkehrssicherheitsprogramm 2011 – 2020 vorlegen (Drucksache 17/7466) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16109 C 16109 D 16112 A 16113 A 16114 A 16115 B 16116 D 16117 C 16118 C 16120 A 16120 B 16120 D 16120 D 16121 A 16121 A Tagesordnungspunkt 36: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterrechtli- chen Daten zwischen den Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union und zur Änderung registerrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 17/5224, 17/7415) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Vierundzwan- zigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Drucksachen 17/7334, 17/7517) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung über die elektronische Fas- sung des Amtsblatts der Europäischen Union (Drucksachen 17/7144, 17/7512) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an das Gemeinsame Wattenmeersekretariat – Common Wadden Sea Secretariat (CWSS) (CWSSRechtsG) (Drucksachen 17/6612, 17/7491) . . . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2012 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2012) (Drucksachen 17/7236, 17/7518) . . . . . . . f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Erd- ölbevorratungsgesetzes und zur Ände- rung des Mineralöldatengesetzes (Drucksachen 17/7273, 17/7519) . . . . . . . g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verga- berechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (Drucksachen 17/7275, 17/7520) . . . . . . . h) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. November 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Andorra über den Informationsaus- tausch in Steuersachen (Drucksachen 17/7145, 17/7441) . . . . . 16121 B 16121 C 16122 A 16122 B 16122 C 16122 D 16123 A 16123 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 19. Ok- tober 2010 zwischen der Bundes- republik Deutschland und Antigua und Barbuda über den Informa- tionsaustausch in Steuersachen (Drucksachen 17/7146, 17/7441) . . . . i) – o) Beratung der Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses: Sammelübersichten 324, 325, 326, 327, 328, 329 und 330 zu Petitio- nen (Drucksachen 17/7361, 17/7362, 17/7363, 17/7364, 17/7365, 17/7366, 17/7367) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und FDP: Demokra- tischer Sozialismus und soziale Markt- wirtschaft im Grundsatzprogramm der LINKEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinder- schutzgesetz – BKiSchG) (Drucksachen 17/6256, 17/7522) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/7523) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Petra Crone, Iris Gleicke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Kin- derschutz wirksam verbessern: Präven- 16123 B 16123 D 16124 C 16124 C 16126 A 16127 A 16128 D 16130 A 16131 D 16133 A 16134 D 16136 A 16137 D 16138 A tion im Kinderschutz optimieren – Förderung und Frühe Hilfen für Eltern und Kinder stärken (Drucksachen 17/498, 17/7522) . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslin- gen), Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Hei- delberg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwick- lungspolitik (Drucksache 17/7358) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Erleichte- rung der Sanierung von Unternehmen (Drucksachen 17/5712, 17/7511) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Christine Scheel, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Insolvenzrechtsreform un- verzüglich vorlegen – Außergerichtliche 16138 A 16138 B 16139 D 16141 B 16142 A 16143 C 16145 B 16146 D 16148 A 16149 A 16150 D 16151 A 16152 D 16154 B 16155 D 16156 D 16157 D 16159 A 16160 B 16161 B 16162 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 V Sanierungsverfahren stärken – Insol- venzplanverfahren attraktiver gestalten (Drucksachen 17/2008, 17/7511) . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine moderne und zukunftsweisende Familienpolitik (Drucksache 17/6915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanz- kraft der Kommunen (Drucksachen 17/7141, 17/7171, 17/7402) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: 16162 C 16162 D 16164 C 16165 C 16167 B 16168 C 16169 C 16171 A 16172 A 16173 C 16173 D 16175 C 16177 B 16177 D 16177 D 16179 C 16180 D 16182 A 16184 C 16186 A 16187 A 16187 D 16188 D Wiederherstellung der Handlungs- fähigkeit von Städten, Gemeinden und Landkreisen – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Katja Dörner, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gemeindefinanz- kommission gescheitert – Jetzt finanzschwache Kommunen – ohne Sozialabbau – nachhaltig aus der Schuldenspirale befreien (Drucksachen 17/1744, 17/7189, 17/7514) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils (C-555/07) – Erweite- rung des Kündigungsschutzes bei unter 25-Jährigen (Drucksachen 17/775, 17/7489) . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Ingrid Hönlinger, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) – Diskrimi- nierungsfreie Ausgestaltung der Kündi- gungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (Drucksachen 17/657, 17/7489) . . . . . . . . 16189 A 16189 B 16190 D 16192 B 16193 B 16194 B 16194 D 16195 B 16197 A 16197 C 16198 B 16199 D 16201 D 16202 B 16202 D 16204 A 16206 A 16206 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desverfassungsschutzgesetzes (Drucksachen 17/6925, 17/7172, 17/7513) b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Evaluierung befristeter Sicherheits- gesetze – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien ein- heitlich regeln, Unabhängigkeit wahren (Drucksachen 17/5483, 17/3687, 17/7513) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- digungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten (Drucksache 17/7360) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanla- genvermittler- und Vermögensanlagen- rechts (Drucksachen 17/6051, 17/7453) . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 16206 B 16207 B 16208 D 16209 D 16210 D 16211 C 16212 C 16213 B 16215 A 16215 B 16215 D 16216 A 16216 B 16218 B Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Minijobs mit sozialversicherungs- pflichtiger Arbeit gleichstellen (Drucksache 17/7386) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäi- schen Finanzaufsichtssystems (Drucksachen 17/6255, 17/7508) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Agnes Malczak, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen (Drucksachen 17/7191, 17/7506) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Um- weltauditgesetzes (Drucksachen 17/6611, 17/7490) . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Thomas Silberhorn, Monika Grütters, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU 16220 B 16221 B 16222 A 16223 C 16223 C 16224 A 16224 B 16224 C 16225 A 16226 A 16227 A 16227 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 VII sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: UNESCO-Welterbe- stätten in Deutschland stärken (Drucksache 17/7357) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski- Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Strategie gegen Lebensmittelverschwen- dung entwickeln (Drucksache 17/7458) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Bei- treibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrR- LUmsG) (Drucksachen 17/6263, 17/7469, 17/7524) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/7515) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mineralölhaltige Druckfarben bei wiederverwendbarem Papier und Lebens- mittelverpackungen verbieten (Drucksache 17/7371) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16228A 16228 B 16229 C 16230 C 16231 A 16232 A 16232 D 16233 D 16234 A 16234 A 16234 B 16234 C 16235 B 16236 A 16237 A 16237 C Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Grä- bergesetzes (Drucksachen 17/6207, 17/7424) . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Till Seiler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame und stichtagsunab- hängige gesetzliche Bleiberechtsrege- lung im Aufenthaltsgesetz (Drucksache 17/7463) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine neue Bleiberechtsregelung (Drucksache 17/7459) . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Morato- rium für die elektronische Gesundheits- karte (Drucksache 17/7460) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16238 B 16238 C 16239 A 16239 B 16240 B 16241 B 16241 D 16241 D 16242 A 16243 C 16244 B 16245 A 16245 D 16246 D 16247 A 16248 C 16249 C 16250 B 16251 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lega- lisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs (Drucksache 17/7196) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen (Tagesord- nungspunkt 12 a) Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Evaluierung befristeter Sicherheitsge- setze – Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln, Unabhän- gigkeit wahren (Tagesordnungspunkt 14) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16252 A 16252 A 16253 C 16254 D 16255 C 16256 C 16257 D 16259 A 16259 C 16260 A 16260 C 16261 C 16262 D 16263 D 16264 B 16265 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- digungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten (Tagesordnungspunkt 15) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. Novem- ber 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (Tages- ordnungspunkt 18) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen (Tagesordnungspunkt 19) Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Strategie gegen Lebensmittelver- schwendung entwickeln (Tagesordnungs- punkt 22) Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16266 A 16267 A 16268 B 16268 D 16269 D 16270 D 16271 D 16273 A 16273 D 16275 B 16275 D 16276 C 16277 B 16278 A 16279 A 16280 A 16280 C 16281 B 16281 D 16282 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 IX Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Ände- rung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrR- LUmsG) (Tagesordnungspunkt 23) Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Minijobs mit sozialversiche- rungspflichtiger Arbeit gleichstellen (Tages- ordnungspunkt 32) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16283 C 16284 B 16285 A 16285 D 16286 D 16287 C 16289 D 16292 B 16292 D 16293 D 16295 B 16295 D 16297 A 16298 B 16299 B 16300 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16071 (A) (C) (D)(B) 136. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16259 (A) (C) (D)(B) chende Gesetzesvorhaben in NRW lassen dies schon er- kennen.Zöller, Wolfgang CDU/CSU 27.10.2011 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barnett, Doris SPD 27.10.2011 Bülow, Marco SPD 27.10.2011 Caesar, Cajus CDU/CSU 27.10.2011 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 27.10.2011 Gloser, Günter SPD 27.10.2011 Gohlke, Nicole DIE LINKE 27.10.2011 Heil, (Peine) Hubertus SPD 27.10.2011 Dr. Hoyer, Werner FDP 27.10.2011 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 27.10.2011 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 27.10.2011 Kunert, Katrin DIE LINKE 27.10.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 27.10.2011 Ludwig, Daniela CDU/CSU 27.10.2011 Merkel (Berlin), Petra SPD 27.10.2011 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 27.10.2011 Philipp, Beatrix CDU/CSU 27.10.2011 Dr. Ruppert, Stefan FDP 27.10.2011 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.10.2011 Seiler, Till BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.10.2011 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 27.10.2011 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 27.10.2011 Weinberg, Harald DIE LINKE 27.10.2011 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 27.10.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 27.10.2011 Zapf, Uta SPD 27.10.2011 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommu- nen (Tagesordnungspunkt 12 a) Otto Fricke (FDP): Der Gesetzentwurf, nach dem der Bund ansteigend und ab 2014 dauerhaft 100 Prozent der Nettoausgaben des Vorvorjahres für die Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte für die Kommunen übernimmt, bürdet dem Bundeshaushalt dauerhaft Mehr- belastungen auf, für die es faktisch keine Gegenfinanzie- rung gibt. Damit wird vom Bund eine zusätzliche Belas- tung übernommen. Ich halte dies aufgrund der noch immer schwierigen finanziellen Lage des Bundes für nicht gerechtfertigt und den gefundenen Kompromiss für systemwidrig. Zudem belastet er die Verpflichtung des Bundes aus der Schul- denbremse der Verfassung erheblich. Im Besonderen halte ich dies für falsch, weil letztlich eine Finanzierung über ehedem für die Bundesagentur für Arbeit vorgesehene Umsatzsteuermittel vorgenom- men wird. Nach meiner Auffassung wird hierdurch mal wieder ein Finanzierungsweg beschritten, der eine Ent- wicklung befördert, durch die die Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts, aber auch anderer Haushalte zuneh- mend vernebelt wird. Der Anteil am Bundeshaushalt, der originär bundeseigenen Zuständigkeiten zugeschrieben werden kann, wird zunehmend geringer. Dieses mindert die Klarheit und systematische Stringenz des Haushalts, was dazu führt, dass in einem gewissen Umfang die kor- rekte Kontrolle über Ausgaben verloren geht. Zudem kann der Bürger immer weniger erkennen, mit welcher Steuer er welche Ebene und welche Ausgabe finanziert. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Tatsache pro- blematisch, dass Länder und Kommunen seit Jahren ins- gesamt weit mehr Steuereinnahmen haben als der Bund. Gerade weil auch ich erkenne, dass die Kommunen mit ihrer aktuellen Finanzausstattung nicht zurechtkom- men können, halte ich es für wichtig, diesen einen eige- nen Weg der Finanzierung zu ermöglichen, indem sie ei- nen höheren Anteil an der Mehrwertsteuer sowie ein eigenes Hebesatzrecht bei der Lohn- und Einkommen- steuer unter Wegfall der Gewerbesteuer erhalten. Hier- durch würde zum einen Verlässlichkeit geschaffen, in- dem die Kommunen sich darauf unabhängig von verwobenen Konstruktionen verlassen könnten. Zum an- deren würde der Bundeshaushalt freigehalten von weite- ren komplizierten Umverteilungen, die gar keine Bundes- zuständigkeiten betreffen. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass nun- mehr die Gefahr droht, dass die den Kommunen mit die- sem Gesetz zugewiesenen Mittel von den Ländern zum Anlass genommen werden, für eine Umverteilung der Finanzmittel auch an anderer Stelle zu sorgen. Entspre- 16260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Da es sich bei dieser Entscheidung für mich jedoch nicht um eine Gewissensentscheidung handelt, werde ich den Beschlussvorschlag meiner Fraktion und damit der Koalition mittragen. Gisela Piltz (FDP): Der heute verabschiedete Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen ist geeignet, den Städten und Gemeinden dringend benötigte finanzielle Hand- lungsspielräume zurückzugeben. Doch auch wenn die in dem Gesetz getroffenen Rege- lungen ein probates Mittel zur punktuellen Konsolidie- rung der kommunalen Haushalte darstellen, können diese nicht die dringend benötigte große Lösung bei der Reform der Gemeindefinanzen ersetzen. Vorzugswürdig und dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung mehr Rechnung tragend wäre in diesem Zusammenhang ein Konzept zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung der kommunalen Haushalte durch die Städte und Ge- meinden gewesen. Mittels der Ersetzung der Gewerbe- steuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer sowie einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körper- schaftsteuer mit eigenem Hebesatzrecht könnte den Kommunen über punktuelle Lösungen hinaus eine ver- lässliche und vor allem planbare Grundlage zur Eigen- finanzierung an die Hand gegeben werden. Die nur noch schwer nachvollziehbaren Umverteilungskonstruktio- nen des bestehenden Systems gehörten dann der Vergan- genheit an. Das Scheitern der entsprechenden Verhand- lungen innerhalb der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen bedaure ich insoweit ausdrücklich. Damit die heute verabschiedete Hilfe jedoch tatsäch- lich auch den Adressaten erreicht, müssen die zur Verfü- gung gestellten Mittel auf direktem Wege den Adressa- ten, das heißt allen Kommunen, ohne Einschränkungen zugeleitet werden. Tendenzen in einigen Bundesländern, so etwa in Nordrhein-Westfalen, wonach zweckgebun- dene Mittel des Bundes nach eigenem Gutdünken der Landesregierungen umgewidmet werden sollen, sind deshalb nicht akzeptabel. Entscheidendes Kriterium für eine Beteiligung des Bundes an Aufwendungen in den Kommunen muss des- halb das Kostenerstattungsprinzip bleiben. Eine Umwid- mung der zur Verfügung gestellten Mittel, zum Beispiel zur Gesundung einzelner kommunaler Kassen, stünde den Haushaltsgrundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die in den jeweiligen Gemeindeordnungen festgelegt sind, ersichtlich entgegen und wäre nach ein- heitlicher Bewertung schlechterdings rechtswidrig. Durch die Landesregierungen intendierte Einbußen auf der Einnahmeseite für finanziell gut aufgestellte Kom- munen sind vor dem Hintergrund des Gesetzes damit nicht legitimierbar, die rechtmäßige Haushaltswirtschaft darf nicht durch Steuerung von dritter Seite konterkariert werden. Infolge der positiven Auswirkungen, die das Gesetz bei rechtskonformer Umsetzung durch die Länder haben wird, stimme ich für die Beschlussempfehlung der Ko- alitionsfraktionen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Evaluierung befristeter Sicherheitsge- setze – Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln, Unabhängig- keit wahren (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit der Verab- schiedung dieses Gesetzes leisten wir einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit in Deutschland. Wir stel- len damit sicher, dass die bewährten Instrumente aus dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz nicht Anfang 2012 auslaufen, sondern weiterhin von den Sicherheitsbehörden in unserem Land angewandt wer- den können. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt uns, dass es eine ganze Reihe von sicherheitsrele- vanten Vorkommnissen, von bekannt gewordenen An- schlagsplänen und verhinderten Anschlägen gab. Bei- spielhaft genannt sei hier nur die Düsseldorfer Zelle, die einen Anschlag vorbereitet und geplant hatte und deren Festnahme nur möglich war, weil die Sicherheitsbehör- den unter anderem auf diese Instrumente zurückgreifen konnten, über die wir heute sprechen. Der Gesetzentwurf ist dadurch geprägt, dass wir ers- tens alle bewährten Instrumente für die Nachrichten- dienste erhalten und auch über Januar 2012 hinaus be- reitstellen. Zweitens streichen wir Befugnisse, die nie angewandt wurden und auf die daher offensichtlich ver- zichtet werden kann. Drittens sind im Gesetzentwurf auch weiterhin eine Befristung und eine Evaluation vor- gesehen. Und darüber hinaus werden viertens Änderun- gen bei den Mitteilungspflichten vorgenommen. Ganz besonders die Auskunftsbefugnisse im Bereich der Telekommunikation, der Flugbuchungen und des Geldverkehrs sind für die Nachrichtendienste von beson- derer Bedeutung. Wenn wir die Bekämpfung des Terro- rismus ernst nehmen, müssen wir den Sicherheitsbehör- den Instrumente an die Hand geben, um Informationen über Terrorverdächtige zu erhalten, über ihr Kommuni- kationsverhalten, ihre Reisebewegungen und ihre Fi- nanztransaktionen. Gerade in einer Szene, die sich ab- schottet und sehr konspirativ agiert, sind diese Befugnisse oftmals der einzige Ansatz für die Sicher- heitsbehörden, um Terrornetzwerke oder auch Einzel- täter zu entdecken. Es ist deshalb gut und richtig, dass wir diese Befugnisse beibehalten. Betroffen von diesen Maßnahmen sind lediglich Ter- rorverdächtige, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte und Tatsachen für diesen Verdacht vorliegen. Wer etwas anderes behauptet und den Eindruck erweckt, 80 Millio- nen Menschen in unserem Land seien von dem Gesetz Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16261 (A) (C) (D)(B) betroffen, sagt schlicht die Unwahrheit. Wer es schwarz auf weiß nachlesen möchte, dem empfehle ich den Be- richt zu den Maßnahmen nach dem Terrorismusbekämp- fungsgesetz, der dazu detailliert Auskunft gibt und für jeden als Bundestagsdrucksache 17/4277 zugänglich ist. Wir haben im Vorfeld intensive Diskussionen darüber geführt, wie der Gesetzentwurf ausgestaltet werden soll. Die in der Sachverständigenanhörung in der vergange- nen Woche gewonnenen Erkenntnisse haben wir eben- falls diskutiert und zu einem nicht unerheblichen Teil be- rücksichtigt. Gegenüber der ersten Lesung haben wir den Gesetzentwurf noch einmal angepasst. Dabei geht es insbesondere um die Erhebung von Vertragsdaten bei Telediensten im Zusammenhang mit einem Terrorver- dacht. Anders als bisher wird nun auch für diese Befug- nis der Sicherheitsbehörden eine Mitteilungspflicht an den Betroffenen eingeführt. Wir haben uns dabei von der Überzeugung leiten lassen, dass Informationen, die in Zusammenhang mit einem konkreten Terrorverdacht von einem Nachrichtendienst erhoben werden, dem Be- troffenen mitgeteilt werden sollen, sobald dies ohne Ge- fährdung der Maßnahme möglich ist. Dies gilt mit der vorliegenden Änderung des Terrorismusbekämpfungser- gänzungsgesetz unabhängig vom Medium der gewonne- nen Daten. Entscheidend ist aber, und das will ich noch einmal betonen, dass wir die Datenerhebung bei den Te- lediensten deshalb ausnahmsweise in diese Mitteilungs- pflicht mit aufgenommen haben, weil sie aufgrund tat- sächlicher Anhaltspunkte für einen Terrorverdacht durch einen Nachrichtendienst erfolgt. In vergleichbaren Be- stimmungen im Bereich der Gefahrenabwehr oder Straf- verfolgung ist diese Mitteilung auch nach der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts nicht gefordert. Es handelt sich hier also um einen besonderen Fall. Wir stärken auch die Rolle der G-10-Kommission, die als unabhängige Instanz diese Maßnahmen kontrolliert. In der Begründung des Änderungsantrags haben wir des- halb zum Ausdruck gebracht, dass es unser gemeinsa- mes Ziel sein muss, die G-10-Kommission personell und organisatorisch auch entsprechend auszustatten, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Ich denke, wir sollten uns angesichts der wachsenden Aufgabenvielfalt und des Aufgabenspektrums der Kommission auch insgesamt einmal Gedanken darüber machen, ob die Bezeichnung G-10-Kommission noch zutreffend ist, handelt es sich doch um eine Begrifflichkeit, die noch aus einer Zeit stammt, in der Telekommunikation fast ausschließlich mit dem Wählscheibentelefon stattfand und die Kom- mission über Briefe und abgehörte Analogtelefonie zu befinden hatte. Heute dagegen hat Kommunikation eine ganz andere Dimension. Ich denke an Mobiltelefonie, mobile Internetdienste auf dem Smartphone, E-Mails, Voice over IP, verschlüsselte Telefonie, die Kommunika- tion im Chat, in Foren usw. Diesem technischen Fort- schritt, der ja auch die Ermittlungs- und Sicherheitsbe- hörden immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, müssen wir aus meiner Sicht mittelfristig auch dadurch Rechnung tragen, dass wir über Anpassungen des Auf- gabenkatalogs der G-10-Kommission sprechen. Es ist ein deutliches und gutes Zeichen, dass wir heute ein Gesetz verabschieden, das nicht nur von den Regie- rungsfraktionen mitgetragen wird, sondern auch die Zu- stimmung der SPD findet, zeigt es doch, dass die Sicher- heitsgesetzgebung in diesem Bereich über die letzten zehn Jahre von allen Fraktionen, außer der Linken, wechsel- weise mitgetragen wurde. Dass die SPD sich hier zu ih- rer Verantwortung bekennt, begrüße ich ausdrücklich. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen. Dass die Grünen zu diesem Schritt nicht in der Lage sind und sich nur dann als Bürgerrechtspartei gerieren, wenn sie in der Opposition sind, ist für mich Heldentum nach Ladenschluss. Unter Rot-Grün haben die Grünen dem TBG, also genau dem Gesetz zugestimmt, das die Grundlage für den heute vorliegenden Gesetzentwurf ist. Es ist unbestritten, dass wir in Deutschland seit Jahren eine hohe abstrakte Bedrohung durch den Terrorismus haben. Die Vergangenheit hat aber auch immer wieder gezeigt, dass die abstrakte Bedrohung sehr schnell konkret werden kann. Deshalb müssen wir unsere Sicherheitsbehörden so aufstellen und ausstatten, dass sie in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten – sei es in der Strafverfolgung, bei der Gefahrenabwehr oder im Rahmen der nachrichtendienstlichen Arbeit im Vorfeld. Genau dazu leisten wir mit dem vorliegenden Gesetz einen wesentlichen Beitrag. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Wir sprechen heute über die Verlängerung von einem Bündel an Si- cherheitsgesetzen, für das fast alle Fraktionen im Bun- destag Verantwortung tragen. Die SPD hat es zusammen mit den Grünen auf den Weg gebracht und mit der Union verlängert. Nun ist Schwarz-Gelb zuständig. Ich kann mich noch genau an die Wochen erinnern, als wir im Deutschen Bundestag im Jahr 2001 erstmals über die neuen Sicherheitsgesetze diskutiert haben. Wir standen unter dem Eindruck eines der schlimmsten An- schläge der neueren Geschichte. Wir standen in der Pflicht, eine Antwort zu finden auf eine neue Form terro- ristischer Bedrohung. Wir waren fest entschlossen und tief getroffen. Es wäre naiv zu glauben, dass sich in die- ser Zeit das so wichtige Gleichgewicht zwischen Sicher- heit und Freiheit nicht verschoben hat. Einiges davon kann man zu Recht kritisieren. Aber ich glaube, alles in allem haben die beteiligten Fraktionen im deutschen Bundestag Augenmaß gehalten. Bei uns gab und gibt es keinen Patriot Act. Die flä- chendeckende Videoüberwachung hat sich in Deutsch- land – anders als in Großbritannien – nicht durchgesetzt. Und das ist auch gut so. Weil die Regierungskoalition diesen maßgeblich von der SPD mitbestimmten Kurs fortsetzt und es keine Ver- schiebung des Koordinatensystems von Freiheit und Si- cherheit zulasten der Freiheit gibt, stimmen wir heute Ih- rem Gesetzentwurf zu. In der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses hat sich gezeigt, dass die Instru- mente in der Sicherheitspolitik verfassungsgemäß ausge- legt und angewandt wurden. Das heißt aber nicht, dass man sie alle auch weiter fortsetzen muss. Vor zehn Jahren glaubten wir noch, dass den Polizeibehörden der Eingriff in den Postverkehr 16262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wichtige Erkenntnisse bringen würde. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass sie überhaupt nicht benötigt wird. Im Sinne einer effizienten Sicherheitspolitik ist es klug, diese Grundrechtseingriffe in Zukunft nicht mehr zu er- lauben. Der technische Fortschritt hat das Kommunika- tionsverhalten komplett verändert. Dem müssen wir in unseren Entscheidungen Rechnung tragen, sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung. In der Innen- und Rechtspolitik stehen wir völlig neuen Bedrohungen gegenüber. Gleichzeitig verändert sich das tägliche Leben der Menschen so sehr, dass wir mit den herkömmlichen Ermittlungsmethoden alleine nicht mehr weiterkommen. Unsere Aufgabe ist es, einen Kompromiss zu finden zwischen der Kriminalitätsbe- kämpfung und dem Recht der Bürger an den eigenen Da- ten. Hier ist kein Platz für Extremisten. Die Ausgewo- genheit muss Maßgabe jedes innenpolitischen Handelns sein. Das ist in der Koalition nicht der Fall. Es ist glei- chermaßen unverantwortlich, wenn einerseits die FDP die Vorratsdatenspeicherung blockiert und Teile der Union die rechtswidrige Nutzung von Staatstrojanern öf- fentlich verteidigen. Politik aus einem Guss sieht anders aus. Ich bitte beide Seiten: Kommen Sie hier zur Ver- nunft. Zur Ausgewogenheit gehört aber auch die Transpa- renz polizeilichen Handelns gegenüber der Politik, aber auch gegenüber jedem Bürger. Wenn ein wichtiges Grundrecht durch den Staat heimlich verletzt wird, muss der betroffene Bürger davon erfahren – solche Dinge dürfen nicht im Dunkeln bleiben. Hier gab und gibt es immer noch Defizite im Allgemeinen. Bei diesem Ge- setz ist aber zu begrüßen, dass die Koalition die Benach- richtigungspflichten bürger- und grundrechtsfreundli- cher gestaltet hat. Auch die wichtige Evaluation der Sicherheitsgesetze fasse ich unter den Punkt der Transparenz. Bedauerlich ist es, dass diese nur gegenüber uns Abgeordneten und nicht der gesamten Öffentlichkeit gilt. Wie Sie alle wis- sen, sind die Unterlagen, die wir bekommen, „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmt. Hier hätte ich vor allem vom Kollegen Uhl etwas mehr Engagement erwartet. „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu be- fürchten“, sagt er immer – eine Maxime, die sich staatli- che Behörden zu eigen machen sollten. Der Bürger da- gegen hat ein Recht auf Privatheit, nicht nur dem Nachbarn, sondern gerade auch dem Staat gegenüber. Meine Damen und Herren von der Koalition, auch wenn Sie mit Ihrem Antrag im Prinzip die richtige Rich- tung eingeschlagen haben: Einige Dinge gibt es dennoch zu kritisieren. Erstens. Die Evaluierung ist nicht im Sinne des Geset- zes verlaufen. Sie ist nur für das Jahr 2009 gemacht wor- den. Es ist aber eindeutig vorgeschrieben, dass der ge- samte Auswertungszeitraum betrachtet werden muss. Wissenschaftliche Sachverständige wurden nur für die Überprüfung der Methoden, nicht der Inhalte eingesetzt. Das entspricht in keiner Weise der Gesetzeslage. Dafür ist der Innenminister massiv zu kritisieren. Ein Behör- denleiter, der sich in solchem Maße einer von ihm erlas- senen Verordnung widersetzen würde, wäre seinen Job innerhalb weniger Tage los. Zweitens. Sie haben die G-10-Kommission mit neuen Aufgaben überfrachtet. Hier ist möglicherweise sogar ein neues Gesetz notwendig. Das haben Sie vernachläs- sigt. Hier muss nachgebessert werden. Und Drittens. Sie verschenken mit der Gründung Ih- rer Regierungskommission die Chance, einmal grund- sätzlich über unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Doch statt hierfür ein Gremium zu schaffen, das mit Sachverstand auf die wichtigen innenpolitischen Fragen unserer Gegenwart blickt, verlagern Sie lediglich Ihren immerwährenden Streit in einen von der Öffentlichkeit abgeschotteten Raum. Frau Leutheusser- Schnarrenberger und Herr Friedrich schicken ihre Ge- sandten, damit die weiter in ihrem Namen streiten dür- fen. Dabei täte uns allen hier ein unabhängiger und aus- führlicher Blick auf unsere Arbeit gut. Der Fokus hat sich komplett verschoben. Das merkt man allein an der Wortwahl. In den 70er- und 80er-Jahren waren die Schlagwörter in der Kriminalpolitik „Repression“ und „Prävention“. Es ging gleichermaßen um die Strafverfol- gung und die Frage, wie man Kriminalität mit Gesell- schaftspolitik verhindern und vorbeugen kann. Diesen Dualismus würde ich mir heute auch wün- schen. Aber Prävention und Prophylaxe als Überschrif- ten auf der Suche nach gesellschaftlichen Ursachen von Terrorismus sind out. Strafverfolgung und Gefahrenab- wehr werden mit einem ausschließlich repressiven Cha- rakter ausgefüllt. Wir schauen zu stark auf die Sicherheit. Wie es Pro- fessor Gusy einmal richtig formuliert hat, ist in Deutsch- land eine neue Form der Gewaltenteilung entstanden: Der Gesetzgeber kümmert sich um die Sicherheit, das Bundesverfassungsgericht kümmert sich um die Frei- heit. Das darf nicht zur Gewohnheit werden. Wir müssen die Prävention in der Terrorismus- und Kriminalitätsbe- kämpfung wieder stärker in den Vordergrund stellen. Nicht alles geht mit Polizei- und Sicherheitspolitik, man- ches geht nur über die Gesellschaftspolitik. Hier wün- sche ich mir einen offenen Dialog, gerne auch in einer Kommission. Ergebnisse, die uns weiterbringen, erwarte ich von der Regierungskommission nicht. Die Kommission ist vor allem ein Alibi für Frau Leutheusser- Schnarrenberger, nur ihr genehme Gesetze beschließen zu müssen. Dazu reicht der Innenminister mit diesem Gesetz unverständlicherweise die Hand. Gisela Piltz (FDP): „Freiheit ist für die Gesellschaft das, was die Gesundheit für den einzelnen ist. Ohne Freiheit kann es kein Glück für die Gesellschaft geben.“ Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts sagte das der briti- sche Philosoph, Aufklärer und Staatsmann St. John Bolingbroke. Es ist immer noch aktuell. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16263 (A) (C) (D)(B) Auch wenn man dementsprechend vermuten könnte, das vorliegende Gesetz stamme aus der Feder des libera- len Gesundheitsministers, gleichsam als Therapie für eine grundrechtsschonende Innenpolitik, gebührt an die- ser Stelle die Anerkennung dem Bundesinnenminister. Schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt zahlreiche Verbesserungen und eine deutliche Stärkung rechtsstaatlicher Hürden für Eingriffsbefugnisse der Nachrichtendienste. In den parlamentarischen Beratun- gen konnte nun sogar noch mehr erreicht werden. So ha- ben die Koalitionsfraktionen mit ihrem Änderungsantrag eine weitere Stärkung von Grundrechten Betroffener ins Gesetz geschrieben. Es ist in unserem Rechtsstaat unabdingbar, dass staat- liches Handeln überprüfbar ist, insbesondere dann, wenn es sich um Grundrechtseingriffe handelt. Bei nachrich- tendienstlichen, also heimlichen Maßnahmen setzt dies zwingend voraus, dass die Betroffenen informiert wer- den. Die Mitteilungspflicht ist – so auch in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht – die Vo- raussetzung für die grundgesetzlich garantierte Rechts- weggarantie. Deshalb ist es eine zentrale Verbesserung, dass nunmehr die Mitteilungspflicht erweitert und durch die Einbindung der G-10-Kommission untermauert wurde. Die Einbeziehung der Abfrage von Bestandsda- ten bei Telediensten in die Mitteilungspflicht dient ebenso der Stärkung des Grundrechtsschutzes wie die Einbeziehung der G-10-Kommission in Fällen, in denen eine Mitteilung beispielsweise seitens des Nachrichten- dienstes aufgeschoben wurde. Das Verfahren, das bis- lang nur bei der Telekommunikationsüberwachung ein- schlägig war, bei dem nämlich eine unabhängige Kommission objektiv die Verhältnismäßigkeit der weite- ren Geheimhaltung prüft und darüber entscheidet, gilt künftig auch für Abfragen von Bank- oder Fluggastdaten sowie von Teledienste-Bestandsdaten. Die Kur, die die schwarz-gelbe Koalition dem ehema- ligen Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz – nicht nur sprachlich ein Monstrum – verpasst hat, ist also nicht nur „weiße Salbe“. Im Gegenteil war die breit geführte öffentliche Debatte durchaus heilsam. Die gründliche Evaluierung und die konstruktive Auseinandersetzung zwischen Bundesinnenminister und Bundesjustizminis- terin haben dazu geführt, dass wir heute über ein Gesetz entscheiden können, bei dem ein paar offene Wunden des Rechtsstaats geheilt werden. Die deutlich angehobe- nen rechtsstaatlichen Hürden für Eingriffsbefugnisse, die Abschaffung nicht benötigter und damit unverhältnismä- ßiger Maßnahmen wie des Lauschangriffs zur Eigen- sicherung sowie die verbesserte Transparenz und Über- prüfbarkeit der Maßnahmen oder auch das grundrechtsfreundlichere Verfahren bei Sicherheitsüber- prüfungen – all dies ist klares Zeugnis einer erfolgrei- chen Therapie. Die Veränderungen, die bei der Abfrage von Fluggast- daten und Bankkontostammdaten eingeführt wurden, sind – auch wenn das von Teilen der Opposition versucht wird anders darzustellen – keine Verschärfungen. Viel- mehr werden die Befugnisse effizienter ausgestaltet. Statt die personenbezogenen Daten von Terrorverdächti- gen x-mal bei verschiedenen Fluggesellschaften abzufra- gen, wird nun eine Abfrage im Flugbuchungssystem ge- macht, um dann gezielter zu ermitteln. Das ist im Grunde sogar grundrechtsschonender. Die technischen Details der Abfragen an Flugbu- chungssysteme wie Amadeus werden noch in einer Ver- ordnung des Bundesinnenministeriums geregelt werden. Den Koalitionsfraktionen war und ist es in diesem Zu- sammenhang wichtig, zu betonen, dass sich dabei die ge- setzlichen Vorschriften an den technischen Systemen, die von den Flugbuchungssystemen verwendet werden, orientieren müssen – und nicht umgekehrt. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in der Verordnung be- rücksichtigt, dass für die Unternehmen, die diese Sys- teme betreiben, keine unverhältnismäßigen Kosten ent- stehen, dass eine Kostenerstattung vorgesehen wird und dass – auch im Sinne gezielter und auf eine konkrete Reise begrenzter Abfragen – immer mindestens ein wei- teres Suchkriterium zusätzlich zum Namen der Person angegeben werden muss. Was es nicht gegeben hat, sind hingegen Wiederbele- bungsversuche für Ideen, die verfassungsrechtlich frag- würdig waren. So gibt es keine Sanktionsbewehrung für Anfragen der Nachrichtendienste. Das ist gelebtes Tren- nungsgebot: Es passt nicht in unseren Rechtsstaat, dass Nachrichtendienste solche repressiven Mittel an die Hand bekommen. Zugleich wurde mit dem Beschluss des Kabinetts zur Einrichtung einer Kommission zur Evaluierung der Si- cherheitsgesetze eine langfristig wirksame Maßnahme beschlossen. In der Innenpolitik galt leider viel zu lange das Motto „viel hilft viel“. Wir wollen das jetzt auf den Prüfstand stellen. Die Gesamtschau, die nun erarbeitet wird, ist notwendige Voraussetzung, um insgesamt die Balance von Freiheit und Sicherheit wiederherzustellen. Das ist wirklich neu in der Innenpolitik. Ich sage es deshalb noch einmal ganz deutlich: Das neue Gesetz, welches dann ab Mitte Januar das bisherige Recht ablösen wird, ist ein Erfolg für Freiheit und Si- cherheit zugleich. Die Nachrichtendienste können ihre erfolgreiche Arbeit gegen den internationalen Terroris- mus fortsetzen. Aber die Grundrechte werden mehr ge- achtet als vorher. Das ist ein Erfolg. Petra Pau (DIE LINKE): Vor kurzem haben sich die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA zum zehnten Mal gejährt. Damals wurden auch im Deutschen Bundestag zahlreiche Sicherheitsgesetze beschlossen. In Anlehnung an Bundesinnenminister Schily hießen sie „Otto-Pakete“. Dazu gehörten auch weitgehende Befug- nisse für den Bundesnachrichtendienst und das Bundes- amt für Verfassungsschutz. Ich hatte dies damals schon abgelehnt; denn sie bedeuteten praktisch immer Ein- griffe in verbriefte Bürgerrechte. Alle anderen Fraktionen, CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne waren bzw. sind an diesen Gesetzen beteiligt. Das gehört zur Geschichte und zum Umfeld der aktuellen Aussprache. Denn auch heute geht es um Befugnisse für geheime Dienste. Sie sollen fortgeschrieben und erwei- tert werden. Die Linke wird erneut mit Nein stimmen. 16264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Wir sind in der Sache dagegen, ebenso ob des einge- schlagenen Verfahrens. Denn bevor überhaupt über eine Verlängerung und Erweiterung geheimdienstlicher Be- fugnisse gesprochen wird, sollten die bislang geltenden Gesetze evaluiert werden. Das ist praktisch nie passiert, jedenfalls nicht durch unabhängige Gutachter. Mit den Terroranschlägen vor zehn Jahren wurde ein Ausnahmezustand begründet. Mit dem vorliegenden Ge- setz versucht die Bundesregierung, diese Ausnahme zur Regel zu machen, und das mit Zustimmung der FDP. In das selbst beanspruchte Bild einer Freiheitsstatue Deutschlands passt das nicht – im Gegenteil. Jetzt gab es eine Expertenanhörung im Innenaus- schuss. Ich lasse einmal die Gutachter weg, die irgend- wie mit dem Bundesinnenministerium oder den betroffe- nen Diensten verbandelt sind. Alle anderen bemängelten, dass Bürgerrechte überhaupt keine Rolle gespielt haben und dass die Kontrolle der Geheimdienste mit ihren Befugnissen nicht Schritt hält. Nun habe ich zur Möglichkeit, Geheimdienste überhaupt kontrollie- ren zu können, ohnehin eine andere Auffassung als viele hier. Aber das will ich jetzt gar nicht vertiefen. Ich finde nur: Geheim arbeitende Dienste, die sich nur schwer oder gar nicht in die Karten gucken lassen, darf eine De- mokratie nicht mit immer mehr Befugnissen ausstatten. Die umstrittenen Gesetze waren mit einer Frist verse- hen. Sie läuft zum 31. Dezember 2011 ab. Die zugesagte unabhängige Evaluierung fand nicht statt. Es gibt also keinen sachlichen Grund, die Laufzeit der Gesetze er- neut zu verlängern und sie auch noch anzureichern. Es gibt hingegen gute politische Gründe, genau das abzu- lehnen. Die Linke tut es. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorweg sei gesagt: Das Gesetz, das wir hier debattieren, firmiert unter einer Tarnbezeichnung; denn es sind neben dem Verfassungsschutz auch die anderen Nachrichten- dienste betroffen. „Friedrich-Katalog“ wäre ehrlicher; denn es handelt sich um die zweite Erweiterung und Ver- längerung des „Otto-Katalogs“, des Terrorismusbekämp- fungsgesetzes. Die Große Koalition hatte dieses Gesetz 2006 pro forma selbst evaluiert und entsprechend alle Maßnah- men verlängert. Dabei wurden die Hürden für ihre An- wendung erheblich gesenkt und der Anwendungsbereich über den Bereich des Terrorismus hinaus beinahe auf die gesamte Palette der nachrichtendienstlichen Betätigung ausgeweitet. Da war es ehrlich, das Gesetz „Terroris- musbekämpfungsergänzungsgesetz“ zu nennen, auch wenn „Ergänzung“ freundlicher klingt, als das Gesetz war. Immerhin: Diese Ehrlichkeit hat die Große Koali- tion damals gehabt. Das neue Gesetz müsste „Verlängerungs- und Erwei- terungsgesetz“ im Namen haben; denn das ist es, was hier passiert. Die bestehenden Befugnisse der Sicher- heitsbehörden werden fast in vollem Umfang verlängert und eben noch um den direkten Zugriff auf die zentralen Kontostammdaten und die elektronischen Buchungssys- teme für Flüge erweitert. Die FDP behauptet nun, dass der Zugriff auf die zen- tralen Datenbanken die Grundrechte der Betroffenen schont; denn es müsse ja nur einmal gefragt werden und nicht auf Verdacht hin bei mehreren Banken und Airlines. Das Gegenteil ist der Fall: Das hatte auch die Bundesjus- tizministerin erkannt. Sie schrieb im Mai, dass der Zu- griff auf Buchungssysteme „nicht akzeptabel“ und eine „neue Qualität des Grundrechtseingriffs“ sei. Recht hatte sie, aber sie hat nicht das Recht durchgesetzt. Das gilt auch für die Bankdatenabfrage. Die war vor wenigen Monaten noch „klar abzulehnen“, sogar in alter Fassung, und wird nun in Turbofassung Gesetz. Die Gründe für die Ablehnung dieser Befugnisse sind dabei klar: Der Zugriff auf Buchungssysteme und zen- trale Bankdaten beim Finanzministerium ermöglicht die Bildung umfassender Persönlichkeitsprofile. Gerade dies verbietet unsere Verfassung. Es wird auch nir- gendwo überzeugend dargelegt, dass die Grundrechtebe- schränkungen dieses Gesetzes wirklich erforderlich sind. Die vorgesehene Evaluierung hätte darüber Auskunft ge- ben können. Sie wurde aber eindeutig nach den Interes- sen der Sicherheitsbehörden selbst ausgerichtet. Bei der ersten Verlängerung hatte die Regierung selbst evaluiert und naturgemäß alle Kompetenzen für nötig erachtet und verlängert. Eine grundrechtliche Prü- fung fand nicht statt. Deshalb wurde für die Evaluierung im letzten Jahr per Gesetz „wissenschaftlicher Sachver- stand“ vorgeschrieben. Den hat sich die Bundesregie- rung aber nur in Form einer methodischen Beratung, nicht aber einer grundrechtlichen ins Haus geholt. Das nachträgliche Gutachten eines Staatsrechtlers und die Sachverständigenanhörungen vor ein paar Wochen ha- ben aber gezeigt: Das wäre dringend nötig gewesen! Wir fordern für die Zukunft die Evaluierung durch ein vom Bundestag, dem Gesetzgeber, dauerhaft bestelltes Expertengremium, und zwar nach den Maßstäben der Grundrechte, nicht einfach nur nach praktischen Erwä- gungen. Das ist der richtige Weg, nicht die unsinnige, von der FDP in letzter Zeit immer favorisierte unabhän- gige Regierungskommission. Denn die wäre nur von ei- nem unabhängig: vom demokratisch gewählten Parla- ment. Schließlich wirft das Gesetz einige sehr grundlegende Fragen auf. Zwar gibt es einzelne Verbesserungen be- züglich der Kontrolle der Anwendung der neuen Instru- mente durch die G-10-Kommission. Aber auch das ist zweischneidig: Nicht nur sprengt dies den Rahmen, den Titel und die gesetzliche Zweckzuschreibung dieses bis- her nur für die Post- und Fernmeldekontrolle zuständi- gen Gremiums; hier ist eine umfassende Reform des zu- grunde liegenden G-10-Gesetzes dringend nachzuholen. Die Kompetenzerweiterung kann auch dazu führen, dass die Kontrolle durch den Bundesdatenschutzbeauf- tragten entfällt, da man ihm in Zukunft im Hinblick auf die G-10-Kommission die Überprüfungskompetenz ab- streitet. Auch dies muss gesetzlich geklärt werden. Noch schwerer wiegt aber die Durchbrechung des Trennungsgebotes. Banken und Fluglinien sollen in Zu- kunft die Pflicht haben, Auskunft zu geben. Das heißt auch: Die auskunftsuchende Behörde kann sie zwingen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16265 (A) (C) (D)(B) Irgendwo in der Begründung ihres Änderungsantrages steht zwar, dass man das nicht wolle. Aber das muss man dann im Gesetz entsprechend regeln. Denn sonst bekom- men die Geheimdienste das, was sie niemals haben dür- fen und was nur den Polizeibehörden zusteht: die Befug- nis zur exekutiven Durchsetzung. Hier wird ein Verfassungsgrundsatz durch die Hintertür ausgehebelt und ein Grundpfeiler unserer Sicherheitsarchitektur zum Sperrmüll gegeben. Dieses Gesetz zeigt: Auch einer Regierung unter Be- teiligung – oder sollte man sagen: Anwesenheit? – der FDP fällt nichts Besseres ein, als bei der Sicherheit nach dem Motto „Viel hilft viel“ immer neue Datensammel- kompetenzen einzuführen. Aus der Perspektive der Bür- gerrechte ist es schlicht eine Zumutung. Wir lehnen es deshalb ab. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Manchmal ändert sich die Welt schneller, als wir uns das vorgestellt haben. Dann gilt es, neue Antworten auf neue Fragen zu finden und schnell zu handeln: So geht es uns gerade in der Euro-Krise, und so ging es uns auch nach dem 11. September 2001. Die Bedro- hungslage wurde damals eine andere. Seit den geschei- terten Kofferbombenanschlägen 2006 und den An- schlagsplänen der Sauerlandgruppe 2007 ist leider klar, dass Deutschland nicht nur als Vorbereitungs- oder Rückzugsort für Terroristen genutzt wird. Schließlich wurde zu Beginn dieses Jahres am Frank- furter Flughafen erstmals ein Anschlag auf deutschem Boden verübt. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus hat sich in Deutschland damit seit 2001 eher verschärft als entspannt. Das rechtfertigt im Um- kehrschluss natürlich keinen blinden Aktionismus. Dass aber bei einer so gravierenden Bedrohungslage auch rechtspolitische Konsequenzen notwendig waren und sind, steht außer Frage. Wir haben als Konsequenz bereits 2001 unter ande- rem das Terrorismusbekämpfungsgesetz verabschiedet. Schon damals war es befristet und mit einem Evaluie- rungsauftrag versehen und 2007 haben wir dies erneut so gemacht. Ich halte das für ein sinnvolles Verfahren: zum einen aus sicherheitspolitischen Erwägungen. Wir müs- sen uns regelmäßig genau fragen, ob unsere Maßnahmen im Kampf gegen den Terror noch zielgenau sind. Zum anderen müssen wir auch sehen, dass zum Beispiel die Auskunftserteilung mit Aufwand für die betreffenden Unternehmen und einem Eingriff in die Rechte des be- troffenen Bürgers verbunden ist und wir deshalb auch abwägen sollten, ob die Sicherheitsbehörden diese Aus- künfte wirklich benötigen. Eine solche Befristung und Evaluierung ist also sinnvoll, und deshalb wird sie auch in diesem Gesetz wieder festgeschrieben. Daneben beinhaltet dieser Gesetzentwurf natürlich die Evaluierungsergebnisse der bisherigen gesetzlichen Regelungen. Ein Großteil der Regelungen wird beibe- halten. Das gilt beispielsweise für die Möglichkeit zur Einholung von Auskünften von Finanzdienstleistern: Dadurch kann unter anderem der Verfassungsschutz auf die Finanzierungsquellen terroristischer Organisationen zielen. Neu eingeführt werden außerdem für die Nachrich- tendienste des Bundes die Möglichkeit der zentralen Da- tenabfrage bei Computerreservierungen für Flüge sowie die Kontostammdatenauskunft. Das halte ich auch für verhältnismäßig. Jede Kommune kann bei einem Antrag auf Wohngeld oder Sozialhilfe routinemäßig zentrale Kontostammdaten abrufen. Auch im Rahmen der Re- form des Zwangsvollstreckungsrechts ist ab 2013 vorge- sehen, dass von jedem privaten Gläubiger bereits bei ei- nem Betrag von 500 Euro Kontostammdaten abgefragt werden können. Dann sollte dieses doch zur Abwehr ei- ner terroristischen Gefahr auch möglich sein. Regelungen dagegen, die im Evaluierungszeitraum nicht genutzt worden sind, werden ersatzlos gestrichen. Das gilt beispielsweise für Auskünfte zu Umständen des Postverkehrs. Ein ausdrückliches Verbot wird außerdem eingeführt, Betroffene allein aufgrund eines Auskunftsersuchens zu benachteiligen, zum Beispiel durch Kündigung der Bankverbindung nach einem Auskunftsersuchen an eine Bank. Jetzt kann man natürlich immer sagen, eine Evalua- tion sei nicht ausreichend. Genau dies wird von der Op- position ja auch getan. Dies ist aber weder quantitativ noch qualitativ haltbar: Zum einen wurden noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik in einem solchen Umfang Sicherheitsgesetze und Sicherheitsstrukturen auf den Prüfstand gestellt wie in dieser Wahlperiode. Zum anderen wurde, anders als behauptet, externer Sachverstand eingeholt, der über den im Gesetz vorgese- henen hinausging. Davon abgesehen entbinden uns Experten nicht von unserer Verantwortung: Denn die Entscheidung, was im Kampf gegen den Terrorismus verhältnismäßig ist, kann nur der Bundestag treffen. Das kann uns keiner abneh- men – auch nicht die Sachverständigen. Wir alle wollen unsere freiheitliche und offene Ge- sellschaft schützen. Doch diese Gesellschaftsordnung, diese Form zu leben, ist auch unsere Achillesferse, unser wunder Punkt, jedenfalls in den Augen der Terroristen, die genau diese Freiräume für ihre Aktionen nutzen. Un- sere Freiräume sind ihre moralische Begründung und gleichzeitig ihre Chance, Freiheit durch Terror zu delegi- timieren. Die Frage ist, wie viel Chance wir ihnen dafür geben. Wie können wir die freiheitliche Ordnung erhalten und sie gleichzeitig verteidigen? Darauf müssen wir als Ab- geordnete eine Antwort finden und dabei das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit immer wieder austarieren. Dass der heutige Gesetzentwurf eine so breite Unterstüt- zung hier im Haus erfährt, zeigt doch, dass das hier gut gelungen ist. 16266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gemeinsame Sicher- heits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiter- entwickeln und mitgestalten (Tagesordnungs- punkt 15) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Bevor ich auf Einzelheiten des hier zu beratenden Antrags eingehe, möchte ich die doch sehr düstere Betrachtungsweise her- vorheben, die Sie als Perspektive für Ihren Antrag ge- wählt haben. Diese Betrachtungsweise der Dinge teile ich grundsätzlich nicht, auch wenn derzeit die finanz- und währungspolitischen Diskussionen und die Rettung des Euro die europapolitische Debatte insgesamt prägen und die GSVP deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund rücken lassen. Zu den Einzelheiten Ihres Antrags: Der Lissabonner Vertrag hat in der Tat wichtige Fort- schritte im Bereich der GASP gebracht, unter anderem die durch Sie erwähnte Solidaritätsklausel. Ich glaube al- lerdings, dass Sie in Ihrer Gleichsetzung dieser Klausel mit dem Art. 5 des Nordatlantischen Vertrags zu weit ge- hen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie spre- chen es selbst an: Aufgrund der unterschiedlichen strate- gischen Interessen der europäischen Staaten hat eine wesentliche Anzahl unserer Partnerstaaten ganz bewusst einen abgestuften Verpflichtungscharakter gewählt. Es geht diesen Staaten also eben nicht um eine qualitativ gleichwertige Verpflichtung zum Art. 5 der NATO. Inso- fern rate ich Ihnen, eine sorgfältige Auswertung der ers- ten Erfahrungen auf Grundlage des Lissabonner Vertrags abzuwarten. Eine wesentliche strukturelle Innovation im Feld der GASP wird bei Ihnen kaum erwähnt: die Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes, EAD, der die Kohärenz des außenpolitischen Handelns der Europäi- schen Union stärken soll. Hierzu wird nach der ersten Phase seiner Existenz im Dezember 2011 ein Evaluie- rungsbericht veröffentlicht, der Empfehlungen zur Wei- terentwicklung seiner Strukturen beinhalten wird. Diese Empfehlungen werden sich vor allem auf die Führungs- struktur des EAD beziehen und damit dessen Fähigkeit politischer Priorisierung stärken. Auch die Gründungs- geschichte des EAD macht deutlich, wie komplex die In- teraktionen der europäischen Staaten untereinander sind, wenn es um außen- und sicherheitspolitische Zusam- menhänge geht. Was verbindet diese verschiedenen Aspekte? Wir sind in einer wichtigen Umbruchphase Europas, in der jahr- zehntealte Gewissheiten, Grundausrichtungen und Poli- tiken auf dem Prüfstand stehen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, neue gemeinsame Initiativen zu entwickeln, um darüber sowohl der GASP als auch der GSVP neue Impulse zu geben. Der Schlüssel dazu sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen der europäischen Part- ner untereinander – und nur so strahlt Deutschland die für diese politischen Initiativen nötige Verlässlichkeit aus. Dieser Dreiklang aus Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit kennzeichnet aber unser Land in den Augen unserer Partner bis heute. Und ich füge klar hinzu: Das ist nicht nur das Verdienst der derzeitigen Bundesregierung, sondern auch das ihrer Vorgängerin- nen. Insofern aber ist Ihr Vorwurf, diese Bundesregie- rung aus CDU/CSU und FDP würde die GSVP schleifen lassen, absurd. Ein konkretes Beispiel: Deutschland gehört zu den europäischen Nationen, die beim Thema „Pooling und Sharing“ zu den Vorreitern zählen. Das Beispiel des Europäischen Lufttransportkommandos führen Sie in Ih- rem Antrag ja auch selbst an. Künftig wird es darum ge- hen, im Rahmen der Gent-Initiative von der Konzept- phase in die praktische Umsetzung zu gehen. Die Prüfarbeiten zu circa 100 Initiativen laufen derzeit – auch hier ist die Bundesregierung dabei, konkrete Fort- schritte zu erarbeiten. Jedenfalls kommt es nicht nur auf die großen Leuchtturmprojekte an, auf die Sie abheben: Jahrzehnte der europäischen Rüstungskooperation haben gezeigt, wie schwierig gerade solche Großprojekte in der Umsetzung sind. Insofern muss als Motto gelten: Kon- krete Fortschritte in 10 Initiativen sind sinnvoller als ein Steckenbleiben in 100 Initiativen. Die unterschiedlichen Interessenkonstellationen der europäischen Staaten drücken sich in einer Reihe von konkreten Einzelproblemen aus. Ich nenne hier nur die Rolle der Türkei und Griechenlands im Zypern-Konflikt. Diese Probleme lassen sich aber eben nicht mit spekta- kulären Vorstößen lösen, wie Sie sie von der Bundesre- gierung fordern, sondern diese verlangen nach einem langen Atem. Sie erlauben mir die Ergänzung: Das dürf- ten Sie aus Ihrer eigenen Regierungszeit auch noch ken- nen. Entscheidend wird hierbei sein, wie wir die Türkei näher an die GASP heranführen können. Hier sehe ich für das von Ihnen auch angesprochene Weimarer Drei- eck eine wichtige Rolle. Aber auch das derzeitige enge bilaterale Vorgehen Frankreichs und Großbritanniens ist eines der politi- schen Themen, die für die Zukunft der GSVP von ent- scheidender Bedeutung sein werden. Deutschland hat sich zu einer zurückhaltenden außen- und sicherheits- politischen Kultur entschlossen – das sollten Sie in die- sem Kontext beachten. Insofern würde ich auch hier um Fortschritte im Konkreten werben: Warum sollte Deutschland – auch vor dem Hintergrund der Finanz- krise – die Initiative von Gent nicht noch stärker nutzen, um über gemeinsame Fähigkeitsentwicklung auch ge- meinsame Streitkräftestrukturen mit ausgewählten Part- nern anzugehen? Diese Rolle als Anlehnungspartner für kleinere europäische Nationen könnte eine sinnvolle Er- gänzung zum französisch-britischen Vorgehen darstel- len, wenn beide Dimensionen miteinander verbunden bzw. aufeinander orientiert werden. Hier ist auch die Rückkoppelung zur Entwicklung einer außen- und sicherheitspolitischen Strategie Deutschlands deutlich. Wie bereits im Juni dieses Jahres angesprochen, müssen die neuen Verteidigungspoliti- schen Richtlinien (2011), das Weißbuch (2006) und der gegenwärtige Aktionsplan zivile Krisenprävention als Grundlage dienen. Jedenfalls greift Ihre Kritik an den Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16267 (A) (C) (D)(B) VPR zu kurz, da deren Zielsetzung in der Ausrichtung nicht die Überarbeitung der Europäischen Sicherheits- strategie von 2003 gewesen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die in Ihrem Antrag ausgedrückte Sorge um die Zukunft der GSVP eint uns. Allerdings ist derzeit nicht die Zeit alar- mistischer Vorgehensweisen, sondern der verlässlichen Entwicklung konkreter Initiativen. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Opposi- tionspolitik kann einfach sein, weil man Forderungen stellen kann, ohne in Regierungsverantwortung zu ste- hen, und damit der eigenen Pflicht zu deren Verwirkli- chung ledig ist. Es sei denn, dass man eigentlich das- selbe will wie die Regierung und diese Tatsache mit parteipolitischer Rhetorik bemänteln muss. Genau das ist der Fall bei dem Antrag der SPD zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Soweit ich das überblicke, gibt es ja keine verantwortungsbewusste Fraktion in die- sem Haus, die die europäische Integration im Verteidi- gungsbereich nicht vorantreiben wollte. Die Linke nehme ich von dieser Unterstellung eines Verantwortungsbewusstseins ausdrücklich aus. Allen an- deren ist natürlich klar, dass es kaum Alternativen zur Fortentwicklung der Integration gibt. Der SPD-Antrag beschreibt ja auch durchaus korrekt, dass die Notwen- digkeit dazu angesichts wachsenden finanziellen Drucks in allen EU-Mitgliedstaaten eher noch zunimmt, gerade angesichts der europäischen Schuldenkrise. Es gibt bereits Staaten, die nicht mehr die gesamte Bandbreite militärischer Fähigkeiten in ihren nationalen Streitkräften abbilden können. Ich nenne als Beispiel die Niederlande, die kürzlich quasi die Abschaffung ihrer Panzertruppe beschlossen haben. Auch die Briten prüfen momentan sehr eindringlich, ob sie sich noch alle bishe- rigen Fähigkeiten leisten können. Wir selbst haben es mit der Bundeswehrreform ge- rade geschafft, gemäß dem von Verteidigungsminister Thomas de Maizière vertretenen Grundsatz „Breite vor Tiefe“ das Fähigkeitsprofil der deutschen Streitkräfte weitgehend zu erhalten. Das ändert aber nichts daran, dass auch wir uns künftig bei Einsätzen noch stärker auf die Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten in EU und NATO abstützen müssen. Ja, es wäre wünschenswert, dass dieser Prozess der Integration schneller voranschreitet. Damit kommen wir zu der parteipolitischen Rhetorik, mit der die Sozialde- mokraten in ihrem Antrag sagen: „… und es ist die Schuld der Bundesregierung, dass es nicht schneller geht.“ Nun warten unsere europäischen Partner ja nicht mit angehaltenem Atem darauf, dass die deutsche Regierung kommt und ihnen zeigt, wo es langgeht. Sie haben viel- mehr ihre eigenen Vorstellungen, was sie zu diesem Inte- grationsprozess beitragen oder auch nicht beitragen wol- len. Denn die Verfügung über Streitkräfte ist immer noch ein Kernbereich nationaler Souveränität, den man nicht leicht aufgibt. Gerade deshalb ist die GSVP nach wie vor im zwi- schenstaatlichen und nicht im supranationalen Bereich der Gemeinschaftspolitik. Und die Abstimmung zwi- schen den Mitgliedstaaten bleibt schwierig, obwohl Deutschland hier durchaus sein Gewicht einbringt, übri- gens gerade im Rahmen des Weimarer Dreiecks, das im Antrag ja ausdrücklich angesprochen wird. Und mit der Gent-Initiative hat die Bundesregierung gemeinsam mit Schweden einen Anstoß gegeben, der insbesondere das Pooling und Sharing betrifft, was mitt- lerweile erhebliche Kreise gezogen hat, sodass 25 EU- Mitglieder insgesamt 300 Projekte zur gemeinsamen Nutzung von Fähigkeiten und Ressourcen gemeldet ha- ben. Deutschland hat dazu sechs eigene Vorschläge beige- steuert, die etwa gemeinsame Hauptquartiere, grenz- überschreitende Ausbildung, die Zusammenarbeit in der ABC-Abwehr und die gemeinsame Nutzung von Schif- fen und Flugzeugen betreffen. Hier ist natürlich festzu- stellen, dass es sich vor allem um Führungs- und Unter- stützungsfähigkeiten handelt und weniger um einen Schritt zu gemeinsamen Verbänden, die zusammen in den Einsatz gehen, wie es als Ziel im vorliegenden An- trag formuliert ist. Das liegt allerdings an einem Umstand, der auch das Gewicht Deutschlands als Führungskraft in diesem Inte- grationsprozess insgesamt beeinträchtigt und für den Sie, meine Damen und Herren von der SPD, leider keine Lösung anbieten, sondern bei dem Sie vielmehr in das eingangs erwähnte andere Oppositionsverhalten verfal- len: Forderungen zu stellen, ohne den Beweis der Reali- sierbarkeit antreten zu müssen. Ich spreche hier von den parlamentarischen Beteili- gungsrechten beim Einsatz deutscher Truppen, deren Einhaltung Sie betonen, während Sie gleichzeitig anstre- ben, dass die Teilnahme integrierter europäischer Ver- bände mit deutscher Beteiligung an UN-mandatierten Missionen zur Regel werden sollte. Sie kennen natürlich das damit verbundene Problem, weil es seit längerem diskutiert wird: Wenn es dann zum Einsatz kommt, müssen diese Verbände warten, während sich der Deutsche Bundestag mit dem erforderlichen Mandat für die Bundeswehrsoldaten darin befasst, ein Problem, dass sich umso schärfer stellt, je größer der Grad der multinationalen Integration wird. Denn in dem Moment, in dem deutsche Soldaten unverzichtbare Fä- higkeiten für den Einsatz stellen, legt der parlamentari- sche Entscheidungsprozess in Deutschland den ganzen Verband lahm. Dabei rede ich gar nicht einmal so sehr von der zeitli- chen Verzögerung. In den meisten Fällen besteht ja bei UN-mandatierten Missionen eine ausreichende Vorbe- reitungszeit. Schlimmstenfalls kann die deutsche Ent- scheidung parallel zum UN-Mandatierungsprozess erfol- gen. Und der Bundestag hat etwa während der Finanzkrise in der letzten Legislaturperiode bereits be- 16268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wiesen, dass er in dringenden Situationen auch innerhalb weniger Tage Entscheidungen treffen kann. Ganz ausschließen lässt sich eine solche für Deutsch- land und seine europäischen Partner blamable Lage aber nicht. Denn der Sinn schneller Eingreifkräfte ist offen- sichtlich verfehlt, wenn sie aufgrund politischer Ent- scheidungsprozesse nicht schnell eingreifen können. Viel problematischer ist aber, dass unsere Partner mit fortschreitender Integration die Entscheidung über den Einsatz auch ihrer eigenen Truppen praktisch in deut- sche Hände legen würden, dass also der Deutsche Bun- destag bestimmt, ob französische oder niederländische oder dänische Soldaten in diesen Verbänden zum Einsatz kommen dürfen. Das wäre selbst dann viel verlangt, wenn unsere Partner sich darauf verlassen könnten, dass wir hier im Haus immer zustimmen. Aber einfach immer Ja zu sagen, ist nun wiederum nicht der Zweck parla- mentarischer Befassung. Das alles macht Deutschland, ganz hart gesagt, zu ei- nem unsicheren Partner bei der europäischen Integration im Verteidigungsbereich. Und das beeinträchtigt eben die Führungsrolle, die wir dabei spielen sollten. Das Problem ist also nicht fehlendes Engagement der Bundesregierung nach außen. Das Problem ist, hier bei uns die Grundlagen zu schaffen, damit Deutschland in Europa als verlässlicher Partner auftreten kann, und das selbstverständlich innerhalb der Vorgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich gemacht hat. Ich will Ihnen nun nicht meinerseits vorwerfen, daran schuld zu sein, liebe Kollegen von der SPD. Ich weiß, dass Sie sich innerhalb dieser Fraktion ebenfalls sehr ernsthaft mit dieser Problematik befassen. Gerade des- wegen sage ich: Kommen Sie auf die Koalition zu, las- sen Sie uns gemeinsam nach einer Lösung suchen! Da- mit Deutschland auch in der GSVP seine Rolle als ein wichtiger Motor der europäischen Integration ausfüllen kann. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): In Deutschland kann man über das Ziel einer europäischen Armee eigentlich nicht mehr streiten. In derselben Woche, in der der SPD- Parteivorstand die Vision einer europäischen Armee in den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der SPD aufnahm, erklärte 2008 die Vorsitzende der CDU, Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, über die Bild-Zeitung – ich zitiere –: In der EU selbst müssen wir einer gemeinsamen eu- ropäischen Armee näher kommen. Damit eignet sich das Thema nicht mehr für nationale Kontroversen. Wir sind uns einig: Die europäische Ar- mee muss nicht morgen oder übermorgen eingekleidet, durchgeimpft und angetreten sein, aber sie muss kom- men. Die EU-Armee der Zukunft muss heute schon die regulative Idee sein für die Transformation unserer eige- nen, nationalen Streitkräfte. Wie gesagt: Europäisch antreten ist nicht die Aufgabe des heutigen Tages, aber im Sinne von Jürgen Habermas die regulative Idee, die uns einen Kompass gibt für alle heute nötigen Tagesentscheidungen. Die ständige Grundsatzfrage lautet: Renationalisierung oder Europäi- sierung? Braucht jeder immer alles selbst oder kann man Aufgaben teilen, kann man Beschaffungen teilen, kann man Kosten teilen? Das heißt: Geld sparen! Dieses Denken müssen wir nicht neu erfinden. Wir fangen in Europa nicht ganz bei null an. Wir marschieren schon – und meist schon gemeinsam und in die richtige Richtung. Drei Meilensteine sind zu nennen: Erstens das gemeinsame Marinehauptquartier Bel- giens und Hollands in Den Helder, zweitens das nieder- ländische Beispiel beim Lufttransport: Statt eigene Mili- tär-Airbusse zu kaufen, beteiligt sich das Land an den Kosten der deutschen Airbus-Flotte und bekommt eine Garantie über entsprechende Transportkapazitäten, und drittens die deutsch-französische Brigade als Beispiel für transnationale stehende Verbände im Bereich der Land- streitkräfte. Trotzdem ist mir klar: Jede kühne Vision provoziert erst einmal jede Menge Bedenken. Unsere erste Re- aktion auf alles Neue heißt immer erst einmal: Aber! Aber das ist nicht schlimm. Das ist unsere europäische Art. Das „Aber“-Sagen verbindet uns. Mit der von dem damaligen Minister zu Guttenberg angefangenen und jetzt von Minister de Maizière zu Ende gebrachten erneuten Bundeswehrreform wurde lei- der eine Chance vertan, sich heute schon europäisch auf eine gewisse Arbeitsteilung und Schwerpunktsetzung, auf Pooling und Sharing, zu verständigen. Alle unsere Verbündeten haben die gleichen Probleme wie wir: zum Teil veraltete Strukturen, die gleichen internationalen Dauereinsätze und zu wenig Geld. Lassen Sie uns des- halb nächstes Mal von Anfang an europäischer denken. Dr. Rainer Stinner (FDP): Selten ist einem guten und wichtigen Anliegen ein derartiger Bärendienst er- wiesen worden wie der Stärkung der GSVP durch den vorliegenden Antrag der SPD. Leider konnte die SPD dem Oppositionsreflex nicht widerstehen. Deshalb steht im Mittelpunkt des Antrages die ständig wiederholte Kritik an der Bundesregierung. Selten sind ausnahmslos alle grundlegenden Probleme eines Politikfeldes so kon- sequent ausgeblendet worden wie bei diesem Antrag. Ich glaube, wir sind uns alle hier in diesem Hause ei- nig, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene dringend verbessert werden muss. Die Gründe liegen auf der Hand: Alle Länder müssen sparen, jedes einzelne europäische Land ist international gesehen zu klein, um wirklich irgend etwas bewegen zu können. Wenn Europa in der Welt noch eine Bedeutung behalten will, dann müssen wir gemeinsam handeln. Schon der von der SPD angezettelte Streit um die Fe- derführung für diesen Antrag macht die große Schwäche dieses Antrages deutlich. Nach Willen der SPD soll die- ser Antrag federführend im Verteidigungsausschuss be- handelt werden. Die GSVP ist aber das Kernstück der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir haben daher den Irrweg der Kollegen der SPD korrigiert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16269 (A) (C) (D)(B) Die GSVP ist mehr als die Aneinanderreihung von In- strumenten der militärischen Kooperation. Sie kann nur gelingen, wenn wir uns über die Grundbedingungen ei- nes gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Handelns Gedanken machen. Eine große Schwäche dieses Antrages ist, dass er sich ausschließlich bunt gewürfelt mit militärischen Instru- menten beschäftigt. Da sind Sie in der SPD hinter die ak- tuelle Diskussion zurückgefallen. Die Mehrheit des Bun- destages ist da weiter. Wir wissen, dass gemeinsame Sicherheit durch ein Bündel von außen- und sicherheitspolitischen Instru- menten hergestellt werden kann. Dazu gehört auch die zivile Krisenprävention. Der dafür eingerichtete Unter- ausschuss des Auswärtigen Ausschusses leistet hier par- teiübergreifend beispielhafte Arbeit. Ich empfehle den Verfassern dieses Antrages, sich einmal durch ihre Kol- legen in diesem Ausschuss auf den neuesten Stand der Diskussion bringen zu lassen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die sehr weitge- hende französisch-britische Kooperation, die außerhalb der GSVP stattfindet, jede EU-weite Integration er- schwert. Und in Ihrem Oppositionsreflex machen sie da- für die Bundesregierung verantwortlich. Ich kann nur sa- gen: Blödsinn! Wir müssen uns doch Gedanken machen, warum diese intensive Zusammenarbeit erfolgt. Die sehr enge französisch-britische Kooperation im Verteidigungsbe- reich begann vor Jahren, als beide Länder in enger Ab- stimmung ihre Sicherheitsstrategien formuliert haben. Ich weiß nicht, ob das dem damaligen SPD-Außenminis- ter überhaupt aufgefallen ist. Die Verfasser dieses Antra- ges können es jedenfalls nicht gewusst haben. Wir müssen konstatieren, dass Frankreich und Groß- britannien sich in Hinsicht Ihrer strategischen Positionie- rung ähnlich sind: Vetomächte im Sicherheitsrat, Atom- mächte, ehemalige Kolonialmächte mit immer noch globalem Anspruch, ähnliche historische Erfahrungen in zwei Weltkriegen, und ein ähnliches Verständnis da- rüber, wie und mit welchen Mitteln man außenpolitische Überzeugungen in die Welt hinausträgt. Hier sieht die Situation in Deutschland natürlich völlig anders aus, und so sind eben auch die Einstellungen der Gesellschaften zur Anwendung militärischer Gewalt nicht deckungs- gleich. Ich will gar nicht endgültig bewerten, welche besser oder schlechter ist, sie sind jedenfalls unter- schiedlich. Wir alle wünschen uns Fortschritte in der GSVP. Aber es muss doch geklärt werden, auf welcher Grundlage das gemeinsame Handeln beruhen soll. Soll Deutschland die französischen Ansichten, wann und wie militärische In- terventionen in Afrika notwendig sind, eins zu eins über- nehmen? Oder wissen Sie vielleicht einen Weg, wie Frankreich zu den deutschen Ansichten bekehrt werden kann? In Ihrem Antrag ist davon nichts zu lesen. Und das ist genau die Krux, der Fehler und auch die Unredlichkeit Ihres Antrags: Sie blenden alle grundle- genden außenpolitischen Voraussetzungen völlig aus. An vorhandenen unterschiedlichen Einstellungen scheitert bisher aber die engere Kooperation. Nein, wir müssen sehen, dass es bei den jetzt vor uns stehenden Aufgaben in Sachen europäischer Integration ans Eingemachte der Nationalstaaten geht, an den Kern von nationaler Souveränität. Wir sehen das beim Euro, und bei der GSVP ist es nicht anders. Es ist nun einmal leichter, Kompromissen bei Glühbirnen zuzustimmen, als bei der Frage, wann eigene Staatsbürger in lebensge- fährliche Einsätze geschickt werden. Von daher geht es bei den von uns allen gewünschten Fortschritten bei der GSVP nicht nur um die Optimie- rung von militärischen Instrumenten, sondern darum, in der EU eine gemeinsame Vision der Welt von morgen und der Rolle Europas in dieser Welt zu erarbeiten. Da- raus sind dann konkrete Ziele abzuleiten, die wiederum in Strategien, Maßnahmen und Instrumenten zur Errei- chung dieser Ziele münden. Wir wollen diesen Prozess nicht nur den Regierungen überlassen. Wir sind der Meinung, dass dieser Prozess auf europäischer Ebene auch parlamentarisch begleitet werden muss. Daher schlagen wir die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung der GSVP vor, in der Vertreter der nationalen Parlamente und des Europäi- schen Parlamentes diesen Prozess aktiv begleiten und Impulse für die jeweiligen Regierungen entwickeln. Der Vertrag von Lissabon eröffnet neue Möglichkei- ten und Aufgaben für die Gestaltung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist eine Auf- gabe der Bundesregierung, die diese mit Nachdruck wahrnimmt. Das ist aber auch eine Aufgabe des Bundes- tages. Wenn wir diesen Prozess ohne Scheuklappen be- ginnen, werden wir sicherlich demnächst über einen fun- dierteren Antrag zu diesem wichtigen Thema befinden können. Den vorliegenden Antrag der SPD lehnen wir mit der Note „ungenügend“ ab. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Erst gestern nötig- ten die Kollegen der SPD-Fraktion gemeinsam mit den Grünen und der Regierungskoalition von CDU, CSU und FDP die Menschen in Deutschland, die Haftung für einen „gehebelten“ Bankenrettungsschirm zu überneh- men. Heute wirbt die SPD für einen Rettungsschirm für die Kriegstreiber und Rüstungsexportbarone in Deutsch- land. Nachdem die deutsche Lohndumping- und Export- überschusspolitik maßgeblich die Krise in Europa verur- sacht hat, verschrieben die Kollegen von der SPD nun auch die deutsche Europapolitik als Panaceum zur Ret- tung des außen- und verteidigungspolitischen Versagens der EU. Doch auch die politisch und praktisch geschei- terte Militärpolitik der EU kann am deutschen Wesen nicht genesen. Es ist schlicht unfassbar, wie heute, trotz der verhee- renden Folgen der Finanzkrise, die weltweit mit unver- gleichlichem Elend, Armut und Sozialabbau einhergeht, die SPD-Fraktion ohne jegliche Skrupel und Hemmun- gen, einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein- bringt, der – wie sie selbst schreibt – die „Krise der Staatsfinanzen in vielen EU-Mitgliedsländern als 16270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Chance nutzen“ will, um „den Zerfall der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ zu verhindern. Wer schon immer wissen wollte, was „schöpferische Zerstörung“ bedeutet, der findet in dem SPD-Rezept tat- sächlich einen Leitfaden, wie die vorsätzliche Zerstö- rung gesellschaftlicher Substanz als Beschleuniger einer militärischen Kernschmelze missbraucht werden kann. Die SPD braucht offensichtlich eine solche Kettenreak- tion von kapitalistischen Verwerfungen, um der „euro- päischen Gründungsnation“, für die sie unverhohlen wirbt, zur globalen Verwirklichung ihres politischen Willens zu verhelfen. Vor dem Hintergrund der histori- schen Verantwortung, die Deutschland für seine Milita- rismuspolitik auf seinen Schultern trägt, klingt der tri- umphale Ton, der Duktus und der Ruf der SPD nach „globaler Mitverantwortung“ wie eine Drohung. Eine Drohung gegen die am meisten von der Bankenkrise be- troffenen Staaten und Menschen, die dagegen derzeit weltweit aufbegehren. Hinter ihren Krokodilstränen über die europäische Krise, die die SPD-Fraktion in ihrem Antrag ja selbst als „Krise der europäischen Einigung“ beschreibt, steckt die gleiche Schadenfreude und die gleiche heuchlerische Europapolitik wie hinter ihrer an- geblichen Sorge um die Stabilität und Sicherheit der Eu- ropäischen Union und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ihnen geht es nicht um Stabilität oder Sicherheit, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Viel- mehr haben Sie erkannt, dass für eine durchsetzungsfä- hige Außen- und Sicherheitspolitik die bloße Feststel- lung, dass Deutschland die „größte Volkswirtschaft Europas“ sei, eben keine garantiert ausfallsichere Kapi- talanlage darstellt. Ihre eigentliche Sorge, die im Übri- gen von den Kollegen der CDU, CSU und FDP und der Grünen geteilt wird – das wurde ja in der zu Protokoll gegebenen Plenardebatte zur Einrichtung einer Interpar- lamentarischen Konferenz zur GASP/GSVP der EU im Beitrag des Kollegen Kiesewetter deutlich, gilt vielmehr der Furcht, als zu spät Kommender von der Geschichte bestraft zu werden. Und in der Tat wurde nach dem Ver- teidigungsabkommen zwischen Frankreich und Großbri- tannien vom November 2010 deutlich, dass Deutschland offensichtlich einen untergeordneten Ansprechpartner für Sicherheitspolitik in Europa darstellt. Aus der Sicht der USA aber auch in NATO-Kreisen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Deutschland in Bündnisfragen kein herausragendes Gewicht mehr zukommt. Das scheint in der gegenwärtigen Krise das einzige zu sein, was Sie als schmerzhaft empfinden. Und es nützt gar nichts, dass Sie in Ihrem Antrag gerade um die Unterstüt- zung des Nachbarstaates Polen für ihren deutschen Son- derweg buhlen. Aus friedensorientierter Perspektive ist vielmehr entscheidend, dass in beiden Fällen an einer Mi- litarisierung der Sicherheitspolitik genauso festgehalten wird. Aus Sicht der Friedenspolitik stellen beide Projekte keine Alternative dar und Die Linke lehnt beide vehe- ment ab. Sie von der SPD werben um einen neuen Burgfrieden mit der Bundesregierung. Ihr Ziel ist, dass trotz der Fi- nanzkrise die militärischen Fähigkeiten der EU, Rüs- tungsexporte und eine europäische Armee unter der „ge- stalterischen Kraft“ Deutschlands für die EU verbindlich festgezurrt werden. Sie schlagen für Europa einen natio- nalen und klar militaristischen Sonderweg vor, den der „politische Wille“ Deutschlands verwirklichen soll. Das ist eine Sackgassenpolitik deutschen Dominanzstrebens in sicherheitspolitischen Fragen, die Die Linke entschie- den ablehnt. Nicht zuletzt auch angesichts der gegenwär- tigen Krise zeugen diese Vorschläge von einer völligen Fehleinschätzung der tatsächlichen globalen Probleme. Die Linke findet das inakzeptabel und wird sich mit aller Kraft einer weiteren Versicherheitlichung und Militari- sierung der sozialen Probleme innerhalb der GASP und GSVP wiedersetzten. Während in diesen Tagen weltweit Tausende von Menschen auf die Straße gehen und öf- fentliche Plätze in Madrid, Rom, New York oder Berlin besetzen, muss die deutsche Politik endlich Konsequen- zen aus der gescheiterten europäischen Militärpolitik ziehen. Die Linke stellt sich allen Versuchen in den Weg, um, wie dies die SPD-Fraktion in ihrem Antrag fordert, „wirksame Antworten auf die Herausforderungen an den Rändern Europas“ in militärischen und polizeilichen Werkzeugkästen der GSVP zu suchen. Deutschland trägt durch seine verfehlte Handelspolitik maßgeblich Verant- wortung für die „Krisen und Konflikte in der unmittelba- ren Nachbarschaft“ der Europäischen Union. Die von den Sozialdemokraten bislang gehätschelten Banken und Zockerbuden, die Profiteure der Euro-Krise, müssen endlich zur Kasse gebeten werden. Der berechtigte Pro- test gegen sie darf nicht militärisch oder sicherheitspoli- tisch eingehegt werden. Dafür setzt sich Die Linke ein. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor- liegende Antrag der SPD bringt ein Politikfeld auf die Tagesordnung des Bundestages, um das man sich ernst- haft Sorgen machen muss. Während der letzte Verteidigungsminister immerhin mit der Gent-Initiative und dem Brief des Weimarer Dreiecks bereit war, Impulse zu geben, herrscht inzwi- schen nur noch Stillstand und Agonie. Das ist umso be- dauerlicher, als derzeit nicht nur in Deutschland die Bun- deswehr reformiert und der Verteidigungshaushalt verkleinert werden soll, auch in unseren europäischen Nachbarländern wird erheblich gespart und neu struktu- riert. Das wäre die Gelegenheit für eine systematische Er- fassung und Priorisierung militärischer Fähigkeiten, um langfristig Doppelstrukturen zu vermeiden und Überka- pazitäten abzubauen. Es geht nämlich nicht nur um die Schließung von Fähigkeitslücken: Es geht auch darum, dass Europa es sich nicht mehr leisten kann, 27 nationale Armeen mit vollem Fähigkeitsspektrum vorzuhalten. Bei einem entsprechenden politischen Willen bestünde jetzt die Chance auf eine weitreichende Abrüstung in Europa unter Beibehaltung der militärischen Kernfähig- keiten. Nun ist es leider so, dass Bundesverteidigungsminis- ter de Maizière sich bisher nicht als EU-Enthusiast prä- sentiert hat, eher im Gegenteil: Es ist deutlich spürbar, dass er der europäischen Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen eher skeptisch gegenübersteht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16271 (A) (C) (D)(B) Daher sind von seinem Ministerium wohl auch keine Im- pulse in die Richtung einer vertieften Zusammenarbeit zu erwarten. Der Antrag der SPD legt daher den Finger in eine of- fene Wunde und liefert anregenden Diskussionsstoff für die kommenden Beratungen im Verteidigungsausschuss: Wir teilen den Ansatz, die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu verstärken, wo es möglich ist. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staa- ten, die auch in der Integration weitergehen wollen. Hierfür bietet nicht zuletzt die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ einen tragfähigen Rahmen. Wir setzen uns auch für ein verstärktes „Pooling and Sharing“ ein, also die Bündelung und Aufteilung militärischer Fähig- keiten. Die Idee, das Konzept der Battlegroups weiter zu entwickeln, greift ebenfalls einen wichtigen Verände- rungsbedarf auf. Auch die Anpassung der Europäischen Sicherheitsstrategie an die aktuellen Gegebenheiten hal- ten wir für notwendig. Leider orientiert sich die SPD in ihrem Antrag allzu sehr an der militärischen Dimension der GSVP. Nur dreimal kommt das Wort „zivil“ überhaupt in ihrem An- trag vor. Wir verstehen die Europäische Union weiterhin in erster Linie als Zivil- und Friedensmacht. Gerade im Hinblick auf die NATO sollten vor allem die Fähigkeiten im Bereich der zivilen Krisenprävention und Krisenbe- gleitung in den Vordergrund gestellt werden. Hier gibt es weiterhin große Defizite auf EU-Ebene. Wir haben be- reits letzten Dezember einen Antrag eingebracht, in dem wir fordern, die Bereiche Krisenprävention und Frie- densförderung im Europäischen Auswärtigen Dienst an- gemessen zu verankern. Leider müssen wir feststellen, dass in dieser Hinsicht kaum etwas erreicht wurde. Ebenso bedauerlich ist, dass es weiterhin eine große Lücke zwischen den von den EU-Staaten gemeldeten zivilen Kräften und tatsächlich zur Verfügung stehenden Kräften gibt, die bei zivilen EU-Missionen, wie bei- spielsweise EULEX im Kosovo, eingesetzt werden kön- nen. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, etwa in Richtung eines europäischen Pools für zivile Krisenmis- sionen. Es ist daher sehr bedauerlich, dass Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von der SPD, den zivilen Aspekt der GSVP als Nebenprodukt, das man zwar erwähnen muss, das aber eher zu vernachlässigen ist, behandeln. Ich weiß ja, dass es nicht von allen so gesehen wird, wie es der Antrag leider erscheinen lässt. Richtig und wichtig ist Ihre Forderung nach einer eu- ropäischen Rüstungsexportpolitik. Einheitlich hohe Standards und Kontrolle an den EU-Außengrenzen sind gerade im Hinblick auf den künftig freien Verkehr von Rüstungsgütern innerhalb der EU unerlässlich. Zu kurz kommt mir in Ihrem Antrag allerdings die parlamentarische Kontrolle der GSVP. Zwar sprechen Sie sich für die „Einhaltung der parlamentarischen Be- teiligungsrechte“ aus. Aber kein Wort zur Rolle des Europäischen Parlaments. Kein Wort zur Neustrukturie- rung der Zusammenarbeit zwischen europäischer Ebene und den nationalen Parlamenten. Hier möchte ich an die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen ap- pellieren: Lassen Sie uns einen erneuten Versuch unter- nehmen, in dieser Frage zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Nachdem die Konferenz der Parlamentsprä- sidenten der EU-Staaten im April ohne weitere Verhand- lungspläne gescheitert ist, bedarf es eines starken Signals, um neue Bewegung in die Bemühungen um eine interparlamentarische Zusammenarbeit zu bringen. Ein möglichst geschlossenes Auftreten des Deutschen Bundestages könnte da einen wichtigen Impuls setzen. In Zeiten der größten Krise, die die Europäische Union seit ihrem Bestehen erlebt, sollten wir Abgeord- nete zwei wichtige Zeichen setzen: Erstens, dass wir auch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich weitere Integrationsschritte wollen, die, gerade wenn wir den Weg des Pooling and Sharing weiter verfolgen, dazu führen, dass eine verbesserte militärische Zusammenar- beit und neue Abrüstungsschritte Hand in Hand gehen. Zweitens, dass wir diese Integration mit mehr Transpa- renz und einer weiteren Parlamentarisierung und damit größerer demokratischer Legitimation verbinden wollen. Das verlangen auch die Bürgerinnen und Bürger von uns. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errich- tung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (Tagesordnungspunkt 18) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Mit der heutigen ab- schließenden Plenarbefassung und Abstimmung zum Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems verabschieden wir ein weiteres wichtiges Finanzmarktgesetz. Konkret nehmen wir damit Anpassungen an einigen deutschen Aufsichtsgesetzen – darunter unter anderem das Kredit- wesengesetz, KWG, und das Wertpapierhandelsgesetz, WpHG – vor, um unsere nationalen Aufsichtsstrukturen mit den neuen europäischen Finanzaufsichtsstrukturen zu verbinden und zu synchronisieren. Viel Gestaltungs- spielraum blieb uns dabei nicht, da es sich im Wesentli- chen um die Umsetzung von zwingenden EU-Vorgaben in nationales Recht handelt. Im Januar dieses Jahres wurde das neue Europäische Finanzaufsichtssystem, bestehend aus dem Europäi- schen Ausschuss für Systemrisiken, den drei Europäi- schen Finanzaufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA sowie dem Gemeinsamen Ausschuss der Euro- päischen Aufsichtsbehörden, errichtet. Eine wesentliche Aufgabe dieses neuen Systems ist es, insbesondere die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den natio- nalen Aufsichtsbehörden und den europäischen Instan- zen zu verbessern. Das ist deshalb wichtig, weil speziell die großen, international tätigen Banken ein internatio- nales Aufsichtssystem brauchen. Nationale Aufsichtsbe- hörden, die nur isoliert auf ihre eigenen Zuständigkeits- 16272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) bereiche schauen, entsprechen nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Deswegen wurden auf EU-Ebene die Zusammenarbeit und die Kompetenzen der nationalen und europäischen Aufsichtsinstitutionen in einer soge- nannten Omnibusrichtlinie festgeschrieben. Insoweit es durch die mit der Omnibusrichtlinie vorgenommenen Änderungen einer Klarstellung oder Änderung der deut- schen Aufsichtsgesetze bedurfte, wurden diese mit dem vorliegenden Gesetz umgesetzt. Zugegeben – das Gesetz erscheint zunächst wenig spannend und nimmt im Grunde genommen auch ledig- lich technische Anpassungen vor, die sich streng an den europäischen Vorgaben orientieren. Lassen Sie mich dennoch noch einmal kurz schildern, was wir konkret mit dem Gesetz erreichen werden. Zunächst einmal wird die Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht, BaFin, in das Europäische Finanzaufsichtssystem mit eingebunden. Das heißt, dass die BaFin mit den europäischen Instanzen intensiver und verpflichtender zusammenarbeiten wird. Dabei wird auch die Deutsche Bundesbank beteiligt, was ich für sehr begrüßenswert halte; denn auch die Bundesbank ist in die laufende Überwachung der Kreditinstitute einge- bunden. Des Weiteren werden sämtliche Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten, die die BaFin gegenüber der jeweiligen europäischen Behörde hat, konkretisiert. Die BaFin ist dann verpflichtet, diese Informationen, die die europäischen Behörden zur Ausübung ihrer Tätigkei- ten benötigen, wie beispielsweise die Erlaubniserteilung oder -entziehung einer bestimmten Bank oder die Kennt- nis über eine Krisensituation eines Instituts, zur Verfü- gung zu stellen. Damit einher gehen auch die Anpassun- gen der Verschwiegenheitsverpflichtungen, die für die Beschäftigten der Bundesanstalt und vergleichbarer Per- sonengruppen gelten. Zudem werden die Verfahren zur Einbeziehung der Europäischen Aufsichtsbehörden im Falle von Mei- nungsverschiedenheiten bzw. bei ungenügender Zusam- menarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden festgelegt. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich die Europäi- schen Aufsichtsbehörden in die tägliche Arbeit der Be- hörden der Mitgliedstaaten einklinken und Entscheidun- gen für sie treffen können. Es bedeutet aber, dass sie Differenzen zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden verbindlich schlichten könnten, sollten die nationalen Aufseher keine Einigung finden können. Diese Schlich- tungsbefugnis gilt aber nur für Bereiche, die in den Richtlinien im Finanzsektor im Einzelnen definiert sind, wie beispielsweise bei Fragen zur Anerkennung interner Modelle oder bei Risikobewertung auf Gruppenebene. Dies nur vorab – nun aber zur Einschätzung des Geset- zes: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele von Ihnen befürchten, mit den neuen Europäischen Aufsichtsbe- hörden und dem Gesetz könnte nun wieder eine Verlage- rung von nationalen Kompetenzen auf die europäische Ebene erfolgen. Wir sind uns sehr wohl darüber im Kla- ren, dass insbesondere die kleinen und mittelständischen Finanzinstitute diese Entwicklung mit Sorge betrachten. Diese Sorge ist aufgrund der in der Vergangenheit be- reits erfolgten Kompetenzverlagerungen auch nicht ganz ungerechtfertigt. Andererseits sehe ich diesbezüglich aber auch keine wirkliche Alternative. Die Finanzwelt ist mittlerweile so stark global vernetzt, dass eine iso- lierte nationale Aufsicht keinen Sinn macht. Wir müssen daher unbedingt dafür Sorge tragen, dass eine geordnete und systematische internationale Zusammenarbeit zwi- schen den Aufsehern erfolgt. Finanz- und Kapitalmarkt- regulierung muss auf ein europäisches Fundament ge- stellt werden. Im Prinzip wäre es sogar wünschenswert, eine wirklich internationale Regelung – zum Beispiel auf G-20-Ebene – herzustellen. Ich bin im Übrigen der Meinung, dass es falsch ist, immer wieder dafür zu kämpfen, möglichst viele Kom- petenzen in Deutschland zu behalten. Das ist eine Aus- einandersetzung, die weder zeitgemäß ist, noch zu brauchbaren Ergebnissen führt. Wir sollten uns deswe- gen vielmehr dafür einsetzen, die europäischen Institu- tionen besser und demokratischer zu machen. Unsere Aufgabe als nationales Parlament muss sein, wichtige Fragestellungen und Entscheidungen auf Augenhöhe mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament zu diskutieren. Unser Ziel muss sein, dadurch ein besse- res, bürger- und wirtschaftsnäheres Europa auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus gibt es aber noch einen weiteren Punkt, den wir im parlamentarischen Verfahren noch mit diesem Gesetz auf den Weg bringen wollen: die Anpas- sung der Vergütungsstrukturen des BaFin-Exekutiv- direktoriums. Vorgesehen ist, dass die Mitglieder dieses Direktoriums künftig nicht mehr als Beamte, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis ihren Beruf ausüben können. Wie Sie wissen, wird der derzeitige BaFin-Chef noch in diesem Herbst in Rente gehen. Eine Nachfolge muss entsprechend frühzeitig geregelt werden. Sie wissen auch, dass die marktüblichen Vergütungen für Kandida- ten, welche diesem Amt gewachsen sind und die die ent- sprechenden Qualifikationen mit sich bringen, über die derzeitige für dieses Amt vorgesehene Beamtenbesol- dungsstufe hinausgehen. Nun kann man sich natürlich fragen, warum diese Regelung dem Gesetz zur Stärkung der nationalen Finanzaufsicht, welches für Anfang nächsten Jahres vorgesehen ist, vorgezogen werden sollte. Im Grunde genommen hätten wir das auch nicht gemacht. Allerdings ist für die Nachbesetzung des BaFin-Postens Eile geboten. Für eine Nachbesetzung zum 1. Januar 2012 bedarf es schon vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht ei- ner Rechtsgrundlage für die Zahlung eines von der Be- amtenvergütung abweichenden Gehalts. Im Übrigen schaffen wir damit keinesfalls einen Präzedenzfall; denn ähnliche Regelungen wurden bereits bei der Bundesnetz- agentur und der Bundesagentur für Arbeit getroffen. Wir sind der Meinung, ein gutes Gesetz geschaffen zu haben, was uns wieder ein Stück im Bereich Finanz- und Kapitalmarkregulierung weiterbringt und daher möchte ich Sie auch bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16273 (A) (C) (D)(B) Peter Aumer (CDU/CSU): Die Finanzkrise hat uns erhebliche Schwächen in der EU-Finanzaufsicht aufge- zeigt. Nachteilige Entwicklungen auf den Finanzmärk- ten wurden nicht vorhergesehen und die Häufung unver- tretbar hoher Risiken nicht unterbunden. Ferner war die Zuständigkeit für die makroprudenzielle Aufsicht unklar und wurde von mehreren Behörden auf unterschiedlicher Ebene wahrgenommen. Es bestand kein System, wel- ches Risiken auf Makroebene erkannte und konkrete Warnungen und Weisungen herausgab. Aufgrund dieser Schwächen schlug die durch die Eu- ropäische Kommission eingesetzte Expertengruppe um Jaques de Larosière in ihrem im Februar 2009 erschiene- nen Bericht die Neustrukturierung der Aufsicht sowie die Schaffung eines Europäischen Systems der Finanz- aufsicht, ESFS, vor. Diese Anregungen setzte die Kom- mission in ihrem darauf folgendem Gesetzgebungsvor- schlag nahezu vollständig um. Nach erfolgreicher Abstimmung im Rat und im Europäischen Parlament nahm das neue Aufsichtssystem seine Arbeit planmäßig am 1. Januar 2011 auf. Das neue Finanzaufsichtssystem umfasst demnach zwei Bereiche: Zum einen wurde ein Europäischer Aus- schuss für Systemrisiken gegründet, welcher für die Auf- sicht auf makroprudenzieller Ebene verantwortlich ist. Die Hauptaufgabe dieser Einrichtung besteht in der Über- wachung und Bewertung von systemischen Risiken in der EU. Zum anderen wurden drei neue Aufsichtsbehörden zur mikroprudenziellen Überwachung, nämlich die Euro- päische Bankenaufsichtsbehörde, EBA, die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde, ESMA, und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die be- triebliche Altersversorgung, EIOPA, gegründet. Darüber hinaus wurde auch ein behördenübergreifender gemeinsa- mer Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden, ein Joint Committee, ein Teil dieses Systems. Die Umsetzung des zugrunde liegenden EU-Rechts- setzungspakets erfolgte durch fünf EU-Verordnungen zur Errichtung der genannten EU-Behörden und Aus- schüsse sowie durch die sogenannte Omnibusrichtlinie I. Mit der Omnibusrichtlinie I wurden elf bestehende EU- Richtlinien im Finanzmarktbereich an die neuen EU-Fi- nanzaufsichtsstrukturen angepasst. Dabei waren die Än- derungen der EU-Richtlinien erforderlich, um die Ein- bindung der neuen Strukturen in die gegebenen EU- Finanzmarktregelungen sicherzustellen und ein rei- bungslos funktionierendes Europäisches Finanzauf- sichtssystem zu gewährleisten. Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet Anpassun- gen der deutschen Finanzaufsichtsgesetze, die zur Um- setzung der Omnibus-I-Richtlinie notwendig sind. Die EU-Aufsichtsstrukturen gelten bereits seit Inkrafttreten der Verordnungen. Die jetzige Anpassung der deutschen Aufsichtsgesetze erfolgt lediglich aus Gründen der Klar- stellung oder insoweit, als dass die nationalen Gesetze den EU-Verordnungen entgegenstehen. Wesentliche Re- gelungen aus deutscher Sicht sind dabei die Einbindung der BaFin in das Europäische Finanzaufsichtssystem, die Konkretisierung der Mitteilungs- und Unterrichtungs- pflichten der BaFin gegenüber den europäischen Auf- sichtsbehörden und die Konkretisierung des Verfahrens zur Einbeziehung der europäischen Aufsichtsbehörden bei Meinungsverschiedenheiten oder mangelnder Zu- sammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehör- den. Mit dem neuen europäischen Aufsichtssystem ESFS wird die EU der zunehmenden Verflechtung der interna- tionalen Finanzmärkte gerecht. Vor allem die Einsetzung des ESRB, als einer makroprudenziellen Aufsicht, füllt eine Lücke der bisherigen Aufsichtsstruktur. Auch die neuen Aufsichtsbehörden, als die mikroprudenzielle Aufsicht, stellen eine bedeutende Verbesserung zu den vorherigen Level-3-Ausschüssen dar. Durch dieses neue System wird die Kooperation der nationalen Behörden intensiviert und eine bessere Übersicht über den europäi- schen Finanzmarkt geschaffen. Die BaFin wird in diesen Prozess mit eingebunden sein und Informationen bereit- stellen. Ihr sowie allen anderen nationalen Aufsichtsbe- hörden, werden verschiedene Mitteilungs- und Auf- sichtspflichten gegenüber den neuen Aufsichtsbehörden auferlegt. Diese Neugestaltung der europäischen Auf- sichtsstruktur ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, um in Zukunft systemische Risiken und negative Ent- wicklungen auf den europäischen Finanzmärkten schnell zu entdecken. Wir haben mit diesem Gesetz einen wichtigen Schritt in Richtung einer deutlich verbesserten Aufsichtsstruk- tur in Deutschland und Europa geschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass damit Krisen und Verwerfungen auf den Finanzmärkten frühzeitig erkannt und bekämpft werden können. Manfred Zöllmer (SPD): Am 1. Januar dieses Jahres haben die drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden für den Finanzsektor ihre Arbeit aufgenommen. Bei ih- nen handelt es sich um die in London angesiedelte Euro- päische Bankaufsichtsbehörde, EBA, die in Frankfurt ansässige Europäische Aufsichtsbehörde für das Ver- sicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, EIOPA, und die Europäische Wertpapieraufsichtsbe- hörde, ESMA, in Paris. Neben den drei neuen Behörden, die Banken, Märkte und Versicherungen überwachen, hat Ende Dezember 2010 bereits der Europäische Aus- schuss für Systemrisiken seine Arbeit aufgenommen. Dieser hat die Aufgabe, den gesamten Finanzsektor zu beobachten, um systemische Gefahren frühzeitig festzu- stellen. Damit haben wir europaweit die Aufsicht neu aufge- stellt, um eventuell auflaufende Risiken im Finanzsys- tem besser aufzudecken, wie diese bereits im Vorfeld der Finanzkrise und auf ihrem Höhepunkt beobachtet wur- den. Denn die qualitative und quantitative Verbesserung der Aufsicht der Finanzakteure ist eine der zentralen Lehren, die wir aus der verheerenden Krise ziehen müs- sen. Banken, Finanzmärkte und Versicherungen agieren grenzüberschreitend; deshalb muss es neben der nationa- len auch eine europäische Aufsicht geben. Das Bundesfinanzministerium hat das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanz- 16274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) aufsichtssystems vorgelegt. Damit werden die nationalen Finanzaufsichtsgesetze an die neue europäische Finanzaufsichtsstruktur angepasst. Das Gesetz ermög- licht und konkretisiert dabei insbesondere die Zusam- menarbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht (BaFin) mit dem neugestalteten europäischen Aufsichtssystem. Dies ist notwendig, und so werden eine Reihe von na- tionalen Gesetzen zum Banken- und Finanzaufsichts- recht geändert, unter anderem das Kreditwesengesetz, KWG, das Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG, das Wertpapierhandelsgesetz, WpHG, das Wertpapierpros- pektgesetz, WpPG, und die Gewerbeordnung GewO. Die Änderungen dieser Gesetze resultieren letztlich aus der Umsetzung der entsprechenden Omnibusrichtlinie. Im Hinblick auf die EU-Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ESMA, sollen in den deutschen Aufsichtsgesetzen Änderungen vorgenommen werden, die der Klarstellung dienen oder die wirken, wenn die bisherigen Regelungen den EU- Verordnungen entgegenstehen. Dazu wird in den deut- schen Aufsichtsgesetzen Folgendes neu geregelt: – die Einbindung der BaFin in das Europäische Finanz- aufsichtssystem; – die Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten der BaFin gegenüber den europäischen Finanzaufsichts- behörden; – Anpassungen der Verschwiegenheitspflichten der Be- schäftigten der BaFin und vergleichbarer Personen- gruppen; – die Einbeziehung der europäischen Finanzaufsichts- behörden bei Meinungsverschiedenheiten oder man- gelnder Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbe- hörden. Bisher hat es die Bundesregierung allerdings noch nicht vermocht, die deutsche Aufsicht zu reformieren. Die vollmundigen Ankündigungen einer umfassenden Reform wurden bereits zurückgenommen. Die Hausauf- gaben sind noch nicht erledigt. Die notwendigen Verän- derungen müssen deshalb auf der Basis der bestehenden deutschen Aufsichtsstruktur erfolgen. In einer schriftlichen Anhörung, die der Finanzaus- schuss des Deutschen Bundestages durchgeführt hat, er- klärte die BaFin hierzu, dass sie die Umsetzungsvor- schläge begrüßt und vorbehaltlos unterstützt. Auch die Bundesbank spricht in ihrer schriftlichen Stellungnahme von einer sachgerechten Umsetzung. Die Bundesbank wird mit einem – nicht stimmberechtigten – Vertreter an den Sitzungen des Rates der Aufseher bei der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde teilnehmen können. Sie wird auch in die Arbeit der Arbeitsgruppen der EBA einbezogen. Die Form der Beteiligung ent- spricht nach Aussage der Bundesbank ihrer Funktion, da sie neben ihrer Eigenschaft als Währungsbehörde auch für die laufende Überwachung der Kreditinstitute verant- wortlich ist. Die Finanzkrise, die bis heute nachwirkt und zu im- mer neuen aktuellen Verstrickungen und Belastungen führt, hat erhebliche Aufsichtsdefizite auf der Makro- ebene offenbart. Es ist daher richtig, wenn wir im Rah- men des neuen Aufsichtssystems die Risiken für die Sys- temstabilität besser ermitteln und mit einem effizienten Warnsystem verhindern, dass sich Finanzmarktkrisen wie 2008 wiederholen. Die bestehende Aufsicht auf Ma- kroebene war und ist zu stark fragmentiert und musste daher dringend reformiert werden. Die Omnibusrichtlinie I hilft mit, die Aufsichtsstruk- tur europaweit zu verbessern. Die nationalen Aufsichts- behörden werden mit den europäischen Finanzaufsichts- behörden besser zusammenarbeiten und diesen nach Maßgabe der EU-Verordnungen zur Errichtung der Eu- ropäischen Finanzaufsichtsbehörden alle für die Ausfüh- rung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Hierzu werden die genannten natio- nalen Gesetze geändert, damit die Verpflichtung der BaFin zur Zusammenarbeit mit den europäischen Fi- nanzaufsichtsbehörden und zur Weitergabe von Informa- tionen auch gesetzlich festgelegt ist. Die Konkretisierung der Mitteilungs- und Unterrich- tungspflichten der nationalen Aufsichtsbehörden gegen- über den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ist eines der Kernelemente der Umsetzung zur Verbesserung ei- ner Finanzaufsichtsstruktur in Europa. Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten, die bisher gegenüber der Euro- päischen Kommission bestanden, werden nunmehr auf die europäischen Finanzaufsichtsbehörden ausgeweitet bzw. werden durch Mitteilungspflichten gegenüber den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ersetzt. Korrespondierend zu diesen Verpflichtungen der na- tionalen Aufsichtsbehörden wurden in Art. 35 der EU- Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Finanz- aufsichtsbehörden und in Art. 15 der EU-Verordnung zur Errichtung des ESRB den europäischen Finanzaufsichts- behörden und dem ESRB Informationsansprüche auch gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden einge- räumt. Damit die BaFin diese Informationsansprüche nach Maßgabe der EU-Verordnungen erfüllen kann, müssen ihre Beschäftigten und vergleichbare Personengruppen in den deutschen Aufsichtsgesetzen von ihrer Ver- schwiegenheitspflicht befreit werden. Aus diesem Grund sollen der ESRB und die europäi- schen Finanzaufsichtsbehörden in den deutschen Auf- sichtsgesetzen in den Katalog der Stellen aufgenommen werden, an die auch geheimhaltungsbedürftige Informa- tionen weitergegeben werden dürfen, soweit diese Infor- mationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt werden. Die Zusammenarbeit von nationalen und europäi- schen Aufsichtsbehörden muss reibungslos funktionie- ren. Es ist daher richtig, wenn zur Gewährleistung einer effizienten und wirksamen Aufsicht und einer ausgewo- genen Berücksichtigung der Positionen der nationalen Aufsichtsbehörden die europäischen Finanzaufsichtsbe- hörden Differenzen zwischen den nationalen Aufsichts- behörden – auch in den Aufsichtskollegien – verbindlich schlichten können, wenn sich die nationalen Aufseher nicht einigen können oder wollen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16275 (A) (C) (D)(B) Der europäische Gesetzgeber hat dabei Bereiche im Blick, in denen die Richtlinien Kooperation, Koordina- tion oder gemeinsame Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden vorsehen. Eine erste Festlegung der Bereiche ist in der Omnibusrichtlinie I erfolgt. Maßnah- men, die Gegenstand von Entscheidungen zur Streitbei- legung sein können, sind im Bankenbereich zum Bei- spiel die Einstufung von Zweigniederlassungen, die Anerkennung interner Modelle und die Risikobewertung auf Gruppenebene. Des Weiteren würden die in der Omnibusrichtlinie I vorgeschriebenen Verfahren in die deutschen Aufsichts- gesetze umgesetzt, nach denen die BaFin handeln muss, wenn sie als konsolidierende Aufsichtsbehörde an einem solchen Streit beteiligt ist. Im Übrigen werden eine Reihe redaktionelle Anpas- sungen in den deutschen Aufsichtsgesetzen vorgenom- men. Die Finanzkrise vom Oktober 2008 hat eine Reihe von Schwachstellen bei der Einzel- und Systemaufsicht offengelegt. Diese wurden insbesondere mithilfe des La- rosière-Berichts analysiert, und Handlungsoptionen und Verbesserungen wurden empfohlen. Insgesamt wird die Aufsicht in Europa gestärkt. Die aktuelle Staatsschul- denkrise und die Probleme um eine Rekapitalisierung der Banken zeigen uns aber auch, dass eine verbesserte Aufsicht nur ein – wenn auch wichtiger – Mosaikstein in einer hinreichenden Regulierung und Aufsicht der Fi- nanzmärkte bedeutet. Wir sind damit auf einem guten Weg, die notwendigen aufsichtsrechtlichen Konsequen- zen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen. Die neuen Strukturen müssen sich jetzt in der Praxis bewähren. Björn Sänger (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf geht die christlich-liberale Koalition einen wei- teren Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden eu- ropäischen Finanzaufsicht. In der Finanzmarktkrise hat sich die Notwendigkeit eines europäischen Finanzauf- sichtssystems gezeigt. Die nationalen Aufsichtsbehörden hatten nicht den wünschenswerten Überblick behalten, um grenzüberschreitende Probleme zu erkennen. Neben die na- tionalen Aufsichtsbehörden treten daher nun der Europäi- sche Ausschuss für Systemrisiken und die Europäischen Aufsichtsbehörden für den Banken-, den Wertpapier- und den Versicherungssektor sowie ein behördenübergreifen- der Gemeinsamer Ausschuss der Europäischen Aufsichts- behörden. Damit das Zusammenspiel dieser Behörden mit den na- tionalen Aufsehern reibungslos funktioniert, wurden zahl- reiche Gesetzesanpassungen nötig, die wir mit dem vorlie- genden Gesetz vollziehen: Es werden das Kredit- wesengesetz, das Wertpapierhandelsgesetz, das Investment- gesetz, das Börsengesetz, das Versicherungsaufsichtsge- setz, die Gewerbeordnung, das Finanzdienstleistungsauf- sichtsgesetz und das Geldwäschegesetz geändert, um unsere nationale Aufsicht in das neue europäische Finanz- aufsichtssystem zu integrieren. So werden Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten seitens der BaFin gegenüber den europäischen Aufsichtsbehörden geregelt, Anpassungen der Verschwiegenheitspflichten, die für die nationalen Auf- seher gelten, vorgenommen und die Einbeziehung der Eu- ropäischen Finanzaufsichtsbehörden geregelt, wenn es zwi- schen nationalen Aufsichtsbehörden Meinungsverschie- denheiten oder mangelnde Zusammenarbeit gibt. All dies ist absolut begrüßenswert, was auch der Be- ratungsprozess des Gesetzes zeigte. Während uns übli- cherweise kontroverseste Stellungnahmen von Sachver- ständigen erreichen und im Beratungsprozess heftig debattiert wird, gibt es hier fraktionsübergreifende Zu- stimmung, und die Änderungen werden allseits als rich- tig und notwendig erachtet. Die seitens der Opposition angeregte Beobachtung des europäischen Finanzaufsichtssystems werden wir selbstverständlich vornehmen, und wir werden gegebe- nenfalls Nachbesserungen umgehend in die Wege leiten, sollte es in so einem komplexen, neugeborenen Finanz- aufsichtssystem an der einen oder anderen Stelle noch nicht optimal laufen. Anfangsschwierigkeiten bei solch einem Neubeginn wären aber wenig überraschend und sind gegebenenfalls auch der noch bei weitem nicht ausreichenden Personal- decke geschuldet. Es erscheint geradezu abenteuerlich, mit wie wenig Personal etwa die Europäische Banken- aufsichtsbehörde, EBA, europaweite Bankenstresstests durchführt. Hört man seitens der Banken dann lautes Klagen darüber, dass die Zusammenarbeit extrem schwierig verlaufen sei und dass auch die Zusammenar- beit zwischen nationalen Aufsehern und der EBA nicht optimal war, dann habe ich noch die Hoffnung, dass sich all dies im Laufe der Zeit einspielen wird, wenn es auf europäischer Ebene eine adäquate Personaldecke gibt. Um die besten Aufseher zu bekommen, muss man ge- gebenenfalls aber auch seitens der finanzierenden Ban- kenverbände entsprechende Mittel zur Verfügung stel- len. Bei der ebenfalls in diesem Gesetz geänderten Rechtsstellung des Exekutivdirektoriums unserer natio- nalen Aufseher, der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, hat dies ausnahmsweise einmal geklappt. Doch war dafür auch entsprechender Druck nötig, mit dem zuvor bereitstehenden Mitteln nicht die optimale Besetzung für eine Personalie im Exekutivdirektorium finden zu können. Zu gegebener Zeit sollten wir deswe- gen einmal grundlegend über die Finanzierung und Mit- telausstattung unserer Aufsichtsbehörden nachdenken. In manchen Ländern werden Gehälter gezahlt, die auf Augenhöhe mit jenen sind, die von Finanzinstituten ge- zahlt werden. Nur so kann eigentlich gewährleistet wer- den, die besten Mitarbeiter der Finanzbranche zu be- kommen und auch einen Austausch zwischen Banken und Aufsichtsbehörden zu fördern, um genug Expertise bei den Aufsichtsbehörden anzusiedeln. Das werden wir uns alles anschauen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem optimalen europäischen Finanzaufsichtssystem mit funktionierender Zusammen- arbeit nationaler Behörden ist mit diesem Gesetz getan. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es ist unbestritten, dass wir eine bessere Aufsicht gerade für grenzüber- 16276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) schreitend tätige Finanzinstitute brauchen. Somit ist die Einrichtung des neuen europäischen Finanzaufsichtssys- tems ein Fortschritt. Mit dem vorliegenden Gesetz wer- den die europäischen Aufsichtsbehörden besser mit den Aufsichtssystemen der EU-Mitgliedstaaten verdrahtet. Es ist dabei ein europäisches Umsetzungsgesetz ohne großen Spielraum für die nationalen Parlamente. Inso- fern wäre es falsch, jetzt einen großen Streit an der Um- setzung einer Richtlinie zu entzünden; der Beschluss hierfür ist in Brüssel gefallen. Dem vorliegenden Gesetz stimmen wir zu. Mit dem bisher Erreichten sind wir aber nicht zufrieden. Die Auf- sicht muss noch beträchtlich gestärkt werden, damit das Fi- nanzsystem wieder integer wird und Krisen möglichst un- terbunden werden. Es gibt weiterhin viel zu wenig direkte Eingriffsmöglichkeiten, um gegen Spekulation und Bla- senbildung auf den Finanzmärkten vorgehen zu können. Zusätzlich zur europäischen Aufsicht muss auch die natio- nale Aufsicht gestärkt werden. Für das Schattenfinanzsys- tem darf es keine Schattenfinanzaufsicht geben; es muss aufgelöst werden. Die neu geschaffenen europäischen Behörden sind unzureichend mit Rechten und Ressourcen ausgestattet. Der Finanzaufsicht fehlen auch Spezialabteilungen oder -behörden. Die USA haben etwa eine eigene Aufsichts- behörde für Warentermingeschäfte: die CFTC mit knapp 700 Vollzeitmitarbeitern, also dem Zehnfachen der ESMA. Die personelle Ausstattung der Behörden ist auch deswegen unzureichend, weil den Aufsichtsbehörden besondere Kompetenzen zugebilligt werden, um an Ver- ordnungen oder anderen Rechtsakten mitzuwirken und Entwürfe zu erstellen. Das Gesetz berücksichtigt nicht das damit zusammenhängende Problem der unzurei- chenden Mitwirkung des Bundestages an europäischen Rechtsakten. Es droht ein Durchregieren von europäi- schen Gremien und Behörden. Für transnationale Ban- ken ist eine europäische Aufsicht mit starken Durch- griffsrechten wünschenswert. Für regional agierende Banken – ich denke hier vor allem an unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken – sehe ich nicht gewährleis- tet, dass die EBA willens und fähig ist, nationale Eigen- heiten immer mitzudenken. Neben den Aufsichtsbehörden für Banken, Versiche- rungen und Finanzmärkte ist auch die Aufgabe des Euro- pean Systemic Risk Boards, ESRB, wichtig, nämlich die Überwachung des Finanzsystems aus gesamtwirtschaft- licher Perspektive. Die Arbeitsweise des ESRB ist je- doch intransparent, und es ist wenig darüber bekannt, wie es die Vorgänge auf den Finanz- und Kapitalmärkten einschätzt. Eine Beurteilung der Arbeit dieses Ausschus- ses ist kaum möglich. Das vorliegende Gesetz wurde zuletzt noch geändert, um die neu zu besetzende BaFin-Spitze besser bezahlen zu können, als es der Beamtentarif erlaubt. Wer aber be- hauptet, dass sich nun Aufsicht und Beaufsichtigte auf Augenhöhe begegnen, irrt sich. Die Fantasiegehälter in der Finanzbranche müssen endlich auf ein akzeptables Niveau zurückgebracht werden. Dann muss auch eine BaFin-Präsidentin nicht mehr verdienen als eine Bun- deskanzlerin. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das neue Europäische Finanzaufsichtssystem ist ein wichtiger Schritt hin zu einer echten europäischen Finanzaufsicht, die angesichts eines bereits sehr hohen Maßes an integrierten, also europaweit und über Gren- zen hinweg agierenden Finanzmärkten und -instituten auch dringend erforderlich ist. Insbesondere das Mandat der neuen Bankenaufsichts- behörde EBA, für eine einheitliche Entwicklung und Anwendung des EU-Aufsichtsrechts zu sorgen und durchzusetzen, wird hoffentlich dazu beitragen, dass künftig kurzsichtige „Race-to-the-Bottom“-Strategien in der Finanzmarktregulierung zur vermeintlichen Ent- wicklung des eigenen Finanzplatzes nicht mehr möglich sind: In Irland haben wir gesehen, wie unglaublich teuer und riskant solche Strategien letztlich sind – für Irland, aber auch alle anderen Länder in Europa und ihre Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler. Auch dass die neue Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA weitreichende Befugnisse hat, zum Beispiel bei der Aufsicht über Ratingagenturen oder um den Handel mit gefährlichen Finanzprodukten auszusetzen, etwa bei ungedeckten Leerverkäufen, ist eine gute Nachricht und ein echter Fortschritt. Insgesamt werden wir daher der Reform zustimmen. Allerdings weist die neue europäische Finanzauf- sichtsarchitektur auch viele Schwächen auf, die es gilt in nächster Zeit zu beheben: Dazu gehört, dass die EBA im Fall von ernsten Ban- kenschieflagen nicht wirklich handlungsfähig ist. Zwar darf sie im Krisenfall – den jedoch nicht sie selbst, son- dern der Rat feststellt – nationale Aufsichten und Insti- tute zu bestimmten Krisenmaßnahmen verpflichten und das Krisenmanagement koordinieren, allerdings nur, wenn hierbei nicht in die haushaltspolitische Kompetenz der Mitgliedstaaten eingegriffen wird. Im Zweifel wird damit also doch alles beim Alten bleiben: Statt einer kos- tenminimierenden Koordination des Krisenmanage- ments über Ländergrenzen hinweg wird es im Ernstfall weiter wie bisher – wie zum Beispiel im Fall Fortis zu beobachten war – ein unkoordiniertes, an nationalen Grenzen aufgehängtes und so potenziell krisenverschär- fendes und damit teurer als nötiges Eingreifen geben. Was wir hier dringend brauchen, sind Vereinbarungen über die Aufteilung von Krisenkosten, am besten gelöst über eine europäische Bankenabgabe und einen europäi- schen Bankenrettungsfonds. Ziel muss die Weiterent- wicklung der EBA zu einem echten und schlagkräftigen Krisenmanger sein. Die überfällige EU-Initiative zur Entwicklung eines Bankenabwicklungsregimes bietet hier Gelegenheit zur institutionellen und rechtlichen Fortentwicklung. Diese Gelegenheit müssen wir nutzen! Zu denken gibt auch die ressourcenmäßige Ausstat- tung der neuen EU-Aufsichtsbehörden: Wie soll es die ESMA mit einem Personalkörper von gerade einmal 60 Personen schaffen können, all ihren Aufgaben ge- recht zu werden? Allein für eine echte Aufsicht über die Ratingagenturen – und das ist nur eine kleine Teilauf- gabe der ESMA – wäre nahezu der gesamte Personalbe- stand nötig. Und die EBA soll sogar mit nur 45 Mitarbei- tern auskommen – bei einem Aufgabenkatalog, der nicht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16277 (A) (C) (D)(B) kleiner als jener der ESMA ist. Hinsichtlich der Perso- nalausstattungen muss also noch deutlich nachgelegt werden, wenn die neuen Behörden nicht schnell den zweifelhaften Ruf eines zahnlosen Tigers erhalten sollen und die nächste Krise verhindert werden soll. Eine weitere Schwäche betrifft die Zersplitterung der drei neuen Aufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA über die drei Standorte Paris, London und Frankfurt am Main. Das ist unlogisch, kurzsichtig und nationalen Eitelkeiten geschuldet: Effizienz- und Reibungsverluste sind hier bereits vorprogrammiert. Mittelfristig wird es darum gehen müssen, die drei Institutionen an einem Standort zusammenzuführen, um eine optimale Zusam- menarbeit zu ermöglichen. Zu den Schwächen des neuen EU-Finanzaufsichtssys- tems gehört ferner, dass wir mit dem European Systemic Risk Board, ESRB, zwar eine neue Einrichtung zur Ana- lyse und Beobachtung sogenannter makroprudenzieller Risiken geschaffen haben, was zweifellos eine richtige Entscheidung und eine wichtige aufsichtliche Ergänzung ist. Allerdings wirft Fragen auf, dass sich Europa derzeit in einer existenziellen Staatsschuldenkrise befindet, der ESRB allerdings noch kein einziges Mal zu diesem Sys- temrisiko erheblicher Relevanz wirklich vernehmbar Stellung bezogen hat. Das zeigt: Ein wesentlicher Teil des neuen Europäischen Finanzaufsichtssystems ist fast ein Jahr nach dem Startschuss entweder noch nicht ar- beitsfähig oder die Governance-Strukturen dieses Gre- miums verhindern eine klare Positionierung in dieser Frage. Beides wäre äußerst bedenklich und gibt Anlass zur Sorge. Insgesamt muss es nach meiner Überzeugung in der mittleren Perspektive bei dem EU-Aufsichtssystem da- rum gehen, die komplette laufende Bankenaufsicht über grenzüberschreitend aktive Institute auf EU-Ebene zu verlagern. Dafür sollten die nationalen Aufsichtsbehör- den für national und regional agierende Banken zustän- dig sein. Denn es gibt ja auch zu Recht Klagen, dass die EBA wenig geneigt sein dürfte, die Besonderheiten re- gionaler Institute in Deutschland zu beachten. Und in der Tat stellt sich ja die Frage, ob es sinnvoll ist, dass in Lon- don Regeln für eine Volksbank wie diejenige in Mann- heim-Sandhofen erlassen werden. Für eine sinnvolle Aufsichtsarchitektur in Europa ist also noch einiges zu tun. Das Gleiche gilt übrigens auch in Deutschland: Noch immer sind die großspurigen Ankün- digungen aus dem Koalitionsvertrag unerfüllt, die Finanz- aufsicht in Deutschland neu aufzustellen. Eine systemati- sche Aufarbeitung der in der Finanzkrise sichtbar gewordenen Schwächen hat bis heute nicht stattgefunden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Zivilpersonal in Konflikten besser be- treuen (Tagesordnungspunkt 19) Michael Brand (CDU/CSU): Aus eigenen Gesprä- chen und eigener Erfahrung kann und will ich für mich persönlich und für die gesamte Unionsfraktion zu Be- ginn etwas bekunden: nämlich hohen Respekt vor dem Engagement und vor dem Beitrag vieler ziviler Akteure aus humanitären und anderen Nichtregierungsorganisa- tionen in Konfliktgebieten. Sowohl in der Prävention als auch während akuter Konflikte wie auch in Postkonfliktphasen sind zivile An- sätze von zivilen Partnern immer wieder wichtige Bei- träge zur Beruhigung, Befriedung oder Aussöhnung in schwebenden oder schwelenden Konflikten. Dabei haben die entsendenden Organisationen die große Verantwortung, bei der Auswahl der Personen wie bei der Vorbereitung und auch bei der Nachbereitung von Einsatzzeiten die umfassende Betreuung des Perso- nals zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr, wenn im Rahmen auch öffent- licher Hilfestellung die Allgemeinheit diese Einsätze mit unterstützt. Die Unionsfraktion und die Koalition insge- samt unterstützen in diesem Zusammenhang den Schwerpunkt, den die Bundesregierung auf die zivilen Komponenten der Konfliktlösung legt, sehr nachdrück- lich. Auch ist bekannt, dass diese Einsätze für das Personal neben dem erfüllenden Gefühl, aktiv bei Konfliktbewäl- tigung helfen zu können, auch Belastungen, im Einzel- fall schwere Belastungen, mit sich bringen. Hier ist das professionelle und persönliche Umfeld oftmals sehr ge- fragt, berufliche und seelische Hilfestellung zu leisten. Soweit die Antragsteller nun das Ansinnen verfolgen, aus den Berichten über solche unstreitig vorhandenen Fällen unmittelbar einen Maßnahmenkatalog mitsamt Evaluierungsauftrag und finanzieller Hilfe beim Berufs- umstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf in Deutsch- land und weitere Maßnahmen der Bundesregierung ab- zuleiten, so kann, bei allem Respekt vor der Leistung der zivilen Helferinnen und Helfer, diesem Ansinnen des- halb nicht entsprochen werden, weil es zunächst in die Verantwortung der für Auswahl und Entsendung verant- wortlichen Organisationen wie auch die persönliche Ver- antwortung der zivilen Personen selbst gelegt werden muss, nach Eignung und Belastungsfähigkeit die Zeit nach der Rückkehr mit in Betracht zu ziehen. Die Bundesregierung hat für die Bundeswehrangehö- rigen die volle Verantwortung, wenn sie Soldatinnen und Soldaten in teils lebensgefährliche Einsätze schickt. Im Rahmen der hier gegebenen besonderen Fürsorgepflicht und der freien Heilfürsorge für Angehörige der Bundes- wehr ist die Nachsorge bis hin zur psychologischen Be- treuung logische Folge der Verpflichtung von militäri- schem Personal zur Prävention oder zur Eindämmung von Konflikten oder zur Stabilisierung in Postkonflikt- situationen. Die im zivilen Einsatz tätigen Personen bedürfen ei- ner zivilen Struktur der Verantwortlichkeit, in der diese Netze ebenfalls eingerichtet sind bzw. noch eingerichtet werden müssen. Das deutsche Sozial- und Gesundheits- system hält in seiner differenziert aufgefächerten Struk- tur sehr unterschiedliche Möglichkeiten der persönlichen und institutionellen Betreuung von Menschen mit psy- 16278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) chischen Belastungen bereit. Ebenso sind die arbeits- marktpolitischen Instrumente zur Wiedereingliederung in das Berufsleben im Bereich der Bundesagentur wie bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern bis hin zu den kirchlichen Diensten stark ausgeformt und weithin institutionalisiert und transparent zugänglich. Darüber hinaus sind die Plattformen und Netzwerke für zivile Kriseneinsätze gerade im Internetzeitalter breit zugänglich und bieten eine gute Möglichkeit zum Aus- tausch und zur weiteren, vertieften Kontaktaufnahme für Rückkehrerinnen und Rückkehrer wie für Personen vor der Reise in die Einsätze. Dieses plurale Angebot freier, privater Anbieter ist in manchen Bereichen sogar dem Angebot der internen Or- ganisation der Bundeswehr in punkto Einzelfall voraus. Kein Mensch kann grundsätzlich dem Ansinnen wi- dersprechen, dass es für Zivilpersonal in Krisengebieten eine intensive Betreuung geben muss. Dies ist sicher auch weiter auszubauen. Ob dies zwingend einer Initia- tive der Bundesregierung bedarf, ist zweifelhaft und muss als derzeit nicht geboten betrachtet werden. Die Beschlussvorlage heute ist leider nicht zustimmungsfä- hig. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt in ihrem Antrag zutreffend fest, dass es einen zunehmenden Bedarf an zivilen Fach- kräften zur Bewältigung von Konflikten im Ausland gibt. Allerdings zeichnet der Antrag schon in der Be- standsaufnahme aus zwei Gründen ein schiefes Bild. Erstens ist eine effiziente Betreuung des zivilen Per- sonals durch die Entsendeeinrichtungen wie beispiels- weise die Gesellschaft für Internationale Zusammenar- beit, GIZ, und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, sehr wohl gewährleistet. Dies schließt auch die Betreuung von Menschen mit psycho- logischen Problemen in Einzelfällen ein. Zweitens sind nicht, wie der Antrag glauben machen will, psychische Probleme ein neues Massenproblem ziviler Experten, die in Krisenregionen ihren Dienst tun. Lassen Sie mich klarstellen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entwicklungszusammenarbeit und hu- manitärer Organisationen sind ebenso wie Richterinnen und Richter, Polizistinnen und Polizisten sowie andere zivile Experten ein wichtiger, ja unverzichtbarer Be- standteil europäischer Sicherheitspolitik. Erst in dem engen Zusammenspiel von militärischen und zivilen Kräften können Krisen und Konflikte erfolgreich ange- gangen werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf den ressortübergreifenden Aktionsplan „Zivile Krisen- prävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ verweisen. Ziel dieses Aktionsplans ist, Krisenpräven- tion als politische Querschnittsaufgabe auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene zu verankern. Die Bedeu- tung der zivilen Krisenprävention für die Bundesregie- rung unterstreicht die Aufstockung der Mittel hierfür: Für 2012 sind circa 78 Millionen Euro vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist der Bundesregierung stets daran gelegen, qualifiziertes ziviles Personal zu interna- tionalen Friedenseinsätzen der UN, EU und OSZE zu entsenden. Derzeit sind etwa 250 deutsche zivile Exper- ten in Krisen- und Konfliktgebieten aktiv, die zum größ- ten Teil direkt aus Bundesmitteln bezahlt werden. In ihrem Antrag nennt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zutreffend das Zentrum für Internationale Frie- denseinsätze als wichtige Entsendeeinrichtung für zivile Experten. Das ZIF hat zur Aufgabe, aus sehr hohen Be- werberzahlen diejenigen, die am besten qualifiziert und geeignet sind, auszuwählen. Diese zivilen Experten wer- den dann in einem deutschlandweiten Expertenpool ge- führt, aus dem sie jederzeit für jegliche Art von Auslands- einsätzen in Krisen und Konfliktregionen in den Dienst der EU, der UN oder der OSZE überstellt werden kön- nen. Des Weiteren ist es Aufgabe des ZIF, die zivilen Ex- perten durch mehrwöchige Ausbildungs- und Vorberei- tungsseminare zu schulen. Wenn es ein Einsatz aller Wahrscheinlichkeit nach erfordert, werden die zivilen Experten vor ihrer Abreise noch zusätzlich in Kursen ge- schult, die auch psychologische Kompetenz in akuten Krisensituationen, wie beispielsweise einer Entführung, vermitteln. Auch während ihres Einsatzes in der Krisen- region steht das ZIF den zivilen Experten als Ansprech- partner für jegliche Problemstellung zur Seite. Die Be- treuung kann dabei von ganz pragmatischen, alltäglichen Fragen bis hin zur psychologischen Betreuung in persön- lichen Notlagen reichen. Auch nach ihrer Rückkehr ist das ZIF weiterhin für die zivilen Experten da und ver- sucht auch, bei der Wiedereingliederung in den deut- schen Arbeitsmarkt behilflich zu sein. Lassen Sie mich der Vollständigkeit halber noch kurz auf die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu sprechen kommen, die für entwicklungspolitische Projekte auch weltweit deutsche zivile Experten in Kon- fliktgebiete entsendet. Die GIZ lässt bei der Auswahl und Vorbereitung der zivilen Experten ebenso Sorgfalt walten wie das ZIF. Dabei kann die GIZ auf mittlerweile 50 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Abgesehen von der wichtigen Arbeit der Entsende- einrichtungen was Schulung und Betreuung angeht, möchte ich an dieser Stelle auch auf die spezifischen Qualitäten der zivilen Experten verweisen. Zunächst ein- mal sprechen hohe Bewerberzahlen für das große Inte- resse an dieser Tätigkeit. Deutsche zivile Fachkräfte, die in Krisenregionen zum Einsatz kommen, verfügen in der Regel über eine mehrjährige Expertise in ihrem spezifi- schen Arbeitsfeld. Neben der fachlichen Qualifikation sind auch hohe Anforderungen an Sozialkompetenz und persönliche Eignung Einstellungskriterien. Deutsche zi- vile Experten zeichnen sich durch beides gleichermaßen aus. Der zivile Experte ist also nicht nur fachlich kompe- tent, sondern auch hochmotoviert, emotional gefestigt und durch die Entsendeeinrichtung so gut wie möglich auf den Einsatz vorbereitet. Dies schließt natürlich einzelne Fälle psychosozialer Probleme nicht aus. Es ist aber keinesfalls so, dass dies inzwischen ein Massenphänomen unter den zivilen Ex- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16279 (A) (C) (D)(B) perten wäre. Im Gegenteil: Im Vergleich zu Soldaten in gefährlichen Einsätzen spielen derartige Probleme bei zivilen Experten nachweislich bislang eine eher geringe Rolle. Dort, wo zivile Experten psychosoziale Probleme haben, stehen ihnen die Entsendeeinrichtungen fachkun- dig zur Seite. Der Antrag der Grünen geht somit von einer falschen Ausgangslage aus und schießt deshalb weit über das Ziel hinaus. Der Schwerpunkt der Nachbetreuung des zivilen Per- sonals muss in der Hilfestellung für den Wiedereinstieg in den deutschen Arbeitsmarkt liegen. Hierzu müssen al- lerdings nicht, wie in dem Antrag gefordert, mehr Steu- ergelder ausgegeben werden. Vielmehr kommt es darauf an, die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und den Entsendeeinrichtungen, insbesondere dem ZIF, zu fördern. Edelgard Bulmahn (SPD): Konflikte, die drohen, in gewalttätige oder kriegerische Auseinandersetzungen zu münden, können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Militärische Interventionen können im Falle von Bürgerkriegen, Völkermord oder anderen kriegeri- schen Auseinandersetzungen höchstens einen Waffen- stillstand erzwingen oder Bevölkerungsgruppen schüt- zen, um so politische Verhandlungen wieder zu ermöglichen. Zivile Krisenpräventionspolitik ist daher der entschei- dende Weg, um Konflikte zu entschärfen und sie einer politischen Lösung zuzuführen. Erfolgreiche Maßnah- men von Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung lassen sich nur mit ressortüber- greifenden zivilen Instrumenten und Maßnahmen errei- chen. Die Debatte um Peacebuilding-Missionen – sei es nun in den Vereinten Nationen, der EU, der OSZE oder anderen Organisationen – dreht sich dabei im Wesentli- chen um Fragen des politischen Mandates, des Budgets oder der Logistik. Die Frage des notwendigen und aus- reichend qualifizierten Personals für die erforderlichen Aufgaben wird meist nachrangig diskutiert. Doch dies ist falsch, denn motiviertes und besonders gut ausgebil- detes Personal ist der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Friedensmissionen. Der Personalbedarf internationaler Friedenseinsätze steigt ständig, quantitativ wie auch qualitativ. Ursache dafür ist die Zunahme von personalintensiven und in der Fläche präsenten Missionen, Damit einhergehen immer ein erhöhter Bedarf an zivilem Personal und sich ver- schärfende Probleme bei der Gewinnung dieses Perso- nals. Alleine im vergangenen Jahr waren weltweit fast 12 000 zivile Fach- und Führungskräfte in Missionen der UN, der EU oder der OSZE in den verschiedenen Kri- senregionen der Welt tätig. Dabei erstreckt sich ihr Auf- gabenspektrum von der Beratung von Politik und Ver- waltung über Grenzkontrollen bis hin zur Unterstützung und Ausbildung im Bereich von Polizei oder Justiz. Neben der Notwendigkeit einer verbesserten Perso- nalgewinnung dürfen wir aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass Auslandseinsätze, insbesondere in Kri- senregionen, oft mit besonderen physischen und psychi- schen Belastungen und Risiken verbunden sind. Was für den Einsatz von Soldaten der Bundeswehr zu einem gro- ßen Teil bereits berücksichtigt wird, findet mit Blick auf ziviles Personal noch immer zu wenig Anerkennung. Auch zivile Helfer und Fachkräfte sind bei ihrem Einsatz konfrontiert mit brutalster Gewalt, mit Verfolgung und ihren Auswirkungen auf Menschen und ihr Zusammen- leben. Sie erleben Hunger und Elend aus nächster Nähe und sind mit der Verarbeitung ihrer Erlebnisse während des Einsatzes und darüber hinaus oftmals allein gelas- sen. Wenn die zivile Krisenprävention eines der wesent- lichsten Kennzeichen deutscher Friedens- und Außen- politik sein soll, dann müssen wir auch die Menschen, die vor Ort in beeindruckender Art und Weise dafür ein- stehen, besser betreuen und unterstützen. Mit der Ein- richtung des Zentrums für Internationale Friedensein- sätze, dem ZIF, ist im Rahmen des rot-grünen Aktionsplanes „Zivile Krisenprävention, Konfliktbear- beitung und Friedenskonsolidierung“ hierfür ein wesent- licher Grundstein gelegt worden. Das ZIF hat in den ver- gangenen fast zehn Jahren seines Bestehens eine wertvolle Aufbauarbeit geleistet und genießt internatio- nal ein hohes Ansehen. Dafür auch an dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ludwigkirchplatz hier in Berlin. Aber vor dem Hintergrund seiner finanziellen und personellen Ausstattung ist auch das ZIF nicht in der Lage, eine umfassende und längerfristige soziale und psychosoziale Betreuung der zivilen Fachkräfte vor, während und nach einem Einsatz zu übernehmen. Der fi- nanzielle Aufwuchs bei den Mitteln für das ZIF in Höhe von gut 200 000 Euro ist zwar ein richtiger, aber noch immer ein viel zu kleiner Schritt in diese Richtung. Not- wendig ist ein übergreifender und umfassender Ansatz der Bundesregierung für die Betreuung von zivilem deutschem Personal in internationalen Friedensmissio- nen. Die Diskussionen über die psychosoziale Betreuung von Soldaten der Bundeswehr wird verbessert, was rich- tig und notwendig ist. Richtig und notwendig ist aber auch die psychosoziale Betreuung des zivilen Personals. Beispielhaft für das mangelnde strategische Bewusst- sein ist die finanzielle Ausstattung des Zivilen Friedens- dienstes. Die Kürzungen im Haushalt des Bundesmi- nisteriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahr 20011 werden trotz der positiven Evaluierung des Projektes auch im kommenden Jahr nicht rückgängig gemacht. Da frage ich: Warum wird eine Evaluierung durchge- führt, wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, die vor- geschlagenen Schlüsse daraus zu ziehen? Gerade hier, bei der Entsendung von erfahrenen Friedensfachkräften als zentralem Element des Projektes, kommt es darauf an, Betreuung und Begleitung weiter zu intensivieren. Weitere 20 Millionen Euro wären hier notwendig und insgesamt sehr gut investiert. Deshalb bedaure ich es sehr, dass die Koalitionsfrak- tionen den Antrag der SPD auf Erhöhung des Titels um 3 Millionen Euro abgelehnt haben. Mit diesen Mitteln 16280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) hätten wir mit dieser wichtigen Aufgabe zumindest be- ginnen können. Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift dieses vernachlässigte Thema auf und beschreibt zumindest die wesentlichen Handlungsfelder. Die SPD- Bundestagsfraktion wird dem Antrag deshalb zustim- men. Joachim Spatz (FDP): Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift eine Problematik auf, die wir als Koalitionsfraktionen sehr ernst nehmen. Umso mehr enttäuscht es, dass die Grünen ihren Antrag mit aller Macht im Schnellverfahren behandelt haben woll- ten. Ein seriöses parlamentarisches Verfahren, das der Bedeutung des Themas auch gerecht wird, sieht jeden- falls anders aus. Wir hätten es im Rahmen der Ausschussberatung gerne gesehen, wenn der Antrag in den fachlich zustän- digen Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und ver- netzte Sicherheit“ zur gutachterlichen Stellungnahme überwiesen worden wäre. Ich bin überzeugt davon, dass im Rahmen einer ordentlichen Behandlung des Antrags im Laufe des Verfahrens einige Unklarheiten beseitigt worden wären und man sich gemeinsam auf sinnvolle Maßnahmen hätte verständigen können. Auf diese Art und Weise jedoch werden offensichtlich bewusst Diffe- renzen erzeugt, die in der Zielrichtung zwischen Antrag- steller und Koalitionsfraktionen gar nicht existieren. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bündnis 90/Die Grü- nen in der Sitzungswoche, in der das Einsatzversor- gungs-Verbesserungsgesetz einstimmig verabschiedet werden wird, wenigstens noch einen Hauch von Diffe- renz zur Koalition aufbauen wollen, um typische Oppo- sitionsreflexe zu bedienen. Schade für das Sachthema! Der Antrag der Grünen argumentiert schlicht unprä- zise. Beim Thema Zivilpersonal in Konfliktsituationen ist eine differenzierte Betrachtung jedoch zwingend er- forderlich. Das Einsatzversorgungs-Verbesserungsge- setz, dessen Annahme jüngst vom federführenden Verteidigungsausschuss in großer Einmütigkeit aller Fraktionen einstimmig empfohlen wurde, sichert neben der Absicherung von aus dem Auslandseinsatz in Kriegssituationen geschädigten Soldaten auch die Absi- cherung von heimkehrenden, verletzten Zivilisten, die vom Bund als ihrem Dienstherren entsandt wurden. Dies gilt für Polizisten, Richter, Staatsanwälte sowie generell alle Beamten des Bundes im Auslandseinsatz. Dieser Fakt wird von den Antragstellern schlicht ignoriert. Zu Recht ist das Einsatzversorgungs-Verbesserungs- gesetz von allen Fraktionen als wichtiges Signal an jene gewertet worden, die im Dienste der Bundesrepublik Deutschland eine beachtenswerte Tätigkeit im Ausland verrichten. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nehmen ihre Fürsorgepflicht als Gesetzgeber und Exekutive ernst. Nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz, zum Beispiel beim Zivilen Friedensdienst, findet die Absicherung nach dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz keine Anwendung. Daher stellt sich die Situation bei Entwicklungshelfern anders dar. Hier hätten wir gerne mit den Antragstellern eine intensive Debatte über Lö- sungsmöglichkeiten geführt. Die bisherige Regelung hat vor allem umsetzungstechnische Gründe. In dieser Frage werden wir auch weiterhin einen engen Austausch mit der Bundesregierung suchen. Was die Versorgung von Zivilpersonal angeht, das mit anderen privatrechtlichen Arbeitgebern wie NGOs ins Ausland gehen, so obliegt es dem jeweiligen Arbeitge- ber, die Versorgung seiner Mitarbeiter auszugestalten und eine entsprechende Vorsorge im Falle einer Schädi- gung für seine Mitarbeiter zu gewährleisten. Der Bund ist hier nicht der Dienstherr und trägt dementsprechend auch keine Fürsorgepflicht. Dies kann auch vonseiten der Zivilgesellschaft nicht gewünscht werden. Wir sehen das Anliegen des vorliegenden Antrags in der Tendenz richtig. Allerdings lassen die Forderungen der Grünen jegliche Differenzierung vermissen. Der un- terschiedliche Status der jeweiligen Zivilisten macht eine solche jedoch zwingend erforderlich. Hier kann es keine pauschale Regelung geben. Darüber hinaus war aufgrund des gewählten Verfahrens eine sinnvolle parla- mentarische Behandlung der Problematik leider nicht möglich. Aus den genannten Gründen können wir dem Antrag daher nicht zustimmen. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Zivile Fachkräfte wie Entwicklungshelferinnen und -helfer, Friedensfachkräfte, Menschenrechtsschützerinnen und -schützer, aber auch Verwaltungsangehörige, Juristinnen und Juristen, Polizis- tinnen und Polizisten leisten im Ausland unschätzbar wichtige Arbeit. Sie helfen bei Katastrophen und schlich- ten Konflikte; sie versorgen Kranke und Hungernde oder helfen beim Aufbau demokratischer Institutionen. Die Linke tritt für eine Politik ein, die auf Konflikte mit friedlichen Mitteln reagiert, die Gewalt vorbeugt und Friedensprozesse fördert. Gerade dafür brauchen wir gut ausgebildete zivile Fachkräfte. Diese müssen, wenn sie verletzt oder traumatisiert werden, natürlich angemessen versorgt werden. Unsere Fraktion hat das wiederholt gefordert, auch ganz aktuell im Entschließungsantrag der Linken zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz für die Solda- tinnen und Soldaten der Bundeswehr. Die Forderungen der Grünen unterstützen wir. Denn es ist natürlich richtig, den Bedarf zu ermitteln und daraus abgeleitet Maßnahmen zur Unterstützung und Behand- lung ziviler Fachkräfte zu ergreifen. Andererseits kann ich Ihnen an dieser Stelle auch nicht ersparen, noch einmal auf die Mitverantwortung der Grünen für die Gefährdung von zivilen Helferinnen und Helfern hinzuweisen, die sich aus ihrer Zustimmung zu fast allen Militäreinsätzen der Bundeswehr ergibt. Es gibt doch eine Reihe von Konflikten, die auch durch das militärische Eingreifen der Bundeswehr ver- schärft werden, wie etwa in Afghanistan. Viele körperli- che und seelische Verletzungen, egal ob bei Angehöri- gen der Bundeswehr oder zivilen Helferinnen und Helfern könnten durch einen konsequenten Gewaltver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16281 (A) (C) (D)(B) zicht vermieden werden. Immer wieder haben Entwick- lungs- und Hilfsorganisationen darauf hingewiesen: Wo es weniger Gewalt gibt, ist auch das Risiko für zivile Helfer, verletzt oder traumatisiert zu werden, geringer. Je weniger Militär in der Nähe ist, umso sicherer können die Zivilen arbeiten. Das ist ein Ansatz, der im Rahmen der vielbeschworenen Prävention eine größere Bedeu- tung verdient hätte. Leider bekommt er die bei der über- großen Mehrheit in diesem Hause nicht. Als stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsaus- schusses will ich aber noch eine Anmerkung machen. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, jetzt für jede Be- troffenengruppe einzeln die Verbesserung der psychoso- zialen Betreuung zu fordern. Natürlich haben die zivilen Fachkräfte eine bessere Versorgung verdient. Aber was ist mit den Feuerwehrleuten, den traumatisierten Flücht- lingen, den ehemaligen Heimkindern, den Opfern von häuslicher Gewalt und von sexuellen Übergriffen, um nur einige wenige zu nennen? Sollen für alle diese Grup- pen eigene Projekte gefordert werden? Wir werden nicht darum herumkommen, insgesamt die psychosoziale Be- treuung in Deutschland zu verbessern. Das käme dann allen Menschen zugute, die seelische Verletzungen erlit- ten haben. Wenn Sie jetzt meinen, dafür fehle das nötige Geld, dann empfehle ich die sofortige Einstellung aller Aus- landseinsätze der Bundeswehr. Mit dem, was die uns derzeit kosten, könnten wir schon sehr große Fortschritte im Sinne der Betroffenen erreichen. Dafür setzt sich die Linke auch weiterhin ein. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In- ternationale Konflikte lassen sich häufig weder ohne Weiteres verhüten noch schnell und einfach lösen. Sie haben komplexe Ursachen und sind geprägt von Unge- wissheiten. Wenn wir Konflikte verhindern und nachhal- tig Frieden schaffen wollen, sind wir in großem Maße auf das Engagement ziviler Fachkräfte angewiesen. Erst durch ihre Arbeit werden die Grundlagen für eine dauer- hafte Konfliktbewältigung und einen stabilen Frieden geschaffen. Derzeit setzen sich Tausende Frauen und Männer weltweit mit zivilen Mitteln für den Frieden ein. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen bereit sind, derartige Herausforderungen unter schwierigen Bedin- gungen anzunehmen. Ohne ihr Engagement könnten wir kaum etwas zur Prävention und Lösung von Konflikten beitragen. Darum gehören den zivilen Fachkräften un- sere größte Anerkennung, unser Respekt und unser Dank! Ihr Engagement muss uns Verpflichtung sein, alles zu tun, um gute Rahmenbedingungen für die Bewältigung dieser Aufgaben zu schaffen. Natürlich gehört dazu, die notwendigen Mittel und Ressourcen für die verschiede- nen Projekte zur Verfügung zu stellen. Aber hier geht es heute um etwas anderes. Heute geht es um die zivilen Fachkräfte, um die Menschen selbst. Sie stehen nicht nur vor besonderen Herausforderun- gen, wenn es um die Umsetzung ihres Auftrages geht. Es stellen sich auch ganz persönliche Herausforderungen durch den Aufenthalt in einem anderen Land und unter Umständen durch das Leben in einer Krisen- und Kon- fliktregion. Die Rückkehr in die Heimatgesellschaft ist ein Schritt, der durchaus Probleme mit sich bringen kann. Die Reintegration in den Alltag in Deutschland und in den Arbeitsmarkt verlaufen nicht immer rei- bungslos. Unter Umständen sind die Frauen und Männer während ihres Einsatzes aber auch enorm belastenden Situationen ausgesetzt. Gewalt und menschliches Leid mitzuerleben, kann auch langfristige Auswirkungen auf die Menschen und ihre psychische Gesundheit haben – besonders, wenn zivile Kräfte selbst Ziel von Gewalt werden. Durch die Medien gegangen sind jüngst Ereig- nisse in Afghanistan. Aber auch in vielen anderen Ein- satzgebieten erleben zivile Fachkräfte immer wieder Be- drohungs- und Belastungssituationen. Es liegt in unserer Verantwortung, dass zivile Fach- kräfte – zumal wenn sie sich im Namen von Deutschland engagieren – mit diesen Herausforderungen und Erfah- rungen nicht allein gelassen werden. Im Zusammenhang mit den Einsätzen der Bundes- wehr ist inzwischen ins Bewusstsein gerückt, dass eine schlimme Folge der Einsätze auch eine Traumatisierung der Soldatinnen und Soldaten sein kann. Es hat eine Weile gedauert, bis alle diesen Zusammenhang auch ak- zeptiert haben. Aber das Parlament hat sich mit diesem Thema in den vergangenen zwei Jahren intensiv ausei- nandergesetzt und Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Prävention zu verbessern und den Betroffenen ein Netz von Betreuung und Beratung anzubieten – auch wenn in diesem Bereich noch nicht alle Probleme gelöst sind. Mit der Verabschiedung des Einsatzversorgungs- Verbesserungsgesetzes morgen werden schließlich auch Verbesserungen bei der sozialen Versorgung vorgenom- men. Bei der sozialen und psychosozialen Betreuung des Zivilpersonals hat Schwarz-Gelb aber bisher keine we- sentlichen Verbesserungen gebracht. Sie lassen die zivi- len Kräfte und auch alle Organisationen in diesem Be- reich mit der Bewältigung der Folgen eines Einsatzes allein. Wie so oft ignorieren Sie Probleme und ver- schleppen Lösungen. Wenn wir es mit dem Ziel der zivilen Konfliktpräven- tion und -lösung ernst meinen, müssen wir unser Augen- merk auf die Einsatzsituation der zivilen Kräfte richten. Wir haben eine Verantwortung für diese Menschen. Da- rum fordern wir von der Bundesregierung, sich verant- wortungsbewusst mit den Herausforderungen für die zi- vilen Fachkräfte auseinanderzusetzen und sie wo immer möglich zu unterstützen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Strategie gegen Lebensmittelverschwendung entwickeln (Tages- ordnungspunkt 22) Josef Rief (CDU/CSU): Ich glaube, wir sind uns alle einig: Lebensmittelverschwendung ist zu vermeiden. Lebensmittel sind wertzuschätzen. Sie werden mit viel 16282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Mühe, Arbeit und Energie hergestellt und gehören in Teilen der Welt zu den sehr knappen Gütern. Sie gehören nicht in den Müll. Eine sachliche Frage, über die wir nicht diskutieren müssten. Der Antrag der SPD zeigt aber wieder einmal, dass es hier nicht um die Sache geht, sondern ausschließlich um die parteipolitische Auseinandersetzung. Ihr Antrag suggeriert, dass die Bundesregierung, das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Frau Ministerin Aigner, Lebensmittelverschwendung verschweigt und das Thema als unproblematisch sieht, sodass der Bun- destag in Form eines Oppositionsantrags die Initiative übernehmen müsse. Natürlich möchten Sie nun, da die Medien das Thema aufgegriffen haben, opportunistisch ins gleiche Horn stoßen. Dies lehnen wir ab. Liest man Ihren Antrag genauer, kommen Sie auch nicht umhin, Frau Aigner zu loben und auch anzuerken- nen, dass bereits im vergangenen Jahr die Untersuchung des Problems mit einer Studie angegangen wurde. Frau Aigner hat mit ihrer Kampagne „Jedes Mahl wertvoll“ die Bürgerinnen und Bürger informiert und damit zur Sensibilisierung beigetragen. Für uns ist wesentlich, mit einer differenzierten Be- trachtung, wie es gerade eine umfangreiche Studie zum Verbraucherverhalten ermöglicht, den Handlungsbedarf abzuklären. Jetzt möchte die SPD nicht bis Anfang des kommenden Jahres auf die Ergebnisse warten und die Bundesregierung zu einem Schnellschuss drängen. Dies wirft schon ein seltsames Licht auf die Opposition und ist schon formal unsinnig. Es nützt wenig, nach neuen Gesetzen und Regelungen zu rufen, wenn wir noch nicht einmal wissen, wie groß der genaue Umfang und Anteil der unnötig weggeworfe- nen Lebensmittel sind und warum Verbraucher sich beim Einkauf so entscheiden, wie sie es tun. Betrachtet man nur die offensichtlichen Faktoren, wird schnell klar, dass der Verbraucher die große Aus- wahl schätzt und ebenso die Vielfalt und Frische der Pro- dukte zu jeder Zeit erwartet. Der Handel gewährleistet dies, um seine Kunden zufriedenzustellen, und kalkuliert Verluste durch Aussortierung, Bruch und Verfall ein. Es ist leicht gesagt, dass dann der Einzelhändler nicht mehr aussortieren oder Bruch anbieten soll. Jeder kann sich vorstellen, dass der Verbraucher bei gleichem Preis die optisch ansprechendere Ware kauft. Dieses Beispiel zeigt die Komplexität des Vorgangs. Wenn ich in meinem Wahlkreis Biberach mit Einzel- händlern spreche, wird mir immer gezeigt, dass Pro- dukte, die nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen, gesenkt sind und oftmals sogar in einem gesonderten Re- gal angeboten werden. Dies ist sicher eine der möglichen Lösungen. Fragt man dann nach dem Anteil des Verlusts, der auf verfallene oder ausgemusterte Produckte entfällt, wird dieser mit fünf bis sieben Prozent beziffert. Hier ist der Handel sicher auf dem richtigen Weg. Selbstverständlich gehört auch eine sinnvolle Balance zwischen Angebot und Nachfrage dazu. Hier sehe ich aber keine gesetzlichen Regelungen und damit mehr Bürokratie als Lösung an. Wir können hier nur an den Verbraucher appellieren. Natürlich müssen wir letztlich auch die gesamte Wert- schöpfungskette unter die Lupe nehmen. Wo kann über- all die Verschwendung von wertvollen Lebensmitteln vermieden werden? Jeder Landwirt wird schon heute den größtmöglichen Anteil seiner Ackerfrüchte vermarkten und jede andere Nutzungsmöglichkeit und Verwertung begrüßen. Alles andere ist schon aus finan- ziellen Gründen kein Thema. Denkbar wären noch Mög- lichkeiten, bei den erneuerbaren Energien nicht vermark- tungsfähige Lebensmittel besser zu verwerten. Der Handel muss noch weiter auf den Verbraucher zugehen, mit anderen Packungsgrößen und dem ver- günstigten Angebot von Obst und Gemüse, wenn mal die Optik nicht stimmt oder der Frischeeindruck beein- trächtigt ist. Dazu gehört natürlich auch, bei der Wer- bung den Wert der Lebensmittel zu betonen und nicht nur mit tadelloser Optik zu werben. Auch die Tatsache, dass Lebensmittel nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar sind und weiter verkauft werden dürfen, muss besser kommuniziert werden. Sicher sind alle Akteure gefragt, ihren Beitrag zu leis- ten. Am Ende wird der Verbraucher mit seinem Kaufver- halten abstimmen. Ich freue mich, dass Frau Bundesministerin Aigner das Problem mit einem umfassenden Konzept zur Ver- meidung von Lebensmittelabfällen angeht. Wir sollten zuerst die Ergebnisse der Studie abwarten, bevor wir im Bundestag Beschlüsse fassen und neue Ge- setze erlassen. Der richtige Weg ist eingeschlagen. Den SPD-Antrag lehnen wir daher ab. Carola Stauche (CDU/CSU): Auf Antrag der SPD- Fraktion reden wir heute über ein Thema, das keinem schmeckt: Wir suchen Strategien gegen die Lebensmit- telverschwendung. Während Millionen Menschen auf der Welt hungern, werfen wir tonnenweise genießbares Essen weg. Jeder Deutsche schmeißt pro Jahr im Schnitt Lebensmittel im Wert von weit über 300 Euro in den Abfalleimer, schätzt das Bundesverbraucherministerium. Exakte Zahlen über die Art und Menge der Lebensmittel, die verschwendet werden, lässt das Bundesverbraucherministerium in ei- ner nationalen Wegwerfstudie ausrechnen. Ergebnisse liegen Anfang 2012 vor. Ausgegangen wird von bis zu 20 Millionen Tonnen im Jahr. Wären da nicht die Tafeln, wäre es noch viel mehr. Ehrenamtliche fahren von Hamburg bis Halle Super- märkte und Bäckereien ab und laden Lebensmittel ein, um sie an Arme zu verteilen. Viele von Ihnen kennen die Tafeln und haben Einblick in deren Arbeit. Beim Besuch einer Tafel in meinem Wahlkreis vergangene Woche wurde mir versichert, nur uneingeschränkt genießbare Butter und Marmelade würden abgegeben – Gütesiegel verbieten die Lieferung verdorbener Lebensmittel. Seit Jahren arbeitet der Lebensmitteleinzelhandel mit den Ta- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16283 (A) (C) (D)(B) feln zusammen, um verzehrfähige, aber nicht mehr ver- kaufsfähige Lebensmittel nicht vernichten zu müssen. 80 bis 90 Prozent aller Lebensmittelgeschäfte arbei- ten mit Organisationen wie den Tafeln zusammen, um Lebensmittel nicht in die Tonne kippen zu müssen. Bei der Dimension, über die wir reden, reicht das nicht aus, zumal auch nur ein Bruchteil der Lebensmittelabfälle vom Handel kommt. Die größte Menge vernichtet der Endverbraucher. Egal, ob bei der nationalen Wegwerfstudie 6 oder 20 Millionen Tonnen essbarer Nahrungsmittelmüll he- rauskommen: So oder so ist es viel zu viel. Dagegen müssen wir etwas tun; da sind wir uns einig. Doch wel- che Strategie hat die besten Aussichten, den Wegwerf- wahnsinn zu stoppen? Das ist die Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen. Die SPD und uns trennen bei dem Thema keine Wel- ten. Vieles, was Sie fordern, fordern wir seit geraumer Zeit: Wir wollen die Menschen besser aufklären. Wir tre- ten für mehr Wertschätzung und verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln ein, die schon in Kindergar- ten und Schule vermittelt werden. Kinder können nicht früh genug lernen, ob Tomaten in den Kühlschrank dür- fen und wie lange das Schnitzel hält. Sie müssen wissen, woher das Hackfleisch im Hamburger kommt. Das Bun- desverbraucherschutzministerium wirbt in einer Kampa- gne für bewussteres Einkaufen und gibt auf einer Ser- vicecheckkarte Tipps, wie man vermeiden kann, dass Gurken, Brot und Joghurt im Müll landen. Im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beschäftigen wir uns mit dem Problem. Unnötig ist aber nach unserer Auffassung die Diskus- sion um Alternativen zum Mindesthaltbarkeitsdatum. Nicht der Begriff führt in die Irre, sondern die Debatte um den Begriff. Uns fehlt der Glaube, dass das Mindest- haltbarkeitsdatum missverstanden wird. Unter „Mindest- lohn“ können sich auch die meisten etwas vorstellen. Werfen wir weniger weg durch einen neuen Ausdruck zum Haltbarkeitshinweis? Ein Lebensmittelkonzern hat bei einer Umfrage ermittelt, Verbraucher wünschen sich kurze, klare Angaben. Wir sind überzeugt, ein neuer Aufdruck bekämpft die Lebensmittelverschwendung nicht. Die Kernfrage ist doch: Wie können diese Unmen- gen an Müll essbarer Lebensmittel reduziert werden? Wir können an Begriffen herumdoktern, wir können Aufklärung betreiben. Vom Verbraucher über Landwirte und Handel bis zu Verbänden und Organisationen stehen alle in der Pflicht. Am Schluss der Lebensmittelkette je- doch steht der Verbraucher. Es geht nicht darum, ihm die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben. Aber Fakt ist: Von ihm stammt der meiste Lebensmittelabfall. Letz- ten Endes kann nur er das Problem lösen. Schauen wir in den Spiegel: Kaufen wir den Apfel mit der Druckstelle? Essen wir den Joghurt, der schon ein paar Tage abgelau- fen ist? Mögen wir drei Tage altes Brot noch oder kaufen wir lieber ein frisches? Jeder hat seine Gründe, wieso er Lebensmittel weg- wirft: Die Augen waren im Supermarkt größer als der Appetit. Er muss kurzfristig verreisen. Er ist sich nicht sicher, ob er die Würstchen noch essen kann, ohne Durchfall zu bekommen. Solche Fragen werden in der nationalen Wegwerfstudie erforscht. Wenn die Ergeb- nisse auf dem Tisch liegen, können wir konkrete Schritte gegen Lebensmittelvergeudung einleiten. Sind noch mehr Rabatte auf Produkte kurz vor Ablauf des Mindest- haltbarkeitsdatums nötig? Sind die Verpackungen zu groß? Können noch mehr Wohltätigkeitsorganisationen von genießbaren Lebensmitteln profitieren? Muss das Thema Ernährung in den Schulen besser verankert wer- den? Wir wollen den Verbraucher dazu bringen, weniger Lebensmittel zu verschwenden. Das ist unser Ziel, und wir freuen uns, wenn uns die Opposition auf diesem Weg begleitet. In den Griff bekommen wir das Problem allerdings nur, wenn Verbraucher umdenken. Daran wer- den wir arbeiten. Wie Sie sehen, sind wir an einigen Stellen nah bei- einander; aber es gibt auch enorme Unterschiede, die uns dazu bewegen, Ihren Antrag abzulehnen. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): „Das Brot, das ihr verderben lasst, ist das Brot der Hungernden.“ (Basilius von Caesarea, Bischof, Kirchenlehrer und Asket). Mit über 300 verschiedenen Brotsorten in den Rega- len der heimischen Bäckereien und Läden ist Deutsch- land das reinste Brotparadies. Aber mit dieser Vielfalt geht große Verschwendung einher: Jeden Tag fällt ton- nenweise unverkauftes Brot an. Bis zum Ladenschluss wird das komplette Sortiment angeboten – um den Kun- den auch um 20 Uhr noch die volle Auswahl bieten zu können. Was übrig bleibt, wird weggeworfen. Und auch in den Haushalten verderben viele Backwaren aufgrund falscher Lagerung und schlecht geplanter Einkäufe. Nach Schätzungen landet in Deutschland jedes fünfte Brot im Müll. Aber es geht nicht nur um Brot, es geht um Obst und Gemüse, um Milchprodukte, um Fertiggerichte, Fleisch, Wurst, Fisch; von allem landen große Mengen im Müll, teilweise noch originalverpackt und frisch. Die Autoren des Buchs „Die Essensvernichter“, Valentin Thurn und Stefan Kreutzberger, haben erschre- ckende Statistiken zusammengetragen: Rund ein Drittel der weltweit für den Verzehr gedachten Lebensmittel lande Schätzungen zufolge im Abfall. Ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs werde für den Anbau von Lebensmitteln verwendet, die später auf den Müll ge- worfen würden. 500 000 Tonnen Brot würden jedes Jahr in Deutschland weggeworfen. Statistisch gesehen gäbe es mehr als genug Nahrung für alle Bewohner der Erde; aber weil so viel weggeschmissen oder für Tierfutter, Biosprit oder zur Stromerzeugung genutzt wird, müssen immer mehr Menschen hungern. Ein „Umdenken bei den Verbrauchern, aber auch beim Handel“ hat Ministerin Aigner bereits Ende letzten Jahres zum Beispiel in der HNA, Hessisch/Niedersächsi- sche Allgemeine vom 21. Dezember 2010 gefordert. „Lebensmittel müssten in Deutschland wieder einen hö- 16284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) heren Stellenwert und mehr Wertschätzung erhalten“, wird sie dort zitiert. Das sind sehr schöne und richtige Worte. Aber es wurde nichts getan! Leider haben wir letzte Woche im Ausschuss dem Bericht der Bundesregierung zum Thema Lebensmittelverschwendung entnehmen müssen, dass es hierzu aus dem Verbraucherministerium nichts wirklich Neues gibt. Zwar wurde von Ministerin Aigner bereits Ende 2010 eine Studie angekündigt, die erstmals konkretes und belastbares Zahlenmaterial über Art und Menge der in Deutschland jährlich weggeworfenen Le- bensmittel liefern soll. Das haben wir als wichtigen und richtigen Schritt auch sehr begrüßt. Doch ist es aus unse- rer Sicht schwer nachvollziehbar, dass nun, fast ein Jahr später, immer noch keine Ergebnisse vorliegen. Wir wüssten gern, welche Gründe das hat. Die Ergebnisse sollen nun erst Anfang 2012 vorlie- gen. Bis dahin wird die Bundesregierung ihre Untätig- keit wohl mit der noch nicht abgeschlossenen Untersu- chung begründen. Wir wollen tätig werden, wir wollen das Problem endlich angehen! Sehr gern machen wir das auch mit Ihnen gemeinsam, werte Kolleginnen und Kol- legen von den Regierungsfraktionen, sehr gern auch mit allen im Bundestag vertretenen Fraktionen; denn wir sind uns doch wahrscheinlich in der Zielsetzung hier alle einig. Das wäre – angesichts der großen Bedeutung die- ses Themas – ein schönes Signal. Wir wollen das nicht mehr auf die lange Bank schieben; deshalb haben wir hier heute unsere Vorschläge vorgelegt. Wir werden diese gern im Ausschuss mit allen diskutieren; aber am Ende müssen endlich Taten statt Worte stehen. Und dies muss schnell passieren. Wir fordern eine umfassende Strategie gegen Lebens- mittelverschwendung. Es geht nicht nur um die Verbrau- cher: Vom Acker bis zum Teller sind alle an der großen Wegwerforgie beteiligt. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Herstellern, Händlern und Verbrauchern den Gründen nachgehen, warum auf jeder Stufe der Wert- schöpfungskette bis hin zum Privathaushalt genießbare Lebensmittel in großen Mengen weggeworfen werden. Wir fordern eine Untersuchung der Verständlichkeit und der Auswirkungen des Mindesthaltbarkeitsdatums für Verbraucher, Händler und Tafeln. Dabei muss die Ver- braucherforschung einbezogen werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nur ein Mosaikstein unter vielen. Wir fordern einen runden Tisch gegen Le- bensmittelverschwendung, denn die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Bei der Suche nach Lösungen soll- ten alle Beteiligten einbezogen werden. Wir legen hier heute unsere Vorschläge vor. Bitte unterstützen Sie unse- ren Antrag, damit das Problem endlich tatkräftig ange- gangen werden kann. Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich bin froh da- rüber, dass ich in der letzten Woche meinen Vorschlag zum Mindesthaltbarkeitsdatum gemacht habe, einen Vorschlag darüber, den Begriff zu ändern bzw. sich Ge- danken über die Ausgestaltung zu machen. Das bishe- rige Verfahren signalisiert falsche Vorstellungen. An der Diskussion, die daraufhin entfacht ist, sehen wir, wie emotional geladen und verbrauchernah dieses Thema ist, auch zu erkennen an der medialen Berichterstattung. Ich bevorzuge aber eine sachliche und fachliche Debatte. Unstrittig ist natürlich, dass es in jedem Fall ein Da- tum geben muss. Meine Idee, in Anlehnung an das engli- sche „best before …“, Lebensmittel mit „voller Genuss bis …“ und „essbar bis zum Tag Y …“ zu kennzeichnen, zusätzlich mit einer farblichen Hinterlegung, verteidige ich auch heute. Sicherlich, es ist noch ausgestaltungsfä- hig und keine endgültige Lösung, aber ein Anfang, sich mit der Problematik der Lebensmittelverschwendung zu befassen. Wir alle kommen Tag für Tag mit Lebensmitteln in Berührung und stehen nicht allzu selten vor der Frage: Kann ich den Joghurt noch essen, auch wenn er schon ein paar Tage über dem Mindesthaltbarkeitsdatum ist? Aber sicherlich kann man den Joghurt noch essen. Wir müssen nur unsere Sinne einschalten und riechen, schmecken und schauen, und schon weiß ich, was noch essbar ist und was nicht. So viel zur Theorie. Nur leider sieht die Praxis anders aus. Viele Konsumenten sind sich unsicher, auch was ihr eigenes Urteilsvermögen betrifft, gehen dann auf Nummer sicher und werfen das Lebens- mittel weg. Seinen Kindern will man ja auch nichts Ab- gelaufenes mitgeben. Natürlich kann die Debatte um die Begrifflichkeit des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht allein die Lebensmit- telverschwendung und die damit einhergehende Proble- matik in der Welt entschärfen. Viel zu viele Menschen in der Welt leiden Hunger. Wir haben einen enormen Was- ser-, Rohstoff- und landwirtschaftlichen Flächenver- brauch. Leider ist der Luxus, den wir leben, ständig und bis zum Ladenschluss alles verfügbar zu haben, nicht gang und gäbe in der Welt. Vor allem in den ärmeren Re- gionen sind Lebensmittel knappe Güter und dringend notwendig, um Nahrungssicherheit zu gewährleisten. In diesem globalen Kreislauf können wir Positives beitragen. Fangen wir bei uns selbst an, in unseren Haus- halten. Lernen wir, Lebensmittel wieder mehr wertzu- schätzen. Werden wir zu strategisch klugen Einkaufspro- fis. Und entwickeln wir die Kompetenz und das Bewusstsein, mit Lebensmitteln verantwortungsvoll um- zugehen. Damit wir kluge und verantwortungsvolle Konsumenten werden und unser Selbstvertrauen gestärkt wird, sind Aufklärung und Bildung das A und O. Aktio- nen, die den Wert der Lebensmittel darstellen, und Kam- pagnen, die die Bedeutung der Haltbarkeit erklären, kön- nen und müssen hier unterstützend wirken. Klug ist es jedoch ebenfalls, sich erst die Ergebnisse des Gutachtens zur Lebensmittelverschwendung, wel- ches auch auf mein Drängen vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben wurde, abzuwarten und zu analysieren. Diese wichtigen Ergebnisse lassen leider auf sich war- ten. Denn mit ihnen hätten wir handfeste Wege- und Mengenbilanzen der weggeworfenen Lebensmittel und könnten konsequent jeden Verschwendungsweg in der Lebensmittelkette abarbeiten und effiziente Lösungs- möglichkeiten finden, sei es die Überlegung, die noch bestehenden Handelsnormen für beispielsweise Äpfel zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16285 (A) (C) (D)(B) überdenken. Wir haben schon diverse Vermarktungsnor- men außer Kraft gesetzt, die etwa festgelegt hatten, dass Gurken nicht krumm sein dürfen. Oder Anpassungen der Verpackungsgrößen an sich verändernde soziodemogra- fische Strukturen, vermehrt Singlehaushalte. Das geht bis hin zum Recycling von nicht mehr zu verwendbaren Lebensmitteln in Biogasanlagen. Sie sehen, die Möglichkeiten der Akteure sind vielsei- tig. Vom Hersteller zum Handel bis hin zum Verbraucher sind alle gefragt und sollten sich angesprochen fühlen. Wenn wir eine gesamtgesellschaftliche Veränderung er- reichen, unseren generellen Zugang zu Lebensmitteln und die entsprechende Wertschätzung von Nahrung überdenken, sind wir unserem Ziel schon ein großes Stück nähergekommen. Wir werden uns weiterhin intensiv mit den Ursachen der Lebensmittelverschwendung und nachhaltigen Lö- sungsmöglichkeiten befassen. Wir haben nur eine Welt mit endlichen Ressourcen. Diese gilt es, effizient zu nut- zen und sie nicht achtlos auf den Müll zu werfen. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Heute geht es um einen Antrag für eine „Strategie gegen Lebensmittel- verschwendung“ von der SPD. Zu bemerken ist hier, dass sich die Bundesregierung schon seit Monaten mit der Ausarbeitung einer solchen Strategie herumplagt. Zwei Mal habe ich Sie innerhalb des letzten Jahres mit- tels meines parlamentarischen Fragerechts danach ge- fragt. Antwort: Sie arbeiten daran. So langsam würden auch wir von der Linken gerne einmal einen Vorschlag von der Regierung sehen. Die SPD verleiht diesem Wunsch der gesamten Opposition nun mit einem Antrag zusätzlich Nachdruck. Sehen Sie, Wien ist nicht weit. Dort gibt es die Uni- versität für Bodenkultur; in der lehren und forschen Abfallwissenschaftler und Abfallwissenschaftlerinnen. Eine von ihnen, Felicitas Schneider, hat in einer Studie wissenschaftlich aufgezeigt, wie es zu Lebensmittelab- fällen kommt und wie sie vermieden werden können. Auf Grundlage dieser Studie hat dann die österreichische Regierung ein Konzept zur Vermeidung von Lebensmit- telabfällen entwickelt. Bei der Mülltrennung war Deutschland einmal Vorrei- ter. Bei Lebensmittelabfällen sind wir völlig rückständig. Warum kommt es zu großen Mengen an Lebensmit- telabfällen? Einige wichtige Gründe hierfür sind, dass Lebensmittelabfälle durch Mängel in der Infrastruktur, bei Lagerung und Transport entstehen, dass Lebensmit- telabfälle durch die – vermeintlichen – Ansprüche der Kunden an die Ware entstehen – Lebensmittel werden bereits von den Händlern vernichtet, wenn ihre optische Erscheinung geringfügig beeinträchtigt ist –, dass des- wegen mancher Landwirt seine Produkte gar nicht mehr vom Acker nimmt. Schließlich kommt es zu Lebensmittelabfällen, weil rund um die Uhr ein Vollsortiment präsentiert werden muss. Oft also werden Lebensmittel als Abfall vernich- tet, die gesundheitlich und geschmacklich noch völlig unbedenklich sind. Abfallvernichtung ist oft auch noch billiger als Abfallvermeidung. Weltweit wird über die Hälfte aller Lebensmittel ver- nichtet. Was dies, zu Ende gedacht, für die Welternäh- rung bedeutet, sollte uns allen klar sein. Da wird es plötzlich sehr absurd, wenn wir aktuell bei der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, von zum Beispiel CDU, CSU, FDP oder dem Bauernverband hören, dass es im Interesse der Welternährung keine 7 Prozent öko- logische Vorrangflächen in der Landwirtschaft Europas geben darf. Meine Damen und Herren von Schwarz- Gelb, wenn weltweit über die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen werden, besteht das Problem bestimmt nicht in 7 Prozent ökologische Vorrangflächen in Europa. Lebensmittelabfälle wird es immer geben. Es ist aber die Frage, wie viele und was mit ihnen geschehen soll. Von der Kompostierung bis zur Energieerzeugung ist hier vieles möglich; vieles wird hier auch schon prakti- ziert. Das ist sinnvoll. Noch sinnvoller ist allerdings die Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Schließlich wer- den Lebensmittel vernichtet, die zuvor unter dem Ein- satz von Ressourcen – Wasser, Dünger, Treibstoff, Ar- beitskraft – produziert worden sind. Diese Ressourcen hätte man besser nutzen können. Hier geht es um Ethik, soziale Gerechtigkeit und ökologisch nachhaltige Pro- duktion, ja um volkswirtschaftliche Vernunft. Doch mit jeder vernichteten Semmel steigt das Brut- toinlandsprodukt. Solange also die Bundesregierung in geradezu religiöser Inbrunst einem Wachstumsbegriff anhängt, der Wirtschaftswachstum auch aus dem Ver- nichten von Lebensmitteln ableitet, so lange kann ich die Bundesregierung nicht ernst nehmen, wenn sie von Nachhaltigkeit redet. Der Fehler liegt im System, darin, dass mit jedem produzierten Lebensmittel Profite erwirt- schaftet werden sollen. Wir sind daher gespannt auf die Strategie der Bundesregierung, wenn sie denn irgend- wann einmal fertig sein wird. Wir sind überzeugt, dass durch strukturelle Veränderungen viel erreicht werden kann. Wir sind auch überzeugt davon, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht möglich ist wenn man sich ignorant zum Dogma des grenzenlosen Wirtschaftswachstums bekennt. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht zuletzt der Film Taste the Waste hat in den letzten Wochen und Monaten zu einer breiten Debatte über die immense Verschwendung von Lebensmitteln in Deutschland und weltweit geführt. Nach Schätzungen der Welthungerhilfe landen bei uns Jahr für Jahr über 20 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von unge- fähr 25 Milliarden Euro auf dem Müll. Mit eingerechnet sind dabei noch nicht einmal die Ausschüsse, die bereits auf dem Feld anfallen – etwa weil die Kartoffeln oder Gurken nicht den zum Teil völlig unsinnigen Schön- heitsidealen des Handels und vieler Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen. Deshalb ist es gut und richtig, diese Debatte jetzt breit in der Gesellschaft zu führen. Auch die von Bundes- ministerin Aigner lange angekündigte Studie ist an sich 16286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) zu begrüßen; denn exakte Daten zum Ausmaß der Le- bensmittelabfälle auf den unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette liegen für Deutschland noch nicht vor. Hier hat es Frau Aigner mal wieder verschlafen, sich rechtzeitig um diese so entscheidende Problematik zu kümmern. Andere Länder wie Österreich oder Großbri- tannien sind uns bereits weit voraus. Daten wurden dort schon lange erhoben, und es wurden konkrete Lösungs- ansätze zur Eindämmung der Verschwendung in Angriff genommen. Davon ist Ministerin Aigner noch weit ent- fernt. Darüber, wie und mit welchen Maßnahmen die Le- bensmittelabfälle verhindert oder zumindest verringert werden sollen, hüllt sich Frau Aigner in Schweigen und kann selbst auf Nachfrage keine Antwort geben. Konkrete Schritte sind aber bereits heute notwendig. Die einzig bisher sichtbare Leistung Frau Aigners ist das Einrichten des Internetseite „Jedes Mahl wertvoll“, auf der man „wertvolle Haushaltstipps“ bekommt. Das ist ganz schön schwach und legt überdies den Verdacht nahe, dass Frau Aigner die Verantwortung mal wieder gänzlich den Verbrauchern zuschieben und sich aus ihrer politischen Verantwortung stehlen will. Gezielte Ver- braucheraufklärung ist wichtig und auch im Bereich der Lebensmittelverschwendung unabdingbar, aber hier macht es sich Frau Aigner zu einfach. Auch die Politik von Schwarz-Gelb ist in erheblichem Ausmaß Mitschuld an unserem Umgang mit Lebensmit- teln. Vor allem bei der Fleischproduktion, aber auch in anderen Bereichen, setzt die Bundesregierung noch im- mer auf Masse statt Klasse und auf billige Massenpro- duktion. Die Überproduktion von Lebensmitteln hat System und das Wegwerfen von Lebensmitteln ist einge- plant. Davon müssen wir weg. Frau Aigners Appell für eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln verpufft, wenn sie nicht selbst politische Konsequenzen zieht. Was wir brauchen ist eine stärkere Förderung der nach- haltigen Lebensmittelerzeugung, eine Stärkung regiona- ler Wirtschaftskreisläufe und des Biolandbaus. Dazu gehört auch eine ehrliche Preisstruktur. Die hoch subventionierte industrialisierte Lebensmittel- erzeugung hat massive negative Auswirkungen auf un- sere Umwelt und die Gesundheit von Menschen und Tie- ren. Viele Produkte werden eher weggeworfen, weil sich aussortieren oder eine Prozessoptimierung bei den gerin- gen Preisen nicht lohnt. Deshalb brauchen wir Preise, die die Wahrheit sagen. Die negativen Auswirkungen müs- sen sich im Preis widerspiegeln und so einen Anreiz bie- ten für den Kauf nachhaltiger Produkte und die Vermei- dung von Verschwendung. Dadurch wird auch die Wertschätzung von Lebensmitteln wieder gestärkt. Auch im Bereich der Handels- und Qualitätsnormen ist Frau Aigner gefragt. Viele Produkte, die rein äußer- lich nicht den Idealvorstellungen von Handel oder Ver- brauchern entsprechen, werden weggeworfen. Dabei sind sie qualitativ einwandfrei und für alternative Ver- marktungszwecke – wie zum Beispiel zu kleine Karotten oder Äpfel als Kindersnacks – ideal geeignet. Hier for- dere ich Frau Aigner auf, einen Innovationswettbewerb auszurufen, um die unnötigen Abfälle bei der Lebens- mittelerzeugung kreativ zu verringern. Das zeigt, die Debatte darf sich nicht nur auf das Min- desthaltbarkeitsdatum beschränken. Hier gibt es erhebli- chen Aufklärungsbedarf darüber, was der Begriff meint, aber auch darüber, wie lange die Produkte tatsächlich haltbar und verwendbar sind. Die Verbraucherforschung und Aufklärung muss deutlich gestärkt werden. Gute Er- nährungsbildung fängt bereits in der Schulzeit an und muss in die Lehrpläne integriert werden. NRW geht un- ter grüner Regierungsbeteiligung mit gutem Beispiel vo- ran. So hat NRW bereits einen Runden Tisch einberufen, um gemeinsam mit Lebensmittelerzeugern, Verarbei- tung, Handel, Wissenschaft und Verbrauchern Maßnah- men zur Verhinderung der Lebensmittelverschwendung zu entwickeln. Daran muss sich die Bundesregierung ein Beispiel nehmen. Nur Daten zu ermitteln ist nicht genug. Um die immense Verschwendung von Lebensmitteln auf allen Stufen der Wertschöpfungskette in den Griff zu be- kommen, brauchen wir ein integratives Konzept. Das muss Frau Aigner vorlegen – und zwar schnellstmög- lich. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG) (Ta- gesordnungspunkt 23) Olav Gutting (CDU/CSU): Im Umsetzungsgesetz zur Beitreibungsrichtlinie transformieren wir nicht nur die EU-Richtlinie über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Ab- gaben und sonstige Maßnahmen in unser nationales Recht, sondern setzen auch gleichzeitig notwendigen und unaufschiebbaren steuerlichen Änderungsbedarf in einigen Bereichen des Steuerrechts um. Der erste Halbsatz im Namen dieses Gesetzes mag täuschen, aber wir setzen mit diesem Gesetz im steuerli- chen Bereich nicht nur technische Änderungen, sondern auch bedeutsame steuervereinfachende und deshalb für jeden Bürger spürbare Regelungen um. Ein Beispiel hierfür ist ELStAM. Mit der Einführung der elektronischen Lohnsteuermerkmale können die jähr- lich circa 40 Millionen Papierlohnsteuerkarten endgültig entfallen. Bereits seit diesem Jahr stellen die Gemeinden keine Lohnsteuerkarten mehr aus, sodass die letzten, der- zeit noch gültigen, Papierlohnsteuerkarten aus dem Jahr 2010 stammen. Eins ist klar: Der Wegfall der Lohnsteuerkarte und die elektronische Übermittlung der Lohnsteuerabzugsmerk- male und deren Änderungen zwischen Finanzverwaltung und Arbeitgebern führen zu einer deutlichen Bürokratie- entlastung aller Beteiligten. Medienbrüche durch die Übertragung elektronisch gespeicherter Daten auf die Papierlohnsteuerkarte und die damit verbundene Fehler- quelle gehören damit der Vergangenheit an. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16287 (A) (C) (D)(B) Der von uns eingeschlagene Weg zur Vereinfachung und Entbürokratisierung unseres Steuerrechts wird mit den ELStAM-Regelungen konsequent fortgesetzt. Auch die Erhebung der Kirchensteuer auf die der Ab- geltungsteuer unterliegenden Kapitalerträge wird enorm vereinfacht und automatisiert. Den besonderen datenschutzrechtlichen Gegebenhei- ten hinsichtlich der Religionszugehörigkeit haben wir im Gesetzgebungsverfahren besondere Aufmerksamkeit zu- kommen lassen. Auch wenn die Kreditinstitute zukünf- tig einmal im Jahr elektronisch beim Bundeszentralamt für Steuern den Kirchensteuersatz des Steuerpflichtigen abfragen können, so muss kein Steuerbürger befürchten, seine Religionszugehörigkeit gegenüber den Banken und Versicherungen offenlegen zu müssen. Wir haben sichergestellt, dass jeder Bürger den Abruf der Daten zur Religionszugehörigkeit durch einen Sperr- vermerk beim Bundeszentralamt für Steuern widerspre- chen kann. Die Institute bekommen dann nur eine nicht verwertbare Nullmeldung. Man kann also festhalten, dass mit dem nunmehr ge- fundenen Verfahren alle Beteiligten zufrieden sind: die kirchensteuerabführenden Banken und Versicherungen, die Kirchen und nicht zuletzt der Datenschutzbeauf- tragte. Nachbesserungen waren auch bei der Riester-Rente notwendig. Zukünftig wird es Rückerstattungsansprüche der Zulagenstelle gegenüber dem mittelbar zulagebe- rechtigten Ehegatten – wie in der jüngsten Vergangen- heit aufgrund eines Wechsels des Zulagestatus gesche- hen – nicht geben, da wir für diesen einen eigenen Mindestbeitrag in Höhe von 60 Euro jährlich festschrei- ben. Wir wollten jedoch auch für die bisherigen Rückfor- derungsfälle eine sachgerechte und vor allem aber einfa- che Lösung. Wir haben daher die Möglichkeit der Nach- zahlung von Altersvorsorgebeiträgen geschaffen. Die Zulagenstelle soll insoweit möglichst bis zum 31. Januar 2012 die Nachzahlungsfälle ermitteln und diese den je- weiligen Anbietern der Altersvorsorgeverträge übermit- teln, damit diese ihre Kunden über die Nachzahlungs- möglichkeit informieren können. Die Beratungen haben gezeigt, dass ein solches Ver- fahren unnötigen administrativen Aufwand vermeidet und im Sinne aller Verfahrensbeteiligten zu einer einfa- chen Abwicklung der Nachzahlung führt. Wiederum ein Beitrag, unser schon komplexes und schwieriges Steuer- system nicht noch weiter zu verkomplizieren. Nachzahlungsberechtigt ist nur derjenige Personen- kreis, welcher annahm, mittelbar zulagenberechtigt zu sein, obwohl diese Personen unmittelbar zulagenberech- tigt waren. Mit dem vorliegenden Gesetz hat die Regierungsko- alition zudem die Möglichkeit genutzt, sich zur Absetz- barkeit von Ausbildungskosten zu positionieren und die bisherige, vom Gesetzgeber gewollte Rechtslage im An- schluss an eine BFH-Rechtsprechung klarzustellen. Wir wollen weiterhin, dass Berufsausbildungskosten für eine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt, vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind. Bei dieser Entscheidung haben wir uns vor allem von einem zu vermeidenden erheblichen administrativen Verwaltungsaufwand und den nicht zu verantwortenden Steuerausfällen von über 1 Milliarde Euro leiten lassen. Von Bedeutung ist aber auch, dass die vielen Tausend Studierenden, die ihr Studium durch Nebentätigkeiten selbst finanzieren müssen, von der BFH-Rechtsprechung regelmäßig sowieso nicht profitiert hätten, weil deren Ausbildungskosten jährlich mit den Einnahmen aus den Nebentätigkeiten verrechnet werden, ohne dass sich ein besonderer steuerlicher Vorteil ergibt. Festzuhalten ist, dass das vorliegende Gesetz in we- sentlichen Punkten Erleichterungen und Vereinfachun- gen für die Steuerbürger und Verwaltung bringt und al- leine deshalb zu begrüßen ist. Abschließend bedanke ich mich bei den Berichterstat- tern in der Koalition und auch Opposition für die um- fangreiche, aber letztendlich immer gute, faire und ziel- orientierte Zusammenarbeit. Antje Tillmann (CDU/CSU): Das „Gesetz zur Um- setzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ ist nach dem Steuervereinfa- chungsgesetz das zweite große Steuergesetz in diesem Jahr, mit dem wir das Steuerrecht sowohl für die Steuer- pflichtigen als auch für die Verwaltung vereinfachen. Insbesondere kommt das digitale Zeitalter sukzessive in allen Teilen des Steuerrechts an. Auch das Abstim- mungsverhalten der Oppositionsfraktionen im Finanz- ausschuss zeigt, dass es an diesem Gesetzentwurf nicht viel zu kritisieren gibt. Denn in diesem federführenden Ausschuss hat sich die Opposition gestern enthalten. A. Kindergeld Bundesfreiwilligendienst Zum 1. Juli hat der Bundesfreiwilligendienst den als Alternative zum bisherigen Wehrdienst bestehenden Zi- vildienst abgelöst. Bisher steht allerdings noch keine Re- gelung im Bundesgesetzblatt, die die Frage des Kinder- geldbezugs aufgreift. Wir werden nun eine Regelung in Kraft setzen, mit der das Problem der fehlenden Kinder- geldberechtigung von jungen Menschen bis 25 Jahre, die den neuen Dienst ableisten, beseitigt wird. Damit wird der Bundesfreiwilligendienst künftig gleichberechtigt neben dem Freiwilligen Sozialen Jahr und dem Freiwilli- gen Ökologischen Jahr sowie den Internationalen Ju- gendfreiwilligendiensten, für die wir die Kindergeldbe- rechtigung rückwirkend zum 1. Januar einführen, stehen. Bei der Frage des Zugangs zum Familienleistungsaus- gleich kommt es nun also nicht mehr darauf an, welchen Freiwilligendienst der oder die Jugendliche ableistet. Selbstverständlich hätte ich mir eine sehr viel schnel- lere Lösung an diesem Punkt gewünscht, um so für alle seit Jahresmitte angetretenen Freiwilligen unmittelbar von Beginn an Rechtssicherheit zu gewährleisten. Eine Regelung bereits im Steuervereinfachungsgesetz war im damaligen Verfahren nicht möglich. Aufgrund des erst 16288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) vor einem Monat abgeschlossenen Vermittlungsverfah- rens stünde die Regelung zum Kindergeld aber ohnehin noch gar nicht im Gesetzblatt. Das Steuervereinfa- chungsgesetz ist bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verkündet worden. Die Regelung zum Kindergeldbezug beim Bundes- freiwilligendienst wird nun aber rückwirkend zum Be- ginn des Bundesfreiwilligendienstes in Kraft treten. Da- mit können wir sicherstellen, dass alle in Betracht kommenden Anspruchsberechtigten, die bereits seit Juli im Bundesfreiwilligendienst tätig sind, auch tatsächlich in den Familienleistungsausgleich einbezogen werden. Die seit Juli bestehende Regelungslücke beim Kin- dergeld konnte das Bundesfinanzministerium durch eine Verwaltungsanweisung an die Familienkassen ausfüllen und damit zumindest Planungssicherheit schaffen. Die Familienkassen haben Kindergeldanträge von Freiwilli- gendienstleistenden seitdem von der Bearbeitung zurückgestellt und werden diese erst dann wieder auf- nehmen, wenn die rückwirkende Neuregelung im Bun- desgesetzblatt steht. Damit haben wir verhindert, dass Kindergeldanträge nur deshalb abgelehnt werden müs- sen, weil noch keine Rechtsgrundlage für die Zahlung des Kindergelds existiert. Sobald die Neuregelung in Kraft tritt, können die aufgelaufenen Anträge bearbeitet und das Kindergeld an die Anspruchsberechtigten ausge- zahlt werden. Damit wird sich auch die oft in Zweifel gezogene Anzahl von Bewerbern für den Bundesfreiwil- ligendienst weiter erhöhen, was nur zu begrüßen ist. B. Kirchensteuer Wir vereinfachen das Verfahren des Kirchensteuerab- zugs bei Kapitalerträgen, indem wir ab dem Jahr 2013 ein automatisiertes Kirchensteuerabzugsverfahren ein- führen. Wir entschlacken das Verfahren von Bürokratie. Hierdurch verbessert sich die Situation für alle Beteilig- ten enorm. Es geht darum, Banken, Kirchen und Steuer- pflichtige von einem äußerst bürokratischen Übergangs- verfahren nach Einführung der Abgeltungsteuer zu befreien, das gleichzeitig den Erfordernissen des Daten- schutzes Rechnung trägt. Das Kreditinstitut fragt künftig beim Bundeszentral- amt für Steuern den Kirchensteuersatz des Steuerpflich- tigen ab und führt die Kirchensteuer zusammen mit der Abgeltungsteuer an das Finanzamt ab. Die Kirchen er- halten die Kirchensteuer schneller und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von einer größeren Anzahl an Kir- chensteuerpflichtigen. Denn der Steuerpflichtige muss nicht mehr selbst aktiv werden und einen Antrag bei sei- ner Bank stellen oder später seine Kapitalerträge in der Steuererklärung angeben, um Kirchensteuer zahlen zu dürfen. Kirchensteuer wird vielmehr grundsätzlich auto- matisch abgeführt. Dazu fragt die Bank den jeweils für den Kunden maßgebenden Kirchensteuersatz beim Bun- deszentralamt für Steuern ab. Es werden also grundsätz- lich auch diejenigen erfasst, die heute bei ihrer Bank kei- nen Kirchensteuereinbehalt beantragen und auch keinen Antrag auf Veranlagung stellen; eine große Verbesserung zum heutigen Zustand. Hier beginnen aber auch die Vorteile für den Steuer- pflichtigen. Er muss nicht mehr aktiv den Kirchensteuer- abzug bei seiner Bank beantragen. Möchte der Kirchen- steuerpflichtige allerdings verhindern, dass seine Bank über die Höhe der abzuführenden Kirchensteuer auf seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsge- meinschaft schließen kann, hat er die Möglichkeit, beim Bundeszentralamt für Steuern einen Sperrvermerk set- zen zu lassen. Dann führt nicht die Bank die Kirchen- steuer ab. Vielmehr ist der Steuerpflichtige verpflichtet, sich über die Höhe der abgeltend abgeführten Kapitaler- tragsteuer zur Kirchensteuer veranlagen zu lassen. Es bleibt ihm selbstverständlich unbenommen, sich über die Günstigerprüfung einkunftsartenübergreifend zur Kir- chensteuer veranlagen zu lassen. C. Istbesteuerung Der Bundesrat hatte zudem beantragt, die umsatzsteu- erliche Istbesteuerung für kleine und mittlere Unterneh- men bis zu 500 000 Euro Umsatz um ein Jahr über 2011 hinaus zu verlängern. Diese Erleichterung war mittel- ständischen Unternehmen als Folge der weltweiten Fi- nanz- und Wirtschaftskrise bundesweit gewährt worden und leistet einen signifikanten Beitrag zur Liquiditätssi- cherung. Mit der Istbesteuerung haben Unternehmen die Möglichkeit, die Umsatzsteuer erst nach Begleichung der Rechnung durch den Leistungsempfänger ans Fi- nanzamt abzuführen. Würde die jetzige Regelung zum Ende des Jahres auslaufen, fiele die Grenze bundesweit von 500 000 Euro auf 250 000 Euro zurück. Bei der dann geltenden Sollbesteuerung erhält das Fi- nanzamt die Steuer bereits bei Leistungserbringung. Der Unternehmer muss also in Vorleistung treten und riskiert dabei seine gerade bei kleinen Unternehmen oft lebens- wichtige Liquidität. Ein kleines Unternehmen, das zu- nächst Material und Umsatzsteuer vorfinanzieren muss, und dies möglicherweise auf Kredit, wird sich sehr ge- nau überlegen, ob es sich „leisten“ kann, einen Großauf- trag anzunehmen. Dem Anliegen des Bundesrats sind wir noch schneller und weitergehend nachgekommen, als dieser es bean- tragt hat. Der Bundestag hat der dauerhaften Entfristung der Regelung zur Istbesteuerung in der vergangenen Wo- che einstimmig zugestimmt. Die Möglichkeit der Istbe- steuerung hätte ohne diesen Beschluss ab 2012 vielen mittelständischen Unternehmen nicht mehr zur Verfü- gung gestanden. Der Vorschlag des Bundesrats, die Regelung erneut lediglich um ein Jahr zu verlängern, hätte aber nur dann Sinn gemacht, wenn die Situation sich innerhalb eines Jahres so verändern würde, dass eine nochmalige Ver- längerung der Regelung nicht mehr ratsam wäre. Ich sehe aber nicht, was in Zeiten zurückgehender Wachs- tumsraten dann genau dafür sprechen sollte. Deshalb ha- ben sich auch alle Sachverständigen in der Anhörung und sämtliche Fraktionen des Bundestags für die dauer- hafte Verlängerung der Istbesteuerung ausgesprochen. Ohne die jetzt gefundene Lösung wäre auch die 2007 erfolgte Anhebung der Grenze der Buchführungspflicht auf einen Umsatz von mehr als 500 000 Euro Makulatur. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16289 (A) (C) (D)(B) Die dadurch erreichten Einsparungen an Bürokratiekos- ten in den Unternehmen würden in ihr Gegenteil ver- kehrt, wenn die Unternehmen wegen einer Absenkung der Istbesteuerungsgrenze bei der Umsatzsteuer doch ge- zwungen wären, eine Buchführung zu installieren. Aufgrund der Einigung auf ein verkürztes Verfahren wird der Bundesrat nun bereits Anfang November über die Vorlage zur Istbesteuerung entscheiden. Damit er- möglichen wir unseren mittelständischen Unternehmen frühzeitig Rechts- und Planungssicherheit. D. Zerlegungmaßstab Gewerbesteuer Der Bundesrat hat vorgeschlagen, den besonderen Zerlegungsmaßstab in der Gewerbesteuer, der bislang nur für Windkraftanlagen gilt, auch auf Photovoltaikan- lagen auszudehnen. Damit soll erreicht werden, dass nicht nur die Sitzkommune des Unternehmens von der Gewerbesteuer profitiert, sondern auch die Gemeinde, in der sich die Anlagen befinden. Die Anzahl und das Tempo von Baugenehmigungen könnte hierdurch erhöht werden. Die energiepolitische Notwendigkeit hält das Bun- desumweltministerium allerdings für fraglich. Im Jahr 2009 hatten wir einen Zubau von 3 800 Megawatt zu verzeichnen, 2010 sogar von 7 400 Megawatt. Das liegt deutlich über dem vom Erneuerbare-Energien-Gesetz angestrebten Ausbauziel von 3 500 Megawatt. Wir wollen die Anregungen des Bundesrats daher in einem der nächsten Gesetzgebungsverfahren zuerst prü- fen. Dabei sollten wir uns allerdings nicht nur auf Photo- voltaikanlagen beschränken, sondern die Regelung zum gewerbesteuerlichen Zerlegungsmaßstab in ihrer Ge- samtheit einer Prüfung unterziehen. Denn es wäre wenig sinnvoll, wenn der dann noch weiter fortschreitende Zu- bau an Photovoltaikanlagen zu einer noch schnelleren und erheblicheren Reduzierung der Einspeisevergütung führt. Bei einer einseitigen Konzentration auf die Photo- voltaik müssten wir den Bürgern wie auch den Unter- nehmen zudem erklären, weshalb beispielsweise Biogas- anlagen oder auch Flughäfen, die eine ähnliche oder sogar größere Lärmbelästigung für die Anwohner bedeu- ten als Windkraftanlagen, nicht in den besonderen Zerle- gungsmaßstab einbezogen werden sollen. E. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen Ich bin auch froh, dass bei den Sonderbedarfs-Bun- desergänzungszuweisungen zum Ausgleich der Sonder- lasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit eine einver- nehmliche Regelung getroffen werden konnte. Diese Zuweisungen wurden mit den Arbeitsmarktre- formen von 2003 eingeführt. Mit der Reform sollten die Kommunen bundesweit um 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Der Bund finanziert seitdem das Arbeitslosen- geld II. Die Kommunen werden dadurch von den Sozial- hilfeausgaben der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger entlastet. Die Kommunen finanzieren im Gegenzug die Kosten der Unterkunft der Hartz-IV-Empfänger, wobei sich der Bund quotal an der Finanzierung beteiligt. Da die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den neuen Län- dern aufgrund der ostdeutschen Erwerbsbiografien ver- hältnismäßig gering war, war eine weitere finanzielle Unterstützung der ostdeutschen Kommunen erforder- lich, um die zugesagte Entlastung zu erreichen. Deshalb erhalten die ostdeutschen Länder seitdem die sogenann- ten Hartz-IV-Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuwei- sungen. Die Höhe wurde im Ergebnis einer Bilanzbe- trachtung der Be- und Entlastungswirkungen der Hartz-IV-Reform für die Kommunen in den einzelnen Ländern ermittelt. Sie wurde zunächst auf 1 Milliarde Euro festgelegt und wird alle drei Jahre überprüft. Glücklicherweise sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland mittlerweile nicht mehr so immens, sodass die Höhe von 1 Milliarde Euro in der neuen Berechnung nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Zur Berechnung der Mittel hat sich eine Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz nun auf das sogenannte Relations-Modell verständigt. Demnach ergibt sich für die Jahre 2011, 2012 und 2013 ein jährlicher Anspruch in Höhe von 807 Millionen Euro. Für das Jahr 2011 wurde eine Überzahlung von 193 Millionen Euro ermit- telt, die in den Jahren 2012 und 2013 zu gleichen Teilen verrechnet werden soll. Das heißt, in den Jahren 2012 und 2013 werden nur jeweils 710,5 Millionen Euro ge- zahlt. Damit haben wir im Ergebnis einen tragfähigen Kom- promiss zwischen den Interessen der westdeutschen und der ostdeutschen Länder. Die Verständigung auf eine objektive Prüfmethode gibt den neuen Ländern hinsicht- lich der Hartz-IV-Sonderbedarfs-Bundesergänzungszu- weisungen Planungssicherheit bis zum Auslaufen des Fi- nanzausgleichsgesetzes im Jahr 2020. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Bei- treibungsrichtlinie und zur Änderung steuerlicher Vor- schriften. Der Titel des Regierungsentwurfs verschleiert etwas; dass wir genau genommen eigentlich zwei Ge- setze debattieren, die inhaltlich auf den ersten Blick we- nig miteinander zu tun haben – auf den zweiten übrigens auch nicht. Das Umsetzungsgesetz zur Anpassung der bestehen- den Regelungen zur Amtshilfe zwischen Finanzverwal- tungsbehörden innerhalb der EU bei Fragen der Beitrei- bung von Steuern und Abgaben umfasst Art. 1 des Gesetzentwurfs; der Rest von Art. 2 bis Art. 22 ist quasi ein Jahressteuergesetz 2011 in Verkleidung, das zahlrei- che Änderungen in unterschiedlichen Bereichen des Steuerrechts zusammenfasst und dabei auf europarecht- liche und innerstaatliche Entwicklungen, Entscheidun- gen der Finanzgerichtsbarkeit oder Anregungen aus der Finanzverwaltung von Bund und Ländern eingeht und Anpassungen an sich ändernde Rechtslagen vornimmt. Die Bundesregierung verpackt eine Vielzahl unter- schiedlicher, isolierter Rechtsänderungen in einem einzi- gen Gesetz, wie sie das in ähnlicher Weise schon beim sogenannten Steuervereinfachungsgesetz getan hat. Viel- leicht wollte sie sich und uns Parlamentariern damit die umfangreichen Beratungen eines eigenen Jahressteuer- gesetzes ersparen. Man kann es dem Kollegen Gutting 16290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) sicher nicht verdenken, wenn er das Gesetz in den parla- mentarischen Beratungen versehentlich als Jahressteuer- gesetz bezeichnet hat. Vielleicht wollte die Regierungs- koalition – was ich eher vermute – die an und für sich schon im Bundesrat zustimmungspflichtige Umsetzung der europäischen Beitreibungsrichtlinie einfach um ei- nen ganzen Strauß zustimmungspflichtiger Vorhaben an- reichern und dadurch ein weiteres aufwendiges Verstän- digungsverfahren mit den Bundesländern vermeiden. Jedenfalls sorgt die Regierung damit für eine deutliche Zunahme an Komplexität und Umfang des Gesetzes. Gleichzeitig haben Bundesregierung und Koalitions- fraktionen allerdings den Zeitraum, den wir für eine se- riöse Beschäftigung mit dem Gesetz benötigen, auf den letzten Metern stark „eingedampft“. Die späte Vorlage von Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen und die schwierige koalitionsinterne Abstimmung zwischen der CDU, der CSU und der FDP haben unsere Arbeit ebenfalls nicht leichter gemacht. Ich danke deshalb an dieser Stelle den Fachbeamten des Bundesfinanzministe- riums, die in zwei Fachgesprächen mit den zuständigen Berichterstattern der Fraktionen dem hohen Beratungs- und Aufklärungsbedarf gerecht zu werden versuchten, sowie den Sachverständigen für ihre schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zur Anhörung. Eigentlich müsste ich eine ausreichende Beratungs- zeit nicht ausdrücklich erwähnen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Angesichts unserer schlechten Erfahrungen mit vielen Gesetzentwürfen, die in der Ver- gangenheit von Schwarz-Gelb unter hohem Zeitdruck und in eigentlich in fast unverantwortlicher, unseriöser Art und Weise verkürzten Beratungsfristen durch das ge- setzgeberische Verfahren gepresst wurden, scheint mir dieser Hinweis leider erforderlich. Ich erinnere in die- sem Zusammenhang etwa an die finanziellen Rettungs- maßnahmen für Mitgliedstaaten der Euro-Zone oder die Kehrtwende der Bundeskanzlerin in Sachen Energiepoli- tik. Hier wurden Beschlüsse des Bundestages gefasst, deren politische, soziale, wirtschaftliche Bedeutung fast schon umgekehrt proportional zur Dauer und Tiefe der Beschäftigung des Gesetzgebers damit war. Es wäre für die öffentliche Wahrnehmung der Koali- tion und ihres Verständnisses der Einbindung aller Frak- tionen in die gesetzgeberische Arbeit ein schlechtes Zei- chen, wenn der hektische Umgang mit Verfahrensregeln und eine gezielte, schleichende Überlastung der Aus- schussberatungen – mehr Arbeit, weniger Zeit – zum dauerhaften Makel schwarz-gelber Parlamentsarbeit würde. Mit Blick auf diese Entwicklungen befürchte ich, dass die zahlreichen Mahnungen von Bundestagspräsi- dent Dr. Norbert Lammert an die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen wenig dazu bei- tragen konnten, das Bewusstsein für die zeitlichen, mate- riellen, organisatorischen Voraussetzungen guter gesetz- geberischer Arbeit wieder stärker zu achten. Man kann daher fast schon froh sein, dass die Bun- desregierung auf ihr ursprüngliches Vorhaben verzichtet, das Umwandlungssteuerrecht im „Schnelldurchlauf“ an die EU-Vorgaben zur Entflechtung vertikal integrierter Energieversorger anzupassen – eine wichtige Weichen- stellung für den steuerlichen Handlungsrahmen deut- scher Energieversorgungsunternehmen. Diese Regelung war schon in das – mittlerweile im Bundesrat geschei- terte – Fördergesetz für die energetischen Gebäudesanie- rung „hineingemogelt“ worden, ohne dass hierfür eine sachliche Rechtfertigung bestanden hätte, geschweige denn ausreichender Beratungsbedarf eingeräumt worden wäre. Die vorgesehene Einführung einer steuerlichen Teil- betriebsfiktion als Voraussetzung für eine steuerneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern im Zuge der Ent- flechtung von Netz und Betrieb ist allerdings ein kom- plexes, folgenreiches Unterfangen. Wir können im parla- mentarischen Verfahren daher auf ausreichende Beratung und Diskussion nicht verzichten. Es ist erfreu- lich, wenn die Koalitionsfraktionen ihren Fehler nicht wiederholt und die Anpassung im Zuge einer umfassen- den Neuregelung des Unternehmensteuerrechts – wo sie hingehört – ankündigt. Wir dürfen auf die Einbindung aller Bundestagsfraktionen in diese Beratungen gespannt sein. Zurück zum heute abschließend zu beratenden Ge- setzentwurf. Die SPD-Bundestagsfraktion enthält sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme, auch wenn wir wichtige Zielsetzungen des Ge- setzes unterstützen, etwa die Verbesserung der grenz- überschreitenden Amtshilfe bei der Beitreibung von Steuern und Abgaben und die „Heilung“ der Schutzlü- cke für mittelbar zulageberechtigte Personen im Rahmen der steuerlich geförderten Altersvorsorge, Riester-Rente, durch einen Mindestbeitrag von 60 Euro pro Jahr und die Einrichtung einer Nachzahlungsmöglichkeit. Wir haben auch den von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Änderungsanträgen zugestimmt, die viele Anregungen des Bundesrats aufgegriffen haben. Manche dieser Änderungen greifen Verbesserungsvorschläge auf, die wir während der parlamentarischen Beratungen mit eigenen Anträgen dokumentiert haben. Dabei denke ich etwa an die Schließung von Gestaltungsmöglichkei- ten bei der Schenkungsteuer, die zulasten der Einnahmen der Bundesländer gingen. Ich werde auf diesen Punkt später zurückkommen. Für eine Zustimmung zum Ge- setzentwurf hatten wir allerdings auf ein Entgegenkom- men von CDU, CSU und FDP an einer Stelle gehofft, die uns sehr wichtig ist. Leider hat die koalitionsinterne Un- einigkeit hier einen Kompromiss verhindert. Wir haben eine Anregung des Bundesrats aufgegrif- fen und eine Regelung zur gewerbesteuerlichen Zerle- gung bei Photovoltaikanlagen vorgeschlagen. Die bis- herige Rechtslage bedarf aus umwelt- und energiepolitischen Gründen dringend der Verbesserung. Der Zerlegungsmaßstab „Arbeitslöhne“, § 29 Gewerbe- steuergesetz, benachteiligt die Standortgemeinden, in denen Photovoltaikanlagen betrieben werden. Sie erhal- ten in der Regel keinen Zerlegungsanteil aus den Gewer- besteuereinnahmen, da dort keine Arbeitnehmer des Un- ternehmens beschäftigt sind. Die Einnahmen fließen meist in die Gemeinden, in der das Unternehmen seinen Geschäftssitz hat. Wir beobachten, dass diese struktu- relle Nichtberücksichtigung der Standortgemeinden ihre Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16291 (A) (C) (D)(B) Bereitschaft bremst, Flächen für Photovoltaikanlagen auszuweisen, aber auch die mit dem Bau und Betrieb entsprechender Anlagen einhergehenden Beeinträchti- gungen zu tragen. Mit unserem Vorschlag zur Änderung des Gewerbe- steuergesetzes wollen wir daher die Standortgemeinden stärker an den Einnahmen beteiligen. In Anlehnung an den Zerlegungsmaßstab für Windkraftanlagen sollte der Gewerbesteuermessbetrag bei Photovoltaikanlagen zu drei Zehnteln nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und zu sieben Zehnteln nach dem Verhältnis fertiggestellter Sachanlageinvestitionen – ohne Betriebs- und Ge- schäftsausstattung – aufgeteilt werden. Bedauerlicherweise hat Schwarz-Gelb die Gelegen- heit verpasst, sich unserem Vorschlag zum Abbau steu- erlicher Hürden anzuschließen und damit die weitver- breiteten – und offensichtlich begründeten – Zweifel an ihrem Bekenntnis zur Förderung umweltfreundlicher Energieerzeugung zu zerstreuen. Stattdessen konnte sich die Regierung lediglich dazu durchringen, eine Prüfung des Vorschlags in Aussicht zu stellen. Man beabsichtige dabei, nicht einzelne Energieformen zu nennen, sondern eine abstrakte Regelung für alle Energieformen zu fin- den. Mir ist allerdings nicht ganz klar, wo genau weiterer Prüfbedarf besteht; das Ziel „ressourcenschonende, um- weltfreundliche Energieerzeugung“ ist klar, die steuerli- chen Instrumente liegen auf dem Tisch. Worauf wartet die Regierung? Ich habe den Eindruck, die vollmundig angekündigte „Energiewende“ ist ein eher lauwarmes Zugeständnis an die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung als ein echtes, ernstzunehmendes Bekenntnis für mehr Energieeffizienz und Umweltschutz. Auch die Beseitigung von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Schenkungsteuer in sogenannten Konzernfällen ist den Koalitionsfraktionen leider nur halbherzig gelun- gen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf Lücken im Erbschaft- und Schen- kungsteuerrecht hingewiesen, durch die die Steuerpflicht von Zuwendungen zwischen einander nahestehenden Personen innerhalb einer Kapitalgesellschaft, soge- nannte Einlagefälle, oder zwischen Kapitalgesellschaf- ten innerhalb eines Konzerns, sogenannte Konzernfälle, umgangen werden kann. Im Ergebnis gehen den Bun- desländern damit wichtige Steuereinnahmen verloren, und die rechtliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichti- gen leidet. Der Änderungsantrag der SPD-Bundestags- fraktion sah daher vor, diese Schlupflöcher zu schließen und freigebige, disquotale Einlagen und bestimmte ver- deckte Gewinnausschüttungen zwischen Kapitalgesell- schaften künftig der Schenkungsteuer zu unterwerfen, soweit es dadurch zu einer Vermögensverschiebung zwi- schen den Beteiligten an der Gesellschaft kommt. Diese Regelung erfasst beispielsweise Einlagekon- stellationen, in denen ein Vater eine Einlage in eine Ka- pitalgesellschaft einbringt, an der sein Sohn – mittel- oder unmittelbar – beteiligt ist. Bislang stellt der Vermö- gensvorteil, der dem Sohn durch die damit verbundene Wertsteigerung seines Gesellschaftsanteils entstand, keine freigebige Zuwendung dar und unterlag somit nicht der Steuerpflicht. Eine direkte Schenkung zwi- schen Vater und Sohn ist hingegen steuerpflichtig. Im Ergebnis ist die „Umleitung“ einer beabsichtigten Schenkung über eine Kapitalgesellschaft bislang ein gern genutztes „Hintertürchen“ zur Umgehung der Steu- erpflicht. Von diesem Gestaltungsmotiv müssen wir auch deshalb ausgehen, da unter fremden Dritten über- proportionale Einlagen in der Regel mit gesellschafts- vertraglichen Zusatzklauseln versehen werden, die für den einlegenden Gesellschafter gewährleisten, dass seine überproportionale Einlage nicht zu einer endgülti- gen Vermögensverschiebung zugunsten der Mitgesell- schafter führt. Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion folgt für Konzernfälle der Zielsetzung, zum einen Steuerumge- hung wirksam zu unterbinden, gleichzeitig aber unge- rechtfertigte Belastungen für „echte“, nicht steuergestal- terisch eingesetzte Vermögensübertragungen im Zuge verdeckter Gewinnausschüttungen zwischen Konzernge- sellschaften zu vermeiden. Unser Vorschlag ist dabei umfassender und präziser als die von der Koalition ge- troffene Regelung und erweist sich dabei als weniger ge- staltungsanfällig und interpretationsbedürftig. Für Kon- zernfälle, das heißt Vermögensverschiebungen zwischen Kapitalgesellschaften innerhalb einer Konzernstruktur, sahen unsere Überlegungen vor, diese als freigebige – und damit steuerpflichtige – Zuwendungen einzustu- fen, soweit sie nicht betrieblich veranlasst sind und so- weit an den Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittel- bar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen beteiligt sind. Wenn also beispielsweise eine Konzern- mutter ihrer Tochtergesellschaft ein Grundstück über- trägt und dies aus betriebswirtschaftlicher Blickrichtung sinnvoll und nachvollziehbar ist – etwa für die Errich- tung von Werkshallen –, unterliegt dieser Vorgang nicht der Schenkungsteuer. Die Koalitionsfraktionen haben allerdings einen an- deren Weg gewählt und eine gestaltungsanfälligere Re- gelung beschlossen. Nach den Vorstellungen von Union und FDP sollen verdeckte Gewinnausschüttungen der Steuerpflicht unterliegen, „soweit sie in der Absicht ge- tätigt werden, Gesellschafter zu bereichern und soweit an diesen Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittel- bar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen betei- ligt sind“. Es geht hier also nicht – wie in unserem An- trag – um das objektive Kriterium der betrieblichen Veranlassung, sondern um eine Beurteilung der subjekti- ven Absicht des Schenkenden zur Bereicherung anderer Gesellschafter. Ich befürchte, diese schwammigen, streitanfälligen Regelungen werden in der Praxis der Rechtsanwendung und -auslegung dazu führen, dass die steuerliche Erfassung vieler Vermögensübertragungen letztlich vor Gericht entschieden werden müssen. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, warum die Koalition zwar einerseits Gestaltungen zu vermeiden ankündigt, die entsprechenden Regelungen allerdings so „brüchig“ ausgestaltet, dass der Praxistest wenig Gutes in puncto Rechtssicherheit, Praktikabilität und Gleichbehandlung erwarten lässt. Es freut mich hingegen, dass sich die Koalitionsfrak- tionen nach einigem Zögern unserem Vorschlag ange- schlossen haben, Härten bei einer Zuwendung einer 16292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Kapitalgesellschaft an eine einem Gesellschafter nahe- stehende Person auszuräumen. Wir denken dabei etwa an Konstellationen, in denen der Geschäftsführer einer Gesellschaft seinem angestellten Sohn ein überhöhtes Gehalt quasi als Vorauszahlung auf das künftige Erbe zahlt. Die Regelung sieht vor, dass für die Besteuerung das persönliche Verhältnis zwischen dem Gesellschafter – hier dem Vater –, der die verdeckte Gewinnaussschüt- tung veranlasst hat, und dem Begünstigten – hier dem Sohn – maßgebend ist. Die Zuwendung unterliegt damit nicht der Steuerklasse III, sondern der günstigeren Steu- erklasse I. Es können somit niedrigere Steuersätze und höhere Freibeträge angewandt werden. Das aufschlussreiche Berichterstattergespräch mit den Fachleuten des Bundesfinanzministeriums hat das Urteil des Bundesfinanzhofs, BFH, zur steuerlichen Anerken- nung von Ausbildungskosten wieder ins rechte Licht ge- rückt. Es wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Sachver- ständigen – darunter auch ein amtierender sowie ein ehemaliger BFH-Richter – dem Umschwung in der BFH-Rechtsprechung nicht folgt. Wir haben uns – auch mit Blick auf die drohenden Steuerausfälle in Höhe von über 1 Milliarde Euro und den hohen zusätzlichen Ver- waltungsaufwand – daher dem Antrag der Koalitions- fraktionen angeschlossen, die bisherige Rechtslage zu bestätigen; das bedeutet, dass die Kosten für eine erst- malige Berufsausbildung oder ein Erststudium weiterhin vom Betriebsausgaben- sowie Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind. Der als Sonderausgaben abziehbare Höchstbetrag wird dabei von 4 000 Euro auf 6 000 Euro angehoben. Es ist allerdings nicht wirklich ersichtlich, wie Union und FDP diese Anhebung begründen. An- scheinend wird von einem Kostenanstieg bei Ausbildung und Studium von 50 Prozent seit 2004 ausgegangen, was allerdings nicht nachvollziehbar ist. Aber gelegentliche irrationale Ausbrüche in der Steuerpolitik können uns gerade bei der FDP ja wirklich nicht mehr überraschen. Dr. Daniel Volk (FDP): Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerli- cher Vorschriften unterstreicht wieder einmal die Bereit- schaft der Regierungskoalition, wichtige steuerpolitische Regelungen nicht auf die lange Bank zu schieben, son- dern zu lösen. Das Gesetz wurde intensiv beraten, um ein Gesamtpaket zu schnüren, welches auch in Abspra- che mit der Opposition zu zufriedenstellenden Lösungen führt. Steuerliche Detailregelungen sind nicht immer spannend, aber trotzdem darf man die Wichtigkeit dieser Maßnahmen nicht unterschätzen. Mit diesem Gesetz wird einerseits die Richtlinie des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen – Richtlinie 2010/24/EU – in nationales Recht umgesetzt. Die Richt- linienumsetzung betrifft vor allem die Erweiterung des Geltungsbereiches der Amtshilfe, die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten, die Vereinfachung des Zustellungsverfahrens und die Schaffung eines wirksameren Beitreibungs- und Siche- rungsverfahrens in Europa. Andererseits werden weitere steuerrechtliche Änderungen vorgenommen. Diese Änderungen betreffen unter anderem die Ände- rung und Neufassung der Regelungen des Lohnsteuerab- zugsverfahrens und dabei insbesondere Neuerungen im Bereich der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Ebenso wird durch die Einführung einer Steuerfreiheit für Sozialversicherungsrenten an Empfänger, die als Verfolgte nach § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt sind, für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Durch die Einführung eines Mindestbeitrags von 60 Euro pro Jahr für die im Rahmen der steuerlich geför- derten Altersvorsorge – § 10 a und Abschnitt XI EStG – mittelbar zulageberechtigten Personen stellen wir Klar- heit her. Wir erweitern den Katalog der Freiwilligen- dienste um den Internationalen Jugendfreiwilligendienst zur Ermöglichung einer Berücksichtigung als Kind im Rahmen des Familienleistungsausgleichs, vergleiche § 32 EStG, §§ 2 und 20 des Bundeskindergeldgesetzes, BKGG. Durch die Einführung eines automatisierten Verfah- rens für den Kirchensteuerabzug bei abgeltend besteuer- ten Kapitalerträgen vereinfachen wir das bisherige Ver- fahren. Wir verhindern Missbrauchsfälle unter anderem im Bereich der Arbeitnehmer-Sparzulage und des Erb- schaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Besonders hervorzuheben sind die Klarstellungen im Bereich von Schenkungen im Zusammenhang mit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Dabei greifen wir die Rechtspre- chung des Bundesfinanzhofs auf und entwickeln sie in Richtung einer gleichmäßigen Besteuerung von Schen- kungen fort. Ein weiterer wesentlicher Punkt in diesem Gesetz ist die Anpassung der Regelungen für die steuerliche Ab- setzbarkeit von Erstausbildungskosten. So sorgen wir mit den Anpassungen in diesem Gesetz dafür, dass Lehr- linge und Studenten in Zukunft mehr Kosten ihrer Aus- bildung von der Steuer absetzen können. Damit tragen wir dem Urteil des Bundesfinanzhofs Rechnung. Wir sorgen einerseits für eine gesetzliche Klarstellung, und andererseits sorgen wir mit der Erhöhung des maximalen Sonderausgabenabzugs von 4 000 auf 6 000 Euro dafür, dass sich der Staat an den Ausbildungskosten indirekt stärker beteiligt. Ein Abzug der Erstausbildungskosten als Werbungskosten ist im Rahmen eines Fachgesprä- ches im Finanzausschuss bei Steuerexperten auf massive Bedenken gestoßen. Dieser einhelligen Meinung haben wir uns angeschlossen und haben so eine Lösung gefun- den, die praktikabel und gerecht ist. Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ist neben dem Jahressteuergesetz 2010 und dem Steuervereinfa- chungsgesetz 2011 ein weiterer Schritt zu einem gerech- teren Steuersystem. Wir sorgen für mehr Klarheit im Steuerrecht und schließen wirksam Steuerschlupflöcher. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die EU-Richtlinie 2010/24/EU vom 16. März 2010 bis spätestens Ende 2012 in nationales Recht umgesetzt werden und das EG-Beitreibungsgesetz vom 13.12.2007 ablösen. Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit. Ein Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16293 (A) (C) (D)(B) weiterer und nicht unwesentlicher Teil dieses Gesetzes beinhaltet zahlreiche Änderungen in vielen anderen Bereichen wie im Einkommensteuergesetz, im Körperschaftsteuergesetz, im Bewertungsgesetz und auch im Erbschaftsteuer- und Schenkungsgesetz. Damit packen Sie der Umsetzung der EU-Richtlinie einfach ein kleines Jahressteuergesetz bei, und das kritisieren wir. Zwar begrüßen wir grundsätzlich den vorliegenden Ge- setzentwurf, aber eine Vermischung einer EU-Richtlinie und eines Jahressteuergesetzes führt zu erhöhter Intransparenz für die Bürgerinnen und Bürger wie auch für diejenigen, die am Ende die Änderungen umzusetzen haben, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern. Neben zahlreichen Änderungen, die wir begrüßen, bleiben leider einige Kritikpunkte zurück. Daher wird sich die Linke bei diesem Gesetzentwurf enthalten. Ein zentraler Kritikpunkt ist: Die vorhandene Personalausstattung in der Finanzverwaltung reicht schon jetzt nicht aus, um die Flut der bereits vorhandenen Regelungen vernünftig umzusetzen. Dieser Gesetzentwurf, der zu einer neuen Flut von Informationen führen wird, sieht leider keine Stellenaufstockung in der Finanzverwaltung vor. Dabei legen auch die Rechnungshöfe in Bund und Ländern in ihren zahlreichen Stellungnahmen seit Jahren dar, dass nicht genügend Personal in der Finanzverwaltung vorhanden ist, um die Aufgaben gut zu erledigen. Nach Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft fehlen bundesweit rund 10 000 Beschäftigte in der Finanzver- waltung. Wird hier nicht endlich nachgebessert, können wichtige und sinnvolle Maßnahmen, auch die aus dem Gesetzentwurf, nur mangelhaft umgesetzt werden. Das geht dann zulasten aller, der Bürgerinnen und Bürger wie auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Finanzverwaltung. Wir haben doch heute schon genügend Probleme bei der Umsetzung bestehender Regelungen. Die Finanzverwaltung hat bereits heute Schwierigkeiten, die aus der EU-Zinsrichtlinie zufließenden automatischen Informationen zeitnah weiterzuleiten. Oder denken wir an die Verzögerungen bei der Einführung des vollelektro- nischen Lohnsteuerverfahrens. Das wird beispielsweise bei der Intensivierung im Hinblick auf die elektronischen Lohnsteuermerkmale nicht besser werden. Im Gegenteil. Das sind alles Warnsignale, die Sie ernst nehmen sollten. Durch das Beitreibungsgesetz wird die Informationsflut noch zunehmen. Erklären Sie doch mal den Menschen in der Finanzverwaltung, wie sie ihre Aufgaben noch ver- nünftig erledigen sollen. Klar ist: Hier muss etwas passieren, denn ohne eine Personalaufstockung der Finanzverwaltung wird eine vernünftige Umsetzung der in diesem Gesetzentwurf geplanten Regelungen kaum erfolgen können, erst recht nicht, wenn noch Ansprüche wie Datenschutz und Aus- kunftsrechte der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Thema Abgel- tungsteuer, eine Never-ending Story. Ursprünglich mal als Maßnahme zur Reduzierung der Bürokratie verkauft, hat sie sich in das Gegenteil verkehrt. Denn auch jetzt müssen Sie wieder im Rahmen von Änderungen bei der Kirchensteuer Anpassungen bei der Abgeltungsteuer vornehmen. Wahr ist: Die Abgeltungsteuer ist ein Fremdkörper im deutschen Steuerrecht, sie verkompli- ziert, und obendrein bevorzugt sie Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen. – Es gibt also genügend Gründe, sie abzuschaffen. Das wäre dann eine wirkliche Steuervereinfachungsmaßnahme. Ebenso ist es bei der Sanierungsklausel, die wir nicht generell ablehnen. Kritisiert hatten wir lediglich die Ausgestaltung. Nun soll sie angesichts des laufenden Verfahrens der EU-Kommission suspendiert, sozusagen beurlaubt werden, da Sie gegen die Entscheidung der EU-Kommission klagen. Damit bleibt die Streitanfälligkeit erhalten. Als letzten Punkt möchte ich die jüngsten Urteile des Bundesfinanzhofes zur Absetzbarkeit von Ausbildungs- kosten ansprechen. Nach den Urteilen haben sich wohl viele Studentinnen und Studenten gefreut. Aber wohl zu früh, denn die jetzige Regelung, wonach nur die Höchst- grenze für den Sonderausgabenabzug von 4 000 Euro auf 6 000 Euro angehoben werden soll, wird der großen Mehrheit nichts nützen. Davon wären nach dem Bundesfinanzministerium nicht einmal 10 000 Fälle be- troffen, die den Höchstwert von derzeit 4 000 Euro ausnutzen. Angesichts von derzeit rund 2,2 Millionen immatrikulierten Studentinnen und Studenten ist diese Lösung also kein großer Wurf. Die geplante Lösung wird ungefähr 8 Millionen Euro kosten. Eine Lösung, wie vom Bundesfinanzhof gefordert, würde hingegen rund 1,1 Milliarden Euro kosten. Aber für eine Klärung des Sachverhalts sorgen Sie damit nicht. Notwendig wäre vielmehr, Studiengebühren abzuschaffen und das BAföG zu erhöhen. Außerdem sollte grundsätzlich dafür gesorgt werden, dass der Zugang zu Ausbildung und Studium kostenfrei ist. Abschließend noch einmal die dringende Empfehlung – in unser aller Interesse –: Hängen Sie nicht eine Vielzahl von eher steuertechnischen Änderungen an ein Gesetz dran, das damit nichts zu tun hat, sondern verabschieden Sie, wie früher, jährlich ein Jahressteuergesetz. Das ist transparenter und erleichtert den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Finanzverwaltung ihre Arbeit. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hinter dem Namen Beitreibungsrichtlinie-Umset- zungsgesetz versteckt sich eigentlich das Jahressteuer- gesetz 2011. Es ist sehr bedauerlich, dass die Regierungskoalition die Dinge hier nicht beim Namen nennt. Unter dem Deckmantel einer EU-Richtlinienum- setzung werden heute viele wichtige Änderungen im Ein- kommensteuer- und Körperschaftsteuerbereich beschlos- sen. Kollege Olav Gutting meinte im Finanzausschuss, der Information der Öffentlichkeit sei damit Rechnung getragen, dass es im offiziellen Titel des Gesetzesvorha- ben heiße: „… zur Änderung steuerlicher Vorschriften“; das müsse genügen. Das zeigt nur die Ignoranz, die die Koalitionsabgeordneten im Hinblick auf eine am Kunden 16294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) orientierte Öffentlichkeitsarbeit haben. Das ist kein Aus- weis einer transparenten Arbeitsweise des Gesetzgebers. Entlarvend für die Regierungsfraktionen war bei die- sem Gesetzgebungsverfahren auch, welche Prioritäten Schwarz-Gelb im Steuerbereich setzt. So mahnte der Bundesrat in seiner Stellungnahme an, eine Besteue- rungslücke im Bereich der Schenkungsteuer zu schlie- ßen. Der Bundesrat führt in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf aus: „Die bisherige Besteue- rungslücke ist in der Steuersparbranche bekannt und wird auf Fachveranstaltungen regelmäßig als Gestal- tungstipp vorgetragen.“ Obwohl also gut bekannt, wurde noch zehn Tage vor der abschließenden Beratung des Gesetzes von einem Mitglied der Regierungskoalition formuliert, man wolle hier keine Änderung mit heißer Nadel stricken. Erst nachdem Bündnis 90/Die Grünen und dann die SPD ent- sprechende Änderungsanträge vorgelegt hatten, reagier- ten die Regierungsfraktionen: Einen Tag vor der endgül- tigen Beratung im Finanzausschuss wurde nun die Forderung des Bundesrates nach Stopfen des Steuer- schlupfloches aufgegriffen. Diese Verzögerung ist ein eklatanter Verstoß gegen die Aufgabe des Parlamentes, für eine gleichmäßige Besteuerung zu sorgen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier wieder einmal versucht wurde, die Klientel zu schützen, anstatt den Auftrag ei- nes Parlamentariers nach Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger nachzukommen. Oder das Nichthandeln wurde durch die Haltung bewirkt: „Warum sollen wir im Bund etwas für die Länder tun!“ Denn die Erbschaft- und die Schenkungsteuer kommen allein den Länder- haushalten zugute. Beide Erklärungsmöglichkeiten wer- fen ein denkbar schlechtes Bild auf die Regierungskoali- tion. Halten wir aber fest: Mit dieser Änderung wird endlich ein großes Einfalltor für Missbrauch im Zusam- menhang mit verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen zwischen verbundenen Körper- schaften geschlossen. Das Gesetz enthält weitere sinnvolle Steueränderun- gen, von denen ich hier einige explizit nennen möchte. So begrüßen wir die Umsetzung der Beitreibungsricht- linie. Die Vereinheitlichung der Amtshilfe auf europäi- scher Ebene ist gut, ebenso wie die Ausweitung des Katalogs der Steuerarten. Die Neufassung des Lohnsteu- erabzugsverfahrens, das über eine elektronische Daten- bank erfolgt, ist ebenso zu begrüßen, denn es baut Büro- kratie ab. Auch viele vorgesehene Änderungen im Einkommensteuerbereich sind richtig, obwohl wir an der einen oder anderen Stelle noch weiter gehende Regelun- gen für angemessen erachtet hätten. So ist die Einfüh- rung eines Mindestbeitrags von 60 Euro pro Jahr bei der Riester-Rente richtig, jedoch bleiben bei dem Thema noch viele Verbraucherschutzfragen offen. Kommen wir zu den Teilen des Gesetzes, die eine Zu- stimmung zu diesem Gesetz nicht zulassen: Thema Sanierungsklausel. Mit der Sanierungsklausel sollten nach Willen des Gesetzgebers die klaren und richtigen Vorschriften zur Begrenzung des Verlustüber- trages im Falle der Sanierung von Unternehmen aufge- hoben werden. Diese Zielsetzung ist nicht verkehrt. Nun hat aber die EU die Sanierungsklausel als eine uner- laubte Beihilfe bewertet und eine Aufhebung verlangt; die Bundesregierung hat dagegen geklagt. Seit mehr als einem Jahr haben die Unternehmen keine Rechtssicher- heit. Zudem ist die Sanierungsklausel in der heutigen Form nicht wirklich zielgerichtet, denn sie weist wesent- liche Mängel auf: Sie lässt den Fall der Sanierung inno- vativer, junger Unternehmen unberücksichtigt und fo- kussiert nicht ausreichend auf das Ziel des Erhalts von Arbeitsplätzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht zu warten, sondern eine alternative Gesetzgebung vorzubereiten, die die genannten Ziele im Blickfeld hat und gleicherma- ßen europarechtskonform ist. Das Warten auf eine Ent- scheidung des Gerichtes und eine Ausrichtung an dem zu erwartenden Urteil beweist nur, dass die Koalitions- fraktionen hier keinen wirklichen Fokus auf die Sanie- rung richten. Sonst würde man nicht locker eine Zeit von zwei oder sogar drei Jahren in Kauf nehmen, bis eine entsprechende Klausel greift. Denn die erfolgreiche Sa- nierung von Unternehmen ist gerade jetzt, in einer schwierigen Zeit, ein wichtiges Ziel. Auch hier gilt: Nicht warten, sondern handeln! Deshalb sind wir dafür, die Klausel nicht nur zu suspendieren, sondern sie, wie im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, schlicht auf- zuheben. Thema Ausbildungskosten. Es ist richtig, als Re- aktion auf das entsprechende Urteil des BFH die gel- tende Rechtslage klarzustellen, also keine steuerliche Abziehbarkeit der Ausbildungskosten im Rahmen eines Erststudiums als Werbungskosten vorzusehen, wenn es in Zusammenhang mit der späteren Berufsfähigkeit steht. Alles andere wäre schlicht unsozial gewesen. Die Studierenden, die nebenher arbeiten müssen, um ihr Stu- dium zu finanzieren, hätten nichts von der Umsetzung des Urteils gehabt. Zudem wären über 1 Milliarde Euro Steuermindereinnahmen sowie ein Chaos in den Finanz- verwaltungen wegen Abgrenzungsfragen entstanden. Aber: Die Anhebung des Höchstbetrags bei den Sonder- ausgaben von 4 000 auf 6 000 Euro lehnen wir ab. Das ist schlicht ein kleines, aber elegantes Klientelgeschenk; eine Steuerentlastung von geschätzten 8 Millionen Euro würde an wenige Zehntausend Studierende oder ihre Ehepartner verteilt. Durch die gemeinsame Veranlagung bei Ehepaaren könnte etwa ein Anwalt mit ordentlichem Einkommen die teuren Studiengebühren seiner Frau für das Designstudium an einer Privatuni von der Steuer ab- setzen, bis zu 6 000 Euro pro Jahr. Ansonsten profitieren höchstens noch Studierende, die neben ihrem Erststu- dium bereits ein stattliches Einkommen beziehen und dann auch noch an einer Uni studieren, bei der durch hohe Studiengebühren jährlich 6 000 Euro an Ausbil- dungskosten zusammenkommen. Thema Umsatzsteuer. Wir sind nicht überzeugt, dass die von den Koalitionsfraktionen angestrebten Änderun- gen bei der Umsatzsteuer bei Messedienstleistungen in Drittstaaten in der vorliegenden Form die passende Ant- wort auf das Problem sind. Um einen ganz kleinen Fall zu lösen – nämlich dass Fördermittel des Bundes in ei- nem bestimmten Förderprogramm der Umsatzsteuer un- terworfen würden –, wird eine neue Sonderregelung in Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16295 (A) (C) (D)(B) das Umsatzsteuergesetz eingefügt, die dieses erheblich weiter verkompliziert. Außerdem gibt es natürlich Min- dereinnahmen, wenn die Besteuerung von Deutschland in einen Drittstaat ausgelagert wird. Da scheint uns eine Änderung in der Tat mit heißer Nadel gestrickt, wo eine sorgfältigere Betrachtung und Lösungsfindung ange- bracht gewesen wäre. Thema Gewerbesteuerzerlegung bei Photovoltaik- anlagen. Schließlich ist das vorliegende Gesetz „zur Än- derung steuerlicher Vorschriften“ auch daran zu messen, was es nicht enthält: Die Koalitionsfraktionen wollen die von uns Grünen und auch von der SPD bereits mehrfach und jetzt vom Bundesrat erneut geforderte Gewerbesteu- erzerlegung bei Photovoltaikanlagen nicht anpacken. Richtig ist: Wir müssen auch andere erneuerbare Ener- gien in die Überlegungen einbeziehen. Aber im Falle der Photovoltaik sind die Forderungen klar; der Bundesrat hat einen konkreten Vorschlag gemacht. Die Bundesre- gierung signalisiert hier, dass die Energiewende Zeit hat; das ist ein fatales Signal. Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung jetzt umgehend mit dem Thema Ge- werbesteuerzerlegung bei Photovoltaikanlagen, aber auch bei anderen Formen der erneuerbaren Energien, auseinandersetzt. Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie enthält viele vernünftige Regelungen. Die Änderungen steuerlicher Vorschriften sind teilweise unzureichend und lückenhaft. Deshalb wird sich unsere Fraktion bei dieser Gesetzesvorlage enthalten. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Minijobs mit sozial- versicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen (Tagesordnungspunkt 32) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kol- leginnen und Kollegen der Linken, mit Ihrem Antrag „Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen“ knüpfen Sie wieder einmal an die für uns alle altbekannten Forderungen an, wie einer Sozialversi- cherungspflicht für abhängige Beschäftigungen ab dem ersten Euro Entgelt, den Ausbau sozialer Dienstleistun- gen zur Schaffung regulärer Beschäftigung, der Erarbei- tung eines Gleichstellungsgesetzes und der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Fest steht doch, dass die Arbeitswelt in Bewegung ge- raten ist und die meisten Menschen abhängig von der Ausgestaltung ihrer Anstellung, der Kindererziehung oder Weiterbildungen arbeiten möchten. Hierbei spielen flexible Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, Zeit- arbeit und vor allem auch Minijobs eine wichtige Rolle. Was Sie jedoch machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ist die Diffamierung flexibler Beschäfti- gung als prekäre Arbeit. Dabei schaffen gerade diese Angebote zum einen die Möglichkeit für den Einstieg oder die Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung – besonders für Menschen, die ansonsten nur geringe Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten. Und zum anderen bie- ten sie Unternehmen die benötigte Flexibilität, um marktgerecht auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren können. Die geringfügige Beschäftigung als flexibles Instrument der Arbeitsmarktpolitik dämmt zu- dem illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit ein. Hinzu kommt, dass viele Minijobs lediglich als zu- sätzliche Hinzuverdienstmöglichkeit genutzt werden, zur Steigerung der Lebensqualität oder zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. So sind beispielsweise viele Rentner nicht auf einen Minijob angewiesen, und eine volle Versicherungspflicht brächte im Einzelfall mehr Nachteile, da eine zusätzliche Arbeitslosen- oder Kran- kenversicherung, in die eingezahlt werden müsste, nicht benötigt wird. Ähnlich gelagert ist die Situation bei vie- len Schülern und Studenten. Minijobber haben die gleichen Rechte wie alle ande- ren Beschäftigten auch, und es gelten branchenspezi- fische Mindestlöhne. Des Weiteren haben gerade die An- gebote der flexiblen Beschäftigung dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland drastisch zu- rückgegangen ist. Natürlich dürfen wir uns auch nicht der Tatsache ver- schließen, dass diejenigen, die nur auf einen Minijob angewiesen sind, der Altersarmut ausgesetzt sind. Sie können sich sicher sein, dass wir in diesem Bereich sehr genau hinschauen und ganz genau prüfen, wie sich die Situation entwickelt, um dann konkret handeln zu kön- nen. So wollen wir beispielsweise 2013 gemeinsam mit unserer Arbeitsministerin Dr. von der Leyen eine soge- nannte Zuschussrente einführen, sodass auch jemand, der die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, unabhängig von den eigenen Rentenansprüchen 850 Euro erhält. Seien Sie versichert, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf uns verlassen können. Frank Heinrich (CDU/CSU): Sie sehen hier dieses Glas Wasser in meiner Hand. Es ist ohne Frage ein Ge- fäß, ein Instrument mit einer Bestimmung. In diesem Fall soll es helfen, meinen Durst zu löschen. Dieses In- strument eignet sich vielleicht auch noch für die eine oder andere Sache, aber ganz sicher nicht, um damit feste Nahrung zu sich zu nehmen oder gar den Euro zu retten. Und hier sind wir bei der Deutung meiner Meta- pher. In der politischen Diskussion geht es heute um ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das ebenfalls für ei- nen konkreten Nutzen eingeführt wurde – den sogenann- ten Minijob. Minijobs sind geringfügige Beschäftigun- gen, bei denen die monatliche Verdienstgrenze bis zu 400 Euro beträgt. Der heute zur Beratung stehende Antrag der Fraktion Die Linke fordert eine Änderung bei diesem Instrument der geringfügigen Beschäftigung, die meiner Überzeu- gung nach einer Abschaffung dieses Werkzeugs und damit dieses Nutzens nahekommt. Minijobs sind ein wichtiges Ventil für den Arbeitsmarkt, für viele Arbeit- nehmer die einzige legale Möglichkeit, ihr Haushaltsein- kommen aufzubessern und ein wirksames Mittel zur 16296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Bekämpfung von Schwarzarbeit. Die geringfügige Be- schäftigung trägt neben anderen Instrumenten zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bei. Insbesondere in privaten Haushalten sind Minijobs wichtig geworden – Stichwort Schwarzarbeit. So entstehen ehrliche Zahlen. Denn viele Menschen haben auch vor der Einführung der Minijobs in den Haushalten gearbeitet. Jetzt wird da- raus eine offizielle Beschäftigung. Die Gründe für die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung sind vielfältig. Für viele Menschen, die nur ein überschaubares Stundenbudget zur Verfügung haben, wie zum Beispiel Hausfrauen, Rentner, Schüler oder Studenten, schaffen gerade die Minijobs eine wich- tige und unbürokratische Hinzuverdienstmöglichkeit. Heute Morgen sprach ich mit einer Mutter aus Chem- nitz, die sehr froh ist über diese Möglichkeit des gerin- gen Zuverdienstes. Ja, sie weiß auch, dass es hin und wieder schwierig mit dem Arbeitgeber sein kann, mag aber gar nicht darüber nachdenken, deswegen eine sol- che Chance zu verpassen. Sie selber sieht es als eine tolle Möglichkeit, in einem geringen Umfang weiterhin arbeiten zu können und dadurch später den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Auswertungen aus dem Mikrozensus 2008 zeigen, dass nur 17,4 Prozent der Minijobber nach einer anderen oder nach einer weiteren Tätigkeit suchen, also den Um- fang ihrer Beschäftigung erweitern möchten – so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine An- frage der Fraktion der SPD zur Entwicklung der gering- fügigen Beschäftigung in Deutschland. Sie, liebe Kolle- gen von den Linken, erwecken in ihrem Antrag einen ganz anderen Eindruck. Minijobs ermöglichen unbürokratische Anstellungen für kurzfristigen und geringfügigen Arbeitskräftebedarf. Dieses Instrument wird insbesondere von Arbeitgebern genutzt, die kein großes Unternehmen leiten. Denn die Abwicklung des Melde- und Beitragsverfahrens bei der Minijob-Zentrale ist viel einfacher im Vergleich zu ande- ren Beschäftigungsformen. Es wird häufig angemerkt, dass bei Minijobs gerin- gere Entgelte gezahlt werden. Es muss aber beachtet werden, dass viele Minijobs Tätigkeiten sind, für die keine besondere Qualifikation erforderlich ist, wie zum Beispiel bei Kellnern, Callcenter-Mitarbeitern und Hilfs- kräften im Reinigungsbereich. Ein Student aus meinem Umfeld in Chemnitz hat mir vorgestern bestätigt, wie gern die Minijobs angenommen werden, vor allem aus dem Grund, dass Minijobber selber keine Steuern und Abgaben zahlen müssen. Zugleich ist uns jedoch bewusst, dass diese Beschäfti- gungsverhältnisse nicht unproblematisch sind. Miss- brauch ist hier nicht ausgeschlossen. Daher hat es mich persönlich gefreut, zu hören, dass Sozialpolitiker der CDA ein Gesetz gegen eben diesen Missbrauch von Mi- nijobs gefordert haben; daran beteilige ich mich gerne. In Wirklichkeit wird oft wesentlich mehr gearbeitet und wesentlich mehr an Arbeitsleistung erbracht, als durch diesen 400-Euro-Job abgedeckt ist. Es ist ein Pro- blem, dass es Minijobber gibt, für die es das einzige Ein- kommen ist und die deswegen ergänzend Arbeitslosen- geld II beziehen. Dieses Werkzeug – der Minijob – war natürlich nicht dazu gedacht, dass dann generell ergän- zende staatliche Leistung beansprucht wird. Die ursprüngliche Idee dieses Instruments war unter anderem, den geringfügig Beschäftigten die Möglichkeit einzuräumen, auf diese Weise einen Übergang in ein re- guläres Arbeitsverhältnis zu schaffen. Denn eine Ver- mittlung in Minijobs kann im Einzelfall die erwerbsfähi- gen Menschen an den Arbeitsmarkt heranführen. Es sollte zum Beispiel Müttern den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben nach einer Babypause erleichtern. Eine so- ziale Absicherung wäre in diesen Fällen nicht nötig, da dieser Personenkreis in der Regel anderweitig sozial ab- gesichert ist. Das gleiche gilt auch für geringfügig be- schäftigte Studenten, Rentner und Beamte. Geringfügige Beschäftigung darf nicht reguläre Ar- beitsplätze vernichten. Auch dem von der Partei Die Linke in ihrem Antrag aufgeführten Argument, dass Ar- beitgeber reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeits- verhältnisse durch Minijobs ersetzen, um ihre Kosten zu senken, kann nicht so ohne Weiteres zugestimmt wer- den. Nach Auffassung der Bundesregierung gibt es keine eindeutigen und belastbaren Belege für Substitutions- oder Verdrängungseffekte Sozialversicherungspflichti- ger durch geringfügige Beschäftigung. Nach einem An- stieg um rund 0,4 Millionen von Juni 2003 bis Juni 2004 hat sich die Anzahl der ausschließlich geringfügig Be- schäftigten seitdem um nur etwa 0,1 Millionen auf rund 4,9 Millionen Beschäftigte im Juni 2010 erhöht, so die Bundesregierung. Im Zeitraum von 2004 bis 2010 sind jedoch 1,2 Millionen zusätzliche reguläre sozialversi- cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstan- den. Mit jahresdurchschnittlich über 27,7 Millionen war hier 2010 der höchste Stand seit 2002 zu verzeichnen. Was die Gleichstellung von geringfügiger und regulä- rer Beschäftigung angeht, will ich vor allem bemerken, dass geringfügig Beschäftigte und Vollzeitbeschäftigte dieselben arbeitsrechtlichen Schutzansprüche haben. Sie haben die gleiche Möglichkeit, ihre Ansprüche gegen- über dem Arbeitgeber durchzusetzen. Für Minijobber gelten ebenso die gesetzlichen Vorschriften bezüglich Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen. Auch § 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes ver- bietet eine Ungleichbehandlung von geringfügig Be- schäftigten gegenüber anderen Teilzeit- und Vollzeitbe- schäftigten. Viele Minijobber wissen jedoch von ihren Rechten nichts oder nur wenig. Daher werden in der Pra- xis Ansprüche von Arbeitgebern nicht gewährt und von Beschäftigten nicht eingefordert. Diese Vorenthaltung von Arbeitnehmerrechten wird auch seitens der Bundes- regierung missbilligt. Das will ich hier noch einmal ganz deutlich machen. Wir missbilligen diesen Missbrauch vonseiten der Arbeitgeber und weisen auf die rechtlichen Möglichkeiten der betroffenen Arbeitnehmer hin. Minijobs sollen nicht eine billige Option für Arbeit- geber sein. Aus der Höhe der zu leistenden Abgaben und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16297 (A) (C) (D)(B) Beiträge beim Minijob ergibt sich für die Arbeitgeber kein Kostenvorteil. Minijobs sind zwar sozialversiche- rungsfrei, die Sozialversicherungsfreiheit bedeutet je- doch nicht zugleich Beitragsfreiheit, in diesem Fall aber ausschließlich durch den Arbeitgeber. Zum Schluss möchte ich auf das Bild zurückkommen, das ich am Anfang meiner Rede benutzt habe. Das Glas Wasser ist ein Werkzeug zum Stillen des Durstes. Auch die Minijobs sind ein Instrument mit einer konkreten Bestimmung. Dieses Werkzeug gilt es, nach seinem Zweck und Ziel zu nutzen und gegen Missbrauch zu schützen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Fast 7,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten ohne eigenständige Krankenversicherung und Rentenanspruch als Minijob- ber. Lohnfortzahlung bei Krankheit oder bezahlter Ur- laub wird ihnen in der Regel verwehrt. Sie verdienen, obwohl die meisten von ihnen eine abgeschlossene Be- rufsausbildung haben, durchschnittlich etwa fünf Euro pro Stunde, genau 297 Euro im Monat. Der Übergang in existenzsichernde Beschäftigung gelingt nur selten. Zwei Drittel der Minijobber sind Frauen. Von ihnen hat jedoch nur weniger als die Hälfte einen Partner, der selbst in einem regulären Arbeitsverhältnis steht und sie versorgen könnte. Da der Minijob zur Existenzsicherung nicht ausreicht, muss häufig eine aufstockende Sozial- leistung in Anspruch genommen werden. Es sind also keine selbstgewählten Hausfrauen, die sich ein bisschen dazu verdienen wollen, wie die CDU/CSU gerne be- hauptet. Besonders dramatisch ist, dass zunehmend sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in ge- ringfügige zerlegt und so reguläre Arbeitsplätze ver- drängt werden. Im Gastgewerbe hat es zum Beispiel zwischen 2004 und 2010 eine Zunahme der Vollzeitstel- len von fünf Prozent gegeben, die Minijobs sind jedoch im selben Zeitraum um 26 Prozent angestiegen. Im Ein- zelhandel und in der Gebäudereinigung ist der gleiche Trend zu beobachten. Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern bleibt oft mangels besserer Angebote keine an- dere Wahl als der Minijob. Miese Arbeitsbedingungen und Minilöhne – das ist eine aufwachsende Realität vor allem für Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In keinem anderen euro- päischen Mitgliedstaat gibt es eine ähnlich arbeitneh- merfeindliche Entwicklung. Die Ausweitung von prekä- rer Beschäftigung entwertet nicht nur Arbeit, sie schadet auch der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Auf der einen Seite werden gut ausgebildete Beschäf- tigte mitten im Arbeitsleben in prekäre Beschäftigung abgedrängt. Auf der anderen Seite bahnt sich ein giganti- scher Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels an. Das passt nicht zusammen. Warum gibt es überhaupt Minijobs? Werfen wir einen Blick zurück: Diese Beschäftigungsform wurde in den 90er-Jahren manifestiert, um Menschen, die dem Ar- beitsmarkt nicht mehr oder nur eingeschränkt zur Verfü- gung standen, einen abgabenfreien Zuverdienst zu er- möglichen. Die damalige Zielgruppe waren vor allem hinzuverdienende Hausfrauen. Die Nachfrage war in Westdeutschland aufgrund des damaligen Rollenver- ständnisses und mangelnder Kinderbetreuungsstrukturen hoch. Familie und Beruf ließen sich nur schwer unter ei- nen Hut bringen. Die Hoffnung war auch, ihnen den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern und ihnen eine Perspektive auf ein normales Arbeitsver- hältnis zu eröffnen. Unter rot-grüner Regierung wurde 1999 die Geringfü- gigkeitsgrenze auf 325 Euro festgesetzt und eine pau- schale Sozialversicherungsabgabe durch die Arbeitgeber von 22 Prozent eingeführt. 2003 wurde dann nach einem Vermittlungsverfahren auf Druck der CDU/CSU-regier- ten Länder die Grenze für Minijobs auf 400 Euro ange- hoben, die Sozialversicherungsabgabe auf 25 Prozent heraufgesetzt und die bisherige Begrenzung von maxi- mal 15 Wochenstunden abgeschafft. Außerdem wurde die Sozialversicherungsfreiheit für Jobs bis zu 400 Euro neben dem eigentlichen Arbeitsverhältnis eingeführt. Damit war das Tor für Minijobs und für prekäre Be- schäftigung weit aufgestoßen. 2006 haben wir durch eine Heraufsetzung der Sozial- versicherungsbeiträge für die Minijobs auf 30 Prozent versucht, diese Beschäftigungsform für Arbeitgeber wie- der unattraktiver zu machen. Leider hatten wir damit keinen Erfolg. Die Arbeitgeber haben ihre Mehrkosten einfach auf die Minijobber umgelegt. Die prekäre Be- schäftigung boomt weiter. Damals war die Arbeitsmarktsituation allerdings eine andere als heute. Die Arbeitslosigkeit hatte mit fünf Mil- lionen einen alarmierenden Höchststand erreicht. Heute haben wir deutlich unter drei Millionen arbeitslose Men- schen und einen sich unaufhaltsam anbahnenden Fach- kräftemangel. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir also dringend für eine nachhaltige Attraktivitätsstei- gerung auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Wie könnte das besser funktionieren als mit guter Arbeit und fairen Löh- nen? Leider ist in dieser Richtung keinerlei Bewegung von der schwarz-gelben Bundesregierung zu verzeichnen. In den Antworten der Bundesregierung auf unserer Kleine Anfrage „Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland“ wurde das Aufwachsen von Minijobs und prekärer Beschäftigung zwar deutlich beschrieben. Darüber aber, was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenkt, wurde nichts gesagt. Es gibt weder Initiativen für einen dringend notwendigen gesetzlichen Mindest- lohn noch Bestrebungen, prekäre Beschäftigung in ande- rer Weise zu bekämpfen. Das ist fahrlässig und höchst gefährlich. Ich komme zum Antrag der Linken: Schauen wir in diesen Forderungskatalog. Finden wir da etwas, was uns weiterhilft? Ja! Wir finden die Forderung nach einem Mindestlohn. Die SPD fordert seit Jahren einen flächen- deckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde. Damit wäre vielen schon geholfen. Wir finden die Forderung nach einem Gleichstel- lungsgesetz für die Privatwirtschaft. Klasse! Das wollen 16298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wir auch. Leider haben Sie sich bei unserem Antrag „Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen“ im letzten Jahr enthalten. Wir finden die Forderung nach Initiativen, Minijob- ber besser über ihre Rechte zu informieren. Das ist drin- gend notwendig: Ihre Rechtsansprüche müssen endlich durchgesetzt werden. Dafür brauchen wir bessere Infor- mation und wirksame Sanktionsmöglichkeiten. Und wir finden, das haben wir auch nicht anders er- wartet, die Forderung nach einer Sozialversicherungs- pflicht ab dem ersten Euro. Das würde bedeuten, es gäbe keine – gar keine – Möglichkeit mehr, Personen in gerin- gem zeitlichem Umfang ohne Sozialversicherungspflicht zu beschäftigen. Auch nicht den Babysitter, den Zei- tungsausträger und auch nicht die studentische Hilfskraft in den Semesterferien. Diese Tätigkeiten würden sich nicht mehr lohnen. Problematisch ist auch der radikale Schnitt, den Sie vorschlagen, für die anderen Minijobs. 7,5 Millionen Menschen würden von einem Tag auf den anderen vor dem Problem stehen, zunächst einmal noch weniger in den Tasche zu haben als ihre durchschnittlich 297 Euro. Damit würden sie immer noch keine Ansprüche erwer- ben, die in irgendeiner Form existenzsichernd wären: weder im Fall von Arbeitslosigkeit noch für die Rente. Die Krankenkassen würden vor einem großen Problem stehen. Wie soll man jemanden einigermaßen kostende- ckend versichern, der nicht einmal 400 Euro verdient? Was wir brauchen sind reguläre, ordentlich entlohnte Beschäftigungsverhältnisse. Mit ihrem Vorschlag schießt die Linke zu schnell. Klar ist: Reformbedarf ist da, und wir brauchen bei den Minijobs so schnell wie möglich Verbesserungen. Wir müssen die wöchentliche Arbeitszeit bei den Mi- nijobs wieder begrenzen. Für maximal 400 Euro im Mo- nat soll niemand mehr als zwölf Stunden wöchentlich ar- beiten müssen. Dringend müssen wir den gesetzlichen Mindestlohn einführen, um Lohndumping zu unterbin- den. Niemand soll unfreiwillig Teilzeit arbeiten müssen: Wir brauchen mehr ganztägige Kinderbetreuung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das betrifft Eltern und Pflegende. Wir müssen Anreize setzen – sowohl in Richtung Ar- beitnehmer als auch in Richtung Arbeitgeber –, gute Arbeit wieder als Leitbild in unserer Arbeitswelt zu eta- blieren. Dafür müssen wir auch die geringfügige Be- schäftigung reformieren – keine Frage! Aber bitte wohl überlegt. Nicht, dass die Menschen, die von einem Mini- job versuchen zu leben, vom Regen in die Traufe kom- men. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Liebe Kol- leginnen und Kollegen von der Linkspartei, ich frage mich, wie man eigentlich ein Gedankensystem nennt, das sämtliche Erscheinungen auf einen einzigen Grund reduziert. Ich glaube, dass nennt man ideologisch. Und ich frage mich, wie sie es immer wieder schaffen, in al- len, aber wirklich in allen ihren arbeitsmarkt- und sozial- politischen Anträgen die Einführung eines flächende- ckenden gesetzlichen Mindestlohns zu fordern. Da könnte man fast denken, bei Ihnen würde die Vorstellung herrschen, die Abwesenheit eines flächendeckenden ge- setzlichen Mindestlohns sei an allem schuld. Böse Zun- gen würden da leichtfertig den Ideologievorwurf erhe- ben. Für mich hingegen stellt ihre diesbezügliche Beharrlichkeit in guter Kollegialität natürlich erst einmal nur ein Rätsel dar. Ich freue mich daher auf weitere Ge- spräche in der Sache. Deswegen bin ich aber auch nicht vom Hocker gefallen, als ich Ihren Antrag zu Minijobs las. Was auch immer man mit den Minijobs macht, es gibt eine Sache, die nicht fehlen darf. Richtig: der Min- destlohn. Klassisch Linkspartei sozusagen. Abgesehen davon ist Ihr Antrag aber auch noch in an- derer Hinsicht ein Klassiker, vielleicht sogar ein ideologi- scher; denn zur Ideologie gehört ja schließlich auch, dass die Wirklichkeit nur wahlweise ins Blickfeld gerät. Bei- spielsweise brauchen sie keine zehn Zeilen, um zur Be- hauptung zu kommen, die Menschen hätten „zumeist un- freiwillig“ nur einen Minijob. „Zumeist“ heißt wohl mehrheitlich. Allerdings ist es noch kein halbes Jahr her, seit das Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage gemacht hat, in der nach der Zufriedenheit mit Minijobs gefragt wurde. Und mehr als die Hälfte der Befragten hat mit Ja geantwortet; ja, sie seien damit zufrieden, „nur“ ei- nen Minijob zu haben. Typischer Fall von falschem Be- wusstsein? Unfreiwillig aber trotzdem zufrieden, seltsam. Oder es stimmt einfach nicht, dass Minijobber „zumeist unfreiwillig“ nur einen Minijob haben. Übrigens gab in der Umfrage knapp ein Viertel aller Minijobinhaber an, dass sie anstelle des Minijobs lieber einen sozialversiche- rungspflichtigen Teilzeit- oder Vollzeitjob hätten. Immer- hin, und ich denke, den Wunsch dieser Menschen muss man ernst nehmen. Ob man ihnen aber dadurch einen Ge- fallen tut, dass man sie in Bundestagsanträgen fälschli- cherweise zur Mehrheit der Minijobinhaber macht, da habe ich so meine Zweifel. Sie hätten auch Recht gehabt, wenn Sie hier nur auf die spezielle Situation von Frauen verwiesen hätten; denn wir wissen ja aus IAB-Untersuchungen, dass zwei Drittel aller Frauen, die nur einen Minijob haben, gerne mehr arbeiten würden. Ich zitiere da aus einem IAB- Kurzbericht von Frau Susanne Wanger. Ich glaube, Sie kennen den Kurzbericht auch; denn in Ihrem Antrag gibt es einen prima Zahlendreher. In der Antragsbegründung behaupten Sie, dass „der Anteil der geringfügigen Be- schäftigung (Minijobs) an allen Teilzeitbeschäftigungs- verhältnissen … von 2 Prozent im Jahr 1991 auf 47 Pro- zent im Jahr 2010 gestiegen“ sei. In Frau Wangers Kurzbericht liest man hingegen Folgendes: „Deshalb ist der Anteil der geringfügig Beschäftigten an allen Teil- zeitbeschäftigten von 1991 bis 2010 nur um 2 Prozent- punkte auf 47 Prozent gestiegen.“ Haben wir jetzt eine Steigerung um 2 oder um 45 Prozentpunkte? Verzeihen Sie mir, aber ich glaube lieber dem IAB. Und dann hätten wir da natürlich noch ein Drittes, das bei einer ideologischen Betrachtung auf keinen Fall feh- len darf, nämlich das gute alte Non sequitur, also einen logischen Fehlschluss. „Nur ein Drittel der geringfügig Beschäftigten erlangen ein sozialversicherungspflichti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16299 (A) (C) (D)(B) ges Arbeitsverhältnis“, schreiben Sie und folgern daraus, dass Minijobs „keine Brücke in reguläre Beschäftigung“ darstellen würden. Stimmt das? Nein, das stimmt nicht. Sie müssten schon Zahlen produzieren, aus denen her- vorgehen würde, welcher Anteil derjenigen Minijobber, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an- streben, dabei scheitert und warum daran ausgerechnet die Minijobs schuld sein sollen. Aber trotz Ihrem Fehl- schluss müssten Sie ja eigentlich zu der Auffassung ge- langen, dass es sich sehr wohl um eine Brücke handelt, nur eine, die zu schmal ist. Das würde aber doch immer noch – zumindest in den Augen von erfahrenen Brü- ckenbenutzern – einen entschiedenen Vorteil gegenüber der völligen Abwesenheit einer Brücke bedeuten, oder? Auch einen weiteren Ihrer Dauerbrenner, das ökono- mietheoretische Nullsummenspiel, haben Sie natürlich wieder untergebracht. „Nicht zuletzt höhlen Minijobs die sozialen Sicherungssysteme aus, da die abgeführten Bei- träge niedriger als bei einer sozialversicherungspflichti- gen Beschäftigung sind“, schreiben Sie. Übersetzt: Näh- men wir mehr ein, hätten wir mehr Einnahmen. Es gibt halt die Wertschöpfung, und davon kann man sich über Sozialversicherungsbeiträge entweder viel oder wenig nehmen. Die Wertschöpfung als solche bleibt davon na- türlich unberührt. Dass viele Minijobs überhaupt erst da- durch entstehen, dass sie nicht vollsozialversicherungs- pflichtig sind, das scheint ihre Vorstellungskraft zu übersteigen. Der Wirtschaftskuchen ist immer gleich groß, die Politik müsste sich nur einmal dazu durchrin- gen, größere Stücke abzuschneiden. Wissen Sie was? Ir- gendwie stimmt mich ihre Überlegung skeptisch. Zum Schluss noch ein paar allgemeine Informationen zu Minijobs – allesamt direkt aus der Minijob-Zentrale der DRV Knappschaft-Bahn-See: Minijobs haben punktu- ell zugenommen, es gibt keinesfalls immer mehr Mini- jobs. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten bewegt sich im Dezember 2010 auf einem annähernd gleichen Niveau wie bereits im Dezember 2004. In diesen sechs Jahren hatten wir ein Wachstum an Minijobs um 107 000, von rund 6,94 Millionen auf rund 7,05 Millionen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten von 26,38 Millionen im Dezember 2004 auf fast 28,05 Millionen im Dezember 2010, also um 6,3 Prozent, während die geringfügige Beschäftigung nur um 1,5 Prozent in diesem Zeitraum zunahm. Ihre be- rüchtigte Verdrängungsthese sollten Sie, liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Linkspartei, also noch einmal näher betrachten. Rund 1,4 Millionen der insgesamt rund 1,8 Millionen Minijobarbeitgeber beschäftigen aktuell höchstens drei Minijobber. Und jetzt frage ich Sie: Glau- ben Sie eigentlich ernsthaft, dass diese rund 80 Prozent al- ler Arbeitgeber mal eben so die Ressourcen haben, auf die von Ihnen beabsichtigte Preiserhöhung zu reagieren? Also wirklich, mal ernsthaft, und auch nur unter uns. Glauben Sie wirklich, dass das gar keine Effekte auf Beschäfti- gungsniveau und Schwarzarbeit hätte? Ich freue mich also auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe, dass Sie Ihre Position noch einmal verändern. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Niedriglöhne, unsichere Beschäftigung und Benachteiligungen im Ar- beitsalltag – das ist die Realität von Millionen Minijob- berinnen und Minijobber in diesem Land. Minijobs ha- ben massiv reguläre Arbeitsplätze verdrängt oder sind statt dieser entstanden, vor allem im Bereich der Dienst- leistungen etwa der Gastronomie, dem Einzelhandel oder der Reinigung. Betroffen sind vor allem Frauen, die mehrheitlich Mi- nijobs besetzen. Sie werden auf dem Arbeitsmarkt be- nachteiligt, ihre Chancen beschnitten. Minijobs sind aber ein gesamtgesellschaftliches Problem; denn unser Ar- beitsmarkt gerät in eine Schieflage. Arbeitgeber werden auf Kosten der Gemeinschaft subventioniert. Verände- rungen sind mehr als überfällig. Unser Antrag soll dazu ein Anstoß sein. Ich hoffe, die späte Beratung heute ist keine Hiobsbotschaft für den künftigen Umgang mit dem Thema. Was ist eigentlich mit Minijob gemeint? Grob gesagt, handelt es sich um Arbeitsverhältnisse mit einem Mo- natsverdienst bis 400 Euro, für die – das ist wichtig – verringerte Sozialabgaben gezahlt werden. Dieser Son- derstatus, gepaart mit der geringen Wochenarbeitszeit, hat dazu geführt, dass hier Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse entstanden sind, und zwar in einem atemberau- benden Tempo. In Deutschland gibt es derzeit etwa 7,5 Millionen „geringfügig Beschäftigte“, wie die Mini- jobs im Fachjargon genannt werden. Das sind 3,3 Millio- nen oder 80 Prozent mehr als zu Beginn des Jahres 2003. In diesem Jahr wurden durch die Hartz-Gesetze mehr oder weniger alle Auflagen für die Minijobs abgeschafft. Vor allem die Zahl der Beschäftigten, die einen Mini- jobs als Zweitjob ausüben, ist gestiegen. Oft reicht der eine Job nicht zum leben. Das ist ein Armutszeugnis für die Politik. Die zentralen Probleme der Minijobs sind belegt: Mi- nijobs bedeuten Minilöhne. Laut Statistischem Bundes- amt bekommen vier von fünf Minijobberinnen und Mi- nijobbern Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohn- schwelle von 9,85 Euro in der Stunde. Keine andere Be- schäftigungsform ist so stark armutsgefährdet wie die geringfügige. Minijobberinnen und Minijobber werden im Ar- beitsalltag benachteiligt. Sie erhalten häufig keine Lohn- fortzahlung im Krankheitsfall oder keinen bezahlten Ur- laub. Sie werden auch nur in geringem Umfang in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen. All dies ist ei- gentlich arbeitsrechtlich verboten, findet aber trotzdem statt. Weil Minijobs nicht der vollen Sozialversicherungs- pflicht unterliegen, sind sie nicht oder kaum sozial abge- sichert. Das ist schlecht für den Beschäftigten und die Allgemeinheit. Die Beschäftigten erwerben keine nen- nenswerten Rentenansprüche, Altersarmut ist so vorpro- grammiert. Der Allgemeinheit gehen Beitragszahlungen in Milliardenhöhe verloren. Ein derartiger Sonderstatus, das heißt, eine bestimmte Beschäftigungsform von der vollen Sozialversicherungspflicht zu befreien, ist abge- sehen von Österreich einzigartig in Europa. Es gibt kei- nen vernünftigen Grund, warum das so bleiben sollte. 16300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Wer profitiert von dieser subventionierten Beschäfti- gungsform? Einzig und allein die Unternehmen, die ver- stärkt auf Minijobs setzen. Im Postsektor versuchen zum Beispiel private Konkurrenten der Deutschen Post, mit dem massiven Einsatz dieser Billigjobs einen Wettbe- werbsvorteil zu erlangen. So wird in vielen Branchen ein Wettlauf nach unten in Gang gesetzt. Arbeitgeber verschaffen sich immense Kostenvorteile zulasten der Beschäftigten und der Allgemeinheit. Denn die gesenkten Sozialabgaben, die de facto Bestandteil des Lohnes sind, werden nicht an die Beschäftigten wei- tergegeben – im Gegenteil. Ein Beispiel ist dafür ist der Textildiscounter KIK. Die Einzelhandelskette beschäftigt Tausende Minijob- ber. Sie wurde 2009 wegen der Zahlung sittenwidriger Löhne verurteilt. Zwei KIK-Beschäftigte hatten geklagt. Das Unternehmen musste ihnen Löhne im Wert von 10 500 Euro und 8 900 Euro nachzahlen. Die Gewerkschaft Verdi hat errechnet, dass KIK durch den hohen Anteil geringfügig Beschäftigter jähr- lich zweistellige Millionenbeträge spart und den Sozial- kassen dadurch Hundertausende Beitragsgelder vorent- halten werden. Arbeitgebersubventionen auf Kosten der Beschäftigten und Allgemeinheit, damit muss Schluss sein! Es ist nicht zu akzeptieren, was Union und FDP in ih- rem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie wollen – ich zitiere – „die Arbeitsanreize auch für gering entlohnte Beschäftigungsverhältnisse verbessern“ und die angebli- che „Brückenfunktion von Minijobs“ in „voll sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse“ stär- ken. Aber gibt es tatsächlich diese Brückenfunktion? Nach aktuellen Zahlen der Minijobzentrale erlangt ledig- lich ein Drittel der geringfügig Beschäftigten ein sozial- versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Die große Mehrheit bleibt in der prekären Beschäftigung gefangen. Minijobs sind keine Zwischenbeschäftigung. Sechs von zehn Minijobs dauern länger als ein Jahr, vier von zehn sogar länger als zwei Jahre. Die Linke streitet für einen Kurswechsel! Wir sagen: Es ist Zeit, die Fehlentwicklung bei den Minijobs zu- rückzudrängen, der mit den Hartz-Gesetzen die Tür ge- öffnet wurde. In dem vorliegenden Antrag machen wir konkrete Vorschläge, wie Minijobs in reguläre Beschäftigungsver- hältnisse überführt, Niedriglöhne bekämpft, gleiche Be- zahlung von Frauen und Männern erreicht und mehr gute Arbeit geschaffen werden kann. Zentral ist, Arbeit ab dem ersten Euro voll sozialver- sicherungspflichtig zu machen und endlich einen gesetz- lichen Mindestlohn einzuführen. Eine solche Initiative wird auf den erbitterten Widerstand der Arbeitgeber sto- ßen insbesondere aus dem Minijobbranchen. Das sind die Erfahrungen der gescheiterten Reform von 1998/99. Nach dem grandiosen Wahlsieg der rot-grünen Koalition kündigte der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine an, eines der ersten Amtshandlungen der Regierung werde es sein, die Minijobs neu zu regeln. Er sagte: „Wenn wir eine solche Fehlentwicklung des Arbeits- marktes weiterhin zuließen, wäre ein zentraler Pro- grammpunkt unserer Partei beschädigt, nämlich für die Gleichberechtigung der Frauen in Beruf und Gesell- schaft einzutreten.“ Aber die Lobbyisten der Minijobbranchen arbeiteten schon damals gut. Bundeskanzler Gerhard Schröder er- teilte einer wirklichen Reform ein Absage und brach ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD. Einige Jahre später wurde mit den Hartz-„Reformen“ die Minijobbe- schäftigung vollkommen freigegeben. Welche Schlussfolgerungen sind daraus für heute zu ziehen? Wir brauchen eine breite Allianz, um aufzuklä- ren und gesellschaftlichen Druck zu entfalten. Nur so ist den Wirtschaftslobbyisten Paroli zu bieten. Minijobs in reguläre Beschäftigung umzuwandeln, das fordern in- zwischen viele, nicht nur die Gewerkschaften. Der Deut- sche Frauenrat, dessen Mitgliedsorganisationen ein sehr breites Spektrum umfassen, hat dazu im letzten Jahr ei- nen einstimmigen Beschluss gefasst. Gleiches gilt für den Deutschen Juristentag, der fordert, die geringfügige in reguläre Beschäftigung zu überführen. Selbst die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutsch- lands, CDA, hat im Sommer dieses Jahres einen Be- schluss gefasst, die „Prekarisierung der Arbeitswelt“ einzudämmen, und beklagt, dass unter anderem durch Minijobs „die Beteiligungs-, Mitwirkungs- und Mitbe- stimmungsrechte der arbeitenden Menschen“ unterhöhlt werden. Diese verschiedenen Kräfte zusammen können ein breites Bündnis ergeben, um auf die bestehende schwarz-gelbe Regierung Druck auszuüben. Mut macht dabei die Bewegung bei unserem europäischen Nach- barn Slowenien. Dort haben sich im April 2011 in einer Volksabstimmung 80 Prozent der Beteiligten gegen eine Einführung von Minijobs ausgesprochen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir auch in Deutschland vorwärtskommen. Es ist dringend notwen- dig. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entwicklung bei den Minijobs ist ein Problem. Es kann nicht „gewollt“ oder „erwünscht“ sein – wie das Bundesarbeitsministerium es behauptet –, dass jeder fünfte Job ein Minijob ist, in vielen Teilen Westdeutsch- lands sogar jeder vierte. Fakt ist, dass seit der Neurege- lung der Minijobs die Beschäftigung insgesamt um 4 Prozent, die Minijobs aber um satte 31 Prozent zuge- nommen haben. Auch sonst sprechen die Fakten eine deutliche Spra- che: Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ist im Gast- gewerbe seit 2004 um etwas mehr als 30 000 auf 639 000 gewachsen. Im selben Zeitraum hat die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in der Bran- che um fast das Sechsfache auf knapp 835 000 zuge- nommen. Wer angesichts solcher Zahlen bestreitet, dass Minijobs reguläre Beschäftigung ersetzen, der will den Missstand nicht sehen und der will auch nicht sehen, dass inzwischen gesamte Branchen ein Geschäftsmodell auf Basis von Minijobs betreiben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16301 (A) (C)Mit diesem Zuwachs und dieser Entwicklung verbun- den sind zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen, und darum wächst die Phalanx gegen die Minijobs. Ich zähle hier nur einige auf: Der Deutsche Frauenrat, der Sach- verständigenrat, die Bertelsmann-Stiftung, der DGB, der Deutsche Juristentag, der Sachverständigenrat zur Er- stellung des Ersten Gleichstellungsberichtes, das IAB, das IZA, das IAQ – von überall dort sind gewichtige Einwände gegen die Minijobs zu hören, verbunden mit der Forderung, hieran etwas zu ändern. Es ist doch absurd: Hier in Deutschland wird mit viel Geld ein Beschäftigungssegment unterstützt und privile- giert, das maßgeblich zur Ausweitung des Niedriglohn- sektors beiträgt, das für Arbeitslose keine Brückenfunk- tion in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besitzt, das keine existenzsichernden Einkommen und keine eigenständige soziale Sicherung bietet und das die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Ar- beitsmarkt verhindert. Eine Ballung so vieler Nachteile sucht ihresgleichen, und da könnte man doch meinen, dass auch die Arbeitsministerin den Handlungsdruck sieht. Aber nichts dergleichen. Da wird trotz der versam- melten Expertise verharmlost und abgewiegelt. Das Höchste, zu dem sich Frau von der Leyen bisher hat hin- reißen lassen, ist die Aussage, dass sie von dem Plan Ab- stand genommen hat, die Verdienstgrenzen für 400-Euro- Jobs zu erhöhen. Niemand außer vielleicht der FDP diskutiert noch über eine Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung. ern: weg von den Minijobs und hin zu sozialversiche- rungspflichtiger und existenzsichernder Arbeit. Frau von der Leyen, würden Sie nur einen Bruchteil des Engage- ments, das Sie auf die Forderung nach einer festen Frauenquote in der Privatwirtschaft verwenden – ein Vorhaben das ich ausdrücklich unterstütze –, auf die Minijobs richten, dann könnten Sie erkennen, dass in Ihrem originären Zuständigkeitsbereich ein Thema brachliegt, das, richtig bearbeitet, vor allem für Frauen echte Verbesserungen bringen würde. Zwei Drittel aller Minijobs werden von Frauen ausge- übt. Sie sind für die meisten dieser Frauen eine Niedrig- lohnfalle. Durch sie wird der Zuverdienerinnenstatus in Partnerschaften zementiert, und sie tragen maßgeblich dazu bei, dass das Fachkräftepotenzial vieler Frauen un- genutzt bleibt. Das alles widerspricht zumindest unseren grünen Zielen in der Arbeitsmarkt-, aber auch in der Frauenpolitik. Wir sehen wie viele andere Handlungsbedarf bei den Minijobs. Wir sehen natürlich auch die Widerstände, die von denen kommen werden, die offensichtlich oder auch nur vermeintlich von der bisherigen Regelung profitie- ren. Das ist aber kein Grund, in einen Totstellreflex zu verfallen. Es ist unsere Aufgabe, Probleme und Lösungs- wege offensiv zu diskutieren und Alternativen zu ent- wickeln. Das wird nicht einfach, aber wir stehen dazu zur Verfügung. Ich bin gespannt auf die Ausschussbera- tung und rege an, dass wir für dieses Thema schon ein- Aber immer mehr sehen die Notwendigkeit, umzusteu- mal eine Anhörung einplanen. (B) (D) 136. Sitzung Inhaltsverzeichnis: TOP 5 Telekommunikation und Internet TOP 6, 30, ZP 3 Energieeffizienz TOP 35, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 36 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5 Aktuelle Stunde zum Grundsatzprogramm der Partei DIE LINKE TOP 8 Bundeskinderschutzgesetz TOP 9 Entwicklungspolitik TOP 10 Insolvenzrecht TOP 11 Familienpolitik TOP 12 Finanzkraft der Kommunen TOP 13 Kündigungsschutz bei unter 25-Jährigen TOP 14 Bundesverfassungsschutzgesetz TOP 15 Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik TOP 16 Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrecht TOP 32 Minijobs TOP 18 Europäisches Finanzaufsichtssystem TOP 19 Betreuung von Zivilpersonal in Konflikten TOP 20 Umweltauditgesetz TOP 21 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland TOP 22 Strategie gegen Lebensmittelverschwendung TOP 23 Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie TOP 24 Druckfarben für Lebensmittelverpackungen TOP 25 Gräbergesetz TOP 26 Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz TOP 27 Elektronische Gesundheitskarte TOP 28 Cannabis-Clubs Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713600000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Gu-

