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    Plenarprotokoll 17/136 16071 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung telekom- munikationsrechtlicher Regelungen (Drucksachen 17/5707, 17/7521) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Waltraud Wolff, – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Tele- kommunikationsmarkt verbraucher- gerecht regulieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Netz- neutralität sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Universal- dienst für Breitband-Internet- anschlüsse jetzt 16071 C 16072 B Deutscher B Stenografisc 136. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Wahl des Abgeordneten Michael Hartmann als stellvertretendes Mitglied im Gemeinsa- men Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Frank Schwabe als stellvertretendes Mitglied in der Parlamenta- rischen Versammlung des Europarates . . . Wahl des Abgeordneten Sören Bartol als or- dentliches Mitglied des Eisenbahninfra- strukturbeirates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Frau Jutta Frasch als stellvertreten- des Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ . . . . . . Wahl des Abgeordneten Florian Pronold als ordentliches Mitglied im Stiftungsrat der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldt- Forum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16071 A 16071 B 16071 B 16071 B Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbrau- cherschutz in der Telekommunika- tion umfassend stärken undestag her Bericht tzung en 27. Oktober 2011 l t : – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Lars Klingbeil, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Netzneu- tralität im Internet gewährleisten – Diskriminierungsfreiheit, Transpa- renzverpflichtungen und Sicherung von Mindestqualitäten gesetzlich re- geln – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schnelles In- ternet für alle – Flächendeckende Breitband-Grundversorgung sicher- stellen und Impulse für eine dynami- sche Entwicklung setzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Kerstin Andreae, weiterer Ab- II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen das Zwei-Klassen-Internet – Netzneu- tralität in Europa dauerhaft ge- währleisten (Drucksachen 17/4875, 17/5367, 17/5902, 17/5376, 17/4843, 17/6912, 17/3688, 17/7521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Martin Dörmann, Garrelt Duin, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Stand und Per- spektiven des Breitbandausbaus in Deutschland (Drucksachen 17/3899, 17/5588) . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16072 C 16073 A 16073 A 16074 A 16075 D 16076 C 16078 B 16079 B 16080 C 16081 D 16082 D 16084 C 16086 A 16086 D 16087 D 16088 A 16088 D 16089 D 16090 B 16091 C 16093 A 16093 C 16093 D 16095 A 16095 C 16096 B 16097 D 16098 A 16098 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energie sparen, Kosten senken, Klima schützen – Für eine ambitionierte Effizienzstrategie der deutschen und euro- päischen Energieversorgung (Drucksache 17/7462) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 30: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Energiewende ge- lingt nur mit KWK (Drucksachen 17/6084, 17/7516) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Rolf Hempelmann, Garrelt Duin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Am Ausbau der hoch- effizienten Kraft-Wärme-Kopplung festhalten (Drucksachen 17/3999, 17/4492) . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Nationaler Energieeffizienz-Ak- tionsplan der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 17/6927) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16099 D 16100 A 16100 A 16100 B 16100 B 16101 C 16103 B 16105 B 16106 B 16106 D 16107 C 16107 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 III Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Statistik der Überschuldung privater Personen (Überschuldungs- statistikgesetz – ÜSchuldStatG) (Drucksache 17/7418) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Veronika Bellmann, Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Oliver Luksic, Patrick Döring, Werner Simmling, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Weißbuch Verkehr – Auf dem Weg zu einer nachhaltigen und bezahl- baren Mobilität (Drucksache 17/7464) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein CASTOR-Transport nach Gorleben zu Lasten des Strahlenschutzes – Zwi- schenlagerung hochradioaktiver Wie- deraufarbeitungsabfälle verursacherge- recht neu gestalten (Drucksache 17/7465) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Masterplan Stra- ßenverkehrssicherheit – Ambitioniertes Nationales Verkehrssicherheitsprogramm 2011 – 2020 vorlegen (Drucksache 17/7466) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16109 C 16109 D 16112 A 16113 A 16114 A 16115 B 16116 D 16117 C 16118 C 16120 A 16120 B 16120 D 16120 D 16121 A 16121 A Tagesordnungspunkt 36: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterrechtli- chen Daten zwischen den Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union und zur Änderung registerrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 17/5224, 17/7415) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP einge- brachten Entwurfs eines Vierundzwan- zigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Drucksachen 17/7334, 17/7517) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung über die elektronische Fas- sung des Amtsblatts der Europäischen Union (Drucksachen 17/7144, 17/7512) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an das Gemeinsame Wattenmeersekretariat – Common Wadden Sea Secretariat (CWSS) (CWSSRechtsG) (Drucksachen 17/6612, 17/7491) . . . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2012 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2012) (Drucksachen 17/7236, 17/7518) . . . . . . . f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Erd- ölbevorratungsgesetzes und zur Ände- rung des Mineralöldatengesetzes (Drucksachen 17/7273, 17/7519) . . . . . . . g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verga- berechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (Drucksachen 17/7275, 17/7520) . . . . . . . h) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. November 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Andorra über den Informationsaus- tausch in Steuersachen (Drucksachen 17/7145, 17/7441) . . . . . 16121 B 16121 C 16122 A 16122 B 16122 C 16122 D 16123 A 16123 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 19. Ok- tober 2010 zwischen der Bundes- republik Deutschland und Antigua und Barbuda über den Informa- tionsaustausch in Steuersachen (Drucksachen 17/7146, 17/7441) . . . . i) – o) Beratung der Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses: Sammelübersichten 324, 325, 326, 327, 328, 329 und 330 zu Petitio- nen (Drucksachen 17/7361, 17/7362, 17/7363, 17/7364, 17/7365, 17/7366, 17/7367) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der CDU/CSU und FDP: Demokra- tischer Sozialismus und soziale Markt- wirtschaft im Grundsatzprogramm der LINKEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinder- schutzgesetz – BKiSchG) (Drucksachen 17/6256, 17/7522) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/7523) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Petra Crone, Iris Gleicke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Kin- derschutz wirksam verbessern: Präven- 16123 B 16123 D 16124 C 16124 C 16126 A 16127 A 16128 D 16130 A 16131 D 16133 A 16134 D 16136 A 16137 D 16138 A tion im Kinderschutz optimieren – Förderung und Frühe Hilfen für Eltern und Kinder stärken (Drucksachen 17/498, 17/7522) . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslin- gen), Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Hei- delberg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwick- lungspolitik (Drucksache 17/7358) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Erleichte- rung der Sanierung von Unternehmen (Drucksachen 17/5712, 17/7511) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Christine Scheel, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Insolvenzrechtsreform un- verzüglich vorlegen – Außergerichtliche 16138 A 16138 B 16139 D 16141 B 16142 A 16143 C 16145 B 16146 D 16148 A 16149 A 16150 D 16151 A 16152 D 16154 B 16155 D 16156 D 16157 D 16159 A 16160 B 16161 B 16162 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 V Sanierungsverfahren stärken – Insol- venzplanverfahren attraktiver gestalten (Drucksachen 17/2008, 17/7511) . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine moderne und zukunftsweisende Familienpolitik (Drucksache 17/6915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Finanz- kraft der Kommunen (Drucksachen 17/7141, 17/7171, 17/7402) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: 16162 C 16162 D 16164 C 16165 C 16167 B 16168 C 16169 C 16171 A 16172 A 16173 C 16173 D 16175 C 16177 B 16177 D 16177 D 16179 C 16180 D 16182 A 16184 C 16186 A 16187 A 16187 D 16188 D Wiederherstellung der Handlungs- fähigkeit von Städten, Gemeinden und Landkreisen – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Katja Dörner, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gemeindefinanz- kommission gescheitert – Jetzt finanzschwache Kommunen – ohne Sozialabbau – nachhaltig aus der Schuldenspirale befreien (Drucksachen 17/1744, 17/7189, 17/7514) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils (C-555/07) – Erweite- rung des Kündigungsschutzes bei unter 25-Jährigen (Drucksachen 17/775, 17/7489) . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Ingrid Hönlinger, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände- rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) – Diskrimi- nierungsfreie Ausgestaltung der Kündi- gungsfristen bei Arbeitsverhältnissen (Drucksachen 17/657, 17/7489) . . . . . . . . 16189 A 16189 B 16190 D 16192 B 16193 B 16194 B 16194 D 16195 B 16197 A 16197 C 16198 B 16199 D 16201 D 16202 B 16202 D 16204 A 16206 A 16206 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desverfassungsschutzgesetzes (Drucksachen 17/6925, 17/7172, 17/7513) b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Evaluierung befristeter Sicherheits- gesetze – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien ein- heitlich regeln, Unabhängigkeit wahren (Drucksachen 17/5483, 17/3687, 17/7513) Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- digungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten (Drucksache 17/7360) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanla- genvermittler- und Vermögensanlagen- rechts (Drucksachen 17/6051, 17/7453) . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 16206 B 16207 B 16208 D 16209 D 16210 D 16211 C 16212 C 16213 B 16215 A 16215 B 16215 D 16216 A 16216 B 16218 B Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Minijobs mit sozialversicherungs- pflichtiger Arbeit gleichstellen (Drucksache 17/7386) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäi- schen Finanzaufsichtssystems (Drucksachen 17/6255, 17/7508) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Agnes Malczak, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen (Drucksachen 17/7191, 17/7506) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Um- weltauditgesetzes (Drucksachen 17/6611, 17/7490) . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Thomas Silberhorn, Monika Grütters, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU 16220 B 16221 B 16222 A 16223 C 16223 C 16224 A 16224 B 16224 C 16225 A 16226 A 16227 A 16227 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 VII sowie der Abgeordneten Reiner Deutschmann, Burkhardt Müller-Sönksen, Patrick Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: UNESCO-Welterbe- stätten in Deutschland stärken (Drucksache 17/7357) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski- Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Strategie gegen Lebensmittelverschwen- dung entwickeln (Drucksache 17/7458) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Bei- treibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrR- LUmsG) (Drucksachen 17/6263, 17/7469, 17/7524) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/7515) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mineralölhaltige Druckfarben bei wiederverwendbarem Papier und Lebens- mittelverpackungen verbieten (Drucksache 17/7371) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16228A 16228 B 16229 C 16230 C 16231 A 16232 A 16232 D 16233 D 16234 A 16234 A 16234 B 16234 C 16235 B 16236 A 16237 A 16237 C Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Grä- bergesetzes (Drucksachen 17/6207, 17/7424) . . . . . . . . . . Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Till Seiler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine wirksame und stichtagsunab- hängige gesetzliche Bleiberechtsrege- lung im Aufenthaltsgesetz (Drucksache 17/7463) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine neue Bleiberechtsregelung (Drucksache 17/7459) . . . . . . . . . . . . . . . Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Morato- rium für die elektronische Gesundheits- karte (Drucksache 17/7460) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16238 B 16238 C 16239 A 16239 B 16240 B 16241 B 16241 D 16241 D 16242 A 16243 C 16244 B 16245 A 16245 D 16246 D 16247 A 16248 C 16249 C 16250 B 16251 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lega- lisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs (Drucksache 17/7196) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen (Tagesord- nungspunkt 12 a) Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Evaluierung befristeter Sicherheitsge- setze – Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln, Unabhän- gigkeit wahren (Tagesordnungspunkt 14) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16252 A 16252 A 16253 C 16254 D 16255 C 16256 C 16257 D 16259 A 16259 C 16260 A 16260 C 16261 C 16262 D 16263 D 16264 B 16265 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- digungspolitik (GSVP) weiterentwickeln und mitgestalten (Tagesordnungspunkt 15) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. Novem- ber 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (Tages- ordnungspunkt 18) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Zivilpersonal in Konflikten besser betreuen (Tagesordnungspunkt 19) Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Strategie gegen Lebensmittelver- schwendung entwickeln (Tagesordnungs- punkt 22) Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16266 A 16267 A 16268 B 16268 D 16269 D 16270 D 16271 D 16273 A 16273 D 16275 B 16275 D 16276 C 16277 B 16278 A 16279 A 16280 A 16280 C 16281 B 16281 D 16282 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 IX Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Ände- rung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrR- LUmsG) (Tagesordnungspunkt 23) Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Minijobs mit sozialversiche- rungspflichtiger Arbeit gleichstellen (Tages- ordnungspunkt 32) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16283 C 16284 B 16285 A 16285 D 16286 D 16287 C 16289 D 16292 B 16292 D 16293 D 16295 B 16295 D 16297 A 16298 B 16299 B 16300 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16071 (A) (C) (D)(B) 136. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16259 (A) (C) (D)(B) chende Gesetzesvorhaben in NRW lassen dies schon er- kennen.Zöller, Wolfgang CDU/CSU 27.10.2011 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Barnett, Doris SPD 27.10.2011 Bülow, Marco SPD 27.10.2011 Caesar, Cajus CDU/CSU 27.10.2011 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 27.10.2011 Gloser, Günter SPD 27.10.2011 Gohlke, Nicole DIE LINKE 27.10.2011 Heil, (Peine) Hubertus SPD 27.10.2011 Dr. Hoyer, Werner FDP 27.10.2011 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 27.10.2011 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 27.10.2011 Kunert, Katrin DIE LINKE 27.10.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 27.10.2011 Ludwig, Daniela CDU/CSU 27.10.2011 Merkel (Berlin), Petra SPD 27.10.2011 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 27.10.2011 Philipp, Beatrix CDU/CSU 27.10.2011 Dr. Ruppert, Stefan FDP 27.10.2011 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.10.2011 Seiler, Till BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.10.2011 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 27.10.2011 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 27.10.2011 Weinberg, Harald DIE LINKE 27.10.2011 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 27.10.2011 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 27.10.2011 Zapf, Uta SPD 27.10.2011 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Stärkung der Finanzkraft der Kommu- nen (Tagesordnungspunkt 12 a) Otto Fricke (FDP): Der Gesetzentwurf, nach dem der Bund ansteigend und ab 2014 dauerhaft 100 Prozent der Nettoausgaben des Vorvorjahres für die Grundsicherung für Ältere und Erwerbsgeminderte für die Kommunen übernimmt, bürdet dem Bundeshaushalt dauerhaft Mehr- belastungen auf, für die es faktisch keine Gegenfinanzie- rung gibt. Damit wird vom Bund eine zusätzliche Belas- tung übernommen. Ich halte dies aufgrund der noch immer schwierigen finanziellen Lage des Bundes für nicht gerechtfertigt und den gefundenen Kompromiss für systemwidrig. Zudem belastet er die Verpflichtung des Bundes aus der Schul- denbremse der Verfassung erheblich. Im Besonderen halte ich dies für falsch, weil letztlich eine Finanzierung über ehedem für die Bundesagentur für Arbeit vorgesehene Umsatzsteuermittel vorgenom- men wird. Nach meiner Auffassung wird hierdurch mal wieder ein Finanzierungsweg beschritten, der eine Ent- wicklung befördert, durch die die Ausgabenstruktur des Bundeshaushalts, aber auch anderer Haushalte zuneh- mend vernebelt wird. Der Anteil am Bundeshaushalt, der originär bundeseigenen Zuständigkeiten zugeschrieben werden kann, wird zunehmend geringer. Dieses mindert die Klarheit und systematische Stringenz des Haushalts, was dazu führt, dass in einem gewissen Umfang die kor- rekte Kontrolle über Ausgaben verloren geht. Zudem kann der Bürger immer weniger erkennen, mit welcher Steuer er welche Ebene und welche Ausgabe finanziert. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Tatsache pro- blematisch, dass Länder und Kommunen seit Jahren ins- gesamt weit mehr Steuereinnahmen haben als der Bund. Gerade weil auch ich erkenne, dass die Kommunen mit ihrer aktuellen Finanzausstattung nicht zurechtkom- men können, halte ich es für wichtig, diesen einen eige- nen Weg der Finanzierung zu ermöglichen, indem sie ei- nen höheren Anteil an der Mehrwertsteuer sowie ein eigenes Hebesatzrecht bei der Lohn- und Einkommen- steuer unter Wegfall der Gewerbesteuer erhalten. Hier- durch würde zum einen Verlässlichkeit geschaffen, in- dem die Kommunen sich darauf unabhängig von verwobenen Konstruktionen verlassen könnten. Zum an- deren würde der Bundeshaushalt freigehalten von weite- ren komplizierten Umverteilungen, die gar keine Bundes- zuständigkeiten betreffen. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass nun- mehr die Gefahr droht, dass die den Kommunen mit die- sem Gesetz zugewiesenen Mittel von den Ländern zum Anlass genommen werden, für eine Umverteilung der Finanzmittel auch an anderer Stelle zu sorgen. Entspre- 16260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Da es sich bei dieser Entscheidung für mich jedoch nicht um eine Gewissensentscheidung handelt, werde ich den Beschlussvorschlag meiner Fraktion und damit der Koalition mittragen. Gisela Piltz (FDP): Der heute verabschiedete Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen ist geeignet, den Städten und Gemeinden dringend benötigte finanzielle Hand- lungsspielräume zurückzugeben. Doch auch wenn die in dem Gesetz getroffenen Rege- lungen ein probates Mittel zur punktuellen Konsolidie- rung der kommunalen Haushalte darstellen, können diese nicht die dringend benötigte große Lösung bei der Reform der Gemeindefinanzen ersetzen. Vorzugswürdig und dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung mehr Rechnung tragend wäre in diesem Zusammenhang ein Konzept zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung der kommunalen Haushalte durch die Städte und Ge- meinden gewesen. Mittels der Ersetzung der Gewerbe- steuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer sowie einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körper- schaftsteuer mit eigenem Hebesatzrecht könnte den Kommunen über punktuelle Lösungen hinaus eine ver- lässliche und vor allem planbare Grundlage zur Eigen- finanzierung an die Hand gegeben werden. Die nur noch schwer nachvollziehbaren Umverteilungskonstruktio- nen des bestehenden Systems gehörten dann der Vergan- genheit an. Das Scheitern der entsprechenden Verhand- lungen innerhalb der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen bedaure ich insoweit ausdrücklich. Damit die heute verabschiedete Hilfe jedoch tatsäch- lich auch den Adressaten erreicht, müssen die zur Verfü- gung gestellten Mittel auf direktem Wege den Adressa- ten, das heißt allen Kommunen, ohne Einschränkungen zugeleitet werden. Tendenzen in einigen Bundesländern, so etwa in Nordrhein-Westfalen, wonach zweckgebun- dene Mittel des Bundes nach eigenem Gutdünken der Landesregierungen umgewidmet werden sollen, sind deshalb nicht akzeptabel. Entscheidendes Kriterium für eine Beteiligung des Bundes an Aufwendungen in den Kommunen muss des- halb das Kostenerstattungsprinzip bleiben. Eine Umwid- mung der zur Verfügung gestellten Mittel, zum Beispiel zur Gesundung einzelner kommunaler Kassen, stünde den Haushaltsgrundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die in den jeweiligen Gemeindeordnungen festgelegt sind, ersichtlich entgegen und wäre nach ein- heitlicher Bewertung schlechterdings rechtswidrig. Durch die Landesregierungen intendierte Einbußen auf der Einnahmeseite für finanziell gut aufgestellte Kom- munen sind vor dem Hintergrund des Gesetzes damit nicht legitimierbar, die rechtmäßige Haushaltswirtschaft darf nicht durch Steuerung von dritter Seite konterkariert werden. Infolge der positiven Auswirkungen, die das Gesetz bei rechtskonformer Umsetzung durch die Länder haben wird, stimme ich für die Beschlussempfehlung der Ko- alitionsfraktionen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: – Evaluierung befristeter Sicherheitsge- setze – Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln, Unabhängig- keit wahren (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit der Verab- schiedung dieses Gesetzes leisten wir einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit in Deutschland. Wir stel- len damit sicher, dass die bewährten Instrumente aus dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz nicht Anfang 2012 auslaufen, sondern weiterhin von den Sicherheitsbehörden in unserem Land angewandt wer- den können. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt uns, dass es eine ganze Reihe von sicherheitsrele- vanten Vorkommnissen, von bekannt gewordenen An- schlagsplänen und verhinderten Anschlägen gab. Bei- spielhaft genannt sei hier nur die Düsseldorfer Zelle, die einen Anschlag vorbereitet und geplant hatte und deren Festnahme nur möglich war, weil die Sicherheitsbehör- den unter anderem auf diese Instrumente zurückgreifen konnten, über die wir heute sprechen. Der Gesetzentwurf ist dadurch geprägt, dass wir ers- tens alle bewährten Instrumente für die Nachrichten- dienste erhalten und auch über Januar 2012 hinaus be- reitstellen. Zweitens streichen wir Befugnisse, die nie angewandt wurden und auf die daher offensichtlich ver- zichtet werden kann. Drittens sind im Gesetzentwurf auch weiterhin eine Befristung und eine Evaluation vor- gesehen. Und darüber hinaus werden viertens Änderun- gen bei den Mitteilungspflichten vorgenommen. Ganz besonders die Auskunftsbefugnisse im Bereich der Telekommunikation, der Flugbuchungen und des Geldverkehrs sind für die Nachrichtendienste von beson- derer Bedeutung. Wenn wir die Bekämpfung des Terro- rismus ernst nehmen, müssen wir den Sicherheitsbehör- den Instrumente an die Hand geben, um Informationen über Terrorverdächtige zu erhalten, über ihr Kommuni- kationsverhalten, ihre Reisebewegungen und ihre Fi- nanztransaktionen. Gerade in einer Szene, die sich ab- schottet und sehr konspirativ agiert, sind diese Befugnisse oftmals der einzige Ansatz für die Sicher- heitsbehörden, um Terrornetzwerke oder auch Einzel- täter zu entdecken. Es ist deshalb gut und richtig, dass wir diese Befugnisse beibehalten. Betroffen von diesen Maßnahmen sind lediglich Ter- rorverdächtige, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte und Tatsachen für diesen Verdacht vorliegen. Wer etwas anderes behauptet und den Eindruck erweckt, 80 Millio- nen Menschen in unserem Land seien von dem Gesetz Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16261 (A) (C) (D)(B) betroffen, sagt schlicht die Unwahrheit. Wer es schwarz auf weiß nachlesen möchte, dem empfehle ich den Be- richt zu den Maßnahmen nach dem Terrorismusbekämp- fungsgesetz, der dazu detailliert Auskunft gibt und für jeden als Bundestagsdrucksache 17/4277 zugänglich ist. Wir haben im Vorfeld intensive Diskussionen darüber geführt, wie der Gesetzentwurf ausgestaltet werden soll. Die in der Sachverständigenanhörung in der vergange- nen Woche gewonnenen Erkenntnisse haben wir eben- falls diskutiert und zu einem nicht unerheblichen Teil be- rücksichtigt. Gegenüber der ersten Lesung haben wir den Gesetzentwurf noch einmal angepasst. Dabei geht es insbesondere um die Erhebung von Vertragsdaten bei Telediensten im Zusammenhang mit einem Terrorver- dacht. Anders als bisher wird nun auch für diese Befug- nis der Sicherheitsbehörden eine Mitteilungspflicht an den Betroffenen eingeführt. Wir haben uns dabei von der Überzeugung leiten lassen, dass Informationen, die in Zusammenhang mit einem konkreten Terrorverdacht von einem Nachrichtendienst erhoben werden, dem Be- troffenen mitgeteilt werden sollen, sobald dies ohne Ge- fährdung der Maßnahme möglich ist. Dies gilt mit der vorliegenden Änderung des Terrorismusbekämpfungser- gänzungsgesetz unabhängig vom Medium der gewonne- nen Daten. Entscheidend ist aber, und das will ich noch einmal betonen, dass wir die Datenerhebung bei den Te- lediensten deshalb ausnahmsweise in diese Mitteilungs- pflicht mit aufgenommen haben, weil sie aufgrund tat- sächlicher Anhaltspunkte für einen Terrorverdacht durch einen Nachrichtendienst erfolgt. In vergleichbaren Be- stimmungen im Bereich der Gefahrenabwehr oder Straf- verfolgung ist diese Mitteilung auch nach der Rechtspre- chung des Bundesverfassungsgerichts nicht gefordert. Es handelt sich hier also um einen besonderen Fall. Wir stärken auch die Rolle der G-10-Kommission, die als unabhängige Instanz diese Maßnahmen kontrolliert. In der Begründung des Änderungsantrags haben wir des- halb zum Ausdruck gebracht, dass es unser gemeinsa- mes Ziel sein muss, die G-10-Kommission personell und organisatorisch auch entsprechend auszustatten, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Ich denke, wir sollten uns angesichts der wachsenden Aufgabenvielfalt und des Aufgabenspektrums der Kommission auch insgesamt einmal Gedanken darüber machen, ob die Bezeichnung G-10-Kommission noch zutreffend ist, handelt es sich doch um eine Begrifflichkeit, die noch aus einer Zeit stammt, in der Telekommunikation fast ausschließlich mit dem Wählscheibentelefon stattfand und die Kom- mission über Briefe und abgehörte Analogtelefonie zu befinden hatte. Heute dagegen hat Kommunikation eine ganz andere Dimension. Ich denke an Mobiltelefonie, mobile Internetdienste auf dem Smartphone, E-Mails, Voice over IP, verschlüsselte Telefonie, die Kommunika- tion im Chat, in Foren usw. Diesem technischen Fort- schritt, der ja auch die Ermittlungs- und Sicherheitsbe- hörden immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, müssen wir aus meiner Sicht mittelfristig auch dadurch Rechnung tragen, dass wir über Anpassungen des Auf- gabenkatalogs der G-10-Kommission sprechen. Es ist ein deutliches und gutes Zeichen, dass wir heute ein Gesetz verabschieden, das nicht nur von den Regie- rungsfraktionen mitgetragen wird, sondern auch die Zu- stimmung der SPD findet, zeigt es doch, dass die Sicher- heitsgesetzgebung in diesem Bereich über die letzten zehn Jahre von allen Fraktionen, außer der Linken, wechsel- weise mitgetragen wurde. Dass die SPD sich hier zu ih- rer Verantwortung bekennt, begrüße ich ausdrücklich. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen. Dass die Grünen zu diesem Schritt nicht in der Lage sind und sich nur dann als Bürgerrechtspartei gerieren, wenn sie in der Opposition sind, ist für mich Heldentum nach Ladenschluss. Unter Rot-Grün haben die Grünen dem TBG, also genau dem Gesetz zugestimmt, das die Grundlage für den heute vorliegenden Gesetzentwurf ist. Es ist unbestritten, dass wir in Deutschland seit Jahren eine hohe abstrakte Bedrohung durch den Terrorismus haben. Die Vergangenheit hat aber auch immer wieder gezeigt, dass die abstrakte Bedrohung sehr schnell konkret werden kann. Deshalb müssen wir unsere Sicherheitsbehörden so aufstellen und ausstatten, dass sie in der Lage sind, Sicherheit zu gewährleisten – sei es in der Strafverfolgung, bei der Gefahrenabwehr oder im Rahmen der nachrichtendienstlichen Arbeit im Vorfeld. Genau dazu leisten wir mit dem vorliegenden Gesetz einen wesentlichen Beitrag. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Wir sprechen heute über die Verlängerung von einem Bündel an Si- cherheitsgesetzen, für das fast alle Fraktionen im Bun- destag Verantwortung tragen. Die SPD hat es zusammen mit den Grünen auf den Weg gebracht und mit der Union verlängert. Nun ist Schwarz-Gelb zuständig. Ich kann mich noch genau an die Wochen erinnern, als wir im Deutschen Bundestag im Jahr 2001 erstmals über die neuen Sicherheitsgesetze diskutiert haben. Wir standen unter dem Eindruck eines der schlimmsten An- schläge der neueren Geschichte. Wir standen in der Pflicht, eine Antwort zu finden auf eine neue Form terro- ristischer Bedrohung. Wir waren fest entschlossen und tief getroffen. Es wäre naiv zu glauben, dass sich in die- ser Zeit das so wichtige Gleichgewicht zwischen Sicher- heit und Freiheit nicht verschoben hat. Einiges davon kann man zu Recht kritisieren. Aber ich glaube, alles in allem haben die beteiligten Fraktionen im deutschen Bundestag Augenmaß gehalten. Bei uns gab und gibt es keinen Patriot Act. Die flä- chendeckende Videoüberwachung hat sich in Deutsch- land – anders als in Großbritannien – nicht durchgesetzt. Und das ist auch gut so. Weil die Regierungskoalition diesen maßgeblich von der SPD mitbestimmten Kurs fortsetzt und es keine Ver- schiebung des Koordinatensystems von Freiheit und Si- cherheit zulasten der Freiheit gibt, stimmen wir heute Ih- rem Gesetzentwurf zu. In der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses hat sich gezeigt, dass die Instru- mente in der Sicherheitspolitik verfassungsgemäß ausge- legt und angewandt wurden. Das heißt aber nicht, dass man sie alle auch weiter fortsetzen muss. Vor zehn Jahren glaubten wir noch, dass den Polizeibehörden der Eingriff in den Postverkehr 16262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wichtige Erkenntnisse bringen würde. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass sie überhaupt nicht benötigt wird. Im Sinne einer effizienten Sicherheitspolitik ist es klug, diese Grundrechtseingriffe in Zukunft nicht mehr zu er- lauben. Der technische Fortschritt hat das Kommunika- tionsverhalten komplett verändert. Dem müssen wir in unseren Entscheidungen Rechnung tragen, sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung. In der Innen- und Rechtspolitik stehen wir völlig neuen Bedrohungen gegenüber. Gleichzeitig verändert sich das tägliche Leben der Menschen so sehr, dass wir mit den herkömmlichen Ermittlungsmethoden alleine nicht mehr weiterkommen. Unsere Aufgabe ist es, einen Kompromiss zu finden zwischen der Kriminalitätsbe- kämpfung und dem Recht der Bürger an den eigenen Da- ten. Hier ist kein Platz für Extremisten. Die Ausgewo- genheit muss Maßgabe jedes innenpolitischen Handelns sein. Das ist in der Koalition nicht der Fall. Es ist glei- chermaßen unverantwortlich, wenn einerseits die FDP die Vorratsdatenspeicherung blockiert und Teile der Union die rechtswidrige Nutzung von Staatstrojanern öf- fentlich verteidigen. Politik aus einem Guss sieht anders aus. Ich bitte beide Seiten: Kommen Sie hier zur Ver- nunft. Zur Ausgewogenheit gehört aber auch die Transpa- renz polizeilichen Handelns gegenüber der Politik, aber auch gegenüber jedem Bürger. Wenn ein wichtiges Grundrecht durch den Staat heimlich verletzt wird, muss der betroffene Bürger davon erfahren – solche Dinge dürfen nicht im Dunkeln bleiben. Hier gab und gibt es immer noch Defizite im Allgemeinen. Bei diesem Ge- setz ist aber zu begrüßen, dass die Koalition die Benach- richtigungspflichten bürger- und grundrechtsfreundli- cher gestaltet hat. Auch die wichtige Evaluation der Sicherheitsgesetze fasse ich unter den Punkt der Transparenz. Bedauerlich ist es, dass diese nur gegenüber uns Abgeordneten und nicht der gesamten Öffentlichkeit gilt. Wie Sie alle wis- sen, sind die Unterlagen, die wir bekommen, „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmt. Hier hätte ich vor allem vom Kollegen Uhl etwas mehr Engagement erwartet. „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu be- fürchten“, sagt er immer – eine Maxime, die sich staatli- che Behörden zu eigen machen sollten. Der Bürger da- gegen hat ein Recht auf Privatheit, nicht nur dem Nachbarn, sondern gerade auch dem Staat gegenüber. Meine Damen und Herren von der Koalition, auch wenn Sie mit Ihrem Antrag im Prinzip die richtige Rich- tung eingeschlagen haben: Einige Dinge gibt es dennoch zu kritisieren. Erstens. Die Evaluierung ist nicht im Sinne des Geset- zes verlaufen. Sie ist nur für das Jahr 2009 gemacht wor- den. Es ist aber eindeutig vorgeschrieben, dass der ge- samte Auswertungszeitraum betrachtet werden muss. Wissenschaftliche Sachverständige wurden nur für die Überprüfung der Methoden, nicht der Inhalte eingesetzt. Das entspricht in keiner Weise der Gesetzeslage. Dafür ist der Innenminister massiv zu kritisieren. Ein Behör- denleiter, der sich in solchem Maße einer von ihm erlas- senen Verordnung widersetzen würde, wäre seinen Job innerhalb weniger Tage los. Zweitens. Sie haben die G-10-Kommission mit neuen Aufgaben überfrachtet. Hier ist möglicherweise sogar ein neues Gesetz notwendig. Das haben Sie vernachläs- sigt. Hier muss nachgebessert werden. Und Drittens. Sie verschenken mit der Gründung Ih- rer Regierungskommission die Chance, einmal grund- sätzlich über unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Doch statt hierfür ein Gremium zu schaffen, das mit Sachverstand auf die wichtigen innenpolitischen Fragen unserer Gegenwart blickt, verlagern Sie lediglich Ihren immerwährenden Streit in einen von der Öffentlichkeit abgeschotteten Raum. Frau Leutheusser- Schnarrenberger und Herr Friedrich schicken ihre Ge- sandten, damit die weiter in ihrem Namen streiten dür- fen. Dabei täte uns allen hier ein unabhängiger und aus- führlicher Blick auf unsere Arbeit gut. Der Fokus hat sich komplett verschoben. Das merkt man allein an der Wortwahl. In den 70er- und 80er-Jahren waren die Schlagwörter in der Kriminalpolitik „Repression“ und „Prävention“. Es ging gleichermaßen um die Strafverfol- gung und die Frage, wie man Kriminalität mit Gesell- schaftspolitik verhindern und vorbeugen kann. Diesen Dualismus würde ich mir heute auch wün- schen. Aber Prävention und Prophylaxe als Überschrif- ten auf der Suche nach gesellschaftlichen Ursachen von Terrorismus sind out. Strafverfolgung und Gefahrenab- wehr werden mit einem ausschließlich repressiven Cha- rakter ausgefüllt. Wir schauen zu stark auf die Sicherheit. Wie es Pro- fessor Gusy einmal richtig formuliert hat, ist in Deutsch- land eine neue Form der Gewaltenteilung entstanden: Der Gesetzgeber kümmert sich um die Sicherheit, das Bundesverfassungsgericht kümmert sich um die Frei- heit. Das darf nicht zur Gewohnheit werden. Wir müssen die Prävention in der Terrorismus- und Kriminalitätsbe- kämpfung wieder stärker in den Vordergrund stellen. Nicht alles geht mit Polizei- und Sicherheitspolitik, man- ches geht nur über die Gesellschaftspolitik. Hier wün- sche ich mir einen offenen Dialog, gerne auch in einer Kommission. Ergebnisse, die uns weiterbringen, erwarte ich von der Regierungskommission nicht. Die Kommission ist vor allem ein Alibi für Frau Leutheusser- Schnarrenberger, nur ihr genehme Gesetze beschließen zu müssen. Dazu reicht der Innenminister mit diesem Gesetz unverständlicherweise die Hand. Gisela Piltz (FDP): „Freiheit ist für die Gesellschaft das, was die Gesundheit für den einzelnen ist. Ohne Freiheit kann es kein Glück für die Gesellschaft geben.“ Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts sagte das der briti- sche Philosoph, Aufklärer und Staatsmann St. John Bolingbroke. Es ist immer noch aktuell. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16263 (A) (C) (D)(B) Auch wenn man dementsprechend vermuten könnte, das vorliegende Gesetz stamme aus der Feder des libera- len Gesundheitsministers, gleichsam als Therapie für eine grundrechtsschonende Innenpolitik, gebührt an die- ser Stelle die Anerkennung dem Bundesinnenminister. Schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthielt zahlreiche Verbesserungen und eine deutliche Stärkung rechtsstaatlicher Hürden für Eingriffsbefugnisse der Nachrichtendienste. In den parlamentarischen Beratun- gen konnte nun sogar noch mehr erreicht werden. So ha- ben die Koalitionsfraktionen mit ihrem Änderungsantrag eine weitere Stärkung von Grundrechten Betroffener ins Gesetz geschrieben. Es ist in unserem Rechtsstaat unabdingbar, dass staat- liches Handeln überprüfbar ist, insbesondere dann, wenn es sich um Grundrechtseingriffe handelt. Bei nachrich- tendienstlichen, also heimlichen Maßnahmen setzt dies zwingend voraus, dass die Betroffenen informiert wer- den. Die Mitteilungspflicht ist – so auch in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht – die Vo- raussetzung für die grundgesetzlich garantierte Rechts- weggarantie. Deshalb ist es eine zentrale Verbesserung, dass nunmehr die Mitteilungspflicht erweitert und durch die Einbindung der G-10-Kommission untermauert wurde. Die Einbeziehung der Abfrage von Bestandsda- ten bei Telediensten in die Mitteilungspflicht dient ebenso der Stärkung des Grundrechtsschutzes wie die Einbeziehung der G-10-Kommission in Fällen, in denen eine Mitteilung beispielsweise seitens des Nachrichten- dienstes aufgeschoben wurde. Das Verfahren, das bis- lang nur bei der Telekommunikationsüberwachung ein- schlägig war, bei dem nämlich eine unabhängige Kommission objektiv die Verhältnismäßigkeit der weite- ren Geheimhaltung prüft und darüber entscheidet, gilt künftig auch für Abfragen von Bank- oder Fluggastdaten sowie von Teledienste-Bestandsdaten. Die Kur, die die schwarz-gelbe Koalition dem ehema- ligen Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz – nicht nur sprachlich ein Monstrum – verpasst hat, ist also nicht nur „weiße Salbe“. Im Gegenteil war die breit geführte öffentliche Debatte durchaus heilsam. Die gründliche Evaluierung und die konstruktive Auseinandersetzung zwischen Bundesinnenminister und Bundesjustizminis- terin haben dazu geführt, dass wir heute über ein Gesetz entscheiden können, bei dem ein paar offene Wunden des Rechtsstaats geheilt werden. Die deutlich angehobe- nen rechtsstaatlichen Hürden für Eingriffsbefugnisse, die Abschaffung nicht benötigter und damit unverhältnismä- ßiger Maßnahmen wie des Lauschangriffs zur Eigen- sicherung sowie die verbesserte Transparenz und Über- prüfbarkeit der Maßnahmen oder auch das grundrechtsfreundlichere Verfahren bei Sicherheitsüber- prüfungen – all dies ist klares Zeugnis einer erfolgrei- chen Therapie. Die Veränderungen, die bei der Abfrage von Fluggast- daten und Bankkontostammdaten eingeführt wurden, sind – auch wenn das von Teilen der Opposition versucht wird anders darzustellen – keine Verschärfungen. Viel- mehr werden die Befugnisse effizienter ausgestaltet. Statt die personenbezogenen Daten von Terrorverdächti- gen x-mal bei verschiedenen Fluggesellschaften abzufra- gen, wird nun eine Abfrage im Flugbuchungssystem ge- macht, um dann gezielter zu ermitteln. Das ist im Grunde sogar grundrechtsschonender. Die technischen Details der Abfragen an Flugbu- chungssysteme wie Amadeus werden noch in einer Ver- ordnung des Bundesinnenministeriums geregelt werden. Den Koalitionsfraktionen war und ist es in diesem Zu- sammenhang wichtig, zu betonen, dass sich dabei die ge- setzlichen Vorschriften an den technischen Systemen, die von den Flugbuchungssystemen verwendet werden, orientieren müssen – und nicht umgekehrt. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in der Verordnung be- rücksichtigt, dass für die Unternehmen, die diese Sys- teme betreiben, keine unverhältnismäßigen Kosten ent- stehen, dass eine Kostenerstattung vorgesehen wird und dass – auch im Sinne gezielter und auf eine konkrete Reise begrenzter Abfragen – immer mindestens ein wei- teres Suchkriterium zusätzlich zum Namen der Person angegeben werden muss. Was es nicht gegeben hat, sind hingegen Wiederbele- bungsversuche für Ideen, die verfassungsrechtlich frag- würdig waren. So gibt es keine Sanktionsbewehrung für Anfragen der Nachrichtendienste. Das ist gelebtes Tren- nungsgebot: Es passt nicht in unseren Rechtsstaat, dass Nachrichtendienste solche repressiven Mittel an die Hand bekommen. Zugleich wurde mit dem Beschluss des Kabinetts zur Einrichtung einer Kommission zur Evaluierung der Si- cherheitsgesetze eine langfristig wirksame Maßnahme beschlossen. In der Innenpolitik galt leider viel zu lange das Motto „viel hilft viel“. Wir wollen das jetzt auf den Prüfstand stellen. Die Gesamtschau, die nun erarbeitet wird, ist notwendige Voraussetzung, um insgesamt die Balance von Freiheit und Sicherheit wiederherzustellen. Das ist wirklich neu in der Innenpolitik. Ich sage es deshalb noch einmal ganz deutlich: Das neue Gesetz, welches dann ab Mitte Januar das bisherige Recht ablösen wird, ist ein Erfolg für Freiheit und Si- cherheit zugleich. Die Nachrichtendienste können ihre erfolgreiche Arbeit gegen den internationalen Terroris- mus fortsetzen. Aber die Grundrechte werden mehr ge- achtet als vorher. Das ist ein Erfolg. Petra Pau (DIE LINKE): Vor kurzem haben sich die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA zum zehnten Mal gejährt. Damals wurden auch im Deutschen Bundestag zahlreiche Sicherheitsgesetze beschlossen. In Anlehnung an Bundesinnenminister Schily hießen sie „Otto-Pakete“. Dazu gehörten auch weitgehende Befug- nisse für den Bundesnachrichtendienst und das Bundes- amt für Verfassungsschutz. Ich hatte dies damals schon abgelehnt; denn sie bedeuteten praktisch immer Ein- griffe in verbriefte Bürgerrechte. Alle anderen Fraktionen, CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne waren bzw. sind an diesen Gesetzen beteiligt. Das gehört zur Geschichte und zum Umfeld der aktuellen Aussprache. Denn auch heute geht es um Befugnisse für geheime Dienste. Sie sollen fortgeschrieben und erwei- tert werden. Die Linke wird erneut mit Nein stimmen. 16264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Wir sind in der Sache dagegen, ebenso ob des einge- schlagenen Verfahrens. Denn bevor überhaupt über eine Verlängerung und Erweiterung geheimdienstlicher Be- fugnisse gesprochen wird, sollten die bislang geltenden Gesetze evaluiert werden. Das ist praktisch nie passiert, jedenfalls nicht durch unabhängige Gutachter. Mit den Terroranschlägen vor zehn Jahren wurde ein Ausnahmezustand begründet. Mit dem vorliegenden Ge- setz versucht die Bundesregierung, diese Ausnahme zur Regel zu machen, und das mit Zustimmung der FDP. In das selbst beanspruchte Bild einer Freiheitsstatue Deutschlands passt das nicht – im Gegenteil. Jetzt gab es eine Expertenanhörung im Innenaus- schuss. Ich lasse einmal die Gutachter weg, die irgend- wie mit dem Bundesinnenministerium oder den betroffe- nen Diensten verbandelt sind. Alle anderen bemängelten, dass Bürgerrechte überhaupt keine Rolle gespielt haben und dass die Kontrolle der Geheimdienste mit ihren Befugnissen nicht Schritt hält. Nun habe ich zur Möglichkeit, Geheimdienste überhaupt kontrollie- ren zu können, ohnehin eine andere Auffassung als viele hier. Aber das will ich jetzt gar nicht vertiefen. Ich finde nur: Geheim arbeitende Dienste, die sich nur schwer oder gar nicht in die Karten gucken lassen, darf eine De- mokratie nicht mit immer mehr Befugnissen ausstatten. Die umstrittenen Gesetze waren mit einer Frist verse- hen. Sie läuft zum 31. Dezember 2011 ab. Die zugesagte unabhängige Evaluierung fand nicht statt. Es gibt also keinen sachlichen Grund, die Laufzeit der Gesetze er- neut zu verlängern und sie auch noch anzureichern. Es gibt hingegen gute politische Gründe, genau das abzu- lehnen. Die Linke tut es. