Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Ich begrüße Sie alle herzlich und rufe gleich ohneweiteren Verzug unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesse-rung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt.Das Wort für den einleitenden Bericht hat die Bundes-ministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. von derLeyen.Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Wir haben heute, wie eben erwähnt, den Ent-wurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Eingliede-rungschancen am Arbeitsmarkt eingebracht, in einer Ar-beitsmarktsituation, die zurzeit sehr solide ist. DerArbeitsmarkt ist enorm aufnahmefähig: Wir haben imAugenblick über 40 Millionen Erwerbstätige am Ar-beitsmarkt. Wir haben knapp 3 Millionen Arbeitslose,1 Million offene Stellen. Insofern haben wir im Augen-blick eine Situation, die für Arbeitslose im Vergleich zuhkcümszdbgvlibmInszsZuInoRedetfrüheren Zeiten sehr günstig ist, um die Eingliederung inden ersten Arbeitsmarkt tatsächlich zu schaffen. Wir se-hen das auch daran, dass die Sockelarbeitslosigkeit zumersten Mal seit 25 Jahren sinkt; sie sinkt langsamer alsdie kurzfristige Arbeitslosigkeit, aber sie sinkt. Dasheißt, hier ist Bewegung drin.Angesichts dessen ist es das Ziel der Reform der ar-beitsmarktpolitischen Instrumente, diese wirksamer undwirtschaftlicher zu gestalten, das heißt, Mitnahmeeffekteauszuschließen und insbesondere genauer hinzuschauen,ob sich das eine oder andere arbeitsmarktpolitische In-strument in den letzten Jahren bewährt hat: Ist es zeitge-mäß und angesichts der Veränderungen am Arbeitsmarktnoch angemessen? Oder hat sich gezeigt, dasskung gering ist, dass es in Zeiten der Maslosigkeit eingesetzt werden konnte, aber jetztder Integration in den ersten Arbeitsmarkt be
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Letzter Punkt. Ein Teil der Reform betrifft den soge-nannten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.Das Ziel im öffentlich geförderten Beschäftigungssektorist, Menschen, die sehr weit vom ersten Arbeitsmarktentfernt sind, die Chance zu geben, wieder an den erstenArbeitsmarkt herangeführt zu werden. Es besteht immerdas Risiko, dass Menschen durch die öffentlich geför-derte Beschäftigung dauerhaft im zweiten Arbeitsmarktbleiben und geringere Chancen haben, in den ersten Ar-beitsmarkt zu kommen. Deshalb sind die bisherigen In-strumente detailliert evaluiert worden. Wir haben Verän-derungen herbeigeführt, die sicherstellen, dass konkreterhingeschaut wird, ob jemand, der vor zwei, drei Jahrenwährend der Massenarbeitslosigkeit vielleicht nochkeine Chance hatte, jetzt in den ersten Arbeitsmarkt ein-treten kann. Das ist wichtig, damit die Menschen imzweiten Arbeitsmarkt nicht bloß verwaltet werden, son-dern tatsächlich im ersten Arbeitsmarkt auf eigenen Fü-ßen stehen können. Dies ist eine Veränderung, die mei-nes Erachtens der verbesserten Arbeitsmarktlageangemessen ist.
Herzlichen Dank für den Bericht, Frau Ministerin. Ich
verbinde das mit der Hoffnung, dass die Verletzung, die
Sie sich offenkundig am Arm oder an der Hand zugezo-
gen haben, nicht ganz so gewaltig ist, wie sie aussieht.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Der Kopf funktioniert noch.
Jedenfalls nehmen wir mit Beruhigung zur Kenntnis,
dass sie Ihre Handlungsfähigkeit nicht entscheidend ein-
schränkt.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Genau. Man sollte mit mir zurzeit keine Händel an-
fangen.
Eine solche Absicht wird von vornherein auch nicht
bestanden haben.
Jedenfalls nehme ich mit Interesse zur Kenntnis, dass
so ziemlich alle anwesenden Mitglieder des Hauses
gerne Fragen stellen möchten. Wir werden sehen, ob und
in welcher Reihenfolge wir das bewältigen.
Wir beginnen mit Frau Mast. Dann gehen wir der
Reihe nach durch die Fraktionen und schauen, wie viel
Zeit wir brauchen, um das Thema, das offenkundig nicht
nur wichtig ist, sondern auch großes Interesse findet,
möglichst angemessen zu behandeln. – Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau von der Leyen,
zuerst einmal gute Besserung für Ihre Hand, auch von
meiner Seite.
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durchaus angemessener Höhe zur Verfügung. Die Ar-beitslosigkeit ist deutlich gesunken. Wir befinden uns imAugenblick an der 3-Millionen-Grenze. Man kann nichteinfach sagen, dass die Mittel, die zur Hochzeit der Kriseeingesetzt wurden, für alle Zeit zur Verfügung stehenmüssen.Zum zweiten Punkt, zur Einstiegsqualifizierung. Siewird in der Tat bis zum Ende des Ausbildungspaktes er-halten bleiben. Hieran anschließend kann ich sagen: EinInstrument ist nur dann gut, wenn es in die Zeit passt.Die Einstiegsqualifizierung passt zum Ausbildungspakt.Aber es ist vollkommen legitim, zum Ende des Ausbil-dungspaktes, im Jahr 2014, Bilanz zu ziehen: Was habenwir erreicht? Haben sich die Umstände verändert? Müs-sen wir etwas adaptieren? Müssen wir etwas verändern?Diese Fragen werden 2014 aktuell sein. So haben wirauch in den letzten Jahren agiert. Es gab eine Zeit, in derganz viele Ausbildungsplatzsuchende um wenige Aus-bildungsplätze konkurrieren mussten. Heute hat sich dasBild geändert. Ausbildungsbetriebe suchen inzwischenaktiv nach Azubis, weil es nicht mehr so viele Bewerbe-rinnen und Bewerber gibt.Werfen wir auch einen Blick auf die Berufseinstiegs-begleitung. Es hat sich herauskristallisiert, dass dies einausgesprochen wirksames Instrument ist. Es fand, be-grenzt auf 1 000 Schulen, ein Modellversuch statt. Manmuss erklärend sagen, dass die Bundesagentur für Arbeitin die Schulen geht, und zwar in die Vorabschlussklas-sen. Die Schule ist dafür zuständig, dass Jugendliche et-was lernen und gut auf das Leben und damit auch auf dieAusbildung vorbereitet werden. Die Jugendlichen, dieProbleme auf dem Ausbildungsmarkt haben, werdenbeim Übergang von der Schule in den Ausbildungsbe-trieb begleitet. Diese Begleitung kann bis zu zwei Jahredauern.Dieses Instrument wurde geschaffen mit Blick auf dieJugendlichen, die wirkliche Probleme haben. Zur Erin-nerung: Im Augenblick verlassen 7 Prozent der Jugend-lichen die Schule ohne Abschluss, und 10 Prozent derAzubis brechen ihre Ausbildung ab. Das Ziel muss sein,diese Zahlen zu reduzieren. Im Rahmen der Qualifizie-rungsoffensive hat die Bundesregierung das Ziel formu-liert, diese Zahlen bis 2015 zu halbieren. Dieses Instru-ment, mit dem die Jugendlichen schon in der Schule andie Hand genommen werden, ist richtig. Es ist richtig,dass die Begleitung quasi aus einer Hand stattfindet unddass die Jugendlichen begleitet werden, bis sie in Aus-bildung sind, bis sie flügge sind.Warum Kofinanzierung? Wenn man den Modellver-such, der auf 1 000 Schulen begrenzt war, auf alle Schu-len ausdehnen möchte, dann ist es, so finde ich, absolutlegitim, diejenigen, die ganz stark davon betroffen sind,nämlich die Schulen und damit die Länder, an der Ko-finanzierung zu beteiligen. Wir reduzieren die Mittelalso nicht, sondern breiten diese wirksame Hilfe auf alleSchulen aus. An dieser Stelle werden die Themen„Schule“ und „Länderfinanzierung“ berührt. Die Länderkönnen als Kofinanzierer auftreten. Das kann aber auchüber ESF-Programme kofinanziert werden. Das ist keineaAgdshtuwBwdkmwCFgkWza1ob5fibbvhbzvg„JeAdv
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Gerade das Thema „zweite Chance“ ist ein Spezifi-kum, das sich insbesondere an Schülerinnen und Schülerrichtet, die notorische Schulschwänzer sind. Gemeinsammit Jugendamt, Eltern und Schule wird versucht, diesenjungen Menschen eine zweite Chance zu geben, dieSchule zu beenden.Der Schwerpunkt wurde hierbei auf den Übergangvon der Schule in die Ausbildung gelegt. Die Bundes-agentur für Arbeit geht mit einer großen Summe Geld– 3,2 Milliarden Euro – an die Förderung junger Men-schen heran, um unter anderem diejenigen Jugendlichen,die ein hohes Risiko tragen, die Schule abzubrechen unddann ohne Qualifikation in der dauerhaften Arbeitslosig-keit zu enden, pünktlich in der Schule abzuholen unddurch Hilfe aus einer Hand in ein Ausbildungsverhältniszu bringen.Sie haben die älteren Arbeitnehmer erwähnt. Erlau-ben Sie mir, als Reaktion darauf Folgendes zu sagen: Einklassisches Beispiel für den Einsatz dieser arbeitsmarkt-politischen Instrumente ist die Verbesserung der Weiter-bildung älterer Arbeitnehmer in kleineren und mittlerenUnternehmen. Auch hier handelt es sich um einen neuenSchwerpunkt. Bisher konnte die Bundesagentur für Ar-beit diese Maßnahme der Weiterbildung entweder ganzfinanzieren, oder sie hat sie gar nicht finanziert. Wir er-öffnen nun die Möglichkeit einer Teilfinanzierung. Auchhier wird der Schwerpunkt auf Qualifikation und Weiter-bildung gelegt, und zwar gerade unter dem Aspekt desFachkräftemangels.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Johannes
Vogel für die FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Mein Fraktionsvorsit-
zender legte großen Wert darauf, dass ich zehn Sekunden
investiere, um Ihnen im Namen meiner Fraktion gute
Besserung für Ihren Arm zu wünschen.
Jetzt meine konkreten Fragen: Muss unser Leitbild
bei der Instrumentenreform nicht auch der gut ausgebil-
dete Betreuer im Jobcenter und in der Arbeitsagentur vor
Ort sein, der mit großer Flexibilität und Autonomie tätig
ist? Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir mit der im
Gesetzentwurf verankerten Möglichkeit, SGB-III-Instru-
mente gerade bei Langzeitarbeitslosen in abgewandelter
Form anzuwenden, etwa im Bereich der freien Förde-
rung, einen Schritt in die richtige Richtung gehen?
Könnten Sie bitte ausführen, inwiefern das die Motiv-
lage für die Bundesregierung war?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Ich glaube, hier findet ein deutlicher Paradigmen-
wechsel statt, gerade was die Beschäftigten in den Job-
centern angeht. Ich meine die Erkenntnis, dass ein guter
Vermittler oder eine gute Vermittlerin in Kenntnis des
Marktes und einer schnellen, passgenauen Vermittlung
ganz viel bewirken kann. Das ist gut für den Arbeitslo-
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Gut. Ich freue mich, dass wir da einer Meinung sind.
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Wann, wenn nicht jetzt? Schon derzeit klagen zumBeispiel einige Zeitarbeitsfirmen, dass sie nicht mehr ge-nügend Personen finden, die sie vermitteln können. Alsosollten wir jetzt dafür sorgen, dass diese Menschen, dieam Arbeitsmarkt bisher null Chancen hatten, weil dieKonkurrenz unter den Arbeitslosen so groß war, in denersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Es ist auch nichtrichtig, dass es allein arbeitsmarktpolitische Maßnahmensind, die zu Arbeit führen. Fast die Hälfte der Vermitt-lungen finden ohne arbeitsmarktpolitische Maßnahmestatt, also ohne dass der Staat hierfür Geld investiert.
Wir müssen einen Schwerpunkt auf Weiterbildung le-gen, und wir müssen bei der öffentlich geförderten Be-schäftigung genauer hinschauen. Wir haben die Situa-tion, dass in der öffentlich geförderten Beschäftigungden Trägern Summen als Pauschalen gezahlt wordensind, die zum Teil größer waren als das Entgelt, das demArbeitslosen gezahlt wurde. Dort müssen wir genauerhinschauen. Das Ziel ist nicht der öffentlich geförderteSektor, sondern der erste Arbeitsmarkt.Wenn Sie den Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeitals gering beziffern, dann muss ich Ihnen als Arbeits-marktexpertin in Erinnerung rufen: In den letzten25 Jahren gab es nach jeder Krise keinen Rückgang derLangzeitarbeitslosigkeit, sondern nur einen Aufwuchsder Sockelarbeitslosigkeit.
Jetzt erleben wir zum ersten Mal seit 25 Jahren einenRückgang der Langzeitarbeitslosigkeit. Diese Chancegilt es jetzt zu nutzen.
Die nächste Frage stellt Dr. Matthias Zimmer.
Frau Ministerin, ich darf mich zunächst den Wün-
schen für eine schnelle Heilung Ihrer Handverletzung
anschließen.
Das kostet alles unnötig Zeit. Ich hatte das bereits für
das ganze Haus getan.
Meine Frage wird aber nicht länger als eine Minute
dauern. – Man kann es ja als gutes Omen verstehen, dass
Sie bei diesem Gesetzgebungsvorhaben ein gutes Händ-
chen haben.
Ich habe nur eine kurze Frage: Bei den 1-Euro-Jobs
sind die Trägerpauschalen auf 150 Euro begrenzt wor-
den. Warum ist diese Begrenzung vorgenommen wor-
den?
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Daraus kann man ersehen, dass es eine zu große Band-
reite gegeben hat, wobei niemand begründen konnte,
arum der eine nichts und der andere sehr viel bekom-
en hat. In Zahlen heißt das: Wir haben im letzten Jahr
nd 1 Milliarde Euro in die 1-Euro-Jobs investiert;
00 Millionen Euro wurden an die Arbeitslosen und
00 Millionen Euro wurden an die Träger gezahlt. Es
uss in diesem Falle eine Klarstellung im Gesetz getrof-
n werden. Jetzt soll es 30 Euro im Monat als Grundpau-
chale und 120 Euro im Monat zusätzlich für besondere
ituationen geben.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass man
den Jobcentern ganz unterschiedliche Herangehens-
eisen gesehen hat, wie die 1-Euro-Jobs in ganz
eutschland genutzt – in einigen Fällen mit Mitnahme-
ffekten zu sehr ausgenutzt – worden sind.
Vielen Dank. – Alexander Ulrich ist der nächste Fra-
esteller.
Frau Ministerin, meine erste Frage ist: Dieses Geset-esvorhaben ist weniger durch die Menschen, die davonetroffen sind, sondern eher durch die Haushaltslage ge-rägt. Können Sie noch einmal beziffern, wie hoch dieuswirkungen auf den Haushalt sind, ob es Umschich-ngen in Ihrem Ministerium gibt, und, wenn ja, bezüg-ch welcher Maßnahmen?Meine zweite Frage lautet: Sind die Kürzungen derittel für den öffentlichen Beschäftigungssektor und die-Euro-Jobs so zu verstehen, dass die Bundesregierungie Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufgibt?enn dadurch bestehen noch weniger Chancen, dieseenschen in Arbeit zu bringen.Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürrbeit und Soziales:Oberstes Ziel der Bundesregierung ist die Bekämp-ng der Langzeitarbeitslosigkeit. Wir wollen dafür sor-en, dass im ersten Arbeitsmarkt mehr Arbeitsplätze an-eboten werden. Ich habe schon ausgeführt: Früher, zueiten der Massenarbeitslosigkeit und in der Krise, warie Situation schwierig. Heutzutage werden allerdingsunehmend Arbeitskräfte gesucht, sodass die Konkur-nz der Arbeitslosen abnimmt. Demzufolge steigen die
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Chancen von Langzeitarbeitslosen, einen Weg zurück inden ersten Arbeitsmarkt zu finden.Zu Ihrer Eingangsfrage. Die arbeitsmarktpolitischenInstrumente betreffen sowohl den Haushalt der Bundes-agentur für Arbeit als auch, im Hinblick auf das SGB II,den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums. Was denHaushalt der Bundesagentur für Arbeit betrifft, wurdendie Auswirkungen dieser Reform zum Teil berücksich-tigt. So wird zum Beispiel der Gründungszuschuss voneiner Pflichtleistung in eine Ermessensleistung umge-wandelt. Der Gründungszuschuss hat sich in vielen Fäl-len bewährt. In manchen Fällen haben die Wissenschaft-ler, die sich mit diesem Thema befasst haben, aber aucheinen Mitnahmeeffekt festgestellt. Sie kamen zu dem Er-gebnis, das die jeweilige Gründung in 60 bis 70 Prozentder Fälle auch ohne Gründungszuschuss durchgeführtworden wäre.Darüber hinaus gibt es beim Gründungszuschuss einzweites Problem: Es kam zu manchen „Notgründun-gen“. Nunmehr gibt es „Solo-Selbstständige“, die nurknapp 1 000 Euro im Monat verdienen und nur mitMühe über die Runden kommen oder sogar aufstocken,also zusätzlich Hartz IV beziehen müssen. Dies kann an-gesichts der derzeitigen Konjunkturlage nicht das Zieldes Gründungszuschusses sein. Deshalb haben wir be-schlossen, ihn in eine Ermessensleistung umzuwandeln.Wir wollen, dass vor Ort überprüft werden kann, ob je-mand fähig ist, sich selbstständig zu machen, oder ob dieGrundlage dafür zu dünn ist.Ein letzter Satz zum Haushalt meines Ministeriums.Die mittelfristige Finanzplanung sieht vor, dass wir inden nächsten zwei, drei Jahren über ein Budget verfügenwerden, das in etwa die gleiche Höhe hat wie das Bud-get, das wir 2006 zur Verfügung hatten, damals aller-dings bei sehr viel höheren Arbeitslosenzahlen.
Die nächste Frage stellt Frau Lösekrug-Möller.
Frau Ministerin, Sie haben schon erwähnt, dass Siesich besonders anstrengen wollen, die Langzeitarbeitslo-sigkeit zu bekämpfen. Diese Anstrengungen finden, wieich denke, die Unterstützung des ganzen Hauses. Mirstellen sich aber noch einige Fragen.Ich schließe zunächst an die Ausführungen der Kolle-gin Pothmer an. Wir haben heute im Ausschuss die Aus-sagen von Herrn Weise gehört. Ich glaube, er hat zu Rechtdeutlich gemacht: Wer selbst in der jetzigen guten kon-junkturellen Lage immer noch keine Arbeit auf dem ers-ten Arbeitsmarkt hat, der hat nicht nur ein, sondern offen-kundig mehrere Probleme. Der Personenkreis, für dendies gilt, ist sehr groß. Ich habe gerade vernommen, dassIhr Ziel ist, auch diese Personengruppe in den ersten Ar-beitsmarkt zu integrieren. Das finde ich unterstützens-wert. Es verlangt aber – das sagen alle Experten – ganzbesondere Anstrengungen. Je länger jemand langzeitar-beitslos war, umso schwieriger ist dieser Weg nämlichund umso mehr Unterstützung braucht der Betroffene.Dies schlägt sich, wenn man erfolgreich sein will, auch inhnndzUcdhAmvlodLeAk1ggbddkzMteimmdVaddmsGwinkrubsliDmdfeb
Wir sollten nicht, wie bisher, relativ großzügig auf-Euro-Jobs oder die Arbeitsgelegenheiten in der Ent-eltvariante zurückgreifen. Dass dies zurzeit in relativroßzügigem Umfang geschieht, sieht man daran, dassis zu 50 Prozent der Mittel mancher Jobcenter durchiese beiden Varianten gebunden sind. Es kann nicht sein,ass 50 Prozent der Arbeitslosen massivste Schwierig-eiten haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren.Es besteht übrigens eine gute Möglichkeit, Vergleichewischen den Jobcentern anzustellen. Seit Mitte diesesonats gibt es unter www.sgb2.info eine öffentliche In-rnetplattform, auf der jeder Abgeordnete das Jobcenter eigenen Wahlkreis anklicken und sich darüber infor-ieren kann: In welcher Struktur werden die Menschenort in den Arbeitsmarkt integriert? Wie steht man imergleich mit ähnlichen Regionen da? Man kann dortuch schauen, wie das jeweilige Jobcenter in Bezug aufie öffentlich geförderte Beschäftigung dasteht und woie Stärken und Schwächen sind, die man dann auch the-atisieren muss.Wie gesagt: Für diese Gruppe der Langzeitarbeitslo-en, die erhebliche Probleme haben – das ist eine kleineruppe; es sind nicht alle –, stehen die 1-Euro-Jobs nachie vor zur Verfügung. Es gibt die Grundpauschale, die besonderen Fällen um 120 Euro aufgestockt werdenann. Zusätzlich können Aktivierungs- und Eingliede-ngsmaßnahmen mit spezifischer Unterstützung, dieeispielsweise in krankheitsbedingten Fällen notwendigein kann, gewährt werden. Auch eine Förderung zusätz-cher Beschäftigungsverhältnisse ist weiter möglich.ie Möglichkeiten sind alle vorhanden; die Anwendunguss allerdings begründet sein. Der bisherige Zustand,ass es einen großen offenen Topf gibt, in den man grei-n kann – der Bundesrechnungshof hat festgestellt, dassis zu 70 Prozent der erwerbsfähigen Menschen, die
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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diese Entgeltvariante in Anspruch nahmen, nicht die da-für vorgesehenen Kriterien erfüllten –, soll beendet wer-den.