ten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten,
stehen noch eine Reihe von Nachwahlen zu Gremien
an.

Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass der Kollege
Michael Hartmann anstelle des Kollegen Dr. Dieter
Wiefelspütz neues stellvertretendes Mitglied im Ge-
meinsamen Ausschuss werden soll. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
der Kollege hiermit gewählt.

Ebenfalls auf Vorschlag der SPD-Fraktion ist vorge-
sehen, den Kollegen Frank Schwabe anstelle der Kolle-
gin Angelika Graf zum stellvertretenden Mitglied in der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu
wählen. Können Sie sich auch damit anfreunden? – Das
ist der Fall. Dann ist auch der Kollege Schwabe gewählt.

Die SPD-Fraktion hat darüber hinaus mitgeteilt, dass
der Kollege Uwe Beckmeyer als ordentliches Mitglied
aus dem Eisenbahninfrastrukturbeirat ausscheidet. Als
sein Nachfolger wird der Kollege Sören Bartol vorge-
schlagen. Stimmen Sie diesem Vorschlag zu? – Das ist

Rede
der Fall. Dann ist der Kollege Bartol in den Eisenbahn-
infrastrukturbeirat gewählt.

Eine weitere Wahl betrifft den Stiftungsrat der Stif-
tung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Der Beauf-
tragte für Kultur und Medien hat mitgeteilt, dass das
vom Auswärtigen Amt benannte stellvertretende Mit-
glied Rolf Mafael ausgeschieden ist und Frau Jutta
Frasch als dessen Nachfolgerin vorgeschlagen wird.
§ 19 des entsprechenden Gesetzes sieht vor, dass auch
die von anderen Stellen vorgeschlagenen Mitglieder des
Stiftungsrates vom Deutschen Bundestag bestätigt wer-
den. Deshalb frage ich Sie, ob Sie mit diesem Vorschlag
einverstanden sind. – Das ist der Fall. Dann ist Frau
Frasch als stellvertretendes Mitglied in dies
gewählt.

Der letzte Wahlvorschlag für heute komm
von der SPD-Fraktion. Es handelt sich nicht um die
tzung

en 27. Oktober 2011

.00 Uhr

Kanzlerwahl, aber immerhin um die Wahl eines ordentli-
chen Mitglieds im Stiftungsrat der „Stiftung Berliner
Schloss – Humboldt-Forum“. Dafür wird der Kollege
Florian Pronold als Nachfolger des Kollegen Uwe
Beckmeyer benannt. Findet das Ihre Zustimmung? – Das
ist der Fall. Dann ist der Kollege Pronold gewählt.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-
bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung einer Kommission des Deutschen
Bundestages zur Regulierung der Großbanken

– Drucksache 17/7359 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss


(siehe 135. Sitzung)


ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE

text
LINKE:

Unklare Konzepte der Bundesregierung zu
Steuersenkungen – Pläne zur Entlastung nied-
riger und mittlerer Einkommen

(siehe 135. Sitzung)


ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Aktions-
plan der Bundesrepublik Deutschland

– Drucksache 17/6927 –
Überweisungsvorschlag:

ss für Wirtschaft und Technologie (f)

sschuss
ss für Ernährung, Landwirtschaft und

cherschutz
ss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
es Gremium

t wiederum

Ausschu
Sportau
Ausschu
Verbrau
Ausschu

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Masterplan Straßenverkehrssicherheit – Am-
bitioniertes Nationales Verkehrssicherheits-
programm 2011 – 2020 vorlegen

– Drucksache 17/7466 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP:

Demokratischer Sozialismus und soziale Markt-
wirtschaft im Grundsatzprogramm der LIN-
KEN

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesre-
gierung als Risiko für die Konjunktur

– Drucksache 17/7461 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Schlecht, Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Aufbauprogramm gegen die Krise – Schutz-
schirm für Arbeitsplätze

– Drucksache 17/7338 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Darüber hinaus ist vorgesehen, den Tagesordnungs-
punkt 30 zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 6 auf-
zurufen sowie die Tagesordnungspunkte 17 und 32 zu
tauschen. – Auch dazu darf ich Einvernehmen feststel-
len. Dann ist das hiermit so beschlossen.

Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung telekommunikationsrechtlicher
Regelungen

– Drucksache 17/5707 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)

– Drucksache 17/7521 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Martin
Dörmann, Waltraud Wolff, Garrelt Duin, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Verbraucherschutz in der Telekommunika-
tion umfassend stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Martin
Dörmann, Lars Klingbeil, Garrelt Duin, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Netzneutralität im Internet gewährleisten –
Diskriminierungsfreiheit, Transparenzver-
pflichtungen und Sicherung von Mindest-
qualitäten gesetzlich regeln

– zu dem Antrag der Abgeordneten Martin
Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Schnelles Internet für alle – Flächende-
ckende Breitband-Grundversorgung sicher-
stellen und Impulse für eine dynamische
Entwicklung setzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Telekommunikationsmarkt verbraucherge-
recht regulieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Netzneutralität sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß,
Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Universaldienst für Breitband-Internetan-
schlüsse jetzt

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.
Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gegen das Zwei-Klassen-Internet – Netz-
neutralität in Europa dauerhaft gewährleis-
ten

– Drucksachen 17/4875, 17/5367, 17/5902,
17/5376, 17/4843, 17/6912, 17/3688, 17/7521 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Martin Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Stand und Perspektiven des Breitbandausbaus
in Deutschland

– Drucksachen 17/3899, 17/5588 –

Zu dem Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes
zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelun-
gen liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und je ein Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr.
Philipp Rösler.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Ich denke, wir alle wissen: Eine
gut ausgebaute Infrastruktur ist die beste Grundlage für
Wachstum und Beschäftigung. Das gilt für die klassische
Infrastruktur – Straße, Schiene und Energienetze –, das
gilt aber natürlich auch für moderne Informations- und
Kommunikationsnetze, gerade im Rahmen des Internets.
Sie sind so etwas wie das Nervensystem einer modernen
Informationsgesellschaft.

Deswegen ist es richtig, dass wir mit dieser TKG-No-
velle alles dafür tun, dass diese Netze weiter ausgebaut
werden können. Wir setzen dabei auf die bewährte Ar-
beitsteilung im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft:
Der Gesetzgeber beschränkt sich auf die Vorgabe des
Rahmens, während die Unternehmen gefordert sind, mit
den notwendigen Ideen, Technologien, Innovationen und
Geschäftsmodellen selber für neue Netze zu sorgen. Das
heißt, die Unternehmen und nicht der Staat haben die
Netze zu bauen. Jedwedem planwirtschaftlichen Denken
erteilen wir auch mit dieser TKG-Novelle eine klare Ab-
sage. Wir wollen kein planwirtschaftliches Denken, son-
dern wir wollen ein Handeln im Rahmen der sozialen
Marktwirtschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen setzen wir auf Anreize. Wir wollen eine
bessere Anreizregulierung, durch die den Unternehmen
langfristigere Planungen möglich sind. Dadurch ergibt
sich auch mehr Investitionssicherheit.

Wir wollen neue Instrumente – beispielsweise sollen
sich mehrere Unternehmen die anfallenden Kosten für
solche Investitionen teilen können –, und wir wollen
eine Vernetzung zwischen klassischer Infrastruktur auf
der einen Seite und modernen Kommunikationsstruktu-
ren auf der anderen Seite, also die Nutzung von Straße,
Schiene und Energienetzen auch beim Ausbau der Kom-
munikationsnetze, zum Beispiel für das Internet. Es wird
sich zeigen, dass wir mit Anreizen besser vorankommen
werden als mit Verordnungen oder planwirtschaftlichen
Vorgaben.

Es geht aber nicht nur um den Ausbau der Infrastruk-
tur, sondern wir müssen auch sagen, was im Internet pas-
sieren soll und was nicht passieren darf. Wir haben für
uns festgehalten: Das freie Internet ist die wesentliche
Grundlage für einen Fortschritt bei den Kommunika-
tionstechnologien. Deswegen spielt das Thema Netzneu-
tralität bei dem vorliegenden Gesetzentwurf auch eine
Rolle.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Künftig wird die Bundesregierung gemeinsam mit
Bundestag und Bundesrat die Möglichkeit haben, über
Rechtsverordnungen dafür zu sorgen, dass diese Netz-
neutralität gewährleistet bleiben kann; denn die neutrale
Datenübermittlung ist eine wesentliche Grundlage und
ein wesentlicher Bestandteil einer freien Informationsge-
sellschaft. Deswegen ist die TGK-Novelle gerade in Be-
zug auf Netzneutralität so wichtig.

Warum machen wir das alles: Netzausbau, Sicherung
der Netzneutralität? Wir machen das natürlich für die
Menschen in unserem Lande. Damit ist klar: Der Ver-
braucherschutz muss auch bei dieser Novelle eine große
Rolle spielen. Genau das tut er auch.

Künftig wird Schluss sein mit langlaufenden Internet-
oder Telefonverträgen. Wer hat sich nicht schon über
lange Vertragslaufzeiten geärgert? Wir machen endlich
Schluss mit kostenpflichtigen Warteschleifen, weil wir
nicht wollen, dass mit der Geduld der Menschen in
Deutschland Geld verdient wird, und wir wollen für eine
bessere Datensicherheit sorgen.

Viele von Ihnen nutzen schon Ortungsdienste, bei-
spielsweise mit ihrem Handy. Künftig wird es die Vor-
gabe geben, dass Anbieter von Ortungsdiensten ihre
Kunden per SMS darüber informieren müssen, wenn ge-
ortet wird. Das ist ein wesentlicher Beitrag zu dem wich-
tigen Thema Datenschutz im Bereich der Telekommuni-
kation und der Information.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dadurch zeigt sich der Wert dieses Gesetzentwurfes
insgesamt.

Wir wollen einen besseren Ausbau der Infrastruktur
und setzen dabei nicht auf Planwirtschaft, sondern auf
die guten Instrumente der sozialen Marktwirtschaft. Wir
wollen klare inhaltliche Strukturen, Netzneutralität im
Interesse der Kundinnen und Kunden und eine Absiche-
rung des Verbraucherschutzes, wie sich das für gute Ge-
setze im Ergebnis auch gehört.

Wir alle wissen: In den letzten 15 Jahren haben die In-
formations- und Kommunikationstechnologien mehr als
50 Prozent zur Produktivitätssteigerung beigetragen.
Das ist der beste Beweis dafür, dass wir auch mit dieser
TKG-Novelle einen Beitrag zur Verstetigung des Wachs-
tums in Deutschland leisten.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)

Ich bedanke mich für die bisherigen Diskussionen
und bitte im Anschluss um Ihre Zustimmung zu dieser
TKG-Novelle.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713600100

Nächster Redner ist der Kollege Martin Dörmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1713600200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Herr Minister, wir haben durchaus positiv ver-
nommen, dass Sie hier das Thema Netzneutralität in den
Vordergrund gestellt haben. Ich denke, wir werden Sie
an Ihren Worten messen.

Ich komme gerade von einer Diskussion, wo ein Uni-
onskollege gesagt hat:


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wer denn?)


Netzneutralität ist ein staatlicher Eingriff. – Das hat er
kritisch gemeint. Ich bin gespannt, wie die Koalition das
zusammenbringt.


(Zuruf von der FDP: Wer war es denn?)


– Ich denke, der Kollege Jarzombek wird nachher selber
dazu Stellung nehmen.

Ich komme gerade von einer Veranstaltung der Ame-
rikanischen Handelskammer mit dem Titel: Das TKG in
der Warteschleife? Ich finde, die Fragestellung passt sehr
gut zu dem gesetzgeberischen Stillstand in den mehr als
fünf Monaten seit der ersten Lesung der Novelle. Immer
wieder hat die Koalition die abschließenden Beratungen
verschoben, weil es innerhalb der Unionsfraktionen oder
zwischen FDP und Union hin- und herging. Zum zentra-
len Thema Breitbandausbau fand man lange keine ge-
meinsame Position. Inzwischen ist übrigens die Umset-
zungsfrist für die einschlägigen EU-Richtlinien längst
verstrichen, sodass Deutschland eine Strafzahlung droht.

Am Dienstag dieser Woche jedoch hat die Koalition
ihr eigenes Chaos noch einmal gesteigert. Morgens hieß
es, das TKG würde beraten. Mittags wurde den Parla-
mentarischen Geschäftsführern dann mitgeteilt, die Be-
ratung müsse um eine Woche verschoben werden. Als
dann die Fraktionssitzungen zum Teil schon beendet wa-
ren, kam am späten Nachmittag überraschend die Nach-
richt: Das Thema wird doch wieder auf die Tagesord-
nung gesetzt.

Erst am Abend wurde dann der umfangreiche Ände-
rungsantrag der Koalitionsfraktionen per E-Mail zugesen-
det. Den meisten Abgeordneten wurde so die Möglichkeit
genommen, die Unterlagen vor den Ausschusssitzungen
am nächsten Tag sorgfältig zu prüfen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Unverschämtheit!)

Doch damit nicht genug. Im Innenausschuss kam es am
Mittwoch zum Eklat, weil die Koalitionsmehrheit eine
Debatte zur Gesetzesnovelle verhinderte. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, das ist
kein angemessener Umgang mit einem wichtigen Ge-
setz. Sie sollten Ihre Streitigkeiten zukünftig nicht mehr
auf dem Rücken des Parlamentes austragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch das inhaltliche Ergebnis lässt doch an vielen
Stellen zu wünschen übrig. Immerhin wollen wir aber
anerkennen, dass es in einigen Punkten durchaus Verbes-
serungen gab, die wir ausdrücklich begrüßen. Nament-
lich will ich den auch von uns geforderten besseren Zu-
gang zu alternativen Infrastrukturen nennen, der
Kostenvorteile für den Breitbandausbau ermöglicht.
Wichtige unserer Forderungen wurden jedoch nicht um-
gesetzt. Ich will in diesem Zusammenhang auf die von
der SPD-Fraktion vorgelegten umfassenden Anträge zu
den Themenbereichen Breitbandausbau, Netzneutralität
und Verbraucherschutz hinweisen. So springt die Regie-
rungskoalition insbesondere beim Thema Breitbandaus-
bau trotz einiger Einzelverbesserungen weiterhin zu
kurz.

Zwei Aspekte müssen wir beim Breitbandausbau un-
terscheiden: Zum einen geht es um eine flächendeckende
Grundversorgung, damit schnelles Internet für alle end-
lich verwirklicht werden kann. Zum anderen brauchen
wir eine dynamische Entwicklung und damit einen wei-
teren Ausbau der Glasfasernetze. Eine schnelle Internet-
verbindung – darin sollten wir uns eigentlich einig sein –
wird inzwischen in vielen Lebensbereichen einfach vo-
rausgesetzt. Damit ist ein Breitbandanschluss aber auch
zu einem Teil der Daseinsvorsorge geworden.

Deshalb will die SPD-Bundestagsfraktion mithilfe ei-
ner gesetzlichen Universaldienstverpflichtung die Grund-
versorgung sicherstellen. Noch immer sind zahlreiche
Kommunen und Hunderttausende von Haushalten nur
unzureichend versorgt. Universaldienst bedeutet dabei:
Jeder hat einen Anspruch auf die Leistung, aber eben
nicht kostenlos, sondern zu einem angemessenen Preis.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie hoch soll der denn sein?)


Nach meiner festen Überzeugung haben wir hierfür als
einzige Fraktion einen wirklich europarechtskonformen
Weg aufgezeigt.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Wir orientieren uns dabei an einem Gutachten des Wis-
senschaftlichen Dienstes, das wir frühzeitig in Auftrag
gegeben und übrigens allen Fraktionen zur Verfügung
gestellt haben. Die EU-Universaldienstrichtlinie erlaubt
keine beliebige Verpflichtung, sondern setzt dafür klare
Grenzen und Kriterien.

Der Universaldienst muss technologieneutral ausge-
staltet werden und Wettbewerbsverzerrungen vermeiden.
Die konkrete Bandbreite muss sich an der Bandbreite





Martin Dörmann


(A) (C)



(D)(B)

orientieren, die von der Mehrheit der Nutzer tatsächlich
verwendet wird. Es geht also um die abgeschlossenen
Verträge und um die Übertragungsgeschwindigkeiten,
die mehrheitlich erreicht werden.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nennen Sie doch einmal eine Zahl!)


Nach Einschätzungen der Branche und der Bundes-
netzagentur dürften diese Bandbreiten irgendwo in einem
Bereich zwischen 2 und 6 Megabit pro Sekunde liegen.
Exakte Erhebungen und Zahlen gibt es allerdings noch
nicht. Gerade deshalb fordert die SPD-Fraktion in ihrem
Antrag, dass zunächst die zulässige Bandbreite ermittelt
und dann auch konkret in das Gesetz aufgenommen
wird.


(Beifall bei der SPD)


Nur ein solcher Weg schafft echte Planungssicherheit
und vermeidet mögliche Klagen von Unternehmen.

Nun wollen auch Grüne und Linksfraktion den Uni-
versaldienst; sie legen sich aber bereits heute auf eine
konkrete Bandbreite fest, die eben nicht solide ermittelt
wird.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie die EU!)


Die Grünen etwa zitieren aus einem eigenen Gutachten,
in dem die Berechnungsmethode nicht dargelegt ist. Es
gibt also zurzeit noch keine verifizierten Zahlen.

Die FDP ist bekanntlich aus ideologischen Gründen
ganz gegen den Universaldienst,


(Claudia Bögel [FDP]: Das sind gute Gründe! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DagegenPartei!)


und in der Union gibt es ein ziemlich großes Durchei-
nander. Noch am Dienstagmorgen hieß es, der Universal-
dienst sei im Antragsentwurf enthalten. In einem Papier
der Unionsfraktion war zwischenzeitlich sogar von einem
Universaldienst mit 16 oder 50 Megabit die Rede, ob-
wohl jeder Experte weiß, dass das rechtlich erst recht
nicht umzusetzen wäre.

Ich glaube, gerade diese unseriöse Diskussion hat am
Ende berechtigte Kritik provoziert und vielleicht auch
verhindert, dass heute ein vernünftiges Modell seitens
der Koalition zur Abstimmung gestellt wurde. Ich hoffe,
dass die Diskussion durch den Umweg über den Bundes-
rat – der Gesetzentwurf ist schließlich zustimmungs-
pflichtig – vielleicht noch nicht ganz abgeschlossen ist.

Ich will an dieser Stelle noch auf die Argumente ein-
gehen, die gegen eine Universaldienstverpflichtung vor-
getragen werden. So heißt es, der Wettbewerb werde
schon zu den richtigen Ergebnissen führen, und es wird
auf den bereits begonnenen LTE-Ausbau hingewiesen.
Ich will ausdrücklich betonen: Auch wir sind für Wettbe-
werb und Investitionen möglichst vieler Unternehmen.
Die Mobilfunkunternehmen haben aber keine vollstän-
dige, sondern nur eine weitgehende Abdeckung ange-
kündigt. Die höchste Zahl, die genannt wird, ist 99 Pro-
zent. Das ist bekanntlich weniger als 100 Prozent.

Eine vollständige Abdeckung ist also noch nicht si-
cher. Sie war im Übrigen auch seinerzeit in den Verstei-
gerungsbedingungen nicht enthalten. Darin ging es nur
um 90 Prozent. Deshalb sagen wir: Verbleibende weiße
Flecken dürfen wir nicht weiter hinnehmen.


(Beifall bei der SPD – Claudia Bögel [FDP]: Das machen wir auch nicht!)


Im Übrigen sind auch keine Wettbewerbsverzerrun-
gen zu befürchten. Denn der Universaldienst würde nur
dort greifen, wo nicht investiert wird. Wo kein Wettbe-
werb ist, kann auch nichts verzerrt werden.

Hinzu kommt: Unser Vorschlag sieht vor, dass wir die
Universaldienstverpflichtung erst zum 1. Januar 2013
wirksam werden lassen. Damit erhalten die Unterneh-
men selbst die Möglichkeit, durch einen vollständigen
Ausbau die Auferlegung von Verpflichtungen zu vermei-
den.

Sollte sich Ende 2012 hoffentlich herausstellen, dass
es keine weißen Flecken mehr gibt, bräuchte also auch
kein aufwendiges Verfahren in Gang gesetzt zu werden.
Mit einer gesetzlichen Regelung hätten wir aber endlich
die Gewissheit, dass alle Kommunen und Haushalte ver-
sorgt werden.

Neben einer Grundversorgung im Sinne der Daseins-
vorsorge brauchen wir eine dynamische Entwicklung
beim weiteren Breitbandausbau. Das bedeutet in erster
Linie einen schrittweisen Ausbau des Glasfasernetzes.


(Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Präsident, ich glaube, der Kollege Jarzombek hat
eine Frage.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713600300

Das klingt sehr stark nach einer seit Tagen bestehen-

den Absprache. Aber zu dieser frühen Morgenstunde
wollen wir besonders großzügig sein. – Bitte schön, Herr
Kollege Jarzombek.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713600400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege

Dörmann, wir führen schon fast die Diskussion von vor-
hin fort.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713600500

Sehen Sie? Ich fühle mich bestätigt.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713600600

Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Universal-

dienst, den Sie ins Gesetz aufnehmen wollen, zum 1. Ja-
nuar 2013 greift? Sie wissen, dass man dann erst einmal
den jeweiligen Bedarf feststellen muss. Anschließend
muss ausgeschrieben werden. Die Unternehmen müssen
sich auf diese Ausschreibungen hin bewerben. Es wird
Widersprüche bei den Vergabekammern geben. Dann





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)

wird die Infrastruktur ausgebaut. Dieser Prozess wird,
vorsichtig geschätzt, zwei bis vier Jahre dauern.

Das heißt, ausgehend vom 1. Januar 2013 streben Sie,
wenn man die zwei bis vier Jahre dazurechnet, für 2016
eine Bandbreite von 2 Megabit an. Ist das heute Ihr Vor-
schlag?


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist die SPD!)



Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1713600700

Nein, Herr Jarzombek. Erstens ist Ihr Zeitplan falsch.

Richtig ist: Das Ganze soll ab dem 1. Januar 2013 als ge-
setzliche Verpflichtung greifen. Richtig ist auch, dass
dann natürlich erst einmal der Bedarf festgestellt werden
muss und dass es dann gegebenenfalls eine Ausschrei-
bung geben muss. Wir haben die Hoffnung, dass Ihre
Prognose, dass der LTE-Ausbau sehr weit reicht, dazu
führen wird, dass es eine überschaubare Anzahl von Re-
gionen gibt, in denen man eine Prüfung vornehmen
muss. Dann wird ausgeschrieben. Dort, wo weiße Fle-
cken bleiben, greift die Regelung.

Da Sie auf 2 Megabit abzielen: Wir haben in unserem
Antrag ausdrücklich das aufgenommen, was die EU vor-
gibt. Wir müssen erst einmal feststellen, welche Band-
breite von einer Nutzermehrheit verwendet wird. Wir
haben in unserem Antrag die Bandbreite nicht konkreti-
siert, weil wir noch keine exakten Zahlen haben.

Wenn Sie argumentieren, dass es letztendlich kein
Problem gibt, weil der Ausbau so umfassend vorgenom-
men wird, dann wird es auch nicht zu einer solchen Zeit-
abfolge kommen. Eigentlich ist Ihre Argumentation die
beste Begründung dafür, endlich eine gesetzliche Absi-
cherung vorzunehmen.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe gerade angedeutet: Es geht auch um eine dy-
namische Entwicklung des Glasfaserausbaus. Wir brau-
chen in Zukunft höhere Übertragungsgeschwindigkei-
ten. Beim Glasfaserausbau haben wir aber das Problem,
dass die Tiefbaukosten sehr hoch sind, fast 80 Prozent
der Gesamtkosten betragen und dass sich deshalb ein
entsprechender Ausbau in ländlichen Gebieten oft nicht
lohnt, zumal die Bereitschaft der Kunden, für größere
Bandbreiten mehr Geld zu zahlen, nicht sehr ausgeprägt
ist. Höhere Übertragungsraten lassen sich noch nicht in
ausreichendem Maße vermarkten. Doch alle Erfahrung
zeigt: Der Datenhunger wird dynamisch wachsen. Künf-
tig wollen die Menschen über ihren HD-Fernseher Strea-
ming-Angebote und Internetanwendungen abrufen, viel-
leicht sogar auf mehreren Geräten im Haushalt. Das
bietet eine enorme wirtschaftpolitische Chance, weil
diese Dynamik zu Wachstum führt. Auch an dieser Stelle
sollte Deutschland Spitze sein.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir ein Maßnahmen-
bündel, das die Wirtschaftlichkeitslücke schrittweise
schließt. Dazu gehört die konsequente Hebung von Syner-
gieeffekten, etwa der Zugang zu vorhandenen Infrastruk-
turen, um Grabungskosten zu vermeiden. Gezielte För-
derprogramme können ebenfalls helfen. Oft würde es
bereits ausreichen, wenn das investierende Unternehmen
langfristige Kredite zu günstigeren Zinsen aufnehmen
könnte. Deshalb regen wir ein Sonderprogramm bei der
KfW an, das zu einer Zinsverbilligung führt. Ich freue
mich, dass das Wirtschaftsministerium in der gestrigen
Ausschusssitzung zugesagt hat, diesen Vorschlag kon-
struktiv zu prüfen.

Dazu gehören ebenfalls eine investitionsfreundliche
Regulierung und ein Open-Access-Marktmodell. Wir
brauchen eine Vielzahl an Maßnahmen, um hier weiter-
zukommen. Viele Baustellen bleiben auch nach Ver-
abschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
telekommunikationsrechtlicher Regelungen bestehen.

Ich komme zum Schluss. Lassen Sie uns heute und in
Zukunft die Rahmenbedingungen schaffen, damit Warte-
schleifen im Netz und in der Politik der Vergangenheit
angehören.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713600800

Der Kollege Andreas Lämmel erhält nun für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1713600900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich will erst einmal den Nebel lichten, den Sie, Herr
Dörmann, versucht haben zu verbreiten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!)


Wenn Sie Ihre Redezeit genutzt hätten, etwas Substan-
zielles beizutragen, anstatt polemische Ausführungen zu
machen, wäre der Debatte wahrscheinlich mehr gedient
gewesen. Grundsätzlich muss man feststellen, dass in
der Debatte über das TKG keine wirklich ideologischen
Barrieren zwischen den Fraktionen bestehen. Aus mei-
ner Sicht war der stattgefundene Dialog ziemlich sach-
lich.

Worum geht es bei dem Gesetz zur Änderung tele-
kommunikationsrechtlicher Regelungen? Es geht erstens
um die Umsetzung von EU-Richtlinien, zweitens um
bessere Rahmenbedingungen für einen beschleunigten
Breitbandausbau, drittens um die Schaffung von Rechts-
sicherheit für die Branche durch investitionsfreundliche
Anreize und Regulierungen sowie viertens um einen
besseren Schutz der Verbraucher. Das sind die vier The-
men, die zu regeln waren.

Die EU-Richtlinien zur besseren Regulierung und den
Rechten der Bürger wurden 2009 überarbeitet und muss-
ten jetzt in nationales Recht umgesetzt werden. Diese
Vorgabe werden wir mit der heutigen Verabschiedung
erfüllen.

Der beschleunigte Breitbandausbau ist das Thema,
das in der deutschen Öffentlichkeit eine sehr große Rolle
spielt. Das ist auch das Kernthema unseres Gesetzes. Es
lohnt sich, einen Blick auf die letzten zwei Jahre zurück-





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

zuwerfen, um festzustellen, was sich in Deutschland seit
Februar 2009 eigentlich getan hat, als die Breitbandini-
tiative der Bundesregierung beschlossen wurde und da-
mit ein großes Werk in Gang gesetzt wurde. 2009 war
die Kritik groß. Deutschland verharrte am untersten
Ende bei der Breitbandversorgung in Europa. Was ist bis
heute geschehen? Deutschland gehört zu den führenden
und dynamischsten Breitbandmärkten in Europa. Die
Breitbandnutzung hat im Vergleich mit den fünf größten
EU-Ländern die höchste Dichte erreicht. Wir sind also
innerhalb von zwei Jahren vom unteren Ende an die
Spitze gelangt. Die Quelle für diese Zahlen ist die EU-
Kommission selbst. Es sind also keine Zahlen der Bun-
desregierung, der man unterstellen könnte, das schönzu-
rechnen.

Mitte 2011 waren 99 Prozent der deutschen Haushalte
mit mindestens 1 Megabit pro Sekunde angeschlossen,
wenn man alle Technologien berücksichtigt. 40 Prozent
der Haushalte haben Zugang zu einem Anschluss mit
mindestens 50 Megabit pro Sekunde. Der Zuwachs bei
den 50 Megabit pro Sekunde ist der größte Zuwachs
überhaupt. 2009 waren es noch unter 10 Prozent, heute
liegen wir bei 40 Prozent.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schönfärberei! Unerträglich!)


Der Markt ist also sehr dynamisch.

Große Zuwächse gab es auch im Bereich von 2 Mega-
bit und 6 Megabit, vor allem im Jahr 2011. Das hängt
ganz wesentlich damit zusammen, dass der Ausbau des
mobilen Internets, der sogenannte LTE-Ausbau, eine
große Dynamik entfaltet hat. Die Bundesnetzagentur hat
erst in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass in
sechs Bundesländern mittlerweile die Ausbauverpflich-
tung für die ländlichen Räume erfüllt ist. Das heißt,
90 Prozent der von den Ländern gemeldeten weißen Fle-
cken sind mit mobilem Internet versorgt. Damit können
jetzt die Mobilfunkunternehmen den Ausbau in den Bal-
lungszentren fortsetzen. Seit Anfang 2009 wurden über
2 Millionen Haushalte an die Grundversorgung ange-
schlossen. Das ist eine große Leistung. Es sind damit
enorme Investitionen gestemmt worden.

Ich kenne aber viele Kollegen, die das nicht interes-
siert, weil sie in einem Gebiet wohnen, das in Sachen In-
ternet ein weißer Fleck ist und wo keine Grundversor-
gung besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist natürlich ein großes Problem, zum einen für die
Bürger, die in diesem Gebiet leben, zum anderen auch
für die Wirtschaft. Deswegen sind der beschleunigte
Ausbau und die Schließung der Lücken die Hauptstoß-
richtung unseres Gesetzes. Es geht also erstens um die
Beschleunigung des Ausbaus und zweitens – das hat
Herr Dörmann schon kurz angesprochen – um die Kos-
tensenkung beim Ausbau. Wenn man verschiedene Be-
rechnungen vergleicht, dann stellt man fest, dass die
Zahlen differieren. Die einen sagen, es koste 40 Milliar-
den Euro, andere Experten sprechen von 50 oder 60 Mil-
liarden Euro. Eines aber ist klar: Der flächendeckende
Anschluss von Haushalten an das Glasfasernetz ist
enorm teuer.

Es geht jetzt darum, neue Instrumente zu schaffen und
mit der Regulierung, die im TKG verankert ist, neue An-
reize für Investitionen zu schaffen. Damit kommen wir
zum Unterschied zu Ihnen, Herr Dörmann. Wir sind
ganz klar der Meinung, dass dieser Ausbau im Rahmen
eines Marktmodells stattfinden muss. Alle Unterneh-
men, die in der Branche tätig sind, haben in den letzten
zwei Jahren bewiesen, dass sie in der Lage sind, mit
marktwirtschaftlichen Modellen eine flächendeckende
Versorgung zu erreichen. Trotzdem – jetzt kommen wir
zu dem entscheidenden Punkt – wird das eine berühmte
Prozent übrig bleiben. Es muss also darum gehen, dass
wir Lösungen für das restliche Prozent, das noch nicht
versorgt ist, finden, damit eine völlige Flächendeckung
in Deutschland erreicht wird.

Ich will noch ein paar Zahlen zu den Kosten für die
Anschlüsse nennen – das wurde vor kurzem veröffent-
licht –: Die Aufrüstung eines DSL-Anschlusses zu
einem VDSL-Anschluss kostet ungefähr 700 Euro pro
Anschluss. Ein FTTB, also das Verlegen von Glasfaser-
kabeln bis ins Gebäude, kostet ungefähr 1 400 Euro pro
Anschluss, und ein Fibre to the Home, also das Verlegen
von Glasfaserkabeln bis in die Wohnung, kostet unge-
fähr 4 000 Euro pro Anschluss. Daran kann man sehen,
wie groß die Preisdifferenzen zwischen den einzelnen
Anschlussarten sind.

Wir haben in Deutschland zwei neue Instrumente ge-
schaffen, die helfen, den Breitbandausbau wesentlich zu
beschleunigen:

Das eine ist das Breitbandbüro beim Bundeswirt-
schaftsministerium. Dieses Breitbandbüro hat sich mitt-
lerweile zu einem Kompetenzzentrum des Breitbandaus-
baus entwickelt, ist Ansprechpartner für die Bürger, für
die Wirtschaft, für die Kommunen, für die Landkreise
und hilft dabei, ganz spezielle Modelle zu konstruieren,
um den regionalen Ausbau in Deutschland voranzubrin-
gen.

Das zweite Instrument ist der Breitbandatlas. Jeder
kann ihn über das Internet einsehen. Das ist eine echte
Innovation. Überlegen Sie sich einmal: Deutschland ist
geteilt in 4,2 Millionen Raster.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!)


Ein Raster ist 250 Meter mal 250 Meter klein. Man kann
also sehr detailliert feststellen, welche Infrastruktur und
welche Anschlussmöglichkeiten in dem jeweiligen Ge-
biet vorhanden sind.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mit traurigen Ergebnissen!)


Die Länder selbst haben bei ihren Meldungen der Priori-
tät-1-Gebiete nicht gewusst, wo Breitbandanschlüsse
vorhanden sind. Es ist also dringend notwendig, dass
man sich einmal darüber klar wird, wo welche An-
schlussmöglichkeiten schon heute bestehen.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren, zusammenfassend will ich
sagen: Die Verabschiedung des heute vorliegenden Ge-
setzentwurfes wird Deutschland einen großen Fortschritt
bringen. Die verbesserten Möglichkeiten der Regulie-
rung und die Investitionssicherheit für Unternehmen ge-
ben weitere Investitionsanreize. An den Bundesrat
möchte ich appellieren, sich bei der Behandlung des Ge-
setzes auf die wirklich wichtigen Themen zu fokussieren
und eine Einigkeit zu finden, statt in vielen zusätzlichen
Verhandlungsrunden das Inkrafttreten dieses Gesetzes zu
verzögern.


(Klaus Barthel [SPD]: Weil Sie die Zeit verschlafen haben!)