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorweg sei gesagt: Das Gesetz, das wir hier debattieren, firmiert unter einer Tarnbezeichnung; denn es sind neben dem Verfassungsschutz auch die anderen Nachrichten- dienste betroffen. „Friedrich-Katalog“ wäre ehrlicher; denn es handelt sich um die zweite Erweiterung und Ver- längerung des „Otto-Katalogs“, des Terrorismusbekämp- fungsgesetzes. Die Große Koalition hatte dieses Gesetz 2006 pro forma selbst evaluiert und entsprechend alle Maßnah- men verlängert. Dabei wurden die Hürden für ihre An- wendung erheblich gesenkt und der Anwendungsbereich über den Bereich des Terrorismus hinaus beinahe auf die gesamte Palette der nachrichtendienstlichen Betätigung ausgeweitet. Da war es ehrlich, das Gesetz „Terroris- musbekämpfungsergänzungsgesetz“ zu nennen, auch wenn „Ergänzung“ freundlicher klingt, als das Gesetz war. Immerhin: Diese Ehrlichkeit hat die Große Koali- tion damals gehabt. Das neue Gesetz müsste „Verlängerungs- und Erwei- terungsgesetz“ im Namen haben; denn das ist es, was hier passiert. Die bestehenden Befugnisse der Sicher- heitsbehörden werden fast in vollem Umfang verlängert und eben noch um den direkten Zugriff auf die zentralen Kontostammdaten und die elektronischen Buchungssys- teme für Flüge erweitert. Die FDP behauptet nun, dass der Zugriff auf die zen- tralen Datenbanken die Grundrechte der Betroffenen schont; denn es müsse ja nur einmal gefragt werden und nicht auf Verdacht hin bei mehreren Banken und Airlines. Das Gegenteil ist der Fall: Das hatte auch die Bundesjus- tizministerin erkannt. Sie schrieb im Mai, dass der Zu- griff auf Buchungssysteme „nicht akzeptabel“ und eine „neue Qualität des Grundrechtseingriffs“ sei. Recht hatte sie, aber sie hat nicht das Recht durchgesetzt. Das gilt auch für die Bankdatenabfrage. Die war vor wenigen Monaten noch „klar abzulehnen“, sogar in alter Fassung, und wird nun in Turbofassung Gesetz. Die Gründe für die Ablehnung dieser Befugnisse sind dabei klar: Der Zugriff auf Buchungssysteme und zen- trale Bankdaten beim Finanzministerium ermöglicht die Bildung umfassender Persönlichkeitsprofile. Gerade dies verbietet unsere Verfassung. Es wird auch nir- gendwo überzeugend dargelegt, dass die Grundrechtebe- schränkungen dieses Gesetzes wirklich erforderlich sind. Die vorgesehene Evaluierung hätte darüber Auskunft ge- ben können. Sie wurde aber eindeutig nach den Interes- sen der Sicherheitsbehörden selbst ausgerichtet. Bei der ersten Verlängerung hatte die Regierung selbst evaluiert und naturgemäß alle Kompetenzen für nötig erachtet und verlängert. Eine grundrechtliche Prü- fung fand nicht statt. Deshalb wurde für die Evaluierung im letzten Jahr per Gesetz „wissenschaftlicher Sachver- stand“ vorgeschrieben. Den hat sich die Bundesregie- rung aber nur in Form einer methodischen Beratung, nicht aber einer grundrechtlichen ins Haus geholt. Das nachträgliche Gutachten eines Staatsrechtlers und die Sachverständigenanhörungen vor ein paar Wochen ha- ben aber gezeigt: Das wäre dringend nötig gewesen! Wir fordern für die Zukunft die Evaluierung durch ein vom Bundestag, dem Gesetzgeber, dauerhaft bestelltes Expertengremium, und zwar nach den Maßstäben der Grundrechte, nicht einfach nur nach praktischen Erwä- gungen. Das ist der richtige Weg, nicht die unsinnige, von der FDP in letzter Zeit immer favorisierte unabhän- gige Regierungskommission. Denn die wäre nur von ei- nem unabhängig: vom demokratisch gewählten Parla- ment. Schließlich wirft das Gesetz einige sehr grundlegende Fragen auf. Zwar gibt es einzelne Verbesserungen be- züglich der Kontrolle der Anwendung der neuen Instru- mente durch die G-10-Kommission. Aber auch das ist zweischneidig: Nicht nur sprengt dies den Rahmen, den Titel und die gesetzliche Zweckzuschreibung dieses bis- her nur für die Post- und Fernmeldekontrolle zuständi- gen Gremiums; hier ist eine umfassende Reform des zu- grunde liegenden G-10-Gesetzes dringend nachzuholen. Die Kompetenzerweiterung kann auch dazu führen, dass die Kontrolle durch den Bundesdatenschutzbeauf- tragten entfällt, da man ihm in Zukunft im Hinblick auf die G-10-Kommission die Überprüfungskompetenz ab- streitet. Auch dies muss gesetzlich geklärt werden. Noch schwerer wiegt aber die Durchbrechung des Trennungsgebotes. Banken und Fluglinien sollen in Zu- kunft die Pflicht haben, Auskunft zu geben. Das heißt auch: Die auskunftsuchende Behörde kann sie zwingen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16265 (A) (C) (D)(B) Irgendwo in der Begründung ihres Änderungsantrages steht zwar, dass man das nicht wolle. Aber das muss man dann im Gesetz entsprechend regeln. Denn sonst bekom- men die Geheimdienste das, was sie niemals haben dür- fen und was nur den Polizeibehörden zusteht: die Befug- nis zur exekutiven Durchsetzung. Hier wird ein Verfassungsgrundsatz durch die Hintertür ausgehebelt und ein Grundpfeiler unserer Sicherheitsarchitektur zum Sperrmüll gegeben. Dieses Gesetz zeigt: Auch einer Regierung unter Be- teiligung – oder sollte man sagen: Anwesenheit? – der FDP fällt nichts Besseres ein, als bei der Sicherheit nach dem Motto „Viel hilft viel“ immer neue Datensammel- kompetenzen einzuführen. Aus der Perspektive der Bür- gerrechte ist es schlicht eine Zumutung. Wir lehnen es deshalb ab. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Manchmal ändert sich die Welt schneller, als wir uns das vorgestellt haben. Dann gilt es, neue Antworten auf neue Fragen zu finden und schnell zu handeln: So geht es uns gerade in der Euro-Krise, und so ging es uns auch nach dem 11. September 2001. Die Bedro- hungslage wurde damals eine andere. Seit den geschei- terten Kofferbombenanschlägen 2006 und den An- schlagsplänen der Sauerlandgruppe 2007 ist leider klar, dass Deutschland nicht nur als Vorbereitungs- oder Rückzugsort für Terroristen genutzt wird. Schließlich wurde zu Beginn dieses Jahres am Frank- furter Flughafen erstmals ein Anschlag auf deutschem Boden verübt. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus hat sich in Deutschland damit seit 2001 eher verschärft als entspannt. Das rechtfertigt im Um- kehrschluss natürlich keinen blinden Aktionismus. Dass aber bei einer so gravierenden Bedrohungslage auch rechtspolitische Konsequenzen notwendig waren und sind, steht außer Frage. Wir haben als Konsequenz bereits 2001 unter ande- rem das Terrorismusbekämpfungsgesetz verabschiedet. Schon damals war es befristet und mit einem Evaluie- rungsauftrag versehen und 2007 haben wir dies erneut so gemacht. Ich halte das für ein sinnvolles Verfahren: zum einen aus sicherheitspolitischen Erwägungen. Wir müs- sen uns regelmäßig genau fragen, ob unsere Maßnahmen im Kampf gegen den Terror noch zielgenau sind. Zum anderen müssen wir auch sehen, dass zum Beispiel die Auskunftserteilung mit Aufwand für die betreffenden Unternehmen und einem Eingriff in die Rechte des be- troffenen Bürgers verbunden ist und wir deshalb auch abwägen sollten, ob die Sicherheitsbehörden diese Aus- künfte wirklich benötigen. Eine solche Befristung und Evaluierung ist also sinnvoll, und deshalb wird sie auch in diesem Gesetz wieder festgeschrieben. Daneben beinhaltet dieser Gesetzentwurf natürlich die Evaluierungsergebnisse der bisherigen gesetzlichen Regelungen. Ein Großteil der Regelungen wird beibe- halten. Das gilt beispielsweise für die Möglichkeit zur Einholung von Auskünften von Finanzdienstleistern: Dadurch kann unter anderem der Verfassungsschutz auf die Finanzierungsquellen terroristischer Organisationen zielen. Neu eingeführt werden außerdem für die Nachrich- tendienste des Bundes die Möglichkeit der zentralen Da- tenabfrage bei Computerreservierungen für Flüge sowie die Kontostammdatenauskunft. Das halte ich auch für verhältnismäßig. Jede Kommune kann bei einem Antrag auf Wohngeld oder Sozialhilfe routinemäßig zentrale Kontostammdaten abrufen. Auch im Rahmen der Re- form des Zwangsvollstreckungsrechts ist ab 2013 vorge- sehen, dass von jedem privaten Gläubiger bereits bei ei- nem Betrag von 500 Euro Kontostammdaten abgefragt werden können. Dann sollte dieses doch zur Abwehr ei- ner terroristischen Gefahr auch möglich sein. Regelungen dagegen, die im Evaluierungszeitraum nicht genutzt worden sind, werden ersatzlos gestrichen. Das gilt beispielsweise für Auskünfte zu Umständen des Postverkehrs. Ein ausdrückliches Verbot wird außerdem eingeführt, Betroffene allein aufgrund eines Auskunftsersuchens zu benachteiligen, zum Beispiel durch Kündigung der Bankverbindung nach einem Auskunftsersuchen an eine Bank. Jetzt kann man natürlich immer sagen, eine Evalua- tion sei nicht ausreichend. Genau dies wird von der Op- position ja auch getan. Dies ist aber weder quantitativ noch qualitativ haltbar: Zum einen wurden noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik in einem solchen Umfang Sicherheitsgesetze und Sicherheitsstrukturen auf den Prüfstand gestellt wie in dieser Wahlperiode. Zum anderen wurde, anders als behauptet, externer Sachverstand eingeholt, der über den im Gesetz vorgese- henen hinausging. Davon abgesehen entbinden uns Experten nicht von unserer Verantwortung: Denn die Entscheidung, was im Kampf gegen den Terrorismus verhältnismäßig ist, kann nur der Bundestag treffen. Das kann uns keiner abneh- men – auch nicht die Sachverständigen. Wir alle wollen unsere freiheitliche und offene Ge- sellschaft schützen. Doch diese Gesellschaftsordnung, diese Form zu leben, ist auch unsere Achillesferse, unser wunder Punkt, jedenfalls in den Augen der Terroristen, die genau diese Freiräume für ihre Aktionen nutzen. Un- sere Freiräume sind ihre moralische Begründung und gleichzeitig ihre Chance, Freiheit durch Terror zu delegi- timieren. Die Frage ist, wie viel Chance wir ihnen dafür geben. Wie können wir die freiheitliche Ordnung erhalten und sie gleichzeitig verteidigen? Darauf müssen wir als Ab- geordnete eine Antwort finden und dabei das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit immer wieder austarieren. Dass der heutige Gesetzentwurf eine so breite Unterstüt- zung hier im Haus erfährt, zeigt doch, dass das hier gut gelungen ist. 16266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Gemeinsame Sicher- heits- und Verteidigungspolitik (GSVP) weiter- entwickeln und mitgestalten (Tagesordnungs- punkt 15) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Bevor ich auf Einzelheiten des hier zu beratenden Antrags eingehe, möchte ich die doch sehr düstere Betrachtungsweise her- vorheben, die Sie als Perspektive für Ihren Antrag ge- wählt haben. Diese Betrachtungsweise der Dinge teile ich grundsätzlich nicht, auch wenn derzeit die finanz- und währungspolitischen Diskussionen und die Rettung des Euro die europapolitische Debatte insgesamt prägen und die GSVP deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund rücken lassen. Zu den Einzelheiten Ihres Antrags: Der Lissabonner Vertrag hat in der Tat wichtige Fort- schritte im Bereich der GASP gebracht, unter anderem die durch Sie erwähnte Solidaritätsklausel. Ich glaube al- lerdings, dass Sie in Ihrer Gleichsetzung dieser Klausel mit dem Art. 5 des Nordatlantischen Vertrags zu weit ge- hen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie spre- chen es selbst an: Aufgrund der unterschiedlichen strate- gischen Interessen der europäischen Staaten hat eine wesentliche Anzahl unserer Partnerstaaten ganz bewusst einen abgestuften Verpflichtungscharakter gewählt. Es geht diesen Staaten also eben nicht um eine qualitativ gleichwertige Verpflichtung zum Art. 5 der NATO. Inso- fern rate ich Ihnen, eine sorgfältige Auswertung der ers- ten Erfahrungen auf Grundlage des Lissabonner Vertrags abzuwarten. Eine wesentliche strukturelle Innovation im Feld der GASP wird bei Ihnen kaum erwähnt: die Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes, EAD, der die Kohärenz des außenpolitischen Handelns der Europäi- schen Union stärken soll. Hierzu wird nach der ersten Phase seiner Existenz im Dezember 2011 ein Evaluie- rungsbericht veröffentlicht, der Empfehlungen zur Wei- terentwicklung seiner Strukturen beinhalten wird. Diese Empfehlungen werden sich vor allem auf die Führungs- struktur des EAD beziehen und damit dessen Fähigkeit politischer Priorisierung stärken. Auch die Gründungs- geschichte des EAD macht deutlich, wie komplex die In- teraktionen der europäischen Staaten untereinander sind, wenn es um außen- und sicherheitspolitische Zusam- menhänge geht. Was verbindet diese verschiedenen Aspekte? Wir sind in einer wichtigen Umbruchphase Europas, in der jahr- zehntealte Gewissheiten, Grundausrichtungen und Poli- tiken auf dem Prüfstand stehen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, neue gemeinsame Initiativen zu entwickeln, um darüber sowohl der GASP als auch der GSVP neue Impulse zu geben. Der Schlüssel dazu sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen der europäischen Part- ner untereinander – und nur so strahlt Deutschland die für diese politischen Initiativen nötige Verlässlichkeit aus. Dieser Dreiklang aus Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit kennzeichnet aber unser Land in den Augen unserer Partner bis heute. Und ich füge klar hinzu: Das ist nicht nur das Verdienst der derzeitigen Bundesregierung, sondern auch das ihrer Vorgängerin- nen. Insofern aber ist Ihr Vorwurf, diese Bundesregie- rung aus CDU/CSU und FDP würde die GSVP schleifen lassen, absurd. Ein konkretes Beispiel: Deutschland gehört zu den europäischen Nationen, die beim Thema „Pooling und Sharing“ zu den Vorreitern zählen. Das Beispiel des Europäischen Lufttransportkommandos führen Sie in Ih- rem Antrag ja auch selbst an. Künftig wird es darum ge- hen, im Rahmen der Gent-Initiative von der Konzept- phase in die praktische Umsetzung zu gehen. Die Prüfarbeiten zu circa 100 Initiativen laufen derzeit – auch hier ist die Bundesregierung dabei, konkrete Fort- schritte zu erarbeiten. Jedenfalls kommt es nicht nur auf die großen Leuchtturmprojekte an, auf die Sie abheben: Jahrzehnte der europäischen Rüstungskooperation haben gezeigt, wie schwierig gerade solche Großprojekte in der Umsetzung sind. Insofern muss als Motto gelten: Kon- krete Fortschritte in 10 Initiativen sind sinnvoller als ein Steckenbleiben in 100 Initiativen. Die unterschiedlichen Interessenkonstellationen der europäischen Staaten drücken sich in einer Reihe von konkreten Einzelproblemen aus. Ich nenne hier nur die Rolle der Türkei und Griechenlands im Zypern-Konflikt. Diese Probleme lassen sich aber eben nicht mit spekta- kulären Vorstößen lösen, wie Sie sie von der Bundesre- gierung fordern, sondern diese verlangen nach einem langen Atem. Sie erlauben mir die Ergänzung: Das dürf- ten Sie aus Ihrer eigenen Regierungszeit auch noch ken- nen. Entscheidend wird hierbei sein, wie wir die Türkei näher an die GASP heranführen können. Hier sehe ich für das von Ihnen auch angesprochene Weimarer Drei- eck eine wichtige Rolle. Aber auch das derzeitige enge bilaterale Vorgehen Frankreichs und Großbritanniens ist eines der politi- schen Themen, die für die Zukunft der GSVP von ent- scheidender Bedeutung sein werden. Deutschland hat sich zu einer zurückhaltenden außen- und sicherheits- politischen Kultur entschlossen – das sollten Sie in die- sem Kontext beachten. Insofern würde ich auch hier um Fortschritte im Konkreten werben: Warum sollte Deutschland – auch vor dem Hintergrund der Finanz- krise – die Initiative von Gent nicht noch stärker nutzen, um über gemeinsame Fähigkeitsentwicklung auch ge- meinsame Streitkräftestrukturen mit ausgewählten Part- nern anzugehen? Diese Rolle als Anlehnungspartner für kleinere europäische Nationen könnte eine sinnvolle Er- gänzung zum französisch-britischen Vorgehen darstel- len, wenn beide Dimensionen miteinander verbunden bzw. aufeinander orientiert werden. Hier ist auch die Rückkoppelung zur Entwicklung einer außen- und sicherheitspolitischen Strategie Deutschlands deutlich. Wie bereits im Juni dieses Jahres angesprochen, müssen die neuen Verteidigungspoliti- schen Richtlinien (2011), das Weißbuch (2006) und der gegenwärtige Aktionsplan zivile Krisenprävention als Grundlage dienen. Jedenfalls greift Ihre Kritik an den Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16267 (A) (C) (D)(B) VPR zu kurz, da deren Zielsetzung in der Ausrichtung nicht die Überarbeitung der Europäischen Sicherheits- strategie von 2003 gewesen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die in Ihrem Antrag ausgedrückte Sorge um die Zukunft der GSVP eint uns. Allerdings ist derzeit nicht die Zeit alar- mistischer Vorgehensweisen, sondern der verlässlichen Entwicklung konkreter Initiativen. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Opposi- tionspolitik kann einfach sein, weil man Forderungen stellen kann, ohne in Regierungsverantwortung zu ste- hen, und damit der eigenen Pflicht zu deren Verwirkli- chung ledig ist. Es sei denn, dass man eigentlich das- selbe will wie die Regierung und diese Tatsache mit parteipolitischer Rhetorik bemänteln muss. Genau das ist der Fall bei dem Antrag der SPD zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Soweit ich das überblicke, gibt es ja keine verantwortungsbewusste Fraktion in die- sem Haus, die die europäische Integration im Verteidi- gungsbereich nicht vorantreiben wollte. Die Linke nehme ich von dieser Unterstellung eines Verantwortungsbewusstseins ausdrücklich aus. Allen an- deren ist natürlich klar, dass es kaum Alternativen zur Fortentwicklung der Integration gibt. Der SPD-Antrag beschreibt ja auch durchaus korrekt, dass die Notwen- digkeit dazu angesichts wachsenden finanziellen Drucks in allen EU-Mitgliedstaaten eher noch zunimmt, gerade angesichts der europäischen Schuldenkrise. Es gibt bereits Staaten, die nicht mehr die gesamte Bandbreite militärischer Fähigkeiten in ihren nationalen Streitkräften abbilden können. Ich nenne als Beispiel die Niederlande, die kürzlich quasi die Abschaffung ihrer Panzertruppe beschlossen haben. Auch die Briten prüfen momentan sehr eindringlich, ob sie sich noch alle bishe- rigen Fähigkeiten leisten können. Wir selbst haben es mit der Bundeswehrreform ge- rade geschafft, gemäß dem von Verteidigungsminister Thomas de Maizière vertretenen Grundsatz „Breite vor Tiefe“ das Fähigkeitsprofil der deutschen Streitkräfte weitgehend zu erhalten. Das ändert aber nichts daran, dass auch wir uns künftig bei Einsätzen noch stärker auf die Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten in EU und NATO abstützen müssen. Ja, es wäre wünschenswert, dass dieser Prozess der Integration schneller voranschreitet. Damit kommen wir zu der parteipolitischen Rhetorik, mit der die Sozialde- mokraten in ihrem Antrag sagen: „… und es ist die Schuld der Bundesregierung, dass es nicht schneller geht.“ Nun warten unsere europäischen Partner ja nicht mit angehaltenem Atem darauf, dass die deutsche Regierung kommt und ihnen zeigt, wo es langgeht. Sie haben viel- mehr ihre eigenen Vorstellungen, was sie zu diesem Inte- grationsprozess beitragen oder auch nicht beitragen wol- len. Denn die Verfügung über Streitkräfte ist immer noch ein Kernbereich nationaler Souveränität, den man nicht leicht aufgibt. Gerade deshalb ist die GSVP nach wie vor im zwi- schenstaatlichen und nicht im supranationalen Bereich der Gemeinschaftspolitik. Und die Abstimmung zwi- schen den Mitgliedstaaten bleibt schwierig, obwohl Deutschland hier durchaus sein Gewicht einbringt, übri- gens gerade im Rahmen des Weimarer Dreiecks, das im Antrag ja ausdrücklich angesprochen wird. Und mit der Gent-Initiative hat die Bundesregierung gemeinsam mit Schweden einen Anstoß gegeben, der insbesondere das Pooling und Sharing betrifft, was mitt- lerweile erhebliche Kreise gezogen hat, sodass 25 EU- Mitglieder insgesamt 300 Projekte zur gemeinsamen Nutzung von Fähigkeiten und Ressourcen gemeldet ha- ben. Deutschland hat dazu sechs eigene Vorschläge beige- steuert, die etwa gemeinsame Hauptquartiere, grenz- überschreitende Ausbildung, die Zusammenarbeit in der ABC-Abwehr und die gemeinsame Nutzung von Schif- fen und Flugzeugen betreffen. Hier ist natürlich festzu- stellen, dass es sich vor allem um Führungs- und Unter- stützungsfähigkeiten handelt und weniger um einen Schritt zu gemeinsamen Verbänden, die zusammen in den Einsatz gehen, wie es als Ziel im vorliegenden An- trag formuliert ist. Das liegt allerdings an einem Umstand, der auch das Gewicht Deutschlands als Führungskraft in diesem Inte- grationsprozess insgesamt beeinträchtigt und für den Sie, meine Damen und Herren von der SPD, leider keine Lösung anbieten, sondern bei dem Sie vielmehr in das eingangs erwähnte andere Oppositionsverhalten verfal- len: Forderungen zu stellen, ohne den Beweis der Reali- sierbarkeit antreten zu müssen. Ich spreche hier von den parlamentarischen Beteili- gungsrechten beim Einsatz deutscher Truppen, deren Einhaltung Sie betonen, während Sie gleichzeitig anstre- ben, dass die Teilnahme integrierter europäischer Ver- bände mit deutscher Beteiligung an UN-mandatierten Missionen zur Regel werden sollte. Sie kennen natürlich das damit verbundene Problem, weil es seit längerem diskutiert wird: Wenn es dann zum Einsatz kommt, müssen diese Verbände warten, während sich der Deutsche Bundestag mit dem erforderlichen Mandat für die Bundeswehrsoldaten darin befasst, ein Problem, dass sich umso schärfer stellt, je größer der Grad der multinationalen Integration wird. Denn in dem Moment, in dem deutsche Soldaten unverzichtbare Fä- higkeiten für den Einsatz stellen, legt der parlamentari- sche Entscheidungsprozess in Deutschland den ganzen Verband lahm. Dabei rede ich gar nicht einmal so sehr von der zeitli- chen Verzögerung. In den meisten Fällen besteht ja bei UN-mandatierten Missionen eine ausreichende Vorbe- reitungszeit. Schlimmstenfalls kann die deutsche Ent- scheidung parallel zum UN-Mandatierungsprozess erfol- gen. Und der Bundestag hat etwa während der Finanzkrise in der letzten Legislaturperiode bereits be- 16268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wiesen, dass er in dringenden Situationen auch innerhalb weniger Tage Entscheidungen treffen kann. Ganz ausschließen lässt sich eine solche für Deutsch- land und seine europäischen Partner blamable Lage aber nicht. Denn der Sinn schneller Eingreifkräfte ist offen- sichtlich verfehlt, wenn sie aufgrund politischer Ent- scheidungsprozesse nicht schnell eingreifen können. Viel problematischer ist aber, dass unsere Partner mit fortschreitender Integration die Entscheidung über den Einsatz auch ihrer eigenen Truppen praktisch in deut- sche Hände legen würden, dass also der Deutsche Bun- destag bestimmt, ob französische oder niederländische oder dänische Soldaten in diesen Verbänden zum Einsatz kommen dürfen. Das wäre selbst dann viel verlangt, wenn unsere Partner sich darauf verlassen könnten, dass wir hier im Haus immer zustimmen. Aber einfach immer Ja zu sagen, ist nun wiederum nicht der Zweck parla- mentarischer Befassung. Das alles macht Deutschland, ganz hart gesagt, zu ei- nem unsicheren Partner bei der europäischen Integration im Verteidigungsbereich. Und das beeinträchtigt eben die Führungsrolle, die wir dabei spielen sollten. Das Problem ist also nicht fehlendes Engagement der Bundesregierung nach außen. Das Problem ist, hier bei uns die Grundlagen zu schaffen, damit Deutschland in Europa als verlässlicher Partner auftreten kann, und das selbstverständlich innerhalb der Vorgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht in diesem Bereich gemacht hat. Ich will Ihnen nun nicht meinerseits vorwerfen, daran schuld zu sein, liebe Kollegen von der SPD. Ich weiß, dass Sie sich innerhalb dieser Fraktion ebenfalls sehr ernsthaft mit dieser Problematik befassen. Gerade des- wegen sage ich: Kommen Sie auf die Koalition zu, las- sen Sie uns gemeinsam nach einer Lösung suchen! Da- mit Deutschland auch in der GSVP seine Rolle als ein wichtiger Motor der europäischen Integration ausfüllen kann. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): In Deutschland kann man über das Ziel einer europäischen Armee eigentlich nicht mehr streiten. In derselben Woche, in der der SPD- Parteivorstand die Vision einer europäischen Armee in den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der SPD aufnahm, erklärte 2008 die Vorsitzende der CDU, Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, über die Bild-Zeitung – ich zitiere –: In der EU selbst müssen wir einer gemeinsamen eu- ropäischen Armee näher kommen. Damit eignet sich das Thema nicht mehr für nationale Kontroversen. Wir sind uns einig: Die europäische Ar- mee muss nicht morgen oder übermorgen eingekleidet, durchgeimpft und angetreten sein, aber sie muss kom- men. Die EU-Armee der Zukunft muss heute schon die regulative Idee sein für die Transformation unserer eige- nen, nationalen Streitkräfte. Wie gesagt: Europäisch antreten ist nicht die Aufgabe des heutigen Tages, aber im Sinne von Jürgen Habermas die regulative Idee, die uns einen Kompass gibt für alle heute nötigen Tagesentscheidungen. Die ständige Grundsatzfrage lautet: Renationalisierung oder Europäi- sierung? Braucht jeder immer alles selbst oder kann man Aufgaben teilen, kann man Beschaffungen teilen, kann man Kosten teilen? Das heißt: Geld sparen! Dieses Denken müssen wir nicht neu erfinden. Wir fangen in Europa nicht ganz bei null an. Wir marschieren schon – und meist schon gemeinsam und in die richtige Richtung. Drei Meilensteine sind zu nennen: Erstens das gemeinsame Marinehauptquartier Bel- giens und Hollands in Den Helder, zweitens das nieder- ländische Beispiel beim Lufttransport: Statt eigene Mili- tär-Airbusse zu kaufen, beteiligt sich das Land an den Kosten der deutschen Airbus-Flotte und bekommt eine Garantie über entsprechende Transportkapazitäten, und drittens die deutsch-französische Brigade als Beispiel für transnationale stehende Verbände im Bereich der Land- streitkräfte. Trotzdem ist mir klar: Jede kühne Vision provoziert erst einmal jede Menge Bedenken. Unsere erste Re- aktion auf alles Neue heißt immer erst einmal: Aber! Aber das ist nicht schlimm. Das ist unsere europäische Art. Das „Aber“-Sagen verbindet uns. Mit der von dem damaligen Minister zu Guttenberg angefangenen und jetzt von Minister de Maizière zu Ende gebrachten erneuten Bundeswehrreform wurde lei- der eine Chance vertan, sich heute schon europäisch auf eine gewisse Arbeitsteilung und Schwerpunktsetzung, auf Pooling und Sharing, zu verständigen. Alle unsere Verbündeten haben die gleichen Probleme wie wir: zum Teil veraltete Strukturen, die gleichen internationalen Dauereinsätze und zu wenig Geld. Lassen Sie uns des- halb nächstes Mal von Anfang an europäischer denken. Dr. Rainer Stinner (FDP): Selten ist einem guten und wichtigen Anliegen ein derartiger Bärendienst er- wiesen worden wie der Stärkung der GSVP durch den vorliegenden Antrag der SPD. Leider konnte die SPD dem Oppositionsreflex nicht widerstehen. Deshalb steht im Mittelpunkt des Antrages die ständig wiederholte Kritik an der Bundesregierung. Selten sind ausnahmslos alle grundlegenden Probleme eines Politikfeldes so kon- sequent ausgeblendet worden wie bei diesem Antrag. Ich glaube, wir sind uns alle hier in diesem Hause ei- nig, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit auf europäischer Ebene dringend verbessert werden muss. Die Gründe liegen auf der Hand: Alle Länder müssen sparen, jedes einzelne europäische Land ist international gesehen zu klein, um wirklich irgend etwas bewegen zu können. Wenn Europa in der Welt noch eine Bedeutung behalten will, dann müssen wir gemeinsam handeln. Schon der von der SPD angezettelte Streit um die Fe- derführung für diesen Antrag macht die große Schwäche dieses Antrages deutlich. Nach Willen der SPD soll die- ser Antrag federführend im Verteidigungsausschuss be- handelt werden. Die GSVP ist aber das Kernstück der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir haben daher den Irrweg der Kollegen der SPD korrigiert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16269 (A) (C) (D)(B) Die GSVP ist mehr als die Aneinanderreihung von In- strumenten der militärischen Kooperation. Sie kann nur gelingen, wenn wir uns über die Grundbedingungen ei- nes gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Handelns Gedanken machen. Eine große Schwäche dieses Antrages ist, dass er sich ausschließlich bunt gewürfelt mit militärischen Instru- menten beschäftigt. Da sind Sie in der SPD hinter die ak- tuelle Diskussion zurückgefallen. Die Mehrheit des Bun- destages ist da weiter. Wir wissen, dass gemeinsame Sicherheit durch ein Bündel von außen- und sicherheitspolitischen Instru- menten hergestellt werden kann. Dazu gehört auch die zivile Krisenprävention. Der dafür eingerichtete Unter- ausschuss des Auswärtigen Ausschusses leistet hier par- teiübergreifend beispielhafte Arbeit. Ich empfehle den Verfassern dieses Antrages, sich einmal durch ihre Kol- legen in diesem Ausschuss auf den neuesten Stand der Diskussion bringen zu lassen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die sehr weitge- hende französisch-britische Kooperation, die außerhalb der GSVP stattfindet, jede EU-weite Integration er- schwert. Und in Ihrem Oppositionsreflex machen sie da- für die Bundesregierung verantwortlich. Ich kann nur sa- gen: Blödsinn! Wir müssen uns doch Gedanken machen, warum diese intensive Zusammenarbeit erfolgt. Die sehr enge französisch-britische Kooperation im Verteidigungsbe- reich begann vor Jahren, als beide Länder in enger Ab- stimmung ihre Sicherheitsstrategien formuliert haben. Ich weiß nicht, ob das dem damaligen SPD-Außenminis- ter überhaupt aufgefallen ist. Die Verfasser dieses Antra- ges können es jedenfalls nicht gewusst haben. Wir müssen konstatieren, dass Frankreich und Groß- britannien sich in Hinsicht Ihrer strategischen Positionie- rung ähnlich sind: Vetomächte im Sicherheitsrat, Atom- mächte, ehemalige Kolonialmächte mit immer noch globalem Anspruch, ähnliche historische Erfahrungen in zwei Weltkriegen, und ein ähnliches Verständnis da- rüber, wie und mit welchen Mitteln man außenpolitische Überzeugungen in die Welt hinausträgt. Hier sieht die Situation in Deutschland natürlich völlig anders aus, und so sind eben auch die Einstellungen der Gesellschaften zur Anwendung militärischer Gewalt nicht deckungs- gleich. Ich will gar nicht endgültig bewerten, welche besser oder schlechter ist, sie sind jedenfalls unter- schiedlich. Wir alle wünschen uns Fortschritte in der GSVP. Aber es muss doch geklärt werden, auf welcher Grundlage das gemeinsame Handeln beruhen soll. Soll Deutschland die französischen Ansichten, wann und wie militärische In- terventionen in Afrika notwendig sind, eins zu eins über- nehmen? Oder wissen Sie vielleicht einen Weg, wie Frankreich zu den deutschen Ansichten bekehrt werden kann? In Ihrem Antrag ist davon nichts zu lesen. Und das ist genau die Krux, der Fehler und auch die Unredlichkeit Ihres Antrags: Sie blenden alle grundle- genden außenpolitischen Voraussetzungen völlig aus. An vorhandenen unterschiedlichen Einstellungen scheitert bisher aber die engere Kooperation. Nein, wir müssen sehen, dass es bei den jetzt vor uns stehenden Aufgaben in Sachen europäischer Integration ans Eingemachte der Nationalstaaten geht, an den Kern von nationaler Souveränität. Wir sehen das beim Euro, und bei der GSVP ist es nicht anders. Es ist nun einmal leichter, Kompromissen bei Glühbirnen zuzustimmen, als bei der Frage, wann eigene Staatsbürger in lebensge- fährliche Einsätze geschickt werden. Von daher geht es bei den von uns allen gewünschten Fortschritten bei der GSVP nicht nur um die Optimie- rung von militärischen Instrumenten, sondern darum, in der EU eine gemeinsame Vision der Welt von morgen und der Rolle Europas in dieser Welt zu erarbeiten. Da- raus sind dann konkrete Ziele abzuleiten, die wiederum in Strategien, Maßnahmen und Instrumenten zur Errei- chung dieser Ziele münden. Wir wollen diesen Prozess nicht nur den Regierungen überlassen. Wir sind der Meinung, dass dieser Prozess auf europäischer Ebene auch parlamentarisch begleitet werden muss. Daher schlagen wir die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung der GSVP vor, in der Vertreter der nationalen Parlamente und des Europäi- schen Parlamentes diesen Prozess aktiv begleiten und Impulse für die jeweiligen Regierungen entwickeln. Der Vertrag von Lissabon eröffnet neue Möglichkei- ten und Aufgaben für die Gestaltung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist eine Auf- gabe der Bundesregierung, die diese mit Nachdruck wahrnimmt. Das ist aber auch eine Aufgabe des Bundes- tages. Wenn wir diesen Prozess ohne Scheuklappen be- ginnen, werden wir sicherlich demnächst über einen fun- dierteren Antrag zu diesem wichtigen Thema befinden können. Den vorliegenden Antrag der SPD lehnen wir mit der Note „ungenügend“ ab. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Erst gestern nötig- ten die Kollegen der SPD-Fraktion gemeinsam mit den Grünen und der Regierungskoalition von CDU, CSU und FDP die Menschen in Deutschland, die Haftung für einen „gehebelten“ Bankenrettungsschirm zu überneh- men. Heute wirbt die SPD für einen Rettungsschirm für die Kriegstreiber und Rüstungsexportbarone in Deutsch- land. Nachdem die deutsche Lohndumping- und Export- überschusspolitik maßgeblich die Krise in Europa verur- sacht hat, verschrieben die Kollegen von der SPD nun auch die deutsche Europapolitik als Panaceum zur Ret- tung des außen- und verteidigungspolitischen Versagens der EU. Doch auch die politisch und praktisch geschei- terte Militärpolitik der EU kann am deutschen Wesen nicht genesen. Es ist schlicht unfassbar, wie heute, trotz der verhee- renden Folgen der Finanzkrise, die weltweit mit unver- gleichlichem Elend, Armut und Sozialabbau einhergeht, die SPD-Fraktion ohne jegliche Skrupel und Hemmun- gen, einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein- bringt, der – wie sie selbst schreibt – die „Krise der Staatsfinanzen in vielen EU-Mitgliedsländern als 16270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Chance nutzen“ will, um „den Zerfall der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ zu verhindern. Wer schon immer wissen wollte, was „schöpferische Zerstörung“ bedeutet, der findet in dem SPD-Rezept tat- sächlich einen Leitfaden, wie die vorsätzliche Zerstö- rung gesellschaftlicher Substanz als Beschleuniger einer militärischen Kernschmelze missbraucht werden kann. Die SPD braucht offensichtlich eine solche Kettenreak- tion von kapitalistischen Verwerfungen, um der „euro- päischen Gründungsnation“, für die sie unverhohlen wirbt, zur globalen Verwirklichung ihres politischen Willens zu verhelfen. Vor dem Hintergrund der histori- schen Verantwortung, die Deutschland für seine Milita- rismuspolitik auf seinen Schultern trägt, klingt der tri- umphale Ton, der Duktus und der Ruf der SPD nach „globaler Mitverantwortung“ wie eine Drohung. Eine Drohung gegen die am meisten von der Bankenkrise be- troffenen Staaten und Menschen, die dagegen derzeit weltweit aufbegehren. Hinter ihren Krokodilstränen über die europäische Krise, die die SPD-Fraktion in ihrem Antrag ja selbst als „Krise der europäischen Einigung“ beschreibt, steckt die gleiche Schadenfreude und die gleiche heuchlerische Europapolitik wie hinter ihrer an- geblichen Sorge um die Stabilität und Sicherheit der Eu- ropäischen Union und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ihnen geht es nicht um Stabilität oder Sicherheit, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Viel- mehr haben Sie erkannt, dass für eine durchsetzungsfä- hige Außen- und Sicherheitspolitik die bloße Feststel- lung, dass Deutschland die „größte Volkswirtschaft Europas“ sei, eben keine garantiert ausfallsichere Kapi- talanlage darstellt. Ihre eigentliche Sorge, die im Übri- gen von den Kollegen der CDU, CSU und FDP und der Grünen geteilt wird – das wurde ja in der zu Protokoll gegebenen Plenardebatte zur Einrichtung einer Interpar- lamentarischen Konferenz zur GASP/GSVP der EU im Beitrag des Kollegen Kiesewetter deutlich, gilt vielmehr der Furcht, als zu spät Kommender von der Geschichte bestraft zu werden. Und in der Tat wurde nach dem Ver- teidigungsabkommen zwischen Frankreich und Großbri- tannien vom November 2010 deutlich, dass Deutschland offensichtlich einen untergeordneten Ansprechpartner für Sicherheitspolitik in Europa darstellt. Aus der Sicht der USA aber auch in NATO-Kreisen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Deutschland in Bündnisfragen kein herausragendes Gewicht mehr zukommt. Das scheint in der gegenwärtigen Krise das einzige zu sein, was Sie als schmerzhaft empfinden. Und es nützt gar nichts, dass Sie in Ihrem Antrag gerade um die Unterstüt- zung des Nachbarstaates Polen für ihren deutschen Son- derweg buhlen. Aus friedensorientierter Perspektive ist vielmehr entscheidend, dass in beiden Fällen an einer Mi- litarisierung der Sicherheitspolitik genauso festgehalten wird. Aus Sicht der Friedenspolitik stellen beide Projekte keine Alternative dar und Die Linke lehnt beide vehe- ment ab. Sie von der SPD werben um einen neuen Burgfrieden mit der Bundesregierung. Ihr Ziel ist, dass trotz der Fi- nanzkrise die militärischen Fähigkeiten der EU, Rüs- tungsexporte und eine europäische Armee unter der „ge- stalterischen Kraft“ Deutschlands für die EU verbindlich festgezurrt werden. Sie schlagen für Europa einen natio- nalen und klar militaristischen Sonderweg vor, den der „politische Wille“ Deutschlands verwirklichen soll. Das ist eine Sackgassenpolitik deutschen Dominanzstrebens in sicherheitspolitischen Fragen, die Die Linke entschie- den ablehnt. Nicht zuletzt auch angesichts der gegenwär- tigen Krise zeugen diese Vorschläge von einer völligen Fehleinschätzung der tatsächlichen globalen Probleme. Die Linke findet das inakzeptabel und wird sich mit aller Kraft einer weiteren Versicherheitlichung und Militari- sierung der sozialen Probleme innerhalb der GASP und GSVP wiedersetzten. Während in diesen Tagen weltweit Tausende von Menschen auf die Straße gehen und öf- fentliche Plätze in Madrid, Rom, New York oder Berlin besetzen, muss die deutsche Politik endlich Konsequen- zen aus der gescheiterten europäischen Militärpolitik ziehen. Die Linke stellt sich allen Versuchen in den Weg, um, wie dies die SPD-Fraktion in ihrem Antrag fordert, „wirksame Antworten auf die Herausforderungen an den Rändern Europas“ in militärischen und polizeilichen Werkzeugkästen der GSVP zu suchen. Deutschland trägt durch seine verfehlte Handelspolitik maßgeblich Verant- wortung für die „Krisen und Konflikte in der unmittelba- ren Nachbarschaft“ der Europäischen Union. Die von den Sozialdemokraten bislang gehätschelten Banken und Zockerbuden, die Profiteure der Euro-Krise, müssen endlich zur Kasse gebeten werden. Der berechtigte Pro- test gegen sie darf nicht militärisch oder sicherheitspoli- tisch eingehegt werden. Dafür setzt sich Die Linke ein. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor- liegende Antrag der SPD bringt ein Politikfeld auf die Tagesordnung des Bundestages, um das man sich ernst- haft Sorgen machen muss. Während der letzte Verteidigungsminister immerhin mit der Gent-Initiative und dem Brief des Weimarer Dreiecks bereit war, Impulse zu geben, herrscht inzwi- schen nur noch Stillstand und Agonie. Das ist umso be- dauerlicher, als derzeit nicht nur in Deutschland die Bun- deswehr reformiert und der Verteidigungshaushalt verkleinert werden soll, auch in unseren europäischen Nachbarländern wird erheblich gespart und neu struktu- riert. Das wäre die Gelegenheit für eine systematische Er- fassung und Priorisierung militärischer Fähigkeiten, um langfristig Doppelstrukturen zu vermeiden und Überka- pazitäten abzubauen. Es geht nämlich nicht nur um die Schließung von Fähigkeitslücken: Es geht auch darum, dass Europa es sich nicht mehr leisten kann, 27 nationale Armeen mit vollem Fähigkeitsspektrum vorzuhalten. Bei einem entsprechenden politischen Willen bestünde jetzt die Chance auf eine weitreichende Abrüstung in Europa unter Beibehaltung der militärischen Kernfähig- keiten. Nun ist es leider so, dass Bundesverteidigungsminis- ter de Maizière sich bisher nicht als EU-Enthusiast prä- sentiert hat, eher im Gegenteil: Es ist deutlich spürbar, dass er der europäischen Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen eher skeptisch gegenübersteht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16271 (A) (C) (D)(B) Daher sind von seinem Ministerium wohl auch keine Im- pulse in die Richtung einer vertieften Zusammenarbeit zu erwarten. Der Antrag der SPD legt daher den Finger in eine of- fene Wunde und liefert anregenden Diskussionsstoff für die kommenden Beratungen im Verteidigungsausschuss: Wir teilen den Ansatz, die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu verstärken, wo es möglich ist. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staa- ten, die auch in der Integration weitergehen wollen. Hierfür bietet nicht zuletzt die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ einen tragfähigen Rahmen. Wir setzen uns auch für ein verstärktes „Pooling and Sharing“ ein, also die Bündelung und Aufteilung militärischer Fähig- keiten. Die Idee, das Konzept der Battlegroups weiter zu entwickeln, greift ebenfalls einen wichtigen Verände- rungsbedarf auf. Auch die Anpassung der Europäischen Sicherheitsstrategie an die aktuellen Gegebenheiten hal- ten wir für notwendig. Leider orientiert sich die SPD in ihrem Antrag allzu sehr an der militärischen Dimension der GSVP. Nur dreimal kommt das Wort „zivil“ überhaupt in ihrem An- trag vor. Wir verstehen die Europäische Union weiterhin in erster Linie als Zivil- und Friedensmacht. Gerade im Hinblick auf die NATO sollten vor allem die Fähigkeiten im Bereich der zivilen Krisenprävention und Krisenbe- gleitung in den Vordergrund gestellt werden. Hier gibt es weiterhin große Defizite auf EU-Ebene. Wir haben be- reits letzten Dezember einen Antrag eingebracht, in dem wir fordern, die Bereiche Krisenprävention und Frie- densförderung im Europäischen Auswärtigen Dienst an- gemessen zu verankern. Leider müssen wir feststellen, dass in dieser Hinsicht kaum etwas erreicht wurde. Ebenso bedauerlich ist, dass es weiterhin eine große Lücke zwischen den von den EU-Staaten gemeldeten zivilen Kräften und tatsächlich zur Verfügung stehenden Kräften gibt, die bei zivilen EU-Missionen, wie bei- spielsweise EULEX im Kosovo, eingesetzt werden kön- nen. Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, etwa in Richtung eines europäischen Pools für zivile Krisenmis- sionen. Es ist daher sehr bedauerlich, dass Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen von der SPD, den zivilen Aspekt der GSVP als Nebenprodukt, das man zwar erwähnen muss, das aber eher zu vernachlässigen ist, behandeln. Ich weiß ja, dass es nicht von allen so gesehen wird, wie es der Antrag leider erscheinen lässt. Richtig und wichtig ist Ihre Forderung nach einer eu- ropäischen Rüstungsexportpolitik. Einheitlich hohe Standards und Kontrolle an den EU-Außengrenzen sind gerade im Hinblick auf den künftig freien Verkehr von Rüstungsgütern innerhalb der EU unerlässlich. Zu kurz kommt mir in Ihrem Antrag allerdings die parlamentarische Kontrolle der GSVP. Zwar sprechen Sie sich für die „Einhaltung der parlamentarischen Be- teiligungsrechte“ aus. Aber kein Wort zur Rolle des Europäischen Parlaments. Kein Wort zur Neustrukturie- rung der Zusammenarbeit zwischen europäischer Ebene und den nationalen Parlamenten. Hier möchte ich an die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen ap- pellieren: Lassen Sie uns einen erneuten Versuch unter- nehmen, in dieser Frage zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Nachdem die Konferenz der Parlamentsprä- sidenten der EU-Staaten im April ohne weitere Verhand- lungspläne gescheitert ist, bedarf es eines starken Signals, um neue Bewegung in die Bemühungen um eine interparlamentarische Zusammenarbeit zu bringen. Ein möglichst geschlossenes Auftreten des Deutschen Bundestages könnte da einen wichtigen Impuls setzen. In Zeiten der größten Krise, die die Europäische Union seit ihrem Bestehen erlebt, sollten wir Abgeord- nete zwei wichtige Zeichen setzen: Erstens, dass wir auch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich weitere Integrationsschritte wollen, die, gerade wenn wir den Weg des Pooling and Sharing weiter verfolgen, dazu führen, dass eine verbesserte militärische Zusammenar- beit und neue Abrüstungsschritte Hand in Hand gehen. Zweitens, dass wir diese Integration mit mehr Transpa- renz und einer weiteren Parlamentarisierung und damit größerer demokratischer Legitimation verbinden wollen. Das verlangen auch die Bürgerinnen und Bürger von uns. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errich- tung des Europäischen Finanzaufsichtssystems (Tagesordnungspunkt 18) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Mit der heutigen ab- schließenden Plenarbefassung und Abstimmung zum Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/78/EU vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanzaufsichtssystems verabschieden wir ein weiteres wichtiges Finanzmarktgesetz. Konkret nehmen wir damit Anpassungen an einigen deutschen Aufsichtsgesetzen – darunter unter anderem das Kredit- wesengesetz, KWG, und das Wertpapierhandelsgesetz, WpHG – vor, um unsere nationalen Aufsichtsstrukturen mit den neuen europäischen Finanzaufsichtsstrukturen zu verbinden und zu synchronisieren. Viel Gestaltungs- spielraum blieb uns dabei nicht, da es sich im Wesentli- chen um die Umsetzung von zwingenden EU-Vorgaben in nationales Recht handelt. Im Januar dieses Jahres wurde das neue Europäische Finanzaufsichtssystem, bestehend aus dem Europäi- schen Ausschuss für Systemrisiken, den drei Europäi- schen Finanzaufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA sowie dem Gemeinsamen Ausschuss der Euro- päischen Aufsichtsbehörden, errichtet. Eine wesentliche Aufgabe dieses neuen Systems ist es, insbesondere die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den natio- nalen Aufsichtsbehörden und den europäischen Instan- zen zu verbessern. Das ist deshalb wichtig, weil speziell die großen, international tätigen Banken ein internatio- nales Aufsichtssystem brauchen. Nationale Aufsichtsbe- hörden, die nur isoliert auf ihre eigenen Zuständigkeits- 16272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) bereiche schauen, entsprechen nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Deswegen wurden auf EU-Ebene die Zusammenarbeit und die Kompetenzen der nationalen und europäischen Aufsichtsinstitutionen in einer soge- nannten Omnibusrichtlinie festgeschrieben. Insoweit es durch die mit der Omnibusrichtlinie vorgenommenen Änderungen einer Klarstellung oder Änderung der deut- schen Aufsichtsgesetze bedurfte, wurden diese mit dem vorliegenden Gesetz umgesetzt. Zugegeben – das Gesetz erscheint zunächst wenig spannend und nimmt im Grunde genommen auch ledig- lich technische Anpassungen vor, die sich streng an den europäischen Vorgaben orientieren. Lassen Sie mich dennoch noch einmal kurz schildern, was wir konkret mit dem Gesetz erreichen werden. Zunächst einmal wird die Bundesanstalt für Finanz- dienstleistungsaufsicht, BaFin, in das Europäische Finanzaufsichtssystem mit eingebunden. Das heißt, dass die BaFin mit den europäischen Instanzen intensiver und verpflichtender zusammenarbeiten wird. Dabei wird auch die Deutsche Bundesbank beteiligt, was ich für sehr begrüßenswert halte; denn auch die Bundesbank ist in die laufende Überwachung der Kreditinstitute einge- bunden. Des Weiteren werden sämtliche Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten, die die BaFin gegenüber der jeweiligen europäischen Behörde hat, konkretisiert. Die BaFin ist dann verpflichtet, diese Informationen, die die europäischen Behörden zur Ausübung ihrer Tätigkei- ten benötigen, wie beispielsweise die Erlaubniserteilung oder -entziehung einer bestimmten Bank oder die Kennt- nis über eine Krisensituation eines Instituts, zur Verfü- gung zu stellen. Damit einher gehen auch die Anpassun- gen der Verschwiegenheitsverpflichtungen, die für die Beschäftigten der Bundesanstalt und vergleichbarer Per- sonengruppen gelten. Zudem werden die Verfahren zur Einbeziehung der Europäischen Aufsichtsbehörden im Falle von Mei- nungsverschiedenheiten bzw. bei ungenügender Zusam- menarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden festgelegt. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sich die Europäi- schen Aufsichtsbehörden in die tägliche Arbeit der Be- hörden der Mitgliedstaaten einklinken und Entscheidun- gen für sie treffen können. Es bedeutet aber, dass sie Differenzen zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden verbindlich schlichten könnten, sollten die nationalen Aufseher keine Einigung finden können. Diese Schlich- tungsbefugnis gilt aber nur für Bereiche, die in den Richtlinien im Finanzsektor im Einzelnen definiert sind, wie beispielsweise bei Fragen zur Anerkennung interner Modelle oder bei Risikobewertung auf Gruppenebene. Dies nur vorab – nun aber zur Einschätzung des Geset- zes: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele von Ihnen befürchten, mit den neuen Europäischen Aufsichtsbe- hörden und dem Gesetz könnte nun wieder eine Verlage- rung von nationalen Kompetenzen auf die europäische Ebene erfolgen. Wir sind uns sehr wohl darüber im Kla- ren, dass insbesondere die kleinen und mittelständischen Finanzinstitute diese Entwicklung mit Sorge betrachten. Diese Sorge ist aufgrund der in der Vergangenheit be- reits erfolgten Kompetenzverlagerungen auch nicht ganz ungerechtfertigt. Andererseits sehe ich diesbezüglich aber auch keine wirkliche Alternative. Die Finanzwelt ist mittlerweile so stark global vernetzt, dass eine iso- lierte nationale Aufsicht keinen Sinn macht. Wir müssen daher unbedingt dafür Sorge tragen, dass eine geordnete und systematische internationale Zusammenarbeit zwi- schen den Aufsehern erfolgt. Finanz- und Kapitalmarkt- regulierung muss auf ein europäisches Fundament ge- stellt werden. Im Prinzip wäre es sogar wünschenswert, eine wirklich internationale Regelung – zum Beispiel auf G-20-Ebene – herzustellen. Ich bin im Übrigen der Meinung, dass es falsch ist, immer wieder dafür zu kämpfen, möglichst viele Kom- petenzen in Deutschland zu behalten. Das ist eine Aus- einandersetzung, die weder zeitgemäß ist, noch zu brauchbaren Ergebnissen führt. Wir sollten uns deswe- gen vielmehr dafür einsetzen, die europäischen Institu- tionen besser und demokratischer zu machen. Unsere Aufgabe als nationales Parlament muss sein, wichtige Fragestellungen und Entscheidungen auf Augenhöhe mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament zu diskutieren. Unser Ziel muss sein, dadurch ein besse- res, bürger- und wirtschaftsnäheres Europa auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus gibt es aber noch einen weiteren Punkt, den wir im parlamentarischen Verfahren noch mit diesem Gesetz auf den Weg bringen wollen: die Anpas- sung der Vergütungsstrukturen des BaFin-Exekutiv- direktoriums. Vorgesehen ist, dass die Mitglieder dieses Direktoriums künftig nicht mehr als Beamte, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis ihren Beruf ausüben können. Wie Sie wissen, wird der derzeitige BaFin-Chef noch in diesem Herbst in Rente gehen. Eine Nachfolge muss entsprechend frühzeitig geregelt werden. Sie wissen auch, dass die marktüblichen Vergütungen für Kandida- ten, welche diesem Amt gewachsen sind und die die ent- sprechenden Qualifikationen mit sich bringen, über die derzeitige für dieses Amt vorgesehene Beamtenbesol- dungsstufe hinausgehen. Nun kann man sich natürlich fragen, warum diese Regelung dem Gesetz zur Stärkung der nationalen Finanzaufsicht, welches für Anfang nächsten Jahres vorgesehen ist, vorgezogen werden sollte. Im Grunde genommen hätten wir das auch nicht gemacht. Allerdings ist für die Nachbesetzung des BaFin-Postens Eile geboten. Für eine Nachbesetzung zum 1. Januar 2012 bedarf es schon vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht ei- ner Rechtsgrundlage für die Zahlung eines von der Be- amtenvergütung abweichenden Gehalts. Im Übrigen schaffen wir damit keinesfalls einen Präzedenzfall; denn ähnliche Regelungen wurden bereits bei der Bundesnetz- agentur und der Bundesagentur für Arbeit getroffen. Wir sind der Meinung, ein gutes Gesetz geschaffen zu haben, was uns wieder ein Stück im Bereich Finanz- und Kapitalmarkregulierung weiterbringt und daher möchte ich Sie auch bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16273 (A) (C) (D)(B) Peter Aumer (CDU/CSU): Die Finanzkrise hat uns erhebliche Schwächen in der EU-Finanzaufsicht aufge- zeigt. Nachteilige Entwicklungen auf den Finanzmärk- ten wurden nicht vorhergesehen und die Häufung unver- tretbar hoher Risiken nicht unterbunden. Ferner war die Zuständigkeit für die makroprudenzielle Aufsicht unklar und wurde von mehreren Behörden auf unterschiedlicher Ebene wahrgenommen. Es bestand kein System, wel- ches Risiken auf Makroebene erkannte und konkrete Warnungen und Weisungen herausgab. Aufgrund dieser Schwächen schlug die durch die Eu- ropäische Kommission eingesetzte Expertengruppe um Jaques de Larosière in ihrem im Februar 2009 erschiene- nen Bericht die Neustrukturierung der Aufsicht sowie die Schaffung eines Europäischen Systems der Finanz- aufsicht, ESFS, vor. Diese Anregungen setzte die Kom- mission in ihrem darauf folgendem Gesetzgebungsvor- schlag nahezu vollständig um. Nach erfolgreicher Abstimmung im Rat und im Europäischen Parlament nahm das neue Aufsichtssystem seine Arbeit planmäßig am 1. Januar 2011 auf. Das neue Finanzaufsichtssystem umfasst demnach zwei Bereiche: Zum einen wurde ein Europäischer Aus- schuss für Systemrisiken gegründet, welcher für die Auf- sicht auf makroprudenzieller Ebene verantwortlich ist. Die Hauptaufgabe dieser Einrichtung besteht in der Über- wachung und Bewertung von systemischen Risiken in der EU. Zum anderen wurden drei neue Aufsichtsbehörden zur mikroprudenziellen Überwachung, nämlich die Euro- päische Bankenaufsichtsbehörde, EBA, die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde, ESMA, und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die be- triebliche Altersversorgung, EIOPA, gegründet. Darüber hinaus wurde auch ein behördenübergreifender gemeinsa- mer Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden, ein Joint Committee, ein Teil dieses Systems. Die Umsetzung des zugrunde liegenden EU-Rechts- setzungspakets erfolgte durch fünf EU-Verordnungen zur Errichtung der genannten EU-Behörden und Aus- schüsse sowie durch die sogenannte Omnibusrichtlinie I. Mit der Omnibusrichtlinie I wurden elf bestehende EU- Richtlinien im Finanzmarktbereich an die neuen EU-Fi- nanzaufsichtsstrukturen angepasst. Dabei waren die Än- derungen der EU-Richtlinien erforderlich, um die Ein- bindung der neuen Strukturen in die gegebenen EU- Finanzmarktregelungen sicherzustellen und ein rei- bungslos funktionierendes Europäisches Finanzauf- sichtssystem zu gewährleisten. Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet Anpassun- gen der deutschen Finanzaufsichtsgesetze, die zur Um- setzung der Omnibus-I-Richtlinie notwendig sind. Die EU-Aufsichtsstrukturen gelten bereits seit Inkrafttreten der Verordnungen. Die jetzige Anpassung der deutschen Aufsichtsgesetze erfolgt lediglich aus Gründen der Klar- stellung oder insoweit, als dass die nationalen Gesetze den EU-Verordnungen entgegenstehen. Wesentliche Re- gelungen aus deutscher Sicht sind dabei die Einbindung der BaFin in das Europäische Finanzaufsichtssystem, die Konkretisierung der Mitteilungs- und Unterrichtungs- pflichten der BaFin gegenüber den europäischen Auf- sichtsbehörden und die Konkretisierung des Verfahrens zur Einbeziehung der europäischen Aufsichtsbehörden bei Meinungsverschiedenheiten oder mangelnder Zu- sammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehör- den. Mit dem neuen europäischen Aufsichtssystem ESFS wird die EU der zunehmenden Verflechtung der interna- tionalen Finanzmärkte gerecht. Vor allem die Einsetzung des ESRB, als einer makroprudenziellen Aufsicht, füllt eine Lücke der bisherigen Aufsichtsstruktur. Auch die neuen Aufsichtsbehörden, als die mikroprudenzielle Aufsicht, stellen eine bedeutende Verbesserung zu den vorherigen Level-3-Ausschüssen dar. Durch dieses neue System wird die Kooperation der nationalen Behörden intensiviert und eine bessere Übersicht über den europäi- schen Finanzmarkt geschaffen. Die BaFin wird in diesen Prozess mit eingebunden sein und Informationen bereit- stellen. Ihr sowie allen anderen nationalen Aufsichtsbe- hörden, werden verschiedene Mitteilungs- und Auf- sichtspflichten gegenüber den neuen Aufsichtsbehörden auferlegt. Diese Neugestaltung der europäischen Auf- sichtsstruktur ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, um in Zukunft systemische Risiken und negative Ent- wicklungen auf den europäischen Finanzmärkten schnell zu entdecken. Wir haben mit diesem Gesetz einen wichtigen Schritt in Richtung einer deutlich verbesserten Aufsichtsstruk- tur in Deutschland und Europa geschaffen. Ich bin davon überzeugt, dass damit Krisen und Verwerfungen auf den Finanzmärkten frühzeitig erkannt und bekämpft werden können. Manfred Zöllmer (SPD): Am 1. Januar dieses Jahres haben die drei neuen europäischen Aufsichtsbehörden für den Finanzsektor ihre Arbeit aufgenommen. Bei ih- nen handelt es sich um die in London angesiedelte Euro- päische Bankaufsichtsbehörde, EBA, die in Frankfurt ansässige Europäische Aufsichtsbehörde für das Ver- sicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, EIOPA, und die Europäische Wertpapieraufsichtsbe- hörde, ESMA, in Paris. Neben den drei neuen Behörden, die Banken, Märkte und Versicherungen überwachen, hat Ende Dezember 2010 bereits der Europäische Aus- schuss für Systemrisiken seine Arbeit aufgenommen. Dieser hat die Aufgabe, den gesamten Finanzsektor zu beobachten, um systemische Gefahren frühzeitig festzu- stellen. Damit haben wir europaweit die Aufsicht neu aufge- stellt, um eventuell auflaufende Risiken im Finanzsys- tem besser aufzudecken, wie diese bereits im Vorfeld der Finanzkrise und auf ihrem Höhepunkt beobachtet wur- den. Denn die qualitative und quantitative Verbesserung der Aufsicht der Finanzakteure ist eine der zentralen Lehren, die wir aus der verheerenden Krise ziehen müs- sen. Banken, Finanzmärkte und Versicherungen agieren grenzüberschreitend; deshalb muss es neben der nationa- len auch eine europäische Aufsicht geben. Das Bundesfinanzministerium hat das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie vom 24. November 2010 im Hinblick auf die Errichtung des Europäischen Finanz- 16274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) aufsichtssystems vorgelegt. Damit werden die nationalen Finanzaufsichtsgesetze an die neue europäische Finanzaufsichtsstruktur angepasst. Das Gesetz ermög- licht und konkretisiert dabei insbesondere die Zusam- menarbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht (BaFin) mit dem neugestalteten europäischen Aufsichtssystem. Dies ist notwendig, und so werden eine Reihe von na- tionalen Gesetzen zum Banken- und Finanzaufsichts- recht geändert, unter anderem das Kreditwesengesetz, KWG, das Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG, das Wertpapierhandelsgesetz, WpHG, das Wertpapierpros- pektgesetz, WpPG, und die Gewerbeordnung GewO. Die Änderungen dieser Gesetze resultieren letztlich aus der Umsetzung der entsprechenden Omnibusrichtlinie. Im Hinblick auf die EU-Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, ESMA, sollen in den deutschen Aufsichtsgesetzen Änderungen vorgenommen werden, die der Klarstellung dienen oder die wirken, wenn die bisherigen Regelungen den EU- Verordnungen entgegenstehen. Dazu wird in den deut- schen Aufsichtsgesetzen Folgendes neu geregelt: – die Einbindung der BaFin in das Europäische Finanz- aufsichtssystem; – die Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten der BaFin gegenüber den europäischen Finanzaufsichts- behörden; – Anpassungen der Verschwiegenheitspflichten der Be- schäftigten der BaFin und vergleichbarer Personen- gruppen; – die Einbeziehung der europäischen Finanzaufsichts- behörden bei Meinungsverschiedenheiten oder man- gelnder Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbe- hörden. Bisher hat es die Bundesregierung allerdings noch nicht vermocht, die deutsche Aufsicht zu reformieren. Die vollmundigen Ankündigungen einer umfassenden Reform wurden bereits zurückgenommen. Die Hausauf- gaben sind noch nicht erledigt. Die notwendigen Verän- derungen müssen deshalb auf der Basis der bestehenden deutschen Aufsichtsstruktur erfolgen. In einer schriftlichen Anhörung, die der Finanzaus- schuss des Deutschen Bundestages durchgeführt hat, er- klärte die BaFin hierzu, dass sie die Umsetzungsvor- schläge begrüßt und vorbehaltlos unterstützt. Auch die Bundesbank spricht in ihrer schriftlichen Stellungnahme von einer sachgerechten Umsetzung. Die Bundesbank wird mit einem – nicht stimmberechtigten – Vertreter an den Sitzungen des Rates der Aufseher bei der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde teilnehmen können. Sie wird auch in die Arbeit der Arbeitsgruppen der EBA einbezogen. Die Form der Beteiligung ent- spricht nach Aussage der Bundesbank ihrer Funktion, da sie neben ihrer Eigenschaft als Währungsbehörde auch für die laufende Überwachung der Kreditinstitute verant- wortlich ist. Die Finanzkrise, die bis heute nachwirkt und zu im- mer neuen aktuellen Verstrickungen und Belastungen führt, hat erhebliche Aufsichtsdefizite auf der Makro- ebene offenbart. Es ist daher richtig, wenn wir im Rah- men des neuen Aufsichtssystems die Risiken für die Sys- temstabilität besser ermitteln und mit einem effizienten Warnsystem verhindern, dass sich Finanzmarktkrisen wie 2008 wiederholen. Die bestehende Aufsicht auf Ma- kroebene war und ist zu stark fragmentiert und musste daher dringend reformiert werden. Die Omnibusrichtlinie I hilft mit, die Aufsichtsstruk- tur europaweit zu verbessern. Die nationalen Aufsichts- behörden werden mit den europäischen Finanzaufsichts- behörden besser zusammenarbeiten und diesen nach Maßgabe der EU-Verordnungen zur Errichtung der Eu- ropäischen Finanzaufsichtsbehörden alle für die Ausfüh- rung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Hierzu werden die genannten natio- nalen Gesetze geändert, damit die Verpflichtung der BaFin zur Zusammenarbeit mit den europäischen Fi- nanzaufsichtsbehörden und zur Weitergabe von Informa- tionen auch gesetzlich festgelegt ist. Die Konkretisierung der Mitteilungs- und Unterrich- tungspflichten der nationalen Aufsichtsbehörden gegen- über den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ist eines der Kernelemente der Umsetzung zur Verbesserung ei- ner Finanzaufsichtsstruktur in Europa. Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten, die bisher gegenüber der Euro- päischen Kommission bestanden, werden nunmehr auf die europäischen Finanzaufsichtsbehörden ausgeweitet bzw. werden durch Mitteilungspflichten gegenüber den europäischen Finanzaufsichtsbehörden ersetzt. Korrespondierend zu diesen Verpflichtungen der na- tionalen Aufsichtsbehörden wurden in Art. 35 der EU- Verordnungen zur Errichtung der Europäischen Finanz- aufsichtsbehörden und in Art. 15 der EU-Verordnung zur Errichtung des ESRB den europäischen Finanzaufsichts- behörden und dem ESRB Informationsansprüche auch gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden einge- räumt. Damit die BaFin diese Informationsansprüche nach Maßgabe der EU-Verordnungen erfüllen kann, müssen ihre Beschäftigten und vergleichbare Personengruppen in den deutschen Aufsichtsgesetzen von ihrer Ver- schwiegenheitspflicht befreit werden. Aus diesem Grund sollen der ESRB und die europäi- schen Finanzaufsichtsbehörden in den deutschen Auf- sichtsgesetzen in den Katalog der Stellen aufgenommen werden, an die auch geheimhaltungsbedürftige Informa- tionen weitergegeben werden dürfen, soweit diese Infor- mationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt werden. Die Zusammenarbeit von nationalen und europäi- schen Aufsichtsbehörden muss reibungslos funktionie- ren. Es ist daher richtig, wenn zur Gewährleistung einer effizienten und wirksamen Aufsicht und einer ausgewo- genen Berücksichtigung der Positionen der nationalen Aufsichtsbehörden die europäischen Finanzaufsichtsbe- hörden Differenzen zwischen den nationalen Aufsichts- behörden – auch in den Aufsichtskollegien – verbindlich schlichten können, wenn sich die nationalen Aufseher nicht einigen können oder wollen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16275 (A) (C) (D)(B) Der europäische Gesetzgeber hat dabei Bereiche im Blick, in denen die Richtlinien Kooperation, Koordina- tion oder gemeinsame Entscheidungen der nationalen Aufsichtsbehörden vorsehen. Eine erste Festlegung der Bereiche ist in der Omnibusrichtlinie I erfolgt. Maßnah- men, die Gegenstand von Entscheidungen zur Streitbei- legung sein können, sind im Bankenbereich zum Bei- spiel die Einstufung von Zweigniederlassungen, die Anerkennung interner Modelle und die Risikobewertung auf Gruppenebene. Des Weiteren würden die in der Omnibusrichtlinie I vorgeschriebenen Verfahren in die deutschen Aufsichts- gesetze umgesetzt, nach denen die BaFin handeln muss, wenn sie als konsolidierende Aufsichtsbehörde an einem solchen Streit beteiligt ist. Im Übrigen werden eine Reihe redaktionelle Anpas- sungen in den deutschen Aufsichtsgesetzen vorgenom- men. Die Finanzkrise vom Oktober 2008 hat eine Reihe von Schwachstellen bei der Einzel- und Systemaufsicht offengelegt. Diese wurden insbesondere mithilfe des La- rosière-Berichts analysiert, und Handlungsoptionen und Verbesserungen wurden empfohlen. Insgesamt wird die Aufsicht in Europa gestärkt. Die aktuelle Staatsschul- denkrise und die Probleme um eine Rekapitalisierung der Banken zeigen uns aber auch, dass eine verbesserte Aufsicht nur ein – wenn auch wichtiger – Mosaikstein in einer hinreichenden Regulierung und Aufsicht der Fi- nanzmärkte bedeutet. Wir sind damit auf einem guten Weg, die notwendigen aufsichtsrechtlichen Konsequen- zen aus der Finanzmarktkrise zu ziehen. Die neuen Strukturen müssen sich jetzt in der Praxis bewähren. Björn Sänger (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf geht die christlich-liberale Koalition einen wei- teren Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden eu- ropäischen Finanzaufsicht. In der Finanzmarktkrise hat sich die Notwendigkeit eines europäischen Finanzauf- sichtssystems gezeigt. Die nationalen Aufsichtsbehörden hatten nicht den wünschenswerten Überblick behalten, um grenzüberschreitende Probleme zu erkennen. Neben die na- tionalen Aufsichtsbehörden treten daher nun der Europäi- sche Ausschuss für Systemrisiken und die Europäischen Aufsichtsbehörden für den Banken-, den Wertpapier- und den Versicherungssektor sowie ein behördenübergreifen- der Gemeinsamer Ausschuss der Europäischen Aufsichts- behörden. Damit das Zusammenspiel dieser Behörden mit den na- tionalen Aufsehern reibungslos funktioniert, wurden zahl- reiche Gesetzesanpassungen nötig, die wir mit dem vorlie- genden Gesetz vollziehen: Es werden das Kredit- wesengesetz, das Wertpapierhandelsgesetz, das Investment- gesetz, das Börsengesetz, das Versicherungsaufsichtsge- setz, die Gewerbeordnung, das Finanzdienstleistungsauf- sichtsgesetz und das Geldwäschegesetz geändert, um unsere nationale Aufsicht in das neue europäische Finanz- aufsichtssystem zu integrieren. So werden Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten seitens der BaFin gegenüber den europäischen Aufsichtsbehörden geregelt, Anpassungen der Verschwiegenheitspflichten, die für die nationalen Auf- seher gelten, vorgenommen und die Einbeziehung der Eu- ropäischen Finanzaufsichtsbehörden geregelt, wenn es zwi- schen nationalen Aufsichtsbehörden Meinungsverschie- denheiten oder mangelnde Zusammenarbeit gibt. All dies ist absolut begrüßenswert, was auch der Be- ratungsprozess des Gesetzes zeigte. Während uns übli- cherweise kontroverseste Stellungnahmen von Sachver- ständigen erreichen und im Beratungsprozess heftig debattiert wird, gibt es hier fraktionsübergreifende Zu- stimmung, und die Änderungen werden allseits als rich- tig und notwendig erachtet. Die seitens der Opposition angeregte Beobachtung des europäischen Finanzaufsichtssystems werden wir selbstverständlich vornehmen, und wir werden gegebe- nenfalls Nachbesserungen umgehend in die Wege leiten, sollte es in so einem komplexen, neugeborenen Finanz- aufsichtssystem an der einen oder anderen Stelle noch nicht optimal laufen. Anfangsschwierigkeiten bei solch einem Neubeginn wären aber wenig überraschend und sind gegebenenfalls auch der noch bei weitem nicht ausreichenden Personal- decke geschuldet. Es erscheint geradezu abenteuerlich, mit wie wenig Personal etwa die Europäische Banken- aufsichtsbehörde, EBA, europaweite Bankenstresstests durchführt. Hört man seitens der Banken dann lautes Klagen darüber, dass die Zusammenarbeit extrem schwierig verlaufen sei und dass auch die Zusammenar- beit zwischen nationalen Aufsehern und der EBA nicht optimal war, dann habe ich noch die Hoffnung, dass sich all dies im Laufe der Zeit einspielen wird, wenn es auf europäischer Ebene eine adäquate Personaldecke gibt. Um die besten Aufseher zu bekommen, muss man ge- gebenenfalls aber auch seitens der finanzierenden Ban- kenverbände entsprechende Mittel zur Verfügung stel- len. Bei der ebenfalls in diesem Gesetz geänderten Rechtsstellung des Exekutivdirektoriums unserer natio- nalen Aufseher, der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, hat dies ausnahmsweise einmal geklappt. Doch war dafür auch entsprechender Druck nötig, mit dem zuvor bereitstehenden Mitteln nicht die optimale Besetzung für eine Personalie im Exekutivdirektorium finden zu können. Zu gegebener Zeit sollten wir deswe- gen einmal grundlegend über die Finanzierung und Mit- telausstattung unserer Aufsichtsbehörden nachdenken. In manchen Ländern werden Gehälter gezahlt, die auf Augenhöhe mit jenen sind, die von Finanzinstituten ge- zahlt werden. Nur so kann eigentlich gewährleistet wer- den, die besten Mitarbeiter der Finanzbranche zu be- kommen und auch einen Austausch zwischen Banken und Aufsichtsbehörden zu fördern, um genug Expertise bei den Aufsichtsbehörden anzusiedeln. Das werden wir uns alles anschauen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem optimalen europäischen Finanzaufsichtssystem mit funktionierender Zusammen- arbeit nationaler Behörden ist mit diesem Gesetz getan. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Es ist unbestritten, dass wir eine bessere Aufsicht gerade für grenzüber- 16276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) schreitend tätige Finanzinstitute brauchen. Somit ist die Einrichtung des neuen europäischen Finanzaufsichtssys- tems ein Fortschritt. Mit dem vorliegenden Gesetz wer- den die europäischen Aufsichtsbehörden besser mit den Aufsichtssystemen der EU-Mitgliedstaaten verdrahtet. Es ist dabei ein europäisches Umsetzungsgesetz ohne großen Spielraum für die nationalen Parlamente. Inso- fern wäre es falsch, jetzt einen großen Streit an der Um- setzung einer Richtlinie zu entzünden; der Beschluss hierfür ist in Brüssel gefallen. Dem vorliegenden Gesetz stimmen wir zu. Mit dem bisher Erreichten sind wir aber nicht zufrieden. Die Auf- sicht muss noch beträchtlich gestärkt werden, damit das Fi- nanzsystem wieder integer wird und Krisen möglichst un- terbunden werden. Es gibt weiterhin viel zu wenig direkte Eingriffsmöglichkeiten, um gegen Spekulation und Bla- senbildung auf den Finanzmärkten vorgehen zu können. Zusätzlich zur europäischen Aufsicht muss auch die natio- nale Aufsicht gestärkt werden. Für das Schattenfinanzsys- tem darf es keine Schattenfinanzaufsicht geben; es muss aufgelöst werden. Die neu geschaffenen europäischen Behörden sind unzureichend mit Rechten und Ressourcen ausgestattet. Der Finanzaufsicht fehlen auch Spezialabteilungen oder -behörden. Die USA haben etwa eine eigene Aufsichts- behörde für Warentermingeschäfte: die CFTC mit knapp 700 Vollzeitmitarbeitern, also dem Zehnfachen der ESMA. Die personelle Ausstattung der Behörden ist auch deswegen unzureichend, weil den Aufsichtsbehörden besondere Kompetenzen zugebilligt werden, um an Ver- ordnungen oder anderen Rechtsakten mitzuwirken und Entwürfe zu erstellen. Das Gesetz berücksichtigt nicht das damit zusammenhängende Problem der unzurei- chenden Mitwirkung des Bundestages an europäischen Rechtsakten. Es droht ein Durchregieren von europäi- schen Gremien und Behörden. Für transnationale Ban- ken ist eine europäische Aufsicht mit starken Durch- griffsrechten wünschenswert. Für regional agierende Banken – ich denke hier vor allem an unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken – sehe ich nicht gewährleis- tet, dass die EBA willens und fähig ist, nationale Eigen- heiten immer mitzudenken. Neben den Aufsichtsbehörden für Banken, Versiche- rungen und Finanzmärkte ist auch die Aufgabe des Euro- pean Systemic Risk Boards, ESRB, wichtig, nämlich die Überwachung des Finanzsystems aus gesamtwirtschaft- licher Perspektive. Die Arbeitsweise des ESRB ist je- doch intransparent, und es ist wenig darüber bekannt, wie es die Vorgänge auf den Finanz- und Kapitalmärkten einschätzt. Eine Beurteilung der Arbeit dieses Ausschus- ses ist kaum möglich. Das vorliegende Gesetz wurde zuletzt noch geändert, um die neu zu besetzende BaFin-Spitze besser bezahlen zu können, als es der Beamtentarif erlaubt. Wer aber be- hauptet, dass sich nun Aufsicht und Beaufsichtigte auf Augenhöhe begegnen, irrt sich. Die Fantasiegehälter in der Finanzbranche müssen endlich auf ein akzeptables Niveau zurückgebracht werden. Dann muss auch eine BaFin-Präsidentin nicht mehr verdienen als eine Bun- deskanzlerin. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das neue Europäische Finanzaufsichtssystem ist ein wichtiger Schritt hin zu einer echten europäischen Finanzaufsicht, die angesichts eines bereits sehr hohen Maßes an integrierten, also europaweit und über Gren- zen hinweg agierenden Finanzmärkten und -instituten auch dringend erforderlich ist. Insbesondere das Mandat der neuen Bankenaufsichts- behörde EBA, für eine einheitliche Entwicklung und Anwendung des EU-Aufsichtsrechts zu sorgen und durchzusetzen, wird hoffentlich dazu beitragen, dass künftig kurzsichtige „Race-to-the-Bottom“-Strategien in der Finanzmarktregulierung zur vermeintlichen Ent- wicklung des eigenen Finanzplatzes nicht mehr möglich sind: In Irland haben wir gesehen, wie unglaublich teuer und riskant solche Strategien letztlich sind – für Irland, aber auch alle anderen Länder in Europa und ihre Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler. Auch dass die neue Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA weitreichende Befugnisse hat, zum Beispiel bei der Aufsicht über Ratingagenturen oder um den Handel mit gefährlichen Finanzprodukten auszusetzen, etwa bei ungedeckten Leerverkäufen, ist eine gute Nachricht und ein echter Fortschritt. Insgesamt werden wir daher der Reform zustimmen. Allerdings weist die neue europäische Finanzauf- sichtsarchitektur auch viele Schwächen auf, die es gilt in nächster Zeit zu beheben: Dazu gehört, dass die EBA im Fall von ernsten Ban- kenschieflagen nicht wirklich handlungsfähig ist. Zwar darf sie im Krisenfall – den jedoch nicht sie selbst, son- dern der Rat feststellt – nationale Aufsichten und Insti- tute zu bestimmten Krisenmaßnahmen verpflichten und das Krisenmanagement koordinieren, allerdings nur, wenn hierbei nicht in die haushaltspolitische Kompetenz der Mitgliedstaaten eingegriffen wird. Im Zweifel wird damit also doch alles beim Alten bleiben: Statt einer kos- tenminimierenden Koordination des Krisenmanage- ments über Ländergrenzen hinweg wird es im Ernstfall weiter wie bisher – wie zum Beispiel im Fall Fortis zu beobachten war – ein unkoordiniertes, an nationalen Grenzen aufgehängtes und so potenziell krisenverschär- fendes und damit teurer als nötiges Eingreifen geben. Was wir hier dringend brauchen, sind Vereinbarungen über die Aufteilung von Krisenkosten, am besten gelöst über eine europäische Bankenabgabe und einen europäi- schen Bankenrettungsfonds. Ziel muss die Weiterent- wicklung der EBA zu einem echten und schlagkräftigen Krisenmanger sein. Die überfällige EU-Initiative zur Entwicklung eines Bankenabwicklungsregimes bietet hier Gelegenheit zur institutionellen und rechtlichen Fortentwicklung. Diese Gelegenheit müssen wir nutzen! Zu denken gibt auch die ressourcenmäßige Ausstat- tung der neuen EU-Aufsichtsbehörden: Wie soll es die ESMA mit einem Personalkörper von gerade einmal 60 Personen schaffen können, all ihren Aufgaben ge- recht zu werden? Allein für eine echte Aufsicht über die Ratingagenturen – und das ist nur eine kleine Teilauf- gabe der ESMA – wäre nahezu der gesamte Personalbe- stand nötig. Und die EBA soll sogar mit nur 45 Mitarbei- tern auskommen – bei einem Aufgabenkatalog, der nicht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16277 (A) (C) (D)(B) kleiner als jener der ESMA ist. Hinsichtlich der Perso- nalausstattungen muss also noch deutlich nachgelegt werden, wenn die neuen Behörden nicht schnell den zweifelhaften Ruf eines zahnlosen Tigers erhalten sollen und die nächste Krise verhindert werden soll. Eine weitere Schwäche betrifft die Zersplitterung der drei neuen Aufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA über die drei Standorte Paris, London und Frankfurt am Main. Das ist unlogisch, kurzsichtig und nationalen Eitelkeiten geschuldet: Effizienz- und Reibungsverluste sind hier bereits vorprogrammiert. Mittelfristig wird es darum gehen müssen, die drei Institutionen an einem Standort zusammenzuführen, um eine optimale Zusam- menarbeit zu ermöglichen. Zu den Schwächen des neuen EU-Finanzaufsichtssys- tems gehört ferner, dass wir mit dem European Systemic Risk Board, ESRB, zwar eine neue Einrichtung zur Ana- lyse und Beobachtung sogenannter makroprudenzieller Risiken geschaffen haben, was zweifellos eine richtige Entscheidung und eine wichtige aufsichtliche Ergänzung ist. Allerdings wirft Fragen auf, dass sich Europa derzeit in einer existenziellen Staatsschuldenkrise befindet, der ESRB allerdings noch kein einziges Mal zu diesem Sys- temrisiko erheblicher Relevanz wirklich vernehmbar Stellung bezogen hat. Das zeigt: Ein wesentlicher Teil des neuen Europäischen Finanzaufsichtssystems ist fast ein Jahr nach dem Startschuss entweder noch nicht ar- beitsfähig oder die Governance-Strukturen dieses Gre- miums verhindern eine klare Positionierung in dieser Frage. Beides wäre äußerst bedenklich und gibt Anlass zur Sorge. Insgesamt muss es nach meiner Überzeugung in der mittleren Perspektive bei dem EU-Aufsichtssystem da- rum gehen, die komplette laufende Bankenaufsicht über grenzüberschreitend aktive Institute auf EU-Ebene zu verlagern. Dafür sollten die nationalen Aufsichtsbehör- den für national und regional agierende Banken zustän- dig sein. Denn es gibt ja auch zu Recht Klagen, dass die EBA wenig geneigt sein dürfte, die Besonderheiten re- gionaler Institute in Deutschland zu beachten. Und in der Tat stellt sich ja die Frage, ob es sinnvoll ist, dass in Lon- don Regeln für eine Volksbank wie diejenige in Mann- heim-Sandhofen erlassen werden. Für eine sinnvolle Aufsichtsarchitektur in Europa ist also noch einiges zu tun. Das Gleiche gilt übrigens auch in Deutschland: Noch immer sind die großspurigen Ankün- digungen aus dem Koalitionsvertrag unerfüllt, die Finanz- aufsicht in Deutschland neu aufzustellen. Eine systemati- sche Aufarbeitung der in der Finanzkrise sichtbar gewordenen Schwächen hat bis heute nicht stattgefunden. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Zivilpersonal in Konflikten besser be- treuen (Tagesordnungspunkt 19) Michael Brand (CDU/CSU): Aus eigenen Gesprä- chen und eigener Erfahrung kann und will ich für mich persönlich und für die gesamte Unionsfraktion zu Be- ginn etwas bekunden: nämlich hohen Respekt vor dem Engagement und vor dem Beitrag vieler ziviler Akteure aus humanitären und anderen Nichtregierungsorganisa- tionen in Konfliktgebieten. Sowohl in der Prävention als auch während akuter Konflikte wie auch in Postkonfliktphasen sind zivile An- sätze von zivilen Partnern immer wieder wichtige Bei- träge zur Beruhigung, Befriedung oder Aussöhnung in schwebenden oder schwelenden Konflikten. Dabei haben die entsendenden Organisationen die große Verantwortung, bei der Auswahl der Personen wie bei der Vorbereitung und auch bei der Nachbereitung von Einsatzzeiten die umfassende Betreuung des Perso- nals zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr, wenn im Rahmen auch öffent- licher Hilfestellung die Allgemeinheit diese Einsätze mit unterstützt. Die Unionsfraktion und die Koalition insge- samt unterstützen in diesem Zusammenhang den Schwerpunkt, den die Bundesregierung auf die zivilen Komponenten der Konfliktlösung legt, sehr nachdrück- lich. Auch ist bekannt, dass diese Einsätze für das Personal neben dem erfüllenden Gefühl, aktiv bei Konfliktbewäl- tigung helfen zu können, auch Belastungen, im Einzel- fall schwere Belastungen, mit sich bringen. Hier ist das professionelle und persönliche Umfeld oftmals sehr ge- fragt, berufliche und seelische Hilfestellung zu leisten. Soweit die Antragsteller nun das Ansinnen verfolgen, aus den Berichten über solche unstreitig vorhandenen Fällen unmittelbar einen Maßnahmenkatalog mitsamt Evaluierungsauftrag und finanzieller Hilfe beim Berufs- umstieg oder Wiedereinstieg in den Beruf in Deutsch- land und weitere Maßnahmen der Bundesregierung ab- zuleiten, so kann, bei allem Respekt vor der Leistung der zivilen Helferinnen und Helfer, diesem Ansinnen des- halb nicht entsprochen werden, weil es zunächst in die Verantwortung der für Auswahl und Entsendung verant- wortlichen Organisationen wie auch die persönliche Ver- antwortung der zivilen Personen selbst gelegt werden muss, nach Eignung und Belastungsfähigkeit die Zeit nach der Rückkehr mit in Betracht zu ziehen. Die Bundesregierung hat für die Bundeswehrangehö- rigen die volle Verantwortung, wenn sie Soldatinnen und Soldaten in teils lebensgefährliche Einsätze schickt. Im Rahmen der hier gegebenen besonderen Fürsorgepflicht und der freien Heilfürsorge für Angehörige der Bundes- wehr ist die Nachsorge bis hin zur psychologischen Be- treuung logische Folge der Verpflichtung von militäri- schem Personal zur Prävention oder zur Eindämmung von Konflikten oder zur Stabilisierung in Postkonflikt- situationen. Die im zivilen Einsatz tätigen Personen bedürfen ei- ner zivilen Struktur der Verantwortlichkeit, in der diese Netze ebenfalls eingerichtet sind bzw. noch eingerichtet werden müssen. Das deutsche Sozial- und Gesundheits- system hält in seiner differenziert aufgefächerten Struk- tur sehr unterschiedliche Möglichkeiten der persönlichen und institutionellen Betreuung von Menschen mit psy- 16278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) chischen Belastungen bereit. Ebenso sind die arbeits- marktpolitischen Instrumente zur Wiedereingliederung in das Berufsleben im Bereich der Bundesagentur wie bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern bis hin zu den kirchlichen Diensten stark ausgeformt und weithin institutionalisiert und transparent zugänglich. Darüber hinaus sind die Plattformen und Netzwerke für zivile Kriseneinsätze gerade im Internetzeitalter breit zugänglich und bieten eine gute Möglichkeit zum Aus- tausch und zur weiteren, vertieften Kontaktaufnahme für Rückkehrerinnen und Rückkehrer wie für Personen vor der Reise in die Einsätze. Dieses plurale Angebot freier, privater Anbieter ist in manchen Bereichen sogar dem Angebot der internen Or- ganisation der Bundeswehr in punkto Einzelfall voraus. Kein Mensch kann grundsätzlich dem Ansinnen wi- dersprechen, dass es für Zivilpersonal in Krisengebieten eine intensive Betreuung geben muss. Dies ist sicher auch weiter auszubauen. Ob dies zwingend einer Initia- tive der Bundesregierung bedarf, ist zweifelhaft und muss als derzeit nicht geboten betrachtet werden. Die Beschlussvorlage heute ist leider nicht zustimmungsfä- hig. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt in ihrem Antrag zutreffend fest, dass es einen zunehmenden Bedarf an zivilen Fach- kräften zur Bewältigung von Konflikten im Ausland gibt. Allerdings zeichnet der Antrag schon in der Be- standsaufnahme aus zwei Gründen ein schiefes Bild. Erstens ist eine effiziente Betreuung des zivilen Per- sonals durch die Entsendeeinrichtungen wie beispiels- weise die Gesellschaft für Internationale Zusammenar- beit, GIZ, und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, ZIF, sehr wohl gewährleistet. Dies schließt auch die Betreuung von Menschen mit psycho- logischen Problemen in Einzelfällen ein. Zweitens sind nicht, wie der Antrag glauben machen will, psychische Probleme ein neues Massenproblem ziviler Experten, die in Krisenregionen ihren Dienst tun. Lassen Sie mich klarstellen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Entwicklungszusammenarbeit und hu- manitärer Organisationen sind ebenso wie Richterinnen und Richter, Polizistinnen und Polizisten sowie andere zivile Experten ein wichtiger, ja unverzichtbarer Be- standteil europäischer Sicherheitspolitik. Erst in dem engen Zusammenspiel von militärischen und zivilen Kräften können Krisen und Konflikte erfolgreich ange- gangen werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf den ressortübergreifenden Aktionsplan „Zivile Krisen- prävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ verweisen. Ziel dieses Aktionsplans ist, Krisenpräven- tion als politische Querschnittsaufgabe auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene zu verankern. Die Bedeu- tung der zivilen Krisenprävention für die Bundesregie- rung unterstreicht die Aufstockung der Mittel hierfür: Für 2012 sind circa 78 Millionen Euro vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist der Bundesregierung stets daran gelegen, qualifiziertes ziviles Personal zu interna- tionalen Friedenseinsätzen der UN, EU und OSZE zu entsenden. Derzeit sind etwa 250 deutsche zivile Exper- ten in Krisen- und Konfliktgebieten aktiv, die zum größ- ten Teil direkt aus Bundesmitteln bezahlt werden. In ihrem Antrag nennt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zutreffend das Zentrum für Internationale Frie- denseinsätze als wichtige Entsendeeinrichtung für zivile Experten. Das ZIF hat zur Aufgabe, aus sehr hohen Be- werberzahlen diejenigen, die am besten qualifiziert und geeignet sind, auszuwählen. Diese zivilen Experten wer- den dann in einem deutschlandweiten Expertenpool ge- führt, aus dem sie jederzeit für jegliche Art von Auslands- einsätzen in Krisen und Konfliktregionen in den Dienst der EU, der UN oder der OSZE überstellt werden kön- nen. Des Weiteren ist es Aufgabe des ZIF, die zivilen Ex- perten durch mehrwöchige Ausbildungs- und Vorberei- tungsseminare zu schulen. Wenn es ein Einsatz aller Wahrscheinlichkeit nach erfordert, werden die zivilen Experten vor ihrer Abreise noch zusätzlich in Kursen ge- schult, die auch psychologische Kompetenz in akuten Krisensituationen, wie beispielsweise einer Entführung, vermitteln. Auch während ihres Einsatzes in der Krisen- region steht das ZIF den zivilen Experten als Ansprech- partner für jegliche Problemstellung zur Seite. Die Be- treuung kann dabei von ganz pragmatischen, alltäglichen Fragen bis hin zur psychologischen Betreuung in persön- lichen Notlagen reichen. Auch nach ihrer Rückkehr ist das ZIF weiterhin für die zivilen Experten da und ver- sucht auch, bei der Wiedereingliederung in den deut- schen Arbeitsmarkt behilflich zu sein. Lassen Sie mich der Vollständigkeit halber noch kurz auf die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu sprechen kommen, die für entwicklungspolitische Projekte auch weltweit deutsche zivile Experten in Kon- fliktgebiete entsendet. Die GIZ lässt bei der Auswahl und Vorbereitung der zivilen Experten ebenso Sorgfalt walten wie das ZIF. Dabei kann die GIZ auf mittlerweile 50 Jahre Erfahrung zurückgreifen. Abgesehen von der wichtigen Arbeit der Entsende- einrichtungen was Schulung und Betreuung angeht, möchte ich an dieser Stelle auch auf die spezifischen Qualitäten der zivilen Experten verweisen. Zunächst ein- mal sprechen hohe Bewerberzahlen für das große Inte- resse an dieser Tätigkeit. Deutsche zivile Fachkräfte, die in Krisenregionen zum Einsatz kommen, verfügen in der Regel über eine mehrjährige Expertise in ihrem spezifi- schen Arbeitsfeld. Neben der fachlichen Qualifikation sind auch hohe Anforderungen an Sozialkompetenz und persönliche Eignung Einstellungskriterien. Deutsche zi- vile Experten zeichnen sich durch beides gleichermaßen aus. Der zivile Experte ist also nicht nur fachlich kompe- tent, sondern auch hochmotoviert, emotional gefestigt und durch die Entsendeeinrichtung so gut wie möglich auf den Einsatz vorbereitet. Dies schließt natürlich einzelne Fälle psychosozialer Probleme nicht aus. Es ist aber keinesfalls so, dass dies inzwischen ein Massenphänomen unter den zivilen Ex- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16279 (A) (C) (D)(B) perten wäre. Im Gegenteil: Im Vergleich zu Soldaten in gefährlichen Einsätzen spielen derartige Probleme bei zivilen Experten nachweislich bislang eine eher geringe Rolle. Dort, wo zivile Experten psychosoziale Probleme haben, stehen ihnen die Entsendeeinrichtungen fachkun- dig zur Seite. Der Antrag der Grünen geht somit von einer falschen Ausgangslage aus und schießt deshalb weit über das Ziel hinaus. Der Schwerpunkt der Nachbetreuung des zivilen Per- sonals muss in der Hilfestellung für den Wiedereinstieg in den deutschen Arbeitsmarkt liegen. Hierzu müssen al- lerdings nicht, wie in dem Antrag gefordert, mehr Steu- ergelder ausgegeben werden. Vielmehr kommt es darauf an, die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und den Entsendeeinrichtungen, insbesondere dem ZIF, zu fördern. Edelgard Bulmahn (SPD): Konflikte, die drohen, in gewalttätige oder kriegerische Auseinandersetzungen zu münden, können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Militärische Interventionen können im Falle von Bürgerkriegen, Völkermord oder anderen kriegeri- schen Auseinandersetzungen höchstens einen Waffen- stillstand erzwingen oder Bevölkerungsgruppen schüt- zen, um so politische Verhandlungen wieder zu ermöglichen. Zivile Krisenpräventionspolitik ist daher der entschei- dende Weg, um Konflikte zu entschärfen und sie einer politischen Lösung zuzuführen. Erfolgreiche Maßnah- men von Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung lassen sich nur mit ressortüber- greifenden zivilen Instrumenten und Maßnahmen errei- chen. Die Debatte um Peacebuilding-Missionen – sei es nun in den Vereinten Nationen, der EU, der OSZE oder anderen Organisationen – dreht sich dabei im Wesentli- chen um Fragen des politischen Mandates, des Budgets oder der Logistik. Die Frage des notwendigen und aus- reichend qualifizierten Personals für die erforderlichen Aufgaben wird meist nachrangig diskutiert. Doch dies ist falsch, denn motiviertes und besonders gut ausgebil- detes Personal ist der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Friedensmissionen. Der Personalbedarf internationaler Friedenseinsätze steigt ständig, quantitativ wie auch qualitativ. Ursache dafür ist die Zunahme von personalintensiven und in der Fläche präsenten Missionen, Damit einhergehen immer ein erhöhter Bedarf an zivilem Personal und sich ver- schärfende Probleme bei der Gewinnung dieses Perso- nals. Alleine im vergangenen Jahr waren weltweit fast 12 000 zivile Fach- und Führungskräfte in Missionen der UN, der EU oder der OSZE in den verschiedenen Kri- senregionen der Welt tätig. Dabei erstreckt sich ihr Auf- gabenspektrum von der Beratung von Politik und Ver- waltung über Grenzkontrollen bis hin zur Unterstützung und Ausbildung im Bereich von Polizei oder Justiz. Neben der Notwendigkeit einer verbesserten Perso- nalgewinnung dürfen wir aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass Auslandseinsätze, insbesondere in Kri- senregionen, oft mit besonderen physischen und psychi- schen Belastungen und Risiken verbunden sind. Was für den Einsatz von Soldaten der Bundeswehr zu einem gro- ßen Teil bereits berücksichtigt wird, findet mit Blick auf ziviles Personal noch immer zu wenig Anerkennung. Auch zivile Helfer und Fachkräfte sind bei ihrem Einsatz konfrontiert mit brutalster Gewalt, mit Verfolgung und ihren Auswirkungen auf Menschen und ihr Zusammen- leben. Sie erleben Hunger und Elend aus nächster Nähe und sind mit der Verarbeitung ihrer Erlebnisse während des Einsatzes und darüber hinaus oftmals allein gelas- sen. Wenn die zivile Krisenprävention eines der wesent- lichsten Kennzeichen deutscher Friedens- und Außen- politik sein soll, dann müssen wir auch die Menschen, die vor Ort in beeindruckender Art und Weise dafür ein- stehen, besser betreuen und unterstützen. Mit der Ein- richtung des Zentrums für Internationale Friedensein- sätze, dem ZIF, ist im Rahmen des rot-grünen Aktionsplanes „Zivile Krisenprävention, Konfliktbear- beitung und Friedenskonsolidierung“ hierfür ein wesent- licher Grundstein gelegt worden. Das ZIF hat in den ver- gangenen fast zehn Jahren seines Bestehens eine wertvolle Aufbauarbeit geleistet und genießt internatio- nal ein hohes Ansehen. Dafür auch an dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Ludwigkirchplatz hier in Berlin. Aber vor dem Hintergrund seiner finanziellen und personellen Ausstattung ist auch das ZIF nicht in der Lage, eine umfassende und längerfristige soziale und psychosoziale Betreuung der zivilen Fachkräfte vor, während und nach einem Einsatz zu übernehmen. Der fi- nanzielle Aufwuchs bei den Mitteln für das ZIF in Höhe von gut 200 000 Euro ist zwar ein richtiger, aber noch immer ein viel zu kleiner Schritt in diese Richtung. Not- wendig ist ein übergreifender und umfassender Ansatz der Bundesregierung für die Betreuung von zivilem deutschem Personal in internationalen Friedensmissio- nen. Die Diskussionen über die psychosoziale Betreuung von Soldaten der Bundeswehr wird verbessert, was rich- tig und notwendig ist. Richtig und notwendig ist aber auch die psychosoziale Betreuung des zivilen Personals. Beispielhaft für das mangelnde strategische Bewusst- sein ist die finanzielle Ausstattung des Zivilen Friedens- dienstes. Die Kürzungen im Haushalt des Bundesmi- nisteriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Jahr 20011 werden trotz der positiven Evaluierung des Projektes auch im kommenden Jahr nicht rückgängig gemacht. Da frage ich: Warum wird eine Evaluierung durchge- führt, wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, die vor- geschlagenen Schlüsse daraus zu ziehen? Gerade hier, bei der Entsendung von erfahrenen Friedensfachkräften als zentralem Element des Projektes, kommt es darauf an, Betreuung und Begleitung weiter zu intensivieren. Weitere 20 Millionen Euro wären hier notwendig und insgesamt sehr gut investiert. Deshalb bedaure ich es sehr, dass die Koalitionsfrak- tionen den Antrag der SPD auf Erhöhung des Titels um 3 Millionen Euro abgelehnt haben. Mit diesen Mitteln 16280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) hätten wir mit dieser wichtigen Aufgabe zumindest be- ginnen können. Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift dieses vernachlässigte Thema auf und beschreibt zumindest die wesentlichen Handlungsfelder. Die SPD- Bundestagsfraktion wird dem Antrag deshalb zustim- men. Joachim Spatz (FDP): Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift eine Problematik auf, die wir als Koalitionsfraktionen sehr ernst nehmen. Umso mehr enttäuscht es, dass die Grünen ihren Antrag mit aller Macht im Schnellverfahren behandelt haben woll- ten. Ein seriöses parlamentarisches Verfahren, das der Bedeutung des Themas auch gerecht wird, sieht jeden- falls anders aus. Wir hätten es im Rahmen der Ausschussberatung gerne gesehen, wenn der Antrag in den fachlich zustän- digen Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und ver- netzte Sicherheit“ zur gutachterlichen Stellungnahme überwiesen worden wäre. Ich bin überzeugt davon, dass im Rahmen einer ordentlichen Behandlung des Antrags im Laufe des Verfahrens einige Unklarheiten beseitigt worden wären und man sich gemeinsam auf sinnvolle Maßnahmen hätte verständigen können. Auf diese Art und Weise jedoch werden offensichtlich bewusst Diffe- renzen erzeugt, die in der Zielrichtung zwischen Antrag- steller und Koalitionsfraktionen gar nicht existieren. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bündnis 90/Die Grü- nen in der Sitzungswoche, in der das Einsatzversor- gungs-Verbesserungsgesetz einstimmig verabschiedet werden wird, wenigstens noch einen Hauch von Diffe- renz zur Koalition aufbauen wollen, um typische Oppo- sitionsreflexe zu bedienen. Schade für das Sachthema! Der Antrag der Grünen argumentiert schlicht unprä- zise. Beim Thema Zivilpersonal in Konfliktsituationen ist eine differenzierte Betrachtung jedoch zwingend er- forderlich. Das Einsatzversorgungs-Verbesserungsge- setz, dessen Annahme jüngst vom federführenden Verteidigungsausschuss in großer Einmütigkeit aller Fraktionen einstimmig empfohlen wurde, sichert neben der Absicherung von aus dem Auslandseinsatz in Kriegssituationen geschädigten Soldaten auch die Absi- cherung von heimkehrenden, verletzten Zivilisten, die vom Bund als ihrem Dienstherren entsandt wurden. Dies gilt für Polizisten, Richter, Staatsanwälte sowie generell alle Beamten des Bundes im Auslandseinsatz. Dieser Fakt wird von den Antragstellern schlicht ignoriert. Zu Recht ist das Einsatzversorgungs-Verbesserungs- gesetz von allen Fraktionen als wichtiges Signal an jene gewertet worden, die im Dienste der Bundesrepublik Deutschland eine beachtenswerte Tätigkeit im Ausland verrichten. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nehmen ihre Fürsorgepflicht als Gesetzgeber und Exekutive ernst. Nach dem Entwicklungshelfer-Gesetz, zum Beispiel beim Zivilen Friedensdienst, findet die Absicherung nach dem Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz keine Anwendung. Daher stellt sich die Situation bei Entwicklungshelfern anders dar. Hier hätten wir gerne mit den Antragstellern eine intensive Debatte über Lö- sungsmöglichkeiten geführt. Die bisherige Regelung hat vor allem umsetzungstechnische Gründe. In dieser Frage werden wir auch weiterhin einen engen Austausch mit der Bundesregierung suchen. Was die Versorgung von Zivilpersonal angeht, das mit anderen privatrechtlichen Arbeitgebern wie NGOs ins Ausland gehen, so obliegt es dem jeweiligen Arbeitge- ber, die Versorgung seiner Mitarbeiter auszugestalten und eine entsprechende Vorsorge im Falle einer Schädi- gung für seine Mitarbeiter zu gewährleisten. Der Bund ist hier nicht der Dienstherr und trägt dementsprechend auch keine Fürsorgepflicht. Dies kann auch vonseiten der Zivilgesellschaft nicht gewünscht werden. Wir sehen das Anliegen des vorliegenden Antrags in der Tendenz richtig. Allerdings lassen die Forderungen der Grünen jegliche Differenzierung vermissen. Der un- terschiedliche Status der jeweiligen Zivilisten macht eine solche jedoch zwingend erforderlich. Hier kann es keine pauschale Regelung geben. Darüber hinaus war aufgrund des gewählten Verfahrens eine sinnvolle parla- mentarische Behandlung der Problematik leider nicht möglich. Aus den genannten Gründen können wir dem Antrag daher nicht zustimmen. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Zivile Fachkräfte wie Entwicklungshelferinnen und -helfer, Friedensfachkräfte, Menschenrechtsschützerinnen und -schützer, aber auch Verwaltungsangehörige, Juristinnen und Juristen, Polizis- tinnen und Polizisten leisten im Ausland unschätzbar wichtige Arbeit. Sie helfen bei Katastrophen und schlich- ten Konflikte; sie versorgen Kranke und Hungernde oder helfen beim Aufbau demokratischer Institutionen. Die Linke tritt für eine Politik ein, die auf Konflikte mit friedlichen Mitteln reagiert, die Gewalt vorbeugt und Friedensprozesse fördert. Gerade dafür brauchen wir gut ausgebildete zivile Fachkräfte. Diese müssen, wenn sie verletzt oder traumatisiert werden, natürlich angemessen versorgt werden. Unsere Fraktion hat das wiederholt gefordert, auch ganz aktuell im Entschließungsantrag der Linken zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz für die Solda- tinnen und Soldaten der Bundeswehr. Die Forderungen der Grünen unterstützen wir. Denn es ist natürlich richtig, den Bedarf zu ermitteln und daraus abgeleitet Maßnahmen zur Unterstützung und Behand- lung ziviler Fachkräfte zu ergreifen. Andererseits kann ich Ihnen an dieser Stelle auch nicht ersparen, noch einmal auf die Mitverantwortung der Grünen für die Gefährdung von zivilen Helferinnen und Helfern hinzuweisen, die sich aus ihrer Zustimmung zu fast allen Militäreinsätzen der Bundeswehr ergibt. Es gibt doch eine Reihe von Konflikten, die auch durch das militärische Eingreifen der Bundeswehr ver- schärft werden, wie etwa in Afghanistan. Viele körperli- che und seelische Verletzungen, egal ob bei Angehöri- gen der Bundeswehr oder zivilen Helferinnen und Helfern könnten durch einen konsequenten Gewaltver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16281 (A) (C) (D)(B) zicht vermieden werden. Immer wieder haben Entwick- lungs- und Hilfsorganisationen darauf hingewiesen: Wo es weniger Gewalt gibt, ist auch das Risiko für zivile Helfer, verletzt oder traumatisiert zu werden, geringer. Je weniger Militär in der Nähe ist, umso sicherer können die Zivilen arbeiten. Das ist ein Ansatz, der im Rahmen der vielbeschworenen Prävention eine größere Bedeu- tung verdient hätte. Leider bekommt er die bei der über- großen Mehrheit in diesem Hause nicht. Als stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsaus- schusses will ich aber noch eine Anmerkung machen. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, jetzt für jede Be- troffenengruppe einzeln die Verbesserung der psychoso- zialen Betreuung zu fordern. Natürlich haben die zivilen Fachkräfte eine bessere Versorgung verdient. Aber was ist mit den Feuerwehrleuten, den traumatisierten Flücht- lingen, den ehemaligen Heimkindern, den Opfern von häuslicher Gewalt und von sexuellen Übergriffen, um nur einige wenige zu nennen? Sollen für alle diese Grup- pen eigene Projekte gefordert werden? Wir werden nicht darum herumkommen, insgesamt die psychosoziale Be- treuung in Deutschland zu verbessern. Das käme dann allen Menschen zugute, die seelische Verletzungen erlit- ten haben. Wenn Sie jetzt meinen, dafür fehle das nötige Geld, dann empfehle ich die sofortige Einstellung aller Aus- landseinsätze der Bundeswehr. Mit dem, was die uns derzeit kosten, könnten wir schon sehr große Fortschritte im Sinne der Betroffenen erreichen. Dafür setzt sich die Linke auch weiterhin ein. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In- ternationale Konflikte lassen sich häufig weder ohne Weiteres verhüten noch schnell und einfach lösen. Sie haben komplexe Ursachen und sind geprägt von Unge- wissheiten. Wenn wir Konflikte verhindern und nachhal- tig Frieden schaffen wollen, sind wir in großem Maße auf das Engagement ziviler Fachkräfte angewiesen. Erst durch ihre Arbeit werden die Grundlagen für eine dauer- hafte Konfliktbewältigung und einen stabilen Frieden geschaffen. Derzeit setzen sich Tausende Frauen und Männer weltweit mit zivilen Mitteln für den Frieden ein. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen bereit sind, derartige Herausforderungen unter schwierigen Bedin- gungen anzunehmen. Ohne ihr Engagement könnten wir kaum etwas zur Prävention und Lösung von Konflikten beitragen. Darum gehören den zivilen Fachkräften un- sere größte Anerkennung, unser Respekt und unser Dank! Ihr Engagement muss uns Verpflichtung sein, alles zu tun, um gute Rahmenbedingungen für die Bewältigung dieser Aufgaben zu schaffen. Natürlich gehört dazu, die notwendigen Mittel und Ressourcen für die verschiede- nen Projekte zur Verfügung zu stellen. Aber hier geht es heute um etwas anderes. Heute geht es um die zivilen Fachkräfte, um die Menschen selbst. Sie stehen nicht nur vor besonderen Herausforderun- gen, wenn es um die Umsetzung ihres Auftrages geht. Es stellen sich auch ganz persönliche Herausforderungen durch den Aufenthalt in einem anderen Land und unter Umständen durch das Leben in einer Krisen- und Kon- fliktregion. Die Rückkehr in die Heimatgesellschaft ist ein Schritt, der durchaus Probleme mit sich bringen kann. Die Reintegration in den Alltag in Deutschland und in den Arbeitsmarkt verlaufen nicht immer rei- bungslos. Unter Umständen sind die Frauen und Männer während ihres Einsatzes aber auch enorm belastenden Situationen ausgesetzt. Gewalt und menschliches Leid mitzuerleben, kann auch langfristige Auswirkungen auf die Menschen und ihre psychische Gesundheit haben – besonders, wenn zivile Kräfte selbst Ziel von Gewalt werden. Durch die Medien gegangen sind jüngst Ereig- nisse in Afghanistan. Aber auch in vielen anderen Ein- satzgebieten erleben zivile Fachkräfte immer wieder Be- drohungs- und Belastungssituationen. Es liegt in unserer Verantwortung, dass zivile Fach- kräfte – zumal wenn sie sich im Namen von Deutschland engagieren – mit diesen Herausforderungen und Erfah- rungen nicht allein gelassen werden. Im Zusammenhang mit den Einsätzen der Bundes- wehr ist inzwischen ins Bewusstsein gerückt, dass eine schlimme Folge der Einsätze auch eine Traumatisierung der Soldatinnen und Soldaten sein kann. Es hat eine Weile gedauert, bis alle diesen Zusammenhang auch ak- zeptiert haben. Aber das Parlament hat sich mit diesem Thema in den vergangenen zwei Jahren intensiv ausei- nandergesetzt und Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Prävention zu verbessern und den Betroffenen ein Netz von Betreuung und Beratung anzubieten – auch wenn in diesem Bereich noch nicht alle Probleme gelöst sind. Mit der Verabschiedung des Einsatzversorgungs- Verbesserungsgesetzes morgen werden schließlich auch Verbesserungen bei der sozialen Versorgung vorgenom- men. Bei der sozialen und psychosozialen Betreuung des Zivilpersonals hat Schwarz-Gelb aber bisher keine we- sentlichen Verbesserungen gebracht. Sie lassen die zivi- len Kräfte und auch alle Organisationen in diesem Be- reich mit der Bewältigung der Folgen eines Einsatzes allein. Wie so oft ignorieren Sie Probleme und ver- schleppen Lösungen. Wenn wir es mit dem Ziel der zivilen Konfliktpräven- tion und -lösung ernst meinen, müssen wir unser Augen- merk auf die Einsatzsituation der zivilen Kräfte richten. Wir haben eine Verantwortung für diese Menschen. Da- rum fordern wir von der Bundesregierung, sich verant- wortungsbewusst mit den Herausforderungen für die zi- vilen Fachkräfte auseinanderzusetzen und sie wo immer möglich zu unterstützen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Strategie gegen Lebensmittelverschwendung entwickeln (Tages- ordnungspunkt 22) Josef Rief (CDU/CSU): Ich glaube, wir sind uns alle einig: Lebensmittelverschwendung ist zu vermeiden. Lebensmittel sind wertzuschätzen. Sie werden mit viel 16282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Mühe, Arbeit und Energie hergestellt und gehören in Teilen der Welt zu den sehr knappen Gütern. Sie gehören nicht in den Müll. Eine sachliche Frage, über die wir nicht diskutieren müssten. Der Antrag der SPD zeigt aber wieder einmal, dass es hier nicht um die Sache geht, sondern ausschließlich um die parteipolitische Auseinandersetzung. Ihr Antrag suggeriert, dass die Bundesregierung, das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Frau Ministerin Aigner, Lebensmittelverschwendung verschweigt und das Thema als unproblematisch sieht, sodass der Bun- destag in Form eines Oppositionsantrags die Initiative übernehmen müsse. Natürlich möchten Sie nun, da die Medien das Thema aufgegriffen haben, opportunistisch ins gleiche Horn stoßen. Dies lehnen wir ab. Liest man Ihren Antrag genauer, kommen Sie auch nicht umhin, Frau Aigner zu loben und auch anzuerken- nen, dass bereits im vergangenen Jahr die Untersuchung des Problems mit einer Studie angegangen wurde. Frau Aigner hat mit ihrer Kampagne „Jedes Mahl wertvoll“ die Bürgerinnen und Bürger informiert und damit zur Sensibilisierung beigetragen. Für uns ist wesentlich, mit einer differenzierten Be- trachtung, wie es gerade eine umfangreiche Studie zum Verbraucherverhalten ermöglicht, den Handlungsbedarf abzuklären. Jetzt möchte die SPD nicht bis Anfang des kommenden Jahres auf die Ergebnisse warten und die Bundesregierung zu einem Schnellschuss drängen. Dies wirft schon ein seltsames Licht auf die Opposition und ist schon formal unsinnig. Es nützt wenig, nach neuen Gesetzen und Regelungen zu rufen, wenn wir noch nicht einmal wissen, wie groß der genaue Umfang und Anteil der unnötig weggeworfe- nen Lebensmittel sind und warum Verbraucher sich beim Einkauf so entscheiden, wie sie es tun. Betrachtet man nur die offensichtlichen Faktoren, wird schnell klar, dass der Verbraucher die große Aus- wahl schätzt und ebenso die Vielfalt und Frische der Pro- dukte zu jeder Zeit erwartet. Der Handel gewährleistet dies, um seine Kunden zufriedenzustellen, und kalkuliert Verluste durch Aussortierung, Bruch und Verfall ein. Es ist leicht gesagt, dass dann der Einzelhändler nicht mehr aussortieren oder Bruch anbieten soll. Jeder kann sich vorstellen, dass der Verbraucher bei gleichem Preis die optisch ansprechendere Ware kauft. Dieses Beispiel zeigt die Komplexität des Vorgangs. Wenn ich in meinem Wahlkreis Biberach mit Einzel- händlern spreche, wird mir immer gezeigt, dass Pro- dukte, die nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen, gesenkt sind und oftmals sogar in einem gesonderten Re- gal angeboten werden. Dies ist sicher eine der möglichen Lösungen. Fragt man dann nach dem Anteil des Verlusts, der auf verfallene oder ausgemusterte Produckte entfällt, wird dieser mit fünf bis sieben Prozent beziffert. Hier ist der Handel sicher auf dem richtigen Weg. Selbstverständlich gehört auch eine sinnvolle Balance zwischen Angebot und Nachfrage dazu. Hier sehe ich aber keine gesetzlichen Regelungen und damit mehr Bürokratie als Lösung an. Wir können hier nur an den Verbraucher appellieren. Natürlich müssen wir letztlich auch die gesamte Wert- schöpfungskette unter die Lupe nehmen. Wo kann über- all die Verschwendung von wertvollen Lebensmitteln vermieden werden? Jeder Landwirt wird schon heute den größtmöglichen Anteil seiner Ackerfrüchte vermarkten und jede andere Nutzungsmöglichkeit und Verwertung begrüßen. Alles andere ist schon aus finan- ziellen Gründen kein Thema. Denkbar wären noch Mög- lichkeiten, bei den erneuerbaren Energien nicht vermark- tungsfähige Lebensmittel besser zu verwerten. Der Handel muss noch weiter auf den Verbraucher zugehen, mit anderen Packungsgrößen und dem ver- günstigten Angebot von Obst und Gemüse, wenn mal die Optik nicht stimmt oder der Frischeeindruck beein- trächtigt ist. Dazu gehört natürlich auch, bei der Wer- bung den Wert der Lebensmittel zu betonen und nicht nur mit tadelloser Optik zu werben. Auch die Tatsache, dass Lebensmittel nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar sind und weiter verkauft werden dürfen, muss besser kommuniziert werden. Sicher sind alle Akteure gefragt, ihren Beitrag zu leis- ten. Am Ende wird der Verbraucher mit seinem Kaufver- halten abstimmen. Ich freue mich, dass Frau Bundesministerin Aigner das Problem mit einem umfassenden Konzept zur Ver- meidung von Lebensmittelabfällen angeht. Wir sollten zuerst die Ergebnisse der Studie abwarten, bevor wir im Bundestag Beschlüsse fassen und neue Ge- setze erlassen. Der richtige Weg ist eingeschlagen. Den SPD-Antrag lehnen wir daher ab. Carola Stauche (CDU/CSU): Auf Antrag der SPD- Fraktion reden wir heute über ein Thema, das keinem schmeckt: Wir suchen Strategien gegen die Lebensmit- telverschwendung. Während Millionen Menschen auf der Welt hungern, werfen wir tonnenweise genießbares Essen weg. Jeder Deutsche schmeißt pro Jahr im Schnitt Lebensmittel im Wert von weit über 300 Euro in den Abfalleimer, schätzt das Bundesverbraucherministerium. Exakte Zahlen über die Art und Menge der Lebensmittel, die verschwendet werden, lässt das Bundesverbraucherministerium in ei- ner nationalen Wegwerfstudie ausrechnen. Ergebnisse liegen Anfang 2012 vor. Ausgegangen wird von bis zu 20 Millionen Tonnen im Jahr. Wären da nicht die Tafeln, wäre es noch viel mehr. Ehrenamtliche fahren von Hamburg bis Halle Super- märkte und Bäckereien ab und laden Lebensmittel ein, um sie an Arme zu verteilen. Viele von Ihnen kennen die Tafeln und haben Einblick in deren Arbeit. Beim Besuch einer Tafel in meinem Wahlkreis vergangene Woche wurde mir versichert, nur uneingeschränkt genießbare Butter und Marmelade würden abgegeben – Gütesiegel verbieten die Lieferung verdorbener Lebensmittel. Seit Jahren arbeitet der Lebensmitteleinzelhandel mit den Ta- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16283 (A) (C) (D)(B) feln zusammen, um verzehrfähige, aber nicht mehr ver- kaufsfähige Lebensmittel nicht vernichten zu müssen. 80 bis 90 Prozent aller Lebensmittelgeschäfte arbei- ten mit Organisationen wie den Tafeln zusammen, um Lebensmittel nicht in die Tonne kippen zu müssen. Bei der Dimension, über die wir reden, reicht das nicht aus, zumal auch nur ein Bruchteil der Lebensmittelabfälle vom Handel kommt. Die größte Menge vernichtet der Endverbraucher. Egal, ob bei der nationalen Wegwerfstudie 6 oder 20 Millionen Tonnen essbarer Nahrungsmittelmüll he- rauskommen: So oder so ist es viel zu viel. Dagegen müssen wir etwas tun; da sind wir uns einig. Doch wel- che Strategie hat die besten Aussichten, den Wegwerf- wahnsinn zu stoppen? Das ist die Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen. Die SPD und uns trennen bei dem Thema keine Wel- ten. Vieles, was Sie fordern, fordern wir seit geraumer Zeit: Wir wollen die Menschen besser aufklären. Wir tre- ten für mehr Wertschätzung und verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln ein, die schon in Kindergar- ten und Schule vermittelt werden. Kinder können nicht früh genug lernen, ob Tomaten in den Kühlschrank dür- fen und wie lange das Schnitzel hält. Sie müssen wissen, woher das Hackfleisch im Hamburger kommt. Das Bun- desverbraucherschutzministerium wirbt in einer Kampa- gne für bewussteres Einkaufen und gibt auf einer Ser- vicecheckkarte Tipps, wie man vermeiden kann, dass Gurken, Brot und Joghurt im Müll landen. Im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beschäftigen wir uns mit dem Problem. Unnötig ist aber nach unserer Auffassung die Diskus- sion um Alternativen zum Mindesthaltbarkeitsdatum. Nicht der Begriff führt in die Irre, sondern die Debatte um den Begriff. Uns fehlt der Glaube, dass das Mindest- haltbarkeitsdatum missverstanden wird. Unter „Mindest- lohn“ können sich auch die meisten etwas vorstellen. Werfen wir weniger weg durch einen neuen Ausdruck zum Haltbarkeitshinweis? Ein Lebensmittelkonzern hat bei einer Umfrage ermittelt, Verbraucher wünschen sich kurze, klare Angaben. Wir sind überzeugt, ein neuer Aufdruck bekämpft die Lebensmittelverschwendung nicht. Die Kernfrage ist doch: Wie können diese Unmen- gen an Müll essbarer Lebensmittel reduziert werden? Wir können an Begriffen herumdoktern, wir können Aufklärung betreiben. Vom Verbraucher über Landwirte und Handel bis zu Verbänden und Organisationen stehen alle in der Pflicht. Am Schluss der Lebensmittelkette je- doch steht der Verbraucher. Es geht nicht darum, ihm die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben. Aber Fakt ist: Von ihm stammt der meiste Lebensmittelabfall. Letz- ten Endes kann nur er das Problem lösen. Schauen wir in den Spiegel: Kaufen wir den Apfel mit der Druckstelle? Essen wir den Joghurt, der schon ein paar Tage abgelau- fen ist? Mögen wir drei Tage altes Brot noch oder kaufen wir lieber ein frisches? Jeder hat seine Gründe, wieso er Lebensmittel weg- wirft: Die Augen waren im Supermarkt größer als der Appetit. Er muss kurzfristig verreisen. Er ist sich nicht sicher, ob er die Würstchen noch essen kann, ohne Durchfall zu bekommen. Solche Fragen werden in der nationalen Wegwerfstudie erforscht. Wenn die Ergeb- nisse auf dem Tisch liegen, können wir konkrete Schritte gegen Lebensmittelvergeudung einleiten. Sind noch mehr Rabatte auf Produkte kurz vor Ablauf des Mindest- haltbarkeitsdatums nötig? Sind die Verpackungen zu groß? Können noch mehr Wohltätigkeitsorganisationen von genießbaren Lebensmitteln profitieren? Muss das Thema Ernährung in den Schulen besser verankert wer- den? Wir wollen den Verbraucher dazu bringen, weniger Lebensmittel zu verschwenden. Das ist unser Ziel, und wir freuen uns, wenn uns die Opposition auf diesem Weg begleitet. In den Griff bekommen wir das Problem allerdings nur, wenn Verbraucher umdenken. Daran wer- den wir arbeiten. Wie Sie sehen, sind wir an einigen Stellen nah bei- einander; aber es gibt auch enorme Unterschiede, die uns dazu bewegen, Ihren Antrag abzulehnen. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): „Das Brot, das ihr verderben lasst, ist das Brot der Hungernden.“ (Basilius von Caesarea, Bischof, Kirchenlehrer und Asket). Mit über 300 verschiedenen Brotsorten in den Rega- len der heimischen Bäckereien und Läden ist Deutsch- land das reinste Brotparadies. Aber mit dieser Vielfalt geht große Verschwendung einher: Jeden Tag fällt ton- nenweise unverkauftes Brot an. Bis zum Ladenschluss wird das komplette Sortiment angeboten – um den Kun- den auch um 20 Uhr noch die volle Auswahl bieten zu können. Was übrig bleibt, wird weggeworfen. Und auch in den Haushalten verderben viele Backwaren aufgrund falscher Lagerung und schlecht geplanter Einkäufe. Nach Schätzungen landet in Deutschland jedes fünfte Brot im Müll. Aber es geht nicht nur um Brot, es geht um Obst und Gemüse, um Milchprodukte, um Fertiggerichte, Fleisch, Wurst, Fisch; von allem landen große Mengen im Müll, teilweise noch originalverpackt und frisch. Die Autoren des Buchs „Die Essensvernichter“, Valentin Thurn und Stefan Kreutzberger, haben erschre- ckende Statistiken zusammengetragen: Rund ein Drittel der weltweit für den Verzehr gedachten Lebensmittel lande Schätzungen zufolge im Abfall. Ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs werde für den Anbau von Lebensmitteln verwendet, die später auf den Müll ge- worfen würden. 500 000 Tonnen Brot würden jedes Jahr in Deutschland weggeworfen. Statistisch gesehen gäbe es mehr als genug Nahrung für alle Bewohner der Erde; aber weil so viel weggeschmissen oder für Tierfutter, Biosprit oder zur Stromerzeugung genutzt wird, müssen immer mehr Menschen hungern. Ein „Umdenken bei den Verbrauchern, aber auch beim Handel“ hat Ministerin Aigner bereits Ende letzten Jahres zum Beispiel in der HNA, Hessisch/Niedersächsi- sche Allgemeine vom 21. Dezember 2010 gefordert. „Lebensmittel müssten in Deutschland wieder einen hö- 16284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) heren Stellenwert und mehr Wertschätzung erhalten“, wird sie dort zitiert. Das sind sehr schöne und richtige Worte. Aber es wurde nichts getan! Leider haben wir letzte Woche im Ausschuss dem Bericht der Bundesregierung zum Thema Lebensmittelverschwendung entnehmen müssen, dass es hierzu aus dem Verbraucherministerium nichts wirklich Neues gibt. Zwar wurde von Ministerin Aigner bereits Ende 2010 eine Studie angekündigt, die erstmals konkretes und belastbares Zahlenmaterial über Art und Menge der in Deutschland jährlich weggeworfenen Le- bensmittel liefern soll. Das haben wir als wichtigen und richtigen Schritt auch sehr begrüßt. Doch ist es aus unse- rer Sicht schwer nachvollziehbar, dass nun, fast ein Jahr später, immer noch keine Ergebnisse vorliegen. Wir wüssten gern, welche Gründe das hat. Die Ergebnisse sollen nun erst Anfang 2012 vorlie- gen. Bis dahin wird die Bundesregierung ihre Untätig- keit wohl mit der noch nicht abgeschlossenen Untersu- chung begründen. Wir wollen tätig werden, wir wollen das Problem endlich angehen! Sehr gern machen wir das auch mit Ihnen gemeinsam, werte Kolleginnen und Kol- legen von den Regierungsfraktionen, sehr gern auch mit allen im Bundestag vertretenen Fraktionen; denn wir sind uns doch wahrscheinlich in der Zielsetzung hier alle einig. Das wäre – angesichts der großen Bedeutung die- ses Themas – ein schönes Signal. Wir wollen das nicht mehr auf die lange Bank schieben; deshalb haben wir hier heute unsere Vorschläge vorgelegt. Wir werden diese gern im Ausschuss mit allen diskutieren; aber am Ende müssen endlich Taten statt Worte stehen. Und dies muss schnell passieren. Wir fordern eine umfassende Strategie gegen Lebens- mittelverschwendung. Es geht nicht nur um die Verbrau- cher: Vom Acker bis zum Teller sind alle an der großen Wegwerforgie beteiligt. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Herstellern, Händlern und Verbrauchern den Gründen nachgehen, warum auf jeder Stufe der Wert- schöpfungskette bis hin zum Privathaushalt genießbare Lebensmittel in großen Mengen weggeworfen werden. Wir fordern eine Untersuchung der Verständlichkeit und der Auswirkungen des Mindesthaltbarkeitsdatums für Verbraucher, Händler und Tafeln. Dabei muss die Ver- braucherforschung einbezogen werden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nur ein Mosaikstein unter vielen. Wir fordern einen runden Tisch gegen Le- bensmittelverschwendung, denn die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich. Bei der Suche nach Lösungen soll- ten alle Beteiligten einbezogen werden. Wir legen hier heute unsere Vorschläge vor. Bitte unterstützen Sie unse- ren Antrag, damit das Problem endlich tatkräftig ange- gangen werden kann. Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich bin froh da- rüber, dass ich in der letzten Woche meinen Vorschlag zum Mindesthaltbarkeitsdatum gemacht habe, einen Vorschlag darüber, den Begriff zu ändern bzw. sich Ge- danken über die Ausgestaltung zu machen. Das bishe- rige Verfahren signalisiert falsche Vorstellungen. An der Diskussion, die daraufhin entfacht ist, sehen wir, wie emotional geladen und verbrauchernah dieses Thema ist, auch zu erkennen an der medialen Berichterstattung. Ich bevorzuge aber eine sachliche und fachliche Debatte. Unstrittig ist natürlich, dass es in jedem Fall ein Da- tum geben muss. Meine Idee, in Anlehnung an das engli- sche „best before …“, Lebensmittel mit „voller Genuss bis …“ und „essbar bis zum Tag Y …“ zu kennzeichnen, zusätzlich mit einer farblichen Hinterlegung, verteidige ich auch heute. Sicherlich, es ist noch ausgestaltungsfä- hig und keine endgültige Lösung, aber ein Anfang, sich mit der Problematik der Lebensmittelverschwendung zu befassen. Wir alle kommen Tag für Tag mit Lebensmitteln in Berührung und stehen nicht allzu selten vor der Frage: Kann ich den Joghurt noch essen, auch wenn er schon ein paar Tage über dem Mindesthaltbarkeitsdatum ist? Aber sicherlich kann man den Joghurt noch essen. Wir müssen nur unsere Sinne einschalten und riechen, schmecken und schauen, und schon weiß ich, was noch essbar ist und was nicht. So viel zur Theorie. Nur leider sieht die Praxis anders aus. Viele Konsumenten sind sich unsicher, auch was ihr eigenes Urteilsvermögen betrifft, gehen dann auf Nummer sicher und werfen das Lebens- mittel weg. Seinen Kindern will man ja auch nichts Ab- gelaufenes mitgeben. Natürlich kann die Debatte um die Begrifflichkeit des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht allein die Lebensmit- telverschwendung und die damit einhergehende Proble- matik in der Welt entschärfen. Viel zu viele Menschen in der Welt leiden Hunger. Wir haben einen enormen Was- ser-, Rohstoff- und landwirtschaftlichen Flächenver- brauch. Leider ist der Luxus, den wir leben, ständig und bis zum Ladenschluss alles verfügbar zu haben, nicht gang und gäbe in der Welt. Vor allem in den ärmeren Re- gionen sind Lebensmittel knappe Güter und dringend notwendig, um Nahrungssicherheit zu gewährleisten. In diesem globalen Kreislauf können wir Positives beitragen. Fangen wir bei uns selbst an, in unseren Haus- halten. Lernen wir, Lebensmittel wieder mehr wertzu- schätzen. Werden wir zu strategisch klugen Einkaufspro- fis. Und entwickeln wir die Kompetenz und das Bewusstsein, mit Lebensmitteln verantwortungsvoll um- zugehen. Damit wir kluge und verantwortungsvolle Konsumenten werden und unser Selbstvertrauen gestärkt wird, sind Aufklärung und Bildung das A und O. Aktio- nen, die den Wert der Lebensmittel darstellen, und Kam- pagnen, die die Bedeutung der Haltbarkeit erklären, kön- nen und müssen hier unterstützend wirken. Klug ist es jedoch ebenfalls, sich erst die Ergebnisse des Gutachtens zur Lebensmittelverschwendung, wel- ches auch auf mein Drängen vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben wurde, abzuwarten und zu analysieren. Diese wichtigen Ergebnisse lassen leider auf sich war- ten. Denn mit ihnen hätten wir handfeste Wege- und Mengenbilanzen der weggeworfenen Lebensmittel und könnten konsequent jeden Verschwendungsweg in der Lebensmittelkette abarbeiten und effiziente Lösungs- möglichkeiten finden, sei es die Überlegung, die noch bestehenden Handelsnormen für beispielsweise Äpfel zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16285 (A) (C) (D)(B) überdenken. Wir haben schon diverse Vermarktungsnor- men außer Kraft gesetzt, die etwa festgelegt hatten, dass Gurken nicht krumm sein dürfen. Oder Anpassungen der Verpackungsgrößen an sich verändernde soziodemogra- fische Strukturen, vermehrt Singlehaushalte. Das geht bis hin zum Recycling von nicht mehr zu verwendbaren Lebensmitteln in Biogasanlagen. Sie sehen, die Möglichkeiten der Akteure sind vielsei- tig. Vom Hersteller zum Handel bis hin zum Verbraucher sind alle gefragt und sollten sich angesprochen fühlen. Wenn wir eine gesamtgesellschaftliche Veränderung er- reichen, unseren generellen Zugang zu Lebensmitteln und die entsprechende Wertschätzung von Nahrung überdenken, sind wir unserem Ziel schon ein großes Stück nähergekommen. Wir werden uns weiterhin intensiv mit den Ursachen der Lebensmittelverschwendung und nachhaltigen Lö- sungsmöglichkeiten befassen. Wir haben nur eine Welt mit endlichen Ressourcen. Diese gilt es, effizient zu nut- zen und sie nicht achtlos auf den Müll zu werfen. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Heute geht es um einen Antrag für eine „Strategie gegen Lebensmittel- verschwendung“ von der SPD. Zu bemerken ist hier, dass sich die Bundesregierung schon seit Monaten mit der Ausarbeitung einer solchen Strategie herumplagt. Zwei Mal habe ich Sie innerhalb des letzten Jahres mit- tels meines parlamentarischen Fragerechts danach ge- fragt. Antwort: Sie arbeiten daran. So langsam würden auch wir von der Linken gerne einmal einen Vorschlag von der Regierung sehen. Die SPD verleiht diesem Wunsch der gesamten Opposition nun mit einem Antrag zusätzlich Nachdruck. Sehen Sie, Wien ist nicht weit. Dort gibt es die Uni- versität für Bodenkultur; in der lehren und forschen Abfallwissenschaftler und Abfallwissenschaftlerinnen. Eine von ihnen, Felicitas Schneider, hat in einer Studie wissenschaftlich aufgezeigt, wie es zu Lebensmittelab- fällen kommt und wie sie vermieden werden können. Auf Grundlage dieser Studie hat dann die österreichische Regierung ein Konzept zur Vermeidung von Lebensmit- telabfällen entwickelt. Bei der Mülltrennung war Deutschland einmal Vorrei- ter. Bei Lebensmittelabfällen sind wir völlig rückständig. Warum kommt es zu großen Mengen an Lebensmit- telabfällen? Einige wichtige Gründe hierfür sind, dass Lebensmittelabfälle durch Mängel in der Infrastruktur, bei Lagerung und Transport entstehen, dass Lebensmit- telabfälle durch die – vermeintlichen – Ansprüche der Kunden an die Ware entstehen – Lebensmittel werden bereits von den Händlern vernichtet, wenn ihre optische Erscheinung geringfügig beeinträchtigt ist –, dass des- wegen mancher Landwirt seine Produkte gar nicht mehr vom Acker nimmt. Schließlich kommt es zu Lebensmittelabfällen, weil rund um die Uhr ein Vollsortiment präsentiert werden muss. Oft also werden Lebensmittel als Abfall vernich- tet, die gesundheitlich und geschmacklich noch völlig unbedenklich sind. Abfallvernichtung ist oft auch noch billiger als Abfallvermeidung. Weltweit wird über die Hälfte aller Lebensmittel ver- nichtet. Was dies, zu Ende gedacht, für die Welternäh- rung bedeutet, sollte uns allen klar sein. Da wird es plötzlich sehr absurd, wenn wir aktuell bei der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, von zum Beispiel CDU, CSU, FDP oder dem Bauernverband hören, dass es im Interesse der Welternährung keine 7 Prozent öko- logische Vorrangflächen in der Landwirtschaft Europas geben darf. Meine Damen und Herren von Schwarz- Gelb, wenn weltweit über die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen werden, besteht das Problem bestimmt nicht in 7 Prozent ökologische Vorrangflächen in Europa. Lebensmittelabfälle wird es immer geben. Es ist aber die Frage, wie viele und was mit ihnen geschehen soll. Von der Kompostierung bis zur Energieerzeugung ist hier vieles möglich; vieles wird hier auch schon prakti- ziert. Das ist sinnvoll. Noch sinnvoller ist allerdings die Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Schließlich wer- den Lebensmittel vernichtet, die zuvor unter dem Ein- satz von Ressourcen – Wasser, Dünger, Treibstoff, Ar- beitskraft – produziert worden sind. Diese Ressourcen hätte man besser nutzen können. Hier geht es um Ethik, soziale Gerechtigkeit und ökologisch nachhaltige Pro- duktion, ja um volkswirtschaftliche Vernunft. Doch mit jeder vernichteten Semmel steigt das Brut- toinlandsprodukt. Solange also die Bundesregierung in geradezu religiöser Inbrunst einem Wachstumsbegriff anhängt, der Wirtschaftswachstum auch aus dem Ver- nichten von Lebensmitteln ableitet, so lange kann ich die Bundesregierung nicht ernst nehmen, wenn sie von Nachhaltigkeit redet. Der Fehler liegt im System, darin, dass mit jedem produzierten Lebensmittel Profite erwirt- schaftet werden sollen. Wir sind daher gespannt auf die Strategie der Bundesregierung, wenn sie denn irgend- wann einmal fertig sein wird. Wir sind überzeugt, dass durch strukturelle Veränderungen viel erreicht werden kann. Wir sind auch überzeugt davon, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht möglich ist wenn man sich ignorant zum Dogma des grenzenlosen Wirtschaftswachstums bekennt. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht zuletzt der Film Taste the Waste hat in den letzten Wochen und Monaten zu einer breiten Debatte über die immense Verschwendung von Lebensmitteln in Deutschland und weltweit geführt. Nach Schätzungen der Welthungerhilfe landen bei uns Jahr für Jahr über 20 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von unge- fähr 25 Milliarden Euro auf dem Müll. Mit eingerechnet sind dabei noch nicht einmal die Ausschüsse, die bereits auf dem Feld anfallen – etwa weil die Kartoffeln oder Gurken nicht den zum Teil völlig unsinnigen Schön- heitsidealen des Handels und vieler Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen. Deshalb ist es gut und richtig, diese Debatte jetzt breit in der Gesellschaft zu führen. Auch die von Bundes- ministerin Aigner lange angekündigte Studie ist an sich 16286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) zu begrüßen; denn exakte Daten zum Ausmaß der Le- bensmittelabfälle auf den unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette liegen für Deutschland noch nicht vor. Hier hat es Frau Aigner mal wieder verschlafen, sich rechtzeitig um diese so entscheidende Problematik zu kümmern. Andere Länder wie Österreich oder Großbri- tannien sind uns bereits weit voraus. Daten wurden dort schon lange erhoben, und es wurden konkrete Lösungs- ansätze zur Eindämmung der Verschwendung in Angriff genommen. Davon ist Ministerin Aigner noch weit ent- fernt. Darüber, wie und mit welchen Maßnahmen die Le- bensmittelabfälle verhindert oder zumindest verringert werden sollen, hüllt sich Frau Aigner in Schweigen und kann selbst auf Nachfrage keine Antwort geben. Konkrete Schritte sind aber bereits heute notwendig. Die einzig bisher sichtbare Leistung Frau Aigners ist das Einrichten des Internetseite „Jedes Mahl wertvoll“, auf der man „wertvolle Haushaltstipps“ bekommt. Das ist ganz schön schwach und legt überdies den Verdacht nahe, dass Frau Aigner die Verantwortung mal wieder gänzlich den Verbrauchern zuschieben und sich aus ihrer politischen Verantwortung stehlen will. Gezielte Ver- braucheraufklärung ist wichtig und auch im Bereich der Lebensmittelverschwendung unabdingbar, aber hier macht es sich Frau Aigner zu einfach. Auch die Politik von Schwarz-Gelb ist in erheblichem Ausmaß Mitschuld an unserem Umgang mit Lebensmit- teln. Vor allem bei der Fleischproduktion, aber auch in anderen Bereichen, setzt die Bundesregierung noch im- mer auf Masse statt Klasse und auf billige Massenpro- duktion. Die Überproduktion von Lebensmitteln hat System und das Wegwerfen von Lebensmitteln ist einge- plant. Davon müssen wir weg. Frau Aigners Appell für eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln verpufft, wenn sie nicht selbst politische Konsequenzen zieht. Was wir brauchen ist eine stärkere Förderung der nach- haltigen Lebensmittelerzeugung, eine Stärkung regiona- ler Wirtschaftskreisläufe und des Biolandbaus. Dazu gehört auch eine ehrliche Preisstruktur. Die hoch subventionierte industrialisierte Lebensmittel- erzeugung hat massive negative Auswirkungen auf un- sere Umwelt und die Gesundheit von Menschen und Tie- ren. Viele Produkte werden eher weggeworfen, weil sich aussortieren oder eine Prozessoptimierung bei den gerin- gen Preisen nicht lohnt. Deshalb brauchen wir Preise, die die Wahrheit sagen. Die negativen Auswirkungen müs- sen sich im Preis widerspiegeln und so einen Anreiz bie- ten für den Kauf nachhaltiger Produkte und die Vermei- dung von Verschwendung. Dadurch wird auch die Wertschätzung von Lebensmitteln wieder gestärkt. Auch im Bereich der Handels- und Qualitätsnormen ist Frau Aigner gefragt. Viele Produkte, die rein äußer- lich nicht den Idealvorstellungen von Handel oder Ver- brauchern entsprechen, werden weggeworfen. Dabei sind sie qualitativ einwandfrei und für alternative Ver- marktungszwecke – wie zum Beispiel zu kleine Karotten oder Äpfel als Kindersnacks – ideal geeignet. Hier for- dere ich Frau Aigner auf, einen Innovationswettbewerb auszurufen, um die unnötigen Abfälle bei der Lebens- mittelerzeugung kreativ zu verringern. Das zeigt, die Debatte darf sich nicht nur auf das Min- desthaltbarkeitsdatum beschränken. Hier gibt es erhebli- chen Aufklärungsbedarf darüber, was der Begriff meint, aber auch darüber, wie lange die Produkte tatsächlich haltbar und verwendbar sind. Die Verbraucherforschung und Aufklärung muss deutlich gestärkt werden. Gute Er- nährungsbildung fängt bereits in der Schulzeit an und muss in die Lehrpläne integriert werden. NRW geht un- ter grüner Regierungsbeteiligung mit gutem Beispiel vo- ran. So hat NRW bereits einen Runden Tisch einberufen, um gemeinsam mit Lebensmittelerzeugern, Verarbei- tung, Handel, Wissenschaft und Verbrauchern Maßnah- men zur Verhinderung der Lebensmittelverschwendung zu entwickeln. Daran muss sich die Bundesregierung ein Beispiel nehmen. Nur Daten zu ermitteln ist nicht genug. Um die immense Verschwendung von Lebensmitteln auf allen Stufen der Wertschöpfungskette in den Griff zu be- kommen, brauchen wir ein integratives Konzept. Das muss Frau Aigner vorlegen – und zwar schnellstmög- lich. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungs- richtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG) (Ta- gesordnungspunkt 23) Olav Gutting (CDU/CSU): Im Umsetzungsgesetz zur Beitreibungsrichtlinie transformieren wir nicht nur die EU-Richtlinie über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Ab- gaben und sonstige Maßnahmen in unser nationales Recht, sondern setzen auch gleichzeitig notwendigen und unaufschiebbaren steuerlichen Änderungsbedarf in einigen Bereichen des Steuerrechts um. Der erste Halbsatz im Namen dieses Gesetzes mag täuschen, aber wir setzen mit diesem Gesetz im steuerli- chen Bereich nicht nur technische Änderungen, sondern auch bedeutsame steuervereinfachende und deshalb für jeden Bürger spürbare Regelungen um. Ein Beispiel hierfür ist ELStAM. Mit der Einführung der elektronischen Lohnsteuermerkmale können die jähr- lich circa 40 Millionen Papierlohnsteuerkarten endgültig entfallen. Bereits seit diesem Jahr stellen die Gemeinden keine Lohnsteuerkarten mehr aus, sodass die letzten, der- zeit noch gültigen, Papierlohnsteuerkarten aus dem Jahr 2010 stammen. Eins ist klar: Der Wegfall der Lohnsteuerkarte und die elektronische Übermittlung der Lohnsteuerabzugsmerk- male und deren Änderungen zwischen Finanzverwaltung und Arbeitgebern führen zu einer deutlichen Bürokratie- entlastung aller Beteiligten. Medienbrüche durch die Übertragung elektronisch gespeicherter Daten auf die Papierlohnsteuerkarte und die damit verbundene Fehler- quelle gehören damit der Vergangenheit an. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16287 (A) (C) (D)(B) Der von uns eingeschlagene Weg zur Vereinfachung und Entbürokratisierung unseres Steuerrechts wird mit den ELStAM-Regelungen konsequent fortgesetzt. Auch die Erhebung der Kirchensteuer auf die der Ab- geltungsteuer unterliegenden Kapitalerträge wird enorm vereinfacht und automatisiert. Den besonderen datenschutzrechtlichen Gegebenhei- ten hinsichtlich der Religionszugehörigkeit haben wir im Gesetzgebungsverfahren besondere Aufmerksamkeit zu- kommen lassen. Auch wenn die Kreditinstitute zukünf- tig einmal im Jahr elektronisch beim Bundeszentralamt für Steuern den Kirchensteuersatz des Steuerpflichtigen abfragen können, so muss kein Steuerbürger befürchten, seine Religionszugehörigkeit gegenüber den Banken und Versicherungen offenlegen zu müssen. Wir haben sichergestellt, dass jeder Bürger den Abruf der Daten zur Religionszugehörigkeit durch einen Sperr- vermerk beim Bundeszentralamt für Steuern widerspre- chen kann. Die Institute bekommen dann nur eine nicht verwertbare Nullmeldung. Man kann also festhalten, dass mit dem nunmehr ge- fundenen Verfahren alle Beteiligten zufrieden sind: die kirchensteuerabführenden Banken und Versicherungen, die Kirchen und nicht zuletzt der Datenschutzbeauf- tragte. Nachbesserungen waren auch bei der Riester-Rente notwendig. Zukünftig wird es Rückerstattungsansprüche der Zulagenstelle gegenüber dem mittelbar zulagebe- rechtigten Ehegatten – wie in der jüngsten Vergangen- heit aufgrund eines Wechsels des Zulagestatus gesche- hen – nicht geben, da wir für diesen einen eigenen Mindestbeitrag in Höhe von 60 Euro jährlich festschrei- ben. Wir wollten jedoch auch für die bisherigen Rückfor- derungsfälle eine sachgerechte und vor allem aber einfa- che Lösung. Wir haben daher die Möglichkeit der Nach- zahlung von Altersvorsorgebeiträgen geschaffen. Die Zulagenstelle soll insoweit möglichst bis zum 31. Januar 2012 die Nachzahlungsfälle ermitteln und diese den je- weiligen Anbietern der Altersvorsorgeverträge übermit- teln, damit diese ihre Kunden über die Nachzahlungs- möglichkeit informieren können. Die Beratungen haben gezeigt, dass ein solches Ver- fahren unnötigen administrativen Aufwand vermeidet und im Sinne aller Verfahrensbeteiligten zu einer einfa- chen Abwicklung der Nachzahlung führt. Wiederum ein Beitrag, unser schon komplexes und schwieriges Steuer- system nicht noch weiter zu verkomplizieren. Nachzahlungsberechtigt ist nur derjenige Personen- kreis, welcher annahm, mittelbar zulagenberechtigt zu sein, obwohl diese Personen unmittelbar zulagenberech- tigt waren. Mit dem vorliegenden Gesetz hat die Regierungsko- alition zudem die Möglichkeit genutzt, sich zur Absetz- barkeit von Ausbildungskosten zu positionieren und die bisherige, vom Gesetzgeber gewollte Rechtslage im An- schluss an eine BFH-Rechtsprechung klarzustellen. Wir wollen weiterhin, dass Berufsausbildungskosten für eine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt, vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind. Bei dieser Entscheidung haben wir uns vor allem von einem zu vermeidenden erheblichen administrativen Verwaltungsaufwand und den nicht zu verantwortenden Steuerausfällen von über 1 Milliarde Euro leiten lassen. Von Bedeutung ist aber auch, dass die vielen Tausend Studierenden, die ihr Studium durch Nebentätigkeiten selbst finanzieren müssen, von der BFH-Rechtsprechung regelmäßig sowieso nicht profitiert hätten, weil deren Ausbildungskosten jährlich mit den Einnahmen aus den Nebentätigkeiten verrechnet werden, ohne dass sich ein besonderer steuerlicher Vorteil ergibt. Festzuhalten ist, dass das vorliegende Gesetz in we- sentlichen Punkten Erleichterungen und Vereinfachun- gen für die Steuerbürger und Verwaltung bringt und al- leine deshalb zu begrüßen ist. Abschließend bedanke ich mich bei den Berichterstat- tern in der Koalition und auch Opposition für die um- fangreiche, aber letztendlich immer gute, faire und ziel- orientierte Zusammenarbeit. Antje Tillmann (CDU/CSU): Das „Gesetz zur Um- setzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ ist nach dem Steuervereinfa- chungsgesetz das zweite große Steuergesetz in diesem Jahr, mit dem wir das Steuerrecht sowohl für die Steuer- pflichtigen als auch für die Verwaltung vereinfachen. Insbesondere kommt das digitale Zeitalter sukzessive in allen Teilen des Steuerrechts an. Auch das Abstim- mungsverhalten der Oppositionsfraktionen im Finanz- ausschuss zeigt, dass es an diesem Gesetzentwurf nicht viel zu kritisieren gibt. Denn in diesem federführenden Ausschuss hat sich die Opposition gestern enthalten. A. Kindergeld Bundesfreiwilligendienst Zum 1. Juli hat der Bundesfreiwilligendienst den als Alternative zum bisherigen Wehrdienst bestehenden Zi- vildienst abgelöst. Bisher steht allerdings noch keine Re- gelung im Bundesgesetzblatt, die die Frage des Kinder- geldbezugs aufgreift. Wir werden nun eine Regelung in Kraft setzen, mit der das Problem der fehlenden Kinder- geldberechtigung von jungen Menschen bis 25 Jahre, die den neuen Dienst ableisten, beseitigt wird. Damit wird der Bundesfreiwilligendienst künftig gleichberechtigt neben dem Freiwilligen Sozialen Jahr und dem Freiwilli- gen Ökologischen Jahr sowie den Internationalen Ju- gendfreiwilligendiensten, für die wir die Kindergeldbe- rechtigung rückwirkend zum 1. Januar einführen, stehen. Bei der Frage des Zugangs zum Familienleistungsaus- gleich kommt es nun also nicht mehr darauf an, welchen Freiwilligendienst der oder die Jugendliche ableistet. Selbstverständlich hätte ich mir eine sehr viel schnel- lere Lösung an diesem Punkt gewünscht, um so für alle seit Jahresmitte angetretenen Freiwilligen unmittelbar von Beginn an Rechtssicherheit zu gewährleisten. Eine Regelung bereits im Steuervereinfachungsgesetz war im damaligen Verfahren nicht möglich. Aufgrund des erst 16288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) vor einem Monat abgeschlossenen Vermittlungsverfah- rens stünde die Regelung zum Kindergeld aber ohnehin noch gar nicht im Gesetzblatt. Das Steuervereinfa- chungsgesetz ist bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verkündet worden. Die Regelung zum Kindergeldbezug beim Bundes- freiwilligendienst wird nun aber rückwirkend zum Be- ginn des Bundesfreiwilligendienstes in Kraft treten. Da- mit können wir sicherstellen, dass alle in Betracht kommenden Anspruchsberechtigten, die bereits seit Juli im Bundesfreiwilligendienst tätig sind, auch tatsächlich in den Familienleistungsausgleich einbezogen werden. Die seit Juli bestehende Regelungslücke beim Kin- dergeld konnte das Bundesfinanzministerium durch eine Verwaltungsanweisung an die Familienkassen ausfüllen und damit zumindest Planungssicherheit schaffen. Die Familienkassen haben Kindergeldanträge von Freiwilli- gendienstleistenden seitdem von der Bearbeitung zurückgestellt und werden diese erst dann wieder auf- nehmen, wenn die rückwirkende Neuregelung im Bun- desgesetzblatt steht. Damit haben wir verhindert, dass Kindergeldanträge nur deshalb abgelehnt werden müs- sen, weil noch keine Rechtsgrundlage für die Zahlung des Kindergelds existiert. Sobald die Neuregelung in Kraft tritt, können die aufgelaufenen Anträge bearbeitet und das Kindergeld an die Anspruchsberechtigten ausge- zahlt werden. Damit wird sich auch die oft in Zweifel gezogene Anzahl von Bewerbern für den Bundesfreiwil- ligendienst weiter erhöhen, was nur zu begrüßen ist. B. Kirchensteuer Wir vereinfachen das Verfahren des Kirchensteuerab- zugs bei Kapitalerträgen, indem wir ab dem Jahr 2013 ein automatisiertes Kirchensteuerabzugsverfahren ein- führen. Wir entschlacken das Verfahren von Bürokratie. Hierdurch verbessert sich die Situation für alle Beteilig- ten enorm. Es geht darum, Banken, Kirchen und Steuer- pflichtige von einem äußerst bürokratischen Übergangs- verfahren nach Einführung der Abgeltungsteuer zu befreien, das gleichzeitig den Erfordernissen des Daten- schutzes Rechnung trägt. Das Kreditinstitut fragt künftig beim Bundeszentral- amt für Steuern den Kirchensteuersatz des Steuerpflich- tigen ab und führt die Kirchensteuer zusammen mit der Abgeltungsteuer an das Finanzamt ab. Die Kirchen er- halten die Kirchensteuer schneller und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von einer größeren Anzahl an Kir- chensteuerpflichtigen. Denn der Steuerpflichtige muss nicht mehr selbst aktiv werden und einen Antrag bei sei- ner Bank stellen oder später seine Kapitalerträge in der Steuererklärung angeben, um Kirchensteuer zahlen zu dürfen. Kirchensteuer wird vielmehr grundsätzlich auto- matisch abgeführt. Dazu fragt die Bank den jeweils für den Kunden maßgebenden Kirchensteuersatz beim Bun- deszentralamt für Steuern ab. Es werden also grundsätz- lich auch diejenigen erfasst, die heute bei ihrer Bank kei- nen Kirchensteuereinbehalt beantragen und auch keinen Antrag auf Veranlagung stellen; eine große Verbesserung zum heutigen Zustand. Hier beginnen aber auch die Vorteile für den Steuer- pflichtigen. Er muss nicht mehr aktiv den Kirchensteuer- abzug bei seiner Bank beantragen. Möchte der Kirchen- steuerpflichtige allerdings verhindern, dass seine Bank über die Höhe der abzuführenden Kirchensteuer auf seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsge- meinschaft schließen kann, hat er die Möglichkeit, beim Bundeszentralamt für Steuern einen Sperrvermerk set- zen zu lassen. Dann führt nicht die Bank die Kirchen- steuer ab. Vielmehr ist der Steuerpflichtige verpflichtet, sich über die Höhe der abgeltend abgeführten Kapitaler- tragsteuer zur Kirchensteuer veranlagen zu lassen. Es bleibt ihm selbstverständlich unbenommen, sich über die Günstigerprüfung einkunftsartenübergreifend zur Kir- chensteuer veranlagen zu lassen. C. Istbesteuerung Der Bundesrat hatte zudem beantragt, die umsatzsteu- erliche Istbesteuerung für kleine und mittlere Unterneh- men bis zu 500 000 Euro Umsatz um ein Jahr über 2011 hinaus zu verlängern. Diese Erleichterung war mittel- ständischen Unternehmen als Folge der weltweiten Fi- nanz- und Wirtschaftskrise bundesweit gewährt worden und leistet einen signifikanten Beitrag zur Liquiditätssi- cherung. Mit der Istbesteuerung haben Unternehmen die Möglichkeit, die Umsatzsteuer erst nach Begleichung der Rechnung durch den Leistungsempfänger ans Fi- nanzamt abzuführen. Würde die jetzige Regelung zum Ende des Jahres auslaufen, fiele die Grenze bundesweit von 500 000 Euro auf 250 000 Euro zurück. Bei der dann geltenden Sollbesteuerung erhält das Fi- nanzamt die Steuer bereits bei Leistungserbringung. Der Unternehmer muss also in Vorleistung treten und riskiert dabei seine gerade bei kleinen Unternehmen oft lebens- wichtige Liquidität. Ein kleines Unternehmen, das zu- nächst Material und Umsatzsteuer vorfinanzieren muss, und dies möglicherweise auf Kredit, wird sich sehr ge- nau überlegen, ob es sich „leisten“ kann, einen Großauf- trag anzunehmen. Dem Anliegen des Bundesrats sind wir noch schneller und weitergehend nachgekommen, als dieser es bean- tragt hat. Der Bundestag hat der dauerhaften Entfristung der Regelung zur Istbesteuerung in der vergangenen Wo- che einstimmig zugestimmt. Die Möglichkeit der Istbe- steuerung hätte ohne diesen Beschluss ab 2012 vielen mittelständischen Unternehmen nicht mehr zur Verfü- gung gestanden. Der Vorschlag des Bundesrats, die Regelung erneut lediglich um ein Jahr zu verlängern, hätte aber nur dann Sinn gemacht, wenn die Situation sich innerhalb eines Jahres so verändern würde, dass eine nochmalige Ver- längerung der Regelung nicht mehr ratsam wäre. Ich sehe aber nicht, was in Zeiten zurückgehender Wachs- tumsraten dann genau dafür sprechen sollte. Deshalb ha- ben sich auch alle Sachverständigen in der Anhörung und sämtliche Fraktionen des Bundestags für die dauer- hafte Verlängerung der Istbesteuerung ausgesprochen. Ohne die jetzt gefundene Lösung wäre auch die 2007 erfolgte Anhebung der Grenze der Buchführungspflicht auf einen Umsatz von mehr als 500 000 Euro Makulatur. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16289 (A) (C) (D)(B) Die dadurch erreichten Einsparungen an Bürokratiekos- ten in den Unternehmen würden in ihr Gegenteil ver- kehrt, wenn die Unternehmen wegen einer Absenkung der Istbesteuerungsgrenze bei der Umsatzsteuer doch ge- zwungen wären, eine Buchführung zu installieren. Aufgrund der Einigung auf ein verkürztes Verfahren wird der Bundesrat nun bereits Anfang November über die Vorlage zur Istbesteuerung entscheiden. Damit er- möglichen wir unseren mittelständischen Unternehmen frühzeitig Rechts- und Planungssicherheit. D. Zerlegungmaßstab Gewerbesteuer Der Bundesrat hat vorgeschlagen, den besonderen Zerlegungsmaßstab in der Gewerbesteuer, der bislang nur für Windkraftanlagen gilt, auch auf Photovoltaikan- lagen auszudehnen. Damit soll erreicht werden, dass nicht nur die Sitzkommune des Unternehmens von der Gewerbesteuer profitiert, sondern auch die Gemeinde, in der sich die Anlagen befinden. Die Anzahl und das Tempo von Baugenehmigungen könnte hierdurch erhöht werden. Die energiepolitische Notwendigkeit hält das Bun- desumweltministerium allerdings für fraglich. Im Jahr 2009 hatten wir einen Zubau von 3 800 Megawatt zu verzeichnen, 2010 sogar von 7 400 Megawatt. Das liegt deutlich über dem vom Erneuerbare-Energien-Gesetz angestrebten Ausbauziel von 3 500 Megawatt. Wir wollen die Anregungen des Bundesrats daher in einem der nächsten Gesetzgebungsverfahren zuerst prü- fen. Dabei sollten wir uns allerdings nicht nur auf Photo- voltaikanlagen beschränken, sondern die Regelung zum gewerbesteuerlichen Zerlegungsmaßstab in ihrer Ge- samtheit einer Prüfung unterziehen. Denn es wäre wenig sinnvoll, wenn der dann noch weiter fortschreitende Zu- bau an Photovoltaikanlagen zu einer noch schnelleren und erheblicheren Reduzierung der Einspeisevergütung führt. Bei einer einseitigen Konzentration auf die Photo- voltaik müssten wir den Bürgern wie auch den Unter- nehmen zudem erklären, weshalb beispielsweise Biogas- anlagen oder auch Flughäfen, die eine ähnliche oder sogar größere Lärmbelästigung für die Anwohner bedeu- ten als Windkraftanlagen, nicht in den besonderen Zerle- gungsmaßstab einbezogen werden sollen. E. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen Ich bin auch froh, dass bei den Sonderbedarfs-Bun- desergänzungszuweisungen zum Ausgleich der Sonder- lasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit eine einver- nehmliche Regelung getroffen werden konnte. Diese Zuweisungen wurden mit den Arbeitsmarktre- formen von 2003 eingeführt. Mit der Reform sollten die Kommunen bundesweit um 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Der Bund finanziert seitdem das Arbeitslosen- geld II. Die Kommunen werden dadurch von den Sozial- hilfeausgaben der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger entlastet. Die Kommunen finanzieren im Gegenzug die Kosten der Unterkunft der Hartz-IV-Empfänger, wobei sich der Bund quotal an der Finanzierung beteiligt. Da die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den neuen Län- dern aufgrund der ostdeutschen Erwerbsbiografien ver- hältnismäßig gering war, war eine weitere finanzielle Unterstützung der ostdeutschen Kommunen erforder- lich, um die zugesagte Entlastung zu erreichen. Deshalb erhalten die ostdeutschen Länder seitdem die sogenann- ten Hartz-IV-Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuwei- sungen. Die Höhe wurde im Ergebnis einer Bilanzbe- trachtung der Be- und Entlastungswirkungen der Hartz-IV-Reform für die Kommunen in den einzelnen Ländern ermittelt. Sie wurde zunächst auf 1 Milliarde Euro festgelegt und wird alle drei Jahre überprüft. Glücklicherweise sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland mittlerweile nicht mehr so immens, sodass die Höhe von 1 Milliarde Euro in der neuen Berechnung nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Zur Berechnung der Mittel hat sich eine Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz nun auf das sogenannte Relations-Modell verständigt. Demnach ergibt sich für die Jahre 2011, 2012 und 2013 ein jährlicher Anspruch in Höhe von 807 Millionen Euro. Für das Jahr 2011 wurde eine Überzahlung von 193 Millionen Euro ermit- telt, die in den Jahren 2012 und 2013 zu gleichen Teilen verrechnet werden soll. Das heißt, in den Jahren 2012 und 2013 werden nur jeweils 710,5 Millionen Euro ge- zahlt. Damit haben wir im Ergebnis einen tragfähigen Kom- promiss zwischen den Interessen der westdeutschen und der ostdeutschen Länder. Die Verständigung auf eine objektive Prüfmethode gibt den neuen Ländern hinsicht- lich der Hartz-IV-Sonderbedarfs-Bundesergänzungszu- weisungen Planungssicherheit bis zum Auslaufen des Fi- nanzausgleichsgesetzes im Jahr 2020. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Umsetzung der Bei- treibungsrichtlinie und zur Änderung steuerlicher Vor- schriften. Der Titel des Regierungsentwurfs verschleiert etwas; dass wir genau genommen eigentlich zwei Ge- setze debattieren, die inhaltlich auf den ersten Blick we- nig miteinander zu tun haben – auf den zweiten übrigens auch nicht. Das Umsetzungsgesetz zur Anpassung der bestehen- den Regelungen zur Amtshilfe zwischen Finanzverwal- tungsbehörden innerhalb der EU bei Fragen der Beitrei- bung von Steuern und Abgaben umfasst Art. 1 des Gesetzentwurfs; der Rest von Art. 2 bis Art. 22 ist quasi ein Jahressteuergesetz 2011 in Verkleidung, das zahlrei- che Änderungen in unterschiedlichen Bereichen des Steuerrechts zusammenfasst und dabei auf europarecht- liche und innerstaatliche Entwicklungen, Entscheidun- gen der Finanzgerichtsbarkeit oder Anregungen aus der Finanzverwaltung von Bund und Ländern eingeht und Anpassungen an sich ändernde Rechtslagen vornimmt. Die Bundesregierung verpackt eine Vielzahl unter- schiedlicher, isolierter Rechtsänderungen in einem einzi- gen Gesetz, wie sie das in ähnlicher Weise schon beim sogenannten Steuervereinfachungsgesetz getan hat. Viel- leicht wollte sie sich und uns Parlamentariern damit die umfangreichen Beratungen eines eigenen Jahressteuer- gesetzes ersparen. Man kann es dem Kollegen Gutting 16290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) sicher nicht verdenken, wenn er das Gesetz in den parla- mentarischen Beratungen versehentlich als Jahressteuer- gesetz bezeichnet hat. Vielleicht wollte die Regierungs- koalition – was ich eher vermute – die an und für sich schon im Bundesrat zustimmungspflichtige Umsetzung der europäischen Beitreibungsrichtlinie einfach um ei- nen ganzen Strauß zustimmungspflichtiger Vorhaben an- reichern und dadurch ein weiteres aufwendiges Verstän- digungsverfahren mit den Bundesländern vermeiden. Jedenfalls sorgt die Regierung damit für eine deutliche Zunahme an Komplexität und Umfang des Gesetzes. Gleichzeitig haben Bundesregierung und Koalitions- fraktionen allerdings den Zeitraum, den wir für eine se- riöse Beschäftigung mit dem Gesetz benötigen, auf den letzten Metern stark „eingedampft“. Die späte Vorlage von Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen und die schwierige koalitionsinterne Abstimmung zwischen der CDU, der CSU und der FDP haben unsere Arbeit ebenfalls nicht leichter gemacht. Ich danke deshalb an dieser Stelle den Fachbeamten des Bundesfinanzministe- riums, die in zwei Fachgesprächen mit den zuständigen Berichterstattern der Fraktionen dem hohen Beratungs- und Aufklärungsbedarf gerecht zu werden versuchten, sowie den Sachverständigen für ihre schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zur Anhörung. Eigentlich müsste ich eine ausreichende Beratungs- zeit nicht ausdrücklich erwähnen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Angesichts unserer schlechten Erfahrungen mit vielen Gesetzentwürfen, die in der Ver- gangenheit von Schwarz-Gelb unter hohem Zeitdruck und in eigentlich in fast unverantwortlicher, unseriöser Art und Weise verkürzten Beratungsfristen durch das ge- setzgeberische Verfahren gepresst wurden, scheint mir dieser Hinweis leider erforderlich. Ich erinnere in die- sem Zusammenhang etwa an die finanziellen Rettungs- maßnahmen für Mitgliedstaaten der Euro-Zone oder die Kehrtwende der Bundeskanzlerin in Sachen Energiepoli- tik. Hier wurden Beschlüsse des Bundestages gefasst, deren politische, soziale, wirtschaftliche Bedeutung fast schon umgekehrt proportional zur Dauer und Tiefe der Beschäftigung des Gesetzgebers damit war. Es wäre für die öffentliche Wahrnehmung der Koali- tion und ihres Verständnisses der Einbindung aller Frak- tionen in die gesetzgeberische Arbeit ein schlechtes Zei- chen, wenn der hektische Umgang mit Verfahrensregeln und eine gezielte, schleichende Überlastung der Aus- schussberatungen – mehr Arbeit, weniger Zeit – zum dauerhaften Makel schwarz-gelber Parlamentsarbeit würde. Mit Blick auf diese Entwicklungen befürchte ich, dass die zahlreichen Mahnungen von Bundestagspräsi- dent Dr. Norbert Lammert an die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen wenig dazu bei- tragen konnten, das Bewusstsein für die zeitlichen, mate- riellen, organisatorischen Voraussetzungen guter gesetz- geberischer Arbeit wieder stärker zu achten. Man kann daher fast schon froh sein, dass die Bun- desregierung auf ihr ursprüngliches Vorhaben verzichtet, das Umwandlungssteuerrecht im „Schnelldurchlauf“ an die EU-Vorgaben zur Entflechtung vertikal integrierter Energieversorger anzupassen – eine wichtige Weichen- stellung für den steuerlichen Handlungsrahmen deut- scher Energieversorgungsunternehmen. Diese Regelung war schon in das – mittlerweile im Bundesrat geschei- terte – Fördergesetz für die energetischen Gebäudesanie- rung „hineingemogelt“ worden, ohne dass hierfür eine sachliche Rechtfertigung bestanden hätte, geschweige denn ausreichender Beratungsbedarf eingeräumt worden wäre. Die vorgesehene Einführung einer steuerlichen Teil- betriebsfiktion als Voraussetzung für eine steuerneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern im Zuge der Ent- flechtung von Netz und Betrieb ist allerdings ein kom- plexes, folgenreiches Unterfangen. Wir können im parla- mentarischen Verfahren daher auf ausreichende Beratung und Diskussion nicht verzichten. Es ist erfreu- lich, wenn die Koalitionsfraktionen ihren Fehler nicht wiederholt und die Anpassung im Zuge einer umfassen- den Neuregelung des Unternehmensteuerrechts – wo sie hingehört – ankündigt. Wir dürfen auf die Einbindung aller Bundestagsfraktionen in diese Beratungen gespannt sein. Zurück zum heute abschließend zu beratenden Ge- setzentwurf. Die SPD-Bundestagsfraktion enthält sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme, auch wenn wir wichtige Zielsetzungen des Ge- setzes unterstützen, etwa die Verbesserung der grenz- überschreitenden Amtshilfe bei der Beitreibung von Steuern und Abgaben und die „Heilung“ der Schutzlü- cke für mittelbar zulageberechtigte Personen im Rahmen der steuerlich geförderten Altersvorsorge, Riester-Rente, durch einen Mindestbeitrag von 60 Euro pro Jahr und die Einrichtung einer Nachzahlungsmöglichkeit. Wir haben auch den von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Änderungsanträgen zugestimmt, die viele Anregungen des Bundesrats aufgegriffen haben. Manche dieser Änderungen greifen Verbesserungsvorschläge auf, die wir während der parlamentarischen Beratungen mit eigenen Anträgen dokumentiert haben. Dabei denke ich etwa an die Schließung von Gestaltungsmöglichkei- ten bei der Schenkungsteuer, die zulasten der Einnahmen der Bundesländer gingen. Ich werde auf diesen Punkt später zurückkommen. Für eine Zustimmung zum Ge- setzentwurf hatten wir allerdings auf ein Entgegenkom- men von CDU, CSU und FDP an einer Stelle gehofft, die uns sehr wichtig ist. Leider hat die koalitionsinterne Un- einigkeit hier einen Kompromiss verhindert. Wir haben eine Anregung des Bundesrats aufgegrif- fen und eine Regelung zur gewerbesteuerlichen Zerle- gung bei Photovoltaikanlagen vorgeschlagen. Die bis- herige Rechtslage bedarf aus umwelt- und energiepolitischen Gründen dringend der Verbesserung. Der Zerlegungsmaßstab „Arbeitslöhne“, § 29 Gewerbe- steuergesetz, benachteiligt die Standortgemeinden, in denen Photovoltaikanlagen betrieben werden. Sie erhal- ten in der Regel keinen Zerlegungsanteil aus den Gewer- besteuereinnahmen, da dort keine Arbeitnehmer des Un- ternehmens beschäftigt sind. Die Einnahmen fließen meist in die Gemeinden, in der das Unternehmen seinen Geschäftssitz hat. Wir beobachten, dass diese struktu- relle Nichtberücksichtigung der Standortgemeinden ihre Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16291 (A) (C) (D)(B) Bereitschaft bremst, Flächen für Photovoltaikanlagen auszuweisen, aber auch die mit dem Bau und Betrieb entsprechender Anlagen einhergehenden Beeinträchti- gungen zu tragen. Mit unserem Vorschlag zur Änderung des Gewerbe- steuergesetzes wollen wir daher die Standortgemeinden stärker an den Einnahmen beteiligen. In Anlehnung an den Zerlegungsmaßstab für Windkraftanlagen sollte der Gewerbesteuermessbetrag bei Photovoltaikanlagen zu drei Zehnteln nach dem Verhältnis der Arbeitslöhne und zu sieben Zehnteln nach dem Verhältnis fertiggestellter Sachanlageinvestitionen – ohne Betriebs- und Ge- schäftsausstattung – aufgeteilt werden. Bedauerlicherweise hat Schwarz-Gelb die Gelegen- heit verpasst, sich unserem Vorschlag zum Abbau steu- erlicher Hürden anzuschließen und damit die weitver- breiteten – und offensichtlich begründeten – Zweifel an ihrem Bekenntnis zur Förderung umweltfreundlicher Energieerzeugung zu zerstreuen. Stattdessen konnte sich die Regierung lediglich dazu durchringen, eine Prüfung des Vorschlags in Aussicht zu stellen. Man beabsichtige dabei, nicht einzelne Energieformen zu nennen, sondern eine abstrakte Regelung für alle Energieformen zu fin- den. Mir ist allerdings nicht ganz klar, wo genau weiterer Prüfbedarf besteht; das Ziel „ressourcenschonende, um- weltfreundliche Energieerzeugung“ ist klar, die steuerli- chen Instrumente liegen auf dem Tisch. Worauf wartet die Regierung? Ich habe den Eindruck, die vollmundig angekündigte „Energiewende“ ist ein eher lauwarmes Zugeständnis an die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung als ein echtes, ernstzunehmendes Bekenntnis für mehr Energieeffizienz und Umweltschutz. Auch die Beseitigung von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Schenkungsteuer in sogenannten Konzernfällen ist den Koalitionsfraktionen leider nur halbherzig gelun- gen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf Lücken im Erbschaft- und Schen- kungsteuerrecht hingewiesen, durch die die Steuerpflicht von Zuwendungen zwischen einander nahestehenden Personen innerhalb einer Kapitalgesellschaft, soge- nannte Einlagefälle, oder zwischen Kapitalgesellschaf- ten innerhalb eines Konzerns, sogenannte Konzernfälle, umgangen werden kann. Im Ergebnis gehen den Bun- desländern damit wichtige Steuereinnahmen verloren, und die rechtliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichti- gen leidet. Der Änderungsantrag der SPD-Bundestags- fraktion sah daher vor, diese Schlupflöcher zu schließen und freigebige, disquotale Einlagen und bestimmte ver- deckte Gewinnausschüttungen zwischen Kapitalgesell- schaften künftig der Schenkungsteuer zu unterwerfen, soweit es dadurch zu einer Vermögensverschiebung zwi- schen den Beteiligten an der Gesellschaft kommt. Diese Regelung erfasst beispielsweise Einlagekon- stellationen, in denen ein Vater eine Einlage in eine Ka- pitalgesellschaft einbringt, an der sein Sohn – mittel- oder unmittelbar – beteiligt ist. Bislang stellt der Vermö- gensvorteil, der dem Sohn durch die damit verbundene Wertsteigerung seines Gesellschaftsanteils entstand, keine freigebige Zuwendung dar und unterlag somit nicht der Steuerpflicht. Eine direkte Schenkung zwi- schen Vater und Sohn ist hingegen steuerpflichtig. Im Ergebnis ist die „Umleitung“ einer beabsichtigten Schenkung über eine Kapitalgesellschaft bislang ein gern genutztes „Hintertürchen“ zur Umgehung der Steu- erpflicht. Von diesem Gestaltungsmotiv müssen wir auch deshalb ausgehen, da unter fremden Dritten über- proportionale Einlagen in der Regel mit gesellschafts- vertraglichen Zusatzklauseln versehen werden, die für den einlegenden Gesellschafter gewährleisten, dass seine überproportionale Einlage nicht zu einer endgülti- gen Vermögensverschiebung zugunsten der Mitgesell- schafter führt. Der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion folgt für Konzernfälle der Zielsetzung, zum einen Steuerumge- hung wirksam zu unterbinden, gleichzeitig aber unge- rechtfertigte Belastungen für „echte“, nicht steuergestal- terisch eingesetzte Vermögensübertragungen im Zuge verdeckter Gewinnausschüttungen zwischen Konzernge- sellschaften zu vermeiden. Unser Vorschlag ist dabei umfassender und präziser als die von der Koalition ge- troffene Regelung und erweist sich dabei als weniger ge- staltungsanfällig und interpretationsbedürftig. Für Kon- zernfälle, das heißt Vermögensverschiebungen zwischen Kapitalgesellschaften innerhalb einer Konzernstruktur, sahen unsere Überlegungen vor, diese als freigebige – und damit steuerpflichtige – Zuwendungen einzustu- fen, soweit sie nicht betrieblich veranlasst sind und so- weit an den Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittel- bar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen beteiligt sind. Wenn also beispielsweise eine Konzern- mutter ihrer Tochtergesellschaft ein Grundstück über- trägt und dies aus betriebswirtschaftlicher Blickrichtung sinnvoll und nachvollziehbar ist – etwa für die Errich- tung von Werkshallen –, unterliegt dieser Vorgang nicht der Schenkungsteuer. Die Koalitionsfraktionen haben allerdings einen an- deren Weg gewählt und eine gestaltungsanfälligere Re- gelung beschlossen. Nach den Vorstellungen von Union und FDP sollen verdeckte Gewinnausschüttungen der Steuerpflicht unterliegen, „soweit sie in der Absicht ge- tätigt werden, Gesellschafter zu bereichern und soweit an diesen Gesellschaften nicht unmittelbar oder mittel- bar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen betei- ligt sind“. Es geht hier also nicht – wie in unserem An- trag – um das objektive Kriterium der betrieblichen Veranlassung, sondern um eine Beurteilung der subjekti- ven Absicht des Schenkenden zur Bereicherung anderer Gesellschafter. Ich befürchte, diese schwammigen, streitanfälligen Regelungen werden in der Praxis der Rechtsanwendung und -auslegung dazu führen, dass die steuerliche Erfassung vieler Vermögensübertragungen letztlich vor Gericht entschieden werden müssen. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, warum die Koalition zwar einerseits Gestaltungen zu vermeiden ankündigt, die entsprechenden Regelungen allerdings so „brüchig“ ausgestaltet, dass der Praxistest wenig Gutes in puncto Rechtssicherheit, Praktikabilität und Gleichbehandlung erwarten lässt. Es freut mich hingegen, dass sich die Koalitionsfrak- tionen nach einigem Zögern unserem Vorschlag ange- schlossen haben, Härten bei einer Zuwendung einer 16292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Kapitalgesellschaft an eine einem Gesellschafter nahe- stehende Person auszuräumen. Wir denken dabei etwa an Konstellationen, in denen der Geschäftsführer einer Gesellschaft seinem angestellten Sohn ein überhöhtes Gehalt quasi als Vorauszahlung auf das künftige Erbe zahlt. Die Regelung sieht vor, dass für die Besteuerung das persönliche Verhältnis zwischen dem Gesellschafter – hier dem Vater –, der die verdeckte Gewinnaussschüt- tung veranlasst hat, und dem Begünstigten – hier dem Sohn – maßgebend ist. Die Zuwendung unterliegt damit nicht der Steuerklasse III, sondern der günstigeren Steu- erklasse I. Es können somit niedrigere Steuersätze und höhere Freibeträge angewandt werden. Das aufschlussreiche Berichterstattergespräch mit den Fachleuten des Bundesfinanzministeriums hat das Urteil des Bundesfinanzhofs, BFH, zur steuerlichen Anerken- nung von Ausbildungskosten wieder ins rechte Licht ge- rückt. Es wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Sachver- ständigen – darunter auch ein amtierender sowie ein ehemaliger BFH-Richter – dem Umschwung in der BFH-Rechtsprechung nicht folgt. Wir haben uns – auch mit Blick auf die drohenden Steuerausfälle in Höhe von über 1 Milliarde Euro und den hohen zusätzlichen Ver- waltungsaufwand – daher dem Antrag der Koalitions- fraktionen angeschlossen, die bisherige Rechtslage zu bestätigen; das bedeutet, dass die Kosten für eine erst- malige Berufsausbildung oder ein Erststudium weiterhin vom Betriebsausgaben- sowie Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind. Der als Sonderausgaben abziehbare Höchstbetrag wird dabei von 4 000 Euro auf 6 000 Euro angehoben. Es ist allerdings nicht wirklich ersichtlich, wie Union und FDP diese Anhebung begründen. An- scheinend wird von einem Kostenanstieg bei Ausbildung und Studium von 50 Prozent seit 2004 ausgegangen, was allerdings nicht nachvollziehbar ist. Aber gelegentliche irrationale Ausbrüche in der Steuerpolitik können uns gerade bei der FDP ja wirklich nicht mehr überraschen. Dr. Daniel Volk (FDP): Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerli- cher Vorschriften unterstreicht wieder einmal die Bereit- schaft der Regierungskoalition, wichtige steuerpolitische Regelungen nicht auf die lange Bank zu schieben, son- dern zu lösen. Das Gesetz wurde intensiv beraten, um ein Gesamtpaket zu schnüren, welches auch in Abspra- che mit der Opposition zu zufriedenstellenden Lösungen führt. Steuerliche Detailregelungen sind nicht immer spannend, aber trotzdem darf man die Wichtigkeit dieser Maßnahmen nicht unterschätzen. Mit diesem Gesetz wird einerseits die Richtlinie des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen – Richtlinie 2010/24/EU – in nationales Recht umgesetzt. Die Richt- linienumsetzung betrifft vor allem die Erweiterung des Geltungsbereiches der Amtshilfe, die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten, die Vereinfachung des Zustellungsverfahrens und die Schaffung eines wirksameren Beitreibungs- und Siche- rungsverfahrens in Europa. Andererseits werden weitere steuerrechtliche Änderungen vorgenommen. Diese Änderungen betreffen unter anderem die Ände- rung und Neufassung der Regelungen des Lohnsteuerab- zugsverfahrens und dabei insbesondere Neuerungen im Bereich der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Ebenso wird durch die Einführung einer Steuerfreiheit für Sozialversicherungsrenten an Empfänger, die als Verfolgte nach § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt sind, für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Durch die Einführung eines Mindestbeitrags von 60 Euro pro Jahr für die im Rahmen der steuerlich geför- derten Altersvorsorge – § 10 a und Abschnitt XI EStG – mittelbar zulageberechtigten Personen stellen wir Klar- heit her. Wir erweitern den Katalog der Freiwilligen- dienste um den Internationalen Jugendfreiwilligendienst zur Ermöglichung einer Berücksichtigung als Kind im Rahmen des Familienleistungsausgleichs, vergleiche § 32 EStG, §§ 2 und 20 des Bundeskindergeldgesetzes, BKGG. Durch die Einführung eines automatisierten Verfah- rens für den Kirchensteuerabzug bei abgeltend besteuer- ten Kapitalerträgen vereinfachen wir das bisherige Ver- fahren. Wir verhindern Missbrauchsfälle unter anderem im Bereich der Arbeitnehmer-Sparzulage und des Erb- schaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Besonders hervorzuheben sind die Klarstellungen im Bereich von Schenkungen im Zusammenhang mit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Dabei greifen wir die Rechtspre- chung des Bundesfinanzhofs auf und entwickeln sie in Richtung einer gleichmäßigen Besteuerung von Schen- kungen fort. Ein weiterer wesentlicher Punkt in diesem Gesetz ist die Anpassung der Regelungen für die steuerliche Ab- setzbarkeit von Erstausbildungskosten. So sorgen wir mit den Anpassungen in diesem Gesetz dafür, dass Lehr- linge und Studenten in Zukunft mehr Kosten ihrer Aus- bildung von der Steuer absetzen können. Damit tragen wir dem Urteil des Bundesfinanzhofs Rechnung. Wir sorgen einerseits für eine gesetzliche Klarstellung, und andererseits sorgen wir mit der Erhöhung des maximalen Sonderausgabenabzugs von 4 000 auf 6 000 Euro dafür, dass sich der Staat an den Ausbildungskosten indirekt stärker beteiligt. Ein Abzug der Erstausbildungskosten als Werbungskosten ist im Rahmen eines Fachgesprä- ches im Finanzausschuss bei Steuerexperten auf massive Bedenken gestoßen. Dieser einhelligen Meinung haben wir uns angeschlossen und haben so eine Lösung gefun- den, die praktikabel und gerecht ist. Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ist neben dem Jahressteuergesetz 2010 und dem Steuervereinfa- chungsgesetz 2011 ein weiterer Schritt zu einem gerech- teren Steuersystem. Wir sorgen für mehr Klarheit im Steuerrecht und schließen wirksam Steuerschlupflöcher. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die EU-Richtlinie 2010/24/EU vom 16. März 2010 bis spätestens Ende 2012 in nationales Recht umgesetzt werden und das EG-Beitreibungsgesetz vom 13.12.2007 ablösen. Allerdings ist das nur ein Teil der Wahrheit. Ein Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16293 (A) (C) (D)(B) weiterer und nicht unwesentlicher Teil dieses Gesetzes beinhaltet zahlreiche Änderungen in vielen anderen Bereichen wie im Einkommensteuergesetz, im Körperschaftsteuergesetz, im Bewertungsgesetz und auch im Erbschaftsteuer- und Schenkungsgesetz. Damit packen Sie der Umsetzung der EU-Richtlinie einfach ein kleines Jahressteuergesetz bei, und das kritisieren wir. Zwar begrüßen wir grundsätzlich den vorliegenden Ge- setzentwurf, aber eine Vermischung einer EU-Richtlinie und eines Jahressteuergesetzes führt zu erhöhter Intransparenz für die Bürgerinnen und Bürger wie auch für diejenigen, die am Ende die Änderungen umzusetzen haben, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern. Neben zahlreichen Änderungen, die wir begrüßen, bleiben leider einige Kritikpunkte zurück. Daher wird sich die Linke bei diesem Gesetzentwurf enthalten. Ein zentraler Kritikpunkt ist: Die vorhandene Personalausstattung in der Finanzverwaltung reicht schon jetzt nicht aus, um die Flut der bereits vorhandenen Regelungen vernünftig umzusetzen. Dieser Gesetzentwurf, der zu einer neuen Flut von Informationen führen wird, sieht leider keine Stellenaufstockung in der Finanzverwaltung vor. Dabei legen auch die Rechnungshöfe in Bund und Ländern in ihren zahlreichen Stellungnahmen seit Jahren dar, dass nicht genügend Personal in der Finanzverwaltung vorhanden ist, um die Aufgaben gut zu erledigen. Nach Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft fehlen bundesweit rund 10 000 Beschäftigte in der Finanzver- waltung. Wird hier nicht endlich nachgebessert, können wichtige und sinnvolle Maßnahmen, auch die aus dem Gesetzentwurf, nur mangelhaft umgesetzt werden. Das geht dann zulasten aller, der Bürgerinnen und Bürger wie auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Finanzverwaltung. Wir haben doch heute schon genügend Probleme bei der Umsetzung bestehender Regelungen. Die Finanzverwaltung hat bereits heute Schwierigkeiten, die aus der EU-Zinsrichtlinie zufließenden automatischen Informationen zeitnah weiterzuleiten. Oder denken wir an die Verzögerungen bei der Einführung des vollelektro- nischen Lohnsteuerverfahrens. Das wird beispielsweise bei der Intensivierung im Hinblick auf die elektronischen Lohnsteuermerkmale nicht besser werden. Im Gegenteil. Das sind alles Warnsignale, die Sie ernst nehmen sollten. Durch das Beitreibungsgesetz wird die Informationsflut noch zunehmen. Erklären Sie doch mal den Menschen in der Finanzverwaltung, wie sie ihre Aufgaben noch ver- nünftig erledigen sollen. Klar ist: Hier muss etwas passieren, denn ohne eine Personalaufstockung der Finanzverwaltung wird eine vernünftige Umsetzung der in diesem Gesetzentwurf geplanten Regelungen kaum erfolgen können, erst recht nicht, wenn noch Ansprüche wie Datenschutz und Aus- kunftsrechte der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Thema Abgel- tungsteuer, eine Never-ending Story. Ursprünglich mal als Maßnahme zur Reduzierung der Bürokratie verkauft, hat sie sich in das Gegenteil verkehrt. Denn auch jetzt müssen Sie wieder im Rahmen von Änderungen bei der Kirchensteuer Anpassungen bei der Abgeltungsteuer vornehmen. Wahr ist: Die Abgeltungsteuer ist ein Fremdkörper im deutschen Steuerrecht, sie verkompli- ziert, und obendrein bevorzugt sie Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen. – Es gibt also genügend Gründe, sie abzuschaffen. Das wäre dann eine wirkliche Steuervereinfachungsmaßnahme. Ebenso ist es bei der Sanierungsklausel, die wir nicht generell ablehnen. Kritisiert hatten wir lediglich die Ausgestaltung. Nun soll sie angesichts des laufenden Verfahrens der EU-Kommission suspendiert, sozusagen beurlaubt werden, da Sie gegen die Entscheidung der EU-Kommission klagen. Damit bleibt die Streitanfälligkeit erhalten. Als letzten Punkt möchte ich die jüngsten Urteile des Bundesfinanzhofes zur Absetzbarkeit von Ausbildungs- kosten ansprechen. Nach den Urteilen haben sich wohl viele Studentinnen und Studenten gefreut. Aber wohl zu früh, denn die jetzige Regelung, wonach nur die Höchst- grenze für den Sonderausgabenabzug von 4 000 Euro auf 6 000 Euro angehoben werden soll, wird der großen Mehrheit nichts nützen. Davon wären nach dem Bundesfinanzministerium nicht einmal 10 000 Fälle be- troffen, die den Höchstwert von derzeit 4 000 Euro ausnutzen. Angesichts von derzeit rund 2,2 Millionen immatrikulierten Studentinnen und Studenten ist diese Lösung also kein großer Wurf. Die geplante Lösung wird ungefähr 8 Millionen Euro kosten. Eine Lösung, wie vom Bundesfinanzhof gefordert, würde hingegen rund 1,1 Milliarden Euro kosten. Aber für eine Klärung des Sachverhalts sorgen Sie damit nicht. Notwendig wäre vielmehr, Studiengebühren abzuschaffen und das BAföG zu erhöhen. Außerdem sollte grundsätzlich dafür gesorgt werden, dass der Zugang zu Ausbildung und Studium kostenfrei ist. Abschließend noch einmal die dringende Empfehlung – in unser aller Interesse –: Hängen Sie nicht eine Vielzahl von eher steuertechnischen Änderungen an ein Gesetz dran, das damit nichts zu tun hat, sondern verabschieden Sie, wie früher, jährlich ein Jahressteuergesetz. Das ist transparenter und erleichtert den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Finanzverwaltung ihre Arbeit. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hinter dem Namen Beitreibungsrichtlinie-Umset- zungsgesetz versteckt sich eigentlich das Jahressteuer- gesetz 2011. Es ist sehr bedauerlich, dass die Regierungskoalition die Dinge hier nicht beim Namen nennt. Unter dem Deckmantel einer EU-Richtlinienum- setzung werden heute viele wichtige Änderungen im Ein- kommensteuer- und Körperschaftsteuerbereich beschlos- sen. Kollege Olav Gutting meinte im Finanzausschuss, der Information der Öffentlichkeit sei damit Rechnung getragen, dass es im offiziellen Titel des Gesetzesvorha- ben heiße: „… zur Änderung steuerlicher Vorschriften“; das müsse genügen. Das zeigt nur die Ignoranz, die die Koalitionsabgeordneten im Hinblick auf eine am Kunden 16294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) orientierte Öffentlichkeitsarbeit haben. Das ist kein Aus- weis einer transparenten Arbeitsweise des Gesetzgebers. Entlarvend für die Regierungsfraktionen war bei die- sem Gesetzgebungsverfahren auch, welche Prioritäten Schwarz-Gelb im Steuerbereich setzt. So mahnte der Bundesrat in seiner Stellungnahme an, eine Besteue- rungslücke im Bereich der Schenkungsteuer zu schlie- ßen. Der Bundesrat führt in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf aus: „Die bisherige Besteue- rungslücke ist in der Steuersparbranche bekannt und wird auf Fachveranstaltungen regelmäßig als Gestal- tungstipp vorgetragen.“ Obwohl also gut bekannt, wurde noch zehn Tage vor der abschließenden Beratung des Gesetzes von einem Mitglied der Regierungskoalition formuliert, man wolle hier keine Änderung mit heißer Nadel stricken. Erst nachdem Bündnis 90/Die Grünen und dann die SPD ent- sprechende Änderungsanträge vorgelegt hatten, reagier- ten die Regierungsfraktionen: Einen Tag vor der endgül- tigen Beratung im Finanzausschuss wurde nun die Forderung des Bundesrates nach Stopfen des Steuer- schlupfloches aufgegriffen. Diese Verzögerung ist ein eklatanter Verstoß gegen die Aufgabe des Parlamentes, für eine gleichmäßige Besteuerung zu sorgen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier wieder einmal versucht wurde, die Klientel zu schützen, anstatt den Auftrag ei- nes Parlamentariers nach Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger nachzukommen. Oder das Nichthandeln wurde durch die Haltung bewirkt: „Warum sollen wir im Bund etwas für die Länder tun!