Ich werde versuchen, die eine Minute Redezeit, die
eingehalten werden sollte, etwas besser kenntlich zu ma-
chen, weil die Orientierung dadurch vielleicht erleichtert
wird. – Nächster Fragesteller ist Peter Weiß.
Frau Bundesministerin, mit der letzten Reform wurde
die sogenannte freie Förderung eingeführt, damit vor Ort
flexibel auf die Anforderungen der jeweiligen Arbeits-
losen auf den unterschiedlichen Arbeitsmärkten reagiert
werden kann. Allerdings war die freie Förderung an ver-
schiedene Bedingungen gebunden. Wie sieht die freie
Förderung nach dem Gesetzentwurf künftig aus, und wie
flexibel kann sie vor Ort eingesetzt werden?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Die freie Förderung kann jetzt sehr viel flexibler ein-
gesetzt werden. Wie gesagt: Das Aufstockungsverbot ist
ausgesetzt, und insgesamt können 10 Prozent des Ein-
gliederungsbudgets von den Vermittlerinnen und Ver-
mittlern vor Ort flexibel dafür eingesetzt werden.
In beiden Fällen war die Einhaltung der Redezeit vor-
bildlich. – Markus Kurth ist der nächste Fragesteller.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin den Eindruck zu er-
wecken versucht, die sogenannten 1-Euro-Jobs dienten
überwiegend zur Finanzierung der Träger, die dann mehr
bekämen als die sogenannten 1-Euro-Jobber selbst. Kön-
nen Sie sich nicht vorstellen, dass die Höhe der Pau-
schale für die Träger ganz wesentlich damit zusammen-
hängt, dass die Träger dem zusätzlichen Unterstützungs-
und Beratungsbedarf der Langzeitarbeitslosen gerecht
werden müssen und dass das keineswegs ein Wirt-
schaftsgeschäft ist? Wie stehen Sie vor diesem Hinter-
grund zu der Aussage praktisch aller, die diese Jobs
anbieten, dass sie diese Form der Arbeitsmarktunterstüt-
zung bei einer Pauschale von 150 Euro einstellen wer-
den?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Die eben von mir schon erwähnte Bandbreite von
0 Euro bis zu 1 000 Euro Trägerpauschale im Monat
zeigt zunächst einmal, dass es Unterschiede gibt. Jetzt
werden eine Konkretisierung und eine Begründung ver-
langt. Bisher war das Gesetz offen gestaltet. Es konnte
alles bezahlt oder nicht bezahlt werden; eine Begrün-
dung war nicht erforderlich. Es gab im Gesetz bisher
keine Begrenzung. Wir führen jetzt eine Begrenzung ein,
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für Arbeit in den Unternehmen durchführen – das heißt,die Weiterqualifizierung Älterer in kleinen und mittlerenUnternehmen wird von der Bundesagentur für Arbeit ko-finanziert oder vollfinanziert –, um hier einen Schwer-punkt zu setzen.
Kollegin Scharfenberg.
Herr Präsident! Frau Ministerin, die Reform der ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente wird ja nicht nur hier
diskutiert, sondern beispielsweise auch auf der Arbeitge-
berseite. Da würde mich interessieren: Wie haben die
Paktpartner der Bundesregierung auf die Vorschläge aus
dem Ministerium gerade im Bereich der beruflichen
Ausbildung reagiert? Ich meine vor allem den Bereich
des Übergangs von der Schule zum Beruf.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Erstens ist konsensual verabredet worden, die bereits
erwähnte Einstiegsqualifizierung in den Betrieben, also
zum Beispiel das bezahlte Berufspraktikum zum Ausbil-
dungsbeginn, bis zum Ende des Ausbildungspaktes wei-
terzuführen.
Zweitens soll die neue Form der bewährten Berufs-
einstiegsqualifizierung auf alle Schulen ausgeweitet
werden. Das ist durchaus begrüßt worden.
Wir sind jetzt eigentlich am Ende der vorgesehenen
Befragungszeit. Ich nehme an, Sie sind damit einverstan-
den, dass ich die Wortmeldungen, die mir bereits vorlie-
gen, noch aufrufe, was mir übrigens mit Blick auf die
tatsächlich zum Aufruf kommenden Fragen in der Frage-
stunde durchaus als vertretbar erscheint: die Kollegin
Heidrun Dittrich, der Kollege Max Straubinger, Frau
Haßelmann, Frau Mast und Frau Pothmer. Habe ich ir-
gendjemanden übersehen? – Das ist nicht der Fall. Dann
machen wir das so. – Heidrun Dittrich ist die nächste
Fragestellerin.
Sehr geehrte Frau Ministerin, warum wird von Ihnen
das befristete Instrument der Vermittlungsgutscheine
und privaten Arbeitsvermittler nun unbefristet weiter-
geführt, obwohl die Auswertung ergeben hat, dass die
Arbeitsvermittler dadurch nicht besser, sondern eher in
Niedriglohnbereiche hinein vermitteln, sodass die Men-
schen ihr Hartz-IV-Einkommen aufstocken müssen?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Die wissenschaftliche Evaluation des IAB hat dies
nicht ergeben. Wir haben eine Flexibilisierung dahin ge-
hend eingeführt, dass der Vermittlungsgutschein für pri-
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Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Die von Ihnen skizzierten Personen haben eineChance. Denn es gibt die Instrumente noch, und sie ste-hen für ebendiese Menschen zur Verfügung.Es gibt aber Fälle, über die wir Debatten führen müs-sen, zum Beispiel wenn, wie ich gelesen habe, kommu-nale Beschäftigungsgesellschaften beklagen, dass ihreExistenz gefährdet sei, weil die Mittel des Bundes fürdie Langzeitarbeitslosen reduziert werden. Die SGB-II-Mittel sind nicht dafür da, kommunale Beschäftigungs-gesellschaften zu unterhalten. Über diese Fälle müssenwir reden. Das muss vor Ort konkret begründet werden.Das gilt auch für die Tatsache, dass zum Teil – es istin den Kommunen sehr unterschiedlich eingesetzt wor-den; da trennt sich die Spreu vom Weizen – Beschäfti-gung in Fällen generiert worden ist, die eine klassischekommunale Aufgabe sind. Wenn zum Beispiel in einerKita oder Schule eine bestimmte Aufgabe nicht mehrwahrgenommen werden kann, weil es keinen 1-Euro-Jobber mehr gibt, dann muss man die Frage stellen, wa-rum die Kommune oder das Kultusministerium keinensozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zur Verfü-gung stellt, auf den der Langzeitarbeitslose eingestelltwerden könnte. Es ist nicht Aufgabe der Bundesagenturfür Arbeit oder des Arbeitsministeriums, die Aufgaben,die dauerhaft in einer Schule oder Kita erbracht werden,durchzufinanzieren.Mit Blick auf den Langzeitarbeitslosen gilt: Er odersie muss eine Chance haben, in reguläre Beschäftigungzurückzukehren. Es ist nicht unsere Aufgabe, klassischekommunale Aufgaben wie teilweise bisher dauerhaft zufinanzieren.Noch einmal für den Hinterkopf: Die 1-Euro-Jobsüber zwei Jahre und die Förderung zusätzlicher Beschäf-tigungsverhältnisse über zwei Jahre sind möglich; abereine dauerhaft geförderte öffentliche Beschäftigungohne Rücksicht darauf, wie sich der Arbeitsmarkt ent-wickelt hat, wird es in Zukunft nicht geben.
Frau Kollegin Mast.
Frau Ministerin, Sie haben als Ziel der Reform dieser
Instrumente genannt, nichteffiziente Instrumente zu
überprüfen bzw. abzuschaffen. Ich frage mich, wann Sie
das Instrument Bürgerarbeit abschaffen. Auf die Kleine
Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion in der Halbzeit Ih-
res Modellprojekts hat die Bundesregierung geantwortet,
dass nur 9 Prozent der geplanten Plätze tatsächlich als
Bürgerarbeitsplätze vergeben sind. Dieses Instrument
müsste man dann doch zuerst abschaffen, wenn es um
die Abschaffung ineffizienter Instrumente geht.
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(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das bestreitet Herr Möller doch garnicht!)So steht es schwarz auf weiß im IAB-Gutachten. Wennwir Gutachten in Auftrag geben – in diesem Fall war dasnicht ich, sondern es waren meine Vorgänger – und dannErgebnisse bekommen, dann müssen wir auch unter Ein-beziehung dieser Ergebnisse konkret handeln.Mit dem Gründungszuschuss sind sicherlich viele„richtige“ Gründungen gefördert worden. Dass quasi alsRechtsanspruch formuliert war, dass jeder am Ende derArbeitslosigkeit den Gründungszuschuss in Anspruchnehmen kann, hat sicherlich zu guten Gründungen ge-führt. Aber andere Gründungen hätten auch ohne staatli-che Förderung stattgefunden, und wiederum andereGründungen waren nur halbherzig. Das hatte das Phäno-men der sogenannten Soloselbstständigen – früher ka-men die Betreffenden aus einer Ich-AG – zur Folge. Dasist kein durchgängiges Erfolgserlebnis gewesen. Dass es120 000 Selbstständige gibt, die gleichzeitig Hartz IVbeziehen, spricht dafür, dass diese Form der Selbststän-digkeit wohl keine gute Basis hat. Viele der Betreffen-den haben keine Rentenversicherung. Hier droht ein ho-hes Altersarmutsrisiko.Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass es sichbeim Gründungszuschuss nun um eine Ermessensleis-tung handelt. Darüber entscheidet aber nicht der Vermitt-ler allein. Die Wirtschaftskammern, die Erfahrung vorOrt haben und den regionalen Arbeitsmarkt kennen – dasist ihre Kernkompetenz –, analysieren den Businessplan,setzen sich mit ihm auseinander und untersuchen, ob essich um ein tragfähiges Konzept handelt. Diese Kam-mern entscheiden, ob sie das betreffende Konzept emp-fehlen oder, weil es auf wackligen Beinen steht, nicht.Meines Erachtens ist es in Zeiten, in denen viele sozial-versicherungspflichtige Arbeitsstellen offen sind und al-ternativ besetzt werden könnten, richtig, hier abzuwä-gen, welches der richtige Weg ist.
Vielen Dank. – Ich schließe damit diesen Teil der Be-
fragung der Bundesregierung ab.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Gibt
es sonstige Fragen an die Bundesregierung über die
schriftlich eingereichten hinaus? – Das ist offensichtlich
auch nicht der Fall, was der Staatsminister im Kanzler-
amt sicherlich mit besonderer Genugtuung registriert.
Damit beende ich die Befragung der Bundesregie-
rung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/5875 –
Die Geschäftsbereiche werden in der ausgedruckten
Reihenfolge aufgerufen.
Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwor-
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der Auffassung wie in ihrer Antwort auf meine Frage 55
, dass durch ge-
zielte Zugriffe mit Tötungen durch US-Einheiten die Sicher-
heitslage im Verantwortungsbereich der Bundeswehr verbes-
sert wird, oder schließt sich die Bundesregierung meiner
Auffassung an, dass durch gezielte Tötungen die Gewalt in
Afghanistan geschürt sowie die Sicherheitslage nachhaltig ge-
stört wird?
T
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ollege Ströbele, dazu kann ich Ihnen Folgendes mittei-n: Spezialeinheiten eines Bündnispartners sind ambend des 17. Mai 2011 gemeinsam mit den afghani-chen Partnereinheiten in Taloqan in der Provinz Tacharegen regierungsfeindliche Kräfte vorgegangen. Dabeiurden vier Personen getötet. Zwei Personen wurdenstgenommen. Hierüber wurden die Obleute des Vertei-igungsausschusses in dem üblichen Verfahren, welcheswischen den Fraktionsvorsitzenden vereinbart wordent, unterrichtet. Deutsche Soldaten waren an diesemorfall nicht beteiligt.Diese Zugriffsoperation war offenbar der Anlass fürine gewaltsame Demonstration in Taloqan am 18. Mai011, in deren Verlauf es zu Auseinandersetzungen zwi-chen Sicherheitskräften und Demonstranten auf der ei-en und den afghanischen Sicherheitskräften sowie denewachern des deutschen PAT auf der anderen Seiteam. Dabei kam es zu einer hohen Anzahl an Toten underletzten. Genaue Zahlen können wir deshalb nicht an-eben, weil die afghanischen Behörden ihre Untersu-hungen noch nicht abgeschlossen haben. Wir gehenber davon aus, dass mehr als 10 Personen getötet undtwa 70 Menschen verletzt worden sind. Bei diesem An-riff der Demonstranten, unter anderem auf das PAT,urden 3 deutsche Soldaten und 5 afghanische Sicher-eitskräfte verwundet.Die Bundesregierung stellt dazu bewertend fest: Iner benachbarten Provinz Kunduz, circa 100 Kilometeron Taloqan entfernt, wurden im Jahr 2011 bereits vierelbstmordattentate durchgeführt, bei denen über0 Personen getötet und bis zu 100 Menschen verletzt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12549
Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
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worden sind. Durch die Zugriffsoperation am 17. Mai2011 ist es den Sicherheitskräften offenkundig gelungen,einem bevorstehenden Selbstmordanschlag zuvorzu-kommen und dadurch möglicherweise einer Vielzahlvon Menschen das Leben zu retten. Auf jeden Fall hatdiese Operation zumindest im Bereich Taloqan das imHinblick auf die Sicherheitslage bestehende Bedro-hungspotenzial reduziert.Bedauerlicherweise ist – das muss man sagen – dieseOperation sowohl durch regierungsfeindliche Kräfte alsauch durch lokale politische Akteure instrumentalisiertund damit zum Auslöser für die nachfolgenden gewalt-samen Demonstrationen geworden. Die Ursache für dieDemonstration liegt nach den uns vorliegenden Erkennt-nissen unter anderem in der von ethnischen Bevölke-rungsgruppen empfundenen Benachteiligung im Rah-men der politischen Partizipation. Die Bundesregierungsieht deswegen keinen Anlass, ihre in der Fragestundeam 13. April 2011 zum Ausdruck gebrachte Haltung zuändern, die damals vom Auswärtigen Amt hier vorgetra-gen worden ist.
Herr Kollege Ströbele.
Danke, Herr Staatssekretär. – Man muss feststellen,
dass deutsche Soldaten in Afghanistan nun auch schon
auf Demonstranten schießen. Dabei wurden wahrschein-
lich 14 Menschen getötet und 80 verletzt. Dies besagen
die Zahlen, die in der Presse genannt wurden.
Muss die Bundesregierung nicht aufgrund der Tatsa-
che, dass 3 000 bis 5 000 Personen gegen ISAF demon-
striert haben, den Schluss ziehen, dass ihre Bemühun-
gen, die Herzen der Menschen dort zu gewinnen,
misslungen sind und dass dazu unter anderem entschei-
dend die gezielten Capture-or-Kill-Aktionen beigetragen
haben, also Tötungsaktionen von Spezialeinheiten der
USA, die zusammen mit den Afghanen durchgeführt
wurden? Ist die Bundesregierung nach diesem Vorfall
und aufgrund der Tatsache, dass bestimmt schon
150 solcher Capture-or-Kill-Aktionen allein im Verant-
wortungsbereich der Bundeswehr in Afghanistan durch-
geführt wurden, gewillt, auf die US-Behörden einzuwir-
ken, dass solche gezielten Tötungsaktionen in Zukunft
unterlassen werden, um auf diese Weise eine friedlichere
Atmosphäre zu schaffen und die Herzen der Menschen
vor Ort wirklich zu gewinnen?
T
Herr Abgeordneter, genau diesem Ziel dient das vor-
sichtige Vorgehen der deutschen Soldaten. Es ist nicht
richtig, dass im Zusammenhang mit der Demonstration
deutsche Soldaten 14 Menschen getötet hätten. Deutsche
Soldaten haben in Notwehr gehandelt, um ihr PAT und
die ihnen anvertrauten Menschen in diesem PAT zu
schützen. Aus einer Demonstration heraus, die zunächst
friedlich war, haben sich, nachdem sich gewalttätige De-
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Herr Staatssekretär, würden Sie mir recht geben, dass
to capture“ „gefangen nehmen“ und „to kill“ „töten“
eißt und das eine Aktion von Spezialeinheiten mit dem
iel „capture or kill“, also gefangen zu nehmen oder zu
ten, gewesen ist, dass das Gefangennehmen nicht statt-
efunden hat, sondern das Töten und dass es sich hier
ach Aussage des mit Deutschland verbündeten Präsi-
enten Afghanistans – nicht der Taliban –, Karzai, um
ivilpersonen gehandelt hat und dies auch von dem örtli-
hen Polizeichef – nicht dem Polizeichef der Taliban,
ondern dem der Karzai-Regierung – so dargestellt wor-
en ist, der davon gesprochen hat, es seien vier unschul-
ige Zivilisten getötet worden?
T
Herr Abgeordneter, das verwundert mich. Ich weißicht, woher Sie diese Informationen haben.
Augenblick gibt es drei Kommissionen, die sich be-ühen, diesen Sachverhalt aufzuklären. Die eine ist eineommission, die von unserem Regionalkommando imorden im Rahmen des sogenannten Initial Assessmenteams eingesetzt worden ist. Deren Untersuchung istoch nicht abgeschlossen. Eine zweite Untersuchung,ie Karzai mit seinen afghanischen Kräften eingeleitetat, ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen. Eine drittentersuchung, die die deutschen Feldjäger eingeleitetaben, ist beendet und liegt mit Wirkung von heute inotsdam vor. Aus keiner der drei Untersuchungen kannan das, was Sie gesagt haben, schließen; denn die ers-
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12550 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
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ten beiden sind nicht abgeschlossen, namentlich die vonKarzai, und das, was die deutschen Feldjäger dazu ermit-telt haben, gibt keinen Anlass, von Kill-Operationen derAmerikaner zu sprechen.
Frau Kollegin Hänsel.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
ich habe eine Nachfrage. Das Ganze ist wirklich scho-
ckierend. Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Wir
setzen uns mit Ländern in Nordafrika auseinander, in de-
nen auf unbewaffnete, friedliche Demonstranten ge-
schossen wird. Es gibt unter anderem einen UN-Be-
schluss, der darauf Bezug nimmt, dass Gaddafi in
Libyen auf wehrlose Demonstranten schießen lässt, und
daraus ein Eingreifen in Libyen ableitet. Wenn aber Ver-
gleichbares in Afghanistan passiert, ist die Reaktion, wie
ich finde, überhaupt nicht adäquat. Meine Frage ist:
Nimmt denn die Bundesregierung Kontakt mit den Fa-
milien der Betroffenen und den Angehörigen derjenigen
auf, die jetzt getötet wurden?
T
Frau Kollegin, ich will Ihnen noch einmal meine Ant-
wort auf die Frage des Kollegen Ströbele ins Gedächtnis
rufen. Bei der Aktion, bei der Tote durch den Einsatz
von Militär und afghanischen Sicherheitskräften zu be-
klagen waren, haben gar keine deutschen Soldaten oder
Sicherheitskräfte mitgewirkt. Es kam dann am nächsten
Tag zu einer gewalttätigen Demonstration, eigentlich ge-
gen afghanische Regierungskräfte und Regierungsorga-
nisationen.