Ich bin überzeugt davon, dass wir am heutigen Tag ei-
nen großen Schritt nach vorne tun. Ich bedanke mich bei
allen Partnern, die an diesem schwierigen Gesetz mitge-
wirkt haben. Jeder, der daran beteiligt war, weiß, wie
kompliziert die Verhandlungen teilweise waren. Herr
Dörmann, ich denke, insgeheim sind Sie eigentlich bei
uns. Sie werden dem Gesetz hoffentlich zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Dörmann [SPD]: Das wollen wir doch einmal abwarten!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713601000

Das Wort hat nun die Kollegin Johanna Voß für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Johanna Voß (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713601100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während

in vielen Großstädten inzwischen Internetanschlüsse mit
200 Megabit pro Stunde


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Pro Stunde! Das sind die Linken!)


– pro Sekunde – existieren, müssen die Menschen auf
dem Land froh sein, wenn sie per Mobilfunk ins Internet
können, und damit erreichen sie nur den einstelligen Me-
gabitbereich. Sobald mehrere Nutzer online sind, sinkt
die Geschwindigkeit rasant, und das kostet dann weit
mehr als ein Breitbandanschluss in der Stadt. Aber
schlimmer geht immer: übers Modem ins Internet. Das
betrifft immer noch über 1 Million Menschen. Ein Inter-
netanschluss mit Modem ist so gut wie kein Internetan-
schluss. Das Surfen wird zur Strafe. Betriebe auf dem
Land können noch nicht einmal Mails mit Anhängen öff-
nen. Wie soll man da arbeiten? Wie soll man da einen
Betrieb leiten? Das ist kein Zustand!

Der Breitbandanschluss muss daher endlich zur Norm
für alle werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geht nur mit der Aufnahme in den Universaldienst-
katalog. Schon vor knapp vier Jahren hat die Linke das
an genau dieser Stelle gefordert – leider ohne Erfolg.
Jetzt haben sich die Grünen endlich unserer Forderung
angeschlossen.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl lächerlich! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einbildung ist auch eine Bildung!)


Sie fordern nun wie wir eine Universaldienstverpflich-
tung für das Breitbandinternet von erst einmal 6 Megabit
pro Sekunde. Glückwunsch dazu!

Auch die SPD hat sich in letzter Minute bewegt und
will ab 2013 einen Rechtsanspruch auf schnelles Inter-
net. Auch sie hat eingesehen, dass der LTE-Mobilfunk
keine lückenlose Grundversorgung leisten wird.

Doch wie es aussieht, will die Union sich nicht gegen
die FDP durchsetzen. Sie halten weiter den längst ge-
scheiterten freien Wettbewerb hoch


(Lachen der Abg. Claudia Bögel [FDP])


und verhindern eine Verpflichtung der Unternehmen. Sie
haben zu verantworten, dass sich Deutschland beim
schnellen Internet gerade einmal noch im Mittelfeld der
europäischen Länder bewegt, dass ganze Landstriche in
ihrer Entwicklung gebremst werden


(Claudia Bögel [FDP]: Mein Gott! Das ist ja fürchterlich!)


und Menschen von der virtuellen Außenwelt abgeschnit-
ten sind. Zwischen dem Reichen und dem Armen ist es
die Freiheit, die unterdrückt, und das Recht, das befreit,
heißt es im Geiste Rousseaus.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oha!)


In ihrem Marktwahn bleiben Union und FDP sogar
hinter den Vorgaben der EU zurück. Auf EU-Ebene steht
„funktionales Internet“ im Universaldienstkatalog. Lei-
der ist der Begriff nicht näher definiert. Die Mitglied-
staaten sollen so länderspezifische Gegebenheiten be-
rücksichtigen können. Doch was machen Sie von
Schwarz-Gelb daraus? Sie behalten den unbestimmten
Begriff bei!

Appelle an Unternehmen, freiwillige Verpflichtungen
einzugehen, bringen hier nichts. Da braucht man nur auf
den Frauenanteil in den Führungsetagen der Dax-Kon-
zerne zu schauen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was hat das miteinander zu tun?)


Unternehmen sind keine Wohltätigkeitsvereine. Sie wol-
len möglichst viel Gewinn machen.


(Claudia Bögel [FDP]: Wovon leben wir denn alle?)


Sie haben kein Interesse daran, freiwillig ihr Geld in die
unrentablen ländlichen Gebiete hineinzupumpen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau so ist es!)


Aber Sie als Regierung haben einen Versorgungsauftrag.
Die Gewinne der Unternehmen haben Sie nicht so zu in-





Johanna Voß


(A) (C)



(D)(B)

teressieren wie die Versorgung der Menschen. Das muss
Ihr oberstes Interesse sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist auch Ihre Aufgabe, den Unternehmen die nöti-
gen Vorgaben zu machen oder aber die Netze in die öf-
fentliche Hand zu überführen. Sie müssen dafür sorgen,
dass alle Bürgerinnen und Bürger mit schnellem Internet
schleunigst grundversorgt werden. Oder hätten Sie Lust,
zwei Stunden zu warten, bis Ihr Virenschutzprogramm
endlich hochgeladen ist?


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ich lade es immer runter!)


Glauben Sie den Unternehmen nicht alles!

Wir wollen den Universaldienst mit einer Übertra-
gungsrate von erst einmal 6 Megabit pro Sekunde für
alle. Damit ist eine Grundversorgung wieder gewährleis-
tet. Diese Vorgabe muss natürlich regelmäßig an den
Stand der Technik angepasst werden. Zumindest Sie von
den Grünen sollten unserem Antrag zustimmen. Unsere
Kernforderungen haben Sie ja übernommen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird nicht richtiger, wenn man es immer wieder behauptet!)


Am besten wäre es, auch SPD und CSU stimmten zu;
dann hätten wir endlich die notwendige Mehrheit für
schnelles Internet. Ansonsten heißt es, noch einmal zu
warten oder auf den Bundesrat oder engere Vorgaben aus
der EU zu hoffen. Aber das wäre ein Trauerspiel für ein
Land, das sich für so technologiefreundlich und modern
hält.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713601200

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Tabea Rößner,

Bündnis 90/Die Grünen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713601300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wie die
Jungfrau das Kind haben wir am Dienstagabend 100 Sei-
ten mit Änderungsanträgen zum Telekommunikations-
gesetz bekommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)


Das ist nicht nur inakzeptabel, unkollegial, sondern auch
völlig unnötig; denn die Frist der EU ist eh verpasst. Of-
fensichtlich sollen Änderungen im Schweinsgalopp
durchgepeitscht werden. Ein Schelm, wer Böses dabei
denkt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was aber noch schlimmer ist: Das Verfahren trägt der
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und netzpolitischen
Bedeutung dieses Gesetzes in keiner Weise Rechnung.
Die Koalition gibt mit dieser Novelle eine Absage an das
Recht auf Breitband für alle und hat dabei noch mal eben
ein paar erforderliche Schutzrechte versenkt. Die FDP
macht das mit, nur um einen Universaldienst zu verhin-
dern, den die CSU eigentlich wollte.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie wollen das! – Claudia Bögel [FDP]: Sie wollen das! Zwangsversorgung!)


Deshalb frage ich mich: Worauf haben Sie sich denn
überhaupt geeinigt? Die Bürgerinnen und Bürger haben
jedenfalls gleich zweimal verloren. Armes Deutschland!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während die FDP immer noch glaubt, der Markt re-
gele alles, so beweist der Stand der Breitbandversorgung
genau das Gegenteil, Herr Rösler. Fast eine halbe
Million Haushalte verfügt nicht einmal über einen Inter-
netanschluss mit einer Leistung von 1 Megabit pro Se-
kunde. Da frage ich mich, ob es Ihr Bundestrojaner über
eine solch langsame Leitung überhaupt in die Rechner
schaffen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Lange Leitung!)


Im Ernst: Ohne mindestens 1 Megabit ist Homeoffice
– heute eine Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf – genauso wenig möglich wie die Di-
rektvermarktung kleiner Betriebe. Grundstücke verlieren
ohne Breitbandanschluss an Wert. Aber vor allem
braucht Deutschland für die Wirtschaft eine leistungs-
starke und moderne Infrastruktur.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)


Statt neuer Straßen brauchen wir den Ausbau der Daten-
autobahnen. Das ist sinnvoll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Investitionen in Breitband ermöglichen eine klassi-
sche Win-win-Situation. Die OECD sagt, dass in den
wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten die Breitband-
kommunikation ein Drittel des Produktivitätszuwachses
ausmacht. Hier geht es also nicht darum, irgendwelche
Geschenke zu verteilen, sondern es geht darum, die
Wirtschaftskraft Deutschlands zu stärken; denn Breit-
band ist ein Standortfaktor.

In Sachen Glasfaser spielt Deutschland höchstens in
der Kreisliga. Während in Schweden schon ein Viertel
der Haushalte über Glasfaser verfügt, es in Südkorea fast
100 Prozent sind, sind es in Deutschland nicht einmal
2 Prozent der Haushalte, die einen Glasfaser-Hausan-
schluss haben. Herr Lämmel, was für ein Breitbandbüro
Sie meinen, ist mir schleierhaft. Vielleicht meinen Sie
Ihr Politbüro.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie sich aber wirklich in der Richtung vertan, Frau Kollegin! Die Politbüros sitzen da drüben!)






Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)

Das ist kein gutes Zeichen und sagt einiges über die
Rolle, die das Internet beim einstigen Exportweltmeister
spielt. So wird das nichts mit der Hightech-Strategie von
Frau Merkel. Das ist eine Slow-Motion-Strategie.

Sie nennen immer nur Ziele, aber schweigen über den
Weg dahin. Sie hatten das Ziel, 2010 alle Haushalte mit
1 Megabit pro Sekunde anzuschließen. Das Ziel wurde
nicht erreicht. Jetzt haben Sie das Ziel, 2015 alle Haus-
halte mit einer Bandbreite von 50 Megabit pro Sekunde
zu versorgen. Wie dies aber ermöglicht und vor allem
wie dies finanziert werden soll, das bleibt Ihr Geheimnis.
Wenn Ihre Ziele aber so schnell wechseln wie die zu-
ständigen Minister, dann kann man leider auch nicht
mehr erwarten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen den Glasfaserausbau schneller voranbrin-
gen. Daher brauchen wir neben der Verpflichtung zur
Verlegung von Leerrohren gezielte finanzielle Anreize
wie zum Beispiel die Förderung von Open Access.

Für eine Grundversorgung fordern wir einen Univer-
saldienst. Jeder Haushalt soll ab 2013 ein Recht auf ei-
nen Anschluss mit einer Bandbreite von 6 Megabit pro
Sekunde haben. Das ist übrigens die Bandbreite, über die
die Mehrheit der Bevölkerung jetzt schon verfügt. Damit
ist unser Vorschlag auch EU-rechtskonform. Dass er ju-
ristisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist, haben
wir in einem Gutachten überprüfen lassen. Damit haben
wir die Hausaufgaben gemacht, deren Erledigung man
eigentlich von der Koalition hätte erwarten müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Ihrem Gesetzentwurf werden die weißen Flecken si-
cherlich nicht geschlossen werden.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Weil es grüne sind!)


Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Verbrau-
cherschutz sagen. Das groß angekündigte Versprechen
einer kostenlosen Warteschleife wird nicht gehalten.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was? – Weiterer Zuruf von der FDP: Was?)


Stattdessen gibt es ein mehrstufiges Kostenmodell. Nur
die ersten zwei Minuten sollen für Anrufer kostenfrei
sein. Dann werden einige Anbieter die Leute in der
Schleife warten lassen. Schließlich gehört das bei eini-
gen Anbietern zum Geschäftsmodell. Wir fordern, dass
Warteschleifen ohne Wenn und Aber kostenfrei sein
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun zu den Tarifkonditionen: Wir vermissen einen
verbraucherfreundlichen Ein-Jahres-Grundtarif und ein
einmonatiges Sonderkündigungsrecht. Aktuell stehen
die Verbraucherinnen und Verbraucher vor einem
Dschungel an Tarifen mit vielen Tücken im Kleinge-
druckten. Hier muss mehr Transparenz herrschen.

Zusammenfassend kann ich sagen: Die Bundesregie-
rung setzt mit dieser Vorlage die Vorgaben europäischer
Richtlinien zur Telekommunikation zwar um, leider aber
auch nicht mehr. Dabei hätten Sie die Chance gehabt,
mit uns gemeinsam ein modernes und zukunftsgerichte-
tes Gesetz vorzulegen und Breitband für alle zu ermögli-
chen. Schade, dass Sie das nicht wollen!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713601400

Das Wort hat nun die Kollegin Claudia Bögel für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Bögel (FDP):
Rede ID: ID1713601500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es
stimmt. Wir haben es uns nicht einfach gemacht. Wir ha-
ben lange beraten.


(Klaus Barthel [SPD]: Herausgekommen ist gar nichts!)


Mit der heute vorliegenden Novelle liegt jedoch ein
neuer Meilenstein in der Erfolgsgeschichte des TKG zur
Beratung vor.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Das ist peinlich! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbsthypnose!)


Wir haben das Gesetz an vielen Stellen zum Nutzen
der Verbraucher und zum Nutzen der Wirtschaft in unse-
rem Lande geändert und ergänzt. Lassen Sie mich in
diesem Zusammenhang nur einmal die kostenlosen War-
teschleifen erwähnen, die Preisansagepflicht bei Call-
by-Call-Telefonaten sowie die Transparenz und Kon-
trolle vertraglich vereinbarter Übertragungsgeschwin-
digkeiten. Wir haben so Planungssicherheit für investie-
rende Unternehmen geschaffen. Wir haben das wichtige
Thema Netzneutralität hervorgehoben. Wir haben das
Gesetz ergänzt durch die Öffnung alternativer und Bun-
desinfrastrukturen.


(Klaus Barthel [SPD]: Was?)


Durch das sogenannte Microtrenching beschleunigen
wir den Netzausbau, da die Verlegetechniken dadurch
einfacher und kostengünstiger werden.

Viele zweifeln in der gegenwärtigen Zeit an den posi-
tiven Effekten der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die
Fraktion der Linken will sie sogar abschaffen. Dabei be-
weist das TKG, dass ein Monopol schrittweise in den
Wettbewerb überführt werden kann – und das mit fun-
dierten und greifbaren Vorteilen für alle.





Claudia Bögel


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Bei der Zahl der Breitbandanschlüsse liegen die Deut-
sche Telekom AG und die Wettbewerber fast gleichauf.
Mit dem heutigen Gesetz setzen wir diesen Erfolgskurs
fort.

99 Prozent der Haushalte in Deutschland können be-
reits das Internet mit 1 000 Kilobit pro Sekunde nutzen.
Doch die Technik schreitet voran. Wer hätte vor 10 oder
15 Jahren schon geahnt, dass sich das Medium Internet
so schnell fortentwickeln würde? Die Zeit wird kom-
men, in der wir Datenautobahnen benötigen werden, die
50- bis 100-mal soviel Daten transportieren können.
Auch die Nachfrage nach der mobilen Nutzung von
schnellem Internet nimmt ständig zu. Das wirtschaftli-
che Kernanliegen dieses Gesetzes ist es, solche neue,
hochmoderne Netzinfrastruktur mit Mitteln des Marktes
voranzubringen.

Wir haben bei den parlamentarischen Beratungen in-
tensiv diskutiert, wie wir Datennetze der nächsten Gene-
ration auch im ländlichen Raum durchsetzen können.
Manche wollen die flächendeckende Versorgung mit Da-
tenautobahnen zur Staatsaufgabe machen, sozusagen
eine sozialistische Zwangsversorgung vollziehen.


(Iris Gleicke [SPD]: Aha! – Martin Dörmann [SPD]: Meinen Sie jetzt die CSU? – Zurufe von der LINKEN)


Die Ausbaukosten eines solchen Universaldienstes von
bis zu 90 Milliarden Euro sollen dann auf alle Bundes-
bürger umgelegt werden. Dieser Weg ist ungerecht,
falsch und exorbitant teuer – für jeden!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unternehmen, die sich gerade am Markt etablieren
konnten, würden aufgrund dieser Maßnahmen kapitulie-
ren müssen. Arbeitsplätze gingen verloren.

Das Reden über staatlich organisierte Investitionen ist
ein Investitionshemmnis ersten Ranges.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es lässt den gut entwickelten Wettbewerb sofort in eine
Schockstarre verfallen. Einen Universaldienst jetzt als
Instrument anzukündigen, würde die Investitionspläne
aller TK-Unternehmen auf der Stelle einfrieren. Wir dür-
fen hier nicht die Zwangsbeglückung eines jeden mit
schnellem Internet fordern. Das ist falsch.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch soziale Teilhabe! – Iris Gleicke [SPD]: Das ist ja unglaublich! – Zurufe von der LINKEN)


Wenn der Staat Bandbreiten für das Internet diktiert,
dann diktiert er auch die Bedürfnisse seiner Bürger.
Denn Festnetze können eben nicht an wachsende Be-
dürfnisse dynamisch angepasst werden. Wer heute also
eine Grundversorgung mit 2 000 Kilobit als Universal-
dienst fordert, der verhindert Investitionen in die Daten-
autobahnen der Zukunft.


(Martin Dörmann [SPD]: Glauben Sie das eigentlich selber, was Sie da sagen? – Iris Gleicke [SPD]: Wer hat Ihnen den Müll aufgeschrieben?)


Die Branche, sowohl das führende TK-Unternehmen
als auch die Wettbewerber, fordert Planungssicherheit
und Erleichterungen für den marktgetriebenen Ausbau.
Genau das haben wir in dieser TKG-Novelle umgesetzt.
Wir haben in den Grenzen des Verfassungsrechts und
des europäischen Rechts alle Möglichkeiten ausgereizt,
um die Ausbaukosten zu senken. Ich bin davon über-
zeugt, dass wir auf diesem Weg auch im ländlichen
Raum einen raschen Ausbau vollziehen werden.


(Beifall bei der FDP)


Staatlicher Zwang darf nicht der Startpunkt einer
Strategie zur Versorgung des ländlichen Raumes sein,
sondern kann allenfalls ihr Schlusspunkt sein. Ich appel-
liere an die Bundesländer, sich ebenfalls für diese Rang-
folge zu entscheiden. Nur so können wir gravierende
Kostensteigerungen für alle Internetnutzer und Fehl-
investitionen in der Fläche vermeiden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713601600

Die Kollegin Schwarzelühr-Sutter hat nun für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1713601700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon
überraschend, dass das Telekommunikationsgesetz heute
überhaupt auf der Tagesordnung steht. Sie bezeichnen es
als Meilenstein. Über Meilensteine kann man aber ziem-
lich schnell stolpern.


(Beifall bei der SPD)


Die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes
ist in den vergangenen Monaten zur unsäglichen Hänge-
partie geworden; das bezeichnet sinnbildlich den Zu-
stand dieser Koalition. Angesichts des ganzen Hin und
Her können die Verbraucherinnen und Verbraucher fast
schon froh sein, dass das Gesetz heute im Plenum behan-
delt wird.

Der große Wurf ist das Gesetz trotzdem nicht gewor-
den, anders als am Anfang vollmundig versprochen. Na-
türlich bringt es kleine Verbesserungen für die Verbrau-
cher; aber gemessen an den Problemen, denen die
Verbraucher tagtäglich gegenüberstehen, kann man sa-
gen: Das ist nur gehüpft und eben nicht gesprungen.


(Beifall bei der SPD)






Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

Unsicherheiten, Ärgernisse und Abzocke werden nicht
der Vergangenheit angehören; sie gehören weiterhin zum
Alltag. Ich nenne einige Beispiele:

Internetverträge: Es wird weiterhin Menschen geben,
deren Verträge vom bisherigen Internetanbieter gegen
ihren Willen gekündigt werden und die dann einen Ver-
trag bei einem anderen Internetanbieter bekommen, egal
ob sie ihn wollten und ob sie ihn überhaupt abgeschlos-
sen haben. Jedes Jahr sind viele Menschen von solchen
ungewollten Anbieterwechseln betroffen. Es wäre so
einfach, diese unsägliche Praxis zu unterbinden: Man
müsste nur verpflichtend die Kündigung der Internetver-
träge in Schriftform vorschreiben, so wie wir, die SPD-
Bundestagsfraktion, es in unserem Antrag gefordert ha-
ben.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben in letzter Minute versucht, vieles nachzu-
bessern; aber leider haben Sie es hier versäumt. Deswe-
gen wird es weiterhin den Ärger bei den Verbraucherin-
nen und Verbrauchern geben.

Ein gewollter Wechsel zu einem Internetanbieter
bleibt dagegen unter Umständen schwierig. Sie haben
jetzt zwar auf den Weg gebracht, dass der Wechsel des
Anbieters innerhalb eines Tages vollzogen werden soll,
aber haben vergessen, die Nichteinhaltung zu sanktionie-
ren. Das ist ungefähr so, als wenn man sagen würde: „Du
darfst nicht über eine rote Ampel fahren, aber du kriegst
keinen Punkt und keinen Strafzettel, wenn du es doch
tust. Dann gucken wir einmal, wer sich daran hält.“ Sie
wollten das Richtige tun und regulativ wirken, aber Sie
hatten Angst vor Ihrer eigenen Courage und sind auf hal-
bem Wege stehen geblieben.


(Beifall bei der SPD)


Stattdessen hoffen Sie einmal mehr, dass sich der Markt
und die Unternehmen selbst regulieren und sich die Pro-
bleme von alleine in Luft auflösen. Das wird aber nicht
passieren; das kann man schon heute verraten.

Internetgeschwindigkeit: Auch weiterhin wird es
möglich sein, dass einem Kunden bei Abschluss eines
Vertrages Bandbreiten versprochen werden, die er nach
Vertragsabschluss aber nie zur Verfügung haben wird.
DSL-Anbieter versprechen 6 000 oder 16 000, ja sogar
50 000 Kilobit pro Sekunde – das bewerben sie –, aber
nach Vertragsabschluss steht den meisten Bürgerinnen
und Bürgern tatsächlich nur eine geringere Internetge-
schwindigkeit zur Verfügung. Jetzt steht im Gesetzent-
wurf nur, dass der Anbieter seine Kunden über eine
mögliche Geschwindigkeitsabweichung informieren
muss.

Ich fand es schon überraschend, heute Morgen im
Handelsblatt zu lesen, dass es ein Gericht gibt – das
Landgericht Bonn –, das einem großen, etablierten Tele-
kommunikationsanbieter seine irreführende Werbung für
eine Internetflatrate untersagt: Die Information über die
Drosselung der Datengeschwindigkeit ab einem be-
stimmten übertragenen Datenvolumen konnte der Ver-
braucher nämlich nur mühsam über einen umständlichen
Internetpfad finden. Sie belassen es weiterhin bei dieser
Situation; der Verbraucher wird weiterhin im Regen ste-
hen gelassen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


– Doch, das stimmt. – Den Verbrauchern muss vertrag-
lich eine Mindestgeschwindigkeit zugesichert werden
und ein Sonderkündigungsrecht für den Fall eingeräumt
werden, dass diese nicht eingehalten wird. So steht es in
unserem Antrag, allerdings nicht in Ihrem Gesetzent-
wurf.

Kostenfallen im Mobilfunk: Ich habe mich gestern
Morgen fast schon gefreut, als ich Ihren geänderten Ge-
setzentwurf gelesen habe. Man konnte denken: Was auf
EU-Ebene Usus ist, nämlich ein Kostenairbag, das
kommt auch unseren Verbrauchern hier zugute. Aber lei-
der ist die entsprechende Regelung in Ihrem Gesetzent-
wurf nur als Kannregelung formuliert. Also gibt es keine
Rechtssicherheit für den Verbraucher.

Man kann sich viel über den mangelnden Datenschutz
im Internet beklagen. Es reicht aber nicht aus, wenn eine
Verbraucherschutzministerin einer Firma in den USA ei-
nen Besuch abstattet und sich dann ärgert, dass sie nicht
darüber informiert wurde, dass dieses Unternehmen in
Zukunft ein umfassendes und öffentliches Privatarchiv
seiner Nutzer, vom Babyfoto bis zur Traueranzeige, auf-
bauen will: Es will alles einsammeln, was das Leben
ausmacht. Sie müssen nicht nur ankündigen, sondern
auch tatsächlich handeln.


(Zurufe von der FDP)


Da bleibt diese Regierung in der Warteschleife, der Ver-
braucher bleibt im Regen stehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713601800

Ich erteile dem Kollegen Georg Nüßlein für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Erkläre mal, warum du nicht mehr für Breitband bist! Alle Zitate liegen hier vor!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1713601900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das

TKG war in der Tat eine schwierige Geburt. Man könnte
es sich jetzt leicht machen und sagen, dass das auch der
Diskussion rund um das Thema Euro geschuldet ist,


(Martin Dörmann [SPD]: Das wäre aber falsch!)


das uns momentan wie kein anderes Thema bindet. Das
ist aber natürlich nur die halbe Wahrheit.

Fakt ist, dass ich im Rahmen der Debatte erleben
musste, wie schwer sich Ministerien tun, die nicht un-
mittelbar mit der Thematik befasst sind, über den Teller-
rand ihrer Referatszuständigkeit zu blicken.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


(Martin Dörmann [SPD]: Aha!)


Ich musste auch feststellen, dass dieses Thema
schwierig ist, weil es eigentlich um etwas Neues geht,
nämlich um den Ausbau einer Infrastruktur im Wettbe-
werb, und zwar einer Infrastruktur, die sich dynamisch
entwickelt. Das ist ein Novum. Und da finde ich es
schon einigermaßen unverschämt, wenn sich die Linke
hier hinstellt und versucht, uns Lehren zu erteilen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach Gott! Die Linke ist doch egal!)


Ich erinnere daran, dass sich in der DDR – das ist ja das
Referenzfeld, auf dem die Linken gezeigt haben, was sie
können – zehn Familien einen Telefonanschluss geteilt
haben,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das gab es noch kein Internet!)


und zwar zu Zeiten, als es bei uns in der BRD ganz nor-
mal war, zu Hause einen Telefonanschluss zu haben. Das
ist die Realität.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was hilft Ihnen das jetzt in dieser Diskussion?)


Da sehen Sie, wie weit man mit Ihrer ständig vor sich
hergetragenen Staatswirtschaft kommt. Ich bitte darum,
auch das einmal zu berücksichtigen und hier im Plenum
ein bisschen kleinlauter zu sein, wenn Sie schon Rat-
schläge erteilen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hätten Sie gerne!)


Aber, meine Damen und Herren, es gibt neben der
Problematik, eine sich dynamisch entwickelnde Infra-
struktur im Wettbewerb ausbauen zu wollen, auch die
Problematik, dass man Verbraucherschutz gegenüber
den Investoreninteressen abwägen muss; denn wir wol-
len natürlich nicht das eine zulasten des anderen ausspie-
len. Auch da muss man wohl abwägen. Ich meine, dass
uns das in diesem Gesetz gut gelungen ist.

Wenn wir diese Diskussion jetzt an der Stelle auf das
Thema Universaldienst verengen, dann machen wir et-
was falsch. Ich habe im Laufe der Debatte zwischen den
Berichterstattern festgestellt, dass die Diskussion über
den Universaldienst für viele einfach zu früh kam.


(Klaus Barthel [SPD]: Seit 15 Jahren im Gesetz!)


Wir haben zu früh über die Thematik diskutiert, wie man
die weißen Flecken füllt – zu früh deshalb, weil der LTE-
Ausbau erst die Voraussetzungen für die Diskussion lie-
fern wird und weil wir erst nach dem Abschluss des
LTE-Ausbaus sehen können, Herr Kollege Dörmann,
welche Flecken weiß bleiben, und dann überlegen müs-
sen, wie wir sie füllen. Denn eine ganz kleine Minimal-
lösung mit 1 Megabit, so wie Sie es im Ausschuss disku-
tiert haben, hilft natürlich niemandem.


(Martin Dörmann [SPD]: Wer hat das denn diskutiert?)

Ich meine aber durchaus, dass man am Ende eine Dis-
kussion über die Frage führen muss, wie man den ländli-
chen Raum versorgt. Es geht nicht an, meine Damen und
Herren, dass wir sagen: „Den hinterletzten Forsthof
muss man nicht versorgen“, und dass dann einfach Ge-
meinden mit 1 500 Einwohnern zum hinterletzten Forst-
hof erklärt werden. Das halte ich für nicht akzeptabel.
Wir wollen eine volle Versorgung für den ländlichen
Raum; denn das bietet für den ländlichen Raum eine be-
sondere Chance.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)


Die Infrastrukturnachteile, die der ländliche Raum seit
vielen Jahren hat, kann man über eine Breitbandversor-
gung ausgleichen. Deshalb müssen wir weiter mit Dyna-
mik an dieser Thematik arbeiten, damit die weißen Fle-
cken gefüllt werden.

Ich halte den Vorschlag, noch einmal mit der KfW
über die Frage zu reden, ob man vielleicht über Zinsver-
billigungen von Investorendarlehen an der Stelle weiter-
kommt, für einen durchaus guten Vorschlag. Ich weiß,
dass wir über das Thema Universaldienst an dieser Stelle
auch in absehbarer Zeit wieder diskutieren werden. Da-
von bin ich überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! So, so! – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Aber bis zu diesem Zeitpunkt haben wir mit dieser No-
velle hervorragende Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass der Ausbau kostengünstiger und damit schneller
und auch flächendeckender vorangeht. Ich bitte, das
auch einmal anzuerkennen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


und freue mich ausdrücklich, Herr Dörmann, dass Sie
das in Teilen auch gemacht haben.


(Martin Dörmann [SPD]: Wir schon! Sie nicht!)


Es ist nämlich schon entscheidend, dass wir über die
Verpflichtung der Hauseigentümer zur Zulassung eines
Hausstichs jetzt geregelt haben, dass, wenn ein Breit-
bandkabel in einer Straße gelegt wird, notfalls auch ge-
gen den Willen der Hauseigentümer jedes einzelne Haus
vorsorglich angebunden und damit zusätzliche Kosten
verhindert werden können.

Es ist entscheidend, dass wir geregelt haben, dass bei
der Inhouse-Verkabelung die Infrastruktur, die im Haus
bereits vorhanden ist, auch von Dritten und anderen
Wettbewerbern genutzt werden kann. Es ist entschei-
dend, dass wir Informationen darüber offenlegen, wo be-
reits Infrastruktur vorhanden ist. Dabei handelt es sich
um die große Innovation „Breitbandatlas“, die der Kol-
lege Lämmel schon angesprochen hat. Es ist aber ebenso
entscheidend, dass man die erhaltenen Informationen in-
telligent nutzt. Insbesondere geht es um die Frage: Wie
vermeiden wir den Aufbau von Parallelstrukturen?


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Genau!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Wie kann man sicherstellen, dass Infrastruktur, die be-
reits vorhanden ist, auch von anderen genutzt werden
kann? Dazu haben wir ein intelligentes Verfahren in den
parlamentarischen Prozess eingebaut, nämlich ein
Schiedsgerichtsverfahren, bei dem letztendlich alle Inha-
ber von Infrastruktur gezwungen werden können, sich an
einen Tisch zu setzen und über die Frage zu verhandeln,
wie und zu welchen Konditionen sie diese Infrastruktur
zur Verfügung stellen.


(Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Dass man das nicht verpflichtend gestalten kann, ist
klar. Der Schutz des Eigentums ist ein hohes Gut, nicht
nur in der Verfassung, sondern gerade auch für diese
Koalition. Ich glaube, dass das Verhandeln darüber Etli-
ches bewegen wird. Ich halte es ausdrücklich für richtig,
dass der Bund seine Infrastruktur offensiv zur Verfügung
stellt. Das Bundesverkehrsministerium hat nach – wie
ich einräumen muss – längerer Diskussion gesagt: Wir
stellen die Infrastruktur des Bundes zu Lande und zu
Wasser zur Verfügung, und zwar verpflichtend. Das
halte ich für einen ganz wesentlichen Schritt.

Zum Thema Micro- bzw. Minitrenching. Es bietet
sich da die Chance einer kostengünstigen Verlegung von
Glasfaserleitungen. Das haben wir ins Gesetz geschrie-
ben und stellen damit die entsprechenden Regelungen
über die sonst geltenden DIN-Normen. Das ist ebenfalls
ein wichtiger Ansatz, weil ich auch in diesem Punkt der
Überzeugung bin, dass das für einen kostengünstigen
Ausbau der Infrastruktur genutzt wird.

Ich weiß, dass es politisch viel spannender ist, über
die Fragen zu diskutieren, bei denen es nicht gelungen
ist, eine Antwort zu finden. Die Opposition sucht natür-
lich eine Angriffsfläche. Ich gebe zu, dass das Gerangel
um die Universaldienstverpflichtung eine ideale Gele-
genheit dazu bietet. Ich bitte aber darum, anzuerkennen,
wie sehr der vorliegende Gesetzentwurf geeignet ist, den
Ausbau von Breitband insgesamt, aber auch im ländli-
chen Raum voranzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bitte glauben Sie mir, dass wir wissen, dass es am
Ende – wenn man so will – ein Marktversagen geben
wird. Aber vermutlich wird es gar kein Marktversagen
sein, weil die Märkte in diesem Bereich durchaus funk-
tionieren. Allerdings wird es entlegene Landstriche ge-
ben, die man über den Wettbewerb niemals versorgen
kann, weil sich das nicht rentiert.


(Zuruf von der LINKEN)


Lassen Sie uns in den nächsten Monaten konstruktiv da-
rüber diskutieren, was man tun kann, um diese Landstri-
che möglichst marktnah in die Versorgung einzubinden
und um die Anzahl der sogenannten weißen Flecken auf
ein Minimum zu reduzieren.

Lassen Sie uns zum Schluss über die Frage diskutie-
ren, wie wir unter Einbeziehung des Themas Universal-
dienst den letzten Lückenschluss hinbekommen. Das
halte ich für vernünftig. Ich bin optimistisch, dass mit
LTE das erreicht wird, was die Bundesregierung mit ih-
rer Strategie voranbringen möchte. Ich bin davon über-
zeugt, dass uns das schnell gelingen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602000

Das Wort hat nun Halina Wawzyniak für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713602100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir debattieren über eine Novellierung des
Telekommunikationsgesetzes, für die am Dienstag-
abend 117 Seiten Synopse mit unzähligen Änderungsan-
trägen vorgelegt wurden, die Mittwoch früh in den Aus-
schüssen beraten wurden. Allein dieses Verfahren, allein
diese Art des Umgangs mit dem Parlament würde es
rechtfertigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, das Gesetz abzulehnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Eine Novelle hat eigentlich den Zweck, ein Gesetz
den veränderten Erfordernissen anzupassen,


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Haben wir gemacht!)


bestehende Fehler zu korrigieren oder auch ein paar
Weichen neu zu stellen. Bedarf hätte es dafür beim TKG
reichlich gegeben. Ich nenne nur die Stichpunkte Vor-
ratsdatenspeicherung und Recht auf anonyme Kommu-
nikation. Es hätte zum Beispiel nahegelegen, das TKG
vorausschauend auf Höhe des Bundesverfassungsge-
richtsurteils zur Vorratsdatenspeicherung zu bringen und
alle anfallenden Daten und ihre Speicherfristen auf ein
absolutes Minimum zu beschränken.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Diese Chance hat die Koalition jedoch nicht genutzt.
Im Gegenteil: Sie haben mit den schon erwähnten Ände-
rungsanträgen zukünftigen Vorschriften zur Vorratsda-
tenspeicherung den besten Boden bereitet.


(Claudia Bögel [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


Was konkret schon jetzt bedeutet, möglichst viel mög-
lichst lange zu speichern.


(Claudia Bögel [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


Einig werden muss sich die Koalition nur noch in der
Frage, welche der Sicherheitsbehörden auf diese Daten
zugreifen dürfen. Diese Novelle hat nichts mit einer vo-





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

rausschauenden Politik zu tun und erst recht nichts mit
einer bürgerrechtlichen Politik.

Zum Breitbanduniversaldienst wurde das Notwendige
bereits gesagt. Deswegen beschränke ich mich auf eine
Kernfrage des offenen und freien Internets, nämlich auf
die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität, die
die Linke und die anderen Oppositionsfraktionen for-
dern.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung kam zunächst
nicht einmal das Wort „Netzneutralität“ vor. Weil das der
Koalition vielleicht zu peinlich war – dann wäre ihr we-
nigstens einmal etwas peinlich gewesen –, legte sie im
Rahmen der 117-seitigen Synopse hastig einen Ände-
rungsantrag vor, der den Eindruck vermitteln sollte, ihr
läge etwas an einem freien Internet. Mit einer optionalen
Rechtsverordnung – ich kann, ich muss aber nicht – soll
eine Ungleichbehandlung der Nutzerinnen und Nutzer in
Form von Verschlechterungen und Verlangsamungen des
Datenverkehrs angeblich verhindert werden. Wer genau
liest, stellt jedoch fest, dass nur willkürliche Verschlech-
terungen und ungerechtfertigte Verlangsamungen ge-
meint sind. Für unwillkürliche Verschlechterungen und
vermeintlich gerechtfertigte Verlangsamungen bleiben
Tür und Tor weiterhin geöffnet. Was unwillkürlich und
gerechtfertigt ist, bleibt unklar. Deshalb ist festzustellen:
Das ist eine Mogelpackung, das ist ein Placebo zur Beru-
higung, und das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Welche Folgen hat Ihr Gesetzentwurf konkret? Wenn
es nach dem Willen von Telekom und Co. geht, wird es
in Zukunft verschiedene Qualitätsstufen, die mit zusätz-
lichen Kosten verbunden sind, für den Internetzugang
der Bürgerinnen und Bürger geben. Das hätten Sie mit
der TKG-Novelle verhindern können, haben es aber
nicht. Kurz gesagt: Es kann passieren, dass zukünftig ex-
tra gezahlt werden muss, wenn man Online-Video-
dienste oder Internettelefonie in guter Qualität nutzen
will.

Ihre Gesetzesnovelle ist das Einfallstor für ein Zwei-
Klassen-Internet.


(Claudia Bögel [FDP]: Mein Gott! Das ist unglaublich!)


In der ersten Klasse können Besserverdienende dann alle
gewünschten Dienste nutzen. In der zweiten Klasse gibt
es für Einkommensschwache und vor allem deren Kin-
der nur noch das, was die Telekom und andere für wenig
Geld anzubieten haben. Damit machen Sie ganz neben-
bei zum wiederholten Mal den Zugang zu Wissen und
Teilhabe abhängig vom Geldbeutel. Das ist ungerecht,
und das ist falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Sich dessen bewusst zu werden, bedeutet dann aber auch
zu erkennen: Die Frage der Netzneutralität ist kein
Thema allein für Nerds. Es handelt sich vielmehr um
eine für die gesamte Gesellschaft zentral wichtige Frage.

(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie erzählen?)


Die Probleme hören aber nicht beim Internetzugang
auf. In der Debatte um die Netzneutralität hat Telekom-
Chef Obermann regelmäßig gefordert, sogenannte Qua-
litätsklassen einzuführen. Das heißt nichts anderes, als
dass zukünftig bestimmte Dienste vor anderen bevorzugt
werden. Netzbetreiber – nehmen wir beispielsweise wie-
der die Telekom –, die auch als Inhaltsanbieter agieren,
werden ihre eigenen Inhalte schnell und in guter Qualität
anbieten und fremde Inhalte ausbremsen und blockieren.
Denjenigen, die unabhängig Inhalte zur Verfügung stel-
len möchten – Blogger, NGOs oder Internet-Start-up-
Unternehmen –, bleibt nur noch, sich in die Qualitäts-
klassen der Netzbetreiber mit Extragebühren einzukau-
fen. Nur so können Sie mit deren Qualität konkurrieren.
Damit beerdigen Sie nicht nur die Informationsfreiheit,
sondern die Innovationsfähigkeit des Internets gleich
mit. Wie die marktgläubige FDP dabei mitspielen kann,
ist mir schleierhaft, aber nicht mein Problem.

Wir wollen das nicht. Wir wollen nicht, dass das In-
ternet willkürlichen Eingriffen, von wem auch immer,
ausgesetzt wird. Der freie und gleichberechtigte Zugang
zum Internet gehört zur Daseinsvorsorge einer demokra-
tischen Gesellschaft. Das steht richtigerweise auch in
unserem Parteiprogramm.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Da steht noch mehr!)


Daher fordert die Linke eine gesetzliche Garantie für die
Bürgerrechte auch im Internet. Das geht nur mit einer
gesetzlich festgeschriebenen Netzneutralität. Dafür steht
die Linke.

Die TKG-Novelle ist ein netzpolitisches Armutszeug-
nis der Bundesregierung. Die Koalition hat sich offen-
sichtlich damit abgefunden, ihre Regierungstätigkeit
auch in diesem Bereich weitgehend einzustellen. Bei
Geodatendiensten und beim Datenschutz in sozialen
Netzwerken gibt sich die Bundesregierung mit Selbst-
verpflichtungen der Wirtschaft zufrieden. Bei der Netz-
neutralität stellt sie sich einfach tot. Eine souveräne Re-
gierungstätigkeit sieht anders aus. Eine Netzpolitik, die
auf die Stärkung von Bürgerrechten, den Erhalt eines
freien Internets und den Ausbau von Zugangsgerechtig-
keit setzt, sieht auch anders aus.

Für die Linke ist klar: An einer gesetzlich festge-
schriebenen Netzneutralität führt kein Weg vorbei.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genau das steht in unserem Antrag. Diesem können Sie
ja zustimmen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602200

Das Wort hat nun Konstantin von Notz für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister, wenn in der Agenda 2020 der
EU über den Breitbandausbau steht, dass alle Haushalte
in Europa über Anschlüsse mit mindestens 30 Megabit
pro Sekunde und mehr als die Hälfte der Haushalte sogar
über Anschlüsse mit mindestens 100 Megabit pro Se-
kunde verfügen sollen, dann ist das, was Sie hier heute
vorlegen, eine uninspirierte dünne Suppe. Dies lässt sich
auch nicht durch alle Innovationsrhetorikphrasen dieser
Welt überdecken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP: Oh!)


Die entscheidenden Infrastrukturen der Zukunft sind
nicht mehr aus Beton und Asphalt, sondern es sind die
neuen Kommunikationsnetze. Sie sind essenziell für un-
sere moderne Wissens- und Informationsgesellschaft,
und sie sind essenziell für alle Menschen in diesem
Land. Erzählen Sie einmal den Millionen Abgehängten,
die bis heute immer noch keinen adäquaten Zugang zum
Netz haben, von den Anreizen, die Sie jetzt implemen-
tieren wollen, und von Ihrer Aussage, dass es eigentlich
gar keine weißen Flecken mehr gibt. Das geht vollkom-
men an der Realität von ganz vielen Menschen in diesem
Land vorbei. In einem Land wie der Bundesrepublik
muss gelten: So selbstverständlich wie die Versorgung
mit Wasser, Strom, Post und Telefon, so selbstverständ-
lich muss der Staat den Bürgerinnen und Bürgern den
Zugang zum Internet gewährleisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das ist immanenter Bestandteil der Daseinsvorsorge im
21. Jahrhundert. Deswegen brauchen wir eine Universal-
dienstverpflichtung. In dieser zentralen Zukunftsfrage
versagt Ihr Gesetzentwurf auf ganzer Linie.

Da Kollege Altmaier anwesend ist, spreche ich Fol-
gendes gerne an: Wir haben es offenbar einem Mikro-
bloggingdienst zu verdanken, dass nun auch der Parla-
mentarische Geschäftsführer der Union an diesen
Debatten teilnimmt; das ist schön.


(Sebastian Blumenthal [FDP]: Mal zum Thema!)


Aber ein zwitschernder Altmaier macht noch keinen
netzpolitischen Frühling bei der Union. Auch in diesem
Politikbereich gilt: Was zählt, ist auf dem Platz. Was
zählt, ist politische Substanz.


(Sebastian Blumenthal [FDP]: Kommt noch etwas zum Thema?)


Man kann die Politik der Uhls, Kauders und ähnlicher
Kaliber nicht einfach wegtwittern. Entscheidend ist, wie
Sie sich als Gesetzgeber verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, lieber Herr Kollege Altmaier, ist unter netzpoliti-
schen Gesichtspunkten kein Ruhmesblatt, ganz im Ge-
genteil. Es ist eine weitere Dokumentation des
Versagens der Union in dem Punkt, den Bürgerrechten in
der digitalisierten Gesellschaft einen angemessenen
Raum zu geben. Es ist nur mit Desinteresse und einer ge-
wissen Antihaltung zu erklären, dass Sie bei der Neure-
gelung des Telekommunikationsgesetzes, also bei der
mit Spannung erwarteten netzpolitischen Baustelle die-
ses Jahres, im Hinblick auf Daten- und Verbraucher-
schutz gar nichts liefern.

Thema Datenschutz. Durch das bekannt gewordene
Papier der Staatsanwaltschaft München wissen wir, dass
sensible Kommunikationsdaten öfter länger gespeichert
werden, als es für legitime Zwecke erforderlich ist. Des-
wegen war in einer früheren Fassung des Gesetzentwurfs
eine Speicherdauer von drei Monaten festgeschrieben.
Das hat die Union in letzter Sekunde rausgekegelt.

Ganz ähnlich verhält es sich bei der E-Privacy-Richt-
linie. Sie haben gestern im Wirtschaftsausschuss vom
Bundesdatenschutzbeauftragten gehört, dass wir gesetz-
liche Regelungen brauchen. Aber in Ihrem Entwurf fin-
det sich dazu rein gar nichts. – Kollege Höferlin würde
gerne etwas fragen, Herr Präsident.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602300

Bitte schön, Herr Kollege Höferlin.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1713602400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege von

Notz, Sie haben gerade angesprochen, dass die Speicher-
befristung aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde. Ich
gehe davon aus, dass Sie ihn ordentlich gelesen haben.
Es geht dabei um § 97 Abs. 4, also unter anderem um die
Speicherung von Abrechnungsdaten zwischen Dienste-
anbietern. Was Sie angesprochen haben, betrifft § 97
Abs. 3. Darin geht es um das Verhältnis der Telekommu-
nikationsanbieter zu ihren Kunden. Dort ist alles wie bis-
her: Die Daten sind so schnell wie möglich zu löschen.
Sie beziehen sich aber anscheinend auf das Verhältnis
zwischen den Diensteanbietern. Das verstehe ich nicht
ganz.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen das gerne erklären.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1713602500

Dort gibt es noch nicht einmal eine dreimonatige

Speicherfrist. Vielmehr müssen die Daten nach den all-
gemeinen Grundsätzen der Datensparsamkeit so schnell
wie möglich gelöscht werden.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich den Ge-
setzentwurf ordentlich gelesen habe.





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Da sind Sie aber der Einzige von Rot-Grün!)


Allerdings war das Verfahren, das Sie allen zugemutet
haben, grottenschlecht und auch in handwerklicher Hin-
sicht unterirdisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Minister, das war sicherlich auch für Sie unange-
nehm. Sie können uns gern einmal erzählen, wie es ist,
wenn die eigenen Leute die von Ihnen in Ihrem Entwurf
vorgeschlagenen Kernpunkte sozusagen in letzter Se-
kunde, zwölf Stunden vor den Beratungen, ablehnen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Können Sie bitte auf meine Frage antworten!)


Bezüglich der Speicherfirsten, Herr Kollege Höferlin,
wollten Sie eine Dreimonatsfrist implementieren. Das
liegt daran, dass es in diesem Bereich ein neues Pro-
blembewusstsein gibt. Wir wissen aufgrund vieler Skan-
dale der Vergangenheit sowie durch das interne Papier
der Staatsanwaltschaft, dass die Möglichkeit der langen
Speicherdauer ausgenutzt wird und es auch ein massives
Interesse vonseiten der Sicherheitsbehörden gibt, darauf
zuzugreifen. Deswegen war die Intention der FDP, dies
zu beschränken, eigentlich sehr lobenswert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aber Sie haben sich in letzter Sekunden an dieser Stelle
herauskegeln lassen. Das ist das Versagen Ihrer Politik
im Bereich des Datenschutzes. Es tut mir herzlich leid,
das sagen zu müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie immer: umgefallen! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Frage nicht beantwortet!)


Es gibt einen weiteren Vorschlag des Bundesdaten-
schutzbeauftragten bezüglich des Wahlrechts von Tele-
kommunikationskunden hinsichtlich der Speicherdauer
ihrer Daten. Davon ist im Gesetzentwurf nichts zu fin-
den. Von den 50 Vorschlägen des AK Vorrat, der das ge-
samte Verfahren begleitet hat, haben Sie nichts über-
nommen – nicht eine einzige Regelung. Sie liefern
nichts. Sie verhindern geradezu einen zeitgemäßen Da-
tenschutz.


(Claudia Bögel [FDP]: Das stimmt nicht!)


Auch das immanent wichtige Thema der Netzneutra-
lität wird von der Koalition links liegengelassen. Die
Netzneutralität – das ist hier bereits gesagt worden – ist
die zentrale Voraussetzung für ein freies, offenes und in-
novatives Netz. Es gibt sogar Leute unter Ihnen – zum
Beispiel die CSU in Bayern –, die das ganz ähnlich se-
hen. Trotzdem liefern Sie hier heute gar nichts. Eine der
entscheidenden Forderungen bei den Medientagen in
diesem Jahr war, dass die Netzneutralität gesetzlich gesi-
chert wird. Sie aber liefern dazu nichts.

(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Für den Rundfunk war diese Forderung!)


Mit Ihrer These, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, dass der Wettbewerb die Netzneutralität ge-
währleistet, liegen Sie falsch. Wie beim Breitbandaus-
bau gibt es einfach zentrale Weichenstellungen, die der
Staat ordnungspolitisch gestalten muss. Denn erst die
Netzneutralität gewährleistet den freien Wettbewerb –
nicht umgekehrt.

Ich komme zum Schluss:


(Claudia Bögel [FDP]: Gott sei Dank!)


Wir haben in der Diskussion der letzten Monate und
mit unseren grünen Anträgen gezeigt, wie eine netzpoli-
tische, datenschutzrechtliche Alternative zu Ihrer Politik
aussieht. Selbst nach Monaten intensiver Beratungen
kommen Sie hier ein paar Stunden vor Toresschluss mit
117 Seiten an Synopsen und Änderungsanträgen, die
selbst von Ihnen – das haben wir im Innenausschuss er-
lebt – noch nicht richtig durchgelesen und durchgearbei-
tet worden sind. Wie soll das auch funktionieren?

Sie haben jetzt an dieser Stelle die Möglichkeit zur
Neugestaltung des TKG.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602600

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602700

Mal sehen, was es für Folgen hat, dass Sie das wissen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben alle Chancen gehabt, netzpolitisch den rich-
tigen Weg zu gehen. Sie haben es leider nicht hinbekom-
men.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713602800

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem

Kollegen Manuel Höferlin.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1713602900

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege von

Notz, nachdem Sie die Antwort eher dazu genutzt haben,
über den Minister zu reden, als meine Frage zu beant-
worten, muss ich auf das Instrument der Kurzinterven-
tion zurückgreifen. Die Frage des Datenschutzes – das
wissen Sie sehr wohl – ist in dem Gesetzentwurf sehr gut
beantwortet worden. Wir haben den Providern nämlich





Manuel Höferlin


(A) (C)



(D)(B)

gerade nicht vorgegeben, Daten für eine gewisse Zeit zu
speichern. Insofern ist der Vorwurf, den Sie machen,
haltlos und aus der Luft gegriffen.

Die Rechtslage entspricht übrigens genau dem, was
Rot-Grün in der letzten TKG-Novelle im Jahr 2004 auf
die Beine gestellt hat. § 97 Abs. 4, den Sie angreifen
– hier geht es um das Verhältnis von Provider zu Provi-
der –, führt gerade nicht zu der von Ihnen kritisierten Si-
tuation, dass Daten auf Vorrat gespeichert werden. Im
Gegenteil: In § 97 Abs. 3 steht explizit, wie sich die Pro-
vider im Verhältnis zu ihren Kunden zu verhalten haben
und dass Kundendaten – darauf haben Sie sich in Ihrer
Rede bezogen – möglichst schnell zu löschen sind und
nur zu Abrechnungszwecken aufbewahrt werden dürfen.
Das heißt, in diesem Fall verändert sich nichts. Es gibt
explizit keine staatliche Pflicht zur Speicherung von Da-
ten bei Telekommunikationsanbietern.


(Claudia Bögel [FDP]: Sehr richtig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713603000

Herr Kollege, Sie haben die Möglichkeit zur Re-

aktion.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege
Höferlin, das, was Sie gesagt haben, wird durch Wieder-
holung nicht richtiger. Wie ich sehe, haben Sie ein Kom-
pensationsbedürfnis. Das liegt daran, dass dieses Thema
gestern in den Ausschüssen nicht richtig beraten wurde,
weil es erst kurz vor Toresschluss auf die Tagesordnung
kam.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sprich doch mal zur Sache, Konstantin!)


– Herr Kollege Jarzombek, Sie werden wohl das aushal-
ten müssen, was ich auf die Kurzintervention erwidere.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ui! Ui!)


– Ja. So viel Ruhe und Gelassenheit muss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Und das mit der Hand in der Tasche! – HansMichael Goldmann [FDP]: Los! Stecken Sie doch beide Hände in die Taschen, Herr Kollege! Das ist schlechte Kultur, was Sie da machen!)


Herr Kollege Jarzombek, Herr Kollege Höferlin, ich
lese Ihnen etwas vor, bei dem es um genau diesen streiti-
gen Punkt geht:

Zusätzliche Nahrung erhalten die Befürchtungen
dadurch, dass vor Kurzem ein sehr interessantes
Dokument bei heise aufgetaucht ist …

Gemeint ist das berühmte Nachforderungspapier aus den
Verhandlungen zwischen Union und FDP.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Was ist denn ein Nachforderungspapier?)

– Ein Nachforderungspapier, kennen Sie das gar nicht?


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hat nichts mit Datenschutz zu tun!)


Dort heißt es:

Problem: Im aktuellen Gesetzentwurf der Bundes-
regierung ist die Frist für die Speicherung von Ver-
kehrsdaten in § 97 Abs. 4 TKG-E … auf drei Mo-
nate begrenzt.


(Claudia Bögel [FDP]: Das hat doch mit dem Gesetz überhaupt nichts zu tun! Man sollte das benennen, was jetzt wichtig ist!)


Damit hätten die Sicherheitsbehörden nur eine ver-
kürzte Möglichkeit, die für die Rückverfolgung
dynamischer IP-Adressen zu einer Rufnummer not-
wendigen Verkehrsdaten von den Carriern zu erhal-
ten.


(Claudia Bögel [FDP]: Das ist doch längst überholt! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Dies widerspricht den von CDU und CSU im Rah-
men der Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus und der Schwerstkriminalität vorgesehenen
Regelungen zur sog. „Vorratsdatenspeicherung“.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


– Hört! Hört!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Höferlin, bei solchen Nachforderungspapieren kni-
cken Sie ein wie ein Blatt im Wind.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das steht doch gar nicht im Gesetz!)


Sie haben hier überhaupt nichts zu melden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ach! Das steht doch gar nicht in dem Gesetzentwurf! Das ist echt unglaublich! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch unseriös, was Sie da machen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713603100

Das Wort hat nun Erik Schweickert für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1713603200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manch-

mal glaubt man nicht, was man hier erlebt; so viel zum
Thema „Ruhe und Gelassenheit“.

Meine Damen und Herren von den Grünen, wahr-
scheinlich haben wir Sie tatsächlich überfordert. Denn
wie sonst lässt sich erklären, dass Sie hier Redner spre-





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)

chen lassen, die den Gesetzentwurf noch nicht einmal
gelesen haben?


(Claudia Bögel [FDP]: Ja! Richtig!)


Das ist ein Unding!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Das ist ja unglaublich!)


Frau Rößner, für Sie möchte ich noch einmal betonen:
Das Geschäftsmodell Warteschleife hat ein Ende. Sie
können nicht im Ausschuss sagen: „Die Lösung des Pro-
blems mit den Warteschleifen ist gut“


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich im Ausschuss nicht gesagt! Ich habe im Ausschuss nicht gesagt, dass das gut ist! Das stimmt nicht!)


und sich dann hier hinstellen und sagen, nach zwei Mi-
nuten würde es immer noch eine Warteschleife geben.
Lesen Sie den Gesetzentwurf; dort stehen die Über-
gangsfristen. Man kann sehen, dass wir hier einen Turbo
eingebaut haben,


(Claudia Bögel [FDP]: Ja, genau! So ist es!)


auch wenn Sie das vielleicht nicht kapieren. Ihnen muss
man wirklich sagen: Lesen Sie die Gesetzentwürfe vor-
her!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Jahre lang haben Sie gewartet!)


Wir stoppen die Abzocke mit kostenpflichtigen War-
teschleifen bei Servicehotlines. Wir haben auch die
Preisansagepflicht bei Call-by-Call-Anbietern geregelt,
sodass die Verbraucher nicht mehr morgens 2 Cent und
abends 1 Euro für einen Call-by-Call-Dienst zahlen,
ohne es zu wissen. Hier haben wir für Markttransparenz
gesorgt. Beim Anbieterwechsel waren wir diejenigen,
die dafür gesorgt haben, dass das bisherige Druckmittel
endlich weggefallen ist. Früher standen die Kunden, ob
Privatleute oder Unternehmen, oftmals im Regen, wenn
sie ihren Anbieter gewechselt hatten, weil es keine Mög-
lichkeit gab, den Anschluss schnell umzustellen. Wir ha-
ben jetzt die Regelung getroffen, dass diese Umstellung
in Zukunft innerhalb eines Tages durchgeführt werden
muss.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir als christlich-liberale
Koalition legen heute mit der TKG-Novelle einen Mei-
lenstein in der Verbraucherpolitik im Bereich der Tele-
kommunikation vor.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir machen das, was Sie nicht hinbekommen haben,
und zwar im richtigen Gesetz und zum richtigen Zeit-
punkt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbsthypnose!)

Herr Kollege Dörmann, ich habe genau zugehört, was
Sie gesagt haben. Wenn ich Ihre Worte in die Waag-
schale lege, dann höre ich heraus, dass Sie auf den Bun-
desrat zielen. Sehr geehrte Damen und Herren von der
SPD, ich fordere Sie auf, hinsichtlich der TKG-Novelle
im Bundesrat keine Betonpolitik zu betreiben, sondern
diesen Meilenstein zu stärken. Je schneller der Gesetz-
entwurf in Kraft tritt, umso besser ist es.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wir machen Ihre Arbeit im Bundesrat! – Gegenruf des Abg. Sebastian Blumenthal [FDP]: Dann kann es nur schlecht werden!)


– Herr Kelber, ich spreche Sie jetzt nicht an, sonst stellen
Sie wieder eine Zwischenfrage; es ist immer das Glei-
che.

Lesen Sie den Gesetzentwurf und erkennen Sie, dass
wir als christlich-liberale Koalition hier nach vorne ge-
hen und die Punkte aufgreifen, an denen die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher abgezockt worden sind.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unambitioniert!)


Wir sorgen dafür, dass es im Bereich der Telekommuni-
kation einen Fortschritt gibt. Wir setzen den Rahmen,
ohne die Lösung vorzugeben. Das ist eine Politik für die
Menschen in den Städten und in den Ländern, das ist
eine Politik für die Verbraucherinnen und Verbraucher.


(Dr. Christiane Ratjen-Damerau [FDP]: Ganz genau!)


Deswegen ist dieser Gesetzentwurf aus verbraucher-
schutzpolitischer Sicht ein Meilenstein,


(Dr. Christiane Ratjen-Damerau [FDP]: Sehr richtig! – Ulrich Kelber [SPD]: Das sehen viele aber anders!)


der uns im Bereich des Verbraucherschutzes nach vorne
bringen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713603300

Das Wort hat nun Lars Klingbeil für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1713603400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen ein beachtli-
ches Hin und Her zwischen CDU, CSU und FDP erlebt.
Wenn wir uns heute anschauen, was dabei herausgekom-
men ist, dann müssen wir feststellen: Die Novellierung
des Telekommunikationsgesetzes ist aus netzpolitischer
Sicht ein Offenbarungseid.

Schwarz-Gelb fehlt der Mut, mit entschlossenen ge-
setzlichen Regelungen die digitale Spaltung in unserer





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)

Gesellschaft zu verhindern. Es fehlt der Mut, die Grund-
lage für die Innovationskraft des Internets durch die ge-
setzliche Absicherung der Netzneutralität zu sichern. Es
fehlt Ihnen der Mut, hier ein entschlossenes Bekenntnis
für ein offenes und freies Netz deutlich festzuschreiben,
und zwar ein Netz für alle Menschen in dieser Gesell-
schaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in den letzten Wochen das Phänomen er-
lebt, dass die CDU gerade an den Wochenenden immer
wieder sehr starke netzpolitische Signale ausgesendet
hat – ob durch Peter Altmaier in der FAZ oder jüngst
durch eine Videobotschaft, die auf YouTube zu finden
war. Ich zitiere Angela Merkel aus dem Videopodcast
von letzter Woche:

Und das Stichwort Netzneutralität ist für uns sehr
wichtig. Jeder Nutzer, egal was er verdient, wel-
chen Bildungsgrad er hat, soll die Möglichkeit ha-
ben, den gleichen Zugang zum Internet zu bekom-
men. Es darf kein Internet erster und zweiter Klasse
geben.


(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Ganz ehrlich: Ich hätte es nicht schöner sagen kön-
nen.

Aber was sind denn die Konsequenzen, wenn es hier
im Parlament zu Entscheidungen kommt? Welche Taten
folgen Ihren Worten? Wir haben hier heute einen Gesetz-
entwurf vorliegen, in dem keine Netzneutralität vorgese-
hen ist, durch den kein Universaldienst ermöglicht wird,
mit dem aber dafür gesorgt wird, dass die Datensamm-
lungen ausgeweitet werden, und der zu keinen Verbesse-
rungen im Verbraucherschutz führt. Sie leisten hier einen
Offenbarungseid.


(Beifall bei der SPD – Dr. Christiane RatjenDamerau [FDP]: Sie haben ihn gar nicht gelesen!)


Unsere Vorschläge zur Entwicklung der TKG-No-
velle liegen seit Wochen auf dem Tisch. Wir fordern die
gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und spre-
chen uns für Diskriminierungsfreiheit, Transparenz und
Mindestqualitäten sowie einen Universaldienst aus, um
eine flächendeckende Breitbandgrundversorgung zu er-
reichen und Lücken schnellstmöglich zu schließen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713603500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Blumenthal?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1713603600

Ja, sehr gerne.


Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1713603700

Vielen Dank, Herr Kollege Klingbeil, dass Sie die

Zwischenfrage gestatten. – Sie haben eben genau wie
der Kollege von Notz zum zweiten Mal wiederholt, dass
auch in der geänderten Fassung der TKG-Novelle kei-
nerlei Aussagen zum Thema Netzneutralität getroffen
werden. Dass Kollege von Notz hier offenkundig Lese-
schwächen hat, haben wir schon gemerkt. Ich bin jetzt
überrascht, dass Sie die gleiche falsche Aussage wieder-
holen.

Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen § 41 a der TKG-
Novelle bekannt?


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nur redaktionell!)


Dort wird die Netzneutralität ganz klar als Ziel definiert,
und das Bekenntnis zur Regulierung im Falle von syste-
matischer Diskriminierung wird ebenfalls ganz klar und
dezidiert aufgeführt. Ist Ihnen das bekannt? Wenn die
Antwort Ja lautet: Wie kommen Sie zu der Feststellung,
dass dazu keine Aussage in der Novelle enthalten ist?


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1713603800

Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege Blumenthal.

Ich wäre in zwei Sätzen genau zu dieser Stelle gekom-
men. Jetzt gewinne ich ein bisschen Zeit. Vielen Dank
für Ihre Frage.

Natürlich haben wir positiv zur Kenntnis genommen,
dass die Netzneutralität im Gesetzentwurf auftaucht,
aber durch eine Überschrift macht man noch keine gute
Politik.


(Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])


SPD, Grüne und Linke fordern die gesetzliche Veranke-
rung der Netzneutralität. Dieser Mut hat Ihnen gefehlt.
Es bleibt bei einer Rechtsverordnung.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreibschwäche!)


Die technische Neutralität des Netzes ist aber auch die
Grundlage für den Siegeszug des Internets; das wissen
wir alle, das wissen auch Sie.

Ich erinnere mich daran, dass ein Vertreter Ihrer Frak-
tion gefordert hat, das nächste Google müsse aus
Deutschland kommen. Ich glaube, bei dieser Forderung
stimmen wir alle überein. Aber wir alle wissen doch,
dass datenintensive Anbieter die Chance hatten, sich zu
entwickeln, dass sie entstanden sind, weil wir ein freies
und offenes Netz haben. Ich hätte mir gewünscht, dass
sich die Netzpolitiker in der Regierungskoalition durch-
gesetzt hätten. Ich glaube, da sind wir gar nicht weit aus-
einander. Die Netzneutralität heute nicht nur zu erwäh-
nen, sondern sie auch gesetzlich zu verankern, wäre ein
wichtiger netzpolitischer Schritt gewesen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es bringt nichts, bei der Netzneutralität weiter auf den
Markt zu hoffen und darauf, dass schon alles gut wird.
Ich habe es gerade gesagt: Ich hätte mir gewünscht, dass
wir Vorsorge treffen, dass wir dafür sorgen, dass Pro-
bleme gar nicht erst entstehen können. Ich will auch sa-
gen, dass die Position, die heute von der Regierungs-
koalition eingebracht wird, selbst bei den Experten in
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)

schaft“ keine Mehrheit gefunden hat, was ein beachtli-
ches Zeichen ist, Sie aber auch nicht zum Nachdenken
angeregt hat.

Ein anderes Thema, auf das ich eingehen will, ist der
Breitbandausbau. Er gehört für mich zu der Frage des of-
fenen und freien Netzes. Ich habe meinen Wahlkreis im
ländlichen Raum zwischen Hamburg und Hannover.
Herr Rösler, wir sind beide Niedersachsen. Auch Sie
kennen sicherlich die Probleme im ländlichen Raum,
dass kleine Unternehmen damit drohen, abzuwandern,
oder dass das Ingenieurbüro in die Kreisstadt zieht, weil
nicht genügend Bandbreite vorhanden ist.

Ich will Ihnen sagen: Ich habe keine Lust mehr, mir
noch weitere Jahre anzuhören, dass der Markt das regelt.
Ich habe keine Lust mehr, mir anzuhören, dass schon al-
les gut wird. Wenn sogar der Deutsche Bauernverband
Nachbesserungen fordert, was den Universaldienst an-
geht, dann frage ich mich: Warum hören Sie nicht die
Signale, die deutlich machen, dass wir die Universal-
dienstverpflichtung in Deutschland dringend brauchen?


(Beifall bei der SPD)


Es geht aber noch weiter. Wir alle wissen, dass der
Zugang zum Internet auch darüber entscheidet, welche
Chancen heute die Menschen in Deutschland haben. Da
geht es um Bildungsabschlüsse und um Berufschancen.
Wir alle wissen, dass der Universaldienst und der Breit-
bandzugang heute eine wichtige gesellschaftliche Di-
mension haben. Deswegen brauchen wir einen flächen-
deckenden Zugang. Heute gehört das Internet zur
gesellschaftlichen Grundversorgung, zur Teilhabe und
zur öffentlichen Daseinsvorsorge dazu. Wir hätten dafür
heute ein wichtiges Zeichen setzen können.

Ich bin dann doch erschrocken, wenn hier eine Vertre-
terin der FDP sagt, ein schnelles Internet für alle sei eine
Zwangsbeglückung der Menschen.


(Claudia Bögel [FDP]: Staatlich verordnete Zwangsbeglückung!)


Ich sage Ihnen: In meinem Wahlkreis gibt es unwahr-
scheinlich viele Menschen, die gerne zwangsbeglückt
werden würden. Hier offenbart sich elitäres Denken. Mit
einem solchen Denken muss Schluss sein. Wir brauchen
endlich das Grundrecht auf schnelles Internet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier offenbart sich noch etwas ganz anderes – das ist
die Konsequenz, die wir für die Netzpolitik ziehen müs-
sen –: Wir sehen, dass Netzpolitik in dieser Regierung
von Innenpolitikern, Wirtschaftspolitikern und Anhän-
gern einer falschen Wirtschaftspolitik geprägt wird. Ich
sage Ihnen: Netzpolitik ist Gesellschaftspolitik. Wir
müssen heute über viel mehr nachdenken als nur über
wirtschaftliche oder innenpolitische Konsequenzen. Es
geht darum, dass wir begreifen, dass Netzpolitik heute in
viele Bereiche des Lebens hineinreicht, dass es um Teil-
habe, um Chancen, um Perspektiven, um Innovation
geht. Die TKG-Novelle hätte heute ein gutes Aufbruchs-
signal sein können.

(Claudia Bögel [FDP]: Ist es doch! Ein Meilenstein ist es!)


Schwarz-Gelb ist leider auch hier gescheitert.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713603900

Ich erteile das Wort Nadine Schön für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sind uns in diesem Hause einig: Eine ver-
lässliche Breitbandversorgung ist elementar wichtig für
die Innovationsfähigkeit und auch für die wirtschaftliche
Stärke unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie ist wichtig für gesellschaftliche Teilhabe. Sie ist
wichtig, um vieles an Infrastruktur zu kompensieren,
was gerade im ländlichen Raum nicht mehr aufrecht-
erhalten werden kann.

Wir sind zunehmend in allen Lebensbereichen auf
eine gute Breitbandversorgung angewiesen. Deshalb ist
es gut, dass wir uns im Rahmen der TKG-Beratung mit
diesem wichtigen Thema so intensiv beschäftigt haben.


(Claudia Bögel [FDP]: Ganz genau!)


Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir die Dyna-
mik, die beim Ausbau der Breitbandversorgung vorhan-
den ist, verstärken. Allen Unkenrufen zum Trotz, gerade
von der linken Seite des Hauses: Die Dynamik beim
Breitbandausbau ist vorhanden, und sie ist beeindru-
ckend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mit einer engagierten Breitbandinitiative ist es gelungen,
Deutschland beim Breitbandausbau vom europäischen
Mittelfeld auf einen Spitzenplatz zu bringen. Der Aus-
bau geht rasant weiter.

In meinem Heimatland, dem Saarland, gibt es derzeit
in den 52 Gemeinden 22 Breitbandmaßnahmen; 12 wei-
tere sind in Planung. Viele davon liegen in der Größen-
ordnung von 50 Megabit, mindestens aber bei einer
Leistung von 16 Megabit.


(Klaus Barthel [SPD]: Das zahlt der Steuerzahler!)


Viele weiße Flecken werden erschlossen. Auch ich habe
noch bis vor einem Jahr in Modemgeschwindigkeit ge-
surft und weiß, wie das ist. Aber jetzt habe ich einen
schnellen DSL-Anschluss.

Ich habe alle Kommunen in meinem Wahlkreis ange-
fragt, wie es im Einzelnen aussieht, um mir einen Über-
blick über die tatsächliche Situation vor Ort zu verschaf-
fen. Das Ergebnis ist: Alle Kommunen sind mit





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)

Hochdruck an diesem Thema dran. Das Interessante ist:
In jeder Kommune gibt es einen Technologiemix aus
Glasfaser, Kabel, Funk und teilweise auch schon LTE.
Dabei wird der Glasfaserausbau keineswegs nur vom
ehemaligen Monopolisten betrieben. Im Gegenteil: Ge-
rade neue, innovative Firmen machen viel bessere und
flexiblere Angebote und fördern somit die Dynamik ins-
gesamt.

Die Ausbaudynamik ist also gerade im ländlichen
Raum vorhanden. Wir sind auf einem guten Weg, die
ehrgeizigen Ziele der Breitbandinitiative zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb will ich an dieser Stelle allen Danke sagen,
die sich auf kommunaler Ebene dafür einsetzen, dass wir
beim Breitbandausbau vorankommen. Denn hinter jeder
dieser kleinen Erfolgsgeschichten und hinter jeder dieser
sehr differenzierten Lösungen im Rahmen des Technolo-
giemix steckt sehr viel Arbeit der Verwaltungen, der
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie der Land-
räte. Das verdient Anerkennung. Dafür wollen wir an
dieser Stelle Danke sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Regelun-
gen, die wir heute verabschieden, wollen wir die Kom-
munen und die Anbieter bei ihren Bemühungen unter-
stützen. Wir schaffen mit dem heutigen Gesetz mehr
Transparenz, mehr Verbindlichkeit und mehr Sicherheit.

Die wichtigsten Punkte haben die Kollegen bereits
genannt. Ich will nur kurz auf die Änderungsanträge der
Koalition eingehen. Zum einen wollen wir alternative
Infrastrukturen für den Breitbandausbau öffnen. Alterna-
tive Infrastrukturen sind Wasserkanäle, Energieleitungen
und Kabelkanäle. Wenn es keine Einigung mit dem
Eigentümer gibt, dann findet ein Schlichtungsverfahren
statt. Ich denke, das ist eine pragmatische Lösung.

Einen Schritt weiter gehen wir dort, wo wir selbst
Verantwortung tragen, nämlich beim Bund. Bei Bundes-
straßen, Eisenbahn und Bundeswasserstraßen besteht
künftig ein Anspruch auf Mitbenutzung.

Ich fordere an dieser Stelle die Länder und Kommu-
nen auf: Lassen Sie auch für Ihren Verantwortungsbe-
reich einen solchen Anspruch auf Mitbenutzung zu.
Wenn nämlich alle Straßen einem Mitbenutzungsan-
spruch unterliegen, dann ist ein sinnvoller und vor allem
kostensparender Ausbau möglich.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Deshalb brauchen wir den Universaldienst!)


Wichtige Maßnahmen sind darüber hinaus der Infra-
strukturatlas, das Microtrenching und der Auskunftsan-
spruch für Regulierungsentscheidungen. All das fördert
Transparenz, Planbarkeit und Synergien und trägt zur
Dynamisierung des Breitbandausbaus bei.

Herr Lämmel hat darüber hinaus auf die positiven
Wirkungen des Breitbandbüros hingewiesen. Frau
Rößner, dass Sie als Fachpolitikerin das Breitbandbüro
nicht kennen, macht mich etwas nachdenklich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Frage ist nun: Brauchen wir darüber hinaus noch
den Universaldienst? Sie wissen, wir haben sehr lange
gerungen. Auch ich habe mit der Idee sympathisiert. Am
Schluss hat sich die Koalition aber dagegen entschieden.
Wieso? Zum einen wurde von sehr vielen Stellen die Be-
fürchtung geäußert, dass schon allein die Ankündigung
des Universaldienstes den Wettbewerb ausbremsen
könnte. Das haben nicht nur die Verbände gesagt, son-
dern auch sehr viele Telekommunikationsexperten und
interessanterweise auch die Gemeinden bei mir zu Hause
im ländlichen Raum. Ich zitiere aus einer Stellung-
nahme:

Die Einführung eines flächendeckenden Breit-
bandausbaus als gesetzlich abgesicherte Grundver-
sorgung lähmt unseres Erachtens den freien Wettbe-
werb unter den TK-Unternehmen und damit auch
die Investitionsbereitschaft der Marktanbieter. Die
Folge wäre eine Verteuerung des Netzes, die letzt-
endlich der Steuerzahler tragen müsste. Von einer
staatlichen Reglementierung sollte daher Abstand
genommen werden.

So weit die Stellungnahme der Kommune bei mir vor
Ort.


(Martin Dörmann [SPD]: Sie ist aber falsch!)


Abgesehen von diesen Befürchtungen ist auch die
Ausgestaltung schwierig. Werfen wir einen Blick in die
vorliegenden Vorschläge. Beschließen wir einen Univer-
saldienst mit einer Leistung von 6 Megabit, wie ihn die
Grünen wollen, dann wäre dies höchstwahrscheinlich
europarechtswidrig, da er deutlich über dem liegt, was
der Durchschnitt der Bevölkerung will.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir haben das überprüfen lassen! Die Mehrheit hat es doch!)


Legen wir niedrigere Übertragungsraten zugrunde wie
die Kollegen von der SPD, dann hat die Regelung keinen
Effekt. Dann ist sie eigentlich nur weiße Salbe. Liebe
Kollegen von der SPD, Sie haben gestern im Ausschuss
gesagt, Sie wollten mit dem Universaldienst etwa 1 bis
2 Megabit erreichen, erklären aber gleichzeitig, dass
LTE zu einer Abdeckung von 99 Prozent führen wird.
Zusammen mit Satellit sind wir dann bei 100 Prozent.
Was soll dann der Universaldienst?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713604000

Frau Kollegin, wollen Sie Ihre Redezeit, die schon

abgelaufen ist, durch eine Zwischenfrage des Kollegen
Dörmann verlängern?

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Ja, gern.






(A) (C)



(D)(B)


Martin Dörmann (SPD):
Rede ID: ID1713604100

Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Nachdem uns

als SPD hier im Hause zum zweiten Mal etwas Falsches
in den Mund gelegt wurde und ich das schon über Twit-
ter gelesen habe, frage ich Sie: Können Sie zur Kenntnis
nehmen, dass wir in unserem Antrag ausdrücklich die
Forderung erheben, dass zuerst europarechtskonform
festgestellt wird, welche Bandbreite von der Nutzer-
mehrheit verwendet wird, und dass das dann als feste
Bandbreite festgelegt wird? Dieser Weg führt im Übri-
gen dazu, dass wir zu einer europarechtskonformen ma-
ximalen Bandbreite kommen; denn eine Bandbreite, die
über die europarechtlichen Kriterien hinausgeht, können
wir nicht festlegen. Ich weise die von Ihnen angeführten
Megabitzahlen zurück. Können Sie das zur Kenntnis
nehmen?

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Ich nehme das sehr gerne zur Kenntnis. Ich bitte aber

auch Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Realisierung
eines Universaldienstes gemäß Ihrem Vorschlag – das
hat der Kollege Jarzombek schon dargelegt – mindestens
bis 2018 dauern würde und dass beispielsweise die Vor-
schläge der Grünen weiterhin auf einer höheren Band-
breite beruhen, was Sie als europarechtswidrig einstufen.
Allein daran, dass sich die beiden Oppositionsfraktionen
nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja wohl noch schöner!)


weil jeder die Lösung des anderen für entweder rechts-
widrig oder uneffektiv hält,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn wir die SPD nicht treiben, wer soll das dann tun?)


kann man sehen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch
keinen vernünftigen Vorschlag für einen Universaldienst
gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben im Rahmen der Breitbandstrategie ambi-
tionierte Ziele. Bisher erreichen wir diese. Wir müssen
das aber im Auge behalten. Deshalb schließe ich mich
dem Vorschlag des Kollegen Nüßlein an. Wir sollten den
LTE-Ausbau im Auge behalten und schauen, ob die wei-
ßen Flecken verschwinden. Zurzeit gibt es hier eine
große Dynamik. Geben wir diesem Ausbau eine Chance.
Wir fördern ihn mit diesem Gesetz auf die geschilderte
Art und Weise. Ich bitte Sie: Unterstützen Sie uns dabei.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713604200

Das Wort hat nun Mechthild Heil für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1713604300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Novelle zum Telekommunikationsgesetz
stärkt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Mit die-
sem Gesetz ist uns ein großer Wurf für den Verbraucher-
schutz gelungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir stärken den Wettbewerb, und wir stärken massiv die
Macht des Verbrauchers. Der Opposition sind die mona-
telangen Beratungen wieder einmal zu kurz. Sie me-
ckern und mäkeln herum. Ich verstehe Sie. Im Grunde
ärgern Sie sich, dass Sie in Ihrer Regierungszeit nicht die
Kraft für eine so weitreichende Reform gefunden haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Solange Sie in der Regierung waren, haben Sie Pro-
bleme wie Warteschleifen oder Call-by-Call nicht gelöst.


(Claudia Bögel [FDP]: Genau!)


Wir haben die Kraft. Wir packen die Probleme an. Wir
lösen sie zum Nutzen der Kunden und für mehr Transpa-
renz auf dem Markt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sorgen mit dem TKG dafür, dass der Verbraucher
bei der Nutzung von Mehrwertdiensten erst dann be-
zahlt, wenn er mit einem Mitarbeiter in Kontakt tritt, der
sich seines Problems annimmt. Das heißt: Schluss mit
überteuerten Warteschleifen! Wir schützen mit der No-
velle zum Telekommunikationsgesetz die Verbraucher
vor dem Betrug mit Internetkostenfallen über die Handy-
rechnung. Von nun an werden Handykunden den Fest-
netzkunden endlich gleichgestellt. Bisher hatten nur
Festnetzkunden die Möglichkeit, einzelnen Rechnungs-
posten zu widersprechen, ohne dass dies zur Sperrung
des Anschlusses führte. Heute darf der Anbieter erst ab
einem Rückstand von 75 Euro und vorheriger Ankündi-
gung sperren.

Wir stärken die Rechte der Verbraucher beim Umzug.
Wechselte bisher ein Verbraucher den Wohnort, musste
er meist den alten Vertrag fortführen, auch wenn am
neuen Wohnort die Leistungen nicht angeboten wurden.
Damit ist jetzt Schluss. Wir verankern im Gesetz ein
dreimonatiges Sonderkündigungsrecht. Wird die gleiche
Leistung am neuen Wohnort angeboten, darf die verein-
barte Vertragslaufzeit jetzt nicht mehr geändert werden.
Das ist ein exzellentes Beispiel für intelligenten Verbrau-
cherschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Künstlich aufgerichtete Hürden, die Kunden von ei-
nem Anbieterwechsel abhalten sollten, werden abgebaut.
Von nun an dürfen auch Verträge mit einer Höchstlauf-
zeit von zwölf Monaten am Markt angeboten werden.
Auch die Möglichkeit der Rufnummerportierung bei lau-
fendem Vertrag ist nun möglich. Ziel der CDU/CSU ist
es, einen besseren Service für die Kunden zu erreichen





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)

und durch Wettbewerb langfristig die Kosten für die
Bürger zu senken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bis jetzt musste jeder beim Anbieterwechsel fürchten,
für einige Tage oder Wochen ohne Telefon und Internet
dazustehen. Das ist für Privatkunden wie für Unterneh-
men inakzeptabel. Auch damit ist jetzt Schluss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unterschreibt man bei der Konkurrenz, darf der Telefon-
anschluss höchstens einen Tag lahmgelegt werden.
Marktwirtschaft und Verbraucherinteressen gehen hier
Hand in Hand.

Das Schönen der Geschwindigkeitsangaben bei DSL-
Verträgen gehört endlich der Vergangenheit an. Derzeit
geben Anbieter die Geschwindigkeit mit „bis zu“ an. In
der Realität heißt das oft: Der versprochene Datenhigh-
way entpuppt sich schnell als verkehrsberuhigte Zone.
Deshalb verpflichten wir die DSL-Anbieter, verbindli-
che Mindestgeschwindigkeiten anzugeben. Ohne Wenn
und Aber müssen nun die Karten auf den Tisch. Wenn
ein Kunde die technischen Voraussetzungen für einen In-
ternetzugang von nur 2 Megabit pro Sekunde hat, kann
ihm zukünftig kein 16-Megabit-Vertrag aufgeschwatzt
werden. Das, was versprochen und vertraglich vereinbart
wird, muss dem Kunden auch geliefert werden.

Im parlamentarischen Verfahren wird oft hart um die
beste Lösung gerungen; das wissen wir alle. Ich möchte
hier die Gelegenheit nutzen, den beteiligten Abgeordne-
ten der Koalition zu danken. Wir haben an vielen ent-
scheidenden Stellen deutlich mehr Verbraucherschutz im
TKG verankert, über die Ressort- und Ausschussgrenzen
hinweg. Verbraucherschutz, also gerechte Regeln zwi-
schen den Kunden und den Anbietern, ist für die christ-
lich-liberale Koalition ein zentrales Anliegen. Das haben
wir einmal mehr unter Beweis gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vielen Dank deswegen noch einmal für die hervorra-
gende Zusammenarbeit.

Gemeinsam haben wir uns für einen Warnhinweis bei
der Nutzung von Datendiensten ausgesprochen, wenn
eine bestimmte Gebührengrenze überschritten wird. Im
Ausland gibt es einen solchen Kostenairbag bereits. Wir
setzen jetzt auch in Deutschland einen solchen um. Wir
befähigen die Bundesnetzagentur, einen Kostenairbag
für mobile Dienste im Inland einzuführen. Wenn also
beim Datenroaming die Grenze von zum Beispiel
50 Euro überschritten wird, kann der Verbraucher durch
eine SMS darüber benachrichtigt werden.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kann! – Alles nur Kannbestimmungen!)


Zum Thema Call-by-Call. Obwohl sich Telefon- und
Internetflatrates weiter am Markt durchsetzen, greifen
immer noch Verbraucher auf die Nutzung von Call-by-
Call-Vorwahlen für den Internetzugang oder auch für
Auslandsverbindungen zurück. Mit Lockangeboten wur-
den Kunden zuerst geworben und dann mit hohen Auf-
schlägen oder Tarifsprüngen zur Kasse gebeten. Eine
Pflicht zur Preisansage bei Call-by-Call wird jetzt in
§ 66 TKG verankert. Wir schaffen hier eine klare Lö-
sung im Sinne eines „sauberen Telefons“.

Vor allem Werbeanrufe haben sich in letzter Zeit oft
als großes Ärgernis für Verbraucher herausgestellt. Da
einige Firmen falsche, nicht zurückverfolgbare Rufnum-
mern aufgesetzt haben, schreiten wir auch dort ein. Mit
dem Gesetz stellen wir klar, dass auch die Übermittlung
falscher Rufnummern und nicht nur die Unterdrückung
der Rufnummern verboten ist. Verstöße dagegen werden
jetzt mit 100 000 Euro und nicht wie zuvor mit
10 000 Euro geahndet. Damit geben wir der Bundesnetz-
agentur ein scharfes Schwert gegen unlautere Werbe-
anrufer in die Hand.

All dies sind wichtige und spürbare Erfolge für uns
Verbraucher. Die Opposition findet aus Ärger über ihre
eigene Kraftlosigkeit in ihrer eigenen Regierungszeit
keinen Gefallen an unseren in jeder Hinsicht gelungenen
und wegweisenden Verbraucherschutzgesetzen –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


schade für die Verbraucherinnen und Verbraucher in un-
serem Land! Eine breite Zustimmung wäre hier der rich-
tige Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713604400

Das Wort hat Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-

Fraktion.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713604500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim

Thema Universaldienst fühle ich mich heute ein biss-
chen wie auf dem türkischen Basar: Die Grünen fordern
6 Megabit. Dazu sagt die SPD: Das ist europarechtlich
gar nicht möglich. Die SPD fordert nach jetzigem Stand
offenkundig – Martin Dörmann hat es heute Morgen
schon einmal gesagt – 2 Megabit.


(Martin Dörmann [SPD]: Schon wieder falsch!)


Dazu sagen die Grünen: Das ist zu wenig.

Das Problem beim Universaldienst ist doch: In dem
Moment, in dem Breitbandausbau mit Staatsknete be-
trieben wird, wird jeder private Investor sofort seine
Mittel einfrieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Damit haben wir nichts gewonnen, sondern, im Gegen-
teil, wir verlieren mehrere Jahre für den ländlichen
Raum.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713604600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Klingbeil?






(A) (C)



(D)(B)


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713604700

Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713604800

Bitte schön.


Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1713604900

Lieber Kollege Jarzombek, nehmen Sie zur Kenntnis,

dass hier keine Zahl genannt wurde, sondern beschrie-
ben wurde, welche Aussagen es gibt.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was? 2 bis 6!)


Teilen Sie meine Einschätzung, dass eine Einigung zwi-
schen SPD und Grünen bei der Frage Universaldienst si-
cherlich um ein Vielfaches einfacher ist als das, was
diese Regierung in den letzten Wochen geleistet hat?


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713605000

Nein. Diese Einschätzung, lieber Kollege Klingbeil,

teile ich überhaupt nicht; denn in Ihrem Antrag – Martin
Dörmann hat zitiert, was ich in dem Gespräch heute
Morgen gesagt habe; jetzt mache ich es umgekehrt; er
hat gesagt, es seien nach derzeitigem Stand wahrschein-
lich 2 Megabit – ist von 2 bis 6 Megabit die Rede; lassen
wir es 3 Megabit sein. Das ist momentan der Stand der
Dinge.

Dann schreiben Sie in Ihrem Antrag: Technologieneu-
tral muss es sein. Sie wissen genau, dass diese Forderung
mit der LTE-Technologie und den neuen Breitbandsa-
telliten bereits flächendeckend erfüllt ist. Deshalb ist
Ihre Forderung nach einem Universaldienst reiner Bluff;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


denn das, was Sie beantragen, ist schon längst erfüllt.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: LTE kommt doch gar nicht überall hin!)


Sie tun eben nur so, als wollten Sie etwas erreichen, und
Sie gehen damit die Gefahr ein, dass alle, die heute in
Zusammenarbeit mit kommunalen Unternehmen, mit
Stadtwerken im ländlichen Raum bauen, ihre Mittel ein-
frieren, weil sie Angst haben, dass ihre Investitionen in
Verbindung mit Staatsknete in kurzer Zeit entwertet wer-
den. Das ist das, was Sie riskieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713605100

Der Kollege Kelber möchte noch etwas fragen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Der will nur was erklärt haben! Der versteht es meistens nicht!)


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713605200

Ich finde es schön, dass meine Redezeit so verlängert

wird. Bitte.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713605300

Bitte schön.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1713605400

Herr Kollege, Sie haben gerade die Forderung der

SPD nach einem Universaldienst kritisiert. Ich zitiere:

Eine Verpflichtung der Wirtschaft, allen Haushalten
einen schnellen Internetzugang zu ermöglichen,
könnte … in die laufende Novellierung des Tele-
kommunikationsgesetzes eingebaut werden. Davon
geht der IT-Beauftragte der CDU/CSU Bundestags-
fraktion, Georg Nüßlein, aus. „SPD, Grüne und die
CSU haben den Wunsch, einen Breitband-Univer-
saldienst einzuführen“, erklärte der CSU-Politiker
gegenüber heise online.

Er kündigte eine entsprechende Initiative der CDU/
CSU-Wirtschaftsarbeitsgruppe an.

Was sagen Sie zu diesem Zitat?


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713605500

Herr Kollege Kelber, ich bin Ihnen für diese Frage

sehr dankbar; denn sie zeigt, dass wir gemeinsam in der
Großen Koalition etwas sehr Gutes erreicht haben: Wir
haben Rundfunkfrequenzen für die sogenannte digitale
Dividende umgewidmet, um über Breitbandfunk flä-
chendeckend im ländlichen Raum einen schnellen Inter-
netzugang zu ermöglichen. Hier haben wir eine Selbst-
verpflichtung erreicht. Die Bundeskanzlerin hat im
Sommer noch einmal die Vorstandsvorsitzenden der Un-
ternehmen, die Lizenzen bekommen haben, einbestellt.
René Obermann wie Friedrich Joussen haben ihr zuge-
sagt, bis zum Ende des Jahres einen flächendeckenden
Ausbau mit Hochgeschwindigkeitsbreitbandinternet zu
erreichen.

Ich muss der Kanzlerin ein großes Kompliment aus-
sprechen. Das ist ein großer Erfolg für die Politik. Ich
verstehe gar nicht, warum Sie selber das Thema Funk-
anbindungen ständig schlechtreden; schließlich haben
Sie die jetzige Regelung in Ihrer Regierungszeit mit uns
gemeinsam beschlossen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist doch keine Antwort auf die Frage! – Ulrich Kelber [SPD]: Das Zitat war von diesem Monat!)


Sie sehen doch, dass aufgrund der Selbstverpflichtung
eine weitere gesetzliche Maßnahme heute nicht mehr er-
forderlich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Das war doch peinlich! Das war doch keine Antwort auf die Frage! – Ulrich Kelber [SPD]: Extrem ausweichend!)


Meine Damen und Herren, wenn Sie heute einen Uni-
versaldienst einfordern, dann fordern Sie damit – dieser





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)

Aspekt ist noch gar nicht benannt worden – eine ganz
andere Sache ein: Sie beide wollen es nicht mit Mitteln
aus dem Bundeshaushalt finanzieren, sondern mit einer
Umlage.

Das heißt, dass nach Ihren Vorstellungen künftig auf
jeden DSL-Anschluss eine zusätzliche Steuer erhoben
wird, eine „Breitband im ländlichen Raum“-Steuer.
Dann sagt der Jugendschützer: Wir brauchen aber auch
bessere Jugendschutzprogramme; da braucht es auch
noch eine Steuer. – Dann sagt der Nächste: Wir haben
Kriminalität im Internet. Das muss mit einer Sonderab-
gabe bekämpft werden.


(Martin Dörmann [SPD]: Das ist doch Quatsch, was Sie hier erzählen! Kein Mensch will eine Steuer! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Ihre Leute?)


Am Ende sind Sie da, wo man bei der Mineralölsteuer
längst ist: Sie haben Abgaben ohne Ende. Deshalb sage
ich: Diese Tür darf man gar nicht erst öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Dörmann [SPD]: Das ist ja unterirdisch!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713605600

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, und zwar der Kollegin Rößner?


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713605700

Ja, gern. – Ist das hier die Fragestunde? Finde ich gut!


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713605800

Lieber Herr Kollege Jarzombek, weil Sie uns unter-

stellen, wir seien auf dem Basar und dies alles sei nicht
EU-rechtskonform, möchte ich Sie fragen, ob Sie zur
Kenntnis genommen haben, dass unsere Fraktion ein
externes Gutachten in Auftrag gegeben hat, das übrigens
allen zur Verfügung steht und auch lesbar ist. Ich hoffe,
dass Sie einmal hineinschauen, um zu sehen, dass es
möglich ist, und zwar EU-rechtskonform, einen Univer-
saldienst einzurichten.

Daran möchte ich gleich noch eine Frage anschließen:
Wir stellen unsere Unterlagen gern zur Verfügung, aber
die Änderungsanträge zum TKG haben wir sehr kurz-
fristig bekommen.


(Claudia Bögel [FDP]: Gar nicht gelesen!)


Wann haben Sie denn die Änderungsanträge in der Frak-
tion bekommen? Ich habe nämlich gehört, dass Vertreter
außerhalb dieses Parlaments die Änderungsanträge be-
reits am Freitag vorliegen hatten.


(Claudia Bögel [FDP]: Was soll denn das jetzt wieder heißen? Das ist ja unglaublich!)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713605900

Frau Kollegin, ich glaube, es ist besser, erst über die

Sache und dann über das Verfahren zu sprechen.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war aber zum Verfahren! Das ist ja bezeichnend! Wie gehen Sie mit dem Parlament um?)


– Hören Sie doch erst einmal zu, Kollege Beck! – Ich
habe mich, ehrlich gesagt, darüber geärgert, dass Sie seit
gestern unablässig behaupten, Sie hätten über 100 Seiten
mit Änderungen bekommen und hätten sie in zwei Tagen
durcharbeiten müssen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mal! Über Nacht!)


Es sind gar keine 100 Seiten mit Änderungen. Es ist eine
Synopse zu einem 100-seitigen Regierungsentwurf, der
Ihnen schon seit Monaten vorliegt.


(Claudia Bögel [FDP]: Ganz genau! Wieder nicht gelesen!)


Dazu gibt es heute noch eine Zahl von Änderungsanträ-
gen, die aber vielleicht – ich weiß es nicht genau – zehn
Seiten umfassen. Man kann es schon schaffen, das in
zwei Tagen durchzulesen. Ich habe es durchgelesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ganz ehrlich: Wir diskutieren die Dinge im Grunde seit
einem Jahr. So überraschend Neues steht gar nicht darin.

Über Ihr Gutachten haben wir gestern Morgen im Un-
terausschuss Neue Medien ausführlich diskutiert. In Ih-
rem Gutachten geht es um Breitband insgesamt. Es ist
ein interessantes Gutachten, aber gerade zu der Frage der
Europarechtskonformität ist es extrem dünn.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Alle Fraktionen außer Ihrer Fraktion, Frau Kollegin, ha-
ben zugestimmt, dass die Position nicht haltbar ist, und
haben sie abgelehnt. Insofern finde ich es interessant,
dass Sie immer wieder behaupten, dass das europarecht-
lich möglich ist;


(Claudia Bögel [FDP]: Die behaupten so vieles!)


wahrscheinlich ist es in zehn Jahren möglich, aber eben
nicht heute. Heute wäre es nicht europarechtskonform.
Schauen Sie auf die Kollegen der Sozialdemokraten! Die
werden es Ihnen bestätigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606000

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage, diesmal vom Kollegen Behrens von der Fraktion
Die Linke?


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713606100

Ich möchte jetzt gern noch andere Themen anspre-

chen, auch wenn ich es schön finde, dass Sie so großes
Interesse an meiner Rede haben und immer wieder Fra-
gen dazu stellen.





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte noch etwas zum Thema Breitband sagen.
Es ist erstaunlich, dass man bis heute gebraucht hat, um
im Bereich des Tiefbaus dahin zu kommen, dass zu-
nächst einmal bei Autobahnen und Bundesstraßen eine
Pflicht besteht, Breitbandkabel mit zu verlegen. Das ist
nach unserer Novelle erstmalig der Fall. Wir haben mit
dem Microtrenching ein Verfahren, bei dem die Kabel in
30 Zentimetern Tiefe verlegt werden können. Das ist
ganz neu. Wir sind die Ersten, die das machen. Auch
dass der sogenannte Hausstich nicht mehr von Eigentü-
mergemeinschaften verhindert werden kann – die treffen
sich nur einmal im Jahr –, ist die notwendige Vorausset-
zung für Glasfaser. Das sind unsere Erfolge im Bereich
Breitband.


(Claudia Bögel [FDP]: Ganz genau!)


Da kommen wir heute substanziell weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mein zweites Thema ist die Netzneutralität. Der Kol-
lege Dr. Tauber hat sehr lange eine Projektgruppe in der
Enquete-Kommission geleitet. Ich finde, er hat das aus-
gezeichnet gemacht. Wir sind beim Thema „Wettbewerb
im Telekommunikationsmarkt“ auf zwei Punkte gekom-
men, über die sich alle einig geworden sind.

Ich hoffe, Wettbewerb wollen Sie auch. Bei Wettbe-
werb in einer sozialen Marktwirtschaft muss man immer
den Ausgleich suchen zwischen einem völlig unregulier-
ten Wettbewerb und einer extremen staatlichen Interven-
tion. Wir suchen diesen Kompromiss auch in diesem
Fall. Es geht darum, niemanden zu diskriminieren, und
alles, was hier stattfindet, muss transparent sein.

Letztlich hat die Enquete-Kommission sämtliche der
vielen Handlungsempfehlungen abgelehnt. Das gilt für
Ihre wie für unsere. Auf diese Punkte hat man sich aber
verständigt. Padeluun, der das verursacht hat, hat am
Ende einer langen Diskussion mit uns gesagt: Wenn das
so ist, dann ist es eben so, dass wir uns nur auf diese
Dinge verständigen können.

Das bilden wir in dem heute zu beratenden Gesetzent-
wurf ab. Das ist im Übrigen das erste Gesetz zur Netz-
neutralität in Deutschland. Es entspricht dem breiten
Konsens, den wir auch in der Enquete-Kommission ha-
ben. Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass alles Weitere
in einer Verordnung geregelt wird, die wir gemeinsam
mit Ihren SPD-geführten Ländern, nämlich mit dem
Bundesrat, gemeinschaftlich auf den Weg bringen müs-
sen. Deshalb kann ich diese Aufregung hier nicht nach-
vollziehen. Sie haben die Möglichkeit, sich einzubrin-
gen. Wir werden das nur mit einem breiten Konsens
machen können. Deshalb ist es meines Erachtens eine
gute Regelung und kein Grund für Polemik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe mich sehr darüber geärgert – vielleicht hat
mich das vorhin mehr erzürnt, als es hätte sein müssen –,
dass Kollege von Notz behauptet hat, es stünden Dinge
im Gesetzentwurf, die gar nicht im Gesetzentwurf ste-
hen.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das tun sie auch! Auch Sie behaupten Sachen, die nicht stimmen!)


Sie haben behauptet, wir beabsichtigten, über § 97
Abs. 4 die Anbieter zu zwingen, Daten drei Monate lang
zu speichern.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie setzen darauf, dass sie es tun!)


Im Regierungsentwurf hingegen steht, dass die Daten
spätestens nach drei Monaten zu löschen sind.

Außerdem legen wir heute einen Entwurf vor, in dem
genau das gestrichen worden ist, weil das offenkundig
missverständlich war. Damit fordern wir, dass die Daten
schnellstmöglich gelöscht werden müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beantragen heute die schnellstmögliche Lö-
schung. Sie behaupten aber die ganze Zeit, wir würden
die Speicherung von Daten beantragen. Das ist ganz be-
wusst gemogelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen keine ausreichende Regelung!)


Sie setzen nur auf den Effekt, dass diese Halbwahr-
heiten, die Sie bei Twitter, Facebook und sonst wo im
Netz verbreiten, am Ende auch noch von Leuten ge-
glaubt werden. Deshalb möchte ich, dass Sie sich dafür
entschuldigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606200

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich

Herbert Behrens.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713606300

Herr Jarzombek, Sie haben meine Frage leider nicht

zugelassen. Gleichwohl haben Sie sie gerade beantwor-
tet.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Also setzen!)


Ich halte es für eine Riesenschweinerei, wenn Sie hier
sagen, diese Streichung sei eine Verbesserung. In Ihrem
ursprünglichen Gesetzentwurf, den Sie im Mai auf den
Tisch gelegt haben, hieß es:

Diese Daten dürfen maximal drei Monate lang nach
der Versendung der Rechnung gespeichert werden.

Vor zwei Tagen, abends um 19 Uhr, haben Sie uns
eine Vorlage präsentiert, die über 100 Seiten stark ist und
in der steht: Dieser Absatz entfällt. – Das ist kein Fort-
schritt, sondern ein massiver Rückschritt. Das ist ein
Einstieg in die Vorratsdatenspeicherung durch die Hin-
tertür.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606400

Auch der Kollege von Notz möchte noch eine Kurzin-

tervention machen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Entschuldigung kommt!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eigentlich hätte ich darauf verzichtet. Herr Kollege
Jarzombek, wenn Sie aber hier so theatralisch werden,
muss ich doch noch etwas dazu sagen.

Es gibt eine intensive Diskussion darüber, ob diese
Regelungen ausreichend sind, um Missbrauch zu verhin-
dern. Dazu liefern Sie nicht genug. Sie haben es nicht hi-
neingeschrieben. Wie man aber den Aussagen des Kolle-
gen Nüßlein entnehmen konnte, hat genau das bei Ihren
Beratungen eine entscheidende Rolle gespielt. Deshalb
ist die Echauffierungsnummer, die Sie hier abziehen, ge-
künstelt. Getroffene Hunde bellen. Genau so ist es. Sie
haben in diesem Bereich nichts geliefert. Die FDP wollte
eigentlich, aber Sie haben es verhindert. Dass Sie nun
hier Entschuldigungen einfordern – geschenkt.

Herr Jarzombek, mich interessiert aber wirklich
– dabei bitte ich Sie, diese Chance zur Aufklärung zu
nutzen –, ob es stimmt, dass Leuten außerhalb des Par-
laments die Synopse vorlag, sie zuvor Lobbyisten zu-
gespielt worden ist, Sie uns die aber erst zehn Stunden
vor Beginn der Beratungen haben zukommen lassen.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Sie können ja sagen, dass das nicht stimmt. Stimmt es,
oder stimmt es nicht? Wenn es nicht stimmt, dann sagen
Sie doch verbindlich, dass die Synopse tatsächlich erst
am Mittwochabend fertig war. Das interessiert mich tat-
sächlich.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606500

Kollege Jarzombek, Sie haben Gelegenheit zur Re-

aktion.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713606600

Das mache ich sehr gern. Ich habe diese Synopse

– das kann ich auch nachweisen – am Montag, ich
glaube nachmittags, bekommen. Ich kann allerdings
keine Aussagen darüber treffen, wer sonst noch was be-
kommen hat. Ich habe sie am Montagnachmittag bekom-
men.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben wir sie erst am Dienstag bekommen?)


– Ich finde es schön, dass wir über die Verfahren re-
den. – Das war eine interne Beratung bei uns, bei der
noch die Meinungen eingeholt worden sind. Da war die
Synopse aber noch nicht beschlossen. Ich glaube, das
ist aber auch nicht der Punkt, um den es bei dieser Dis-
kussion geht.
Herr Kollege von Notz, was mich wirklich aufregt,
ist, dass pausenlos Behauptungen aufgestellt werden,
dass irgendjemand – auf Twitter oder irgendwo in einem
Blog – irgendetwas publiziert, dass sich keiner für heute
die Plenarunterlagen oder den Gesetzentwurf durchliest
und jetzt versucht wird, den Eindruck zu erwecken, wir
würden eine Vorratsdatenspeicherung beschließen.

Gehen wir das einmal Punkt für Punkt durch: § 97
TKG Abs. 3 Satz 3 – Herr Behrens hat es gesagt – bleibt
so erhalten. Dabei geht es um das Verhältnis zum End-
kunden.

Dann gibt es den § 97 Abs. 4. Dabei geht es um die
Daten im Verhältnis zwischen den Providern, nicht zwi-
schen Endkunde und Anbieter. Im Regierungsentwurf
stand bis dato Folgendes: „Diese Daten dürfen maximal
drei Monate nach Versendung der Rechnung gespeichert
werden.“ Den haben Sie massiv kritisiert. Deshalb haben
wir diesen Passus gestrichen. Es bleibt alles beim Alten.
Es bleibt bei dem Gesetz, das 2004 von Rot-Grün be-
schlossen wurde. Die Formulierung von Rot-Grün aus
dem Jahre 2004 bleibt weiterhin bestehen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unbestritten!)


– Das ist unbestritten, sagt der Kollege von Notz. Sehr
schön. Wissen Sie, was wir verändern? Wir streichen in
§ 97 Abs. 3 Satz 3 die Wörter „soweit sie nicht nach
§ 113 a zu speichern sind“. Das war der Verweis auf die
Vorratsdatenspeicherung. Die wird nämlich heute gestri-
chen und nicht hinzugefügt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das sollten Sie einmal Ihren Leuten bei Twitter sagen,
damit endlich klar wird, was hier und heute eigentlich
beschlossen wird. Wir nehmen Dinge zurück, und an-
sonsten bleibt alles bei dem, was Sie von Rot-Grün 2004
gemacht haben. Sie können zu Ihrem eigenen Gesetz sa-
gen, was Sie wollen. Dazu lade ich Sie gerne ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung telekommunikationsrechtlicher Regelungen. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/7521, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/5707 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen.

Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-
men.

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/7525? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und FDP gegen die Stimmen von Linken und Grü-
nen abgelehnt.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
17/7526? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von Linken und Grü-
nen bei Enthaltung der SPD abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/7527. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der bei-
den Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD
und Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/7528. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
Linken und Grünen bei Enthaltung der SPD abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmun-
gen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses
für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/7521
fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/4875 mit dem Titel
„Verbraucherschutz in der Telekommunikation umfas-
send stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
FDP und Grünen gegen die Stimmen von SPD und Lin-
ken angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5367 mit dem Titel
„Netzneutralität im Internet gewährleisten – Diskrimi-
nierungsfreiheit, Transparenzverpflichtungen und Siche-
rung von Mindestqualitäten gesetzlich regeln“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen ange-
nommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5902 mit dem
Titel „Schnelles Internet für alle – Flächendeckende
Breitband-Grundversorgung sicherstellen und Impulse für
eine dynamische Entwicklung setzen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der SPD bei Enthaltung der Linken und Grü-
nen angenommen.

Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5376 mit dem Ti-
tel „Telekommunikationsmarkt verbrauchergerecht re-
gulieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP
und Grünen gegen die Stimmen der Linken bei Enthal-
tung der SPD angenommen.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe f seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4843
mit dem Titel „Netzneutralität sichern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von Linken und Grünen bei Enthaltung der
SPD angenommen.

Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6912 mit dem Ti-
tel „Universaldienst für Breitband-Internetanschlüsse
jetzt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP
und SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung
der Grünen angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe h
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/3688 mit dem Titel „Gegen das Zwei-Klassen-
Internet – Netzneutralität in Europa dauerhaft gewähr-
leisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak-
tionen angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 und 30 sowie
Zusatzpunkt 3 auf:

6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Energie sparen, Kosten senken, Klima schüt-
zen – Für eine ambitionierte Effizienzstrategie
der deutschen und europäischen Energiever-
sorgung

– Drucksache 17/7462 –





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

30 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann,
Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Die Energiewende gelingt nur mit KWK

– Drucksachen 17/6084, 17/7516 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Garrelt
Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
sowie der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-
Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Am Ausbau der hocheffizienten Kraft-
Wärme-Kopplung festhalten

– Drucksachen 17/3999, 17/4492 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Aktions-
plan der Bundesrepublik Deutschland

– Drucksache 17/6927 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die an der
Debatte zu diesen Tagesordnungspunkten nicht teilneh-
men wollen, möglichst geräuscharm den Saal zu verlas-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Ingrid
Nestle für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713606800

Verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Noch vor wenigen Monaten hat sich die Bun-
desregierung hier mit ihrer großen Energiewende ge-
rühmt. Tatsache ist: Sie haben es gerade einmal ge-
schafft, den zehn Jahre alten Atomausstieg zu
übernehmen. Aber die Energiewende ist noch lange
nicht geschafft; denn die Energiewende geht nicht ohne
Effizienzsteigerungen. Aber die Energiekosten explodie-
ren, und Sie legen Ihre Hände in den Schoß.

Einige Beispiele: Die Umsetzung der Energiedienst-
leistungsrichtlinie ist nur ein Papiertiger. Sie bewirkt
nicht mehr als einen Hinweis auf der Stromrechnung auf
einer Liste im Internet, wo Energiedienstleistungsanbie-
ter zu finden sind.

Den Stromverbrauch wollen Sie um 10 Prozent sen-
ken. Davon sind wir meilenwert entfernt. Ich habe im
Ausschuss nachgefragt, welche Maßnahmen Sie denn
ergreifen wollen. Keine einzige ist Ihnen eingefallen.
Nicht eine!

Bei der Energieproduktivität ist es nicht besser. Im
Gegenteil: In dem angeblich so revolutionären Energie-
konzept steht weniger drin, als Frau Merkel selbst vor ei-
nigen Jahren noch gefordert hat. Das, meine Damen und
Herren, ist keine Energiewende, das ist Rückschritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Noch ein Beispiel: Die Bundesregierung stellt doppelt
so viel Geld für die Förderung fossiler Kraftwerke wie
für Energieeffizienzanwendungen zur Verfügung und so-
gar fünfmal so viel für die Förderung energieintensiver
Industrie. Das, meine Damen und Herren, ist nicht In-
vestitionssicherheit und nicht der Fortschritt im Bereich
der Energieeffizienz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber jetzt haben Sie zum Glück eine neue historische
Chance vor der Haustür. Und die EU hat Ihnen viel Ar-
beit abgenommen, indem sie einen guten Vorschlag für
eine Effizienzrichtlinie vorgelegt hat. Leider hat Minis-
ter Rösler letzte Woche schon angekündigt, dass er ge-
nau den Artikel, der zwei Drittel der Wirkung der Richt-
linie ausmacht, komplett ablehnt. Ja, der Minister ist so
verbohrt, dass er nicht einmal die Riesenchance für die
Wirtschaft erkennt, die mit diesem Artikel direkt vor sei-
ner Nase liegt. Er hat behauptet, das sei starres Ord-
nungsrecht. – Das ist ein Missverständnis.

In diesem Artikel geht es darum, einen Markt für En-
ergiedienstleistungen durch Einsparprojekte in einer
Höhe von 1,5 Prozent des Verbrauchs bei allen Energie-
versorgern zu schaffen. Das ist eine hochflexible Regel.
Sie setzt lediglich das Ziel fest, das dem der Regierung
vollkommen entspricht. Ob der Energieversorger bei
sich selbst oder bei Kunden wie Kommunen Projekte
durchführt, einen Dritten beauftragt, Projekte durchzu-
führen, oder einen Beitrag in einen Fonds einzahlt, aus
dem Projekte finanziert werden – all das ist völlig offen.
Nur das Ziel, maximale Effizienz zu erreichen, ist fest-
gelegt. Allein diese Maßnahme entscheidet darüber, ob
wir im Jahr 2020 50 Milliarden Euro zu viel für den Im-
port von Öl und Gas ausgeben oder dieses Geld in den
europäischen Energieeffizienzmarkt investieren werden.





Ingrid Nestle


(A) (C)



(D)(B)

Das ist verkehrte Welt bei der FDP: Ausgerechnet unser
Wirtschaftsminister stellt sich gegen die Entstehung
neuer Märkte. Sie fördern lieber die Ölscheichs statt die
deutsche Wirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Und was macht Frau Merkel? Nichts! Sie lässt ihre
Erfolge von einst einfach so zerrinnen. Denn Minister
Rösler ist gerade dabei, das 20-Prozent-Effizienzziel,
das Frau Merkel selbst 2007 unter der deutschen Präsi-
dentschaft in die EU-Papiere hineinverhandelt hat, zu
verwässern.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wo ist denn der Minister? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir können gerne einen Zitierantrag stellen! – Ulrich Kelber [SPD]: Es ist nicht mal ein Staatssekretär aus dem Ministerium da! Das Ministerium ist gar nicht vertreten!)


– Der Herr Minister war gerade noch da, diesen Tages-
ordnungspunkt hat er leider nicht mehr abgewartet. Das
finde ich auch schade. Aber er ist dabei, das Effizienz-
ziel, das Frau Merkel selbst als ihren Erfolg gerühmt hat,
bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Er bekennt sich
zwar noch zu den 20 Prozent, nicht aber dazu, wie sie
berechnet werden. Er will die Berechnungsgrundlage
derart verändern, dass nichts davon übrig bleibt. Das ist
nicht nur ein Rückschritt, das ist dreist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie kann es denn nun gehen? Unser Antrag be-
schreibt es: Wir brauchen einen Energiesparfonds mit
zusätzlichen, haushaltsunabhängigen Mitteln, die durch
die EU-Richtlinie generiert werden – ein Beispiel dafür
ist die 1,5-Prozent-Regel zur verbindlichen Energie-
einsparung –, einen neuen Markt für Energiedienstleis-
tungen, intelligentes Ordnungsrecht, leicht zugängliche
Informationen. So können Hunderttausende Arbeits-
plätze geschaffen werden.

Bisher hat diese Bundesregierung nur die von der Ge-
sellschaft geforderte Atomwende geschafft. Darüber
freuen wir uns, aber das reicht noch lange nicht. Zur
Energiewende gehört auch die Verbesserung der Ener-
gieeffizienz. Hier haben Sie kläglich versagt. Ich ahne
schon, was jetzt gleich kommen wird; Sie haben ja kurz-
fristig noch den Nationalen Energieeffizienz-Aktions-
plan mit auf die Tagesordnung setzen lassen. Aber ich
sage Ihnen: Mit jedem Satz zu den dort zitierten Erfol-
gen loben Sie Rot-Grün. Sie loben die Ökosteuer, die
Energieeinsparverordnung und die KfW-Programme. Sie
loben all die grünen Projekte, die bis heute positiv wir-
ken. In dieser Regierungsperiode gibt es kein schwarz-
gelbes Projekt, das relevant ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Die hat Pfeiffer alle erfolgreich verhindert!)


In diesem Sinne freue ich mich gleich auf viel Lob.
Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713606900

Das Wort hat nun Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1713607000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Kollegin Nestle, zunächst einmal möchte
ich feststellen, – das gilt auch für die anderen Fraktionen
im Haus –: Wir sind uns einig, dass Energieeffizienz der
Königsweg der Energiepolitik ist und dass die Energie,
die wir einsparen, die beste Energie ist. Deshalb werden
wir den eingeschlagenen Weg weiterhin gemeinsam
konsequent beschreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Frau Nestle, man muss schon die Kirche im Dorf lassen.
Von mir aus können wir etwas länger zurückblicken. Sie
sagen, es sei nichts erreicht worden, und wenn was er-
reicht worden wäre, dann wäre das dem glorreichen Wir-
ken der Grünen zuzuschreiben. Das stimmt so natürlich
nicht.

Wie ist die historische Situation? Energie hat trotz In-
dustrialisierung über 100 Jahre hinweg nichts gekostet.
Sie war im wahrsten Sinne des Wortes billig und stand
unbegrenzt zur Verfügung. Das war Ende der 60er-Jahre
bzw. Anfang der 70er-Jahre der Fall. Mit der ersten
Energiekrise, der Ölkrise, wurde das Thema Energieeffi-
zienz auf die Tagesordnung gesetzt. Seither haben viele
Regierungen Verantwortung getragen. Daher können wir
uns alle auf die Schulter klopfen. Wir brauchen uns in
Deutschland wahrlich nicht zu schämen. Es ist uns ge-
lungen, die Energieproduktivität von 1970 bis 1990 zu
verdoppeln, das heißt: Die gleiche Einheit Bruttosozial-
produkt wurde mit der Hälfte an Energie produziert.
Oder andersherum: Mit der gleichen Energiemenge
wurde die doppelte Einheit Bruttosozialprodukt erzielt.

Wir sind an diesem Punkt aber nicht stehen geblieben.
Seit der Wiedervereinigung 1990 wurde weiterhin viel
erreicht. Ich nenne ein paar Zahlen. Das Bruttoinlands-
produkt ist seit 1990 um 30 Prozent gestiegen, während
der Primärenergieverbrauch um 6,8 Prozent – tempera-
turbereinigt, also real, sogar um 10 Prozent – zurückge-
gangen ist. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zu-
sammenhang auch der Energieverbrauch je Einheit.
Wenn Sie das BIP betrachten, dann stellen Sie fest, dass
der Primärenergieverbrauch um 29 Prozent gesunken ist.
Damit gehört Deutschland nicht nur zu den produktivs-
ten Industrieländern in der Welt, sondern auch zu den
energieeffizientesten Volkswirtschaften dieser Welt. Das
will ich an dieser Stelle betonen.

Betrachten wir die Sektoren genauer. In der Industrie
– ich nenne ein Beispiel aus der NE-Metallindustrie – ist
der spezifische Energieverbrauch von 1990 bis 2008 um





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

26 Prozent gesunken. In den Haushalten ist der Endener-
gieverbrauch – wir sprechen nicht nur über Strom, son-
dern man muss auch über Wärme sprechen, 40 Prozent
unseres Energieverbrauchs sind wärmebezogen – um
18 Prozent zurückgegangen. Auch im Bereich Verkehr
wurde viel erreicht. Der Kraftstoffverbrauch pro 100 Ki-
lometer Fahrleistung je Pkw ist um 21 Prozent gesunken.
Das sind Fakten, die belegen, was wir bis jetzt gemein-
sam erreicht haben.

Sie haben völlig recht: Wenn wir das, was wir uns mit
unserem nationalen Energiekonzept, aber auch europa-
weit vorgenommen haben – die höchsten Einsparziele –,
umsetzen wollen, dann reicht das, was wir bisher auf den
Weg gebracht haben, noch nicht aus. In diesem Bereich
müssen wir noch mehr machen. Wir sind gerade dabei,
das zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Vielen Dank, dass Sie das goutieren.

Zum Bereich Forschung. Die Erforschung neuer En-
ergieeffizienztechnologien ist das Kernstück des kürz-
lich verabschiedeten Energieforschungsprogramms. Bis
2014 werden 3,5 Milliarden Euro für die Energiefor-
schung zur Verfügung gestellt, das entspricht einer Stei-
gerung um 75 Prozent. 80 Prozent der Mittel, die dort
zur Verfügung gestellt werden, gehen in die Steigerung
der Energieeffizienz und in den Ausbau moderner und
intelligenter Netze und Systeme sowie in die Erfor-
schung der Integration erneuerbarer Energien und der
Speicherung, also Bereiche, die ebenfalls mit Energie-
effizienz zu tun haben.

Der Energieeffizienzfonds, den Sie fordern, wurde
beim BMWi längst eingerichtet. Den 2. Nationalen
Energieeffizienz-Aktionsplan haben wir erst kürzlich
vorgelegt. Er enthält mehr als 90 Instrumente, die zielge-
richtet wirken. Sie können das gerne nachlesen, falls Sie
das noch nicht getan haben.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rot-grüne Instrumente!)


Der Monitoringbericht bescheinigt uns, dass Deutsch-
land als wahrscheinlich einziges Land in Europa die eu-
ropäischen Energieeffizienzziele auf jeden Fall erreichen
wird. Wir setzen auf marktgetriebene und kosteneffi-
ziente Instrumente zur Hebung der Potenziale. Während
Sie reden und Anträge schreiben, handeln wir. Wir set-
zen die Dinge um.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Was machen wir in den einzelnen Feldern konkret?
Kommen wir zu den Gebäuden zurück. Ich erwähnte
bereits, dass 40 Prozent unseres Energieverbrauchs wär-
mebezogen sind. Wir haben in der Zeit der Großen Ko-
alition, von 2005 bis 2009, mit dem CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm, für das wir eine hohe Fördersumme zur
Verfügung gestellt haben, relativ viel erreicht. 2,5 Mil-
lionen Wohnungen wurden energieeffizient saniert bzw.
errichtet. Die dadurch erreichte Reduzierung des
CO2-Ausstoßes ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt
der Energieeffizienz wichtig, sondern kommt auch der
Umwelt zugute.

Wir werden diese Förderung verstetigen und um eine
steuerliche Förderung ergänzen. Sie können daran mit-
wirken, indem Sie dafür sorgen, dass die SPD-geführten
Länder ihre Blockadehaltung hinsichtlich der steuer-
lichen Förderung im Bundesrat aufgeben. Wir müssen
das, was wir geplant haben, endlich umsetzen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Sehr gut! Genau! – Zurufe von der SPD)


Wir könnten eine Gesamtfördersumme von 3 Milliarden
Euro erreichen: 1,5 Milliarden Euro Fördersumme und
Steuervorteile in Höhe von 1,5 Milliarden Euro.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie regieren doch! Haben Sie keinen Kontakt zu Ihren Ministerpräsidenten?)


Jetzt will ich einen anderen Sektor ansprechen. Wir
setzen auf Fördern und Fordern. Wir setzen auf Marktan-
reizprogramme. Wir wollen die Leute mitnehmen. Wir
wollen keinen Blockwart im Hauskeller. Wir wollen die
Leute überzeugen. Wir wollen, dass sie mitmachen, weil
es für sie selber etwas bringt. Diesbezüglich befinden
wir uns auf einem schwierigen Weg. Schauen wir einmal
nach Baden-Württemberg: Die CDU-FDP-geführte Re-
gierung in Baden-Württemberg hat vor wenigen Jahren
die Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmebereich
festgelegt. Der Kollege Kelber ist noch anwesend.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sicher!)


Er weiß, dass wir das damals technologieoffen festgelegt
haben; darum haben wir gerungen. Unsere Hoffnung war
groß, dass Investitionsmaßnahmen beschleunigt durch-
geführt werden. Leider besagt der vorliegende Bericht,
dass viele trotz dieser Technologieoffenheit sagen: Be-
vor ich mich verpflichte, in eine bestimmte Richtung zu
gehen, mache ich lieber nichts. Darauf müssen wir jetzt
reagieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das habe ich Ihnen aber vorher gesagt!)


Das kann nicht unser Ziel sein. Wir dürfen keine Politik
machen, die dazu führt, dass Investitionen zur Steige-
rung der Effizienz unterbleiben. An dieser Stelle müssen
wir einen Spagat hinlegen.

Frau Nestle, ich möchte ein deutliches Wort an die
Adresse der Grünen richten. Das, was Sie gesagt haben,
und das, was die Grünen in ihren Verlautbarungen in den
letzten Monaten kundgetan haben, ist industriefeindlich.
Sie sagen, Sie wollen eine andere Industrie, weil unsere
Industrie überholt sei. Das ist der falsche Weg.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr Geld für die Effizienzindustrie!)


Sie haben vorhin das Ende der Subventionierung der en-
ergieintensiven Industrie gefordert. Das ist doch abwe-
gig. Wir müssen versuchen, die energieintensive Indus-





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

trie vor den gröbsten Belastungen, die mit
Effizienzsteigerungen im Zusammenhang stehen, zu be-
wahren.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn, Herr Pfeiffer!)


– Sie haben das selbst gemacht. Als Sie die Stromsteuer
eingeführt haben, haben Sie die energieintensive Indus-
trie befreit, weil Sie wussten, dass sie ansonsten abwan-
dert.

Wir wollen, dass Deutschland Industriestandort
bleibt. Wir wollen eine effiziente Industrie. Es macht
keinen Sinn, verbindliche Energieeinsparungen in Höhe
von pauschal 1,5 Prozent zu fordern. Dadurch würde das
Wirtschaftswachstum behindert werden. Auch würden
dadurch Innovationen verhindert werden. Investitionen
zur Verbesserung der Energieeffizienz würden unterblei-
ben. Für die CDU/CSU-Fraktion sage ich in aller Deut-
lichkeit: Die Produktionsverlagerung der energieintensi-
ven Industrie ins Ausland ist kein Beitrag zur
Verbesserung der Energieeffizienz. Das versteht die
christlich-liberale Regierung nicht unter Maßnahmen zur
Verbesserung der Energieeffizienz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen beides unter einen Hut bringen. Deshalb
sind wir für intelligente Anreizprogramme in allen Sek-
toren, im Gebäudebereich, im Strombereich, im Indus-
triebereich und im Verkehrsbereich. Wir werden auch
überlegen, ob im Mobilitätsbereich Förderprogramme
der KfW sinnvoll sind. Das heißt, wir wollen mit einem
Strauß von Maßnahmen Anreize für Investitionen schaf-
fen, mit denen die Effizienz verbessert werden kann.

Wir wollen dort, wo es notwendig und technisch
möglich ist, beispielsweise bei einem Neubau, mit ord-
nungspolitischen Maßnahmen – Stichwort „Energieein-
sparverordnung“ – höchste Standards setzen und damit
die Energieeffizienz steigern, und zwar zusammen mit
der Wirtschaft unter Erhaltung des Industriestandortes
und nicht durch Vertreibung der Industrie aus Deutsch-
land, was Folge der Umsetzung Ihrer Politik wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist totaler Quatsch, was Sie hier erzählen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713607100

Das Wort hat nun Rolf Hempelmann für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1713607200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Lieber Joachim Pfeiffer, Sie sind nicht
zu beneiden, wenn Sie hier zu dem Thema Energieeffi-
zienz eine Rede halten müssen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bis zum Herbst 2010 haben Sie eine Politik betrieben,
die vor allen Dingen daran ausgerichtet war, die vier gro-
ßen Energiekonzerne, die Atomkraftwerksbetreiber, zu
unterstützen. Wir alle wissen, dass deren Ziel nicht die
Unterstützung der Nachfrageseite bei der Energieeffi-
zienz ist, sondern dass deren Ziel vor allen Dingen der
Verkauf großer Strommengen ist.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie wissen das doch besser, Herr Hempelmann!)


Das beißt sich. Da Sie deren Politik gemacht haben, hat
sich die Förderung der Energieeffizienz in Ihren Kon-
zepten natürlich nicht wiedergefunden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens trifft das nicht nur auf Energieeffizienzbe-
mühungen auf der Nachfrageseite, sondern gleicherma-
ßen auch auf der Angebotsseite zu. Wir alle wissen, dass
beispielsweise RWE beim Bundeswirtschaftsministe-
rium Papiere eingereicht hat, die dort eins zu eins über-
nommen wurden, und dass dort eine ganz klare Ableh-
nung gegen die KWK, die effizienteste Form der
Umwandlung von Primärenergieträgern in Strom und
Wärme, aufgebaut wurde. Von daher haben Sie in die-
sem Bereich eine Hypothek mit sich herumzuschleppen.

Als Sie eben die Erfolgsbilanz Deutschlands darge-
legt haben, wurde deutlich, dass Sie relativ weit zurück-
greifen mussten: In Zeiten einer rot-grünen Energiepoli-
tik ist im Bereich der Energieeffizienz in der Tat einiges
passiert. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist:
Wir sind weit davon entfernt, uns deswegen auf die
Schulter zu klopfen. Denn wir sagen: Es gibt in diesem
Bereich noch enorm viel zu tun.


(Beifall bei der SPD)


Dies gilt sowohl auf der Angebotsseite, also auf der
Seite der Strom- und Wärmeerzeugung, als auch auf der
Nachfrageseite. In beiden Bereichen ist Ihre Bilanz sehr
bescheiden. Die geplante Änderung des Kraft-Wärme-
Kopplungsgesetzes – ich werde dazu jetzt nicht viel sa-
gen; das wird mein Kollege Dirk Becker gleich tun – ha-
ben Sie x-mal verschoben. Jetzt soll im Herbst 2011 eine
Vorlage kommen. Die Uhr tickt. Der Herbst ist schon
weit fortgeschritten. Warten wir einmal ab, was Sie lie-
fern.

Wir, Rot-Grün, haben schon früh zu Beginn unserer
Regierungszeit Anstrengungen unternommen, um die
Kraft-Wärme-Kopplung in unserem Land trotz der Libe-
ralisierung, die damals zeitgleich stattfand, zumindest zu
stabilisieren. Wir haben feststellen müssen, dass unsere
Bemühungen bisher noch nicht dazu geführt haben, dass
wir die Ziele, die wir uns bis zum Jahr 2020 in dem Be-
reich gesetzt haben, tatsächlich erreichen werden. Des-
wegen haben wir Vorschläge für eine Änderung des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes gemacht. Sie haben
bisher nicht darauf reagiert. Ich hoffe dringend, dass Ihre
Worte in Sachen Energieeffizienz jetzt mit Taten belegt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)

Eben ist das Stichwort CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm gefallen. Ja, in der Tat, das war ein Erfolgspro-
gramm. Es war ein echtes Erfolgsprogramm, solange die
Mittel in dem Umfang gesteigert wurden, in dem die
Wirtschaft in der Lage war, diese Mittel zu absorbieren
und dafür zu sorgen, dass im Gebäudebestand in
Deutschland in Energieeffizienz investiert wurde.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist intelligente Förderpolitik!)


Dann kamen Sie an die Regierung, und Sie haben die
Mittel erst einmal zusammengestrichen. Welche Wir-
kung hatte das? Die Wirkung war, dass dieser Markt sehr
viel kleiner geworden ist, dass viele Handwerker, die zu-
vor neues Personal eingestellt hatten, sich mittlerweile
wieder von diesem Personal trennen mussten, dass auf
diesem kleineren Markt sehr viel mehr Wettbewerb, zum
Teil ruinöser Wettbewerb, herrschte. Erst jetzt fangen
Sie an, die Mittel wieder aufzustocken. Erst jetzt errei-
chen wir langsam wieder die Größenordnungen, die wir
aus der Vergangenheit kennen. Wenn Sie diesen erfolg-
reichen Weg weitergegangen wären, hätten wir schon
längst sehr viel höhere Sanierungsquoten erreichen kön-
nen.


(Zuruf von der SPD: Genau!)


Lieber Joachim Pfeiffer, Sie haben die Entscheidung
im Bundesrat angesprochen. In Richtung der SPD mah-
nen Sie an, die steuerliche Förderung so zu unterstützen,
wie Sie es vorgeschlagen haben. Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass das von Ihnen vorgeschlagene Modell
dazu führt, dass diejenigen, die über höhere Einkommen
verfügen, stärker gefördert werden als diejenigen mit
kleineren Einkommen. Wir dagegen haben Fördersys-
teme entwickelt, die auf Zuschüssen und Mikrokrediten
beruhen. Wenn Sie diesen Weg gehen, dann bekommen
Sie nicht nur die Unterstützung des Bundestags, sondern
sicherlich auch die des Bundesrats.


(Beifall bei der SPD)


Selbst wenn wir das, was wir uns in Bezug auf die
Energieeffizienz auf der Angebots- und Nachfrageseite
vorgenommen haben, nämlich eine echte Energiewende,
tatsächlich ernst nehmen, greift dieses Vorhaben noch
immer zu kurz. Wir wissen doch, dass wir hier über ein
Gesamtsystem reden. Wenn wir die von uns gesetzten
Ziele wirklich ernst nehmen, müssen wir das Energie-
versorgungssystem, das Strom- und Wärmesystem, wei-
terentwickeln.

Alle Fraktionen hier im Bundestag haben ambitio-
nierte Ziele im Hinblick auf den Aufbau erneuerbarer
Energien. Selbst Sie wollen bis zum Jahre 2050 einen
Anteil von 80 Prozent an erneuerbaren Energien im Sys-
tem haben. Wir wissen alle, dass das Energiesystem für
diese großen Mengen an erneuerbaren Energien aufnah-
mefähig gemacht werden muss. Die Volatilitäten auf der
Erzeugungsseite müssen durch immer mehr Flexibilität
kompensiert werden. In Bezug auf die Erzeugungsseite
vermissen wir jedoch jeglichen konstruktiven Vorschlag
Ihrerseits. Das gilt insbesondere für das EEG, das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz. Wir sagen: Auf der Erzeu-
gungsseite brauchen wir ein Zusammenspiel zwischen
volatil und flexibel einspeisenden Energien. Das können
erneuerbare Energien, das können aber auch konventio-
nelle Energien aus modernen Gaskraftwerken sein.


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen die Flexibilität aber auch auf der Nach-
frageseite. Wenn wir an dieser Stelle nicht vorwärtskom-
men, die Effizienz des Systems nicht im Auge behalten
und die Flexibilität auf der Nachfrageseite nicht wecken,
dann werden wir versagen. Dann werden wir unsere
Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien nicht errei-
chen. Auch dazu haben wir konkrete Vorschläge ge-
macht. Bei Ihnen scheint einiges in der Pipeline sein.
Auf mehr werden wir jedoch wahrscheinlich noch länger
warten müssen.

Ich komme zur Flexibilität bei den Großverbrauchern.
Große industrielle Verbraucher können durch Zu- oder
Abschaltung entsprechend reagieren, Flexibilitäten im
Netz schaffen und auch ausgleichen, wenn es auf dem
Markt beispielsweise ein Unterangebot an Strom gibt.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Werden wir machen! Da werden die Grünen aber dagegen sein!)


Sie haben diesbezüglich etwas angekündigt. Da soll et-
was kommen. Es liegt noch nicht auf dem Tisch. Ich
hoffe, dass Sie wirklich und auch zeitnah etwas liefern.

Wir brauchen die Flexibilität auch in der Breite der
Unternehmen im produzierenden Gewerbe, also in den
kleinen und mittleren Unternehmen sowie in den privaten
Haushalten. 2008 haben wir in der Großen Koalition ge-
sagt: Wir wollen intelligente Zähler – zunächst verpflich-
tend im Neubau; auch in den privaten Haushalten –,
schließlich eine Angebotspflicht für den Gebäudebe-
stand, und zeitgleich wollen wir lastvariable Tarife. Das
heißt: Der Kunde, der seine Verbräuche in Zeiten eines
hohen Stromangebots verlagert, soll dafür auch belohnt
werden, indem er weniger bezahlen muss.

Was seit 2008 auf diesem Gebiet passiert ist, ist aus-
gesprochen bescheiden. Ihre Zusammenarbeit mit der
Bundesnetzagentur hat sich darauf beschränkt, zu sagen:
Macht mal! – Eine konstruktive Begleitung und auch ein
Stück Antrieb haben gefehlt. Deswegen sind wir in die-
sem Bereich überhaupt noch nicht weitergekommen.
Wenn wir dies aber nicht schaffen, dann brauchen wir
über Elektromobilität – beispielsweise über batteriebe-
triebene Fahrzeuge – gar nicht weiter nachzudenken.
Wenn wir im Bereich der Elektromobilität wirklich vo-
rankommen wollen, dann müssen wir vorher bereits die
Flexibilitäten auf der Nachfrageseite geschaffen haben.
Dann müssen die Kunden bereits über die notwendigen
Installationen verfügen, insbesondere über intelligente
Zähler. Aber auch die anderen Marktakteure müssen die
entsprechenden Schritte bereits gegangen sein. Die ge-
samte Schnittstelle zwischen Erzeugung, Netz und Kun-
den muss durch entsprechende Informationstechnologie
so aufgerüstet sein, dass Elektromobilität zu einem Er-
folgsmodell werden kann, nicht nur für den Mobilitäts-
sektor, sondern auch für den Energiebereich.


(Beifall bei der SPD)






Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)

Hier haben Sie nicht geliefert. Wenn ich sehe, wie viel
Zeit Sie verlieren und dass Sie beispielsweise darüber
jammern, dass Netze nicht zeitgerecht fertig werden,
dann muss ich Ihnen sagen: Der Hauptbremser, der dafür
sorgt, dass der Umbau des Energiesystems nicht voran-
kommt, sind Sie selbst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, was ich beschrieben habe,
zeigt: Wir stehen vor einer ausgesprochen komplexen
Aufgabe. Man kann vor Komplexität kapitulieren; die-
sen Eindruck kann man gelegentlich gewinnen, wenn
man in Ihre Richtung schaut. Man kann sie aber auch als
Herausforderung annehmen und gemeinsam mit den Ak-
teuren in der Energiewirtschaft und auf dem gesamten
Energiesektor – dazu gehören auch die Verbraucher – in
einen Dialog eintreten, der dazu beiträgt, dass die
Schritte, die dort gegangen werden können, durch politi-
sche Rahmenbedingungen, die wir setzen müssen, kon-
struktiv begleitet werden. Das fehlt zurzeit. Das wird an-
gemahnt, in zunehmendem Maße auch und gerade von
innovativen Akteuren. Aber von Ihnen ist bisher leider
nichts gekommen.

Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie unsere Vorschläge
konstruktiv auf! Lassen Sie den Worten Taten folgen! Es
reicht nicht, wenn wir alle nur sagen, Effizienz sei das
Gebot der Stunde und die wichtigste Quelle für eine er-
folgreiche Energiepolitik. Wir müssen auch dementspre-
chend handeln.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713607300

Das Wort hat nun Klaus Breil für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1713607400

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! KWK ist eine Form der Energieerzeugung mit
höchster Effizienz. Wir haben ein klares Ziel: Wir wol-
len den Anteil des Stroms aus KWK bis 2020 auf min-
destens 25 Prozent ausbauen. Voraussichtlich noch im
November dieses Jahres wird das Bundeswirtschafts-
ministerium einen Evaluationsbericht zur Kraft-Wärme-
Koppelung vorlegen, übrigens zusammen mit den Eck-
punkten der Novelle des KWK-Gesetzes; diese wird
dann im nächsten Jahr folgen.

In meinen Gesprächen mit dem Ministerium gab es
keine Hinweise auf die in den Anträgen formulierte Be-
hauptung, der KWK-Markt würde stagnieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Lesen Sie sich das Gutachten doch mal durch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie dürfen auch nicht die Falschen fragen!)

Im Gegenteil: Mehr als 6 000 Anträge zur KWK-Förde-
rung wurden bis Mitte des Jahres gestellt, 600 allein zum
Ausbau des Wärmenetzes. Das ist nicht trivial. Alles in
allem gehen 5 200 Megawatt in der Zeit von 2010 bis
2012 ans Netz. Nach meinem Kenntnisstand planen
Stadtwerke und größere Energieversorger eine starke
Ausweitung des Einsatzes dezentraler Blockheizkraft-
werke, lokal und bedarfsgerecht. Bis zu 3 000 Einheiten
der unterschiedlichen Größenklassen können in
Deutschland entstehen.

Gleiches gilt für den Einsatz von Mikro-KWK-Anla-
gen. Diese Zuhausekraftwerke, mit Gasmotor oder auf
Brennstoffzellenbasis, werden in Modellregionen in
Nordrhein-Westfalen, in der Ems-Weser-Elbe-Region
und im Verbund Hamburg-Berlin bereits flächendeckend
erprobt. Vattenfall zum Beispiel möchte dort bis Ende
des Jahres 100 000 solcher Anlagen als virtuelle Kraft-
werke in Betrieb haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Inanspruchnahme von Fördermitteln für KWK wird
also deutlich ansteigen. Aus meiner Sicht besteht daher
für eine Umlenkung der Mittel, die in den Anträgen von
SPD und Grünen gefordert wird, weder Anlass noch
Verfügungsmasse.

Meine Damen und Herren, wir müssen eines beach-
ten: KWK-Anlagen sind nur dort wirtschaftlich, wo ein
möglichst kontinuierlicher Wärmeabsatz gewährleistet
ist.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Daran kann man arbeiten!)


Das ist nun einmal nicht überall der Fall.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen werden solche Anlagen auch nur dort errich-
tet werden können, wo der Wärmeabsatz erfolgen kann.
Wir müssen also nach einer ganzheitlichen Strategie vor-
gehen, so wie sie im Energiekonzept der Bundesregie-
rung angelegt ist.

Es gilt daher auch, den Wärmebedarf für Gebäude im
Blick zu haben. Hier liegen die größten Effizienzpoten-
ziale überhaupt. SPD und Grüne blockieren mit ihrer
Ablehnung im Bundesrat die von der Koalition auf den
Weg gebrachte steuerliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Das ist ganz billiger Jakob, den Sie hier aufführen!)


Das ist Politik gegen den Bürger und gegen die Umwelt.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Genau!)


Es ist daher einäugig, den KWK-Anteil bis 2020 unter
Zwang auf 30 Prozent ausbauen zu wollen. So steht es
im Antrag der Grünen. Auch in einer künftigen Strategie
zum Ausbau der KWK-Kraftwerke müssen Versor-
gungssicherheit und Wirtschaftlichkeit beachtet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)

Wir brauchen im Kraftwerkspark zukünftig nicht nur
mehr Effizienz, sondern auch mehr Flexibilität. Ein
Kraftwerk, das mit fossilen Brennstoffen betrieben wird,
kann entweder wärme- oder stromgeführt betrieben wer-
den. Erreichen wir unsere Ausbauziele für die erneuer-
baren Energien – 80 Prozent bis 2050 –, dann müssen
wir auf die Residuallasten schnell und kostengünstig re-
agieren können. Ohne Wärmespeicher wie den, den Vat-
tenfall in Dänemark betreibt, bringen wir die Kraft-
Wärme-Kopplung nicht mit den Anforderungen an unse-
ren zukünftigen Kraftwerkspark in Einklang. Wir müs-
sen es daher den Unternehmen überlassen, ob sie in ih-
ren Kraftwerken im Einzelfall – je nach Standort – auf
KWK setzen oder nicht und welchen Energieträger sie
einsetzen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU])


Mit meinem letzten Punkt komme ich zur Steigerung
der Energieeffizienz im produzierenden Gewerbe. Dort
gibt es bei unseren hohen Energiepreisen wirklich kaum
noch Potenziale zu heben. Die Politik sollte keinem Un-
ternehmen – und erst recht keinem großen, mittelständi-
schen oder kleinen energieintensiven Unternehmen –
vorschreiben dürfen, wie viel Energie es einsparen muss;
denn Energie kostet Geld,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen sollen sie doch einsparen!)


Geld, das ein Unternehmer aus eigenem Antrieb zu spa-
ren versucht.

Mit der verpflichtenden Einführung von Energie-
managementsystemen in den Unternehmen verursacht
man einen höheren Bedarf an personellen und finanziel-
len Kapazitäten und höhere Energiekosten. Bei Durch-
sicht der Anträge habe ich immer wieder herausgelesen,
dass wir per Gesetz einen neuen Markt für Energiebera-
tung schaffen müssen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713607500

Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit durch eine

Zwischenfrage der Kollegin Nestle verlängern?


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1713607600

Ja, bitte.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wenn er so fragt! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer kann dazu schon Nein sagen!?)



Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713607700

Danke, Herr Breil. – Sie sprachen gerade an, dass

man kein Unternehmen verpflichten dürfe, eine be-
stimmte Effizienzmaßnahme durchzuführen. Es steht
jetzt ja die politische Entscheidung an, wie Sie sich zur
EU-Effizienzrichtlinie positionieren. Ich habe Art. 6 an-
gesprochen und wollte Sie fragen, ob Sie meiner Inter-
pretation folgen: Durch den Artikel wird ein Unterneh-
men in keinster Weise verpflichtet, etwas zu sparen oder
ein bestimmtes Projekt durchzuführen. Es wird stattdes-
sen nur die Gesamtmenge an Projekten festgelegt – und
zwar bei absoluter Freiheit, wo man sie durchführt –,
wodurch 50 Milliarden Euro in Europa investiert werden
können und nicht ins weitere Ausland abfließen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch genau das, was der Kollege Breil gesagt hat!)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1713607800

Frau Nestle, wir müssen diese Maßnahmen in erster

Linie in die Hände der Unternehmen legen. Die Unter-
nehmen kennen ihre Kosten selbst am besten und haben
ein großes Interesse daran, Kosten zu sparen. Alles an-
dere werden wir, wenn Vorschläge aus Brüssel kommen,
natürlich erwägen, und wir werden uns unsere Meinung
dazu bilden.


(Beifall bei der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind also dafür!)


Damit möchte ich zu meinem Schlusssatz kommen:
Lassen Sie die Wirtschaft einfach mal machen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713607900

Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713608000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Vor reichlich einem
Jahr haben wir hier über ein leider nutzloses Stück Pa-
pier mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie des Europäischen Parlamentes und
des Rates über Energieeffizienz und Energiedienstleis-
tungen“ beraten und es beschlossen.

Wieso nutzlos? Das klingt ja erst einmal ganz gut. Es
ist nutzlos, weil gänzlich unambitioniert. Es entsprach
gerade einmal mit Ach und Krach der Eins-zu-eins-Um-
setzung dessen, was in der Richtlinie gefordert wurde.
Das Ganze geschah noch mit mehrjähriger Verspätung.

Die Linke hat damals schon sehr konkrete Ideen ge-
habt und Vorschläge vorgelegt, wie man im Bereich Effi-
zienz mit wenig Aufwand viel erreichen könnte. Das ist
von der Koalition alles abgelehnt worden. Jetzt unter-
nimmt die Fraktion der Grünen einen neuerlichen An-
lauf. Es braucht leider relativ wenig Fantasie, um zu ah-
nen, was geschehen wird, nämlich erneut nichts bis ganz
wenig.

Damals wie heute verzichtet die Bundesregierung in
vollem Bewusstsein auf konkrete Zielvorgaben inklusive
möglicher Restriktionen, insbesondere für Industrie und
Wirtschaft. Wir haben es eben bestätigt bekommen.
Während Verbraucherinnen und Verbraucher zweifelhaft
gegängelt werden – ich möchte nur das Stichwort Ener-
giesparlampe benennen –,





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)


(Torsten Staffeldt [FDP]: Die kommt doch aus Brüssel!)


können Unternehmen frei entscheiden. Dort setzt man
auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie wollen doch alles verstaatlichen!)


Da fragt man sich: Wo leben Sie eigentlich? Erklären Sie
mir und der Öffentlichkeit doch bitte einmal, woher Sie
die Gewissheit nehmen, dass plötzlich nicht Profitstre-
ben, sondern soziale und ökologische Moral Triebfeder
ökonomischen Handelns wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Mir fehlt dieser Glaube. Ich vermute, damit bin ich nicht
alleine. Gibt es irgendwelche geheimen Absprachen mit
dem BDI und anderen Verbänden zum Thema Energie-
einsparen und -effizienz, die wir nicht kennen? Dann
würden wir sie gerne kennenlernen, damit wir wüssten,
welcher Art sie sind.

Woher nehmen Sie überhaupt die Gelassenheit und
das Vertrauen, dass der Markt es richten wird? Sie haben
eben noch einmal betont, dass Sie diesem Glauben an-
hängen. Tag für Tag erleben wir doch, dass dieser Markt
zunehmend nicht mehr kontrollierbar ist und Politik und
Steuerzahler am Nasenring durch die Manege geführt
werden. Nein, mir und vielen anderen Bürgerinnen und
Bürgern fehlt da das Vertrauen. Es braucht für die Indus-
trie klare Ziele und klare Vorgaben und dann auch Kon-
trollen hin zu mehr Energieeffizienz und -einsparung.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur ein Beispiel sind verbindliche Schritte weg von
der Quasifreistellung vieler Unternehmen von der EEG-
Umlage, eine Freistellung, die die privaten Verbrauche-
rinnen und Verbraucher mitbezahlen. Ich möchte Sie da-
ran erinnern – gerade nach der Rede vom Kollegen Breil
erscheint mir das dringend notwendig –: Der Bundestag
hat durch das Volk nicht den Auftrag bekommen, der In-
dustrie zu vertrauen. Wir haben den Auftrag, dem Wohle
der Menschen zu dienen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das muss sich doch nicht ausschließen!)


Wir dürfen der Industrie nicht einfach vertrauen und die
Dinge so laufen lassen, wie Sie es tun. Unser Auftrag be-
deutet, zu steuern und Grenzen da zu setzen, wo es not-
wendig ist.

Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie endlich auf,
die EU-Effizienzrichtlinie zu blockieren. Lassen Sie uns
verbindliche Einsparziele festlegen! Die vorgelegten
Anträge bieten dazu ausreichend Gelegenheit. Arbeiten
wir hier konstruktiv zusammen!

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713608100

Das Wort hat nun Thomas Bareiß für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1713608200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Lieber Kollege Hempelmann, erlauben Sie mir,
gleich zu Ihrer Rede zu kommen. Sie haben mehrfach
gesagt: Lassen Sie den Worten Taten folgen.

Erlauben Sie mir, zu sagen, dass in Ihrem Bundesland
Nordrhein-Westfalen, wo Sie Verantwortung tragen, eine
der modernsten und effizientesten Kraft-Wärme-Kopp-
lungsanlagen steht und nicht ans Netz gehen kann, weil
Ihre Landesregierung, die rot-grüne Landesregierung
das nicht schafft. Wenn Sie hier also sagen „Lassen Sie
den Worten Taten folgen“, dann kann ich Ihnen nur ra-
ten: Schaffen Sie es doch erst einmal in Ihrem eigenen
Bundesland, etwas voranzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Ist Ihnen bekannt, dass die schwarz-gelbe Landesregierung das nicht geschafft hat?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713608300

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1713608400

Ja, gerne.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713608500

Bitte.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713608600

Herr Kollege Bareiß, da Sie das Kraftwerk Datteln

ansprechen: Ist Ihnen bekannt, dass eine ehemalige
schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen
einen Genehmigungsbescheid erarbeitet hat, der vom
Gericht mit Pauken und Trompeten kassiert wurde,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie Ihr Haushalt!)


und dass das der Grund dafür ist, dass dieses Kraftwerk
nicht in Betrieb genommen werden kann? Können Sie
bestätigen, dass das eine katastrophale, eine handwerk-
lich schlechte Politik der Landesregierung unter dem
Ministerpräsidenten Rüttgers war?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1713608700

Ich kann nur bestätigen, dass sich Eon heftig darüber

beklagt, dass die Landesregierung in Nordrhein-West-
falen das auf allen Ebenen verhindert.


(Lachen bei der SPD)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Die SPD würde es sehr gerne tun, aber sie kommt nicht
voran, weil Sie von den Grünen die Landesregierung in
Nordrhein-Westfalen daran hindern. Das ist das Pro-
blem.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sitzt der Pressesprecher von Eon im deutschen Parlament?)


Wir könnten bei dem Thema schneller vorankommen,
aber das klappt nicht, weil die Grünen in Nordrhein-
Westfalen auf allen Ebenen Blockadepolitik betreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal, was Eon über Schwarz-Gelb denkt! Das ist noch viel schlimmer!)


Meine Damen und Herren, zwei von drei Anträgen,
die heute vorliegen, befassen sich mit der Kraft-Wärme-
Kopplung. Deshalb möchte ich mich in meiner Rede in
erster Linie dem Thema KWK widmen.

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die Kraft-
Wärme-Kopplung bzw. die Energieeffizienz eine der
wichtigsten Säulen unserer Energiewende. Denn wir or-
ganisieren nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie,
sondern auch den Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren
Energien.

Deshalb haben wir die großen Herausforderungen an-
gepackt. Wir kümmern uns um den Netzausbau, den ver-
antwortungsvollen und effizienten Ausbau der erneuer-
baren Energien, um Energieeffizienz und den Zubau
eines modernen, effizienten und flexiblen Kraftwerks-
parks und damit auch um den Zubau von Kraft-Wärme-
Kopplungsanlagen.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Schon heute beträgt der Anteil von KWK am Strom-
mix rund 15 Prozent. Das ist nicht wenig, und wir wer-
den den Ausbau in den nächsten Jahren Schritt für
Schritt weiter vorantreiben.


(Dirk Becker [SPD]: Wie denn?)


Für uns ist dies ein intelligenter Weg, effizient mit
Energiequellen umzugehen. Strom und Wärme aus ei-
nem Prozess: Das hat einen hohen Wirkungsgrad. Wäh-
rend in konventionellen Kraftwerken zwischen 45 und
70 Prozent der Energie, die für die Stromerzeugung ein-
gesetzt wird, als Abwärme verlorengehen, schaffen mo-
derne KWK-Technologien Nutzungsgrade von bis zu
90 Prozent. Das müssen wir in Zukunft verstärkt nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil wir dieses Potenzial ausbauen wollen, haben wir
schon im Juli dieses Jahres im Rahmen der EnWG-No-
velle elementare Regelungen beschlossen, die dem Ziel
dienen, die Förderung nach dem KWK-Gesetz noch fle-
xibler zu gestalten und den Betreibern von KWK-Anla-
gen mehr Investitionssicherheit zu bieten.

Zum Ersten haben wir eine Flexibilisierung der Förde-
rung durch den Wegfall der maximal zulässigen Betriebs-
jahre – sechs Jahre – geschaffen. Wir haben dieses Krite-
rium gestrichen; zukünftig gilt nur noch die tatsächliche
Betriebsdauer von maximal 30 000 Betriebsstunden.
Dies war aufgrund der Marktentwicklungen notwendig,
da mit dem Anstieg des Anteils der erneuerbaren Ener-
gien die Auslastung der Anlagen gesunken ist. Mit dieser
Maßnahme nehmen wir den Druck von den Anlagenbe-
treibern und schaffen in den nächsten Jahren mehr Pla-
nungssicherheit.

Zum Zweiten haben wir eine Verschiebung des Stich-
tags für die KWK-Förderung über 2016 hinaus bis Ende
2020 beschlossen. Auch mit dieser Regelung wird den
Unternehmen Investitionssicherheit gegeben. So stellen
wir sicher, dass der Ausbau von KWK nicht zum Erlie-
gen kommt.

Mit diesen zwei zentralen Punkten haben wir schon
heute das politische Signal gegeben, dass wir zur KWK
stehen. In der anstehenden Gesetzesnovelle werden wir
noch in diesem Jahr weitere Detailregelungen schaffen.
Dazu wird die Bundesregierung schon Ende November
einen Zwischenbericht vorlegen. Auf dieser Basis wer-
den wir dann noch in diesem Jahr den Gesetzentwurf
einbringen. Damit schaffen wir weiter Investitions-
sicherheit.

Wir werden in den Ausschüssen intensiv über den
richtigen Weg der KWK sprechen. Ich will aber schon
heute sagen: Wir müssen bei der anstehenden Novelle
nicht nur über die Vergütungssätze sprechen, wie es in
Ihren Anträgen der Fall ist, sondern vor allem über die
Frage, welchen Beitrag die KWK zur Systemstabilität
leisten kann. Das ist, glaube ich, der wichtigste Beitrag.

Wir müssen auch über interessante Ansätze zur Wär-
mespeicherung sprechen. Diese spielen eine wichtige
Rolle, da sie KWK-Anlagen eine flexiblere, stromge-
führte Fahrweise ermöglichen, die wir zur besseren Inte-
gration der fluktuierenden erneuerbaren Energien brau-
chen. Ich bin davon überzeugt, dass wir solche Ansätze
im Rahmen der Novelle besonders berücksichtigen müs-
sen; denn Speichertechnologien gehören zu den ent-
scheidenden Bausteinen für eine erfolgreiche Ener-
giewende.

Es gibt aber auch Konflikte zwischen der KWK und
der Energieeffizienz, über die wir in den nächsten Wo-
chen diskutieren müssen. In der Praxis sind die Haupt-
probleme von KWK-Anlagen nicht die politischen Rah-
mensetzungen, sondern das Fehlen eines ausreichenden
Wärmeverbrauchers am Standort von KWK-Anlagen.
Darauf geben Sie in Ihren Anträgen keine Antwort.


(Widerspruch bei der SPD)


Die fehlende Möglichkeit, effizient erzeugte Wärme di-
rekt abzunehmen, führt zu Effizienzproblemen. Sinnvoll
ist die Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung dort, wo
ein hoher Wärmebedarf über das ganze Jahr kalkulierbar
ist; denn Wärme ist zwar gut speicherbar, aber nicht über
weite Strecken gut transportierbar. Deshalb muss die
Stromerzeugung möglichst nah an die Wärmesenke he-
rangeführt werden. Das ist aber nicht immer möglich. Im
Grunde ist dies paradox: Besonders effizient produzier-
ter Strom und produzierte Wärme erleiden auf dem Weg
zum Verbraucher oft hohe Effizienzverluste.





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Auch die folgende Frage wird kommen: Brauchen wir
überhaupt noch so viel Wärme? Das heißt, je mehr wir in
den nächsten Jahren in die Gebäudesanierung investie-
ren, desto weniger Wärmebedarf besteht. In den kom-
menden Debatten über das KWKG werden wir diese
Frage beantworten müssen. Je nachdem, welche Antwort
wir finden, werden wir das Ausbauziel eventuell anpas-
sen müssen.

Die Grünen beklagen in ihrem Antrag – das wurde
schon erwähnt –, dass die Bundesregierung zu wenig für
Energieeffizienz auf nationaler und europäischer Ebene
tut. Dann frage ich mich, wieso das Gesetz zur steuerli-
chen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnah-
men vom Bundesrat im Juli blockiert wurde,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das wissen wir doch!)


vor allem durch die Stimmen der grün und rot geführten
Landesregierungen. Aber Sie bekommen jetzt noch ein-
mal die Chance, zu zeigen, dass Sie es ernst meinen mit
Ihren Forderungen nach mehr Energieeffizienz; denn
gestern hat die Bundesregierung den Vermittlungsaus-
schuss angerufen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Wochen zu spät!)