“ Denn die Erbschaft- und die Schenkungsteuer kommen allein den Länder- haushalten zugute. Beide Erklärungsmöglichkeiten wer- fen ein denkbar schlechtes Bild auf die Regierungskoali- tion. Halten wir aber fest: Mit dieser Änderung wird endlich ein großes Einfalltor für Missbrauch im Zusam- menhang mit verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen zwischen verbundenen Körper- schaften geschlossen. Das Gesetz enthält weitere sinnvolle Steueränderun- gen, von denen ich hier einige explizit nennen möchte. So begrüßen wir die Umsetzung der Beitreibungsricht- linie. Die Vereinheitlichung der Amtshilfe auf europäi- scher Ebene ist gut, ebenso wie die Ausweitung des Katalogs der Steuerarten. Die Neufassung des Lohnsteu- erabzugsverfahrens, das über eine elektronische Daten- bank erfolgt, ist ebenso zu begrüßen, denn es baut Büro- kratie ab. Auch viele vorgesehene Änderungen im Einkommensteuerbereich sind richtig, obwohl wir an der einen oder anderen Stelle noch weiter gehende Regelun- gen für angemessen erachtet hätten. So ist die Einfüh- rung eines Mindestbeitrags von 60 Euro pro Jahr bei der Riester-Rente richtig, jedoch bleiben bei dem Thema noch viele Verbraucherschutzfragen offen. Kommen wir zu den Teilen des Gesetzes, die eine Zu- stimmung zu diesem Gesetz nicht zulassen: Thema Sanierungsklausel. Mit der Sanierungsklausel sollten nach Willen des Gesetzgebers die klaren und richtigen Vorschriften zur Begrenzung des Verlustüber- trages im Falle der Sanierung von Unternehmen aufge- hoben werden. Diese Zielsetzung ist nicht verkehrt. Nun hat aber die EU die Sanierungsklausel als eine uner- laubte Beihilfe bewertet und eine Aufhebung verlangt; die Bundesregierung hat dagegen geklagt. Seit mehr als einem Jahr haben die Unternehmen keine Rechtssicher- heit. Zudem ist die Sanierungsklausel in der heutigen Form nicht wirklich zielgerichtet, denn sie weist wesent- liche Mängel auf: Sie lässt den Fall der Sanierung inno- vativer, junger Unternehmen unberücksichtigt und fo- kussiert nicht ausreichend auf das Ziel des Erhalts von Arbeitsplätzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, nicht zu warten, sondern eine alternative Gesetzgebung vorzubereiten, die die genannten Ziele im Blickfeld hat und gleicherma- ßen europarechtskonform ist. Das Warten auf eine Ent- scheidung des Gerichtes und eine Ausrichtung an dem zu erwartenden Urteil beweist nur, dass die Koalitions- fraktionen hier keinen wirklichen Fokus auf die Sanie- rung richten. Sonst würde man nicht locker eine Zeit von zwei oder sogar drei Jahren in Kauf nehmen, bis eine entsprechende Klausel greift. Denn die erfolgreiche Sa- nierung von Unternehmen ist gerade jetzt, in einer schwierigen Zeit, ein wichtiges Ziel. Auch hier gilt: Nicht warten, sondern handeln! Deshalb sind wir dafür, die Klausel nicht nur zu suspendieren, sondern sie, wie im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, schlicht auf- zuheben. Thema Ausbildungskosten. Es ist richtig, als Re- aktion auf das entsprechende Urteil des BFH die gel- tende Rechtslage klarzustellen, also keine steuerliche Abziehbarkeit der Ausbildungskosten im Rahmen eines Erststudiums als Werbungskosten vorzusehen, wenn es in Zusammenhang mit der späteren Berufsfähigkeit steht. Alles andere wäre schlicht unsozial gewesen. Die Studierenden, die nebenher arbeiten müssen, um ihr Stu- dium zu finanzieren, hätten nichts von der Umsetzung des Urteils gehabt. Zudem wären über 1 Milliarde Euro Steuermindereinnahmen sowie ein Chaos in den Finanz- verwaltungen wegen Abgrenzungsfragen entstanden. Aber: Die Anhebung des Höchstbetrags bei den Sonder- ausgaben von 4 000 auf 6 000 Euro lehnen wir ab. Das ist schlicht ein kleines, aber elegantes Klientelgeschenk; eine Steuerentlastung von geschätzten 8 Millionen Euro würde an wenige Zehntausend Studierende oder ihre Ehepartner verteilt. Durch die gemeinsame Veranlagung bei Ehepaaren könnte etwa ein Anwalt mit ordentlichem Einkommen die teuren Studiengebühren seiner Frau für das Designstudium an einer Privatuni von der Steuer ab- setzen, bis zu 6 000 Euro pro Jahr. Ansonsten profitieren höchstens noch Studierende, die neben ihrem Erststu- dium bereits ein stattliches Einkommen beziehen und dann auch noch an einer Uni studieren, bei der durch hohe Studiengebühren jährlich 6 000 Euro an Ausbil- dungskosten zusammenkommen. Thema Umsatzsteuer. Wir sind nicht überzeugt, dass die von den Koalitionsfraktionen angestrebten Änderun- gen bei der Umsatzsteuer bei Messedienstleistungen in Drittstaaten in der vorliegenden Form die passende Ant- wort auf das Problem sind. Um einen ganz kleinen Fall zu lösen – nämlich dass Fördermittel des Bundes in ei- nem bestimmten Förderprogramm der Umsatzsteuer un- terworfen würden –, wird eine neue Sonderregelung in Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16295 (A) (C) (D)(B) das Umsatzsteuergesetz eingefügt, die dieses erheblich weiter verkompliziert. Außerdem gibt es natürlich Min- dereinnahmen, wenn die Besteuerung von Deutschland in einen Drittstaat ausgelagert wird. Da scheint uns eine Änderung in der Tat mit heißer Nadel gestrickt, wo eine sorgfältigere Betrachtung und Lösungsfindung ange- bracht gewesen wäre. Thema Gewerbesteuerzerlegung bei Photovoltaik- anlagen. Schließlich ist das vorliegende Gesetz „zur Än- derung steuerlicher Vorschriften“ auch daran zu messen, was es nicht enthält: Die Koalitionsfraktionen wollen die von uns Grünen und auch von der SPD bereits mehrfach und jetzt vom Bundesrat erneut geforderte Gewerbesteu- erzerlegung bei Photovoltaikanlagen nicht anpacken. Richtig ist: Wir müssen auch andere erneuerbare Ener- gien in die Überlegungen einbeziehen. Aber im Falle der Photovoltaik sind die Forderungen klar; der Bundesrat hat einen konkreten Vorschlag gemacht. Die Bundesre- gierung signalisiert hier, dass die Energiewende Zeit hat; das ist ein fatales Signal. Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung jetzt umgehend mit dem Thema Ge- werbesteuerzerlegung bei Photovoltaikanlagen, aber auch bei anderen Formen der erneuerbaren Energien, auseinandersetzt. Das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie enthält viele vernünftige Regelungen. Die Änderungen steuerlicher Vorschriften sind teilweise unzureichend und lückenhaft. Deshalb wird sich unsere Fraktion bei dieser Gesetzesvorlage enthalten. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Minijobs mit sozial- versicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen (Tagesordnungspunkt 32) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kol- leginnen und Kollegen der Linken, mit Ihrem Antrag „Minijobs mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichstellen“ knüpfen Sie wieder einmal an die für uns alle altbekannten Forderungen an, wie einer Sozialversi- cherungspflicht für abhängige Beschäftigungen ab dem ersten Euro Entgelt, den Ausbau sozialer Dienstleistun- gen zur Schaffung regulärer Beschäftigung, der Erarbei- tung eines Gleichstellungsgesetzes und der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Fest steht doch, dass die Arbeitswelt in Bewegung ge- raten ist und die meisten Menschen abhängig von der Ausgestaltung ihrer Anstellung, der Kindererziehung oder Weiterbildungen arbeiten möchten. Hierbei spielen flexible Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, Zeit- arbeit und vor allem auch Minijobs eine wichtige Rolle. Was Sie jedoch machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ist die Diffamierung flexibler Beschäfti- gung als prekäre Arbeit. Dabei schaffen gerade diese Angebote zum einen die Möglichkeit für den Einstieg oder die Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung – besonders für Menschen, die ansonsten nur geringe Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt hätten. Und zum anderen bie- ten sie Unternehmen die benötigte Flexibilität, um marktgerecht auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren können. Die geringfügige Beschäftigung als flexibles Instrument der Arbeitsmarktpolitik dämmt zu- dem illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit ein. Hinzu kommt, dass viele Minijobs lediglich als zu- sätzliche Hinzuverdienstmöglichkeit genutzt werden, zur Steigerung der Lebensqualität oder zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. So sind beispielsweise viele Rentner nicht auf einen Minijob angewiesen, und eine volle Versicherungspflicht brächte im Einzelfall mehr Nachteile, da eine zusätzliche Arbeitslosen- oder Kran- kenversicherung, in die eingezahlt werden müsste, nicht benötigt wird. Ähnlich gelagert ist die Situation bei vie- len Schülern und Studenten. Minijobber haben die gleichen Rechte wie alle ande- ren Beschäftigten auch, und es gelten branchenspezi- fische Mindestlöhne. Des Weiteren haben gerade die An- gebote der flexiblen Beschäftigung dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland drastisch zu- rückgegangen ist. Natürlich dürfen wir uns auch nicht der Tatsache ver- schließen, dass diejenigen, die nur auf einen Minijob angewiesen sind, der Altersarmut ausgesetzt sind. Sie können sich sicher sein, dass wir in diesem Bereich sehr genau hinschauen und ganz genau prüfen, wie sich die Situation entwickelt, um dann konkret handeln zu kön- nen. So wollen wir beispielsweise 2013 gemeinsam mit unserer Arbeitsministerin Dr. von der Leyen eine soge- nannte Zuschussrente einführen, sodass auch jemand, der die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, unabhängig von den eigenen Rentenansprüchen 850 Euro erhält. Seien Sie versichert, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf uns verlassen können. Frank Heinrich (CDU/CSU): Sie sehen hier dieses Glas Wasser in meiner Hand. Es ist ohne Frage ein Ge- fäß, ein Instrument mit einer Bestimmung. In diesem Fall soll es helfen, meinen Durst zu löschen. Dieses In- strument eignet sich vielleicht auch noch für die eine oder andere Sache, aber ganz sicher nicht, um damit feste Nahrung zu sich zu nehmen oder gar den Euro zu retten. Und hier sind wir bei der Deutung meiner Meta- pher. In der politischen Diskussion geht es heute um ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das ebenfalls für ei- nen konkreten Nutzen eingeführt wurde – den sogenann- ten Minijob. Minijobs sind geringfügige Beschäftigun- gen, bei denen die monatliche Verdienstgrenze bis zu 400 Euro beträgt. Der heute zur Beratung stehende Antrag der Fraktion Die Linke fordert eine Änderung bei diesem Instrument der geringfügigen Beschäftigung, die meiner Überzeu- gung nach einer Abschaffung dieses Werkzeugs und damit dieses Nutzens nahekommt. Minijobs sind ein wichtiges Ventil für den Arbeitsmarkt, für viele Arbeit- nehmer die einzige legale Möglichkeit, ihr Haushaltsein- kommen aufzubessern und ein wirksames Mittel zur 16296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Bekämpfung von Schwarzarbeit. Die geringfügige Be- schäftigung trägt neben anderen Instrumenten zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bei. Insbesondere in privaten Haushalten sind Minijobs wichtig geworden – Stichwort Schwarzarbeit. So entstehen ehrliche Zahlen. Denn viele Menschen haben auch vor der Einführung der Minijobs in den Haushalten gearbeitet. Jetzt wird da- raus eine offizielle Beschäftigung. Die Gründe für die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung sind vielfältig. Für viele Menschen, die nur ein überschaubares Stundenbudget zur Verfügung haben, wie zum Beispiel Hausfrauen, Rentner, Schüler oder Studenten, schaffen gerade die Minijobs eine wich- tige und unbürokratische Hinzuverdienstmöglichkeit. Heute Morgen sprach ich mit einer Mutter aus Chem- nitz, die sehr froh ist über diese Möglichkeit des gerin- gen Zuverdienstes. Ja, sie weiß auch, dass es hin und wieder schwierig mit dem Arbeitgeber sein kann, mag aber gar nicht darüber nachdenken, deswegen eine sol- che Chance zu verpassen. Sie selber sieht es als eine tolle Möglichkeit, in einem geringen Umfang weiterhin arbeiten zu können und dadurch später den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Auswertungen aus dem Mikrozensus 2008 zeigen, dass nur 17,4 Prozent der Minijobber nach einer anderen oder nach einer weiteren Tätigkeit suchen, also den Um- fang ihrer Beschäftigung erweitern möchten – so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine An- frage der Fraktion der SPD zur Entwicklung der gering- fügigen Beschäftigung in Deutschland. Sie, liebe Kolle- gen von den Linken, erwecken in ihrem Antrag einen ganz anderen Eindruck. Minijobs ermöglichen unbürokratische Anstellungen für kurzfristigen und geringfügigen Arbeitskräftebedarf. Dieses Instrument wird insbesondere von Arbeitgebern genutzt, die kein großes Unternehmen leiten. Denn die Abwicklung des Melde- und Beitragsverfahrens bei der Minijob-Zentrale ist viel einfacher im Vergleich zu ande- ren Beschäftigungsformen. Es wird häufig angemerkt, dass bei Minijobs gerin- gere Entgelte gezahlt werden. Es muss aber beachtet werden, dass viele Minijobs Tätigkeiten sind, für die keine besondere Qualifikation erforderlich ist, wie zum Beispiel bei Kellnern, Callcenter-Mitarbeitern und Hilfs- kräften im Reinigungsbereich. Ein Student aus meinem Umfeld in Chemnitz hat mir vorgestern bestätigt, wie gern die Minijobs angenommen werden, vor allem aus dem Grund, dass Minijobber selber keine Steuern und Abgaben zahlen müssen. Zugleich ist uns jedoch bewusst, dass diese Beschäfti- gungsverhältnisse nicht unproblematisch sind. Miss- brauch ist hier nicht ausgeschlossen. Daher hat es mich persönlich gefreut, zu hören, dass Sozialpolitiker der CDA ein Gesetz gegen eben diesen Missbrauch von Mi- nijobs gefordert haben; daran beteilige ich mich gerne. In Wirklichkeit wird oft wesentlich mehr gearbeitet und wesentlich mehr an Arbeitsleistung erbracht, als durch diesen 400-Euro-Job abgedeckt ist. Es ist ein Pro- blem, dass es Minijobber gibt, für die es das einzige Ein- kommen ist und die deswegen ergänzend Arbeitslosen- geld II beziehen. Dieses Werkzeug – der Minijob – war natürlich nicht dazu gedacht, dass dann generell ergän- zende staatliche Leistung beansprucht wird. Die ursprüngliche Idee dieses Instruments war unter anderem, den geringfügig Beschäftigten die Möglichkeit einzuräumen, auf diese Weise einen Übergang in ein re- guläres Arbeitsverhältnis zu schaffen. Denn eine Ver- mittlung in Minijobs kann im Einzelfall die erwerbsfähi- gen Menschen an den Arbeitsmarkt heranführen. Es sollte zum Beispiel Müttern den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben nach einer Babypause erleichtern. Eine so- ziale Absicherung wäre in diesen Fällen nicht nötig, da dieser Personenkreis in der Regel anderweitig sozial ab- gesichert ist. Das gleiche gilt auch für geringfügig be- schäftigte Studenten, Rentner und Beamte. Geringfügige Beschäftigung darf nicht reguläre Ar- beitsplätze vernichten. Auch dem von der Partei Die Linke in ihrem Antrag aufgeführten Argument, dass Ar- beitgeber reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeits- verhältnisse durch Minijobs ersetzen, um ihre Kosten zu senken, kann nicht so ohne Weiteres zugestimmt wer- den. Nach Auffassung der Bundesregierung gibt es keine eindeutigen und belastbaren Belege für Substitutions- oder Verdrängungseffekte Sozialversicherungspflichti- ger durch geringfügige Beschäftigung. Nach einem An- stieg um rund 0,4 Millionen von Juni 2003 bis Juni 2004 hat sich die Anzahl der ausschließlich geringfügig Be- schäftigten seitdem um nur etwa 0,1 Millionen auf rund 4,9 Millionen Beschäftigte im Juni 2010 erhöht, so die Bundesregierung. Im Zeitraum von 2004 bis 2010 sind jedoch 1,2 Millionen zusätzliche reguläre sozialversi- cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstan- den. Mit jahresdurchschnittlich über 27,7 Millionen war hier 2010 der höchste Stand seit 2002 zu verzeichnen. Was die Gleichstellung von geringfügiger und regulä- rer Beschäftigung angeht, will ich vor allem bemerken, dass geringfügig Beschäftigte und Vollzeitbeschäftigte dieselben arbeitsrechtlichen Schutzansprüche haben. Sie haben die gleiche Möglichkeit, ihre Ansprüche gegen- über dem Arbeitgeber durchzusetzen. Für Minijobber gelten ebenso die gesetzlichen Vorschriften bezüglich Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen. Auch § 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes ver- bietet eine Ungleichbehandlung von geringfügig Be- schäftigten gegenüber anderen Teilzeit- und Vollzeitbe- schäftigten. Viele Minijobber wissen jedoch von ihren Rechten nichts oder nur wenig. Daher werden in der Pra- xis Ansprüche von Arbeitgebern nicht gewährt und von Beschäftigten nicht eingefordert. Diese Vorenthaltung von Arbeitnehmerrechten wird auch seitens der Bundes- regierung missbilligt. Das will ich hier noch einmal ganz deutlich machen. Wir missbilligen diesen Missbrauch vonseiten der Arbeitgeber und weisen auf die rechtlichen Möglichkeiten der betroffenen Arbeitnehmer hin. Minijobs sollen nicht eine billige Option für Arbeit- geber sein. Aus der Höhe der zu leistenden Abgaben und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16297 (A) (C) (D)(B) Beiträge beim Minijob ergibt sich für die Arbeitgeber kein Kostenvorteil. Minijobs sind zwar sozialversiche- rungsfrei, die Sozialversicherungsfreiheit bedeutet je- doch nicht zugleich Beitragsfreiheit, in diesem Fall aber ausschließlich durch den Arbeitgeber. Zum Schluss möchte ich auf das Bild zurückkommen, das ich am Anfang meiner Rede benutzt habe. Das Glas Wasser ist ein Werkzeug zum Stillen des Durstes. Auch die Minijobs sind ein Instrument mit einer konkreten Bestimmung. Dieses Werkzeug gilt es, nach seinem Zweck und Ziel zu nutzen und gegen Missbrauch zu schützen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Fast 7,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten ohne eigenständige Krankenversicherung und Rentenanspruch als Minijob- ber. Lohnfortzahlung bei Krankheit oder bezahlter Ur- laub wird ihnen in der Regel verwehrt. Sie verdienen, obwohl die meisten von ihnen eine abgeschlossene Be- rufsausbildung haben, durchschnittlich etwa fünf Euro pro Stunde, genau 297 Euro im Monat. Der Übergang in existenzsichernde Beschäftigung gelingt nur selten. Zwei Drittel der Minijobber sind Frauen. Von ihnen hat jedoch nur weniger als die Hälfte einen Partner, der selbst in einem regulären Arbeitsverhältnis steht und sie versorgen könnte. Da der Minijob zur Existenzsicherung nicht ausreicht, muss häufig eine aufstockende Sozial- leistung in Anspruch genommen werden. Es sind also keine selbstgewählten Hausfrauen, die sich ein bisschen dazu verdienen wollen, wie die CDU/CSU gerne be- hauptet. Besonders dramatisch ist, dass zunehmend sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in ge- ringfügige zerlegt und so reguläre Arbeitsplätze ver- drängt werden. Im Gastgewerbe hat es zum Beispiel zwischen 2004 und 2010 eine Zunahme der Vollzeitstel- len von fünf Prozent gegeben, die Minijobs sind jedoch im selben Zeitraum um 26 Prozent angestiegen. Im Ein- zelhandel und in der Gebäudereinigung ist der gleiche Trend zu beobachten. Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern bleibt oft mangels besserer Angebote keine an- dere Wahl als der Minijob. Miese Arbeitsbedingungen und Minilöhne – das ist eine aufwachsende Realität vor allem für Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In keinem anderen euro- päischen Mitgliedstaat gibt es eine ähnlich arbeitneh- merfeindliche Entwicklung. Die Ausweitung von prekä- rer Beschäftigung entwertet nicht nur Arbeit, sie schadet auch der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Auf der einen Seite werden gut ausgebildete Beschäf- tigte mitten im Arbeitsleben in prekäre Beschäftigung abgedrängt. Auf der anderen Seite bahnt sich ein giganti- scher Fachkräftemangel aufgrund des demografischen Wandels an. Das passt nicht zusammen. Warum gibt es überhaupt Minijobs? Werfen wir einen Blick zurück: Diese Beschäftigungsform wurde in den 90er-Jahren manifestiert, um Menschen, die dem Ar- beitsmarkt nicht mehr oder nur eingeschränkt zur Verfü- gung standen, einen abgabenfreien Zuverdienst zu er- möglichen. Die damalige Zielgruppe waren vor allem hinzuverdienende Hausfrauen. Die Nachfrage war in Westdeutschland aufgrund des damaligen Rollenver- ständnisses und mangelnder Kinderbetreuungsstrukturen hoch. Familie und Beruf ließen sich nur schwer unter ei- nen Hut bringen. Die Hoffnung war auch, ihnen den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern und ihnen eine Perspektive auf ein normales Arbeitsver- hältnis zu eröffnen. Unter rot-grüner Regierung wurde 1999 die Geringfü- gigkeitsgrenze auf 325 Euro festgesetzt und eine pau- schale Sozialversicherungsabgabe durch die Arbeitgeber von 22 Prozent eingeführt. 2003 wurde dann nach einem Vermittlungsverfahren auf Druck der CDU/CSU-regier- ten Länder die Grenze für Minijobs auf 400 Euro ange- hoben, die Sozialversicherungsabgabe auf 25 Prozent heraufgesetzt und die bisherige Begrenzung von maxi- mal 15 Wochenstunden abgeschafft. Außerdem wurde die Sozialversicherungsfreiheit für Jobs bis zu 400 Euro neben dem eigentlichen Arbeitsverhältnis eingeführt. Damit war das Tor für Minijobs und für prekäre Be- schäftigung weit aufgestoßen. 2006 haben wir durch eine Heraufsetzung der Sozial- versicherungsbeiträge für die Minijobs auf 30 Prozent versucht, diese Beschäftigungsform für Arbeitgeber wie- der unattraktiver zu machen. Leider hatten wir damit keinen Erfolg. Die Arbeitgeber haben ihre Mehrkosten einfach auf die Minijobber umgelegt. Die prekäre Be- schäftigung boomt weiter. Damals war die Arbeitsmarktsituation allerdings eine andere als heute. Die Arbeitslosigkeit hatte mit fünf Mil- lionen einen alarmierenden Höchststand erreicht. Heute haben wir deutlich unter drei Millionen arbeitslose Men- schen und einen sich unaufhaltsam anbahnenden Fach- kräftemangel. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir also dringend für eine nachhaltige Attraktivitätsstei- gerung auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Wie könnte das besser funktionieren als mit guter Arbeit und fairen Löh- nen? Leider ist in dieser Richtung keinerlei Bewegung von der schwarz-gelben Bundesregierung zu verzeichnen. In den Antworten der Bundesregierung auf unserer Kleine Anfrage „Entwicklung der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland“ wurde das Aufwachsen von Minijobs und prekärer Beschäftigung zwar deutlich beschrieben. Darüber aber, was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenkt, wurde nichts gesagt. Es gibt weder Initiativen für einen dringend notwendigen gesetzlichen Mindest- lohn noch Bestrebungen, prekäre Beschäftigung in ande- rer Weise zu bekämpfen. Das ist fahrlässig und höchst gefährlich. Ich komme zum Antrag der Linken: Schauen wir in diesen Forderungskatalog. Finden wir da etwas, was uns weiterhilft? Ja! Wir finden die Forderung nach einem Mindestlohn. Die SPD fordert seit Jahren einen flächen- deckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde. Damit wäre vielen schon geholfen. Wir finden die Forderung nach einem Gleichstel- lungsgesetz für die Privatwirtschaft. Klasse! Das wollen 16298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) wir auch. Leider haben Sie sich bei unserem Antrag „Mit gesetzlichen Regelungen die Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben umgehend durchsetzen“ im letzten Jahr enthalten. Wir finden die Forderung nach Initiativen, Minijob- ber besser über ihre Rechte zu informieren. Das ist drin- gend notwendig: Ihre Rechtsansprüche müssen endlich durchgesetzt werden. Dafür brauchen wir bessere Infor- mation und wirksame Sanktionsmöglichkeiten. Und wir finden, das haben wir auch nicht anders er- wartet, die Forderung nach einer Sozialversicherungs- pflicht ab dem ersten Euro. Das würde bedeuten, es gäbe keine – gar keine – Möglichkeit mehr, Personen in gerin- gem zeitlichem Umfang ohne Sozialversicherungspflicht zu beschäftigen. Auch nicht den Babysitter, den Zei- tungsausträger und auch nicht die studentische Hilfskraft in den Semesterferien. Diese Tätigkeiten würden sich nicht mehr lohnen. Problematisch ist auch der radikale Schnitt, den Sie vorschlagen, für die anderen Minijobs. 7,5 Millionen Menschen würden von einem Tag auf den anderen vor dem Problem stehen, zunächst einmal noch weniger in den Tasche zu haben als ihre durchschnittlich 297 Euro. Damit würden sie immer noch keine Ansprüche erwer- ben, die in irgendeiner Form existenzsichernd wären: weder im Fall von Arbeitslosigkeit noch für die Rente. Die Krankenkassen würden vor einem großen Problem stehen. Wie soll man jemanden einigermaßen kostende- ckend versichern, der nicht einmal 400 Euro verdient? Was wir brauchen sind reguläre, ordentlich entlohnte Beschäftigungsverhältnisse. Mit ihrem Vorschlag schießt die Linke zu schnell. Klar ist: Reformbedarf ist da, und wir brauchen bei den Minijobs so schnell wie möglich Verbesserungen. Wir müssen die wöchentliche Arbeitszeit bei den Mi- nijobs wieder begrenzen. Für maximal 400 Euro im Mo- nat soll niemand mehr als zwölf Stunden wöchentlich ar- beiten müssen. Dringend müssen wir den gesetzlichen Mindestlohn einführen, um Lohndumping zu unterbin- den. Niemand soll unfreiwillig Teilzeit arbeiten müssen: Wir brauchen mehr ganztägige Kinderbetreuung und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das betrifft Eltern und Pflegende. Wir müssen Anreize setzen – sowohl in Richtung Ar- beitnehmer als auch in Richtung Arbeitgeber –, gute Arbeit wieder als Leitbild in unserer Arbeitswelt zu eta- blieren. Dafür müssen wir auch die geringfügige Be- schäftigung reformieren – keine Frage! Aber bitte wohl überlegt. Nicht, dass die Menschen, die von einem Mini- job versuchen zu leben, vom Regen in die Traufe kom- men. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Liebe Kol- leginnen und Kollegen von der Linkspartei, ich frage mich, wie man eigentlich ein Gedankensystem nennt, das sämtliche Erscheinungen auf einen einzigen Grund reduziert. Ich glaube, dass nennt man ideologisch. Und ich frage mich, wie sie es immer wieder schaffen, in al- len, aber wirklich in allen ihren arbeitsmarkt- und sozial- politischen Anträgen die Einführung eines flächende- ckenden gesetzlichen Mindestlohns zu fordern. Da könnte man fast denken, bei Ihnen würde die Vorstellung herrschen, die Abwesenheit eines flächendeckenden ge- setzlichen Mindestlohns sei an allem schuld. Böse Zun- gen würden da leichtfertig den Ideologievorwurf erhe- ben. Für mich hingegen stellt ihre diesbezügliche Beharrlichkeit in guter Kollegialität natürlich erst einmal nur ein Rätsel dar. Ich freue mich daher auf weitere Ge- spräche in der Sache. Deswegen bin ich aber auch nicht vom Hocker gefallen, als ich Ihren Antrag zu Minijobs las. Was auch immer man mit den Minijobs macht, es gibt eine Sache, die nicht fehlen darf. Richtig: der Min- destlohn. Klassisch Linkspartei sozusagen. Abgesehen davon ist Ihr Antrag aber auch noch in an- derer Hinsicht ein Klassiker, vielleicht sogar ein ideologi- scher; denn zur Ideologie gehört ja schließlich auch, dass die Wirklichkeit nur wahlweise ins Blickfeld gerät. Bei- spielsweise brauchen sie keine zehn Zeilen, um zur Be- hauptung zu kommen, die Menschen hätten „zumeist un- freiwillig“ nur einen Minijob. „Zumeist“ heißt wohl mehrheitlich. Allerdings ist es noch kein halbes Jahr her, seit das Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage gemacht hat, in der nach der Zufriedenheit mit Minijobs gefragt wurde. Und mehr als die Hälfte der Befragten hat mit Ja geantwortet; ja, sie seien damit zufrieden, „nur“ ei- nen Minijob zu haben. Typischer Fall von falschem Be- wusstsein? Unfreiwillig aber trotzdem zufrieden, seltsam. Oder es stimmt einfach nicht, dass Minijobber „zumeist unfreiwillig“ nur einen Minijob haben. Übrigens gab in der Umfrage knapp ein Viertel aller Minijobinhaber an, dass sie anstelle des Minijobs lieber einen sozialversiche- rungspflichtigen Teilzeit- oder Vollzeitjob hätten. Immer- hin, und ich denke, den Wunsch dieser Menschen muss man ernst nehmen. Ob man ihnen aber dadurch einen Ge- fallen tut, dass man sie in Bundestagsanträgen fälschli- cherweise zur Mehrheit der Minijobinhaber macht, da habe ich so meine Zweifel. Sie hätten auch Recht gehabt, wenn Sie hier nur auf die spezielle Situation von Frauen verwiesen hätten; denn wir wissen ja aus IAB-Untersuchungen, dass zwei Drittel aller Frauen, die nur einen Minijob haben, gerne mehr arbeiten würden. Ich zitiere da aus einem IAB- Kurzbericht von Frau Susanne Wanger. Ich glaube, Sie kennen den Kurzbericht auch; denn in Ihrem Antrag gibt es einen prima Zahlendreher. In der Antragsbegründung behaupten Sie, dass „der Anteil der geringfügigen Be- schäftigung (Minijobs) an allen Teilzeitbeschäftigungs- verhältnissen … von 2 Prozent im Jahr 1991 auf 47 Pro- zent im Jahr 2010 gestiegen“ sei. In Frau Wangers Kurzbericht liest man hingegen Folgendes: „Deshalb ist der Anteil der geringfügig Beschäftigten an allen Teil- zeitbeschäftigten von 1991 bis 2010 nur um 2 Prozent- punkte auf 47 Prozent gestiegen.“ Haben wir jetzt eine Steigerung um 2 oder um 45 Prozentpunkte? Verzeihen Sie mir, aber ich glaube lieber dem IAB. Und dann hätten wir da natürlich noch ein Drittes, das bei einer ideologischen Betrachtung auf keinen Fall feh- len darf, nämlich das gute alte Non sequitur, also einen logischen Fehlschluss. „Nur ein Drittel der geringfügig Beschäftigten erlangen ein sozialversicherungspflichti- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16299 (A) (C) (D)(B) ges Arbeitsverhältnis“, schreiben Sie und folgern daraus, dass Minijobs „keine Brücke in reguläre Beschäftigung“ darstellen würden. Stimmt das? Nein, das stimmt nicht. Sie müssten schon Zahlen produzieren, aus denen her- vorgehen würde, welcher Anteil derjenigen Minijobber, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an- streben, dabei scheitert und warum daran ausgerechnet die Minijobs schuld sein sollen. Aber trotz Ihrem Fehl- schluss müssten Sie ja eigentlich zu der Auffassung ge- langen, dass es sich sehr wohl um eine Brücke handelt, nur eine, die zu schmal ist. Das würde aber doch immer noch – zumindest in den Augen von erfahrenen Brü- ckenbenutzern – einen entschiedenen Vorteil gegenüber der völligen Abwesenheit einer Brücke bedeuten, oder? Auch einen weiteren Ihrer Dauerbrenner, das ökono- mietheoretische Nullsummenspiel, haben Sie natürlich wieder untergebracht. „Nicht zuletzt höhlen Minijobs die sozialen Sicherungssysteme aus, da die abgeführten Bei- träge niedriger als bei einer sozialversicherungspflichti- gen Beschäftigung sind“, schreiben Sie. Übersetzt: Näh- men wir mehr ein, hätten wir mehr Einnahmen. Es gibt halt die Wertschöpfung, und davon kann man sich über Sozialversicherungsbeiträge entweder viel oder wenig nehmen. Die Wertschöpfung als solche bleibt davon na- türlich unberührt. Dass viele Minijobs überhaupt erst da- durch entstehen, dass sie nicht vollsozialversicherungs- pflichtig sind, das scheint ihre Vorstellungskraft zu übersteigen. Der Wirtschaftskuchen ist immer gleich groß, die Politik müsste sich nur einmal dazu durchrin- gen, größere Stücke abzuschneiden. Wissen Sie was? Ir- gendwie stimmt mich ihre Überlegung skeptisch. Zum Schluss noch ein paar allgemeine Informationen zu Minijobs – allesamt direkt aus der Minijob-Zentrale der DRV Knappschaft-Bahn-See: Minijobs haben punktu- ell zugenommen, es gibt keinesfalls immer mehr Mini- jobs. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten bewegt sich im Dezember 2010 auf einem annähernd gleichen Niveau wie bereits im Dezember 2004. In diesen sechs Jahren hatten wir ein Wachstum an Minijobs um 107 000, von rund 6,94 Millionen auf rund 7,05 Millionen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten von 26,38 Millionen im Dezember 2004 auf fast 28,05 Millionen im Dezember 2010, also um 6,3 Prozent, während die geringfügige Beschäftigung nur um 1,5 Prozent in diesem Zeitraum zunahm. Ihre be- rüchtigte Verdrängungsthese sollten Sie, liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Linkspartei, also noch einmal näher betrachten. Rund 1,4 Millionen der insgesamt rund 1,8 Millionen Minijobarbeitgeber beschäftigen aktuell höchstens drei Minijobber. Und jetzt frage ich Sie: Glau- ben Sie eigentlich ernsthaft, dass diese rund 80 Prozent al- ler Arbeitgeber mal eben so die Ressourcen haben, auf die von Ihnen beabsichtigte Preiserhöhung zu reagieren? Also wirklich, mal ernsthaft, und auch nur unter uns. Glauben Sie wirklich, dass das gar keine Effekte auf Beschäfti- gungsniveau und Schwarzarbeit hätte? Ich freue mich also auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe, dass Sie Ihre Position noch einmal verändern. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Niedriglöhne, unsichere Beschäftigung und Benachteiligungen im Ar- beitsalltag – das ist die Realität von Millionen Minijob- berinnen und Minijobber in diesem Land. Minijobs ha- ben massiv reguläre Arbeitsplätze verdrängt oder sind statt dieser entstanden, vor allem im Bereich der Dienst- leistungen etwa der Gastronomie, dem Einzelhandel oder der Reinigung. Betroffen sind vor allem Frauen, die mehrheitlich Mi- nijobs besetzen. Sie werden auf dem Arbeitsmarkt be- nachteiligt, ihre Chancen beschnitten. Minijobs sind aber ein gesamtgesellschaftliches Problem; denn unser Ar- beitsmarkt gerät in eine Schieflage. Arbeitgeber werden auf Kosten der Gemeinschaft subventioniert. Verände- rungen sind mehr als überfällig. Unser Antrag soll dazu ein Anstoß sein. Ich hoffe, die späte Beratung heute ist keine Hiobsbotschaft für den künftigen Umgang mit dem Thema. Was ist eigentlich mit Minijob gemeint? Grob gesagt, handelt es sich um Arbeitsverhältnisse mit einem Mo- natsverdienst bis 400 Euro, für die – das ist wichtig – verringerte Sozialabgaben gezahlt werden. Dieser Son- derstatus, gepaart mit der geringen Wochenarbeitszeit, hat dazu geführt, dass hier Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse entstanden sind, und zwar in einem atemberau- benden Tempo. In Deutschland gibt es derzeit etwa 7,5 Millionen „geringfügig Beschäftigte“, wie die Mini- jobs im Fachjargon genannt werden. Das sind 3,3 Millio- nen oder 80 Prozent mehr als zu Beginn des Jahres 2003. In diesem Jahr wurden durch die Hartz-Gesetze mehr oder weniger alle Auflagen für die Minijobs abgeschafft. Vor allem die Zahl der Beschäftigten, die einen Mini- jobs als Zweitjob ausüben, ist gestiegen. Oft reicht der eine Job nicht zum leben. Das ist ein Armutszeugnis für die Politik. Die zentralen Probleme der Minijobs sind belegt: Mi- nijobs bedeuten Minilöhne. Laut Statistischem Bundes- amt bekommen vier von fünf Minijobberinnen und Mi- nijobbern Stundenlöhne unterhalb der Niedriglohn- schwelle von 9,85 Euro in der Stunde. Keine andere Be- schäftigungsform ist so stark armutsgefährdet wie die geringfügige. Minijobberinnen und Minijobber werden im Ar- beitsalltag benachteiligt. Sie erhalten häufig keine Lohn- fortzahlung im Krankheitsfall oder keinen bezahlten Ur- laub. Sie werden auch nur in geringem Umfang in Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen. All dies ist ei- gentlich arbeitsrechtlich verboten, findet aber trotzdem statt. Weil Minijobs nicht der vollen Sozialversicherungs- pflicht unterliegen, sind sie nicht oder kaum sozial abge- sichert. Das ist schlecht für den Beschäftigten und die Allgemeinheit. Die Beschäftigten erwerben keine nen- nenswerten Rentenansprüche, Altersarmut ist so vorpro- grammiert. Der Allgemeinheit gehen Beitragszahlungen in Milliardenhöhe verloren. Ein derartiger Sonderstatus, das heißt, eine bestimmte Beschäftigungsform von der vollen Sozialversicherungspflicht zu befreien, ist abge- sehen von Österreich einzigartig in Europa. Es gibt kei- nen vernünftigen Grund, warum das so bleiben sollte. 16300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 (A) (C) (D)(B) Wer profitiert von dieser subventionierten Beschäfti- gungsform? Einzig und allein die Unternehmen, die ver- stärkt auf Minijobs setzen. Im Postsektor versuchen zum Beispiel private Konkurrenten der Deutschen Post, mit dem massiven Einsatz dieser Billigjobs einen Wettbe- werbsvorteil zu erlangen. So wird in vielen Branchen ein Wettlauf nach unten in Gang gesetzt. Arbeitgeber verschaffen sich immense Kostenvorteile zulasten der Beschäftigten und der Allgemeinheit. Denn die gesenkten Sozialabgaben, die de facto Bestandteil des Lohnes sind, werden nicht an die Beschäftigten wei- tergegeben – im Gegenteil. Ein Beispiel ist dafür ist der Textildiscounter KIK. Die Einzelhandelskette beschäftigt Tausende Minijob- ber. Sie wurde 2009 wegen der Zahlung sittenwidriger Löhne verurteilt. Zwei KIK-Beschäftigte hatten geklagt. Das Unternehmen musste ihnen Löhne im Wert von 10 500 Euro und 8 900 Euro nachzahlen. Die Gewerkschaft Verdi hat errechnet, dass KIK durch den hohen Anteil geringfügig Beschäftigter jähr- lich zweistellige Millionenbeträge spart und den Sozial- kassen dadurch Hundertausende Beitragsgelder vorent- halten werden. Arbeitgebersubventionen auf Kosten der Beschäftigten und Allgemeinheit, damit muss Schluss sein! Es ist nicht zu akzeptieren, was Union und FDP in ih- rem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Sie wollen – ich zitiere – „die Arbeitsanreize auch für gering entlohnte Beschäftigungsverhältnisse verbessern“ und die angebli- che „Brückenfunktion von Minijobs“ in „voll sozialver- sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse“ stär- ken. Aber gibt es tatsächlich diese Brückenfunktion? Nach aktuellen Zahlen der Minijobzentrale erlangt ledig- lich ein Drittel der geringfügig Beschäftigten ein sozial- versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Die große Mehrheit bleibt in der prekären Beschäftigung gefangen. Minijobs sind keine Zwischenbeschäftigung. Sechs von zehn Minijobs dauern länger als ein Jahr, vier von zehn sogar länger als zwei Jahre. Die Linke streitet für einen Kurswechsel! Wir sagen: Es ist Zeit, die Fehlentwicklung bei den Minijobs zu- rückzudrängen, der mit den Hartz-Gesetzen die Tür ge- öffnet wurde. In dem vorliegenden Antrag machen wir konkrete Vorschläge, wie Minijobs in reguläre Beschäftigungsver- hältnisse überführt, Niedriglöhne bekämpft, gleiche Be- zahlung von Frauen und Männern erreicht und mehr gute Arbeit geschaffen werden kann. Zentral ist, Arbeit ab dem ersten Euro voll sozialver- sicherungspflichtig zu machen und endlich einen gesetz- lichen Mindestlohn einzuführen. Eine solche Initiative wird auf den erbitterten Widerstand der Arbeitgeber sto- ßen insbesondere aus dem Minijobbranchen. Das sind die Erfahrungen der gescheiterten Reform von 1998/99. Nach dem grandiosen Wahlsieg der rot-grünen Koalition kündigte der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine an, eines der ersten Amtshandlungen der Regierung werde es sein, die Minijobs neu zu regeln. Er sagte: „Wenn wir eine solche Fehlentwicklung des Arbeits- marktes weiterhin zuließen, wäre ein zentraler Pro- grammpunkt unserer Partei beschädigt, nämlich für die Gleichberechtigung der Frauen in Beruf und Gesell- schaft einzutreten.“ Aber die Lobbyisten der Minijobbranchen arbeiteten schon damals gut. Bundeskanzler Gerhard Schröder er- teilte einer wirklichen Reform ein Absage und brach ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD. Einige Jahre später wurde mit den Hartz-„Reformen“ die Minijobbe- schäftigung vollkommen freigegeben. Welche Schlussfolgerungen sind daraus für heute zu ziehen? Wir brauchen eine breite Allianz, um aufzuklä- ren und gesellschaftlichen Druck zu entfalten. Nur so ist den Wirtschaftslobbyisten Paroli zu bieten. Minijobs in reguläre Beschäftigung umzuwandeln, das fordern in- zwischen viele, nicht nur die Gewerkschaften. Der Deut- sche Frauenrat, dessen Mitgliedsorganisationen ein sehr breites Spektrum umfassen, hat dazu im letzten Jahr ei- nen einstimmigen Beschluss gefasst. Gleiches gilt für den Deutschen Juristentag, der fordert, die geringfügige in reguläre Beschäftigung zu überführen. Selbst die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutsch- lands, CDA, hat im Sommer dieses Jahres einen Be- schluss gefasst, die „Prekarisierung der Arbeitswelt“ einzudämmen, und beklagt, dass unter anderem durch Minijobs „die Beteiligungs-, Mitwirkungs- und Mitbe- stimmungsrechte der arbeitenden Menschen“ unterhöhlt werden. Diese verschiedenen Kräfte zusammen können ein breites Bündnis ergeben, um auf die bestehende schwarz-gelbe Regierung Druck auszuüben. Mut macht dabei die Bewegung bei unserem europäischen Nach- barn Slowenien. Dort haben sich im April 2011 in einer Volksabstimmung 80 Prozent der Beteiligten gegen eine Einführung von Minijobs ausgesprochen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir auch in Deutschland vorwärtskommen. Es ist dringend notwen- dig. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entwicklung bei den Minijobs ist ein Problem. Es kann nicht „gewollt“ oder „erwünscht“ sein – wie das Bundesarbeitsministerium es behauptet –, dass jeder fünfte Job ein Minijob ist, in vielen Teilen Westdeutsch- lands sogar jeder vierte. Fakt ist, dass seit der Neurege- lung der Minijobs die Beschäftigung insgesamt um 4 Prozent, die Minijobs aber um satte 31 Prozent zuge- nommen haben. Auch sonst sprechen die Fakten eine deutliche Spra- che: Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ist im Gast- gewerbe seit 2004 um etwas mehr als 30 000 auf 639 000 gewachsen. Im selben Zeitraum hat die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in der Bran- che um fast das Sechsfache auf knapp 835 000 zuge- nommen. Wer angesichts solcher Zahlen bestreitet, dass Minijobs reguläre Beschäftigung ersetzen, der will den Missstand nicht sehen und der will auch nicht sehen, dass inzwischen gesamte Branchen ein Geschäftsmodell auf Basis von Minijobs betreiben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 136. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Oktober 2011 16301 (A) (C)Mit diesem Zuwachs und dieser Entwicklung verbun- den sind zahlreiche Risiken und Nebenwirkungen, und darum wächst die Phalanx gegen die Minijobs. Ich zähle hier nur einige auf: Der Deutsche Frauenrat, der Sach- verständigenrat, die Bertelsmann-Stiftung, der DGB, der Deutsche Juristentag, der Sachverständigenrat zur Er- stellung des Ersten Gleichstellungsberichtes, das IAB, das IZA, das IAQ – von überall dort sind gewichtige Einwände gegen die Minijobs zu hören, verbunden mit der Forderung, hieran etwas zu ändern. Es ist doch absurd: Hier in Deutschland wird mit viel Geld ein Beschäftigungssegment unterstützt und privile- giert, das maßgeblich zur Ausweitung des Niedriglohn- sektors beiträgt, das für Arbeitslose keine Brückenfunk- tion in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besitzt, das keine existenzsichernden Einkommen und keine eigenständige soziale Sicherung bietet und das die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Ar- beitsmarkt verhindert. Eine Ballung so vieler Nachteile sucht ihresgleichen, und da könnte man doch meinen, dass auch die Arbeitsministerin den Handlungsdruck sieht. Aber nichts dergleichen. Da wird trotz der versam- melten Expertise verharmlost und abgewiegelt. Das Höchste, zu dem sich Frau von der Leyen bisher hat hin- reißen lassen, ist die Aussage, dass sie von dem Plan Ab- stand genommen hat, die Verdienstgrenzen für 400-Euro- Jobs zu erhöhen. Niemand außer vielleicht der FDP diskutiert noch über eine Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung. ern: weg von den Minijobs und hin zu sozialversiche- rungspflichtiger und existenzsichernder Arbeit. Frau von der Leyen, würden Sie nur einen Bruchteil des Engage- ments, das Sie auf die Forderung nach einer festen Frauenquote in der Privatwirtschaft verwenden – ein Vorhaben das ich ausdrücklich unterstütze –, auf die Minijobs richten, dann könnten Sie erkennen, dass in Ihrem originären Zuständigkeitsbereich ein Thema brachliegt, das, richtig bearbeitet, vor allem für Frauen echte Verbesserungen bringen würde. Zwei Drittel aller Minijobs werden von Frauen ausge- übt. Sie sind für die meisten dieser Frauen eine Niedrig- lohnfalle. Durch sie wird der Zuverdienerinnenstatus in Partnerschaften zementiert, und sie tragen maßgeblich dazu bei, dass das Fachkräftepotenzial vieler Frauen un- genutzt bleibt. Das alles widerspricht zumindest unseren grünen Zielen in der Arbeitsmarkt-, aber auch in der Frauenpolitik. Wir sehen wie viele andere Handlungsbedarf bei den Minijobs. Wir sehen natürlich auch die Widerstände, die von denen kommen werden, die offensichtlich oder auch nur vermeintlich von der bisherigen Regelung profitie- ren. Das ist aber kein Grund, in einen Totstellreflex zu verfallen. Es ist unsere Aufgabe, Probleme und Lösungs- wege offensiv zu diskutieren und Alternativen zu ent- wickeln. Das wird nicht einfach, aber wir stehen dazu zur Verfügung. Ich bin gespannt auf die Ausschussbera- tung und rege an, dass wir für dieses Thema schon ein- Aber immer mehr sehen die Notwendigkeit, umzusteu- mal eine Anhörung einplanen. (B) (D) 136. Sitzung Inhaltsverzeichnis: TOP 5 Telekommunikation und Internet TOP 6, 30, ZP 3 Energieeffizienz TOP 35, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 36 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5 Aktuelle Stunde zum Grundsatzprogramm der Partei DIE LINKE TOP 8 Bundeskinderschutzgesetz TOP 9 Entwicklungspolitik TOP 10 Insolvenzrecht TOP 11 Familienpolitik TOP 12 Finanzkraft der Kommunen TOP 13 Kündigungsschutz bei unter 25-Jährigen TOP 14 Bundesverfassungsschutzgesetz TOP 15 Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik TOP 16 Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrecht TOP 32 Minijobs TOP 18 Europäisches Finanzaufsichtssystem TOP 19 Betreuung von Zivilpersonal in Konflikten TOP 20 Umweltauditgesetz TOP 21 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland TOP 22 Strategie gegen Lebensmittelverschwendung TOP 23 Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie TOP 24 Druckfarben für Lebensmittelverpackungen TOP 25 Gräbergesetz TOP 26 Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz TOP 27 Elektronische Gesundheitskarte TOP 28 Cannabis-Clubs Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dorothee Mantel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
    Liebe Kollegin Deligöz, gestern im Ausschuss hat sich
    das Ganze von Ihnen wesentlich positiver angehört.