In diesem Zusammenhang ist auch das PAT in Taloqan
angegriffen worden.
Ich würde nicht von friedlichen Demonstranten spre-
chen, wenn die Betreffenden Handgranaten und Molo-
towcocktails in das PAT werfen.
In diesem Zusammenhang haben unsere Soldaten aus
Notwehr geschossen. Niemand, auf den geschossen
wurde, ist nach unseren Erkenntnissen ums Leben ge-
kommen. Deswegen besteht für uns auch kein Anlass,
Kontakt mit Familien aufzunehmen, wie das geschieht,
wenn Angehörige durch den Einsatz deutscher Soldaten
ums Leben gekommen sind.
Was die Amerikaner angeht, will ich Ihnen gern Fol-
gendes sagen: Wenn die Amerikaner Unschuldige getö-
tet oder unverhältnismäßig hohen Sachschaden ange-
richtet haben, setzen sie sich selbstverständlich mit den
Familien, den Dörfern und den Stämmen in Verbindung,
um den Sachverhalt so zu besprechen, dass eine Ent-
schädigung – „Entschädigung“ will ich es eigentlich gar
nicht nennen; denn für den Tod eines Menschen kann
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Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriumsfür Gesundheit auf. Die Fragen 6 und 7 des KollegenKekeritz, die Fragen 8 und 9 der Kollegin Scharfenbergund die Frage 10 der Kollegin Silvia Schmidt werdenschriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Seifert werdenschriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Michael Schlechtauf:Kann die Bundesregierung ausschließen, dass das bundes-eigene Unternehmen Deutsche Bahn AG für eventuelle Mehr-kosten aufkommt, sofern im Stresstest für Stuttgart 21 dieObergrenze der Kosten von 4,5 Milliarden Euro überschrittenwird?Ich bitte den Parlamentarischen StaatssekretärAndreas Scheuer um Beantwortung.D
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Schlecht, die Antwort lautet wie folgt:
Beim Projekt Stuttgart 21 handelt es sich um ein eigen-
wirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG. Über
Einzelheiten der Realisierung entscheidet das Unterneh-
men im Rahmen des operativen Geschäfts.
Zusatzfragen? – Bitte schön.
Die Frage zielte darauf ab, ob dann, wenn nach dem
Stresstest die Kosten oberhalb von 4,5 Milliarden Euro
liegen, das Land, wie in der Koalitionsvereinbarung in
Baden-Württemberg festgelegt, keine weiteren Finanz-
mittel zuschießt. Wenn so verfahren würde, dann wäre
nach Lage der Dinge das Projekt Stuttgart 21 beendet.
Die Formulierung in der Koalitionsvereinbarung lässt es
aber rein theoretisch zu, dass der Bund oder auch die
Bahn mit weiteren Finanzmitteln eintritt. Die Frage ist,
ob Sie ausschließen können, dass in einem solchen Fall
der Bund und/oder die Bahn mit weiteren Finanzmitteln
eintreten. Ich erweitere es: Der Bund könnte ja genauso
gut eintreten.
D
Herr Kollege Schlecht, Stuttgart 21 ist ein Projekt der
Stadt, des Landes Baden-Württemberg und der Deut-
schen Bahn AG. Der Bund ist nur in der Pflicht, die
Hochleistungsstrecke Wendlingen–Ulm zu bauen. Da
sind wir ohnehin schon in dreistelliger Millionenhöhe in
der Pflicht. Das ist eine auf europäischer Ebene festge-
legte Magistrale.
Ich sage dazu nur: Sechs Wochen Baustopp bei Stutt-
gart 21 bedeuten 10 Millionen Euro zusätzlich, drei Mo-
nate Baustopp bedeuten 200 Millionen Euro zusätzlich,
und sechs Monate bedeuten 300 Millionen Euro zusätz-
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cke vereinbart, die für sie wichtig sind, sprich Bürgerent-scheid und vieles mehr.Wir könnten intensiv über den 17 Jahre andauerndenBürgerdialog mit 12 000 abgearbeiteten Einwendungenzu Stuttgart 21 philosophieren. Wir könnten auch da-rüber philosophieren, dass die Entscheidungen dieserJahre in den Parlamenten immer jenseits der 85 Prozentgetroffen worden sind – von der kommunalen über dieLandes- bis hin zur Bundesebene – und dass selbst dieGrünen noch vor nicht allzu langer Zeit eine Beschleuni-gung des Projekts und Zusatzmittel gefordert haben.Dann gab es jedoch eine Landtagswahl, und diesesThema wurde aufgegriffen.Das habe ich nicht zu bewerten; das ist eben so. Zubewerten haben es die Bürgerinnen und Bürger in Ba-den-Württemberg in einem Bürgerentscheid. Ich bin De-mokrat genug, nicht schon Vorfestlegungen für dieseEntscheidungen, wie Sie es anscheinend getan haben, zutreffen, sondern die Bürger entscheiden zu lassen. Dasist Demokratie. Wenn einem das Ergebnis nicht passt,dann kann es an dieser Stelle auch nicht passend ge-macht werden, auch wenn schon die ersten Aktionenvom dortigen Verkehrsminister anlaufen.Ich denke, bezüglich dieses Projekts wird es noch vielDiskussionsstoff zwischen den Partnern Grün und Rotgeben. Wir vom Bund sind bei diesem Projekt nicht be-teiligt, sondern dabei geht es um das operative Geschäftder DB AG.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Dr. Hofreiter wer-
den schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Wann und mit welchen finanziellen Mitteln ausgestattet
wird die Bundesregierung – insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass die mit dem Konjunkturpaket II finanzierten Bau-
projekte für Querungshilfen Ende 2011 abgeschlossen sein
müssen – das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
FDP vereinbarte Bundesprogramm Wiedervernetzung „als
Grundlage für den Bau von Querungshilfen im Bundesver-
kehrswegenetz in den wichtigsten Lebensraumkorridoren“
realisieren?
D
Das als Entwurf vorliegende Bundesprogramm Wie-
dervernetzung ist langfristig angelegt. Der Entwurf des
Bundesprogramms enthält Wiedervernetzungsabschnitte
in größerer Zahl, an denen mittel- und langfristig Que-
rungshilfen gebaut werden sollen. In welchem Umfang
und Zeitraum Projekte des Bundesprogramms finanziert
werden, ist derzeit noch offen. Der Bundesfernstraßen-
haushalt ermöglicht die Finanzierung von Maßnahmen
zur Wiedervernetzung von Lebensräumen an bestehen-
den Bundesstraßen.
Diesen Entwurf werden wir auch in Abstimmung mit
unserem Partner, dem Ministerium für Umwelt, auf den
Weg bringen.
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ich interessiert vielmehr die Frage, inwieweit dasunktionieren der Vernetzung, wenn die Grünbrückenrst einmal existieren, auch evaluiert werden kann. Hier-r gibt es natürlich Möglichkeiten.Ich könnte Ihnen neben der obengenannten und derrünbrücke an der A 93 – auch sie wird aus Konjunktur-aketmitteln finanziert – noch mehr Grünbrücken nen-en, die in Bau sind. Lassen Sie mich stattdessen festhal-n: Der in Abstimmung mit dem BMU erstellte Entwurfes Bundesprogramms beinhaltet eine Mittel- und Lang-istperspektive für Querungshilfen. Bitte verwechseln
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12553
Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
)
)
Sie dieses Programm nicht mit den schon laufenden Pro-jekten, die aus Konjunkturpaketmitteln finanziert wer-den.
Weitere Zusatzfrage?
Ja, danke schön. – Ich stehe mit Freude auf der Auto-
bahn im Stau, wenn ich weiß, dass ich im Stau stehe,
weil eine Grünbrücke gebaut wird. Und das geschieht
mir des Öfteren, wenn ich im Land Brandenburg unter-
wegs bin. Insofern stehe ich diesem Programm zustim-
mend gegenüber.
D
Ob das die anderen Verkehrsteilnehmer auch so sehen
wie Sie, weiß ich nicht.
Die Baumaßnahmen schreiten ja relativ schnell voran.
Hieraus resultierende Staus jedenfalls wird es ja dann
nicht mehr geben.
Das allerdings, was heute in den Potsdamer Neuesten
Nachrichten zu lesen war, klingt ganz und gar nicht so
ermunternd, wie Sie eben auf meine Nachfrage geant-
wortet haben. Da wird in einem Artikel berichtet, dass
unser Verkehrsminister Peter Ramsauer „eine Entschei-
dung auf Kosten der Hirsche getroffen“ hat, nämlich in
der Form, dass er 95 Straßenbrücken, die der Bund ei-
gens für Tiere geplant hat, nun nicht mehr bauen lassen
will. Vielmehr will er dieses Geld – man redet da von
5 Millionen Euro pro Grünbrücke – für Ortsumgehungen
einsetzen. Das würde aber zu einer weiteren Land-
schaftszerschneidung und zu einem größeren Bedarf an
Querungshilfen führen.
Im Übrigen wird in diesem Artikel, unterlegt mit eini-
gen Zitaten, darauf hingewiesen, dass der Minister von
Grünbrücken nicht sehr viel hält.
D
Ich auch nicht, Frau Behm.
Auch Sie selbst haben sich eben eher belustigt da-
rüber geäußert.
Ich möchte gerne wissen: Stimmt die Meldung, dass
der Bau der 95 geplanten Grünbrücken wirklich gestri-
chen ist und dass Ihr Ministerium das Geld tatsächlich
für Ortsumgehungen ausgibt?
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,h frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass es einen Kabi-ettsbeschluss der Bundesregierung zu einer nationaleniodiversitätsstrategie gibt, die zur Aufgabe hat, dematur- und Artenschutz zur Sicherung der Lebensgrund-ge der Menschen in diesem Land oberste Priorität ein-uräumen?In diesem Konzept ist vorgesehen, dass die Wieder-ernetzung von Lebensräumen eine besondere Wertig-eit hat. Es geht hier nicht um das von Ihnen etwas lä-
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12554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Undine Kurth
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cherlich gemachte Brunftverhalten von Hirschen,sondern es geht darum, ob der Naturhaushalt, auf dem allunsere Lebensgrundlagen beruhen, in seiner Leistungs-fähigkeit erhalten bleibt. Deshalb frage ich Sie: Ist dieStreichung der von Ihnen als vermeintliche Luxuspro-jekte angesehenen Maßnahmen zum Naturschutz in Ih-rem Hause mit dem BMU abgestimmt und im Einklangmit den Zielen der nationalen Biodiversitätsstrategie?D
Frau Kollegin, erstens hat die Kollegin Behm das
Brunftverhalten in die Debatte gebracht; ich habe dieses
Schlagwort nur aufgegriffen. Zweitens. Wir haben Maß-
nahmen in Bau und in Planung. Das heißt, wir arbeiten
schon jetzt an Vernetzungsstrategien. Drittens. Wir ha-
ben für die Mittel- und Langfristperspektive den Entwurf
eines Bundesprogramms zusammen mit unseren Partner-
häusern aufgestellt. Von daher stehen die Punkte, die Sie
in Ihrer Frage angesprochen haben, nicht im Wider-
spruch zur Haltung unseres Hauses.
Angesichts der begrenzten Mittel, egal ob es sich um
Straßenbauprojekte, Grünbrücken oder Maßnahmen zur
Vernetzungsstrategie handelt, muss ich allerdings sagen:
Das Geld ist knapp. Wir werden uns auf Engpassbeseiti-
gungen, Staubeseitigungen und Lärmschutz konzentrie-
ren müssen, weil wir einen Beitrag zur Haushaltskonso-
lidierung leisten und vor allem die Sicherheit in den
Vordergrund stellen wollen.
Deswegen – ich sage es noch einmal – investieren wir
in diese Vernetzungsprojekte, die schon jetzt gebaut wer-
den. In einem nächsten Schritt wird es um den Entwurf
gehen. Also stehen die in Ihrer Frage angesprochenen
Punkte gar nicht im Widerspruch zu meiner Antwort.
Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Welche konkreten Summen sind von der EU, dem Bund
und den Ländern für die Bauphasen B und C der Nordver-
längerung der A 14 aufzubringen, und welche genauen Vo-
raussetzungen müssen vorliegen, damit die Fördermittel des
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, EFRE, für die
Bauphase A nicht verloren gehen?
D
Nach aktuellem Kostenstand und gemäß Bau- und
Finanzierungskonzept sind in den Bauphasen B und C
insgesamt noch rund 500 Millionen Euro in die A 14,
Magdeburg–Wittenberge–Schwerin, zu investieren. Da-
bei sieht das Bau- und Finanzierungskonzept die für die
Bauphase A vereinbarte Kostenaufteilung zwischen
EFRE-Mitteln – rund 42 Prozent –, Sonderfinanzierung
– rund 29 Prozent aus Bundesmitteln – und Länderpla-
fonds – rund 29 Prozent aus Bundesmitteln – grundsätz-
lich auch für die Bauphasen B und C vor. Wenn eine An-
schlussförderung mit EU-Mitteln nicht möglich ist,
sollen die entsprechenden Mittel aus den Länderplafonds
eingebracht werden. Die für die Bauphase A vorgesehe-
nen EFRE-Fördermittel können in Anspruch genommen
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Auskunft bekommen. Ich will die Kollegen jetzt nicht zulange mit Details zu den Einzelmaßnahmen belästigen,sondern nur sagen: Es gibt verschiedene Abschnitte inder Nachbarschaft des angesprochenen Abschnitts, diesich auch im Planfeststellungsverfahren befinden. Dasist abhängig davon, wie anspruchsvoll die Planung derverschiedenen Abschnitte ist, welche leichter zu planensind. Das macht im Übrigen nicht der Bund, sondern dieAuftragsverwaltung im zuständigen Bundesland. Wirfragen nicht jeden Tag ab, inwieweit der einzelne Ab-schnitt gerade beplant wird, wie man vorwärtskommtund welche Einsprüche vorliegen. Klar ist, dass die Fris-ten, die ich Ihnen vorhin genannt habe, eingehalten wer-den müssen, wenn man die EFRE-Mittel ausnutzen will.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Heinz Paula so-
wie die Frage 20 des Kollegen Swen Schulz werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 21 des Kollegen Oliver
Krischer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ähnlich wie Nordrhein-
Westfalen ein Ziel von 2 Prozent der Fläche zur Windenergie-
nutzung Onshore anzustreben, und welche Maßnahmen er-
greift die Bundesregierung zum Beispiel im Rahmen der No-
velle zum Baugesetzbuch und zum Erneuerbare-Energien-
Gesetz, um Kommunen zu unterstützen, die Errichtung von
mehr Windenergieanlagen zu ermöglichen und administrative
Hemmnisse oder Verhinderungsplanungen für Windenergie-
anlagen abzubauen?
D
Herr Kollege Krischer, die Windenergie an Land bie-
tet kurz- und mittelfristig weitere Ausbaupotenziale im
Bereich erneuerbare Energien. Zur Nutzung dieses Po-
tenzials sieht das Energiekonzept der Bundesregierung
vom 28. September 2010 beispielsweise die Weiterent-
wicklung der Raumordnungspläne gemeinsam mit den
Ländern und den Kommunen vor, mit dem Ziel, ausrei-
chend Flächen für die Windparks auszuweisen. Ich be-
tone: Energiekonzept der Bundesregierung vom
28. September 2010. Weil im Zusammenhang mit dem
Energiekonzept verschiedene energiepolitische Fragen
verkürzt werden, wollte ich noch einmal auf den
28. September 2010 verweisen.
Mit einer optimierten Standortauswahl können Län-
der und Kommunen zusätzliche Flächen in Einklang mit
Natur und Landschaftsbild ausweisen und dadurch er-
hebliche Chancen für regionale Arbeitsplätze und Inves-
titionen nutzen.
Bei der Novellierung des Bauplanungsrechts durch
den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der klimage-
rechten Stadtentwicklung in den Gemeinden sind Rege-
lungen zum Repowering von Windenergieanlagen ge-
plant. Das Energiekonzept der Bundesregierung vom
– ich betone wieder – 28. September 2010 sieht vor, dass
im Bau- und Planungsrecht erforderliche und angemes-
sene Regelungen zur Absicherung des Repowerings von
Windenergieanlagen getroffen werden. Unter Repowe-
ring – entschuldigen Sie, Herr Präsident, das ist ein
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Denkt denn die Bundesregierung darüber nach, im
Bereich der Privilegierung von Windkraftanlagen und
dem folgenden Ausweisen von Konzentrationszonen
durch Kommunen irgendwelche Änderungen, die über
das – Entschuldigung, Herr Präsident – Repowering,
also – auf Deutsch – den Ersatz alter Anlagen durch neue
Anlagen, hinausgehen, vorzunehmen?
Wenn es doch offenkundig möglich ist, einen gemein-
ten Sachverhalt in deutscher Sprache unmissverständlich
zum Ausdruck zu bringen, warum schafft man dann
durch einen englischen Begriff unnötige Konfusion?
Herr Präsident, das ist der allgemeine Sprachgebrauch
in diesem Segment, nicht nur in diesem Hause. In der
Fachszene weiß jeder, was mit dem Begriff „Repowe-
ring“ gemeint ist. Wenn man den deutschen Begriff
nutzt, stiftet man eher Verwirrung.
Teilt die Bundesregierung diesen allgemeinen Ein-
druck?
D
Herr Präsident, mit Abscheu und Empörung weist die
Bundesregierung diesen Eindruck zurück.
Da bin ich beruhigt.
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Repowering heißt: Ersetzung älterer, oft vereinzelt
stehender Windenergieanlagen durch moderne, leis-
tungsfähige Windanlagen. Das müsste der Kollege jetzt
in seine Frage einbauen.
Der Kollege hat das sehr schön dargestellt und die
deutsche Begrifflichkeit zutreffend formuliert. Denken
Sie über Repowering hinausgehend darüber nach, bei
den Themen Konzentrationszonen und Privilegierung im
Bereich Windkraft irgendwelche Änderungen im Bau-
gesetzbuch durchzuführen?
D
Bezüglich der Pläne zur Ersetzung älterer, oft verein-
zelt stehender Windenergieanlagen durch moderne, leis-
tungsfähige Windenergieanlagen befinden wir uns in der
Diskussion mit dem Bundesumweltminister. Zusammen
haben wir beispielsweise eine breit angelegte Dialogver-
anstaltung im BMVBS mit den Länderkollegen durchge-
führt. Ich möchte hervorheben, dass wir auch darüber
diskutieren, was zusätzlich kommen soll. Das ist der mo-
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erst jetzt durch die Reaktor-Sicherheitskommission ge-troffen wurde und diese Erkenntnisse offensichtlich – sojedenfalls verstehe ich Ihre Antwort auf meine Frage –im BMU nicht vorhanden waren.Ka
Die RSK hatte die Aufgabe, Fragestellungen und vor
allem die Kombination von Fragestellungen zu untersu-
chen, die bislang nicht im Fokus standen. Das hat sie ge-
macht. Ich finde, dass dieser Bericht eine sehr gute Basis
für weitere Beratungen ist, auch für die Entscheidung,
wie und in welcher Form mit der Kernkraft in Zukunft
verfahren werden soll. Der Bericht ist eine gute Grund-
lage. So wurde er von uns und der Öffentlichkeit bewer-
tet.
Zweite Nachfrage.
Trifft es denn zu, dass die Reaktor-Sicherheitskom-
mission das Ganze nur anhand von Unterlagen und Ant-
worten der Betreiber geklärt hat und nicht durch Besu-
che vor Ort, um beispielsweise zu überprüfen, ob die
Angaben in den Unterlagen auch tatsächlich zutreffen?
Ka
Das Vorgehen war wie folgt: Es gab einen Auftrag an
die RSK. In den nun folgenden Kommissionssitzungen
wurde zunächst ein umfangreicher Fragenkatalog erar-
beitet. Zur Vorbereitung der RSK-Bewertung wurden die
Antworten der Anlagenbetreiber auf diese Fragen dann
von insgesamt 86 hinzugezogenen Sachverständigen in
mehreren Sitzungen ausgewertet. Für intensive Besuche
vor Ort war aufgrund des engen Zeitplans kein Raum.