Diese Entscheidung begrüße ich außerordentlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich hoffe, dass Sie mitmachen, die Energiewende sinn-
voll zu gestalten, und dass die von Ihnen geführten Län-
der ihren finanziellen Beitrag leisten.

Mehr Energieeffizienz kann auch weniger KWK be-
deuten. Mit einem solchen Spannungsbogen werden wir
in energiepolitischen Debatten oft konfrontiert. Aber
eine stimmige Energiepolitik versucht, diesen Span-
nungsbogen zu überwinden und ein schlüssiges und
sinnvolles Konzept daraus zu machen. Leider tragen Ihre
Anträge nicht dazu bei, dass wir in dieser Frage einen
richtigen Schritt vorankommen. Ihre Anträge sind eine
Aneinanderreihung von Forderungen, aber kein in sich
schlüssiges Konzept.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das Wort „Konzept“ dürft ihr doch gar nicht mehr in den Mund nehmen!)


Deshalb werden wir Ihre Anträge ablehnen, und Ende
des Jahres werden wir eine KWKG-Novelle vorlegen,
die sich mit den Herausforderungen wirklich auseinan-
dersetzt und Sinn macht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713608800

Das Wort hat der Kollege Dirk Becker für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1713608900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Dr. Pfeiffer hat vorhin zu Recht gesagt: Ener-
gieeffizienz ist der Königsweg. – Wir sind es gewohnt,
große Worte zu hören, wenn das Thema Effizienz auf der
Tagesordnung steht. Aber es ist leider auch Gewohnheit,
dass es bei Ankündigungen bleibt. Ich habe auch heute
den Eindruck, dass es im Wesentlichen dabei bleibt, die
Wichtigkeit der Effizienz zu beschreiben und sonst viele
schöne Ausreden parat zu haben. Herr Dr. Pfeiffer, Ihre
Beschreibung dessen, was Sie vorhaben, war leider wie-
der sehr unkonkret. Ihr Kollege Bareiß ist ein bisschen
konkreter geworden; denn er hat auf eine Technologie
abgehoben, mit der wir Effizienz und Klimaschutz sofort
zusammenbringen und den Umbau der Energiestruktur
unserer Gesellschaft – den Ausstieg aus der Kernenergie
tragen wir gemeinsam – auf eine neue Grundlage stellen
können.

Herr Dr. Pfeiffer und Herr Nüßlein, ich spreche Sie
persönlich an, weil ich Sie an das Energie- und Klima-
programm der Großen Koalition erinnern möchte. Da-
mals haben wir gesagt: Das Wichtigste ist, den Ausbau
der Kraft-Wärme-Kopplung voranzutreiben. – Wir ha-
ben nach langen und schwierigen Verhandlungen ge-
meinsam ein Gesetz erarbeitet, in dessen Fokus das Ziel
steht, bis 2020 25 Prozent der Stromerzeugung mit
KWK sicherzustellen. Wir haben die industrielle KWK
aufgenommen, und wir haben den Neubau von KWK-
Anlagen aufgenommen. Wir haben ferner gesagt – auch
das war wichtig –, dass wir die Fördersumme deckeln
wollen. Herr Breil hat eben eine tolle Rechnung aufge-
macht. Der Erfolg wird heute nach der Anzahl der An-
träge bemessen. Das widerspricht der faktischen Ent-
wicklung der Förderung der KWK; denn die Förderung
der KWK ist im Jahr 2010 auf 384 Millionen Euro zu-
rückgegangen. Mehr Fördermittel sind gar nicht abge-
flossen. Wir schöpfen also den Förderrahmen über-
haupt nicht aus. Ihr eigener Gutachter, Herr Breil, der
Gutachter dieser Bundesregierung, kommt in seinem
Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Zubau der KWK-
Anlagen – es kommt auf den Anteil der Kraft-Wärme-
Kopplung an der Stromerzeugung an – zwischen maxi-
mal 17 und 20 Prozent liegen wird. Ihr eigener Gutachter
attestiert, dass wir, wenn wir so weitermachen und nicht
im KWKG nachsteuern, das Ziel verfehlen. Das heißt,
man muss handeln und darf nicht abwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609000

Kollege Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Pfeiffer? – Bitte.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1713609100

Herr Kollege Becker, wir haben bei der Novellierung

des KWK-Gesetzes in der letzten Legislatur gemeinsam
als Berichterstatter mitgewirkt. Ist Ihnen bekannt, dass
allein der Aufwuchs bei KWK-Anlagen in den Jahren
2008 und 2009 1,4 Prozent betrug, wir im Moment bei
einem Anteil von 15,4 Prozent liegen – das geht also in
die richtige Richtung – und dass wir auf jeden Fall bei





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

weit über 21 Prozent allein durch die Maßnahmen, die
bisher getroffen wurden, liegen werden? Ist Ihnen wei-
terhin bekannt, dass wir jetzt gerade erst den Förderzeit-
raum erheblich verlängert, den sogenannten doppelten
Förderdeckel abgeschafft und andere Maßnahmen mehr
ergriffen haben? Ist Ihnen schließlich bekannt, dass wir
im Moment in der Tat bei KWK noch ein weiteres Pro-
blem haben? Ich habe vorhin versucht, es am Rande an-
zusprechen. Es unterbleiben nämlich Investitionen, weil
bei Investitionen, die eine höhere Energieeffizienz zum
Ziel haben, die Befreiung von der EEG-Umlage wegfällt
und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Stromerzeu-
gung aus KWK im europäischen Rahmen nicht mehr ge-
geben ist? Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir dies
dringend beheben müssen, um mindestens den 25-Pro-
zent-Anteil zu erreichen?


Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1713609200

Zunächst einmal vielen Dank für die Fülle von Fra-

gen. Das ermöglicht mir, die Redezeit deutlich auszu-
weiten. Ich will gerne auf einige Punkte der Frage einge-
hen, zu denen ich ohnehin noch gekommen wäre, und
diese beantworten.

Erstens. Es ist richtig, was Sie zum aktuellen Ausbau-
stand zitiert haben. Allerdings kommt der von mir eben
erwähnte und von der Bundesregierung beauftragte Gut-
achter der Firma Prognos in dem Gutachten für das Wirt-
schaftsministerium zu anderen Ergebnissen, was das Jahr
2020 anbelangt. Der Gutachter von Prognos sagt – lesen
Sie das Gutachten; es ist nicht vom Gutachter der SPD,
sondern vom Gutachter dieser Bundesregierung –: Wenn
Sie nichts weiter verändern, werden wir einen KWK-
Anteil von maximal 17,4 Prozent haben.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: 21!)


– Nein, im Best-of-Szenario spricht das Gutachten von
etwa 20 Prozent, auf keinen Fall aber von 25 Prozent.
Das ist die erste Feststellung. – Dann schreibt der Gut-
achter von Prognos der Regierung ins Stammbuch, was
sie im KWKG ändern müsste, damit das Ziel erreicht
wird. Komischerweise stehen viele Maßnahmen, die der
Gutachter von Prognos vorschlägt, in unserem Antrag.
Sie sind deckungsgleich. Wenn Sie dann sagen, es sei al-
les Mumpitz, was wir machen, dann stellen Sie dem ei-
genen Gutachter der Bundesregierung das Zeugnis aus,
Mumpitz vorgelegt zu haben. Das ist der erste Wider-
spruch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Wieder nicht geliefert!)


Der zweite Punkt ist, Herr Dr. Pfeiffer: Wir haben in
der Tat eine große Investitionszurückhaltung. Die Ursa-
che dafür – da machen Sie jetzt den billigen Jakob – füh-
ren Sie auf einen Konflikt mit der Energieeffizienz zu-
rück. Wissen Sie, wo der erste große Pferdefuß war? Sie
haben durch die Diskussion über die Laufzeitverlänge-
rung und mit der beschlossenen Laufzeitverlängerung
der Wirtschaftlichkeit des Neubaus von KWK-Anlagen
den Boden entzogen. Das sagt Ihnen jedes Energieunter-
nehmen, das KWK-Anlagen hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben durch Ihre Beschlüsse die Wirtschaftlichkeit
der KWK zerstört. Das ist auch relativ logisch; denn Ihr
Gutachter – das will ich auch Herrn Breil sagen, der auf
Podien bisher geantwortet hat – –


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das hat doch mit dem gar nichts mehr zu tun, was ich gefragt habe! – Gegenrufe von der SPD: Doch!)


– Herr Pfeiffer, Sie haben doch gesagt, das Ganze sei ein
Problem der Effizienz, da gebe es einen Zielkonflikt.
Deshalb gebe es Investitionszurückhaltung. Das ist
Blödsinn. Diese Zurückhaltung gibt es wegen Ihrer
Energiepolitik – und nur deshalb!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Unsinn! Wegen der EEG-Umlage! – Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU] nimmt Platz – Zurufe von der SPD: Stehen bleiben!)


– Lassen wir ihn sich setzen. Er trägt genug an der
schweren Last seiner Politik. Er soll sitzen.

Ein weiterer ganz entscheidender Punkt – so lautet
nämlich eine Argumentation, die Herr Breil bisher im-
mer wieder angeführt hat –: KWK sei doch längst wirt-
schaftlich. Auch da kommt Ihr Gutachter – nicht unser
Gutachter – zu ganz anderen Ergebnissen. Das Prognos-
Gutachten besagt, dass die Wirtschaftlichkeit von großen
GuD-Anlagen inklusive der bestehenden KWKG-Förde-
rung erst ab 4 000 Volllaststunden wirtschaftlich ist. Ich
glaube, wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, wie
heute die tatsächliche Volllaststundenzahl gerade im
Hinblick auf den Neubau der Anlagen ist. Sie können
den Neubau mit dem Instrument, das wir jetzt haben,
wirtschaftlich nicht darstellen. Weiterhin kommt Prog-
nos in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass bei klei-
neren GuD-Anlagen sogar 5 000 Stunden notwendig
sind. Ich habe mir diese Zahl nicht ausgedacht; sie steht
in diesem Gutachten.

Lassen Sie mich kurz auf das Energiekonzept zurück-
kommen; Sie haben das eben angesprochen, Herr
Bareiß. Sie sprechen jetzt nur noch vom zweiten Ener-
giekonzept. Ich will beim Thema Investitionssicherheit,
Herr Dr. Pfeiffer, noch einmal deutlich machen, wie die
KWK in Ihrem ersten Konzept behandelt wurde, in dem
Sie sich noch für eine Laufzeitverlängerung ausgespro-
chen haben. In dem ganzen Konzept findet KWK gar
nicht statt, außer im Bereich EEG. In dem ersten Entwurf
stand sogar wortwörtlich: Wir müssen nach Verlänge-
rung der Laufzeiten erst einmal kritisch überprüfen, ob
es so etwas überhaupt noch braucht. – Ich sage Ihnen: Es
war Ihr klares Ziel, die Sache zu kippen. Das war Ihre
Politik oder die Politik Ihres Koalitionspartners.





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

Ich zitiere die Kanzlerin, die hier im Bundestag am
9. Juni 2011 bei der Verabschiedung des letzten Energie-
konzeptes Farbe bekannt hat; ich habe das gerne gehört.
Sie hat deutlich gesagt, dass sie mit dem Entwurf einer
Novelle zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz einen Bei-
trag zur Versorgungssicherheit und Effizienz leisten
wolle, und sie hat für dieses Jahr weitere Schritte ange-
kündigt, Schritte, die über die hinausgehen, die Sie eben
erwähnt haben.

Nun muss ich sagen: Sie müssen sich in der Regie-
rung aber einmal einigen, was gilt.

Leider war die Regierung an der Teilnahme an der
Podiumsdiskussion des Bundesverbandes Kraft-Wärme-
Kopplung verhindert; beide zuständigen Minister haben
sich entschuldigen lassen. Dafür hat man einen Mitarbei-
ter des Wirtschaftsministeriums geschickt. Er hat dort
für eine ziemliche Verwirrung gesorgt, weil er erklärt hat
– ich fand das einmalig –, man wolle zwar 25 Prozent
Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung, aber die Zielerrei-
chung bis 2020 stehe ja gar nicht im Gesetz; man müsse
sie nicht an diesem Jahr festmachen. Ich möchte Sie ein-
fach bitten: Stellen Sie das klar! Es kann nicht sein, dass
Sie zwar bei der Energiewende die Kurve gekriegt ha-
ben, jetzt aber hintenherum den Markt weiter verunsi-
chern. Herr Dr. Nüßlein, schütteln Sie jetzt nicht den
Kopf. Fragen Sie die Leute, die diese Podiumsdiskussion
verfolgt haben. Sie waren verunsichert und haben ge-
fragt: Was ist denn das wieder für ein Spiel? – Wir brau-
chen hier das klare Bekenntnis – Herr Breil und andere
haben es eben gesagt; es bleibt dabei –: Wir wollen die
Maßnahmen an das ins Auge gefasste Ziel anpassen und
wollen nicht das Ziel nach unten korrigieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe eben mehrfach die Frage gehört: Was pas-
siert noch in diesem Jahr? Der Monitoring-Bericht soll
kommen. Ich sage: Mir reicht das Prognos-Gutachten.
Ich kann daraus alles ablesen, was jetzt zu tun ist. Der
Bundesumweltminister und der Wirtschaftsminister tun
sich anscheinend noch schwer, den gemeinsamen Erfah-
rungsbericht vorzulegen. Ich sehe an der Antwort auf die
Frage „Welche Maßnahmen kommen in nächster Zeit?“
im Brief von Herrn Staatssekretär Burgbacher an Herrn
Hinsken, den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses,
dass, obwohl zehn Punkte aufgeführt sind, keine einzige
Maßnahme hinsichtlich der Kraft-Wärme-Kopplung da-
runter ist. Ich fordere Sie, das Ministerium, jetzt auf,
konkret zu benennen, in welcher Sitzungswoche in die-
sem Jahr der Erfahrungsbericht vorgelegt wird und wann
die Maßnahmen ergriffen werden. Die Investoren brau-
chen jetzt endlich eine klare Hausnummer; sie warten
darauf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will – ich habe das eben schon gesagt – auf unse-
ren Antrag nur an einigen Punkten eingehen. Mir ist klar,
dass Sie einen Antrag der Opposition ablehnen; das ge-
hört zum Spiel dazu. Aber Sie sollten sich zumindest mit
den Inhalten auseinandersetzen, weil – das sage ich noch
einmal – Ihr Gutachter Ihnen ähnliche, wenn nicht sogar
die gleichen Vorschläge macht.

Eines passt nicht zusammen. Herr Breil und Herr
Bareiß haben vorhin gesagt, es gebe ein Problem mit den
Wärmesenken. Sicherlich, man braucht Wärmesenken.
Wir haben aber auch völlig neue Technologien. Die
KWK spielt jetzt nach der Energiewende ein völlig an-
dere Rolle. Sie selbst haben die Speicher angesprochen.
Über die Integration von Speichern in die künftige För-
derung könnten KWK-Anlagen auch an Standorten mit
einer verminderten Wärmeabsatzmenge errichtet wer-
den.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Das widerspricht aber der Effizienz!)


Darum sagen wir, wie auch Ihr Gutachter, ganz klar:
Man muss beim Thema Wärmespeicher über die künf-
tige Fördersystematik einen Anreiz schaffen.

Darüber hinaus ist von Ihnen schon einiges gemacht
worden. Das geht in die richtige Richtung. Wir müssen
aber auch darüber nachdenken, ob wir beim Umbau der
Kraftwerkswirtschaft – das wird übrigens auch von ihr
selbst gefordert – nicht nur den Neubau von KWK-Anla-
gen im Förderregime berücksichtigen, sondern auch den
Umbau konventioneller Kraftwerke hin zu KWK-Anla-
gen in das Förderregime aufnehmen. Das ist nach dem
bestehenden Gesetz nicht möglich. Das würde aber zu-
sätzliche Potenziale heben. Es gibt die Nachfrage am
Markt.

Ganz entscheidend ist – das sage ich an die Adresse
derer, die gleich wieder mit der Frage kommen: Was
heißt das für den Endverbraucher? –: Es bleibt beim De-
ckel. Wir wollen keine Anhebung des Deckels. Wir wol-
len nicht über die 750 Millionen Euro hinausgehen. Es
gibt bei der gesetzlichen Förderung das Potenzial, KWK
für weitere Anlagen interessant zu machen, und wir
müssen dieses Potenzial heben; sonst werden wir die
Ziele nicht erreichen.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Mikro-KWK-
Anlagen; das ist vorhin mehrfach angeklungen. Wir hat-
ten unter Sigmar Gabriel im Umweltministerium ein
sehr erfolgreiches Programm zur Förderung der Mikro-
KWK. Das ist von der jetzigen Bundesregierung einge-
stellt worden. Wir wollen es wiederbeleben. Um dabei
aus der Haushaltsabhängigkeit herauszukommen, wollen
wir ein solches Instrument ins KWK-Gesetz aufnehmen,
sodass es aus dem Förderregime gespeist werden kann.

Letzter Punkt. Das Antragsverfahren, insbesondere
bei der Förderung von Wärmenetzen, ist katastrophal.
Ich glaube, da sind wir uns alle einig. Das klang eben an.
Viele haben Gespräche mit Unternehmen geführt und
wissen, wie das läuft. Das Verfahren ist katastrophal. Es
sind Fristen einzuhalten, die es für viele unmöglich ma-
chen, sich um eine Förderung zu bemühen. Wir können
hier allein durch die Beseitigung administrativer Hemm-
nisse einiges tun, damit die jetzt vielfach erwähnten In-
vestoren wieder Vertrauen in die Politik bekommen und
in die Lage versetzt werden, solche Mittel zu beantragen.





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

Nach dem, was die Kollegen der Union und Herr
Breil hier gesagt haben, unterstelle ich, dass Einigkeit
darin besteht: Wir sollten gemeinsam das Ziel „25 Pro-
zent Strom aus KWK“ im Auge behalten. Wir brauchen
nicht zu überlegen, was zu tun ist, sondern können die
Vorschläge Ihres Gutachters sofort umsetzen. Wenn Sie
sie eins zu eins umsetzen, sind wir sofort dabei.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609300

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1713609400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Op-

position ist immer gut darin, mehr zu fordern. Auch das
ist ihre Funktion. Aber man muss dann dort, wo man
Verantwortung trägt, auch entsprechend handeln.

An der Stelle muss ich das Thema „Kraftwerk in Dat-
teln“ ansprechen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Eigentor!)


Ihren Antrag überschreibt die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit „Am Ausbau der hocheffizienten Kraft-
Wärme-Kopplung festhalten“. Da soll jetzt ein hocheffi-
zientes Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerk gebaut wer-
den. Es ist nicht die ehemalige schwarz-gelbe Landes-
regierung, die hier den Fehler gemacht hat,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Doch, die hat es verbockt!)


sondern es liegt am Bebauungsplan der Stadt Datteln.
Deswegen muss sich die jetzige Landesregierung fragen
lassen, ob sie mit ihrer Landesplanung nicht versucht,
die Behebung des Fehlers gerade zu verhindern. Ich sage
eines ganz deutlich: Da sollen alte Mühlen, die als Kraft-
werke gefahren werden, durch ein Kraftwerk ersetzt
werden, das weniger CO2 ausstößt. Es ist ein Kraftwerk,
das den Bahnstrom in Nordrhein-Westfalen sichert.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Da seht ihr mal, was ihr verbockt habt!)


Wer sich auskennt, weiß, dass man ein Bahnstromkraft-
werk nicht einfach durch ein anderes Kraftwerk ersetzen
kann, weil es einen ganz anderen Strom erzeugt. Wer da-
ran festhält, wie es die nordrhein-westfälische Landes-
regierung und insbesondere die Grünen in NRW tun, zu
sagen: „Wir wollen dieses Kraftwerk nicht, und wir wol-
len die Stilllegungsauflagen für die alten Kraftwerke
nicht wieder aufheben“, der macht Folgendes: Erstens.
Er gefährdet den Bahnstrom für die Deutsche Bahn in
Nordrhein-Westfalen.


(Widerspruch von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Er gefährdet die Fernwärmeversorgung von
Tausenden von Haushalten in der Stadt Herne. Das ist
Ihre Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, in dieser Beziehung brau-
chen wir überhaupt keine Nachhilfe. Sie sind diejenigen,
die die Kraft-Wärme-Kopplung in Nordrhein-Westfalen
verhindern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Da schreit der Brandstifter nach der Feuerwehr! – Zuruf von der CDU/ CSU)


– Ich amüsiere mich gerade über die Kollegin von der
Union.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Es ist ja bald der 11. 11.!)


– Entschuldigung.


(Dirk Becker [SPD]: Frau Präsidentin, können wir mal einen Tusch haben?)


– Herr Hempelmann, Scherze müssen an dieser Stelle
auch einmal sein. Das war ein guter Scherz.

Jetzt aber zurück zum Ernst der Lage, nämlich zu den
Potenzialen, die im Gebäudesektor liegen.

Hier hat die Koalition gehandelt. Wir haben das Ge-
bäudesanierungsprogramm nicht nur verstetigt. Wir ha-
ben vor allen Dingen mit dem Energie- und Klimafonds
endlich eine gesicherte Finanzierung geschaffen, näm-
lich eine Finanzierung aus dem Emissionshandel und
keine Finanzierung über den Bundeshaushalt, der immer
größere Lasten zu tragen hat.

Es reicht nicht, ein Gebäudesanierungsprogramm auf
den Weg zu bringen. Ein Gebäudesanierungsprogramm
ist ein gutes Programm für diejenigen, die größere Woh-
nungseinheiten zu sanieren haben, also beispielsweise
für Wohnungsbaugesellschaften. Wir müssen aber auch
darauf achten, wie es beim kleinen Vermieter und bei de-
nen aussieht, die sich nicht unentwegt um Förderpro-
gramme kümmern können. Für diese stellt die steuerli-
che Förderung einen gangbareren Weg dar. Als in den
90er-Jahren die steuerliche Förderung abgeschafft wor-
den war, halbierte sich die Sanierungsrate. Die steuerli-
che Förderung ist ein effizientes Instrument zur Erhö-
hung der Sanierungsrate.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was aber macht Rot-Grün? Rot-Grün erzählt uns im-
mer, wir sollten mehr tun. Am Ende stimmt Rot-Grün im
Bundesrat aber dagegen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Wegen der unsozialen Steuerpolitik!)


Die Bundesregierung hat jetzt den Vermittlungsaus-
schuss angerufen. Jetzt müssen die grünen und die roten
Umweltminister zeigen, ob sie die Finanzminister ihrer





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)

Bundesländer im Rücken haben oder ob die Umwelt-
minister reden und die Finanzminister alles verhindern.
Das sind Ihre Minister, die roten und die grünen Minis-
ter, die das jetzt im Bundesrat zu entscheiden haben. Wir
haben den Beschluss im Deutschen Bundestag bereits
gefasst. Jetzt sind Sie gefordert, Ihre Blockadepolitik ge-
gen Energieeffizienz endlich aufzugeben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Legen Sie ein sozial ausgewogenes Konzept vor! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gesagt, aber auch gar nichts gesagt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609500

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Negawatt statt Megawatt. Der preiswerteste
Klimaschutz ist natürlich eingesparte Energie. Einge-
sparte Energie beginnt bei der eingesparten Erzeugung
von Energie.

Wie schaut es zurzeit aus? Momentan heizen wir mit
der Abwärme der meisten Kohle- und Gaskraftwerke
nicht Wohnungen und Fabrikgebäude, sondern nach wie
vor Umgebungen und Flüsse. Um das zu verhindern,
gibt es ein Konzept, das wirklich wirkt, und das heißt
KWK. Die gekoppelte Produktion von Strom und
Wärme – Kälte nicht zu vergessen; niemand hat von
Kälte gesprochen –


(Dirk Becker [SPD]: Steht aber drin im Antrag!)


– steht mit drin – ist wegen der Abwärmenutzung hoch-
effizient und erzielt Wirkungsgrade von bis zu 90 Pro-
zent. Das sind super Wirkungsgrade. Sie ist damit eine
echte Brückentechnologie im Gegensatz zur Atomkraft
oder zur Kohle – Kohle vor allen Dingen in Verbindung
mit CCS –, eine Brückentechnologie auf dem Weg in das
Solarzeitalter.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass Sie von der Kohle nicht loskommen, hat man
jetzt gehört. Das Kohlekraftwerk Datteln wird nach wie
vor verteidigt. Sie sehen: Die Koalition hält an dieser al-
ten Technologie fest. Das müssen die Wählerinnen und
Wähler, die regenerative Energien wollen, wissen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesregierung hat sich 2009 das Ziel gesetzt,
die Strommenge aus der Kraft-Wärme-Kopplung bis
2020 zu verdoppeln, und zwar auf 25 Prozent. Das haben
Sie nicht erreicht.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Wir haben noch nicht 2020!)

Ob Sie es überhaupt wollen, steht in den Sternen. Wenn
wir Glück haben, landen wir bei einem Wert zwischen
17 und 20 Prozent; das wurde bereits ausgeführt.

Ich möchte Ihnen die entsprechenden Werte aus ande-
ren Ländern nennen: Dänemark – 50 Prozent, Nieder-
lande – 38 Prozent. Wir fragen uns: Wie machen die
das? Dort gibt es einen Mix aus Förderinstrumenten und
strikten Vorgaben, zum Beispiel die Pflicht des An-
schlusses ans Wärmenetz. Ich sage Ihnen: Deutschland
vergibt sich was, wenn nicht endlich gehandelt wird.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


KWK kann das schwankende Ökostromangebot aus-
gleichen. KWK ist flexibel. KWK ist dezentral; ich
nenne nur das Stichwort „Schwarmstrom-Konzept“. Das
heißt – für diejenigen, die es noch nicht gehört haben –:
Viele kleine Kraftwerke werden bei Bedarf zusammen-
geschaltet. Das ist sinnvoll, klug und intelligent.

KWK ist eine der preiswertesten Optionen, CO2 ein-
zusparen. Solange keine überzeugenden Speichertechni-
ken einsatzreif sind, kommt dieser Beitrag zur Netzstabi-
lität wie gerufen. Darum muss bei der anstehenden
KWKG-Novelle endlich rangeklotzt werden. Klotzen
Sie doch endlich ran, meine Damen und Herren, und kle-
ckern Sie nicht immer!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dirk Becker [SPD])


Kommen wir jetzt zu den Hürden, über die diskutiert
werden muss. Es gibt Abnehmer, die die Wärme nicht
zeitgleich zum KWK-Betrieb brauchen; das wurde be-
reits diskutiert. Hier muss man etwas tun. Man braucht
intelligente Lösungen, das gilt auch für den Bereich
Kälte. Die Wärmespeicherung ist im Wettbewerb mit
Heizungskesseln oft nicht wirtschaftlich, obwohl deren
CO2-Gesamtbilanz besser ist. Hier gilt es, noch etwas zu
tun.

Auch die Bereitstellung von wertvoller Regelenergie
durch KWK-Anlagen wird nicht ausreichend honoriert.
Damit meine ich das Hoch- und Herunterfahren, das wir
bei den regenerativen Energien brauchen. Wärmege-
führte KWK-Anlagen über 20 Megawatt haben Nach-
teile gegenüber einfachen kleinen Heizungsanlagen,
weil sie in den Emissionshandel einbezogen werden.
Auch hier muss man noch einmal nachbessern.

Es gibt also eine ganze Reihe von Punkten – einige
wurden bereits genannt –, über die noch einmal nachge-
dacht werden muss. Ganz kurz: Wir unterstützen die An-
träge von SPD und Grünen. Auch wir haben dazu schon
Anträge gestellt.

Nur zum Schluss noch:


(Torsten Staffeldt [FDP]: Schluss ist gut! Bestes Wort bis jetzt!)


Auf der EU-Ebene werden die Weichen für KWK ge-
stellt. Mit der Energieeffizienzrichtlinie gibt es Vorga-
ben. Ich kann Ihnen nur eines sagen:






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609700

Kollegin Bulling-Schröter, die Ankündigung des

Schlusses ersetzt nicht den Schluss der Rede.


(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609800

Halten Sie Ihr Wirtschaftsministerium davon ab, gute

Vorschläge aus der Energieeffizienzrichtlinie herauszu-
nehmen. Wir brauchen gute Vorschläge,


(Torsten Staffeldt [FDP]: Von Ihnen kommen die aber nicht!)


und wir brauchen nicht dieses komische Wirtschafts-
ministerium, das wieder alles kassieren will.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713609900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Oliver Krischer das Wort.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt kommt Tarnen und Täuschen!)



Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713610000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es war entlarvend, was wir heute zum Thema Energie-
effizienz gehört haben. Die Wirtschaft solle es machen,
hat Herr Breil gesagt. Ich glaube, deutlicher kann man es
nicht darstellen, dass diese Bundesregierung überall – in
Brüssel und in Deutschland – im Bremserhäuschen sitzt
und beim Thema Energieeffizienz Blockadepolitik be-
treibt.

Sie nutzen die positiven Signale, die aus Brüssel kom-
men, leider nicht.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Halten Sie doch mal Ihre Augen auf!)


Sie verhindern vielmehr, und genau das ist das Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie kommen immer mit dem schönen Beispiel der
Gebäudesanierung. Ja, auch wir sind für die steuerliche
Förderung. Bei Ihrem Gesetzentwurf muss man jedoch
über Details reden.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Machen Sie doch mal!)


Wir haben vor vier Wochen den Antrag gestellt, den Ver-
mittlungsausschuss anzurufen. Das haben Sie mit aber-
witzigen Begründungen abgelehnt. Wir haben wieder
vier Wochen Zeit verloren, um mit allen Ländern – es
waren nicht nur die rot-grünen, sondern auch die von Ih-
nen regierten Länder; der Beschluss war einstimmig –
bei diesem Thema weiterzukommen. Da verstehe ich
nicht, warum Sie das vier Wochen lang weiter blockie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, man muss sich eines vor
Augen führen: Morgen vor einem Jahr, am 28. Oktober
2010, haben Sie hier in diesem Saal die Laufzeitverlän-
gerung beschlossen, zudem ein Energiekonzept, das Sie
als epochal, als leuchtenden Pfad betrachtet haben. Das,
was Sie uns hier gepredigt haben, hatte fast etwas Reli-
giöses.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Die religiösen Fanatiker sind Sie!)


Da werden Sie jetzt schon kleiner. In dem Energiekon-
zept sagen Sie ein paar Dinge zur Energieeffizienz; es
sind folgenlose Ankündigungen. Sie hatten ein Jahr Zeit,
da etwas zu machen. Wo, bitte schön, sind die Ergeb-
nisse? Wann präsentieren Sie Ergebnisse? Dazu habe ich
von Ihnen nichts gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Zum Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Das letzte Ver-
nünftige, was man von der CDU/CSU dazu gehört hat
– von der FDP rede ich gar nicht; das hatte gerade schon
Karnevalscharakter –, war die Verabschiedung des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes in der Großen Koali-
tion. Dieses Gesetz hatte ein gutes Ziel; eine Prognos-
Studie hat jedoch gerade deutlich gemacht, dass das ins-
gesamt nicht ausreicht. Seitdem, also seit zwei Jahren,
betreiben Sie eine Verhinderungs- und Blockadepolitik.
Die Kraft-Wärme-Kopplung ist völlig richtig; in dem
vor einem Jahr verabschiedeten Energiekonzept taucht
sie nur in einem Nebensatz auf. Sie wollten 25 Prozent
der Stromerzeugung einfach einmal wegradieren und
durch Strom aus Atomkraftwerken ersetzen; das war Ihr
Ziel. Jetzt sind Sie langsam dabei, das wieder zu ändern.

Sie haben direkt nach Regierungsantritt das Im-
pulsprogramm für Mini-KWK-Anlagen kaputtgemacht,
obwohl sich Mittelständler und kleine Unternehmen auf
eine Förderung verlassen haben. Sie verunsichern die
Unternehmen der Branche, die in dem Bereich investie-
ren wollen; das ist es, was Sie in den letzten zwei Jahren
in dem Bereich gemacht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt, meine Damen und Herren, sind wir schon wie-
der im Spätherbst. Die Kanzlerin hatte vor den Sommer-
ferien angekündigt, es komme eine KWKG-Novelle.
Herr Breil sagte gerade, sie komme im nächsten Jahr;
Herr Bareiß sagte, sie komme in diesem Jahr. Ja, was
denn nun? Machen Sie doch einmal eine klare Ansage,
was denn nun kommt. Sie kriegen die einfachsten Sa-
chen nicht hin. In dem Bereich liegt alles auf dem Tisch.
Wir haben im Rahmen der Energiewende einen konkre-
ten Gesetzentwurf eingebracht. Da müssen Sie einfach
nur Copy and Paste machen und ihn einbringen.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Arbeiten Sie an Ihrer Doktorarbeit, oder was?)


Unser Gesetzentwurf enthält all die Maßnahmen, die
auch in der Prognos-Studie empfohlen werden. Ja, dann
tun Sie es doch einfach! Liefern Sie doch einmal! Sie





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

können sich nicht einmal über die Zeitpunkte verständi-
gen, zu denen Sie etwas vorlegen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Wenn man die Debatte in Deutschland verfolgt, dann
merkt man: Alle reden davon, dass wir neue Kraftwerks-
kapazitäten brauchen. Das mag sein. Aber dann nutzen
Sie doch das, was auf der Hand liegt: die hocheffiziente
Kraft-Wärme-Kopplung. Hier bedarf es eines zusätzli-
chen Anreizes. Mit der KWK kann man eine ideale Er-
gänzung zu den erneuerbaren Energien schaffen. Sie
könnten ein entsprechendes Kraftwerksbauförderpro-
gramm schaffen, anstatt – das ist eine falsche Politik –
irgendwelchen Kohlekraftwerksbetreibern Geld aus dem
Energie- und Klimafonds hinterherzuwerfen.

Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns die Chancen nutzen.
Es gibt in Deutschland Millionen von Heizungsanlagen,
die in den nächsten Jahren ersetzt werden müssen. An-
statt da überkommene Technik wie Öl- oder Gasheizun-
gen einzubauen, sollten wir eine dezentrale Versorgung
über die Kraft-Wärme-Kopplung schaffen. Viele Unter-
nehmen, inzwischen sogar die Energiekonzerne RWE
und Eon, haben es begriffen und investieren in diese
Technologie; sie warten darauf, dass es eine klare An-
sage der Bundesregierung gibt, wie es in dem Bereich
weitergehen soll. Aber ich höre da von Ihnen einfach
nichts. Es wird verzögert und verschleppt; alles bleibt
unklar.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Es bleibt einfach nur festzuhalten: Zwei Jahre Schwarz-
Gelb waren zwei Jahre der Verhinderung bei der Verbes-
serung der Energieeffizienz und beim Ausbau der Kraft-
Wärme-Kopplung. Ich hoffe, dass jetzt etwas kommt.
Reißen Sie sich am Riemen. Es geht um die Wirtschaft,
den Klimaschutz, die Menschen, die Ressourcenscho-
nung. Tun Sie in dem Bereich endlich etwas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610100

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1713610200

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Sehr

geehrter Herr Krischer, Sie werden mir glauben, dass wir
mit dem Thema „Copy and Paste“ so unsere Probleme
haben.


(Heiterkeit – Beifall bei den Abg. Rolf Hempelmann [SPD] und Dorothée Menzner [DIE LINKE])


Das führt erfahrungsgemäß zu nichts Gutem. Im Übri-
gen muss ich nach Ihrer Rede zur Kenntnis nehmen, dass
Sie ein Phantomschmerz plagt, weil Sie die Diskussio-
nen vom letzten Jahr nicht mehr führen können, da sich
das Thema Kernenergie erledigt hat. Deshalb macht es
auch keinen Sinn, hier solche Reden zu halten, wie Sie
es gerade getan haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich will in meiner Rede zwei Punkte vor die Klammer
ziehen. Zum einen möchte ich betonen, dass das Thema
Energieeffizienz für uns ein wichtiges Thema ist und
dass in dem Zusammenhang die Kraft-Wärme-Kopplung
eine besondere Rolle spielt. Ich sage das vorab; denn
wenn man nach dem Fortgang einer längeren Debatte die
Haken und Ösen eines Themas betrachtet, dann läuft
man Gefahr, verunglimpft zu werden, weil man sich nur
auf die Schwierigkeiten bezieht. Deshalb möchte ich
ausdrücklich betonen, dass das Thema Energieeffizienz
für uns wichtig ist. Für uns ist es auch mehr als das, was
es zum Beispiel für viele von den Grünen mehrfach war.
Sie haben früher nämlich immer dann, wenn die Progno-
sen nicht aufgegangen sind und sie festgestellt haben,
dass mit ihren Energiekonzepten der Strom nicht bereit-
zustellen ist, gesagt: Das, was am Schluss noch fehlt,
wollen wir einsparen. – Das wollen wir an der Stelle
nicht tun.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Prognosen sind übertroffen worden!)


Zweitens möchte ich vor die Klammer ziehen, dass
für uns der Grundsatz „Markt und Förderung vor Zwang
und Ordnungspolitik“ gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die soziale Marktwirtschaft hat in beeindruckender
Weise gezeigt, dass sie in der Lage ist, nicht immer opti-
male, aber jedenfalls bessere Ergebnisse zu erreichen als
sie mit dem erreicht würden, was auf der linken Seite
hier immer vorgestellt wird, nämlich Zwang und Ver-
staatlichung.

Was den Strombereich angeht, so bin ich der festen
Überzeugung, dass wir zu Verbrauchsreduzierungen
kommen, die aber regelmäßig – jedenfalls anteilig –
durch zusätzlichen Verbrauch aufgezehrt werden. Das
muss man an dieser Stelle mit im Blick haben.

Ich möchte auch ganz klar feststellen, dass beim
Thema Markt auch die Verteuerung von Strom eine
Rolle spielt. Dazu leisten wir als Staat momentan ausrei-
chend Beiträge über das EEG. Aber auch über die Ener-
giewende wird sich ein stärkerer Druck entwickeln, noch
effizienter mit Strom umzugehen. Ich meine das an der
Stelle nicht kritisierend, sondern möchte das nur festhal-
ten.

In Reaktion auf das, was die Kollegin Menzner vorhin
gesagt hat, bleibt ganz klar festzuhalten, dass insbeson-
dere bei der Industrie das Problem besteht, dass man die
Effizienz bestimmter Prozesse nicht mehr steigern kann.
Das war für uns Motivation, im EEG solche Industriebe-
reiche auszunehmen. Es macht doch keinen Sinn, wenn
man die aus dem Land treibt. Was soll das letztendlich
bringen? Ich kann Ihrem Deindustrialisierungsansatz je-
denfalls keine Vorteile abgewinnen.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Spannend finde ich den sozialen Aspekt, der in die-
sem Zusammenhang regelmäßig bemüht wird. Das muss
man sicherlich im Blick haben, auch in Bezug auf die
Preise.

Herr Kollege Hempelmann ist auf die Problematik
bzw. die Herausforderung der Einspeiseschwankungen
und der Verbrauchsanpassungen eingegangen. Das halte
ich für ein wichtiges Thema, das wir miteinander disku-
tieren müssen, allerdings nicht in der Weise, dass man
uns hier kritisiert. Ich möchte an der Stelle einmal fest-
halten, dass dies insbesondere von Rot-Grün bei Einfüh-
rung des EEG überhaupt nicht thematisiert wurde. Das
war für Sie überhaupt kein Thema. Wir taten uns in der
Großen Koalition schwer, hier etwas zu entwickeln, und
sind jetzt zwangsweise in der Situation, Sorge dafür zu
tragen, die schwankenden Stromaufkommen an den Ver-
brauch anzupassen bzw. umgekehrt. Das ist eine große
Herausforderung, und ich meine schon, dass man das an
der Stelle einmal festhalten muss.

Lassen Sie mich einen Bereich ansprechen, der heute
noch keine Rolle gespielt hat: den Verkehr. Zu diesem
Thema gibt es allerhand Stilblüten.


(Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Wollen Sie noch zu dieser Sammlung beitragen?)


Es gab sogar einmal die Forderung, die Tankstellen
müssten Fahrkurse für ihre Kunden anbieten, um ihnen
beizubringen, wie man benzinsparend fährt. Ich frage
mich, warum sie daran Interesse haben sollten. Es sind
ganz seltsame Dinge, die Sie vorschlagen. Es wäre viel
sinnvoller, anzuerkennen, dass sich etwas tut, und zwar
dank deutscher Ingenieurkunst.


(Beifall des Abg. Torsten Staffeldt [FDP])


Was sich in der Automobilindustrie abspielt, ist großar-
tig. Das sollte man an dieser Stelle würdigen. Das
Thema Mobilität ist ein soziales Thema. Sie sollten mit-
diskutieren, aber nicht so abwegig, wie Sie das sonst tun,
sondern konzentriert auf die Frage: Wie stellen wir si-
cher, dass Mobilität auf dem Land und in sozial schwä-
cheren Bevölkerungskreisen gewährleistet ist?


(Ulrich Kelber [SPD]: Machen Sie den Ingenieuren nicht so lasche Zielvorgaben! Trauen Sie den Ingenieuren mehr zu! Sie sind des Ingenieurs Feind, Herr Dr. Nüßlein!)


Wir haben etliches zum Thema Wärme gehört, zu
dem hohen Potenzial, das in diesem Bereich schlum-
mert, und auch zur Blockade der Bundesländer gegen-
über unseren Vorschlägen zur steuerlichen Förderung
der Gebäudesanierung.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Steuerliches Diktat!)


Dass der Kollege Hempelmann versucht, das als sozial-
politischen Akt zu tarnen, finde ich schon bemerkenswert.
Da waren die Bundesländer sehr viel ehrlicher. Sie haben
klar gesagt: Wir können bzw. wollen uns das nicht leisten.
Wir haben für diesen Bereich keine Mittel übrig. – Sie ha-
ben nicht gesagt, dass sie unser Gesetz blockieren, weil es
unsozial sei. Natürlich können Renovierungen nur bei je-
nen gefördert werden, die Häuser haben und Steuern zah-
len; das ist klar. Insofern denke ich, dass Ihre Kritik nicht
berechtigt ist. Ich weise trotzdem darauf hin, dass wir
auch in diesem Bereich ständig neue Standards setzen
bzw. Standards erhöhen und dadurch Investitionshemm-
nisse besonderer Art aufbauen. Die Bautätigkeit ist trotz
guter Konjunkturlage in unserem Land nicht so, wie ich es
mir vorstelle. Man sollte sich darüber Gedanken machen,
ob das nicht vielleicht auch an unseren Anforderungen
liegt.

Zum Thema „Verpflichtung zur Wärmeauskoppelung
bei fossilen Kraftwerken“, wie von den Grünen gefor-
dert, muss man sagen: Erstens. Dafür braucht man eine
Wärmesenke. Das ist schon bei den Biogasanlagen
– dort haben wir die Verpflichtung bereits umgesetzt –
vielfach nicht einfach. Zweitens. Wir brauchen fossile
Kraftwerke für den Ausgleich der Schwankungen im Be-
reich der erneuerbaren Energien. In Bayern wird mo-
mentan der Versuch unternommen, Investoren für den
Bau von Gaskraftwerken zu finden. Die sagen uns aber:
Wenn wir nur unter der Voraussetzung einspeisen dür-
fen, dass die Sonne nicht scheint und der Wind nicht
weht, dann investieren wir nicht; denn es ist nicht zu er-
warten, dass sich das rentiert. Das ist eine schwierige
Gemengelage. Wir haben noch nicht geklärt, wie wir sie
motivieren können, zu investieren. Eine generelle Wär-
meauskoppelungspflicht vorzusehen, halte ich für einen
komplett falschen Ansatz.

Zur Europäischen Union. Eine Energieeinsparquote
für Unternehmen von 1,5 Prozent jährlich halte ich für
sehr bürokratisch. Aus meiner Sicht hat das sogar plan-
wirtschaftliche Züge – das muss man auch dem Kollegen
Oettinger in aller Deutlichkeit sagen –; das ist in dieser
Pauschalität nicht akzeptabel.


(Beifall des Abg. Torsten Staffeldt [FDP])


Wir werden erleben, dass die Grenzkosten von Periode
zu Periode steigen, was das Ganze deutlich schwieriger
macht. Der EU muss man ins Stammbuch schreiben,
dass sie sich nicht immer gegen den Wettbewerb der
Ideen wenden und alles pauschal gleichmachen sollte.
Subsidiarität und Demokratie wären gerade in einer
schweren europäischen Krise ein Gebot der Stunde.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610300

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erinnern wir uns an das Jahr 2007. Die Bundeskanzlerin
Merkel hat sich damals als Klimakanzlerin inszeniert.
Damals wurde unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft
das Ziel formuliert, 20 Prozent des Energieverbrauchs
bis 2020 einzusparen. Das hörte sich sehr ambitioniert
an. Wie sieht die Realität aus? Man muss sagen: nieder-
schmetternd und frustrierend. Weder auf EU-Ebene noch





Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

auf Bundesebene wurden Instrumente gesetzlich veran-
kert, mit denen das ehrgeizige Ziel „mehr Energieeffi-
zienz“ erreicht werden kann. Die EU-Kommission muss
nun feststellen, dass die Mitgliedstaaten ihr Ziel weit
verfehlen werden.

Umweltverbände, NGOs und meine Fraktion haben
zahlreiche intelligente Vorschläge unterbreitet, wie mehr
Energieeffizienz erreicht werden kann. Es mangelt nicht
an Ideen oder Vorschlägen. Woran es der Bundesregie-
rung mangelt, ist der Wille, die Interessen der großen
Konzerne und des BDI bei der dringend notwendigen
Energiewende hintanzustellen; das geht zulasten des Kli-
maschutzes und einer für alle Menschen bezahlbaren
Energieversorgung.


(Beifall bei der LINKEN – Torsten Staffeldt [FDP]: Legen Sie einmal die Scheuklappen ab!)


Das erklärt die Untätigkeit der Bundesregierung in Sa-
chen Energieeffizienz auf nationaler Ebene und ihre un-
sägliche Rolle auf europäischer Ebene.

Ihren angeblichen Zielen zum Trotz blockiert und
verwässert die Bundesregierung die aktuelle Richtlinie.
Sie verhindert auf diese Weise, dass Energiesparziele
rechtlich verbindlich verankert werden. Die Industrie
soll nicht zu mehr Effizienz verpflichtet werden, und
dies, obwohl sie sich durch die klimaschädliche und ge-
fährliche Energienutzung in Milliardenhöhe bereichert
hat. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund skanda-
lös, dass die neue Richtlinie ursprünglich den Zweck
hatte, das während der deutschen EU-Ratspräsident-
schaft unter Kanzlerin Merkel beschlossene Einsparziel
doch noch zu erreichen. Die Bundesregierung konter-
kariert ihre eigenen Ziele.

Bundeswirtschaftsminister Rösler verweigert sich,
wenn es darum geht, ein deutliches Zeichen für Klima-
schutz und bezahlbare Energieversorgung zu setzen.
Während die großen Energiekonzerne verschont bleiben,
sind die Verbraucherinnen und Verbraucher gezwungen,
die steigenden Energiekosten, die durch mehr Effizienz
eigentlich verhinderbar wären, zu tragen. Die Bundesre-
gierung beweist damit zum wiederholten Male, dass sie
beim Thema Energie zweigleisig fährt. Ihre offiziell ver-
kündeten umweltpolitischen Ambitionen wirken un-
glaubwürdig; nein: Sie sind unglaubwürdig.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn es um Fragen der Energieeffizienz geht, de-
monstriert die Bundesregierung ihren desaströsen Hang,
wirtschaftliche Interessen großer Energiekonzerne vor
das Gemeinwohl zu stellen. Sie blockiert innovative
Ideen und damit jegliche Chance, rechtzeitig eine Ener-
giewende in Gang zu bringen, die die Natur schützen,
Energie für die Menschen bezahlbar machen und zusätz-
lich zahlreiche Arbeitsplätze schaffen kann. Verpflichten
Sie die Industrie zu mehr Energieeffizienz! Schützen Sie
Verbraucherinnen und Verbraucher vor zu hohen Ener-
giekosten! Setzen Sie die Energieeffizienzrichtlinie so-
zial gerecht um! Auch die Energiekonzerne müssen end-
lich zur Kasse gebeten werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610500

Der Kollege Torsten Staffeldt hat für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1713610600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Frau Nestle, ich möchte Sie
direkt ansprechen, da Sie die erste Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt waren. Sie erwarten viel Lob für
den Antrag, den Sie heute vorgelegt haben. Es tut mir
schrecklich leid, aber damit können wir nicht dienen.

Verstand sieht jeden Unsinn, Vernunft rät, manches
davon zu übersehen.

Das kann man ganz explizit auf Ihren Antrag beziehen.

Wir reden hier über Energieeffizienz, über Kraft-
Wärme-Kopplung. Die grundsätzlichen Überlegungen
dazu sind in der Physik festgelegt. Es gibt den Zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik, den wahrscheinlich die
wenigsten von Ihnen kennen; davon gehe ich zumindest
aus.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn jetzt Ihr Problem mit dem Antrag? – Gegenruf des Abg. Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Hören Sie zu!)


Er besagt schlicht und einfach, dass es kein Perpetuum
mobile gibt, dass man bei allen Energieumwandlungs-
prozessen mit Verlusten rechnen und arbeiten muss. Vor
diesem Hintergrund ist es besonders interessant, welche
Vorschläge hier vonseiten der Opposition vorgebracht
werden, wie man die Situation verbessern könnte. Wenn
Sie das Perpetuum mobile konstruieren können, dann
machen Sie das; aber glauben Sie nicht, dass Sie zusam-
men mit der Koalition die Physik betrügen können. Das
klappt nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie sollten uns nicht unterschätzen! – Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Problem mit dem Antrag? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Perpetuum mobile kommen Sie nicht weiter! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal etwas Konkretes!)


Bei den Zielen gibt es, denke ich, sehr große Überein-
stimmungen. Wir haben alle das Ziel, die Energieeffi-
zienz zu steigern. Kollege Nüßlein hat aber zu Recht da-
rauf hingewiesen, dass in vielen Bereichen, insbesondere
in der Industrie, die Energieeffizienz kaum noch zu stei-
gern ist bzw. die Kosten für eine Steigerung der Energie-
effizienz in keinem gesunden Verhältnis mehr zu dem
Nutzen stehen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])






Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)

Hier beziehe ich mich ganz explizit auf meinen Kollegen
Breil – er wurde heute schon mehrfach zitiert –, der ganz
klar gesagt hat: Die Wirtschaft wird das schon machen.


(Dirk Becker [SPD]: Ja, das ist ja das Schlimme!)


Sie hat das auch schon gemacht. Ich bin seit 1997/1998
als selbstständiger Energieeffizienzberater in einem spe-
ziellen Segment der Industrieenergieversorgung tätig.
Ich kann Ihnen aus meiner ganz persönlichen Erfahrung
sagen: Sie selber haben Interesse daran. Kollege Pfeiffer
hat heute richtigerweise darauf hingewiesen, dass nicht
nur die Industrie, sondern auch die Menschen, die Im-
mobilienbesitzer, ein großes Eigeninteresse daran haben,
die Energieeffizienz zu steigern und ihre Kosten zu sen-
ken und so dafür zu sorgen, dass sie wirtschaftlicher
handeln bzw. leben können.

Worüber wir hier streiten, ist der Weg, wie wir diese
Ziele erreichen können. Es ist aus meiner Sicht mehr als
interessant, zu sehen, wie sich die Oppositionsfraktionen
darstellen. In der stärksten und aus meiner Sicht unge-
sündesten Ausprägung ist dies bei den Linken zu sehen,
die über Ziele, Verpflichtungen, Verbote und sogar Kon-
trollen reden. Über den Geist, der dort herrscht, kann ich
nur sagen: Diesen Geist möchte ich in unserem Land nie
wieder sehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider gilt diese Kritik auch für die SPD und für die
Grünen, die ebenfalls über Verpflichtungen die Men-
schen zu dem zwingen wollen, was sie für richtig halten.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie vorhin nicht zugehört?)


Man kann das, was hier angestrebt wird, durchaus als
Ökodiktatur oder als Ökosozialismus bezeichnen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Becker [SPD]: Ihr habt ja einen Kasperleladen!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Solange die christlich-liberale
Koalition das Sagen hat – und das wird noch lange so
sein –,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Welt leben Sie? – Dirk Becker [SPD]: Der Quatsch Comedy Club sucht noch Schauspieler!)


so lange werden wir die Ziele, die von den Kolleginnen
und Kollegen vorgestellt wurden, weiter verfolgen. Wir
wollen die Menschen überzeugen, wir wollen, dass sie
mitmachen, wir wollen das Eigeninteresse stärken. Wir
gehen fest davon aus, dass wir diese Ziele mithilfe eines
Fördersystems erreichen werden.

Ich komme zum Schluss.


(Dorothée Menzner [DIE LINKE]: Das wurde auch Zeit!)

Das theatralische Auftreten von Frau Nestle am Anfang
der Debatte war bezeichnend. Dazu fällt mir nur ein Zi-
tat ein: Auch die Bretter, die man vor dem Kopf hat,
können die Welt bedeuten.

Schönen Tag noch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Jetzt wissen wir ungefähr, wie Sie Effizienzberatung machen! – Dirk Becker [SPD]: Wandertheater!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610700

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Jens Koeppen für die Unionsfraktion.


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1713610800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich versuche einmal, die lange Debatte ein
bisschen zusammenzufassen.

Wir haben vor einigen Monaten beschlossen, die
Energieversorgung in Deutschland grundlegend neu aus-
zurichten. Deswegen finde ich es gut, dass es immer
wieder Anträge gibt, aufgrund derer wir hier im Plenum
darüber reden, ob wir auf dem richtigen Weg sind und
wie weit wir sind. Das war es allerdings schon an positi-
ven Anmerkungen, vor allen Dingen zum Antrag der
Grünen. Dieser ist aus meiner Sicht kontraproduktiv und
dürftig; denn es geht nicht genau daraus hervor, was Sie
eigentlich wollen. Herr Becker und Herr Hempelmann
waren da schon wesentlich konkreter.

Ich beziehe mich jetzt insbesondere auf den Antrag
der Grünen. Sie nehmen vor allen Dingen Bezug auf die
Energieeffizienzrichtlinie 2011 der Europäischen Kom-
mission. Darin heißt es, dass die Maßnahmen unser All-
tagsleben verändern werden. Darin heißt es auch, dass
pro Jahr und pro Haushalt Energie im Wert von bis zu
1 000 Euro eingespart werden kann.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie das gelesen?)


– Im Energieeffizienzplan 2011 der Europäischen Kom-
mission.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht in der Richtlinie!)


– Aber sicherlich. – Dort steht auch, dass es bis zu 2 Mil-
lionen Arbeitsplätze zu schaffen gilt und dass die Treib-
hausgasemissionen jährlich um bis zu 740 Millionen
Tonnen gesenkt werden können. Das ist der Plan; da ge-
hen wir d’accord. Aber wie es im Leben manchmal ist:
Unser Ziel ist ähnlich, aber der Weg ist ein anderer.

Was Sie machen, finde ich etwas unredlich. Sie sagen:
Deutschland bremst massiv.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ich darf Sie aber daran erinnern, dass es Deutschland
war, das die 20-20-20-Ziele – 20 Prozent mehr Energie-
effizienz, 20 Prozent mehr erneuerbare Energien und





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)

20 Prozent weniger Treibhausgasemissionen – in Europa
durchgesetzt hat. Sie wissen auch, dass es im Rahmen
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft von Angela
Merkel sehr schwierig war, sich darauf zu verständigen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713610900

Kollege Koeppen, gestatten Sie eine Frage der Kolle-

gin Nestle?


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1713611000

Nein, ich fasse jetzt zusammen, und damit ist die De-

batte beendet. Das reicht dann auch.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, so!)


Wenn Sie das erreicht hätten, hätten Sie wahrschein-
lich Trittin-Gedenktage abgehalten. Wir waren es aber,
die das durchgesetzt haben, und wir werden diesen Weg
auch weitergehen.

Was wir allerdings nicht machen werden – das sagen
wir ganz deutlich –, ist, jeden Vorschlag irgendeines EU-
Beamten unkritisch auf nationaler oder auf EU-Ebene
durchzuwinken; so verstehen wir die Europapolitik
nicht; denn das bringt weder Deutschland noch Europa
noch die Energie- und Klimapolitik voran.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fassen nichts zusammen!)


In Europa gibt es aus meiner Sicht ab und zu Aktionis-
mus. Denken wir nur einmal an das Debakel mit dem
Glühlampenverbot.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Da wird ohne Sinn und Verstand etwas verboten und
dann eine billige asiatische Energiesparlampe in den
Markt eingeführt. Es wird nicht gefragt: Wie forschen wir
an der LED weiter? Wie gehen wir damit um? Wir müs-
sen nicht jeden Mist umsetzen. Das ist purer Aktionis-
mus. Nicht alles, was aus Brüssel kommt, ist unstrittig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nur Mist aus Brüssel!)


Warum sollen wir Dinge fordern und beschließen, die
wir längst umgesetzt haben oder die längst auf dem Weg
sind? Ich möchte nur an die Forderung in Ihrem Antrag
in Bezug auf die Verpflichtung zur öffentlichen Beschaf-
fung, an die Forderung zum KWK-Zuschlag oder an die
Forderung der Unterstützung von Mini-KWK erinnern.
Diese Maßnahmen sind längst auf dem Weg und werden
bereits vorangetrieben. Sie sollten nicht ständig neue
Zielmarken setzen und nur wiederholen, was bereits be-
schlossen ist. Sie sollten lieber vor Ort mit uns gemein-
sam und in den Ländern, für die Sie Verantwortung tra-
gen, dafür sorgen, dass der Bau neuer Anlagen im
Bereich der erneuerbaren Energien, effizienter Kraft-
werke – Datteln 4 wurde bereits mehrfach erwähnt –, der
Aufbau neuer Netze und Demonstrationen neuer Tech-
nologien vorangetrieben werden. Es muss nicht immer
CCS das Thema sein. Das ist der Weg zu CCU, also der
Weg zur Nutzung von CO2. Auch das Hybridkraftwerk
in der Uckermark, in meinem Heimatwahlkreis, das am
Dienstag eröffnet wurde, ist ein Beitrag zur effizienten
Speicherung von erneuerbaren Energien. Da können wir
vor Ort gemeinsam mitwirken. Da machen Sie sich dann
aber meist vom Acker. Deswegen nehmen wir Ihnen die-
sen Antrag auch nicht ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen mit den Menschen und mit den Unterneh-
men gemeinsam mehr Energieeffizienz umsetzen. Dazu
brauchen wir den gesellschaftlichen Konsens. Maßnah-
men und Regelungen dürfen die Menschen nicht über-
fordern. Wir müssen sie zum Umdenken anregen und sie
ermutigen, beim Energiesparen mitzumachen. Wenn die
Energie- und Klimapolitik keine Akzeptanz findet, dann
werden wir unsere Ziele in dieser Zeit und in dieser Grö-
ßenordnung nicht erreichen. Für uns steht an oberster
Stelle, dass Energie kein Luxusgut werden darf, weder
heute noch in Zukunft.

Sie setzen auf Druck, damit die Menschen ihren Ener-
gieverbrauch reduzieren. Sie wollen die Energie verteu-
ern und verknappen. Am Ende wird eine große Umver-
teilungsmaschine in Gang gesetzt, die wir so nicht
mittragen können. Sie sprechen in Ihrem Antrag von der
Ausreichung eines Klima-Wohngeldes. Wahrscheinlich
gibt es irgendwann auch ein Klima-BAföG, ein Klima-
Kindergeld oder ein Klima-Essensgeld, weil sich viele
Menschen die Energieeffizienz à la Bündnis 90/Die Grü-
nen nicht werden leisten können. Das ist nicht unser
Weg. Ich warne davor, die Energie so zu verteuern, dass
sie sich die Menschen nicht mehr leisten können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Wer verteuert denn die Energie? – Gegenruf des Abg. Klaus Breil [FDP]: Sie verteuern die Energie! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch Luftblasen!)


Unser Weg ist ein anderer. Innovation ist der wich-
tigste Schritt zur Erreichung dieser Ziele. Wir brauchen
neue Produkte und neue Dienstleistungen, weitgehende
Technologieoffenheit, die Bereitschaft zu Innovationen,
um positive Anreize zu setzen, und vor allen Dingen
– das ist fast noch gar nicht genannt worden – mehr Geld
für Energieforschung. Wir müssen in der Energiefor-
schung Anreize schaffen, damit wir Objekte wie das Hy-
bridkraftwerk in der Uckermark umsetzen können. Das
ist aus unserer Sicht von entscheidender Bedeutung.

Mit der neuen Energie- und Klimapolitik wird sich
für die Menschen in der Tat viel verändern; da gebe ich
der Energieeffizienzrichtlinie und dem Energieeffizienz-
Aktionsplan völlig recht. Man muss den Menschen auch
sagen, dass diese Ziele nicht zum Nulltarif zu haben
sind. Aber es darf nicht nur zulasten der Menschen ge-
hen, wenn auch andere Maßnahmen den gewünschten
Erfolg zeigen. Wir müssen die Menschen mitnehmen.
Wir müssen sie aufklären. Wir müssen Vertrauen in sie
haben, auch Vertrauen in die Unternehmen. Wir müssen





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)

Anreize schaffen, statt Gängelei zu betreiben. Das ist aus
unserer Sicht der richtige Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713611100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen – – Ich korrigiere mich, Entschuldi-
gung. Ich war vom großen Interesse der Kolleginnen und
Kollegen am folgenden Tagesordnungspunkt so faszi-
niert, dass ich gleich dazu übergehen wollte. Ich schließe
die Aussprache also noch nicht.

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Nestle das
Wort.


Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713611200

Herzlichen Dank. – Herr Koeppen, Sie haben die 20-

20-20-Ziele der Bundeskanzlerin, die sie 2007 verhan-
delt hat, darunter auch das 20-Prozent-Energieeffizienz-
ziel, ausdrücklich gelobt und rühmend hervorgehoben.
Ich habe Herrn Rösler letzte Woche persönlich hier im
Plenum gefragt, ob er sich weiterhin zu dem 20-Prozent-
Ziel bekennt, wie Frau Merkel es verhandelt hat, näm-
lich in Bezug auf eine Baseline. Er hat mir extrem aus-
weichend geantwortet und gesagt: Ich finde das 1,5-Pro-
zent-Ziel schlecht. – Er hat sich also nicht dazu bekannt.

Ich habe deshalb schriftlich nachgefragt. Heute früh
habe ich die Antwort bekommen. Das Wirtschaftsministe-
rium bekennt sich nicht mehr zu dem 20-Prozent-Ziel, wie
Frau Merkel es damals verhandelt hat, bezogen auf eine
Baseline. Das ist besonders interessant, weil das 20-Pro-
zent-Ziel der Bundesregierung gegenüber 2008 bis 2020
numerisch fast genau dem EU-Ziel entspricht. Sie sagen
also: Wir wollen hier in Deutschland das 20-Prozent-
Ziel erreichen, aber in der EU setzen wir uns dagegen
ein. Wir wollen nicht, dass die anderen Länder mithel-
fen. In Deutschland wollen wir etwas tun. Aber die ande-
ren Länder sollen keinen Beitrag leisten. – Ich frage Sie:
Stehen Sie zu dem 20-Prozent-Energieeffizienzziel, wie
Frau Merkel es 2007 verhandelt hat – eben haben Sie es
sehr gelobt –, oder sehen auch Sie tatenlos dabei zu, wie
Minister Rösler dieses Ziel in Brüssel gerade aufgibt?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713611300

Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung.


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1713611400

Ganz kurz: eindeutig Ja. Wir bekennen uns dazu. Ich

weiß nicht, mit wem Sie Brieffreundschaften pflegen
und welche Antworten Sie bekommen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe diesen Brief nicht gelesen. Wir stehen zu den
Zielen, die wir 2007 formuliert haben, und natürlich
auch zu dem Klima- und Energiepaket, das wir im
Sommer dieses Jahres beschlossen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzen Sie sich auch dafür ein!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713611500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/7462 und 17/6927 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel
„Die Energiewende gelingt nur mit KWK“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7516, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/6084 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-
gen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Am Ausbau der
hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung festhalten“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/4492, den Antrag der Fraktionen der SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3999 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 c sowie
den Zusatzpunkt 4 auf:

35 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Statistik der Überschuldung privater Personen

(Überschuldungsstatistikgesetz – ÜSchuldStatG)


– Drucksache 17/7418 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Veronika
Bellmann, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold
Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Oliver
Luksic, Patrick Döring, Werner Simmling, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Weißbuch Verkehr – Auf dem Weg zu einer
nachhaltigen und bezahlbaren Mobilität

– Drucksache 17/7464 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kein CASTOR-Transport nach Gorleben zu
Lasten des Strahlenschutzes – Zwischenlage-
rung hochradioaktiver Wiederaufarbeitungs-
abfälle verursachergerecht neu gestalten

– Drucksache 17/7465 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Masterplan Straßenverkehrssicherheit – Am-
bitioniertes Nationales Verkehrssicherheits-
programm 2011 – 2020 vorlegen

– Drucksache 17/7466 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 o auf.
Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 36 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des Austauschs von straf-
registerrechtlichen Daten zwischen den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union und zur
Änderung registerrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 17/5224 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/7415 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Sebastian Edathy
Marco Buschmann
Halina Wawzyniak
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/7415, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/5224 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 b:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungs-
gesetzes

– Drucksache 17/7334 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss)


– Drucksache 17/7517 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Swen Schulz (Spandau)

Patrick Meinhardt
Agnes Alpers
Kai Gehring

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 17/7517, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/7334 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion,
der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Tagesordnungspunkt 36 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Vorschlag für eine Verordnung über die
elektronische Fassung des Amtsblatts der
Europäischen Union

– Drucksache 17/7144 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/7512 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Burkhard Lischka
Manuel Höferlin
Raju Sharma
Ingrid Hönlinger

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/7512, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/7144 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchte, erhebe sich bitte. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an das Ge-
meinsame Wattenmeersekretariat – Common
Wadden Sea Secretariat (CWSS) (CWSS-
RechtsG)

– Drucksache 17/6612 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/7491 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Frank Schwabe
Angelika Brunkhorst
Sabine Stüber
Undine Kurth (Quedlinburg)


Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7491, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 17/6612 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2012

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2012)


– Drucksache 17/7236 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/7518 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinz Riesenhuber

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7518, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/7236 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Fraktion Die
Linke enthält sich.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neufassung des Erdölbevorratungsgeset-
zes und zur Änderung des Mineralöldatenge-
setzes

– Drucksache 17/7273 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/7519 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7519, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/7273 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke bei
Zustimmung der übrigen Fraktionen des Hauses ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 36 g:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Vergaberechts für die Berei-
che Verteidigung und Sicherheit

– Drucksache 17/7275 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksache 17/7520 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7520, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/7275 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 h:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 25. November 2010 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Fürsten-
tum Andorra über den Informationsaus-
tausch in Steuersachen

– Drucksache 17/7145 –

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und Antigua und Bar-
buda über den Informationsaustausch in
Steuersachen

– Drucksache 17/7146 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/7441 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Holger Krestel

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7441, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache
17/7145 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen
der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen.

Für diejenigen, die uns das erste Mal bei diesem Pro-
zedere zusehen, sei gesagt: Hier wird, da es um ein Ver-
tragsgesetz geht, gleich endgültig abgestimmt.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7441, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/7146 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 36 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 324 zu Petitionen

– Drucksache 17/7361 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 324 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 36 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 325 zu Petitionen

– Drucksache 17/7362 –





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 325 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 326 zu Petitionen

– Drucksache 17/7363 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 326 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 36 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 327 zu Petitionen

– Drucksache 17/7364 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 327 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 36 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 328 zu Petitionen
– Drucksache 17/7365 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 328 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 329 zu Petitionen
– Drucksache 17/7366 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 329 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-
Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 330 zu Petitionen

– Drucksache 17/7367 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 330 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenom-
men.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnungspunkte
ohne Debatte. Ich bedanke mich recht herzlich für die
gute Zusammenarbeit.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP

Demokratischer Sozialismus und soziale
Marktwirtschaft im Grundsatzprogramm der
LINKEN


(Beifall bei der LINKEN)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1713611600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir kommen zu einem aus meiner Sicht in der
Tat unglaublichen und erschreckenden Tagesordnungs-
punkt.


(Lachen und Beifall bei der LINKEN)


Dass Sie, meine Damen und Herren von der Linken,
21 Jahre nach der deutschen Einheit in Ihrem Grundsatz-
programm – dazu haben Sie gerade auch noch applau-
diert – einen Systemwechsel fordern, weg vom erfolg-
reichsten System, das es auf der Welt zur Schaffung von
Wohlstand, sozialem Ausgleich und Fortschritt gibt, hin
zu einem demokratischen Sozialismus


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sieht man jetzt, wie erfolgreich das ist!)


– applaudieren Sie nur, damit die Menschen sehen, wo-
für Sie sind –, der nicht nur in der Sache bewiesen hat,
dass er das schlechtere Gesellschaftsmodell ist, weil er
nichts zustande gebracht hat,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Absolut gar nicht! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


sondern in dessen Namen und Abarten auch Massenver-
nichtung von Menschen betrieben wurde – von der DDR
über die Sowjetunion bis nach China –, ist unvorstellbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das glauben Sie doch selber nicht! – Zuruf von der LINKEN: Dafür sind Sie noch zu jung!)


Durch einen demokratischen Sozialismus wollen Sie das
erfolgreichste System ersetzen, die soziale Marktwirt-
schaft,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Soziale Marktwirtschaft bei der Deutschen Bank! Ackermann!)






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

deren Ordnungsprinzip der Wettbewerb ist und die es
über den Wettbewerb auf dem Gütermarkt, dem Arbeits-
markt und dem Finanzmarkt schafft, Effizienzpotenziale
zu heben und diese dem Verbraucher und dem Bürger
zugutekommen zu lassen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Bravo! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Lieber sozial als marktradikal! – Nicht aus dem Konzept bringen lassen! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713611700

Sie haben noch immer das Wort und im Übrigen die

Verstärkung des Mikrofons.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1713611800

Die brauche ich nicht. Ich lasse die ausschreien. Dann

versuche ich, meine Argumente weiter vorzutragen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Perpetuum mobile von vorhin!)


Sie wollen die soziale Marktwirtschaft, die es über
Wettbewerb schafft, einen Ausgleich herbeizuführen,
und zwar besser, als es in der DDR der Fall war – dort
musste man 20 Jahre auf ein Auto warten, während es
bei uns verschiedene Autos gab und jeder Kühlschränke
und viele andere Dinge mehr hatte –, durch einen demo-
kratischen Sozialismus ersetzen. Das ist wirklich aben-
teuerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie wollen einen Systemwechsel auch in Bereichen,
in denen es natürliche Monopole gibt. Wir haben heute
Morgen über die Telekommunikation gesprochen. Wäh-
rend man in der DDR in der Regel 20 Jahre auf einen Te-
lefonanschluss warten musste und zehn Menschen ein
Telefon nutzen mussten,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Deutsche Bank ist kein Monopol?)


haben wir über den Wettbewerb die nicht nur in Europa,
sondern in der ganzen Welt beste Breitbandversorgung
in Deutschland organisieren können.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Deutsche Bank! Die Rüstungskonzerne!)


Wir haben dort, wo der Wettbewerb nicht funktionierte,
entweder über die Kartellämter und das Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkung oder bei einem natürlichen
Monopol über Regulierung dafür gesorgt,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Weltmeister der Logik!)


dass der Wettbewerb wieder funktioniert.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Stromkonzerne!)


Dass der Wettbewerb zum Beispiel auf dem Finanzmarkt
oder im Energiebereich nicht optimal funktioniert, liegt
nicht daran, dass es dort zu viel Wettbewerb gibt, son-
dern daran, dass es dort zu wenig Wettbewerb und zu
wenig soziale Marktwirtschaft gibt. Deshalb brauchen
wir mehr soziale Marktwirtschaft und nicht weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)


Die soziale Marktwirtschaft sorgt für einen Aus-
gleich, indem sie durch die Hebung der Effizienzpoten-
ziale dem Bürger Vorteile in Form von niedrigeren Prei-
sen und Effizienzgewinnen bringt. Darin war sie in den
letzten 60 Jahren sehr erfolgreich.


(Beifall des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP] – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das steht alles im Programm drin!)


Was stellen Sie ihr gegenüber? Planwirtschaft, Diri-
gismus, Enteignung und Unfreiheit. Leider kann man in
fünf Minuten nicht den ganzen Scheiß, den Sie da be-
schlossen haben, auch nur in Ansätzen hier vortragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Rüge!)


Aber Sie schreiben tatsächlich in Ihrem Programm, zu
den Erfahrungen der Menschen im Osten Deutschlands
gehörten die Beseitigung der Erwerbslosigkeit, die Ei-
genständigkeit der Frauen und weitgehende Überwin-
dung von Armut,


(Beifall bei der LINKEN)


und die Verstaatlichung der Großindustrie und der Ban-
ken hätte die wirtschaftliche Tätigkeit auf das Gemein-
wohl und den Schutz der Beschäftigten vor Ausbeutung
ausgerichtet. Die Einheit sehen Sie als bloßen Beitritt
und einen für viele Menschen schmerzlichen sozialen
Absturz.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau so ist es!)


Das ist Verleumdungstaktik. Sie gießen Hohn über
diejenigen, die in diesem Land fleißig arbeiten und Steu-
ern zahlen, Hohn über alle Mauertoten und Hohn über
Abertausende von Familien, die am real existierenden
Sozialismus zugrunde gegangen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Ackermann!)


Zwangsadoptionen, Folter, Todesstrafe – das war Ihr
System, und das wollen Sie wieder einführen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Lesen Sie mal nach!)


Nicht mit uns, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713611900

Ich nehme erst einmal zur Kenntnis, dass die Antrag-

steller einer Fraktion hier im Hause offensichtlich eine
große Freude gemacht haben. Trotz alledem bitte ich die
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, wenn
sie von ihrem Recht auf Zwischenrufe, die die Debatte





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

beleben, Gebrauch machen, zu gewährleisten, dass wir
auch den Redner verstehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie, Kollege Pfeiffer, bitte ich, Ihre Rede im Nachhi-
nein auf einen unparlamentarischen Ausdruck zu über-
prüfen, den ich hiermit einfach zurückweise, ohne ihn zu
wiederholen.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wenn es doch stimmt!)


Nun hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1713612000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erste

Bemerkung: Die Partei Die Linke hat in den letzten Wo-
chen und Monaten einschließlich ihrer Grundsatzpro-
grammdebatte massiv dazu beigetragen, den Begriff „de-
mokratischer Sozialismus“ in Misskredit zu bringen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Klaus!)


Sie erleichtert damit – das haben wir gerade gehört – all
denjenigen das Geschäft, die die bestehenden Macht-
und Verteilungsverhältnisse unter Hinweis auf die an-
gebliche Alternativlosigkeit auf Ewigkeit festschreiben
wollen.

Zweitens. Die Sozialdemokratie wird es nicht zulas-
sen, dass Begriff und Inhalt des demokratischen Sozia-
lismus diskreditiert werden,


(Zuruf von der LINKEN: Das hat Olaf Scholz schon gemacht!)


sei es durch falsche Inanspruchnahme, sei es durch den
durchschaubaren Versuch von Konservativen und Libe-
ralen, Feindbilder aufzubauen oder wiederzubeleben.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das vorhin war die Pflicht, jetzt kommt die Kür!)


Wir werden unsere Tradition, unsere Wertorientierung
und unsere Ziele nicht verleugnen. Im Gegenteil: In Zei-
ten wie diesen sind sozialdemokratische Grundwerte,
Orientierung und Handeln mehr gefragt denn je.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sehen auch wir so!)


Drittens. Der Regierungskoalition und den sie tragen-
den Parteien fehlt jede Legitimation, die soziale Markt-
wirtschaft für sich zu reklamieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das belegt nicht zuletzt ihr Umgang mit der internatio-
nalen Finanzkrise. Die Politik dieser Koalition hat weder
etwas mit Markt noch mit Wirtschaft im positiven Sinn
und erst recht nichts mit „sozial“ zu tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Viertens. Bei immer mehr Menschen wachsen die
Distanz und die Kritik gegenüber dem jetzigen wirt-
schaftlichen und politischen System.


(Zurufe von der LINKEN: Genau! Richtig!)


Tiefgreifende Veränderungen sind in der Tat notwendig,
um mehr Gerechtigkeit herzustellen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


für gute Arbeit und Nachhaltigkeit zu sorgen, um Krisen
wirksam zu bekämpfen und mehr Demokratie durchzu-
setzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die SPD-Bundestagsfraktion ist deswegen jederzeit und
gerne bereit, über die langen Linien der künftig notwen-
digen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu diskutie-
ren.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Auch mit Steinbrück!)


Aber darum geht es Union und FDP heute nicht; viel-
mehr haben die Koalitionsfraktionen vor, mit einem
oberflächlichen Schlagabtausch à la Pfeiffer


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


vom Scheitern der eigenen Regierungspolitik und vom
Scheitern der ihr zugrunde liegenden Ideologien abzu-
lenken.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir haben keine Ideologien! Aber das ist interessant, dass die SPD auch den demokratischen Sozialismus will!)


Dafür bieten Sie heute hier sage und schreibe sechs Red-
ner auf.

Wir sehen das in der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages für Aktuelle Stunden vorgesehene
Kriterium – ich zitiere – „von allgemeinem aktuellen In-
teresse“ als nicht gegeben an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch! Doch!)


Deswegen verzichtet die SPD-Bundestagsfraktion auf
die restliche ihr zur Verfügung stehende Redezeit im
Rahmen dieser Aktuellen Stunde.


(Oliver Luksic [FDP]: Da fällt Ihnen wenig ein!)


Wir hoffen, dass diese Zeit später genutzt werden
kann, um die Themen hier früher und ausführlicher be-
handeln zu können, die die Menschen wirklich bewegen
und uns in der Sache vorwärtsbringen. Wenn Sie auf die
Tagesordnung schauen: Davon gibt es genug.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612100

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Kurth.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Jetzt aber mit einem Wort: Stasi! „Stasi“ muss jetzt kommen! – Gegenruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Der sitzt da drüben, der Stasi! Die Hälfte wahrscheinlich!)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1713612200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die mutmaßlich schwerste Krise Europas seit
dem Kriegsende, dramatische Situationen, wir müssen
Handlungsfähigkeit beweisen, Euro und Europakrise –
da steht auch der Bundestag vor immensen Herausforde-
rungen. Und was macht die Linke? Sie geht unverdros-
sen ihren sozialistischen Gang.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Genau! Weder Ochs noch Esel halten den Sozialismus auf in seinem Lauf!)


Sie stellt ein Programm auf, völlig unabhängig von den
Realitäten. Mit 97 Prozent bei einigen Enthaltungen und
einigen Gegenstimmen wurde die Revolution so be-
schlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will gar nicht darauf eingehen, was für Blüm-
chenthemen behandelt wurden. Übrigens hat es auch
mich geärgert, dass nur die Drogen und solche Dinge
eine Rolle spielten und nicht die Einzelheiten des Pro-
gramms. Darüber müssen wir nun einmal reden. Wer
sich dieses Programm durchliest,


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wer macht denn so was?)


muss sich fragen, ob Sie immer noch der leninistischen
Revolutionstheorie folgen oder vielleicht doch ein Welt-
untergangsverein sind.

Ich finde es übrigens sehr bezeichnend, dass allein
das Auffinden Ihres Programms im Internet oder sonst
wo außerordentlich schwierig ist; es gab es so nicht. Ich
habe versucht, es zu finden. Ich habe dann Fragmente
gefunden. Ich dachte: Mensch, mit Beschluss des Partei-
tages tritt das Ganze „nach meiner Kenntnis … ist das
sofort … unverzüglich“.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nein, es findet sich nichts im Netz.


(Abgeordnete der LINKEN halten Hefte in die Höhe)


– Ich hätte schon gerne gewusst, was in dem leeren Um-
schlag ist, den Sie die ganze Zeit hochhalten. Es ist eine
Hülle, mehr nicht.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir lassen Ihnen ein Programm zukommen!)

Ich gebe Ihnen einen Tipp: Tun Sie es herunter, in die
unterste Schublade. Behalten Sie es dort. Dort und nir-
gendwo anders gehört es hin.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Gleich in der Präambel schreiben Sie: „Wo vor allem
der Profit regiert, bleibt wenig Raum für Demokratie.“


(Beifall bei der LINKEN)

– Applaus. – Das heißt ja im Umkehrschluss: Wo es den
wenigsten Profit gibt, gibt es den meisten Raum für De-
mokratie.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Haben Sie je lohnabhängig gearbeitet?)


Wo gibt es denn den wenigsten Profit auf dieser Welt?
Ich denke da an Nordkorea. Ich denke da an Kuba.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und mit vielen Grüßen an Fidel! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Und an China!)


Glauben Sie ernsthaft, da gibt es den meisten Profit, weil
es da am wenigsten Demokratie gibt? Oder gibt es dort
am meisten Demokratie, weil es den wenigsten Profit
gibt? Unglaublich, was Sie uns hier auftischen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


An anderer Stelle schreiben Sie:
Doch erst die Befreiung aus der Herrschaft des Ka-
pitals und aus patriarchalen Verhältnissen verwirk-
licht die sozialistische Perspektive der Freiheit und
Gleichheit für alle Menschen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: 2 Prozent!)

Dies haben insbesondere Marx, Engels und
Luxemburg gezeigt.


(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage: Was haben Marx, Engels und Luxemburg ge-
zeigt?


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Jedenfalls nicht die Partei für die Besserverdienenden!)


In der Praxis überhaupt nichts; sie haben den Praxistest
nicht bestanden. Der Kollege Marx konnte noch nicht
einmal seine eigene Familie durchbringen, weil er sein
ganzes Geld durchgebracht hat.


(Lachen bei der LINKEN)

Er hat auf Kosten von Herrn Engels gelebt, der wie-
derum Oligarch war, seine Leute ausgepresst hat und die
Zeit dafür verwendete, Das Kapital und Ähnliches zu
schreiben.


(Zurufe von der LINKEN)

Dieses Märchen mit Frau Luxemburg gehört sowieso
aufgeräumt. Frau Luxemburg gehört zu den Ersten, die
gegen die neue, junge Demokratie geputscht haben, und
das muss unsere Gegenwehr finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel für die Geschichts-
verklärung, die Sie hier vornehmen. Sie schreiben in Ih-
rem Grundsatzprogramm doch allen Ernstes über die
Bundesrepublik Deutschland, dass dort die antifaschisti-
schen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämp-
fer unter Repressionen wie erneuten Verhaftungen und
Berufsverboten litten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sagen Sie einmal: Wo leben Sie denn? Das kann doch
wohl nicht wahr sein!

Weiterhin sagen Sie zur Bundesrepublik:

Doch gleichzeitig bestanden autoritäre und obrig-
keitsstaatliche Strukturen fort.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Gegensatz dazu beschreiben Sie die Deutsche De-
mokratische Republik folgendermaßen: „Im Osten
Deutschlands prägte der Sozialismusversuch die Lebens-
geschichte der Menschen …“, „Aufbau einer besseren
Gesellschaftsordnung“, „friedliebendes und antifaschis-
tisches Deutschland“, „Beseitigung von Erwerbslosig-
keit“.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das war die DDR? Das können Sie doch nicht ernsthaft
behaupten! Schauen Sie in die Geschichtsbücher! Fragen
Sie Ihre PDS-Genossen!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Ihr Programm ist reaktionär, geschichtsverklärend, re-
vanchistisch, relativistisch


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Revanchistisch? Vollständig zitieren!)


– Sie arbeiten selektiv; das ist das richtige Stichwort –,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was Sie gerade gemacht haben mit Ihren Zitaten, das war selektiv! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: 2 Prozent!)


etatistisch und – das beweist uns auch heute hier diese
Bundestagsfraktion – außerordentlich hysterisch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie sind im Weiten Extremisten.

Eine rechte Partei würden Sie bei spiegelverkehrter
inhaltlicher Fokussierung dem Dampfhammer Ihrer ge-
samten Sturmtruppen aussetzen.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Hass und Gewalt würden Sie ihr unterstellen.


(Zurufe von der LINKEN: Pfui!)


Sie werden Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht,
aber auch nicht in geringster Weise.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nach dem, was ich hier aufgezählt habe und was ich
lesen konnte, hat Ihr Programm in etwa den gleichen
Fortschrittsgeist wie die heilige Inquisition.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Da ist sie wieder, die Inquisition!)


Nicht einen Schritt nach vorn! Da ist nichts Aufkläreri-
sches – nichts, aber auch in keiner Weise –, was auf den
modernen Staat wirken würde.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Ihr Programm ist ein Konvolut aus Thesen von 1870 und
1970; mehr nicht, überhaupt nicht mehr. Sie arbeiten in
Ihrem Programm ständig mit radikalem Weltuntergangs-
vokabular: Massenerwerbslosigkeit, Unterdrückung
– das kommt 14-mal vor –, das Wirtschaftssystem führe
zu Verelendung, bedrohe die Zivilisation usw. usf.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Von Armut haben Sie noch nichts gehört?)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wer diese Gesellschafts-
ordnung so mit Füßen tritt, der wird den parlamentari-
schen Widerstand der FDP


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nicht mehr lange!)


als freiheitliche und liberale Bastion gegen alles eng-
brüstige, gegen alles reaktionäre und antiaufklärerische
Denken in diesem Hause erfahren. Dafür stehen wir.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612300

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege

Stefan Liebich.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Linke kämpft für eine andere, demokratische
Wirtschaftsordnung,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für eine andere?)


die die Marktsteuerung von Produktion und Vertei-
lung der demokratischen, sozialen und ökologi-
schen Rahmensetzung und Kontrolle unterordnet.


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: FDJ-Rede, oder?)


So steht es in der Präambel unseres am vergangenen Wo-
chenende in Erfurt beschlossenen Programms, und ich
muss Ihnen sagen, mit Blick auf die aktuelle Begrenzt-
heit politischen Einflusses in der Wirtschafts- und Euro-
Krise: Wo Sie wie das Kaninchen auf die Schlange star-
ren, wenn es um die Macht der Banken und Finanz-
märkte geht, wünsche ich mir nichts mehr als eine genau
so organisierte Wirtschaftsordnung.





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN)


Die Tagesordnungen und Zeitpläne nicht nur unseres
Parlaments, sondern vieler Parlamente und Regierungen
– das durften wir gerade gestern und heute Nacht wieder
erleben – werden von Öffnungszeiten und Wünschen der
Börsen bestimmt. Wir streiten monatelang um lächerli-
che Erhöhungen des Arbeitslosengeldes, und dann wer-
den in Windeseile Milliardensummen durch Bundesrat
und Bundestag gepeitscht, um die sogenannten Märkte
zu beruhigen. Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen, lieber Herr Pfeiffer, lieber Herr Kurth, hat mit der
sozialen Marktwirtschaft, vor die Sie sich hier schützend
werfen wollten, nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn ich mir Ihre Politik ansehe, die spätestens seit
dem Schröder/Blair-Papier von 1999, als sich die SPD
auf einen dritten Weg aufgemacht hat, um die neue Mitte
zu suchen – da, lieber Klaus Barthel, ist der demokrati-
sche Sozialismus diskreditiert worden –, zur rot-grünen
Politik der Steuersenkung für Besserverdienende, zu De-
regulierung da, wo Regulierung nötig war, führte, die
mit der Agenda 2010 radikale Einschnitte in die Sozial-
systeme durchsetzte und die von der Großen Koalition
und der sogenannten christlich-liberalen Regierung fort-
gesetzt wurde, weiß ich genau, warum unser Land die
Linke braucht.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


Wenn ich auf Dumpinglöhne und prekäre Beschäfti-
gung schaue, also auf die Zunahme von Jobs, von deren
Bezahlung man nicht leben kann, und andererseits auf
die Verweigerung der Einführung gesetzlicher Mindest-
löhne bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot und nun bei Gelb-
Schwarz, dann unterstreiche ich dreimal den Satz aus
unserem Programm:

Die ungebändigte Freiheit der großen Konzerne be-
deutet Unfreiheit für die Mehrheit der Menschen.

Dann bin ich stolz darauf, dass es eine Kraft in der Par-
teienlandschaft unseres Landes gibt, die einen anderen
gesellschaftlichen Entwurf vorlegt und damit vielen
Menschen in unserem Lande Mut macht. Es muss nicht
immer so weitergehen. Es gibt Alternativen.

Wir verfolgen

– ich zitiere aus unserem Programm –

ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesell-
schaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss,
in der alle Menschen in Frieden, Würde und sozia-
ler Sicherheit leben


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat in der DDR hervorragend funktioniert!)


und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokra-
tisch gestalten können.


(Beifall bei der LINKEN)

Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes
Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demo-
kratischen Sozialismus.


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, wir wollen den demokratischen Sozialismus, und
wir stehen dazu, auch wenn schlichte Gemüter aus dem
Süden unseres Landes sofort nach dem Verfassungs-
schutz rufen. Es gibt keinen Artikel im Grundgesetz, der
den Kapitalismus für unser Land festschreibt. Hingegen
ist in Art. 20 festgelegt, dass unser Land demokratisch
und sozial sein soll. Dass es dabei Defizite gibt, das ist
gerade in diesen Wochen zu spüren. „Occupy Wall
Street“ heißt übersetzt in linke Parteisprache:

Ein funktionierender Finanzsektor ist ein öffentli-
ches Gut, seine Bereitstellung ist daher eine öffent-
liche Aufgabe.

Das finden wir wirklich richtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun malen Sie zu Recht die Schreckgespenster unter-
gegangener Staaten an die Wand. Dabei würde ein
flüchtiger Blick in unser Programm ausreichen, um fest-
zustellen, dass der demokratische Sozialismus, den wir
anstreben, mit den volkseigenen Betrieben der DDR nun
wirklich nichts zu tun hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da endet ihr doch wieder!)


Das haben wir in unserem Programm sogar ganz klar
zum Ausdruck gebracht:

Allumfassendes Staatseigentum ist aufgrund bitte-
rer historischer Erfahrungen nicht unser Ziel.

So steht es in unserem Programm. Das hätten Sie einfach
nur nachlesen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es stimmt aber schon, dass wir die Marktmacht gro-
ßer Konzerne regulieren wollen. Das wollen Sie aber
nicht. Deswegen bekommen wir von den großen Kon-
zernen auch keine Spenden. Wir sind die einzige nicht
Allianz-gesponserte Partei im Bundestag. Darauf sind
wir stolz. Deswegen wiederholen wir das auch so oft.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wir
sind mit unserer Kritik an den bestehenden Verhältnissen
an der Seite jener, über die Bertolt Brecht Folgendes for-
mulierte – und das steht auch im Einstieg unseres Pro-
gramms –:

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeige-
schleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon,
Wer baute es so viele Male auf?

Wir wissen, wer es war.


(Zuruf von der FDP: Lenin war es!)






Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)

„Freiheit. Würde. Solidarität.“ Das ist unser Pro-
gramm, und darauf sind wir stolz. Ich bedanke mich bei
der CDU/CSU-Fraktion und bei der FDP-Fraktion, dass
wir dies dem Parlament und der Öffentlichkeit vorstellen
konnten.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612500

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713612600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Liebich, irgendwie tun Sie mir leid, dass Sie jetzt
hier diesen Müll verteidigen müssen, obwohl Sie sich als
einer der wenigen auf diesem Programmparteitag dage-
gengestellt haben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Stimmt gar nicht! Ich habe zugestimmt!)


– Das mag vielleicht Strategie sein. – Sie haben jetzt ver-
sucht, uns dieses Programm anhand einzelner Punkte na-
hezubringen. Dabei haben Sie natürlich immer das weg-
gelassen, was zu großer Kritik führt.

Wenn in einem Programm von Freiheit durch Gleich-
heit gesprochen wird, dann wird dem Begriff „Freiheit“
damit sein eigener Wert genommen. Dem werden wir
uns immer entgegenstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Selbst in den Freiburger Thesen der FDP war das drin! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Ehrlich gesagt, die Inszenierung, die Sie hier machen,
dieser Bierzeltcharakter, den Sie zur Verteidigung Ihres
Programmes hier hineinbringen, ist wirklich unmöglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie führen allerdings eine Retrodebatte. Ihre wirtschafts-
politischen Vorstellungen sind nicht von heute, sondern
aus dem 19. Jahrhundert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir leben in einer globalisierten Welt. Wir sind keine In-
sel. Unsere Wirtschaft ist enorm exportabhängig. Diese
Exportabhängigkeit ist ohne Zweifel ein Problem.


(Zurufe von der LINKEN)


Derzeit hängen aber viele Arbeitsplätze an dieser Ex-
portwirtschaft.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Damit habt ihr die Deregulierung begründet!)


Sie schlagen uns jetzt jedoch wirtschaftspolitische Kon-
zepte vor, für die wir eine abgeschottete Box brauchen.
Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Eure Hedgefonds! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie sollten einmal nachlesen! – Gegenruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch einmal auf, zu brüllen! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


– Darf ich bitte reden? Das ist ja furchtbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens im Mitte-
Links-Lager, dass wir eine Vermögensbesteuerung brau-
chen. Ein Vorschlag aber, der auf eine Vermögensteuer
von 5 Prozent hinausläuft, die jährlich zu entrichten ist,
ist weder wirtschaftspolitisch sinnvoll noch in irgend-
einer Form relevant.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


– Klatschen Sie wenigstens dafür, dass er wirtschafts-
politisch nicht sinnvoll ist. – Sie melken eine Kuh auf ei-
ner Weide, die keinen Zaun hat. Das müssen Sie endlich
einmal verstehen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer ist hier die Kuh? – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Man könnte jetzt folgende Überlegung anstellen: An-
gesichts einer Finanzmarktkrise, einer Bankenkrise,
einer Staatsschuldenkrise könnte es ja sein, dass die
Menschen sagen: Ja, die Linke macht das richtige politi-
sche Angebot.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


– Das könnte sein, so ist es aber nicht; da können Sie
tausendmal klatschen. Sie präsentieren ein psychologi-
sches Programm, das nach innen gerichtet ist; es ist aber
kein Programm, von dem die Menschen meinen könn-
ten, es würde ihnen irgendwie nützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Denn die Menschen wollen ernstgenommen werden. Sie
wollen Vorschläge hören, die ihnen eine echte Perspek-
tive zu wichtigen Fragen geben. Sie wollen wissen: Wie
kommen wir aus dieser Misere heraus?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Welche Angebote und Vorschläge gibt es im politischen
Raum, die umgesetzt werden können? Wie müssen ziel-
gerichtete Lösungen aussehen, die umsetzbar sind? – So-
lange eine Partei sagt: „Wir wollen ja gar nicht regie-
ren“, ist sie doch gar nicht in der Pflicht, hier die
Machbarkeit darzustellen.





Kerstin Andreae


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sagen wir doch gar nicht! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Ihr wollt nicht! Deshalb haben wir die CDU in Berlin in der Landesregierung!)


Von daher, das Ganze ist doch sowieso ein Wünsch-dir-
was-Programm.


(Zurufe von der LINKEN)


Am besten finde ich aber noch Ihre Verstaatlichungs-
nummer. Sie wollen Großbetriebe und große Energiever-
sorgungsunternehmen verstaatlichen. Liebe CDU, un-
sere grün-rote Regierung in Baden-Württemberg hat das
Erbe angetreten, das euer Stefan Mappus – unser ehema-
liger Ministerpräsident – mit der verfassungswidrigen
Teilverstaatlichung des Energieversorgungsunterneh-
mens EnBW hinterlassen hat. Was haben wir jetzt
davon? 1 Milliarde Steuergelder wurde aufgrund von
Kursverlusten in den Sand gesetzt. Und die Linke redet
von Verstaatlichung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Gebt es dem Ackermann!)


Und die CDU hat noch nicht einmal eine vernünftige
Positionierung zu dieser Politik, die Mappus dort betrie-
ben hat.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da sehen wir einmal: Die CDU ist die neue Linkspartei!)


Wir brauchen keine Staatsgläubigkeit in dem Sinne,
wie die Linke uns das vorschlägt. Es waren die demokra-
tisch gewählten Landesväter, die sich mit ihren Landes-
banken kräftig verzockt haben. Was war denn mit der
WestLB? Was ist denn mit der Sachsen LB? Was ist
denn mit der Bayern LB?


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Und die Sparkassen?)


Staatsbanken sind doch nicht die Lösung. Was wir brau-
chen,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sind Sparkassen!)


ist Bankenregulierung. Was wir brauchen, ist die Finanz-
transaktionsteuer. Was wir brauchen, ist das Trennban-
kensystem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sparkassen brauchen wir! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genossenschaftsbanken!)


Das sind die Lösungen, die wir entwickeln müssen. Die
soziale Marktwirtschaft muss nicht sozialistisch werden,
aber sie muss wieder sozial werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der LINKEN)


Sie muss auch grün werden, meine Damen und Herren.

Die Union darf sich derzeit nicht rühmen, Vertreter
der sozialen Marktwirtschaft zu sein; denn ihre Vertreter
vergessen das Soziale.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wüsste ich aber!)


Sie lassen mit der jüngsten Instrumentenreform Lang-
zeitarbeitslose im Regen stehen. Sie streichen das El-
terngeld für Hartz-IV-Empfänger.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben Hartz IV eingeführt!)


Sie stehen beim Mindestlohn auf der Bremse. Sie müs-
sen in sich gehen, sich prüfen und dafür sorgen, dass die
soziale Marktwirtschaft wieder sozial wird, dass entspre-
chende Angebote für die Menschen in diesem Land ge-
macht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen keinen Systemwechsel,


(Zurufe von der LINKEN)


aber wir brauchen einen Politikwechsel.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bis auf die letzte Passage war das ganz ordentlich!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612700

Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Wo ist denn eigentlich der Steinbrück?)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1713612800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Lassen Sie mich zunächst einen Satz zur SPD sa-
gen: Herr Barthel, wenn Sie meinen, es sei besonders
klug und besonders effekthascherisch, hier nur mit
einem Redner aufzutreten, so zeigt dies nur eines: Sie
wissen nicht, wo Sie in dieser Debatte stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben Angst,


(Klaus Barthel [SPD]: Ausgerechnet vor Ihnen!)


zu sagen, wohin Sie wollen. Ich sage nur: Ypsilanti,
Nordrhein-Westfalen, Berlin, zumindest bis vor kurzem:
Rot-Rot.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie vergessen Brandenburg, Herr Kollege!)






Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

Zeigen Sie, wo Ihr Weg ist, dann können Sie sich wirk-
lich an dieser Debatte beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Momentan fliehen Sie vor Angst, und nicht, weil Sie
diese Debatte für überflüssig erachten.


(Klaus Barthel [SPD]: Können Sie uns erklären, was das mit dem demokratischen Sozialismus zu tun hat? – Weitere Zurufe von der SPD und von der Linken)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, Sie
haben Ihr Lafontaine’sches Manifest nach dem Motto
„Marx ist Muss“ – man könnte auch sagen: „Marx ist
Murks“ – verabschiedet. Vorwärts in die Vergangenheit!

Liebe Kollegin von den Grünen: Dem ersten Teil
Ihrer Rede zolle ich durchaus Respekt. Dann haben Sie
leider stark nachgelassen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich zitiere:

Die Partei richtet ihr Augenmerk besonders darauf,
den demokratischen Zentralismus zu stärken,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was?)


indem die zentrale staatliche Leitung und Planung
mit der schöpferischen Aktivität der Werktätigen …
wirkungsvoll verbunden wird.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist falsch!)


Die demokratische Teilnahme der Werktätigen an
der Produktion …


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was ist das für ein Programm? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!)


– Richtig: „Aha!“. Das ist nämlich das SED-Programm
von 1976.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das heißt übersetzt: Die Linke kämpft für die Verände-
rung der Eigentumsverhältnisse.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Ja! Dafür kämpfen wir!)


Im Programm heißt es: „Wir wollen eine radikale Er-
neuerung der Demokratie“, „Übernahme von Betrieben
durch Beschäftigte“, „realen Einfluss auf betriebliche
Entscheidungen“.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Liebich, jetzt wissen Sie, warum Sie der Verfas-
sungsschutz auch in Zukunft beobachten muss: In unse-
rem Grundgesetz ist das Eigentum nämlich garantiert.
Dazu stehen wir; das wollen wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ihr seid so tief gesunken! – Zuruf von der LINKEN: Toller Redner!)

Ein paar Worte zur Parteienfinanzierung. Decken Sie
endlich Ihr SED-Vermögen auf!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Das gibt es schon lange nicht mehr!)


Sie schreiben nicht nur das Programm der SED ab; auch
Ihr Geld kommt daher. Geben Sie es endlich den Bürge-
rinnen und Bürgern zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was ist mit dem Vermögen der Bauernpartei und dem der OstCDU! – Weiterer Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Ihr Programm ist Jobvernichtung;


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau!)


darüber haben wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales
mehrfach diskutiert.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber ihr habt noch lange nicht recht damit!)


Ihr Programm ist kalte Enteignung.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!)


Ihr Programm des politischen Streiks steht der Sozial-
partnerschaft entgegen. Die Sozialpartnerschaft hat un-
ser Land stark gemacht; das wollen Sie für eine Ideolo-
gie zerstören, und zwar bewusst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karin Binder [DIE LINKE]: Wo ist denn die Sozialpartnerschaft bei Minijobs, Leiharbeit und all diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen?)


Rückwärtsgewandter Sozialismus, Debatte über den
Fraktionsvorsitz für die Urenkelin Rosa Luxemburgs:
Wissen Sie eigentlich nicht, wo Sie sind? Sie sind hier
noch nicht angekommen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Lesen bildet!)


– Ludwig Erhard lesen bildet: Wohlstand für Alle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dieses Land hat wie kein anderes in Europa den Bürge-
rinnen und Bürgern Wohlstand gebracht, und das mit der
Idee von Ludwig Erhard, mit der Idee der CDU/CSU,
mit der christlichen Soziallehre,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Damit habt ihr geschafft, Armut zu schaffen! Armut für alle!)


mit einer sozialen Marktwirtschaft, mit genügend Libe-
ralität und genügend Leitplanken. Das hat uns stark ge-
macht. Daran wollen wir festhalten.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Daran wollen Sie festhalten!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ich bin
mir sicher angesichts dieser Debatte: Mit Ihrem Grund-





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

satzprogramm werden Sie die Menschen nicht überzeu-
gen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie wollten die Debatte! Das ist nicht unsere Debatte!)


Die Menschen sind nicht so dumm. Sie haben einen Teil
Deutschlands schon einmal vor die Mauer gefahren.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!)


Die Menschen haben kein Interesse, diesen wirtschafts-
politischen Dilettantismus ein zweites Mal zu erleben.
Deswegen setzen wir auf die soziale Marktwirtschaft
und nicht, wie es die Süddeutsche umschreibt, auf „So-
zialismus minus Stasi“. Mehr haben Sie leider nicht zu
bieten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Weder christlich noch sozial!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713612900

Das Wort hat der Kollege Heinz-Peter Haustein für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Heinz-Peter Haustein (FDP):
Rede ID: ID1713613000

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren!

Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs
noch Esel auf.


(Heiterkeit der Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber 1989 war es vorbei. Die Menschen haben mit ihren
Füßen in Plauen und Olbernhau, in Dresden und Leipzig
abgestimmt. Heute, 22 Jahre später, denke ich, ein
Schwein pfeift:


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Die Linken kommen mit einem Programm, das praktisch
diese DDR wieder hervorzaubern will.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


– Das behaupten Sie.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Lesen Sie es nach! Es steht sogar drin!)


Sie sagen: Wir wollen nicht die DDR wiederhaben. Aber
jeder kennt den Satz:

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

Euch glauben wir nichts.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Schwer zu argumentieren, wenn Sie sagen, Sie glauben uns nicht!)


Der demokratische Sozialismus ist ein Widerspruch
in sich selbst.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Denn die Grundlage eures Parteiprogramms ist das
Kommunistische Manifest von 1848. Darin steht als Leit-
satz


(Karin Binder [DIE LINKE]: Ein Gespenst geht um!)


die Diktatur des Proletariats. Ich will einmal vorlesen,
was das ist – ich zitiere –:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!)


… die Diktatur des Proletariats beinhaltete auch
reale Elemente einer Diktatur, deklariert als
„notwendige Maßnahmen“ zum Schutz vor Restitu-
tionsversuchen des Kapitalismus.


(Zurufe von der LINKEN)


Das ist also die Diktatur des Proletariats.

Die Linken geben in Ergänzung aber auch noch etwas
anderes von sich; ich wollte es euch ersparen, aber die
Leute müssen ja einmal erfahren, welche Ideologie dort
vorherrscht.


(Zurufe von der LINKEN)


Zum „Marxistischen Forum“ steht da zum Beispiel:

Ziel des Marxistischen Forums ist natürlich, die ka-
pitalistische Gesellschaft zu überwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da klatschen die auch noch! Unverschämtheit!)


Sie wollen also unser System, unsere soziale Marktwirt-
schaft abschaffen. Unvorstellbar!

Und die Linke sagt weiter:

Wir wollen die Bühne des Parlamentarismus für
den Kampf … nutzen,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Nutzen“ steht nicht in unserem Programm!)


aber uns nicht der Illusion hingeben, dass dort der
zentrale Raum für reale Veränderungen sei … Nur
die außerparlamentarische Bewegung kann reale
Veränderungen herbeiführen.

Das sagen die.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das steht nicht in unserem Programm!)


Vielleicht noch ein paar Worte zur DDR, weil ich dort
leben musste: in 108 000 km², umringt von Stacheldraht,
hier in Berlin von einer Mauer. Wenn du raus wolltest,
wurdest du erschossen oder nach Bautzen ins Zuchthaus
gesteckt. Das ist real existierender Sozialismus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)






Heinz-Peter Haustein


(A) (C)



(D)(B)

Die DDR war praktisch von vorne bis hinten eine Man-
gelwirtschaft. Du musstest dich für Bananen anstellen,
wenn es welche gegeben hat.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Und dann hast du nur so viele bekommen, wie du Kinder
hattest: Hattest du zwei Kinder, hast du zwei Bananen
gekriegt. Dann bist du vom Konsum zur HO gerannt, um
noch zwei Bananen zu ergattern.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja wirklich sozial! – Zuruf von der LINKEN: Heute muss man sich bei der Tafel anstellen!)


Auf Autos – das wurde schon gesagt – musste man
12 bis 15 Jahre warten. Das muss man sich einmal vor-
stellen.

Wie sah es denn mit dem Eigentum aus? Erst habt ihr
den Bauern in den 60er-Jahren die Felder und Kühe
weggenommen und dann 1972 sämtliche Betriebe ver-
staatlicht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unser Programm geht in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit! – Zuruf von der FDP: Ach, es war doch so schön in der DDR!)


Ihr habt den Leuten einfach das Eigentum weggenom-
men und einen sozialistischen Betriebsleiter eingesetzt –
ohne Entschädigung. Man muss sich das einmal vorstel-
len. So gingen die mit dem Eigentum um! Und das wol-
len die bei uns auch wieder so machen. Man muss den
Leuten sagen, was die hier wollen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Quatsch! Blödsinn!)


Ich möchte den Leuten, Ihnen bzw. euch zusammen-
gefasst noch einmal klarmachen: Das ist rückwärts ge-
wandte Politik! Ich hätte es nicht für möglich gehalten,
dass man heute – 2011 – so etwas noch einmal anzettelt.


(Zurufe von der LINKEN)


Aber dabei nutzen sie unsere Demokratie natürlich aus.
Umgekehrt wäre es ja gar nicht möglich gewesen; denn
in der Volkskammer der DDR hätte doch jeder Angst
gehabt, einen solchen Antrag zu stellen. Dann wäre er
sofort weg gewesen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Aber ihr habt eben diese parlamentarische Plattform und
könnt euch hier etablieren und den Leuten Sand in die
Augen streuen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unerträglich! – Zurufe von der LINKEN)


Dieses düstere Bild, das in eurem Programm gezeichnet
wird, das bedrückt uns hier.

Vielleicht noch einmal zum Geld. In der DDR gab es
ja auch eine Währung, die Ostmark. Das war Blechgeld,
nicht konvertierbar, und deshalb gab es auch noch Tausch
und Handel. Man hat also Räuchermännchen und Nuss-
knacker gegen Trabantreifen getauscht und Trabantreifen
gegen grüne Gurken. Das war ein Tauschhandel.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, so steht es in unserem Programm! Genauso steht es drin! Räuchermännchen lassen wir uns nicht nehmen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Thema verfehlt! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Zum Schluss zur Wertigkeit des Geldes, um das düs-
tere Bild etwas abzumildern: Ein Freund von mir war in
Ungarn und hat dort mit Ostmark bezahlen wollen, weil
die Forint nicht gelangt haben. Da sagte der Ungar: Du
kannst legen Geld auf Fensterbrett, nimmt nicht mal der
Wind!


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz-
gebirge.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] beginnt, zu singen)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713613100

Wenn ich mich recht entsinne, sind wir in einer De-

batte. Insofern bitte ich darum, das Singen an eine an-
dere Stelle zu verlagern.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Entschuldigung!)


Kollege Dr. Georg Nüßlein hat für die Unionsfraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1713613200

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich

bin dem Kollegen Haustein ausgesprochen dankbar da-
für, dass er so authentisch beschrieben hat, was Sozialis-
mus heißt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Räuchermännchen!)


Das kann natürlich jemand, der das Glück hatte, im Wes-
ten auf die Welt zu kommen, nicht so authentisch tun.
Ich war immer der Meinung, dass die Entscheidung ein
für alle Mal getroffen ist: Die Menschen aus Ostdeutsch-
land haben sich gegen die Mauer,


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Jawohl! Genau!)


gegen den Schießbefehl, gegen Stacheldraht, gegen das
Sozialismusmodell, das Sie nach wie vor propagieren,
und für die soziale Marktwirtschaft entschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Unsinn! – Weitere Zurufe von der LINKEN)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie es wenigstens übers
Herz bringen, sich gegenüber dem abzugrenzen, was in
der DDR seinerzeit geschehen ist.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Haben Sie überhaupt zugehört?)


Kollege Liebich hat sich in der Tat verbal bemüht. Sie
hätten Ihren Kolleginnen und Kollegen allerdings sagen
müssen, sie sollen nicht an der falschen Stelle klatschen
und schreien.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist unter Ihrem Niveau!)


Sie haben an der falschen Stelle geklatscht. Sie haben es
nicht geschafft, sich von der DDR zu distanzieren, weder
hier in irgendeiner Art und Weise noch in Ihrem unsägli-
chen Parteiprogramm.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Steht alles hier drin! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Lesen Sie unser Programm!)


Das belastet mich aber gar nicht so sehr, weil ich von Ih-
nen nicht mehr erwartet habe.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber wir erwarten von Ihnen mehr!)


Von der SPD hätte ich zumindest erwartet, dass sie
sich von der Linken abgrenzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Stattdessen reklamiert Kollege Barthel für sich und die
SPD den demokratischen Sozialismus. Was für ein un-
säglicher Widerspruch!


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das steht seit dem 19. Jahrhundert im Parteiprogramm der SPD!)


Es ist unglaublich, was da passiert. Ich kann mir nur vor-
stellen, dass sich das im Rahmen des Streits um den
Kanzlerkandidaten abspielt und Sie nicht wissen, wo Sie
hinlaufen wollen. Ich bitte Sie inständig: Laufen Sie
nicht weiter nach links. Das wäre eine Katastrophe für
unser Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Beruhigen Sie sich einmal!)


Ich will nicht einzelne Teile Ihres Programms aufgrei-
fen, weil ich gesehen habe, wie schnell einem da ein un-
parlamentarischer Begriff herausrutscht, und ich kann
für mich nicht ausschließen, dass mir das passieren
würde.


(Zuruf von der LINKEN: Wir auch nicht!)


Die Rattenfängermanier, die Sie mit Ihren Heilsverspre-
chen an den Tag legen, ist schon bemerkenswert.


(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Ich hoffe, dass Sie sich am Ende des Tages nicht in den
Dingen, die Sie besprechen, verfangen.
Lassen Sie mich etwas zu dem bereits angemerkten
Widerspruch von Demokratie und Sozialismus sagen.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Wieso Widerspruch?)


Demokratie heißt: Volkswirtschaft, freie Wahlen, Mehr-
heitsprinzip,


(Beifall bei der LINKEN)


Gewaltenteilung, Schutz der Grundrechte, übrigens auch
des Rechts auf Eigentum. Sozialismus ist schon schwie-
riger zu definieren. Der Soziologe Werner Sombart hat
bereits im Jahr 1920 260 Definitionen dazu gefunden.
Ich nehme an, dass noch ein paar weitere dazugekom-
men sind. Deswegen muss ich mir jetzt erschließen, wie
Sie es vermutlich definieren.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das steht alles im Programm!)


Ich möchte bei dieser Gelegenheit festhalten: Sie sind
ganz unstrittig die Rechtsnachfolger der SED.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP])


Das haben Sie nie infrage gestellt. Das ist ganz klar.
Wenn Sie es anders hätten machen wollen, hätten Sie se-
parat eine Partei gründen können. Stattdessen haben Sie
es vorgezogen, lediglich die Namen zur Tarnung immer
wieder ein bisschen anzupassen. Das hängt natürlich da-
mit zusammen, was der Kollege Lange angesprochen
hat, nämlich dass Sie nicht des Vermögens der SED ver-
lustig gehen wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was ist mit der Ost-CDU?)


Damit hängt es zusammen, dass Sie sich aus juristischen
Gründen nicht davon distanzieren können. Vermutlich
tun Sie es auch inhaltlich nicht.

Die Sozialismusdefinition der SED war unstrittig eine
marxistisch-leninistische,


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


und zwar in dem Sinne, dass der Sozialismus eine Ent-
wicklungsphase im Übergang vom Kapitalismus zum
Kommunismus ist. Kommunismus heißt – das ist heute
bereits leise angeklungen –: Diktatur des Proletariats.


(Zurufe von Abgeordneten der LINKEN)


Erklären Sie mir einmal, wie Sie Diktatur und Demokra-
tie zusammenbringen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich könnte noch eine Definition von Diktatur anfüh-
ren: keine freien Wahlen, höchstens manipuliert, Herr-
schaft einer Gruppe, die unumschränkt herrscht, keine
Pressefreiheit, keine Menschen- und Bürgerrechte und
Unfreiheit in allen Bereichen. Vielleicht erinnert Sie das
wenigstens an etwas, nämlich an die DDR.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das steht doch drin, dass wir das nicht wollen!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb bitte ich um ein bisschen mehr Kleinmut.
Führen Sie sich an dieser Stelle nicht so auf! Demokrati-
scher Sozialismus? Das sind geröstete Schneebälle!

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Politikprofessor werden Sie jedenfalls nicht!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613300

Als Nächste spricht in unserer Aktuellen Stunde für

die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Nadine
Schön. Bitte schön, Frau Kollegin Nadine Schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kennen Sie das Privathaus von Oskar
Lafontaine? Im Saarland wird die von Mauern umge-
bene Villa im Volksmund „Palast der sozialen Gerechtig-
keit“ genannt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber díe mögen ihn! 20-Prozent-Partei dort!)


Kennen Sie das Auto von Klaus Ernst? Es muss bei An-
hängern der Linken doch Eindruck machen, wenn der
Vorsitzende mit dem Porsche vorfährt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schneller zum Kommunismus!)


Kennen Sie das Lieblingsessen von Sahra Wagenknecht?
Richtig, es ist Hummer. Das ist etwas ganz Edles, man
muss ihn sich aber leisten können.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Und dazu Kaviar! – Zurufe von der LINKEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
sieht so die Gleichheit aus, die Ihrer Meinung nach zu
Freiheit führt?

Am letzten Wochenende haben Sie mal wieder die
Systemfrage gestellt. Freiheit durch Gleichheit; Sozialis-
mus statt Kapitalismus – das sind die Kernforderungen
im neuen Grundsatzprogramm. Sie unterliegen dabei
aber einigen Denkfehlern: Erstens leben wir nicht im
Kapitalismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der LINKEN: Doch!)


Unsere Wirtschaftsordnung in Deutschland ist die so-
ziale Marktwirtschaft und eben nicht der Kapitalismus.
Soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass wirtschaftliche
Vernunft und sozialer Zusammenhalt der Gesellschaft
zusammengehören. In der sozialen Marktwirtschaft
heißt es gerade nicht: „Wenn jeder an sich selbst denkt,
dann ist an alle gedacht“; im Gegenteil: Vom gemeinsa-
men Wohlstand sollen auch diejenigen profitieren, die
schwach, krank oder bedürftig sind.

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Das bedeutet „sozial“ in der sozialen Marktwirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Wohlstand, der verteilt werden soll, muss aber
auch erwirtschaftet werden. Sie wollen ihn verteilen,
ohne ihn zu erwirtschaften.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass das nicht funktioniert, das muss Ihnen, liebe Kolle-
gen, doch spätestens angesichts der zahlreichen Fälle
von Staatsverschuldung in den vergangenen Monaten
deutlich geworden sein.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch kein Sozialismus! Das ist Kapitalismus!)


Ein fürsorgender, starker Staat, wie ihn beispielsweise
Griechenland hatte, kann auf Dauer nur bestehen, wenn
er von einem starken wirtschaftlichen Fundament getra-
gen wird. 30-Stunden-Woche, Verstaatlichung der Be-
triebe und Rente mit 60: Das alles erinnert an Griechen-
land.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir haben doch keinen Sozialismus in Griechenland!)


Das führt zu Staatsverschuldung und führt uns in die
nächste Krise, bringt aber ganz sicher keinen Wohlstand.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der LINKEN)


Ihr zweiter Trugschluss: Die Probleme, die wir der-
zeit haben, sind nicht im System begründet.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Nein? Wo denn?)


Die soziale Marktwirtschaft ist nicht das Problem. Sie ist
die Lösung des Problems.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die soziale Marktwirtschaft sieht Regulierungen vor.
Die soziale Marktwirtschaft verlangt einen Ordnungs-
rahmen, der das Gleichgewicht herstellt zwischen öko-
nomischer Effizienz und Wettbewerb auf der einen Seite
und sozialer Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Aus-
wüchse wie die, die wir derzeit auf den internationalen
Kapitalmärkten beobachten, widersprechen diesem Sys-
tem. Das ist Turbokapitalismus ohne Ordnungsrahmen.
Das widerspricht der sozialen Marktwirtschaft. Es per-
vertiert sie sogar.


(Zurufe von der LINKEN)


– Ich würde Ihnen empfehlen, einmal zuzuhören und
sich mit der sozialen Marktwirtschaft zu beschäftigen,
statt ständig dazwischenzuschreien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sahra Wagenknecht hat ein ganzes Buch darüber geschrieben! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber ein falsches Buch! – Weitere Zurufe von der LINKEN)






Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)

Deshalb ist es richtig, dass wir auf europäischer
Ebene und weltweit unsere Vorstellung von einer sozia-
len Marktwirtschaft wieder stärker durchsetzen. Es ist
richtig, dass wir wieder stärker regulieren und diese
Auswüchse eindämmen. Was wir brauchen, ist ein Ord-
nungssystem, das sicherstellt, dass am Ende nicht Reich-
tum für wenige, sondern Wohlstand für alle steht.


(Zuruf von der LINKEN: Was? Für alle?)


– Herr Präsident, es fällt mir unheimlich schwer, hier zu
reden, wenn ständig dazwischengeschrien wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich habe dem Redner der Linken eben zugehört. Es ist
ein Gebot der Höflichkeit, dass man anderen zuhört.
Dieses Gebot existiert in der Ideologie der Linken wahr-
scheinlich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die hätten in der Volkskammer schreien können!)


In Ihrer Ideologie existieren auch Toleranz und Re-
spekt nicht. Man hört anderen auch einmal zu und res-
pektiert andere Meinungen.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Tun Sie das etwa?)


Dass Sie das nicht tun, konnte man daran feststellen, wie
nach Ihrem Parteitag mit den Kollegen umgegangen
wurde, die gegen das Programm gestimmt oder sich ent-
halten haben. Ich empfehle einen Blick in den Blog un-
serer Kollegin Halina Wawzyniak.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So viel zum Thema Demokratie! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da habe ich auch hineingeschaut!)


Die Kollegin hatte am Wochenende die Traute, sich bei
der Abstimmung über das Programm zu enthalten, weil
sie der Meinung ist, dass es „Freiheit durch Gleichheit“
nicht gibt, dass es „Freiheit und Gleichheit“ heißen
müsste. Schauen Sie sich einmal an, welche Kommen-
tare in diesem Blog geschrieben werden, wie im Internet
über diese Kollegin hergezogen wird. Es fallen Worte
wie „Rücktritt“.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann können Sie ja gleich das Internet verbieten! Das muss verboten werden!)


– Was muss verboten werden? Das Internet?


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Junge Frau, das Internet müssen Sie verbieten!)


– Das ist einmal eine gute Idee. – In diesem Blog wird
von denunziatorischem Verhalten gesprochen, dort wird
mit einer Abstrafung beim nächsten Parteitag gedroht.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613400

Kommen Sie bitte zum Schluss.
Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Dort werden Rücktrittsforderungen nur wegen einer

Enthaltung laut. Die einzige Antwort, die Sie haben, ist,
dass das Internet verboten werden sollte. Herzlichen
Glückwunsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613500

Sie müssen zum Schluss kommen, Frau Kollegin.

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Entlarvend

ist auch, wie man in der Partei mit Mitgliedern umgeht,
die eine andere Meinung haben.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bloß keine Meinungsfreiheit! – Zurufe von der LINKEN)


Im vergangenen Jahr hat beispielsweise die saarländi-
sche Linke einen Maulkorbparagrafen verabschiedet. Es
wird verboten, sich in der Öffentlichkeit negativ über die
Partei zu äußern.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ronald Pofalla!)


Hier sieht man im Kleinen, zu was es führt, wenn alle
die gleiche Meinung haben müssen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613600

Sie haben mir eben etwas versprochen.

Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Ich weiß nicht, wie sich diejenigen fühlen, die in Ihrer

Partei nicht ihre eigene Meinung äußern dürfen.

Meine Conclusio ist: Freiheit durch Gleichheit, das ist
nicht möglich. Der beste Beweis dafür sind Sie selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613700

Frau Kollegin Nadine Schön war die letzte Rednerin

in unserer Aktuellen Stunde, die hiermit beendet ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 8 a und b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kin-

(Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG)


– Drucksache 17/6256 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/7522 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michaela Noll
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)






Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/7523 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Mattfeldt
Rolf Schwanitz
Florian Toncar
Steffen Bockhahn
Sven-Christian Kindler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-

(Tuchenbach)

Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Kinderschutz wirksam verbessern: Prävention
im Kinderschutz optimieren – Förderung und
Frühe Hilfen für Eltern und Kinder stärken

– Drucksachen 17/498, 17/7522 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michaela Noll
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)

Miriam Gruß
Diana Golze
Ekin Deligöz

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in unserer
Debatte ist für die Bundesregierung Frau Bundesminis-
terin Dr. Kristina Schröder. Bitte schön, Frau Bundes-
ministerin, Sie haben das Wort.

Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
meisten Kinder in Deutschland wachsen in Liebe und
Geborgenheit auf. Ihre Eltern würden für sie ihr letztes
Hemd geben. Es gibt aber auch Kinder, die auf der
Schattenseite des Lebens stehen, Kinder, die seelisch
oder körperlich verwahrlosen, Kinder, die gequält oder
misshandelt werden. Lea-Sophie ist unter den Augen ih-
rer Familie verhungert. Kevin, gerade einmal zwei Jahre
alt, wurde von seinem drogensüchtigen Stiefvater zu
Tode geprügelt. Das sind Fälle, die uns fassungslos ma-
chen. Wir alle waren uns einig, dass wir alles dafür tun
müssen, dass es künftig gar nicht erst so weit kommt.

Das Bundeskinderschutzgesetz, das wir heute verab-
schieden werden, hätte Lea-Sophie und Kevin vielleicht
helfen können. Wir stehen gemeinsam in der Verantwor-
tung, dass es anderen Kindern hilft, und zwar schnellst-
möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb hoffe ich heute auf eine breite Mehrheit im
Deutschen Bundestag für diesen Gesetzentwurf.

Die Fälle von Vernachlässigungen und Misshandlun-
gen haben uns Lücken und Schwachstellen gezeigt, an
denen wir ansetzen müssen, um unsere Kinder besser zu
schützen. Da ist vieles in Bewegung gekommen. Eines
aber fehlte lange Zeit: die Bereitschaft zur Kooperation.
Auch daran ist das Bundeskinderschutzgesetz in der letz-
ten Legislaturperiode gescheitert.

Ich habe daraus meine Lehren gezogen. Mir war es
wichtig, Bund, Länder, Kommunen, die Fachwelt, Ver-
treter aus der Praxis und die Wissenschaft frühzeitig ein-
zubinden. Die runden Tische „Heimkinder“ und „Sexu-
eller Missbrauch“ haben einen wichtigen Beitrag zu
diesem Gesetz geleistet. Die gemeinsame Zusammenar-
beit bei der Erarbeitung des Kinderschutzgesetzes war
getragen vom Bewusstsein der gemeinsamen Verantwor-
tung und vom Willen zum gemeinsamen Erfolg. Dafür
danke ich allen Beteiligten ganz herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Qualitätssiegel hat das Bundeskinderschutz-
gesetz in der Sachverständigenanhörung hier im Bundes-
tag, an der ich als Zuhörerin teilgenommen habe, be-
kommen. Ich habe selten eine Anhörung erlebt, in der
ein Gesetz von sämtlichen Sachverständigen so viel Zu-
stimmung bekommen hat. Alle waren sich einig, dass
dieses Kinderschutzgesetz ein Meilenstein für einen bes-
seren Kinderschutz in Deutschland ist: durch bessere
Netzwerke und bessere Rechtsinstrumente für unsere
Kinder, durch frühere Hilfen für die Familien, durch grö-
ßere Rechtssicherheit für ihre Helfer, durch bessere Un-
terstützung für ihre Beschützer und durch konstruktive
Kooperation aller Akteure.

Auch der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme
weitgehend positiv zum Regierungsentwurf geäußert.
Hier ist eine parteiübergreifende Koalition für den Kin-
derschutz entstanden. Dafür danke ich Ihnen, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, die Sie die langwierige Arbeit
am Bundeskinderschutzgesetz vom Anfang bis zum
Schluss konstruktiv begleitet haben. Ich habe die positi-
ven Wortmeldungen gestern im Ausschuss als Angebot
für eine weitere Zusammenarbeit beim Kinderschutz
verstanden. Schließlich werden wir die Evaluation bald
auf der Tagesordnung haben.

Umso beschämender finde ich aber, dass es auf Län-
derebene Versuche gibt, sich auf Kosten des Kinder-
schutzes in den Medien zu profilieren. Wir haben uns an-
derthalb Jahre Zeit genommen, um das Bestmögliche für
den Kinderschutz herauszuholen. Das ist uns gelungen.
Wer das Gesetz jetzt, nachdem wir anderthalb Jahre da-
ran gearbeitet und breite Zustimmung aus der Fachwelt
bekommen haben, blockiert, der macht sich mitschuldig.





Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)

Er macht sich mitschuldig daran, dass längst bekannte
Fehler bei der Früherkennung von Vernachlässigungen
von Kindern nicht behoben werden. Er macht sich mit-
schuldig daran, dass neue Maßnahmen zur Vermeidung
von Leid unnötig aufgeschoben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb hätte ich auch keinerlei Verständnis dafür,
dass sich das Inkrafttreten dieses Gesetzes auch nur ei-
nen Tag verzögert, nur weil einige Leute da draußen un-
bedingt eine mediale Bühne brauchen.

Wir sind den Ländern in den Verhandlungen weit ent-
gegengekommen. Bei strittigen Punkten haben wir
Kompromissvorschläge gemacht. Das gilt vor allen Din-
gen auch für die Bundesinitiative Familienhebammen.
Wir sind uns alle einig, dass der Kinderschutz in den Fa-
milien beginnt. Die in unserem Gesetz geregelten frühen
Hilfen und verlässlichen Netzwerke beugen schon in der
Familie vor und sorgen dafür, dass Kinder gar nicht erst
in Notlagen und Gefahrensituation geraten.

Dabei spielen Familienhebammen mit ihrer sozial-
psychologischen Zusatzqualifikation eine besonders
wichtige Rolle. Sie kennen die Familien. Sie haben das
Vertrauen der Eltern. Sie stoßen auf eine riesige Akzep-
tanz in den Familien. Mit ihrer spezifischen Zusatzquali-
fikation können sie dieses Vertrauensverhältnis auch für
die Beratung von Familien in schwierigen Situationen
nutzen. Wir wollen deshalb, dass sie Familien mit einem
besonderen Bedarf bis zu einem Jahr nach der Geburt ei-
nes Kindes begleiten.

In einigen Ländern, etwa in Niedersachsen, gibt es
dazu schon vorbildliche Initiativen. Niedersachsen hat in
über 30 Städten ein eigenes Programm für Familienheb-
ammen aufgelegt. Dieses Beispiel zeigt also: Es geht.

Deshalb stellen wir im Rahmen unserer Bundesinitia-
tive Familienhebammen auch insgesamt 120 Millionen
Euro für einen Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung.
Wir sagen, dass wir auch über die Verstetigung der Un-
terstützung durch den Bund sprechen. Alle in diesem
Raum wissen, dass die Bundesregierung mit dieser For-
mulierung an die Grenze der Möglichkeiten gegangen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist das wirklich ein fairer Kompromissvor-
schlag, der hier auf dem Tisch liegt.

Glauben Sie mir: Es war für uns angesichts der ange-
spannten Haushaltslage nicht einfach, diese 120 Millio-
nen Euro aufzutreiben. Aber wir haben alle Hebel in Be-
wegung gesetzt, um einen Beitrag des Bundes zu leisten.
Das erwarte ich auch von den Ländern. Wer Kinder-
schutz zum Nulltarif fordert, der stiehlt sich aus der Ver-
antwortung, auf Kosten von Kindern und von Jugendli-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die meisten Länder sind sich ihrer Verantwortung
glücklicherweise bewusst und unterstützen daher unse-
ren Kompromiss. Das gilt auch für den zweiten Punkt,
über den wir bis zum Schluss verhandelt haben, nämlich
für die Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugend-
hilfe. Das Gesetz trägt dazu bei, dass die bestehende,
sehr unterschiedliche Praxis in den einzelnen Jugendäm-
tern besser zusammenwachsen kann. Es darf für den
Kinderschutz keinen Unterschied machen, ob ein Kind
im Allgäu oder an der Nordsee aufwächst. Deshalb führt
an gemeinsamen fachlichen Standards kein Weg vorbei.
Das hat auch Christine Bergmann, der ich an dieser
Stelle für ihre großartige Arbeit als unabhängige Beauf-
tragte der Bundesregierung danken möchte, immer wie-
der angemahnt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wirksamer Kinder-
schutz erfordert die Zusammenarbeit vieler Menschen
und Institutionen in unserer Gesellschaft. Wir brauchen
die Eltern. Wir brauchen die Lehrer und Fachkräfte. Wir
brauchen die Kinderärzte. Wir brauchen die Mitarbeiter
in den Behörden, in den Jugendämtern, im Gesundheits-
wesen, bei der Polizei und bei der Justiz. Das Bundes-
kinderschutzgesetz gleicht insofern einem schützenden
Gewölbe, bei dem ein Stein den anderen stützt. Dass uns
dies gemeinsam gelungen ist, ist eine Leistung, auf die
wir stolz sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Klar ist aber auch: Wenn dieses Gewölbe Kindern in
Notsituationen zuverlässig Schutz bieten soll, dann brau-
chen wir jeden einzelnen Stein. Es kann daher nur scha-
den, wenn dieses Gesetz im Vermittlungsausschuss zer-
pflückt wird. Deshalb bitte ich Sie hier und heute noch
einmal um Ihre Unterstützung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713613800

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Als Nächste

spricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere
Kollegin Marlene Rupprecht. Bitte schön, Frau Kollegin
Rupprecht.


(Beifall bei der SPD)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1713613900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die UN-Kinderrechtskonvention


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war klar! Ohne die geht es bei Ihnen ja nicht!)


– wer mich kennt, weiß, dass ich sie immer bei mir habe;
es ist nämlich gut, alles, was man nicht im Kopf hat, we-
nigstens schwarz auf weiß bei sich zu haben – schreibt
vor, dass Kinder das Recht auf Schutz, Förderung und
Beteiligung haben und dass wir kindgerechte Lebensver-
hältnisse schaffen müssen. In Art. 6 des Grundgesetzes
steht, dass der Staat das Wächteramt über das, was mit
den Kindern geschieht, hat. Dieses Wächteramt nehmen
wir wahr, nicht erst seit heute oder gestern, sondern
schon sehr lange.





Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)

Der Staat hat die Verpflichtung, Schutz zu gewähren
– heute geht es um Schutz –, und er muss hierfür alle er-
forderlichen Maßnahmen ergreifen. Das hat er auch in
der Geschichte der Bundesrepublik in all den Jahren zu-
vor getan. Er hat immer wieder klare Regelungen getrof-
fen, wenn er glaubte, nachbessern zu müssen.

Im Herbst 2006 gab es den tragischen Fall Kevin. Die
Situation war emotional sehr angeheizt. Man fragte sich:
Was können wir tun? Für die Fachleute gab es bereits
eine Antwort auf diese Frage, für alle anderen nicht. Sie
lautete: Wir müssen Gesetze machen und die Gesetzes-
lage verändern.

Im Jahr 2007 hat die Kanzlerin mit den Ministerpräsi-
denten einen Kinderschutzgipfel veranstaltet. Das Ge-
dächtnis ist leider bei allen immer sehr kurz; hier nehme
ich keinen aus. Sie haben sich fest darauf eingeschwo-
ren, dass sie alles tun werden, damit die Kinder in
Deutschland beschützt aufwachsen. 2006 kam es, wie
gesagt, zu dieser Zäsur, und 2007 haben die gesetzgebe-
rischen Initiativen begonnen.

Auf Länderebene ist sehr viel passiert. Es wurden
sehr viele Programme aufgelegt, zum Beispiel in Rhein-
land-Pfalz und Bayern das Modellprojekt „Guter Start
ins Kinderleben“. Alle haben sich bemüht, etwas auf den
Weg zu bringen, damit Kinder nicht mehr gefährdet sind.

Auf Bundesebene haben wir den Versuch gemacht, ei-
nen ersten Entwurf eines Kinderschutzgesetzes vorzule-
gen. Aber nicht nur das. Wir haben in diesem Rahmen
auch frühe Hilfen ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit
gestellt und gesagt: Wir müssen ganz früh anfangen,
möglichst schon vor der Geburt. Deshalb haben wir das
Nationale Zentrum Frühe Hilfen eingerichtet. Das ver-
gisst man immer. Dort wird recherchiert, evaluiert und
vernetzt.

Der erste Entwurf ist gescheitert. Das lag aber nicht
an den Berichterstatterinnen. Ich danke Michaela Noll
hier noch einmal ganz herzlich. Wir haben alles ver-
sucht. Es ging schief, weil der erste Entwurf sehr stark
von Intervention und Repression geprägt war. Für keine
Familie, die in Not ist, sind Repressionen hilfreich.
Diese Familien brauchen Unterstützung und Hilfe. Des-
halb musste der präventive Gedanke viel mehr in den
Vordergrund gestellt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Es war dann auch gut, dass der erste Entwurf gescheitert
ist, auch wenn wir viel Kraft dafür aufgewendet haben.

Zum Schluss haben wir noch versucht, etliche Punkte
– ich konnte auch viele Vorschläge dazu einbringen – zu
ändern. Diese wurden in den neuen Entwurf eingearbei-
tet. Wesentlich ist die Vernetzung, die schon seit 21 Jah-
ren im Kinder- und Jugendhilfegesetz steht. Es stellt sich
immer wieder die gleiche Frage: Wer kann lesen und wer
nicht? Dort steht nämlich, dass all diejenigen sich ver-
netzen sollen, die mit Kindern arbeiten. Im vorliegenden
Gesetzentwurf ist dieser Punkt ebenfalls enthalten. Ich
hoffe, es kommt jetzt bei jedem an.
Es steht noch etwas drin – darauf habe ich Wert ge-
legt –, nämlich die Weiterentwicklung der Qualität. Frau
Ministerin, Sie haben das vorhin schon einmal gesagt: In
den Jugendämtern und in den Maßnahmen der Jugend-
ämter findet sich eine breit gestreute Qualität. Ich
glaube, hier müssen wir fachlich hinschauen.

Der Entwurf enthält eine Befugnisnorm für Ärzte und
einen Anspruch der Kinder auf Beratung. Im Ände-
rungsantrag ist nun auch die Evaluation enthalten. Das
finde ich wichtig; denn eigentlich muss jedes Gesetz
ausgewertet werden, um zu sehen, ob das, was man er-
reichen will, auch erreicht wird.

Jetzt kommt mein Aber. Die Familienhebammen sind
das Herzstück in dem Entwurf. Ich hätte mir daher sehr
gewünscht, dass wir wenigstens den Sprung schaffen,
dass die Hebammen ihre 26 Besuche nicht in nur acht
Wochen nach der Geburt, wie es jetzt im Gesetz steht,
sondern innerhalb eines halben Jahres absolvieren kön-
nen.


(Beifall bei der SPD)


Dadurch wären keine Mehrkosten verursacht worden,
sondern es hätten sich in den schwierigen Phasen nach
der Geburt einfach nur weitere Möglichkeiten eröffnet.
Wenn Ernährungsstörungen auftreten oder die Eltern bei
Schreibabys manchmal verzweifeln, weil sie nicht mehr
weiterwissen: Dann brauchen sie fachliche und medizi-
nische Unterstützung durch die Hebammen.

Daher hätte ich es sehr begrüßt, wenn das Gesund-
heitsressort diesen Gedanken aufgenommen und gesagt
hätte: 26 Besuche verteilt auf 26 Wochen, also in einem
halben Jahr. – Damit wären wir schon einen Riesen-
schritt weiter gewesen, und die Frage, wer zahlt und wer
nicht, wäre eindeutig beantwortet worden. Das ist nun
leider nicht der Fall. Die Kommunen sagen nämlich: Das
können wir nicht wuppen. – Da gebe ich ihnen recht.
Das ist einer der Gründe dafür, dass wir uns heute ent-
halten, was mir sicher nicht sehr leicht fällt.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das finde ich auch schade!)


Ich sage aber: Schauen wir, dass wir das im nächsten
Jahr auf die Beine stellen können. Ich bitte das Gesund-
heitsressort, sich ganz aktiv zu beteiligen und nicht in
eine Trotzhaltung nach dem Motto „Ich verweigere die
Atmung“ zu verfallen, sondern zu überlegen, wie wir
dieses Problem lösen können. Das halte ich für dringend
notwendig.

Wir wollen wirklich, dass das nicht nur ein Modell-
projekt bleibt. Wir können das aber nicht anders finan-
zieren. Wir alle wissen, welche Schwierigkeiten wir mit
Modellen haben. Etwas läuft gut an, Kompetenzen wer-
den angesammelt, und plötzlich bricht das alles weg,
weil wir kein Geld mehr haben. Das muss hier verhin-
dert werden.

Meiner Ansicht nach haben sich alle in diesem Haus
um gute Regelungen bemüht. Dafür danke ich allen. Es
war ein konstruktiver Dialog aller, die hieran mitgearbei-
tet haben.





Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)

Viele Regelungen betreffen nicht nur die Finanzie-
rung all der Leistungen in der Jugendhilfe. Sie wissen,
dass es im Moment ein Rumoren gibt – es gab schon
mehrmals Anträge dazu –, die Mittel für die Maßnahmen
zur Jugendhilfe zu streichen und einzudampfen. Das
können wir uns nicht leisten. Aus diesem Grund muss
die Finanzierung geklärt werden.

Es liegen drei Entschließungsanträge und ein Antrag
der SPD-Fraktion sowie ein Gesetzentwurf der Koalition
vor. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung enthalten. Auch bei
den Abstimmungen über die Entschließungsanträge der
anderen Fraktionen werden wir uns enthalten und unse-
ren Anträgen zustimmen. Das macht man üblicherweise
so, wenn man einen eigenen Antrag eingebracht hat.

Ich hoffe trotzdem, dass das, was wir heute beschlie-
ßen, nicht in den Schubladen der Ämter endet, sondern
dass alle, die daran beteiligt sind, sagen: Ja, wir haben
etwas erreicht, auch ohne viel Geschrei und Aufmerk-
samkeit der Medien, so wie das zum Beispiel heute an-
lässlich des gestrigen EU-Gipfels der Fall ist. Natürlich
ist der Euro wichtig.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Aber die Kinder auch!)


Aber da gehen andere Themen unter.

Wir müssen kontinuierlich dabeibleiben und sagen:
Wir wollen in Deutschland dafür sorgen, dass es Kindern
gut geht und Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder
gut aufzuziehen, sodass alle richtig stolz und froh sind.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713614000

Vielen Dank, Frau Kollegin Rupprecht. – Jetzt für die

Fraktion der FDP unsere Kollegin Miriam Gruß. Bitte
schön, Frau Kollegin Gruß.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1713614100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich kann mich noch gut an den Frühsommer 2009
erinnern, als die damalige Bundesfamilienministerin
Ursula von der Leyen gesagt hat: Wir brauchen ein
neues Gesetz in Deutschland, und zwar ein Bundeskin-
derschutzgesetz. Wir waren damals in der Opposition.
Als Oppositionspolitikerin sucht man immer Punkte, die
man kritisieren kann. Aber einen Punkt konnte ich wirk-
lich nicht kritisieren, nämlich den Namen des Gesetzes.
Ich finde es richtig und gut und wichtig, dass wir ein
deutsches Bundeskinderschutzgesetz haben. Wenn ein
Gesetz einen richtig guten Namen trägt, dann ist es die-
ses Gesetz. Auch das, was wir hier hinbekommen haben,
ist allen Lobes wert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich habe damals als Oppositionspolitikerin kritisiert,
dass die Regelungen zur Intervention – Marlene
Rupprecht hat es schon angesprochen – einen zu großen
Raum eingenommen haben. Intervention ist zwar wich-
tig, aber man muss doch dafür Sorge tragen, dass es gar
nicht erst so weit kommt, dass wir einschreiten müssen.
Deswegen war mir damals ganz wichtig – wir hatten
eine Anhörung dazu beantragt –, dass die Prävention ei-
nen breiten Raum einnimmt. Auch das hat jetzt Eingang
in dieses Gesetz gefunden. Ich begrüße ganz besonders,
dass Prävention und Intervention als wichtige Meilen-
steine in diesem Bundeskinderschutzgesetz verankert
worden sind.

Zur Prävention gehören Familienhebammen. Ich gebe
dir recht, Marlene: Man hätte sich alles Mögliche überle-
gen können. Aber bei den Familienhebammen spielt die
besondere Ausbildung, die Zusatzqualifikation und die
Pädagogik, eine große Rolle. Deswegen begrüße ich es,
dass wir die Regelungen zu den Familienhebammen ins
Bundeskinderschutzgesetz aufgenommen haben und die-
ses Projekt für vier Jahre fördern.

Ja, wir können nicht mehr als ein Modellprojekt ma-
chen. Die Ministerin hat es schon erwähnt – wir schrei-
ben es in dieses Gesetz sogar hinein –, dass wir uns in
vier Jahren explizit anschauen, inwieweit wir von Bun-
desseite das Modellprojekt weiter fördern können. Wir
haben auch bei dem Programm der Mehrgenerationen-
häuser erlebt, dass es dafür jetzt ein Folgeprogramm
gibt. Ich wünsche mir sehr, dass eine Verstetigung im
Zusammenhang mit dem Projekt der Familienhebammen
möglich wird. Ich bin da sehr zuversichtlich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Außerdem wurden – auch das ist schon angesprochen
worden – Qualitätsstandards im Gesetz festgelegt. Auch
das halte ich für wichtig. Kinder- und Jugendhilfe ist
zwar eine kommunale Aufgabe, aber es darf keinen Un-
terschied machen, wo ein Kind in Deutschland lebt, ob
in Flensburg oder in Garmisch-Partenkirchen; überall
müssen die gleichen Standards gelten. Wir haben sie im
Gesetz verankert. Auch das ist wichtig und richtig und
gut so.

Allerdings gibt es noch eine Sache, die ich zwar nicht
kritisiert, aber doch hinterfragt habe. Wir müssen schon
sehen, inwieweit dieses Gesetz angewandt wird und an-
gewandt werden kann; denn wir kennen die Situation der
Jugendämter. Sie sind personell und finanziell oftmals
am Limit und oftmals auch überfordert.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir dürfen kein Gesetz schaffen – Marlene Rupprecht
hat es angesprochen –, das in der Schublade landet, son-
dern unser Kinderschutzgesetz soll angewandt werden.
Deswegen ist auch die Evaluation wichtig. Deswegen
haben wir in den Änderungsantrag aufgenommen, dass
wir evaluieren und uns anschauen, inwiefern das Gesetz
vor Ort angewandt wird. Das finde ich wichtig und rich-
tig. Bei einem solchen Gesetz – es ist das erste Gesetz
dieser Art – müssen wir natürlich fragen, was funktio-
niert, was verbessert werden muss und wo wir Änderun-
gen vornehmen müssen.





Miriam Gruß


(A) (C)



(D)(B)

Insgesamt ist mein Fazit: Ein Kinderschutzgesetz mit
Regelungen zur Prävention, Intervention, Evaluation, zu
Qualitätsstandards und zum Netzwerk Frühe Hilfen ver-
dient allerhöchstes Lob. Es ist lange daran gearbeitet
worden. Alle Verbände und Beteiligten im Kinderschutz
haben ihre Zustimmung signalisiert. Deswegen ist es ein
Meilenstein für einen besseren Kinderschutz in Deutsch-
land.

Ich hoffe, dass dieses Gesetz nicht im Bundesrat
scheitert. Ich appelliere an die Opposition, das Bundes-
kinderschutzgesetz nicht an einer einzigen Stellschraube
scheitern zu lassen, die wir im Grundsatz alle begrüßen,
nämlich die Ausweitung der Hebammenleistungen auf
den Einsatz von Familienhebammen. Lassen Sie diesen
Gesetzentwurf, an dem wir so lange gearbeitet haben
und zu dem es so viele Treffen gegeben hat, nicht schei-
tern. Es wäre schade für die Kinder und Familien in
Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713614200

Vielen Dank, Frau Kollegin Gruß. – Jetzt für die

Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana Golze.
Bitte schön, Frau Kollegin Golze.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713614300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Fraktion Die Linke unterstützt den Ge-
setzentwurf im Grundsatz. Wir begrüßen es, dass es ein
Bundeskinderschutzgesetz geben wird, und freuen uns
über die Beschlussfassung heute, weil wir finden, dass
dies eine gute Grundlage ist, um auf dieser Basis den
Kinderschutz in Deutschland weiterzuentwickeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


Im Gegensatz zum ersten Entwurf – das ist schon ge-
sagt worden – hat bei diesem Entwurf des Gesetzes die
Fachwelt stärker Einfluss nehmen können. Die Vereine
und Verbände sind viel früher mit einbezogen worden.
Auch die Träger der Jugendhilfe vor Ort haben ihre
Möglichkeiten genutzt, um sich in diesen Prozess einzu-
bringen. Das zeigt auch die Anhörung zu diesem Thema,
die von einer großen Sachlichkeit, einem guten Aus-
tausch der Argumente und – das muss ich an dieser
Stelle sagen – von kritischen Fragen auch seitens der Re-
gierungsfraktionen geprägt war. Einem Gesetzentwurf
kann es nur guttun, wenn man den Experten auch richtig
zuhört.

In der Anhörung wurden aber auch Lücken und
Schwachpunkte im Gesetzentwurf deutlich, bei denen
man später ansetzen muss. Sie hätten vielleicht auch
schon im Vorfeld geklärt werden können.

Es ist bereits angesprochen worden: Der gesamte Be-
reich des SGB V ist komplett außen vor geblieben. Wir
alle hätten uns gewünscht, dass es für die Familienheb-
ammen eine Lösung im Bereich des SGB V gibt, sodass
diese Leistung nicht auch noch aus dem Etat des Famili-
enministeriums bestritten werden muss.


(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])


In dieser Frage gab es anscheinend kein Miteinander der
Ministerien. Das finde ich sehr schade.

Meine Fraktion und ich finden, hier wäre eine Regel-
finanzierung notwendig. Ich habe schon bei der Einbrin-
gung des Gesetzentwurfs gesagt: Wir wissen schon
heute, dass der Bedarf auch in drei Jahren noch bestehen
wird. Warum finden wir nicht schon heute eine Lösung,
statt die Länder und Kommunen nach drei Jahren damit
im Regen stehen zu lassen?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es haben auch schon genügend Modellprojekte in
diesem Bereich stattgefunden. Diese kann man jetzt nut-
zen, um daraus erstens ein Berufsbild und zweitens Qua-
lifikationsmöglichkeiten zu entwickeln, um auch Quer-
einsteigern den Einstieg in diesen Beruf zu ermöglichen.
Das ist aber, wie gesagt, besser umzusetzen, wenn man
eine Regelfinanzierung vorsieht, statt nur ein weiteres
Modellprojekt anzuschieben.

Ein weiterer Punkt betreffend den Gesundheitsbe-
reich, der in dem Gesetzentwurf fehlt, ist der Zusam-
menhang zwischen der Gesundheit von Kindern und ih-
rer sozialen Lage. In vielen Berichten, die wir im
Bundestag schon behandelt haben, ist immer wieder
festgestellt worden, dass arme Kinder ein höheres
Gesundheitsrisiko tragen. Deshalb finde ich, dass der
Gesetzentwurf zu kurz greift. Kinderschutz muss alle
Lebenslagen der Kinder in den Blick nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine weitere Lücke im Gesetzentwurf neben dem Ge-
sundheitsbereich betrifft die Frage, auf Kinder welchen
Alters der Gesetzentwurf abzielt. Kinderschutz muss
mehr umfassen als frühe Hilfen. Ältere Kinder und
Jugendliche stehen aber leider nicht im Fokus des Ge-
setzentwurfs. Das kann damit zu tun haben, dass Jugend-
politik im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend seit Jahren nur eine Nebenrolle spielt.

Wir brauchen aber auch für spätere Lebensphasen ei-
nen bestmöglichen Schutz für ältere Kinder und Jugend-
liche. Wir brauchen sichere und flächendeckende Ange-
bote im Anschluss an frühe Hilfen. Dieser Bereich wird
aber seit Jahren nur lückenhaft berücksichtigt und ist
chronisch unterfinanziert. Hier brauchen wir Investitio-
nen in Prävention. Das fehlt leider im Gesetzentwurf.


(Beifall bei der LINKEN)


Dritte Lücke. Der Gesetzentwurf koppelt den An-
spruch auf Beratung für Kinder und Jugendliche an hohe
– wie ich finde, zu hohe – Hürden. Es wird ein Rechtsan-
spruch in Not- und Konfliktsituationen unabhängig von
den Eltern formuliert. Die Vertreterin der Jugendämter
erklärte in der Anhörung – darauf habe ich bereits in der
ersten Lesung hingewiesen –, der Begriff „Not- und
Konfliktsituation“ werde in der Praxis weit ausgelegt.





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)

Das bedeutet, dass es im Ermessen der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Jugendämter liegt, wie sie den Be-
griff auslegen und ob sie die Situation des Kindes als
Not- und Krisensituation ansehen. Das ist aber kein
wirklicher Rechtsanspruch. Er muss ohne Bedingungen
formuliert sein und gehört auch ohne Bedingungen in ein
Kinderschutzgesetz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da wir gerade bei Rechtsansprüchen sind, habe ich
aus aktuellem Anlass eine große Bitte an die Kollegin-
nen und Kollegen der SPD-Fraktion. Ich möchte Sie bit-
ten, sich nicht nur hier im Bundestag, sondern auch in
den Bundesländern für eine Stärkung der Rechtsansprü-
che einzusetzen. Ich habe alarmierende Signale aus Bre-
men und Hamburg bekommen – mich haben Kollegin-
nen und Kollegen aus der Jugendhilfelandschaft, die
mich schon lange kennen, angesprochen –, wonach es
eine Initiative gibt, die Mittel zur Erfüllung des An-
spruchs auf Hilfen zur Erziehung zulasten der Betroffe-
nen zu kürzen bzw. regelrecht einzudampfen. Das darf
nicht passieren. Hilfen zur Erziehung – genau um die
geht es bei diesem Kürzungsanliegen – sind ein wichti-
ger Bestandteil des Kinderschutzes. Daher werden die
Bestrebungen, die Mittel zur Erfüllung des Rechtsan-
spruchs auf Hilfen zur Erziehung zu kürzen, von der
Fachwelt mit Bestürzung und Besorgnis aufgenommen.
Wer den Rechtsanspruch von Familien und Kindern in-
frage stellt, gefährdet den Kinderschutz. Es darf keinen
Kinderschutz nach Kassenlage geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb bitte ich Sie, Ihren Einfluss zu nutzen und diese
Initiative aufzuhalten.

Vierte Lücke. Der Kinderschutz steht und fällt mit der
personellen und strukturellen Lage aller Beteiligten vor
Ort. Dazu macht dieses Gesetz aber keine Aussage. In
der Anhörung gab es die Anregung, zu prüfen, ob eine
Fallzahlbegrenzung in der Jugendhilfe – ähnlich wie im
Vormundschaftsrecht – sinnvoll ist. Das heißt, dass eine
Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Jugendamtes nur
für eine bestimmte Anzahl von Fällen zuständig ist.
Wenn nun – so sieht es das Gesetz vor; das finde ich
richtig – Qualitätssicherung, Netzwerkarbeit und die Be-
ratung von Einrichtungen als zusätzliche Aufgaben an
die Jugendämter übertragen werden, dann brauchen sie
mehr und gut geschultes Personal, um diese Aufgaben
übernehmen zu können.


(Beifall bei der LINKEN)


Das können die Kommunen nicht alleine stemmen.
Bund, Länder und Kommunen müssen hier – das wird
unsere Aufgabe sein – zu einer neuen Vereinbarung ihrer
Finanzbeziehungen kommen.

Ich komme zum Schluss. Trotz all dieser Mängel und
Lücken sagen wir: Dieses Kinderschutzgesetz ist wich-
tig. Wir werden uns nicht dagegenstellen. Wir können
dem Gesetzentwurf aber auch nicht zustimmen und wer-
den uns daher enthalten. Es müssen weitere Schritte
gegangen werden. Ich nenne als Stichworte ein Kinder-
förderungsgesetz und ein Kinderbeteiligungsgesetz.
Vielleicht ist das ein Weg, um endlich die Rechte von
Kindern auf Schutz, Förderung und Beteiligung im
Grundgesetz zu verankern. Dann haben wir wirklich ei-
nen Meilenstein geschafft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713614400

Vielen Dank, Frau Kollegin Golze. – Die nächste

Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist un-
sere Kollegin Frau Ekin Deligöz. Bitte schön, Frau Kol-
legin Deligöz.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713614500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Ministerin, es ist richtig: Wir verabschieden heute
einen Gesetzentwurf mit Licht und Schatten. Sie selbst
waren bei der Anhörung dabei und haben hier betont,
dass der Gesetzentwurf in der Fachwelt Anklang gefun-
den hat. Dass Sie nach den Erfahrungen von 2009 die
Fachwelt in diesem Verfahren gleich von Anfang an ein-
bezogen haben, war richtig. Aber die Fachwelt hat in der
Anhörung auch Kritik geäußert. Da Sie zu diesem Zeit-
punkt aber nicht mehr anwesend waren, haben Sie das
nicht wahrgenommen. Deshalb möchte ich die Kritik-
punkte hier noch einmal ansprechen. Sie können nicht so
tun, als ob alle den Gesetzentwurf bedingungslos begrü-
ßen würden.

Selbst im Grunde positive Punkte haben leider Schat-
tenseiten. Ich nenne Ihnen als Beispiel die Beratungs-
leistungen. Es ist gut, dass die Beratungsleistungen ge-
ändert werden, aber gleichzeitig haben die Betroffenen
keinen Rechtsanspruch. Dies ist ein Kritikpunkt. Seien
Sie doch in diesem Punkt mutig. Entweder wir finden
die Beratungsleistungen richtig und wichtig – dann müs-
sen wir den Rechtsanspruch gewährleisten –, oder wir
finden sie vernachlässigenswert – dann sollten wir im
Gesetz nicht die Möglichkeit einräumen. „Möglich“ al-
lein reicht nicht; wenn sie notwendig sind, müssen sie
auch in Anspruch genommen werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Qualitätsniveau der Kinderschutzarbeit. Das
wird jetzt möglicherweise gesteigert. Dies ist ein sehr
positiver Punkt, den auch ich unterstütze. Es muss zu ei-
ner Verpflichtung zum Qualitätsmanagement kommen.
Aber wie wird das Ganze umgesetzt? Die Fachleute ha-
ben mehrfach betont, dass sie dafür Handreichungen
brauchen und dass sich eine Begrenzung auf Kernberei-
che der Jugendhilferabeit empfiehlt.

Ich finde die Partizipations- und Beschwerdemöglich-
keiten von Kindern, Jugendlichen und Eltern gut. Aber
wenn wir es ernst meinen, müssen wir auch in diesem
Punkt einen Schritt weiter denken und über Ombud-
schaften diskutieren. Dann hätten wir tatsächlich eine
Einrichtung, an die sich Kinder und Jugendliche auf ih-





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)

rem Niveau vertrauensvoll wenden können. Das wäre
ein Schritt, der tatsächlich ein Meilenstein wäre. Bis da-
hin reden wir über Schritte hin zu einem Meilenstein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Lösungen, die wir bei den Führungszeugnissen
und der Befugnisnorm haben, sind gut. Es gab sehr emo-
tionale Debatten, bei denen man lange Zeit nicht wusste,
in welche Richtung es bei all dem Gerangel geht und
was am Ende herauskommt. Wir haben das Ganze durch
Verfahren gelöst, die in sich schlüssig sind. Letztendlich
werden sich diese Verfahren in der Realität behaupten
müssen. An sich ist aber ein ganz guter Kompromiss ge-
funden worden.