    (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben nur nicht richtig hingehört!)


    Deswegen bin ich mir sicher, dass Sie im Grunde Ihres
    Herzens eigentlich dafür sind, dass wir dieses Bundes-
    kinderschutzgesetz heute nach zweiter und dritter Le-
    sung verabschieden.

    Was mir besonders gut gefällt: Wir haben heute den
    ganzen Tag ein sehr schönes Wort gehört – das haben
    wir gestern im Ausschuss schon gehört; heute in unter-
    schiedlicher Tonlage eigentlich von allen Rednerinnen
    hier –: Meilenstein.


    (Michaela Noll [CDU/CSU]: „Meilenstein“, genau!)


    Ich bin mir ganz sicher, dass dies nicht jedes Mal der
    Fall ist – selbst bei uns nicht –, dass nicht jedes einzelne
    Gesetz ein absoluter Meilenstein ist; aber in diesem Fall
    ist es das wirklich.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ich bin sehr froh darüber, dass es uns nach so vielen Jah-
    ren – heute ist ein paarmal von eineinhalb Jahren gespro-
    chen worden; die Kolleginnen und Kollegen wie die
    Kollegin Rupprecht, die schon länger in diesem Aus-
    schuss tätig sind, wissen, dass dieses Vorhaben eigent-
    lich einen Vorlauf von sechs Jahren hatte – möglich ist,
    diesen Gesetzentwurf heute zu verabschieden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Was mich auch freut, ist, dass es gestern im Aus-
    schuss keine einzige Gegenstimme gab. So wie ich es bis
    jetzt verstanden habe, wird es auch hier im Plenum keine
    einzige Gegenstimme geben. Natürlich wäre es mir lie-
    ber, wenn sich die drei Oppositionsfraktionen nicht nur
    enthalten, sondern auch zustimmen würden; das wäre
    wesentlich schöner. Aber es ist auf jeden Fall so, dass
    entweder unsere Kolleginnen und Kollegen heute zu-
    stimmen oder sich enthalten, weil sie denken, das sei für
    die Opposition wichtig.