Aber noch einmal: Es sind neue Kombinationen und
neue Annahmen berücksichtigt und bewertet worden. In-
soweit stellt dieser Bericht sehr wohl eine qualitative
Weiterentwicklung hinsichtlich der Beurteilung der Si-
cherheitsreserven von Kernkraftwerken dar.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Miersch.
Frau Staatssekretärin, heute im Ausschuss hat uns der
Vorsitzende der Reaktor-Sicherheitskommission gesagt,
dass die Fragen, die Sie eben als beantwortet angesehen
haben, gerade nicht vollständig beantwortet werden
konnten. Er hat einen Prüfungszeitraum von ein bis zwei
Jahren als realistisch angesehen. Wie bewerten Sie diese
Aussage vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung
in wenigen Tagen auf der Grundlage der Erkenntnisse
der sogenannten Ethikkommission eine weitreichende
Entscheidung treffen will?
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12558 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
)
Ka
Noch einmal, Herr Kollege: Dieser Bericht bietet auf-
grund seiner substanziellen sicherheitstechnischen Ana-
lyse sehr wohl eine gute Grundlage, die Nutzung der
Kernenergie in Deutschland neu zu bewerten. Welche
konkreten Maßnahmen eingeleitet werden, wann an wel-
chem Kraftwerk welche Maßnahme gegebenenfalls
durchgeführt werden wird, das werden wir nach sorgfäl-
tiger Auswertung des Berichtes gemeinsam mit den Auf-
sichtsbehörden entscheiden. Richtig bleibt die Feststel-
lung – auch das zeigt der Bericht –, dass die Auslegung
und Robustheit deutscher Kernkraftwerke sehr viel bes-
ser ist als in Fukushima. Gleichwohl lautet die politische
Frage, die sich jetzt stellt, nicht, ob wir aufgrund aller
Erkenntnisse vermuten, dass die Kraftwerke hier sicher
sind, sondern welches letzte nicht abschätzbare Risiko
die Gesellschaft bereit ist, zu akzeptieren. Das ist die
Frage, die wir beantworten müssen. Im Bericht steht
ganz klar, dass die Kraftwerke über die Auslegungskrite-
rien hinaus sicher sind. Ich glaube, das macht der Bericht
sehr deutlich.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Heidrun Dittrich
auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung nach der Feststellung
der mangelnden Sicherung deutscher Atomkraftwerke gegen
Flugzeugabstürze durch die Reaktor-Sicherheitskommission,
RSK, vom 17. Mai 2011 künftig alle Überflüge zu verhindern,
so auch die der US-Kampfflugzeuge, die am 13. Dezember
2010 über dem Atomkraftwerk Grafenrheinfeld übten, ent-
sprechend des Berichts von Monitor vom 7. April 2011?
Ka
Frau Kollegin Dittrich, ich antworte Ihnen wie folgt:
Die Reaktor-Sicherheitskommission hat für die Bewer-
tung des Flugzeugabsturzes auf Kernkraftwerke drei
thermische und drei mechanische Schutzgrade definiert.
In ihrem Bericht vom 16. Mai 2011 wird für jedes deut-
sche Kernkraftwerk die Erfüllung dieser Schutzgrade auf
der Basis der vorgelegten Unterlagen der Betreiber be-
schrieben. In bestimmten Fällen sind die abschließenden
Bewertungen, wie eben ausgeführt, erst nach der Vorlage
zusätzlicher Nachweise möglich.
Für Übungsflüge mit militärischen Flugzeugen im
Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland gilt un-
verändert ein Überflugverbot unterhalb einer Flughöhe
von 2 000 Fuß – das sind 600 Meter – über Grund und in
einem Radius von 0,8 nautischen Meilen, also 1,5 Kilo-
metern, um die Kernkraftwerke.
Der Bericht der RSK ist eine sicherheitstechnische
Grundlage, um gesellschaftliche und politische Ent-
scheidungen treffen zu können. Dazu wird auch die
Frage des Schutzes der Kernkraftwerke gegen Flug-
zeugabstürze gehören.
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ber den Kernkraftwerken in der von mir eben beschrie-
enen Höhe. Diese Flugverbotszonen hat nicht das Bun-
esumweltministerium festgelegt. Seit 2001, seit den
chrecklichen Vorfällen in New York, gibt es auch hier
erschärfte Bedingungen. Jeder in Deutschland, ob mili-
rische Maschine oder Zivilmaschine, ist gehalten,
iese Bestimmungen einzuhalten, die sich in § 26 Luft-
erkehrsgesetz finden. Zu Verstößen durch ein deutsches
ilitärflugzeug kann man im BMVg nachfragen. Ich
ann diesen konkreten Fall nicht nachvollziehen; denn
as Bundesumweltministerium ist nicht die Flugauf-
ichtsbehörde, nicht die Deutsche Flugsicherung und
uch nicht das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung.
och einmal: Wir haben Flugverbotszonen. Das steht im
esetz, und dieses Gesetz muss eingehalten werden.
So weit die Theorie; die Praxis sieht wohl anders aus.
aher meine zweite Nachfrage: Der Bayerische Ge-
eindetag hat die Kanzlerin am 18. April dieses Jahres
ufgefordert, für ein Ende der Überflüge, vor allem der
ilitärischen Überflüge, über das Atomkraftwerk Gra-
nrheinfeld zu sorgen. Eine Antwort der Bundesregie-
ng steht bis heute aus. Müssen wir davon ausgehen,
ass die vehementen Demonstrationen gegen Atomkraft-
erke an diesem Samstag, den 28. Mai, genutzt werden
üssen, um eine Antwort der Kanzlerin zu erzwingen?
Ka
Noch einmal, Frau Kollegin: Sowohl für zivile Ma-chinen als auch für militärische Maschinen gilt einberflugverbot über deutsche Kernkraftwerke.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12559
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
)
)
Dieses Überflugverbot gilt unverändert. Ich kann Ihnenversichern, dass die Bundesregierung Maßnahmen zurEinhaltung der Gesetze ergreifen wird. Überflüge sindnicht gestattet und werden geahndet. Den von Ihnen ge-nannten konkreten Fall kann ich von hier aus aber nichtbeurteilen.
Kollege Schwabe mit der nächsten Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, genauso wie die interessierte
Öffentlichkeit frage ich mich seit Wochen, was der Be-
richt der Reaktor-Sicherheitskommission eigentlich soll.
Seine Erkenntnisse sind überschaubar und eigentlich
auch nicht neu.
Als Herr Wieland heute im Umweltausschuss war,
habe ich ihn gefragt, was er glaubt, wie lange eine Unter-
suchung, die belastbare Ergebnisse liefert, dauern würde.
Im Bericht sind Ergebnisse nämlich nur angedeutet wor-
den. Dort steht immer wieder: Dazu konnten wir in der
Kürze der Zeit keine tiefer gehende Untersuchung vor-
nehmen. – Herr Wieland hat mir geantwortet, dass er
glaubt, eine komplette Sicherheitsüberprüfung – diese
wäre sicherlich sinnvoll – würde anderthalb bis zwei
Jahre dauern. Teilen Sie diese Einschätzung? Was ge-
denkt die Bundesregierung zu tun? Soll eine komplette
Sicherheitsüberprüfung vorgenommen werden?
Ka
Zunächst muss ich sagen: Ich teile Ihre Einschätzung,
dass der Bericht der RSK keine neuen Erkenntnisse ent-
hält, nicht. Ich glaube sehr wohl, dass dies der Fall ist.
Der Bericht ist die Basis für unsere weiteren politischen
Entscheidungen. Was zu tun ist, haben wir hinreichend
beschrieben, nicht nur heute im Ausschuss, sondern auch
in vielfältigen Diskussionen in der Öffentlichkeit und im
Parlament. Es wird zu einer Neubewertung der Nutzung
der Kernenergie kommen, und wir werden den Weg ins
Zeitalter der erneuerbaren Energien gehen. Es bleibt
festzuhalten, dass wir alles tun werden, um die Sicher-
heitsmaßnahmen für die Kernkraftwerke, die in
Deutschland am Netz sind, weiterhin auf höchstem Ni-
veau zu halten. Dort, wo Nachrüstungen notwendig sind,
werden wir diese einfordern. Gleichwohl: Es bedarf zu-
nächst der Analyse dieses Berichtes, um danach die ent-
sprechenden Maßnahmen zu ergreifen.
Kollege Ott.
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12560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
)
lautet meine Frage: Ist die Bundesregierung geneigt, ge-gebenenfalls auch neue Atomreaktoren abzuschalten?Ka
Frau Kollegin, wenn diese Erkenntnis für Sie neu ist,
dann freut mich das für Sie. Für mich ist sie nicht neu.
Ich habe eben schon ausgeführt, dass die RSK bei den
einzelnen Kernkraftwerken gerade nicht die gleichen Si-
cherheitskriterien angesetzt hat, sondern dass die RSK in
ihrem Bericht ausdrücklich darauf hinweist, dass das je-
weils kraftwerksspezifisch zu betrachten ist und dass es
auch nicht zulässig ist, aufgrund des Merkmals „alt“ und
der Bauart einen Rückschluss auf die Robustheit der An-
lage insgesamt zu ziehen.
Deshalb habe ich vorhin bei der Beantwortung einer
Frage eines Kollegen schon gesagt, dass die differen-
zierte Betrachtung der Kernkraftwerke notwendig ist
und dass es im Einzelfall auch zu Nachrüstmaßnahmen,
Umrüstmaßnahmen und Ergänzungen kommen muss.
Diesen Prozess gibt es nicht erst seit März, sondern er ist
stetig. Wir haben ihn mit der letzten Atomgesetznovelle
und der Verschärfung des Sicherheitsparagrafen in Gang
gesetzt.
Die Frage 24 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und die
Fragen 25 und 26 des Kollegen Hans-Josef Fell werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Dr. Hermann Ott
auf:
Welche konkreten Initiativen und Maßnahmen betreibt die
Bundesregierung, um auf der Weltklimakonferenz Ende des
Jahres in Durban zu einem erfolgreichen Abschluss zu kom-
men?
Ka
Ich möchte Ihre Frage gerne wie folgt beantworten:
Die Bundesregierung beteiligt sich intensiv sowohl an
den formellen Verhandlungen als auch an den informel-
len multilateralen wie auch bilateralen Dialogen zur Vor-
bereitung der Klimakonferenz in Durban.
Gemeinsam mit Südafrika bereitet die Bundesregie-
rung gerade die Ministerkonferenz – Petersberger Kli-
madialog II – vor, auf der am 3. und 4. Juli 2011 in Ber-
lin mögliche Ergebnisse von Durban erörtert werden
sollen. Mittels der Partnerschaft für Treibhausgasminde-
rungsstrategien, Emissionsberichterstattung und Transpa-
renz bei der Umsetzung von Maßnahmen, die Deutsch-
land gemeinsam mit Südafrika und Südkorea initiiert
hat, bietet die Bundesregierung eine Plattform für einen
aktiven Austausch zwischen den Staaten über die Fra-
gen, wie Minderungsmaßnahmen praktisch umgesetzt
werden können und wie darüber systematisch und auch
transparent berichtet werden kann. Die praktischen Er-
fahrungen sollen dann wiederum in die Entscheidungen
in Durban einfließen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12561
)
malste nennenswerte Fortschritte. Ich bin skeptisch, obund inwieweit sich die Vereinigten Staaten bewegenwerden. Wir wissen aber, dass das Bewegen der Verei-nigten Staaten zu verbindlichen Minderungszielen Vo-raussetzung dafür ist, dass Schwellen- und Entwick-lungsländer verbindlich substanzielle Beiträge leisten.Aber deshalb sind wir auf allen verfügbaren Ebenen ak-tiv, führen Dialoge, organisieren Workshops. Dienächste Vorbereitungskonferenz für Durban findet inwenigen Tagen in Bonn statt. Wir werden uns mit allenPartnern eng abstimmen.
Ich bin nicht so sehr davon überzeugt, Frau Staatsse-
kretärin, dass ein Mitmachen der USA unbedingte Vo-
raussetzung für eine Teilnahme großer Schwellenländer
ist. Meiner Ansicht nach würde es ausreichen, wenn sich
die Europäische Union ernsthaft bemühen würde und
tatsächlich vorlegt. Konkrete Nachfrage: Setzt sich die
Bundesregierung für eine Verlängerung der bestehenden
Fristen zur Umsetzung der Verpflichtungen im Kioto-
Protokoll über Ende 2012 hinaus ein, nicht durch Ver-
tragsverlängerung, sondern durch Beschluss der Ver-
tragsparteien?
Ka
Bezüglich dessen, ob es sich um ein oder zwei Ab-
kommen handelt, sind wir flexibel. Wir wissen, dass wir
sowohl unter der Klimarahmenkonvention als auch unter
dem Kioto-Protokoll weiter verhandeln müssen. Natür-
lich wäre es optimal, wenn wir ein umfassendes Abkom-
men, das auf Kioto aufbaut, das über die nächsten Jahre
und Jahrzehnte feste Vereinbarungen mit allen Staaten
erwarten lässt, erreichen könnten. Gleichwohl teile ich
Ihre Skepsis, ob wir schon so weit kommen. Deswegen
ist unser Schluss von Kopenhagen, mit möglichst kon-
kreten Einzelschritten und Maßnahmen nachzuweisen,
dass sich der Prozess als solcher nach vorne bewegt,
Beispiel zu geben, auch Vertrauen aufseiten der Schwel-
len- und Entwicklungsländer zu schaffen. Die Instru-
mente habe ich Ihnen aufgezeigt. Unser Ziel ist, analog
zu Kioto das verbindliche Abkommen zu schaffen.
Gleichwohl stellen wir uns darauf ein, möglichst flexibel
in beide Richtungen zu verhandeln.
Kollege Schwabe.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass gestern
der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments,
ENVI, ein unkonditioniertes 30-Prozent-Ziel für die Eu-
ropäische Union – 25 Prozent CO2-Reduktion innerhalb
der Europäischen Union und 5 Prozent aus den flexiblen
Mechanismen im Sinne des Kioto-Protokolls – gefordert
hat? Ist Ihnen dieser Beschluss bekannt? Wie bewerten
Sie diesen Beschluss, und wann wird sich der Bun-
desumweltminister in der Bundesregierung mit seiner
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12562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
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durch das Gaddafi-Regime sehr deutlich ihre Meinungbekundet hat. Wir haben es, wie wir vorhin gehört haben,im Fall Taloqan mit einer Demonstration zu tun gehabt,bei der Handgranaten, Molotowcocktails, brennendeKraftstoffkanister und Steine gegen das PAT und die dorteingesetzten Soldaten und afghanischen Mitarbeiter ge-worfen wurden, wobei drei deutsche Soldaten und fünfafghanische Wachmänner verletzt wurden. Es war ein-deutig eine gewalttätige Demonstration. Das ist der großeUnterschied zu dem, was wir auf den Straßen Libyens be-obachten konnten, wo nicht die Demonstranten gewalttä-tig waren, sondern diejenigen, die mit brutalster Anwen-dung von Gewalt gegen die friedlichen Demonstrantenvorgegangen sind.Der zweite Punkt betrifft die Schlussfolgerungen, diedie Bundesregierung aus ihren Bemühungen im Bereichder Polizeiausbildung zieht. Dieser Vorgang zeigt – eswaren etliche Hundert afghanische Polizeikräfte im Ein-satz, wie vorhin bereits berichtet worden ist – umsodeutlicher, wie wichtig die solide und rechtsstaatlichsaubere Ausbildung von Polizeivollzugsbeamten in Af-ghanistan ist.
Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich habe eine Nach-
frage. Man muss immer Ursache und Wirkung bewerten.
Wir hören in letzter Zeit immer häufiger von Demonstra-
tionen gegenüber den NATO-Einsatzkräften in Afgha-
nistan, die ihre Ursache darin haben, dass immer häufi-
ger die Zivilbevölkerung betroffen ist, dass Menschen
tödlich getroffen werden und es immer mehr zivile Op-
fer gibt. Das betrifft nicht nur den Vorfall in Kunduz, den
wir immer noch untersuchen.
Ich denke, dass man genau prüfen muss, warum diese
Demonstrationen stattfinden, und zur Deeskalation bei-
tragen sollte, auch seitens der Bundeswehr. Ich frage Sie
erstens: Was haben Sie für Pläne, um zur Deeskalation
beizutragen? Zweitens frage ich Sie – das ist in diesem
Zusammenhang, glaube ich, noch wichtiger –: Wie schät-
zen Sie aufgrund zunehmender Demonstrationen die Si-
cherheitslage ein? Wollen Sie immer auf Demonstranten
schießen?
D
Die Absicht hat seitens der Bundesregierung nie-
mand. Die Vorgänge in Taloqan waren so beschaffen,
dass man mit einer Deeskalationsstrategie wenig bewir-
ken konnte. Wenn man mit Molotowcocktails und Hand-
granaten angegriffen wird, gilt es, sich zu wehren.
Das haben die beteiligten Sicherheitskräfte nach al-
lem, was wir wissen, auch getan. Geben Sie denjenigen,
die jetzt die entsprechenden Untersuchungen durchfüh-
ren, noch eine Chance! Es gibt sowohl eine Untersu-
chung im Rahmen der Bundeswehr als auch eine im
Rahmen von ISAF. Auch Präsident Karzai hat eine Un-
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Danke, Herr Präsident. – Herr Staatsminister Hoyer,
on welchem Sachverhalt gehen Sie eigentlich aus,
enn Sie diese Demonstration beurteilen? Das, was vor-
er passiert ist, mag schwierig aufzuklären sein. Aber
iese Demonstration hat – wie es für Demonstrationen
blich ist – öffentlich stattgefunden. Das heißt, es gibt
arüber zahlreiche Presse- und Fernsehberichte; diese
abe ich gesehen. Danach zog eine große Menschen-
enge – 3 000 bis 5 000 Leute – durch die Straßen. Ei-
ige Menschen trugen offenbar Särge über ihren Köpfen,
inige hielten Fahnenstangen oder Knüppel offenbar als
affen in den Händen. Es gibt Berichte, wonach etwa
00 dieser Demonstranten zu dem deutschen Camp ge-
angen sind und dort Feuer gelegt haben. Können Sie sa-
en, von welchem Sachverhalt Sie ausgehen? Gehen Sie
avon aus, dass 3 000 oder sogar 5 000 Demonstranten
en Deutschen gegenüberstanden und Handgranaten und
olotowcocktails geworfen haben, oder gehen Sie da-
on aus, dass vielleicht nur eine Handgranate auf das
eutsche Camp geworfen wurde? Was ich bislang gehört
abe, ist mir zu allgemein. Sie müssen doch inzwischen
azu Informationen von vor Ort haben.
D
Nein, die haben wir nicht in der Präzision, wie Sie sieu Recht verlangen. Deswegen gibt es die genanntenrei Untersuchungen. Diese werden präzise Ergebnisseeitigen. Natürlich hat niemand behauptet, dass mehrereausend Personen, die gekommen sind, um in friedlicherbsicht zu demonstrieren, auf das PAT zugegangen sind.ber diejenigen, die auf das PAT zugerannt sind – ob es00 oder 200 gewesen sind, vermag ich nicht zu beurtei-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12563
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
)
)
len – und mit entsprechenden Mitteln, mit Molotow-cocktails und Handgranaten, Wirkung erzielt haben, wa-ren eindeutig in nicht friedlicher Absicht dort unterwegsund haben erhebliche Schäden angerichtet. Zudem sindVerwundete zu beklagen. Ich finde es im Hinblick aufdie Fürsorgepflicht, die wir gegenüber unseren Soldatin-nen und Soldaten sowie unseren Polizeibeamten haben,selbstverständlich, die Möglichkeit der Notwehr insAuge zu fassen. Solange ich nicht erfahre, dass ein ande-rer Zusammenhang angenommen werden muss, gehe ichselbstverständlich von einer Notwehrsituation aus. An-sonsten freue ich mich auf die drei Berichte. Ich bin si-cher, dass die Untersuchungen kein rechtswidriges Ver-halten deutscher Staatsbürger ergeben werden.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Wir haben jetzt
noch die Nachfrage unserer Kollegin Buchholz. Bitte
schön, Frau Kollegin.