Die größten Versäumnisse in dem Gesetz haben wir
an zwei Punkten.

Erstens: die Einbindung des Gesundheitswesens. Wir
senden mit diesem Gesetz ein Signal nach außen, dass
sich der Gesundheitsbereich unter anderem mit der Ju-
gendhilfe vernetzt, diese zusammenarbeiten und sich un-
tereinander austauschen. Gleichzeitig macht die Politik
genau das Gegenteil. Ich vermisse leider immer noch Ih-
ren Einsatz, in der Öffentlichkeit dem Gesundheitsmi-
nister zu sagen: Lieber Gesundheitsminister, Sie müssen
sich mit mir an einen Tisch setzen. Kinderschutz gelingt
nur, wenn wir gemeinsam agieren. –


(Caren Marks [SPD]: Wohl wahr!)


Stattdessen blieb es bei einer Streiterei. Sie machen
nichts und sind ein bisschen beleidigt. Sie sind die
Ministerin. Es ist Ihr Job, auch dann zu handeln, wenn es
schwierig ist. Es ist Ihr Job, dann zu handeln, wenn sich
einer Ihrer Kollegen weigert. Genau das ist der Auftrag
einer Familienministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens: die Kostenschätzung. Es ist schwierig, ab-
zuschätzen, wie viel es am Ende kostet. Es ist auch nicht
einfach, herauszufinden, wie viel Personal man benötigt.
Hier sind die Aussagen manchmal sehr unterschiedlich.
Aber Sie hätten zumindest einmal versuchen müssen, ein
transparentes Verfahren zu einer reellen Kostenschät-
zung vorzulegen. Ich denke, das hätte Ihnen den Schritt
im Bundesrat um einiges erleichtert. Genau das haben
wir alle in den vergangenen Reden angemahnt. Aber Sie
haben davon Abstand genommen. Das ist die Schwäche.
Sie sollten nicht so tun, als sei das alles zum Nulltarif zu
bekommen. Wir wollen, dass sich etwas ändert. Wir wol-
len, dass sich mehr Menschen engagieren und sich die
Kultur des Hinsehens ausbreitet. Dann müssen wir auch
offen darüber reden, was wir dafür zu tun bereit sind und
welche Strukturen wir dafür ändern müssen. Ein Gesetz
allein wird nicht reichen.

Das setzt sich bei dem Programm der Familienheb-
ammen ein Stück weit fort. Es ist in der Sache richtig
und wichtig, dass wir Familien in besonderen Lebensla-
gen ganz gezielt Hilfestellung geben. Dies ist übrigens
etwas anderes, als eine bestehende Leistung für alle aus-
zuweiten, wie Sie, Frau Rupprecht, es hier gefordert ha-
ben. Bei den Familienhebammen ist das Gießkannen-
prinzip fehl am Platz. Vielmehr geht es um Kinderschutz
für Familien in besonderen Lagen. Hier geht es um ein
Projekt, um Erkenntnisse zu gewinnen. So definieren
sich nun einmal Bundesprojekte. Diese Erkenntnisge-
winne haben wir bereits. Wir haben auch schon längst
Projekte in den Bundesländern. Was wir brauchen, ist
Nachhaltigkeit, Stetigkeit und Zuverlässigkeit. Genau
das gewährleisten wir auch durch ein nochmaliges Pro-
jekt nicht. Ganz im Gegenteil: All die Leute, die sich en-
gagieren, lassen wir im Regen stehen. Der Gesetzent-
wurf, den Sie hier einbringen, verschlimmbessert das
Ganze; denn es ändert sich nichts an der Tatsache, dass
hier alles außer einer konsequenten Kinderschutzpolitik,
die den Hebammen den Rücken stärkt, gemacht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bedauerlich ist, dass all die Dinge, die in der letzten
Debatte und in der Anhörung angesprochen worden sind
und die von der Fachwelt geäußert worden sind, relativ
wenig berücksichtigt wurden.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Es hat sich doch vieles verändert und verbessert! Das ist doch gar nicht wahr, Frau Kollegin!)


Das wird Ihre Verhandlungsposition im Bundesrat nicht
verbessern. Ehrlich gesagt, finde ich es auch nicht hilf-
reich, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, dass je-
der, der irgendeine Kritik am Gesetzentwurf übt, kein In-
teresse an Kinderschutz habe.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Hat sie so doch gar nicht gesagt! Sie haben nicht zugehört, Frau Kollegin! Wenn Sie sich jetzt verweigern, sorgen Sie dafür, dass sich das Ganze nach hinten entwickelt!)


Die Ministerinnen, die sich jetzt dazu äußern – dazu
zählt die SPD-Kollegin genauso wie die Kollegin aus
Rheinland-Pfalz –, müssen am Ende geradestehen, damit
das alles auch funktioniert. Sie müssen das umsetzen.
Sie müssen es in ihren Ländern und bei ihren Kommu-
nen durchsetzen, und sie müssen dafür sorgen, dass die
im Gesetz verankerten Hilfeschutzleistungen bei den
Kindern und Jugendlichen ankommen. Wenn Länder
und Kommunen ein Interesse daran haben, dass dieses
Vorhaben nicht nur Schall und Rauch ist, sondern auch
tatsächlich machbar ist, dann ist das eine Unterstützung
für diese Ministerinnen. Daher ist es ein Unrecht, wenn
sich die Bundesministerin hier hinstellt und diese Minis-
terinnen einfach nur beschimpft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Das hat sie doch gar nicht getan!)


– Aber natürlich.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wer sich jetzt verweigert, der schiebt es raus!)


Was an dieser Stelle wichtig wäre, ist, dass es uns tat-
sächlich gelingt, Frau Fischbach, vor Ende des Jahres zu
einer Einigung zu kommen und dieses Gesetz zu verab-
schieden.





Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Dann darf man es nicht verschieben! Das hat sie gesagt!)


– Ja, das ist wichtig. Aber nicht in diesem Tonfall, son-
dern auf Augenhöhe!


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Gisela Piltz [FDP]: Ehrlich gesagt, dann ist Ihr Tonfall auch nicht besser!)


Es hilft nicht, sich gegenseitig zu beschimpfen, Frau
Fischbach. So kommen Sie nicht weiter.

Aber jetzt hören Sie sich doch einmal den konstrukti-
ven Vorschlag an; vielleicht gelingt es Ihnen ja noch, zu-
zuhören. Das eine ist, tatsächlich Angebote zu machen.
Das andere ist: Das größte Defizit besteht immer noch
bei der Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsbe-
reich und den für den Kinderschutz Verantwortlichen.
Dort brauchen wir einen Runden Tisch der Ministerin-
nen und Minister auf Landes- und auf Bundesebene.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ein Runder Tisch nach dem anderen! So viele Runde Tische, wie wir schon hatten! Jetzt muss man handeln!)


Das ist mein Vorschlag an Sie. Lassen Sie uns darange-
hen und gemeinsam dafür kämpfen, dass er umgesetzt
wird. Das funktioniert aber nur, wenn Sie sich auch mit
den Schwächen des Gesetzes auseinandersetzen und
nicht so tun, als sei das alles schon gebongt und als sei
jeder, der an der Umsetzbarkeit geringe Kritik übt, gegen
Kinderschutz.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist so gar nicht gesagt worden!)


Für Kinderschutz sind wir alle, und dafür stehen wir
alle. Die einen wollen aber etwas machen. Sie wollen
hier anscheinend nur Papier produzieren, und das wäre
zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Da brauchte ich aber nicht zuzuhören! Da war nichts Neues!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713614600

Vielen Dank, Frau Kollegin Deligöz. – Jetzt für die

Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Dorothee
Bär. Bitte schön, Frau Kollegin Bär.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1713614700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kollegin Deligöz, gestern im Ausschuss hat sich
das Ganze von Ihnen wesentlich positiver angehört.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben nur nicht richtig hingehört!)


Deswegen bin ich mir sicher, dass Sie im Grunde Ihres
Herzens eigentlich dafür sind, dass wir dieses Bundes-
kinderschutzgesetz heute nach zweiter und dritter Le-
sung verabschieden.

Was mir besonders gut gefällt: Wir haben heute den
ganzen Tag ein sehr schönes Wort gehört – das haben
wir gestern im Ausschuss schon gehört; heute in unter-
schiedlicher Tonlage eigentlich von allen Rednerinnen
hier –: Meilenstein.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: „Meilenstein“, genau!)


Ich bin mir ganz sicher, dass dies nicht jedes Mal der
Fall ist – selbst bei uns nicht –, dass nicht jedes einzelne
Gesetz ein absoluter Meilenstein ist; aber in diesem Fall
ist es das wirklich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin sehr froh darüber, dass es uns nach so vielen Jah-
ren – heute ist ein paarmal von eineinhalb Jahren gespro-
chen worden; die Kolleginnen und Kollegen wie die
Kollegin Rupprecht, die schon länger in diesem Aus-
schuss tätig sind, wissen, dass dieses Vorhaben eigent-
lich einen Vorlauf von sechs Jahren hatte – möglich ist,
diesen Gesetzentwurf heute zu verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was mich auch freut, ist, dass es gestern im Aus-
schuss keine einzige Gegenstimme gab. So wie ich es bis
jetzt verstanden habe, wird es auch hier im Plenum keine
einzige Gegenstimme geben. Natürlich wäre es mir lie-
ber, wenn sich die drei Oppositionsfraktionen nicht nur
enthalten, sondern auch zustimmen würden; das wäre
wesentlich schöner. Aber es ist auf jeden Fall so, dass
entweder unsere Kolleginnen und Kollegen heute zu-
stimmen oder sich enthalten, weil sie denken, das sei für
die Opposition wichtig.

Ich möchte heute ganz besonders drei Punkte hervor-
heben, die für mich die Qualität dieses Gesetzes ausma-
chen. Das sind die vielzitierten Familienhebammen, die
Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger und die Vor-
lage eines erweiterten Führungszeugnisses für Tätigkei-
ten, die in einem engen Kontakt zu Kindern und Jugend-
lichen stehen.

Beginnen möchte ich mit den Familienhebammen,
weil sie mir wirklich eine absolute Herzensangelegen-
heit sind. Wir stellen für diesen Bereich 120 Millionen
Euro zur Verfügung. Man kann sich immer darüber strei-
ten – das ist völlig richtig –, ob es nicht besser wäre, et-
was fest im Haushalt zu haben. Natürlich wäre uns das
lieber als so viel Projektförderung in diesem Land; ich
denke, darüber sind wir uns einig. Ich bin trotzdem sehr
dankbar für diese 120 Millionen Euro.

Es ist wichtig, dass wir eines noch einmal klarmachen
– ich habe manchmal das Gefühl, dass es von einigen in
den Ländern nicht richtig verstanden wird –: Es gibt ei-
nen sehr großen Unterschied zu normalen Hebammen.
Die Familienhebammen haben eine ganz besondere Aus-
bildung. Sie sollen in die sogenannten Risikofamilien hi-
neingehen und frühzeitig dabei sein. Im Idealfall beglei-
ten sie schon vor der Geburt, während der Geburt und





Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)

sofort im Anschluss daran; denn dann wissen sie, was
die Besonderheiten in der Familie sind.

Von daher muss die Frequenz eine andere sein. Der
Auftrag ist ein anderer. Natürlich sind auch Art und In-
halte der Tätigkeiten verschieden. Dabei geht es um das
Hinhören – das haben wir hier im Plenum schon oft be-
sprochen –, aber auch darum, wirklich Hilfestellung zu
leisten, wenn eine Überforderung da ist. Jeder, der mit
kleinen Kindern zu tun hat, weiß, dass die ersten Monate
meist noch relativ unkritisch sind; denn wenn ein Kind
von 24 Stunden 22 Stunden schläft, dann ist eine Über-
forderung nicht in dem Maße gegeben wie dann, wenn
sich diese Schlafphase reduziert und mehr Bewegung da
ist. Auch dann müssen Familienhebammen noch zur
Verfügung stehen und Hilfestellung leisten können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Familienhebammen müssen proaktiv arbeiten kön-
nen, weil sie auch Türöffner zum Hilfesystem sind; sie
haben eine Brückenfunktion inne. Hebammen und be-
sonders Familienhebammen haben etwas, was viele an-
dere nicht haben, nämlich das Vertrauen der Familien.
Die Familien wissen, dass diese Hebammen fast ein Teil
der Familie und ein guter Ansprechpartner sind.

Nichts anderes hat die Ministerin gesagt, auch nicht in
einem falschen Tonfall, Frau Deligöz. Das ärgert mich
jetzt schon ein bisschen. Zu den Einwänden der Länder,
beispielsweise den Kosteneinwänden, die darauf zielen,
dass länger durch normale Hebammen betreut werden
soll, sagen wir: Das ist für uns keine Alternative, weil
die Familienhebammen eine ganz besondere Schulung
haben, weil sie anders mit den Dingen umgehen und
weil sie anders auf Problemstellungen reagieren können
als normale Hebammen. Das wurde auch in unserer An-
hörung zum Bundeskinderschutzgesetz deutlich. Die Fa-
milienhebammen sind eine wirkliche Hilfe. Deswegen
ist eine ganz besondere Qualifikation nötig.

Darüber dass der Kinderschutz Geld kostet und nicht
zum Nulltarif zu haben ist, sind wir uns alle einig. Des-
wegen appelliere ich hier noch einmal an die Länder, ih-
rer Verantwortung gerecht zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir erlauben im Kinderschutzgesetz Ärztinnen und
Ärzten, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn es
Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung gibt, sodass
es in Zukunft leichter möglich sein wird, die Jugendäm-
ter zu informieren. Das ist in den einzelnen Bundeslän-
dern bislang sehr unterschiedlich geregelt, und zwar so
unterschiedlich, dass viele Kinderärztinnen und Kinder-
ärzte sehr unsicher sind in der Frage, was sie weiterge-
ben dürfen. Insofern wollen wir Sicherheit schaffen und
erreichen, dass sie Konsequenzen im Sinne beruflicher
Nachteile nicht fürchten müssen. Deswegen war es uns
sehr wichtig, eine solche Grundlage zu schaffen.

Es ist wichtig, dass gerade Kinderärzte, Psychologen
und Sozialarbeiter, die die Anzeichen von Misshandlung
und Verwahrlosung als Erste zu sehen bekommen, eine
– ich nenne es jetzt einmal so – schnelle Eingreiftruppe
sein können und wirklich sofort, unmittelbar handeln
können.

Zum erweiterten Führungszeugnis wird meine Kolle-
gin Michaela Noll sicherlich noch etwas sagen. Wir ha-
ben lange darüber diskutiert, wie das bei ehrenamtlich
und hauptamtlich Tätigen zu sehen ist. Da gibt es natür-
lich Für und Wider. Trotzdem ist es so, wie wir es jetzt
regeln wollen, sehr gut.

Ich möchte abschließend noch etwas sagen, weil ich
keine falschen Erwartungen wecken will; am Anfang
wurde ja auf die Schicksale von Jessica, Kevin und Lea-
Sophie hingewiesen. Einen absoluten Schutz wird es na-
türlich nicht geben. Mit keinem Gesetz der Welt werden
wir gewährleisten können, dass nie mehr ein Kind in un-
serem Land eine Misshandlung erfährt. Aber es wird
vieles vermieden werden können. Wenn alle, die mit un-
seren Kindern und Jugendlichen zu tun haben, wachsam
sind, wenn sie hinschauen und nicht wegschauen, wird
sich auf jeden Fall sehr viel ändern.

Deswegen bin ich froh darüber, dass es nach dieser
langen Odyssee heute zu einem guten Ende kommt. Ich
würde mich außerordentlich freuen, wenn diejenigen,
die jetzt sagen: „Ich bin zwar nicht dagegen, aber ich
werde mich enthalten“, sich noch einen Ruck geben
könnten, sodass wir heute mit einer sehr breiten Mehr-
heit des Hauses Ja zu Kindern und Ja zum Kinderschutz
sagen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713614800

Vielen Dank, Frau Kollegin Bär. – Als nächste Red-

nerin spricht nun für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Frau Caren Marks. – Bitte schön, Frau
Kollegin Marks.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1713614900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Bär, dieser Ruck wird für die Zustimmung nicht ausrei-
chen; dafür – das werde ich gleich noch im Detail aus-
führen – hätte der Gesetzentwurf an einigen Punkten
noch ein wenig besser sein müssen.

In den Reden zuvor wurde bereits mehrfach betont,
dass der vorliegende Gesetzentwurf zum Kinderschutz
gute Ansätze enthält. Dies ist auch der engagierten Ar-
beit der Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion,
Marlene Rupprecht, zu verdanken. Vielen Dank!


(Beifall bei der SPD)


Ein gelingender Schutz von Kindern und Jugendli-
chen muss möglichst früh ansetzen, am besten schon vor
der Geburt. Auch das wurde hier heute schon mehrfach
betont. Es geht darum, das Vertrauen der Familien zu ge-
winnen, ihnen Hilfen anzubieten und sie bei Bedarf zu un-
terstützen. Das Schlüsselwort bei alldem ist: Vernetzung.
So müssen verschiedene Fachkräfte – beispielsweise Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendhilfe, Ärztin-
nen und Ärzte, Hebammen und Familienrichter – zum





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)

Schutz des Kindeswohls zusammenarbeiten. Dadurch
wird es besser gelingen, Eltern stark zu machen, ihre
Kinder gut zu erziehen, sie zu fördern und sie durchs Le-
ben zu begleiten. Ich denke, das wollen wir alle gemein-
sam.

Die meisten Eltern wollen, dass ihre Kinder gut und
gesund aufwachsen. Jede Mutter und jeder Vater kann
aber irgendwann einmal in Situationen geraten, in denen
sie bzw. er Rat und Unterstützung braucht, wenn es um
die Erziehung und die Begleitung des Kindes geht. Dazu
braucht es Angebote mit qualifizierten Ansprechpart-
nern. Die Arbeit der Stadtteilmütter ist ein gutes Bei-
spiel, das man auch einmal erwähnen sollte.

Der Entwurf des Kinderschutzgesetzes enthält An-
sätze zur Stärkung von Anlaufstellen und von Hilfenetz-
werken. Ich sage aber auch ganz deutlich: Kinderschutz
ist nicht nur eine Frage von Gesetzen. Einen guten Kin-
derschutz gibt es nicht zum Nulltarif.


(Beifall bei der SPD)


Meine Kolleginnen und Kollegen, die neuen Regelun-
gen müssen vor allem in den Kommunen und dort von
den Jugendämtern und den freien Trägern umgesetzt
werden. Diese müssen finanziell dazu in der Lage sein,
genügend Personal vorzuhalten und die Fachkräfte ent-
sprechend aus- und weiterzubilden.

Wir haben schon oft im Ausschuss darüber diskutiert,
dass die Realität in den Kommunen häufig ganz anders
aussieht. Die Fachkräfte in der Jugendhilfe, die eine
engagierte Arbeit leisten, stehen häufig unter Zeit- und
gleichermaßen unter Kostendruck. Deswegen ist die
Frage der Finanzierung so wichtig. Es gibt eine öffentli-
che Verantwortung für das Aufwachsen unserer Kinder.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert von der Bundes-
regierung verlässliche Lösungen ein. Was tut diese Bun-
desregierung aber stattdessen? Sie verkündet erneut
Steuersenkungen zum Jahresanfang 2013. Diese unsägli-
che Aktion wird die Länder und Kommunen weiter
finanziell in die Enge treiben. Noch schlimmer: Steuer-
senkungen konterkarieren auch das Bemühen um einen
guten Kinderschutz vor Ort. Darum muss dieses Thema
unweigerlich im Zusammenhang mit der Frage diskutiert
werden, wie es gelingen kann, ein Gesetz, das gute An-
sätze enthält, vor Ort umzusetzen und mit Leben zu er-
füllen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich frage Sie, Frau Ministerin Schröder: Warum ha-
ben wir von Ihnen nicht einen Satz gehört, in dem Sie
sich deutlich gegen diesen Unsinn aussprechen? Bis zum
6. November – dann will die Bundesregierung gemein-
sam mit den Ministerpräsidenten der Union eine Ent-
scheidung fällen – haben Sie Zeit, Ihr Veto gegen Steuer-
senkungen einzulegen. Frau Ministerin, Sie müssten
doch ein Interesse daran haben, dass das Kinderschutz-
gesetz vor Ort gut umgesetzt werden kann. Nehmen Sie
endlich Ihre Rolle als Familienministerin ernst, und
kämpfen Sie für den Kinderschutz und für eine Stärkung
der Kommunen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Finanzie-
rung krankt dieser Gesetzentwurf daran, dass Sie den
Gesundheitsbereich nicht einbezogen haben. Dies lag
auch daran, dass sich der Bundesgesundheitsminister
während der gesamten Verhandlungen weggeduckt hat.
Er hat sich verweigert und keinerlei Vorschläge ge-
macht, wie die Kooperation des Gesundheitswesens mit
der Jugendhilfe verbessert werden kann.

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass beispiels-
weise Ärztinnen und Ärzte wenig über die Jugendhilfe
wissen und selten die Anlaufstellen für Familien vor Ort
benennen können. Oft sind sie nicht ausreichend ge-
schult, um eine Kindesvernachlässigung oder einen Kin-
desmissbrauch zu erkennen. Der gute Wille ist natürlich
vorhanden; das alleine reicht aber nicht aus.

Von der Wissenschaft, aber auch von den Fachverbän-
den wird zu Recht angemahnt, die Gesundheitsförderung
und die Prävention zu stärken. Wir, die SPD-Bundes-
tagsfraktion, haben hierzu ein konkretes Konzept vorge-
legt. Wir fordern ein bundeseinheitliches Präventionsge-
setz, das im direkten Lebensumfeld von Familien ansetzt
und alle Akteure an einen Tisch holt. Gesundheitsförde-
rung und Prävention müssen in der Familie, in den Kitas
und in den Schulen ansetzen. Nur so kann das Vorhaben
wirklich gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Frage ist: Warum verweigern sich Union und
FDP hartnäckig einem solchen Gesetz, das den Kinder-
schutz unterstützen würde?


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die weigern sich bei allen Gesetzen!)


Noch einmal zurück zum Entwurf des Kinderschutz-
gesetzes: Es ist notwendig, die Rolle der Hebammen zu
stärken. Sie begleiten die Mütter von Anfang an. Ihre
Unterstützung wirkt präventiv und gesundheitsfördernd,
sowohl für das Neugeborene als auch für die Eltern. Es
gibt ein gutes Modellprojekt in Bayern und Rheinland-
Pfalz. In diesem Modellprojekt wird zurzeit die Auswei-
tung der Hebammenleistungen auf den Zeitraum von
sechs Monaten erfolgreich erprobt. Junge Familien kön-
nen so besser unterstützt werden. Aber es ist eben nur
ein Modellprojekt.

Warum hat Bundesminister Bahr auch hier eine ver-
nünftige Regelung blockiert? Eine solche Regelung
würde die Familien stärken und so die Kinder besser
schützen. Ich finde, diese Blockade ist mehr als bedauer-
lich.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Was ist das für ein Signal, wenn ein Kinderschutzgesetz
verabschiedet und gleichzeitig der Mittelansatz im Haus-
halt für die Förderung der Kindergesundheit halbiert und
die Ausgaben für Prävention und Gesundheitsförderung
drastisch gekürzt werden?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Skandalös! – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ein Skandal!)






Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)

– Das ist in der Tat ein Skandal.

Die SPD-Bundestagsfraktion erkennt Ihr Bemühen
um einen besseren Schutz von Kindern und Jugendli-
chen an. Der Gesetzentwurf geht zweifellos in die rich-
tige Richtung. Aber bleiben Sie beim Kinderschutz nicht
auf halber Strecke stehen. Deswegen appelliere ich an
die Bundesregierung: Fallen Sie den Ländern und Kom-
munen nicht mit weiteren Steuersenkungsplänen in den
Rücken! Auch das würde die Kinder in unserem Land
stärken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713615000

Vielen Dank, Frau Kollegin Marks. – Jetzt für die

Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Sibylle
Laurischk. Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1713615100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Schröder! Mit dem
Entwurf des Bundeskinderschutzgesetzes realisieren wir
heute ein wichtiges Anliegen der Koalition: die umfas-
sende Verbesserung des Kinderschutzes in Deutschland.
Damit der Kinderschutz nicht dem Zufall überlassen
bleibt, ist es wichtig, dass die Verantwortlichen mitei-
nander kooperieren. Hier knüpft der Gesetzentwurf an.

Das Kinderschutzgesetz wird dafür sorgen, dass eine
ungute Praxis, die bisher üblich war, endlich beendet
wird: das sogenannte Jugendamt-Hopping. Familien, die
bei einem Jugendamt in irgendeiner Form auffällig wur-
den, weil sich die Kinder in einer unguten Lebenssitua-
tion befanden, haben sich bislang häufig entzogen, in-
dem sie ihren Wohnsitz gewechselt haben. Ein anderes
Jugendamt weiß dann zunächst nicht Bescheid. Das war
in der Vergangenheit sehr misslich und für die betroffe-
nen Kinder zusätzlich schwierig. Jetzt wandern die Ak-
ten mit. Die Jugendämter informieren sich untereinan-
der. Ein Ausweichen der Familien ist also nicht mehr
möglich; bestehende Hilfsangebote und andere vernetzte
Maßnahmen können die Familien aber weiterhin errei-
chen, und den Kindern kann geholfen werden. Dieses
Netzwerk zwischen Leistungsträgern und Institutionen
muss weiter ausgebaut werden.

Hier ist uns auch ein anderer Gesichtspunkt wichtig:
Wenn Ärzte, Psychologen, Hebammen, Sozialarbeiter,
Lehrer und Jugendämter kooperieren wollen und kön-
nen, ist es wichtig, dass die Berufsgeheimnisträger, näm-
lich die Kinderärzte, einen sicheren Maßstab erhalten,
inwieweit sie Informationen zu erkannten Problemlagen
weitergeben können. Bislang waren die Ärzte in einzel-
nen Ländern schon berechtigt, Informationen weiterzu-
geben. Es ist aber nach unserem Dafürhalten dringend
notwendig, dass hier eine bundesgesetzliche Regelung
Handlungssicherheit für die Ärzte schafft. Mit dem Bun-
deskinderschutzgesetz ist nun klar, dass die Ärzte in be-
sonders schwierigen Situationen, in denen eine Gefähr-
dung des Kindeswohls zu befürchten ist, handeln dürfen.
Nach unserem Dafürhalten ist die Situation bei den
Suchtberatungsstellen ein weiterer Gesichtspunkt, der
zeigt, dass bisher die Vernetzung im Rahmen eines Bun-
deskinderschutzgesetzes fehlte. Auch die Suchtbera-
tungsstellen sind jetzt Anlaufstellen in dem Netzwerk,
das wir uns wünschen, um die Prävention zu stärken.
Gerade in Familien, in denen eine Suchtproblematik be-
steht, sind die Kinder besonders gefährdet; Frau Ministe-
rin hat vorhin ein schlimmes Beispiel angeführt. Hier
setzen wir klare Zeichen, damit die Vernetzung eine gute
Entwicklung bringt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleiches gilt für die Hilfestellung sowie die Auswei-
tung und Stärkung des Beratungssystems für Kinder, die
von sexuellem Missbrauch und Misshandlung betroffen
sind. Hier brauchen wir einen Anspruch auf Beratung für
Kinder in Not- und Konfliktlagen; er wird in § 8 Abs. 3
des Achten Buches Sozialgesetzbuch aufgenommen. Ich
denke, dass Kinder, die in einer solchen Situation ir-
gendeine Form von Beratung brauchen, in einer Not-
und Konfliktlage sind. Insofern haben sie nach meinem
Dafürhalten ganz eindeutig einen Rechtsanspruch auf
Beratung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir Liberale haben in diesem Zusammenhang dafür
gesorgt, dass das erweiterte Führungszeugnis – ein wich-
tiges Thema – nicht zu einer bürokratischen Belastung
für Vereine wird. Insofern erkennt man hier unsere
Handschrift: Wir nehmen das Thema ernst, wollen aber
das Handeln der Vereine in Zukunft nicht durch eine
Überbürokratisierung belasten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer Stichpunkt sind die Pflegefamilien. Da
haben wir beim Vorschlag des Ministeriums gegenge-
steuert. Das Ministerium wollte hinsichtlich der Jugend-
ämter eine Sonderzuständigkeit für Dauerpflegeverhält-
nisse schaffen. Da das nicht unserem kindzentrierten
Ansatz entspricht, haben wir es bei der bisherigen Rege-
lung belassen.

Mit all diesen Regelungen schaffen wir die Möglich-
keit einer neuen, vernetzten Vorgehensweise in der Ju-
gendhilfe, wie wir sie uns zum Schutz der Kinder wün-
schen. Wir werden im Rahmen der Evaluation, die
gesetzlich vorgesehen ist, prüfen, wie sich dieses Gesetz
in der Anwendung bewährt. Ich denke, wir sind im Inte-
resse unserer Kinder beim Schutz unserer Kinder auf ei-
nem guten Weg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713615200

Vielen Dank, Frau Kollegin Laurischk. – Jetzt für die

Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Michaela
Noll. Bitte schön, Frau Kollegin Michaela Noll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1713615300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Erlauben Sie mir, an dieser Stelle einfach ein-
mal Danke zu sagen, auch in Richtung der Ministerin.
Sie waren diejenige, die das Vorhaben anderthalb Jahre
lang vorangetrieben hat. Sie waren auch diejenige, die
einen wesentlichen Teil dazu beigetragen hat, dass in
diesem Gesetz nicht nur der Interventionsgedanke ver-
folgt wird, sondern Prävention einen wirklich großen
Stellenwert hat. Ich möchte auch meinen Kolleginnen
danken, unter anderem Marlene Rupprecht. Marlene, wir
haben das Gesetz nach sechs Jahren mehr oder weniger
auf den Weg gebracht. Ich kann wirklich sagen, was
schon von vielen gesagt worden ist: Das Gesetz ist ein
Meilenstein für mehr Kinderschutz in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


Die Tage und Nächte, in denen wir uns mit dem
Thema beschäftigt haben, und die Anhörungen haben
sich gelohnt. Es wurde von allen Experten begrüßt, dass
es uns gelungen ist, in der Sache zu diskutieren und alle
Akteure rechtzeitig, von Anfang an, mit einzubeziehen;
alle saßen mit am Tisch. Auch das war beim letzten Mal
so nicht der Fall. Deswegen haben sich die Experten in
der Anhörung einheitlich dafür bedankt, dass sie einge-
bunden wurden. Das hat auch zu einer deutlichen Ver-
besserung des Entwurfs beigetragen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, was
die Ministerin eben schon festgestellt hat: 96 Prozent der
Kinder in Deutschland werden in einem liebevollen El-
ternhaus groß. Unsere Aufgabe ist es, uns um die Kinder,
die diese Chance nicht haben, die auf der Schattenseite
stehen – Marlene Rupprecht hat es gesagt; das ist unser
Wächteramt –, zu kümmern. Aber das ist nicht nur die
Pflicht der Politiker, sondern das ist meiner Meinung
nach die Pflicht der ganzen Gesellschaft. Egal, wer es
ist: Wer Kindeswohlgefährdung wahrnimmt, der muss
handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])


Manchmal wird kritisch angemerkt, dass Menschen in
finanziellen Nöten – so sage ich es einmal – eher dazu
neigen, zu Risikofamilien zu werden. Das ist meiner
Meinung nach völlig falsch. Es gibt sehr viele Eltern mit
einem sehr begrenzten Budget, die ihren Kindern all ihre
Liebe geben und sie entsprechend großziehen. Das Pro-
blem ist nicht der finanzielle Hintergrund, sondern eher
eine emotionale Armut. Denn diese Eltern haben oftmals
selbst nie soziale oder emotionale Bindungen in ihren
Elternhäusern kennengelernt. Deswegen sollten wir dort
rechtzeitig einschreiten.

Ich möchte Ihnen nicht noch einmal das Ausmaß der
Qualen schildern. Viele von Ihnen konnten die entspre-
chende Presse über Jahre verfolgen; die Namen der Kin-
der und ihre traurigen Schicksale wurden bereits ge-
nannt. Ich empfehle nur den Artikel „Die feindlichen
Eltern“ aus Zeit online, in dem Hintergrundinformatio-
nen über die kleine Karolina gegeben wurden. Jeder, der
solche Berichte gelesen hat, kann die Namen und
Schicksale dieser Kinder nicht vergessen. Deswegen ist
es richtig, dass wir dieses Gesetz jetzt auf den Weg brin-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für diejenigen, die heute vielleicht das erste Mal die
Gelegenheit haben, es zu hören: Wir haben in dem jetzt
vorliegenden Gesetzentwurf einen anderen Schwerpunkt
gesetzt. Das ist von vielen Kollegen angesprochen wor-
den. Ich glaube, Familienhebammen sind die richtige
Basis, um Vertrauen zu schaffen, auch für Familien, die
am Anfang vielleicht verunsichert sind, weil sie eben
nicht wissen, wie sie mit einem kleinen Säugling umge-
hen sollen. Wir haben davon gesprochen: Unsere Gesell-
schaft ist eine kinderentwöhnte Gesellschaft. Viele ha-
ben keine kurzen Wege zu den Eltern, um sie um Hilfe
zu bitten; auch in der Nachbarschaft ist nicht unbedingt
immer Hilfe vorhanden. Wenn also die Familienhebam-
men den Familien als tatkräftige Lotsen helfen, den All-
tag zu bewerkstelligen, dann haben diese Kinder größere
Chancen.

Wir haben uns auch beim Thema der Hausbesuche
bewegt. Ich bin sehr dankbar, dass wir jetzt einen ande-
ren Weg gehen als 2009, dass die Jugendämter entschei-
den, ob es sinnvoll ist, in die Familie zu gehen.

Wir haben über die Schweigepflicht gesprochen. Kol-
legin Deligöz hatte damals angeregt, eine einheitliche
Befugnisnorm vorzusehen. Dabei ist es geblieben. Das
gibt auch den Ärzten die notwendige Sicherheit.

Kollegin Laurischk hat vom Jugendamt-Hopping ge-
sprochen. Auch dieses Thema ist wichtig; denn wir wis-
sen aus den Erfahrungen, dass Risikofamilien dazu nei-
gen, öfter umzuziehen.

Sehr gut finde ich auch, dass für werdende Eltern be-
reits während der Schwangerschaft die Möglichkeit zur
Beratung vorgesehen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben noch etwas Neues auf den Weg gebracht
– eben wurde zwar etwas kritisch angemerkt, dass das
kein Rechtsanspruch ist; aber ich halte es trotzdem für
wesentlich –, und zwar haben die Kinder selber jetzt ei-
nen Anspruch auf Beratung. Das heißt, nicht mehr Dritte
reden über die Kinder, sondern die Kinder können sich
selbst einbringen. Es gibt in diesem Bereich also eine
ganz andere Wahrnehmung.

Kollegin Laurischk hat eben auch die Pflegekinder
angesprochen; um sie geht es in § 86 Abs. 6 SGB VIII.
Das sind ja gerade die Kinder, die schon auf der Schat-
tenseite stehen; denn sonst wären sie nicht aus ihrer Fa-
milie herausgenommen worden. Wir haben bedauerli-
cherweise auch in diesem Bereich einen Anstieg der
Zahlen der Kinder, die aus ihren Familien herausgenom-
men wurden. Wir müssen besonders darauf achten, dass
diese Kinder nicht erneut in eine schwierige Situation
kommen. Deswegen halte ich den Weg, auf den wir uns
jetzt geeinigt haben – die Sonderzuständigkeit wird nicht
gestrichen –, für richtig. Wir werden eine Evaluation





Michaela Noll


(A) (C)



(D)(B)

durchführen und prüfen, was sich in der Praxis wirklich
bewährt. Dann entscheiden wir kurzfristig, wo Änderun-
gen notwendig sind. Ich halte das in diesem Fall für den
besseren Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dann hatten wir über das erweiterte Führungszeugnis
gesprochen. Das war oft in der Diskussion, Stichwort
„Sportvereine“. Ich habe mich einfach einmal auf den
Weg gemacht und mit den Praktikern vor Ort bei mir im
Wahlkreis gesprochen. Ich nenne nur einmal die Stadt
Hilden, wo Sportvereine eine freiwillige Kinderschutz-
vereinbarung unterzeichnet haben. Der Landessportbund
NRW war an diesem Tag vor Ort. Ich habe die Schirm-
herrschaft übernommen und einfach nur darum gebeten,
diese Vereinbarung als Muster für andere Kommunen zu
nehmen. Es gibt doch nichts Einfacheres, als etwas Gu-
tes, das bereits auf den Weg gebracht wurde, zu kopieren
und weiterzugeben. Ich hoffe also, dass auch andere Ver-
eine diesen Weg einschlagen werden.

Heute ist wirklich ein guter Tag; sechs Jahre Arbeit
haben sich gelohnt. Ich bereue nicht eines davon. Wenn
wir die Kultur des Miteinanders, des Dialoges, so wie
wir ihn geführt haben, zielorientiert weiterführen, dann
haben wir, glaube ich, eine gute Legislaturperiode.

Eines möchte ich noch bemerken: Nicht nur Politiker
haben die Pflicht, mutig zu sein und einzuschreiten,
wenn sie Kindeswohlgefährdung feststellen. Diese
Pflicht gilt für jeden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713615400

Vielen Dank, Frau Kollegin Noll.

Auf meiner Rednerliste findet sich nun niemand
mehr, sodass ich die Aussprache schließe.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung
eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7522, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/6256 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Niemand. Enthaltungen? – Das sind die Oppositions-
fraktionen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ebenfalls unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7522 empfiehlt der Ausschuss,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die Oppositionsfraktionen.
Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Abstimmung über den Entschließungsan-
trag der Fraktion der Sozialdemokraten auf Drucksache
17/7529. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Das sind die Fraktionen der Sozialdemokraten, Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linke. Gegenprobe! – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7530. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion
Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ge-
genprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthal-
tungen? – Die Fraktion der Sozialdemokraten. Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7531. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozialdemokraten.
Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh-
lungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf Drucksache 17/7522 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7522 die Ablehnung des An-
trags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/498 mit
dem Titel „Kinderschutz wirksam verbessern: Präven-
tion im Kinderschutz optimieren – Förderung und Frühe
Hilfen für Eltern und Kinder stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten sowie die
Linksfraktion. Enthaltung? – Keine. Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen.

Ich rufe Tageordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Roth (Esslingen), Dr. Sascha Raabe, Lothar
Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Soziale Sicherung als Motor solidarischer und
nachhaltiger Entwicklungspolitik

– Drucksache 17/7358 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Sind Sie alle damit
einverstanden? – Dann ist das auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin rufe
ich für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kolle-
gin Frau Karin Roth auf. Bitte schön, Frau Kollegin
Roth, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1713615500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen!

Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht
auf soziale Sicherheit …

So steht es in der Menschenrechtserklärung der Verein-
ten Nationen aus dem Jahr 1948. Heute, 63 Jahre später,
leben trotz dieser wichtigen internationalen Vereinba-
rung immer noch rund 80 Prozent der Weltbevölkerung
ohne jeglichen Schutz vor elementaren Lebensrisiken.
Ohne einen sozialen Schutz können Familien durch
Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter oder Tod eines Ernäh-
rers oder einer Ernährerin in kürzester Zeit in unvorstell-
bare Armut gestürzt werden. Frauen in Entwicklungslän-
dern, aber auch Kinder trifft das besonders hart.
Weltweit verarmen jedes Jahr rund 100 Millionen Men-
schen, weil sie die Kosten für Medikamente oder eine
andere Gesundheitsbehandlung aus eigener Tasche di-
rekt bezahlen müssen. Das ist nicht nur in Entwicklungs-
ländern der Fall, sondern leider auch – immer noch – in
den USA.

Das ist ein Teufelskreis. Diesen zu durchbrechen, ist
Aufgabe der Politik in den Ländern selbst – mit Unter-
stützung internationaler Geber und der internationalen
Institutionen. Politik, Nichtregierungsorganisationen,
Wissenschaft und Wirtschaft sind sich, von wenigen neo-
liberalen Vertretern abgesehen, einig: Der Aufbau von
sozialen Sicherungssystemen in Entwicklungsländern ist
ein zentraler Schlüssel zur effektiven Bekämpfung der
Armut. Auf dem Millenniumsgipfel vor gut einem Jahr
in New York haben die Staats- und Regierungschefs des-
halb beschlossen, den Zugang zu sozialen Diensten für
alle zu fördern. Wenn man bedenkt, dass dieses Ziel
schrittweise umgesetzt werden muss, wird klar, dass dies
eine Herkulesaufgabe ist. Ich erinnere an die Finanzmit-
tel und die Strukturen, die notwendig sind, aber auch an
die Qualifizierung der Menschen, die in diesen Syste-
men arbeiten sollen.

90 Prozent der Menschen in Schwellen- und Entwick-
lungsländern arbeiten im informellen Sektor. Das heißt,
sie haben ungeregelte Arbeitsverhältnisse. Viele von ih-
nen sind auf sich selbst gestellt. Genau das ist das Pro-
blem. Um diese Menschen aus der Armut herausholen
zu können, müssen ein soziales Sicherungssystem aufge-
baut und ein diskriminierungsfreier Zugang zu einem
sozialen Basisschutz gewährleistet werden. Das ist
unbedingt notwendig. Soziale Sicherung in Entwick-
lungsländern sollte daher integraler Bestandteil unserer
Entwicklungspolitik sein.

(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])


Warum ist soziale Sicherung für die Entwicklung sub-
stanziell? Wer alles verliert, was er oder sie aufgebaut
hat, weil ein Kind oder er oder sie krank ist, ist nicht in
der Lage, zu investieren, um die Existenzgrundlage für
sich und die Familie zu verbessern. Nur wer eine Min-
destabsicherung hat, kann Lebensrisiken vermeiden,
Neues wagen, investieren und produktiv sein. Soziale Si-
cherung ist also eine wesentliche Voraussetzung für wirt-
schaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität.

Soziale Sicherung ist also notwendig. Dabei geht es
uns nicht um Wachstum um jeden Preis. Es geht um ein
nachhaltiges und qualitatives Wachstum. Vor allen Din-
gen geht es um die Einhaltung sozialer und ökologischer
Standards. Entscheidend ist, dass die jeweiligen Siche-
rungssysteme einen universellen Basisschutz vorsehen
– das ist die Grundlage –, dass dieser für alle Bevölke-
rungsgruppen, aber vor allen Dingen für die Ärmsten zu-
gänglich wird.

Im Rahmen der Vereinten Nationen entwickelten des-
halb die Internationale Arbeitsorganisation und die Welt-
gesundheitsorganisation das Konzept des sogenannten
Social Protection Floors. Dessen sozialer Basisschutz er-
reicht alle Bevölkerungsgruppen und deckt vier wesent-
liche Bereiche sozialer Sicherung ab.

Erstens. Garantierte Mindestgesundheitsversorgung
für alle, um die ruinösen Direktzahlungen zu verhindern.

Zweitens. Mindesteinkommensgarantien für Kinder,
um die millionenfache Kinderarbeit zu reduzieren und
letztlich zu beseitigen.

Drittens. Unterstützung für Arme und Arbeitslose.

Viertens. Mindesteinkommensgarantien für alte Men-
schen und für Menschen mit Behinderungen. Auch das
muss mehr in den Fokus unserer Betrachtung rücken.

Im Juni dieses Jahres anlässlich der 100. Sitzung der
Internationalen Arbeitskonferenz in Genf wurde diese
Strategie ausdrücklich von allen Staaten, von Arbeitge-
bern und von Gewerkschaften akzeptiert; das heißt, sie
hat ein gutes und breites Fundament. Um einem Miss-
verständnis vorzubeugen: Es ist keine Blaupause für
alle, sondern ermöglicht es den einzelnen Ländern, nach
ihren Interessen Systeme und Projekte zu entwickeln,
die jeweils ihrem kulturellen und gesellschaftlichen
Kontext angepasst sind. Genau das wollen wir: Partner-
schaft auf Augenhöhe. Auch die Frage der Konditionie-
rung von Leistungen bleibt diesen Ländern überlassen.

Es bleibt die Frage: Wie wird dieses gute Vorhaben
finanziert? Die SPD-Bundestagsfraktion setzt hier auf
das Grundprinzip von Solidarität. Zur nachhaltigen
Finanzierung der Leistungen im Rahmen des Social Pro-
tection Floors bedarf es aus unserer Sicht kurz- und
mittelfristig einer Mischung aus nationalem Steuerauf-
kommen, Beitragsaufkommen und der finanziellen Un-
terstützung internationaler Geber wie zum Beispiel der
Weltbank, des IWF oder auch der ILO. Dabei kann sei-
tens der Geber nicht nur allgemeine, sondern aus meiner
Sicht auch sektorale Budgethilfe zum Aufbau effizienter
und transparenter Strukturen gewährt werden, um eine





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)

wertvolle Unterstützung zu leisten. Ziel muss es sein,
neue zusätzliche nationale Steuereinnahmen zu erschlie-
ßen und gemäß dem Solidarprinzip, nach dem Besser-
verdienende einen höheren Beitrag zahlen müssen als
diejenigen, die gar nichts haben, Verteilungsgerechtig-
keit zu organisieren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern wird über den Aufbau von sozialen Siche-
rungssystemen nicht nur dem Einzelnen geholfen, was ja
wichtig ist, sondern gleichzeitig auch die Verantwortung
der Staaten und ihrer Regierungen für die Bevölkerung
gefördert. Die Akzeptanz eines solchen Systems setzt
Transparenz und Rechenschaftspflicht über die Verwen-
dung von Mitteln voraus. Letztendlich sollen dadurch
auch gute Regierungsführung unterstützt und Korruption
bekämpft werden. Das alles sind Dinge, die wir gemein-
sam wollen.

Dem Aufbau eines sozialen Basisschutzes im Ge-
sundheitsbereich kommt deshalb besondere Bedeutung
zu. Er muss aus meiner Sicht gut organisiert werden;
denn das Menschenrecht auf Gesundheit ist ein öffentli-
ches Gut. Nur so kommen wir in diesem Bereich weiter.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jeder Staat hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich
alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem Ein-
kommen auf eine gute medizinische Versorgung verlas-
sen können. Das heißt eben auch, dass die Finanzierung
der Gesundheitsstrukturen Teil der staatlichen Daseins-
vorsorge ist und nicht an Stiftungen und andere delegiert
werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Zusammenhang mit dem Social Protection Floor
bietet sich jetzt die Gelegenheit, gemeinsam voranzu-
kommen. Die Weltbank arbeitet gerade an einer Strate-
gie. Auch die Europäische Union ist zurzeit dabei, genau
dieses Projekt zu unterstützen. Leider hat unser Bundes-
minister Niebel noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt;
vielleicht passiert dies noch.


(Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Das glaube ich nicht!)


Wir wollen, dass er sich zumindest für die Umsetzung
dieser internationalen Strategien einsetzt. Wie anders ist
es zu erklären, dass der Minister auch in diesem Jahr
verweigert, die soziale Sicherung als thematische Ziel-
größe im Haushalt wieder einzuführen, so wie es zum
Beispiel 2009 war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Unterstützung für den Aufbau notwendiger
Strukturen ist hier leider nicht zu sehen. In der nächsten
Woche findet in Cannes der G-20-Gipfel statt. Auch hier
soll das Thema Soziale Sicherung ganz oben auf der Ta-
gesordnung stehen. Man höre und staune, auch der fran-
zösische Staatspräsident unterstützt den Social Protec-
tion Floor, und zwar mit dem Hinweis, dass dies jetzt
dringend erforderlich ist.

Wenn sich alle – die Arbeitsminister, die Sozialminis-
ter und die Entwicklungsminister – im Rahmen der G 20
so einig sind, dann können wir ja alle beim Wort neh-
men. Ich fordere unsere Bundeskanzlerin daher auf, die-
ses Projekt beim G-20-Gipfel zu unterstützen und
gleichzeitig 100 Millionen Euro zur Verfügung zu stel-
len, damit die Umsetzung dieses Programms auch von
uns unterstützt werden kann. Sie sollen nicht nur reden,
sondern auch zu Taten schreiten. Das wäre mein Wunsch
für dieses Projekt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jenseits unserer Parteigrenzen ist jetzt die Stunde ge-
kommen, um mit den sozialen Sicherungssystemen ernst
zu machen. Wenn der G-20-Gipfel erfolgreich wird,
dann können wir uns alle freuen. Das wäre ein gutes Zei-
chen. Dann sollten wir in der Bundesrepublik dies ent-
sprechend mit Geld, Kompetenz und internationaler Zu-
sammenarbeit unterstützen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713615600

Vielen Dank, Frau Kollegin Roth. – Jetzt für die Frak-

tion der CDU/CSU unsere Kollegin Sabine Weiss. Bitte
schön, Frau Kollegin Sabine Weiss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Sabine Weiss (CDU):
Rede ID: ID1713615700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Stellen wir uns
einmal kurz folgendes Szenario vor: Ein Familienvater
wird krank. Es muss gar nichts Ernstes sein, aber etwas,
das den Bewegungsapparat so einschränkt, dass an kör-
perliche Arbeit nicht mehr zu denken ist. Unter Umstän-
den sind einige medizinische Behandlungen nötig. Er
kann für ein paar Wochen nicht arbeiten. Damit ist der
Job futsch. Die Familie muss für die Behandlungskosten
aufkommen und hat kein Einkommen mehr. Da die Fa-
milie keinerlei Ersparnisse hat, muss sie sich das Geld
für die Behandlung leihen. Ohne Einkommen ist nicht
genügend Geld für Nahrung da. Die Familie hungert und
verliert ihr Heim. Sie rutscht damit immer tiefer in die
bittere Armutsspirale ab.

Der ein oder andere, den man fragen würde, würde
ein solches Szenario wahrscheinlich eher mit einem düs-
teren Schinken über den Beginn der Industrialisierung
oder das Mittelalter in Verbindung bringen als mit einer
aktuell dringlichen Problemlage. Solche Horrorszena-
rien gehören hier bei uns in Deutschland Gott sei Dank
der Vergangenheit an. Denn wir haben funktionierende
soziale Sicherungssysteme.

In vielen Teilen dieser Welt ist ein solch düsteres Le-
bensszenario bittere Realität. Wir haben es gerade schon
gehört, aber man kann es nicht häufig genug wiederho-





Sabine Weiss (Wesel I)



(A) (C)



(D)(B)

len, Frau Kollegin Roth: 80 Prozent der Weltbevölke-
rung verfügen über keinerlei Absicherung gegen die
vielfältigen Lebenskrisen wie Krankheit, Alter oder Er-
werbslosigkeit. Jedes Jahr stürzen 100 Millionen Men-
schen aufgrund von Kosten, die sie für Gesundheits-
dienste aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, ins
Elend von Armut und Hunger. Da wird für ganze Fami-
lien der Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Ernährers oder
der Ernährerin überlebenswichtig. Schon ein kurzfristi-
ger Ausfall kann Hunger, Armut und Chancenlosigkeit
bedeuten.

Eine weitere Hürde ist das Alter ohne jegliche Alters-
sicherung. Wir können uns sicherlich alle vorstellen:
Ohne jegliche Alterssicherung ist der Lebensabend
wahrlich kein Ruhestand, sondern schlichtweg die Hölle.
Auch in den Entwicklungsländern lösen sich die traditio-
nell familiären Systeme auf, sodass die alten Menschen
immer häufiger nicht mehr von der Familie versorgt
werden können. Zudem wird der demografische Wandel
in vielen Entwicklungsländern bald signifikant zu spüren
sein. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts wird sich die
Zahl der über 60-Jährigen in den Entwicklungsländern
voraussichtlich vervierfachen. Die Herausforderungen
sind also immens, und die Zeit drängt.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau!)


In den Ländern, in denen eine bescheidene soziale Si-
cherung in der einen oder anderen Form bereits gewährt
wird, profitieren häufig nur die Beschäftigten des for-
mellen Sektors davon. Da rund 90 Prozent der Bevölke-
rung im informellen Sektor arbeiten, bleiben sie
schlichtweg außen vor. Insbesondere die Frauen und
Kinder sind mal wieder die Leidtragenden.

Ich bin der Meinung und der festen Überzeugung,
dass der Aufbau von tragfähigen sozialen Sicherungs-
systemen ein zentraler Punkt bei der strukturellen Ar-
mutsbekämpfung und der nachhaltigen Entwicklung sein
muss. Erfolgreich wird er dann sein, wenn es gelingt,
auch die armen und armutsgefährdeten Bevölkerungs-
gruppen wie Kinder, Menschen mit Behinderung, Alte
oder Minderheiten sowie den informellen Sektor einzu-
beziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dabei geht es nicht darum, unser deutsches System
anderen Länder einfach überzustülpen; das haben auch
Sie gerade erwähnt, Frau Roth.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau!)


Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kann die
Partnerländer mit ihrem Know-how und ihren Ressour-
cen bei der Ausgestaltung von Sicherungssystemen un-
terstützen. Diese Sicherungssysteme müssen dann auf
das jeweilige Land, seine Bedürfnisse und den Entwick-
lungsstand zugeschnitten sein; eine Blaupausenlösung,
Frau Kollegin, gibt es nicht.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau!)

Zudem muss das jeweilige Land den unbedingten,
aber auch unauslöschlichen Willen haben, an der Imple-
mentierung von sozialer Absicherung auch gegen Wi-
derstände dauerhaft festzuhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Helga Daub [FDP])


Nur so – nur dann, wenn die Länder und Regierungen
mitmachen – kann ein solch langwieriger Reformprozess
zum Erfolg werden. Dabei ist nicht in erster Linie – hier
muss ich Ihnen widersprechen – das Geld aus unserem
Lande wichtig. Die wenigsten Herausforderungen in der
Entwicklungszusammenarbeit sind einfach, quasi mit ei-
nem Handstreich, zu bewältigen; das wissen wir alle.
Sich den schwierigen Herausforderungen stellen und
nach Lösungen suchen, das machen alle Entwicklungs-
politiker mit viel Herzblut und sehr viel Engagement.

Der Aufbau von nachhaltigen sozialen Sicherungs-
systemen, die alle Bevölkerungsgruppen einschließen,
ist ein ganz schön großer Brocken, bei dem es die Part-
nerländer zu unterstützen gilt. Sozialtransferprogramme
in bestimmten Regionen für bestimmte Bevölkerungs-
gruppen oder Gutscheine für medizinisch begleitete Ge-
burten oder andere medizinische Behandlungen – wir
alle kennen solch gute Projekte – sind erfolgreiche Pro-
gramme. Die Herausforderungen bei der Umsetzung
sind zwar insgesamt groß, aber, wie ich denke, noch
schulterbar.

Der Auf- und Ausbau diskriminierungsfreier, effi-
zienter und aus Steuern und Beiträgen finanzierter Ge-
sundheitssysteme mit Sozialausgleich in Entwicklungs-
ländern, wie es in Ihrem Antrag steht, ist jedoch eine
neue Dimension der Herausforderung, ein gigantischer
Auftrag, den man nicht erst locker-flockig fordert und
dann in der Tagesordnung weitermacht. Frau Kollegin,
ich denke, das haben Sie auch nicht beabsichtigt.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau! Deshalb kommt ja auch die G 20!)


Machen wir uns nichts vor – das muss man immer
wieder betonten –: Der Aufbau dauerhaft funktionieren-
der sozialer Sicherungssysteme für alle Bevölkerungs-
gruppen ist eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte.
80 Prozent der Menschheit haben bis jetzt keine soziale
Absicherung. Viele Entwicklungsländer verfügen zudem
noch nicht einmal im Ansatz über die Strukturen zur Im-
plementierung und Durchsetzung von sozialen Siche-
rungssystemen, die gegen die dringendsten Lebensrisi-
ken schützen. Da kann es nicht einfach nur einen
Paukenschlag geben und alles ist gut. Der Aufbau von
sozialer Sicherung in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern ist und bleibt ein Mammutprojekt, für das wir alle
einen langen Atem brauchen. Dennoch – oder gerade
deshalb – müssen wir diese Herausforderung dringend
und konsequent angehen.

Der Aufbau von transparenten und nachhaltigen
Steuer- und Verwaltungssystemen sowie die Einführung
überprüfbarer Geburtenregister in den Schwellen- und
Entwicklungsländern sind ebenfalls gewaltige, sicher-
lich aber auch unabdingbare Aufgaben, bei denen wir
die betroffenen Länder unterstützen müssen.





Sabine Weiss (Wesel I)



(A) (C)



(D)(B)

Erlauben Sie mir, ganz kurz von meinen persönlichen
Erfahrungen zu berichten. Seit etwa 19 Jahren verbringe
ich meinen Jahresurlaub in einem philippinischen Dorf.
Auch wenn die Philippinen in vielen Verwaltungsberei-
chen schon relativ weit sind, genießt die korrekte und
zeitnahe Eintragung ins Geburtsregister keinen allzu
großen Stellenwert, und das ist schon recht vorsichtig
umschrieben.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Deshalb fordern wir es ja auch!)


Vom Thema Steuereintreibung oder vom Steuernzahlen
fange ich lieber gar nicht erst an, nur so viel: Falls doch
einmal irgendein Finanzangestellter in unsere Gegend
aufs Dorf kommt und den wirklich reichen Großgrund-
besitzern einen Besuch abstattet, so endet dieser Besuch
selten damit, dass der Großgrundbesitzer Steuern zu zah-
len hat – zumindest nicht an eine staatliche Stelle. Das
ist in vielen Ländern nicht anders. Daran zeigt sich aller-
dings, wie groß die Herausforderung ist


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Genau!)


und welche Strukturen in langwierigen Prozessen verän-
dert werden müssen.

Die Partnerländer brauchen unsere Unterstützung
beim Aufbau von tragfähigen Steuer- und Verwaltungs-
systemen. Die soziale Grundsicherung ist ein zentraler
Punkt bei der nachhaltigen Bekämpfung von Armut. Von
schnellen und einfachen Lösungen sollte man bei diesen
Themen aber nicht ausgehen. Hier ist ein sehr langer
Atem gefragt. Dass es sich lohnt, ihn zu haben, steht für
mich allerdings außer Frage.

Es gibt einige Punkte in Ihrem Antrag, denen wir si-
cherlich zustimmen können – auch weil sie bereits Re-
gierungshandeln sind. Anderen Punkten, wie zum Bei-
spiel der Budgethilfe, werden wir, denke ich, nicht
zustimmen.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aha!)


Bei der zweiten und dritten Lesung können wir uns
dann ja auf diese Fragen konzentrieren und uns mit der
gewohnten Hartnäckigkeit über den richtigen Weg strei-
ten. Ich freue mich darauf.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713615800

Vielen Dank, Frau Kollegin Weiss. – Der nächste

Redner ist unser Kollege Niema Movassat für die Frak-
tion Die Linke. Bitte schön, Herr Kollege Movassat.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713615900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hälfte

der Menschen auf der Welt hat keinen Zugang zu sozia-
ler Sicherung. Die Hälfte der Menschen auf der Welt ist
daher Krankheiten, Arbeitslosigkeit und Armut schutz-
los ausgeliefert. Durch soziale Sicherungssysteme wer-
den die Risiken, die Armut und die Not, Kinder zur Ar-
beit statt zur Schule schicken zu müssen, damit Geld ins
Haus kommt, verringert. Deshalb ist die soziale Sicher-
heit für alle Menschen, ob in Deutschland oder in den
Entwicklungsländern, ein zentrales Anliegen für die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt drei Wege für Entwicklungsländer, soziale Si-
cherungssysteme aufzubauen:

Erstens durch nationale Strategien mit Unterstützung
von außen. Ein Beispiel dafür ist der Gesundheitsbereich
in Ruanda. Ruanda hat in Zusammenarbeit mit dem Glo-
balen Fonds ein Krankenversicherungssystem einge-
führt. Für 1,50 Euro pro Jahr bietet es eine medizinische
Grundversorgung. Über 90 Prozent der Bevölkerung
werden heute davon erfasst. Allein die Kindersterblich-
keit konnte dadurch um zwei Drittel gesenkt werden.

Finanziert wird diese Krankenversicherung unter an-
derem – Frau Weiss, hören Sie zu – über Budgethilfepro-
gramme. Das zeigt, wie wirksam diese sind. Wer von
Partnerschaft auf Augenhöhe redet, der muss den Part-
nerländern vertrauen. Deshalb bedarf es statt weniger
Budgethilfe viel mehr davon.


(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein, ganz bestimmt nicht!)


Zweitens kann man Sozialsysteme durch eigenes
Wirtschaftswachstum und die dadurch erzielten Steuer-
einnahmen finanzieren. So wird die breite Bevölkerung
am wachsenden Wohlstand beteiligt. Hier ist Brasilien
zu nennen, wo ich mich im August vor Ort selbst von
den Erfolgen überzeugen konnte. Dort gibt es das Pro-
gramm Bolsa Familia. Das ist faktisch eine Sozialversi-
cherung. Dadurch werden derzeit an 36 Millionen Brasi-
lianer bis zu 78 Euro im Monat ausgezahlt. Zusammen
mit anderen Maßnahmen wurden dadurch 25 Millionen
Menschen aus der Armut befreit.

Drittens kann man Sozialsysteme durch Umvertei-
lung aufbauen. Hier ist Bolivien zu nennen. Früher wur-
den die Gas- und Rohstoffvorräte zu Schleuderpreisen
an internationale Konzerne verscherbelt. Die Bevölke-
rung hatte bis auf eine reiche Oberschicht nichts davon.
Dann hat Bolivien seine Gas- und Rohstoffvorräte ver-
staatlicht. Die Regierung hat mit dem Geld Sozialsys-
teme aufgebaut. Sie zahlt Schulgeld für Kinder, es gibt
eine Altersversorgung und eine soziale Absicherung für
Mütter. Über ein Viertel der Bolivianer hat dank dieser
Programme mittlerweile die Chance, der Armut zu ent-
kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem wurde die Binnennachfrage angekurbelt.
Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt stieg in nur drei
Jahren um über 60 Prozent. Das ist wirklich eine hervor-
ragende Leistung.

Die Umverteilung von oben nach unten ist letztlich
der zentrale Punkt. Durch die sozialen Sicherungssys-
teme wird vieles abgefedert. Für stabile Sicherungssys-
teme und eine grundlegende Armutsbekämpfung ist aber
eine gerechte Verteilung des Reichtums notwendig; denn





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

1 Milliarde Menschen auf der Welt muss mit weniger als
1,25 Dollar pro Tag ihre Existenz fristen. Sie führen ei-
nen täglichen Kampf ums Überleben. Gleichzeitig
nimmt die Zahl der Superreichen auch während der aktu-
ellen Krise zu. Heute besitzen die reichsten 10 Prozent
85 Prozent des Weltvermögens. Im Klartext heißt das:
Die einen trinken Champagner, und die anderen müssen
im Müll wühlen, um sich und ihre Kinder über den Tag
zu bringen. Das ist der Skandal des 21. Jahrhunderts.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt Verteilungsgerechtigkeit zu fördern, statt so so-
ziale Absicherung voranzubringen, wurde durch den Neo-
liberalismus in den letzten Jahrzehnten das Gegenteil ver-
ursacht. Die Idee dahinter: Der Markt richtet das schon.
Auch die Weltbank und der Internationale Währungs-
fonds propagieren dies. Seit dem Washington Consensus
im Jahr 1990 haben diese Institutionen soziale Siche-
rungssysteme verhindert oder gar zerstört; denn die
Entwicklungsländer wurden gezwungen, ihre Märkte zu
öffnen und öffentliche Unternehmen zu privatisieren. Sie
mussten Subventionen für Grundbedarfsartikel wie
Strom, Wasser und Nahrungsmittel streichen.

Schauen Sie nach Kenia. Das Land wurde durch die
Weltbank und den Internationalen Währungsfonds ge-
zwungen, Getreidesubventionen zu kürzen. Die aktuelle
Hungerkatastrophe in Ostafrika, von der über 14 Millio-
nen Menschen betroffen sind, auch in Kenia, hat viel mit
steigenden Nahrungsmittelpreisen zu tun. Getreidesub-
ventionen hätten die Bevölkerung davor geschützt und
somit vor Hunger und Tod bewahrt. Das neoliberale Mo-
dell tötet Menschen und gehört endgültig auf den Müll-
haufen der Geschichte.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Internationale Währungsfonds hat aus seinen
Fehlern nichts gelernt. Seine Fachexpertise in der Zer-
störung von sozialen Sicherungssystemen ist gerade
auch in Griechenland und Portugal gefragt. In dem SPD-
Antrag wird gefordert, ausgerechnet mit diesen Organi-
sationen in ihrer heutigen Form beim Aufbau sozialer Si-
cherungssysteme eng zusammenzuarbeiten. Damit ma-
chen Sie den Bock zum Gärtner.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Nein!)


Auch die Weltbank lernt nichts dazu. Aktuell plant sie
die Einführung eines neuen Finanzierungskonzepts, das
sogenannte Program for Results, für einen Teil ihrer Pro-
jekte. Sozial- und Umweltstandards und Transparenz-
richtlinien werden bei diesen Projekten nicht gelten. So
baut die Weltbank soziale Sicherheit eher ab. Deshalb
muss Deutschland dazu Nein sagen.

Laut SPD sollen die Entwicklungsländer vor allem ei-
gene finanzielle Mittel für soziale Sicherungssysteme
aufbringen. Da können wir mitgehen, aber unter einer
Bedingung: Wir müssen die wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen verändern, und zwar dahin gehend, dass die
Entwicklungsländer Staatsaufgaben wie die soziale Ab-
sicherung der Bevölkerung eigenständig finanzieren
können. Das heißt, Schluss mit den EU-Freihandelsab-
kommen, die diese Länder zur Marktöffnung zwingen.
Stattdessen Anerkennung des Rechts, Schutzzölle zu er-
heben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dies ist die einzige Chance, den eigenen Markt vor
der Überflutung durch subventionierte Billigprodukte
wie Milch oder Hähnchenschenkel aus Europa zu schüt-
zen. Nur durch Zölle können außerdem Arbeitsplätze
vor Ort geschützt werden. Nur durch Zölle können Ein-
nahmen geschaffen werden, um soziale Sicherungssys-
teme aufbauen zu können.

Außerdem müssen wir europäische Unternehmen, die
Menschen in Entwicklungsländern brutal ausbeuten, hier
zur Rechenschaft ziehen. Nur damit wir hier billige Kla-
motten tragen können, darf es doch nicht sein, dass auch
deutsche Konzerne die bangladeschische Näherin für
14 Cent die Stunde 15 Stunden am Tag unter sklaven-
ähnlichen Bedingungen arbeiten lassen. Unternehmen,
die das machen, verletzen Menschenrechte, torpedieren
soziale Sicherheit und gehören vor Gericht!

Zum Schluss möchte ich sagen: Private Unternehmen
haben beim Aufbau von Sozialsystemen nichts zu su-
chen. Dann gibt es kein Solidarprinzip. Dann werden
nicht alle Menschen erreicht. Geschäfte machen kann
man woanders. Soziale Sicherung ist Staatsaufgabe. Ich
teile es sehr, werte Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, dass es in Ihrem Antrag heißt: Starke Schultern
sollen mehr als schwache tragen. Aber ich finde es para-
dox, dass Sie sich jetzt als Vorreiter globaler sozialer Si-
cherungssysteme inszenieren.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Warum?)


Ich darf Sie erinnern: Sie haben Hartz IV eingeführt.
Sie haben den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent
gesenkt. Sie haben dafür gesorgt, dass hierzulande die
starken Schultern entlastet und die schwachen belastet
werden. Aber es ist gut, wenn Sie gelernt haben, dass die
Schere zwischen Arm und Reich weltweit geschlossen
werden muss, sonst wird es keine soziale Sicherheit ge-
ben. Nirgendwo!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713616000

Vielen Dank, Herr Kollege Movassat. Jetzt für die

Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Helga Daub.
Bitte schön, Frau Kollegin Daub.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Helga Daub (FDP):
Rede ID: ID1713616100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! „Soziale Sicherung als Motor solidarischer
und nachhaltiger Entwicklungspolitik“ – das ist eine
Aussage, die wir durchaus unterstützen. Vielen Ansätzen
des Antrages stimmen wir zu. Es ist auch gut, dass die
Gesundheitspolitik viel Raum einnimmt. Gerade durch
mangelnde Gesundheit kommt es eben zu dem Teufels-
kreis Krankheit – Erwerbslosigkeit – Armut. Diesen





Helga Daub


(A) (C)



(D)(B)

wollen wir durchbrechen. Aber auf dem Weg dorthin ha-
ben wir andere Instrumente.

Frau Roth, Sie haben gesagt, diese Regierung habe
die thematische Zielgröße Soziale Sicherung abge-
schafft. Das stimmt aber nicht. Im Jahr 2009 hat die
Bundesregierung ein verbindliches Sektorkonzept einge-
führt – Herr Kekeritz ist Zeuge; er hat im Gegensatz zu
Ihnen an der Veranstaltung teilgenommen –, das die Mit-
tel in andere Programme integriert und ein wichtiges
Element einer Gesamtstrategie ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht auch nicht immer nur um Geld, sondern auch
um Wirksamkeit und Nachhaltigkeit.

Übrigens kommen wir gerade bei der sozialen Siche-
rung ohne wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht aus.
Partnerschaftliche wirtschaftliche Zusammenarbeit
schafft Arbeitsplätze. Arbeitsplätze wiederum bringen
Menschen in Lohn. Lohn bringt Steuern, und mit Steu-
ern lassen sich Sozialsysteme aufbauen. Die Vorausset-
zung ist natürlich, dass wir eine gute Regierungsführung
haben. In diesem Punkt müssen wir investieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das steht im Antrag!)


Die Budgethilfe ist dabei nicht unbedingt unser An-
satz. Das wiederum steht nicht im Antrag. Sogar bei der
EU, die bislang quasi einen Schutzwall – ich verwende
das deutsche Wort – um die Budgethilfe errichtet hatte,
ist inzwischen ein Umdenken festzustellen. Die Positio-
nen der EU und des BMZ haben sich inzwischen ange-
nähert.

Sicherlich bedarf es zu Beginn einer Basisfinanzie-
rung für die soziale Sicherung und speziell das Gesund-
heitssystem. Das findet, wie gesagt, zum Teil in andere
Programme integriert mit der finanziellen Zusammenar-
beit statt. Das haben wir Dienstagmorgen gehört. Es sind
verschiedene Modelle, zum Beispiel mit Gutscheinen,
denkbar. Dazu kommen externe Geber wie Unicef, Glo-
bal Fund und GAVI. Diese erhalten ihrerseits aus vielen
Ländern und nicht zuletzt in erheblichem Maße auch von
der Bundesregierung Mittel.

Im Übrigen bin ich sehr froh, dass den behinderten
Menschen im Ministerium nun mehr Beachtung ge-
schenkt wird. Weltweit sind mehr als 15 Prozent der
Menschen behindert, davon 80 Prozent allein in Ent-
wicklungsländern. Hier zu helfen ist eine große Heraus-
forderung, der sich diese Regierung stellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die WHO hat auch eine wichtige Rolle im Aufbau
von Gesundheitssystemen – das ist klar –, aber zunächst
einmal ist die WHO ihrerseits selber in einem umfassen-
den Reformprozess, weil ihr, wie es oft bei großen Orga-
nisationen der Fall ist, im Laufe der Zeit viel zu viele
Aufgaben zugewachsen sind. Wir wollen ihren Reform-
prozess abwarten, bevor wir unsererseits weitere Forde-
rungen stellen. Die Regierung begleitet diesen Prozess
finanziell und auch ideell.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich:
Die Zielgröße Soziale Sicherheit ist von dieser Bundes-
regierung keineswegs abgeschafft, sondern in andere
Programme integriert worden. Leider haben Sie wieder
einmal ein berechtigtes Anliegen genutzt, um gegen die
Regierung zu wettern.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Das ist der Job der Opposition!)


– Ja, natürlich. Das muss so sein. Sie werden verstehen,
dass wir deshalb dem Antrag so noch nicht zustimmen
können.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: G-20-Gipfel!)


Sie haben im Vorfeld gesagt, Sie könnten sich durch-
aus eine sektorale Budgethilfe vorstellen und damit ein-
verstanden erklären. Sie haben meine Ausführungen
zum Integrieren in andere Programme und zur Gesamt-
strategie gehört: An dieser Stelle ist auch die sektorale
Budgethilfe nicht unbedingt zielführend.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713616200

Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz von der Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713616300

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ge-

nau so habe ich es mir vorgestellt: Die SPD und die Grü-
nen werden sich mokieren, dass die unabhängige und
selbstständige Zielgröße „Aufbau von sozialen Siche-
rungssystemen“, die im Haushalt auch klar definiert
werden müsste, verschwunden ist. Ich habe auch erwar-
tet, werte Kolleginnen und Kollegen von den Regie-
rungsfraktionen, dass Sie in Ihren Beiträgen sehr stark
die Notwendigkeit des Aufbaus sozialer Sicherungssys-
teme betonen werden. Das haben Sie gemacht, und zwar
sehr gut. Wir können Ihren Argumenten zu 95 Prozent
folgen. Ich finde, das ist eine gute Sache.

Die große Gap, die große Leere besteht allerdings
zwischen Ihren Ausführungen und der Position des
Ministers. Der Minister versucht oft, sich gegen vernünf-
tige Entwicklungen und Tendenzen durchzusetzen. Aber
ich möchte an dieser Stelle die Position des Ministers
nicht überhöhen; denn international ist längst klar, in
welche Richtung es gehen muss. Wir brauchen einen ei-
genständigen, klar definierten Rahmen für den Aufbau
sozialer Sicherungssysteme. WHO, ILO, UNFPA, G 20,
Weltbank sowie afrikanische und asiatische Entwick-
lungsbanken lassen überhaupt keinen Zweifel mehr da-
ran, dass der Aufbau von Sozialsystemen eine funda-
mentale Voraussetzung für Entwicklung ist. Es ist
eigentlich selbstverständlich, dass die deutsche Entwick-
lungspolitik den Aufbau sozialer Sicherungssysteme als
eigenständige Zielgröße im Haushalt klar definiert.





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir finden seit Jahren folgende groteske Situation
vor: Die Wirtschaft wächst gerade in Schwellen- und
Entwicklungsländern rasant. Mindestens 16 afrikanische
Länder erreichen seit Mitte der 90er-Jahre ein jährliches
Wachstum von durchschnittlich 4,5 Prozent. Einige Län-
der erreichen zurzeit sogar 10 Prozent und mehr. Wir
können definitiv sagen: Afrika boomt. Allerdings bedeu-
tet Wirtschaftswachstum nicht Armutsminderung. Im
Gegenteil: Die Zahl der Armen hat sich im gleichen
Zeitraum in vielen Ländern Afrikas deutlich erhöht.

Was wir über Jahre beobachten mussten und zu einem
nicht unwesentlichen Teil mit befördert haben, ist eine
dramatische Spaltung der Gesellschaften überall auf der
Welt. Schauen wir einmal nach China. Trotz eines lang-
anhaltenden starken Wachstums hat sich der Gini-Koef-
fizient in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt. Das
besagt nichts anderes, als dass die Verteilung immer un-
gerechter wird. Auch die Tatsache, dass sich inzwischen
ein Mittelstand in China herausbildet, ändert daran
nichts. Die gleichen Entwicklungen haben wir in Afrika
und in den Industrienationen zu verzeichnen. In den
USA ist es am schlimmsten. Die Verteilungsverhältnisse
der USA sind heute auf dem Stand von 1920. Auch in
der Bundesrepublik gibt es Verteilungsungerechtigkeit.
Die untersten 20 Prozent der Einkommensbezieher ha-
ben in den letzten zehn Jahren 22 Prozent ihres Einkom-
mens verloren. Der Reichtum nimmt zu, während die
Menschen ärmer werden.

Ein solidarisches Miteinander und eine gerechte Ver-
teilung sind nötiger denn je. Menschen brauchen sozia-
len Schutz, und dafür brauchen wir staatlich verantwor-
tete Systeme sozialer Sicherung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wer heute noch immer glaubt, dass der Markt irgendet-
was reguliert, hat die Marktprinzipien nicht kapiert. Ein
freier, unkontrollierter Markt kennt nur eine einzige Re-
gel, und das ist das Recht des Stärkeren. „The winner
takes it all“ – die Ideologie von Margaret Thatcher – ist
das neoliberale Credo einer unkritischen Marktorientie-
rung. Unsere Empfehlung an den Minister lautet: Versu-
chen Sie, aus den letzten 30 Jahren der Wirtschafts- und
Sozialgeschichte endlich vernünftige Schlüsse für die
deutsche entwicklungspolitische Agenda zu ziehen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen uns von der Annahme verabschieden,
dass soziale Sicherung in erster Linie ein Kostenfaktor
ist. In Deutschland wird zwar immer über Kosten ge-
klagt. Krankenversicherung und Rentenversicherung
sind sicherlich kostspielig. Mit Geld muss vernünftig
und gerecht umgegangen werden; daran besteht kein
Zweifel. Aber stellen wir uns einmal vor, wie es in die-
sem Land aussähe, wenn es keine funktionierende Kran-
kenversicherung und kein funktionierendes Rentensys-
tem gäbe! Wie sähe Deutschland dann aus? Deshalb ist
es richtig, das seit 1948 bestehende Menschenrecht auf
soziale Sicherung als gesellschaftlichen Produktivfaktor
anzusehen. Die volkswirtschaftlichen Vorteile sind wohl
jedem bekannt.

Grundeinkommensmodelle haben sich – Frau Weiss
hat das bereits angesprochen – als unkomplizierte In-
strumente mit geringem Aufwand und besten Ergebnis-
sen in vielen Ländern erwiesen. Bereits 1997 gab es in
Mexiko das Programm Progresa, das 2002 den Namen
Oportunidades erhielt. Die Zusammenfassung der Eva-
luierungen, die stattgefunden haben, sind ganz einfach
als extrem positiv zu bezeichnen. Nach drei Jahren wur-
den deutliche Verbesserungen festgestellt: bei der Er-
nährungssituation der Kinder, im schulischen Bereich,
im gesundheitlichen Bereich. Die Kleinkriminalität ist
zurückgegangen. Die Sicherheit, die durch geringe Zah-
lungen an die Menschen erzielt worden ist, hat ökono-
misch positive Auswirkungen: Handwerk, Handel und
andere Dienstleistungen haben zugenommen. Der Bür-
germeister von New York, Bloomberg, hat dieses Pro-
gramm für New York adaptiert. In Brasilien und in vie-
len anderen Ländern wird das System mit großem
Erfolg übernommen.

Ich finde, der Antrag der SPD-Fraktion kommt zur
richtigen Zeit. Wir dürfen nicht aus wirtschaftszentrier-
ten Grundeinstellungen sinnvolle Entwicklungen boy-
kottieren. Wir müssen den Aufbau sozialer Sicherungs-
systeme unterstützen. Länder mit funktionierenden
sozialen Systemen sind politisch stabile Länder. Ohne
soziale Sicherheit gibt es in keinem Land dieser Erde
Stabilität und auch keine positive Entwicklung. Deshalb
muss die eigenständige Zielgröße „soziale Sicherung“
wieder auf die Prioritätenliste unserer entwicklungspoli-
tischen Agenda gesetzt werden.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713616400

Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Klimke von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1713616500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich möchte betonen: Armuts-
bekämpfung war und ist eines der wichtigsten Ziele
deutscher und internationaler Entwicklungszusammen-
arbeit und wird dementsprechend in den Millenniums-
entwicklungszielen gewürdigt. Dass wir beim Erreichen
dieser Ziele nicht genügend vorankommen, ist eine Tat-
sache. Es ist aber für uns Entwicklungspolitiker eine
Herausforderung, bis zum Jahre 2015 noch deutliche
Verbesserungen zu erreichen. Das haben wir uns vorge-
nommen, und das versprechen wir auch.

Es ist auch unbestritten, dass gerade in den am we-
nigsten entwickelten Ländern nur geringe Fortschritte
oder gar Rückschritte zu verzeichnen sind. Deswegen
halte ich es für einen überlegenswerten Ansatz, die ent-





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

wicklungspolitische Unterstützung des Aufbaus von so-
zialen Sicherungssystemen zu überprüfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie merken, dass
ich mich etwas vorsichtig ausdrücke. Das liegt nicht
etwa daran, dass ich den Zusammenhang zwischen dem
Aufbau sozialer Sicherungssysteme und der Armutsbe-
kämpfung nicht einsehe. Im Gegenteil: Ich glaube schon,
dass hier eine direkte Wechselwirkung besteht. Aber ich
möchte doch einige Bedenken äußern, die sich vor allem
auf Maßnahmen der bilateralen Entwicklungszusam-
menarbeit beziehen. Vier Punkte möchte ich ansprechen.

Erstens. Soziale Sicherungssysteme benötigen eine
Infrastruktur, die also vorhanden sein muss, und eine
leistungsfähige Bürokratie. Wenn es nicht einmal eine
wirksame Geburtenregistrierung, ein wirksames Aus-
weissystem oder eine Steuerverwaltung gibt, dann sind
dem Missbrauch von Sozialleistungen und der Korrup-
tion Tür und Tor geöffnet. Gerade die am wenigsten ent-
wickelten Länder haben in diesem Bereich die größten
Probleme. Somit ist das Instrument gerade da nicht an-
wendbar, wo es am dringendsten benötigt wird.

Zweitens. Soziale Sicherungssysteme – das brauche
ich Ihnen nicht zu erzählen – kosten viel Geld. Ich will
nicht auf die Größe unseres Sozialetats hinweisen. Selbst
bei Basisleistungen muss viel mehr Geld eingesetzt wer-
den, als uns heute zur Verfügung steht. Das scheint auch
der SPD bewusst zu sein; denn sie fordert in ihrem An-
trag die Nutzung von Budgethilfe. Dieses sehen wir als
problematisch an.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Warten Sie mal ab, was die EU macht!)


Das gilt vor allem dort, wo wir es mit schlechter Regie-
rungsführung zu tun haben. Das ist leider in dem einen
oder anderen Entwicklungsland der Fall.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Die EU wird es machen!)


Drittens. Soziale Sicherungssysteme schaffen nur in
begrenztem Maße einen selbsttragenden Aufschwung.
Einer möglicherweise besseren Motivation der Arbeit-
nehmer und einer Stärkung der Binnennachfrage stehen
höhere Arbeits- und Lohnkosten gegenüber, die erst
durch Effizienzgewinne erarbeitet werden müssen.
Wenn eine rückständige Wirtschaft soziale Sicherungs-
systeme finanzieren muss, wird das kaum aus eigenen
Kräften möglich sein. Wenn die soziale Sicherung
fremdfinanziert wird, klaffen Wirtschaftsleistung und
Lebensstandard irgendwann auseinander. Am Beispiel
Griechenland können wir uns vergegenwärtigen, wohin
das führt.

Viertens. Aus meiner Sicht muss man schrittweise vo-
rangehen. Es geht zunächst darum, die Grundlagen her-
zustellen, also gute Regierungsführung und funktionie-
rende staatliche Strukturen. Dann geht es um die
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Schaf-
fung verlässlicher Steuereinnahmen. Erst dann ist die
Implementierung sozialer Sicherungssysteme in einem
größeren Umfang möglich. Die Kosten dafür müssen
zum überwiegenden Teil durch den jeweiligen Staat
selbst getragen werden, da dauerhafte Transferleistungen
Abhängigkeiten erzeugen. Insofern halte ich den Aufbau
sozialer Sicherungssysteme vor allem für weiterentwi-
ckelte Schwellenländer für ein sehr geeignetes Instru-
ment der Armutsreduzierung.

Trotz dieser Zweifel sollte immer der Einzelfall ge-
prüft werden. Es gibt sicherlich Fälle, in denen soziale
Basisleistungen erheblich zur Armutsreduzierung beitra-
gen können und in denen Voraussetzungen zur Umset-
zung gegeben sind. Grundsätzlich sehe ich auch in die-
sen Fällen die größten Chancen im Know-how-Transfer.

Vorteilhaft sind aus meiner Sicht vor allem internatio-
nale Ansätze, wie das Konzept des Social Protection
Floor. Ich sehe gerade hier den Ansatz, Menschen im in-
formellen Sektor zu helfen, als wegweisend an. Ich er-
hoffe mir in dieser Frage vor allen Dingen von den Aus-
schussberatungen konstruktive Diskussionen.

Ich möchte noch auf einen anderen Bereich eingehen:
auf den Einfluss auf die soziale Situation vieler Men-
schen in den Entwicklungsländern. Es geht mir um das
Thema „menschenrechtliche Unternehmensverantwor-
tung“; das ist hier vorhin kurz angesprochen worden.
Hier haben wir mit den Leitlinien der UNO bzw. der
OECD in diesem Jahr auf internationaler Ebene deutlich
klarere Rahmenbedingungen erreicht. Es geht darum, die
deutschen Unternehmen noch stärker zu sensibilisieren
und zur Einhaltung der aufgestellten Prinzipien anzure-
gen. Auch hier gibt es Bewegung. Immer mehr Unter-
nehmen verpflichten sich zur Einhaltung der Leitlinien
im Rahmen der Corporate Social Responsibility, also zu
sozialer Verantwortung.

Ich vertrat schon immer die Auffassung, dass diese
Einsicht allein nicht ausreicht. Bei manchen Unterneh-
men kann man auf Einsicht lange warten. Hier sind zum
Beispiel die Medien gefordert, die Verbraucher zu infor-
mieren. Ich plädiere außerdem für ein europaweites Tex-
tilsiegel „social made“, an dem jeder erkennen kann, ob
bei Herstellung eines Textilproduktes bestimmte soziale
Mindeststandards eingehalten worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit erarbeitet
die Bundesregierung unter Federführung des Bundesar-
beitsministeriums eine entsprechende Strategie. Diesen
Prozess begleiten wir als Entwicklungspolitiker, als
Menschenrechtspolitiker sehr intensiv. Ich vertrete die
Meinung, dass wir den Druck auch auf diejenigen Unter-
nehmen erhöhen müssen, die nicht einmal die internatio-
nalen Übereinkommen zur Unternehmensverantwor-
tung mittragen. Wenn ein großes Unternehmen in einer
der letzten Ausgaben von Test sagt, es sage nichts über
die Stätten der Produktion seiner Jeans – sie sind im Üb-
rigen nicht schlecht; dieses Unternehmen heißt mit Vor-
namen „Hugo“ und mit Nachnamen „Chef“ oder so ähn-
lich –, dann ist das aus meiner Sicht einfach nicht zu
akzeptieren und muss verurteilt werden.

Ich erwarte von international tätigen Unternehmen,
dass sie sich ihrer sozialen Verantwortung verstärkt be-





Jürgen Klimke


(A) (C)



(D)(B)

wusst werden und flächendeckend ernsthaft überprüf-
bare Schritte im Sozialbereich einleiten. Diesen Prozess
werden wir – Sie merken es – kritisch-konstruktiv be-
gleiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713616600

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Stefan

Rebmann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1713616700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Thema der heutigen Debatte liegt mir
nicht nur als Sozialdemokrat, sondern auch als Gewerk-
schafter sehr am Herzen. 2,8 Milliarden Menschen müs-
sen am Tag von bis zu 1,50 Euro leben. 1,2 Milliarden
Menschen haben noch nicht einmal 75 Cent am Tag zum
Überleben zur Verfügung.

Etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt heute ohne
Absicherung von Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit,
Krankheit, Alter, Scheidung oder Tod eines Ernährers
oder einer Ernährerin. Die Weltgesundheitsorganisation
sagt, dass Jahr für Jahr etwa 150 Millionen Menschen
Gesundheitskosten tragen müssen, die sie in den Ruin
treiben. Sie müssen die Medikamente, sämtliche Ge-
sundheitsleistungen bis hin zum einfachen Gips für ei-
nen gebrochenen Arm aus der eigenen Tasche finanzie-
ren.

Ich denke, wir sind uns hier im Bundestag einig: Wer
nur 75 Cent oder auch weniger als 2 Euro am Tag zum
Überleben zur Verfügung hat, der kann sich eine private
Krankenversicherung nicht leisten. Wenn er sich die
nicht leisten kann, hat er keine Wahl: Er muss sich den
Gips für den gebrochenen Arm vom Mund absparen und
dafür hungern.

Der Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme ist
deshalb aus unserer Sicht für die Armutsbekämpfung
von zentraler Bedeutung. Das fordern im Übrigen auch
zahlreiche internationale Vereinbarungen, die ILO und
die UN-Initiative für eine umfassende soziale Grund-
sicherung.

2008 wurde in diesem Hause ein von der SPD-Frak-
tion erarbeiteter Antrag verabschiedet, der zum Ziel
hatte, Entwicklungs- und Schwellenländer beim Aufbau
und bei der Reform von sozialen Sicherungssystemen zu
unterstützen. Unter einer sozialdemokratischen Entwick-
lungsministerin wurde die Bedeutung der sozialen Si-
cherung auch dadurch dokumentiert, dass sie als thema-
tische Zielgröße im Haushalt des BMZ verankert war.


(Beifall bei der SPD)


Während die Weltbank und andere Institutionen sich
diesem Ziel angeschlossen haben, hat Schwarz-Gelb die
soziale Sicherung als eigenständige Zielgröße wieder
aus dem Haushalt gestrichen. So ist es, meine Damen
und Herren! Das haben Sie getan, obwohl Sie wissen,
dass in den UN, der ILO und der WHO ein Konzept für
den universellen sozialen Basisschutz erarbeitet wurde.
2012 – die Kollegin Roth hat es schon erwähnt – soll die
Strategie zur Umsetzung dieser Ziele folgen.

Ich wiederhole gern noch einmal die vier Bereiche:
erstens eine garantierte Mindestgesundheitsversorgung
für alle, zweitens Mindesteinkommensgarantien für Kin-
der, um Kinderarbeit zu verhindern, drittens Unterstüt-
zung für Arme und Arbeitslose und viertens Mindestein-
kommensgarantien im Alter und für Menschen mit
Behinderungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen endlich
begreifen, dass die Bereitstellung von sozialer Sicherheit
nichts mit Almosen zu tun hat und auch überhaupt nichts
mit Sozialduselei irgendwelcher Gewerkschafterinnen
und Gewerkschafter oder Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten.


(Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Soziale Sicherung ist kein Kostenfaktor, sondern sie er-
möglicht erst eine nachhaltige Entwicklungspolitik. Nur
wer Gewissheit hat, dass ihn eine für uns eigentlich
harmlose Erkrankung nicht in den Ruin treibt, wer Ge-
wissheit hat, dass ihm geholfen wird, ohne dass er dafür
hungern muss, kann auf Dauer produktiv sein und zum
Wirtschaftswachstum beitragen.

Dazu gehören auch Arbeitsplätze, die menschenwür-
dig sind, damit echte Entwicklungschancen eröffnet wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Soziale Sicherungssysteme und gute Arbeit sind nicht
nur Ausgangsbedingungen für ein breitenwirksames
Wirtschaftswachstum, sondern auch ein Instrument zur
strukturellen Armutsbekämpfung. Dieser Ansatz wurde
auch auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm und danach
immer wieder bestätigt.

Das Recht auf soziale Sicherheit ist ein verbindlich
verankertes Menschenrecht. Wir als Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten meinen: Es ist höchste Zeit,
dass wir uns aufmachen, den Menschen zu ihrem Recht
zu verhelfen.


(Beifall bei der SPD)


Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. – In
Deutschland ist es uns gelungen, die Folgen der Finanz-
und Wirtschaftskrise durch unser Sozialversicherungs-
system weitgehend aufzufangen,


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


auch wenn es im Gebälk gehörig geknirscht hat. In den
Entwicklungsländern ohne oder mit kaum entwickelten
sozialen Sicherungssystemen gelingt dies aber nicht.
Dort sind die Menschen bei herbeispekulierten Krisen,





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)

wie wir es im Moment wieder erleben, von Armut und
schlimmstenfalls sogar von Hunger bedroht.

Wir gehören nach wie vor zu den reichsten Ländern
der Welt. Deshalb ist es nicht nur unmoralisch, nicht zu
helfen, sondern es ist auch in unserem ureigensten Inte-
resse, beim Aufbau zuverlässiger sozialer Sicherungs-
systeme zu helfen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713616800

Kommen Sie zum Schluss, bitte.


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1713616900

Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung

auf, endlich in diesem Sinne aktiver zu werden.

Noch ein Hinweis an die Linken. Es wäre nett, wenn
Sie auch einen eigenständigen Antrag dazu vorlegen
würden.

An alle sage ich: Lassen wir es nicht bei dem guten
Vorsatz. Der gute Vorsatz ist ein Pferd, das oft gesattelt
wurde, aber nur ganz selten geritten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713617000

Für die FDP hat jetzt das Wort der Kollege Joachim

Günther.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1713617100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Roth, der Antrag von Ihnen und Ihrer Frak-
tion trägt die Überschrift:

Soziale Sicherung als Motor solidarischer und
nachhaltiger Entwicklungspolitik

Ich habe in der ersten Runde niemanden reden gehört,
der diesem Grundanliegen widersprochen hätte.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, also! – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Richtig!)


In dieser Situation geht es darum, welchen Weg wir ge-
hen, wie wir den Weg gehen und wie es weitergeht. Um
es gleich vorweg zu sagen: In vielen Punkten der Ana-
lyse liegen wir nicht weit auseinander. Weil das so ist,
möchte ich die Punkte ansprechen, die wir meiner Mei-
nung nach noch einmal diskutieren sollten, um gemein-
sam vielleicht an der einen oder anderen Stelle doch
noch zu einer Lösung zu kommen.

In Ihrem Antrag heißt es unter anderem, dass ein
Mensch, der den Schutz sozialer Absicherung vor
Krankheit und Arbeitslosigkeit genießt, produktiver ist.
Dem kann man nicht widersprechen. Die Ausgangslagen
in den Ländern, um die es geht, sind aber ganz unter-
schiedlich.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das wird nicht bestritten!)

Wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschlie-
ßen, dass gerade jene Staaten, in denen die ärmsten Men-
schen der Welt leben, meist am Rande der totalen Funk-
tionslosigkeit stehen.

Ihr Antrag kommt deshalb zu der Schlussfolgerung,
dass die soziale Absicherung der Menschen in diesen
Ländern vor allem mit Geld der Geberländer finanziert
werden könnte.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Stimmt nicht! – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das hat Frau Roth gar nicht gesagt!)


Wie soll das aber – wenn auch nur zum Teil – praktisch
umgesetzt werden, wenn kaum funktionierende Systeme
in diesen Ländern vorhanden sind?


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aufgebaut werden müssen!)


Deshalb ist die in Ihrem Antrag enthaltene Forderung,
die Unterstützung sozialer Sicherungssysteme sei auch
durch Budgethilfe zu gewährleisten, unserer Ansicht
nach ein einseitiger Ansatz. Meiner Meinung nach versi-
ckert viel zu oft das Geld in undurchsichtigen Kanälen,
weil ein kaum funktionierendes Staatswesen auch keine
Kontrolle zulässt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Der Korruption sind dort Tür und Tor geöffnet. Das ken-
nen wir alle; darüber müssen wir uns nicht gegenseitig
aufklären.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aber die Projekte sind doch da!)


Um diese Korruption nicht weiter zu fördern, haben
CDU, CSU und FDP schon im Koalitionsvertrag die
Vergabe der Budgethilfe nur nach strengen transparenten
Kriterien festgeschrieben.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist kein Problem für mich!)


Das hat sich bewährt, und das wird fortlaufend über-
prüft. Wir sind sicher, dass wir damit zu einer Steigerung
der Wirksamkeit der Entwicklungspolitik und somit
auch der Sozialleistungen beitragen können.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist kein Problem für uns!)


Ich finde es richtig, dass die Anwendung oder – sagen
wir besser – die Einstiegskriterien für die allgemeine Bud-
gethilfe konkrete Punkte berücksichtigen müssen: In dem
Empfängerland müssen ein positiver Entwicklungstrend,
eine glaubwürdige Armutsbekämpfungsstrategie, ausrei-
chende treuhänderische Rahmenbedingungen, also effek-
tives öffentliches Finanzmanagement – das hilft gegen
Korruption –, sowie stabile makroökonomische Rahmen-
bedingungen gegeben sein.


(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das hat Frau Roth doch schon vorgetragen!)


Budgethilfen stehen damit unter der Beobachtung durch
den Bundestag. Zudem berichtet uns das BMZ jährlich
darüber. Das finde ich gut.





Joachim Günther (Plauen)



(A) (C)



(D)(B)

Die Konsequenz ist aber, dass wir gegenwärtig nur
noch in zehn Ländern Budgethilfe leisten. Das ist ein
Rückgang gegenüber früher. Das ist richtig. Dass das
BMZ aber die Gewährung von Budgethilfen nicht an alle
Länder eingestellt hat, hat einen guten Grund. In einigen
Ländern gibt es einen wichtigen Hebel, den es allein
über Projektfinanzierung nicht geben würde. Dabei geht
es zum Beispiel um mehr Haushaltstransparenz, ver-
mehrte Anstrengungen für erhöhte Eigeneinnahmen in
den Ländern selbst und eine stärkere Rechenschafts-
pflicht in den Ländern gegenüber dem Parlament und der
Zivilgesellschaft. Unsere Ansichten gehen also in vielen
Bereichen in die gleiche Richtung.

In kluger Kombination mit anderen Formen der Zu-
sammenarbeit, zum Beispiel durch die Beratung des
Rechnungshofes, durch Nutzung von Budgethilfe für bi-
laterale Sektorenprogramme – das haben Sie angespro-
chen – und ergebnisabhängige Auszahlung kann die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Einzelfall ei-
nen sichtbaren und wirksamen Beitrag zu diesem über-
greifenden Reformprozess leisten.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich das
BMZ aktiv an einem gemeinschaftlichen Evaluierungs-
und Budgethilfeprogramm der OECD in drei weiteren
Ländern beteiligt. Darüber ist auch nicht gesprochen
worden. Die Ergebnisse aus diesem Programm werden
Ende dieses Jahres erwartet. Wir werden sie sicherlich
im Ausschuss gemeinsam auswerten.

Handlungsbedarf besteht aus meiner Sicht weiterhin
im europäischen Kontext. Denn die EU-Kommission
vergibt die Budgethilfen noch immer zu sehr weichen
Konditionen. Deutschland ist gut beraten, unsere Vor-
schläge weiter voranzutreiben. Ich finde es gut, dass
Bundesminister Niebel darüber mit seinen Amtskollegen
in Verhandlungen eingetreten ist. Denn nur wenn im Be-
reich der Budgethilfe ein größerer Schwerpunkt auf
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
vor Ort gelegt wird, haben wir die Chance, einer größe-
ren Anzahl von Menschen zu helfen.

Insofern bin ich optimistisch, dass wir uns im Aus-
schuss über die Sachpolitik weiter annähern und viel-
leicht gemeinsam etwas auf den Weg bringen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713617200

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

spricht jetzt der Kollege Florian Hahn von der CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1713617300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungs-
systeme stehen die Schwellen- und Entwicklungsländer
ganz ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Hier
hat Deutschland in der International Labour Organiza-
tion mit dem 2006 verabschiedeten Social Protection
Floor internationale vertragliche Grundlagen für soziale
und gesundheitliche Standards geschaffen, die sich se-
hen lassen können und die als vorbildhaft gelten.

Während bei uns die Bevölkerungszahl stagniert oder
sogar schrumpft, wächst die Bevölkerung in den
Schwellen- und Entwicklungsländern unaufhaltsam an.
Damit nehmen auch die Probleme im Bereich der sozia-
len und gesundheitlichen Absicherung zu. Die Globali-
sierung und der demografische Wandel haben für diese
Gesellschaften unübersehbare Folgen: So funktionieren
beispielsweise jahrhundertealte Stammes- und Dorfge-
meinschaften und Familiensysteme durch den weltwei-
ten Wandel heute oftmals nicht mehr so, wie das einmal
war.

In Schwellen- und Entwicklungsländern mit annä-
hernd demokratischen Gesellschaften mag der Wunsch
nach sozialer Sicherung noch breitere Unterstützung
auch vonseiten der Regierung finden. In undemokratisch
organisierten Ländern ist das Interesse meist deutlich ge-
ringer ausgeprägt. Gleichzeitig weisen viele Schwellen-
länder enorme wirtschaftliche Zuwachsraten auf. Einer-
seits bringt das die Länder in ihrer Entwicklung voran,
andererseits wachsen soziale Sicherungsmechanismen
nicht in ausreichendem Tempo mit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
knüpfen in Ihrem vorliegenden Antrag an den in der letz-
ten Legislaturperiode mit breiter Mehrheit beschlosse-
nen gemeinsamen Antrag aus dem Jahre 2008 an, in dem
wir begrüßen, dass dieses Thema in die Entwicklungsar-
beit des BMZ implementiert wird.

Wir haben damals gemeinsam eine Strategie für die-
sen Bereich entwickelt. Wir wollten eine nachhaltige,
breitenwirksame Armutsbekämpfung, vor allem in den
Bereichen der Grundsicherung und der sozialen Siche-
rung. Das unterstützen wir auch heute noch, ebenso wie
diese Regierung. Dabei muss sich unser Augenmerk auf
die konkret betroffenen Menschen richten. Es reicht
nicht, nur in irgendwelchen Fünfjahresplänen zu denken
und zu handeln, sondern wir müssen uns konkret auf die
Hilfe hier und jetzt und auf den Einzelfall konzentrieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein Mangel an Finanzmitteln ist nicht die einzige Ur-
sache für die Schwächen sozialer Sicherungssysteme.
Viele Schwellen- und Entwicklungsländer wenden nicht
unbeträchtliche Mittel für soziale Sicherung auf, setzen
diese aber nicht effizient und nicht sozial gerecht ein.
Daher muss jeder Ausbau, Aufbau oder Umbau sozialer
Sicherungssysteme auf das jeweilige Land zugeschnitten
sein. Wir können das deutsche Modell der sozialen Si-
cherung nicht beliebig eins zu eins exportieren.


(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das will der Antrag auch nicht!)


Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist unter ande-
rem deshalb so erfolgreich, weil die schwarz-gelbe Ko-
alition die finanziellen und personellen Mittel dank der
Bündelung der Aktivitäten in der neuen GIZ sinnvoller
und effektiver einsetzt. Wir führen einen Dialog mit den
Regierungen und können dank der Konzentration der





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

Kompetenzen bei der GIZ den Schwerpunkt unserer
Hilfe auf Projektförderungen setzen. So wollen wir uns
unseren Zielen besser koordiniert nähern. Die GIZ berät
und schult dabei die Fachkräfte und stellt finanzielle
Beiträge für die nötige Unterstützung bereit.

Das BMZ prüft darüber hinaus regelmäßig, ob die
Verwendung der eingesetzten Haushaltsmittel tatsäch-
lich zielorientiert und effizient erfolgt. Zudem wird die
entwicklungspolitische Wirksamkeit der einzelnen Maß-
nahmen in externen Gutachten evaluiert und überprüft.
So können wir aus Rückschlägen lernen und Erfolge auf
andere Vorhaben und Projekte übertragen.

Über die beschriebene bilaterale Zusammenarbeit mit
den betroffenen Ländern hinaus setzt sich Deutschland
in den internationalen Gremien wie der EU, der WHO,
der ILO, der OECD oder der Weltbank weiterhin für den
Ausbau der sozialen Sicherungssysteme ein. Dabei gilt,
dass jedes Land eigenverantwortlich die Rahmenbedin-
gungen für die Gewährleistung eines ausreichenden so-
zialen Schutzes seiner Bevölkerung schaffen muss.

Die ausführliche Beschreibung der Situation in vielen
Teilen unserer Welt im vorliegenden Antrag der SPD ist
sicher in großen Teilen zutreffend und leider schon lange
allgemein bekannt. Es ist wichtig, immer wieder auf die
Lage hinzuweisen; insofern ist dieser Teil des Antrags
sehr nützlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Allerdings ist die Umsetzung vieler Forderungen bereits
auf dem Weg oder sogar schon vollzogen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Aber dann können Sie ja zustimmen!)


Andere Forderungen sind aus unserer Sicht weniger
sinnvoll; wir haben sie in der Diskussion schon genannt.

Wir streben immer nach Erfolg, gerade auch in der
Entwicklungszusammenarbeit. Die deutsche Entwick-
lungsarbeit ist sehr erfolgreich. Wir wollen das fortset-
zen. Es gehört aber zur Realität, dass der Erfolg gerade
auch von den Partnern abhängt, mit denen wir zusam-
menarbeiten.

Ich darf die Diskussion heute nutzen, um mich hier
bei allen Akteuren der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit zu bedanken und ihnen weiterhin Gottes Se-
gen zu wünschen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713617400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7358 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur weiteren Erleichterung der Sanierung von
Unternehmen

– Drucksache 17/5712 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/7511 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Richard Pitterle
Ingrid Hönlinger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel,
Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen –
Außergerichtliche Sanierungsverfahren stär-
ken – Insolvenzplanverfahren attraktiver ge-
stalten

– Drucksachen 17/2008, 17/7511 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker
Burkhard Lischka
Christian Ahrendt
Richard Pitterle
Ingrid Hönlinger

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Christian Ahrendt für die FDP-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1713617500

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben im Jahr 2009 gesehen, wie schnell eine Krise
eine eigentlich gut laufende Wirtschaft aus dem Tritt
bringen kann. Wir haben erlebt, dass es 2009 zu einem
negativen wirtschaftlichen Wachstum von etwa 5 Pro-
zent kam, und wir haben erkannt, dass es wichtig ist, für
den Fall einer solchen plötzlich auftretenden Krise eine
gewisse Wetterfestigkeit herzustellen.

2010 hat Ihnen die schwarz-gelbe Koalition das Ge-
setz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung
von Kreditinstituten vorgelegt, mit dem das Kreditwe-
sengesetz im Hinblick auf die Strukturierung und Re-





Christian Ahrendt


(A) (C)



(D)(B)

strukturierung von Banken verbessert wurde. Heute le-
gen wir Ihnen mit dem Entwurf eines Gesetzes zur
weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen
den zweiten großen Gesetzeskomplex vor, um zu errei-
chen, dass Unternehmen in der Krise besser saniert wer-
den können.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle zunächst eine kleine
Änderung in Art. 10 Satz 1 des Gesetzentwurfes vor-
schlagen. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Wir ha-
ben gestern im Rechtsausschuss beraten und die vorge-
sehene Konzentration der Gerichte aufgegeben. Dabei
ist eine Vorschrift geändert worden mit der Folge, dass
die Vorschrift zum Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr
sinnvoll ist. Deswegen ist es erforderlich, die ersten vier
Worte in Art. 10 zu streichen. Ich bitte Sie, darüber
gleich mit zu entscheiden und dafür den erforderlichen
Fristverzicht zu erklären.

Ich darf das zugleich zum Anlass nehmen, mich beim
Bundesjustizministerium und bei der Bundesjustizminis-
terin für diesen sehr komplexen Gesetzentwurf zu be-
danken, den wir ein Jahr lang sehr intensiv mit Verbän-
den, Rechtsanwälten, Richtern und allen, die sich für das
Insolvenzrecht interessieren, beraten haben. Meine Kol-
legin Frau Winkelmeier-Becker und ich haben frühzeitig
angefangen, den Gesetzgebungsprozess zu begleiten.

Das, was uns mit diesem Gesetz gelingt, ist ein Para-
digmenwechsel, der nicht zu unterschätzen und aus zwei
Gründen wichtig ist. Im Jahr 2009 sind in Deutschland
24 000 Insolvenzverfahren eröffnet worden; aber es hat
nur 360 Planverfahren gegeben, also Verfahren, in denen
es zu einer Sanierung des Unternehmens gekommen ist.
Nur in 150 Fällen gab es eine Eigenverwaltung. Noch
dramatischer ist: Im Jahr 2009 haben Gläubiger in diesen
Verfahren 85 Milliarden Euro an Forderungen angemel-
det. Das ist fast die Hälfte des Betrages, den wir jetzt für
den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus
bereitstellen. Das sind 85 Milliarden Euro, die durch In-
solvenzen faktisch vernichtet wurden, wenn man be-
denkt, dass die Insolvenzquoten zwischen 5 und 10 Pro-
zent liegen.

Das Zweite, was wichtig ist: Im Jahr 2009 sind über
250 000 Arbeitsplätze aufgrund von Insolvenzverfahren
vernichtet worden. Was an diesen Zahlen niemand sieht,
ist: Wenn ein Unternehmen schließt, gehen nicht nur Ar-
beitsplätze verloren, werden nicht nur Forderungen von
Gläubigern entwertet, sondern es wird auch all das ent-
wertet, was sich um das Unternehmen herum aufgebaut
hat. Dazu gehören die Infrastruktur eines Unternehmens,
die Geschäftsbeziehungen, das Wissen der Geschäftslei-
tung und auch das Wissen der Arbeitnehmer. Dazu ge-
hört all das, was man sich über Jahre in einem Unterneh-
men aufgebaut hat. Das ist es, was, wenn ein solcher
Betrieb geschlossen wird, sofort vollständig vernichtet
wird. Deswegen wollen wir einen Paradigmenwechsel
hin zu mehr Sanierungen, was im Rahmen der Insolvenz-
ordnung in ihrer gut zehnjährigen Gültigkeit seit 1999
nicht erreicht wurde. Das ist das Ziel dieses Gesetzes,
und dieses Ziel erreichen wir, indem wir die bereits im
Gesetz angelegten Instrumente, die in den letzten zehn
Jahren nicht so zur Geltung gekommen sind, wie sich
der Gesetzgeber das bei Inkrafttreten der Insolvenzord-
nung gewünscht hat, schärfen und verbessern.

Lassen Sie mich die Instrumente kurz vorstellen und
sagen, weswegen wir uns für diesen Weg entschieden
haben. Wir schaffen als Erstes ein Schutzschirmverfah-
ren. Dass wir ständig über Schutzschirme reden, weiß
die Öffentlichkeit; aber hier schaffen wir einen Schutz-
schirm für kleine und mittelständische Unternehmen.
Wir wollen, dass ein Unternehmer, der frühzeitig er-
kennt, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten auf ihn zu-
kommen, der sagt: „Ich muss etwas tun, so kann es nicht
weitergehen; ich muss etwas ändern, ich will aus der
Krise heraus“, auch eine reelle Chance hat. Wenn er sich
hinstellt und sagt: „Ich habe diese Schwierigkeiten“,
dann soll er nicht bestraft werden, indem er die Verwal-
tungs- und Verfügungsbefugnis über sein Unternehmen
verliert, indem ihm jemand beiseitegestellt wird, der
sagt, wie die Richtung des Unternehmens künftig sein
soll. Vielmehr soll ein Unternehmer, wenn er einen In-
solvenzantrag stellt, die Chance haben, in einer solchen
Krise sein Unternehmen weiter selber zu verwalten. Das
ist der Kern dieses Schutzschirmverfahrens.

Das, was 1999 noch unter dem Gesichtspunkt „Man
kann den Bock nicht zum Gärtner machen“ abgelehnt
worden ist, führen wir jetzt konsequent ein. Das ist Teil
des Paradigmenwechsels. Das gibt es aber nicht um-
sonst, und es soll auch nicht so sein, dass der Schuldner
noch schnell Vermögensgegenstände beiseiteschaffen
kann, um die Gläubiger zu benachteiligen. Er muss be-
stimmte Dinge beachten.

Er muss darauf achten, dass er nicht zahlungsunfähig
ist. Wer zahlungsunfähig ist, der sollte an diesem Verfah-
ren nicht teilnehmen können. Er muss sich eine Beschei-
nigung besorgen, die belegt, dass sein Unternehmen
wirklich sanierungsfähig ist. Das ist deswegen wichtig,
weil das Gericht, das später die Anträge prüft, abschät-
zen können muss, ob geschummelt wird oder ob das,
was ihm vorgetragen wird, reell ist. Außerdem muss er
– das ist das Entscheidende – binnen drei Monaten einen
Insolvenzplan vorlegen, der aufzeigt, wie er zusammen
mit den Gläubigern, den Arbeitnehmern, den Kunden
und all jenen, die um den Betrieb herum aufgestellt sind,
das Unternehmen sanieren will. Das ist das Schutz-
schirmverfahren. Es macht planbar, was man in der
Krise tun kann, um sich sozusagen wie Münchhausen
selbst an den Haaren herauszuziehen. Aber das ist nur
ein Teil.

Ein anderer Teil ist das Insolvenzplanverfahren, das
auch seit 1999 in unserem Insolvenzrecht vorgesehen
und leider nicht so zur Geltung gekommen ist. Auch hier
schärfen wir die Instrumente, und zwar grundlegend und
ebenfalls mit einem Paradigmenwechsel. Wir sagen:
Verbindlichkeiten können in Gesellschaftskapital umge-
wandelt werden. Neudeutsch würde man sagen: Das ist
ein Debt-Equity-Swap. Wir wollen also die Möglichkeit
schaffen, dass sich Gläubiger über die Umwandlung ih-
rer Forderung am Unternehmen beteiligen und, wenn
das Unternehmen saniert ist, an den künftigen Erfolgen
partizipieren können.





Christian Ahrendt


(A) (C)



(D)(B)

Wir wollen, dass in die Gesellschafterrechte einge-
griffen wird. Dafür schaffen wir die Rechtsgrundlagen.
Denn in einer Krise ist es wichtig, dass neue Investoren
an Bord kommen und Mitspracherecht im Unternehmen
erhalten. Das geht nur, wenn man in die Gesellschafter-
rechte eingreift. Außerdem schränken wir die Rechtsmit-
tel ein, weil es nicht sein kann, dass ein Planverfahren,
das sehr komplex abläuft, am Ende durch Gläubiger be-
hindert oder in die Länge gezogen wird, weil diese mit
Rechtsmitteln obstruieren, obwohl sie durch den Plan im
Grunde genommen bessergestellt werden, als wenn das
Unternehmen geschlossen und zerschlagen würde. – Das
sind die Verschärfungen im Insolvenzplanverfahren.

Der letzte wichtige Punkt, der im Gesetzgebungsver-
fahren besondere Aufmerksamkeit genossen hat, ist die
Frage: Wie werden die Gläubiger beteiligt? Wie ist es
um die Unabhängigkeit des Verwalters bestellt? Das sind
sehr spezielle Themen; aber auch sie gehören angespro-
chen, und zwar aus zwei Gründen.

Erstens. Wir wollen, dass die Gläubiger früh am Ver-
fahren teilnehmen; denn nur, wenn die Gläubiger früh in
das Verfahren einbezogen werden, kann die Sanierung
des Unternehmens erfolgreich sein.

Zweitens. Wir wollen sicherstellen – das habe ich
gestern im Rechtsausschuss ausdrücklich betont –, dass
der Verwalter eine unabhängige Person ist. Die Unab-
hängigkeit des Verwalters ist die Garantie dafür, dass ein
Insolvenzverfahren für alle Beteiligten fair abläuft und
alle Beteiligten optimal befriedigt werden. Deswegen
haben wir ausdrücklich in die Begründung des Gesetz-
entwurfes geschrieben, dass es nicht richtig ist, wenn
beispielsweise ein Anwalt einer großen Anwaltskanzlei
Mandanten vertritt, die gleichzeitig Gläubiger des Unter-
nehmens sind, für das er das Insolvenzverfahren abwi-
ckelt. Dann besteht ein Interessenkonflikt, der nicht zum
Nachteil des Unternehmens, anderer Gläubigergruppen
und der Arbeitnehmer gelöst werden darf. Wir haben den
Richtern damit ein geeignetes Instrument an die Hand
gegeben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich habe Ihnen die wesentlichen Punkte des ESUG
vorgestellt. Am Beispiel der Insolvenzordnung haben
wir gesehen, dass immer beobachtet werden muss, ob
der Gesetzgeber die Instrumente eines Gesetzes so ge-
schärft hat, dass sie wirklich funktionieren. Deswegen
schlagen wir Ihnen im Rahmen eines Entschließungsan-
trages vor, eine Evaluierung dieses Gesetzes vorzusehen,
um zu prüfen, ob das, was wir jetzt machen, den Erfolg
hat, den wir uns wünschen: mehr Sanierungen, weniger
Zerschlagung, weniger Verluste für Gläubiger und mehr
Sicherheit für Arbeitsplätze. Das ist das Ziel des Geset-
zes.

Ich danke meiner Kollegin und Ministerin für diesen
Gesetzentwurf. Ich freue mich auf die weitere Debatte.
Ich hoffe, dass Sie alle nachher zustimmen werden; denn
das, was die Koalition Ihnen hiermit vorgelegt hat, ist
ein sehr erfolgreiches Projekt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713617600

Das Wort hat jetzt der Kollege Burkhard Lischka von

der SPD.


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1713617700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Ge-

setzentwurf verlässt das Parlament so, wie er einge-
bracht wurde. Das ist eine alte Binsenweisheit, die sich
auch dieses Mal bewahrheitet hat – zum Glück, muss
man sagen; denn der ursprüngliche Gesetzentwurf, der
von Ihnen, Frau Ministerin, eingebracht wurde, enthielt
einige eklatante Mängel, auf die wir Sozialdemokraten
bereits bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs im
Deutschen Bundestag hingewiesen haben.

So hatten Sie ursprünglich vor, fast die Hälfte aller In-
solvenzgerichte in unserem Land zu schließen, und zwar
gegen den erklärten Willen aller Bundesländer. Das hätte
bedeutet, dass die betroffenen Bürgerinnen und Bürger,
die Unternehmer und die Rechtsanwälte teilweise
150 Kilometer oder mehr bis zum nächsten Insolvenzge-
richt hätten fahren müssen. Wir Sozialdemokraten haben
Ihnen bereits Ende Juni gesagt, dass das mit einer Mo-
dernisierung unseres Insolvenzrechts nichts zu tun hat.
Das wäre schlicht und einfach ein Abbruch der Justiz in
der Fläche und ein Akt der Bürgerunfreundlichkeit ge-
wesen. Es ist gut, dass der Gesetzentwurf an dieser Stelle
verändert wurde und sich der Deutsche Bundestag gegen
Ihre ursprünglichen Vorstellungen durchsetzen wird,
Frau Ministerin.


(Beifall bei der SPD)


Ein zweiter Kritikpunkt betraf das sogenannte Schutz-
schirmverfahren, das der Kollege Ahrendt eben ange-
sprochen hat. Ihr Ansatz war durchaus richtig. Häufig
stellen Unternehmer viel zu spät einen Insolvenzantrag,
nämlich dann, wenn in dem Unternehmen gar nichts
mehr geht und das Kind quasi schon in den Brunnen ge-
fallen ist. Das hat in der Vergangenheit in einer Vielzahl
von Fällen dazu geführt – das wissen wir alle –, dass eine
erfolgreiche Sanierung der Unternehmen behindert, wenn
nicht sogar unmöglich wurde.

Ihre Grundidee, dass über ein strauchelndes Unter-
nehmen vor der eigentlichen Insolvenz eine Art Schutz-
schirm gespannt wird, unter dem der Unternehmer an
der Rettung seines Unternehmens arbeiten kann, war
und ist gut. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf war
sie nur mangelhaft umgesetzt. Was wäre in der Praxis
passiert? Die Banken des Unternehmens hätten davon
Wind bekommen. Sie hätten alle Kredite gekündigt bzw.
fällig gestellt, und dann wäre der Unternehmer tatsäch-
lich pleite gewesen. Frau Ministerin, in Ihrem ursprüng-
lichen Gesetzentwurf war vorgesehen, dass das Schutz-
schirmverfahren in einem solchen Fall automatisch
beendet ist. Sie hätten den Schutzschirm also weggezo-
gen, und der Unternehmer wäre dann in die ganz nor-
male Insolvenz gegangen. Das wäre kein Anreiz gewe-
sen, frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen und





Burkhard Lischka


(A) (C)



(D)(B)

Sanierungsmaßnahmen zu erarbeiten. Das wäre viel-
mehr im Grunde die Aufforderung gewesen, direkt in
den Abgrund zu springen. Es ist gut, dass dieser Unsinn
aus dem Gesetzentwurf herausgenommen wurde und
sich der Deutsche Bundestag auch an dieser Stelle gegen
Ihre ursprünglichen Vorstellungen durchsetzen wird,
Frau Ministerin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wer jetzt als Unternehmer einen Antrag stellt, der weiß,
dass er, ohne dass Vollstreckungsmaßnahmen drohen, an
der Rettung seines Betriebes arbeiten kann. Dadurch
werden Firmenpleiten verhindert und Arbeitsplätze er-
halten. Es ist gut, dass wir diesbezüglich zu einer ver-
nünftigen Regelung gekommen sind.


(Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Bezüglich unseres dritten Kritikpunktes hat die
schwarz-gelbe Koalition aber allenfalls kosmetische Än-
derungen vorgenommen. Unsere Kritik betrifft die von
Herrn Kollegen Ahrendt angesprochene Unabhängigkeit
der Insolvenzverwalter. Die Unabhängigkeit der Insol-
venzverwalter ist in unserer Insolvenzordnung bisher ein
hohes Gut gewesen. Der Insolvenzverwalter muss, wenn
er in ein strauchelndes Unternehmen kommt, im Einzel-
fall wirtschaftliche Missstände aufdecken und beseiti-
gen. Er muss gegenüber Gläubigern, Geschäftspartnern
und, wenn die bisherige Unternehmensleitung Unsinn
gemacht hat, auch gegenüber dieser Ansprüche durch-
setzen. Das ist die zentrale Aufgabe des Insolvenzver-
walters. Diese Aufgabe kann er natürlich nur dann erfül-
len, wenn er gegenüber all diesen Gruppen vollkommen
unabhängig ist.

Wir sind der Meinung, dass Schwarz-Gelb an dieser
Stelle einen Tabubruch begeht. Künftig kann jemand zum
Insolvenzverwalter bestellt werden, der das Unternehmen
vor der eigentlichen Insolvenz beispielsweise im Hin-
blick auf ein künftiges Insolvenzverfahren beraten hat.
Wie soll der Insolvenzverwalter wirtschaftliche Miss-
stände aufdecken, wenn er zuvor möglicherweise an der
Entstehung dieser Missstände mitgewirkt hat? Sie glau-
ben doch nicht im Ernst, dass ein Insolvenzverwalter
kraftvoll Ansprüche gegen die bisherige Unternehmens-
leitung durchsetzen wird, wenn er zuvor von genau der-
selben Unternehmensleitung bezahlt worden ist. Nein,
meine Damen und Herren, wenn der Bock zum Gärtner
gemacht wird, dann ist der Erfolg fraglich. Deshalb for-
dern wir: Unterbinden Sie jegliche Form von Interessen-
gegensätzen in der Person des Insolvenzverwalters. Nur
dann können Unternehmenssanierungen erfolgreich durch-
geführt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Sie treiben es aber noch doller. In Ihrem Gesetzent-
wurf ist vorgesehen, dass künftig Großgläubiger, zum
Beispiel Banken, die Möglichkeit haben, einen ihnen ge-
nehmen Insolvenzverwalter zu bestimmen. Die Banken
können künftig – jedenfalls, wenn sich alle einig sind –
im Regelfall einen ihnen wohlgesonnenen Insolvenzver-
walter auch gegenüber dem Insolvenzrichter durchset-
zen. Vor lauter Dankbarkeit gegenüber diesen Großgläu-
bigern kann dieser Insolvenzverwalter doch nicht ganz
unabhängig agieren; denn die Übernahme eines solchen
Amtes ist im Regelfall finanziell durchaus attraktiv, und
der Insolvenzverwalter weiß, wem er das zu verdanken
hat.

Das ist eine ganz neue Art von Kungelei in unserer
Insolvenzordnung. Sie machen den Insolvenzverwalter
und damit auch das Insolvenzverfahren zumindest in
Einzelfällen zum Spielball von Einzelinteressen. Das ist
eine ganz neue Facette Ihrer Klientelpolitik. Das ist nicht
gut. Deshalb werden wir Sozialdemokraten diesem Ge-
setzentwurf nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713617800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth

Winkelmeier-Becker von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1713617900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Es ist also endlich so weit: Die erste Tranche
der Insolvenzrechtsreform in dieser Legislaturperiode
steht heute in zweiter und dritter Lesung an. Ich denke,
wir haben damit ein Versprechen aus der ersten Lesung
eingelöst. Wir haben damals versprochen, uns sehr genau
die Anregungen und Argumente aus der Praxis anzuhö-
ren. Wir haben uns in der Tat in einen gründlichen Aus-
tausch mit Wissenschaft und Praxis begeben und noch et-
liche Änderungen aufgenommen, die zur Qualitätsver-
besserung beigetragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Unter anderem haben wir eine praktikable Lösung zur
Fehlerbeseitigung eingefügt. Wie schnell man so etwas
brauchen kann, zeigt sich schon heute; denn wir wollen
noch eine Kleinigkeit in der Beschlussempfehlung des
Ausschusses korrigieren.

Wir setzen, wie schon der Titel des Gesetzentwurfs
zeigt, einen starken Akzent auf die Sanierung. Neben
dem primären Ziel, der Gläubigerbefriedigung, senden
wir damit ein deutliches Signal für den Erhalt von Ar-
beitsplätzen, für den wirtschaftlichen Wert und aus mei-
ner Sicht auch für die Qualifikation des Unternehmers,
der in die Insolvenz geraten ist. Durch dieses Gesetz soll
erreicht werden, dass der Unternehmer weiter wirt-
schaftlich erfolgreich tätig sein kann. Wir brauchen eine
neue Insolvenzkultur, die auf Sanierung ausgerichtet ist.
Eine ganz klare Botschaft dieses Gesetzes ist auch, dass
demjenigen, der mit seinem Unternehmen oder privat in-
solvent wird, nicht automatisch das Vertrauen entzogen
werden soll. Er darf nicht abgestempelt werden, sondern
verdient eine neue Chance.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)






Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A)



(D)(B)

Dass wir neben den Gedanken der Gläubigerbefriedi-
gung den Sanierungsgedanken stellen, ist der vorläufige
Höhepunkt einer langen Modernisierung des Insolvenz-
rechts. Ganz interessant ist ein aktueller Aufsatz von
Professor Thole von der Universität Tübingen in der JZ.
Darin wird ein Überblick über die Entwicklung des In-
solvenzrechts gegeben, begonnen bei verschiedenen Me-
thoden der Personalexekution in der Antike – Schuld-
turm, Ohrabschneiden – bis hin zu so beschämenden
Strafen, dass jemand, der in der Insolvenz war, bei
Hochzeiten oder Begräbnissen hinten bei den Frauen
sein musste. Es war ein weiter Weg, bis man zwischen
betrügerischen und glücklos handelnden Unternehmern
unterschieden hat und es erste Ansätze der Schuldenbe-
reinigung und Sanierung gab. Dies alles ist heute natür-
lich überwunden und weit weg, aber trotzdem schwingt
dieses Stigma immer noch mit, wenn wir heute über In-
solvenz sprechen. Dies wollen wir mit diesem Gesetz
überwinden.

Die Fortentwicklung des Insolvenzrechts mit dem Sa-
nierungsansatz war im europäischen Vergleich längst
überfällig. Wir stärken damit den Insolvenzstandort
Deutschland. Dabei haben wir einen etwas anderen An-
satz als die anderen europäischen Länder. Wir setzen in
der vorhandenen Insolvenzordnung, also im vorhande-
nen Rechtsrahmen, neue wirksame Anreize für die Be-
teiligten, für die Gläubiger wie auch für den Schuldner,
sich frühzeitig um eine Sanierung zu kümmern.

Die dazugehörigen Verfahren hat Kollege Ahrendt
bereits genannt. Zum einen wird durch den vorläufigen
Gläubigerausschuss dafür gesorgt, dass die Gläubiger
mit ihrer Branchen- und Fachkenntnis zu einem deutlich
früheren Zeitpunkt in das Verfahren einbezogen werden.
Auf der anderen Seite gibt es das Schutzschirmverfah-
ren.

Die Rolle der Gläubiger zu stärken, ist einer der Kern-
punkte. Diese Stärkung muss sich bereits in einer sehr
frühen Phase, schon bei der Auswahl des Insolvenzver-
walters und bei den ersten grundlegenden Entscheidun-
gen, auswirken. Denn die Gläubiger entscheiden da-
rüber, ob es zu einer Sanierung kommt oder ob das
Unternehmen liquidiert wird.

In Bezug auf den Gläubigerausschuss gibt es den
Zielkonflikt, einerseits ein repräsentatives Gremium zu-
sammenzustellen – das dauert seine Zeit – und anderer-
seits schnell handlungsfähig zu sein. Deshalb haben wir
für eine flexible Regelung gesorgt: Ab einer bestimmten
Unternehmensgröße kann das Gericht einen vorläufigen
Gläubigerausschuss vorgeben. Sollte schneller gehandelt
werden müssen, gewährleistet die Regelung, dass zu-
nächst ein Verwalter bestellt werden und die Anhörung
des Gläubigerausschusses nachgeholt werden kann.

Weil es um Geld und um die Unabhängigkeit des Ver-
walters geht, war die Regelung, dass die Gläubiger bei
einstimmigem Votum dem Gericht vorgeben können,
welcher Verwalter bestellt wird, von besonderem Inte-
resse. Herr Lischka, Sie haben hier zu bedenken gege-
ben, dass die Dominanz der Bankenvertreter dazu führen
könnte, dass ein nicht objektiver, ein befangener Verwal-
ter eingesetzt wird. Ich sehe diese Gefahr nicht. Wir ha-
ben ein repräsentativ zusammengesetztes Gremium mit
dem Erfordernis der Einstimmigkeit. Das heißt, jeder
Einzelne hat ein Vetorecht. Außerdem geht der Einfluss
der Bankenvertreter in diesen Zeiten eher gegen null.
Zudem professionalisieren sich die Gläubiger. Insbeson-
dere die, die nicht gesichert sind, bilden Gläubiger-
schutzvereinigungen. Sie werden den Bankenvertretern
daher auf Augenhöhe gegenüberstehen.

Ich sehe hier nur eine geringe Gefahr. Vielmehr sehe
ich die Chance, mit den Gläubigern zu einer treffsiche-
ren Auswahl des Verwalters zu kommen. Außerdem
könnte sich unter den Verwaltern ein heilsamer Wettbe-
werb ergeben, indem sie sich daran messen: Wer schafft
die beste Quote? Wer agiert am besten? Wer hat das
fairste Verfahren? Genau das wollen wir erreichen.

Wir haben im Hinblick auf die Verwalterauswahl ei-
nige Tabuthemen angepackt. Es soll nicht so sein, dass
jemand als Verwalter ausscheidet, nur weil er vom
Schuldner oder Gläubiger lediglich genannt worden ist.
Auch die bloße allgemeine Beratung soll nicht automa-
tisch zur Annahme der Befangenheit führen. Ganz klar
ist auch, dass sich das Gericht ohne Weiteres für einen
anderen Verwalter entscheiden kann. Es braucht diese
Entscheidung in der Regel noch nicht einmal zu begrün-
den, es sei denn, der Gläubigerausschuss hat ihm das mit
einstimmigem Votum vorgegeben. Ich habe diesbezüg-
lich wirklich keine Bedenken. Ich kann das nicht nach-
vollziehen. Ich glaube, Sie heben das an dieser Stelle
hervor, um überhaupt einen Grund zu haben, unserem
Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Das ist Ihr einziger
Kritikpunkt; alles andere haben Sie gelobt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Es gibt noch mehr!)


Sie brauchen anscheinend das Haar in der Suppe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für den Schuldner – das wurde gerade ausgeführt –
bieten wir mehr Berechenbarkeit und mehr Klarheit,
auch nach außen hin. Er hat die Möglichkeit, weiterhin
in Eigenverwaltung tätig zu sein, wenn sein Unterneh-
men saniert werden muss. Das gilt für den Zeitpunkt,
wenn er in die Insolvenz geht und noch nicht zahlungs-
unfähig ist. In materieller Hinsicht wird dies durch den
Debt-Equity-Swap ergänzt. Dieser erweitert die Mög-
lichkeiten, einen Plan zu erstellen, deutlich. Er ist auch
im internationalen Vergleich längst überfällig; er gehört
längst in unsere Insolvenzordnung.

Insgesamt handelt es sich hier um einen Ansatz, der
die Sanierung in das vorhandene Insolvenzrecht inte-
griert. Das hat den Vorteil, dass man die Möglichkeiten
des Insolvenzrechts für eine Sanierung nutzen kann, sei
es die Nutzung des Insolvenzgeldes für die Arbeitneh-
mer oder die Anfechtung von zu teuren Liefer- oder
Mietverträgen. Das sind die Dinge, die man braucht, um
eine Sanierung überhaupt durchführen zu können, und
das war aus meiner Sicht längst überfällig.

Ich weiß, dass auf internationalen Fachtagungen mit
großem Interesse beobachtet wird, wie Deutschland die-
ses Verfahren implementiert. Ich bin überzeugt, dass wir

(C)






Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

damit den Unternehmen in Deutschland ein effizientes
und sanierungsorientiertes Insolvenzrecht bieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein bisschen schade ist aus meiner Sicht, dass wir die
Konzentration der Gerichte nicht durchgesetzt haben.


(Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Das ist sehr gut!)


Mich hat die Begründung des Bundesjustizministeriums
an dieser Stelle überzeugt. Ich finde es schade, dass wir
diese Regelung herausgenommen haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713618000

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1713618100

Aber der Appell an die Länder bleibt. Sie können das

trotzdem in eigener Verantwortung tun.

Schließen möchte ich mit dem Dank an das Justiz-
ministerium, den Berichterstatter der FDP, Herrn
Ahrendt, und die anderen Kolleginnen und Kollegen. Ich
denke, wir sollten uns motiviert an die nächste Stufe der
Insolvenzrechtsreform begeben.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713618200

Für die Linke hat jetzt der Kollege Richard Pitterle

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713618300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Allein im Jahr 2010 wurden 32 000
Unternehmensinsolvenzen registriert. Es haben mehr als
240 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Ar-
beit verloren. Deshalb ist es umso dringlicher, dass in-
solvente Unternehmen saniert werden können. Das In-
solvenzrecht, das wir haben, ist zäh. Gerade in Krisen-
zeiten brauchen wir ein Insolvenzrecht, das auch Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer schützt. Spätestens
wenn der Betrieb pleite ist, werden diese mit dem Insol-
venzrecht konfrontiert. Das Ziel des Gesetzentwurfs ist,
dafür zu sorgen, dass Unternehmen, die finanziell strau-
cheln, frühzeitig wieder auf den richtigen Weg kommen.
Das ist auch uns Linken ein ganz wichtiges Anliegen.
Denn nur die Unternehmen, die nicht abgewickelt wer-
den, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer be-
schäftigen und Arbeitsplätze sichern.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei den vorgeschlagenen Änderungen des Insolvenz-
planverfahrens und bei der Eigenverwaltung gibt es gute
Ansätze. Aber in der Praxis ist beides bisher unbedeu-
tend. Die Gründe dafür sind vielfältig; auch die Psycho-
logie spielt eine wichtige Rolle. Vielfach steht die Insol-
venz als Schreckgespenst über dem Betrieb. Sie wird
überhaupt nicht als Chance begriffen. Schön wäre es,
wenn hier ein Umdenken stattfände.

Ich möchte auf zwei Punkte, die auch in diesem Ge-
setzentwurf leider keine Beachtung gefunden haben, nä-
her eingehen. Die Instrumente zur Sanierung können
helfen, Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten zu
retten. Aber die Abwicklung wird der Regelfall bleiben.
Hat man nur das Überleben eines Unternehmens im
Auge, vergisst man leicht die Probleme, denen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer ausgesetzt sind, vor al-
lem dann, wenn es um die aussichtslose Sanierung von
Unternehmen geht.

1999 wurde die Konkursordnung durch die Insolvenz-
ordnung abgelöst. Das hat zwei gravierende Verschlech-
terungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
gebracht.

Erstens. Noch nicht ausgezahlte Löhne und Gehälter
werden nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
ohne Ausnahme zu Insolvenzforderungen, und die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden zu Insolvenz-
gläubigern. Was heißt das konkret? Die Pleite eines Un-
ternehmens zeichnet sich für die Belegschaft oft schon
frühzeitig ab. Es gibt unregelmäßige Lohnzahlungen
oder gar Lohnausfall, eine zunehmende Zahl von Über-
stunden, den Verzicht auf Urlaub und andere Vergünsti-
gungen. Die Liste der Zumutungen ist lang, und die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keine Chance,
sich diesen zu entziehen. Ein ehrlicher und verantwor-
tungsbewusster Arbeitgeber wird die Belegschaft auf die
schwierigen Zeiten vorbereiten und sie zu gemeinsamen
Anstrengungen motivieren, um den Betrieb und den Ar-
beitsplatz zu erhalten.

Muss dann trotzdem das Insolvenzverfahren eröffnet
werden, passiert Erstaunliches: Der ausstehende Lohn
verwandelt sich in eine Insolvenzforderung, die beim In-
solvenzverwalter anzumelden ist. Die Forderungen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden ganz am
Ende einer langen Liste, auf der eine Vielzahl anderer
Gläubiger steht, eingereiht.

Was bleibt von ihrem Engagement beim Scheitern der
Sanierung übrig? Im Durchschnitt sind es 5 Prozent ihrer
Forderungen; so hoch ist in Deutschland die Insolvenz-
quote. Das heißt, wenn bei jemandem 1 000 Euro Lohn
ausstehen, bekommt er davon mit viel Glück 50 Euro.
Aber institutionelle Großgläubiger, zum Beispiel Ban-
ken, befriedigen bereits vorher einen Großteil ihrer For-
derungen. Sie bekommen die Vermögenswerte des Un-
ternehmens, weil sie sich diese als Kreditsicherung
vorher haben garantieren lassen.

Die zweite gravierende Verschlechterung für die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Insolvenzan-
fechtung. Selbst diejenigen, die vor der Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens ihren Arbeitslohn verzögert erhal-
ten haben, können nicht sicher sein, dass sie das Geld
behalten dürfen. Die Insolvenzverwalter können nach
diesem Recht Teile davon zurückfordern. Das Bundesar-
beitsgericht und der Bundesgerichtshof haben diese
Möglichkeit zwar eingeschränkt, aber ausgeschlossen ist
sie nicht.





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)

Zwar wollte das Bundesjustizministerium 2009 we-
nigstens die Insolvenzanfechtung gesetzlich einschrän-
ken, aber dazu kam es nicht. Jede Änderung zugunsten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würde gegen
den Grundsatz der Gleichbehandlung von Gläubigern,
zu denen auch Banken zählen, verstoßen, hieß es als Be-
gründung aus Fachkreisen. Andere würden sonst eben-
falls Sonderforderungen stellen, hieß es.

Bei dieser Einschätzung wird vernachlässigt, dass
eine Gleichbehandlung im Falle der Insolvenz ohnehin
nur eine Illusion ist. Banken haben bei der Kreditgewäh-
rung an eine GmbH sowieso oft einen zusätzlichen Zu-
griff auf das Privatvermögen des Geschäftsführers oder
des Inhabers des Unternehmens. In dieser komfortablen
Situation ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer
nicht.

Darüber hinaus gebietet es das Grundgesetz sogar,
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesondert zu be-
handeln. Es ist schon aufgrund der besonderen Stellung
dieser Gruppe zum pleitegegangenen Unternehmen sach-
lich nicht gerechtfertigt, sie mit sonstigen Gläubigern
wie den Banken zu vergleichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dies gilt erst recht, wenn auch das Sozialstaatsprinzip
des Grundgesetzes als verfassungsrechtliches Leitbild
beachtet würde.

Nicht zuletzt gibt es das 173. Abkommen der Interna-
tionalen Arbeitsorganisation, ILO, das 1995 in Kraft ge-
treten ist. In Art. 5 wird eine bevorrechtigte Behandlung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Zahlungs-
unfähigkeit des Arbeitgebers verlangt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Übereinkommen wurde von Österreich, der
Schweiz, Finnland und Spanien ratifiziert – von
Deutschland bis heute nicht. Ich frage mich: Warum
nicht?


(Zuruf von der LINKEN: Traurig!)


Das beste Insolvenzrecht taugt nichts, wenn der Insol-
venzverwalter sein Handwerk nicht versteht. In dem
Entwurf wird zwar teilweise angesprochen, welche Min-
destqualifikationen Richter und Rechtspfleger haben sol-
len, aber es gab keine wirklichen Auseinandersetzungen
über die Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln
für Insolvenzverwalter. Es ist schon paradox, dass eine
Friseurin oder ein Friseur ohne einen Meisterbrief nicht
selbstständig tätig sein darf, während sich jeder Mensch
ohne irgendeine nachgewiesene Qualifikation als Sanie-
rer eines Unternehmens mit Hunderten oder Tausenden
Arbeitsplätzen versuchen und mit Forderungen in Mil-
lionenhöhe jonglieren darf. Das sollten wir ändern.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713618400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Hönlinger von

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713618500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im

Jahr 2010 gab es 32 000 Unternehmensinsolvenzen.
Hinter dieser nackten Zahl verbergen sich viele Arbeits-
plätze, geplatzte Träume von Selbstständigkeit und na-
türlich Existenzen, auch Familienexistenzen.

Deshalb war für uns Grüne eine Reform des Insol-
venzrechts schon immer ein großes Anliegen. Bereits
mit unserem Antrag vom Juni 2010 haben wir Vor-
schläge für die Verbesserung der Sanierung von Unter-
nehmen unterbreitet. Ein Jahr später hat die Bundesre-
gierung ihren Gesetzentwurf vorgelegt.

Viele Komponenten des Gesetzentwurfs sind berech-
tigt. Zu nennen sind insbesondere der Ausbau des Insol-
venzplanverfahrens und die Intention, Eigenverwaltung
und Gläubigerinteressen zu stärken. Umso bedauerlicher
ist es, dass Sie in einigen Punkten die Chance für eine
umfassende und ausgewogene Reform nicht genutzt ha-
ben.

Diese Defizite Ihrer Reform werde ich Ihnen in drei
Punkten aufzeigen. Sie betreffen erstens die Zuständig-
keitsregelungen für Insolvenzgerichte, zweitens den vor-
läufigen Gläubigerausschuss und drittens die Stellung
des Insolvenzverwalters.

Die Zuständigkeiten für Unternehmensinsolvenzen an
den Gerichten stärker zu konzentrieren, halten wir für
eine richtige Maßnahme. Richter, die im Bereich Insol-
venzrecht tätig sind, treffen Entscheidungen, die für die
Sanierungschancen von Unternehmen von großer Be-
deutung sind. Genau deswegen brauchen die Richter
nicht nur juristisches, sondern auch betriebswirtschaft-
liches Fachwissen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht mit der
vorgesehenen stärkeren Konzentration der Insolvenzge-
richte in die richtige Richtung. Bedauerlicherweise sieht
nun der Änderungsantrag der Koalition eine Streichung
dieser wichtigen Passage vor, obwohl wir zum Beispiel
116 Landgerichtsbezirke in Deutschland haben, dafür
aber viel mehr Insolvenzgerichte, nämlich 191.


(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist auch gut so!)


Die Rücknahme Ihrer eigenen Planung können wir nicht
verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsaus-
schuss waren sich die Experten einig, dass Expertise an
den Gerichten gebündelt werden muss.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ganz so war es nicht!)


Oft wurde in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass
zumindest größere Verfahren an den Landgerichten in
den Kammern für Handelssachen angesiedelt werden
könnten; denn hier ist das notwendige wirtschaftliche
Fachwissen bereits vorhanden. Die Qualitätssicherung
der Arbeit von Richtern und Rechtspflegern durch ge-
zielten Aufbau von wirtschaftlichem Fachwissen lassen
Sie damit außer Acht. Mit dieser Entscheidung haben





Ingrid Hönlinger


(A) (C)



(D)(B)

Sie einer nachdrücklichen Forderung aus der Fachwelt
viel zu wenig Bedeutung beigemessen. Sie haben hier
eine Chance verpasst und sind zurückgewichen, meine
Damen und Herren von der Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun komme ich zu meinem nächsten Punkt, der Ein-
setzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses. Gläu-
bigerinteressen sollen gestärkt werden. Das wollen na-
türlich auch wir. Sie scheinen aber zu übersehen, dass
die Gruppe der Gläubiger nicht homogen ist. Auch die
Interessen „kleinerer“, zum Beispiel nicht institutionel-
ler Gläubiger müssen beachtet werden. Diesen Anspruch
erfüllt die jetzt vorgesehene Regelung nicht.

Nach bisheriger Rechtslage liegt es im Ermessen des
Insolvenzrichters, ob er einen vorläufigen Gläubigeraus-
schuss einsetzt oder nicht. Der Regierungsentwurf hat
Regelungen für die Einsetzung des vorläufigen Gläubi-
gerausschusses aufgestellt. Diese orientieren sich an der
Größe der Unternehmen.

Schon mit diesen Regelungen wäre der vorläufige
Gläubigerausschuss nur in sehr wenigen Fällen einge-
setzt worden. Das ergibt sich plastisch aus der Gesetzes-
begründung. Die Verschärfung, die jetzt im Änderungs-
antrag der Koalition enthalten ist, wird diese Zahl noch
weiter reduzieren. Wenigstens mildern Sie diese Wir-
kung dadurch ab, dass einzelne Gläubiger einen vorläu-
figen Gläubigerausschuss beantragen können, wenn sie
dafür Mitglieder benennen. Dadurch erhalten zumindest
die Gläubiger von kleineren und mittleren Unternehmen
die Möglichkeit, sich im Rahmen eines vorläufigen
Gläubigerausschusses am Verfahren zu beteiligen.

Insgesamt sind wir allerdings skeptisch, dass die Neu-
regelung zu einer häufigeren Einsetzung von vorläufigen
Gläubigerausschüssen führen wird. Es wäre besser ge-
wesen, hier keine Regelung zu treffen, sondern es bei der
bisherigen Rechtslage zu belassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu meinem dritten zentralen Punkt. Dieser
hat uns im Ausschuss und bei der Anhörung intensiv be-
schäftigt. Es geht um die geplanten Regelungen zur Aus-
wahl des Insolvenzverwalters. Ich sage Ihnen mit Nach-
druck: Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters
muss umfassend gewährleistet werden. Eine Person, die
ein Unternehmen schon vor der Stellung des Eröffnungs-
antrags beraten hat, sei es auch nur in allgemeiner Form
über das Insolvenzverfahren oder über dessen Folgen, ist
nicht mehr unvoreingenommen. Deshalb sollte ein sol-
cher Berater nicht mehr zum Insolvenzverwalter bestellt
werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt wird die Rede gut!)


Auch sollte der Insolvenzrichter bei der Auswahl des
Verwalters durch ein einstimmiges Votum des Gläubiger-
ausschusses nicht strikt verpflichtet sein. Hier besteht
die Gefahr, dass die institutionellen Gläubiger den Aus-
schuss und damit auch die Wahl des Verwalters dominie-
ren.
Bei den Insolvenzverwaltern wiederum kann das dazu
führen, dass einzelne Verwalter, die häufig in Verfahren
mit institutionellen Gläubigern arbeiten, viele Aufträge
erhalten. Andere Verwalter, die in Verfahren mit „kleine-
ren“ Gläubigern ihr Geschäftsfeld haben, könnten wenig
Aufträge erhalten. Es entsteht ein sogenannter Closed
Shop, der den Wettbewerb unter den Insolvenzverwal-
tern einschränkt. Deswegen sehen wir unsere hohen An-
forderungen an die Unabhängigkeit des Insolvenzver-
walters mit diesem Gesetzentwurf nicht gewahrt. Als
Rechtspolitikerin muss ich abschließend feststellen:
Zentrale Ansätze in der Vorlage der Regierungs-
koalition sind entweder nicht zu Ende gedacht oder ein-
seitig auslegbar. Trotz vieler richtiger Ansätze, die die
Sanierungschancen von Unternehmen verbessern wer-
den, können wir diesem Gesetzentwurf deshalb nicht zu-
stimmen. Wir werden uns enthalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713618600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Heider

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1713618700

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Man ist in diesen
Tagen, wenn man sich mit der Materie des Insolvenz-
rechts befasst, versucht, eine Brücke zu den großen Er-
eignissen in Europa zu schlagen. Die Begriffe, mit denen
wir uns schon beschäftigt haben, wie dem vorläufigen
Gläubigerausschuss, dem Schutzschirmverfahren und
der Benennung eines Sachwalters legen gewisse Paralle-
len nahe. Ich will aber nicht der Versuchung erliegen,
mich damit zu beschäftigen und vielleicht darauf zu
schließen, was in Europa sinnvoll wäre.

Das Insolvenzrecht zeigt, dass wir viele Instrumente
ins Werk setzen, die durchaus der wirtschaftlichen Situa-
tion der Unternehmen gerecht werden. Ich glaube auch,
dass ein Paradigmenwechsel, wenigstens aber ein großer
Wurf mit diesem Gesetz gelingt. Dafür ist der Initiative
und dem Impuls der Bundesregierung und der Frau Jus-
tizministerin zu danken, aber auch den Koalitionsfrak-
tionen, die in intensiver Beratung dieses Gesetzgebungs-
verfahren begleitet und viele wichtige Punkte in ihm
hervorgehoben haben.

Ich will mich nicht so sehr mit den technischen Ein-
zelheiten befassen; ich will etwas näher auf die wirt-
schaftlichen Herausforderungen eingehen. Wir machen
mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanie-
rung von Unternehmen durchaus einen wichtigen Schritt
zu einer nachhaltigeren Wirtschaftspolitik.

In der Wirtschaftspolitik geht es ohne Zweifel darum,
die Voraussetzungen für den Wohlstand in einer Gesell-
schaft und in einer Volkswirtschaft zu verbessern, das
heißt Grundlagen für mehr Wachstum und Beschäfti-
gung zu legen, effizientes und kostengünstiges Wirt-





Dr. Matthias Heider


(A) (C)



(D)(B)

schaften zu ermöglichen sowie den Wettbewerb und den
Zugang zu den Märkten zu sichern.

Nachhaltige Wirtschaftspolitik betrifft weit mehr als
die Schonung von Ressourcen und den effektiven Kapi-
taleinsatz. Nachhaltig bedeutet auch, Werte zu schaffen,
langfristig Innovationen und Investitionen zu sichern,
Arbeitsplätze zu erhalten und das unternehmerische Ri-
siko nach Möglichkeit kalkulierbar zu halten. Das be-
deutet, eine dauerhafte und starke Position im Wettbe-
werb zu haben. Das braucht unsere Volkswirtschaft, und
das brauchen unsere Unternehmen.

Zum unternehmerischen Risiko gehört sicherlich die
Gefahr, insolvent zu werden. Unternehmenskrisen und
leider auch – im Volksjargon – Firmenpleiten gehören
zum Wirtschaftsleben dazu. Trotzdem wollen wir an die-
ser Stelle auch junge Unternehmerinnen und Unterneh-
mer dazu ermutigen, etwas zu wagen und das Risiko der
Unternehmensneugründung einzugehen.

Junge und innovative Unternehmen können sich häu-
fig nur dann erfolgreich am Markt etablieren, wenn sich
in der Gründungs- und Anlaufphase Investoren mit Ka-
pital beteiligen. Hierfür dienen unter anderem – das nur
nebenbei gesagt – auch das KfW-Startgeld oder der
High-Tech-Gründerfonds, an dem sowohl das BMWi als
auch die KfW beteiligt sind.

Dennoch: Unternehmen sind während ihrer Aufbau-
phase besonders anfällig. Im Jahr 2010 war die Ausfall-
quote bei Unternehmen mit einem Betriebsalter von bis
zu sechs Jahren mit durchschnittlich 162 Insolvenzen auf
jeweils 10 000 Unternehmen fast dreimal höher als bei
etablierten Unternehmen. Knapp die Hälfte der insolven-
ten Unternehmen, nämlich über 45 Prozent, wiesen im
Jahr 2010 ein Betriebsalter von bis zu sechs Jahren auf.
Ein Drittel der Fälle betraf Unternehmen, die älter waren
als zehn Jahre. Hier setzt das neue Insolvenzrecht ent-
scheidende Akzente.

Wenn neu gegründete Unternehmen nach einigen Jah-
ren während der Wachstumsphase in Schieflage geraten,
stehen mit dem ESUG jetzt Instrumente bereit, die dem
unternehmerischen Ausfall entgegenwirken.

Viele Unternehmer verstehen unter Insolvenz noch
immer ausschließlich die Liquidation des Unterneh-
mens. Sie verkennen dabei, dass das betroffene Unter-
nehmen zum Beispiel mithilfe des Insolvenzplans saniert
werden kann. Dass die bestehenden Möglichkeiten zur
Sanierung eines Unternehmens oft nur unzureichend ge-
nutzt werden, liegt daran, dass sich die meisten Unter-
nehmen scheuen, einen Insolvenzantrag zu stellen, und
zuerst versuchen, die Unternehmenskrise ausschließlich
aus eigener Kraft zu lösen. Das kostet Liquidität und das
verbliebene Vertrauen von Kunden und Lieferanten, aber
auch von Mitarbeitern und vor allen Dingen von Kredit-
gebern. Für das Gelingen einer Sanierung ist es wichtig,
ob am Ende eines Insolvenzverfahrens das Unternehmen
liquidiert wird, ob die Unternehmerin oder der Unter-
nehmer die selbstständige Tätigkeit beenden muss oder
wieder aufnimmt oder ob es Möglichkeiten gibt, das Un-
ternehmen durch eine übertragende Sanierung oder mit-
hilfe eines Insolvenzplans zu retten. Doch das muss ent-
schieden werden, bevor die Kassen leer sind. Die
Rettungsmöglichkeiten verbessert das geänderte Gesetz.

Ich bin mir sicher, dass sich mit dem ESUG auch die
Chance für eine neue Insolvenzkultur bieten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Gesetz gibt den Anreiz zu einer frühzeitigen Insol-
venzantragstellung. Wie wichtig es ist, rechtzeitig den
Insolvenzantrag zu stellen, zeigt, dass alleine 2010 rund
13 000 Fälle, also nahezu 10 Prozent aller Insolvenzver-
fahren, mangels Masse abgewiesen werden mussten. Der
bei einem Eigenantrag vorgesehene Schutzschirm macht
zwar den Eröffnungsantrag nicht entbehrlich. Gleich-
wohl verstärkt er das Sanierungspotenzial. Alle Instru-
mente – diese hat die Kollegin Winkelmeier-Becker ge-
rade vorgestellt – wie die Vereinfachung des Zugangs
zur Eigenverwaltung, der Ausbau und die Straffung des
Planverfahrens, die Mitbestimmungsrechte der Gläubi-
ger im vorläufigen Gläubigerausschuss und die Einfüh-
rung des Schutzschirmverfahrens sind wichtig für eine
nachhaltige Verfahrensgestaltung, die letztendlich auch
dem Schutz von Arbeitsplätzen dient. Deshalb kann ich
gar nicht verstehen, warum Sie auf der linken Seite des
Hauses so pessimistisch sind. Wenn alle Forderungen
von Arbeitnehmern zu Masseforderungen würden, dann
würde es kein sanierungsfähiges Unternehmen mehr ge-
ben. Dann müssten wir uns damit gar nicht mehr befas-
sen. Schließlich gibt es die Möglichkeit des Konkursaus-
fallgeldes.

In der Tat haben die Gläubiger eine starke Stellung
bei der Auswahl des Insolvenzverwalters. Herr Kollege
Lischka, ich glaube nicht, dass das eine Laterna magica
wird, in die man sich hineinbegibt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Warten wir es ab!)


Man muss in der Tat beobachten, wie sich das Verfahren
in der Praxis entwickelt und wie die Gläubiger davon
Gebrauch machen. Ich glaube nicht, dass es dazu ver-
führt, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen. Die
Gläubiger haben ein großes Interesse daran, das Verfah-
ren zu gestalten, gerade weil es um sehr spezifische
Branchen wie die Gesundheitswirtschaft oder die Auto-
mobilindustrie geht. Hier ist Know-how gefragt.

Ich komme zum Schluss. Weitere Reformen des Insol-
venzrechts werden notwendig sein. Wir werden bereits
im nächsten Jahr über Regelungen zur Verbraucherinsol-
venz sprechen. Ich bin der Auffassung: Wir schaffen mit
den im Gesetz verankerten Instrumenten ein gutes Ver-
fahren und werden dem Insolvenzverfahren damit einige
Impulse geben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713618800

Für die SPD hat jetzt das Wort der Kollege Ingo

Egloff.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1713618900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich zunächst anmerken, dass sich
dieses Gesetzgebungsverfahren positiv von anderen ab-
gehoben hat; denn hier ist auf allen Seiten des Hauses
mit dem gebotenen Sachverstand verhandelt worden.
Die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass wir in
der Praxis viele Probleme gemeinsam zu lösen haben.
Wir alle haben uns darum bemüht, eine sachgerechte Lö-
sung im Gesetzgebungsverfahren zu finden, wenngleich
wir uns nicht in allen Punkten einig sind; das sei zuge-
standen. Darauf werde ich gleich noch eingehen. Trotz-
dem ist das ein positives Beispiel. Daran könnte man
auch in zukünftigen Fällen anknüpfen.

Das Ziel des Gesetzgebungsverfahrens – das ist hier
schon mehrfach gesagt worden –, das uns geleitet hat,
war und ist, die Fortführung von insolvenzbedrohten
Unternehmen zu ermöglichen, die Sanierung in den Vor-
dergrund zu stellen und vor allen Dingen dem Insolvenz-
verfahren den Makel des unternehmerischen Versagens
zu nehmen. Deshalb haben wir uns ausführlich mit dem
Schutzschirmverfahren und der Praktikabilität desselben
beschäftigt. Der Kollege Lischka hat darauf hingewie-
sen, dass es positiv zu werten ist, dass wir im laufenden
Gesetzgebungsverfahren an dieser Stelle Änderungen
vorgenommen haben. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Neuland betreten wir bei § 225 a der Insolvenzord-
nung, der die Umwandlung von Forderungen in Unter-
nehmensanteile vorsieht. Dies ist eine Möglichkeit, den
Unternehmen neue Chancen zu eröffnen. Aber gleichzei-
tig besteht auch die Gefahr – der müssen wir uns be-
wusst sein –, dass Unternehmen Forderungen von ande-
ren Unternehmen aufkaufen, wenn klar ist, dass diese
Unternehmen notleidend sind, aber nicht mit dem Ziel,
das Unternehmen zu sanieren, sondern die attraktiven
Teile des Unternehmens zu nutzen, gegebenenfalls wei-
terzuverkaufen, also das Unternehmen auszuschlachten
und den Rest in die Insolvenz gehen zu lassen. Das
heißt, die Unternehmen würden dann filetiert werden.