    Ich möchte heute ganz besonders drei Punkte hervor-
    heben, die für mich die Qualität dieses Gesetzes ausma-
    chen. Das sind die vielzitierten Familienhebammen, die
    Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger und die Vor-
    lage eines erweiterten Führungszeugnisses für Tätigkei-
    ten, die in einem engen Kontakt zu Kindern und Jugend-
    lichen stehen.

    Beginnen möchte ich mit den Familienhebammen,
    weil sie mir wirklich eine absolute Herzensangelegen-
    heit sind. Wir stellen für diesen Bereich 120 Millionen
    Euro zur Verfügung. Man kann sich immer darüber strei-
    ten – das ist völlig richtig –, ob es nicht besser wäre, et-
    was fest im Haushalt zu haben. Natürlich wäre uns das
    lieber als so viel Projektförderung in diesem Land; ich
    denke, darüber sind wir uns einig. Ich bin trotzdem sehr
    dankbar für diese 120 Millionen Euro.

    Es ist wichtig, dass wir eines noch einmal klarmachen
    – ich habe manchmal das Gefühl, dass es von einigen in
    den Ländern nicht richtig verstanden wird –: Es gibt ei-
    nen sehr großen Unterschied zu normalen Hebammen.
    Die Familienhebammen haben eine ganz besondere Aus-
    bildung. Sie sollen in die sogenannten Risikofamilien hi-
    neingehen und frühzeitig dabei sein. Im Idealfall beglei-
    ten sie schon vor der Geburt, während der Geburt und





    Dorothee Bär


    (A) (C)



    (D)(B)

    sofort im Anschluss daran; denn dann wissen sie, was
    die Besonderheiten in der Familie sind.

    Von daher muss die Frequenz eine andere sein. Der
    Auftrag ist ein anderer. Natürlich sind auch Art und In-
    halte der Tätigkeiten verschieden. Dabei geht es um das
    Hinhören – das haben wir hier im Plenum schon oft be-
    sprochen –, aber auch darum, wirklich Hilfestellung zu
    leisten, wenn eine Überforderung da ist. Jeder, der mit
    kleinen Kindern zu tun hat, weiß, dass die ersten Monate
    meist noch relativ unkritisch sind; denn wenn ein Kind
    von 24 Stunden 22 Stunden schläft, dann ist eine Über-
    forderung nicht in dem Maße gegeben wie dann, wenn
    sich diese Schlafphase reduziert und mehr Bewegung da
    ist. Auch dann müssen Familienhebammen noch zur
    Verfügung stehen und Hilfestellung leisten können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Familienhebammen müssen proaktiv arbeiten kön-
    nen, weil sie auch Türöffner zum Hilfesystem sind; sie
    haben eine Brückenfunktion inne. Hebammen und be-
    sonders Familienhebammen haben etwas, was viele an-
    dere nicht haben, nämlich das Vertrauen der Familien.
    Die Familien wissen, dass diese Hebammen fast ein Teil
    der Familie und ein guter Ansprechpartner sind.

    Nichts anderes hat die Ministerin gesagt, auch nicht in
    einem falschen Tonfall, Frau Deligöz. Das ärgert mich
    jetzt schon ein bisschen. Zu den Einwänden der Länder,
    beispielsweise den Kosteneinwänden, die darauf zielen,
    dass länger durch normale Hebammen betreut werden
    soll, sagen wir: Das ist für uns keine Alternative, weil
    die Familienhebammen eine ganz besondere Schulung
    haben, weil sie anders mit den Dingen umgehen und
    weil sie anders auf Problemstellungen reagieren können
    als normale Hebammen. Das wurde auch in unserer An-
    hörung zum Bundeskinderschutzgesetz deutlich. Die Fa-
    milienhebammen sind eine wirkliche Hilfe. Deswegen
    ist eine ganz besondere Qualifikation nötig.

    Darüber dass der Kinderschutz Geld kostet und nicht
    zum Nulltarif zu haben ist, sind wir uns alle einig. Des-
    wegen appelliere ich hier noch einmal an die Länder, ih-
    rer Verantwortung gerecht zu werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir erlauben im Kinderschutzgesetz Ärztinnen und
    Ärzten, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn es
    Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung gibt, sodass
    es in Zukunft leichter möglich sein wird, die Jugendäm-
    ter zu informieren. Das ist in den einzelnen Bundeslän-
    dern bislang sehr unterschiedlich geregelt, und zwar so
    unterschiedlich, dass viele Kinderärztinnen und Kinder-
    ärzte sehr unsicher sind in der Frage, was sie weiterge-
    ben dürfen. Insofern wollen wir Sicherheit schaffen und
    erreichen, dass sie Konsequenzen im Sinne beruflicher
    Nachteile nicht fürchten müssen. Deswegen war es uns
    sehr wichtig, eine solche Grundlage zu schaffen.

    Es ist wichtig, dass gerade Kinderärzte, Psychologen
    und Sozialarbeiter, die die Anzeichen von Misshandlung
    und Verwahrlosung als Erste zu sehen bekommen, eine
    – ich nenne es jetzt einmal so – schnelle Eingreiftruppe
    sein können und wirklich sofort, unmittelbar handeln
    können.

    Zum erweiterten Führungszeugnis wird meine Kolle-
    gin Michaela Noll sicherlich noch etwas sagen. Wir ha-
    ben lange darüber diskutiert, wie das bei ehrenamtlich
    und hauptamtlich Tätigen zu sehen ist. Da gibt es natür-
    lich Für und Wider. Trotzdem ist es so, wie wir es jetzt
    regeln wollen, sehr gut.

    Ich möchte abschließend noch etwas sagen, weil ich
    keine falschen Erwartungen wecken will; am Anfang
    wurde ja auf die Schicksale von Jessica, Kevin und Lea-
    Sophie hingewiesen. Einen absoluten Schutz wird es na-
    türlich nicht geben. Mit keinem Gesetz der Welt werden
    wir gewährleisten können, dass nie mehr ein Kind in un-
    serem Land eine Misshandlung erfährt. Aber es wird
    vieles vermieden werden können. Wenn alle, die mit un-
    seren Kindern und Jugendlichen zu tun haben, wachsam
    sind, wenn sie hinschauen und nicht wegschauen, wird
    sich auf jeden Fall sehr viel ändern.

    Deswegen bin ich froh darüber, dass es nach dieser
    langen Odyssee heute zu einem guten Ende kommt. Ich
    würde mich außerordentlich freuen, wenn diejenigen,
    die jetzt sagen: „Ich bin zwar nicht dagegen, aber ich
    werde mich enthalten“, sich noch einen Ruck geben
    könnten, sodass wir heute mit einer sehr breiten Mehr-
    heit des Hauses Ja zu Kindern und Ja zum Kinderschutz
    sagen.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Eduard Oswald
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bär. – Als nächste Red-

nerin spricht nun für die Fraktion der Sozialdemokraten
unsere Kollegin Frau Caren Marks. – Bitte schön, Frau
Kollegin Marks.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Caren Marks


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Da-

    men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
    Bär, dieser Ruck wird für die Zustimmung nicht ausrei-
    chen; dafür – das werde ich gleich noch im Detail aus-
    führen – hätte der Gesetzentwurf an einigen Punkten
    noch ein wenig besser sein müssen.

    In den Reden zuvor wurde bereits mehrfach betont,
    dass der vorliegende Gesetzentwurf zum Kinderschutz
    gute Ansätze enthält. Dies ist auch der engagierten Ar-
    beit der Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion,
    Marlene Rupprecht, zu verdanken. Vielen Dank!


    (Beifall bei der SPD)


    Ein gelingender Schutz von Kindern und Jugendli-
    chen muss möglichst früh ansetzen, am besten schon vor
    der Geburt. Auch das wurde hier heute schon mehrfach
    betont. Es geht darum, das Vertrauen der Familien zu ge-
    winnen, ihnen Hilfen anzubieten und sie bei Bedarf zu un-
    terstützen. Das Schlüsselwort bei alldem ist: Vernetzung.
    So müssen verschiedene Fachkräfte – beispielsweise Mit-
    arbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendhilfe, Ärztin-
    nen und Ärzte, Hebammen und Familienrichter – zum





    Caren Marks


    (A) (C)



    (D)(B)

    Schutz des Kindeswohls zusammenarbeiten. Dadurch
    wird es besser gelingen, Eltern stark zu machen, ihre
    Kinder gut zu erziehen, sie zu fördern und sie durchs Le-
    ben zu begleiten. Ich denke, das wollen wir alle gemein-
    sam.

    Die meisten Eltern wollen, dass ihre Kinder gut und
    gesund aufwachsen. Jede Mutter und jeder Vater kann
    aber irgendwann einmal in Situationen geraten, in denen
    sie bzw. er Rat und Unterstützung braucht, wenn es um
    die Erziehung und die Begleitung des Kindes geht. Dazu
    braucht es Angebote mit qualifizierten Ansprechpart-
    nern. Die Arbeit der Stadtteilmütter ist ein gutes Bei-
    spiel, das man auch einmal erwähnen sollte.

    Der Entwurf des Kinderschutzgesetzes enthält An-
    sätze zur Stärkung von Anlaufstellen und von Hilfenetz-
    werken. Ich sage aber auch ganz deutlich: Kinderschutz
    ist nicht nur eine Frage von Gesetzen. Einen guten Kin-
    derschutz gibt es nicht zum Nulltarif.


    (Beifall bei der SPD)


    Meine Kolleginnen und Kollegen, die neuen Regelun-
    gen müssen vor allem in den Kommunen und dort von
    den Jugendämtern und den freien Trägern umgesetzt
    werden. Diese müssen finanziell dazu in der Lage sein,
    genügend Personal vorzuhalten und die Fachkräfte ent-
    sprechend aus- und weiterzubilden.

    Wir haben schon oft im Ausschuss darüber diskutiert,
    dass die Realität in den Kommunen häufig ganz anders
    aussieht. Die Fachkräfte in der Jugendhilfe, die eine
    engagierte Arbeit leisten, stehen häufig unter Zeit- und
    gleichermaßen unter Kostendruck. Deswegen ist die
    Frage der Finanzierung so wichtig. Es gibt eine öffentli-
    che Verantwortung für das Aufwachsen unserer Kinder.

    Die SPD-Bundestagsfraktion fordert von der Bundes-
    regierung verlässliche Lösungen ein. Was tut diese Bun-
    desregierung aber stattdessen? Sie verkündet erneut
    Steuersenkungen zum Jahresanfang 2013. Diese unsägli-
    che Aktion wird die Länder und Kommunen weiter
    finanziell in die Enge treiben. Noch schlimmer: Steuer-
    senkungen konterkarieren auch das Bemühen um einen
    guten Kinderschutz vor Ort. Darum muss dieses Thema
    unweigerlich im Zusammenhang mit der Frage diskutiert
    werden, wie es gelingen kann, ein Gesetz, das gute An-
    sätze enthält, vor Ort umzusetzen und mit Leben zu er-
    füllen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ich frage Sie, Frau Ministerin Schröder: Warum ha-
    ben wir von Ihnen nicht einen Satz gehört, in dem Sie
    sich deutlich gegen diesen Unsinn aussprechen? Bis zum
    6. November – dann will die Bundesregierung gemein-
    sam mit den Ministerpräsidenten der Union eine Ent-
    scheidung fällen – haben Sie Zeit, Ihr Veto gegen Steuer-
    senkungen einzulegen. Frau Ministerin, Sie müssten
    doch ein Interesse daran haben, dass das Kinderschutz-
    gesetz vor Ort gut umgesetzt werden kann. Nehmen Sie
    endlich Ihre Rolle als Familienministerin ernst, und
    kämpfen Sie für den Kinderschutz und für eine Stärkung
    der Kommunen!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Finanzie-
    rung krankt dieser Gesetzentwurf daran, dass Sie den
    Gesundheitsbereich nicht einbezogen haben. Dies lag
    auch daran, dass sich der Bundesgesundheitsminister
    während der gesamten Verhandlungen weggeduckt hat.
    Er hat sich verweigert und keinerlei Vorschläge ge-
    macht, wie die Kooperation des Gesundheitswesens mit
    der Jugendhilfe verbessert werden kann.

    In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass beispiels-
    weise Ärztinnen und Ärzte wenig über die Jugendhilfe
    wissen und selten die Anlaufstellen für Familien vor Ort
    benennen können. Oft sind sie nicht ausreichend ge-
    schult, um eine Kindesvernachlässigung oder einen Kin-
    desmissbrauch zu erkennen. Der gute Wille ist natürlich
    vorhanden; das alleine reicht aber nicht aus.

    Von der Wissenschaft, aber auch von den Fachverbän-
    den wird zu Recht angemahnt, die Gesundheitsförderung
    und die Prävention zu stärken. Wir, die SPD-Bundes-
    tagsfraktion, haben hierzu ein konkretes Konzept vorge-
    legt. Wir fordern ein bundeseinheitliches Präventionsge-
    setz, das im direkten Lebensumfeld von Familien ansetzt
    und alle Akteure an einen Tisch holt. Gesundheitsförde-
    rung und Prävention müssen in der Familie, in den Kitas
    und in den Schulen ansetzen. Nur so kann das Vorhaben
    wirklich gelingen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Die Frage ist: Warum verweigern sich Union und
    FDP hartnäckig einem solchen Gesetz, das den Kinder-
    schutz unterstützen würde?


    (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die weigern sich bei allen Gesetzen!)


    Noch einmal zurück zum Entwurf des Kinderschutz-
    gesetzes: Es ist notwendig, die Rolle der Hebammen zu
    stärken. Sie begleiten die Mütter von Anfang an. Ihre
    Unterstützung wirkt präventiv und gesundheitsfördernd,
    sowohl für das Neugeborene als auch für die Eltern. Es
    gibt ein gutes Modellprojekt in Bayern und Rheinland-
    Pfalz. In diesem Modellprojekt wird zurzeit die Auswei-
    tung der Hebammenleistungen auf den Zeitraum von
    sechs Monaten erfolgreich erprobt. Junge Familien kön-
    nen so besser unterstützt werden. Aber es ist eben nur
    ein Modellprojekt.

    Warum hat Bundesminister Bahr auch hier eine ver-
    nünftige Regelung blockiert? Eine solche Regelung
    würde die Familien stärken und so die Kinder besser
    schützen. Ich finde, diese Blockade ist mehr als bedauer-
    lich.


    (Beifall bei der SPD und der LINKEN)


    Was ist das für ein Signal, wenn ein Kinderschutzgesetz
    verabschiedet und gleichzeitig der Mittelansatz im Haus-
    halt für die Förderung der Kindergesundheit halbiert und
    die Ausgaben für Prävention und Gesundheitsförderung
    drastisch gekürzt werden?


    (Dagmar Ziegler [SPD]: Skandalös! – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ein Skandal!)






    Caren Marks


    (A) (C)



    (D)(B)

    – Das ist in der Tat ein Skandal.

    Die SPD-Bundestagsfraktion erkennt Ihr Bemühen
    um einen besseren Schutz von Kindern und Jugendli-
    chen an. Der Gesetzentwurf geht zweifellos in die rich-
    tige Richtung. Aber bleiben Sie beim Kinderschutz nicht
    auf halber Strecke stehen. Deswegen appelliere ich an
    die Bundesregierung: Fallen Sie den Ländern und Kom-
    munen nicht mit weiteren Steuersenkungsplänen in den
    Rücken! Auch das würde die Kinder in unserem Land
    stärken.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der SPD)