Meine Nachfrage lautet: Was unternimmt die Bundes-
regierung, damit die Bundeswehr, aber auch die NATO
zukünftig Zivilisten nicht mehr als Kombattanten ein-
stuft? Wir erleben in der Geschichte der Eskalation die-
ses Krieges immer wieder, dass Zivilisten als Kombat-
tanten eingestuft bzw. mit diesen verwechselt werden.
Was machen Sie, um das zu stoppen?
D
Das ist ein gesondertes Thema; darüber kann man
sehr grundsätzlich diskutieren. Es handelt sich auch um
eine interessante Rechtsfrage. Wenn die uns vorliegen-
den Berichte zutreffen – ich habe keine Veranlassung,
von etwas anderem auszugehen –, handelt es sich hier
um eine klassische Notwehrsituation. Die Frage „Kom-
battant oder nicht?“ stellt sich also nicht.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 41 unserer Kollegin Heike
Hänsel:
Wird die Bundesregierung die Tötung von mindestens
12 afghanischen Demonstranten und die Verletzung von über
80 Demonstranten, die vor dem Bundeswehrcamp in Taloqan
am 18. Mai 2011 gegen den NATO-Einsatz protestiert haben,
untersuchen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Diese Frage bezieht sich auf denselben Vorgang. Ich
beantworte sie, wie eben ausführlich dargelegt, mit Ja.
Frau Kollegin Heike Hänsel, Sie haben eine Nach-
frage. – Bitte schön.
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12564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
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Leben gerettet haben. Denn das Material, das gefundenworden ist, weist auf ziemlich finstere Absichten hin.
Vielen herzlichen Dank.
Wir kommen zur Frage 42, ebenfalls von unserer Kol-
legin Heike Hänsel:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsa-
che, dass die afghanische Bevölkerung die Präsenz der Bun-
deswehr und anderer ISAF-Truppen immer kritischer sieht
und es zu zahlreichen Demonstrationen gegen die NATO und
deren militärisches Vorgehen kommt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
D
Wir leiten aus dem gewaltsamen Zwischenfall in Ta-
loqan am 18. Mai 2011 keine Notwendigkeit einer
grundsätzlichen Veränderung unserer Lagebeurteilung
ab. Dieser Vorfall – übrigens genauso wie der Vorfall in
Masar-i-Scharif – bietet keine ausreichende Grundlage,
um davon zu sprechen, dass die afghanische Bevölke-
rung unsere Präsenz immer kritischer sieht. Erstens han-
delt es sich in Taloqan um eine relativ kleine Gruppe von
nur ein paar Hundert Demonstranten in einer Stadt mit
200 000 Einwohnern. Zweitens liegen Erkenntnisse vor,
dass diese Gewaltausbrüche von regierungsfeindlichen
Kräften und lokalen Machthabern langfristig geplant wa-
ren. Das war keine spontane Aktion, die aus der voran-
gegangenen Erfahrung vom Vortag erwachsen ist. Es
war eine geplante Aktion, die nach den Erkenntnissen,
die ich mit aller Vorsicht hier schon einmal vortrage, of-
fensichtlich eher etwas mit einer Unzufriedenheit von
Teilen der afghanischen Gesellschaft zu tun hat, die auf
den geringen Möglichkeiten zur Partizipation an politi-
schen und ökonomischen Prozessen beruht. Von daher
war das gar nicht gegen ISAF gerichtet.
Frau Kollegin, haben Sie eine weitere Nachfrage?
Zuerst einmal möchte ich sagen, dass die Zahlen weit
auseinanderliegen. Es wird im Zusammenhang mit der
Demonstration im Anschluss an die Trauerfeier für die
getöteten Zivilisten zu dem Bundeswehrcamp in Taloqan
von mehreren Tausend Demonstranten gesprochen. Man
kann nicht davon sprechen, das sei von langer Hand ge-
plant gewesen; vielmehr ist diese Demonstration aus der
Wut und Betroffenheit der Menschen entstanden. Ich
frage mich: Wie sollen die Menschen eigentlich ihren
Protest darüber zum Ausdruck bringen, dass immer
mehr Zivilisten durch Luft- oder Spezialoperationen ge-
tötet werden? Mir liegt eine Zahl des Afghanistan Rights
Monitor, einer unabhängigen NGO in Afghanistan, vor,
die 512 durch die Spezialoperationen getötete Zivilisten
im letzten Jahr gezählt hat. Wie sollen sich die Men-
schen überhaupt noch anders wehren als dadurch, dass
sie auf die Straße gehen und demonstrieren? Das erleben
wir sowohl im Süden Afghanistans als auch in vielen an-
deren Provinzen. Es gibt Demonstrationen konkret
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Vielen Dank. – Es gibt eine Nachfrage unseres Kolle-
en Hans-Christian Ströbele.
Herr Staatsminister Hoyer, jetzt wundere ich mich
ber doch ein bisschen. Vorhin haben Sie mit einer ge-
issen Berechtigung darauf hingewiesen, das sei alles
och nicht geklärt und man solle noch nicht Stellung
ehmen, sondern die Berichte abwarten und dann zu ei-
em Urteil kommen. Jetzt sagen Sie, als ob es eine fest-
tehende Tatsache sei – ich weiß nicht, woher Sie das
issen –, dass das alles organisiert gewesen sein soll,
on langer Hand vorbereitet. Ist das das Ergebnis einer
rmittlung und, wenn ja, von welcher? Hat das ISAF he-
usbekommen, hat das die afghanische Regierung unter
arzai herausbekommen, oder hat das der Polizeipräsi-
ent herausbekommen? Genauso beurteilen Sie den Vor-
ll von der Nacht vorher. Sie sprechen davon, dass um-
ngreiches Material sichergestellt worden sei, woraus
ich ergebe, dass die Aktion ein großer Erfolg gewesen
ei. Ich zitiere dazu aus der Süddeutschen Zeitung – ich
eiß nicht, ob Sie den Artikel kennen –, wonach der
olizeichef von Taloqan den Agenturen Reuters und dpa
also nicht irgendjemandem – gesagt hat, er verurteile
en brutalen Angriff, bei dem ausschließlich Zivilisten
ms Leben gekommen seien. Nehmen Sie das nicht zur
enntnis, oder haben Sie bessere Erkenntnisse? Dann
agen Sie es uns.
D
Die Süddeutsche Zeitung ist ganz sicherlich eineseiner Leib- und Magenblätter.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12565
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
)
)
Selbstverständlich nehme ich das gerne zur Kenntnis.Den konkreten Artikel habe ich noch nicht gelesen, aberich werde mich gern darum kümmern.
Allerdings habe ich mich darum bemüht, Informatio-nen von denjenigen in der Bundesregierung, von denenich verlässliche Informationen erwarte, zu erhalten.Nach dem Bericht, der den Obleuten im Verteidigungs-ausschuss vom Bundesminister der Verteidigung gege-ben worden ist, sind einige Dinge evident. So gehörenMolotowcocktails und Handgranaten auch nicht – umdas zu erkennen, braucht man wenig Fantasie – zu einernormalen Demonstrationsausrüstung von Menschen, diefriedlich ihre Meinung kundtun. Es ist nicht normal, dasssie damit durch die Gegend rennen und diese auch nochbenutzen. Mehr habe ich nicht gesagt.
Frau Kollegin Heike Hänsel, Sie haben noch eine
weitere Nachfrage. Die möchte ich nicht unterschlagen.
Bitte schön.
Danke schön. – Bei meiner zweiten Nachfrage kann
ich mich jetzt auch auf die von Ihnen gerade gegebene
Antwort beziehen. Wir müssen also feststellen, dass Sie
einerseits sehr genau wissen, dass alles von langer Hand
geplant war und ein Großteil der Demonstranten gewalt-
tätig war. Andererseits muss man aber alle Untersuchun-
gen, was die Bundeswehr usw. angeht, abwarten. Das
halte ich für eine sehr einseitige und auch für eine sehr
vorschnelle Bewertung der gesamten Ereignisse.
Wir haben auch Kontakte zu afghanischen Nichtre-
gierungsorganisationen in Taloqan. Die sprechen von
20 Toten, also von viel mehr, als hier offiziell bestätigt
sind, und sagen, dass auch die vier Getöteten Zivilisten
und keine sogenannten Aufständischen waren.
In diesem Zusammenhang habe ich eine politische
Frage. Die Bundeswehr bzw. ISAF sagt, dass man dort
gegen die usbekische Unabhängigkeitsbewegung im
Norden Afghanistans kämpft, die sozusagen mit dem be-
rüchtigten General Raschid Dostum verbunden ist. Wie
bewerten Sie eigentlich die Tatsache, dass es die Karzai-
Regierung 2009 dem wirklich blutrünstigen Kriegsver-
brecher Raschid Dostum ermöglicht hat, wieder in Ka-
bul einzuziehen, nach Afghanistan zurückzukommen,
und zwar in der Hoffnung, dass Karzai dadurch die Stim-
men der Usbeken im Norden Afghanistans bekommt,
und dass die demokratische Beteiligung der Bevölke-
rung – das haben Sie erwähnt – durch die Stärkung sol-
cher Warlords systematisch verhindert wird?
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Das ist ein ganz interessanter Punkt, der die Frage der
Partizipationsmöglichkeiten der verschiedenen Volks-
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a sollte sich der Deutsche Bundestag vor die Soldatin-
en und Soldaten und die Polizeibeamten stellen – bis zu
em Zeitpunkt, wo sich herausstellt, dass sie einen Feh-
r gemacht oder sich rechtswidrig verhalten haben.
ach allem, was wir wissen, ist das hier nicht der Fall,
nd deswegen möchte ich diesen Soupçon gern ausge-
umt wissen.
Es gibt jetzt noch eine Nachfrage unserer Kollegin
ge Höger. Bitte schön, Frau Kollegin Höger.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister Hoyer, Sie haben
orhin auf die Frage meiner Kollegin Hänsel unter ande-
m gesagt, dass Sie das Ziel haben, den Norden Afgha-
istans und Afghanistan insgesamt den afghanischen
räften zu übergeben, wozu auch der Polizeiaufbau und
ilitäraufbau dienen. Wie ist denn dann die Tatsache zu
eurteilen, dass sich der ehemals relativ ruhige und
iedliche Norden Afghanistans inzwischen zu einem
ebiet entwickelt hat, in dem immer mehr militärische
wischenfälle geschehen, in dem es immer mehr Tote
ibt und in dem die Situation eigentlich eher eskaliert?
D
Ich glaube, es liegt daran, dass der Norden schwieri-
er, wichtiger und auch strategisch interessanter wird
nd sich die Aufständischen deswegen besonders auf
iesen Bereich konzentrieren. Von daher kann es nicht
erwundern, dass diejenigen, die mit einer friedlichen
ntwicklung Afghanistans nichts im Sinn haben, versu-
hen, dort ihr Störpotenzial besonders gezielt einzuset-
en. Das verwundert mich nicht, macht unsere Aufgabe
llerdings schwieriger.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.Die Fragen 43 und 44 des Kollegen Niema Movassaterden ebenso wie die Frage 45 der Kollegin Katja Keulchriftlich beantwortet.Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-esministeriums des Innern. Hier steht zur Beantwor-
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12566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Vizepräsident Eduard Oswald
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tung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. OleSchröder zur Verfügung.Die Frage 46 der Kollegin Katja Keul sowie die Fra-gen 47 und 48 des Kollegen Hans-Joachim Hacker wer-den schriftlich beantwortet.Jetzt rufe ich die Frage 49 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf:Inwieweit bestätigt die Bundesregierung die Schilderungdes Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom 16. Mai 2011,Seite 36 f., dass deutsche Sicherheitsbehörden im Sommer2010 US-amerikanischen Stellen die Ausreise des deutschenStaatsangehörigen Bünyamin E. nach Pakistan mitteilten, des-sen angebliche Prahlerei mit einem Anschlagsplan, dessendeutsche Handynummer, die Handynummer einer türkischenKontaktperson sowie später die Adresse eines von E. besuch-ten Cafés im pakistanischen Ort Mir Ali, bevor am 4. Oktober2010 eine von einer US-Drohne abgefeuerte Rakete E. in ei-nem Gehöft nahe Mir Ali tötete, und besteht danach nichtauch nach Auffassung der Bundesregierung der dringendeVerdacht, dass diese Informationen den tödlichen Drohnenan-griff erst ermöglicht haben und die deutschen Sicherheitsbe-hörden deshalb eine Mitschuld an der Tötung des deutschenStaatsbürgers trifft, der – ungeachtet außenpolitischer Rück-sichtnahmen auf die USA – in einem Strafverfahren inDeutschland weiter nachgegangen werden muss?D
Die Bundesregierung hat sich in dieser Angelegenheit
bereits wiederholt zur Informationsübermittlung deut-
scher Sicherheitsbehörden gegenüber US-amerikani-
schen Behörden geäußert. Ich erlaube mir, insoweit ins-
besondere auf die Antworten der Bundesregierung auf
die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Wolfgang
Nešković vom 2. Dezember 2010 und vom 13. Dezem-
ber 2010 einschließlich der bei der Geheimschutzstelle
des Deutschen Bundestages zur Einsichtnahme hinter-
legten, als Verschlusssache Geheim eingestuften Infor-
mationen zu verweisen.
Zudem hat die Bundesregierung dem Fragesteller auf
seine Frage 9 der Bundestagsdrucksache 17/4493 in ih-
rer Antwort bereits mitgeteilt, dass der Generalbundes-
anwalt beim Bundesgerichtshof wegen des angeblichen
Angriffs am 4. Oktober 2010 im pakistanischen Nord-
Basiristan einen Prüfvorgang angelegt hat. Gegenstand
der noch andauernden Prüfung ist die Frage, ob Anlass
besteht, ein Ermittlungsverfahren wegen eines in die Zu-
ständigkeit des Generalbundesanwalts fallenden Straftat-
bestandes einzuleiten.
Kollege Ströbele, Ihre erste Zusatzfrage. – Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage leider
nicht beantwortet. Ich habe ja unter Bezugnahme auf ei-
nen Artikel des Spiegels vom 16. Mai 2011 ganz konkret
gefragt, ob die Angaben, die im Spiegel stehen – davon
war in den Antworten, auf die Sie hingewiesen haben,
keine Rede –, zutreffend sind, nämlich erstens, dass mit-
geteilt worden ist, dass Herr Bünyamin E. aus Deutsch-
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Herr Staatssekretär, Sie unterstellen dem Spiegel also,
ass er die Unwahrheit schreibt?
as will ich jetzt aber nicht weiterverfolgen.
Die nächste entscheidende, wichtige Frage ist: Ist es
ach Auffassung der Bundesregierung richtig, dass man
it Rücksicht auf US-amerikanische Interessen und un-
r Berufung auf die entsprechende Bestimmung der
trafprozessordnung hier von einem Verfahren Abstand
ehmen kann, wenn ein deutscher Staatsangehöriger in
akistan durch eine US-Drohne getötet worden ist?
D
Ich habe nicht verstanden, worauf Sie mit Ihrer Frage
inauswollen. Wann Daten übermittelt werden, bestim-
en unsere Gesetze. Dabei ist eines klar: Es werden nie
olche Daten übermittelt, die unmittelbar zum Tod von
eutschen Staatsbürgern führen.
Vielen Dank. – Die Frage 50 der Kollegin Sevimağdelen wird schriftlich beantwortet.Somit kommen wir zur Frage 51 des Kollegen Andrejunko:Wie steht die Bundesregierung dazu, dass die EU nur we-nige Zehntausend Migrantinnen und Migranten, Tunesien al-lerdings bereits über 300 000 Migrantinnen und Migranten
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12567
Vizepräsident Eduard Oswald
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seit der Libyen-Krise aufgenommen hat und trotzdem eine an-
sieht es die Bundesregierung aufgrund ihrer erklärten Selbst-verpflichtung zur Unterstützung einer demokratischen Ent-wicklung Tunesiens und in Anbetracht der vielen, vermeidba-ren Todesfälle als erforderlich oder wenigstens hilfreich an,dass Deutschland sich wie auch andere EU-Mitgliedstaatenbereit erklärt, mehr Migrantinnen/Migranten aufzunehmen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.D
Aus Sicht der Bundesregierung kommt es bei der ge-
genwärtigen Situation in Nordafrika insbesondere darauf
an, humanitäre Hilfe zu leisten. Sie hat deshalb bisher
7 Millionen Euro an humanitärer Soforthilfe zur Verfü-
gung gestellt – vor allem für medizinische Versorgung in
Libyen sowie Flüchtlingsversorgung und Rückkehrun-
terstützung in Tunesien.
Außerdem ist Deutschland mit einem bedeutenden
Anteil an den 30 Millionen Euro, die von der EU als
Nothilfe für die nordafrikanische Region zur Verfügung
gestellt worden sind, beteiligt.
Ferner hat Deutschland einen Beitrag zur Luftbrücke
des UNHCR, jetzt mit Schwerpunkt „Rückführung asia-
tischer Migranten“, geleistet.
Insofern spricht sich Deutschland für den Grundsatz
der Schutzgewährung in der Region aus. Die EU wird im
Rahmen bestehender und künftiger regionaler Schutz-
programme dazu beitragen, dass die Aufnahme- und
Schutzkapazitäten in den Aufnahmestaaten Nordafrikas
ausgebaut werden.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. –
Erste Zusatzfrage, Kollege Andrej Hunko.
Vielen Dank, Herr Dr. Schröder. – Ich glaube, wir
sind uns über die welthistorische Bedeutung dieser Be-
wegung in den nordafrikanischen Ländern einig. Diese
wird ja auch oft mit den Bewegungen 1989 in den ost-
europäischen Ländern verglichen. Dabei möchte ich die
Bereitschaft des Westens vergleichen, Flüchtlinge aufzu-
nehmen und eine positive Haltung zu den Flüchtlingen
einzunehmen.
Nach den mir vorliegenden Zahlen hat alleine Tune-
sien 300 000 Flüchtlinge aus Libyen, aus dem Bürger-
krieg, aufgenommen. Im Verhältnis zur Zahl der Bevöl-
kerung von Tunesien, nämlich 10 Millionen, macht das
etwa 3 Prozent aus. Die Europäische Union hat nach den
mir vorliegenden Zahlen 30 000 Menschen aus der Re-
gion aufgenommen. Das entspricht ungefähr 0,006 Pro-
zent der Bevölkerung der EU. Vor diesem Hintergrund
meine Frage: Wissen Sie, wie viele Flüchtlinge nach
Deutschland kommen konnten? Halten Sie das Engage-
ment Deutschlands angesichts der Bedeutung dieser Be-
wegung für ausreichend?
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)
Meer ertrunken sind. Sehen Sie keine moralische Verant-wortung für diese Menschen?D
Deutschland hat eine besondere moralische Verant-
wortung für Menschen, die hier Asyl suchen. Wir wer-
den unserer Verantwortung in der Welt auf unterschiedli-
chen Ebenen gerecht, insbesondere im Rahmen der
Entwicklungshilfe. Wir werden unserer Verantwortung
vor allen Dingen auch dadurch gerecht, dass wir regio-
nale Schutzräume schaffen.
Wir sehen keine Notwendigkeit, möglichst viele
Menschen aus den nordafrikanischen Gebieten nach
Europa zu bringen. Wir sehen vielmehr die Notwendig-
keit, die dortigen Lebensbedingungen zu verbessern und
Schutzräume in Nordafrika zu schaffen, den Menschen
vor Ort zu helfen, damit es dort zu einem demokrati-
schen Aufbau kommen kann. Ich möchte auch darauf
hinweisen, dass Gaddafi im Gegensatz zu seinen Besu-
chen in anderen europäischen Hauptstädten niemals am
Kanzleramt gezeltet hat.
Es gibt noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön,
Herr Kollege Mützenich.
Herr Staatssekretär, Sie sprechen davon, dass die
Bundesregierung insbesondere die Verantwortung vor
Ort übernehmen will. Können Sie dem Parlament ver-
deutlichen, wie die Bundesregierung mit der Flücht-
lingskatastrophe, wie eben geschildert, fertig werden
will und wie sie insbesondere Ländern wie Ägypten und
Tunesien, die mittlerweile Zehntausende von Flüchtlin-
gen haben aufnehmen müssen, helfen will? Für diese
Länder ist die gegenwärtige Situation, auch angesichts
ihrer Reformbestrebungen, eine große Herausforderung.