Es gibt Beispiele – in Großbritannien gibt es diese Art
des Verfahrens schon länger –, dass das auch deutschen
Unternehmen passiert ist. Ich habe schon in der letzten
Debatte darauf hingewiesen, dass die Deutsche Nickel
– das ist das Unternehmen, das die 1-Euro-Münzen her-
gestellt hat – dieser Gefahr erlegen und anschließend in
die Insolvenz gegangen ist, nachdem man versucht hat,
durch das Ausweichen in das englische Recht ein ent-
sprechendes Insolvenzverfahren einzuleiten. Wir wissen
auch, dass es in anderen Bereichen – auch in Deutsch-
land wurden Mittelständler von Hedgefonds aufgekauft –
gängige Praxis ist, so zu verfahren, nämlich attraktive
Unternehmensteile zu verkaufen und den Rest in die In-
solvenz gehen zu lassen, und eigentlich gesunde Unter-
nehmen kaputtzumachen.

Deswegen ist es gut, dass wir im Berichterstatterge-
spräch über diese Gefahren noch einmal gesprochen ha-
ben und sich alle Beteiligten einig waren, dass wir da-
rauf achten müssen, wie sich dieser Punkt in Zukunft
entwickelt. Deswegen muss das evaluiert werden. Das
hatten wir Sozialdemokraten ausdrücklich vorgeschla-
gen. Ich finde es richtig, dass wir uns nach fünf Jahren
ansehen, wie sich das Gesetz an dieser Stelle ausgewirkt
hat. Dann erweist sich, ob die Befürchtung, die wir geäu-
ßert haben, richtig gewesen ist oder ob wir feststellen
müssen, dass wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-
rens alles richtig gemacht haben, was am Ende dazu ge-
führt hat, dass Unternehmen von dieser Möglichkeit pro-
fitiert haben und dann saniert und fortgeführt werden
konnten. Das wird die Zukunft zeigen.

Für uns ist § 56 der Insolvenzordnung der Knack-
punkt. Herr Lischka hat darauf hingewiesen. Auch die
Kollegin von den Grünen hat darauf hingewiesen. Die
Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters ist ein hohes
Gut. Ich finde die Regelung richtig, die wir bisher in der
Insolvenzordnung hatten, nämlich dass der Insolvenz-
richter den Insolvenzverwalter bestellt, und zwar in gro-
ßer Unabhängigkeit.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen sind wir sehr skeptisch, was die Regelung des
§ 56 angeht. Wir nehmen das nicht als Vorwand, um dem
Gesetz nicht zuzustimmen. Hätten Sie sich an dieser
Stelle bewegt, wie wir es vorgeschlagen haben, hätten
wir diesem Gesetzentwurf in seiner Gänze auch zuge-
stimmt. So werden wir uns enthalten, weil die Frage für
uns so wichtig ist. Auf die Gefahren, die damit verbun-
den sind, möchten wir noch einmal hinweisen. Dass je-
mand, der vorher schon ein Unternehmen in irgendeiner
Art und Weise beraten hat, später Insolvenzverwalter
werden kann und dann nicht die Unabhängigkeit hat, die
ein Insolvenzverwalter braucht, darauf hat der Kollege
Lischka schon hingewiesen.

Auch die Regelung des § 56 Abs. 3, die den Richter in
einer Art und Weise bindet, dass er so gut wie keine
Möglichkeit mehr hat, anders zu entscheiden, wenn es
einen einstimmigen Beschluss der Gläubigerversamm-
lung gibt, lehnen wir ab.


(Beifall bei der SPD)


Wir bauen hier keinen Popanz auf. Wer sich auf Ver-
anstaltungen bewegt hat, die zur Insolvenzrechtsreform
stattgefunden haben, und dort mit Vertretern von Banken
und Versicherungen gesprochen hat, weiß, dass die
Großgläubiger in der Regel die Chance sehen, ihre Insol-
venzverwalter immer durchzusetzen. Es ist die Frage, ob
das gut ist. Wir beantworten diese Frage eindeutig mit
Nein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind der Auffassung, dass die Änderung von § 56
so nicht beschlossen werden sollte. Wir haben das im
Rechtausschuss beantragt. Sie sind dem nicht gefolgt.
Das ist für uns der Grund, warum wir uns hier heute im
Gesetzgebungsverfahren enthalten und Ihrem Gesetz
nicht zustimmen werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713619000

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich nun dem Kollegen Stephan Mayer das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1713619100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen! Sehr

verehrte Kolleginnen! Mit dem heute zu fassenden Be-
schluss über die Novellierung der Insolvenzordnung
wird das ohnehin schon gute deutsche Insolvenzrecht
noch besser. Aber auch wenn es bisher schon gut war:
Gerade die schwerwiegendste Wirtschafts- und Finanz-
krise seit Bestehen der Bundesrepublik hat gezeigt, dass
unser Insolvenzrecht Defizite aufweist. Ich empfinde es
als den größten Charme und auch den größten Mehrwert
der jetzt vorgenommenen Novellierung, dass der Zeit-
punkt des Beginns der Sanierung und der Umstrukturie-
rung deutlich nach vorn geschoben wird. Die Vergan-
genheit hat bewiesen, dass das bisherige Insolvenzrecht
leider nicht die erforderlichen Instrumentarien beinhaltet
hat, um möglichst frühzeitig mit der Sanierung und mit
der Umgestaltung eines Unternehmens beginnen zu kön-
nen.

Ich kann mich, meine verehrten Kolleginnen und Kol-
legen von der Opposition, des Eindrucks nicht erwehren,
dass Sie im Großen und Ganzen – das war auch Ihren
Reden zu entnehmen – mit den Zielen der Novellierung
des Insolvenzrechts durchaus konform gehen, dass Sie
sich auch mit den einzelnen Bestandteilen durchaus ein-
verstanden erklären, dass Sie aber wirklich das Haar in
der Suppe suchen,


(Burkhard Lischka [SPD]: Eher ein Haarbüschel! Das ist schon ein wesentlicher Knackpunkt! Da müssen Sie schon zuhören! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganzer Haarschopf!)


um diesem Gesetzentwurf ja nicht zustimmen zu müs-
sen. Das finde ich persönlich durchaus bedauerlich, weil
meines Erachtens das Ziel hier in diesem Hause auf allen
Fraktionsbänken gleich sein sollte, nämlich alles dafür
zu tun, dass die Anzahl der Insolvenzen in Deutschland
zurückgeht und damit natürlich auch wertvolle und
wichtige Arbeitsplätze gesichert werden.

Ich bin auch sehr froh, dass der Entwurf einer novel-
lierten Insolvenzordnung im parlamentarischen Verfah-
ren eine deutliche Veränderung erfahren hat – meines Er-
achtens eine Veränderung zum Besseren. Es ist
erfreulich, dass die Eigenverwaltung, die bisher eher ein
stiefmütterliches Dasein gefristet hat, aufgewertet wird,
reformiert wird, gestärkt wird, dass ein Schutzschirm für
Schuldner geschaffen wird. Es ist aber bei diesem
Schutzschirm genauso wie bei anderen Schutzschirmen,
dass er nicht bedingungslos aufgespannt wird, sondern
nur unter ganz bestimmten Konditionen geöffnet wird:
Hierzu ist es erforderlich, dass der Unternehmer als
Schuldner rechtzeitig den Antrag stellt, also zu einem
Zeitpunkt, zu dem er noch nicht überschuldet ist, zu dem
noch nicht die Zahlungsunfähigkeit gegeben ist. Er hat
dann drei Monate Zeit, einen Insolvenzplan auszuarbei-
ten, und es besteht die Möglichkeit, einen vorläufigen
Gläubigerausschuss einzurichten. Gerade das Instru-
ment, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einrichten
zu können, ist aus meiner Sicht einer der großen Mehr-
werte der Novellierung der Insolvenzordnung.

Ein weiterer positiver Bestandteil ist das schon er-
wähnte Insolvenzplanverfahren, weil damit die Möglich-
keit gegeben wird, Betroffene zu Beteiligten zu machen.
Es wird die Möglichkeit gegeben, Fremdkapital zu Ei-
genkapital umzuwandeln und damit die Gläubiger zu
Mitwirkenden zu machen, natürlich durchaus mit dem
Anreiz, sich aktiv daran zu beteiligen, das Unternehmen
wieder in sichereres und besseres Fahrwasser zu führen.
Richtigerweise wird die Möglichkeit zu Blockaden zu-
rückgefahren; diese wurden bisher teilweise von einzel-
nen Gläubigern, die Partikularinteressen verfolgt haben,
genutzt. Auch dies ist ein erheblicher Mehrwert, der in
der Novellierung der Insolvenzordnung steckt.

Ich bin auch froh, meine werten Kolleginnen und
Kollegen, dass es uns gelungen ist, durchaus auf berech-
tigte Wünsche und Forderungen des Bundesrates Rück-
sicht zu nehmen.

Zum einen wurden die Schwellenwerte, ab denen die
Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses ver-
pflichtend ist, deutlich angehoben. Das bedeutet im Um-
kehrschluss aber nicht, dass für kleinere und mittlere
Unternehmen kein vorläufiger Gläubigerausschuss ein-
gerichtet werden kann. Es liegt eben im Ermessen des
Richters. Ich glaube, es ist ein erheblicher Vorteil, dass
die Schwellenwerte hier deutlich erhöht wurden.

Ein weiteres Ergebnis infolge einer Forderung, die
vom Bundesrat meines Erachtens sehr berechtigt an uns
herangetragen wurde, ist, dass wir formal an den Zustän-
digkeiten der Insolvenzgerichte nichts ändern. Ich habe
dies schon in meiner Rede in der ersten Lesung am
30. Juni sehr deutlich formuliert: Ich bin der Meinung,
es ist richtig – gerade auch bei Verbraucherinsolvenzen –,
dass der Schuldner einen kurzen Weg zum Insolvenzge-
richt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Gerade in den Flächenländern ist es wichtig, dass die
Wege nicht zu lang sind. Es geht häufig um Personen,
etwa Hartz-IV-Empfänger, die selbst nicht mobil sind.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Insolvenz-
gerichte als Dienstleister empfunden werden und dass
der Weg möglichst kurz ist.

Natürlich besteht für die Länder auch weiterhin, wie
bisher, die Möglichkeit, von der Öffnungsklausel Ge-
brauch zu machen; sprich: Sie können, wie bisher auch,
in jedem Landgerichtsbezirk ein Amtsgericht zum Insol-
venzgericht bestimmen, aber sie müssen es nicht. Dass
den Bundesländern diese Freiheit belassen wird, ist rich-
tig.

Ich habe persönlich in vielen Fällen, auch im Wahl-
kreis, die Erfahrung gemacht, dass es durchaus einen
Mehrwert bietet, wenn der Insolvenzrichter das Unter-
nehmen und vielleicht auch die Unternehmer oder Ge-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

schäftsführer schon aus einer Zeit kennt, zu der es dem
Unternehmen noch besser ging. Auch bei Unterneh-
mensinsolvenzen ist es gut, dass der Weg möglichst kurz
ist, dass also die Distanz zum Insolvenzgericht nicht so
groß ist.


(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Vor diesem Hintergrund bin ich froh, dass es uns gelun-
gen ist, die bisherige Regelung, die sich meines Erach-
tens bewährt hat, beizubehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin auch froh, dass es gelungen ist, in die von den
Koalitionsfraktionen eingebrachte Entschließung eine
Evaluierungsklausel aufzunehmen. Es sollte heutzutage
gang und gäbe sein, dass jedes Gesetz nach einer be-
stimmten Zeit auf seine Sinnhaftigkeit und auf seine
Wirksamkeit hin überprüft wird. Insofern ist es richtig,
dass wir uns hier verpflichten, nach fünf Jahren das neue
Recht auf seine Sinnhaftigkeit und auf seine Wirkung
hin zu überprüfen.

Insgesamt kann man wirklich sagen, dass mit dieser
Verbesserung des deutschen Insolvenzrechts dem be-
rechtigten Ziel Rechnung getragen wird, dass Unterneh-
men möglichst frühzeitig saniert und umstrukturiert wer-
den können. Vor diesem Hintergrund wäre es aus meiner
Sicht wirklich wünschenswert, wenn dieser sehr gelun-
gene Gesetzentwurf eine möglichst große Zustimmung
in diesem Haus erfahren würde. Deshalb noch einmal
der dringende, aber auch sehr herzliche Appell an die
Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, dem Ge-
setzentwurf zuzustimmen!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt zu spät! Diese Schalmeien kommen zu spät!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713619200

Ich schließe die Aussprache.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Erleichterung
der Sanierung von Unternehmen. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7511, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/5712 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der
Maßgabe der vom Berichterstatter Ahrendt mündlich
vorgetragenen Änderung des Art. 10 zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung
der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich gehe davon aus, dass wir sofort in die dritte Bera-
tung eintreten können. Gibt es Widerspruch dagegen? –
Das ist nicht der Fall.
Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Ebenfalls unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/7511 empfiehlt der Ausschuss,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Entschließung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 17/7511
fort. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2008 mit
dem Titel „Insolvenzrechtsreform unverzüglich vorlegen –
Außergerichtliche Sanierungsverfahren stärken – Insol-
venzplanverfahren attraktiver gestalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Grünen und Enthaltung von SPD und Linken angenom-
men.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Für eine moderne und zukunftsweisende
Familienpolitik

– Drucksache 17/6915 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713619300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor mit
dem Titel „Für eine moderne und zukunftsweisende Fa-
milienpolitik“.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Allein der Titel ist eine Unverschämtheit!)






Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)

Zunächst einmal ist natürlich zu fragen, was eine mo-
derne Familienpolitik ausmacht. Daran muss man die
Frage anschließen, was eigentlich Familie ist. Ich
glaube, von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab,
welche Konzepte man schreibt, wie man politische
Schwerpunkte setzt und wie man sich in dieser Frage
positioniert.

Unsere Bundesfamilienministerin sagt:

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger …
stellt sich unter einer Familie nach wie vor verhei-
ratete Eltern mit Kindern vor.

Das habe ich einem Interview im Onlinemagazin The
European im Oktober 2010 entnommen.

Wir müssen aber auch die Realität wahrnehmen. Da-
nach wachsen immer mehr Kinder im Haushalt von
Alleinerziehenden auf. Allein im Jahr 2010 gab es rund
82 000 Scheidungen. Etwa 170 000 Kinder waren davon
allein in diesem Jahr betroffen. Für die Kinder von Al-
leinerziehenden sind nicht nur die Mutter, der Vater oder
die Geschwister, sondern auch Oma und Opa, selbst
Tante und Onkel ihre Familie. Das halte ich für einen
sehr umfassenden und sehr modernen Familienbegriff,
dem Politik Rechnung tragen muss.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So aber nicht die Bundesregierung. Was macht sie auf
dem Feld der Familienpolitik?

Es gibt immer noch das Relikt des Ehegattensplit-
tings. Das heißt nicht, dass man sich den Ehegatten teilt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Vielmehr handelt es sich um eine finanzielle Förderung
einer ganz speziellen Familienform, die von einem Al-
leinernährer, der das Geld nach Hause bringt, und einer
Frau, die vielleicht noch etwas nebenher verdient, aus-
geht. Damit wird noch nicht einmal allgemein das Mo-
dell der Ehe gefördert, wie es der Name vielleicht sugge-
rieren könnte, sondern es wird nur ein ganz bestimmtes
Ehemodell gefördert.

Dann gibt es das Elterngeld. Elterngeld wird aber
nicht allen Eltern gewährt. Für die Eltern, die Hartz IV
beziehen, ist das Elterngeld gestrichen worden,


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Skandal!)


obwohl 600 000 alleinerziehende Mütter auf Hartz IV
angewiesen sind, über die Hälfte davon schon seit 2005.
Diese leben also schon seit Jahren auf Armutsniveau und
kommen aus dieser Situation nicht heraus. Dann wurde
ihnen auch noch das Elterngeld gestrichen. Das ist ein
Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung weigert sich zudem tapfer, ei-
nen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, der zumin-
dest das Existenzminimum sichern und das Armutsrisiko
verringern könnte. Die Bundesregierung schaut tatenlos
zu, dass wir nach wie vor unsichere Beschäftigungsver-
hältnisse haben, dass Frauen schlechter bezahlt werden
und dass vor allem sie Minijobs ausüben; denn zwei
Drittel dieser Jobs entfallen auf Frauen. Die Kindererzie-
hung und die Pflege von Familienmitgliedern wird
hauptsächlich von Frauen geleistet. Gute Arbeit sieht in
unseren Augen anders aus.

Ein weiterer Punkt ist der Ausbau der Kindertages-
stätten. Die Bundesregierung will aber nur Plätze für
38 Prozent der Kinder schaffen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Dass Sie sich nicht schämen, solch einen Quatsch zu erzählen!)


Ich frage Sie, Frau Bär: Welche Kinder werden auch
2013 noch zu Hause sitzen, wenn die Plätze nicht für alle
reichen, obwohl der Rechtsanspruch für alle Kinder gel-
ten soll?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das wird reichen! – Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Bildungsklau!)


Ich bin jetzt schon gespannt auf Ihre Einschränkung des
Rechtsanspruchs, die definitiv kommen wird.

Meine Damen und Herren, was versteht nun die Linke
unter Familie, und was leiten wir daraus ab? Ich zitiere
aus unserem Antrag:

Familie ist dort, wo Menschen füreinander soziale
Verantwortung übernehmen, unabhängig von Trau-
schein oder sexueller Orientierung.

Wir finden, das ist ein modernes Familienbild, das tradi-
tionelle Rollenbilder überwinden will und das auch ei-
nen besseren Blick auf die Realität der Familien in
Deutschland darstellt.


(Beifall bei der LINKEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie wollen nicht für alle Familien in diesem Land sprechen! Das ist das Problem!)


Unser Antrag beschreibt deshalb Rahmenbedingungen
und die Stellschrauben, die wir als Politik nutzen kön-
nen, um allen Familien eine wirkliche Wahlfreiheit und
ein gutes Leben zu ermöglichen. – Was heißt das für die
Praxis?

Erstens. Wir brauchen zunächst einmal bessere Mög-
lichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum
Beispiel durch ein individuelles Recht auf Teilzeitarbeit.
Individuell heißt, dass man selbst wählen kann und ei-
nem nichts aufgezwungen wird. Wir brauchen zugleich
einen Mindestlohn, um Armut durch Arbeit oder Armut
sogar trotz Arbeit zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen auch die Abschaffung des Ehegattensplit-
tings, wir müssen zur Individualbesteuerung kommen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)

Zweitens. Wir müssen Ausbildung familienfreundli-
cher gestalten; denn eine gute Ausbildung ist die Grund-
lage für gute Arbeit und damit für ein Einkommen, das
die Familie sichern kann.

Drittens. Wir brauchen eine Infrastruktur für Fami-
lien, Kinder und Jugendliche, zum Beispiel eine gebüh-
renfreie, bedarfsdeckende Kinderbetreuung. Wir brau-
chen mehr Investitionen in Kinder- und Jugendhilfe.


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens. Wir brauchen die finanzielle Absicherung
von Familien mit geringem Erwerbseinkommen oder gar
keinem Einkommen. Die Kürzungen beim Elterngeld
müssen daher zurückgenommen werden. Wir müssen
verfassungsfeste Hartz-IV-Regelsätze schaffen. Und wir
wollen Kinder durch eine Kindermindestsicherung vor
Armut schützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens. Wir müssen Alleinerziehende unterstützen.
Vorhin habe ich schon angesprochen, wie viele Men-
schen in unserem Lande von den daraus resultierenden
Problemen betroffen sind, zum Beispiel bei der Rück-
kehr ins Berufsleben.

Sechstens. Wir müssen ein partnerschaftliches Leit-
bild in der Familienpolitik entwickeln. Das heißt, wir
müssen Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts ab-
bauen. Wir brauchen die gleichen Teilhabechancen für
Frauen. Wir müssen die Grundlagen für eine selbstbe-
stimmte Lebensgestaltung, also eine echte Wahlfreiheit,
frei von Rollenmustern, schaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


All dies umfasst nach unserer Auffassung eine mo-
derne Familienpolitik.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das Fami-
lienministerium hat in diesen Tagen eine Broschüre mit
einer Halbzeitbilanz der 17. Legislaturperiode vorgelegt.
Diese Broschüre trägt den Titel „Familie zuerst!“. Ich
finde, das sollte das Motto der Familienministerin bei
den derzeitigen Haushaltsdebatten sein. Dabei darf es
nicht darum gehen, bei den Familien zuerst den Rotstift
anzusetzen,


(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Falsche Dinge werden auch durch Wiederholung nicht richtig! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)


vielmehr muss es darum gehen, eine sozial gerechte Ver-
teilung der Mittel vorzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beispiele dafür habe ich eben genannt. Ich sehe schon
am Unmut der Regierungsfraktionen, dass wir des Pu-
dels Kern getroffen haben,


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Wenn man schon Goethe zitiert, dann nicht sinnentfremdet!)

und freue mich auf eine interessante und spannende De-
batte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713619400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1713619500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag,
den die Linke heute vorlegt, steht unter dem Motto: ein
lustiges Potpourri, ein Feuerwerk der guten Laune – ein-
fach alles, was nicht finanzierbar ist und was Familien in
diesem Lande angeblich wollen.

Ich glaube, manchmal hilft es – es würde gerade auch
der Linken nicht schaden –, wenn man einfach einmal
das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
die Hand nimmt. Ich kann Ihnen empfehlen, einmal ei-
nen Blick hineinzuwerfen. In Art. 6 Abs. 1 steht:

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen
Schutze der staatlichen Ordnung.


(Christel Humme [SPD]: Art. 3 wäre auch nicht schlecht!)


Genau dieser Familienpolitik fühlen wir uns verpflichtet
– und zwar für alle Familien in diesem Lande, egal wel-
ches Modell sie leben –, und genau hierfür macht die
christlich-liberale Koalition Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie eben nicht! – Christel Humme [SPD]: Was ist mit Art. 3, Frau Bär? – Zuruf von der LINKEN: Eben nicht!)


Wir machen Politik für diejenigen, bei denen beide
Eltern arbeiten gehen; wir machen Politik für die Eltern,
die sich entschließen, dass ein Ehepartner zu Hause
bleibt.


(Christel Humme [SPD]: Das ist nichts Neues! Das machen wir seit 60 Jahren!)


Wir machen selbstverständlich auch Familienpolitik für
diejenigen Frauen – Sie sagen, dass es sich dabei um ein
Modell von vorgestern handelt –, die sich entscheiden,
für einige Zeit zu Hause zu bleiben. Sich dann aber hier
hinzustellen, Frau Golze, und zu sagen: „Für diese Grup-
pen darf man keine Politik machen, denn wir, die Linke,
legen fest, was moderne Familienpolitik ist“,


(Diana Golze [DIE LINKE]: Das habe ich an keiner Stelle gesagt!)


das ist ein Skandal! Das ist ja Ihr Lieblingswort hier am
Pult.


(Christel Humme [SPD]: Sie sind ein Skandal!)






Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)

Ich halte es für einen Skandal, wenn Sie hier festlegen
wollen, was das richtige Modell ist, und Sie alle anderen
Modelle für falsch halten. Das akzeptiere ich an dieser
Stelle nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Diana Golze [DIE LINKE]: Das habe ich an keiner Stelle gesagt! Lesen Sie den Antrag! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Das ist die Hauptursache dafür, warum es so wenige
Kinder in diesem Land gibt: Weil jedes Modell, das die
Nachbarfamilie lebt, immer als Kritik am eigenen Mo-
dell verstanden wird, weil Sie nicht nach dem Leitsatz
„Leben und leben lassen“ handeln,


(Diana Golze [DIE LINKE]: Ich habe von Wahlfreiheit gesprochen!)


sondern weil Sie sagen: So wie ich das mache – und ich
gehe in Vollzeit arbeiten –, so muss es jede Frau in die-
sem Land machen,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie müssen zuhören!)


nur so ist es richtig. Das finde ich unsäglich, und das
wird von uns nicht mitgetragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Diana Golze [DIE LINKE]: Das habe ich an keiner Stelle getan! Das ist Schattenfechterei!)


Wir haben das Elterngeld eingeführt,


(Zuruf von der SPD: Sie haben es nicht verhindert!)


und das war eine völlig richtige Entscheidung. Wir sind
aber generell für Wahlfreiheit. Wir sind dafür, dass jede
Familie nach ihrer eigenen Fasson glücklich werden soll.
Wir sind diejenigen, die nichts vorschreiben. Denn es
gibt nicht nur die zwei berühmten Modelle, von denen
Sie reden: auf der einen Seite das Modell, dass beide El-
ternteile Vollzeit arbeiten und das Kind täglich zwölf
Stunden in der Kita ist,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zwölf Stunden?)


auf der anderen Seite das Modell, dass ein Elternteil
komplett zu Hause bleibt.


(Christel Humme [SPD]: Was machen denn Ihre Kinder jetzt?)


Fragen Sie doch einmal die Familien in Deutschland: Es
gibt dort absolut unterschiedliche Modelle; und diese än-
dern sich auch noch im Laufe der Zeit. Da gibt es nicht
nur Schema A und Schema B; das ist vielfältiger. Unsere
Familienpolitik hat den Anspruch, jedem einzelnen die-
ser Modelle gerecht zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen selbstverständlich nicht nur für die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf mehr tun, die in vielen
Bereichen schon wunderbar funktioniert. Wir müssen
auch mehr für die Vereinbarkeit von Familie und
Karriere tun. Es muss selbstverständlich möglich sein,
Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren. Wenn
ich mit Arbeitgebern rede, akzeptiere ich nicht, wenn es
beispielsweise heißt, eine Führungsposition könne nicht
von einer Frau ausgefüllt werden, die in Teilzeit arbeitet.
Allerdings muss das im gemeinsamen Gespräch und im
Einvernehmen geschehen.

Ich finde es darüber hinaus nicht in Ordnung, hier ei-
nen Antrag vorzulegen, den Sie nicht einmal durchge-
rechnet haben. Jetzt können Sie natürlich sagen: „Das
müssen wir nicht durchrechnen; wir können einfach auf
Kosten der nachfolgenden Generationen ohne Ende
Schulden machen.“


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das belastet den Haushalt nicht! Im Gegenteil!)


Eine solche Einstellung ist, um das Lieblingswort von
Frau Golze zu zitieren, „skandalös“. – Frau Golze, ich
finde es nicht in Ordnung, dass Sie hier lustig durch die
Reihen wandern. Ich habe Ihnen bei Ihrer Rede doch
auch zugehört.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Ich kann sehr gut zuhören!)


Da sieht man halt, welche Kinderstube Sie haben, Frau
Golze.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN)


Wir betreiben eine nachhaltige Familienpolitik. Wir
haben nämlich eine Schuldenbremse ins Grundgesetz
aufgenommen und sagen: „Wir verschulden uns nicht
neu.“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir wollen, dass unsere Kinder und Kindeskinder nicht
auf Schuldenbergen spielen, sondern später die Freiheit
haben, gestalten zu können. Sie wollen ohne Ende
Schulden anhäufen und den nachfolgenden Generatio-
nen jegliche Luft zum Atmen nehmen. Auch das ist ver-
antwortungslos.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt: Man muss Prioritäten setzen!)


Sie hatten heute schon hier Ihre große Showveranstal-
tung, bei der Sie versucht haben, Ihr unsägliches Pro-
gramm zu präsentieren.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Auf Ihren Antrag hin!)


– Es war eine Aktuelle Stunde.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie beantragt!)






Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)

– Ja, um einfach einmal die Maske herunterzureißen, da-
mit man sieht, was das für eine Partei ist, deren Vertreter
auf der linken Seite des Hauses sitzen, die unverantwort-
lich handelt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war ja wohl ein Schuss in den Ofen! Man bemerkt die Orientierungslosigkeit von CDU/CSU! – Weitere Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


die den Menschen die Luft zum Atmen abschneidet und
die den Menschen vorschreiben will, wie sie zu leben
haben. Frau Golze sagt ja: „So wie ich lebe, muss jede
einzelne Familie in Deutschland leben.“


(Diana Golze [DIE LINKE]: Habe ich an keiner Stelle gemacht!)


Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich hoffe, dass uns mög-
lichst viele Menschen draußen zuschauen,


(Diana Golze [DIE LINKE]: Das hoffe ich auch! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das wäre schlecht für Sie!)


damit sie sehen, welch verantwortungslose Politik auf
der linken Seite des Hauses gemacht wird.

Wir sagen: Wir schreiben niemandem vor, wie er zu
leben hat. Wir haben den Ausbau der Kinderbetreuung
vorangetrieben; wir machen das nach Bedarf, denn wir
wollen niemanden zwangsbeglücken. Wir wollen Fami-
lien nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Wir arbei-
ten auch an einer positiven Stimmung; das ist nämlich
ganz entscheidend.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Positive Stimmung“? Wo ist denn die?)


Man kann sehr viel in die Betreuung investieren, man
kann sehr viel Geld in die Hand nehmen. Für mich ist es
aber auch entscheidend, in diesem Land ein Klima zu
schaffen, in dem es leichter fällt, Ja zu Kindern zu sagen.
Daran arbeiten wir. Sie sollten sich für Ihren Antrag
wirklich schämen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713619600

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin

Diana Golze das Wort.


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713619700

Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollegin Bär, ich kann

ja verstehen, dass Sie nach der misslungenen Aktuellen
Stunde heute mehr als aufgebracht sind. Es ist Ihnen
eben nicht gelungen, uns hier als etwas darzustellen, was
wir nicht sind.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Wieso? Ist es noch schlimmer?)


Da Sie mir schon nicht zugehört haben, würde ich Sie
bitten, sich meine Rede im Nachhinein noch einmal an-
zuhören. Dann merken Sie, dass ich all das, was Sie mir
unterstellt haben, überhaupt nicht geäußert habe. Ich
habe überhaupt niemandem ein Familienbild vorge-
schrieben. Ganz im Gegenteil: Ich habe von „Wahlfrei-
heit“ gesprochen. Ich habe überhaupt niemandem vorge-
schrieben, dass er seine Kinder betreuen lassen soll oder
auch nicht. Ich habe sogar ausnahmsweise nicht vom
Betreuungsgeld gesprochen; aber Sie spielen, weil Sie
Ihre Rede vorher geschrieben und bei meiner Rede nicht
zugehört haben, darauf an.


(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Sie hat frei gesprochen!)


Es ist einfach erstaunlich, auf welche Art und Weise
Sie sich hier echauffieren. Ich habe eigentlich das Ge-
fühl, eine sachliche Rede gehalten zu haben.


(Zurufe von der SPD: Ja!)


Man hätte sachlich darauf eingehen können. Dazu sind
Sie nicht in der Lage. Das allein sagt alles.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch ich wünsche mir übrigens, dass das viele gese-
hen haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713619800

Zur Erwiderung. Bitte schön.


Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1713619900

Aufgrund der großen Selbstüberschätzung der Kolle-

gin erübrigt sich jegliche Antwort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Mein Gott, sind wir hier auf einem niedrigen Niveau angelangt! Und das schon den ganzen Nachmittag! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Da fällt mir nichts mehr ein!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1713620000

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von

der SPD-Fraktion.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1713620100

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Liebe Frau Golze, keine Angst, ich möchte Ihnen nicht
die Maske vom Gesicht reißen wie Frau Bär. Im Gegen-
teil: Ich danke Ihnen für diesen Antrag; denn er gibt Ge-
legenheit, sich nach zwei Jahren Regierungskoalition
einmal in einer Bilanz damit auseinanderzusetzen, was
die Regierung bisher an Familienpolitik geleistet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage Ihnen ganz eindeutig: Wir Sozialdemokratin-
nen und Sozialdemokraten sind klar positioniert. Wir
wissen ganz genau: Ohne eine moderne Gleichstellungs-
politik gibt es keine moderne Familienpolitik, und ohne





Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)

eine moderne Familienpolitik gibt es keine moderne
Gleichstellungspolitik.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das ist eine eindeutige Position, die wir bei Ihnen – Frau
Bär, es tut mir sehr leid – vergeblich suchen. Das ist
ganz klar; das zeigte Ihre aufgeheizte Rede vorhin ganz
deutlich.

Die Ministerin – Herr Kues ist da, die Ministerin nicht –


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was soll sie bei so einem Antrag auch da sein! Braucht sie doch nicht! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die ist jetzt bei ihrem Kind!)


sagt, sie möchte Wahlfreiheit. Das ist ein schöner Satz.
Aber gleichzeitig signalisiert die Bundesregierung mit
dem Betreuungsgeld: Mütter, bleibt doch zu Hause! An-
dererseits streitet sich die Bundesregierung – ich weiß
nicht, was dabei herauskommt – um das Elterngeld.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wer streitet sich denn ums Elterngeld? So ein Schwachsinn!)


Sie möchte es eigentlich streichen. Welch fatales Signal
ist das für die Mütter, vor allem für die berufstätigen
Mütter! Das ist keine Wahlfreiheit, das sage ich Ihnen an
dieser Stelle; und zukunftsweisend ist das schon gar
nicht.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, was junge Män-
ner und junge Frauen wirklich wollen, ist, nicht länger
auf eine Rolle festgelegt zu werden. Frau Bär, an dieser
einzigen Stelle würde ich Ihnen recht geben. Denn we-
der wollen die Männer Haupternährer sein, noch wollen
die Frauen maximal Zuverdienerinnen sein. Ich glaube,
hier hat sich vieles verändert. Es gibt kein entweder Fa-
milie oder Beruf, sondern es gibt nur Familie und Beruf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese veränderten Lebensentwürfe nimmt die jetzige
Regierung nicht wirklich zur Kenntnis. Die veränderten
Lebensbedürfnisse verlangen eine völlig andere Politik;
der mutlose Zickzackkurs, den die Bundesregierung der-
zeit fährt, ist da völlig fehl am Platz.

Das bestätigt auch der von der Bundesregierung in
Auftrag gegebene Gleichstellungsbericht.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht lernen sie ja daraus!)


Dieser Bericht, so scheint mir, liegt bis jetzt leider in der
untersten Schublade, Herr Kues. Ich weiß nicht, was Sie
damit machen. Ich kann nur hoffen, dass Sie sich den
Bericht so schnell wie möglich vornehmen und abarbei-
ten. Denn dann kommen Sie am Schluss zu einer moder-
nen Familien- und Gleichstellungspolitik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen, was dazugehört – Frau Golze hat ja
schon vieles genannt –: Erstens gehört natürlich Zeit für
die Familie dazu, das heißt Zeit für Männer und Frauen,
um für ihre Familie sorgen zu können. Zweitens gehört
natürlich auch dazu, dass der Lebensunterhalt bestritten
werden kann, und zwar durch Frauen und Männer glei-
chermaßen. Drittens gehört eine gute Ganztagsbetreuung
dazu. Aber wie sieht es konkret aus? Was macht die
Bundesregierung an dieser Stelle?

Nehmen wir uns den Punkt eins, die Zeit, vor. Wir
wissen, das sozialdemokratische Modell der Elternzeit
ist ein Erfolgsmodell. 25 Prozent der Väter nehmen die
Elternzeit in Anspruch. Man kann sagen, da hat sich
wirklich etwas bewegt. Aber man muss ein ehrliches
Bild zeichnen: 75 Prozent der Väter nehmen diese Zeit
leider nicht in Anspruch. Darum haben wir uns vorge-
nommen, das Konzept der Elternzeit zu verbessern und
es in einem ersten Schritt zu ermöglichen, dass Väter
und Mütter in Teilzeit arbeiten und gleichzeitig Eltern-
geld in Anspruch nehmen können. Das geht jetzt nur für
sieben Monate; wir wollen das für 14 Monate ermögli-
chen. In Ihrem Koalitionsvertrag steht das zwar auch,
aber die Familienministerin ist vor dem Finanzminister
eingeknickt – schade!


(Zuruf von der SPD: Vorauseilender Gehorsam!)


Damit ist dieses wichtige Projekt auf Eis gelegt. Verlo-
rene Zeit für die jungen Frauen und die jungen Männer,
denke ich.

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, was Familien,
was Männer und Frauen wirklich brauchen, ist eine an-
dere Arbeitswelt, andere Arbeitszeitstrukturen; das ist
sehr wichtig. Die Ministerin hat eine Initiative gestartet,
die Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“. Aber
diese Initiative beruht auf Freiwilligkeit. Das heißt, sie
hat sich Unterschriften geben lassen ohne irgendeine
Kontrolle. Wie soll das gehen? So etwas hatten wir doch
schon einmal. Vor 10 Jahren, also 2001, gab es eine sol-
che Vereinbarung über familienfreundliche Betriebe.
Welches Ergebnis das zeigte, wissen Sie besser als wir,
nämlich gar keines.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das war die damalige Familienpolitik! Das unterscheidet uns von heute!)


– Sie haben offensichtlich nichts dazugelernt. Wir haben
eine freiwillige Vereinbarung getroffen in der Hoffnung,
dass sich etwas bewegt. Sie machen jetzt den gleichen
Fehler noch einmal.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


– Frau Fischbach, Sie können mich so viel anschreien,
wie Sie wollen. – Wir brauchen gesetzliche Regelungen,
und zwar dafür, dass Frauen und Männer befristet Teil-
zeitarbeit annehmen können. Sie brauchen aber einen
Rechtsanspruch, wieder Vollzeit arbeiten zu können;
denn das hilft bei der Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf, aber auch bei der Vereinbarkeit von Pflege und Be-
ruf. In diesem Punkt sind wir einen wichtigen Schritt
weiter als Sie.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)






Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)

Wir wissen eines – das haben Sie noch nicht begriffen –:
Teilzeitarbeit ist heute eine Falle für die Frauen. Unsere
Regelung wird dafür sorgen, dass es eine solche Falle
nicht mehr gibt.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie wollen den Menschen alles vorschreiben!)


Frau Golze, ich betone an dieser Stelle: Es ist ein gu-
tes Konzept für Alleinerziehende; denn sie brauchen ein
flexibles Arbeitszeitmodell und nicht 24 Monate Eltern-
zeit, die Sie vorschlagen. Ich bin skeptisch, ob das wirk-
lich eine Lösung wäre. Das wäre in der Tat für die
Frauen eine Falle in Bezug auf den Wiedereinstieg.

Frau Golze, Sie haben auch gesagt: Das Ehegatten-
splitting muss abgelöst werden. Ja, das ist richtig. Das
Ehegattensplitting ist ein überholtes Modell, es manifes-
tiert vor allem die Rolle der Frau als Hinzuverdienerin.
Ich gebe Ihnen also völlig recht: Das Ehegattensplitting
muss endlich reformiert werden; denn dann hätten wir
Geld – das ist ein weiterer Aspekt – für das, was wir zu-
sätzlich brauchen, nämlich mehr Infrastruktur.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ich bin froh, wenn Menschen füreinander Verantwortung übernehmen!)


– Das ist gut. Verantwortung kann man aber nur über-
nehmen, wenn das Geld dafür vorhanden ist. Wenn jeder
sein eigenes Geld verdient, Frau Bär – das wäre das
Wünschenswerte –, dann kann man gegenseitig Verant-
wortung übernehmen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das müssen die Familien doch für sich entscheiden, wie sie das machen wollen! Wieder wird ihnen hineingeredet! Wieder wird ihnen vorgeschrieben, wie sie zu leben haben!)


Dann können auch Frauen Familienernährerinnen sein,
wenn der Mann arbeitslos wird. Genau darum geht es.

Ich komme zu meinem letzten Punkt: Infrastruktur.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713620200

Frau Humme, das wird jetzt aber ganz schwierig.


(Heiterkeit – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Die Rede ist ohnehin schon schwierig!)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1713620300

Nur noch eine Bemerkung. – Ich bedaure es sehr, dass

die Familienministerin nicht aktiv wird und keinen Krip-
pengipfel einberuft. Frau Bär, Sie haben gesagt: Alles ist
unterfinanziert. Nehmen Sie das Geld aus dem Topf für
das Betreuungsgeld – 2 Milliarden Euro –, nehmen Sie
die Begünstigung der Hoteliers zurück – 1 Milliarde
Euro –, und gehen Sie die Reform des Ehegattensplit-
tings an. Sie haben so viele Möglichkeiten, bei den Fa-
milienleistungen umzuschichten. Dann hätten Sie genug
Geld. Viele familienpolitische Maßnahmen, die modern
sind, kosten eigentlich gar nichts, aber man muss es wol-
len und darf nicht ideologisch verblendet in irgendeiner
Ecke sitzen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie sind ideologisch! Die SPD ist ideologisch!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713620400

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Bracht-

Bendt das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Nicole Bracht-Bendt (FDP):
Rede ID: ID1713620500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Humme, Ihre Bewertung unserer Regierungsarbeit teile
ich natürlich nicht. Ich sehe das ganz anders als Sie.


(Christel Humme [SPD]: Das kann ich mir vorstellen!)


Der Antrag der Fraktion der Linken enthält einige
Passagen zur Familienpolitik, die ich durchaus mittrage
– Frau Golze hat es schon erwähnt –, zum Beispiel:

Familie ist dort, wo Menschen füreinander soziale
Verantwortung übernehmen, unabhängig von Trau-
schein oder sexueller Orientierung. … Gemein-
schaften, in denen Menschen füreinander Verant-
wortung übernehmen, sind gleichzustellen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie einmal Ihrem Koalitionspartner sagen!)


Das sehe ich genauso wie Sie.

Dann heißt es weiter:

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stär-
ken, ist wesentlicher Bestandteil einer sozialen und
geschlechtergerechten Familienpolitik.

Das hat die Koalition in einem gemeinsamen Antrag
längst beschlossen. Auch hierin sind wir uns also einig.

Aber dann gehen mit Ihnen in Ihrem Antrag wieder
einmal die Pferde durch. Woher das Geld für Ihren
Rundumwohlfühlstaat kommen soll, das sagen Sie na-
türlich nicht. Sie wollen auch noch Gesetze, die alle Ein-
zelheiten des Zusammenlebens regeln – ich zitiere –:

So ist auch die ungleiche Verteilung von unbezahl-

(Familiender Frauen eine wesentliche Basis der bestehenden Geschlechterverhältnisse. Trotz eines Neutralitätsanspruchs gegenüber verschiedenen Formen sozialen Zusammenlebens – jetzt kommt es – ist politisch aktiv auf die Beseitigung von geschlechterstereotypen Festlegungen und Rollenzuweisungen hinzuwirken. Wollen Sie per Gesetz vorschreiben, wer welchen Beruf ausüben soll, wer daheim den Müll runterträgt oder spült? Ihr Antrag liest sich, als hätte die Koalition in Sachen moderner und zukunftsweisender Familienpolitik Nicole Bracht-Bendt bislang geschlafen. Was wichtig ist, haben wir aber längst erkannt. Nicht nur das, wir handeln auch. Das sieht man an allen einzelnen Bausteinen. Sie werfen Frau Ministerin Schröder vor, sie halte an überholten Rollenbildern fest. Das Gegenteil ist richtig: In ganz unterschiedlichen Initiativen streichen wir immer wieder heraus, dass Stereotype bei der Berufswahl veraltet sind. Junge Menschen sollen ermutigt werden, sich nicht nur für vermeintliche Frauenoder Männerberufe zu entscheiden. Schauen Sie sich den Erzieherberuf an. Wir haben gezielt die Initiative „MEHR Männer in Kitas“ auf den Weg gebracht. Oder denken Sie an unsere Anstrengungen, um Mädchen für MINT-Berufe zu gewinnen. Zentrales Anliegen der Koalition ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In unserem Frauenantrag haben wir eine klare Zielrichtung vorgegeben. Da ist die Rede vom Ausbau der Kinderbetreuung – das ist bekanntlich Sache der Bundesländer –, weil eine gut ausgestattete, flexible Betreuung wichtig ist. Damit Eltern gleichberechtigt Familie und Beruf in Einklang bringen können, hat der Bund den Ausbau mit 4 Milliarden Euro angestoßen. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind ab drei Jahren ist kein Pappenstiel. Sie sagen, dass „Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen … überwiegend von Frauen übernommen“ werden. Das bedeute ein „erhöhtes Armutsrisiko im Alter“. Auch diesbezüglich hat die Koalition in Form eines Familienpflege-Gesetzes längst gehandelt. – Wir sehen das so. Sie betrachten das natürlich anders. – Damit Pflegende nicht in die Altersarmut abrutschen, bleiben sie zwei Jahre lang sozialversichert. Ihre Rentenversicherungsbeiträge bleiben gleich. Mit diesem Gesetz sprechen wir gezielt auch Männer an. Von den berufstätigen Frauen mit pflegebedürftigen Angehörigen nehmen übrigens 81 Prozent Pflegeaufgaben wahr. Von den berufstätigen Männern – hören Sie bitte zu – sind das laut Allensbach-Institut immerhin schon 54 Prozent. Noch ein Wort zum Mindestlohn: Es ist richtig, dass zum Beispiel in sozialen Berufen die Gehälter zum Teil viel zu niedrig sind. Hier muss etwas geschehen. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was?)





(A) (C)


(D)(B)


(Widerspruch der Abg. Caren Marks [SPD])


Ich lehne es aber ab, dass sich die Politik an dieser Stelle
zu sehr einmischt. Die Tarifhoheit von Wirtschaft und
Arbeitnehmern darf nicht ausgehebelt werden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie kapieren es nicht mehr! Aber in zwei Jahren sind Sie ja nicht mehr dabei! – Gegenruf des Abg. Florian Bernschneider [FDP]: Das wollen wir mal sehen!)


In unserer Fraktion – hören Sie bitte genau zu – diskutie-
ren wir mit unabhängigen Experten aus Wirtschaft und
Wissenschaft über Fragen des Mindestlohns; das ist sehr
interessant.


(Christel Humme [SPD]: Wir lernen nichts mehr aus Ihrer Rede!)


Liberale Politik setzt vor allem auf flexible Arbeits-
zeitmodelle für beide Elternteile.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Liberale Politik ist in zwei Jahren nicht mehr gefragt!)


Väter wie Mütter müssen neben dem Beruf Zeit für die
Familie haben. Dabei sind die Unternehmen in der
Pflicht. Auch hier haben wir geliefert: Die Initiative „Fa-
milienbewusste Arbeitszeiten“ des Ministeriums mit
dem DIHK verfolgt genau dieses Ziel.

Familienfreundlichkeit wird zunehmend zu einem
Wettbewerbsfaktor bei der Suche nach Fachkräften. Ein
gutes Betreuungsangebot und flexible Arbeitszeitmo-
delle sind das eine. Mit dem Wachstumsbeschleuni-
gungsgesetz hat die Koalition dafür gesorgt, dass Fami-
lien über die Erhöhung des Kindergeldes und die
Anhebung des Kinderfreibetrages direkt entlastet wer-
den. Neben Wahlfreiheit und finanzieller Unterstützung
ist für mich ein früher Zugang zu Bildungs- und Betreu-
ungsangeboten entscheidend. Bildung von Anfang an ist
Chancengerechtigkeit.

Meine Damen und Herren, die Koalition hat ein kla-
res und gutes familienpolitisches Konzept. Den Antrag
der Fraktion Die Linke, der völlig überzogene Forderun-
gen enthält, lehnt die FDP-Fraktion natürlich ab.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713620600

Katja Dörner ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713620700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nach den andauernden Streitereien in der Ko-
alition über das Betreuungsgeld und das Elterngeld in
den letzten Wochen wäre heute Abend eigentlich eine
gute Gelegenheit gewesen, um Klarheit zu schaffen. Es
wäre angemessen gewesen, den Menschen reinen Wein
einzuschenken und sie darüber aufzuklären, was die Ko-
alitionsfraktionen tatsächlich planen, insbesondere beim
Betreuungsgeld. Aber was müssen wir erleben? Das ist
ein Mix aus unsachlicher Polemik und Süßholzgeraspel.
Ich finde, das ist in einer familienpolitischen Debatte
völlig unangemessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unwürdig ist das!)


Ich möchte hier einiges in Erinnerung rufen: Fakt ist,
dass Kinder in diesem Land immer noch das größte Ar-
mutsrisiko darstellen. Ich gehöre nicht zu denjenigen,
die immer sofort „Skandal!“ schreien. An dieser Stelle





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)

finde ich es aber absolut angemessen, von einem Skan-
dal zu sprechen. Was hat die Regierung gemacht? Sie hat
den Kinderfreibetrag und das Kindergeld erhöht. Dage-
gen ist erst einmal nichts zu sagen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Gnädig!)


Aber was war der Effekt? Familien mit einem hohen
Einkommen haben im Monat pro Kind 40 Euro mehr im
Portemonnaie, Familien mit einem durchschnittlichen
Einkommen haben 20 Euro mehr, aber Familien im
ALG-II-Bezug haben davon überhaupt nichts gehabt.
Sie gehen komplett leer aus.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Gerechtigkeit à la SchwarzGelb!)


– Genau. Das ist schwarz-gelbe Gerechtigkeit.

Es kommt noch schlimmer. Mit dem sogenannten
Sparpaket wurde – Kollegin Golze hat es schon gesagt –
den ALG-II-Beziehenden faktisch auch noch das Eltern-
geld gestrichen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Skandal!)


Das ist Politik nach dem Motto „Wer hat, dem wird ge-
geben“. Das ist nicht kinderfreundlich, das ist nicht fa-
milienfreundlich, das ist das Gegenteil von einer fami-
lienfreundlichen Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wir Grünen sagen ganz klar: Die Förderung von Kin-
dern und Familien muss vom Kopf auf die Füße gestellt
werden, damit endlich bei denen das meiste ankommt,
die den größten Bedarf haben.

Jetzt wird von einigen aus der Koalition das Eltern-
geld sogar infrage gestellt. Ich weiß, dass die Ministerin
und einige Mitglieder Ihrer Fraktionen im Fachaus-
schuss das immer dementieren, aber ich habe den Ein-
druck, dass das die Großkopferten in der CDU/CSU und
in der FDP nicht beeindruckt. Diese Debatte wird uns
weiter begleiten.

Die angekündigten Weiterentwicklungen beim Eltern-
geld, also das Teilelterngeld und der Ausbau der Väter-
monate, liegen auf Eis. Dabei wären das genau die richti-
gen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gewesen, nicht
nur um die materielle Absicherung von jungen Familien
zu verbessern, sondern auch, um die Gleichberechtigung
und die Beteiligung der Väter in der Familienarbeit zu
befördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nächstes Thema – Stichwort „Dauerstreit“ –: das Sor-
gerecht nicht miteinander verheirateter Eltern. Die Jus-
tizministerin, die heute Abend sogar anwesend ist, hatte
den entsprechenden Gesetzentwurf bereits für den
Herbst 2010 angekündigt. Das ist jetzt ein Jahr her. Wir
warten immer noch. Auf ihrer Homepage verkündet die
Ministerin lapidar, sie habe einen Kompromissvorschlag
gemacht, aber die Union bewege sich nicht.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Ich finde, es ist ein sehr bezeichnender und ungewöhnli-
cher Vorgang, den Koalitionsstreit im Internet zu doku-
mentieren. Dies ist eine zu begrüßende Transparenzof-
fensive. Aber es ist offensichtlich: Der Frust sitzt hier
wohl tief.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir Grüne haben als einzige Fraktion bis dato einen
Vorschlag zum gemeinsamen Sorgerecht nicht miteinan-
der verheirateter Eltern gemacht: eine Kombination aus
Antrags- und Widerspruchslösung. Unsere Lösung ist
sehr niedrigschwellig, weil es den Kindern letztlich egal
ist, ob die Eltern miteinander verheiratet sind, und weil
wir der Meinung sind, dass es keinen Grund gibt, verhei-
ratete und nicht miteinander verheiratete Eltern per se
unterschiedlich zu behandeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seitens der CSU wurde gegen einen solchen einfa-
chen Weg zum gemeinsamem Sorgerecht nicht mitei-
nander verheirateter Eltern eingewandt, dann sei die Ehe
bald gar nicht mehr attraktiv und so gut wie gar nichts
mehr wert. Diese Meinung teilen sicherlich nicht alle in
der Koalition, aber die schwarz-gelbe Familienpolitik
orientiert sich immer noch an einem veralteten Familien-
bild: verheiratete Paare mit Kindern, am besten sie zu
Hause oder in Teilzeit beschäftigt. Das hat aber schon
lange nichts mehr mit der Realität zu tun. In den letzten
zehn Jahren ist der Anteil der Kinder, die bei unverheira-
teten Eltern aufwachsen, um 32 Prozent gestiegen. Der
Anteil der Alleinerziehenden steigt. Homosexuelle Väter
und Mütter leben mit ihren Kindern in Regenbogenfami-
lien zusammen. Diese Pluralität der Familienformen, die
es in unserem Land gibt, spiegelt diese Regierungspoli-
tik an keiner Stelle wider.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für uns Grüne ist Familie da, wo Kinder sind und
Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Es
geht nicht an, dass Kinder und Familien immer noch
Nachteile in Kauf nehmen müssen, nur weil sie in fami-
liären Strukturen leben, die einer konservativen Regie-
rung nicht ganz geheuer sind. Die Familienpolitik muss
sich an den Familien orientieren und nicht umgekehrt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn sich die Koalition einmal nicht streitet, dann
steckt sie den Kopf in den Sand. Wir warten auf die Än-
derung des Unterhaltsvorschussgesetzes mit der ange-
kündigten Ausweitung. Auch das kann man wohl in die
Kategorie Dauerstreit einordnen. Frau Laurischk hat
vorgeschlagen, statt des Betreuungsgeldes den Unter-
haltsvorschuss auszuweiten. Das ist eigentlich eine ganz
vernünftige Idee, aber auch da kommen, glaube ich,
diese Regierung und diese Koalitionsfraktionen nicht zu-
sammen.

Wo bleiben die dringend notwendigen Initiativen der
Bundesregierung, um sicherzustellen, dass der Rechtsan-





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)

spruch auf einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren
2013 tatsächlich Realität wird und die Kommunen, was
die Kosten angeht, nicht im Regen stehen bleiben, wenn
der Bedarf höher ist als das, was ursprünglich prognosti-
ziert worden ist?

Angesichts all dieser Herausforderungen, über die wir
heute Abend gesprochen haben, leistet sich die Koalition
eine Diskussion über das Betreuungsgeld. Das ist bizarr.
Ich könnte auch sagen: Mir fehlen die Worte.


(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Das ist am Ende der Rede meistens gut!)


Das stimmt zwar nicht, aber ich denke, das ist eine gute
Schleife, um zum Ende meiner Rede zu kommen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ein rhetorisches Feuerwerk!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713620800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Tauber für

die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1713620900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Familie ist
dort, wo Menschen Verantwortung füreinander überneh-
men. Das stimmt in der Tat. Dies gilt für Paare, die mit
ihren Kindern zusammenleben und sagen: Wir brauchen
dafür keinen staatlichen und auch keinen kirchlichen
Segen. – Dies gilt für verheiratete Ehepaare, bei denen
der eine den anderen nach 40 Jahren Ehe bis zum Tode
pflegt. Dies gilt genauso für das ganz klassische, tradi-
tionelle Familienmodell


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch für gleichgeschlechtliche Paare!)


– für viele andere Konstellationen auch, Frau Kollegin –
von verheirateten Paaren, die Kinder haben.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was folgt daraus für die Politik?)


Wenn wir uns, ableitend von einem so weit gefassten
Familienbegriff, mit dem sehr weitläufigen und bunt
schillernden Antrag der Linksfraktion beschäftigen,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


sollten wir zunächst einmal zwei grundsätzliche Aspekte
oder Ziele in den Blick nehmen.

Zunächst einmal gilt: Familie ist und bleibt ein Er-
folgsmodell und ein Grundpfeiler dieser Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigen auch alle Zahlen. Ich empfehle Ihnen die
Studie „Kinder in Deutschland 2010“ von World Vision,
in der sehr deutlich wird, dass weit über 70 Prozent der
Kinder nach wie vor in einer klassischen Familie mit
verheirateten Eltern groß werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist eine gute Sache. So sehen nun einmal der Alltag
und die Realität aus. Was aber nicht heißt, dass man alle
anderen Formen von Familie ausblendet.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie ab und zu schon!)


Das bedeutet auch Folgendes – darauf kann man in
dieser Debatte ruhig einmal hinweisen –: Dieses Modell
ist nach wie vor attraktiv. Viele wünschen sich das.
Wenn Sie junge Leute fragen, wie sie sich ihre Zukunft
vorstellen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass Hei-
raten offensichtlich sexy ist. Man überlegt es sich viel-
leicht nur eine Weile länger.

Hinzu kommt, dass dieses Modell hervorragend funk-
tioniert. Auch dazu kann ich die Studie „Kinder in
Deutschland 2010“ zitieren. Weit über 80 Prozent der
Kinder sagen: Ich glaube, mein Leben wird richtig
schön. – Das ist ein wunderbarer Satz aus Kindermund.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen hat auch niemand etwas!)


Auf die Frage, ob sie der Auffassung sind, dass die
Form der elterlichen Zuwendung, die sie erfahren, aus-
reichend ist, sagen ebenfalls weit über 80 Prozent der be-
fragten Kinder – das ergibt sich bei allen Familienmo-
dellen, von denen wir gesprochen haben –, dass sich die
Eltern, die alleinerziehende Mutter oder auch die Mutter
zusammen mit dem neuen Vater ausreichend um sie
kümmern. Auch das ist ein guter Befund. Deswegen ge-
hört es sich an dieser Stelle, dass man den Eltern ein
herzliches Dankeschön sagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gehört ebenfalls dazu, dass man den Kindern ein
herzliches Dankeschön sagt; denn es gibt unheimlich
viele Kinder, die ihre Eltern bis zum Tode pflegen und
eben nicht wollen, dass sie in ein Heim kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht jeder kann das für sich frei entscheiden. Es gibt
aber viele, die diese Entscheidung für sich treffen. Das
muss man an dieser Stelle wertschätzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Damit komme ich zu den Rahmenbedingungen. Sie
haben dargestellt, was alles nicht geht. Lassen Sie uns
auch einmal rekapitulieren, was alles geht und ging. Es
beginnt bei der Kindergelderhöhung und der Erhöhung
des Kinderfreibetrags, was ebenfalls genannt worden ist.
Natürlich haben wir auch etwas für die Kinder aus sozial
schwachen Familien getan. Sie haben das Paket für Bil-
dung und Teilhabe komplett ausgeblendet. Dieses Paket
bietet eine gute Chance, diesen Kindern eine Perspektive
zu eröffnen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst das Geld wegnehmen und dann 10 Euro im Monat geben!)






Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)

Weil Sie unterstellen, wir täten für diese Kinder
nichts, sage ich: Das setzt sich sogar noch fort. Mit der
Offensive Frühe Chancen sollen 4 000 Kitas gefördert
werden, die konkrete Hilfe und Unterstützung für be-
nachteiligte Kinder ermöglichen. Damit haben wir einen
echten Meilenstein gesetzt.


(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])


Ich weiß, wovon ich rede. Allein in meinem Wahlkreis
gibt es über 15 solcher Kitas, die auf diesem Weg be-
nachteiligten Kindern eine Perspektive eröffnen. Das ist
eine ganz tolle Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aus meiner Sicht muss an dieser Stelle auch das Bun-
deskinderschutzgesetz, das wir auf den Weg gebracht ha-
ben, genannt werden. Das sind schon einmal drei Dinge.
Sie können sie negieren. Das macht die Opposition nun
einmal so. Sie müssen aber damit leben, dass wir sie als
positive Beispiele herausstellen.

Wir können diese Aufzählung auch fortsetzen. Es gibt
noch etliche Beispiele. Ich beschränke mich jetzt aber
auf vier weitere Punkte.

Man kann den Bundesfreiwilligendienst nennen, weil
er einen Ort bietet, an dem Menschen lernen, Verantwor-
tung füreinander zu übernehmen. Man kann an dieser
Stelle auch das Gesetz zur Familienpflegezeit anführen.
Ich habe beispielhaft einen konkreten Fall genannt. Die-
ses Gesetz ist ein ganz wichtiger Meilenstein, weil es
dem Wunsch alter Menschen entspricht, möglichst zu
Hause und nicht in einer Einrichtung gepflegt zu wer-
den. Deswegen ist auch das ein wichtiger Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu nennen sind auch die Mehrgenerationenhäuser.
Führen Sie sich einmal vor Augen, welch hervorragende
generationenübergreifende Arbeit dort geleistet wird;


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja! Mir gefällt das gut!)


viele von Ihnen kennen das aus dem eigenen Wahlkreis.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wer hat dafür gekämpft? – Caren Marks [SPD]: Warum haben Sie die Anzahl der Förderungen reduziert? – Gegenruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wer hat die Förderung denn durchgesetzt? Wir!)


Auch ich habe mit dem „Kleinen Anton“ in Gründau ein
Mehrgenerationenhaus in meinem Wahlkreis. Das ist ein
ganz hervorragendes Beispiel. Es handelt sich um ein
gutes Projekt, das wir weiterführen. Letztlich ist auch
das Elterngeld zu nennen.

All dies sind wichtige Maßnahmen, die zeigen: Fami-
lie steht für uns an erster Stelle. Wir wollen


(Caren Marks [SPD]: Kürzen!)


eine moderne und zukunftsweisende Familienpolitik ma-
chen, die Perspektiven eröffnet. Wenn man immer nur
meckert und alles schlechtredet,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja! So wie die da drüben!)


dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn viele
Menschen in diesem Land den Eindruck haben: Es lohnt
sich nicht, Kinder zu kriegen. Es ist vielleicht sogar ge-
fährlich.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir sehen das nur differenziert! Das ist der Unterschied!)


Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich in der Welt
doch einmal um! In welchem anderen Land gibt es sol-
che Rahmenbedingungen für Familien,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie mal bitte nach Skandinavien!)


und in welchem anderen Land können Kinder so behütet
groß werden wie in Deutschland?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist doch eine Verunglimpfung des eigenen Landes
und der eigenen Gesellschaft, was Sie zum Teil hier
praktizieren.

Das heißt nicht, dass wir nicht auch über Probleme
sprechen sollten. Ich bin in manchen Punkten durchaus
Ihrer Meinung und sage: Hier gibt es noch Baustellen.
Hier müssen wir noch besser werden. Hier ist der An-
spruch, den wir haben, noch lange nicht erfüllt. – Das
beginnt bei der Kinderbetreuung und geht weiter bis zu
den Ganztagsangeboten an Schulen.

An dieser Stelle merken wir allerdings sehr schnell:
Familie ist, wenn wir über die gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen reden, eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, nicht nur eine des Bundes, sondern auch eine
der Länder, der Kommunen, der gesellschaftlichen
Kräfte und der Wirtschaft. Hier ist in der Tat noch eini-
ges zu tun. Zum Beispiel brauchen wir flexiblere Ar-
beitszeitmodelle. All diese Punkte sind zu nennen.

Jetzt bin ich bei einem Punkt, den wir in dieser De-
batte aus meiner Sicht viel zu selten berücksichtigen,
nämlich beim demografischen Wandel. – Herr Präsident,
da ich gerade meine Redezeit überziehe: Herr Jarzombek
schenkt mir bestimmt zwei Minuten seiner Redezeit,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


weil ich diesen Gedanken gerne noch ausführen möchte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713621000

Da er das mit strahlendem Kopfnicken bestätigt,


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Bei so einer großartigen Rede gern!)


habe ich den Eindruck: Wenn Sie sagen würden, dass er
seine Redezeit komplett an Sie abtreten möge, würde er
die weiße Flagge hissen.


(Heiterkeit – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Nein! Nur zwei Minuten!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1713621100

Wir wollen seinen Großmut nicht überstrapazieren. –

Der demografische Wandel ist, wie ich glaube, ein ganz
wichtiges Stichwort, und zwar aus einem ganz bestimm-
ten Grund: Wenn sich der demografische Wandel so wie
in der Vergangenheit fortsetzt, dann schreiben wir auch
diese negative Entwicklung einfach fort. Das kann nicht
unser Ziel sein. Das Max-Planck-Institut für demografi-
sche Forschung hat einen leichten Anstieg der Geburten-
rate errechnet; das ist zunächst einmal ein gutes Signal.
Aber ich glaube, es bleibt dabei: Die Politik muss den
Menschen sagen, dass Kinder in dieser Gesellschaft will-
kommen sind und gute Rahmenbedingungen vorfinden.

An dieser Stelle vergleichen wir die Situation in
Deutschland gerne mit der in Frankreich, auch deshalb,
weil wir viele familienpolitische Maßnahmen und Leis-
tungen der Franzosen inzwischen nachvollzogen haben.
Warum ist aber immer noch ein eklatanter Unterschied
bei der Höhe der Geburtenrate festzustellen? Hierzu gibt
es eine sehr lesenswerte Studie der Wissenschaftler
Stephan Sievert und Reiner Klingholz und ein sehr le-
senswertes Buch des französischen Schriftstellers Yves-
Marie Laulan, in denen sich die Autoren mit dieser
Frage intensiv beschäftigt haben.

Alle drei kommen zu einem einheitlichen Ergebnis: In
Frankreich war die Familienplanung, so wie sie es for-
mulieren, frühzeitig Teil der Staatsräson; die Förderung
von Familien ist also schon zu einem sehr frühen Zeit-
punkt eine zentrale Aufgabe der Politik geworden.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das hat hier ja sehr lange gedauert!)


Außerdem hat die gesellschaftliche Wertschätzung von
Kindern in Frankreich ungebrochen fortbestanden, und
sie findet eine extrem hohe Anerkennung.

Der französische Schriftsteller Laulan bringt es am
Ende auf den Punkt, indem er schreibt:


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe mittlerweile den Eindruck, er will die gesamte Redezeit von Herrn Jarzombek!)


Niemand wird sich Kinder wünschen, wenn er
nicht, wenn auch nur unbewusst, an die Zukunft
glaubt, wenn er sich nicht danach sehnt, dass seine
Nation und sein Vaterland über seine eigene Exis-
tenz hinaus fortbestehen.

Vielleicht ist da etwas dran. Wenn wir die Situation bei
uns immer nur schlechtreden und suggerieren, dass Kin-
der in diesem Land keine Zukunft und keine Chance ha-
ben, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sich
junge Paare dagegen entscheiden, Kinder in die Welt zu
setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bleibe dabei: Es gibt nur wenige Länder auf die-
sem Planeten, in denen die Rahmenbedingungen für
Kinder so gut sind wie bei uns. Deutschland ist ein le-
benswertes Land, auch und gerade für Kinder.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die Botschaft unserer Politik. Wenn Sie eine an-
dere haben, ist das in Ordnung. Ich glaube, unsere ist die
bessere.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713621200

Nun hat der Kollege Stefan Schwartze für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Stefan Schwartze (SPD):
Rede ID: ID1713621300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Das war wieder einmal eine
ganz besondere Debatte, die wir hier und heute geführt
haben.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie ist ja noch nicht zu Ende! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber jetzt nichts schwarzreden, Herr Schwartze!)


Ich denke, wir sollten versuchen, mehr Sachlichkeit in
die Diskussion zu bringen.


(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD] – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle sprechen von der Bedeutung der Familie und be-
tonen: Familien müssen gestärkt werden. Die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf muss verbessert werden. –
All das wird in vielen Reden hier im Hause immer wie-
der betont.


(Christel Humme [SPD]: Richtig!)


Wir haben aber nicht den gleichen Familienbegriff. Das
ist hier heute noch einmal deutlich geworden.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat man heute eindeutig gemerkt!)


Eine Familie besteht heute nicht mehr immer nur aus
Vater, Mutter und Kindern, sondern die Familie ist bunt,
es gibt sie in vielen Formen. Sie lassen sich nicht mehr
in das alte Familienbild zwängen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das hat aber auch keiner gesagt!)


Wer heute eine zukunftsweisende und moderne Fami-
lienpolitik machen will, der muss diesen gesellschaftli-
chen Entwicklungen Rechnung tragen und seinen Fami-
lienbegriff erweitern.


(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Hätten Sie mal zugehört! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Genau das tun wir!)


Familie ist für uns Sozialdemokraten dort, wo Men-
schen gemeinsam leben und füreinander Verantwortung
übernehmen: Verantwortung für Kinder, Ältere oder
Kranke, die zu dieser Partnerschaft gehören, Verantwor-
tung losgelöst von der Verwandtschaft oder dem Trau-
schein, Verantwortung, die in Beziehungen zwischen





Stefan Schwartze


(A) (C)



(D)(B)

Frauen und Männern genauso gelebt wird wie in gleich-
geschlechtlichen Beziehungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In den Familienformen von klassisch bis modern wird
ein großer Dienst für diese Gesellschaft und das Mitei-
nander geleistet. Dieser neue Familienbegriff wird von
einem immer größeren Teil der Gesellschaft getragen
und geteilt.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur nicht von der Bundesregierung und der Koalition!)


All diese Familien, egal in welcher Form, stehen vor
einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Für viele
junge Familien ist die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf von ganz besonderer Bedeutung. Viele junge Frauen
und junge Männer wollen eine wirkliche partnerschaftli-
che Aufteilung der Aufgaben in einer Familie. Junge
Frauen und junge Männer wollen beides: Verantwortung
für die Familie und Verantwortung für den Beruf.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD will die Rahmenbedingungen verbessern,
um eine wirklich partnerschaftliche Aufgabenteilung
von Familien- und Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Wir
wollen das Elterngeld partnerschaftlicher ausbauen, und
wir wollen gute Arbeit, von der man auch leben und die
Familie ernähren kann. Dazu gehört aber auch, dass wir
Arbeitsbedingungen schaffen, mit denen Freiräume für
die Familien ermöglicht werden.

Wir wollen eine Verbesserung der Teilzeitregelung
mit einem Rechtsanspruch auf eine befristete Teilzeit
und dem Rückkehrrecht auf Vollzeit. Teilzeitarbeit darf
keine Falle mehr sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das geht nicht mit freiwilligen Regelungen, sondern nur
mit einem Rechtsanspruch. Dazu gehört auch eine bes-
sere Vereinbarkeit von Familie und Studium. Ich glaube,
hier müssen wir auch noch einmal auf die BAföG-Rege-
lungen schauen. Auch da muss für junge Familien, für
junge Väter und für junge Mütter mehr möglich sein.

Die Lebenswirklichkeit in den Betrieben ist noch
längst nicht so familienfreundlich, wie es nötig wäre.
Hier muss sich die Einstellung ändern. Familienfreund-
lichkeit muss zur Unternehmenskultur werden. Das
muss für die Chefs genauso wie für die Kollegen im Be-
trieb gelten. Wie lang dieser Weg ist, kann man heutzu-
tage ganz schnell erleben.

Sprechen Sie als Angestellter einmal mit Ihrem Chef
über flexiblere Arbeitszeiten, weil Sie sich um Ihre Kin-
der kümmern wollen. Erklären Sie den Kollegen, dass
das nächste Projekt und die nächsten Aufträge ohne Sie
erledigt werden müssen, weil Sie in Elternzeit gehen. Sie
werden dann ganz schnell merken, was im Vordergrund
steht: die Betriebsabläufe oder die Familienfreundlich-
keit im Unternehmen.

(Caren Marks [SPD]: Ja!)


Hier muss die Politik entsprechende Rahmenbedin-
gungen schaffen. Wir können diese Familienfreundlich-
keit, diese Unternehmenskultur, nicht gesetzlich verord-
nen, aber wir können den Rahmen dafür geben. Dafür ist
es höchste Zeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind gegen die weitere Aushöhlung des Kündi-
gungsschutzes. Auch wir wollen den Kündigungsschutz
ausweiten. Er soll wieder für Unternehmen ab fünf Be-
schäftigten gelten. Eine Ausweitung des Kündigungs-
schutzes für Eltern, der bis zum vollendeten sechsten Le-
bensjahr des Kindes gilt, wie das von den Linken hier
vorgeschlagen wurde, können wir an dieser Stelle nicht
mittragen. Damit gehen Sie an der Wirklichkeit in den
Betrieben vorbei, und ich weiß auch nicht, warum Sie
auf das vollendete sechste Lebensjahr gekommen sind.
Eigentlich könnte man dann diesen Schutz auch bis zum
Berufsabschluss des Kindes ausdehnen. Das ist ein
schwieriger Teil.

Auch die Festlegung der Arbeitszeiten, die Sie gesetz-
lich regeln wollen, sehen wir weiterhin in den Händen
der Tarifpartner. An dieser Stelle sollte der Gesetzgeber
keine Vorschriften machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Politik muss sich auf den Ausbau der Infrastruktur
konzentrieren. Wir brauchen die Erfüllung des Rechtsan-
spruchs auf Betreuung ab dem ersten Lebensjahr. Die
angestrebte Betreuungsquote von 35 Prozent reicht nicht
aus.


(Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsange-
bote für Kinder im Vorschulalter. Wir brauchen eine
neue Initiative für die Einrichtung von Ganztagsschulen
und am Ende einen Rechtsanspruch auf den Besuch der
Ganztagsschule.


(Beifall bei der SPD)


Das wären Meilensteine für eine familienfreundliche
Gesellschaft. Das würde die Familienpolitik in diesem
Lande wirklich weiterbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
geben Sie bitte endlich die furchtbare, unsägliche Idee
des Betreuungsgeldes auf.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen Sie das Geld und investieren Sie es in die Infra-
struktur! Dort wird es dringend gebraucht, damit Eltern
wirklich die Wahlfreiheit haben. Für Wahlfreiheit müs-
sen genügend Angebote vorhanden sein. Daran mangelt
es immer noch. Bis zu dieser wirklichen Wahlfreiheit ha-
ben wir noch einen weiten Weg vor uns. Stampfen Sie
endlich die Idee ein, Eltern eine Prämie zu geben, wenn
sie ihre Kinder von den guten Angeboten der frühkindli-
chen Bildung fernhalten.





Stefan Schwartze


(A) (C)



(D)(B)

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713621400

Kollegin Laurischk hat jetzt für die FDP-Fraktion das

Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1713621500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir als Koalition haben gleich zu Beginn unserer
Regierungszeit einiges für die Familien getan: Wir haben
im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes das
Kindergeld erhöht, den Kinderfreibetrag angehoben und
den Kinderzuschlag gerade für Familien mit geringem
Einkommen erhöht und ausgeweitet. Unser erster Impuls
war also durchaus ein familienpolitischer. Das wird von
der Opposition gerne vergessen, aber so war es nun ein-
mal. Wir sind weiter dran.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben gehört, dass es durchaus unterschiedliche
Meinungen geben kann, wie sich Familie definiert. Aber
immer sind Kinder dabei. Ich möchte dabei das Augen-
merk auf ein Familienmodell richten, das leicht verges-
sen wird: Das sind die Alleinerziehenden. Es ist kein Zu-
fall, dass ich daran denke. Ich habe drei Kinder
weitgehend alleine großgezogen. Insofern weiß ich, was
es heißt, Verantwortung allein zu tragen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht hört Herr Geis mal zu!)


Es geht nicht nur um die Verantwortung, sondern Al-
leinerziehende haben auch eine große Belastung zu tra-
gen: mental und körperlich. Deswegen ist es wichtig, da-
rauf hinzuweisen, was wir dazu im Koalitionsvertrag
vereinbart haben. Wir haben uns vorgenommen, dass ge-
rade die finanzielle Belastung nicht alleine von den Al-
leinerziehenden geschultert werden soll, sondern dass
hier Hilfestellungen ermöglicht werden.

Wir müssen realisieren, dass der Unterhalt für die
Kinder, die in alleinerziehenden Familien groß werden,
oftmals ausbleibt. Ob zu Recht oder zu Unrecht, will ich
gar nicht bewerten. Aber ich habe das Gefühl, dass es
leider immer noch als Kavaliersdelikt angesehen wird,
keinen Unterhalt zu zahlen.

Immerhin haben wir in solchen Fällen eine staatliche
Leistung vorgesehen, den Unterhaltsvorschuss, der dann
für insgesamt sechs Jahre bis zum Höchstalter von
12 Jahren zu zahlen ist. Wir haben in den Koalitionsver-
trag aufgenommen, diese Grenze von 12 Jahren auf
14 Jahre zu erhöhen; denn gerade in diesem Alter sind
Kinder kostenintensiv. Es gibt keinen logischen Grund,
zu sagen, dass mit 12 Jahren die Grenze erreicht ist. Die
Altersgrenze von 14 Jahren erscheint uns hier sinnvoll.
Daran arbeiten wir. Wir haben vonseiten der Liberalen
gerade wieder formuliert, dass wir diesen Wunsch ha-
ben. Ich denke, dass wir uns dabei auch in konstruktiven
Diskussionen mit dem Koalitionspartner bewegen.

Ein anderes Thema – Sie haben es zu Recht angespro-
chen, Frau Dörner – ist das Sorgerecht Nichtverheirate-
ter. Wir gehen hier transparent vor. Es gibt keinen Streit,
sondern es geht nur um die Frage, welche Lösung wir
finden. Dass man erst einmal den gemeinsamen Weg
ausarbeiten muss, ist, glaube ich, keine Frage.

Wir haben allerdings die Vorgabe des Bundesverfas-
sungsgerichts, hier aktiv zu werden und eine Lösung
herbeizuführen. Ich bin der Meinung, dass das auch für
die vor uns liegende Zeit der Koalition eine dringende
Aufgabe ist; das steht außer Frage.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht mehr lange!)


Das Verfassungsgericht hat interessanterweise bereits
eine Hilfestellung gegeben. Das Sorgerecht kann bereits
vom sorgeberechtigten Vater eingeklagt werden. Das ge-
schieht auch bereits. Gerade deshalb wird von den Be-
troffenen stark nachgefragt, wann eine Lösung kommt.

Wie gesagt, die FDP ist in dieser Frage klar positio-
niert. Wir wollen das, und ich bin sicher, dass sich auch
die Union diesem Thema widmet, weil es nun einmal
eine Vorgabe des Verfassungsgerichts ist.

Insofern sind wir in den spezifischen Fragestellungen,
die Alleinerziehende und beim gemeinsamen Sorgerecht
nichtverheirateter Eltern vor allem die Mütter betreffen
– deren Interessenlage muss man sicherlich mit berück-
sichtigen, auch wenn das Kindeswohl allem voransteht –,
durchaus aktiv.

Wir sind seit Bestehen des Koalitionsvertrags klar
aufgestellt.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind schon auf das Ergebnis gespannt!)


Insofern gibt es auch vonseiten der Linken nichts beizu-
tragen, was uns in irgendeiner Form beeindrucken
könnte.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei 3 Prozent sollte man nicht so resistent sein!)


Ihre Forderungen sind allerdings Milliardenforderungen
ohne eine seriöse Gegenfinanzierung. Deswegen ist die-
ser Antrag mit den darin enthaltenen Forderungen
schlichtweg abzulehnen.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Aber die Steuergeschenke, die sind gegenfinanziert? – Diana Golze [DIE LINKE]: Das ist doch erst die Einbringung! Lassen Sie uns doch wenigstens darüber reden!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713621600

Nun hat der Kollege Thomas Jarzombek noch das

Wort.






(A) (C)



(D)(B)


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1713621700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als unser

erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer, 1957 die ge-
setzliche Krankenversicherung auf Umlagefinanzierung
umstellte, hat er gesagt: Kinder kriegen die Leute so-
wieso. – Das war, glaube ich, der einzige große Irrtum,
dem Konrad Adenauer aufgesessen ist.


(Caren Marks [SPD]: Na ja! Es waren schon noch mehr!)


Denn wir haben in den letzten Jahren zwar sehr viel für
die Familien und die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf getan.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Eben nicht!)


– Doch, wir haben sehr viel getan, um alle technischen
Rahmenbedingungen für Familien zu verbessern. Meine
Kollegen haben es vorhin im Detail aufgezählt. Wir ha-
ben das Elterngeld eingeführt und Betreuungsplätze für
unter Dreijährige geschaffen. Zu Beginn unserer Regie-
rungszeit vor zwei Jahren haben wir beschlossen, das
Kindergeld um 20 Euro zu erhöhen, und viele andere
Maßnahmen mehr durchgeführt.

Dennoch – das macht mich an dieser Stelle betrof-
fen – ist die Geburtenrate in all diesen Jahren relativ un-
verändert geblieben. Natürlich ist das nicht alles, aber
die Geburtenrate ist das Ergebnis einer Familienpolitik,
über die wir reden müssen.

Als ich selber unlängst mit meinem Vater, der mittler-
weile 82 Jahre alt ist, im Krankenhaus war, habe ich vie-
les begriffen. Man glaubt vielleicht, dass in unserer Ge-
sellschaft heute vieles vom Staat übernommen wird,
dass vieles selbstverständlich ist und Sicherheit bringt.
Am Ende braucht man aber doch Kinder, die für einen
selbst eine große Stütze sind. Da habe ich begriffen, was
ich früher nicht in diesem Maße gesehen habe, nämlich
wie wichtig es ist, eigene Kinder zu haben. Der Sozial-
staat heute kann das nicht alles ersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So wichtig es ist, über diese vielen technischen Fakto-
ren, wie ich sie weiterhin nenne, wie Teilzeitarbeit, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und finanzielle As-
pekte zu reden, gibt es noch eine Menge, was wir tun
können und auch tun werden. Ich habe vorhin gerne dem
Kollegen Peter Tauber Redezeit abgegeben; denn ich
habe es genossen, ihm zuzuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht dabei nicht nur um sogenannte technische Fakto-
ren, sondern auch um unsere Kultur. Ich frage mich, wa-
rum die Familien in Frankreich mehr Kinder bekommen
als die in Deutschland.


(Christel Humme [SPD]: Weil die Betreuung von Anfang an stimmt!)


– Es geht doch nicht nur um die Betreuung, Frau Kolle-
gin. Sie können das doch nicht darauf reduzieren.


(Christel Humme [SPD]: Natürlich! Nur darauf!)

Ich jedenfalls finde, dass man das nicht kann.

Ich bin froh, dass wir heute über das Thema Familien-
politik einmal so grundsätzlich reden können und dass
Sie den Aufschlag dafür gemacht haben.


(Christel Humme [SPD]: Ihr Konzept haben wir noch nicht erkannt nach den vielen Reden!)


– Frau Kollegin, ich glaube, Sie werden dem Thema
nicht gerecht, wenn Sie die ganze Zeit dazwischenrufen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Doch!)


Wir müssen eine Diskussion darüber führen, welche
Faktoren es noch gibt, die eine Kultur für mehr Kinder
und mehr Kinderfreundlichkeit begründen und die die
Menschen in diesem Land ermuntern, wieder mehr Kin-
der zu bekommen. Das ist die Herausforderung, der wir
uns stellen müssen. Die Geburtenrate muss wieder stei-
gen. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die nur
noch aus alten Menschen besteht.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das denn anordnen?)


– Wir können das natürlich nicht anordnen, sondern
müssen auf diejenigen, die Kinder haben und Familie
und Beruf miteinander verbinden, als Vorbilder verwei-
sen und ein positives Klima schaffen.

Wir müssen zeigen, wie wichtig es ist, Kinder zu ha-
ben, egal in welchem Lebensabschnitt, auch im Alter,
um wieder Lust auf Kinder zu machen. Daran fehlt es
bisher. Hier müssen wir viel mehr tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713621800

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Katharina Landgraf für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1713621900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel

des Antrags der Linken lautet: „Für eine moderne und
zukunftsweisende Familienpolitik“. Gratulation, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, zu dieser
Formulierung! Sie ist außerordentlich treffsicher und ge-
schickt. Als Familienpolitikerin der Union bleibt mir da
keine andere Wahl, als hier zuzustimmen.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Denn für eine moderne zukunftsweisende Familienpoli-
tik bin ich auch. Wer will schon eine unmoderne und
rückwärtsgewandte Familienpolitik?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die CSU! Frau Bär!)






Katharina Landgraf


(A) (C)



(D)(B)

Dem Titel stimme ich also zu. Aber das war es dann
auch schon.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was Sie da so aufgeschrieben haben, können Sie ei-
gentlich mit gutem Gewissen nur auf einem Parteitag der
Linken einbringen. Das haben Sie ja gerade in Erfurt
auch irgendwie so gemacht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kommen Sie doch mal vorbei!)


– Ich glaube, das ist keine gute Idee. – Im Deutschen
Bundestag haben wir für solche Träumereien und Verge-
sellschaftungsorgien keinen Platz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind keine Propagandisten. Aber Ihr Antrag gibt
mir wenigstens die Chance, hier über unsere Familien-
politik zu sprechen. Wir machen Politik für die reale
Welt und die reale Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Da sind wir jetzt aber gespannt, Frau Landgraf!)


Für uns ist die Familie der Grundpfeiler der Gesell-
schaft. Studien verweisen immer wieder darauf, dass die
Mehrheit unserer Bürger großen Wert auf die eigene Fa-
milie legt. Kinder wachsen hier am besten auf. Jung und
Alt helfen sich. Das ist der Idealfall. Unsere Aufgabe in
der Politik beschreibt das Grundgesetz in Art. 6; das ist
nach wie vor aktuell. Kollegin Bär hat schon darauf hin-
gewiesen. Genau genommen ignoriert Ihr Antrag die
schwarz-gelbe Koalition und deren Politik. Das ist si-
cherlich auch Ihre Absicht. Nehmen Sie doch endlich
wahr, was wir als Union tatsächlich erreicht haben! Wir
machen schon lange eine moderne und zukunftswei-
sende Familienpolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier noch eine persönliche Empfehlung: Gehen Sie
doch einmal auf die Internetseite des Familienministeri-
ums. Dort finden Sie alle Informationen. Dort können
Sie auch die druckfrische Broschüre Familie zuerst! be-
stellen. Die finde ich gar nicht so schlecht, Frau Golze.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das ist ein hohes Lob!)


– Das ist in der Tat ein hohes Lob. – Diese Broschüre ist
eine knackige Dokumentation realer und moderner Fa-
milienpolitik der Bundesregierung. Dieses Heft legen
Sie sich bitte einmal unter das Kopfkissen. Vielleicht
lassen Sie dann ab von Ihren unrealistischen Familien-
träumen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schwartze [SPD]: Wenn, dann würde ich es lesen! Aber darauf schlafen?)


Die Politik der Union setzt den Rahmen und gibt
Orientierung für das Leben der Familien und der famili-
enähnlichen Verbünde. Darüber, wie die unterstützenden
Angebote von Gesellschaft und Wirtschaft angenommen
werden, entscheiden die Bürgerinnen und Bürger selbst
in Freiheit und Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir ermöglichen Wahlfreiheit


(Christel Humme [SPD]: Stimmt nicht! Falsch!)


zwischen verschiedenen Lebensentwürfen und Familien-
modellen, Frau Lazar. Unser Ziel ist es, Eltern zu stär-
ken, Kinder zu stärken, dafür Rahmen zu schaffen und
Netzwerke zu initiieren und zu stärken.


(Zuruf von der LINKEN: Warme Worte!)


Da sind wir schon lange auf einem guten Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus
der Linksfraktion, das Thema moderne Familienpolitik
so sehr am Herzen liegt, wie Sie behaupten, warum ha-
ben Sie dann dem neuen Kinderschutzgesetz nicht zuge-
stimmt? Sich nur kraftvoll zu enthalten, ist zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich komme zum Schluss. Wie ich Sie kenne, werden
Sie Ihren Antrag, den wir ablehnen, in die Schublade le-
gen und irgendwann wieder herausholen.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Heute geht es noch nicht um die Abstimmung! Lassen Sie uns erst einmal darüber reden, bevor Sie ihn ablehnen!)


In der Zwischenzeit sollten Sie ganz nebenbei Ihre Traum-
insel suchen. Dort können Sie all Ihre unrealistischen Vi-
sionen propagieren und versuchen, andere Träumer zu
begeistern, aber bitte nicht hier in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713622000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/6915 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie of-
fensichtlich einverstanden. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir kommen nun zu dem Tagesordnungspunkt 12 a
und b:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen

– Drucksachen 17/7141, 17/7171 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/7402 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Berichterstattung:
Abgeordneter Pascal Kober

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit
von Städten, Gemeinden und Landkreisen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Katja Dörner, Hans-Josef Fell,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeindefinanzkommission gescheitert – Jetzt
finanzschwache Kommunen – ohne Sozial-
abbau – nachhaltig aus der Schuldenspirale
befreien

– Drucksachen 17/1744, 17/7189, 17/7514 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Bernd Scheelen

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein
weiterer der Fraktion Die Linke vor. Nach einer inter-
fraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine
Stunde vorgesehen. – Auch das ist offenkundig unstrei-
tig. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Paul Lehrieder für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1713622100

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen!

Werte Kollegen! Die Familienpolitiker haben in den De-
batten heute Nachmittag mehrfach ausgeführt: Der heu-
tige Tag ist mit der Verabschiedung des Bundeskinder-
schutzgesetzes ein Meilenstein für die Kinder. – Der
heutige Tag ist aber auch ein Meilenstein für die Kom-
munen, für die Städte, für die Gemeinden, für die Land-
kreise in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir stimmen heute in letzter Lesung über das Gesetz
zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen ab. Damit
wird der erste Schritt der Protokollerklärung von Bund
und Ländern im Rahmen des Vermittlungsverfahrens
zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialge-
setzbuch vollzogen. An dieser Stelle möchte ich mich
bei allen bedanken, die an diesem Kompromiss mitge-
wirkt haben, auch bei den Genossinnen und Genossen
der SPD und natürlich bei unserer Regierung, heute ver-
treten durch beide Staatssekretäre, Herrn Kollegen
Fuchtel und Herrn Kollegen Brauksiepe, die sich mit
eingebracht haben.
Das Gesetz bringt erhebliche Erleichterungen für die
prekäre Finanzsituation unserer Kommunen. Mit den
umfangreichsten Entlastungen seit Bestehen der Bundes-
republik beweist die christlich-liberale Koalition nicht
nur, dass der Ernst der Lage, gerade für die Kommunen,
erkannt wurde, sondern auch, dass konstruktive Lösun-
gen gefunden und umgesetzt werden. Das kann man von
der rot-grünen Regierung beim besten Willen nicht be-
haupten.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: So ist es!)


Damals, 2003, wurde die Altersgrundsicherung einge-
führt und auf die Kommunen übertragen, ohne die not-
wendige Finanzierung zu sichern. Meine Damen und
Herren von der SPD, jetzt müssen Sie tapfer sein. 600
Millionen DM waren Ihnen die Kommunen damals wert.
Umgerechnet in Euro sind das 307 Millionen Euro.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das stimmt gar nicht! 800 Millionen!)


Die Summe wurde im Vermittlungsausschuss auf
409 Millionen Euro aufgestockt, aber nicht nur durch
Ihre eigene Initiative, sondern auch durch unsere kriti-
sche Begleitung. Dies ist kurzfristig gedachte Politik.
Dies hat die schwierige Finanzlage der Kommunen auch
durch die enorme Steigerung der Kosten für die Grund-
sicherung in den letzten Jahren noch zusätzlich ver-
schärft.

Darüber hinaus ist die Vorsorge gegen Altersarmut
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sachgerecht
richtig beim Bund angesiedelt sein sollte. Der Gesetzent-
wurf legt fest, dass der Bund bis 2014 schrittweise die
kompletten Kosten für die Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung übernimmt. Das sind erhebliche
Beträge. Die Kostenübernahme beginnt im Jahr 2012 im
ersten Schritt, über den wir heute entscheiden, mit
45 Prozent; das sind immerhin 1,216 Milliarden Euro.
2013 liegt sie bei 75 Prozent – das sind 2,67 Milliarden
Euro –


(Kirsten Lühmann [SPD]: Das steht aber nicht im Gesetz! – Gegenruf des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das braucht da auch nicht rein!)


und im Jahr 2014 bei immerhin 4,075 Milliarden Euro.
Im Jahr 2015 sind voraussichtlich Kosten von immerhin
4,35 Milliarden Euro zu übernehmen. Dass mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf zunächst der erste Teil geregelt
wird, hat allein organisatorische Gründe und ändert
nichts an der inhaltlichen Realisierung des Gesamtvor-
habens bis 2014 durch weitere Gesetzgebungsverfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Legt man einen Zeitraum bis etwa 2020 zugrunde, so
ergibt sich aus heutiger Sicht ein Finanztransfer im Um-
fang von circa 54 Milliarden Euro vom Bund auf die
Kommunen: rund 15 Milliarden Euro Kompensation für
Bildung und Teilhabe durch zusätzliche Bundesbeteili-
gung an den Kosten für Unterkunft und rund 38,9 Mil-
liarden Euro durch die zusätzliche Übernahme von Kos-





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

ten der Grundsicherung im Alter. Sie sehen daran: Wir
kleckern nicht, wir klotzen zugunsten der Kommunen.

Für meine Wahlkreisstadt Würzburg bedeutet dies be-
reits im nächsten Jahr eine Entlastung von über 2 Millio-
nen Euro. Mein Landrat freut sich immerhin über
600 000 Euro, über die er verfügen kann. Ich glaube, es
ist ganz wichtig, dass die Kommunen mehr Mittel haben,
über die sie in eigener, in kommunaler Zuständigkeit
entscheiden können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben alle die besagten Briefe der Kommunalpo-
litiker nach dem harten Winter auf die Tische bekom-
men. Darin stand: Wir können unsere Straßen nicht mehr
sanieren. Wir haben einen Sanierungsstau bei den Brü-
cken, bei den öffentlichen Straßen und Wegen. – Wir
glauben, dass wir mit der Verabschiedung dieses Gesetz-
entwurfs zumindest teilweise dazu beitragen können,
dass Kommunen wieder Luft zum Atmen haben, dass
Kommunen wieder ihre Aufgaben in eigener Zuständig-
keit erfüllen können, und dass wir auf dem richtigen
Weg sind.

Meine Damen und Herren, die Gemeindefinanzkom-
mission hat in ihrer Sitzung vom 15. Juni dieses Jahres
die Bundesbeteiligung an der Grundsicherung expressis
verbis begrüßt. Obwohl sich dadurch erhebliche Mehr-
kosten für den Bund ergeben, ist die Finanzierung si-
chergestellt. Wir wollen hier nicht den gleichen Fehler
machen wie die rot-grüne Regierung in dem zuvor ge-
brachten Beispiel.

Die zusätzlichen Kosten werden im Haushalt der
Bundesagentur für Arbeit im gleichen Umfang einge-
spart.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gekürzt!)


So wird die Bundesbeteiligung an den Kosten für Ar-
beitsförderung ab 2012 entsprechend abgesenkt, aller-
dings in der letzten Stufe maximal in Höhe eines halben
Mehrwertsteuerpunktes, um die BA nicht zu überlasten.
Dass wir das zumutbar machen können, zeigen die Zah-
len der Bundesagentur für Arbeit. Die Bundesagentur ist
noch im März des laufenden Jahres von einem Defizit
von immerhin 5,4 Milliarden Euro ausgegangen, die sie
uns quasi als Darlehen erst nächstes Jahr zurückzahlen
kann. Dieser Betrag hat sich bis August auf 1,9 Milliar-
den Euro reduziert. Im aktuellen Regierungsentwurf
sprechen wir von 1,0 Milliarden Euro. Die heutigen Zah-
len belegen, dass die Bundesagentur im nächsten Jahr
voraussichtlich bloß ganze 500 Millionen Euro an Darle-
hen zu tilgen hat. Das heißt, wir haben die geschätzten
Verbindlichkeiten der Bundesagentur durch die gute
Konjunktur, durch die richtigen Entscheidungen auf dem
Arbeitsmarkt, durch die richtige Regierung in einem
Zeitraum von weniger als einem Dreivierteljahr auf im-
merhin 10 Prozent reduzieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, Einsparungen, auch bei
der Bundesagentur, werden durch Effizienzsteigerungen
erreicht, nicht durch Streichung des Angebots; auch da-
rauf möchte ich hinweisen. Was die Reform der arbeits-
marktpolitischen Instrumente angeht, müssen zunächst
die Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens abgewartet
werden. Die Finanzierung der Grundsicherung im Alter
ist gesichert. Wir setzen uns nachhaltig für die Kommu-
nen ein. In diesem Jahr werden die Steuereinnahmen der
Kommunen um 3,3 Milliarden Euro steigen und sich ins-
gesamt auf 73,7 Milliarden Euro belaufen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Dank der Gewerbesteuer, die ihr abschaffen wolltet!)


Wir brauchen auch finanzstarke Kommunen, die nach
den bisherigen Zahlen voraussichtlich schon 2012 die
Chance haben, bei einer Gesamtbetrachtung einen aus-
geglichenen Haushalt in unsere Schuldenbremse einzu-
bringen, für die wir – Bund, Länder und Gemeinden –
gemeinsam verantwortlich sind. Da wir zusammen einen
Schuldenberg von über 2 Billionen Euro haben, sind wir
gut beraten, dazu beizutragen, dass wir an allen Positio-
nen versuchen, die Schulden im Griff zu haben. Wir,
aber auch die Kommunen sind, glaube ich, auf dem rich-
tigen Weg. Wir wollen nicht das Schicksal bestimmter
Länder im Süden Europas erleiden, die derzeit große Fi-
nanzierungsschwierigkeiten haben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1713622200

Gabriele Hiller-Ohm ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1713622300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute ab-
schließend über die Übernahme der Kosten für die
Grundsicherung im Alter durch den Bund. Es ist gut,
dass es die Grundsicherung im Alter gibt. Lieber Herr
Lehrieder, sie wurde 2003 von Rot-Grün geschaffen und
trägt erheblich dazu bei, versteckte Armut in unserem
Land zu verringern.


(Beifall bei der SPD – Peter Götz [CDU/ CSU]: Zulasten der Kommunen!)


Menschen, die keine existenzsichernde Rente haben,
mussten bis 2003 zum Sozialamt gehen und auch die
Einkommensverhältnisse der Angehörigen offenlegen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Und warum müssen die Kommunen das bezahlen?)


Es galt der Grundsatz: Nicht nur Eltern stehen für ihre
Kinder ein, sondern auch Kinder für ihre Eltern. Viele
alte Menschen haben auf Sozialhilfe verzichtet und von
oft deutlich weniger als dem Existenzminimum gelebt,
um ihren Kindern nicht auf der Tasche liegen zu müssen.

Wir haben gemeinsam mit den Grünen diesen entwür-
digenden Zustand beendet und die rückgriffsfreie
Grundsicherung eingeführt. Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist eine soziale Leistung, auf die wir stolz sein
können.





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Kommunen und Landkreise, die die Grund-
sicherung finanzieren müssen, war dieser Schritt aller-
dings mit finanziellen Mehrbelastungen verbunden. Es
konnte ja nun nicht mehr auf die Angehörigen zurückge-
griffen werden. Die Mehrkosten wurden durch eine Be-
teiligung des Bundes von 16 Prozent an der Grundsiche-
rung im Alter aufgefangen.

Alles wäre gut, wenn nicht die Gesamtkosten konti-
nuierlich gestiegen wären und viele Städte und Land-
kreise an den Rand der Handlungsfähigkeit getrieben
hätten.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Ja, daran seid ihr schuld!)


Auch für die Zukunft wird eine Steigerungsrate von
5 Prozent jährlich erwartet. Es musste also dringend et-
was geschehen. Wir haben uns deshalb im Rahmen der
Verhandlungen über das Hartz-IV-Paket im Februar die-
ses Jahres für die klammen Kommunen starkgemacht
und die schrittweise Übernahme der Kosten der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den
Bund durchgesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das war wohl unser Finanzminister!)


Jetzt endlich, acht Monate später, liegt uns der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Schlussabstim-
mung vor. Lieber Herr Kollege Lehrieder, es wirkt so,
als wäre das für Sie eher ein Mühlstein als ein Meilen-
stein.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein, nein, Frau Kollegin!)


Der Gesetzentwurf wurde im Schweinsgalopp durchs
parlamentarische Verfahren gejagt –


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Ging es jetzt zu langsam oder zu schnell? Was denn nun?)


und das, obwohl es heftige Kritik sowohl von uns, von
der Oppositionsseite, als auch vonseiten der Länder und
Kommunen gibt. Sie haben nichts davon aufgegriffen
und legen uns den Gesetzentwurf heute in unveränderter
Fassung zur Abstimmung vor.

Wir kritisieren dieses Verhalten aufs Schärfste. Wir
haben deshalb auch einen Entschließungsantrag zu Ih-
rem Gesetzentwurf eingebracht, in dem wir unsere Posi-
tion deutlich machen. Wir werden dem Gesetzentwurf
zähneknirschend zustimmen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


um das Verfahren nicht noch weiter aufzuhalten.

Unsere Kritik am Gesetz: Vereinbart war die Über-
nahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter
durch den Bund in drei Schritten bis 2014. Was finden
wir vor? Lediglich die Umsetzung der ersten Entlas-
tungsstufe sowie eine für die Kommunen nachhaltige
Abrechnung auf Basis der Daten des Vorvorjahres!


(Peter Götz [CDU/CSU]: Das habt ihr eingeführt!)


Die Länder und Kommunen brauchen Planungssicher-
heit und haben, genau wie wir, ein Gesetz aus einem
Guss mit der Absicherung aller drei Stufen erwartet.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Das geht doch gar nicht! – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sie wissen doch genau, warum!)


Diese Zusage haben Sie nicht eingelöst.


(Beifall bei der SPD – Antje Tillmann [CDU/ CSU]: Wir haben gar keine Zusage gemacht!)


Wir fordern, dass die zweite und dritte Entlastungsstufe
nun spätestens bis April nächsten Jahres gesetzlich abge-
sichert wird.

Wie sieht es mit der umstrittenen Abrechnung der
Kosten für die Grundsicherung im Alter aus? Der Kol-
lege Peter Götz aus der CDU/CSU-Fraktion


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr guter Kollege! – Peter Götz [CDU/CSU]: Der kommt noch!)


hat in seiner Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzes am
29. September die Kostenübernahme als – ich zitiere –
„Einstieg in die größte Entlastung der Kommunen seit
Bestehen der Bundesrepublik“ gepriesen.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da hat er recht!)


Wenn das tatsächlich so wäre, warum, so frage ich mich
und Sie, brechen die Kommunen dann nicht in Jubel-
stürme aus? Die Antwort ist einfach: Sie haben Ihr Ver-
sprechen an die Länder und Kommunen auch an dieser
Stelle nicht gehalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Die Kommunen freuen sich!)


Durch die Abrechnung auf der Grundlage von Zahlen
des Vorvorjahres gehen den Städten und Gemeinden
viele Millionen Euro verloren. Das ist die traurige Wahr-
heit.

Wir erwarten, dass auch an dieser Stelle nachgebes-
sert wird. Wir fordern in unserem Antrag einen Finanzie-
rungsmodus, wonach die Abrechnung der Kosten der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
zeitnäher als bislang vorgesehen erfolgt.

Wie verhält es sich nun tatsächlich mit der von CDU/
CSU und FDP so gepriesenen größten Entlastung der
Kommunen seit Bestehen der Bundesrepublik durch die
schwarz-gelbe Bundesregierung?


(Peter Götz [CDU/CSU]: Nur kein Neid!)


Es ist richtig, dass der Bund die Kosten der Grundsiche-
rung im Alter übernimmt. Dadurch erfahren die Kom-
munen tatsächlich eine erhebliche Entlastung. Sich aber
hier als Retter der Kommunen aufzuspielen, das ist weit
hergeholt und geht voll an der Wahrheit vorbei.





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)

Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU und FDP, ging es doch gar nicht schnell genug,
ebendiese Kommunen zu rupfen wie eine Weihnachts-
gans und sie ordentlich zur Kasse zu bitten. Gleich zu
Beginn der Legislaturperiode haben Sie mit dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz die allseits bekannte
Mövenpick-Steuer für Hoteliers sowie weitere Steuer-
senkungen beschlossen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Deshalb sprudelt die Gewerbesteuer! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Quatsch! Wir haben die Wirtschaft in Fahrt gebracht mit dem Gesetz!)


Allein dadurch werden Länder und Kommunen mit
knapp 4 Milliarden Euro Mindereinnahmen pro Jahr be-
lastet.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)


So sehen Retter nun wirklich nicht aus.


(Beifall bei der SPD)


Unser Entschließungsantrag ist daher auch ein klares
Signal an die Kommunen, dass wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten zu unserem Verhandlungserfolg
stehen und die Entlastung wie verabredet durchsetzen
wollen.

Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP,
wenn Sie, wie es der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Brauksiepe in seiner Rede in der ersten Lesung
sagte, wirklich keinen Zweifel daran aufkommen lassen
wollen, dass der Bund seiner Zusage nachkommt, dann
stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713622400

Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1713622500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

der heutigen Verabschiedung des Entwurfs eines Geset-
zes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen kom-
men wir als Bundespolitiker einer im Rahmen des
Vermittlungsverfahrens zur Neuberechnung der Arbeits-
losengeld-II-Regelsätze getroffenen Vereinbarung nach.
Damit entlasten wir die Kommunen nachhaltig, und
zwar in einer Höhe, in der die Kommunen in der Ge-
schichte der Bundesrepublik noch nie entlastet worden
sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit diesem Gesetzentwurf beschließen wir den ersten
Schritt zur Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Net-
toausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Er-
werbsminderung. Die christlich-liberale Koalition sorgt
dafür, dass die Kommunen allein im Zeitraum zwischen
2012 und 2015 um voraussichtlich mehr als 12 Milliar-
den Euro entlastet werden. Würden wir keine gesetzli-
chen Änderungen herbeiführen, läge die Kostenüber-
nahme durch den Bund im kommenden Jahr nicht bei
45 Prozent, sondern nur bei 16 Prozent. Wir gehen also
einen wichtigen Schritt im Sinne der Kommunen.

Nun äußern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, die Kritik, dass wir mit dem heute vor-
liegenden Gesetzentwurf nur die Entlastung für das Jahr
2012 in Höhe von 45 Prozent beschließen, aber die Fol-
gejahre noch nicht berücksichtigen. Sie wissen aber
auch, dass das damit zusammenhängt, dass wir eine
Bundesauftragsverwaltung einrichten werden.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja! Das wusste man vorher!)


Die Einrichtung dieser Bundesauftragsverwaltung be-
darf einiger Regelungen und Änderungen. Sie bedarf der
Verankerung von Prüf- und Weisungsrechten des Bundes
und der Einführung und Umsetzung einer ganzen Reihe
von Regelungen, was seine Zeit braucht. Seien Sie bitte
so ehrlich und weisen Sie nicht uns die Schuld zu für et-
was, was Sie nicht anders hätten lösen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wir wären schneller als Sie gewesen!)


Sie sollten die Menschen und die Kommunen nicht
verunsichern. Sie wissen ganz genau, dass sich Bundes-
tag und Bundesrat in einer Protokollnotiz zu diesen Er-
höhungsschritten verpflichtet haben, und ebenso wissen
Sie ganz genau, dass diese Erhöhungsschritte kommen
werden. Verunsichern Sie also bitte nicht von hier aus
die Menschen in unserem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das sind sie schon von alleine!)


Da wir davon ausgehen müssen, Frau Hiller-Ohm,
dass die Kosten für die Grundsicherung im Alter künftig
weiter ansteigen werden, stellt diese Kostenübernahme
durch den Bund im Bereich der Alterssicherung eine
nachhaltige und zukunftsorientierte Entlastung für die
Kommunen dar.

Wir sollten aber auch bedenken, was die Kommunen
finanziell am stärksten entlastet. Das ist nicht die Über-
nahme der Kosten für die Kinderbetreuung, für die der
Bund allein zwischen 2009 und 2013 4 Milliarden Euro
und ab 2014 770 Millionen Euro jährlich zahlt. Es sind
auch nicht die Mittel aus dem Konjunkturpaket II in
Höhe von 10 Milliarden Euro, von denen die Kommu-
nen zu über 70 Prozent profitierten. All dies sind wich-
tige Entlastungen der Kommunen durch den Bund; keine
Frage. Die größte Entlastung für die Kommunen ist und
bleibt jedoch ein ordentliches und nachhaltiges Wirt-
schaftswachstum mit den entsprechenden positiven Fol-
gen.


(Beifall bei der FDP)


Wirtschaftswachstum führt zu wachsenden Steuerein-
nahmen und zu weniger Ausgaben im sozialen Bereich.
Wenn man sich den Konjunkturverlauf und auch die Pro-





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)

gnosen für das kommende Jahr anschaut, dann kann man
feststellen, dass hier eine echte Entlastung bevorsteht.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Nur so kann es gehen!)


Das Defizit der Kommunen lag in den ersten sechs
Monaten dieses Jahres nur noch bei 4,8 Milliarden Euro
und damit um 3,5 Milliarden Euro niedriger als im ver-
gangenen Jahr. Es ist ein Verdienst der wachstums- und
beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik dieser Re-
gierungskoalition, dass von dieser Seite aus Entlastun-
gen für die Kommunen stattfinden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Das ist die Gewerbesteuer, die ihr abschaffen wolltet! – Zuruf von der SPD: Der Feind der Kommunalpolitik!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Regierungs-
koalition macht eine verantwortungsvolle Politik im
Sinne der Entlastung der Kommunen. Wir haben darüber
hinaus noch eine ganze Reihe von anderen Maßnahmen
ergriffen, zum Beispiel im Bereich der Arbeitsvermitt-
lung durch die Neuorganisation der Jobcenter vor Ort.
Wir haben im Bereich der Neuorganisation und Neuaus-
richtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Vo-
raussetzungen geschaffen, um künftig die Arbeitslosig-
keit noch weiter bekämpfen zu können und damit
Entlastungen für die Kommunen zu generieren. Diese
Regierung ist den Kommunen verpflichtet. Wir arbeiten
mit den Kommunen vertrauensvoll zusammen, und zwar
im Sinne der Kommunen.


(Zuruf von der SPD: Übertreiben Sie mal nicht!)


Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713622600

Das Wort hat Axel Troost für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713622700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Finanzlage in vielen Städten, Landkreisen und Gemein-
den ist nach wie vor katastrophal. Zwar verzeichnen ei-
nige Gemeinden jetzt wieder steigende Gewerbesteuer-
einnahmen, trotzdem kann von einer Entwarnung
überhaupt keine Rede sein. Als Folge explodieren die
Kassenkredite weiter. Das sind die sogenannten Dispo-
kredite der Kommunen, mit denen diese ihre Liquidität
sichern und laufende Ausgaben finanzieren. Wir haben
inzwischen einen Stand von über 40 Milliarden Euro er-
reicht. Das bedeutet eine Verdoppelung gegenüber dem
Jahr 2004.

Angesichts dieser untragbaren Situation hat man von-
seiten der Regierung eine Gemeindefinanzreformkom-
mission eingerichtet. Man wollte Lösungen finden, um
die Gewerbesteuer abzuschaffen. Das ist gnadenlos ge-
scheitert. Die Gemeinden haben sich nicht auf diesen
Weg eingelassen. Damit sind alle Versuche, die Gewer-
besteuer abzuschaffen und sich damit bei großen Unter-
nehmen und Konzernen lieb Kind zu machen, geschei-
tert.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist doch Blödsinn!)


Es ist gut, dass die Gewerbesteuer bleibt und dass da-
mit das jämmerliche Possenspiel dieser Kommission ein
Ende gefunden hat. Ich will aber noch einmal hervorhe-
ben: Die Finanzprobleme der Kommunen sind keines-
wegs gelöst. Deswegen bleiben wir dabei – das wird
auch in unserem Antrag deutlich –: Die Gewerbesteuer
muss zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwi-
ckelt werden, damit die Einnahmen erhöht und stabili-
siert werden können.


(Beifall bei der LINKEN)


Das hilft den Kommunen unmittelbar.

Zudem benötigen die Kommunen mehr vom Steuer-
kuchen insgesamt. Die Lösung kann daher nur sein: Die
Politik der Steuersenkungen muss endlich beendet wer-
den. Hierzu haben wir gestern eine Debatte geführt. Wir
brauchen ein Steuerkonzept, das die Staatsfinanzen
durch Mehreinnahmen nachhaltig stärkt


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Genau! Steuererhöhungen!)


und Reiche und Vermögende als Profiteure mit zur
Kasse bittet.

Kommen wir jetzt konkret zu dem vorliegenden Ge-
setzentwurf, der ganz hochtrabend eine Stärkung der
Finanzkraft der Kommunen verspricht.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Völlig zu Recht!)


Wenn man sich den Inhalt im Einzelnen anschaut, stellt
man fest, dass es sich um eine massive Mogelpackung
handelt. Die Fraktion Die Linke hat die Zusage der Re-
gierung, dass dem Bund bis 2014 die Kosten der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schritt-
weise übertragen werden sollen, zunächst begrüßt. Das
ist eine wichtige Maßnahme, die den Kommunen auf der
Ausgabenseite in der Tat erheblich hilft. Denn die
Grundsicherung ist einer der Ausgabenbereiche, in de-
nen die Kosten am stärksten explodieren; inzwischen
machen sie schon über 10 Prozent der gesamten Sozial-
ausgaben der Kommunen aus. Die Konsequenz daraus
ist – das ist hier nicht so genau thematisiert worden –,
dass immer mehr Menschen infolge von Altersarmut in
die Grundsicherung hineinrutschen. Es ist gut, dass der
Bund die entsprechenden Kosten in Zukunft übernimmt
und damit für eine Teilentlastung der Kommunen sorgt.

Die Lösung ist aber nur halbherzig – das ist hier
schon angesprochen worden –; denn die Frage des Ab-
rechnungsmodus ist völlig offen bzw. unzureichend ge-
löst. Die Erstattung der Kosten richtet sich jeweils nach
den Ausgaben im Vorvorjahr. Dadurch geht den Ländern
und Kommunen viel Geld verloren. Vonseiten des Bun-
desrates, auf Betreiben der Bundesländer Berlin – da-
mals noch von Rot-Rot regiert – und Brandenburg – Rot-





Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)

Rot –, ist deswegen eine Initiative gestartet worden, um
an dieser Stelle eine Veränderung herbeizuführen und
ein zeitnäheres Abrechnungsverfahren zu erreichen. Na-
türlich muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass
die Kommunen wirklich die Gelder erhalten und sie
nicht an den sogenannten klebrigen Fingern der Landes-
finanzminister hängen bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Zweiten – das ist eigentlich das gravierendste
Problem – schafft der Gesetzentwurf die rechtliche
Grundlage für den Kahlschlag in Sachen aktiver Arbeits-
marktpolitik. Besonders schäbig ist, dass die sukzessive
Übernahme der Kosten der Grundsicherung durch drasti-
sche Kürzungen bei der Arbeitsförderung gegenfinan-
ziert wird: In dem Maße, in dem der Bund die Kosten
der Grundsicherung übernimmt, werden der Bundes-
agentur für Arbeit Bundesmittel gestrichen. Bereits im
kommenden Jahr, 2012, werden der Bundesagentur laut
Finanztableau Kürzungen von rund 1,2 Milliarden Euro
zugemutet.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wie viele Arbeitslose haben wir derzeit?)


– Wenn Sie mit Vertretern der Bundesagentur für Arbeit
sprechen, dann sagen sie Ihnen, dass sich die Kosten der
Arbeitsförderung keineswegs proportional zum Rück-
gang der Arbeitslosigkeit senken lassen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Aber er ist doch erheblich!)


Dadurch, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt,
wird die Kostenbelastung pro Kopf immer größer. Die
Mittel für Weiterbildungsmaßnahmen und vieles andere
mehr werden gekürzt. Sie haben die Instrumente der ak-
tiven Arbeitsmarktpolitik völlig zusammengestrichen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt so nicht! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Die Mittel pro Person steigen!)


Der Kuhhandel, der hier praktiziert wurde, wird zu-
mindest von uns sehr stark kritisiert. Noch einmal zur
Erinnerung: Die Gemeindefinanzreformkommission ist
Ende letzten Jahres gescheitert. Zufällig kam es dann zu
der Situation, dass im Vermittlungsausschuss im Zusam-
menhang mit der Hartz-IV-Erhöhung über die Frage ent-
sprechender Regelungen gesprochen wurde.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713622800

Herr Kollege Troost, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Middelberg von der CDU/CSU-Frak-
tion?


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713622900

Ja.


Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1713623000

Lieber Herr Kollege Troost, weil ich Sie besonders

schätze, wage ich es kaum, Sie zu unterbrechen. Ich
möchte Sie aber doch fragen, ob Sie vielleicht zur
Kenntnis nehmen wollen, dass die Zahl der Arbeitslosen
unterdessen erheblich zurückgegangen ist.


(Zuruf von der LINKEN: Offiziell! – Weitere Zurufe von der LINKEN – Bernd Scheelen [SPD]: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen aber nicht! Um die geht es doch!)


– Warten Sie bitte ab. – Ich möchte Sie fragen, ob es zu-
treffend ist, dass die Eingliederungsmittel pro erwerbsfä-
higem Leistungsberechtigten von 715 Euro im Jahr 2005
auf 1 229 Euro im Jahr 2010 und die Leistungen zur Ein-
gliederung in Arbeit pro Arbeitslosem im SGB-II-Be-
zug, Herr Kollege Scheelen, von 1 651 Euro im Jahr
2006 auf 2 783 Euro im Jahr 2010 gestiegen sind,


(Ingrid Remmers [DIE LINKE]: Dann streichen wir sie lieber gleich, oder was?)


also pro eingliederungsfähiger und eingliederungsbe-
dürftiger Person am Arbeitsmarkt mehr Mittel zur Verfü-
gung stehen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713623100

Herr Kollege Troost, lassen Sie gleich noch eine wei-

tere Zwischenfrage zu? Dann können Sie Ihre Redezeit
beträchtlich verlängern.


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713623200

Ja, das können wir gern machen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713623300

Kollegin Mast, bitte.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1713623400

Herr Kollege Troost, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass 2005 die Reformen am Arbeitsmarkt ge-
rade erst angelaufen sind und deshalb der Ansatz im
Haushalt noch nicht voll ausgenutzt worden ist und dass
man, wenn man die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpoli-
tik seriös vergleichen möchte, die Zahlen von 2008 und
nicht von 2005 verwenden muss?


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713623500

Jetzt hat der Kollege die Möglichkeit zur Antwort. –

Herr Middelberg, Sie waren nicht gefragt.


(Heiterkeit)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713623600

Das ist ja beides erst einmal richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Moment, ich bin ja noch nicht fertig. – Aber wenn Sie
die Bundesagentur für Arbeit fragen oder sich Ihre letzte
Veröffentlichung zur Langzeitarbeitslosigkeit und zu den
damit verbundenen Problemen anschauen, dann werden
Sie sehr deutlich feststellen, dass die Mittel für die Ar-
beitsvermittlung dieser Personengruppe deutlich erhöht





Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)

werden müssen, weil die Ausgaben nicht proportional
zur Arbeitslosigkeit zurückgehen werden.

Machen wir uns doch nichts vor! Wir sind jetzt auf
dem Gipfel des Beschäftigungsniveaus angelangt. Wir
gehen doch nicht davon aus, dass sich jetzt noch viel tut,
sondern mit dem nächsten Abschwung geht es wieder in
die Massenarbeitslosigkeit hinein. Das heißt, die Mittel
der Bundesagentur sind noch geringer; und die Maßnah-
men können nicht mehr ermöglicht werden. Das ist das
Problem.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wie kommen Sie darauf?)


Sie bringen zulasten der Ärmsten der Armen, der Lang-
zeitarbeitslosen, die Mittel auf, die Sie anschließend den
Kommunen zur Verfügung stellen. Das ist ein Kuhhan-
del, der mit uns nicht zu machen ist.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)


Deswegen werden wir dieses Gesetz ablehnen, ob-
wohl wir wissen, dass die Übernahme der Kosten für die
Kommunen sehr sinnvoll ist. Aber so einen schäbigen
Kuhhandel zu machen und das eine mit dem anderen zu
koppeln, ist aus unserer Sicht eine nicht zulässige Maß-
nahme, unter der – um das noch einmal zu sagen – letzt-
lich die Ärmsten der Armen, nämlich die Langzeitar-
beitslosen, leiden werden und die dazu führen wird, dass
es keine aktive Arbeitsmarktpolitik mehr geben wird.

Deswegen haben wir einen eigenen Entschließungs-
antrag eingebracht, in dem wir fordern, dass auf der ei-
nen Seite die Grundsicherung übernommen wird und auf
der anderen Seite keine Kürzungen bei der Bundesagen-
tur für Arbeit erfolgen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713623700

Das Wort hat nun Britta Haßelmann für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713623800

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Wir befinden uns jetzt in der Mitte der
Debatte über den Gesetzentwurf zur Stärkung der Fi-
nanzkraft der Kommunen, und ich bin sehr froh, dass
bisher noch niemand aus den Regierungsfraktionen ver-
sucht hat, uns zu erklären, dass das der unglaubliche Er-
folg der Gemeindefinanzkommission ist.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das mache ich gleich noch, keine Sorge!)


Das erleichtert mich ungemein. Bisher reden wir nur in
der Sache über das Gesetz; und das ist auch gut so.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Ist ja auch ein gutes Gesetz!)


Denn die Regierung hat sich in der öffentlichen Dis-
kussion und auch in der Diskussion im Finanzausschuss
mangels Ergebnissen aus der Gemeindefinanzkommis-
sion – den Städten und Gemeinden war ja versprochen
worden, dort über ihre desaströse Finanzlage zu spre-
chen – und mangels Ergebnissen in den Fragen Abschaf-
fung bzw. Änderung der Gewerbesteuer, Standards und
Rechtsetzung wild entschlossen auf die Ergebnisse ge-
stürzt, die man schon im Februar im Vermittlungsaus-
schuss im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebungskompro-
misse erzielt hat, und sie nun auch noch als Erfolg der
Gemeindefinanzkommission verkauft.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: So war es auch!)


Ich glaube, das wird Ihnen in den Städten und Gemein-
den niemand durchgehen lassen; und wir tun das auch
nicht. Deshalb erwähne ich das noch einmal vorweg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie uns lieber beim Gesetz selbst bleiben, und
hören Sie auf mit der Lobhudelei, das sei das tolle Er-
gebnis der Gemeindefinanzkommission.

Jetzt möchte ich etwas zum Gesetz sagen. In der Tat
finde ich es richtig und gut, dass demnächst – das wird
eine Entlastung für die Kommunen sein – die Grund-
sicherung im Alter in drei Schritten vom Bund bezahlt
und finanziert werden soll und wir uns nicht mehr über
die Bundesanteile in unterschiedlichen Höhen streiten
müssen und darüber, ob die Anteile zu niedrig oder zu
hoch sind. Das wird perspektivisch – gerade im Hinblick
auf die steigende Altersarmut und die Tatsache, dass
nicht alle Menschen eine rentenfinanzierte Alterssiche-
rung haben – eine Entlastung für die Kommunen darstel-
len.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Also ein gutes Gesetz!)


Das ist gut so,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


aber der Gesetzentwurf an sich ist schlecht.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Herr Brauksiepe hat die Gelegenheit, sowohl Ihnen,
meine Damen und Herren, die heute Abend zuhören, als
auch uns noch einmal zu erläutern, warum eine Ministe-
rin bzw. ein Ministerium nicht in der Lage ist, innerhalb
von acht Monaten einen Kompromiss, der im Vermitt-
lungsausschuss vereinbart wurde, umzusetzen.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Zeit bekommen sie nie wieder!)


Sie stehen nun unter Erklärungsdruck;


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Wir sind doch die Gesetzgeber! Sie hätten doch einen Gesetzentwurf vorlegen können!)


denn es ist klar, dass Sie sich nicht an die Vereinbarung,
die im Vermittlungsausschuss getroffen wurde, halten
werden. Sie legen keinen Gesetzentwurf vor, der eine
100-prozentige Entlastung bis 2014 vorsieht. Sie tun das





Britta Haßelmann


(A) (C)



(D)(B)

mit der Begründung, dass alles über 50 Prozent eine
Auftragsverwaltung im Bundestag nach sich ziehen
würde.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Genau! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie begreifen es ja!)


– Ja, aber dieses Argument gilt auch noch nächstes und
übernächstes Jahr.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)


Ich frage mich, warum das Ministerium nicht in der
Lage war, zwischen Februar und Oktober – alle, die bei
den Verhandlungen dabei waren, wussten es schon im
Februar – über dieses Problem nachzudenken und es zu
lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier hat man genauso schludrig gehandelt wie bei vielen
anderen Gesetzen im Bereich Arbeitsmarktpolitik: Erst
einmal hat man es eine Weile liegen lassen; dann hat
man gemerkt, dass da ein Problem auftauchen könnte,
und dann hat man es einfach nur für das Jahr 2012 gere-
gelt und offengelassen, was in den Jahren 2013 und 2014
passieren soll. Da kommen Sie nicht heraus.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nein! Wir waren gründlicher und sorgfältiger als Rot-Grün!)


Sie stehen unter Erklärungsdruck, sowohl gegenüber den
Ländern als auch gegenüber den Kommunen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein zweiter Punkt. Sie haben den Kommunen in den
Hartz-IV-Verhandlungen im Vermittlungsausschuss eine
100-prozentige Entlastung zugesagt. Dadurch, dass Sie
sich auf die Zahlen des Vorvorjahres beziehen, kommt es
aber nicht zu einer 100-prozentigen Entlastung. Sie soll-
ten so ehrlich sein und das den Kommunen sagen. Für
die Stadt Bielefeld, aus der ich komme, bedeutet das,
dass ihr durch Ihre Berechnungsmethoden jährlich
2,7 Millionen Euro entzogen werden, und das gilt auch
für andere Städte und Gemeinden.


(Sönke Rix [SPD]: Hört! Hört!)


Nicht umsonst erklärt heute der Deutsche Städtetag, dass
er die Länder auffordert, den Vermittlungsausschuss an-
zurufen. Das ist auch richtig; denn Sie bleiben nicht bei
Ihrer Zusage, den Kommunen 100 Prozent zu erstatten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiterer Fehler im Gesetz ist übrigens die Spitzab-
rechnung.

Mein dritter Punkt. Ich frage die Koalitionsfraktio-
nen: Warum nehmen Sie eigentlich keine gesetzliche
Klarstellung vor, damit deutlich wird, wofür das Geld
vorgesehen ist? Warum regeln Sie das nicht gegenüber
den Ländern? Vorhin haben schon mehrere Kolleginnen
und Kollegen darauf hingewiesen, dass sich die Kom-
munen als letztes Glied in der Kette immer die Frage
stellen, ob sie das, was für sie vorgesehen ist, auch be-
kommen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist Länderverantwortung!)


– Frau Reinemund, Sie sagen, das ist Länderverantwor-
tung. So einfach kann man es sich machen, wenn man
hier in Berlin sitzt und den Bezug zur lokalen Ebene ver-
liert.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Es ist vorgesehen! So steht es im Gesetz!)


Wir wissen, dass wir das gesetzlich regeln können und
auch regeln sollten. Deshalb meine Frage an Sie – die
kann der Staatssekretär gleich beantworten –: Warum se-
hen Sie eine solche Regelung nicht vor?

Ich habe bereits ausgeführt, dass ich es gut finde, dass
wir uns auf eine entsprechende Regelung einigen. In Be-
zug auf den Gesetzentwurf muss man aber insgesamt
feststellen: Sie haben nicht geliefert. Sie bleiben auch
eine Antwort auf die Fragen schuldig, was 2013 und
2014 kommt und wann Sie die Vorhaben umfänglich re-
geln wollen.

Mein letzter Punkt. Sie wissen, dass die Haushalte des
Bundes, der Länder und der Kommunen knapp sind. Wie
können Sie in einer solchen Situation – gerade ange-
sichts der Debatte, die wir gestern im Parlament zur
Euro- und Schuldenkrise geführt haben – auf die Idee
kommen, Steuersenkungen in Höhe von 6 bis 7 Milliar-
den Euro zu versprechen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das gehört in eine Kommunaldebatte, Herr Lehrieder.
Ich weiß, dass eine solche Debatte Ihnen unangenehm
ist. Herr Seehofer, Mitglied der CSU, und Herr
Carstensen, Mitglied der CDU, haben Sie bereits ge-
fragt, ob Sie wissen, was das für die Länder und die
Kommunen bedeutet. Eine solche Steuersenkung, die
Sie in dieser Legislaturperiode jetzt zum 25. Mal ankün-
digen, würde die Länder 3 Milliarden Euro kosten und
für die Kommunen eine Mindereinnahme in Höhe von
900 Millionen Euro bedeuten. Deshalb müssen wir an
dieser Stelle sehr vorsichtig sein.

Aus diesem Grund müssen wir eine solche Forderung
zurückweisen. Die Entlastung von den Kosten für die
Grundsicherung im Alter durch den Bund nützt den
Kommunen gar nichts, wenn Sie sich mit solchen Steu-
ersenkungsplänen in irgendeiner Art und Weise durch-
setzen können. Sie müssen endlich einmal Farbe beken-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Remmers [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713623900

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär

Ralf Brauksiepe.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1713624000


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Fi-
nanzkraft der Kommunen kommen wir hinsichtlich der
Umsetzung der Protokollerklärung des Vermittlungsaus-
schusses vom Februar dieses Jahres ein gutes Stück vo-
ran, insbesondere hinsichtlich der schrittweisen Entlas-
tung der Kommunen. Wir geben den Kommunen damit
ein großes Stück ihrer Souveränität zurück. Durch den
Entzug der finanziellen Grundlagen wurde das Prinzip
der kommunalen Selbstverwaltung jahrelang ausgehöhlt.
Das ändern wir heute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Beim Studium der Rednerliste ist mir aufgefallen,
dass hier kein Vertreter von SPD oder Grünen spricht,
der schon in der 14. Wahlperiode dabei war, als über die
Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Er-
werbsminderung gesprochen wurde.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entschuldigen muss ich mich jetzt nicht dafür!)


Aber es gibt ja zum Glück Protokolle, in denen man
nachlesen kann, was seinerzeit gesagt worden ist. Am
26. Januar 2001 – das war zu D-Mark-Zeiten – wurde
hier über den Gesetzentwurf zur Einführung der Grund-
sicherung im Alter debattiert. Die damalige rot-grüne
Bundesregierung hatte 600 Millionen D-Mark zur Ent-
lastung der Kommunen vorgesehen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu heute!)


Die Kollegin Erika Lotz hat damals gesagt:

Die den Kommunen dadurch entstehenden Kosten

– gemeint waren die grundsicherungsbedingten Mehr-
kosten –

werden vom Bund getragen. Die Kommunen wer-
den also nicht belastet, wie es die CDU/CSU
fälschlicherweise in ihrem Entschließungsantrag
behauptet.

Das Protokoll vermerkt zur Rede der Kollegin:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


600 Millionen D-Mark, das war Ihr schäbiges Ange-
bot. Sie haben behauptet, das sei ausreichend für die
Kommunen. Ich kann verstehen, dass heute keiner redet,
der dafür verantwortlich war. Sie mögen zwar nicht per-
sönlich verantwortlich sein, aber Sie stehen politisch in
der Verantwortung für die Ausplünderung der Kommu-
nen; denn Sie haben das damals auf den Weg gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713624100

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Hiller-Ohm?

D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1713624200


Gerne, Herr Präsident.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und beantworten Sie doch meine Fragen auch noch! Das mit den acht Monaten meine ich!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713624300

Bitte.


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1713624400

Herr Dr. Brauksiepe, können Sie bitte ausführen, wo-

für die 16-prozentige Beteiligung des Bundes an den
Kosten für die Grundsicherung im Alter damals gedacht
war? Ist es richtig, dass dies als Ausgleich dafür vorge-
sehen war, dass die Kommunen nicht länger auf die Fa-
milienangehörigen zurückgreifen konnten? Weil wir
diese Möglichkeit abgeschafft haben, ist die Grundsiche-
rung im Alter ja überhaupt erst geschaffen worden. Kön-
nen Sie das bestätigen? Warum vermitteln Sie hier den
Eindruck, dass die gesamten Kosten für die Grundsiche-
rung durch den Bund hätten übernommen werden sol-
len? Das war damals gar nicht im Gespräch.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Weil Sie es eben nicht gemacht haben! Sie haben die Kosten nicht übernommen!)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1713624500


Frau Kollegin, ich muss Ihnen leider sagen, dass Ihr
wiederholter Hinweis auf die 16-Prozent-Beteiligung be-
legt, dass Sie vollkommen falsch orientiert sind. Sie ha-
ben keine 16-prozentige Beteiligung eingeführt.


(Peter Götz [CDU/CSU]: So ist es! Absolute Zahlen!)


Sie haben eine absolute Summe eingeführt: 600 Millio-
nen D-Mark. Das sind umgerechnet 307 Millionen Euro.
Diese Summe wurde im Vermittlungsausschuss von der
damaligen Opposition in diesem Haus und der Mehrheit
im Bundesrat auf 409 Millionen Euro hochgesetzt. Das
war eine absolute Zahl.


(Peter Götz [CDU/CSU]: So ist es!)


Es ging nicht um 16 Prozent. Ich kann Ihnen sagen, wo-
her die 16 Prozent kommen. Das gehört noch zur Ant-
wort auf Ihre Frage, Frau Kollegin. Wir haben in der
Großen Koalition angefangen, hier aufzuräumen. Wir
haben in der Großen Koalition eine prozentuale Beteili-
gung eingeführt, weil wir gesehen haben, dass die Betei-
ligung des Bundes mit einer festen Summe angesichts
der steigenden Kosten relativ immer mehr abgenommen
hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau so ist es!)






Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) (C)



(D)(B)

In der Großen Koalition sind wir auf eine prozentuale
Beteiligung übergegangen, die wir schrittweise erhöht
haben. Sie sprachen – im Passiv – davon, dass eine Be-
teiligung in Höhe von 16 Prozent eingeführt wurde. Da
sind Sie leider in einem völlig falschen Film.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Gabriele HillerOhm [SPD])


16 Prozent Bundesbeteiligung gäbe es dann, wenn der
jetzt vorliegende Gesetzentwurf durch eine Blockade
nicht in Kraft träte und im nächsten Jahr der Status quo
gelten würde.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! Peinlich!)


In diesem Jahr liegt die Beteiligung bei 15 Prozent;
wenn sich nichts ändern würde, würde diese im nächsten
Jahr auf 16 Prozent steigen. Nicht Sie haben unter Rot-
Grün eine Beteiligung in Höhe von 16 Prozent einge-
führt, sondern die Große Koalition hat eine schrittweise
steigende prozentuale Beteiligung eingeführt, die im
nächsten Jahr auf 16 Prozent steigen würde, wenn nicht
das kommt, was wir wollen. Wir wollen im nächsten
Jahr keine 16 Prozent, sondern 45 Prozent. Das ist der
Unterschied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713624600

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwi-

schenfrage der Kollegin Lühmann?

D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1713624700


Bitte.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte noch auf die Antwort auf meine Frage!)


– Sie kommen auch noch dran, Frau Haßelmann.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1713624800

Herr Dr. Brauksiepe, stimmen Sie mir zu, dass ein

Teil der Menschen, die damals in die Grundsicherung im
Alter kamen, vorher in der Sozialhilfe waren? Stimmen
Sie mir weiterhin zu, dass die zusätzlichen Kosten, die
durch die Menschen, die vorher nicht in Sozialhilfe wa-
ren und in dieses neue Konstrukt gekommen sind, mit
800 Millionen D-Mark richtig eingeschätzt wurden – da-
mals hatte man noch keine Prognosen – und die Mittel
für das Jahr der Einführung ausreichend waren?

D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1713624900


Frau Kollegin, Sie hatten nicht 800 Millionen D-Mark
vorgesehen. Ich sage noch einmal: Das war das Ergebnis
des Vermittlungsausschusses. Sie hatten 600 Millionen
D-Mark vorgesehen. Sie hatten kein Gesetz für die Ein-
führung der Übernahme der Kosten der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung gemacht. Eine Dy-
namisierung der Kostenübernahme war nicht vorgese-
hen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Das haben wir in der Großen Koalition gemacht!)


Im Gegensatz dazu hatten wir in der Großen Koalition
eine prozentuale Beteiligung eingeführt und von vorn-
herein eine Steigerung auf bis zu 16 Prozent vorgesehen.
Sie – ich meine nicht Sie persönlich; Sie waren ja da-
mals offenbar nicht dabei – hatten keine Dynamisierung
vorgesehen. Sie reden ja gleich noch. Sie hatten beim
Gesetz für die Einführung der Grundsicherung im Alter
keine dynamische Kostenübernahme geregelt. Das Ge-
setz war auf Dauer angelegt, und darin war ohne Dyna-
misierungskomponente eine Beteiligung von 600 Millio-
nen D-Mark vorgesehen. Das war viel zu wenig für die
Kommunen. Das haben Sie gemacht. Hier sollte man bei
der historischen Wahrheit bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kirsten Lühmann [SPD]: Was ist mit der Frage?)


Um die Entwicklung weiter aufzuarbeiten, will ich
daran erinnern, dass es Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble war, der in der Gemeindefinanzreformkom-
mission als Erster den Vorschlag eingebracht hat,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


dass der Bund die Kosten der Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung übernimmt. Deswegen ist
diese Kommission nicht gescheitert. Das war die Initia-
tive des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Ich finde, es ist wichtig, dass man sich noch einmal
vor Augen führt, was im Vermittlungsausschuss verein-
bart worden ist. Im Vermittlungsausschuss ist nicht ver-
einbart worden, dass die stufenweise Übernahme der
Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung in diesem Jahr in einem einzigen Gesetzge-
bungsverfahren umzusetzen ist. Das ist im Vermittlungs-
ausschuss nicht vereinbart worden. Deswegen kann eine
solche Vereinbarung gar nicht gebrochen werden. Etwas
anderes ist vereinbart worden; da komme ich zu Herrn
Troost. Im Vermittlungsausschuss ist vereinbart worden,
dass parallel zu der Übernahme der Kosten der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine ent-
sprechende Absenkung der Bundesbeteiligung an den
Kosten der Arbeitsförderung erfolgt. Das ist Ergebnis
des Vermittlungsausschussverfahrens.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Kuhhandel!)


Herr Kollege Troost, Bundestag und Bundesrat sind Ver-
fassungsorgane. Der Vermittlungsausschuss ist in unse-
rer Verfassung für solche Auseinandersetzungen vorge-
sehen. Beim Ergebnis eines demokratisch zustande
gekommenen Vermittlungsverfahrens von einem Kuh-
handel zu sprechen, zeugt von wenig Respekt für die
verfassungsmäßige Ordnung in diesem Land. Das Er-





Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) (C)



(D)(B)

gebnis des Vermittlungsverfahrens hat nichts mit einem
Kuhhandel zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ganz schwach!)


Nun hat sich die Kollegin Hiller-Ohm nicht nur bei
den 16 Prozent vergaloppiert, die es bis heute gar nicht
gibt und die wir auch gar nicht wollen, weil wir für
45 Prozent im nächsten, 75 Prozent im übernächsten und
100 Prozent im darauffolgenden Jahr sind.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Sie müssen zuhören, Herr Kollege!)


Frau Kollegin Hiller-Ohm sagte auch, wir hätten acht
Monate gebraucht, um einen Gesetzentwurf vorzulegen,


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja! Genau!)


und dann sprach sie vom Schweinsgalopp, in dem dieses
Verfahren durchgezogen wird.

Meine Damen und Herren, die Vereinbarungen im
Vermittlungsausschuss wurden am 25. Februar 2011 von
Bundestag und Bundesrat abgeschlossen. Am 20. Juli
2011 hat die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf be-
schlossen, der heute vorliegt. Den Kalender, auf dem
zwischen dem 25. Februar und dem 20. Juli acht Monate
liegen, müssen Sie mir einmal zeigen. Das muss sozialis-
tische Mathematik sein. Für mich sind das keine acht
Monate.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Sie dann bei einem Gesetzentwurf, den die Bun-
desregierung am 20. Juli 2011 beschließt und über den
heute, am 27. Oktober 2011, abschließend beraten wer-
den soll, also bei einem über dreimonatigen Verfahren,
von einem Schweinsgalopp sprechen, sagt das viel über
Ihr parlamentarisches Verständnis aus, meine Damen und
Herren. Für mich ist das kein Schweinsgalopp. Das sage
ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich. Es ist eine richtige
Entscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Von den Kritikpunkten will ich noch einen wesentli-
chen Punkt aufgreifen. Da wird von der Erstattung orien-
tiert an den Vorvorjahren gesprochen. Das ist wahr. Es
ist so vorgesehen, weil wir gar keine anderen statisti-
schen Daten haben. Auf der Basis von Daten, die wir
nicht haben, können wir auch keine Entlastung der Kom-
munen vornehmen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So einfach ist das!)


Das spielt natürlich dann keine Rolle, wenn ich es so
mache wie Rot-Grün und überhaupt nur eine feste
Summe vorsehe, seien es 600 Millionen D-Mark oder
800 Millionen D-Mark. Wenn ich nur eine absolute Zahl
vorsehe und keine Dynamisierung, spielt es keine Rolle,
welche Ausgaben im Vorjahr oder im Vorvorjahr tat-
sächlich angefallen sind.

Erst in der Großen Koalition haben wir die Dynami-
sierung vorgenommen. Erst dann spielte die Bezugs-
größe eine Rolle. Da hatten wir die Daten des Vorvorjah-
res. Danach haben wir uns gerichtet. In der Zeit der
Großen Koalition war das der Sozialdemokratie genug.
Das waren auch die einzigen Daten, die wir hatten.

Sie handeln nach dem Motto: Das Sein bestimmt das
Bewusstsein. In der Regierung war es Ihnen recht; in der
Opposition ist Ihnen das gleiche Verfahren plötzlich un-
recht. Das kann nicht Maßstab des Handelns dieser Bun-
desregierung sein und ist es auch nicht, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir setzen das um, was im Vermittlungsausschuss
vereinbart worden ist. In diesem Jahr setzen wir es in ei-
nem ersten Schritt um. Der nächste Schritt wird mit der
Regelung zur Bundesauftragsverwaltung folgen.

Dies ist ein Sieg für die Kommunen. Damit erhalten die
Kommunen wieder die Handlungsfähigkeit, die sie brau-
chen. 1,2 Milliarden Euro beträgt die Entlastung allein im
nächsten Jahr. Sie haben mit 307 Millionen Euro angefan-
gen. Wir sorgen jetzt dafür, dass die Kommunen endlich
die Ausstattung bekommen, die sie brauchen, um verant-
wortungsvoll handeln zu können.

Dies ist der Sieg für die Kommunen. Das ist das groß-
artige Ergebnis dieser Politik. Dafür bitte ich um Zu-
stimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713625000

Das Wort hat Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1713625100

Herr Präsident! Liebe Herren und Damen! Liebe Kol-

legen, liebe Kolleginnen! 5 Milliarden Euro beträgt das
strukturelle Defizit, das die Kommunen dieses Jahr er-
warten. Ein solches strukturelles Defizit bedeutet, dass
die Kommunen dieses Jahr 5 Milliarden Euro aufneh-
men müssen, um allein ihre gesetzlich vorgeschriebenen
Aufgaben zu erfüllen.

Im nächsten Jahr werden wir sie um zusätzliche
1,2 Milliarden Euro entlasten.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wir!)


Das ist ein wichtiger Schritt und ein guter Schritt.

Die Redner und Rednerinnen der Koalitionsfraktio-
nen tun allerdings so, als hätten sie jetzt ein Allheilmittel
gefunden – eine Art Dukatenesel –, um die Kommunen
von allen Verpflichtungen und Nöten zu befreien. Die
Realität sieht aber ganz anders aus.

Das verdeutlicht schon die Anwendung einer einfa-
chen Grundrechenart. 5 Milliarden Euro Defizit weniger
1,2 Milliarden Euro Bundeszuschüsse macht 3,8 Milliar-
den Euro Kredite.

Diese 3,8 Milliarden Euro, die über Kredite finanziert
werden müssen, sind wahrscheinlich die Luft zum At-
men, die Sie vorhin meinten, Herr Kollege Lehrieder.





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)

Worüber reden wir heute? Herr Brauksiepe, wir reden
auch über die ehemalige Sozialhilfe, für die die Kommu-
nen – auch unter Ihrer Regierung – in keiner Weise ent-
lastet wurden. Sie hatten sie in voller Höhe zu tragen.
Das Gesetz, über das wir heute sprechen, hat zum ersten
Mal die Kommunen bei der – damals noch – Sozialhilfe
entlastet, und zwar jährlich um 800 Millionen D-Mark.
Das muss hier einmal deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da dies nicht mehr ausreicht, behandeln wir heute die
erste Stufe der weiteren Entlastung bei den Kosten der
Grundsicherung im Alter. Das ist aber nur eine erste
Stufe. Die Bundesregierung ignoriert geflissentlich diese
Formulierung. Sie behauptet, sie hätte einen großen
Wurf getan, und verkennt dabei völlig die Realität. Die
Realität ist, dass die Übernahme der Grundsicherung im
Alter weder das Ergebnis noch der Erfolg der Gemeinde-
finanzkommission ist.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gegenteil ist der Fall. Das ist ein Vorhaben, das die
Länder im Vermittlungsausschuss vom Bund erstritten
haben.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Indem Sie etwas Falsches sagen, wird es nicht richtig! – Peter Götz [CDU/CSU]: Ja, ja! Und am Ende hat es die SPD gemacht!)


Der Finanzminister verkennt das völlig. Er geriert sich
hier als Retter der Kommunen. Man könnte meinen, man
habe eine Art Robin Hood der Kommunen vor sich,
wenn man ihn reden hört.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das könnte man allerdings auch von Ihnen sagen!)


Wenn man aber die Verhandlungsführerin der SPD,
Manuela Schwesig, fragt,


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Fragen Sie besser mich! Ich sage Ihnen die Wahrheit!)


dann wird einem sehr schnell klar, dass diese Bundesre-
gierung eher zum Jagen getragen werden musste.


(Beifall bei der SPD – Peter Götz [CDU/ CSU]: Jetzt wird es peinlich!)


Wie sieht die generöse Entlastung aus? Ihr stehen zu-
sätzliche Belastungen durch diverse Gesetzesvorhaben
dieser Regierung in den letzten zwei Jahren gegenüber.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen. Da ist zum
Beispiel das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts-
und Betreuungsrechts; dieses Gesetz bedeutet zum Bei-
spiel für die Stadt Mönchengladbach, dass vier zusätzli-
che Stellen geschaffen werden müssen. Weitere Bei-
spiele sind das heute verabschiedete Kinderschutzgesetz,
der elektronische Aufenthaltstitel, der neue Personalaus-
weis und die Änderungen im Eichwesen – alles nicht ge-
genfinanziert.

(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Zählen Sie doch mal auf, was bei Ihnen alles nicht gegenfinanziert ist!)


Sogar in diesem Gesetzentwurf gibt es Belastungen,
die festgeschrieben sind. Ich zitiere:

Da beabsichtigt ist, dass der Bund ab dem Jahr
2014 die Nettoausgaben … für die Grundsicherung
im Alter … vollständig erstattet, stehen Ländern
und Kommunen dann ausreichend Finanzmittel zur
Verfügung, um dauerhaft auch die … kommunalen
Aufwendungen für Mittagessen und Schulsozialar-
beit selbst finanzieren zu können.


(Caren Marks [SPD]: Interessant!)


Das, meine Herren und Damen, ist doch fast schon zy-
nisch; das muss man so sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es würde mich nicht wundern, wenn der Finanzminister
die geplanten Steuersenkungen gegenüber den Kommu-
nen rechtfertigt, indem er darauf hinweist, dass die Kom-
munen das schon verkraften können, weil sie durch die
Übernahme der Grundsicherung im Alter jetzt genug
Geld bekommen.

Und – ich wiederhole jetzt einige Punkte, die meine
Vorrednerinnen angesprochen haben –: Das Gesetz ist
auch noch schlecht gemacht. Die Hauptkritik, die übri-
gens nicht nur von uns, sondern auch vom Bundesrat
und von den kommunalen Spitzenverbänden geübt wird,
betrifft zwei Punkte. Die Vereinbarung regelt nur das
Jahr 2012. Da ich selbst Kommunalpolitikerin bin, weiß
ich: Wir können keine Doppelhaushalte verabschieden.
Eine seriöse mittelfristige Finanzplanung ist nicht mög-
lich.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Mein Landrat sieht das anders!)


Was die Frage, warum Sie das in acht Monaten nicht ge-
schafft haben, angeht, rate ich Ihnen: Schauen Sie einmal
in den Gesetzentwurf hinein. Was steht da drin? Da steht
drin: Wenn wir die zweite Stufe nicht rechtzeitig schaf-
fen, bleibt es bei einer Übernahme von 45 Prozent. – Wa-
rum haben Sie das denn hineingeschrieben, wenn Sie das
nicht auch machen wollen?


(Bernd Scheelen [SPD]: Ja, genau!)


Außerdem ist dieses Gesetz eine reine Mogelpa-
ckung. Denn es stellt auf die Ausgaben des Vorvorjahres
ab. Ich möchte kurz beleuchten, was das bedeutet.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das wurde doch alles schon erklärt! – Peter Götz [CDU/CSU]: Hätten Sie zugehört, was der Staatssekretär gesagt hat, dann wüssten Sie das!)


Der Betrag für die Grundsicherung im Alter steigt jähr-
lich um etwa 5 Prozent an. Das entspricht einem Volu-
men von über 200 Millionen Euro. Damit zahlen die
Kommunen jedes Jahr 500 Millionen Euro aus eigener
Tasche.





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Die sie später erstattet bekommen!)


Ich möchte das einmal anders ausdrücken.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das, was Sie sagen, wird auch dann nicht besser, wenn Sie es anders ausdrücken!)


Das heißt, für das Jahr 2012 zahlt der Bund den Kommu-
nen nicht die vereinbarten 45 Prozent der Grundsiche-
rung im Alter, sondern nur 42 Prozent.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist aber mehr als 15 Prozent, wie zu Zeiten der SPD!)


Das ist eine Mogelpackung.


(Beifall bei der SPD)


Das könnte man auch das „Kleingedruckte“ dieser Ver-
einbarung nennen; das, was Sie hier machen, ist unlau-
ter.

Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt diesem Gesetz-
entwurf zu. Allerdings hat sie auch einen Entschlie-
ßungsantrag eingebracht. Was in diesem Entschließungs-
antrag steht, hat meine Kollegin Hiller-Ohm schon
dargelegt; ich möchte das nicht wiederholen. Wenn von-
seiten der Bundesregierung wieder die Einlassung
kommt, es sei völlig unnötig, dass wir unsere Bedenken
hier darlegen, sage ich Ihnen aber: Dann dürfte es Ihnen
nicht schwerfallen, den Absichtserklärungen unseres
Entschließungsantrages zuzustimmen. Darauf freue ich
mich.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Das werden Sie nicht erleben!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713625200

Das Wort hat nun Birgit Reinemund für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1713625300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Lühmann, Sie sagten: Wir entlasten die Kommunen
im nächsten Jahr.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Diese Chance hat die SPD verpasst!)


Nicht Sie entlasten die Kommunen. Wir entlasten die
Kommunen. Sie stimmen dem Gesetzentwurf zwar zu,


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Aber nur zähneknirschend!)


wollen aber einen Großteil seiner Regelungen durch Ih-
ren Entschließungsantrag zurücknehmen. Wie ehrlich
sind Sie an dieser Stelle?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nachdem die Opposition bisher hauptsächlich ver-
sucht hat, die technischen Details dieses Gesetzentwur-
fes zu zerpflücken,

(Bernd Scheelen [SPD]: Das ist bei dem Gesetzentwurf ja auch einfach!)


möchte ich auf das Wesentliche zurückkommen. Noch
nie hat eine Bundesregierung die Kommunen finanziell
so nachhaltig entlastet wie diese christlich-liberale Ko-
alition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Das ist weder christlich noch liberal!)


Bis zum Jahr 2014 übernimmt der Bund schrittweise
die kompletten Kosten der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung plus alle künftigen Kostensteige-
rungen plus die Verwaltungskosten für dieses Gesetz.


(Bernd Scheelen [SPD]: Bisher nicht!)


Für meine Heimatstadt Mannheim sind das ab 2014 im-
merhin 20 Millionen Euro pro Jahr plus alle Steigerun-
gen von circa 5 Prozent pro Jahr, die noch folgen. Egal
was Sie gegenrechnen und kleinreden wollen: Das ist
eine Entlastung für Städte und Gemeinden in einer noch
nie dagewesenen Höhe.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das ist richtig so und auch gerechtfertigt, und es war
auch höchste Zeit; denn diese Aufgaben wurden den
Kommunen bereits 2003 von Rot-Grün übertragen –
ohne einen angemessenen finanziellen Ausgleich. Dies
hat sich zu einem der größten Posten in den kommunalen
Haushalten entwickelt. Heute nörgeln Sie hier herum,
aber ehrlich ist das Ganze nicht.

Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs be-
schließen wir nun den ersten Schritt für 2012. Die Rege-
lungen für 2013 und 2014 werden in Kürze folgen. Das
ist zugesichert und wird sicher auch eingehalten.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Dann stimmen Sie unserem Entschließungsantrag doch zu!)


Das kommt gerade den klammen Kommunen mit pro-
blematischen Sozialstrukturen zugute.

Gleichzeitig wurde den Kommunen durch die solide
Wirtschaftspolitik der letzten beiden Jahre ein spürbares
Einnahmeplus beschert, wie es in dieser Höhe noch An-
fang des Jahres kaum zu erwarten war.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das war die Gewerbesteuer, die Sie abschaffen wollten, was wir Gott sei Dank verhindert haben! – Gegenruf des Abg. Peter Götz [CDU/CSU]: Dieser Zwischenruf ist schon oft genug gemacht worden! Er wird dadurch nicht besser!)


Die historisch niedrige Arbeitslosenzahl führt gleichzei-
tig zur Entlastung bei den Sozialkosten. Die Steuerein-
nahmen der Kommunen stiegen in der ersten Jahres-
hälfte um 12,8 Prozent. Einige Kommunen erreichen
bereits dieses Jahr die Rekordeinnahmen des Vorkrisen-
jahres 2008. Gerade die Wachstumsdynamik der Gewer-
besteuer im Aufschwung ist unbestritten und sehr erfreu-
lich.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Sehr schön!)






Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)

Gleichzeitig entstehen jetzt große Sorgen über die
Schwankungsanfälligkeit der Gewerbesteuer bei Kon-
junkturschwankungen.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass
sich die Lage regional und je nach Gemeindetyp weiter-
hin sehr unterschiedlich darstellt.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!)


Viele Kommunen stehen nach wie vor mit dem Rücken
an der Wand. Ganz besonders schlimm ist es in Nord-
rhein-Westfalen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: So ist es! – Bernd Scheelen [SPD]: Nach fünf Jahren SchwarzGelb ist das kein Wunder!)


Der Anteil der Kassenkredite nordrhein-westfälischer
Kommunen an allen an Kommunen vergebenen Kassen-
krediten beläuft sich auf mehr als 50 Prozent; es sind
20 Milliarden Euro. Die Ursachen sollte man vielleicht
einmal analysieren. Sie liegen sicher nicht alleine in der
Bundespolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Frank Schwabe [SPD]: Sondern? Wo denn sonst?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713625400

Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-

gen Schwabe?


Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1713625500

Der Herr Kollege Schwabe? Aber ja, gerne.


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1713625600

Frau Kollegin, da ich aus dem Ruhrgebiet komme

– ich bin Wahlkreisabgeordneter für die Städte Reckling-
hausen, Castrop-Rauxel und Waltrop, die auch von CDU
und FDP regiert werden – und Sie wahrscheinlich diese
Region gemeint haben, würde ich von Ihnen gerne ein-
mal wissen, worin denn die Gründe dafür liegen könn-
ten, dass es den Kommunen im Ruhrgebiet besonders
schlecht geht.


Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1713625700

Ich denke, dass Sie das sicher besser analysieren kön-

nen als ich, da Sie aus NRW kommen.


(Lachen bei der SPD)


Ich möchte auch nicht behaupten, dass es alleine an den
Kommunen liegt. Es liegt sicher auch am Strukturwan-
del im Ruhrpott, aber auch an den Aufgaben des Bundes,
die vor allen Dingen Rot-Grün jahrzehntelang weiterge-
geben hat.


(Anette Kramme [SPD]: Jahrzehnte? – Iris Gleicke [SPD]: Jetzt verstehe ich die Rechnung! Wir haben jetzt die Rechenschwäche ausgemacht!)


– Jetzt verstehen Sie die Rechnung. – Reicht das als Ant-
wort?

(Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP] – Pascal Kober [FDP]: 50 Jahre SPD an der Regierung übersteht kein einziges Land!)


Liebe Kollegen der Opposition, natürlich haben Sie
recht: Die Übernahme der Grundsicherung alleine führt
nicht zur dauerhaften Stabilisierung der kommunalen Fi-
nanzen. Wir brauchen eine umfassende Strukturreform.
Deswegen gab es im letzten Jahr eine Regierungskom-
mission zur Reform der Gemeindefinanzen, und wir alle
bedauern außerordentlich, dass diese ohne Ergebnis aus-
einandergegangen ist. Bund, Länder und kommunale
Spitzenverbände sind zu keiner Einigung gekommen –
weder auf der Einnahmeseite noch auf der Ausgaben-
seite. Die Fronten sind geklärt und vor allen Dingen ver-
härtet.

Mit Ihren Anträgen bieten Sie keine substanziellen
Neuigkeiten. Sie tragen Ihre Forderungen, die ja eben-
falls Inhalt der gescheiterten Regierungskommission wa-
ren, immer und immer wieder hier vor. Dieses Zementie-
ren hat uns bisher aber nicht wirklich weitergebracht.
Zum Ergebnis führt hier nur ein Kompromiss. Wer Kom-
promisse erzielen will, darf seine Forderungen nicht in
Stein meißeln.

Sehen Sie denn irgendwo ein konsensfähiges Modell
abseits der allseits bekannten Extrempositionen, die be-
reits mehrfach vorgetragen und abgelehnt wurden? Wir
sind offen für konstruktive Vorschläge, mit denen die
Chance besteht, alle Beteiligten zusammenzubringen.
Eine Wiederholung der immer gleichen, bereits abge-
lehnten Positionen ist einfach nicht ehrlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Vielleicht hören Sie einmal mit dem Steuersenkungsgerede auf!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713625800

Das Wort hat nun Antje Tillmann für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1713625900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! Liebe Kolleginnen und Kollegen der
SPD, jetzt hat sich Herr Brauksiepe so viel Mühe gege-
ben, Ihnen zu erklären, wie dieses Gesetz historisch zu-
stande gekommen ist. Das hindert Sie, Frau Lühmann,
leider nicht daran, hier die gleichen Unwahrheiten, die
Frau Hiller-Ohm schon erwähnt hat, zu wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Fakt ist, dass unser Finanzminister Schäuble das erste
Mal eine Entlastung der Kommunen bei der Grundsiche-
rung ins Gespräch gebracht hat. Daraus können Sie
schließen, dass diese Idee nicht im Vermittlungsaus-
schuss entstanden ist; denn Herr Schäuble ist gar nicht
Mitglied im Vermittlungsausschuss.


(Bernd Scheelen [SPD]: Er hat sofort Gegenwind aus der Koalition bekommen!)






Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)

Daraus können Sie auch schließen, dass das keine Idee
der SPD war; denn Herr Schäuble ist gar nicht Mitglied der
SPD. Diese Idee ist ganz klar im Rahmen der Gemeinde-
finanzreformkommission aufgegriffen und dann im Ver-
mittlungsverfahren verhandelt worden. Eindeutig ist, dass
es keine Idee der SPD-Länder war und leider auch nicht von
Ihnen stammt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber es ist
schön, wenn Sie heute mitmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Fakt ist auch – das können Sie kleinreden, wie Sie wol-
len –: Das ist das größte Entlastungsprogramm für die
Kommunen: 12 Milliarden Euro allein in den nächsten
Jahren. Sie haben aber völlig recht, das allein löst das Pro-
blem nicht. Das ist auch nicht das einzige Programm. Da-
neben werden für das Bildungsprogramm 1,6 Milliarden
Euro, für die Kinderbetreuung 4 Milliarden Euro und für
die Sprachförderung von Kindern 400 Millionen Euro be-
reitgestellt. Weitere Stichworte sind: Mehrgenerationen-
häuser, KfW-Sanierung, energetische Gebäudesanierung
und Konjunkturprogramme. Ich weiß, dass mein Kollege
Götz Ihnen jedes einzelne Programm gleich vorstellen
wird.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Götz [CDU/CSU]: Keine Drohung!)


Von daher ist das ein kleiner Schritt in die richtige Rich-
tung zur Entlastung der Kommunen.

Mir scheint, dass Sie die Lösung des Problems entwe-
der in Steuererhöhungen sehen – so die Linken, Herr
Kollege Troost – oder in ständigen Neubelastungen des
Bundes. Mir ist nicht ganz klar, woher Sie die Zahlen
nehmen, nach denen der Bund so viel Geld zur Verfü-
gung hat, dass er sowohl die Probleme der Kommunen
als auch die der Länder lösen kann. Nein, das können wir
nicht. Deutlich muss man sagen: Dieses Gesetz ist für
den Bund ein Kraftakt. Diese Finanzierung ist schwierig.
Wir haben sie zugunsten der Kommunen gemeistert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Über die anderen Anträge ist noch gar nicht gespro-
chen worden. Wahrscheinlich war Ihnen selber peinlich,
was in Ihrem Antrag steht. Lieber Kollege Troost, in Ih-
rem anderthalb Jahre alten Antrag, in dem noch steht,
dass der Bund den Kommunen die Finanzierung für die
Grundsicherung überlässt, hätten Sie wenigstens das Da-
tum und diesen Satz verändern sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Der ist mit diesem Datum eingereicht worden! Das ist doch kein aktueller Antrag! Das kann man am Datum sehen!)


Was auch noch in dem Antrag gefordert wird, ist die
Abschaffung der Gewerbesteuerumlage, was wir auch
für die Länder regeln sollen. Das stimmt aber mit unse-
ren demokratischen Grundregeln nicht überein. Diese
Abschaffung können nur die Landesparlamente be-
schließen. Aber Sie erinnern sich mit Sicherheit daran,
weil ich es Ihnen schon mehrfach dargestellt habe, dass
die Gewerbesteuerumlage eingeführt worden ist, weil
die Kommunen festgestellt haben, dass die Einnahmen
aus der Gewerbesteuer sehr schwankungsabhängig sind.
Damals haben wir gesagt: Die Länder bekommen einen
Anteil an der Einkommensteuer und an der Umsatz-
steuer. Dafür wurde im Gegenzug die Gewerbesteuer-
umlage eingeführt.

Die Gewerbesteuerumlage abzuschaffen, hilft den
Kommunen nicht. Wer zahlt denn die höchste Gewerbe-
steuerumlage? Das sind gerade die Kommunen, die sich
nicht über die Gewerbesteuereinnahmen beklagen müs-
sen. Die Kommunen, die finanzielle Probleme haben,
zahlen so gut wie keine Umlage. Deshalb hilft ihnen
auch eine Abschaffung nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zu der immer wieder aufgestellten Forderung in den
immer selben Anträgen – leider auch von den Kollegin-
nen und Kollegen der Grünen –, auf Steuersenkungen zu
verzichten, kann ich nur sagen: Das ist einfach unehr-
lich. Sie hatten leider nicht die Freude, in der Familien-
debatte dabei zu sein. Eine Stunde lang haben wir über
die Forderungen der Kollegen der Linken debattiert; al-
les, was Familien wünschenswert finden, wurde hier ver-
langt, unter anderem auch eine erneute Anhebung der
Hartz-IV-Regelsätze.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht mit einem Wort haben Ihre Kolleginnen und Kol-
legen bei den Reden erwähnt, dass das massive Belas-
tungen für die Kommunen bedeuten würde.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist Ihnen völlig egal, wenn es um Ihre Interessen
geht. Aber in dem Augenblick, in dem wir die Steuer-
zahler, die diese ganzen Sozialleistungen bezahlen, ent-
lasten wollen – Stichwort: „kalte Progression“ – schreien
Sie auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Schauen Sie sich Ihren Antrag zur Familienpolitik noch
einmal an und rechnen Sie nach, was den Kommunen
durch die Forderungen in Ihren Anträge an zusätzlichen
Kosten entstehen würden. Wenn Sie das tun, dann kön-
nen Sie sich ehrlich machen und dann brauchen Sie hier
nicht zu jammern, dass die Kommunen kein Geld haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Können Sie alles in meiner Rede von gestern nachlesen!)


Letzter Punkt: Steuersenkungen lehnen Sie ab. Das
kann ich noch verstehen. Aber Steuererhöhungen, die
Sie immer wieder erwähnen, machen einfach keinen
Sinn.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Doch!)


Die Ausweitung der Gewerbesteuer auf freie Berufe
macht deswegen keinen Sinn, weil Sie dadurch unnötige
Bürokratie forcieren: 1 Million Steuerbescheide, 1 Mil-
lion Gewerbesteuermessbescheide, 1 Million Steuerer-
klärungen und 3 Millionen bürokratische Bescheide, um
was zu erreichen? Nichts. Denn die Gewerbesteuer wird
sowieso auf die Einkommensteuer angerechnet. Das





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)

heißt, Sie erheben nicht einen müden Euro an Steuern
zusätzlich, verursachen aber 3 Millionen Bürokratiebe-
scheide.

Deshalb ist es viel besser, die Kommunen auf dem
Weg zu entlasten, den wir gehen, nämlich ihnen das
Geld über die Finanzierungsübernahme der Grundsiche-
rung direkt zuzuweisen. Dann kommt es auch bei ihnen
an, statt an klebrigen Händen hängen zu bleiben. Wir be-
lasten auch nicht zusätzlich die Bürgerinnen und Bürger.

Sie haben noch die Chance, Ihre Meinung in dem
Punkt zu ändern und den rechten Weg einzuschlagen. Ich
würde mich darüber freuen. Ansonsten machen wir es
aber auch gerne alleine.

Wir stehen an der Seite der Kommunen und freuen
uns über diesen Tag. Damit haben wir die Entlastung
nämlich zu einem erheblichen Teil geschafft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1713626000

Das Wort hat nun Peter Götz für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1713626100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ob es Ihnen
von der Opposition gefällt oder nicht: Mit dem Gesetz
zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen beschlie-
ßen wir heute die größte Entlastung der Städte, Gemein-
den und Kreise seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch wenn Sie es nicht mehr hören wollen, sage ich
es noch einmal: Allein bis 2015 entlastet der Bund die
Kommunen um nahezu 13 Milliarden Euro. Zusammen
mit dem bereits beschlossenen Bildungspaket über-
nimmt der Bund von den Kommunen bis zum Jahr 2020
Kosten in einer Größenordnung von mehr als 50 Milliar-
den Euro.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das Bildungspaket gab es doch vorher gar nicht!)


Dadurch entstehen vor Ort endlich wieder Gestaltungs-
möglichkeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Insofern ist das ganze Genörgel und krampfhafte Suchen
nach Negativem völlig unverständlich, Herr Kollege
Scheelen.

Frau Kollegin Hiller-Ohm, Kommunalpolitiker wis-
sen ganz genau, wem sie die Kostenexplosion in den
vergangenen Jahren vor allem im sozialen Bereich zu
verdanken haben. Noch einmal zur Erinnerung – es
wurde vorhin schon ausgeführt –: 2003 hatte Rot-Grün
die Altersgrundsicherung eingeführt und den Kommu-
nen übertragen, ohne für den notwendigen finanziellen
Ausgleich zu sorgen.

(Bernd Scheelen [SPD]: Das stimmt in Ihrer Rede so wenig wie in denen der anderen!)


Sich jetzt als Retter der Kommunen aufzuspielen, ist ein
dicker Hund.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben mit einer Reihe kommunalfeindlicher Ent-
scheidungen die Grundlagen für die schwierige Haus-
haltslage vieler Städte und Gemeinden gelegt. Seit der
Einführung der Grundsicherung im Alter haben sich die
Kosten verdreifacht. Sie belaufen sich auf derzeit über
4 Milliarden Euro, demografiebedingt mit dynamisch
steigender Tendenz.

Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, wird ein
weiterer kommunalfeindlicher Akt der Schröder-Regie-
rung korrigiert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir erfüllen damit ein Versprechen aus der Koalitions-
vereinbarung, in der es unter anderem heißt – ich zitiere –:

Wir wollen in Deutschland starke Kommunen …
Zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden
werden wir nach Wegen suchen, Entlastungen für
die Kommunen … zu identifizieren.

Wir haben nicht nur gesucht, sondern wir haben in der
Gemeindefinanzkommission auch einvernehmlich mit
allen kommunalen Spitzenverbänden einen sehr guten
Weg gefunden.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das war im Vermittlungsausschuss!)


Zum Thema kommunale Spitzenverbände. Die Vize-
präsidentin des Deutschen Städtetags, Frau Petra Roth,
hat heute für den Deutschen Städtetag erklärt: „Städte
begrüßen Entlastung bei der Grundsicherung – Bundes-
rat muss Bundesmittel in voller Höhe für Kommunen si-
chern“. Das verstehe ich als Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich zitiere weiter, wenn Sie es hören wollen:

Die Zusage des Bundes, schrittweise die Ausgaben
für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung zu übernehmen, ist ein wichtiger Bei-
trag, um die Kommunen wieder handlungsfähiger
zu machen. Auf Dauer wird sich die drückende Last
der kommunalen Sozialausgaben dadurch spürbar
verringern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich erspare Ihnen, weiter zu zitieren.

Lassen Sie mich noch auf einen inhaltlichen Aspekt
eingehen, der mir sehr wichtig ist: Von dem Gesetz pro-
fitieren verstärkt vor allem strukturschwache Kommu-
nen. Das gilt unter anderem für das Ruhrgebiet. Dort, wo
die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist, müssen viele Men-
schen aufgrund ihrer Erwerbsbiografie mit einer niedri-
gen Rente rechnen. Viele sind im Alter auf die Grund-





Peter Götz


(A) (C)



(D)(B)

sicherung angewiesen. Folglich werden die kommunalen
Kassen überproportional belastet. Mit dem heutigen Ge-
setzentwurf schaffen wir somit auch eine überproportio-
nale Entlastung vor allem der besonders finanzschwa-
chen Kommunen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für meinen Heimatlandkreis Rastatt, der gewiss nicht
zu den strukturschwachen Kreisen gehört, bedeutet dies
in konkreten Zahlen eine Kostenerstattung in Höhe von
2,1 Millionen Euro im Jahr 2012, von 4,3 Millionen
Euro im Jahr 2013 und von 6,7 Millionen Euro im Jahr
2014. Wie Sie sehen, Frau Kollegin Lühmann, ist mein
Landrat sehr wohl in der Lage, Kostenerstattungen für
drei Jahre im Voraus zu berechnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der
mir etwas Sorge bereitet – ich habe Verständnis für die
Sorgen der kommunalen Spitzenverbände –, dass näm-
lich die Bundesmittel tatsächlich vor Ort ankommen und
nicht an den klebrigen Fingern von Landesfinanzminis-
tern hängen bleiben


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


oder, wie es sich in meinem Heimatland Baden-
Württemberg bereits abzeichnet, über den kommunalen
Finanzausgleich der Länder wieder abgeschöpft werden.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aha!)


Wir alle – dazu zähle ich nicht nur uns, sondern auch alle
anderen, die in der Politik Verantwortung tragen, auch
die kommunalen Spitzenverbände in den Ländern – soll-
ten in den nächsten Jahren den Landesregierungen sehr
genau auf die Finger schauen. Das gilt für Nordrhein-
Westfalen genauso wie für Rheinland-Pfalz oder Baden-
Württemberg.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Und BadenWürttemberg! Da ist es am nötigsten!)


Zum Abschluss möchte ich das heute zu beschlie-
ßende Gesetz in einen weiteren Zusammenhang stellen.
Deutschlands Wirtschaft ist trotz globaler Krise so stark
gewachsen wie noch nie seit der deutschen Wiederver-
einigung. Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf Rekord-
niveau. Städte, Gemeinden und Landkreise profitieren
von den positiven wirtschaftlichen Daten in vielfältiger
Weise. So steigen ihre Einnahmen bei der Gewerbe-
steuer, aber auch beim Gemeindeanteil an der Einkom-
mensteuer; dazu hat übrigens auch das Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz maßgeblich beigetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ab 2012 wird diese erfreuliche Entwicklung zusätzlich
durch das zu beschließende Gesetz zur Stärkung der Fi-
nanzkraft der Kommunen positiv flankiert.

Wir wissen, dass nur mit starken Kommunen, die sich
im Wettbewerb langfristig behaupten, Wohlstand gesi-
chert werden kann. In diesem Sinne vertrauen wir auf
die Kraft und die Leistungsfähigkeit unserer Gemeinden,
unserer Städte und Kreise.

(Anette Kramme [SPD]: Amen!)


Wir wollen, dass die Menschen vor Ort ihre Heimat wie-
der selbst gestalten können. Dieses Gesetz stärkt die
kommunale Selbstverwaltung. Es ist Teil einer Kommu-
nalentlastung in einer noch nie dagewesenen Größenord-
nung. Deshalb bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713626200

Vielen Dank, Kollege Peter Götz. – Da mir keine wei-

teren Redewünsche vorliegen, schließe ich die Ausspra-
che.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der Finanzkraft der Kommunen. Uns liegen
zwei Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor.1)

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7402,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 17/7141 und 17/7171 anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen
und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt da-
gegen? – Die Linksfraktion. Enthaltungen? – Die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der
Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Die Links-
fraktion. Enthaltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion der Sozialdemo-
kraten auf Drucksache 17/7507. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion der SPD.
Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? –
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/7474. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Gegen-
probe! – Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – So-
zialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12 b: Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 17/7514. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1744 mit dem

1) Anlage 2





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Titel „Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit von
Städten, Gemeinden und Landkreisen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Gegenprobe! – Linksfraktion. Enthaltungen? –
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/7189 mit dem Titel „Gemeinde-
finanzkommission gescheitert – Jetzt finanzschwache
Kommunen – ohne Sozialabbau – nachhaltig aus der
Schuldenspirale befreien“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke. Enthaltungen? – Sozialde-
mokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils

(C-555/07) – Erweiterung des Kündigungs-

schutzes bei unter 25-Jährigen

– Drucksache 17/775 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke,
Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

(§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) – Diskriminie-

rungsfreie Ausgestaltung der Kündigungs-
fristen bei Arbeitsverhältnissen

– Drucksache 17/657 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/7489 –

Beichterstattung:
Abgeordneter Dr. Johann Wadephul

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster in dieser De-
batte hat für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Peter Weiß das Wort. Bitte schön, Kollege Peter Weiß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1713626300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es liegen uns
zwei Gesetzentwürfe von Oppositionsfraktionen vor,
die, kurz gesagt, feststellen wollen, dass das, was der Eu-
ropäische Gerichtshof entschieden hat, rechtens ist. Das
ist eigentlich nichts Besonderes. Um was geht es?

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass
die Nichtberücksichtigung von Zeiten der Betriebszuge-
hörigkeit vor dem 25. Lebensjahr bei der Berechnung
der Kündigungsfristen, wie wir es im Kündigungsrecht
kennen, nicht mehr angewendet werden darf, weil das
angeblich eine Diskriminierung darstelle. Das ist seit
diesem Urteil geltendes Recht, dieses Recht wird ange-
wandt, wir sind an diese Entscheidung gebunden, und an
dieser Entscheidung ist nach allgemeiner Auffassung
nichts zu ändern. Punkt. Damit könnten wir eigentlich
Schluss machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einfach ist die Welt halt nicht! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dann fangen Sie mal an!)


Allerdings möchte ich feststellen: Als damals in den
20er-Jahren – lange ist es her – diese Vorschrift in das
deutsche Arbeitsrecht kam, war es mitnichten Absicht
des Gesetzgebers, auch nicht der damaligen Regierung
– übrigens unter sozialdemokratischer Führung –, ir-
gendjemanden zu diskriminieren. Vielmehr ging es der
damaligen Reichsregierung und dem damaligen Reichs-
tag darum, mögliche Hürden beim Zugang ins Erwerbs-
leben abzubauen. Das war im Prinzip also eine durchaus
löbliche Absicht.

Das Thema ist auch nicht für große Aufregung geeig-
net; denn wenn man sich ausrechnet, was das eigentlich
bedeutet, stellt man fest: Die Kündigungsfristen werden
sich zum Beispiel für jemanden, der schon mit dem
21. Lebensjahr eine Festanstellung angetreten hat, je
nach Beschäftigungsdauer gerade einmal um ein bis
zwei Monate verlängern. Das, was da passiert, ist wahr-
haftig nicht die Welt, und deswegen könnten wir bei die-
sem Thema den Ball eigentlich flachhalten.

Bei aller Einigkeit – die sicher unter allen Bundes-
tagsfraktionen besteht –, dass wir Diskriminierung ab-
bauen wollen, muss ich Ihnen allerdings deutlich sagen,
dass ich mich als Parlamentarier dadurch herausgefor-
dert fühle, dass der Europäische Gerichtshof mit seiner
Entscheidung massiv in unsere innerstaatlichen Kompe-
tenzen, das Arbeitsrecht zu regeln, eingegriffen hat. Ich
finde, das ist das eigentliche Thema, das man diskutieren
muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hier liegt der eigentliche Klärungsbedarf. Gerade
deswegen hielte ich es für falsch, wenn wir als Abgeord-
nete des Deutschen Bundestages die Verteidigung unse-
rer nationalen Gesetzgebungskompetenzen im Arbeits-
recht davon abhängig machen, ob uns eine Entscheidung
des EuGH einmal gefällt oder ein andermal nicht gefällt.
Es wäre deswegen meines Erachtens das vollkommen
falsche Zeichen, auf eine solche Entscheidung des Euro-
päischen Gerichtshofs ohne jede Not reflexhaft gleich
mit einer Gesetzesänderung zu reagieren.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo sind wir denn?)


Ich meine, frei gewählte Abgeordnete des Deutschen
Bundestages müssen nicht über jedes Hölzchen sprin-
gen, das ihnen der EuGH hinhält.





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb gibt es meines Erachtens auch gar keine Not-
wendigkeit, diesem Urteil des Europäischen Gerichts-
hofs, das bei uns jetzt geltendes Recht ist, gleich eine
ausformulierte Gesetzesänderung hinterherzuschieben.
Wenn dies zwingend notwendig wäre, wie von der Op-
position behauptet wird, dann müssten etliche andere
Vorschriften, die es im deutschen Recht gibt und die
ebenfalls nicht mehr zur Anwendung kommen, in einem
Großreinemachen beseitigt werden.


(Anette Kramme [SPD]: Wunderbar!)


Doch dieser mutige Antrag, in einer Fleißarbeit alle Re-
gelungen, die nicht mehr angewendet werden dürfen, mit
einem Schlag zu beseitigen, wird von der Opposition
nicht gestellt. Dass die Opposition diesen Mut nicht hat,
zeigt übrigens, dass sie ihre eigene Argumentation gar
nicht so richtig ernst nimmt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die deut-
schen Arbeitsgerichte, die Fachanwälte für Arbeitsrecht
in Deutschland, die Personalabteilungen in den Unter-
nehmen, die Gewerkschaften und die Betriebsräte, die
ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beraten, sie
alle kennen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs;
sie alle wissen, dass die alte Regelung nicht mehr ange-
wandt werden darf, und deshalb besteht keine Not, jetzt
und sofort die Gesetzgebungsmaschinerie anzuwerfen.
Deswegen werden wir die Gesetzentwürfe der Opposi-
tion konsequenterweise ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713626400

Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Jetzt spricht für

die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Anette Kramme. Bitte schön, Frau Kollegin Anette
Kramme.


(Beifall bei der SPD)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1713626500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Momentan reden alle über Europa. Ich kann
gut nachvollziehen, dass dabei generell ein flaues Gefühl
vorhanden ist. Aber es gibt auch Dinge, die aus Europa
kommen und die mehr als positiv sind. Im Januar 2010
befasste sich der Europäische Gerichtshof mit der Klage
einer jungen Frau. Diese war im Alter von 18 Jahren bei
einem Essener Unternehmen eingestellt und zehn Jahre
später entlassen worden. Dabei ist ihr nur ein Monat
Kündigungsfrist auf der Grundlage einer Regelung des
Bürgerlichen Gesetzbuches zugestanden worden, und
zwar mit dem Argument, es würden nur die Betriebszu-
gehörigkeitszeiten seit dem 25. Lebensjahr berücksich-
tigt. Hätte man dagegen die volle Beschäftigungszeit an-
gerechnet, hätte sie immerhin einen Anspruch auf vier
Monate gehabt.

Die Frau klagte gegen diese Ungleichbehandlung –
und gewann. Der Europäische Gerichtshof stellte fest,
dass § 622 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches
gegen geltendes europäisches Recht verstößt. Der Euro-
päische Gerichtshof hat weiter entschieden, dass die
Norm durch die nationalen Gerichte ab sofort nicht mehr
angewendet werden darf. Der Passus „Bei der Berech-
nung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor
der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers
liegen, nicht berücksichtigt“ widerspricht schlicht und
einfach dem Verbot der Altersdiskriminierung, auch
wenn es in diesem Fall eine Jugenddiskriminierung war.
Dieser Passus ist auch ganz offensichtlich unfair. Glei-
ches soll gleich behandelt werden, und ein Arbeitsjahr
ist ein Arbeitsjahr, egal in welchem Alter es erbracht
worden ist.

Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
war damit auch nicht richtig überraschend. Überra-
schend ist vielmehr, dass Sie, verehrte Damen und Her-
ren von Schwarz-Gelb, es immer noch nicht geschafft
haben, dieses Urteil in deutsches Recht umzusetzen.


(Beifall bei der SPD – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Gar nicht überraschend!)


Wenn ich darüber nachdenke, überrascht mich das doch
nicht; es ist schlichtweg außerordentlich peinlich.

Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, seine Gesetzge-
bung dem Unionsrecht anzupassen und unionswidriges
nationales Recht zu ändern oder zu beseitigen. Von
sämtlichen EU-Neumitgliedern fordern wir das immer
wieder vehement ein, nur auf dem eigenen Hof wird
nicht gekehrt.

Das scheint Ihnen zumindest abstrakt bewusst zu sein.
Noch am Tag der Urteilsverkündung ließ Frau Bundesar-
beitsministerin Ursula von der Leyen durch eine Spre-
cherin verkünden, dass sie eine Gesetzesänderung vor-
bereite; genaue Festlegungen könnten jedoch erst nach
näherer Analyse des Urteils getroffen werden.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist doch klug!)


Am 11. Februar 2010 erklärte Herr Staatssekretär
Brauksiepe in einer schriftlichen Antwort auf eine Frage
meiner geschätzten Kollegin Lösekrug-Möller, das
BMAS bereite eine unionskonforme Änderung des
§ 622 Abs. 2 Satz 2 vor.

Dass Sie innerhalb von fast zwei Jahren noch nicht zu
Potte gekommen sind und es weder schaffen, ein kurzes
Urteil zu analysieren, noch es schaffen, einen einzigen
Satz im Bürgerlichen Gesetzbuch zu streichen, grenzt an
Arbeitsverweigerung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na!)


Dabei ist die Lösung so einfach wie schnell umsetz-
bar. Wir haben sie in unserem Gesetzentwurf dargelegt.
Der kritisierte Satz muss einfach nur aus dem Bürgerli-
chen Gesetzbuch gestrichen werden. Künftig soll bei der
Berechnung von Kündigungsfristen jedes einzelne Ar-
beitsjahr gezählt werden, egal in welchem Lebensalter es
erbracht worden ist.





Anette Kramme


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
ich höre schon Ihre Worte: Wenn der Passus nicht mehr
anwendbar ist, können wir ihn auch im Gesetz stehen
lassen. – Genau so hat es der Herr Weiß von der CDU/
CSU auch formuliert. Nein, das können wir nicht! Wenn
wir einfach sagen: „Der Satz darf nicht mehr angewen-
det werden“, verlagern wir das Risiko für die korrekte
Umsetzung des europäischen Rechts auf die einzelnen
Beschäftigten in unserem Land.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein!)


Die Sachverständige Professor Körner von der Bun-
deswehruni in München hat das in der Anhörung auch
klargemacht. Die Nichtanwendung wird nur relevant,
wenn jemand gegen die Berechnung seiner Kündigungs-
frist klagt; nur dann, sonst nicht. Viele Arbeitnehmer
werden den Weg zum Gericht scheuen und damit
schlechtergestellt sein, als europarechtlich gewollt ist.
Allein schon um der Rechtssicherheit willen ist es des-
halb nötig, eine rechtswidrige Norm aus dem Gesetz he-
rauszunehmen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gibt es Beispiele für Ihre Behauptung? Gibt es ein praktisches Beispiel für Ihre Behauptung?)


Ich kann auch keinen stichhaltigen Grund dafür se-
hen, dass eine Norm, die für europarechtswidrig erkannt
worden ist, im BGB stehen bleiben soll. Aus Nostalgie
soll das ja wohl kaum geschehen. Die Streichung ist
schlicht erforderlich. Der EuGH hat sich eindeutig geäu-
ßert.

Eine andere Frage ist, ob man den § 622 BGB insge-
samt umgestaltet. Das haben Sie, Frau Connemann, in
der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs vertreten.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Überlegungen, den § 622 Abs. 2 Satz 2 europarechtskon-
form anzupassen und etwa eine Verlängerung der Kündi-
gungsfristen generell erst ab Erreichen des 25. Lebens-
jahres vorzusehen, laufen auf eine genauso wenig
europarechtskonforme Lösung hinaus. Am Ende steht
unter dem Strich genau das gleiche Ergebnis: Junge
Menschen werden aufgrund ihres Alters diskriminiert.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann haben Sie meinen Vorschlag nicht verstanden!)


Letztlich geht es bei der Debatte auch nicht um Al-
tersdiskriminierung. Sie von den Regierungsfraktionen
stoßen immer in das gleiche Horn: Kündigungsschutz
behindere die Schaffung neuer Arbeitsplätze und müsse
deshalb, soweit es geht, minimiert werden. – Das konnte
noch nie bewiesen werden.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Hat das jemand von uns gesagt?)


– Herr Weiß, wir hören es von Ihnen doch ständig.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Nicht von Peter! Das kann man nicht sagen!)

Wenn Sie es in Ihrem Redebeitrag vorhin nicht gesagt
haben: Ich bin mir sicher, Frau Connemann wird an die-
ser Stelle noch nachlegen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Deshalb noch einmal: Die Einstellungsbereitschaft
wurde durch erhöhte Flexibilität in der Vergangenheit
noch nie gesteigert. Das wird auch in Zukunft nicht ge-
schehen. Ihre Argumentation beruht auf falschen Annah-
men.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum
Schluss noch einmal auf die Sachverständigenanhörung
zu sprechen kommen. Besonders amüsiert hat mich ein
Beitrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitge-
berverbände. Herr Wolf lehnte die Initiative ab mit der
Begründung, sie sei kein Beitrag, um die Arbeitslosig-
keit zu bekämpfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das mag ja stim-
men. Ich bin mir aber sicher, dass auch die heute eben-
falls anstehende Änderung des deutschen Gräbergeset-
zes nicht zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit beiträgt
und trotzdem die Mehrheit finden wird. Wenn das also
Ihr einziges Argument ist, dann stimmen Sie doch heute
einfach unserem Gesetzentwurf zu.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713626600

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin Anette

Kramme. – Jetzt für die Fraktion der FDP unser Kollege
Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Kolb.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1713626700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin Kramme, ich möchte zunächst auf Ihren
Vorwurf der Arbeitsverweigerung eingehen. Das ist
wirklich unangemessen, weil wir in den letzten Jahren
sehr viel Zeit darauf verwendet haben, Ihre Baustellen
im Hartz-IV-Bereich aufzuräumen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Welche Gesetze haben Sie denn dort gemacht?)


Dies betrifft die Jobcenterreform, die Regelsatzreform
usw. Sie wissen doch, wie uns das alles gebunden hat,
wie viel Zeit die Anhörungen im Ausschuss gekostet ha-
ben usw. Wir haben Sonderschichten gefahren. Wir hät-
ten deshalb ein Lob von Ihnen verdient, aber nicht den
Vorwurf der Arbeitsverweigerung. Das will ich hier sehr
deutlich sagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Sie als Mehrheit im Parlament machen doch keine Gesetze, weil Ihre Ministerin nichts vorlegt!)


– Hören Sie mir doch einmal zu!

Außerdem sagen Sie, die Einstellungsbereitschaft von
Arbeitgebern – das sei Ihre Erfahrung – sei durch er-





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)

höhte Flexibilität nicht gesteigert worden. Da frage ich
mich, wie blind Sie eigentlich sind. Die derzeitigen Rie-
senerfolge am Arbeitsmarkt zeigen sich doch gerade
deshalb, weil mehr Flexibilität geschaffen worden ist.


(Anette Kramme [SPD]: Nicht deswegen!)


Zugegebenermaßen findet neue Beschäftigung auch in
Beschäftigungsformen statt, die Sie zwar im Wesentli-
chen eingeführt haben, mit denen Sie aber heute nichts
mehr zu tun haben wollen. Diese Flexibilität hat aber
nachweislich zu dem hohen Stand an sozialversiche-
rungspflichtiger Beschäftigung geführt, den wir heute
erfreulicherweise feststellen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen ist es falsch, wenn Sie sagen, Flexibilität und
Umfang der Beschäftigung hätten nichts miteinander zu
tun.

Jetzt kommen wir zu dem, was konkret geschehen
kann. Wie Sie sehen auch wir einen gewissen Klarstel-
lungsbedarf hinsichtlich der Entscheidung des Europäi-
schen Gerichtshofs. Allerdings – das ist in der Anhörung
von den Vertretern aller Verbände gesagt worden – be-
steht dieser nicht nur punktuell. Vielmehr gilt es, im
Lichte der Antidiskriminierungsgesetzgebung eine Nor-
menbereinigung im Allgemeinen vorzunehmen. Das
heißt, es gilt, systematisch zu schauen, an welchen ande-
ren Stellen möglicherweise auch Diskriminierungsge-
fahr besteht. Wir sollten also nicht darauf warten, bis ir-
gendwann ein weiteres Urteil vom EuGH kommt,
sondern wir sollten uns selbst an die Arbeit machen. Das
ist auch ein Gebot der Stunde. Das will ich hier sehr
deutlich sagen.


(Anette Kramme [SPD]: Ich bin gespannt auf die Gesetzesinitiative!)


– Darauf dürfen Sie auch gespannt sein.

Das ist etwas, was man nicht im Galopp machen
muss. Da stimme ich dem Kollegen Weiß zu.


(Anette Kramme [SPD]: In Jahren vielleicht!)


– Nein, im Schweinsgalopp, mit der heißen Nadel ge-
strickt und übers Knie gebrochen – hat der Kollege
Hinsken früher immer gesagt –: Das muss nicht sein.

Eine Rechtsklarstellung auf Sicht halte ich sehr wohl
für erforderlich. Wir sollten uns aber ernsthaft Gedanken
darüber machen, wie diese Rechtsklarstellung aussehen
sollte. Die Väter des § 622 Abs. 2 Satz 2 haben eine be-
stimmte Intention gehabt. Es ging um eine Beschäfti-
gungsförderung auch in einer bestimmten Altersklasse.
Gerade wenn es um die Übernahme von Jugendlichen in
ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis geht, mögen solche be-
schäftigungsfördernden Überlegungen bisher auch eine
Rolle gespielt haben.

Deshalb muss man sich die Frage stellen, ob man das
wirklich ersatzlos streicht oder ob man es auf andere
Weise europarechtskonform macht, zum Beispiel durch
späteres Nachholen; auch diese Anregung ist in der An-
hörung gegeben worden. Wenn man sich dieser Aufgabe
so nähert, Frau Kramme, dann tut man das verantwor-
tungsvoll. Das sollten wir tun; denn hohe Beschäfti-
gungsstände fallen uns nicht auf Dauer anstrengungslos
in den Schoß. Vielmehr ist es erforderlich, dass wir stän-
dig und dauerhaft prüfen, mit welchen Maßnahmen Be-
schäftigung gefördert werden kann und welche Maßnah-
men Beschäftigung möglicherweise nicht so voran-
bringen, wie wir uns das wünschen. In diesem Sinne lade
ich Sie zur Mitberatung in der Zukunft – nicht heute;
heute werden wir Ihre Anträge ablehnen – ein.


(Anette Kramme [SPD]: In der nächsten Legislaturperiode?)


Es wäre doch schön, wenn wir irgendwann gemeinsam
sagen könnten: Durch eine EuGH-konforme Neugestal-
tung des § 622 BGB haben wir für noch mehr Beschäfti-
gung in Deutschland gesorgt. Ich fände es schön. Einge-
laden sind Sie. Für heute bedanke ich mich für Ihre
Aufmerksamkeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713626800

Vielen Dank, Kollege Kolb. – Jetzt spricht für die

Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Yvonne Ploetz.
Bitte schön, Frau Kollegin Ploetz.


(Beifall bei der LINKEN)



Yvonne Ploetz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713626900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie lebt meine Generation eigentlich? Bevor ich zum
Thema Kündigungsschutz komme, möchte ich einige
Punkte klarstellen; denn ich glaube, es ist nicht jedem
bekannt, welche Probleme junge Menschen auf dem Ar-
beitsmarkt eigentlich erwarten.

Erstens. Für 38,5 Prozent der Jugendlichen sind Be-
fristungen, Leiharbeit, Niedriglöhne oder Praktikaschlei-
fen ihr tägliches Brot. Jeder und jede Dritte unter 24 Jah-
ren startet mit Leiharbeit ins Berufsleben, hangelt sich
von befristeter Stelle zu befristeter Stelle oder wird mit
Teilzeitjobs abgespeist, von denen man kaum leben
kann.

Zweitens. Diese Jugendlichen gehören zu den Be-
schäftigten, die neben Leiharbeitnehmerinnen und be-
fristet Beschäftigten in Problemzeiten als Erste entlassen
werden.

Drittens. Sie haben nach ihrer Ausbildung enorme
Probleme, von ihrem Betrieb übernommen zu werden.
Nur rund die Hälfte der Auszubildenden wird übernom-
men; die andere Hälfte wandert zum großen Teil in die
Arbeitslosigkeit.

Viertens. Weit mehr als 10 Prozent der Jugendlichen
in Deutschland sind arbeitslos; das ist mehr als in jeder
anderen Altersgruppe.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das stimmt leider nicht, Frau Kollegin! Ich habe eine neue Zahl!)






Yvonne Ploetz


(A) (C)



(D)(B)

Erklären Sie diesen jungen Menschen bitte, wie sie
sich in dieser Situation eine Zukunft aufbauen sollen,
wie sie ihr Leben planen oder gar eine Familie gründen
sollen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Frau Ploetz, Sie müssen die richtigen Zahlen nehmen!)


Das können Sie nicht erklären.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt diese verheerende Ausgangslage endlich anzuge-
hen, halten Sie an Gesetzesvorschriften fest, die jungen
Menschen noch zusätzlich Steine in den Weg legen –
und das, obwohl diese Vorschrift längst gekippt wurde.

Sehen wir uns kurz an, um was es heute geht: Bei der
Berechnung der Kündigungsfristen werden die Beschäf-
tigungszeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
herangezogen. Das gilt für alle die, die 26 Jahre und älter
sind. Hat man das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet,
wird die Beschäftigungszeit nicht angerechnet.

Ich bitte Sie! Junge Menschen sind doch keine Ar-
beitnehmer zweiter Klasse. Gerade am Arbeitsmarkt
brauchen wir Regelungen, die jungen Menschen, wenn
sie ihren Start ins Berufsleben erfolgreich meistern sol-
len, besonderen Schutz geben, statt ihnen Steine in den
Weg zu legen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie bereits erwähnt, hat der Europäische Gerichtshof
diese Diskriminierung aufgrund des Alters zum Glück
gekippt; diese Regelung darf nicht mehr angewendet
werden. Er hat im Januar 2010 entschieden, und Landes-
arbeitsgerichte sind ihm gefolgt. Das ist eine sehr wich-
tige Entscheidung, wie wir finden. Deshalb stimmen wir
den Gesetzesentwürfen von Grünen und SPD sehr gerne
zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Herzlichen Dank. – Leider ist trotz dieser Urteile bis-
lang nichts passiert. Wir reden heute – knapp zwei Jahre
später – immer noch darüber, dass diese Norm gestri-
chen werden muss. Eine solche Verzögerung ist der Pro-
blematik ganz und gar nicht angemessen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist höchste Zeit, dass Sie sich dafür starkmachen,
dass nicht nur die bestehenden Benachteiligungen – wie
die im Kündigungsschutz – angegangen werden, son-
dern dass auch dafür gesorgt wird, dass echte Perspekti-
ven am Arbeitsmarkt geschaffen werden, mit fairen Löh-
nen und sicheren Arbeitsbedingungen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
es kann doch nicht sein, dass immer erst Gerichte Sie
zum Jagen tragen müssen, wenn es um soziale Gerech-
tigkeit oder um Aufhebung von Diskriminierung geht.
Das heißt konsequenterweise: Auf Sie warten – das
wurde bereits angesprochen – noch weitere Aufgaben.
Es gibt nämlich noch mehr Diskriminierungen am Ar-
beitsplatz, zum Beispiel im Bereich der Sozialplanabfin-
dungen oder bei den Urlaubsansprüchen, aber auch bei
der betrieblichen Altersversorgung.

Frau von der Leyen sagt, sie wolle Zukunftschancen
im Blick behalten. „Im Blick behalten“ ist uns viel zu
wenig. Wo bleiben denn Ihr Engagement, Ihre Leiden-
schaft, Ihr Herzblut, wenn es um die Belange junger
Menschen geht?


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie tragen mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik dafür die
Verantwortung, dass aus der derzeitigen Generation Pre-
kär, der Generation Befristet, der Generation Abgehängt
eine Generation wird, die hoffnungsvoll in ihre eigene
Zukunft blicken kann. Ich bitte Sie: Setzen Sie mit der
Streichung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ein erstes ermu-
tigendes Zeichen für diese jungen Menschen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627000

Vielen Dank, Frau Kollegin Ploetz. – Jetzt spricht für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Beate Müller-Gemmeke. Bitte schön, Frau Kollegin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Wir alle wissen: Diskriminierungen
aufgrund des Alters sind inzwischen tabu. Das gilt auch
in der Arbeitswelt, sowohl für ältere Beschäftigte als
auch für junge. Folgerichtig kam der Europäische Ge-
richtshof zu dem Schluss, dass es gegen europäisches
Recht verstößt, wenn junge Beschäftigte kürzere Kündi-
gungsfristen haben als ältere.

Bisher konnte einer 28-Jährigen, die zehn Jahre in ei-
nem Betrieb gearbeitet hat, mit Frist von nur einem Mo-
nat gekündigt werden. Wäre sie älter und hätte später zu
arbeiten angefangen, läge die Kündigungsfrist, Herr
Weiß, eben nicht bei einem oder zwei Monaten, sondern
bei vier Monaten. Möglich wurde dies durch einen einzi-
gen Satz in § 622 BGB. Diesen Satz wollen wir, genauso
wie die SPD, streichen, und zwar ersatzlos.

Seit dem Urteilsspruch des EuGH darf dieser Satz
– das wurde schon gesagt – in Deutschland nicht mehr
angewandt werden. Aber wer weiß das schon? Herr
Weiß, glauben Sie wirklich, dass alle Beschäftigten und
alle kleinen und mittelständischen Betriebe die Recht-
sprechung des EuGH im Detail verfolgen? Wissen der
Handwerker und die Kleinunternehmerin, dass sie eine
falsche Auskunft bekommen, wenn sie einen Blick ins
Gesetzbuch werfen? Wer kommt schon auf die Idee, dass
in einem Gesetz etwas drinsteht, das gar nicht mehr gül-
tig ist? So etwas ist meiner Meinung nach eines Rechts-
staates unwürdig.





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Hier fordern wir klare Rechtssicherheit. Eine Norm, die
seit fast zwei Jahren nicht mehr anzuwenden ist, darf
auch nicht im Gesetz stehen.

Warum wollen Sie diesen Satz eigentlich nicht strei-
chen? Es wurde schon angesprochen, dass man ein biss-
chen beleidigt ist, dass sich hierzu ein europäisches Ge-
richt äußert. Es kann auch sein, dass Sie unseren
Gesetzentwurf ablehnen, weil er eben von uns kommt
– dann könnten Sie aber schnell tätig werden und selber
etwas vorlegen –, oder der Gesetzentwurf den alten Re-
flex ausgelöst hat, dass den Arbeitgebern keine Ver-
schlechterung zugemutet werden kann. In den Debatten
ist schon angeklungen, dass es durchaus Alternativen
gibt: zwei Jahre Vorbeschäftigungszeit für alle, andere
Differenzierungen.

Es wurde auch die damalige Begründung angeführt,
dass junge Menschen leichter einen Job finden als ältere.
Das ist aber die Begründung aus dem Jahr 1926. Die Ar-
beitsrealität ist heute eine andere – immerhin sind seit-
dem 85 Jahre vergangen –: Mangelnde Berufserfahrung
wird zum Hindernis. Auszubildende werden nicht immer
übernommen. Befristete Verträge werden zur Regel. Ne-
ben der Generation Praktikum gibt es längst die Genera-
tion Befristung und Erprobung; Kollegin Ploetz hat es
eben ausgeführt. Viel zu viele Menschen jeglichen Al-
ters kämpfen doch heute damit, dass ihre Arbeitsverhält-
nisse nicht mehr auf Dauer angelegt sind. Unsichere und
prekäre Beschäftigung nehmen zu. Es gibt sechs Monate
Probezeit und Leiharbeit. Phasen der Arbeitslosigkeit
gehören schon fast zu einer normalen Erwerbsbiografie.
Da müssen Sie, die Regierungsfraktionen, sich doch
nicht noch darüber Gedanken machen, die Kündigungs-
fristen zu verändern; da haben wir wahrlich ganz andere
Probleme.

Unser Arbeitsmarkt ist längst flexibel genug. Heute
kann es nicht mehr um weniger Sicherheit gehen; wir
brauchen stattdessen ein Mehr an Sicherheit für die
Menschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da müssen nicht nur Sie endlich anfangen, umzudenken;
auch die Arbeitgeber müssen einsehen, dass es so nicht
weitergehen kann. Arbeitgeber brauchen doch loyale
und engagierte Beschäftigte. Sie brauchen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer, die ihre Fähigkeiten in inno-
vative Richtungen lenken können und so einen Wettbe-
werbsvorteil bringen. Sie brauchen Beschäftigte und
deren Fachkenntnisse, um einen Betrieb am Laufen zu
halten. Mit Blick auf den demografischen Wandel und
auf den Fachkräftemangel sollten Beschäftigte motiviert
werden. Mit längeren Kündigungsfristen wird das wahr-
lich nicht gelingen.

Ich appelliere also an die Regierungsfraktionen: Be-
graben Sie, vor allem die FDP, Ihren alten Reflex, immer
und immer wieder die Arbeitgeber schützen zu müssen.
Unser Gesetzentwurf bietet Ihnen die Möglichkeit, mit
einem ersten kleinen Schritt zu beginnen. Zeigen Sie
endlich etwas Empathie, wo Sie bisher noch keine zei-
gen. Sorgen Sie zugleich für ein gutes Stück Rechtssi-
cherheit in unseren Gesetzbüchern. Überprüfen Sie end-
lich das Arbeitsrecht auf weitere Kollisionen mit
EU-Recht. Geben Sie sich einfach einen Ruck, und stim-
men Sie dem Gesetzentwurf zu.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627100

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Als

nächster Redner spricht unser Kollege Ulrich Lange für
die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Ulrich
Lange.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1713627200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Problemstellung der heutigen Debatte,
das Urteil des EuGH, ist ausreichend beleuchtet. Ich
möchte unterstreichen, dass eine einzelne EuGH-Ent-
scheidung keinen Automatismus in dem Sinne hat, dass
deswegen eine Norm oder der Teil einer Norm oder der
Satz oder Teilsatz einer Norm gestrichen wird. Frau Kol-
legin, Sie scheinen nicht allzu viel davon zu verstehen,
wenn Sie sagen, wir sollen die gesetzliche Regelung
streichen.


(Zuruf von der LINKEN: Sie verstehen anscheinend nichts vom realen Leben!)


Ich möchte doch darauf hinweisen, dass es nicht automa-
tisch zu einer Streichung kommen muss. Dass § 622
Abs. 2 Satz 2 – um das genau zu benennen – auf der
Agenda steht, ist ebenso unstreitig.

Aber, Kollegin Kramme, ich muss Ihnen in einem Punkt
schon widersprechen: Das Ganze ist keine grundsätzliche
Verlagerung eines Risikos zulasten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Falsche Kündigungsfristen müssen
durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grund-
sätzlich angegriffen werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wissen das aber nicht!)


Wenn sie das binnen der bekannten Drei-Wochen-Frist
nicht tun, dann gilt die Kündigung auch mit der falschen
Frist. Insoweit ist diese Argumentation, glaube ich, nicht
schlüssig.

Auch die Tatsache, dass eine Norm oder der Teilsatz
einer Norm über mehrere Monate im Gesetz steht und
keine Anwendung findet, ist nicht gerade etwas Außer-
gewöhnliches. Kollege Lehrieder und ich haben uns ge-
rade an einen Spruch aus dem Studium erinnert. – Soll
ich ihn wirklich bringen?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627300

Überlegen Sie bitte, ob Sie ihn wirklich bringen soll-

ten.


(Heiterkeit – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt muss er!)







(A) (C)



(D)(B)


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1713627400

Gut: Klagt die Maid aus dreizehnhundert, schaut der

Knabe ganz verwundert. – Für diejenigen, die es nicht
wissen: Es geht hier ums Kranzgeld.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Ich glaube, der Präsident hatte recht!)


Kommen wir aber zum Ernst der Debatte zurück. Al-
len Fachkundigen ist natürlich längst klar, dass § 622
Abs. 2 Satz 2 BGB keine Anwendung mehr findet. Aber
ich glaube, wir dürfen uns durchaus Professor Thüsing
anschließen, indem wir feststellen, dass die bloße Strei-
chung fantasielos wäre.

Insgesamt gesehen, muss man das Problem natürlich
vielschichtiger betrachten. Es besteht letztlich ein Bin-
nenkonflikt innerhalb eines Diskriminierungsverbotes;
denn über eines sind wir uns wohl einig: Schutz älterer
Arbeitnehmer ja, aber nur soweit nötig und zulässig. Wir
sind uns sicherlich auch darin einig, dass Differenzierun-
gen per se nicht europarechtswidrig sind. Ich möchte in
diesem Zusammenhang nur an die Themenkomplexe So-
zialauswahl, Urlaubsregelungen oder tarifliche Verein-
barungen erinnern. So einfach, wie Sie es hier darstellen
– einfach ein bisschen streichen, und dann ist das Pro-
blem gelöst –, ist das Ganze natürlich nicht.

Kollege Weiß hat schon daran erinnert, woher diese
Norm kommt. Sie stammt aus dem Jahr 1926 und ist na-
türlich vor einem anderen Hintergrund entstanden. Das
heißt aber nicht, dass wir als nationaler Gesetzgeber des-
wegen keine Möglichkeiten hätten, in die Beschäfti-
gungspolitik, in den Arbeitsmarkt und in die berufliche
Bildung einzugreifen.

Ich will die grundsätzliche Kritik am EuGH aus der
ersten Debatte nicht vollumfänglich wiederholen. Aber
ich möchte in Richtung EuGH schon kritisch sagen: Die
Einmischung in primärrechtliche und privatrechtliche
Grundsätze bzw. der grundsätzliche Vorrang von Unions-
recht gegenüber primärrechtlichen und privatrechtlichen
Grundsätzen können von uns als nationalem Gesetzgeber
in dieser Form nicht immer widerspruchslos hingenom-
men werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich fordere den EuGH auch im Hinblick auf die europa-
politische Debatte, die wir in Bezug auf andere Punkte
und auf die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts insbesondere zum Rettungsschirm geführt haben,
auf, zu bedenken, dass man als Hüter der nationalen Ge-
setzgebung mitgliedstaatliche Abwehrreflexe hervorruft,
wenn man meint, in jeder Phase über den EuGH in die
nationalen Belange des Arbeitsmarktes eingreifen zu
können.

Ich fasse zusammen: Der Themenkomplex ist diffe-
renzierter und komplizierter, als der Antrag der Opposi-
tion glauben machen möchte. Ich kann Sie nur auffor-
dern: Seien Sie gemeinsam mit uns fantasievoller. Wir
brauchen eine europarechtskonforme Regelung, die dif-
ferenziert und den Schutz von Beschäftigungszeiten und
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die auf-
grund ihres Alters längere Zeit brauchen, um sich auf
dem Arbeitsmarkt neu zu orientieren, gewährleistet. Wir
müssen beiden Seiten gerecht werden.

Liebe Kollegin Ploetz von den Linken, einfach zu sa-
gen: Gebt den Jugendlichen eine Chance, ist zu wenig.
Wir haben Verantwortung für alle Generationen und
nicht nur für eine.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In diesem Sinne handeln wir nicht nach dem Motto
„Hier streichen wir was, und dann ist alles erledigt“.


(Yvonne Ploetz [DIE LINKE]: In dem Fall schon!)


Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627500

Vielen Dank, Kollege Lange. – Jetzt spricht für die

Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte
schön, Kollege Kober.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1713627600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So

einfach ist es nicht: Wenn man über Fragen des Kündi-
gungsschutzes spricht, dann sind die verschiedenen Inte-
ressen der Partner abzuwägen. Frau Kollegin Müller-
Gemmeke, es geht nicht, dass wir nur eine Perspektive
einnehmen. Natürlich geht es beim Kündigungsschutz
darum, die berechtigten Befürchtungen der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer ernst zu nehmen. Die Be-
fürchtungen sind berechtigt. Aber wir dürfen nicht ver-
gessen, warum der Paragraf, über den wir heute
sprechen, vor vielen Jahren eingeführt worden ist. Er ist
eingeführt worden, um Jugendarbeitslosigkeit zu verhin-
dern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)


Insofern müssen wir, wenn wir über Fragen des Kündi-
gungsschutzes sprechen, berücksichtigen, dass ein ver-
änderter Kündigungsschutz Auswirkungen auf die Ar-
beitslosigkeit haben kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir ins europäische Ausland schauen, dann se-
hen wir, dass es in unseren Nachbarländern eine viel hö-
here Jugendarbeitslosigkeit gibt, als es in Deutschland
glücklicherweise der Fall ist. Experten bestätigen immer
wieder, dass die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa
auch mit einem relativ hohen Niveau beim Kündigungs-
schutz zusammenhängen kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wohl wahr!)


Insofern sollten wir es uns nicht so einfach machen.
Vielmehr sollten wir uns mit den anstehenden Fragen
klug und im Detail befassen. Wir sollten uns die Zeit





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)

nehmen, lange darüber nachzudenken, damit wir keine
voreiligen Entscheidungen treffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wie lange denn noch? Wie lange dauert es, bis sich etwas ändert?)


Die Proteste der Jugendlichen in Europa haben ge-
zeigt: In manchen Ländern ist die Situation dramatisch. In
Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit glücklicher-
weise nur bei 9,1 Prozent. Damit haben wir die drittnied-
rigste Jugendarbeitslosigkeit innerhalb der Europäischen
Union. Noch 2005, als Sie von den Grünen die Regie-
rungsbeteiligung abgegeben haben, lag die Jugendar-
beitslosigkeit in Deutschland bei 15,5 Prozent. In den
letzten Jahren ist viel geschehen, in den letzten beiden
Jahren, seit die christlich-liberale Koalition verantwor-
tungsvoll regiert, noch viel mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Kollegen vor mir haben es bestätigt: Wir werden
uns die Zeit nehmen, über die Bereiche Kündigungs-
schutz, Jugendarbeitslosigkeit und die Umsetzung einer
vielleicht völlig neuen Richtlinie nachzudenken. Wir bit-
ten Sie, sich konstruktiv daran zu beteiligen. Einen
Schnellschuss, wie Sie ihn heute Abend präsentieren,
brauchen wir nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627700

Vielen Dank, Kollege Pascal Kober. – Jetzt spricht für

die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Gitta
Connemann. Bitte schön, Frau Kollegin Connemann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1713627800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mutlos

und fantasielos, das sind nur zwei Urteile von Sachver-
ständigen über die vorliegenden Gesetzentwürfe. Das
Gros der Experten kam in unserer Anhörung zu dem Er-
gebnis: Die Gesetzentwürfe von Rot und Grün


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Taugen nichts!)


sind nicht die richtige Antwort auf die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nach dieser Entscheidung verstößt § 622 Abs. 2 Satz 2
Bürgerliches Gesetzbuch gegen Europarecht.

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob Ihnen, liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Rängen, diese Vor-
schrift überhaupt etwas sagt. Ich gehe davon aus, dass
sie Ihnen nichts sagt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wollen jetzt keinen Dialog mit den Zuhörern!)


Wie sollte sie auch?

Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713627900

Ich werde es trotzdem nicht abfragen, Frau Kollegin.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Anette Kramme [SPD]: Dafür ist Panorama zuständig!)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1713628000

Zur Erklärung: In Deutschland gilt der Grundsatz: Je

länger ein Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt ist,
desto länger ist die Kündigungsfrist, die der Arbeitgeber
beachten muss. Die Vorschrift, um die es heute geht, be-
sagt: Bei Berechnung der Beschäftigungsdauer müssen
Zeiten, die vor dem 25. Lebensjahr des Arbeitnehmers
liegen, nicht berücksichtigt werden.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: So, als hätte man nie gearbeitet!)


Diese Regelung ist laut EuGH altersdiskriminierend. Sie
darf nicht mehr angewendet werden. Deswegen fordern
jetzt SPD und Grüne die ersatzlose Streichung der Vor-
schrift.


(Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Genau!)


Wir haben darüber bereits einmal debattiert. In dieser
Debatte haben Sie, meine Damen und Herren von der
Opposition, suggeriert, dass die Streichung die einzige
rechtlich mögliche und denkbare Reaktion ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist falsch!)


Weit gefehlt! Ich zitiere aus der Anhörung, die leider
wieder einmal nur wenige von den Oppositionsfraktio-
nen besucht haben: Man sollte hier nicht den Eindruck
erwecken, dass die EuGH-Entscheidung eine Automatik
bedeute und alles andere als eine ersatzlose Streichung
europarechtswidrig wäre. So mahnte der Vertreter des
Deutschen Anwaltvereins Sie, die Sie diese Gesetzent-
würfe eingebracht haben.

Der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeits-
gerichtsbarkeit stellte fest, die Vorschrift solle neu ge-
fasst werden. Dies könne auf unterschiedliche Weise er-
folgen. Ich zitiere: Es ist möglich, den Paragrafen zu
streichen. Es ist aber auch möglich, eine Neuregelung
der Kündigungsfristen insgesamt zu fassen, sodass sie
nicht mehr eine Abhängigkeit vom Lebensalter darstel-
len.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber auch gesagt, dass etwas getan werden muss!)


Wir als Gesetzgeber können also ein vollkommen neues
Fristenregime vorsehen. Wir können auch nichts tun.
Halten wir fest: Es gibt mehrere rechtliche Alternativen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Darüber müssen wir jetzt politisch entscheiden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gesagt: Wir müssen politisch entscheiden!)






Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

Es kommt zu einer Interessenabwägung, die der Kol-
lege Kober gerade dargestellt hat. Auf der einen Seite
haben wir Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch
auf Rechtssicherheit haben. Natürlich wissen die Ar-
beitsgerichte, dass diese Vorschrift unwirksam ist. Das
wissen auch die Rechtsabteilungen in den großen Unter-
nehmen. Daher wenden sie diese Vorschrift nicht mehr
an. Hier geht es aber Gott sei Dank nicht nur um Juristen
– das sage ich als Juristin –,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Als Nichtjurist muss ich da klatschen!)


sondern es geht auch um den Handwerker und die Ein-
zelhändlerin im Geschäft um die Ecke. Sie schließen Ar-
beitsverträge im Vertrauen auf diese Vorschrift und wer-
den fehlgeleitet. Darüber müssen wir natürlich sprechen,
und das tun wir.

Mit einer ersatzlosen Streichung der Vorschrift ist es
aber mit Sicherheit nicht getan.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn nicht? Natürlich geht das!)


Das wäre reine Gesetzeskosmetik. Die Arbeit des Ge-
setzgebers, des klugen Gesetzgebers beginnt mit der
Überlegung, wie wir den Grundgedanken dieser Rege-
lung europarechtskonform neu fassen können.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss einmal überlegen, ob der Grundgedanke heute noch richtig ist!)


Ich erinnere daran, warum diese Vorschrift ursprüng-
lich eingeführt wurde. Sie wurde eingeführt, um jünge-
ren Arbeitnehmern den Einstieg ins Berufsleben zu er-
leichtern.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! Zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeitsquote in Europa! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist 85 Jahre her!)


Dieses Ziel ist in Deutschland erreicht worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Frau Ploetz, ich muss Sie fragen, ob Sie sich über
Zahlen informieren.


(Yvonne Ploetz [DIE LINKE]: Selbstverständlich!)


Den Eindruck hatte ich nicht. Wenn Sie sich über die
Zahlen informiert hätten, dann wüssten Sie, dass das
Bild, das Sie vom deutschen Arbeitsmarkt gezeichnet
haben, ein Zerrbild ist, dann wüssten Sie, dass Deutsch-
land die drittniedrigste Jugendarbeitslosigkeitsquote in
ganz Europa hat. Die Abstände sind erheblich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Ploetz, kennen Sie wirklich die aktuellen Zahlen
von August 2011? In Spanien sind 46,2 Prozent der Ju-
gendlichen arbeitslos.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unglaublich!)


In Litauen sind es 33 Prozent, in der Slowakei 31 Pro-
zent


(Iris Gleicke [SPD]: Ist das jetzt unsere Vergleichsbasis?)


und in Großbritannien 20,9 Prozent. Dagegen haben wir
hier in Deutschland 8,9 Prozent. Das ist großartig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Ploetz, ich möchte Sie bitten, das zu akzeptieren.
Lesen Sie die Zahlen! Dann müssen Sie nicht länger dis-
kutieren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie übertreffen sich heute selbst, Frau Connemann! – Zurufe von der LINKEN)


Die bloße Streichung der Vorschrift, um die es geht,
würde gerade die Unternehmen treffen, die sich bei der
Ausbildung junger Menschen besonders engagieren. Be-
triebe, die selbst ausbilden und die die Auszubildenden
im Anschluss weiterbeschäftigen, wären im Wettbewerb
viel schlechtergestellt als die Unternehmen, die selber
wenig oder gar nicht ausbilden und stattdessen ausgebil-
dete Fachkräfte einstellen; denn die Betriebe, die inten-
siv ausbilden, hätten wesentlich längere Kündigungsfris-
ten zu beachten. Das ist absurd.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann doch niemand wollen!)


Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Entweder würde
die Ausbildungsbereitschaft sinken oder die Übernahme-
bereitschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wollen Sie das wirklich? Ich sage: Wir wollen es nicht.
Deshalb werden wir etwas tun, das Sie leider nicht getan
haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nachdenken! Nachdenken! Und noch einmal nachdenken!)


Wir werden uns mit allen Interessen beschäftigen und zu
einer ausgewogenen Lösung kommen, die eines nicht
zur Folge haben wird: Arbeitslosigkeit in Deutschland
steigern. Dafür sind wir nicht zu haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713628100

Vielen Dank, Frau Kollegin Gitta Connemann. – Auf

meiner Liste findet sich kein weiterer Rednerwunsch.
Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der Sozialdemokraten zur Umsetzung des
Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Erweiterung
des Kündigungsschutzes bei unter 25-Jährigen. Der Aus-
schuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7489,
den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache
17/775 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die
Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? –
Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB) – Diskriminie-
rungsfreie Ausgestaltung der Kündigungsfristen bei
Arbeitsverhältnissen. Der Ausschuss für Arbeit und So-
ziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/7489, den Gesetzentwurf der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/657
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Sozialdemokraten
und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Auch
hier entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesverfassungsschutz-
gesetzes

– Drucksachen 17/6925, 17/7172 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/7513 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Dieter Wiefelspütz
Gisela Piltz
Jan Korte
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktion der SPD

Evaluierung befristeter Sicherheitsgesetze

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kri-
terien einheitlich regeln, Unabhängigkeit
wahren

– Drucksachen 17/5483, 17/3687, 17/7513 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Dieter Wiefelspütz
Gisela Piltz
Jan Korte
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Sie
sind damit einverstanden. Sie sind auch einverstanden,
dass ich die Namen der Rednerinnen und Redner nicht
verlese?1) – Gut.

Tagesordnungspunkt 14 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfas-
sungsschutzgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/7513, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 17/6925 und 17/7172 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen
CDU/CSU und FDP, also Koalition, und Sozialdemokra-
ten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und
Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemo-
kraten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen
und Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz-
entwurf ist angenommen.

Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussemp-
fehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/7513
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/5483 mit dem Titel „Evaluierung be-
fristeter Sicherheitsgesetze“ für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und
Linksfraktion, also alle einstimmig. Vorsichtshalber
frage ich noch nach Gegenstimmen. – Keine. Stimment-
haltungen? – Auch keine. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/3687 mit dem Titel „Evaluierung
von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln,
Unabhängigkeit wahren“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen und Links-
fraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard

1) Anlage 3





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs-
politik (GSVP) weiterentwickeln und mitge-
stalten
– Drucksache 17/7360 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Sie sind alle damit einverstanden. Die Namen der Red-
nerinnen und Redner liegen uns vor.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7360 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Novellierung des Finanzanlagenvermitt-
ler- und Vermögensanlagenrechts
– Drucksache 17/6051 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/7453 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Sieling
Frank Schäffler
Dr. Barbara Höll
Dr. Gerhard Schick

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD, der Fraktion Die Linke sowie der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-
spruch erhebt sich nicht. Dann ist es so beschlossen.

Der erste Redner in unserer Debatte ist für die Frak-
tion der CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach.
Bitte schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1713628200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

unserem Koalitionsvertrag haben wir versprochen, dass
es nach den Krisen keinen Akteur, kein Produkt und kei-
nen Vermittler mehr im deutschen Finanzmarkt geben
darf, das bzw. der nicht reguliert wird. Dieses Verspre-

1) Anlage 4
chen haben wir eingehalten. Schon nach zwei Jahren set-
zen wir es heute mit diesem Gesetz um.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die erste Krise war
eine Bankenkrise. Die jetzige Krise ist eine Staatsschul-
denkrise.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist es!)


Es wird aber nie darüber gesprochen, wer in den Krisen
persönlich über Zertifikate betroffen war.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich haben wir über die Zertifikate gesprochen, nur Sie nicht!)


Wer heute Griechenland-Anleihen hat, wird einen gro-
ßen Teil seines Vermögens verlieren. Wir haben deutlich
gemacht: Wir wollen alle Produkte, die es im Finanz-
markt gibt, aus Sicht des Verbrauchers regulieren. Wir
wollen den Verbraucherschutz im Finanzmarkt deutlich
stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb wollen wir heute das Gesetzgebungsverfahren
zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Ver-
mögensanlagenrechts in zweiter und dritter Lesung ab-
schließen.

Es geht hier um die Regulierung von Vermögensanla-
gen, aber auch um Vermittlerregulierung. Wir werden
zum ersten Mal einige Bereiche aus dem nicht regulier-
ten Markt bzw. dem Graumarkt herausholen und einer
umfassenden Aufsicht unterwerfen. Hier geht es um
zwei Bereiche, um eine Produktregulierung und um An-
forderungen an den Vertrieb. Das ist ein Quantensprung
gegenüber der bisherigen Situation und gegenüber dem,
was in elf Jahren von einem SPD-geführten Finanz-
ministerium geleistet worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal auf
die inhaltlichen Schwerpunkte einzugehen. Vermögens-
anlagen, vor allen Dingen in geschlossenen Fonds, wer-
den jetzt als sogenannte Finanzinstrumente definiert und
unterfallen deshalb der Aufsicht der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht.

Das heißt, diese Produkte werden jetzt stärker kon-
trolliert. Entsprechende Verkaufsprospekte müssen er-
stellt werden. Diese Prospekte werden auf Vollständig-
keit und Widerspruchsfreiheit geprüft. Hinzu kommen
sogenannte Kurzinformationsblätter. Das sind gewisser-
maßen Beipackzettel, die dem Anleger ein neues Maß an
Transparenz und Information, das wir im deutschen
Markt bisher nicht kennen, bieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch bei der Vertriebsregulierung wird signifikant
angezogen. Alle freien Vermittler werden heute beauf-
sichtigt. Es geht in allen Bereichen darum, dass in Zu-
kunft nur derjenige am Markt tätig werden kann, der re-
gistriert ist, eine Qualifikation nachweisen kann, eine
Berufshaftpflichtversicherung hat und seine Gespräche





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

dokumentiert und protokolliert. Das ist wirklicher
Schutz des Anlegers und Verbrauchers.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden gleich im Anschluss die Oppositionsred-
ner hören, die natürlich darauf hinweisen werden, dass
die Regierungsparteien alles falsch gemacht haben. Gut,
das haben wir nach den Gesprächen, die wir geführt ha-
ben, erwartet.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen ja gar nicht, dass Sie alles falsch machen! Nur das Entscheidende!)


Aber: Wir erleben zum ersten Mal eine Regulierung des
Vertriebs, und zwar für Produkte, die einer eigenen Auf-
sicht unterliegen. Das heißt, wir regulieren den Vertrieb
über Produkte, die selbst kontrolliert werden.

Hier wird uns der große Vorwurf gemacht, wir hätten
die Vermittler nicht der zentralen Aufsicht durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht unter-
worfen. Das kann man selbstverständlich so sehen. Aber
es ist falsch. Wir gehen den richtigen Weg – wir sind ihn
auch im Hinblick auf die Versicherungsvermittlerord-
nung gegangen –: den Weg über die Gewerbeordnung.
Sonst hätten wir folgende Situation: Vermittler, die mit
Versicherungen, Investments, Immobilien oder geschlos-
senen Fonds zu tun haben, müssten jeweils einer unter-
schiedlichen Aufsicht unterliegen. Das wollten wir nicht.
Wir wollten keine Zersplitterung der Aufsicht, sondern
eine Zusammenfassung der Aufsicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihr Minister wollte erst etwas anderes!)


Nun zu dem Besonderen im Hinblick auf die Opposi-
tion. Wir haben eine Expertenanhörung durchgeführt.
Die erste Frage ging an die Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht. Sie lautete: Sehen Sie sich in der
Lage, die Aufsicht über 80 000 Vermittler zu überneh-
men? Die Antwort war:


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein!)


Nein, wir sehen uns dazu nicht in der Lage. – Die Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist nämlich
eine Institutsaufsicht. Sie ist keine Individualaufsicht,
sondern eine Institutsaufsicht für Versicherungsunter-
nehmen, Banken und größere Institute. Deswegen sind
wir diesen Weg gegangen. Das ist genau der richtige
Weg.

Es wird auch kritisiert, die Aufsicht zwischen den
verschiedenen Gewerbeämtern und zwischen den Indus-
trie- und Handelskammern würde nicht funktionieren.
Es gibt inzwischen ein bundesweit einheitliches Quali-
tätsniveau bei der Aufsicht, und zwar aufgrund von sehr
umfangreichen Musterverwaltungsvorschriften, es gibt
den sogenannten Bund-Länder-Ausschuss, und es findet
ein Informationsaustausch zwischen der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht und den Gewerbe-
ämtern statt. Gerade dieser Informationsaustausch ist
entscheidend. Deswegen haben wir uns im parlamentari-
schen Verfahren für diesen Weg entschieden.

Für uns ist wichtig: Wir können den Finanzmarkt
nicht regulieren, indem wir nur an die Aufsicht glauben.
Ein System darf nicht vom Urteil und von der Weisheit
der Aufsicht abhängen. Wir müssen uns an der Praxis
orientieren und uns fragen: Wie sieht die Praxis aus, was
ist für den Vermittler richtig, und was ist vor allen Din-
gen für den Verbraucher wichtig? Das haben wir mit die-
sem Gesetzentwurf gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein zweiter Aspekt ist von der Opposition sehr heftig
kritisiert worden, nämlich die sogenannte Alte-Hasen-
Regelung, die wir auch im Versicherungsvermittlerrecht
eingeführt haben und die dort schon nach drei Jahren
galt.


(Patrick Döring [FDP]: So ist das!)


Wer damals drei Jahre am Markt war, konnte bei den
Qualifikationsanforderungen eine Befreiung bekommen.
Wir erhöhen die Dauer, die man am Markt tätig gewesen
sein muss, bezogen auf den 1. Januar 2013, auf sieben
Jahre. Wer also sieben Jahre im Markt gearbeitet hat,
wer sich in diesen sieben Jahren auch der Prüfung durch
den Wirtschaftsprüfer unterzogen und eine Meldung
beim Gewerbeamt vorgenommen hat, der wird befreit.
Abgesehen von den sonstigen Qualifikationsanforderun-
gen, die den Beruf betreffen, haben wir einen Weg auf-
gezeigt, der sicherstellt, dass diejenigen, die ihren Beruf
seit mindestens sieben Jahren ausüben, nicht mit einem
Berufsverbot belegt werden. Das ist ein wichtiger As-
pekt für 80 000 Vermittler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aus unserer Sicht ist das schärfste Schwert in der
Aufsicht die neu eingeführte Berufshaftpflichtversiche-
rung. Das war bisher nicht nötig. Jeder, der am Markt tä-
tig sein will, muss zu einer Versicherungsgesellschaft
gehen, einen entsprechenden Antrag stellen und dann
erst einmal alles offenlegen, was er bisher gemacht hat,
damit er überhaupt Versicherungsschutz bekommt. Das
ist die erste und wichtigste Prüfung; denn hier werden
möglicherweise viele durch das Raster fallen. Deswegen
ist die Berufshaftpflichtversicherung die beste Kontrolle.
Sie ist besser, als eine staatliche Behörde mit der Kon-
trolle zu beauftragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben gesagt: Da dies ein neuer Weg der Auf-
sicht ist – bisher gibt es diese Aufsicht nicht; es gibt bis-
her keine Registrierung, keinen Qualifikationsnachweis,
keine Haftpflichtversicherung und keine Protokollie-
rung –, wollen wir diesen Weg in wenigen Jahren über-
prüfen, also evaluieren. Ich denke, es ist gerade bei ei-
nem neuen Weg wichtig, zu prüfen, ob es der richtige
Weg gewesen ist.

Einen Punkt möchte ich abschließend noch erwähnen:
Im Bereich der privaten Krankenversicherung haben wir
in die bisherigen Provisionsregelungen im Markt ein-
greifen müssen. Es gab einige Gesellschaften und Ver-





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)

mittler, die Kunden für eine private Krankenversiche-
rung geworben und diesen Vertrag schon nach 15 bis
18 Monaten wieder gekündigt haben, um erneut einen
Vertrag abzuschließen und im Grunde zweimal zu über-
höhten Provisionen zu gelangen.

Wir haben dort auch in Abstimmung mit der Wirt-
schaft eingegriffen; denn sie sah sich selbst nicht in der
Lage, dies umzusetzen. Ich denke, das war einer der
wichtigsten Schritte, um einen sauberen Markt für die
Vermittlung von privaten Krankenversicherungen zu er-
reichen, und die Versicherungsbranche ist uns dankbar,
dass wir in den Markt eingegriffen und diesen Miss-
brauch beseitigt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf lösen wir, die Koalitionsparteien und
die Bundesregierung, ein weiteres Versprechen unseres
Koalitionsvertrags ein. Alle Märkte, alle Produkte, alle
Anbieter und alle Vermittler sollten der Regulierung un-
terliegen. Dem sind wir ein wesentliches Stück näherge-
kommen. Ich denke, darauf können wir sehr stolz sein.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713628300

Vielen Dank, Kollege Flosbach – angesichts der fort-

geschrittenen Zeit auch dafür, dass Sie Ihre Redezeit bei
weitem nicht ausgeschöpft haben.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Da würde ich aber noch einmal nach vorne gehen!)


Für die Sozialdemokraten ist Kollege Dr. Carsten
Sieling der nächste Redner.


(Beifall bei der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]: Nehmen Sie sich ein Beispiel! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie müssen die Redezeit auch nicht ausschöpfen, Herr Kollege!)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1713628400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vielen Dank für den Hinweis. Ich versuche, ihn aufzu-
nehmen, aber ich muss erst einmal sagen, dass ich heute
Morgen, als ich den Wetterbericht hörte und berichtet
wurde, dass sich der Nebel auflösen würde, sehr frohge-
mut gestimmt war. Ich hätte nicht gedacht, Herr
Flosbach, dass es Ihnen mit Ihrer Rede hier gelingen
kann, diesen Nebel des Tages auch noch in den Plenar-
saal zu tragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sie müssen sich die Brille putzen, Herr Kollege! – Patrick Döring [FDP]: Da hat er sich aber viel Mühe gemacht!)


Wir haben in den Vorberatungen, in der ersten Lesung
usw. das ständige Gerede davon gehört, dass dieser Ge-
setzentwurf ein Meilenstein und ein Quantensprung sei,
und stolz sind Sie am Ende auch noch.

(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Warum haben Sie elf Jahre lang nichts gemacht? Erzählen Sie uns das doch einmal!)


– All das erkläre ich Ihnen jetzt gleich. – Das ist natür-
lich nichts anderes, als dass Sie gute Stimmung für ein
durch und durch verfahrenes Verfahren machen, was
dazu führen wird, dass die Anlegerinnen und Anleger in
Deutschland gerade vor diesen gefährlichsten Produkten
nicht hinreichend geschützt werden, und das ist peinlich.
Darauf kann ich nicht stolz sein, und Sie sollten es auch
nicht sein, Herr Kollege Flosbach.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Doch, sind wir! – Patrick Döring [FDP]: Das ist wirklich Quatsch!)


Der graue Kapitalmarkt zeichnet sich durch Intrans-
parenz bei den Produkten und durch Vertriebsformen
aus, die immer wieder dazu geführt haben, dass Schäden
in Milliardenhöhe entstanden sind. Für die einzelnen
Personen waren das teilweise vielleicht auch einmal
kleine Summen, aber den Einzelnen macht das viel aus.
Viele Leute haben darunter gelitten. Der politische An-
spruch musste doch sein, den grauen Kapitalmarkt zu
beleuchten, sodass dieser wichtige Bereich quasi ein
weißer Markt wird.

Ich will Ihnen sagen: Das, was Sie hier gemacht ha-
ben, ist nichts anderes als die Erzeugung einer schwarz-
gelben Sonnenfinsternis, durch die neue Schatten gewor-
fen wurden. Das ist Stückwerk. Das reicht nicht, um den
Anlegerschutz in Deutschland zu stärken.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Bei jeder Sonnenfinsternis kommen auch ein paar
Sonnenstrahlen durch. Deshalb will ich hier sehr deut-
lich sagen, dass wir das, was Sie im Bereich der Pro-
duktregulierung gemacht haben, positiv finden. Hier
wird es dazu kommen, dass nun geschlossene Fonds und
Ähnliches von der BaFin geprüft werden.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch der entscheidende Punkt!)


Das ist ein entscheidender Punkt, aber es reicht nicht.

Anders sieht es im Bereich des Vertriebs aus. Da ha-
ben Sie die Normen des WpHG, des Wertpapierhandels-
gesetzes, nicht angewandt, sondern geteilt.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Eins zu eins! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Lesen!)


– Zu der Eins-zu-eins-Umsetzung komme ich gleich sehr
gerne. Ich bitte Sie, da ein bisschen Geduld zu haben.
Sie wissen genau, dass Sie diese Regelungen nicht eins
zu eins umgesetzt, sondern diese Umsetzung nur an-
gekündigt haben. Der Staatssekretär im Bundesfinanz-
ministerium – damals noch Herr Asmussen – hat eine
Eins-zu-eins-Umsetzung erbeten. Das Bundeswirt-
schaftsministerium, immer FDP-geführt, hält seine
Zusagen nicht ein. Sie haben keine Eins-zu-eins-Umset-
zung erreicht.





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Sie sich das genau anschauen, dann merken
Sie, dass es im Bereich der Offenlegungspflichten von
Zuwendungen nicht hinreicht. Auch eine Beschwerde-
stelle gibt es im Gegensatz zu den Regelungen, die wir
bei dem bisherigen Anlegerschutzgesetz hatten, nicht. Es
gibt keine Pflicht zur Meldung von Beschwerden.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nichts verstanden! Sechs! Setzen!)


Das Wichtigste ist: Es gibt – darauf komme ich
noch – keine Sanktionen bei Falschberatung. Das ist das
Allerschlimmste. Wir brauchen eine Regelung, damit die
schwarzen Schafe vom Markt verschwinden. Das leisten
Sie nicht. Damit haben Sie an dieser Stelle versagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Versagt – jetzt rüsten Sie doch einmal ab, Herr Sieling!)


– Ich habe Ihnen schon in der ersten Lesung gesagt: Ich
verstehe Ihre Aufregung. Dies ist ein Paradebeispiel da-
für, wie bei Ihnen der Lobbyismus durchregiert. Bundes-
finanzminister Schäuble hat im Frühjahr 2010 einen Vor-
schlag vorgelegt, der einen einheitlichen Anlegerschutz
gewährleisten sollte. Dieser Vorschlag ist im weiteren
Verfahren zwischen den Ministerien zerlegt worden,
weil es die Lobbyisten, die auf den grauen Kapitalmärk-
ten, gerade im Vertriebsbereich, unterwegs sind – Sie
kennen das; sie sind mit einem ordentlichen Hebel aus-
gestattet –,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Können Sie das erläutern?)


über den Kanal FDP geschafft haben, den Lobbyismus
in die Regierungspolitik zu hebeln.


(Patrick Döring [FDP]: Das sind alles unbewiesene Behauptungen! – Nicolette Kressl [SPD]: Immer diese Hotels!)


Den Lobbyisten ist es jedenfalls gelungen, über Ihren
damaligen Bundeswirtschaftsminister, Herrn Brüderle,
entsprechende Regelungen hineinzuhebeln und Herrn
Schäuble leider umzuhauen. Die CDU/CSU hat sich da-
gegen leider nicht gewehrt. Darum werden wir einen ge-
spaltenen Anlegerschutz bekommen. Das ist schlechter
Anlegerschutz. Das schadet den Menschen in Deutsch-
land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Haben Sie das Gesetz nicht gelesen oder nicht verstanden?)


– Im Gegensatz zu Ihnen habe ich beides getan.


(Patrick Döring [FDP]: Nicht gelesen und nicht verstanden! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kennen sogar die erste Fassung!)


Das unterscheidet uns wahrscheinlich, Herr Kollege. Sie
müssen aber genau das erzählen, weil Sie wissen, was
Sie damit durchgesetzt haben, nämlich dass der Anleger-
schutz damit unter die Gewerbeordnung und unter die
Kontrolle der Gewerbeämter fällt.

Ich sage Ihnen: Einen einheitlichen Anlegerschutz
und eine entsprechende Kontrolle können Sie mit 7 000
unterschiedlichen lokalen Gewerbeämtern nicht gewähr-
leisten. Das wird zu keinen Verbesserungen führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Bei den Versicherungsvermittlern haben Sie letztes Mal mitgemacht! Jetzt erklären Sie doch einmal den Sinneswandel!)


– Wir reden hier über Kapitalmarktinstrumente. Wir
können gerne über einen Vorschlag Ihrerseits reden, den
Schutz auch im Versicherungsbereich zu verbessern.
Hier ist es jedenfalls so, dass Sie einen gespaltenen An-
legerschutz produzieren.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist genau der richtige Weg! – Gegenruf des Abg. Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie widersprechen Ihrem Minister!)


Fonds und ähnliche Produkte werden von der BaFin
kontrolliert. Auch Bankberater werden in Form von Re-
gistrierungspflichten kontrolliert. Aber beim Anleger-
schutz beugen Sie sich der FDP-Politik und lassen die
Kontrollen von den Gewerbeämtern durchführen. Davon
werden in den kleinen Orten schwarze Schafe profitie-
ren, weil die Gewerbeämter diese Kontrolle von ihren
anderen Aufgaben und ihrer Ausstattung her gar nicht
leisten können.


(Patrick Döring [FDP]: Sie haben eine schlechte Meinung von deutschen Gewerbeämtern!)


Wenn Sie mir hier erzählen wollen, dass 7 000 einzelne
Stellen stärker sind als eine starke BaFin, dann gehören
Sie zu den Märchenonkeln dieses Parlaments.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben an dieser Stelle einen falschen Weg einge-
schlagen. Ich will gerne ergänzen, dass wir eine Reihe
von Vorschlägen gemacht haben, damit es nicht dazu
kommt, dass die einzelnen Vermittler und Berater auf-
grund von Kostenbelastungen – dieses Argument höre
ich schon jetzt – Schwierigkeiten bekommen. Deshalb
haben wir als Lösung immer vorgeschlagen, sie aus ge-
wissen Kostenanforderungen herauszunehmen. Das war
der sogenannte Kreditwesengesetz-light-Vorschlag.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie haben aber keinen Änderungsantrag gemacht! – KlausPeter Flosbach [CDU/CSU]: Leasing light hat zu einer Katastrophe geführt!)


Diesen Weg hätte man gehen können. Sie sind nicht
darauf eingegangen, weil Ihnen schon das zu viel war.
Sie wollen den grauen Kapitalmarkt gerne grau lassen.
Damit er auch wirklich grau und zahnlos bleibt, haben
Sie uns in den Beratungen durch die Koalitionsfraktion
eine Alte-Hasen-Regelung vorgelegt, die unangenehm,





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)

peinlich und überzogen ist, weil sie nämlich dazu führt,
dass jemand, der, sagen wir mal, 30 Jahre alt ist und
schon die sieben Jahre, die Herr Flosbach angesprochen
hat, gearbeitet hat, bis zu seiner Pension ohne Prüfung
und weiteren Sachkundenachweis vermitteln kann. Das
halten wir für nicht hinreichend.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Nach jetzigem Recht muss er sieben Jahre gut gearbeitet haben!)


Wir hätten eine Härtefallregelung empfohlen. Das
wäre richtig gewesen. Das wäre guter und wirksamer
Anlegerschutz gewesen.

Ihr Gesetz lehnen wir ab, weil es für den Anleger-
schutz in Deutschland nicht gut ist. Es ist in der Tat eine
Gefahr und Verlängerung der krisenhaften Entwicklung
und Gefährdung für die Leute.

Sie werden deshalb unsere Zustimmung nicht erhal-
ten.


(Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Nein! Wir wollen nur Zustimmung von Leuten, die das Gesetz verstehen! Damit können wir leben, dass Sie nicht zustimmen!)


Ich bitte um Zustimmung für unseren Antrag, und ich
entschuldige mich, dass ich 13 Sekunden länger geredet
habe als vorgesehen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713628500

Vielen Dank, Kollege Dr. Sieling. – Nächster Redner

für die Fraktion der FDP unser Kollege Frank Schäffler.
Bitte schön, Kollege Frank Schäffler.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1713628600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Dieses Gesetz stärkt den Anlegerschutz durch mehr
Wettbewerb, und der Wettbewerb ist eigentlich der beste
Anlegerschutz.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Können Sie das mal erklären? – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich jetzt nicht verstanden!)


Denn wenn wir den Vorschlägen der Opposition gefolgt
wären, hätten wir am Ende 80 000 Vermittler auf diesem
Markt in ihrer Existenz vernichtet. Am Ende hätte es nur
noch Banken und große Vertriebe gegeben, die in
Deutschland Finanzprodukte vermitteln können, auch
von den Kosten her.

Wozu hätte das geführt? Hätte das zu mehr Anleger-
schutz geführt? Nein.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso nicht?)

Es hätte zu weniger Anlegerschutz geführt, und es hätte
am Ende dazu geführt, dass die Produkte, die in der Ver-
gangenheit, als es viele schwarze Schafe gab, nämlich
die geschlossenen Fonds, zu Recht kritisiert wurden, nur
noch von Banken vermittelt worden wären.

Schon heute werden geschlossene Fonds zu 60 Pro-
zent nur von Banken vermittelt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollten gar nicht vermittelt werden!)


Das heißt, das, was in der Vergangenheit schiefgegangen
ist, ist in dem regulierten Bereich geschehen, den Sie so
hoch loben und über den die Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht die Aufsicht geführt hat.

Ich finde, der beste Wettbewerbsschutz ist, wenn wir
einen Ordnungsrahmen schaffen, bei dem es keine Arbi-
trage-Effekte gibt und nicht der eine in das andere, weni-
ger regulierte Segment ausweichen kann. Das war in der
Vergangenheit der Fall. Nach Ihrer Versicherungsver-
mittlerrichtlinie – die Sie im Übrigen in der Gewerbe-
ordnung umgesetzt haben – konnte man sich in der Ver-
gangenheit am Ende über die Vermittlung geschlossener
Fonds aus der Regulierung herausbewegen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wir sind im Kapitalanlagebereich!)


Das, was Sie damals eingeleitet haben und was richtig
war, vollenden wir jetzt also. Künftig wird es kein Fi-
nanzprodukt mehr geben, das nicht unter einheitlicher
Aufsicht mit einheitlichen Vermittlungsstandards, Aus-
bildungsstandards, Regulierungsstandards und Haftungs-
bedingungen vermittelt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein großer Erfolg dieser Koalition für den Anle-
gerschutz. Es ist ein Riesenerfolg. Denn es wird am
Ende dazu führen, dass Sie, egal ob Sie eine Versiche-
rung, einen Fonds oder einen geschlossenen Fonds ver-
mitteln, als freier Finanzvermittler den gleichen Bedin-
gungen unterliegen.

Es ist klar, dass man dann auch Übergangsregelungen
schaffen muss. Wer weiß das besser als Sie? Sie haben es
bei der Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie
genauso gemacht, wie wir es jetzt machen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber man muss ja Fehler nicht wiederholen!)


Jetzt kritisieren Sie diese Regelung und polemisieren da-
gegen. Das halte ich für nicht lauter. Lauter wäre, wenn
Sie akzeptierten, dass es genügend Menschen gibt, die
ordentlich gearbeitet haben, die vielleicht am Ende ihres
Berufslebens stehen und die man nicht mehr zwingen
kann, die Schulbank zu drücken, da sie jahrelang oder
jahrzehntelang auf diesem Markt erfolgreich tätig waren.
Das wäre unsozial. Das können wir nicht zulassen.





Frank Schäffler


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Dafür hätten wir eine Lösung gefunden!)


Ein entscheidender Faktor ist, dass es den Markt der
nebenberuflichen Vermittler nicht mehr geben wird;
denn wir haben die Latte bei den Ausbildungsstandards
und mit der Pflicht zum Abschluss einer Berufshaft-
pflichtversicherung so hoch gelegt, dass das ein Neben-
berufler nicht mehr leisten kann. Allein das wird die
Qualität der Vermittlung entscheidend verbessern. Insbe-
sondere die Pflicht, eine Berufshaftpflichtversicherung
abzuschließen, wird den Markt radikal bereinigen. Wer
ein-, zweimal einen Schadensfall verursacht hat, für den
bedeutet das faktisch das Ende seiner beruflichen Exis-
tenz als Finanzvermittler. Der Betreffende wird keine
Berufshaftpflichtversicherung auf dem Markt mehr be-
kommen. Das ist wahrscheinlich der notwendige Preis
dafür, dass wir die Marktkräfte wirken lassen. Durch
Wettbewerb schaffen wir zusätzlichen Anlegerschutz.
Insofern ist heute ein guter Tag für den Anlegerschutz in
Deutschland. Das haben wir gemeinsam zustande ge-
bracht. Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich bei unse-
rem Koalitionspartner für die konstruktive Zusammenar-
beit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713628700

Vielen Dank, Kollege Frank Schäffler. – Jetzt hat für

die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Caren Lay
das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713628800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es kann nicht sein, dass ein Teil des Kapital-
markts so gut wie gar nicht reguliert wird.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Deswegen haben wir es geändert!)


Auf dem sogenannten grauen Kapitalmarkt werden Ver-
braucherinnen und Verbraucher Jahr für Jahr um Milliar-
denbeträge in zweistelliger Höhe geprellt.

Was ändert nun das Gesetz der Bundesregierung – das
ist der Streitpunkt – an dieser misslichen Lage? – Aus
unserer Sicht leider ausgesprochen wenig. Ich möchte
auf einige Schwächen des Gesetzentwurfs eingehen, der
heute zur Abstimmung steht. Zuerst zu den bereits ange-
sprochenen Beipackzetteln. Die von Verbraucherschutz-
ministerin Aigner immer so gerne angepriesenen Info-
blätter für Finanzprodukte sind kaum standardisiert. Sie
unterliegen keiner Aufsicht. So können sie doch gar
keine zuverlässige Informationsquelle für Verbrauche-
rinnen und Verbraucher sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann kritisieren wir die Reichweite des Gesetzes. Wir
sind der Auffassung, dass eine Ausweitung der Regulie-
rung auf Schrottimmobilien dringend notwendig ist. Wir
sind als Linke selbstverständlich der Auffassung, dass
solche Produkte überhaupt nicht auf den Markt gehören.

Aus unserer Sicht ist der zentrale Kritikpunkt Folgen-
des: Freie Vermittler sollen nach dem Willen der Bun-
desregierung der Gewerbeaufsicht unterstellt werden
statt der Finanzaufsicht.


(Patrick Döring [FDP]: Genauso wie alle anderen Vermittler!)


Damit wird eine kompetente und länderübergreifend ein-
heitliche Aufsicht verhindert. Auf diesen Punkt werde
ich gleich näher eingehen.

Damit bleibt aus unserer Sicht der graue Kapitalmarkt
ein Einfallstor für Betrug und ein Tummelplatz für unkal-
kulierbare Risiken. Leidtragende dieser mangelhaften
Regulierung sind Kleinanlegerinnen und Kleinanleger,
die ihr Erspartes in sicheren Händen wissen wollen, also
Menschen, die über relativ wenig Geld verfügen und nur
geringe Anlageerfahrung haben. Wir sagen als Linke: Ei-
nen solchen grauen Kapitalmarkt darf es überhaupt nicht
mehr geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit unserem Entschließungsantrag legen wir ein
Maßnahmenpaket zur Überwindung des grauen Kapital-
markts vor. Lassen Sie mich auf einige Aspekte einge-
hen. Wir fordern schon seit langem einen sogenannten
Finanz-TÜV. Wir möchten, dass alle Formen der Geld-
anlage geprüft und zugelassen werden müssen, bevor sie
auf den Markt kommen. Nur so kann verhindert werden,
dass sogenannte Finanzinnovationen, die sich später als
Finanzschrott herausstellen, ungeprüft auf den Markt ge-
langen.

Des Weiteren sagen wir: Nicht nur die Finanzpro-
dukte, sondern auch die Finanzvermittler müssen einer
fachlich kompetenten und einheitlichen Finanzaufsicht
unterliegen. Ein Flickenteppich zwischen Finanzaufsicht
und Gewerbeaufsicht – das wäre die Konsequenz aus
dem Gesetz – kann die Anforderungen nicht erfüllen. An
dieser Stelle kann ich mich der Kritik von Kollegen
Sieling völlig anschließen.

Auch wir als Linke sind allerdings der Auffassung,
dass die BaFin an Interessenkonflikten leiden kann,
nämlich denen zwischen Unternehmen auf der einen
Seite und Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der
anderen Seite. Deshalb schlagen wir als Linke mittelfris-
tig eine eigene Verbraucherschutzbehörde für die Fi-
nanzmärkte vor.


(Beifall bei der LINKEN)


Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen. Wir
Linke kümmern uns nicht nur um den Anlegerschutz,
sondern wir kümmern uns auch um die Menschen, die
gar kein Geld haben, das sie anlegen könnten, und die
darauf angewiesen sind, sich Geld am Markt zu leihen.
Es gibt nicht nur den grauen Kapitalmarkt, sondern es
gibt auch einen grauen Kreditmarkt. Anleger locken zum
Beispiel mit schufafreien Krediten und berechnen Vor-
leistungen, ohne dass überhaupt ein Kredit vermittelt
wird. Auch dagegen muss aus unserer Sicht dringend et-





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

was geschehen. Das sieht auch die Verbraucherschutz-
ministerkonferenz vor. Sie hat bereits vor einem Jahr,
und zwar einstimmig, also auch mit den Stimmen der
Koalition, ein Vorleistungsverbot bei der Kreditvermitt-
lung gefordert. Geschehen ist seitdem nichts. Auch hier
muss die Bundesregierung endlich handeln.

Ich komme zum Schluss. Dieser Gesetzentwurf ist
aus unserer Sicht ein viel zu vorsichtiger Schritt. Ausrei-
chend zur Überwindung des grauen Kapitalmarkts ist er
bei weitem nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713628900

Vielen Dank, Frau Kollegin Lay.

Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
unser Kollege Dr. Gerhard Schick. Bitte schön, Kollege
Dr. Schick.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will als Erstes damit beginnen, zu klären, worüber wir
beim grauen Kapitalmarkt reden, und dazu ein Beispiel
schildern, das deutlich macht, wie krass manchmal die
Fehlberatung und wie schlecht die Produkte sind.

Eine Fondsgesellschaft sammelt für die Produktion
zweier Filme 180 Millionen D-Mark – jetzt etwa 92 Mil-
lionen Euro – ein. Das liegt schon einige Jahre zurück.
Freie Vermittler bringen das Produkt auf den Markt. Vor
kurzem haben die Anleger erfahren, dass die Filme für
etwa 250 000 Dollar verkauft werden konnten. Die An-
leger können also mit einem Rückfluss im Promillebe-
reich ihrer Einlage rechnen.

Das ist eines von vielen Beispielen im Bereich der
Medienfonds. Dort ist übrigens bekannt, dass man ris-
kante und häufig auch schlechte Projekte am besten in
Deutschland finanziert. Man könnte andere Beispiele
aus dem Bereich der Schiffsfonds oder Ähnliches hinzu-
fügen. Es handelt sich um ein großes Volumen. Die Gel-
der vieler Anleger werden in betrügerischer Weise fehl-
gelenkt. Das hat zwei Gründe. Der eine liegt auf der
Produktebene, der andere auf der Vertriebsebene.

Wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben des-
wegen 2007, als es um die Umsetzung der Finanz-
marktrichtlinie ging, gesagt, dass dieser Bereich bei der
Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie einbezogen wer-
den muss. Die Große Koalition – übrigens beide Fraktio-
nen, Herr Flosbach, die CDU/CSU-Fraktion wie die
SPD-Fraktion – wollte damals diesen Bereich explizit
unreguliert lassen. Deswegen kommt das, was wir heute
tun, viereinhalb Jahre zu spät.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben dann
gefordert, dass zumindest im Ausschussbericht stehen
müsse, dass wir uns mit dieser Thematik noch einmal
beschäftigen. Wir haben das auch vorangebracht und im
Juli 2009 eine Anhörung initiiert, in der wir, glaube ich,
alle deutlich dazugelernt haben, welcher Regelungsbe-
darf besteht und was zum Schaden der Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland falsch läuft. Das ist die
Grundlage, auf der dann im Koalitionsvertrag völlig
richtige Punkte zur Regulierung dieses Marktes festge-
legt wurden. Das muss man festhalten. Deswegen sind
einige von den Forderungen, die wir damals in unserem
Antrag vorgetragen haben, tatsächlich in diesen Gesetz-
entwurf eingegangen.

Trotzdem werden wir dem Gesetzentwurf heute nicht
zustimmen. Ich will das begründen. An zwei zentralen
Stellen – es gibt mehrere Beispiele – greift dieser Ge-
setzentwurf zu kurz. Ich zitiere in diesem Zusammen-
hang die Verbraucherministerin Aigner. Sie antwortete
auf die Frage, ob die Gewerbeaufsichtsämter den Ver-
trieb kontrollieren sollten – ich zitiere –:

Das ist aus meiner Sicht falsch. Die Finanzaufsicht
sollte komplett bei der Finanzaufsicht BaFin ange-
siedelt werden.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber die will es doch selber nicht!)


Der Vertreter der Bundesbank, die sicher eine relativ
neutrale Instanz in dieser Frage ist, beschrieb in der An-
hörung zum Gesetzentwurf am 6. Juli 2011 – das zielt
auf den Kern und bringt zum Ausdruck, warum es so
nicht sein darf – die Gefahr – ich zitiere –,

dass gut gemeinte Anlegerschutzregelungen durch
eine unterschiedliche Beaufsichtigung möglicher-
weise zum Gegenteil dessen führen, was man beab-
sichtigt hat, und durch eine möglicherweise unzu-
reichende Beaufsichtigung in der Fläche das
eigentlich intendierte Anlegerschutzniveau zumin-
dest aufsichtlich eben nicht erreicht werden kann.

Das ist das Problem. Es besteht die Gefahr, dass man-
che der guten Normen, die im Gesetzentwurf stehen, ins
Leere laufen werden, und deswegen können wir nicht
zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber die BaFin hat doch selber gesagt, dass sie es nicht will!)


– Ja, die BaFin hat das natürlich gesagt. Stellen Sie doch
eine Zwischenfrage. Ich beantworte sie wirklich gerne.

Der Punkt ist doch einfach, dass die BaFin gesagt hat,
mit ihrer gegenwärtigen Ausstattung könne sie dieser
Anforderung nicht gerecht werden; sie brauche dafür
eine anständige Ausstattung. Das ist doch logisch. Das
gilt auch für die Gewerbeämter. Bloß diese werden die
entsprechende Kompetenz gar nicht aufbauen können.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Die BaFin will es doch gar nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was hat denn die Bundesbank gesagt? Genau das Gegenteil! – Nicolette Kressl [SPD]: Wo sich doch sonst die FDP immer auf die Bundesbank bezieht!)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Ein weiterer Punkt: Ihr Staatssekretär Heitzer hat ge-
sagt, dass die anlegerschützenden Vorschriften des
Wertpapierhandelsgesetzes eins zu eins umgesetzt wer-
den sollen. Das ist bisher nicht der Fall. Trotz des ag-
gressiven Vertriebs, den wir in diesem Bereich gehabt
haben – provisionsorientierte Fehlberatung –, haben Sie
gerade bei der Offenlegung der Provisionen keine
Eins-zu-eins-Umsetzung vorgenommen. Angesichts des-
sen müssen wir einfach sagen: Es ist zu befürchten, dass
vieles von dem Falschen, was wir kritisieren, weitergeht.
Deswegen können wir hier nicht zustimmen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713629000

Vielen Dank, Kollege Dr. Gerhard Schick. – Ich darf

nun die Aussprache hierzu schließen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermö-
gensanlagenrechts. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7453,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/6051 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Enthal-
tungen? – Die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das sind die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Gesetz-
entwurf ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7475. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktio-
nen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Die
Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist somit abge-
lehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7476. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion
Die Linke. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfrak-
tionen. Enthaltungen? – Die Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist
abgelehnt.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7477.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind
Bündnis 90/Die Grünen, Sozialdemokraten und Links-
fraktion. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktio-
nen. Enthaltungen? – Keine. Somit ist der Entschlie-
ßungsantrag abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger
Arbeit gleichstellen

– Drucksache 17/7386 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben.1) – Alle sind damit einverstanden.
Dann ist das so beschlossen. Ich brauche Ihnen die Na-
men der Kolleginnen und Kollegen nicht vorzulesen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7386 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind alle damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom
24. November 2010 im Hinblick auf die Er-
richtung des Europäischen Finanzaufsichts-
systems

– Drucksache 17/6255 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/7508 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.2) –
Alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kollegin-
nen und Kollegen liegen uns vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/7508, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 17/6255 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichts-
halber frage ich noch: Wer stimmt dagegen? – Niemand.
Enthaltungen? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

1) Anlage 9
2) Anlage 5





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der
Gesetzentwurf ist somit angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Malczak, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen

– Drucksachen 17/7191, 17/7506 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Karl-Georg Wellmann
Edelgard Bulmahn
Joachim Spatz
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) –
Sie alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/7506, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7191 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die
Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die
Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgeset-
zes

– Drucksache 17/6611 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/7490 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart
Dr. Matthias Miersch
Judith Skudelny
Sabine Stüber
Dorothea Steiner

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-

1) Anlage 6
ginnen und Kollegen liegen uns vor. Sie sind damit ein-
verstanden.


Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1713629100

Der Erdgipfel in Rio de Janeiro im Jahr 1992 hat mit

der Agenda 21 das Thema der nachhaltigen Entwick-
lung ins Rampenlicht gerückt.

Seither wird die Frage der nachhaltigen wirtschaftli-
chen Entwicklung in vielen Bereichen und durch viele
Instrumente adressiert. Im Vordergrund steht dabei, wie
es gelingen kann, die Bedürfnisse heutiger Generatio-
nen zu befriedigen, ohne die Chancen künftiger Genera-
tionen zu beeinträchtigen. Wie schaffen wir es, Ökono-
mie und Ökologie und die sozialen Aspekte miteinander
in Einklang zu bringen?

Wir stehen hierbei vor enormen Herausforderungen,
aber auch vor großen Chancen: Auf internationaler
Ebene setzen wir uns für ein verbindliches Nachfolgeab-
kommen des Kioto-Protokolls ein. Wir benötigen ver-
bindliche Zielsetzungen der Staaten für die Mengenbe-
grenzungen ihrer Treibhausgasemissionen.

Deutschland bezieht bereits jetzt gut 20 Prozent sei-
ner Stromversorgung aus erneuerbaren Energien. In den
kommenden Jahren werden wir den Ausbau der erneuer-
baren Energien weiter forcieren.

Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihrer
Europa-2020-Strategie eine Leitinitiative zum Thema
Ressourceneffizienz verabschiedet mit dem Ziel, die Effi-
zienz der Wirtschafts- und Produktionsweisen in Europa
weiter zu erhöhen und den Verbrauch von Ressourcen zu
optimieren. Das geplante deutsche Ressourceneffizienz-
programm ProgRess verfolgt diese Zielsetzung auf na-
tionaler Ebene.

Ein wichtiges Instrument der nachhaltigen Entwick-
lung, das nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht,
das aber bereits parallel zur Rio-Konferenz im Jahre
1992 auf EU-Ebene im 5. Umweltaktionsprogramm ent-
worfen wurde, ist das Europäische Umwelt-Audit-Sys-
tem – kurz EMAS. Dieses freiwillige Umweltmanage-
mentsystem, das mit dem Umweltauditgesetz in
Deutschland umgesetzt wurde, misst der Eigenverant-
wortung von Unternehmen und Organisationen beim
Umweltschutz eine große Bedeutung bei.

Mit diesem System erhalten Unternehmen und Orga-
nisationen eine Handhabe zur effektiven Selbstkontrolle.
Die durch ihre Tätigkeit entstehenden direkten und indi-
rekten Umweltauswirkungen werden durch Umwelter-
klärungen transparent. Einerseits verpflichten sich die
Unternehmen und Organisationen, eine über ihre ge-
setzlichen Pflichten hinausgehende Verbesserung ihres
betrieblichen Umweltschutzes zu erreichen. EMAS-Or-
ganisationen werden durch staatlich zugelassene Um-
weltgutachterinnen und Umweltgutachter kontrolliert.
Andererseits werden innerhalb der Umsetzung von
EMAS regelmäßig – auch wirtschaftlich rentable – Um-
weltschutzmaßnahmen identifiziert, mit denen Ressour-
cen eingespart werden können. Win-win-Situationen
werden somit erschlossen.

Dr. Thomas Gebhart


(A) (C)



(D)(B)

Mit dem nun vorliegenden Zweiten Gesetz zur Ände-
rung des Umweltauditgesetzes werden aufgrund der
EG-Verordnung Nr. 1221/2009 und weiterer Beschlüsse
der Kommission weitere wichtige Neuregelungen umge-
setzt. Ich will an dieser Stelle zwei Punkte nennen:

Erstens werden die Voraussetzungen dafür geschaf-
fen, dass nunmehr auch eine EMAS-Registrierung für
Organisationen mit Sitz außerhalb der EU angeboten
wird. Deutsche Umweltgutachter erhalten hierdurch ein
neues Betätigungsfeld. Wir eröffnen damit gleichzeitig
die Möglichkeit einer weiteren Durchdringung der
EMAS-Zielsetzungen über die Europäische Union hi-
naus.

Zweitens sieht das neue Gesetz vor, dass eine Regis-
trierung von Teilstandorten abgeschafft wird. Das heißt
im Klartext, dass keine umweltrelevanten Teile einer An-
lage aus der EMAS-Registrierung ausgelassen werden
können. Ein „Rosinenpicken“ kann es hierdurch nicht
mehr geben.

Alles in allem sind die Neuerungen zu begrüßen. Da-
her bitte ich um Ihre Zustimmung.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1713629200

Im Jahr 1993 wurde das erste und auf dauerhaften

Betrieb angelegte Umweltmanagementsystem mit festen
Regeln EG-rechtlich etabliert.

Damals wurden die Grundlagen gelegt, um den – re-
lativ neuen – Gedanken, ökonomisch und ökologisch
sinnvolles Handeln miteinander zu verbinden, in die
Praxis umzusetzen. Unternehmen, Verwaltungen,
Dienstleister, die ihre Umweltdaten erfassten, bilanzier-
ten und transparent darstellten, konnten durch das Um-
weltaudit die Umwelt und die Ressourcen schonen, Kos-
ten einsparen, Genehmigungsabläufe verkürzen und mit
dem EMAS-Logo für sich und die gute Sache werben.

Das Vorhaben müsste eigentlich angesichts der Er-
kenntnis, dass unsere natürlichen Ressourcen begrenzt
und nicht immer und überall verfügbar sein würden,
eine Erfolgsgeschichte sein, ein Selbstläufer. Heute, fast
20 Jahre und einige Novellen später, ist Ernüchterung
eingetreten. Das Umweltaudit wird von einer zwar stei-
genden Zahl von Unternehmen, aber immer noch von
viel zu wenigen durchgeführt. Im Oktober 2009 hatte
EMAS europaweit gerade einmal 7 400 Teilnehmer. Da-
rüber hinaus ist das EMAS-Logo aufgrund der geringen
Teilnehmerzahlen nach wie vor einem Großteil der Bür-
gerinnen und Bürger nicht bekannt, sodass der Werbe-
effekt und damit der Anreiz für die Firmen gering sind.

Wir müssen leider feststellen: Das Umweltauditsys-
tem ist bis jetzt nicht so erfolgreich, wie ursprünglich
angenommen und erhofft wurde. Es ist zwar mittlerweile
anerkannt, dass Ökonomie und Ökologie zwei Seiten ei-
ner Medaille sind. Leider ist diese Erkenntnis immer
noch nicht ausreichend ins tägliche Handeln umgesetzt
worden.

Vor diesem Hintergrund ist das Ziel der EU-Kommis-
sion, die Anzahl der Teilnehmer innerhalb der nächsten
Zu Protokoll
fünf Jahre zu verdreifachen, ein sehr ambitioniertes Ziel,
das wir unterstützen. Durch die Novellierungen hat die
Bürokratie für das Zertifizierungsverfahren abgenom-
men, und die Vorteile, Betriebe und Verwaltungen ange-
sichts steigender Energie- und Ressourcenpreise umzu-
strukturieren, liegen auf der Hand. Halten wir
gemeinsam fest: Wir wollen diesen Prozess weiter be-
schleunigen.

So wichtig EMAS – gerade auch als Vorreiter für
nachhaltige Produktionsprozesse – ist, es ist nicht das
einzige Instrument, um zukünftiges unternehmerisches
Denken und Verwaltungshandeln auf einen nachhaltigen
Pfad zu setzen. Die Energieeffizienzrichtlinie, das CO2-
Gebäudesanierungsprogramm, Klimaschutzprogramme,
kommunale Aktionspläne oder nachhaltige Beschaf-
fungsmaßnahmen bilden ein Bündel an Instrumenten,
die die Umwandlung der Wirtschaftsprozesse hin zu ei-
ner nachhaltigen ressourcenschonenden Wirtschafts-
weise unterstützen und befördern können.

Wir erlauben uns hier leider eine allzu große Tole-
ranz. Die Bundesregierung diskutiert über einen Nach-
haltigkeitskodex für Unternehmen, kann sich aber zu
keiner Regelung durchringen. Ebenso fehlen kraftvolle
Zertifizierungssysteme, die Konsumenten Kaufentschei-
dungen überdenken lassen und so Unternehmen aus ei-
genem Gewinnstreben den gesamtstaatlichen Zielen ver-
pflichten. Wo bleibt die Umweltgesamtkostenrechnung,
und was ist mit einem neuen Wachstumsbegriff abseits
des BIP?

Schwarz-Gelb setzt nach wie vor auf falsche Anreiz-
systeme und wundert sich später über die daraus resul-
tierenden Marktentscheidungen. Leider blockiert die
Bundesregierung ernsthafte Anstrengungen in Richtung
messbarer Nachhaltigkeitsanreize. Allen voran das
FDP-geführte Wirtschaftsministerium bezeugt ein ums
andere Mal, dass das existenzielle Zusammenspiel und
die gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussung von
Ökologie und Ökonomie noch nicht hinreichend ver-
standen wurden.

Das Umweltauditsystem muss zu neuer Stärke geführt
und vergleichbare Ansätze müssen ausgebaut werden.
Mittlerweile sollte eigentlich überall die Einsicht er-
reicht worden sein, dass nichtnachhaltige Produktions-
weisen schlicht eine Externalisierung von Kosten bedeu-
ten. So gewinnen Unternehmen, aber auch der Staat auf
Kosten der nächsten Generationen. Wir nehmen aktuell
einen kostenlosen Kredit auf, indem wir Gewinne heute
realisieren, Folgekosten dafür aber von kommenden Ge-
nerationen tragen lassen. Die Absurdität dieser Wirt-
schaftsweise zeigt sich in Phänomenen wie dem Klima-
wandel. Einem liberalen Wirtschaftsminister müsste
diese Gleichung eigentlich klar sein.

Ich hoffe inständig, dass die schwarz-gelbe Regie-
rung in den letzten Monaten ihrer Amtszeit dieser einfa-
chen, aber folgenschweren Wahrheit deutlich mehr Be-
achtung schenkt, als sie es bisher getan hat. Eine
Belebung des Umweltaudits, am besten vereinheitlicht
auf Ebene der EU, wäre ein erster und richtiger Schritt.



gegebene Reden

(A) (C)



(D)(B)


Judith Skudelny (FDP):
Rede ID: ID1713629300

Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung

der Regelungsaufträge der Verordnung (EG) Nr. 1221/
2009 in nationales Recht. Diese Verordnung über die
freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem
Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Um-
weltbetriebsprüfung hat die EMAS-Verordnung über die
freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem
Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und
die Umweltbetriebsprüfung abgelöst.

Das Umweltauditgesetz bezweckt die Verbesserung
der Umweltleistungen der teilnehmenden Organisatio-
nen. Es ist damit Grundlage und Anreiz für Unterneh-
men und andere Organisationen, ihre Umweltleistung
freiwillig, systematisch und effizient zu bewerten und zu
verbessern. Geprüft werden alle Umweltauswirkungen,
das heißt, alle positiven oder negativen Veränderungen
der Umwelt, die ganz oder teilweise aufgrund der Tätig-
keiten, Produkte oder Dienstleistungen eines Unterneh-
mens eintreten, zum Beispiel der Ressourcenverbrauch,
der aktuell aufgrund der Knappheit zahlreicher Res-
sourcen eine ganz wichtige Rolle spielt. Dabei wird der
Eigenverantwortung der Wirtschaft bei der Bewältigung
ihrer direkten und indirekten Umweltauswirkungen eine
große Bedeutung beigemessen. Genau das ist der rich-
tige Ansatz für eine liberale, verantwortliche und nach-
haltige Umweltpolitik.

Wesentliche Pfeiler zur Erreichung der Ziele des
Umweltauditgesetzes sind die Zulassung unabhängiger,
zuverlässiger und fachkundiger Umweltgutachter und
Umweltgutachterorganisationen sowie deren Aufsicht
und die Registrierung der geprüften Organisationen.
Eine der wichtigsten Neuerungen ist, dass die EU-Mit-
gliedstaaten nun die Möglichkeit haben, auch eine
EMAS-Registrierung für Organisationen anzubieten, die
ihren Sitz außerhalb der EU haben, Stichwort: EMAS
Global. Entsprechendes Interesse wurde von interessier-
ten Wirtschafts- und Regierungskreisen von außerhalb
der Europäischen Union artikuliert. Zusätzlich eröffnet
sich auch ein weiteres Betätigungsfeld für die deutschen
Umweltgutachter. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
werden die Voraussetzungen hierfür geschaffen. Es ent-
hält Vorgaben für die Erweiterung der Umweltgutach-
terzulassung und für das Registrierungsverfahren für
außereuropäische Standorte. Dies ist zu begrüßen, auch
wenn nach Schätzungen aufgrund der bisherigen Aus-
landstätigkeit von Umweltgutachtern höchstens 22 Um-
weltgutachter von dieser Ergänzung ihrer Zulassung auf
Drittländer einmalig Gebrauch machen werden. Außer-
dem wird durch den Gesetzentwurf die Registrierung
von Teilstandorten abgeschafft. Hier bestand die Pro-
blematik, dass so bisher teilweise umweltrelevante Teile
einer Anlage aus der EMAS-Registrierung ausgespart
wurden. Dem soll nun ein Riegel vorgeschoben werden.

Des Weiteren gibt es eine Neuerung im Bereich des
Umweltgutachterausschusses. Die bisher ununterbro-
chene Berufungsdauer der Mitglieder des Umweltgut-
achterausschusses wird auf 6 Jahre begrenzt. So erhal-
ten auch andere Branchen und Gutachter die
Möglichkeit, sich zu beteiligen. Dies ist aus marktwirt-
schaftlicher Sicht sehr zu unterstützen. Bislang schließt
Zu Protokoll
die Zulassung als Umweltgutachter die Befugnis ein,
Zertifizierungsbescheinigungen nach DIN EN ISO
14001:2004 zu erteilen. Diese wird nun auf die Ertei-
lung von Zertifizierungsbescheinigungen für Energie-
managementsysteme nach DIN EN 16001:2009 ausge-
dehnt. Begründet wird dies im Gesetz damit, dass die
Anforderungen an ein Energiemanagementsystem in den
Anforderungen für ein Umweltmanagementsystem nach
EMAS enthalten seien und die entsprechende Kompe-
tenz der Umweltgutachter daher bereits im Zulassungs-
verfahren abgeprüft würden. Auch dies ist als Verfah-
rensvereinfachung zu begrüßen.

Neu ist außerdem, dass im Fall von befristeten Ar-
beitsverhältnissen mit juristischen Personen des öffent-
lichen Rechts nun eine Ausnahme vom sonst zwingenden
Widerruf der Zulassung oder von der Fachkenntnisbe-
scheinigung des Umweltgutachters besteht. Stattdessen
gibt es ein Ausübungsverbot für den Zeitraum des befris-
teten Arbeitsverhältnisses, danach muss jedoch kein er-
neutes Zulassungsverfahren durchgeführt werden. Im
Einzelfall kann auch eine Ausnahmegenehmigung erteilt
werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Be-
rufsfreiheit eine richtige Neuerung.

Die Neuerungen des Umweltauditgesetzes sind
grundsätzlich zu begrüßen, beschränken sich jedoch
weitestgehend auf die notwendigen Korrekturen. Ich
möchte daher die Gelegenheit nutzen, auch insgesamt
ein Fazit zum Umweltauditgesetz zu ziehen und mich
nicht nur auf die Novellierungen zu beschränken.

Das Umweltauditgesetz ist ein gutes Beispiel für frei-
willigen, aber rechtlich verbindlichen Umweltschutz, ein
freiwilliges Instrument des Umweltschutzes in Eigenver-
antwortung der betroffenen Wirtschaft. Dies ist sehr zu
begrüßen und der richtige Ansatz in der Umweltpolitik.
Gerade vor dem Hintergrund der Herausforderung von
Klimawandel und Ressourcenverknappung ist das Um-
weltauditgesetz ein wichtiger und richtiger Ansatz mit
seinen Maßnahmen zur Ressourcen- und Energieeffi-
zienz.

Für ein ehrliches Fazit ist meines Erachtens jedoch
auch wichtig, die Bewährung des Umweltauditverfah-
rens an sich zu berücksichtigen. Dabei zeigt sich, dass es
trotz der grundsätzlich sehr positiven Bewertung weiter-
hin Verbesserungsbedarf gibt. Betrachtet man die
Bewährung des EMAS-Systems insbesondere auf EU-
Ebene, so wird es hauptsächlich von vier Ländern
– Deutschland, Österreich, Spanien und Italien – richtig
angenommen. Diese Länder stellen 85,5 Prozent der am
EMAS teilnehmenden Unternehmen. Im Rest der EU
gibt es zusammen nur circa 607 vom EMAS zertifizierte
Organisationen.

Nach einer anfangs sehr regen Beteiligung der Un-
ternehmen und Organisationen ist der Trend rückläufig.
Gründe hierfür liegen darin, dass das EMAS-System in-
ternational nicht anerkannt ist. Außerdem wird auch der
zu hohe Bürokratieaufwand bemängelt.

Wichtig ist meines Erachtens auch eine weitere Ver-
besserung der Außenwirksamkeit. Das Einsparen von
Energie, Material, Abfall etc. ist ein wichtiger Erfolg



gegebene Reden

Judith Skudelny


(A) (C)



(D)(B)

des Unternehmens und muss als solcher, nicht zuletzt
auch als Anreiz für andere Unternehmen, nach außen
kommuniziert werden. Wichtig ist auch, das Umwelt-
auditsystem so gut wie möglich den Bedürfnissen der
großen Bandbreite an Unternehmen anzupassen und
insbesondere auch neuen Entwicklungen gegenüber of-
fen zu gestalten.

Wünschenswert wäre, das Nebeneinander der beste-
henden Managementsysteme abzuschaffen. Doppelspu-
rigkeiten, hoher Abstimmungs- und Koordinations-
aufwand, aber auch eine begrenzte Wirkung der
Maßnahmen im Umweltbereich sind die Folge. Ziel
muss es sein, ein flächendeckendes Umweltmanagement
einzuführen. Das Umweltauditgesetz leistet hierzu einen
wichtigen Beitrag.


Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713629400

Wussten Sie eigentlich, dass es Atomkraftwerke mit

dem Zertifikat „besonders umweltfreundlich“ gibt? Das
bayerische Atomkraftwerk Isar 1, das einen Tag nach
dem Unfall von Fukushima abgeschaltet wurde, gehörte
dazu. Auch Isar 2, das noch bis 2022 am Netz sein wird,
ist als umweltfreundlich zertifiziert.

Wie das?, frage ich mich. Was ist das für ein Unsinn?
Aber nein, alles ging nach Recht und Gesetz zu. Das
Umweltauditgesetz macht‘s möglich. Unternehmen, die
sich freiwillig zu umweltfreundlichen Maßnahmen ver-
pflichten und diese von einem anerkannten Berater
überprüfen lassen, können sich von eben diesem Berater
zertifizieren lassen. Es gibt keine Mindestanforderun-
gen, keine messbaren Kriterien für die Umweltleistun-
gen eines Unternehmens. Nein, das Unternehmen setzt
ein Umweltmanagement ein, und das macht einen Plan
und setzt sich seine Ziele selbst. Da reichen oft schon
Energiesparlampen und Recyclingpapier im Büro.

Kommen wir auf die bayerischen Atomkraftwerke zu-
rück. Der Betreiber Eon hat regelmäßig in einem Be-
richt seine Umweltbemühungen im Atomkraftwerk Isar 2
veröffentlicht, die von einem anerkannten Berater ge-
prüft wurden. Zu den Umweltaktivitäten gehörten neben
der Pflege einer Orchideenwiese auch die saubere Müll-
trennung. Na, das wollen wir doch hoffen, dass in einem
Atomkraftwerk der Müll getrennt wird. So jedenfalls
wurde das Atomkraftwerk Isar 2 als umweltfreundliches
Unternehmen zertifiziert.

Also, wenn das nicht des Kaisers neue Kleider sind!
Umweltgefahren, die von einem Atomkraftwerk ausgehen,
wurden nicht bewertet. Oder denken wir an die radioakti-
ven Abfälle, die produziert werden, und kein Mensch
weiß, wohin damit für die nächsten Millionen von Jahren.
All das spielt keine Rolle im Zertifizierungsverfahren, es
gehört nicht zum „Prüfauftrag“.

Von einer ökologischen Visitenkarte der Unterneh-
men sprechen die einen, von Lug und Trug die anderen.
Ich halte es da mit Immanuel Kant, der die Menschen
auffordert, den Mut zu haben, sich ihres eigenen Ver-
standes zu bedienen. Und ich stelle einfach mal in den
Raum, dass wir hier einem Zertifizierungswahn aufsit-
zen.
Zu Protokoll
Nun gut, wenn Umweltaudit denn sein soll, dann soll-
ten wir wenigstens versuchen, das Beste daraus zu ma-
chen. Aber nein, die Zertifikate werden praktisch zum
Nulltarif verteilt, und Unternehmen können damit ihr
Image aufpolieren. Daran ändert leider auch der heu-
tige Antrag nichts. Es geht um Formalien, um Zustän-
digkeiten und auch um Pfründe, die gesichert werden
wollen. Welcher Gutachter darf wo in Europa zertifizie-
ren? Das wird jetzt geregelt. Um Inhalte geht es nicht.
Und das ist Wasser auf die Mühlen der kritischen Stim-
men, denn substanzielle Umweltanforderungen an die
Unternehmen wird es auch künftig nicht geben, dafür
aber jede Menge grüne Mäntelchen aus der Ramsch-
kiste.


Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713629500

Der heute hier zu beratende Gesetzentwurf ist wenig

spektakulär. Mit dem Vorschlag passt die Bundesregie-
rung das Umweltauditgesetz an neue Vorgaben der eu-
ropäischen EMAS-Verordnung an.

Die einzige maßgebliche inhaltliche Änderung, neben
vielen redaktionellen, ist die Einführung der Möglich-
keit, dass deutsche Umweltgutachter zukünftig auch Or-
ganisationen im Nicht-EU-Ausland prüfen können. Dies
eröffnet den hochqualifizierten deutschen Umweltgut-
achtern ein neues Betätigungsfeld in Nicht-EU-Ländern
und trägt dazu bei, dass die Idee des Umweltaudits in-
ternational verbreitet wird.

Wir begrüßen diese neu eingeführte Möglichkeit. Es
gibt hierfür ein Interesse von vielen Unternehmen mit
Sitz im Ausland, die das in Europa erprobte EMAS-Sys-
tem auch für ihr Umweltmanagement nutzen wollen.
Bisher galt gerade die fehlende internationale Anerken-
nung als ein großer Nachteil für EMAS. Mit der Neure-
gelung wird daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu
besserer internationaler Anerkennung gegangen.

Das Umwelt-Audit-System hat sich als effektives In-
strument des Umweltmanagements in vielen Unterneh-
men und Institutionen bewährt und den betrieblichen
Umweltschutz nachhaltig verbessert. Wir sind sehr er-
freut, dass das Umweltaudit heute in Deutschland allge-
mein anerkannt ist und vonseiten der Wirtschaft nicht
als unnötige Last, sondern als wichtige Chance angese-
hen wird.

Natürlich gibt es aber auch noch Verbesserungs-
potenzial bei EMAS und beim Umweltaudit. Den Vor-
wurf gegen EMAS, es würde allein dem Greenwashing
dienen, teilen wir zwar nicht, aber es gibt durchaus gute
Gründe, EMAS zu kritisieren. Das System erhält noch
immer zu wenige konkrete, verbindliche Anforderungen.
Die Berichtspflichten müssen erweitert und klar defi-
nierte Indikatoren für die Messung der Umweltleistung
eingeführt werden. EMAS muss stärker hin zu einem
echten Umweltzeichen für Betriebe entwickelt werden.
Das EMAS-Zeichen muss zukünftig nicht allein Beleg
für eine Auseinandersetzung mit Umweltmanagement
sein, es muss ein Zeichen für einen umweltfreundlichen
Betrieb werden.



gegebene Reden





Dorothea Steiner


(A) (C)



(D)(B)

Daher muss die Bundesregierung sich auf europäi-
scher Ebene dafür einsetzen, EMAS weiter zu stärken.
Dazu bedarf es einer Anschärfung der Regeln, aber
auch die öffentliche Bekanntheit und Anerkennung des
Zertifizierungssystems müssen verbessert werden. Dafür
werden wir Grüne uns hier im Bundestag und im Euro-
päischen Parlament einsetzen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713629600

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7490,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/6611 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen
und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Nie-
mand. Enthaltungen? – Die Fraktion Die Linke. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die gleichen Fraktionen wie zuvor. Wer stimmt
dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das ist die Links-
fraktion. Der Gesetzentwurf ist somit angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Silberhorn, Monika Grütters, Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann,
Burkhardt Müller-Sönksen, Patrick Döring, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

UNESCO-Welterbestätten in Deutschland
stärken

– Drucksache 17/7357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier vor. Sie haben Ver-
ständnis dafür, dass ich sie nicht vorlese.


Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1713629700

„Was lange währt, wird endlich gut“, heißt es in ei-

nem schönen deutschen Sprichwort, und so sind wir er-
leichtert und auch froh, heute hier – nach langen Bera-
tungen – diesen Antrag zur Stärkung der UNESCO-
Welterbestätten in Deutschland vorlegen zu können.

Weltkultur- und Weltnaturerbestätten besitzen einen
außergewöhnlichen Wert nicht nur für die eigene Na-
tion, sondern für die gesamte Menschheit. Welterbestät-
ten stehen beispielhaft für herausragende Kulturleistun-
gen; und sie geben wichtige Impulse für die jeweilige
Region. Viele Generationen haben diese bis heute unter
oft schwierigsten Umständen geschützt, erhalten und zu
dem gemacht, was sie heute sind.

1972 hat die UNESCO das internationale „Überein-
kommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der
Welt“ verabschiedet. Der Schutz von Kultur- und Natur-
denkmälern mit „außergewöhnlichem universellen
Wert“ liegt nicht in der Hand einzelner Staaten, sondern
ist Aufgabe der gesamten Menschheit. Deutschland hat
dieses Übereinkommen 1976 ratifiziert; mittlerweile
wurde diese Konvention von 184 Staaten unterzeichnet.
Im kommenden Jahr begehen wir das vierzigste Jubi-
läum dieses Übereinkommens – und es ist eine großar-
tige Erfolgsgeschichte.

Zum Kulturerbe gehören Baudenkmäler, Städte-
ensembles, Kulturlandschaften, Industriedenkmäler und
Kunstwerke. Das Naturerbe umfasst neben geologischen
Formationen, Fossilienfundstätten und Naturlandschaf-
ten auch Schutzreservate der Tiere und Pflanzen, die
vom Aussterben bedroht sind.

Heute sind 936 Kultur- und Naturstätten in 153 Staa-
ten auf der UNESCO-Liste des Welt- und Kulturerbes
verzeichnet: 725 Kulturdenkmäler, 183 Naturerbestätten
und weitere 28 Stätten, die zu beiden Kategorien zählen.
Ein Teil dieser Stätten ist aufgrund geografisch-histori-
scher Gegebenheiten sogar grenzüberschreitend.

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit insgesamt
36 Welterbestätten auf der UNESCO-Liste des Kultur-
und Welterbes vertreten. Zuletzt aufgenommen wurden
die Berliner Siedlungen der Moderne (2008), das Wat-

(2009, 2011 ergänzt um den Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer)

schaft“ als Erweiterung der Welterbestätte Erzbergwerk
Rammelsberg und die Altstadt Goslar (2010). In diesem
Sommer sind drei weitere Stätten hinzugekommen: das

(die von Walter Gropius und Adolf Meyer entworfene Schuhfabrik gilt als Schlüsselbau der Moderne)

chenwälder Deutschlands“ als serielle Erweiterung der
bereits 2007 in die Welterbeliste aufgenommenen Bu-
chenurwälder der Karpaten und die „Prähistorischen
Pfahlbauten rund um die Alpen“ als grenzüberschrei-
tendes Weltkulturerbe.

Die Verleihung des UNESCO-Welterbe-Titels ist nicht
nur eine große Chance, denn sie bedeutet internationale
Anerkennung – es ist zugleich die große Verpflichtung,
für den fortdauernden Schutz und den Erhalt des ge-
meinsamen Erbes der Menschheit Sorge zu tragen.

Daher unterstützt der Bund in großem Umfang die
deutschen Welterbestätten. So fördert der Beauftragte
der Bundesregierung für Kultur und Medien, BKM,
Welterbestätten institutionell: die Museumsinsel in Ber-
lin, die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die
Stiftung Weimarer Klassik etc.

Das Programm „National wertvolle Kulturdenkmä-
ler“ gilt der Substanzerhaltung und Restaurierung ge-

Monika Grütters


(A) (C)



(D)(B)

samtstaatlich bedeutender Baudenkmäler; beträchtliche
Mittel werden auch für denkmalpflegerische Maßnah-
men im Bereich der UNESCO-Welterbestätten einge-
setzt.

Im Rahmen der Programme „Städtebaulicher Denk-
malschutz“ und „Städtebauliche Sanierungs- und Ent-
wicklungsmaßnahmen“ unterstützt der Bund die Welt-
erbestätten seit Jahren finanziell – 2011 kommen weitere
Bundesfinanzhilfen in Höhe von 92 Millionen Euro zur
Förderung des städtebaulichen Denkmalschutzes dazu

(62 Millionen Euro für die neuen und 30 Millionen Euro für die alten Länder)


Besonders hervorzuheben ist das Programm zur För-
derung von Investitionen in nationale UNESCO-Welt-
erbestätten: seit 2009 fördern wir die deutschen Welt-
erbestätten durch zwei Sonderprogramme mit insgesamt
220 Millionen Euro in Umsetzung der Empfehlungen der

(2009 bis 2013 insgesamt 150 Millionen Euro Programmmittel für die nationalen UNESCO-Welterbestätten, für die Jahre 2010 bis 2014 stehen weitere rund 70 Millionen Euro zur Verfügung)


Die deutschen Welterbestätten verdienen es – mehr
noch als bisher geschehen –, in den Mittelpunkt der öf-
fentlichen Aufmerksamkeit gerückt zu werden, um den
Erhalt des Welterbes für die künftigen Generationen zu
sichern und gleichzeitig ihr wirtschaftliches, baukultu-
relles und Stadtentwicklungspotenzial zu stärken. Hie-
rauf hatte ja bereits der Abschlussbericht der vom Deut-
schen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ hingewiesen.

Die UNESCO-Welterbestätten bergen ein vielfältiges
Potenzial, das wir schützen und stärken müssen. Wir
möchten mit unserem Antrag daher vor allem das ge-
samtgesellschaftliche Bewusstsein für diese Schätze
schärfen. So soll das touristische Potenzial der
UNESCO-Welterbestätten noch stärker ausgeschöpft
werden, zum Beispiel durch die Schaffung eines
„UNESCO-Welterbetickets“. Die Enquete-Kommission
empfiehlt den Ländern, den Bildungsauftrag der Welt-
erbestätten durch engere Kooperation mit Schulen wei-
terzuentwickeln und den Welterbegedanken im Unter-
richt sowie in der außerschulischen kulturellen Bildung
zu verankern. Bedingung dafür ist aber natürlich, dass
die finanzielle Unterstützung von UNESCO-Welterbe-
stätten auch in Zukunft ermöglicht wird.

Mit Sicherheit steht die Steigerung der wirtschaftli-
chen Profitabilität der deutschen Weltkulturerbestätten
nicht an erster Stelle unserer Überlegungen. Wichtig ist
die Anerkennung, dass kulturelle Güter und Dienstleis-
tungen einen Doppelcharakter haben: den nämlich als
Wirtschaftsgüter einerseits und den als Ausdrucksform
der individuellen nationalen, regionalen oder auch loka-
len Kultur andererseits. Art. 5 der Welterbekonvention
verpflichtet jeden Beitrittsstaat zu der Bemühung, seine
Welterbestätten im Rahmen der Gegebenheiten seines
Landes zu schützen, um „… zu gewährleisten, dass wirk-
same und tatkräftige Maßnahmen zum Schutz und zur
Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Ho-
heitsgebiet befindlichen Kultur- und Naturerbes getrof-
Zu Protokoll
fen werden …“. Es geht um nichts weniger als das Ge-
sicht der Kulturnation Deutschland.

Diesem Schutzauftrag der Konvention entsprechend
stellen wir deshalb finanzielle Mittel für die Förderung
und Finanzierung der UNESCO-Welterbestätten bereit.
Ich bin dennoch überzeugt, dass wir vor allem zur Un-
terstützung des privaten Engagements zusätzlich auch
noch prüfen sollten, ob Welterbegebiete ähnlich wie Sa-
nierungsgebiete nicht von einer höheren steuerlichen

(vergleiche § 10 g EStG)


In mehr als 70 Ihrer Wahlkreise befinden sich unsere
Welterbestätten – wenn das nicht geradezu eine Pflicht,
aber auch eine große Lust ist, mit Leidenschaft diese
kulturpolitische Trommel zu rühren!


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1713629800

Der vorliegende Antrag „UNESCO-Welterbestätten

in Deutschland stärken“ sendet ein klares Signal: Wir
bekennen uns zu unserem kulturellen Erbe und zu der
Verantwortung, die daraus entsteht. Unsere Kultur- und
Naturerbestätten für nachfolgende Generationen zu be-
wahren, ist eine Verpflichtung, die wir gerne eingehen.
Schaut man auf unsere heute bereits 36 UNESCO-Welt-
erbestätten in Deutschland, so erkennt man, welche
Bandbreite an herausragenden Schätzen der Menschheit
wir besitzen: von Städten wie Bamberg, dem größten
zusammenhängenden Altstadtensemble Deutschlands,
über die Berliner Museumsinsel mit ihren einzigartigen
Meisterwerken aus 6 000 Jahren Menschheitsgeschichte
bis zum Wattenmeer als weltweit einmaligem Lebens-
raum für mehr als 10 000 Tier- und Pflanzenarten.

Aus diesem Reichtum entsteht eine große Verpflich-
tung. Nur ein Zusammenwirken aller Beteiligten aus
Bund, Ländern und Kommunen, von Kirchen, Stiftungen
und Privaten kann den Erhalt und Schutz dieser Stätten
gewährleisten. Den Ländern und Kommunen obliegt da-
bei die Hauptverantwortung. Sie haben den besonderen
Bedürfnissen der Welterbestätten bei ihren raumordne-
rischen und stadtentwicklungspolitischen Zielsetzungen
Rechnung zu tragen. Die Denkmalschutzgesetze der
Länder sollten daher vergleichbar hohe Standards ge-
währleisten.

Der Bund unterstützt bereits seit vielen Jahren in er-
heblichem Umfang die deutschen Welterbestätten. So
kamen etwa das Programm „National wertvolle Kultur-
denkmäler“ des Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien und die Städtebauförderung des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung auch den UNESCO-Welterbestätten zugute. Vor al-
lem aber ist es 2009 gelungen, bis 2013 150 Millionen
Euro zur Förderung von Investitionen in nationale
UNESCO-Welterbestätten bereitzustellen. Für die Jahre
2010 bis 2014 stehen weitere rund 70 Millionen Euro
zur Verfügung. Mit diesem Programm ist es gelungen,
die zuvor nur partielle Förderung einiger weniger Welt-
erbestätten so zu erweitern, dass alle deutschen Welt-
erbestätten nach denselben Kriterien davon profitieren
können. Noch nie ist in so kurzer Zeit so viel in den Er-
halt unseres Kultur- und Naturerbes investiert worden.



gegebene Reden

Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

Wir sollten daher alles daransetzen, diese finanzielle
Unterstützung der UNESCO-Welterbestätten durch den
Bund über 2014 hinaus zu ermöglichen.

Die deutschen UNESCO-Welterbestätten und touris-
tische Organisationen haben sich in dem Verein
UNESCO-Welterbestätten Deutschland zusammenge-
schlossen. Dessen Ziel ist es, die deutschen Welterbe-
stätten bekannter zu machen, Denkmalschutz und Tou-
rismus besser zu koordinieren und dadurch auch deren
wirtschaftliche Potenziale stärker als bisher auszu-
schöpfen. Ein wichtiger Schritt hierzu ist die Erstellung
von Managementplänen der einzelnen Welterbestätten,
die bisher nur für die ab dem Jahr 2000 aufgenommenen
Welterbestätten existieren. Auch sollten die Möglichkei-
ten der touristischen Erschließung besser genutzt
werden. Besonders hervorheben möchte ich die Idee ei-
nes UNESCO-Welterbetickets. Ein Sonderfahrschein
der Deutschen Bahn für Fahrten zu den verschiedenen
UNESCO-Welterbestätten würde die Entdeckung unse-
res Kultur- und Naturerbes zu einem ganz neuen Erleb-
nis für Besucher aus dem In- und Ausland werden las-
sen.

Von wachsender Bedeutung für die Träger der
UNESCO-Welterbestätten ist die Bildungs- und For-
schungsarbeit. Sie bietet die Chance, durch fachge-
rechte und zeitgemäße Wissensvermittlung über die
jeweilige Welterbestätte den Einheimischen wie den Be-
suchern die Wertschätzung für diese besonderen Orte
nahezubringen und das öffentliche Bewusstsein für die
Bedeutung und die Bewahrung von Welterbestätten zu
fördern.

Ich will nicht verschweigen, dass der nun vorliegende
Antrag keine leichte Geburt war und einige Kompro-
misse beinhaltet. Ich bedaure es, dass mein Anliegen
nicht aufgenommen werden konnte, für Welterbegebiete
die gleiche steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen
wie in städtebaulichen Sanierungsgebieten zumindest zu
prüfen. Da heute oft ganze Ensembles und nicht nur ein-
zelne Gebäude zu Welterbestätten erklärt werden, sind
viele Privatleute Einschränkungen für Bau- und Sanie-
rungsmaßnahmen unterworfen, ohne dass es sich um
Denkmäler handelt. Die Vergleichbarkeit von Welterbe-
schutzgebieten mit städtebaulichen Sanierungsgebieten
liegt daher nahe. Eine entsprechende steuerliche Absetz-
barkeit zu prüfen, wäre ein wichtiges Signal zur Unter-
stützung des privaten Engagements für unsere Welterbe-
gebiete. Denn es kann nur in unser aller Interesse sein,
dass Investitionen Privater zum Erhalt der Welterbestät-
ten beitragen.

Der Schutz des UNESCO-Welterbes in Deutschland
entwickelt sich derzeit ausgesprochen positiv und ver-
dient unsere weitere Unterstützung. Wir beglückwün-
schen die 2011 neu in die Liste aufgenommenen Welt-
erbestätten Fagus-Werk in Alfeld, die in Deutschland
gelegenen prähistorischen Pfahlbauten rund um die Al-
pen sowie die Alten Buchenwälder Deutschlands. Auch
unterstützen wir die Neubewerbungen zur Aufnahme in
die Welterbeliste und die Kandidatur Deutschlands für
einen Sitz im Welterbekomitee. Ich freue mich zudem
über die positive Resonanz auf unsere Koalitionsinitia-
Zu Protokoll
tive zur Ratifizierung der UNESCO-Konvention zum im-
materiellen Kulturerbe. Damit wird es fortan auch mög-
lich sein, Bräuche, Handwerkstechniken, Volkslieder,
Märchen oder Minderheitensprachen, die unser kultu-
relles Erbe ebenso ausmachen wie die materiellen
Kulturleistungen, im Rahmen des immateriellen Kultur-
erbes der Menschheit zu bewahren. Auch zollen wir da-
mit den Ländern in Afrika, Australien und Asien Res-
pekt, die ihre Kulturleistungen von Generation zu
Generation überliefert und nicht in Stein gemeißelt ha-
ben.

Deutschland ist bekanntlich nicht reich an Boden-
schätzen. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere kultu-
rellen Schätze und unser Naturerbe bewahren und för-
dern. Dazu bekennen wir uns ausdrücklich – nicht nur
mit Worten, sondern auch mit Taten.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1713629900

Über die hohe Bedeutung des UNESCO-Übereinkom-

mens für das Welterbe sind wir uns alle einig. Interna-
tional erfährt das UNESCO-Übereinkommen höchste
Anerkennung. Die UNESCO-Welterbestätten sind Zeu-
gen der Geschichte, sie haben hohen Wert für die natio-
nale und regionale Identität. Sie sind Tourismusmagne-
ten und tragen in hohem Maße zur wirtschaftlichen
Entwicklung in den Kommunen und Regionen bei.

Meine Damen und Herren von Union und FDP, auch
in ihrem Antrag stellen Sie die Vorzüge der Welterbestät-
ten in Deutschland heraus – und auch ihrer Förderung.
Dementsprechend fordern Sie, dass die Welterbestätten
auch in Zukunft finanziert werden sollen und die Bun-
desregierung die Welterbestätten nachhaltig fördern
soll. Man muss sich schon sehr wundern, dass Sie,
Union und FDP, gleichzeitig – sowohl in den Fachaus-
schüssen als auch im Haushaltsausschuss – ablehnen,
das überaus erfolgreiche Investitionsprogramm zum
Weltkulturerbe nach 2014 fortzuführen. Das ist nicht nur
dreist, sondern doppelzüngig.

Auch Verkehrsminister Ramsauer betont ausdrück-
lich die Vorzüge des Investitionsprogramms in der Bro-
schüre des Verkehrsministeriums – für die wirtschaftli-
che Entwicklung und die Stadtentwicklung, als
Erfolgsgeschichte. Das ist es auch. Nur ist das nicht das
Verdienst von Herrn Minister Ramsauer. Sein Vorgänger
Bundesminister Tiefensee hat es initiiert und eingesetzt,
es hat sich bewährt und es hat eine große Resonanz. Das
steht auch in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren
von Union und FDP. Aber wenn das so ist, nennen Sie ei-
nen Grund, warum Sie den vorliegenden Antrag einbrin-
gen, wenn Sie gleichzeitig dieses anerkannte, bewährte
und investiv ausgerichtete Programm, das im Ergebnis
Wertschöpfung schafft und das die kulturelle Identität
von Regionen stärkt, einstellen wollen. Das ist schlicht
unlogisch, oder Sie wollen die Wähler täuschen.

Wir sind stolz, dass Deutschland mittlerweile 36 Welt-
erbestätten beheimatet. Der Aachener Dom mit seinem
karolingischen Erbe, die Berliner Museumsinsel mit ih-
ren epochalen Kulturschätzen, das klassische Weimar,
das Welterbe in Trier sind Stätten mit weltgeschicht-
licher Bedeutung, Zeugnisse der bewegten Geschichte



gegebene Reden

Ulla Schmidt (Aachen)



(A) (C)



(D)(B)

Deutschlands. Auch das wunderschöne Dresdner Elbtal
zählte zu diesen Welterbestätten. Ich finde es schon ein
wenig merkwürdig, dass in dem Antrag von Union und
FDP der Streit um die Aberkennung des Dresdner Welt-
erbestatus oder die Debatten dazu aus der letzten Legis-
laturperiode mit keinem Wort Erwähnung finden. Ihr
Antrag ist auf dem Stand der letzten Legislaturperiode,
nahezu wortgleich. Da wollten wir schon einmal eine
gemeinsame Initiative starten, und da wollten Sie nicht
mitgehen, als es beispielsweise um ein Verfahren zur Lö-
sung von Konflikten ging, wie sie sich beim Dresdner
Welterbe aufgetan haben. Wer die Vorzüge aufzählt, darf
die Probleme nicht weglassen. Auch eine mögliche Um-
setzung des UNESCO-Übereinkommens in Deutschland
findet mit keinem Wort Erwähnung. Ihr Antrag ist zum
großen Teil Makulatur und bleibt es, wenn Sie nicht für
die notwendige finanzielle Ausstattung sorgen.

Die SPD hat sich in den bisherigen Haushaltsberatun-
gen entschieden dafür eingesetzt, das UNESCO-Investi-
tionsprogramm auf dem bisherigen Niveau weiterzufüh-
ren. Das werden wir auch weiterhin tun, und wir fordern
Sie auf, endlich mit einer Stimme zu sprechen und nicht
bei der Finanzierung der Welterbestätten zu sparen.


Reiner Deutschmann (FDP):
Rede ID: ID1713630000

Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen ei-

nen Text von der Webseite der Deutschen UNESCO-
Kommission zitieren, der die Bedeutung der UNESCO-
Welterbestätten auf den Punkt bringt. Dort steht Folgen-
des geschrieben: „Was verbindet den Kölner Dom mit
den Pyramiden Ägyptens, den Mont Saint-Michel mit
dem Tadsch Mahal, oder die Inkastadt Machu Picchu in
Peru mit dem Ngorongoro-Krater in Tansania? Es sind
Zeugnisse vergangener Kulturen, künstlerische Meister-
werke und einzigartige Naturlandschaften, deren Unter-
gang ein unersetzlicher Verlust für die gesamte Mensch-
heit wäre. Sie zu schützen, liegt nicht allein in der
Verantwortung eines einzelnen Staates, sondern ist Auf-
gabe der Völkergemeinschaft.“

Deutschland allein kümmert sich derzeit um 36 von
weltweit über 900 UNESCO-geschützten Natur- und
Kulturstätten. Der Welterbetitel ist international be-
kannt, geachtet und als Gütesiegel ein Anziehungspunkt
für Menschen aus aller Welt. Dies ist für die christlich-
liberale Koalition zugleich Verpflichtung für den fort-
dauernden Schutz der Welterbestätten in Deutschland.
In angemessenem Rahmen bemühen wir uns auch, über
die Grenzen Deutschlands hinaus für die Welterbestät-
ten Sorge zu tragen.

Mit unserem Antrag „UNESCO-Welterbestätten in
Deutschland stärken“ geht es uns darum, die Einzigar-
tigkeit und Schönheit der Welterbestätten noch besser
herauszustellen, mehr Aufmerksamkeit auf sie zu lenken
und diese noch interessanter für ein breiteres Publikum
zu machen. Die Stärkung der nationalen Welterbestätten
ist für die christlich-liberale Koalition ein wichtiger
Pfeiler, um die touristische Attraktivität Deutschlands zu
sichern und weiter auszubauen. Deutschland ist das un-
angefochtene Urlaubsland Nummer eins der Deutschen,
und jedes Jahr steigt die Anzahl der Gäste aus dem Aus-
Zu Protokoll
land, die die Vielfalt Deutschlands zu schätzen wissen.
Interessanterweise verzeichnen die Besucherzahlen aus
Indien und China laut der Deutschen Zentrale für Tou-
rismus die größten Wachstumsschübe. Um diese erfreu-
liche Entwicklung positiv zu begleiten, sind Maßnahmen
zur Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung nötig.
Nur so kann der Tourismussektor auf seinem hohen Ni-
veau gehalten werden. Hier weiß ich die Tourismuswirt-
schaft an unserer Seite; das wurde gerade erst auf dem
15. Tourismusgipfel, der letzte Woche in Berlin statt-
fand, deutlich. Sie arbeitet ständig daran, die an sie ge-
stellten hohen Ansprüche auch zu erfüllen. Gerade die
vielen Kulturtouristen erwarten das. Deutschland sieht
sich zu Recht als Kulturnation. Dies kommt nicht nur in
dem reichen künstlerischen und literarischen Erbe, son-
dern durchaus auch in den Welterbestätten zum Aus-
druck.

Bund, Länder und Gemeinden leisten schon heute ei-
nen großen Beitrag zum Schutz der Welterbestätten.
Trotz der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für
die Bereiche der Kulturförderung und des Denkmal-
schutzes fördert auch der Bund die Welterbestätten, so
zum Beispiel durch den Haushalt des Bundesbeauftrag-
ten für Kultur und Medien und des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. So fördert der
BKM unter anderem die Berliner Museumsinsel, die
Klassik-Stiftung Weimar oder den grenzüberschreiten-
den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.

Wir sind durchaus zufrieden mit dem derzeitigen Stel-
lenwert, den die 36 Natur- und Kulturstätten Deutsch-
lands innehaben. Wir sind aber auch der Meinung, dass
man die Welterbestätten noch attraktiver für seine zu-
künftigen Besucher aus dem In- und Ausland gestalten
sollte. Dazu gehört neben einer verstärkten kulturtouris-
tischen Anstrengung auch eine Ausweitung der Bil-
dungsarbeit in den Welterbestätten. Darüber hinaus
sollte, so wie auch durch die UNESCO selbst gefordert,
die flächendeckende Erstellung von Managementplänen
für die Welterbestätten einer der nächsten Schritte sein,
um einen höheren Grad der nationalen und internatio-
nalen Vernetzung der Stätten zu erreichen. Ein Manage-
mentplan könnte auch hilfreich sein, um neue Finanzie-
rungsquellen zu erschließen. Damit würde sich idealer-
weise ein neuer Spielraum bei der Gestaltung des Ange-
bots rund um die UNESCO-Stätten auftun. Insbesondere
sollten die Synergien einer engeren Zusammenarbeit der
unterschiedlichen Handlungsebenen genutzt werden.

Wir wünschen uns von der Bundesregierung, das ihr
Mögliche zu tun, um das wirtschaftliche und kulturelle
Potenzial der Welterbestätten noch besser zu nutzen. Die
bessere Ausschöpfung des ohne Zweifel vorhandenen
touristischen Potenzials in Kombination mit stärkerer
Bildungs- und Forschungsarbeit sowie überzeugende
Managementpläne sollten es Deutschland ermöglichen,
die Welterbestätten für die Aufgaben der Zukunft wetter-
fest zu machen. Dies brächte im Ergebnis nicht nur das
Interesse und die Aufmerksamkeit neuer Besucherkreise,
sondern wäre auch im Interesse der kulturellen Vielfalt
Deutschlands. Auch volkswirtschaftlich ist dies sinnvoll,
insbesondere da in einigen Regionen in Deutschland der
Tourismus zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen zählt.



gegebene Reden

(A) (C)



(D)(B)


Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713630100

Welch großes Anliegen und welch schmalbrüstiger

Antrag, in dem alle wesentlichen Forderungen zur
UNESCO-Konvention fehlen. Worum es der Koalition
hier vor allem geht, ist die wirtschaftliche Auswertung
der Welterbestätten durch den Tourismus. Einem sol-
chen Antrag können wir nicht zustimmen.

2006 schon hatte die Linke beantragt, dass Bundes-
tag und Bundesregierung in Einhaltung völkerrechtli-
cher Verpflichtungen mit 30-jähriger Verspätung (!)

Position beziehen müssten – ohne Erfolg. 2009 wurde
der Antrag der Grünen, ein Umsetzungsgesetz für das
UNESCO-Welterben, vorzulegen abgelehnt. Heute nun
haben wir uns mit einem Antrag von CDU/CSU und
FDP zu befassen, in dem noch immer die wesentliche
Forderung nach der Umsetzung der UNESCO-Welterbe-
konvention in deutsches Recht, also nach einem „Umset-
zungs-“ oder „Ausführungsgesetz“, fehlt.

Als wäre die höchst bedauerliche Streichung des
Dresdner Elbtals von der Liste des UNESCO-Weltkul-
turerbes 2009 nicht Grund genug, uns zu zeigen, dass
wir in Deutschland dringend ein solches Ausführungs-
gesetz benötigen.

Zwar hat der Denkmalschutz in fast allen Bundeslän-
dern Verfassungsrang. Es gibt aber keine konkreten lan-
desgesetzlichen Regelungen zum Schutz des Welterbes,
geschweige denn ein Bundesgesetz. Innerstaatlich ist die
Welterbekonvention noch immer nicht durch ein Ver-
tragsgesetz umgesetzt worden. In rechtlichen Konflikt-
fällen kann diese Konvention deshalb keine Wirkung
entfalten. Der Denkmalschutz ist dadurch deutlich ge-
schwächt. Das muss dringend verändert werden.

In epischer Breite wird in dem vorliegenden Antrag
das finanzielle Engagement des Bundes bei den Welt-
erbestätten geschildert. Kein Wort aber fällt zu der wirk-
lich nötigen finanziellen Untersetzung. Das ist kein
Wunder, denn real will die Koalition die im Haushalt
2011 vollzogene Kürzung bei der Städtebauförderung
und damit auch bei den Denkmalschutzprogrammen
2012 fortsetzen. Notwendig wäre aber eine Erhöhung
der Städtebauförderung mindestens auf das Niveau von
2010. Und wo ist das deutliche Bekenntnis zur Fortset-
zung des erfolgreichen Sonderförderungsprogramms
„Investitionen in nationale UNESCO-Welterbestätten“
im bisherigen Rahmen? Auch hierzu kein klares Wort.

Dieser Antrag ist – fast vier Jahre nachdem der Be-
richt der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
mit umfangreichen Handlungsempfehlungen zu diesem
Thema mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedet
wurde – zutiefst enttäuschend. Denn an erster Stelle
stand schon damals die Forderung nach einem Ausfüh-
rungsgesetz. Bei dieser Forderung sind wir als Linke,
wie auch die Grünen, strikt geblieben. Nicht so die ande-
ren Parteien, die sich sehr wetterwendisch zeigten.

Ich erinnere daran, dass die FDP ihre Haltung zu
dieser gesetzlichen Regelung diametral verändert hat.
Noch 2009 erklärte sie öffentlich: „Die höchst bedauer-
liche Streichung des Dresdner Elbtals von der Liste des
UNESCO-Weltkulturerbes zeigt schwarz auf weiß, dass
Zu Protokoll
wir in Deutschland dringend ein Ausführungsgesetz be-
nötigen.“ Die geltenden rechtlichen Bedingungen ge-
nügten nicht mehr den Ansprüchen der Konvention.
Heute feiert sie nur noch den Beitrag, den die Welt-
erbestätten zur Attraktivität des Tourismusstandortes
Deutschland leisten, und fordert vermehrte Anstrengun-
gen, das wirtschaftliche Potenzial der Welterbestätten
stärker zu nutzen. Was für ein Sinneswandel!

Die SPD hat als damaliger Koalitionspartner laviert
und vermieden, eine klare Position zu beziehen. Ein Um-
setzungsgesetz solle in der nächsten Wahlperiode ge-
prüft werden. Wir sind gespannt, welche Haltung sie
heute hat.

Der entscheidende Grund für Ihren Antrag scheint
mir nicht die von Ihnen betonte „große Verpflichtung für
den fortdauernden Schutz und die Erhaltung des ge-
meinsamen Erbes der Menschheit“ zu sein, sondern hier
soll ganz ungeniert die wirtschaftliche Auswertung der
Welterbestätten befördert werden. So der Punkt zwei in
Ihrem Antrag – im Übrigen auch der weitaus konkre-
teste. Wir aber wollen das Kulturerbe nicht wirtschaft-
lichen Interessen untergeordnet sehen. Für uns steht der
Schutz der kulturellen Substanz klar im Vordergrund.
Das sollte sich auch in den Forderungen eines Antrages
zum Weltkulturerbe widerspiegeln. Die öffentliche
Hand, die Bundesregierung, muss endlich in angemesse-
ner Weise die Verantwortung übernehmen.