Inwieweit wird die Bundesregierung diesem Problem
gerecht? Können Sie dem Parlament sagen, welche kon-
kreten Hilfsmaßnahmen die Bundesregierung diesen
Umbruchstaaten zukommen lassen will?
D
Die Nachbarschaftshilfe der Europäischen Union
wird massiv ausgeweitet und so umgeschichtet, dass sie
insbesondere den nordafrikanischen Staaten zugute-
kommt. Ein abgestimmtes Vorgehen aller Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union ist wichtig. Da engagieren
wir uns. Es muss unser gemeinsames Ziel sein, den Auf-
bau von demokratischen Strukturen in dieser Region zu
befördern.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen.
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Meine Frage bezieht sich auf unser Grundgesetz.Art. 14 Abs. 2 GG besagt:Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleichdem Wohle der Allgemeinheit dienen.Sehen Sie das in diesem Fall für gegeben?H
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis: Ich gehe
schon davon aus, dass sich jedes deutsche Unternehmen
dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und
der Sozialorientierung von Eigentum verpflichtet fühlt.
Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage, welche
Schlussfolgerungen die Bundesregierung daraus ziehe,
dass der Deutsche-Bank-Chef „eine Eigenkapitalrendite
von 20 bis 25 Prozent erzielen will, was ein hohes Sys-
temrisiko darstellt und im Verlustfalle von Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahlern übernommen werden
müsste“, gesagt: Die Bundesregierung ist der Auffas-
sung, dass die Maßnahmen nach dem Kreditwesengesetz
und die Effizienz der Aufsicht der BaFin ausreichen, um
die Situation genau zu beobachten und gegebenenfalls
durch entsprechende Verwaltungsakte tätig zu werden,
sodass risikoreiche Geschäfte unattraktiv gemacht wer-
den.
Herr Kollege Hunko, Sie wollen eine weitere Zusatz-
frage stellen.
Herr Koschyk, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden
habe, dann haben Sie schon ein Auge darauf, dass
Art. 14 Abs. 2 eingehalten wird:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Ich halte das angesichts der Rolle, die die Deutsche
Bank da gespielt hat, und der Aussagen, dass jetzt, in der
Krisenzeit, eine Eigenkapitalrendite von 20 bis 25 Pro-
zent erzielt werden soll, für schwierig.
Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, ob hier
möglicherweise Art. 14 Abs. 3 greifen kann, wonach
eine Enteignung „zum Wohle der Allgemeinheit“ zu-
lässig ist? Gibt es angesichts dessen, was wir gerade
besprochen haben, bei Ihnen solche Überlegungen?
H
Solche Überlegungen gibt es nicht. Die Bundesregie-
rung hat vielmehr, Herr Kollege Hunko, auf vielfache
Art und Weise, auch aufgrund von Vereinbarungen auf
G-20-Ebene und Vereinbarungen der Europäischen
Union, ein großes Netz von Verschärfungen bei der Ban-
kenregulierung realisiert. Ich nenne hier das Restruktu-
rierungsregime für Banken, die Umsetzung verschiede-
ner europäischer Richtlinien und die Frage der Erhebung
einer Bankenabgabe sowie Basel III, womit die Eigen-
kapitalquote von Banken erhöht werden soll. Dies dient
der Risikoprävention. Insofern glaube ich, dass die Bun-
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Schuld beladen. Das ist die Grauzone, in der sich dieAntisemiten von heute bewegen. Diese Grauzone gibt esin allen Schichten, in allen Bereichen, von Links bisRechts, in bürgerlichen Kreisen ebenso. Deswegen ist esumso wichtiger, dass jeder von uns, wir alle, in dieserGrauzone für Klarheit sorgen, dass wir jedes Wort unter-lassen, das antisemitisches Denken und antisemitischesReden bedient, das antisemitisches Denken und Redenanheizt oder gar aufwertet. Das ist das Problem, über daswir reden sollten, wenn wir uns dieses Thema bei derLinkspartei genauer anschauen.Es ist das Verdienst einer neuen Studie von Politolo-gen, die alle Vorkommnisse bei der Linkspartei auf die-sem Gebiet analysiert haben. Es geht um die infamenGleichsetzungen und Relativierungen zwischen Judenoder Israel und den Nazis. Wenn Sie auf die Homepageder Duisburger Linken gehen, dann sehen Sie tatsächlichfolgendes Bild:
ein Judenstern, der in das Hakenkreuz übergeht, bzw. einHakenkreuz, das in den Judenstern übergeht; zu sehenauf der Homepage des Kreisverbandes Duisburg.
Wenn Sie das auf sich wirken lassen und wenn Sie sichdas Verbrechen der Deutschen, der Nazis an den Judenin Erinnerung rufen, dann merken Sie, wie infam diesesVorgehen ist.
Es gibt eine Fülle von weiteren Beispielen. Ob dasÄußerungen der Bundestagsabgeordneten der LinkenChristine Buchholz sind, denen niemals widersprochenwurde; ob es die imperialistische Weltverschwörung ist,der man Israel im Verbund mit den USA zeiht, oder obes die Bundestagsabgeordneten sind, die auf dem Schiffder Gaza-Solidaritätsflotte im Mai letzten Jahres unter-wegs waren: Es sind immer die gleichen Themen, immerdie gleichen bekannten Gesichter, und es sind immerlinke Abgeordnete des Deutschen Bundestages dabei.
Dies alles ist seit Jahren bekannt, und die Parteiführungder Linken schweigt.
Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest: Sieschweigt nicht ganz. Eine Doppelstrategie wird erkenn-bar: Auf der Vorderseite des linken Hauses steht HerrGysi auf dem Balkon, warnt vor Antisemitismus und bit-tet um den Konsens aller Demokraten im Kampf gegenden Antisemitismus. Das ist die Vorderseite des linkenHauses: Gregor Gysi.
Im Hinterhof gibt es ganz andere. Da gibt es die notori-schen Israelkritiker vom Schlage eines Norman Paech,dsIntruDkVinliDinkHddrekntedaondsGkFsmPdH
Wahrheit dürfen sie das machen, weil sie im Spek-um des Antisemitismus nach Wählerstimmen fischennd auch dieses Gebiet abdecken wollen. Das ist dieoppelstrategie der Linken, und die gilt es zu brandmar-en. Das ist heute unsere Aufgabe.
Ich komme zum Schluss. Es ist unsere historischeerantwortung, dass wir jede Form von Antisemitismus diesem Haus, in jeder Partei und in allen gesellschaft-chen Schichten aufdecken, brandmarken und ächten.as ist unsere Aufgabe. Wer dabei nicht mitmacht, wer den antisemitischen Wählerschichten fischen will,lammheimlich, der ist kein ehrbares Mitglied diesesohen Hauses.
Der nächste Redner in unserer Aktuellen Stunde ist
er Kollege Christian Lange für die Fraktion der Sozial-
emokraten. Bitte schön, Kollege Lange.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Antisemitismus gibt es leider überall, um das ganzlar und deutlich zu sagen. Antisemitismus findet manicht nur an den politischen Rändern der deutschen Par-ienlandschaft, sondern auch in deren Mitte. Der ein-eutige Unterschied zur Linkspartei ist, dass bei allennderen Parteien jede Art des Antisemitismus sofort undhne Wenn und Aber zurückgewiesen wird, und zwaricht von einigen wenigen, sondern von allen, insbeson-ere von allen Kolleginnen und Kollegen hier im Deut-chen Bundestag.
Das ist bei Ihnen leider nicht der Fall, und das ist derrund für die heutige Aktuelle Stunde. Seit Monatenommen aus den Reihen der Linkspartei Äußerungen,orderungen und Aktivitäten, die wir zunächst nur fas-ungslos zur Kenntnis nehmen können. Daher freue ichich, dass wir heute im Bundestag über diese hässlicheroblematik sprechen können.Ich möchte mit dem jüngsten Beispiel anfangen, anem man diese Tatsache deutlich machen kann. In deransestadt Bremen riefen vor wenigen Wochen Mitglie-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12571
Christian Lange
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der oder Freunde des Bremer Friedensforums zumBoykott israelischer Waren auf.
Wir erinnern uns alle an die Bilder von den sogenanntenFriedensaktivisten, die in Bremen mit Schildern vor ei-nem Supermarkt demonstrierten, auf denen zum Beispielstand: Boykottiert Israels Früchte! – Auf dem genanntenPlakat sah man zudem ein Stück Orange, das mit Blutverschmiert war.
Diese wirklich widerliche Aktion, die sofort die Bilderaus dem Dritten Reich in uns allen wachrief, wurde vonallen demokratischen Parteien in Bremen scharf verur-teilt. Lediglich die Partei Die Linke weigerte sich, dengemeinsamen Aufruf zu unterschreiben.
Ich frage mich: War dies ein Einzelfall? Vor fast ge-nau einem Jahr versuchten Aktivisten mit der sogenann-ten Gaza-Flottille die Blockade des Gazastreifens aufdem Seeweg zu durchbrechen. Obwohl Israel angekün-digt hatte, das Vorhaben zu blockieren, und gleichzeitiganbot, die auf den Schiffen transportierten Hilfsgüternach Gaza zu bringen, hielten die Aktivisten an ihremPlan fest. Wir kennen alle das Ergebnis. Schaut manjetzt, ein Jahr später, mit Ruhe auf die Ereignisse, bestä-tigt sich leider der damalige Verdacht, dass die Organisa-toren bewusst die Eskalation herbeigeführt haben. DasSchiff wurde beim Auslaufen aus dem Istanbuler Hafenmit antisemitischen Gesängen verabschiedet. Darauf istdie Studie, die Grundlage dieser Diskussion ist, einge-gangen. Unsere Kolleginnen Annette Groth und IngeHöger sowie der ehemalige BundestagsabgeordneteNorman Paech waren dabei.Wenn es sich bei dieser Fahrt tatsächlich um eine So-lidaritätsaktion für die Menschen in Gaza gehandelthätte, wieso nahmen die Aktivisten das Angebot dannnicht an? Wieso waren auf dem Boot überhaupt Islamis-ten, und wieso gab es ein Frauendeck? Wir sind schließ-lich im 21. Jahrhundert. Wieso haben die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer sich nicht ganz deutlich von denantisemitischen Parolen distanziert oder diese verhin-dert? Und – das finde ich besonders skandalös –: Warumhaben sich die Teilnehmer eigentlich nicht für die sofor-tige Freilassung von Gilad Schalit eingesetzt, der seit ge-nau 1 795 Tagen im Gazastreifen in Haft ist?
Dass deutsche Parlamentarier bei dieser illegalen Aktionmitgemacht haben, finde ich unglaublich.
War das eine Einzelmeinung in der Linkspartei? Wohlkaum. Groth, Höger und Paech wurden nach ihrer Heim-kehr nach Berlin von der Vorsitzenden der Linkspartei,GßglaghEDhdshDreJ„stiIsddsteUmnnSfüreJ–DfrSle
iese Frage muss, so meine ich, geklärt werden. Des-alb sage ich: Wir dürfen es nicht länger hinnehmen,ass unter dem Deckmantel der Israel-Kritik antisemiti-che Vorurteile oder antisemitische Kampagnen salonfä-ig werden.
Der Freiheitskämpfer Natan Sharansky, ehemaligerissident und Häftling im Sowjetkommunismus, späte-r israelischer Politiker und heutiger Chairman of theewish Agency for Israel, hatte recht, als er mit seiner3-D“-These deutlich machte, wann Israel-Kritik anti-emitisch wird, nämlich dann, wenn die Existenzberech-gung des jüdischen Staates delegitimiert wird, wennrael dämonisiert wird und wenn Israel mit Doppelstan-ards verurteilt wird.Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren voner Linkspartei, fordere ich Sie auf: Nehmen Sie Ab-tand von dieser Politik! Bekennen Sie sich zum Exis-nzrecht Israels!
nd schließlich – ganz praktisch – an Sie gewandt: Ichöchte in diesem Hause keine derart unschönen Aktio-en mehr erleben wie das demonstrative Sitzenbleibenach der Rede des israelischen Staatspräsidentenhimon Peres.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Stefan Ruppert
r die Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Ich gehöre dem Deutschen Bundestag erst seit demahr 2009 an. Als ich neu hier war, habe ich die Strategie auch meiner Fraktion und Partei –, wie mit der Parteiie Linke umgegangen werden soll, wiederholt hinter-agt. Ich habe mich gefragt: Ist es wirklich die richtigetrategie, sie zu dämonisieren und in eine Ecke zu stel-n?
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12572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Dr. Stefan Ruppert
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Für mich brachte der 27. Januar des Jahres 2010 danndie Bestätigung, dass meine Zweifel nicht begründet wa-ren. Als Shimon Peres am Tag der Befreiung von Au-schwitz in diesem Haus eine bewegende Rede hielt undeinzelne Abgeordnete Ihrer Partei ihm gegenüber nichtnur jedes Anstandsgefühl haben vermissen lassen, son-dern sich auch nicht von den Plätzen erhoben haben, dawar für mich sichtbar, dass Teile Ihrer Fraktion einen an-tisemitischen Unterton nicht nur dulden, sondern auchpflegen.
Ich habe mich lange wissenschaftlich mit Antisemi-tismus befasst, zunächst als Assistent an einem Lehr-stuhl und dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter amBundesverfassungsgericht beim NPD-Verbotsverfahren.Aus dieser Zeit weiß ich aus vielen empirischen Studien,dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir sagen: An-tisemitismus ist alleine ein Problem der politischenRechten oder der politischen Linken. – Wir wissen, dassauf die Frage „Haben Juden zu viel Einfluss in diesemLand?“ bedauernswerterweise 15 Prozent der Menschenaus allen Bevölkerungsschichten mit Ja antworten. Dasist absurd, und das muss uns zu denken geben.Wir stellen fest, dass Antisemitismus bei Männernstärker verwurzelt ist als bei Frauen, bei bildungsschwa-chen Bevölkerungsschichten stärker als bei bildungsna-hen. Wir stellen auch fest, dass der Antisemitismus Kon-junkturen hat. Das Problem ist vielschichtig und nichtallein im politischen Extremismus anzusiedeln. Es gibtaber Parteien – insofern fand ich die bemerkenswerteRede meines Vorredners sachlich sehr zutreffend –, diesich bewusst davon distanzieren und jeder antisemiti-schen Tendenz entgegentreten. Das sind die Grünen, dieSPD, die CDU, die CSU und die FDP. Bei der Partei DieLinke dagegen verhält es sich genauso wie am extremenrechten Rand bei der NPD und anderen: Man vermisst,dass Sie dem eindeutig entgegentreten.
Über die Topoi, die in der Antisemitismusforschungimmer wieder untersucht werden, hinaus findet manähnliche Topoi, die vom Antiisraelismus über den Anti-amerikanismus bis hin zu anderen Modellen reichen.Unrühmliche Beispiele Ihrer antisemitischen Handlungwurden bereits vorgetragen.Als jemand, der sich dafür einsetzt, dass auch die ei-gene Parteigeschichte der FDP in den 50er- und 60er-Jah-ren kritisch hinterfragt werden muss – beispielsweise dieBeteiligung von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP, wiesie in Hessen gerade untersucht wird –, finde ich es be-dauernswert, dass Sie im Grunde in den umgekehrtenReflex des Historikerstreits verfallen, nämlich zu sagen:Wir rechnen auf, um mit unserem Antisemitismus eineEntlastungswirkung gegenüber unserem eigenen Versa-gen zu erzielen. – Das ist nicht hinnehmbar. Jede FormdßleLinsndhtedRhvzteMcSddremHogbdFsDheIcWeL
olange Sie das unterlassen und immer nur dann, wennie Tagesaktualität Sie in die politische Defensiverängt, punktuell vorgehen, solange Sie keine struktu-lle und glaubwürdige Auseinandersetzung nicht nurit Ihrer Geschichte, sondern auch mit Ihrer Haltung zuramas und zum Existenzrecht Israels führen – elf Abge-rdnete der Linken haben den gemeinsamen Antrag ge-en Antisemitismus in diesem Haus nicht unterschrie-en; das ist ein bemerkenswerter Vorgang –, solange Sieieses Thema nicht angehen, so lange sind Sie in dieserrage leider nicht glaubwürdig.Vielen Dank.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist un-
ere Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen für die Fraktion
ie Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiraben wieder einmal eine Gleichsetzung von rechts-xtrem und links erleben müssen.
h finde das in diesem Haus nicht hinnehmbar.
ir haben gerade in diesem Hohen Haus erlebt, dass einmpörendes Zeichen hochgehalten wurde, gegen das dieinke Strafanzeige erhoben hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12573
Dr. Lukrezia Jochimsen
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Es ist fälschlicherweise auf die Website gekommen, undwir haben Strafanzeige dagegen erhoben.
Hier ist von dem Einsatz für die Freilassung des Sol-daten Schalit gesprochen worden. Darf ich Sie alle daranerinnern, wer in diesem Haus zuerst einen solchen An-trag gestellt hat?
Es war die Fraktion Die Linke. Darf ich Sie daran erin-nern, dass es Ihre Fraktion war, die gesagt hat: „Mit derLinken zusammen machen wir einen solchen Antrag indiesem Parlament nicht“?
Das zeigt Ihre Doppelmoral und Ihren Umgang mit derWahrheit.
Nein, wir brauchen uns nicht von irgendetwas abzu-kehren.
Unsere Parteispitze hat eine klare Haltung zu Antisemi-tismus und antiisraelitischen Positionen.
Wir haben genug Belege. Ich könnte es Ihnen jetzt ein-fach machen und sagen, dass es eine Unverschämtheitist, dass ausgerechnet die CDU von Globke, Filbinger,Kiesinger und Oettinger und die FDP von Mende undMöllemann uns antisemitische und israelfeindliche Posi-tionen vorwerfen.
Ich könnte es auch uns einfach machen und die Unwahr-heiten, die Halbwahrheiten, die Verdrehungen und diefehlenden Belege des von Ihnen als wissenschaftlicheUntersuchung bezeichneten politischen Positionspapiers
aufzählen und beschreiben.Ich nenne Ihnen nur ein einziges Beispiel. WolfgangGehrcke, mein Kollege, wird in diesem Papier im Zu-sammenhang mit einem Buch angegriffen. Es heißt, die-sWBlaDsusSdWcSSIcgDlaGdßti
Es ist vielleicht nur ein Aperçu am Rand der Ge-chichte: Am 16. Dezember 2009 hat der Botschafter destaates Israel Herrn Gehrcke einen Brief geschrieben, inem stand:Den Jahreswechsel habe ich zum Anlass genom-men, Ihnen zu Ehren einen Baum im Wald der deut-schen Länder in Israel pflanzen zu lassen. Ich hoffe,Ihnen damit eine Freude bereitet zu haben.issen Sie: Sie führen eine wissenschaftliche Untersu-hung an, und dies ist die Wahrheit.
o gehen Sie hier im Parlament mit uns um, nur umtimmungsmache zu betreiben.
h sage Ihnen noch etwas anderes: Für mich ist dasroße gesellschaftliche Problem des Antisemitismus ineutschland zu bedrängend und zu ernst, um es im Par-ment mit dem üblichen Politreflex zu behandeln.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Linke einerundposition vertritt, die bedeutet, gegen jede Formes Antisemitismus in der Gesellschaft vorzugehen. Au-erdem haben wir ein für alle Mal beschlossen – ich zi-ere –,… dass Deutschland wegen der furchtbaren Verbre-chen der Deutschen an den Jüdinnen und Judenwährend des Nationalsozialismus eine besondereVerantwortung gegenüber Israel und gegen jede Artvon Antisemitismus, Rassismus, Unterdrückung
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12574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Dr. Lukrezia Jochimsen
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und Krieg hat. Diese Verantwortung ist nicht relati-vierbar; sie schließt das Bemühen um einen palästi-nensischen Staat und die Garantie des Existenz-rechtes Israels ein.Die Linke vertritt diese Position nach innen: Boykottauf-rufe sind in unseren Augen nicht hinnehmbar,
und wir dulden Antisemiten nicht.
Die Linke vertritt diese Position auch nach außen, indemwir auf Demonstrationen, mit Tausenden von Aktionen,in parlamentarischen und außerparlamentarischen Grup-pen, in Büchern und Vorträgen Gesicht zeigen.