Ja: „Weltkulturerbestätten können nur erhalten, ge-
schützt und entwickelt werden im Zusammenwirken mit
der Gesellschaft, die sie ererbt oder aus der sie kulturell
und materiell hervorgegangen ist“ – wie es in Ihrem An-
trag heißt. Und es sind alle Beteiligten auf den verschie-
denen Ebenen und mit verschiedenem Status im öffentli-
chen, privaten oder gemeinnützigen Sektor aufgerufen,
für den Erhalt des Welterbes zusammenzuarbeiten. Der
Bund aber hat in dieser Sache eine klare nationale Ver-
antwortung, die er auch entsprechend wahrnehmen
muss: Er muss die entsprechenden rechtlichen und fi-
nanziellen Voraussetzungen schaffen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Im nächsten Jahr jährt sich zum 40. Mal die Verab-
schiedung des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz
des Kultur- und Naturerbes der Welt. Die Bundesrepu-
blik hat die Konvention vor 35 Jahren ratifiziert und ist
inzwischen mit 36 Stätten auf der Welterbeliste vertre-
ten. Weitere Stätten stehen auf der Vorschlagsliste oder
sind auf dem Weg zur Bewerbung.

Wir müssen uns intensiv um die bestehenden Stätten
kümmern und sie im Rahmen unserer finanziellen und
gesetzgeberischen Möglichkeiten unterstützen. Und na-
türlich dürfen wir auch nicht nachlassen, weitere Be-
werber zu ermutigen. Denn wir haben ein unvorstellbar
reiches Kulturerbe, das nicht nur uns gehört, sondern
auch den kommenden Generationen, allen Menschen
dieser Welt.

Wir begrüßen es, dass die Regierungskoalition sich
Gedanken darüber macht, wie wir das Welterbe weiter



gegebene Reden





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)

stärken und besser schützen können. Mit vielen Vor-
schlägen und Forderungen im Koalitionsantrag stim-
men wir überein.

Tatsächlich müssen wir unsere Kräfte zum Schutz der
Stätten zusammenführen und koordinieren. Auch das
touristische Potenzial der Stätten sollte weiter erschlos-
sen werden. Ebenso sollte die Bildungs- und For-
schungsarbeit bei der institutionellen Förderung unter-
stützt werden, denn das ist ja ein wesentlicher Beitrag,
um die Stätten lebendig zu halten. Wichtig ist es auch,
auf Barrierearmut hinzuwirken, damit wirklich alle
Menschen Zugang haben. Und auch die Erstellung von
Managementplänen kann die Stätten organisatorisch
stärken.

Auch im Abschlussbericht der Enquete-Kommission
Kultur finden sich entsprechende Empfehlungen und es
ist gut, dass es hier einen tragfähigen Konsens zwischen
den Fraktionen gibt.

Doch bei aller Übereinstimmung sehen wir Grüne
zwei wichtige Punkte, die im Antrag fehlen bzw. zu kurz
kommen: Einmal werden keine Konsequenzen aus der
Aberkennung des Welterbestatus für Dresden gezogen.
Zum anderen werden die besonderen Probleme des Welt-
naturerbes zu wenig berücksichtigt.

Die Aberkennung des Welterbestatus für Dresden, die
aus dem Bau der Waldschlößchenbrücke resultierte, war
ein Vorgang, der weltweit Aufsehen erregte. Das war ein
Fanal für die Stadt, für das Land Sachsen, für den Kul-
turstandort Bundesrepublik. Und es war nicht nur ein
„Politikum“, wie einige meinten, ein Einzelfall, aus dem
man keine allgemeinen Rückschlüsse ziehen müsste. Ri-
siken für den Welterbestatus gab und gibt es auch an-
derswo: in Potsdam, in Köln, im Mittelrheintal.

Die Enquete-Kommission Kultur hat klare Empfeh-
lungen zum Welterbe ausgesprochen, an erster Stelle die
Empfehlung an die Bundesregierung, in Abstimmung mit
den Ländern ein Vertragsgesetz zum Schutz des Welter-
bes auf den Weg zu bringen, um die Welterbe-Konven-
tion mit einer innerstaatlich verpflichtenden Bindungs-
wirkung auszustatten. Das haben seinerzeit alle
Fraktionen in der Enquete-Kommission unterstützt.

Ein Antrag unserer Grünen-Fraktion aus dem Jahr
2009, der nach Dresden mit dieser Empfehlung ernst
machen wollte, fand aber leider nur die Unterstützung
der damaligen Oppositionsfraktionen. Die Große Koali-
tion lehnte ab, mit Begründungen, die nicht nur
für mich, sondern wohl auch für Kulturpolitikerinnen
und -politiker aus SPD und Union nicht ganz überzeu-
gend sein dürften. Dass ein solches Umsetzungsgesetz
etwa Bürokratie schaffen würde, sehe ich nicht. Das Ge-
genteil ist der Fall. Bei Dresden wäre viel Bürokratie er-
spart worden, wenn das Welterbe einen klaren Schutz-
status hätte.

Dass man sich mit den Gründen für die Ablehnung ei-
nes Umsetzungsgesetzes seinerzeit nicht ganz sicher
war, zeigte sich auch daran, dass eine erneute Prüfung
eines solchen Gesetzes für die gegenwärtig laufende Le-
gislaturperiode angekündigt worden war. Zu einer sol-
chen – unvoreingenommenen – Prüfung möchte ich die
Koalition nun auffordern. Der Schutz des Welterbes ist
es wert.

Unser zweiter größerer Kritikpunkt am Antrag der
Koalition ist die unzureichende Berücksichtigung des
Weltnaturerbes. Mit dem Wattenmeer und jüngst auch
den Buchenwäldern haben wir bedeutende Naturerbe-
stätten hinzugewonnen, die teilweise sogar grenzüber-
greifend sind. Darüber freuen wir uns. Auch wenn der
Naturschutz in die Zuständigkeit der Länder fällt, ist die
gesamtstaatliche und sogar internationale Relevanz die-
ser Stätten denkbar groß.

Wir sollten nun sehen, wie wir das Naturerbe ange-
messener in den Förderstrukturen berücksichtigen kön-
nen. Wir begrüßen, dass das Wattenmeersekretariat
jüngst per Gesetz die Möglichkeit erhielt, selbst Förder-
mittel zu beantragen. Das ist gut für diesen Teil des Na-
turerbes, aber die Buchenwälder haben nichts davon.

Wichtig ist es, die Förderinstrumente besser auf die
relevanten Träger zuzuschneiden, ohne dabei jedem Trä-
ger per Gesetz einen passenden Rechtsstatus verpassen
zu müssen. Dazu sollte insbesondere das auf Kommunen
zugeschnittene Förderprogramm „Investitionen in na-
tionale UNESCO-Welterbestätten“ leichter für andere
Träger wie Nationalparkverwaltungen und grenzüber-
greifende Vorhaben zugänglich werden. Auch hier sehen
wir einen wichtigen Ergänzungsbedarf im Koalitionsan-
trag.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713630200

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/7357 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist dies
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Strategie gegen Lebensmittelverschwendung
entwickeln

– Drucksache 17/7458 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.1) –
Alle sind damit einverstanden. Die Namen der Kollegin-
nen und Kollegen liegen uns vor.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7458 an die in der Tagesordnung aufge-

1) Anlage 7





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie alle sind damit
einverstanden. Dann ist das auch so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie
sowie zur Änderung steuerlicher Vorschrif-

(Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG)


– Drucksache 17/6263 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksachen 17/7469, 17/7524 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Daniel Volk
Dr. Thomas Gambke

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/7515 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Priska Hinz (Herborn)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Protokoll zu geben.1) – Sie sind damit einverstanden.
Die Namen der Kolleginnen und Kollegen liegen dem
Präsidium vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sachen 17/7469 und 17/7524, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/6263 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltun-
gen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage-
gen? – Niemand. Enthaltungen? – Das sind die Fraktio-
nen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion.
Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,

1) Anlage 8
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Mineralölhaltige Druckfarben bei wiederver-
wendbarem Papier und Lebensmittelverpa-
ckungen verbieten

– Drucksache 17/7371 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier vor.


Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1713630300

Wir stimmen heute über einen Antrag der Linksfrak-

tion ab, den wir – das wird Sie sicherlich nicht überra-
schen – ablehnen.

Wir lehnen diesen Antrag nicht ab, weil wir uns der
Problematik von durch Mineralölbestandteile verunrei-
nigten Lebensmitteln nicht bewusst sind. Wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion wissen um die möglichen Fol-
gen, welche durch aromatische Mineralölkohlenwasser-
stoffe in Lebensmitteln verursacht werden können. Die
Ablehnung des Antrags der Linksfraktion bedeutet im
Umkehrschluss jedoch nicht, dass wir den Plänen des
BMELV unkritisch gegenüberstehen.

Wir setzen bei der Lösung des Problems – anders als
die Linksfraktion – nicht auf Verbote und Vorschriften,
sondern wir sind der Überzeugung, dass nur eine ge-
meinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten zu einer
sinnvollen Lösung führen kann. Erzeuger von Lebens-
mitteln, die Papier- und Verpackungsindustrie, die
Druckindustrie und die Hersteller von Druckfarben sol-
len unserer Ansicht nach gemeinsam mit Parlament und
den beteiligten Ministerien auf Landes- und Bundes-
ebene für eine praktikable und vor allem nachhaltige
Reduzierung von Mineralölbestandteilen in Packstoffen
sorgen, die für alle tragbar ist. Wir sind entgegen der
Meinung der Antragsteller der Ansicht, dass die betei-
ligten Unternehmen den Verbraucherschutz als hohes
Gut ansehen und an einer Reduzierung der Mineralöl-
bestandteile ebenso interessiert sind wie wir alle hier in
diesem Hohen Haus.

Das eben Vorgestellte ist natürlich nur Zukunftsmu-
sik, und wir müssen jetzt Wege finden, um das Risiko,
welches durch die Migration von Mineralöl in Lebens-
mitteln unbestritten entsteht, zu minimieren.

Ich gehöre der Generation an, die ihre Lebensmittel
noch lose gekauft und zu Hause in Blechdosen oder Ähn-
lichem aufbewahrt haben. Das ist heute sicherlich nicht
mehr modern, wäre aber eine kurzfristige Möglichkeit,
einer zu langen Aufbewahrung in eventuell gefährlichen
Materialien zuvorzukommen.

Einen ersten Schritt in die richtige Richtung hat die
Papierindustrie bereits getan, indem sie bei der Herstel-
lung von Packstoffen für Lebensmittelverpackungen be-

Carola Stauche


(A) (C)



(D)(B)

wusst auf den definierten Eintrag von Zeitungsaltpapier
und auf mineralölbasierte Prozesshilfestoffe verzichtet.
Auch wird bereits – wie in dem Antrag gefordert, jedoch
freiwillig – mineralölfreie Druckfarbe durch die bear-
beitende Industrie eingesetzt, um so eine weitere Belas-
tung zu reduzieren.

Das BMELV hatte bereits im vergangenen Jahr viele
Gespräche mit Vertretern der Industrie geführt, in denen
deutlich wurde, dass technische Maßnahmen auf der
Verpackungsebene vordringlich sind, um das von uns
heute hier diskutierte Problem der Mineralölbelastung
von Lebensmitteln durch Verpackungen zu lösen. Mög-
lich wären beispielsweise Innenverpackungen mit Barri-
erewirkung, wie sie bereits bei vielen Verpackungen am
deutschen Markt existieren. Dass viele dieser Innenver-
packungen noch nicht den Schutz bieten, den wir uns
alle wünschen, wissen wir. Es wird bereits an Innen-
beschichtungen für Recyclingpapier geforscht, die den
Übergang von Mineralöl auf Lebensmittel effektiv ver-
hindern. Dies wird aktiv durch das BMELV unterstützt,
was wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich
befürworten.

Natürlich wäre es begrüßenswert, wenn die Zeitungs-
verleger mineralölfreie Zeitungsdruckfarben benutzen
würden. Dabei gibt es allerdings noch erhebliche Pro-
bleme. Angefangen bei der Umstellung der Druckver-
fahren bis hin zur Recyclefähigkeit des Papiers gibt es
viele Dinge zu beachten, die eine solche grundlegende
Veränderung mit sich bringt. Ein Verbot auszusprechen,
wäre sicherlich einfach, kommt aber unserem Ansatz,
eine gemeinsame Lösung mit allen Beteiligten herbei-
zuführen, nicht entgegen.

Was bei der Diskussion um die Mineralölminimie-
rung in Lebensmitteln nicht vergessen werden darf, ist
der Anteil von Mineralölbestandteilen, der nicht durch
die Verpackung in die Lebensmittel gerät. Es wäre doch
möglich, dass es noch andere Quellen gibt als eine Ver-
packung, durch welche mineralölhaltige Bestandteile in
die Lebensmittel gelangen können. Diese gilt es zu un-
tersuchen, und auch hier müssen Lösungsansätze er-
dacht werden, um dies zu verhindern.

Lassen Sie uns gemeinsam nach einer praktikablen
und nachhaltigen Lösung zur Reduzierung von Mineral-
ölbestandteilen in Lebensmitteln suchen, die für alle Be-
teiligten tragbar ist.


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1713630400

Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, dass

die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen soll,
in dem ein sofortiger Verzicht auf mineralölhaltige
Druckfarben festgelegt wird, eine Positivliste für unbe-
denkliche Druckfarben vorgibt und dafür sorgt, dass nur
Druckfarben verwandt werden dürfen, für die eine ge-
sundheitliche Unbedenklichkeit vorliegt. Diese Forde-
rungen sind alle richtig, genauso hatte der Verbraucher-
zentrale Bundesverband es übrigens auch in einer
Stellungnahme festgehalten.

Es ist auch richtig, dass in dem Entwurf zur 21. Ver-
ordnung zur Änderung der Bedarfsgegenständeverord-
Zu Protokoll
nung der Bundesregierung nur ein teilweises Verbot von
Mineralölbestandteilen in Druckfarben und nur für Ver-
packungsaufdrucke vorgesehen ist. Recyclingpapier, das
ebenfalls für Lebensmittelkartons verwandt wird, wird
in dieser Verordnung nicht berücksichtigt, obwohl es als
Problem erkannt wird.

Auch ich finde es höchst bedenklich, dass Druckfar-
benrückstände in Recyclingpapier oder -kartons für Le-
bensmittelverpackungen enthalten sind und gesundheit-
liche Schäden der Verbraucherinnen und Verbraucher
hervorrufen können. Es müssen aus unserer Sicht drin-
gend Lösungen für eine Reduzierung der Übergänge von
Mineralöl aus Recyclingkartonverpackungen auf Le-
bensmittel gefunden werden. Dafür muss die Bundesre-
gierung Regelungen treffen.

Untersuchungen in Schweizer Laboren und Warnun-
gen des Bundesinstitutes für Risikobewertung haben
aufgezeigt, dass die schädlichen Stoffe für gesundheitli-
che Beeinträchtigungen insbesondere dann auftreten
können, wenn Lebensmittel wie zum Beispiel Reis oder
Nudeln lose in Kartons aus Recyclingpapier verpackt
sind. Die schädlichen Erdölreste gelangen vor allem
über die Verwendung von Zeitungen im Altpapiermix in
die Kartons. Druckfarben für Zeitungen bestehen bis zu
30 Prozent aus Mineralöl. Aus dem Lebensmittelkarton
verdampft dann der Stoff und schlägt sich auf den Nah-
rungsmitteln nieder.

Zur Zeit wird teilweise eine Minimierung der Schad-
stoffanreicherung durch Umverpackungen der Lebens-
mittel erreicht. Dies kann aber nur eine vorübergehende
Lösung sein. Denn erstens sollte aus Umweltschutzgrün-
den noch mehr Verpackungsmüll vermieden werden.
Und zweitens gibt es neue wissenschaftliche Erkennt-
nisse, dass selbst durch Plastik die Schadstoffe in die Le-
bensmittel übergehen können.

Wir brauchen also dauerhafte Lösungen und neue
technische Verfahren, um Verbraucherinnen und Ver-
braucher vor den Schadstoffen zu schützen. Durch
strenge Grenzwerte in einer Mineralölverordnung hat
das BMELV in einem Referentenentwurf vom Mai 2011
einen ersten Vorschlag zur Lösung des Problems vorge-
legt. Darin wurde ein von der WHO festgelegter Grenz-
wert für gesättigte Kohlenwasserstoffe im Essen über-
nommen. Danach dürfte jeder im Schnitt nur 0,6 Milli-
gramm pro Tag davon zu sich nehmen, die Untersuchun-
gen in der Schweiz hatten aber 2010 bereits den vierzig-
fachen Wert in bestimmten Lebensmitteln festgestellt.

Der Vorschlag aus dem BMELV wird aber zur Zeit
noch diskutiert und, wie wir hören, könnte noch eine
Grenzwertänderung aufgrund von neuen wissenschaftli-
chen Erkenntnissen erfolgen. Auch soll dann der Verpa-
ckungsindustrie überlassen werden, wie sie die Einhal-
tung der Grenzwerte umsetzt. Das geht aus meiner Sicht
so nicht.

Wir wollen, dass innovative und neue Ansätze er-
forscht werden, mit denen auch weiterhin recyceltes Alt-
papier für Verpackungen zugelassen werden kann. Zum
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher muss das
BMELV klare Vorgaben für strenge Grenzwerte festle-



gegebene Reden

Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

gen und deren Einhaltung genau vorschreiben und kon-
trollieren. Selbst ein Verbot von allen mineralölhaltigen
Druckfarben für Zeitungen wäre nach meiner Meinung
durchaus angebracht.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1713630500

Mineralölhaltige Druckfarben in Lebensmittelverpa-

ckungen sind in letzter Zeit ins Gerede gekommen, weil
in einigen Messungen erhöhte Übertritte von Mineralöl-
rückständen in das Lebensmittel nachgewiesen wurden.
Wir als christlich-liberale Koalition nehmen diese Er-
kenntnisse sehr ernst. Denn wir wollen den Verbraucher
vor Gesundheitsgefahren schützen. Deshalb sind wir als
Koalition auch vorangegangen. Das Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
hat inzwischen einen entsprechenden Verordnungsent-
wurf vorgelegt, der sich derzeit in der Anhörung befin-
det. Mit dieser Verordnung greifen wir das Problem auf
und wollen den Einsatz von mineralölhaltigen Druckfar-
ben klarer regeln. Unser Ziel ist es dabei, zu erreichen,
dass durch Druckfarben keine Migration mehr in das
Lebensmittel erfolgen kann.

Ist also ein Verbot solcher mineralölhaltiger Druck-
farben, wie es die Linke in ihrem Antrag fordert, notwen-
dig und sinnvoll? Da bin ich sehr skeptisch und ich
möchte auch gerne ausführen, warum. Bisher ist noch
Vieles ungeklärt. Es muss erst einmal anhand wissen-
schaftlicher Daten geprüft werden, welche Höchstwerte
aus Gründen des Gesundheitsschutzes überhaupt erfor-
derlich sind. Darüber hinaus müssen aus Gründen der
Rechtssicherheit validierte Analyseverfahren festgelegt
werden.

Ebenfalls unklar ist, woher denn die Einträge von Mi-
neralölspuren überhaupt stammen. Quellen sind offen-
bar im Rahmen des Altpapierrecyclings in den Karton
gelangte Zeitungsdruckfarben sowie mineralölhaltige
Farben, mit denen die Kartonverpackung bedruckt
wurde. Darüber hinaus gibt es aber auch noch weitere
mögliche Quellen wie Transport-, Verarbeitungs- und
Lagerbedingungen von Lebensmittelrohmaterialien, die
nicht ausgeschlossen werden können. Auch der Über-
gang von Mineralölspuren von Umverpackungen in die
eigentliche Lebensmittelverpackung und darüber in das
Lebensmittel ist nicht auszuschließen.

Die Folgen eines grundsätzlichen Verbots von mine-
ralölhaltigen Druckfarben bei wiederverwertbarem Pa-
pier wären jedoch für die Zeitungsherstellung erheblich.
Zeitungsverleger würden vor erhebliche Probleme ge-
stellt, da sie zu einer Umstellung ihrer Drucktechnik ge-
zwungen wären. Dabei trägt der Zeitungsverleger keine
Verantwortung dafür, dass sich Zeitungen als Recycling-
produkte in Lebensmittelverpackungen wiederfinden.
Man könnte sich zwar auf den Standpunkt stellen, dass
Zeitungen zukünftig separat recycelt werden müssen, um
einen Eintrag von Mineralölen in Lebensmittelverpa-
ckungen zu vermeiden. Dabei muss man aber aufpassen,
das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: Denn eine
Trennung von Zeitungen und anderen Papierprodukten
bei der Altpapiererfassung stellte den gesamten Prozess
Zu Protokoll
des in Deutschland vorbildlichen Papierrecyclings in-
frage.

Deshalb verfolgen wir als christlich-liberale Koali-
tion ein Minimierungskonzept, um den Übergang von
Mineralölrückständen in Lebensmittel zu vermeiden.
Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor
möglichen Gesundheitsgefahren werden Höchstmengen
für den Übergang von gesättigten und aromatischen
Kohlenwasserstoffen aus Lebensmittelbedarfsgegenstän-
den, die unter Verwendung von Altpapierstoff hergestellt
sind, auf Lebensmittel festgelegt werden.

Es bleibt aber dabei, dass mehr Evaluation nötig ist,
auf welchem Wege diese Rückstände in die Lebensmittel
gelangen bzw. welche Grenzwerte zum Schutz der Ver-
braucher notwendig sind. Die Europäische Kommission
geht diesen Fragen derzeit ebenfalls nach. So führt die
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,
eine entsprechende Risikobewertung durch.

Die von ihnen geforderte Positivliste wird es im Übri-
gen geben. Einen entsprechenden Verordnungsentwurf
hat das BMELV auch bereits vorgelegt und diskutiert ihn
mit den beteiligten Akteuren. In die Positivliste sollen
nur solche Stoffe aufgenommen werden, für die eine Ri-
sikobewertung oder hierfür geeignete und ausreichende
toxikologische Daten verfügbar sind, sodass ihre Aus-
wirkungen auf die Gesundheit vom BfR geprüft und auf
dieser Basis sichere Höchstmengen abgeleitet werden
können. Stoffe, zu denen keine für eine gesundheitliche
Bewertung ausreichenden Unterlagen vorhanden sind,
sollen zwar auch verwendet werden dürfen. Die Zulas-
sung wird jedoch an die Maßgabe geknüpft, dass diese
Stoffe aus Druckfarben nicht auf Lebensmittel überge-
hen, das heißt, in Lebensmitteln nicht nachweisbar sind.
Als Nachweisgrenze ist ein Wert von jeweils 0,01 Milli-
gramm pro Kilogramm Lebensmittel vorgesehen. Auf
Grund ihres besonderen Gefährdungspotenzials sollen
von der Verwendung allerdings CMR-Stoffe, also Stoffe
mit krebserregenden, erbgutverändernden oder fort-
pflanzungsgefährdenden Eigenschaften ausgeschlossen
werden. Damit verbunden wird auch sein, dass keine
Druckfarben mit mineralölhaltigen Bestandteilen bei
der Bedruckung von Lebensmittelverpackungen verwen-
det werden dürfen.

Die Verpackungsindustrie selbst ist unterdessen nicht
untätig geblieben und hat auf das Problem bereits re-
agiert. Die Wirtschaftsverbände Papierverarbeitung (WPV)

und die angeschlossenen Mitgliedsverbände haben bei-
spielsweise eine Selbstverpflichtung erarbeitet, beim
Bedrucken von Verpackungen aus Papier, Karton und
Pappe nur noch mineralölfreie Druckfarben einzuset-
zen, die auf dem Markt verfügbar sind. Das ist ein aus-
gezeichneter Ansatz.

Aus meiner Sicht lässt sich das Problem vor allem
durch technische Maßnahmen auf der Verpackungs-
ebene selbst lösen. Beispielsweise können auch durch
die Verwendung von Innenverpackungen mit Barriere-
wirkung Mineralölübergänge minimiert werden. Ein
Müsli kann zum Beispiel in einen Innenbeutel verpackt
werden, so dass es mit der Umverpackung gar nicht
mehr in Berührung kommt. Diese bietet einen effizienten



gegebene Reden

Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)

Schutz, ohne dass wir den gesamten Zeitungsmarkt vor
Probleme stellen, die dieser gar nicht zu verantworten
hat.

Der Antrag der Linken schießt also weit über das Ziel
hinaus. Daher lehnen wir diesen ab.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713630600

Wir behandeln einen Antrag meiner Fraktion Die

Linke, der zum Ziel hat, mineralölhaltige Farben bei
Druckerzeugnissen zu verbieten. Der Grund: In karton-
verpackten Lebensmitteln finden sich gesundheitsschäd-
liche Bestandteile dieser Druckfarben wieder, und zwar
in Dosierungen, die die Grenze der Unbedenklichkeit
bei Müsli, Mehl oder Nudeln zum Teil um das Hundert-
fache überschreiten. Diese Stoffe lagern sich im mensch-
lichen Organismus ein, in den inneren Organen und in
den Lymphknoten. Dies kann zumindest zu Vergiftungen
und Schädigungen dieser Organe führen und auch wei-
tergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen nach
sich ziehen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung,
BfR, kommt daher zu dem Schluss, „dass der Übergang
von Mineralölen auf Lebensmittel dringend minimiert
werden sollte“.

Das Problem entsteht nicht erst durch die Werbeauf-
drucke auf den Verpackungen. Sie machen lediglich ein
Fünftel der Schadstoffbelastung aus. Die Hauptgefahr
steckt im Papier bzw. im Karton selbst. Die Kartonagen
bestehen zum größten Teil aus wiederverwendetem Alt-
papier, das mit Mineralölfarben bedruckt war. Die
gesundheitsschädlichen Farbbestandteile können beim
Recycling jedoch nur zu einem Teil herausgewaschen
werden. Es ist hervorzuheben: Ohne Recycling geht in
der Papierindustrie heute gar nichts mehr. Aus Gründen
des Umweltschutzes und der Wirtschaftlichkeit ist die
Wiederverwertung unverzichtbar. Der Anteil von Recy-
clingpapier und -karton beträgt im Lebensmittelbereich
bereits 70 Prozent und macht jährlich nahezu 3 Millio-
nen Tonnen aus. Um den hohen Bedarf der Papierindus-
trie an Altmaterial auch unter wirtschaftlichen Aspekten
zu sichern, ist ein sofortiger Verzicht auf mineralöl-
haltige Druckfarben erforderlich, und zwar für alle
Druckerzeugnisse aus Papier und Karton.

Die von der Druckindustrie vorgeschlagene Tren-
nung der Recyclingware zwischen Druckpapier und Ver-
packungen ist logistisch kaum machbar und wirtschaft-
lich unsinnig. Zudem werden auf dem Markt vielfältige
unbedenkliche und mineralölfreie Druckfarben angebo-
ten. Nun muss ein rasches Verbot mineralölhaltiger
Druckfarben dafür sorgen, dass innerhalb der nächsten
Jahre die Schadstoffe aus dem Verwertungskreislauf ver-
schwinden. Aus Gründen des vorsorgenden Verbrau-
cherschutzes wird es vorübergehend, bis zum Erreichen
der Unbedenklichkeit der Schadstoffwerte, nötig sein,
die Lebensmittel mit einer zusätzlichen Folienver-
packung in der Kartonage abzuschirmen.

Die jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Ein-
undzwanzigste Verordnung zur Änderung der Bedarfs-
gegenständeverordnung – Druckfarbenverordnung – sieht
aber nur ein Verbot von mineralölhaltigen Druckfarben
Zu Protokoll
für die Aufdrucke der Lebensmittelverpackungen vor.
Die weitaus größere Schadstoffquelle, das vormals be-
druckte Recyclingpapier, findet darin keine Berücksich-
tigung. Die Belastung von Lebensmitteln durch gesund-
heitsschädliche Druckfarbenbestandteile wird damit
nicht verhindert.

Das Vorhaben der Bundesregierung ist daher für ei-
nen wirksamen gesundheitlichen Schutz der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher völlig ungeeignet.

Deshalb fordern wir, die Linke, mit unserem Antrag
die Bundesregierung auf, den Einsatz mineralölhaltiger
Druckfarben bei wiederverwendbaren Papier- und Kar-
tonmaterialien umgehend zu verbieten. Wir brauchen
für die Firmen eine Positivliste unbedenklicher Druck-
farben, die für Lebensmittelbedarfsgegenstände verwen-
det werden dürfen. Um eine geringstmögliche Freiset-
zung von Schadstoffen und den Schutz der Menschen vor
unnötigen gesundheitlichen Gefahren zu erreichen, sol-
len die Regelungen für Lebensmittelkontaktmaterialien
nach dem anerkannten ALARA-Prinzip, „As Low As
Reasonably Achievable“ – so niedrig wie vernünftiger-
weise zu erreichen, zugrunde gelegt werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf: Schützen Sie
die Gesundheit der Bevölkerung und nehmen Sie den
Verbraucherschutz ernst. Nur ein Verbot von mineralöl-
haltigen Druckfarben macht unsere Lebensmittel sicher.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713630700

Bereits 2009 hat das Bundesinstitut für Risikobewer-

tung, BfR, vor der Verunreinigung von Lebensmitteln
durch Verpackungen aus Recyclingpapier gewarnt,
Quelle für die Verunreinigung sind nach Studien des BfR
mineralölhaltige Druckfarben. Das Problem ist ernst.

Mineralöle enthalten gesundheitsschädliche Kohlen-
wasserstoffe, die sich im Körper anreichern und zu
Schäden an inneren Organen oder zu Krebs führen kön-
nen. Solche Mineralölreste finden sich nun in unseren
Lebensmitteln. Durch Lebensmittelverpackungen aus
Recyclingpapier werden die darin verpackten Lebens-
mittel offensichtlich verunreinigt.

Eine Untersuchung der Stiftung Warentest vom
Herbst 2010 brachte hervor, dass von 31 Fertigkloßpro-
dukten neun Ölverschmutzungen enthielten. Bei man-
chen Klößen reichte bereits eine Portion, um den in Ih-
rem Verordnungsentwurf vorgelegten Grenzwert von
0,6 Milligramm zu erreichen. Auch das Expert Commit-
tee on Food Additives, JECFA, der World Health Orga-
nization, WHO, hat einen Grenzwert für Mineral Oil
Saturated Hydrocarbons – kurz MOSH – von
0,6 Milligramm pro Kilogramm in Lebensmitteln be-
schlossen. Bei Studien in der Schweiz und in Deutsch-
land sind Überschreitungen dieses Wertes um einen
Faktor 10 bis 100 gefunden worden.

Recyclingpapier ist ökonomisch und ökologisch not-
wendig, Verpackungen aus Frischfasern herzustellen,
wäre ökologisch kaum verantwortbar. Daher muss die
Bundesregierung umfassende Regelungen schaffen, die
den Verbraucher vor weiteren Schäden bewahren.



gegebene Reden





Nicole Maisch


(A) (C)



(D)(B)

Das BMELV hat erst in diesem Sommer einen Verord-
nungsentwurf zum Bedarfsgegenständegesetz vorgelegt.
Wo bleibt hier der vorsorgliche Verbraucherschutz? Das
Problem ist seit langem bekannt. Entsprechende Schutz-
maßnahmen sind bisher ausgeblieben. Dabei hält das
Bundesinstitut für Risikobewertung es für „dringend ge-
boten“, die Diffusion von Mineralöl in Lebensmittel so
gering wie möglich zu halten.

Gefragt sind Lösungen, die auch ökologisch Sinn ma-
chen: Es liegt an den beteiligten Industriezweigen,
– Druckfarben, Zeitungsdruck, Erfassung von Altpapier,
Papierherstellung, Verpackungsmittelherstellung, Le-
bensmittelabfüllung –, gemeinsam ökologisch vertret-
bare Lösungen zu finden, welche den strengen rechtli-
chen Bestimmungen zum Schutz der Konsumenten
gerecht werden. Der Gesundheitsschutz muss aber
höchste Priorität haben. Wenn die Grenzwerte akut nicht
ohne Innenbeutel einzuhalten sind, ist das vorüberge-
hend hinzunehmen.

Letztlich hilft allerdings nur eines: mineralölhaltige
Druckfarben durch gesundheitlich unbedenkliche zu er-
setzen. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen.
Die Druckindustrie muss sich bewegen.

Die Industrie scheint nicht in der Lage zu sein, die
Verunreinigung von Lebensmitteln mit Mineralölen ein-
zudämmen. Nicht zuletzt der Umgang mit ITX-Druckfar-
ben aus dem Jahr 2006 hat gezeigt, dass die Industrie
sich mit freiwilligen Vorgaben schwertut. Hier muss die
Bundesregierung Vorgaben für die Druckindustrie ma-
chen. Freiwilligkeit hilft hier nicht weiter.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713630800

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/7371 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind alle damit
einverstanden. Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Gräbergesetzes

– Drucksache 17/6207 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)


– Drucksache 17/7424 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Franz Müntefering
Florian Bernschneider
Heidrun Dittrich
Till Seiler

Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, wer-
den die Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der
Kolleginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.

Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1713630900

Auf unserer Tagesordnung steht heute der Entwurf ei-

nes Dritten Gesetzes zur Änderung des Gräbergesetzes.
Bevor ich genauer ausführe, welche Änderungen im Ein-
zelnen vorgesehen sind, möchte ich zunächst auf den ei-
gentlichen Kern der Gräbergesetzes zur sprechen kom-
men.

„Der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in be-
sonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Genera-
tionen die Erinnerung daran wach zu halten, welche
schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft ha-
ben“ – so ist der genaue Wortlaut des § 1 Abs. 1 Gräber-
gesetz. Mit dem in diesem Gesetzestext festgelegten Ru-
herecht wollen wir insofern all jener gedenken, die
Opfer des nationalsozialistischen Regimes waren: Ju-
den, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen,
Kranken, aus politischen oder religiösen Motiven Ver-
folgten, Homosexuellen und all deren, die sich nicht den
genannten Gruppen zuordnen lassen. Gedenken wollen
wir außerdem der Opfer von rechtswidrigen Maßnah-
men des kommunistischen Regimes oder den Vertriebe-
nen gemäß § 1 des Bundesvertriebenengesetzes. Wir
wollen aber auch die Erinnerung an den Soldaten, der
bei seinem militärischen Dienst oder in Kriegsgefangen-
schaft verstarb, wachhalten.

Diese Gräber haben einen nicht messbaren Wert für
uns, und ihr Erhalt ist unverzichtbar. In absehbarer Zeit
wird es keine Zeitzeugen mehr geben, die zukünftige Ge-
nerationen daran erinnern, welche schrecklichen Fol-
gen Krieg und Gewaltherrschaft haben. Das dauerhafte
Bestehen der Gräber kann dies.

Ich komme nun zu dem vorliegenden Dritten Gesetz
zur Änderung des Gräbergesetzes. Ziel ist erstens, die
Kosten der Ruherechtsentschädigung zu stabilisieren
und transparent zu gestalten, und zweitens das bisher
aufwendige Verwaltungshandeln zu vereinfachen. Mehr
Transparenz und Effizienz statt überflüssiger bürokrati-
scher Regelungen.

Es ist seither so geregelt, dass die finanziellen Mittel
für eine Ruherechtsentschädigung – die dann gezahlt
wird, wenn durch den dauerhaften Bestand eines Grabes
im Sinne des Gräbergesetzes, Ruherecht, dem Eigentü-
mer des betroffenen Grundstücks ein Vermögensnachteil
entsteht, § 3 Absatz 1 des Gräbergesetzes – den Ländern
vom Bund zur Verfügung gestellt wird. Die Bundeslän-
der prüfen die von Friedhofsträgern geltend gemachten
Ansprüche und leisten sodann Zahlungen in Höhe des
jeweiligen Anspruchs.

Dieses bürokratische Verfahren lässt sich einfacher
gestalten: Mit der vorliegenden Gesetzesänderung ist
vorgesehen, dass der Bund den Ländern die Ruherechts-
entschädigung in Form einer Pauschale zahlt. Diese
wird formal der bewährten Praxis bei der Zahlung von
Pauschalen zur Instandsetzung und Pflege der Gräber
angeglichen.

Die Umstellung auf eine Pauschale trägt dem Gebot
der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung Rechnung
und führt zu mehr Effizienz im Verwaltungshandeln. Die
Neuregelung ist außerdem bereits erprobt, da die Zah-

Markus Grübel


(A) (C)



(D)(B)

lung der Instandsetzungs- und Pflegekosten nach § 10
Abs. 4 des Gräbergesetzes schon 2005 auf Pauschalen
umgestellt wurden. Insofern verfügen wir über einen Er-
fahrungswert.

Der Gesetzentwurf zur Änderung des Gräbergesetzes
steht in Einklang mit der Zielsetzung der Bundesregie-
rung, Verwaltungsverfahren effizienter zu gestalten.
Profitieren können davon sowohl Bund als auch Länder.
Die geplante Novellierung trägt zudem dem Wunsch der
Länder Rechnung, dass mit ihr keine Änderung von be-
willigten Ruherechtsentschädigungen einhergeht.

Ich bitte um Ihre Unterstützung für die geplante Än-
derung des Gräbergesetzes.


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1713631000

Das Dritte Gesetz zur Änderung des Gräbergesetzes

– Drucksache 17/6207 – dient dem Ziel, die Kosten der
Ruherechtsentschädigung stabil zu halten. Wir stimmen
dem Anliegen zu. Das gilt auch für einen neuen Art. 2 a.
Mit ihm wird klargestellt, dass in näher bezeichneten
Fällen zur Klarstellung die Dienststelle für die Benach-
richtigung der Angehörigen von Gefallenen der ehema-
ligen deutschen Wehrmacht, WASt, angerufen werden
kann.

Also: Zustimmung in der Sache. Trotzdem ist die Ent-
stehung dieses Gesetzes nicht voll befriedigend verlau-
fen. Dazu diese Anmerkung und Ankündigung:

Im Zusammenhang mit den Beratungen im zuständi-
gen Familienausschuss kamen auch eine Intervention
des Zentralrates der Sinti und Roma und eine Einzelpe-
tition zur Sprache, mit denen Neuregelungen zum Erhalt
der Grabstätten von NS-verfolgten Sinti und Roma an-
gestrebt werden. Leider blieb keine Zeit, die Problematik
gründlich zu vertiefen und Lösungen zu entwickeln. Das
bedauern wir. Vereinbart wurde aber, in einem Experten-
gespräch alle in diesem Zusammenhang aufgeworfenen
Fragen zu erörtern, die Positionen der Kommunen eben-
falls zu bedenken und so zu klären, ob der Ausschuss und
mit welchem Inhalt er einen Vorschlag formulieren
kann, der eine akzeptable Lösung garantiert. Die SPD
legt großen Wert darauf, dass diese Beratungen bald
stattfinden mit dem Ziel, das ehrende Gedenken an die
Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft dauerhaft zu si-
chern und die Erinnerung daran festzuhalten, welche
schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft ha-
ben.


Florian Bernschneider (FDP):
Rede ID: ID1713631100

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährte sich in die-

sem Jahr zum 65. Mal. Nicht zuletzt die nationale und
internationale Kriegsgräberfürsorge hat dafür gesorgt,
dass die Wunden dieser Zeit weitgehend verheilen konn-
ten. Angst und Schrecken sind der Versöhnung über den
Gräbern gewichen. Dennoch sind Kriegsgräber sowohl
stumme Zeugen als auch mahnende Institutionen einer
lebendigen Erinnerungskultur.

Instandhaltung und Pflege dieser Gräber werden be-
reits seit langem über Pauschalen vom Bund an die Län-
der abgegolten. Da in der Regel die Kommunen als
Zu Protokoll
Friedhofsträger für den Unterhalt der Gräber zuständig
sind, wird die Pauschale direkt an die kommunalen
Kämmerer weitergeleitet. Dieses Pauschverfahren hat
sich durch seine Einfachheit in der Verwaltungspraxis
gut bewährt. Allerdings ist die sogenannte Instandhal-
tungs- und Pflegepauschale nur ein Teil der mit den
Kriegsgräbern verbundenen Ausgaben des Bundes.

Per Gesetz steht den in den Kriegsgräbern bestatteten
Opfern das ewige Ruherecht zu. Die Friedhofsträger
sind daher verpflichtet, die Begräbnisstätten dauerhaft
zu erhalten. Dies kann in Gemeinden mit vielen Welt-
kriegsopfern zu einer erheblichen Flächeninanspruch-
nahme führen, was wiederum mit finanziellen Einbußen
für die Friedhofsträger verbunden ist. Daher erhalten
die Träger eine Ruherechtsentschädigung.

Bisher meldeten die Länder die Anzahl der jeweils
vorhandenen Kriegsgräber an den Bund und erhielten
für jedes Grab die entsprechende Entschädigung. Dieses
Verfahren war dem Umstand geschuldet, dass auch viele
Jahre nach Kriegsende immer noch Opfer der Welt-
kriege gefunden wurden und sich die Zahl der Kriegs-
gräber damit ständig erhöhte. Insbesondere mit der Wie-
dervereinigung stieg die Zahl der Kriegsgräber noch
einmal erheblich. Grund hierfür waren vor allem nicht-
deklarierte Massengräber im Umfeld ehemaliger Kon-
zentrationslager in den neuen Bundesländern.

In den letzten Jahren gab es jedoch kaum noch Funde
in nennenswertem Umfang, und damit hat sich auch die
Zahl der Kriegsgräber kaum mehr verändert. Von ver-
einzelten Funden abgesehen, ist nach derzeitigem
Kenntnisstand davon auszugehen, dass sich hieran über
65 Jahre nach Kriegsende kaum mehr etwas ändern
wird.

Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Gräberge-
setzes wird diesem Umstand Rechnung getragen. Die
Neuregelung sieht vor, dass die Ruherechtsentschädi-
gung an die Länder zukünftig in Form von Pauschalen
geleistet wird. Das entspricht exakt dem Verfahren, das
bei der Festsetzung der Instandsetzungs- und Pflegepau-
schale für die Kriegsgräber bereits vorgesehen ist und
sich in der Praxis lange Jahre bewährt hat.

Die neue Regelung soll die Finanzierung der Ruhe-
rechtsentschädigung stabilisieren und sie haushalts-
rechtlich besser planbar machen. Auch für den Fall,
dass die festgesetzte Pauschale in einzelnen Kommunen
nicht zur Deckung der Ansprüche auf Ruherechtsent-
schädigung ausreicht, ist in der Gesetzesnovelle vorge-
sorgt: Auf Antrag wird ein Zuschlag in Höhe von bis zu
10 Prozent der Pauschale gewährt, um eventuell nicht
abgedeckte Kosten aufzufangen. Damit kommt die Bun-
desregierung dem Wunsch der Länder nach, durch die
Reform keine finanziellen Einbußen hinnehmen zu müs-
sen.

Die Anwendung von Pauschalen hat sich in vielen an-
deren Bereichen der öffentlichen Verwaltung bewährt
und an zahlreichen Stellen die umständliche Einzelfall-
bewilligung abgelöst. Für eine solche Verschlankung
und Vereinfachung bürokratischer Verfahren hat sich die
FDP seit jeher eingesetzt. Es ist daher auch ihr Ver-



gegebene Reden

Florian Bernschneider


(A) (C)



(D)(B)

dienst, dass die Finanzierung der Kriegsgräber nun auf
zeitgemäßen und soliden Füßen steht – damit die Ver-
söhnung auch in Zukunft über würdigen Gräbern statt-
finden kann.

Ziel der heute zu verabschiedenden Novelle ist in ers-
ter Linie eine Verwaltungsvereinfachung. Hiervon unbe-
rührt bleibt jedoch die Frage, bis zu welchem Stichtag
die Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft
unter den Geltungsbereich des Gräbergesetzes fallen
und damit das ewige Ruherecht zugesprochen bekom-
men können. An die Parlamente von Bund und Ländern
wurde vonseiten der Sinti und Roma verschiedentlich
der Wunsch herangetragen, den derzeitigen Stichtag
31. März 1952 im Zuge der Novelle zu verändern.

Sinti und Roma argumentieren, dass Angehörige ih-
rer Gemeinschaft zum Teil deutlich später als 1952 an
den Folgen ihrer erlittenen Misshandlungen gestorben
seien. Aus Sicht dieser Menschen ist die Frage, warum
ihren verstorbenen Angehörigen das ewige Ruherecht
verwehrt wird, also durchaus berechtigt. Es ist ein Ge-
bot der Fairness für uns als Politiker, diese Frage ernst
zu nehmen und in der gebotenen Tiefe zu behandeln.

Dabei lassen sich jedoch schon heute einige Pro-
blemfelder identifizieren. So müsste eine Änderung des
Stichtages in gleicher Weise für alle anderen Opfergrup-
pen gelten und wäre voraussichtlich mit einem deutlich
erhöhten Prüfaufwand verbunden. Und auch wenn wir
uns entschließen sollten, diesen Prüfaufwand in Kauf zu
nehmen, stünde einer Erweiterung des Ruherechts auf
nach dem 31. März 1952 verstorbene Opfer weiterhin
die Tatsache entgegen, dass die Gräber dieser Opfer von
den Familien der Angehörigen gepflegt werden. Nach
§ 9 Abs. 2 Gräbergesetz können privatgepflegte Gräber
jedoch nicht in die öffentliche Obhut übernommen wer-
den.

Nichtsdestotrotz müssen diese Fragen diskutiert wer-
den. Deswegen haben auch wir den Vorschlag gemacht,
im Kreise der Berichterstatter ein Expertengespräch
zum Gräbergesetz durchzuführen, um die skizzierten
Fragen und mögliche Lösungen zu erörtern. Wir können
nicht in einem „vorauseilenden Gesetzesgehorsam“ die
berechtigten Anliegen, Gefühle und Werte der Sinti und
Roma übergehen. Vielmehr sollten wir uns noch einmal
ergebnisoffen und in aller diesem sensiblen Thema an-
gemessenen Breite damit auseinandersetzen.

Für die FDP schließt an diesen Themenkomplex zu-
dem die Frage an, wie wir mit Opfern umgehen, die in
heutigen Einsätzen ums Leben kommen. Ich würde mich
freuen, wenn wir im Sinne einer lebendigen und aktuel-
len Ereignissen angemessenen Erinnerungskultur auch
diese Frage ausführlicher erörtern würden. Auch hier-
für bietet das geplante Expertengespräch einen guten
Rahmen.


Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713631200

Bisher schützt der Staat mit diesem Gesetz die Gräber

aller Opfer aus Krieg und Gewaltherrschaft, unabhän-
gig davon, ob sie als deutscher Soldat oder als Opfer des
deutschen Faschismus gestorben sind. Durch diese Ge-
Zu Protokoll
setzesänderung wird dieser Schutz aus Kostengründen
heruntergeschraubt.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Bei Bauarbeiten auf
Ihrem Grundstück finden Sie menschliche Überreste.
Wenn Sie diese melden, kann es passieren, dass Sie einen
Teil ihres Grund und Bodens verlieren, da sie nach
§ 2 Abs. 2 GräbG dazu verpflichtet sind, „das Grab be-
stehen zu lassen, den Zugang zu ihm sowie Maßnahmen
und Einwirkungen zu seiner Erhaltung zu dulden“. Bis-
her erhalten sie dafür eine finanzielle Entschädigung.

Wenn heute dieser Gesetzentwurf beschlossen wird,
gibt es bei neu gefundenen Grabstellen keine Entschädi-
gungszahlungen mehr. Das bedeutet, dass sich Grund-
stückseigentümer wohl zukünftig sehr genau überlegen
werden, ob sie einen Fund melden oder nicht. Und da
muss man sich dann fragen, wie das Ruherecht zukünftig
wirkungsvoll gewährleistet werden soll.

Zum Zweiten kritisiere ich, dass zukünftig für schon
bestehende Gräber den Ländern nur noch eine pauscha-
lierte Kostenerstattung für die Grabpflege gewährt wird.
Konnten die Kommunen bisher die realen Kosten ersetzt
bekommen, so steht Ihnen zukünftig nur noch ein Betrag
von circa 20 Euro pro Jahr für ein Grab zur Verfügung;
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums
für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen vom
19. Mai 2011 Az.: IV1/6491.03-1/4. Somit versucht die
Bundesregierung, 65 Jahre nach Kriegsende die Finan-
zierung des Gräberschutzes und das Niveau der Ge-
denkkultur abzusenken.

Wir sind der Meinung, dass demokratische Politik in
Deutschland immer der bis heute einzigartigen Verbre-
chensgeschichte des deutschen Faschismus und der da-
raus erwachsenen historischen Verantwortung gerecht
werden muss. Dazu gehört auch der Erhalt und der Aus-
bau der Gedenkstätten und der Gedenkstättenarbeit.

Besonders wichtig ist aus meiner Sicht der Erhalt der
Opfergräber der Sinti und Roma. Seit 2009 fordert der
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Gräber der
verfolgten Sinti und Roma unter den Schutz des Gräber-
gesetzes zu stellen.

Bisher ist leider nichts geschehen. Bundeskanzlerin
Merkel und die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
nahmen sich auch nicht der Bitte des Zentralrats Deut-
scher Sinti und Roma an, in dieser Frage zu vermitteln.
Im Januar 2011 sprach Zoni Weisz im Deutschen Bun-
destag zum Völkermord an den Sinti und Roma. Er be-
dauerte, dass dieser in den Medien, aber auch in der
Politik immer wieder vergessen wird. Bis heute ist es im-
mer noch nicht gelungen, die Gedenkorte von den Sinti
und Roma für ihre verstorbenen Holocaust-Überleben-
den zu erhalten. Viele Sinti und Roma haben nicht die fi-
nanziellen Mittel, diese wichtigen Gedenkorte für die
Nachwelt zu erhalten.

Die Begründung, warum Grabstätten von Sinti und
Roma nicht mithilfe des Gräbergesetzes erhalten werden
sollen, ist immer dieselbe: Wenn man eine bundesgesetz-
liche Regelung für die Erhaltung der Gräber von Sinti
und Roma treffen würde, so müsste man ja auch alle an-
deren Opfergruppen in einer solchen Regelung beach-



gegebene Reden





Heidrun Dittrich


(A) (C)



(D)(B)

ten. Das kostet Geld, und das will die Bundesregierung
nicht ausgeben. Da stellt sich die Frage, ob die Bundes-
regierung wirklich die Gedenkkultur an die Opfer des
deutschen Faschismus aufrechterhalten möchte.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wünscht
sich den Erhalt von circa 2 000 Grabstätten als ge-
schützte Gedenkorte. Diese sind für die Sinti und Roma
von großer Bedeutung, weil es für die meisten vom deut-
schen Faschismus ermordeten Angehörigen keine weite-
ren Grabstellen gibt.

Der Schutz dieser Gräber wäre ein wichtiges Zeichen
für die Demokratie. Ich möchte an dieser Stelle daran
erinnern, dass heutzutage Sinti und Roma in Rumänien,
Bulgarien, Ungarn und Tschechien wieder verfolgt wer-
den. In diesen Ländern werden sie schikaniert und be-
droht. Ihre Häuser werden angezündet, sie werden ver-
trieben und manchmal auch brutal ermordet. Und in
dieser Situation werden Sinti und Roma gruppenweise
vor allem nach Rumänien ausgewiesen. Besonders
Frankreich treibt diese Handhabung gerade voran. An-
gesichts dieser zunehmend gegen Sinti und Roma ge-
richteten Angriffe in Europa muss es uns ein Anliegen
sein, dass Grabstätten der Sinti und Roma geschützt
werden. Aus meiner Sicht hat gerade Deutschland eine
besondere Verpflichtung für soziale Gerechtigkeit und
Frieden. Und man sollte darüber nachdenken, ob wirk-
lich alle im Gesetz genannten Gruppen geschützt werden
müssen. Denn wer Täter und Opfer gleichbehandelt,
verharmlost die Verbrechen.


Till Seiler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713631300

Ich denke, wir alle sehen es als wichtige gesellschaft-

liche Aufgabe an, eine vielfältige Erinnerungskultur zu
pflegen und am Leben zu erhalten, die die Opfer von
Krieg und Gewaltherrschaft angemessen ehrt und nach-
folgenden Generationen das Ausmaß der Gewalt und
Verfolgung des letzten Jahrhunderts begreiflich macht.
Gerade in Zeiten, in denen es immer weniger Zeitzeugen
gibt, muss Erinnerung sichtbar und als Mahnung erhal-
ten bleiben. Hierfür setzen wir uns ein.

Die heute zur Abstimmung stehende Änderung des
Gräbergesetzes allerdings zielt nicht nur auf eine Ver-
waltungsvereinfachung, sondern auch auf eine Eindäm-
mung von Kosten. In der Gesetzesbegründung heißt es,
dass 65 Jahre nach Kriegsende nicht mehr mit einem
wesentlichen Anstieg der Zahl von Kriegsgräbern zu
rechnen sei. Dies scheint auf den ersten Blick plausibel,
doch haben wir, die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die
Grünen, hierzu noch offene Fragen.

Schwerwiegendere offene Fragen ergeben sich zu
weiteren Aspekten des Gräbergesetzes, die von der an-
stehenden Gesetzesänderung nicht berührt werden. Sehr
ernst nehmen wir die vorliegende Petition, die das An-
liegen der Sinti und Roma betrifft, für die im National-
sozialismus verfolgten Sinti und Roma ein ewiges Ruhe-
recht zu erwirken. Der Völkermord an den Sinti und
Roma muss in der Erinnerungskultur eine angemessene
Rolle spielen. Hierzu gehört, dass ihre Gräber erhalten
bleiben.
Angesichts dieser und anderer zu klärender Fragen
begrüßen wir es, dass wir uns fraktionsübergreifend ver-
ständigen konnten, mithilfe von Experten zu klären, ob
es weitergehenden Bedarf gibt, das Gräbergesetz zu än-
dern. Auf dieser Grundlage stimmen wir dem Dritten
Gesetz zur Änderung des Gräbergesetzes zu. Sollten bei
dem anstehenden Expertengespräch praktikable Lösun-
gen für die anstehenden Probleme gefunden werden, die
mit einer weiteren Änderung des Gräbergesetzes umge-
setzt werden können, so muss diese zeitnah auf den Weg
gebracht werden.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713631400

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7424, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/6207 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Das ist die Linksfraktion. Enthaltungen? – Das sind die
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? –
Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 a und b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine wirksame und stichtagsunabhängige
gesetzliche Bleiberechtsregelung im Aufent-
haltsgesetz

– Drucksache 17/7463 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Für eine neue Bleiberechtsregelung

– Drucksache 17/7459 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.


Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1713631500

Das Thema Bleiberecht für langjährig in Deutsch-

land lebende ausreisepflichtige Ausländer war in den
letzten Jahren sowohl auf Bundes- als auch auf Landes-
ebene immer wieder Gegenstand von Anträgen, parla-
mentarischen Anfragen und kontrovers geführten Dis-
kussionen, insbesondere auch jetzt wieder vor dem
Ablauf der verlängerten Regelungsfrist zum 31. Dezem-
ber 2011. Auch heute ist das Thema Bleiberecht wieder
Gegenstand einer Debatte im Deutschen Bundestag. Zu-
grunde liegen dieser Debatte zum einen ein Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Antrag der
Fraktion Die Linke.

Mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird die
Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes vorzulegen, der Men-
schen nach spätestens fünfjähriger Aufenthaltsdauer ein
dauerhaftes Bleiberecht gewährt, bei Familien mit Kin-
dern nach drei Jahren und bei besonders schutzbedürfti-
gen Personen auch früher. Weiterhin wird unter anderem
gefordert, dass das Kriterium der eigenständigen Siche-
rung des Lebensunterhalts keine unüberwindbare Hürde
darstellen dürfe, ernsthafte Bemühungen müssten aus-
reichen. Zudem sollen vorhandene Deutschkenntnisse
nicht zur Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis
gemacht werden. Die Regelung in § 104 a Abs. 3 Aufent-
haltsgesetz, wonach begangene Straftaten eines in häus-
licher Gemeinschaft lebenden Familienmitglieds die
Versagung der Aufenthaltserlaubnis für andere Fami-
lienmitglieder zur Folge hat, soll gestrichen werden.

Der Antrag der Fraktion Die Linke entspricht inhalt-
lich im Wesentlich dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.

Die Linke fordert mit ihrem Antrag die Bundesregie-
rung ebenfalls auf, eine Bleiberechtsregelung zu schaf-
fen, die Menschen nach spätestens fünfjähriger Aufent-
haltsdauer ohne wesentliche zusätzliche Bedingungen
ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt, bei Familien mit
Kindern nach drei Jahren und bei besonders schutzbe-
dürftigen Personen auch früher. Außerdem fordert sie
die Bundesregierung auf, gesetzliche Änderungsvor-
schläge vorzulegen, die bereits im Ansatz verhindern,
dass Kettenduldungen über Jahre hinweg entstehen, vor
allem in Fällen, in denen Abschiebungen aus rechtlichen
oder tatsächlichen Gründen ohnehin unmöglich sind,
und sich im Rahmen der Innenministerkonferenz für eine
sofortige Übergangsregelung einzusetzen, mit der zum
Jahreswechsel ein Rückfall von Personen mit einer Auf-
enthaltserlaubnis „auf Probe“ in den Duldungsstatus
beziehungsweise deren Abschiebung verhindert wird.

Zusammenfassend enthalten beide Anträge eine deut-
liche Herabsenkung der Kriterien für ein dauerndes
Bleiberecht. Begründet werden die Forderungen beider
Anträge insbesondere damit, dass von den Beschlüssen
der IMK aus den Jahren 2006 und 2009 und der Altfall-
regelung des Jahres 2007 eine nur sehr geringe Zahl an
Menschen tatsächlich profitiert und eine Aufenthaltser-
laubnis erlangt habe, da die dabei aufgestellten Anfor-
derungen, insbesondere die Bedingung einer eigenstän-
digen Lebensunterhaltssicherung, übermäßig restriktiv
seien. Hinsichtlich der Änderungen verweist die Frak-
tion Die Linke auf ihre eigenen Vorschläge zur Neuge-
staltung des § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz vom Mai
2010. Eine besondere nachvollziehbare Begründung für
die geforderte Fünfjahresfrist bieten der Entwurf und
seine Begründung allerdings auch diesmal nicht.

Es ist unbestritten – die Zahlen sind uns auch bekannt –,
dass wir eine große Anzahl von Menschen mit Dul-
dungsstatus in Deutschland haben. Wir stimmen auch
darin überein, dass die aus der Bleiberechtsregelung in
bestimmten Fällen resultierenden Kettenduldungen für
die Betroffenen und auch für die Allgemeinheit einen
sehr unbefriedigenden Zustand darstellen. Dennoch ver-
kennen beide Anträge die Systemwidrigkeit ihrer Forde-
rungen und gehen meiner Meinung nach an der Realität
vorbei. Die bloßen Zahlen lassen für mich nicht automa-
tisch den Rückschluss zu, dass die Regelungen des Auf-
enthaltsgesetzes ungeeignet sind oder dass hier eine Re-
gelungslücke besteht.

Ein geduldeter Aufenthalt ist zwar ein strafloser, aber
dennoch ein rechtswidriger Aufenthalt. Dieser Umstand
bleibt meiner Meinung nach in der Diskussion um ein
Bleiberecht allzu häufig unbeachtet. Alle Menschen mit
einer Duldung sind grundsätzlich ausreiseverpflichtet,
aber aus unterschiedlichen Gründen kommen sie dieser
Ausreiseverpflichtung nicht nach. Der Staat wiederum
ist häufig nicht in der Lage, diese Menschen mit Dul-
dung abzuschieben, also Zwang anzuwenden – ebenso
aus unterschiedlichen Gründen. Dabei wird durch die
Antragsteller nicht berücksichtigt, dass in sehr vielen
Fällen die Ursache für die Kettenduldungen von den Be-
troffenen selbst herbeigeführt wird. Denn ein Haupt-
grund ist oft, dass Unklarheit in Hinblick auf die Identi-
tät der Geduldeten besteht, dass die Papiere fehlen und
die Betroffenen oft nicht dabei mitwirken, das Problem
zu lösen, oder gar aktiv verhindern, dass ihre Identität
ermittelt wird.

Ich bin im Gegensatz zu Ihnen davon überzeugt, dass
dies in einer nicht geringen Anzahl durchaus bewusst
bzw. vorsätzlich geschieht, um eben nicht ausreisen zu
müssen. Sollen wir nun diejenigen, die ihre Mitwir-
kungspflichten, die ich im Übrigen für durchaus zumut-
bar halte, vorsätzlich verletzen und ihre Ausreise da-
durch hintertreiben, nun auch noch belohnen? Ich
denke, es ist richtig, dass wir hier unterscheiden zwi-
schen denen, die nicht ausreisen können, und denen, die
nicht ausreisen wollen, und Letzteren auch die Erteilung
der Aufenthaltserlaubnis versagen. Denn ansonsten ist
am Ende der Ehrliche der Dumme. Insofern sehe ich es
als sehr problematisch an, dass die beiden hier vorlie-
genden Anträge die Voraussetzungen für die Erteilung
eines Aufenthaltstitels an Geduldete im Vergleich zur
Altfallregelung des § 104 a Aufenthaltsgesetz in einem
nicht vertretbaren Umfang herabsetzen wollen.

Gleiches gilt für Ihre Forderung nach einer stichtags-
unabhängigen Lösung: Übereinstimmend fordern die

Helmut Brandt


(A) (C)



(D)(B)

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke die Einführung einer dauerhaft stichtagsfreien, ei-
ner sogenannten rollierenden gesetzlichen Bleiberechts-
regelung. Eine solche stichtagsunabhängige Regelung
lehnen wir ab, weil das in § 1 Aufenthaltsgesetz be-
stimmte Ziel, die Zuwanderung zu steuern und zu be-
grenzen, nicht mehr erreicht würde und die Ausnahme
zur Regel würde. Die Aufenthaltslegalisierung Gedulde-
ter muss auch in Zukunft die Ausnahme bleiben. Vor-
schriften, die ein Aufenthaltsrecht allein aufgrund des
Zeitablaufs vorsehen, würden wieder diejenigen begüns-
tigen, die ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekom-
men sind. Dies hätte eine falsche Signalwirkung zur
Folge, nämlich die, dass jeder in Deutschland bleiben
kann, wenn er nur lange genug durchhält. Das wie-
derum müsste von vielen einreisewilligen Ausländerin-
nen und Ausländern geradezu als Aufforderung zur ille-
galen Einreise und zur Inanspruchnahme der hiesigen
Sozialsysteme aufgenommen werden. So einen Anreiz
wollen wir nicht schaffen. Damit würden im Übrigen
auch die Bemühungen zur Bekämpfung von Schlepper-
banden konterkariert.

Abgelehnt wird von uns außerdem Ihre Forderung
nach einem Verzicht auf die Voraussetzung der eigen-
ständigen Lebensunterhaltssicherung. Ein Verzicht auf
diese Voraussetzung würde einen Pull-Effekt mit nicht
vorhersehbaren Konsequenzen für die Stabilität der so-
zialen Sicherungssysteme entfalten und die kommunale
Ebene mit weiteren zusätzlichen Kosten belasten. Die
Lebensunterhaltssicherung der Betroffenen war und ist
Kern jeder Bleiberechtsregelung und muss es meiner
Meinung nach auch künftig bleiben. Der Erfolg am Ar-
beitsmarkt als wesentliche Voraussetzung für die wirt-
schaftliche Integration muss auch weiterhin entschei-
dender Maßstab für die Beantwortung der Frage sein,
wer dauerhaft in Deutschland bleiben darf, obwohl ein
legaler Anspruch nach den einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen nicht besteht. Es gibt kein Bleiberecht
durch Aussitzen.

Das bedeutet in der Konsequenz auch, den Aufenthalt
derjenigen beenden zu können und zu müssen, die kei-
nerlei Bemühungen um ihre Integration nachgewiesen
haben. Diese Maxime ist im wohlverstandenen Interesse
gerade auch jener, die sich in Deutschland legal aufhal-
ten bzw. sich ernsthaft um ihre Integration in Deutsch-
land bemüht haben. Ansonsten ist nämlich, wie ich es
anfangs bereits sagte, der Ehrliche der Dumme. Solch
eine Ungerechtigkeit birgt meiner Meinung nach einen
gesellschaftlich nicht vertretbaren Zündstoff.

Die Forderung von Bündnis 90/Die Grünen, vorhan-
dene Deutschkenntnisse nicht zur Voraussetzung für eine
Aufenthaltserlaubnis zu machen, lehne ich ebenfalls ab.
Wir alle haben in den letzten Jahren erfahren müssen,
dass eine Integration in Deutschland ohne hinreichende
Deutschkenntnisse nicht möglich ist. Es ist deshalb auch
nicht im Interesse der Betroffenen selbst, die Anforde-
rungen an deren Sprachkenntnisse herabzusetzen. Oh-
nehin sind die jetzigen Anforderungen als Mindeststan-
dard anzusehen.
Zu Protokoll
In der Konsequenz führen der Forderungen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
zu einem quasi bedingungslosen Daueraufenthaltsrecht.
Die in diesen Fällen auf der Grundlage des geltenden
Rechts bestehende Ausreisepflicht der Betroffenen liefe
damit ins Leere. Die Frage, die sich mir dann immer
wieder aufdrängt, ist: Können wir uns eine solche Kon-
sequenz als Gesetzgeber leisten und widerspricht dies
nicht auch dem Gerechtigkeitsgefühl der Allgemeinheit?
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ich denke nein. Die
hier vorgelegten Forderungen stellen in meinen Augen
keine sachgerechte Lösung dar. Ich bin außerdem der
Auffassung, dass die von uns geschaffenen Regelungen
humanitären Standards genügen. Im Frühjahr haben wir
ein ganzes Gesetzespaket geschnürt, das eine Reihe von
Verbesserungen enthält. Das Bleiberecht für gut inte-
grierte ausländische Jugendliche ist eine enorme Ver-
besserung und bedeutet eine realistische Perspektive für
viele junge Menschen mit Migrationshintergrund. Den
Ländern stehen ausreichende Möglichkeiten zur Verfü-
gung, um auf das Auslaufen der nach dem IMK-Be-
schluss verlängerten Aufenthaltserlaubnisse reagieren
zu können, zum Beispiel § 25 Abs. 4 und Abs. 5 sowie
§ 23 a Aufenthaltsgesetz. Es sollte ihnen überlassen
werden, ob und wie sie von diesen Möglichkeiten Ge-
brauch machen.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1713631600

Wir sprechen heute über einen Antrag von Bünd-

nis 90/Die Grünen und einen der Fraktion Die Linke,
die beide ein uns allen altbekanntes Thema behandeln.
Im Kern geht es um den Umgang mit Menschen, die seit
Jahren mit uns in Deutschland leben, keinen gesicherten
Aufenthaltsstatus und keine gesicherte Lebensperspek-
tive haben und die wir auf der anderen Seite jedoch auch
nicht haben abschieben können. Es geht also um den
Umgang mit langjährig sich bei uns aufhaltenden Ge-
duldeten.

Immer wieder haben die Innenminister der Länder
mit verschiedenen Altfall- bzw. Bleiberechtsregelungen
versucht, Menschen, die lange Voraufenthaltszeiten in
Deutschland haben, unter bestimmten, genau definier-
ten Bedingungen dann einen gesicherten Aufenthalt zu
ermöglichen. All diese Regelungen waren allerdings
Stichtagsregelungen, ebenso wie die im Jahr 2007 über
§ 104 a und b in das Aufenthaltsgesetz aufgenommene
Bleiberechtsregelung und die damit verbundene Aufent-
haltserlaubnis auf Probe. Wie wir alle wissen, ist diese
Aufenthaltserlaubnis auf Probe auf der Innenminister-
konferenz bis zum 31. Dezember 2011 verlängert wor-
den.

Alle diese Maßnahmen haben im Ergebnis, obwohl
sie durchaus auch Wirkung gezeigt haben, das Problem
der Kettenduldungen nur zum Teil beheben können. Mit
jedem Jahr, das seither verstreicht, wächst wiederum die
Zahl der Menschen mit einer ungesicherten Aufenthalts-
perspektive, deren Aufenthaltszeiten sich summieren.

Wir teilen die Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke, dass die bisherigen Bleiberechts-
regelungen vor allem deshalb ihr Ziel nicht vollständig



gegebene Reden

Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

erreichen konnten, weil zum einen die Anforderungen an
die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts zu
hoch waren und es sich eben durchweg um Stichtags-
regelungen gehandelt hat.

Wir haben daher bereits im Dezember 2009 einen ei-
genen Gesetzentwurf für eine Altfall- bzw. Bleiberechts-
regelung in den Bundestag eingebracht, die jedoch lei-
der am 17. März 2011 abgelehnt worden ist. Darin
haben wir zur Vermeidung künftiger Kettenduldungen
eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen, die auf einen
festen Stichtag verzichtet und die Anforderungen an die
Lebensunterhaltssicherung dahin gehend absenkt, dass
auch das ernsthafte Bemühen um Arbeit ausreicht.
Außerdem wollten wir eine Regelung für Minderjährige
schaffen. Diese sollten bei günstiger Integrations-
prognose nach vier Jahren eine Aufenthaltserlaubnis er-
halten. Menschen, die einen Schulabschluss in Deutsch-
land gemacht haben, sollten mit einer eigenständigen
Regelung ebenfalls privilegiert werden. Schließlich
wollten wir für Altfälle mit einem Aufenthalt von einem
Jahrzehnt und mehr eine noch weitreichendere Aus-
nahme von den allgemeinen Voraussetzungen einführen.

Wir werden unseren eigenen Antrag in etwas überar-
beiteter Form, aber mit den gleichen politischen Forde-
rungen demnächst erneut in den Geschäftsgang einbrin-
gen. Unser Antrag und die Anträge von Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke unterscheiden sich
vor allem in einem Punkt: der Dauer der Voraufenthalts-
zeiten. Die beiden heute zu beratenden Anträge wollen
ledigen Ausländerinnen und Ausländern mit einer Vor-
aufenthaltszeit von fünf Jahren und Ausländerinnen und
Ausländern mit minderjährigen Kindern nach einer Vor-
aufenthaltszeit von drei Jahren eine Aufenthaltserlaub-
nis erteilen. In unserem Antrag sehen wir dagegen Fris-
ten von acht Jahren für alleinstehende Ausländerinnen
und Ausländer und sechs Jahre für Ausländerinnen und
Ausländer mit minderjährigen Kindern vor.

Ich persönliche habe große Sympathie für die kürze-
ren Fristen der Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Linksfraktion; das will ich
hier gar nicht verheimlichen. Allerdings waren und sind
wir bemüht, unsere Vorstellungen mit den sozialdemo-
kratischen Innenministern und Senatoren abzustimmen,
damit wir uns nicht spätestens im Bundesrat auch noch
mit deren Argumenten auseinandersetzen müssten, so-
dass die von uns vorgeschlagenen längeren Fristen
trotzdem noch einen sehr guten Kompromiss darstellen.
Daher werde ich meiner Fraktion empfehlen, sich bei
den beiden vorliegenden Anträgen von Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke der Stimme zu ent-
halten.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP):
Die Innenministerkonferenz hat Ende 2009 die Blei-

berechtsregelung um zwei Jahre verlängert. Die FDP
hat das nachdrücklich begrüßt.

Eine dauerhafte Regelung zu finden, die das Problem
der Kettenduldungen nachhaltig löst, ist nach wie vor
eine Herausforderung und gleicht der Quadratur des
Kreises.
Zu Protokoll
Die Sachlage bleibt unverändert: Wenn bei lange ge-
duldeten, gut integrierten Ausländern eine Abschiebung
nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache durch
eine vernünftige und unbürokratische Regelung Rech-
nung getragen werden. Die „Kettenduldungen“ müssen
einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden; wir brau-
chen für alle, insbesondere für die bisher „Geduldeten“,
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleibe-
rechtsregelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren
Zustand der Kettenduldungen abzuschaffen, anderer-
seits aber die Zuwanderung nach Deutschland so zu
steuern, dass diese auch nachhaltige Akzeptanz bei den
Bürgerinnen und Bürgern findet.

Die vorliegenden Anträge thematisieren zum wieder-
holten Male zwar tapfer das erstgenannte Problem, zei-
gen aber keine Lösung für das zweite auf. Tatsächliche
Integration in Deutschland muss das zentrale Kriterium
sein. Der eigenständige Lebensunterhalt ist dabei, an-
ders als es die vorliegenden Anträge sehen, sehr wohl
von entscheidender Bedeutung. Der Antrag der Linken
verneint die Notwendigkeit einer eigenständigen Le-
bensunterhaltssicherung für Menschen, die ein Aufent-
haltsrecht in Deutschland suchen. Es hilft niemandem
weiter, wenn die Fraktion Die Linke immer wieder for-
dert, de facto auf jegliche Zuwanderungssteuerung zu
verzichten. Vielmehr erweist die Linke damit den Bemü-
hungen um Ausländerintegration einen Bärendienst.
Wer einem schrankenlosen Daueraufenthaltsrecht in
vermeintlich humanitärer Gesinnung das Wort redet,
riskiert die steigende Ablehnung der Bevölkerung gegen
Zuwanderer.

Die Möglichkeit für langjährig Geduldete, den eigen-
ständigen Lebensunterhalt zu bestreiten, ist sehr wohl
ein wichtiges Kriterium der Bleiberechtsregelung. Das
dient der Integration. Wer das, wie die Linken es tun, in
die Nähe von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
rückt, verabschiedet sich aus dem Spektrum des demo-
kratischen Diskurses.

Unter Demokraten muss es möglich sein, Sachfragen
zu diskutieren, ohne unter Rechtsextremismusverdacht
gestellt zu werden. Die Linken beleidigen mit dieser Dif-
famierung nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, die mit
Recht von jedem Zuwanderer erwarten, für seinen Le-
bensunterhalt selbst zu sorgen, sondern auch alle Demo-
kraten im Parlament, die dieses Bürgeranliegen hier
vertreten. Human ist nicht die Zementierung eines Bitt-
stellerstatus für immer mehr Menschen in unserem
Land, wie die Linken es wollen, sondern die Eröffnung
von Lebenschancen, wie die Koalition aus CDU/CSU
und FDP es tut.

Zuwanderer sind zu fördern, sie sind aber selbst auch
klar gefordert. Die deutsche Sprache, Demokratie und
Rechtsstaat, die Grund- und Menschenrechte sind das
für alle geltende Fundament unserer Gesellschaft.

Die Linke will das Gegenteil. Sie will die Akzeptanz
von Ausländern in Deutschland erschweren, die Sozial-
systeme sprengen, die inneren Spannungen erhöhen und
die deutsche Gesellschaft desintegrieren, indem sie fal-



gegebene Reden

Hartfrid Wolff (Rems-Murr)



(A) (C)



(D)(B)

sche Erwartungen weckt und statt Engagement nur An-
spruchsdenken fördert. Auf einen fundierten Beitrag von
Linken oder auch Grünen zur Lösung der sehr realen In-
tegrationsprobleme in Deutschland, der nicht nur auf
Wunschdenken und Ideologie beruht, warten wir nun
schon, seitdem es diese Parteien gibt. Durch die Wieder-
holung der immer gleichen Anträge wird leider kein
Problem gelöst.

Wir Liberalen wollen dagegen eine neue Kultur des
Willkommens, die nicht falsche Versprechungen auf Kos-
ten anderer Leute macht, sondern Chancen und Per-
spektiven eröffnet. Wir geben Menschen Chancen. Da-
rauf sind wir stolz.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713631700

Weiterhin gibt es 87 000 Menschen in der Bundesre-

publik, deren Aufenthalt lediglich geduldet wird. 60 Pro-
zent dieser Menschen leben bereits seit sechs und mehr
Jahren in Deutschland. Unter ihnen befinden sich annä-
hernd 10 000 Roma aus den Nachfolgestaaten Jugos-
lawiens, denen in ihren Herkunftsstaaten massive Aus-
grenzung und Diskriminierung drohen. Tausende
kommen aus Syrien, dem Irak und weiteren Staaten, de-
ren Regierungen ihren Bürgern keine Sicherheit geben
wollen oder können.

Neben der Lage in den Herkunftsländern ist für uns
ein anderer Punkt von entscheidender Bedeutung. Egal,
ob diese Menschen nun die deutsche Sprache beherr-
schen oder in den Arbeitsmarkt integriert sind, sie sind
faktisch verwurzelt; sie haben sich in Deutschland ein-
gelebt. Das gilt in besonderem Maße für die Kinder und
jungen Heranwachsenden, die immerhin ein Drittel al-
ler Geduldeten ausmachen. Im Sommer wurde eine Re-
gelung für besonders gut integrierte Jugendliche ge-
schaffen. Für ihre Eltern gilt aber weiterhin: Können sie
keinen eigenständigen Lebensunterhalt nachweisen,
bleiben sie in der Duldung und müssen mit Abschiebung
rechnen, wenn die Kinder volljährig sind. Dass viele Fa-
milien auf dieses vergiftete Geschenk verzichten, ver-
wundert daher nicht.

Die im Sommer in Kraft getretene gesetzliche Bleibe-
rechtsregelung für gut integrierte Jugendliche war die
letzte in einer langen Reihe von Regelungen, mit denen
langjährig Geduldeten ein Aufenthaltstitel verschafft
werden sollte. Seit 2006 ist fast kein Jahr ohne neue
Bleiberechtsregelung ausgekommen. 2006 gab es einen
Beschluss der Innenminister, 2007 eine gesetzliche Re-
gelung, 2009 folgte ein weiterer Beschluss der Innen-
minister. All diese Beschlüsse sind nur unter dem großen
Druck von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden entstan-
den. Sie haben – das wollen wir nicht bestreiten – vielen
Menschen auch einen sicheren Aufenthaltsstatus ge-
bracht. Zugleich sind parallel zu diesen Altfallregelun-
gen wieder neue Duldungen entstanden. Der Anteil der
langjährig Geduldeten an der Gesamtzahl aller Men-
schen mit einer Duldung stieg zwischenzeitlich sogar
auf 64 Prozent und liegt heute bei 59 Prozent. Das heißt,
dass für die Betroffenen von Kettenduldungen die Ge-
fahr groß ist, über viele Jahre hinweg in diesem unsiche-
ren Status gefangen zu bleiben.
Zu Protokoll
Eine neue, gesetzliche Regelung zu beschließen, ist
von großer Dringlichkeit. Denn mit der gesetzlichen Alt-
fallregelung von 2007 wurde die sogenannte Aufent-
haltserlaubnis auf Probe eingeführt. Wer bis zu einem
Stichtag keinen eigenständigen Lebensunterhalt, aber
immerhin Bemühungen um eine Beschäftigung nachwei-
sen konnte, erhielt diesen neuen Aufenthaltstitel. Kaum
einer schaffte es aber, in die reguläre Aufenthaltserlaub-
nis zu wechseln. Deshalb haben dann die Innenminister
der Länder und des Bundes 2009 entschieden, dass für
die über 30 000 Betroffenen auch eine Verlängerung um
zwei Jahre möglich sein soll. Diese zwei Jahre laufen
Ende des Jahres ab. Darum besteht dringender Hand-
lungsbedarf, um ein erneutes Abgleiten dieser Perso-
nengruppe in die Duldung und letztlich sogar die Ab-
schiebung zu verhindern.

Die Einführung einer sogenannten Probeaufenthalts-
erlaubnis und die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels
werten wir als Eingeständnis der Unionsparteien und
der FDP, dass mit dem Festhalten am Erfordernis der
eigenständigen Lebensunterhaltssicherung eine befrie-
digende Lösung nicht erreicht werden kann. Die Betrof-
fenen sind jahrelang bewusst vom Arbeitsmarkt fernge-
halten worden. Die Beschäftigungsverhältnisse, die
ihnen offenstehen, sind meist nicht existenzsichernd.
Davon sind mittlerweile auch weit über 1 Million Bun-
desbürger betroffen, die ihren Verdienst mit Hartz-IV-
Leistungen aufstocken müssen, um von ihrer Arbeit le-
ben zu können.

Die Lösung dieser Probleme – Entstehung neuer Ket-
tenduldungen durch Stichtage und zu hohe Anforderun-
gen an die Lebensunterhaltssicherung – kann nur in
einer einfachen und stichtagsungebundenen Bleibe-
rechtsregelung bestehen. Dafür wollen wir ein gesetzli-
ches Bleiberecht für all jene schaffen, die sich seit fünf
Jahren geduldet in einem Asylverfahren oder als Bür-
gerkriegsflüchtlinge in Deutschland befinden. Für Fa-
milien, Kinder, Traumatisierte und weitere Härtefälle
sollen auch kürzere Fristen gelten. Bis zum Inkrafttreten
einer neuen gesetzlichen Regelung fordern wir Über-
gangsbestimmungen zur Verlängerung der geltenden
Aufenthaltstitel. Damit soll verhindert werden, dass
Menschen abgeschoben werden, die möglicherweise in
den Genuss der neuen Bleiberechtsregelung kommen
könnten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit verschiedenen Altfall- und Bleiberechtsregelun-
gen haben Bund und Länder in den vergangenen Jahren
versucht, zu bestimmten Zeitpunkten langjährig Gedul-
deten unter engen Voraussetzungen einen legalen Auf-
enthalt zu ermöglichen. Eine grundlegende Lösung fehlt
jedoch weiterhin.

Die Zahl der langjährig in Deutschland geduldeten
Personen ohne gesicherte Aufenthaltsperspektive ist
weiterhin hoch. Ende Juni 2011 lebten 87 000 Geduldete
in Deutschland, davon über 51 000 bereits länger als
sechs Jahre.



gegebene Reden





Josef Philip Winkler


(A) (C)



(D)(B)

Die 2007 über §§ 104 a, 104 b in das Aufenthaltsgesetz
aufgenommene – stichtagsgebundene – Bleiberechtsrege-
lung und die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf
Probe nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz durch
Beschluss der Innenministerkonferenz vom Dezember
2009 haben die weithin kritisierte Praxis der „Kettendul-
dungen“ nicht wirksam beenden können. Zudem wird
diese Regelung am 31. Dezember 2011 auslaufen.

Gründe für die Defizite der bisherigen Bleiberechts-
regelungen sind die strikten Ausschlusskriterien, will-
kürlich festgesetzte Stichtage und überzogene Anforde-
rungen, insbesondere an die eigenständige Sicherung
des Lebensunterhalts. Die bisherigen Regelungen be-
rücksichtigen zudem humanitäre Härtefälle nicht aus-
reichend; denn gerade alte und kranke Menschen, die
auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, sowie kin-
derreiche Familien werden von der Bleiberechtsrege-
lung ausgeschlossen.

Stichtagsregelungen führen immer wieder zu neuen
humanitären Härtefällen. Daher ist eine dauerhafte
gleitende Bleiberechtsregelung ohne festen Stichtag not-
wendig, die auch auf zukünftige Fälle Anwendung finden
kann.

Zwar trat zum 1. Juli 2011 mit dem neuen § 25 a Aufent-
haltsgesetz eine stichtagsunabhängige Regelung in Kraft,
die gut integrierten Jugendlichen eine Bleiberechtschance
bieten soll. Die konkreten Bedingungen führen jedoch
dazu, dass erneut nur eine kleine Zahl davon profitieren
wird.

Mit dem Auslaufen der Bleiberechtsregelung Ende
2011 droht vielen in Deutschland lebenden Menschen,
die derzeit nur über eine Aufenthaltserlaubnis „auf
Probe“ verfügen, ein Ende ihres vorläufigen Bleibe-
rechts. Ihnen droht der Rückfall in die Duldung.

Der vorliegende Antrag fordert daher die Bundesre-
gierung auf, zeitnah eine stichtagsunabhängige soge-
nannte rollierende gesetzliche Bleiberechtsregelung zu
schaffen. Damit soll zum einen Ausländerinnen und Aus-
ländern, die bisher lediglich eine Aufenthaltserlaubnis
auf Probe nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsge-
setzes erhalten haben, eine gesicherte Perspektive eröff-
net werden. Zum anderen gilt es, die Zahl der Kettendul-
dungen für Personen, die sich seit mehreren Jahren hier
aufhalten, deutlich zu reduzieren.

Insbesondere an der Bedingung einer eigenständigen
Lebensunterhaltssicherung scheitern bisher viele An-
träge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, daher
müssen die Kriterien gesenkt werden. Denn bisher ge-
fordert wird nicht nur ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis,
sondern auch ein regelmäßiges Arbeitseinkommen in
Höhe des Arbeitslosengeldes II – zuzüglich zusätzlicher
Freibeträge. Während fast 1,4 Millionen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer in Deutschland aufstockende
Hartz-IV-Leistungen erhalten – für Beschäftigte im Nie-
driglohnsektor ist das sogenannte Aufstocken ein Nor-
malfall –, wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
von der vollständigen Lebensunterhaltssicherung ab-
hängig gemacht. Dies sind überzogene und unrealisti-
sche Anforderungen; ernsthafte Bemühungen, den Le-
bensunterhalt überwiegend zu sichern, müssen
ausreichend sein.

Unter die gesetzliche Bleiberechtsregelung sollten
auch Menschen fallen, die nicht arbeiten können, etwa
weil sie alt, krank, traumatisiert oder behindert sind
oder weil sie Angehörige pflegen oder Kinder erziehen.

Bei besonders verletzlichen Personen, wie unbeglei-
teten Minderjährigen, Traumatisierten und Opfern von
rassistischen Übergriffen, sind zudem die Aufenthalts-
zeiten als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufent-
haltserlaubnis deutlich zu verkürzen. Bei Traumatisier-
ten bestätigen alle Experten, dass ein gesichertes
Aufenthaltsrecht zwingende Voraussetzung für eine Ge-
nesung ist.

An die Erfüllung von Mitwirkungspflichten dürfen
keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Al-
lenfalls fortgesetzte, vorsätzliche und schwerwiegende
Verletzungen von Mitwirkungspflichten können zum
Ausschluss von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
führen. Insbesondere die Frage, ob eine Passlosigkeit
selbst verschuldet ist, ist oftmals nicht eindeutig zu be-
antworten. Asylfolgeanträge sind in vielen Fällen auf-
grund der politischen Entwicklungen im Herkunftsland
oder einer Änderung der Rechtsprechung sinnvoll und
gerechtfertigt. Das Ausschöpfen des Rechtsweges darf
im Rechtsstaat nicht negativ sanktioniert werden.

Im Hinblick auf Straftaten als Ausschlussgrund sollte
nicht die ganze Familie aufgrund einer Straftat durch
ein Familienmitglied von der Erteilung einer Aufent-

(„Sippenhaftung“)


Vorhandene deutsche Sprachkenntnisse sollten nicht
zur Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltser-
laubnis gemacht werden. Viele langjährig geduldete
Personen verfügen zumindest über Grundkenntnisse der
deutschen Sprache. Personen, die nach dieser Regelung
eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sollte die Teilnahme
an den Integrationskursen ermöglicht werden.

Nur eine großzügige Bleiberechtsregelung, die auch
humanitären Grundsätzen genügt, ist auf Dauer geeig-
net, das Problem der Kettenduldungen zu lösen und den
betroffenen Menschen eine gesicherte Lebensperspek-
tive zu eröffnen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713631800

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 17/7463 und 17/7459 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist das auch so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Moratorium für die elektronische Gesund-
heitskarte

– Drucksache 17/7460 –





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen uns vor.


Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1713631900

Die Gesundheitswirtschaft hat eine sehr große Be-

deutung in unserem Land. Wir haben rund 4,6 Millionen
Beschäftigte im Gesundheitswesen. Der Bereich Ge-
sundheit ist somit ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Damit
dies so bleibt, dürfen wir uns Entwicklungen, egal in
welchem Bereich, nicht verschließen; wir brauchen
nicht nur Produkt- sondern auch Prozessinnovationen.
Zu Letzterem gehört auch die Informationstechnik. Sie
bietet für das Gesundheitswesen große Chancen und
gute Perspektiven für eine bessere Versorgung und bes-
sere Abläufe. Es ist völlig klar, dass die moderne Infor-
mationstechnologie auch Eingang in das Gesundheits-
wesen erhalten muss. Ein wichtiger Teil davon ist die
elektronische Gesundheitskarte.

Der Start der elektronischen Gesundheitskarte er-
folgte jedoch unter schwierigen Bedingungen. Mit den
vielen Funktionen wie dem elektronischen Rezept, dem
elektronischen Arztbrief und der Patientenakte war das
Projekt schlicht überfrachtet und daher nicht umsetzbar.
Das hat die christlich-liberale Koalition erkannt und ist
es deshalb neu angegangen.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, vor einer
weitergehenden Umsetzung der elektronischen Gesund-
heitskarte eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, bei der
Geschäftsmodell und Organisationsstruktur der Gema-
tik sowie die bisherigen Erfahrungen in den Testregio-
nen überprüft und bewertet werden. Diese Bestandsauf-
nahme wurde erfolgreich abgeschlossen. Folgende
Anwendungen sollen nun umgesetzt werden: der Notfall-
datensatz, das moderne Versichertenstammdaten-
management und die sichere Kommunikation der Leis-
tungserbringer. Wir konzentrieren uns also zunächst auf
die Kernfunktionen der elektronischen Gesundheits-
karte. Alle weiteren Funktionen werden zunächst zu-
rückgestellt, bis praxistaugliche und sichere Lösungen
vorgelegt werden.

Die Linken fordern nun mit ihrem Antrag ein Morato-
rium für die elektronische Gesundheitskarte. Dieser An-
trag entspricht nahezu wortwörtlich einem Antrag der
Fraktion der FDP aus der letzten Wahlperiode. Soviel
FDP war noch nie bei den Linken. Das bedeutet ja ein
ganz neues Lebensgefühl. Herzlichen Glückwunsch da-
für.

Allerdings hätten Sie Ihr Plagiat ruhig kennzeichnen
können. Aber von Fußnoten halten Sie wohl nicht viel.
Außerdem frage ich Sie, wo Sie die letzten drei Jahre seit
dem Antrag der FDP waren. Wie so häufig offensichtlich
nicht im Hier und Jetzt, sondern im ewigen Gestern. Mit
dem Projekt und den Fortschritten der elektronischen
Gesundheitskarte haben Sie sich jedenfalls nicht be-
schäftigt. Nur so ist es zu erklären, dass Sie den Antrag
eins zu eins übernommen haben, ohne auch nur mit ei-
nem einzigen Wort auf die Veränderungen des Projektes
einzugehen. Das Einzige, was Sie können, ist abschrei-
ben. Das ist politisch nicht gerade anspruchsvoll.

Die christlich-liberale Koalition hat sich vorgenom-
men, eine Telematikinfrastruktur zu schaffen, um medizi-
nische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblematisch
austauschen zu können. Ich bin davon überzeugt, dass
die elektronische Gesundheitskarte dazu einen sinnvol-
len Beitrag leisten kann. Die rechtliche Grundlage für
die Karte wurde bereits im Jahr 2004 geschaffen, die
flächendeckende Einführung war ursprünglich für das
Jahr 2006 geplant. Weil Testergebnisse damals noch
viele Unzulänglichkeiten zeigten, wurde die Einführung
der Karte verschoben. Das war auch richtig so. Seitdem
sind jedoch weitere fünf Jahre vergangen und die dama-
ligen Schwächen wurden behoben. Warum Sie in Ihrem
Antrag immer noch vor einer übereilten Einführung der
Karte warnen, ist mir daher völlig unverständlich. Der
Vorwurf ist absurd. Mir ist kaum ein anderes Projekt be-
kannt, das über so lange Zeit diskutiert wurde. Aller-
dings kommt man mit bloßem Diskutieren nicht weiter.
Erforderlich sind Taten. Deshalb bin ich froh, dass wir
in der christlich-liberalen Koalition die Weichen so ge-
stellt haben, das das Projekt entscheidend vorankommt.

Die Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte ist
sinnvoll, denn sie bietet den Versicherten erhebliche
Vorteile. Ich will drei nennen:

Erstens trägt sie mit dem Lichtbild dazu bei, die miss-
bräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen einzu-
dämmen. Nach Schätzungen gehen bislang jedes Jahr
rund 800 Millionen Euro an Versichertengeldern durch
Betrug verloren. Jeder so gesparte Euro ist eine echte
Entlastung für die Beitragszahler.

Zweitens haben wir die Einführung des neuen Versi-
chertenstammdatendienstes beschlossen. Dadurch wer-
den bei jeder erstmaligen Inanspruchnahme von Leis-
tungen im Quartal die Versichertenstammdaten bei den
Leistungserbringern online mit den Krankenkassen ab-
geglichen und gegebenenfalls aktualisiert. Auch dies
dient vor allem der Eindämmung des Missbrauchs, aber
auch der Kostenreduzierung; denn bei einer Änderung
der Daten bedarf es nun keiner Ausstellung einer neuen
Versichertenkarte mehr.

Drittens ist die Karte technisch so vorbereitet, dass in
weiteren Ausbaustufen auch medizinische Daten wie
zum Beispiel Notfalldaten sowie Hinweise auf Patien-
tenverfügungen und Organspendeerklärungen gespei-
chert werden können. Ausdrücklich betonen möchte ich
dabei: Dies gilt nur bei dem ausdrücklichen Wunsch der
Versicherten. Die Versicherten können selbstverständ-
lich in eigener Verantwortung darüber entscheiden, in
welchem Umfang Daten gespeichert oder gelöscht wer-
den sollen und wem sie diese Daten zugänglich machen
wollen. Für die Versicherten gilt das Prinzip der Frei-
willigkeit. Daran wird nicht gerüttelt.

Diese Vorteile überzeugen. Und deshalb ist es richtig,
dass die gesetzlichen Krankenkassen seit Oktober dieses
Jahres die elektronische Gesundheitskarte an ihre Versi-
cherten ausgeben. Ermöglicht wurde auch dies durch

Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

Maßnahmen der christlich-liberalen Koalition. Wir
haben bei den gesetzlichen Krankenkassen die nötigen
Anreize zur zügigen Einführung der elektronischen Ge-
sundheitskarte gesetzt und damit den Ausgabeprozess
beschleunigt. Diese Anreize werden wir auch im Versor-
gungsstrukturgesetz weiterführen.

Im Rahmen des gesamten Prozesses der Einführung
der Gesundheitskarte mit ihren Anwendungen haben wir
alle geäußerten Anliegen und Sorgen ernst genommen,
und wir werden dies auch weiterhin tun; denn für uns
haben die Datensicherheit und die Selbstbestimmung
des Patienten über seine Daten die höchste Priorität.
Wir werden auch in Zukunft die Datensicherheit ganz
genau im Auge behalten. Eine enge Abstimmung mit
dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die
Informationsfreiheit sowie dem Bundesamt für Sicher-
heit in der Informationstechnik ist für uns selbstver-
ständlich. Mit der Bestandsaufnahme haben wir uns be-
wusst die Zeit genommen, die Karte nochmals einer
gründlichen Überprüfung und Bewertung zu unterzie-
hen. Wir haben die bisherigen Schritte sehr genau ge-
prüft, und wir werden auch weiter prüfen, wann wir was
machen. Das betrifft auch den Datenschutz. Die Linke
fordert in ihrem Antrag, die Einführung der elektroni-
schen Gesundheitskarte zurückzustellen, bis sicherge-
stellt ist, dass die Voraussetzungen der Datensicherheit
erfüllt sind. Dabei übersehen Sie jedoch eins: Durch die
Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und
der damit verbundenen Sicherheitsinfrastruktur werden
die Gesundheitsdaten ab sofort sicherer als bisher. Wir
haben mit der elektronischen Gesundheitskarte einen
höheren Sicherheitsstandard als bei der jetzigen Versi-
chertenkarte. Das Datenschutzniveau wird also deutlich
angehoben. Darüber besteht in der Fachöffentlichkeit
Einigkeit. Dies haben auch die Sachverständigen in der
Anhörung in der letzten Wahlperiode bereits bestätigt.
Dieser Gewinn für die Versicherten würde durch ein
Moratorium zunichtegemacht. Das werden wir nicht
unterstützen.

Ich freue mich, dass wir nach Jahren des Stillstands
nun endlich erreicht haben, dass das Projekt „elektroni-
sche Gesundheitskarte“ entscheidende Schritte voran-
kommt. Deutschland ist ein modernes Land, ein High-
techland. Davor darf sich auch das Gesundheitswesen
nicht verschließen. Ich hoffe, dass wir die elektronische
Gesundheitskarte in ein paar Jahren als Selbstverständ-
lichkeit begreifen, so wie wir heute Handys, SMS, Com-
puter und E-Mails als Selbstverständlichkeit begreifen
und uns ein Leben ohne kaum noch vorstellen können.

Und die Linken? Sie denken, dass Sie die Entwicklung
der elektronischen Gesundheitskarte durch ein Morato-
rium verbessern können. Ich sage Ihnen: Das ist falsch.
Die Entwicklungen im technischen Bereich schreiten
sehr schnell voran. Für ein so anspruchsvolles Projekt
wie die elektronische Gesundheitskarte bedeutet dies,
dass es immer weiterentwickelt, verbessert und an neue
Anforderungen angepasst werden muss. Aus diesem
Grund kann man nicht, wie Sie es gerne hätten, zu einem
Zeitpunkt X alles festlegen, um erst dann den Startknopf
zu drücken. Die schrittweise Einführung der elektroni-
schen Gesundheitskarte, wie sie jetzt beschlossen wurde,
Zu Protokoll
ist eine vernünftige, verantwortbare und die einzig rich-
tige Lösung.

Die elektronische Gesundheitskarte und die Telematik-
infrastruktur sind wesentliche Voraussetzungen für eine
grundlegende Modernisierung des Gesundheitswesens
und bilden die Plattform für eine vernetzte Versorgung.
Dies erfolgt mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz der
Patientenversorgung zu verbessern. Dieses Ziel wird die
christlich-liberale Koalition konsequent weiterverfol-
gen. Der Antrag der Linken widerspricht diesem Ziel
und deshalb werden wir ihn ablehnen.


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1713632000

Wir beraten heute den Antrag „Moratorium für die

elektronische Gesundheitskarte“ der Fraktion Die Linke.
Genau genommen ist es ein Antrag zur Verhinderung der
Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Die
Fraktion Die Linke will mit diesem Antrag ihre Kam-
pagne gegen die elektronische Gesundheitskarte mit der
Folge der Verunsicherung der Bevölkerung in das Par-
lament tragen. Das ist zurückzuweisen. Ich will namens
meiner Fraktion auch sagen: Es ist unredlich und wider
besseres Wissen. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, es ist das Gegenteil von Politik, die sich
an den Bedürfnissen der Menschen in unserem Land
orientiert. Es ist das Gegenteil von konstruktiver Politik.

Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, die elektroni-
sche Gesundheitskarte jetzt endlich einzuführen. Worum
geht es? Zunächst: Für die Patientinnen und Patienten
unterscheidet sich die neue Karte lediglich in zwei Din-
gen von der alten: Auf der Vorderseite ist ein Foto des
Versicherten. Die Rückseite ist so gestaltet, dass sich die
Besitzer damit auch im europäischen Ausland behan-
deln lassen können. Alles Weitere wie elektronische Re-
zepte, Speicherung von Allergiedaten oder gar eine elek-
tronische Patientenakte ist reine Zukunftsmusik, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linken.

Wenn in dem uns heute vorliegenden Antrag so getan
wird, als sei die neue Krankenversicherungskarte büro-
kratischer und datenschutzrechtlicher Irrsinn, will ich
auf einen Vergleich hinweisen: Die bisherige Kranken-
versichertenkarte ist eine reine Speicherkarte mit einem
Magnetstreifen. Ihre Informationen können zurzeit mit
einfachen Mitteln kopiert, gelöscht oder auch manipu-
liert werden, da sie keinerlei Schutzmechanismen bietet.

Dagegen sind die gespeicherten Daten der neuen Ge-
sundheitskarte verschlüsselbar. Selbst der Datenschutz-
beauftragte des Bundes ist von der Sicherheit der Karte
überzeugt, indem er erklärt hat, dass sie hundertprozen-
tigem Schutz nahe kommt. Auch das Fraunhofer-Institut
FOKUS kommt zu derselben Erkenntnis. Sie von der
Linken sollten also aufhören, an dieser Stelle die Men-
schen zu verunsichern!

Wenn, frühestens 2015, medizinische Angaben auf
der Karte gespeichert werden können, werden diese
doppelt abgesichert sein. Der Patient verwendet eine
persönliche Identifikationsnummer, PIN, – wie bei der
EC-Karte –, und der behandelnde Arzt muss sich per
Heilberufsausweis identifizieren.



gegebene Reden

Dr. Edgar Franke


(A) (C)



(D)(B)

Lassen Sie mich einen Satz sagen zum Status quo: Wo
befinden sich aktuell die hochsensiblen Daten von Pa-
tientinnen und Patienten? Was geschieht mit Arztberich-
ten? Und vor allem: Wie sieht eine Arzneimitteldoku-
mentation aus?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Datensi-
cherheit aktuell nicht eben hoch ist. Denn meist sind die
Daten handschriftlich auf Karteikarten festgehalten, die
sich in einem Schrank in der Praxis befinden.

Im übrigen, so meine ich, gerade in der Frage der
Dokumentation kann die neue elektronische Gesund-
heitskarte Gutes für die Bürgerinnen und Bürger leisten.
Künftig können die jeweils den Patienten behandelnden
Mediziner sehr einfach nachvollziehen, welche Medika-
tion der Patient bereits bekommt, und können dann ent-
scheiden, inwieweit sich diese mit weiteren Arzneimit-
teln für die akute Behandlung verträgt. Ebenso können
durch die Angaben auf der Karte bzw. auf dem zentralen
Server künftig Doppeluntersuchungen vermieden wer-
den. Das spart nicht nur Kosten. Es ist vor allem auch
gut für die Patientinnen und Patienten.

Kosten werden im übrigen auch dadurch gespart,
dass der Kartenmissbrauch mit der neuen Karte erheb-
lich eingeschränkt werden kann. Dieser Missbrauch
durch Nutzung abgelaufener oder fremder Versicherten-
karten kostet jedes Jahr erhebliche Millionenbeträge
und geht letztlich zulasten der Patienten, die den Miss-
brauch durch ihre Beiträge bezahlen müssen.

Ich möchte an dieser Stelle auch einen Punkt anspre-
chen, der mir besonders wichtig ist. Ich meine den beab-
sichtigten Hinweis auf der Karte, wenn es eine Organ-
spendebereitschaft des Karteninhabers gibt. Wir sind
uns doch alle einig, dass wir in dieser Frage in Deutsch-
land Handlungsbedarf haben.

Abschließend will ich eines besonders deutlich ma-
chen: Alle personenbezogenen Daten, die auf der elek-
tronischen Gesundheitskarte künftig gespeichert werden
können, die also über die Stammdaten hinausgehen, be-
dürfen bei der Erhebung immer der Einwilligung des
Karteninhabers. Alle Patienten entscheiden selbststän-
dig und freiwillig, ob sensible Patientendaten gespei-
chert werden.

Wahr ist aber auch: Die Einführung der elektroni-
schen Gesundheitskarte bietet die Möglichkeit, medizi-
nische Versorgung in Zukunft für alle zu optimieren. Die
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke soll-
ten ihre Kampagne gegen die elektronische Gesund-
heitskarte beenden. Der Antrag ist purer Populismus.
Aber wir sind von den Linken nichts anderes gewöhnt.

Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
ist die Möglichkeit, medizinische Versorgung in Zukunft
für alle zu optimieren. Sie dient der Missbrauchsbe-
kämpfung, der Verbesserung der Qualität der medizini-
schen Versorgung und der Wirtschaftlichkeit. Das ist gut
für alle Patientinnen und Patienten, denn deren Interes-
sen müssen im Mittelpunkt stehen.
Zu Protokoll

Heinz Lanfermann (FDP):
Rede ID: ID1713632100

Bekanntermaßen macht es sich die Linke immer sehr

einfach: ein simpel gestricktes Weltbild mit eindeutig
bösen und eindeutig guten Akteuren. Es bedarf aber
schon ein wenig Dialektik, wenn eine Forderung der – in
ihren Augen – Bösen nun plötzlich einer guten Sache
dienlich sein soll. Aber genau das sehen wir auch hier:
In ihrem Antrag, der bis hin zur Überschrift ziemlich ge-
nau einem drei Jahre alten Antrag der FDP-Fraktion
entspricht und dem keine eigene Leistung zugrunde
liegt, kritisieren sie die Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte, die die christlich-liberale Koalition
jetzt schrittweise einführt, nachdem die 2008 von uns
kritisierten Schwierigkeiten und Probleme beseitigt wor-
den sind. Insgesamt ist der Antrag der Linken ein Pla-
giat, das zudem drei Jahre zu spät kommt und deshalb
inhaltlich völlig überholt ist.

Die elektronische Gesundheitskarte hat, was unbe-
stritten ist, gegenüber der jetzigen Versichertenkarte
mehrere Vorteile: Der Austausch medizinischer Daten
erfolgt im Interesse der Patienten viel leichter und vor
allem sicherer als bisher. Damit das hohe Datenschutz-
niveau auch gewährleistet ist, werden der Bundesbeauf-
tragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
und das Bundesamt für Sicherheit in der Informations-
technik weiterhin bei der technischen Umsetzung mit-
wirken.

Aufgrund des besseren Datenaustausches wird die
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen erhöht, weil die
Ärzte zukünftig viel effektiver zusammenarbeiten können
und gerade die Betreuung von Patienten mit mehreren
Krankheiten besser erfolgen kann. Dabei haben – da-
rauf legen wir allergrößten Wert – sowohl Datenschutz
als auch informationelle Selbstbestimmung der Patien-
ten höchste Priorität. Der jetzige Datenaustausch zwi-
schen den Ärzten per Fax oder E-Mail ist erheblich un-
sicherer – das verschweigt die Linke in ihrem Antrag.

Das auf der Gesundheitskarte abgedruckte Lichtbild
verhindert zukünftig den Leistungsmissbrauch zulasten
der Versichertengemeinschaft, der heute einen erhebli-
chen Schaden anrichtet.

Die konkrete Kritik an der Gesundheitskarte, die die
Linken in ihrem Antrag – der ja, wie bereits erwähnt, bis
auf Kleinigkeiten dem Antrag der FDP-Fraktion von
2008 entspricht – üben, wurde bei der nun stattfinden-
den Umsetzung voll berücksichtigt.

Sie verlangen zum Beispiel – und dies auch aus unse-
rer Sicht natürlich zu Recht –, die Zugriffssicherheit der
sensiblen Daten vor staatlichen Stellen, Industrieunter-
nehmen und weiteren Dritten zu gewährleisten. Bei der
Gesundheitskarte haben wir genau deshalb sicherge-
stellt, dass die Daten nur zum Zweck der medizinischen
Behandlung verwendet werden dürfen. Ein Zugriff Drit-
ter ist ausgeschlossen; das hat im Übrigen der Bundes-
datenschutzbeauftragte ausdrücklich bestätigt.

Weiterhin wird die Freiwilligkeit der Nutzung aller
über die Identifikation hinausgehenden Funktionen der
elektronischen Gesundheitskarte für Patienten und Leis-
tungsanbieter gefordert. Genau dazu wurde doch gesetz-



gegebene Reden

Heinz Lanfermann


(A) (C)



(D)(B)

lich geregelt, dass jeder Versicherte selbst entscheiden
kann, ob seine Gesundheitsdaten gespeichert werden
oder nicht.

Auch die Minimierung des bürokratischen Aufwandes
liegt in unserem Interesse. Die Gesundheitskarte erhöht
neben einer besseren Patientenversorgung auch die
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen durch bessere
Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten. Die
elektronische Gesundheitskarte führt grundsätzlich
auch im Praxisbetrieb zu keinem wesentlichen Mehrauf-
wand.

Die Forderung nach einer Prüfung durch unabhän-
gige Sachverständige, ob alternative Speicherungsmög-
lichkeiten praktikabler und sinnvoller sind als eine Spei-
cherung auf zentralen Servern ist doch längst erfolgt.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat die Tauglichkeit
der elektronischen Gesundheitskarte geprüft und bestä-
tigt.

Die Regierungskoalition hat im Koalitionsvertrag
vereinbart, die elektronische Gesundheitskarte unter
bestimmten Bedingungen einzuführen. Ich zitiere:
„Deutschland braucht eine Telematikinfrastruktur, die
die technischen Voraussetzungen dafür schafft, dass me-
dizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblema-
tisch ausgetauscht werden können. Die Arzt-Patienten-
beziehung ist ein besonders sensibles Verhältnis und
daher ausdrücklich zu schützen. Datensicherheit und in-
formationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und
Patienten sowie der Versicherten haben für uns auch bei
Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte
höchste Priorität. Vor einer weitergehenden Umsetzung
werden wir eine Bestandsaufnahme vornehmen, bei der
Geschäftsmodell und Organisationsstrukturen der Ge-
matik und ihr Zusammenwirken mit der Selbstverwal-
tung und dem Bundesministerium für Gesundheit sowie
die bisherigen Erfahrungen in den Testregionen über-
prüft und bewertet werden. Danach werden wir ent-
scheiden, ob eine Weiterarbeit auf Grundlage der Struk-
turen möglich und sinnvoll ist.“

Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen. Die Gesund-
heitskarte wird sukzessive eingeführt. Sie können sich
aber darauf verlassen, dass wir im weiteren Verfahren
sehr genau prüfen werden, ob die Punkte, die sich der-
zeit noch in der Vorbereitung befinden, auch unseren ho-
hen Anforderungen an Qualität und Sicherheit genügen.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713632200

Noch vor zwei Jahren gebärdete sich die FDP als

strikte Gegnerin der sogenannten elektronischen Ge-
sundheitskarte: Viel zu teuer, kein ausreichender Daten-
schutz, die Freiwilligkeit nicht gewährleistet – das wa-
ren nur einige Kritikpunkte im Antrag der FDP-Fraktion
von 2008, den die Linke mit dem vorliegenden Antrag
Wort für Wort übernommen hat. Wir wollen Ihnen damit
ein Angebot machen, dem Sie eigentlich nur zustimmen
können.

Ich weiß, Sie werden einwenden, dass Sie doch eine Be-
standsaufnahme gemacht hätten. Aber es wurde keine Ih-
rer früheren Forderungen umgesetzt. So sind Ihre Kritik-
Zu Protokoll
punkte von damals auch heute hochaktuell. Dazu kommt
noch, dass die abgespeckte Variante, die jetzt kommt, erst
einmal nicht mehr kann als die alte Versichertenkarte: Sie
bekommt ein Foto und wird sechsmal teurer. 150 000 Arzt-
praxen müssen neue Lesegeräte anschaffen, 70 Millionen
Versicherte sollen Passfotos machen lassen, und wofür?

Nachdem die FDP das Gesundheitsministerium über-
nommen hatte, schöpften die Kritiker der E-Card Hoff-
nung, doch die Lobbyisten der IT-Industrie haben ihre
guten Drähte zum ehemaligen niedersächsischen Wirt-
schaftsminister Rösler erfolgreich genutzt. Nach einer
kurzen Schamfrist ging es bruchlos weiter, und zwar
ohne eine wirkliche Überprüfung der Risiken von zentral
gespeicherten Gesundheitsdaten und von dezentralen Al-
ternativen. Unabhängige Expertinnen und Experten wur-
den nicht zu Rate gezogen. Nur die Betreiberfirma Ge-
matik selbst durfte einen Winter lang über andere
Speichermöglichkeiten nachdenken, kam aber, wie zu er-
warten war, zu keinem Ergebnis.

Das Gesundheitsministerium drückte nun mit mehre-
ren Gesetzesänderungen, jeweils verschämt an andere
Gesetzesvorhaben angehängt, aufs Tempo, und neue
Funktionen der E-Card befinden sich in der Ausarbei-
tung. Dass die gesetzlich vorgeschriebenen Tests in ver-
schiedenen Regionen mit zunächst 10 000 und später
100 000 Personen vielfach gar nicht stattfanden oder zu
desaströsen Ergebnissen führten und abgebrochen wer-
den mussten, interessierte Sie dabei nicht.

Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, warum Sie Ihre eigenen Forderungen von 2008
und 2009 völlig aufgeben und es der Linken überlassen,
Sie daran zu erinnern?

Sie wollten ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis si-
cherstellen. Davon ist gar nichts übrig geblieben. Das
elektronische Rezept und andere Funktionen der neuen
Karte, mit denen Ausgaben gesenkt werden sollten, sind
auf Eis gelegt oder gestrichen worden. Aber später soll
die E-Card neue Einnahmequellen für die Krankenkas-
sen erschließen: Über sogenannte Mehrwertdienste sol-
len Gesundheitsdaten an die Industrie verkauft werden.
Den Mehrwert davon haben nicht die Versicherten, son-
dern allein die Unternehmen; gleichzeitig riskieren Sie
den gläsernen Patienten. Das ist nicht akzeptabel.

Darum forderte die FDP in der letzten Legislaturpe-
riode völlig zu Recht, dass weder Kostenträger noch
staatliche Stellen oder Industrieunternehmen Zugriff auf
sensible Gesundheitsdaten haben dürften. Das ist abso-
lut notwendig, und darum hat die Linke auch diese For-
derung wieder aufgegriffen.

Das Prinzip der Freiwilligkeit haben Sie vollends
aufgegeben: Rösler und Bahr zwingen die Kassen dazu,
den Versicherten die E-Card schnellstens aufs Auge zu
drücken. FDP und Union haben per Gesetz finanzielle
Sanktionen gegen Kassen verhängt, die es nicht schaf-
fen, bis Ende dieses Jahres mindestens 10 Prozent ihrer
Versicherten mit der E-Card auszustatten. Zwar sind
bislang keine Zwangsmittel direkt gegen die Versicher-
ten vorgesehen, aber die Techniker Krankenkasse ließ
schon verlauten, dass die Geduld mit Fotoverweigerern



gegebene Reden

Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

und E-Card-Gegnern irgendwann erschöpft sei. So ist es
um die Freiwilligkeit schlecht bestellt.

Dann forderte die FDP damals, dass eine Prüfung
durch unabhängige Sachverständige erfolgen müsse.
Sehr richtig! Das fordern wir auch in unserem Antrag,
und deswegen hat Die Linke im Gesundheitsausschuss
eine eigene Anhörung zu der neuesten Gesetzesände-
rung, dass bis Ende nächsten Jahres 70 Prozent der Ver-
sicherten die E-Card haben sollen, beantragt. FDP,
Union und SPD haben dies mit vereinten Stimmen abge-
lehnt. Das ist undemokratisch und intransparent!

Die privaten Krankenversicherungsunternehmen sind
übrigens längst aus dem Projekt E-Card ausgestiegen.
Wieder einmal müssen allein die gesetzlich Versicherten
mit ihren Mitgliedsbeiträgen das Milliardengrab füllen.
Das ist das Stuttgart 21 der Gesundheitspolitik!

Abschließend möchte ich Daniel Bahr zitieren: „Wir
wollen nicht, dass ein Druck zur schnellen Umsetzung
dieses umfassenden Konzepts der elektronischen Ge-
sundheitskarte entsteht, das immer noch viel Fragen und
Sorgen aufwirft. … Die Einführung muss so lange zu-
rückgestellt werden, bis wirklich sichergestellt ist, dass
die Voraussetzungen der Datensicherheit erfüllt sind.
Das ist aus unserer Sicht noch nicht gegeben. Deswegen
darf hier nicht mit Druck an der Umsetzung gearbeitet
werden. Wir sollten uns vielmehr so viel Zeit für die Um-
setzung lassen, bis alle offenen Fragen geklärt sind.“

Herr Minister Bahr, dem ist nichts hinzuzufügen.
ELENA ist wegen zu hoher Kosten und Datenschutzpro-
blemen gestoppt worden. Die Linke fordert: Stoppen Sie
die E-Card, machen Sie den Stresstest, und klären Sie
endlich die offenen Fragen!


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713632300

Linke und FDP eint, dass sie in der Opposition voll-

mundige Versprechungen machen, die bei einer Regie-
rungsbeteiligung nicht eingehalten werden können. Der
FDP führt die Linke dies gerade vor. Sie hat den von
Ende 2008 stammenden, vom jetzigen Gesundheitsmi-
nister Daniel Bahr zu verantwortenden Antrag der FDP,
von dem diese heute nichts mehr wissen will, einfach ab-
gekupfert. Bei der Linken wäre dies nicht anders – linke
Rhetorik und das Regierungshandeln in Bundesländern
liegen auch dort weit auseinander.

Die FDP bot damals eine Morgengabe für ihre Klien-
tel in der Ärzteschaft. Das trifft sich nun mit einer funda-
mentalen Haltung: der Ablehnung der Linken in Bezug
auf die elektronische Gesundheitskarte.

An beide Adressen sei gesagt, dass es Aufgabe von
Politik ist – und aus meiner Sicht nicht nur in der Regie-
rungsverantwortung, sondern auch in der Opposition –,
Forderungen anderer nicht ungeprüft aufzugreifen, um
sich beliebt zu machen, sondern eine eigene Haltung zu
entwickeln und zu begründen. Ein Blick ins Gesetz ist
dabei behilflich: Gerade beim Projekt der elektroni-
schen Gesundheitskarte klafft ein großer Widerspruch
zwischen den vermeintlich offenen Punkten und den kla-
ren, bereits von Anfang an im Gesetz zu findenden Rege-
lungen. Es gibt kaum ein IT-Großprojekt, in dessen
Zu Protokoll
Entwicklung der Bundesdatenschutzbeauftragte so eng
eingebunden ist wie in dieses und für dessen Einführung
dieser sich stark macht. Die von allen geforderte Frei-
willigkeit der Teilnahme der Versicherten, zum Beispiel
an der für die Zukunft geplanten Patientenakte, ist be-
reits vor Jahren gesetzlich verankert worden.

Selbstverständlich muss immer wieder neu überprüft
werden, ob die elektronische Gesundheitskarte dem Da-
tenschutz genügt, in der Anwendung praktikabel ist und
ob die Freiwilligkeit auch in der Praxis Bestand hat,
wenn es in Zukunft um den Ausbau der für die Versor-
gung relevanten freiwilligen Zusatzmodule geht. Es darf
darüber aber nicht vergessen werden, dass es gegen die
bestehende Versicherungskarte massive datenschutz-
rechtliche Bedenken gibt und im Moment immer mehr
Anwendungen, zum Beispiel internetbasierte elektroni-
sche Patientenakten entstehen, die datenschutzrechtlich
fragwürdiger sind als das, was als Anwendung im Kon-
text der e-Card geplant ist.

Ein zentrales Argument der Kritikerinnen und Kriti-
ker der e-Card ist die Befürchtung, dass Gesundheitsda-
ten in großem Umfang abgelegt werden und es dann kei-
nen Schutz gegen entsprechende Begehrlichkeiten etwa
von gesetzlichen Kassen oder privaten Versicherungen
gebe. Das technische Risiko, dass Verschlüsselungstech-
nologien veralten und durch neue, sicherere ersetzt wer-
den müssen, haben wir im Blick, und wir setzen uns da-
für ein, dieses Risiko so weit wie möglich zu minimieren.
Auch rechtlich besteht ein gewisses Restrisiko, da nie-
mand von uns ausschließen kann, dass in Zukunft gänz-
lich andere demokratische Entscheidungen im Bundes-
tag fallen. Ich setze jedoch darauf, dass sich die Grünen
auch in Zukunft für den Schutz persönlicher Daten stark
machen werden. Darüber, ob Daten aus der Patienten-
akte für die Kassen wirklich so attraktiv sind, wie die
Kritiker vermuten, sollte ein realistischer Diskurs ge-
führt werden. Den gesetzlichen Krankenkassen liegen
bereits heute alle ambulanten und stationären Diagno-
sen sowie Informationen über die verordneten Arznei-
mittel vor – der gegenüber den gesetzlichen Kranken-
versicherungen gläserne Patient existiert bereits heute.
Private Versicherer haben beim Abschluss von Versiche-
rungsverträgen im Versicherungsvertragsrecht gere-
gelte Auskunftsrechte über in der Vergangenheit
liegende Erkrankungen und Behandlungen. Aus der De-
batte um das Gendiagnostikgesetz weiß ich, dass hierbei
den rechtlichen Grenzen nicht immer Rechnung getra-
gen wird. Es kommt immer wieder vor, dass Ärztinnen
und Ärzte nicht den Fragebogen der Versicherung aus-
füllen, sondern die ganze Patientenakte kopieren und
weitergeben. Das sind klare Verstöße gegen den Daten-
schutz, die dazu führten, dass via Gendiagnostikgesetz
privaten Versicherern verboten wurde, „zufällig“
erlangte Informationen zu genetischen Erkrankungen zu
verwenden.

Es gibt einiges zu tun, um im Gesundheitswesen dem
Datenschutz und dem informationellen Selbstbestim-
mungsrecht der Versicherten Genüge zu tun. Erst auf
unsere grüne Intervention hin wird sich der Gesund-
heitsausschuss in der nächsten Sitzung mit datenschutz-
rechtlichen Aspekten des Versorgungsstrukturgesetzes



gegebene Reden





Birgitt Bender


(A) (C)



(D)(B)

befassen. Zu klären ist etwa, ob die vorgeschlagene Än-
derung der §§ 303 a bis f SGB V, mit der ein sehr breiter
Personenkreis Zugang zu den im Risikostrukturaus-
gleich genutzten Gesundheitsdaten von Versicherten be-
kommt, dem Datenschutz umfassend Rechnung trägt
oder ob hier nachgebessert werden muss.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713632400

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/7460 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind alle damit
einverstanden. Dann ist das somit auch beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Legalisierung von Cannabis durch Einfüh-
rung von Cannabis-Clubs

– Drucksache 17/7196 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen sind dem Präsidium bekannt.


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1713632500

Der Antrag ist bereits in der Darstellung des Sach-

verhalts falsch. Der Konsum illegaler Drogen ist weder
eine Alltagserscheinung, noch wird er es jemals sein.

Tatsächlich lag der Anteil der Personen mit Canna-
bisabhängigkeit unter den 18- bis 59-Jährigen bei
1,3 Prozent im Jahr 2009. 4,8 Prozent der Bevölkerung
zwischen 18 und 64 Jahren geben an, in den vergange-
nen zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben. Von
einer „Alltagserscheinung“ zu sprechen, ist bereits bar
jeder Realität.

Sie wollen angeblich eine progressive Drogenpolitik.
Der Vorschlag zur Legalisierung des Besitzes von Can-
nabis und zur Legalisierung des Anbaus, insbesondere
für Dritte, ist keine progressive Drogenpolitik, sondern
führt zu gesetzlich zugelassenen Drogendealern.

Eine sinnvolle Suchtpolitik stellt den Menschen in den
Mittelpunkt, mit seinen spezifischen, meist suchtstoff-
übergreifenden Problemen. Es geht um die Fragen der
Entstehung von Sucht, der meist ein komplexes Geflecht
aus Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen, Stö-
rungen im emotionalen Gleichgewicht oder Misshand-
lung zugrunde liegt.

Wir stellen mit unserem Verständnis von Drogen und
Suchtpolitik deshalb Prävention, Therapie, Hilfe zum
Ausstieg und die Bekämpfung der Drogenkriminalität in
den Mittelpunkt. Unser christliches Menschenbild geht
vor allem vom freien, unabhängigen Menschen aus.
Denn wer abhängig ist, kann nicht frei über sein Leben
entscheiden. Genau deshalb stehen wir zuerst für Prä-
vention und im zweiten Schritt für Hilfe zum Ausstieg.
Staatliche Strafverfolgung ist und bleibt notwendig, um
den Schutz der Gesundheit Dritter, aber vor allem auch
von Kindern und Jugendlichen zu sichern.

Der Bund fördert mit diesem Verständnis von Sucht
zahlreiche Initiativen und Projekte, die sich insbeson-
dere an jugendliche Konsumenten wenden. Ich verweise
hier zum Beispiel auf das Internetangebot der BZgA
„drugcom.de“.

Wir wollen die Menschen mit riskantem Cannabis-
konsum so früh wie möglich mit unterschiedlichsten An-
geboten erreichen, um so den Ausstieg zu ermöglichen
oder zumindest den Konsum reduzieren. Das ist für mich
der richtige Weg.

Konkret zu Ihrem Antrag stelle ich fest:

Illegale Drogen wie Cannabis stellen nachgewiese-
nermaßen und entgegen Ihrer Darstellung für die Ge-
sundheit der Menschen eine erhebliche Gefahr dar.
Während in anderen europäischen Staaten, allen voran
den Niederlanden, der Konsum von Cannabis, Ha-
schisch, Marihuana, immer weiter eingeschränkt wird,
wollen Sie mit Ihrem Antrag „Cannabis-Clubs“ in
Deutschland künftig erlauben. Damit befinden Sie sich
auf einer drogenpolitischen Geisterfahrt!

Wir reden heute konkret von 600 000 Personen, die
Cannabismissbrauch betreiben oder von Cannabis ab-
hängig sind. Es ist uns deshalb ein wichtiges Anliegen,
den Missbrauch von Cannabis zu verhindern; denn Can-
nabis ist eine berauschende Substanz, deren Konsum ge-
sundheitsgefährdend ist.

Nicht zuletzt gehen wir sehr differenziert vor: Mit der
Fünfundzwanzigsten Verordnung zur Änderung betäu-
bungsmittelrechtlicher Vorschriften haben wir neben an-
deren wichtigen Regelungen zur Verbesserung der be-
täubungsmittelrechtlichen Rahmenbedingungen auf dem
Gebiet der Palliativmedizin auch die betäubungsmittel-
rechtlichen Voraussetzungen für die Zulassungs- und
Verschreibungsfähigkeit cannabishaltiger Fertigarznei-
mittel geschaffen. Eine allgemeine Legalisierung des
Cannabiskonsums lehnen wir ab.

Die von mehr als 180 Staaten unterzeichneten Sucht-
stoffkonventionen der Vereinten Nationen verpflichten
die Bundesrepublik Deutschland überdies, die Verwen-
dung von Cannabis und anderen Suchtstoffen auf aus-
schließlich medizinische oder wissenschaftliche Zwecke
zu beschränken sowie den Besitz, Kauf und Anbau für
den persönlichen Verbrauch mit Strafe zu bewehren.
Deshalb ist in Deutschland wie auch in anderen euro-
päischen Staaten, die allesamt Vertragsstaaten der
Suchtstoffkonventionen sind, der Verkehr mit Cannabis
– dazu zählen insbesondere Anbau, Herstellung, Han-
del, Einfuhr, Abgabe, Veräußerung, Erwerb und Besitz
von Pflanzen oder Pflanzenteilen – nach dem BtMG
grundsätzlich strafbar. Hiervon umfasst ist auch der
„Eigen-“ Anbau.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh
in seiner bekannten „Cannabis-Entscheidung“ vom
9. März 1994 die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen
Cannabisverbote anerkannt. Mit seinen Beschlüssen

Karin Maag


(A) (C)



(D)(B)

vom 29. Juni 2004 und 30. Juni 2005 hat das Bundesver-
fassungsgericht seine früheren Entscheidungen zur
Strafbarkeit in aller Deutlichkeit bestätigt und unsere
Haltung ausdrücklich gestärkt.

Das Gericht hat lediglich die Strafverfolgungsorgane
aufgefordert, von der Verfolgung der in § 31 a des Be-
täubungsmittelgesetzes – einer damals noch sehr jungen
Vorschrift – bezeichneten Straftaten unter den dort ge-
nannten Voraussetzungen nach dem Übermaßverbot ab-
zusehen bzw. die Strafverfahren einzustellen. Die Länder
wurden aufgefordert, für eine einheitliche Einstellungs-
praxis bei Strafverfahren wegen Cannabisbesitz, zum
Beispiel hinsichtlich der „geringen Menge“, zu sorgen.
Dieser Verpflichtung sind die Länder im Wesentlichen
nachgekommen. In der Regel fand eine Verurteilung we-
gen des Besitzes kleiner Mengen Cannabis – bis zu
6 Gramm – unter den übrigen Voraussetzungen nicht
statt.

Wenn Sie überdies die Gewerkschaft der Polizei zu
Kronzeugen Ihrer Forderung machen wollen, mit dem
Hinweis, dass man auch dort zu neuen Wegen in der
Drogenpolitik rät, ist dies vorsichtig ausgedrückt unred-
lich. Denn dort wird betont, dass es eben gerade nicht
um die Freigabe illegaler Drogen gehe, sondern um die
effektive Nutzung polizeilicher Ressourcen in der Poli-
zeiarbeit.

Bezüglich des Anbaus, Handels und Besitzes von
Cannabis ist die Rechtslage unverändert. Dies ist auch
richtig! Denn die grundsätzliche Strafbarkeit beruht auf
der Gefahr der Weitergabe an Dritte und dem Ziel des
Gesundheitsschutzes des Einzelnen und der Bevölke-
rung. Auch neuere Studien haben Cannabis nicht als un-
bedenklich bewertet; vielmehr wird auf eine Reihe aku-
ter und langfristiger Risiken des Cannabiskonsums
hingewiesen. Die Gefährlichkeit des Cannabiskonsums
wird in den letzten Jahren sogar eher höher eingeschätzt
als früher, zumal eine stetige Steigerung des THC-Ge-
halts bei Cannabisprodukten zu beobachten ist. Die Ge-
sundheitsgefahren des Cannabismissbrauchs gerade bei
Jugendlichen und Heranwachsenden sind medizinisch
erwiesen. Ich bin auch dankbar, dass sich in jüngster
Zeit grundsätzlich ein Rückgang im Konsum und in der
Verbreitung von Cannabis zeigt. Dies zeigt doch vor al-
lem, dass unsere zahlreichen Initiativen und Projekte
Wirkung zeigen. Dies gilt es fortzusetzen. Dafür stehen
dem Bund im Jahr 2012 rund 12,6 Millionen Euro und
insbesondere rund 7 Millionen Euro für Aufklärungs-
maßnahmen zur Verfügung.

Abschließend bleibt festzuhalten:

Mit dem Willen unserer Fraktion werden auch künftig
der Handel und die Verwendung von Cannabis zu
Rauschzwecken verboten bleiben. Durch die präventive
Wirkung der Strafdrohung soll die Verfügbarkeit und
Verbreitung der Substanz weiterhin eingeschränkt blei-
ben.

Wir werden kein „Modellprojekt“ unterstützen, das
die Grenzen zur Illegalität weit überschreitet. Insbeson-
dere lehne ich alle Maßnahmen mit dem Potenzial zur
unmittelbaren und aktiven Förderung des Konsums von
Zu Protokoll
Drogen ab. Ein „Cannabis-Club“ könnte von Jugendli-
chen als Aufmunterung zum Drogenkonsum verstanden
werden. Ebenso suggeriert ein solcher Club eine ver-
meintliche Sicherheit. Bei den Jugendlichen kann somit
der falsche Eindruck entstehen, dass es sich bei Canna-
bis um ein „unbedenkliches“ Produkt handelt.

Für eine wirksame Drogenprävention werden mit ei-
nem solchen Club kontraproduktive Botschaften trans-
portiert. Angesichts der nachgewiesenen gesundheitli-
chen Folgen und Nebenwirkungen von Drogenkonsum
ist die Legalisierung von Cannabiskonsum und -besitz
der deutlich falsche Weg. Der effektivste Schutz vor ille-
galen Substanzen besteht vielmehr darin, den Konsum
dieser Substanzen konsequent zu unterlassen. Das erfor-
dert unsere Anstrengungen in der Prävention und vor al-
lem auch dahin gehend, die Lebensbedingungen für
junge Menschen in Deutschland so zu gestalten, dass
eine Flucht aus der Realität in die Sucht erst gar nicht
als Ausweg in Betracht gezogen wird. Genau in diesem
Bereich ist die christlich-liberale Koalition mit ihren
Anstrengungen zum Beispiel für Arbeitsplatzsicherheit
und daraus resultierend zum Beispiel einer der besten
Quoten für Jugendarbeitslosigkeit in Europa auf dem
richtigen Weg.

Die Bundesregierung wird überdies in Kürze die Na-
tionale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik vorstel-
len.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1713632600

Die Situation im Zusammenhang mit dem Cannabis-

gebrauch in Deutschland ist immer noch besorgniserre-
gend. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht Cannabis nicht
als harmlose Droge an. Der Cannabiskonsum bei jun-
gen Menschen ist zwar leicht rückläufig, doch immer
noch auf einem relativ hohen Niveau.

Der Wert für die jungen Erwachsenen im Alter von
18 bis 25 Jahren, die mindestens einmal im Leben Can-
nabis konsumiert haben, lag im Jahre 2010 immer noch
bei 35 Prozent. Das zeigt der aktuelle Drogen- und
Suchtbericht der Bundesregierung.

Junge Männer kommen auf Werte von 41 Prozent,
junge Frauen auf 28,8 Prozent. Und sogar 12- bis 15-Jäh-
rige haben bereits eine nennenswerte Konsumerfahrung.
Man sieht an den Zahlen, dass gerade junge Menschen
mit der sogenannten weichen Droge Cannabis Erfah-
rungen machen. Daher müssen wir hier ganz genau hin-
schauen.

Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag, sowohl
den strafrechtlich relevanten Wert für den Eigenge-
brauch stark zu erhöhen, als auch Cannabis-Clubs ein-
zuführen. Wir sollten dies vor dem Hintergrund ihres
Parteitagsbeschlusses am vergangenen Wochenende,
sämtliche Drogen, sowohl weiche als auch harte, zu le-
galisieren, betrachten.

Wegen der hohen Suchtgefahr, die harte Drogen mit
sich bringen, halte ich es für gefährlich, die Verfügbar-
keit dieser Drogen erleichtern zu wollen. Es steht für
mich außer Frage, dass eine Legalisierung eine deutli-
che Ausweitung der Zahl der Erstkonsumenten und da-



gegebene Reden

Angelika Graf (Rosenheim)



(A) (C)



(D)(B)

mit der Süchtigen zur Folge hätte. Auch diejenigen, die
einen Gang zum Dealer scheuen oder gar keinen ken-
nen, könnten problemlos harte Drogen erhalten.

Wer den Weg der Legalisierung harter Drogen gehen
will, muss die Konsequenzen bedenken. Wenn harte Dro-
gen auf eine Ebene mit Alkohol und Tabak gehoben wer-
den sollen, warum sollen dann Crystal, Heroin, Kokain
und Ecstasy nicht offiziell in Clubs oder Kneipen oder
am Kiosk erhältlich sein? Wer legalisieren will, kann
nicht nur ein „bisschen“ legalisieren. Sollen Cannabis-
Clubs ein erster Schritt für diese Komplettlegalisierung
nach dem Wunsch der Linksfraktion sein? Welchen Geist
atmet dieser Antrag, frage ich mich angesichts der
jüngsten Beschlüsse dieser Partei? Wo werden Grenzen
gezogen? Eine Grenze, die des Eigenbedarfs, soll schon
in Ihrem Antrag ordentlich angehoben werden. Die ei-
gentlich „geringe Menge“ soll in Ihrem Antrag jetzt
schon auf 30 Gramm angehoben werden – ein Wert, der
damit sämtliche Eigenbedarfsgrenzen in den Ländern
kräftig übertrifft.

Die Alternative zur Legalisierung von harten Drogen
ist die Entkriminalisierung der Süchtigen. Diese müssen
wir insbesondere bei der weichen Droge Cannabis in
der Tat vorantreiben. Entkriminalisierung ist aber etwas
anderes als Legalisierung. Ich fordere die Linksfraktion
auf, den heutigen Antrag zum Anlass zu nehmen, auch
Grenzen zu definieren und nicht allein dem Pseudotrend
und Wettbewerb hinterherzurennen, die „spaßfreund-
lichste“ Partei zu sein - zumal die gesundheitlichen Fol-
gen von Drogensucht alles andere als spaßig sind. An
der FDP können Sie sehen, wie schief das mit dem Spaß
gehen kann, wenn es zur realen Politik kommt. Die Re-
putation der gesamten Politik gerät dabei leider auch
immer in Gefahr.

Ausgehend von der grundsätzlichen Strafbarkeit des
Besitzes von Cannabis befürworte ich deshalb eine ein-
heitliche Regelung zur Festlegung der Kriterien für die
Einstellungspraxis nach § 31 a BtMG. Ich möchte beto-
nen, dass die damalige SPD-geführte Bundesregierung
als Reaktion auf die sogenannte Haschisch-Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 bei den
zuständigen Landesjustizministerien insbesondere die
Festlegung einer „geringen Menge“ für den Eigenkon-
sum anregte. Auf diese Regelung beziehen Sie sich in Ih-
rem Antrag. Vor allem die starre Haltung der unionsge-
führten Bundesländer, die bis heute leider immer noch
eine destruktive Rolle bei einer Vereinheitlichung der
„Geringe-Mengen-Regelung“ spielen, führt dazu, dass
wir immer wieder unterschiedliche Gerichtsurteile in
den einzelnen Gerichtsbezirken zur Kenntnis nehmen
müssen. Nichtsdestotrotz gibt es heute in Deutschland
zur Verfahrenseinstellung nach § 31 a BtMG eine im We-
sentlichen einheitliche strafrechtliche Praxis und Recht-
sprechung inklusive einer Festlegung für eine „geringe
Menge“ für den Eigenkonsum in den Ländern. Ohne den
Anstoß der damaligen SPD-geführten Bundesregierung
würden wir noch heute darauf warten. Und mit Anträ-
gen, die die Cannabislobby offenbar für die Linksfrak-
tion schreibt, werden wir weiter auf bundeseinheitliche
Regelungen warten, da die schwarz-gelbe Regierungs-
Zu Protokoll
koalition diese Thematik fürchtet wie der Teufel das
Weihwasser.

Wissenschaftlich nachvollziehbare THC-Grenzwerte
für den Straßenverkehr sind absolut wünschenswert.
Eine grundsätzlich unterschiedliche Behandlung zwi-
schen Cannabiskonsumenten und Alkoholkonsumenten
ist im Grunde nicht hinzunehmen. Auch die SPD-Bun-
destagsfraktion will helfen, Parameter zu entwickeln,
mit deren Hilfe zuverlässige Rückschlüsse auf die Fahr-
tüchtigkeit von Cannabiskonsumenten im Straßenver-
kehr gezogen werden können.

In der Antwort der Bundesregierung vom 26. Januar
2011 auf meine Anfrage wird bezüglich dieser Frage
festgestellt, dass die gesetzliche Einführung eines THC-
Grenzwertes für den Straßenverkehr analog zu Alkohol
auf absehbare Zeit nicht möglich sei, weil immer noch
unter anderem die „Dosis-Konzentrations-Wirkungsbe-
ziehungen weitgehend unbekannt sind“, so die Bundes-
regierung. Bei Drogen wie Cannabis handele es sich um
eine Vielzahl von Mitteln und Substanzen mit unter-
schiedlichen Auswirkungen auf die Fahrleistungen.
Diese Auswirkungen würden von einer Vielzahl von Fak-
toren, wie zum Beispiel Konsumgewohnheiten und Kon-
sumform, beeinflusst und hingen nicht allein von der
festgestellten Substanzmenge im Körper ab. Wir müssen
daher immer noch auf wissenschaftlich valide Parame-
ter warten, die für die Polizeibehörden auch im Alltag
praktikabel umsetzbar sind. Daher ist die Forderung in
Ihrem Antrag, eine Höchstgrenze für den THC-Gehalt
im Blut für den Straßenverkehr einzufordern, unrealis-
tisch und erscheint mir schlichtweg zu einfach.

Es gibt, wie gesagt, gute Gründe für eine Entkrimina-
lisierung von Cannabis. Doch zu einem erhöhten Schutz
im Straßenverkehr und zu einer Abnahme des Konsums
insgesamt würden Ihre vorgeschlagenen Maßnahmen si-
cherlich kaum beitragen. Die SPD-Bundestagsfraktion
ist weiterhin dafür, die Problematik sowohl beim Canna-
bis-Eigengebrauch als auch bezüglich der Abgabe von
Cannabis sorgfältig abzuwägen. Schnellschüsse und
ungeprüfte Vorschläge ins Blaue hinein wie die im vor-
liegenden Antrag der Linksfraktion oder in Ihrem Par-
teitagsbeschluss zur Legalisierung aller Drogen – ob
hart oder weich - sind leider dabei nicht hilfreich.


Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1713632700

Die Legalisierung von Cannabis ist ein drogenpoliti-

scher Dauerbrenner, der in regelmäßigen Abständen im-
mer wieder auf der Tagesordnung erscheint. Auch die
FDP-Bundestagsfraktion hat sich mit diesem Thema aus-
einandergesetzt. Nach Abwägung aller Argumente sind
wir zu dem Schluss gekommen, dass wir eine grundsätz-
liche Legalisierung von Cannabis ablehnen.

Was wir befürworten und mittlerweile auch umgesetzt
haben, ist die Freigabe von Cannabis als Arzneimittel.
Das ist richtig und wichtig und hilft insbesondere
Schmerzpatienten.

Eine Freigabe von Cannabis als Konsumgut lehnen
wir jedoch ab. Denn die in der Öffentlichkeit oft geäu-
ßerte völlige Unbedenklichkeit des Hanfkonsums ent-



gegebene Reden

Christine Aschenberg-Dugnus


(A) (C)



(D)(B)

spricht nicht den vorliegenden wissenschaftlichen
Erkenntnissen. Experten warnen insbesondere, dass
Cannabis immer stärker und immer giftiger wird. Der
THC-Gehalt ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen. Bei-
spielsweise weisen Experten auf die Gefahr von schizo-
phrenen Psychosen hin.

Allerdings halte ich den Weg, den Gelegenheitskonsu-
menten zu entkriminalisieren, für richtig. Meiner Mei-
nung nach muss angemessen und verhältnismäßig auf
die Tatsache reagiert werden, dass das gelegentliche
Rauchen eines Joints ein gesellschaftliches Phänomen
ist. Das muss nicht repressiv und mit aller Staatsmacht
angegangen werden. Hier sollte nach praktikablen Lö-
sungen gesucht werden, die auch die Behörden und Ge-
richte so wenig wie möglich belasten. Die derzeitige
Rechtslage hinsichtlich der Strafverfolgung bei Eigen-
bedarfsmengen bietet hierfür einen ausreichenden Rah-
men.

Interessant ist aber, wie die Linke mit dem Thema
Drogenpolitik grundsätzlich umgeht. In ihrem ersten
Parteiprogramm setzt sich die Linke für die Legalisie-
rung aller Drogen ein – egal, ob harte oder weiche.
Auch Ihr Versuch, den Beschluss ein wenig zu relativie-
ren, kann über Ihre drogenpolitische Irrfahrt nicht hin-
wegtäuschen.

Denn es ist bemerkenswert, dass Ihre Argumentation
nicht schlüssig ist. In Ihrem Antrag zum Thema „Legali-
sierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-
Clubs“ behaupten Sie: „Cannabis durch ein Verbot ge-
setzlich auf eine Ebene mit harten Drogen wie Heroin zu
stellen, wird seinem Gefährdungspotenzial nicht ge-
recht.“ Sie wollen also eine Klassifizierung in harte und
weiche Drogen. Sie erkennen also an, dass es sehr wohl
einen Unterscheid zwischen Cannabis und Heroin gibt,
ganz besonders hinsichtlich des offenkundigen Gefähr-
dungspotenzials.

In Ihrem Parlamentsantrag ist dies noch einigerma-
ßen nachvollziehbar hergeleitet. In Ihrem neuen Pro-
gramm heißt es dann jedoch: „Die Unterscheidung in
legale und illegalisierte Substanzen ist willkürlich.“

Fest steht aber: Es ist absolut gerechtfertigt, dass
Suchtmittel oder Produkte mit Suchtpotenzial unter-
schiedlich bewertet, klassifiziert und entsprechend als
legal oder illegal eingestuft werden. Und die tatsächli-
che Unterscheidung ist alles andere als willkürlich.

Cannabis bewerte ich als Einstiegsdroge. Denn es
gibt Studien, die nachweisen, dass der Wirkstoff Tetrahy-
drocannabinol, THC, der in Cannabis enthalten ist, das
Gehirn viel anfälliger für Opiate macht. Der Weg zum
Heroin ist dann leider oft sehr kurz.

Sicherlich, der übermäßige Konsum legaler Produkte
mit Suchtpotenzial wie alkoholhaltige Getränke ist auch
schädlich. Doch die überwiegende Mehrheit der Men-
schen genießt Bier, Wein etc. in verantwortungsvoller
Weise und ohne abhängig zu werden. Deshalb sind diese
Produkte auch legal.

Bei den nach aktueller Rechtslage illegalen Substan-
zen kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass
Zu Protokoll
deren Konsum dauerhaft verantwortungsvoll und un-
schädlich bleibt. Der Zeitraum vom ersten Gebrauch bis
zur Abhängigkeit ist bei illegalen Stoffen um ein Viel-
faches kürzer als beispielsweise bei alkoholhaltigen Ge-
tränken.

Cannabiskonsum bewirkt eine deutliche chemische
Veränderung des Belohnungssystems im Gehirn. THC-
Konsum hinterlässt Spuren. Das Belohnungssystem
braucht wegen seiner veränderten Chemie deutlich
mehr Drogen, bis es einen Zustand von Zufriedenheit
vermitteln kann. Das ist die Suchtspirale, die zu immer
kürzeren Konsumintervallen und immer stärkeren Do-
sierungen führt. Das wollen wir nicht legalisieren.

Deshalb halte ich die Unterscheidung in legale und
illegale Substanzen für gerechtfertigt, und deshalb halte
ich es für richtig, dass Cannabis nicht legalisiert wird.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine klare Linie und
wird den vorliegenden Antrag ablehnen.


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1713632800

Mit dem Antrag zur Einführung von Cannabis-Clubs

möchten wir als LINKE dazu beitragen, dass die Krimi-
nalisierung des Cannabiskonsums beendet wird. Zwar
ist der Konsum nicht verboten, die Beschaffung und der
Besitz hingegen schon.

Als Kriminaloberkommissar habe ich selbst in der
Drogen-Strafverfolgung gearbeitet und ich bin zu dem
Ergebniss gekommen, dass die bisherige Praxis der
Strafverfolgung den Konsum von Cannabis nicht verrin-
gert, dafür aber die Konsumierenden kriminalisiert.

Die Bundesregierung verweist in ihrer Beantwortung
von Kleinen Anfragen zu diesem Thema immer wieder
darauf hin, dass die aktuelle Verbotspraxis dem Gesund-
heitsschutz der Bevölkerung dienen soll. Ich bin hinge-
gen zur Einschätzung gekommen, dass die aktuelle Ver-
botspraxis einen funktionierenden Gesundheitsschutz
verhindert.

Während der Verbraucherschutz dafür Sorge trägt,
dass in einer Flasche Bier auch nur das enthalten ist,
was auf dem Etikett steht, werden 4 Millionen Cannabis-
konsumenten – von denen nur ein relativ kleiner Teil ein
problematisches Konsumverhalten aufweist – der Ge-
fahr ausgesetzt, durch Streckmittel schwere gesundheit-
liche Folgen zu erleiden. Das Wort Streckmittel klingt
erst einmal harmlos, ich möchte ihnen daher aufzählen,
was bisher in Cannabis an Streckmitteln gefunden
wurde: Brix – eine Mischung aus Zucker, Hormonen und
flüssigem Kunststoff –, Sand, Talkum, Zucker, Haar-
spray, Glas, Gewürze, Blei, Phospor/Kaliumdünger so-
wie Schimmel. Wahrscheinlich gibt es noch andere Arten
von Streckungen, aber das sind diejenigen, die vom
Deutschen Hanfverband, DHV, dokumentiert wurden.
Nach Informationen des DHV haben sich seit Mai 2009
fast 3 000 Konsumierende an den DHV gewendet, nach-
dem diese Streckmittel in Cannabis festgestellt hatten.
Von Streckmitteln geht eine erheblich größere Gefahr für
die Gesundheit der Konsumierenden aus als vom Can-
nabiskonsum an sich. So müssen Betroffene einer Blei-
vergiftung teilweise noch jahrelang Medikamente zu



gegebene Reden

Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)

sich nehmen, um das Blei, das sich in den Knochen fest-
setzt hat, abzubauen.

Wir müssen uns an dieser Stelle nichts vormachen:
Durch die bestehende Illegalität helfen wir dem Dea-
lern, riesige Gewinnen zu erzielen. Unter diesen gibt es
natürlich auch Fälle, in denen versucht wird, mit der
Beimischung von anderen Substanzen das Gewicht und
damit den Preis der Ware zu manipulieren. Eine Legali-
sierung nach unserem Modell würde denen aber die
komplette Handelsgrundlage entziehen.

1994 war der strafrechtliche Umgang mit Cannabis-
produkten Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des
Landgerichts Lübeck. Dort wurde die Strafverfolgung
bei Besitz von geringen Mengen Cannabis als Eigenver-
brauch als unverhältnismäßig beurteilt. Die Folge da-
raus war leider ein Flickenteppich von 16 verschiedenen
gesetzlichen Regelungen in Deutschland, was die Straf-
verfolgung von Cannabiskonsumierenden angeht. Wäh-
rend in Berlin ein Strafverfahren aufgrund des Besitzes
von bis zu 15 Gramm Cannabis von der Staatsanwalt-
schaft eingestellt werden kann, ist das in Bayern nur bis
6 Gramm möglich. Dieser Unsinn muss dringend been-
det werden. Wenn Sie diesem Antrag schon nicht zustim-
men, dann sorgen Sie doch wenigstens für eine einheitli-
che Rechtspraxis, in dem Sie eine geringe Menge im
Betäubungsmittelgesetz festlegen!

Mittlerweile hat sich die Verfolgung von Cannabis-
konsumierenden vom Strafrecht auf das Straßenver-
kehrsrecht verlagert. Deshalb benötigen wir endlich
einen wissenschaftlich fundierten Grenzwert von Canna-
bisleitsubstanzen, der die tatsächliche Beeinflussung der
Fahrtüchtigkeit widerspiegelt. Klar ist, ein Verkehrsteil-
nehmender unter Cannabiseinfluss muss rechtlich sank-
tioniert werden. Aber es ist nicht nachvollziehbar, warum
bei gelegentlichem Cannabiskonsum der Führerschein
entzogen werden kann, wenn Spuren von Cannabiskon-
sum im Blut nachweisbar sind, obwohl eine Rauschwir-
kung zum Zeitpunkt der Kontrolle längst nicht mehr vor-
liegt.

Mit unserem Vorschlag zur Einführung von Canna-
bis-Clubs wollen wir zudem auf ein Modell zurückgrei-
fen, zu dem es in der Europäischen Union bereits gute
Erfahrung gibt. In Spanien wurden die Cannabis Social
Clubs im Jahr 2005 ermöglicht.

Der Cannabisanbau in diesen Clubs unterliegt Quali-
tätskontrollen. Das angebaute Cannabis dient zudem
nur dem Eigenverbrauch und darf nicht verkauft wer-
den. Damit haben wir den Handel mit Cannabis verhin-
dert und ermöglichen gleichzeitig, dass sich interes-
sierte Konsumentinnen und Konsumenten zusammen-
finden können, um gemeinsam Cannabis anzubauen und
Erfahrungen auszutauschen. Werbung dafür bleibt ver-
boten, so wie es im Übrigen auch ein generelles Werbe-
verbot für andere legale Drogen wie Alkohol und Niko-
tin geben sollte. Denn eine liberale Drogenpolitik
besteht aus progressiven, aber auch repressiven Instru-
menten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der mit Einführung von
Cannabis-Clubs Unterstützung finden würde, ist die
Zu Protokoll
Prävention vor Drogenmissbrauch. Umso stärker sich
offen mit Drogen auseinandergesetzt wird und die jewei-
ligen Gefahren und Wirkungsweisen verstanden werden,
umso erfolgreicher funktioniert die Prävention. So hat
beispielsweise die Liberalisierung der Drogenpolitik in
Portugal gezeigt, dass dadurch nicht mehr Drogen kon-
sumiert wurden, dafür aber der Missbrauch und damit
auch die Zahl der Abhängigen zurückgegangen ist.

Nutzen Sie diese Gelegenheit und diskutieren Sie mit
uns über neue Wege in der Drogenpolitik. Ich freue mich
auf die Diskussionen dazu im Ausschuss und hoffe, dass
wir die Debatte darüber sachlich führen können.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1713632900

Nach dem drogenpolitisch turbulenten Wochenende

bei den Linken liegen nun Ihre konkreten Vorschläge auf
dem Tisch. Es gibt die berechtigte Fragestellung, die in
ihrem Antrag aufgeworfen wird, ob die derzeitige re-
pressive Drogenpolitik überhaupt die gewünschten Wir-
kungen entfaltet. Diese Frage wird durch die Realität
nicht nur bei uns in Deutschland tagtäglich beantwortet:
Der Konsum bestimmter Drogen wird durch ihr straf-
rechtliches Verbot nicht nennenswert verhindert. Schon
allein deswegen ist ein solches Verbot mindestens ver-
zichtbar.

Aber ich finde andere Fragen in diesem Zusammen-
hang noch wesentlich wichtiger: Welche negativen Fol-
gen hat eigentlich die repressive Drogenpolitik, wie wir
sie hier in Deutschland praktizieren? Welche Folgen hat
sie für die Anbauländer, welche für die Transitländer
und vor allem: Welche Folgen hat sie für die Konsumen-
tinnen und Konsumenten dieser Drogen? In welcher
Weise behindert das Verbot etwa eine zielgerichtete Prä-
vention riskanter Konsumformen? Welche Auswirkun-
gen hat der durch das Verbot geschaffene Schwarzmarkt
für die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumen-
ten?

Wenn man sich diese Fragen stellt, wird recht schnell
klar, warum dieser Antrag nicht konsequent genug ist:
Die Legalisierung von Cannabis durch sogenannte So-
cial Clubs, so wie die Linken dies vorschlagen, ist ge-
rade nicht eingebunden in ein sinnvolles Konzept aus
Prävention, Schadensminderung und Therapie. Die
Zahlen zum Cannabiskonsum zeigen deutlich, dass es
nur wenige Menschen gibt, die Cannabis in riskanter
Form gebrauchen. Die übergroße Mehrheit betreibt of-
fensichtlich einen selbstverantwortlichen Konsum. Aber
gerade wegen dieser Wenigen muss eine wie auch immer
geartete Abgabe von Cannabis oder anderer weicher
Drogen eingebunden werden in ein Präventionskonzept.
Dazu gehört schon etwas mehr als ein bisschen Lebens-
ertüchtigung in Schulen und ein Werbeverbot für die
Clubs.

Wir haben bereits in der vergangenen Wahlperiode in
unserem Antrag deutlich gemacht, wie aus unserer Sicht
eine Entkriminalisierung von weichen Drogen wie Can-
nabis so umgesetzt werden könnte, dass dabei die Prä-
vention im Vordergrund steht.



gegebene Reden





Dr. Harald Terpe


(A) (C)



(D)(B)


Ich habe darüber hinaus erhebliche Zweifel, ob das
unter anderem in Spanien praktizierte Modell der Can-
nabis Social Clubs ohne Weiteres auf Deutschland über-
tragbar ist. Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit diesem
eher romantisierenden Ansatz wirklich weiterkommen.
Was geschieht zum Beispiel mit Konsumentinnen und
Konsumenten, die es ablehnen, sich in einem solchen
Verein namentlich registrieren zu müssen? Was machen
Konsumentinnen und Konsumenten, die keinen Eigenan-
bau betreiben können oder wollen? Für sie ändert sich
gar nichts. Sie müssen ihr Cannabis weiter illegal auf
dem Schwarzmarkt erwerben.

Wer nicht nur die Entkriminalisierung von Cannabis,
sondern sogar die Legalisierung von Cannabis fordert,
der muss sich auch Gedanken darüber machen, wie
dann dem Umstand Rechnung getragen wird, dass inter-
nationale Übereinkommen diesem Legalisierungsanlie-
gen entgegenstehen. Hier vermisse ich in Ihrem Antrag
wenigstens einen Hinweis, wie Sie mit diesem Problem
umzugehen gedenken.

Darüber hinaus wirft der Antrag der Linken weitere

che Wirkungen eine bestimmte Politik in der Praxis hat.
Deswegen haben wir in der vergangenen Wahlperiode in
unserem Antrag ein wissenschaftlich begleitetes Modell-
projekt vorgesehen, mit welchem die Wirkungen einer
kontrollierten Abgabe beispielsweise in lizenzierten Ab-
gabestellen überprüft wird. Eine solche Regelung fehlt
leider ebenfalls in Ihrem Antrag.

Wir Grünen sind klar für eine grundlegende Reform
der Drogenpolitik. Dazu gehört auch eine Entkriminali-
sierung von Cannabis und anderen weichen Drogen. Wir
sehen diesen Antrag daher vor allem als Chance, die
derzeitige Drogenpolitik und deren negative Folgen auf
den Prüfstand zu stellen und notwendige Alternativen zu
thematisieren. Denn anders als etwa im angelsächsi-
schen Raum wird in Deutschland viel zu wenig die Frage
nach dem Preis gestellt, den unsere Gesellschaft, aber
auch andere Gesellschaften für die repressiv ausgerich-
tete Drogenpolitik zahlt. Ich würde mich freuen, wenn
wir dieser Frage auch in den Ausschussberatungen und
in einer Anhörung nachgehen können.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1713633000

Fragen auf. Sie fordern beispielsweise, für den Straßen-
verkehr eine wissenschaftlich begründete THC-Höchst-
grenze im Blut einzuführen. Damit werden sie das Pro-
blem aber nur teilweise lösen. Denn unabhängig davon,
wie hoch der Grenzwert ist und ob bei Cannabiskonsu-
menten der Nachweis von THC mit einem akuten Rausch
gleichgesetzt werden kann, kann regelmäßigen Canna-
biskonsumentinnen und -konsumenten heute der Führer-
schein entzogen werden, auch dann, wenn sie gar nicht
unter Einfluss von Cannabis Auto fahren. Nach meiner
Auffassung ist hier auch eine Änderung der Führer-
scheinverordnung notwendig. Damit lassen sich dann
auch die häufig willkürlichen MPUs vermeiden.

Nun will ich nicht behaupten, dass wir Grünen dro-
genpolitisch gesehen die Weisheit mit Löffeln gefressen
haben. Zu einer verantwortlichen Drogenpolitik gehört
es für mich aber auch, sich dafür zu interessieren, wel-
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7196 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Widerspruch er-
hebt sich nicht. Dann ist auch das so beschlossen.

Sie werden es nicht glauben, meine Kolleginnen und
Kollegen: Wir sind damit am Ende unserer heutigen Ta-
gesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Freitag, den 28. Oktober dieses Jahres,
9 Uhr, ein.

Es sind alle herzlich eingeladen, auch morgen früh
schon da zu sein.

Die Sitzung ist geschlossen.