Es gibt in unserer Gesellschaft Antisemiten, und zwarnicht wenige. Warum ist das so? Weil in unserer Gesell-schaft immer noch und immer wieder antisemitische undrassistische Haltungen aufbrechen; die Vorredner habenes erwähnt. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, istunser gemeinsames Problem.
Dagegen müssen wir vorgehen. Betreiben wir aber bittenicht, wie es aktuell geschieht, aus parteipolitischemKalkül und mithilfe von Pseudowissenschaft eine ober-flächliche Stimmungsmache, nur um den Ruf einer Par-tei zu schädigen.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht unser
Kollege Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauJochimsen, ich bin von Ihrer Rede enttäuscht.
Ich finde, sie wurde der Problemlage und der Situation,in der sich Ihre Partei und Fraktion bei diesem Themabefinden, nicht gerecht.
Ich will deutlich machen, dass ich auch die Art derAuseinandersetzung, die Art, in der wir bis jetzt disku-tiert haben, nicht gut finde, weil wir uns dem ProblemndSzAzsreküdedgbFgdnMLfarüdvfiwskKdBRgIseriegtukrebdOdkKAra
Sie haben sich heute hier aber wie Ihr Parteivorsitzen-er, Herr Ernst, verhalten, nämlich nach dem Motto: Wirerwehren uns gegen Belehrungen von außen. – Ichnde, man muss sich dieser Sache ernsthafter annehmen,eil es eben keine Einzelfälle sind. Es ist nicht einer, derich verplappert hat und den man dann ausschließenann. Hier sitzt Frau Höger. Sie war kürzlich auf einemongress zum Thema Palästina, der wesentlich unterem Einfluss der Hamas stand. Sie stellte sich auf dieühne und ließ sich einen Schal mit einem Abbild deregion überreichen, auf dem Israel mit seinen Staats-renzen nicht mehr eingezeichnet ist.
rael ist dort bereits verschwunden. Das war natürlichin Versehen, Frau Höger. Sie haben den Schal nichtchtig angesehen und hätten es unhöflich gefunden, sotwas nicht in der Öffentlichkeit zu tragen. Ich muss sa-en: Manchmal ist es politisch doch die richtigere Hal-ng, geradeheraus zu sein und etwas weniger Höflich-eit zu zeigen.
Ihnen passiert aber ein Missgeschick nach dem ande-n. Auf Ihrer Homepage landete angeblich ein Mitar-eiterartikel – so wird das später erklärt –, der gar nichtahin gehörte. Er gab nur den Diskussionsstand wieder.hne irgendeinen Anhaltspunkt, ohne das geringste In-iz und ohne ein Argument dafür, warum es so seinönnte, wurde darin schlankweg behauptet, Juliano Mer-hamis und Vittorio Arrigoni, zwei propalästinensischektivisten, seien im Gazastreifen wahrscheinlich von Is-el ermordet worden. Es gab keinen Hinweis darauf.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12575
Volker Beck
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Die Hamas-Regierung hat später Salafisten festgenom-men, die diese Tat begangen haben.Das sind doch keine Zufälle. Herr Dierkes hat kürz-lich in einem Interview auf der Seite www.diefreiheits-liebe.de gesagt, die israelische Staatsidee „jüdisch unddemokratisch“ sei ein Widerspruch, das ginge gar nicht.Dazu passt eben, dass man israelische Produkte in Bre-men boykottiert, wie das ehemals die SA-Truppen getanhaben, die vor jüdischen Geschäften standen. Das allespasst zu dem Bild. Es gibt einseitige Kritik und Polemikgegen den israelischen Staat.Ich muss sagen: Jeder darf die israelische Regierungkritisieren. Ich finde, Netanjahu hat Israel und seinerStellung in der Welt mit seiner Rede gestern keinen Ge-fallen getan. Ich glaube nicht, dass mich jemand für anti-semitisch hält, weil ich das sage. Aber über die Art, wieSie argumentieren und wie der Duktus Ihrer Papiere ist– das Existenzrecht Israels wird darin vom Kreisvorsit-zenden in Duisburg als läppische Frage bezeichnet, aufanderen Webseiten wird sie als Hirngespinst bezeichnet,diese angeblich in Ihren Parteistatuten grundfest veran-kerte Position –,
können Sie nicht hinweggehen. Sie müssen sich damitstärker argumentativ auseinandersetzen.
Ich bin dagegen, dass wir das hier parteipolitisch zumStreit gegeneinander verwenden.
Aber Sie haben in Ihren Reihen eine besondere Aufgabeund sollten sich nicht dagegen wehren, wenn an diesemPunkt Kritik von außen kommt, sondern diese Kritik an-nehmen.
Sie versuchen zum Teil, die Autoren dieses politikwis-senschaftlichen Aufsatzes in die rechte Ecke zu stellen.Einer der Autoren war Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ist jetzt Stipendiat der Hans-Böckler-Stif-tung.
Man kann den Autoren nun wirklich nicht rechte Ma-chenschaften vorwerfen, sondern man muss konzedie-ren, dass sie genau hingeschaut haben.
Dazu möchte ich auch Sie auffordern: Schauen Sie ge-nauer hin, bekennen Sie sich klarer zu einer Politik ge-gen Antisemitismus, und tun Sie das nicht mit Sprach-formeln und Vorstandsbeschlüssen Ihrer Partei, sonderngehen Sie zu den Leuten, setzen Sie sich mit ihnen aus-essngdJHsPztusEaskNtedAnddregEaPta
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Franz Josef
ung für die Fraktion der CDU/CSU.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Grundaussage der aktuellen sozialwissen-chaftlichen Untersuchung lautet: Die antisemitischenositionierungen der Partei Die Linke nehmen deutlichu. – Vor dem Hintergrund der historischen Verantwor-ng, in der wir, insbesondere das deutsche Parlament,tehen, und vor dem Hintergrund dessen, dass wir dasxistenzrecht Israels als einen Teil unserer Staatsräsonnsehen, halte ich es für einen Skandal, dass wir in die-em Parlament über antisemitische Äußerungen der Lin-en debattieren müssen. Dies ist zu ächten und mitachdruck zurückzuweisen.
Ich möchte einige Beispiele, die genannt wurden, un-rstreichen, da Frau Jochimsen versucht hat, dies miter linken Hand vom Tisch zu wischen. Hier sitzen dochbgeordnete Ihrer Fraktion – Frau Höger wurde ge-annt, aber auch andere; es waren elf –, die an dem Tages Gedenkens an 70 Jahre Reichspogromnacht, die beier Beschlussfassung über den Antrag, das Existenz-cht Israels als Teil unserer Staatsräson anzusehen, da-egen gestimmt haben.
s ist doch eine Tatsache, dass sich alle Abgeordnetenußer einem Teil der Linken erhoben haben, als Shimoneres am Auschwitz-Gedenktag hier sprach. Selbst diez kommentierte damals:Solche Verweigerungsgesten sind im parlamentari-schen Raum am Auschwitz-Gedenktag bislang nurvon der NPD bekannt.
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12576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Dr. Franz Josef Jung
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Die Schiffsaktion „Free Gaza“ – Frau Höger war wie-der dabei – war eine eindeutige Aktion zur Unterstüt-zung der Hamas, die vonseiten der Europäischen Unionals terroristische Vereinigung eingestuft wird und dasZiel hat, das Existenzrechts Israels nicht nur zu leugnen,sondern die Israelis ins Meer zu treiben. Dass Sie sich aneiner solchen Aktion aktiv beteiligen – die Vorsitzendeder Linken, Frau Lötzsch, die ja der Kommunismusideo-logie frönt, hat sogar formuliert: „Wir sind sehr stolz aufihren Einsatz“, was aus meiner Sicht mit Nachdruck zu-rückzuweisen ist –, zeigt, dass Sie als Nachfolgeparteider SED in der Tradition der SED-Diktatur stehen.
Die SED-Diktatur, Herr Gehrcke, die Israel niemals an-erkannt hat und palästinensische Terroristen finanzierthat, ist eindeutig der falsche Weg. Für solche Positionendarf es im deutschen Parlament keinen Platz mehr ge-ben.
Frau Höger, der Kollege Beck hat bereits angespro-chen, dass Sie auf der Konferenz ein Tuch mit den Um-rissen des Nahen Ostens ohne Israel überreicht bekom-men haben. Es gab den Aufruf der Linken in Bremenzum Boykott israelischer Früchte. Hier werden histori-sche Erinnerungen wach; dies wurde zu Recht darge-stellt. Mein Kollege Uhl hat die, wie ich finde, unglaub-liche Darstellung mit dem Judenstern und demNazikreuz hier dokumentiert.
Spiegel online, Frau Jochimsen, schreibt, dass dies auchauf der Homepage der Duisburger Linken gestanden hat.Ich habe kein Wort von Ihnen oder von anderen gehört,dass Sie sich eindeutig von diesen Dingen distanzieren,
geschweige denn, dass Sie Verfahren gegen Abgeord-nete eingeleitet haben, die mit antisemitischen Äußerun-gen an die Öffentlichkeit getreten sind.
Die Fraktion Die Linke unterstützt offen die Hamas;das habe ich dargestellt. Es gibt eine Solidarisierung. Ichhabe bereits gesagt, dass die Europäische Union dieHamas als terroristische Vereinigung eingestuft hat. Anti-semitische Positionierungen sind außerhalb unserer Ver-fassungsordnung und unseres gemeinsamen demokrati-schen Grundkonsenses.
Die nächste Rednerin ist unsere Kollegin Edelgard
ulmahn von der Fraktion der Sozialdemokraten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herrräsident! Ja, wir müssen leider sagen: Es ist richtig,ass es in unserem Land antisemitische Einstellungen inllen Altersgruppen, in allen politischen Richtungen und allen Gesellschaftsschichten gibt. Wir müssen leideragen, dass dies nicht Geschichte, sondern Gegenwartt. Umso wichtiger ist es, dass dieses Hohe Haus, dereutsche Bundestag, in dieser Frage eindeutig Stellungimmt, dass jegliche Form von Antisemitismus und Ras-ismus in aller Konsequenz und eindeutig abzulehnenind.
Ich habe vor wenigen Tagen gemeinsam mit Kollegenus anderen Fraktionen zum wiederholten Male Israelesucht. Ich will deshalb meine Rede etwas anders ak-entuieren, als es meine Vorredner gemacht haben. Wiraben im Verlauf dieser Reise Sderot besucht, eineleinstadt in der Nähe von Gaza, in der in wenigen Ta-en mehr als 200 Raketen eingeschlagen sind. Machenir uns eigentlich klar, was das für die Menschen, dieort leben, bedeutet? Es bedeutet, immer mit Bedrohungnd Angst zu leben: Angst vor einem möglichen Krieg,or dem eigenen Tod oder dem der Kinder. Kein Israeliächst ohne diese Angst auf. Jeder weiß, dass diese Be-rohung nicht der Vergangenheit angehört. Sie ist Be-tandteil des normalen Lebens. Diese Bedrohung ist Ge-enwart. Sie ist nicht eingrenzbar, und sie wirkt sich bis das kleinste Dorf aus. Das ist die eine Seite.Aber es gibt auch die andere Seite, die wir in Ostjeru-alem erleben konnten: die Anwendung von Gewalturch israelische Siedlergruppen oder deren Sicherheits-ersonal gegenüber den Palästinensern, jung oder alt,ännlich oder weiblich, und die gewaltsame Inbesitz-ahme palästinensischer Gebiete durch israelische Siedler-ruppen. Auch hier gilt: Die Bedrohung ist Gegenwart,nd sie wirkt sich bis in das kleinste Dorf aus.Zur inneren Tragik des Nahostkonflikts gehört esdas ist wichtig für uns als deutsche Politikerinnen undolitiker –, dass die Gründung des Staates Israel nur umen Preis neuer Opfer und neuer Leiden möglich war.em Existenzrecht des Staates Israel steht das Selbstbe-timmungsrecht der Palästinenser gegenüber. Beide An-prüche sind legitim.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12577
Edelgard Bulmahn
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Sie schließen sich aber so lange gegenseitig aus, wie esden Israelis und Palästinensern nicht gelingt, sich auf ei-nen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss zu ver-ständigen.
Eine Lösung des Nahostkonflikts ist für beide Seiteneine Frage des Überlebens und der Erhaltung ihrer per-sönlichen, aber auch ihrer politischen und moralischenIntegrität. Eine oberflächliche Betrachtungsweise undKonfliktbeurteilungen nach dem Gut-Böse-Schema, wieich sie leider teilweise bei Ihnen, liebe Kollegen von derLinksfraktion, feststellen muss, machen blind für Ursa-che und Entwicklung des Konflikts, und sie machenauch blind für mögliche Lösungswege.
Wir wissen, dass Gesprächs- und Kompromissbereit-schaft sowie Verhandlungen der einzige Weg sind, deraus dieser scheinbar ausweglosen Lage herausführenkann. Deshalb hilft es weder Israel noch den Palästinen-sern, wenn Deutsche Schuldzuweisungen aussprechen.Notwendig ist, die Bereitschaft zu fördern, Verhandlun-gen zu beginnen.Es geht nicht darum, legitime Kritik an der Politik derisraelischen Regierung zu verbieten. Wir selber kritisie-ren in diesem Hause die israelische Siedlungspolitik.Das haben wir nicht nur einmal getan. Aber wir kritisie-ren auch die Raketenangriffe auf Israel,
die Attentate auf unschuldige Menschen und die Dro-hungen der Hamas gegen den Staat Israel.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren vonder Linken, frage ich mich, wie Sie es zulassen können,dass ein Mitglied Ihrer Fraktion in diesem Haus in derÖffentlichkeit das Existenzrecht Israels infrage stellt.Nichts anderes heißt es, wenn man ein solches Tuchträgt, Frau Höger. Von einer Politikerin erwarte ich, dasssie den Mut hat, in einer solchen Situation das Tuch ab-zulegen und zu sagen: „Nein, das ist mit mir nicht zumachen. Dazu bin ich nicht bereit.“
Das erwarte ich von einer Politikerin, egal zu welcherFraktion sie gehört.Ich verstehe auch nicht, wie eine Fraktion es zulassenkann, dass die derzeitige Siedlungspolitik der israeli-schen Regierung – die wir alle kritisieren – als kriegs-treiberische Aktion des Staates Israel bezeichnet undgleichzeitig die Hisbollah sozusagen als Teil der Frie-dGGissRsdKszDreuddusctezEfüKKreddmDsDüü
enauso wenig verstehe ich, wie man zu einem Boykottraelischer Produkte aufrufen kann. Das verbietet sichchon eingedenk unserer Vergangenheit. Das ist purerassismus, nichts anderes.
Antisemitismus und die Verharmlosung der national-ozialistischen Verbrechen dürfen wir nicht zulassen;azu muss es einen Konsens in Ihrer Fraktion geben.eine Fraktion, ob links oder rechts, darf so etwas zulas-en. Jede Fraktion muss sich dagegen positionieren, undwar eindeutig, laut und konsequent, nicht nur punktuell.
ie besondere Verantwortung, in der wir aufgrund unse-s historischen Erbes stehen, ist keine Frage des Altersnd auch keine Frage der politischen Überzeugung, son-ern ist ein geschichtlicher Fakt, der für uns alle gilt under uns besonders sensibel gegenüber Antisemitismus innserem Land machen sollte.Lassen Sie mich schließen. Deutschland hat eine be-ondere Verantwortung, das Existenzrecht Israels zu si-hern, ich sage ausdrücklich: zu verteidigen. Das bedeu-t nicht, jede Entscheidung der israelischen Regierungu unterstützen. Aber das heißt, jedes Infragestellen desxistenzrechts Israels abzuwehren. Das gilt hoffentlichr uns alle.Vielen Dank.
Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser
ollege Patrick Kurth. – Bitte schön, Kollege Patrick
urth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Alle Wochen wieder reden wir über eine Fraktion iniesem Hause,
ie mit Sitten und Gebräuchen auf sich aufmerksamacht, die diesem Haus eigentlich fremd sein sollten.as letzte Mal, als ich in diesem Zusammenhang hiertand, haben wir über den Kommunismus gesprochen.avor haben wir über Gewalttätigkeiten in Berlin, davorber Stasi-Aufdeckungen in Brandenburg und davorber Gaza-Fahrten einzelner Mitglieder der Linksfrak-
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Patrick Kurth
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tion gesprochen. Heute geht es um antisemitisches Ge-dankengut in der Linkspartei. Ich sage es ganz deutlich:Es ist beängstigend, wie Sie versuchen, auf den extre-men Seiten der Gesellschaft zu fischen und dort Wählerzu fangen.
Sie haben damals jemanden zum Parteivorsitzenden ge-wählt, der zuvor noch von Fremdarbeitern gesprochenhatte. Sie wissen ganz genau, woher diese Begrifflich-keit stammt und wie sie verwendet wird.Die Studie, über die wir reden, kommt zu dem Ergeb-nis, dass die Antisemitismusfrage bei Ihnen innerpartei-lich immer dominanter wird und dass Ihre Begrifflich-keiten zunehmend israelkritisch sind.
Hier geht es nicht ausschließlich um eine innenpolitischeFrage, sondern in erster Linie um die Wirkung nach au-ßen.
Es geht um das Ansehen unseres Landes. Das Existenz-recht Israels ist unantastbar; das ist Staatsräson. Dasmuss man immer wieder sagen, erstaunlicherweise vorallen Dingen Ihrer Fraktion.
Als wir vorhin das Plakat gesehen haben, hat es unsdie Sprache verschlagen. Es ist gut, dass Sie gesagt ha-ben, dass ein Hakenkreuz, das mit dem Davidstern ver-bunden wird, bei Ihnen nicht auf Zustimmung trifft; dasist erfreulich. Sie hätten das aber sehr viel früher undstärker deutlich machen müssen.
Der Zynismus, der bei diesem Plakat zum Ausdruckkommt, ist nicht zu rechtfertigen. Der Kreisverband derLinken, der dafür verantwortlich zeichnet, ist nach denersten Reaktionen nicht zurückgerudert, sondern hat ge-sagt, dass damit die Palästinenserpolitik Israels mit derPolitik der Nazis in den 30er-Jahren verglichen wird,und Sie haben das toleriert. Das geht einfach nicht.
Ich wundere mich, dass eine Partei, die sich so starkdem sogenannten Antifaschismus verschreibt und fa-schistische Strukturen bis weit in die Mitte der Gesell-schaft zu entdecken meint und die Gesellschaft zum Teilals faschistoid diffamiert, eine so interessante Ge-schichtsaufarbeitung hat. Das kommt irgendwo her. Daskommt aus der West-Linken, die schon immer ein äu-ßerst kritisches Verhältnis zu Israel an sich gehabt hat.Es kommt natürlich auch aus dem Osten, wo es Staatsrä-sisvsmfadggeSstemDAggwIcjesLAaWBenhegstih
Für diese Aktion haben Sie übrigens Beifall bekom-en, und zwar von der NPD.
er Kollege Gehrcke hat etwas über den israelischenußenminister Lieberman geschrieben, das ich hier ei-entlich zitieren wollte. Das mache ich aber nicht. Esing darin um Korruption, um Mafia und Ähnliches. Sieissen das besser als ich.
h werde das hier nicht wiedergeben. Dafür haben Siedenfalls Beifall von der NPD bekommen. Die NPD hatogar ein Diskussionsangebot an antiimperialistischeinke unterbreitet.
ußerdem spricht sie – auch das ist interessant – vomntizionistischen Hardliner Wolfgang Gehrke.
olfgang Gehrke war neben Jan van Aken, Christineuchholz und Sevim Dağdelen – das sind alles MdB –iner von denen, die gegen die Entscheidung ihrer eige-en Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, protestiertaben, dem Israelkritiker Finkelstein keinen Raum fürinen Vortrag in Berlin zu geben. Das waren alles Mit-lieder Ihrer Fraktion. Das ist die Wahrheit.
Christian Lange hat vorhin ungefähr gesagt: Anti-emitismus hat in diesem Hause keinen Platz. Alle Frak-onen haben geklatscht. Alle bis auf eine: die Ihre. Sieaben nur zugeguckt und zugehört.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12579
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LINKE]: Nach dieser Rede konnte man auchnicht klatschen!)– Es war eines der ersten Worte, die er gebracht hat. Dahätten Sie sich erbarmen und mitklatschen können.
Frau Jochimsen hält dann eine Rede, die komplett zumGegenangriff anstößt. Sie beschäftigte sich erst gar nichtmit dem, was Sie machen.
Dann haben Sie hier Namen genannt und gesagt, dassman sich das gefallen lassen müsse. Ja, das dürfen Sie.Schauen Sie sich einmal an, wie andere Fraktionen mitLeuten, die Fehler gemacht haben, umgegangen sind! Dawurde bereinigt. Da standen plötzlich an der Seite Ein-zelstühle. Da wurden die Leute aus der Fraktion heraus-geworfen. Das vermisse ich sehr. Ich sehe keinen einzi-gen Einzelstuhl bei Ihnen dort hinten. Gehen Sieordentlicher mit Ihrer Geschichte um!
Arbeiten Sie die deutsche Geschichte auf! Arbeiten SieIhre Parteigeschichte auf! Fassen Sie sich selber an dieNase! Dann können wir vielleicht einmal wieder anstän-dig über die Dinge in unserem Land reden, aber nicht indiesem Ton zum Thema Antisemitismus.Ich bedanke mich sehr herzlich.
Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokra-
ten ist unser Kollege Sebastian Edathy. – Bitte schön.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Eine kurze Vorbemerkung zu etwas, das mir heute auf-gefallen ist und worüber im Ältestenrat einmal gespro-chen werden könnte: Wenn die Aktivitäten einer Frak-tion in diesem Haus zur Debatte gestellt werden, die beieiner Aktuellen Stunde von zwölf Rednern nur einenRedner bzw. eine Rednerin benennen darf, wäre es dannnicht sinnvoll, ein anderes Verfahren zu finden?
Ich fände das sowohl den Linken als auch den Grünen,auf die das zutrifft, gegenüber fair. Das wäre jedenfallsfairer als die bisherige Vorgehensweise.Das mindert aber nicht meine inhaltliche Kritik an derLinkspartei. Wir alle in diesem Hause sollten sehr starkaufpassen, nicht zu selbstgerecht zu sein. Es ist natürlichrichtig, dass man Probleme beim Namen nennt. Es mussselbstverständlich sein, dass es beim Thema Antisemitis-mbgumDDdswaIcredBInsAligD–WAdsSFdgc
Ich habe mit Interesse gelesen, dass der Parteivor-tand der Linken am Wochenende ohne Gegenstimmen,ie betont wurde, unter anderem erklärt hat:Beschlusslage der Linken ist, „dass Deutschland …eine besondere Verantwortung gegenüber Israel undgegen jede Art von Antisemitismus … hat …“Nun kann man die Realität leider durch Beschlüsselleine weder bestimmen noch ändern.
h habe mit Interesse gelesen, dass dem geschäftsfüh-nden Vorstand der Linkspartei unter anderem die Bun-estagskollegin Christine Buchholz angehört. Frauuchholz hat im Jahr 2006 der Zeitung Junge Welt einterview gegeben, in dem sie unter anderem Folgendesagte:Israel führt Krieg auch im Interesse der USA …Auf der anderen Seite stehen in diesem Konflikt dieHisbollah, die Friedensbewegung in Israel und dieinternationale Antikriegsbewegung. Das ist dieSeite, auf der auch ich stehe.uf der Seite der Hisbollah. Ich halte es für eine unmög-che Aussage, sich auf die Seite einer terroristischen Or-anisation zu stellen.
ann sagt Frau Buchholz weiter:Raketenangriffe auf die Zivilbevölkerung gemeint ist die in Israel –lehne ich ab und halte sie für kein taugliches Mittel,um die Besatzung zu beenden.ie ist denn das zu interpretieren? Wären sie ein – innführungszeichen – taugliches Mittel, dann wäreniese Raketenangriffe anders zu bewerten? Was soll eineolch abstruse, unglaubliche Aussage? Dann kommt deratz:Die Dämonisierung der Hisbollah ist Teil der ideo-logischen Kriegsführung. Die Linke sollte dabeinicht mitmachen.rau Buchholz ist geschäftsführendes Mitglied im Bun-esvorstand der Linken. Das steht in diametralem Ge-ensatz zu dem, was Sie der Öffentlichkeit seit dem Wo-henende zu verkaufen versuchen.
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12580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011
Sebastian Edathy
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Frau Buchholz gibt auf ihrer Homepage imAugust 2010 – da war sie bereits im Bundestag – einenoffenen Brief des früheren Kollegen Norman Paech, derimmerhin bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Links-fraktion war, an den israelischen Botschafter wieder.
Herr Paech schreibt:Ist Ihre Regierung angesichts der eigenen furchtba-ren Geschichte so vollkommen unempfindlich ge-worden gegenüber dem menschlichen Leid, wel-ches durch den willkürlichen Raub der Heimat deneigenen Nachbarn angetan wird?Was will Herr Paech damit sagen? Kann man die Juden-verfolgung im Dritten Reich mit dem Umgang Israelsmit den Palästinensern vergleichen?
Auch das ist ein völliger Fehlgriff eines früheren Kolle-gen, auf den sich Frau Buchholz bezieht.Auf der Homepage von Herrn Gehrcke, dem aktuel-len außenpolitischen Sprecher, findet sich unter anderemein Bericht über eine Israel-Reise. Der Bericht hat21 Seiten. Darin gibt er ein Gespräch mit einer palästi-nensischen NGO wieder. Zitat Gehrcke:Die Gesprächspartner wünschten sich … eine Poli-tik des Boykotts und der Sanktionen gegen Israel.Das steht dort ohne jeden Kommentar von HerrnGehrcke, eine schlichte Wiedergabe. Ich sage Ihnen:Wer als deutscher Parlamentarier einen Bericht über eineParlamentarierreise schreibt, sich auf abstruse, ungeheu-erliche Forderungen bezieht und es nicht für nötig hält,diese Forderungen in seinem Bericht zu kommentieren,ist entweder indifferent oder macht sich die Position sei-ner antiisraelischen Gesprächspartner zu eigen.
Das ist das Problem der Linkspartei.
Noch ein Wort zum Schluss. Es gibt noch viele andereBeispiele, aber ich will nur auf Frau Höger hinweisen.Frau Höger war 2005 und 2006 stellvertretende Frak-tionsvorsitzende der Linken. Seit 2005 ist sie Mitgliedim Bundestag. Frau Höger hat in einem Beitrag auf ihrerHomepage geschrieben, im Gazastreifen seien die Syna-gogen als Symbole der Besatzung in Brand gestecktworden. Frau Höger schreibt auf ihrer Homepage unteranderem den folgenden Satz:Die Komplizenschaft aller Bundesregierungen mitIsrael seit Adenauer muss aufgedeckt werden.sdDmbeAIsfeLdNliuegRDss
Frau Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin,agte am 24. Februar dieses Jahres nicht irgendwo, son-ern hier im Bundestag wörtlich:Die israelische Friedensbewegung „Gush Shalom“veröffentlichte in der Tageszeitung Haaretz am18. Februar 2011 folgendes Inserat: Das ägyptischeVolk kämpft tapfer für die Menschenrechte. Die is-raelische Knesset kämpft tapfer darum, die Men-schenrechte abzuschaffen.iese Position hat sich Frau Groth hier im Bundestagit diesem Zitat zu eigen gemacht.Ich will Ihnen abschließend sagen: Ich habe noch einisschen Hoffnung, dass sich etwas ändern kann. Es gibtinen Arbeitskreis in Ihrer Parteijugend, der sich gegenntisemitismus und für eine gute Zusammenarbeit mitrael einsetzt. Dieser Arbeitskreis hat am 19. Mai veröf-ntlicht:Bereits vor zwei Wochen haben wir in einem Briefan die Partei- und Fraktionsführung auf die in denletzten Monaten extrem angestiegenen antisemiti-schen Vorfälle hingewiesen. Bis heute haben wirkeinerlei offizielle Rückmeldung erhalten.Dies ist symptomatisch für den Umgang mit derProblematik des Antisemitismus von links: Zwarwerden solche Vorfälle immer wieder durch Teileder Parteiführung klar kritisiert, eine genaue Ana-lyse der Problematik und konkrete Auseinanderset-zung findet allerdings bis heute nicht statt.assen Sie diese Analyse stattfinden!
Antisemitismus – das wissen wir alle – ist Realität iniesem Land, aber wir dürfen diese Realität niemals alsormalität betrachten, und schon gar nicht dürfen dasnke Parteien, wenn sie denn wirklich links sein wollen.
Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist
nser Kollege Michael Kretschmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hätterwarten können oder müssen, dass nach all dem, wasesagt und auch in der Zeitung berichtet worden ist, dieednerin der Linken heute hier zumindest eine deutlicheistanzierung von den Vorwürfen, die erhoben wordenind, und eine Klarstellung vornimmt. Das ist nicht pas-iert, und das müssen wir hier erst einmal feststellen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Mai 2011 12581
Michael Kretschmer
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Glücklicherweise haben sich die Zeiten sehr geändert.Ich als ehemaliges DDR-Kind erinnere mich schon nochsehr genau an die Israel-Feindlichkeit der SED und derDDR insgesamt.
Heute kommen die Dinge anders ans Licht und werdenauch von den Medien aufgegriffen. Es gibt eine freieWissenschaft, die die Dinge regelmäßig beleuchtet.Wenn in einer Partei, die im Deutschen Bundestagvertreten ist, Mitglieder Israel und Iran gleichsetzen, Ra-ketenangriffe auf Israel rechtfertigen, zum Boykott israe-lischer Produkte aufrufen oder Hakenkreuze mit demDavidsstern auf der eigenen Homepage dulden
oder, wie wir gehört haben, die Hisbollah oder die Ha-mas unterstützen, dann ist das keine Kleinigkeit, dann istdas ein riesiger Skandal.
Hinter dieser scheinbar rein antiisraelischen oder anti-zionistischen Politik und Propaganda lugt eben doch diehässliche Fratze des Antisemitismus hervor. Deswegenist es richtig, dass wir hier heute darüber reden. Anti-semitismus ist verfassungsfeindlich. Im ersten Artikelunseres Grundgesetzes steht ganz klar:Die Würde des Menschen ist unantastbar.Deswegen muss sich jeder Demokrat von ihm ganz klardistanzieren.Es ist auch so, dass die Ränder beim Extremismussich berühren und dass die Dinge bei Rechtsextremistenund Linksextremisten sich auf ganz eigenartige Weiseähneln. So ist es auch in der Sprache und der Propa-ganda.
Vieles von dem, was hier gesagt worden ist, hätte manauch von dem anderen Rand hören können.
Das ist auch ein klarer Grund dafür, dass wir niemalsgemeinsam mit der Linkspartei gegen Rechtsextremis-mus demonstrieren können.
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass eshier nicht darum geht, gegen Rechtsextremismus vorzu-gehen, weil man eine tiefe demokratische Überzeugunghat, weil die Demokratie ein universeller Wert ist, son-dern einzig und allein darum geht, sich selber parteipoli-tidmsGFvliwPhMteLli–dtaskLHDBtesddnWgamtenWaag
Das ist auch der Unterschied zu den anderen im Deut-chen Bundestag vertretenen Parteien. Was wäre bei denrünen, bei der SPD, bei der CDU/CSU oder bei derDP los, wenn es solche Vorkommnisse in dieser Massi-ität gegeben hätte? Was wäre in der deutschen Öffent-chkeit los, wenn dort solche Vorwürfe erhoben wordenären? Es wäre nicht auszuhalten! Und hier sitzt eineartei, ruhig, konzentriert, lässt das alles über sich erge-en und ignoriert diese ganzen Dinge.
eine Damen und Herren, hier gibt es einen großen Un-rschied zwischen den demokratischen Parteien und derinkspartei, und das muss man auch immer wieder deut-ch machen.
Meinungsfreiheit ist etwas ganz Wichtiges, wie auchie Pressefreiheit und die Tatsache, dass solche Dingetsächlich in die Zeitung kommen, dass wir darüberprechen und dass sie nicht einfach weggewischt werdenönnen. Das ist ein unglaublicher Wert.Meine Damen und Herren, es ist ganz klar: Wenn dieinkspartei glaubwürdig sein will, dann muss sie Ingeöger aus der Fraktion ausschließen.
as würde bei jeder anderen Fraktion im Deutschenundestag geschehen. Daran kann man auch alles Wei-re ablesen. Natürlich ist die Frage richtig: Wie verhältich ein Parteivorsitzender? Wie verhält sich insbeson-ere die Parteiführung? Wie geht man mit solchen Skan-alen um?Ich habe auch die Bitte, dass der Rest des Parlamentsicht auf dem linken Auge blind ist.
ir – außer der Linkspartei – haben heute eine Debatteeführt, die von großer Einigkeit geprägt ist. Das giltuch für andere Politikfelder. Die Linkspartei, meine Da-en und Herren, wird vom Verfassungsschutz beobach-t, sie muss sich regelmäßig Vorwürfe gefallen lassen,icht nur von den anderen Parteien, sondern auch vonissenschaftlern und Journalisten, was Antisemitismusngeht. Mit solch einer Partei darf man nicht zusammen-rbeiten. Mit solch einer Partei darf man auch keine Re-ierung bilden.
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Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist
unser Kollege Philipp Mißfelder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal möchte ich fragen, wo ei-gentlich Herr Gysi in der heutigen Debatte ist und woauch Frau Pau ist;
denn ich habe aus der Zusammenarbeit hier in diesemHaus bei vielen Initiativen, Aktionen und Diskussionen,gerade auch dann, wenn es darum ging, Solidarität mitIsrael zum Ausdruck zu bringen, die beiden häufig alssehr positiv wahrgenommen. In der Jüdischen Allgemei-nen liest man regelmäßig Anzeigen, auch von Frau Pau.Dass sie heute nicht da ist, hat, glaube ich, einen Grund:
weil es ihr einfach peinlich ist, mit Ihnen in einen Topfgeworfen zu werden.
– Gut, danke für diese Zusatzinformation.
Ich finde es allerdings lobenswert, dass Frau Kipping– ich habe mir angeschaut, wie die Reaktionen Ihrerseitsauf die einzelnen Beiträge waren – als eine der wenigenzwischendurch geklatscht hat, als es darum ging, sichvon Meinungsäußerungen Ihrerseits zu distanzieren. Daswar sehr mutig, Frau Kipping. Dieses Lob haben Sieheute ausnahmsweise von mir bekommen, während ichIhnen in anderen Politikfeldern widerspreche. Aber esgehört wirklich Mut dazu, sich einem solchen Sumpf, indem Sie gerade sitzen, entgegenzustemmen und hierauch sichtbar Zeichen dagegen zu setzen.
Selbstverständlich, Frau Jochimsen, ist es ein „Zu-fall“, dass das Flugblatt auf Ihrer Homepage war.
Das ist – ja, natürlich – eine „Straftat“ – und das hatwohl überhaupt nichts damit zu tun, dass irgendjemandaus Ihren Reihen so etwas denken könnte.Es sind viele Kleinstpuzzleteile zu einem gut sichtba-ren Gesamtbild zusammengesetzt worden. Da könnenSie, Herr Gehrcke, sonstwas in Ihrem Buch – Sie habenes mir selbst geschickt – schreiben. Aber dem stehenauch andere Aussagen gegenüber, die Sie tätigen, unddem stehen gravierende Verfehlungen gegenüber.gnnvmsnDLnzgdicwFnvDissw–dlumasHhinHIcaGBsfeIhDbsodsowlig
a erwarte ich schon, dass der Fraktionsvorsitzender derinkspartei, Gregor Gysi, seine Fraktionsmitgliedericht per se in Schutz nimmt, sondern sich klar distan-iert. Das hat er nicht gemacht. Er hat gesagt: „Das ist ir-endwie alles in Ordnung“, und hat sich schützend vorie einzelnen Fraktionsmitglieder gestellt. Da erwarteh von Ihrem Spitzenpersonal noch deutliche Absetzbe-egungen, indem gesagt wird: So etwas wie die Gaza-lottille ist nicht in Ordnung. Denn es hat sich dabeiicht um irgendetwas gehandelt, sondern um einen gra-ierenden Vorgang der asymmetrischen Kriegsführung.as war eine Vorstufe zu einem terroristischen Akt. Dast keine friedliche Demonstration gewesen. Jeder, derich im Rahmen dieser Flottillen-Aktion bewegt hat,eiß – –
Nein, das war kein Aufbrechen einer Blockade, son-ern das war die Vorbereitung zu terroristischen Hand-ngen. – Um eines ganz klar zu sagen: Jeder, der dortitgefahren ist, hat vorher gehört, was Bülent Yildirim,ls die Flottille losgefahren ist, gesagt hat: „Israel verhältich, wie Hitler sich gegenüber den Juden verhalten hat.itler baute Konzentrationslager in Deutschland, undeute baut das zionistische Gebilde Konzentrationslager Palästina.“ So Herr Yildirim. Da sage ich Ihnen, Frauöger, ganz klar: Spätestens da hätten Sie sagen müssen:h steige aus dieser Aktion aus.
Das Engagement für die Palästinenser in allen Ehren,ber es gibt klare Differenzierungen, und es gibt auchrenzen, die man nicht überschreiten darf.Ich will gar nicht weiter darauf eingehen, was Frauuchholz gesagt hat. Wir haben hier schon oft die Ver-chwörungstheorien von Frau Buchholz gehört. Das of-nbart nur das dahinterstehende Gedankengebilde. Beinen, Frau Höger, sind leider die Grenzen überschritten.as ist im Übrigen ein gesamtgesellschaftliches Pro-lem, das auch tief in bürgerliche Schichten geht. Daollten wir uns gar nichts vormachen. Es ist doch egal,b es der Arbeiter am Fließband oder der Studienrat ist,er verquere antisemitische Ansichten hegt. Es ist in die-em Fall vollkommen egal, welcher Herkunft jemand istder unter welche soziologische Kategorien er fällt oderelcher Partei er angehört. Das gibt es selbstverständ-ch auch in der CDU und in allen anderen Parteien. Da-egen müssen wir deshalb entschlossen vorgehen. So et-
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Philipp Mißfelder
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was aber als Bundestagsabgeordneter zu proklamieren,stellt einen Tabubruch dar, der sich nicht gehört.Bei Ihnen sind die Grenzen zwischen Antiamerikanis-mus, Antizionismus und Antisemitismus einfach flie-ßend, und Sie bedienen entsprechende Strömungen suk-zessive.
Dagegen müssen Sie sich einfach stärker stellen: Ob nunim Stadtrat von Herford, wo eine Ihrer Kolleginnen nichtbereit war, Mittel für den Wiederaufbau der Synagoge zubewilligen – natürlich kann man sagen, das ist ja nureine Kollegin, aber trotzdem ist das ein gravierenderVorgang; da müssen Sie aufstehen und dagegen kämpfen –,oder bei noch gravierenderen Vorgängen wie in Duis-burg. Wissen Sie, was in Duisburg – das entspricht übri-gens dem gesellschaftlichen Klima an manchen Orten inunserem Staat – los war? Die Polizei in Duisburg ist zujemandem, der bei einer Anti-Israel-Demo eine Israel-Flagge aus dem Fenster gehängt hat, hingegangen undhat gesagt: Bitte nehmen Sie sie aus Sicherheitsgründenwieder herein; wir können sonst nicht für Ihre Sicherheitgarantieren. – Die Linkspartei steht daneben und nenntdas Existenzrecht Israels – wie hat es Ihr Kollege inDuisburg, Herr Dierkes, gesagt? – „läppisch“.Ich muss ganz ehrlich sagen, meine Damen und Her-ren von der Linken: Antisemitismus ist ein Flächenphä-nomen bei Ihnen. Hier haben Sie noch ganz viel Aufklä-rungsarbeit zu leisten. Wir unterstützen Sie, geradediejenigen, die es ernst meinen mit dem ExistenzrechtIsraels, gerne dabei.Herzlichen Dank.
Nächster und letzter Redner in dieser Debatte ist für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Arnold Vaatz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir hätten diese Aktuelle Stunde sicherlichnicht angemeldet, wenn es sich bei dem Phänomen desAntisemitismus um eine im Rahmen der demokratischenMeinungsvielfalt akzeptable oder tolerable Haltung han-delte. In Wirklichkeit handelt es sich hier um ein geisti-ges Verbrechen. Das ist das Erste.Das Zweite: Wir hätten vielleicht selbst dann nichtdiese aktuelle Debatte angemeldet, wenn es sich bei demAntisemitismus um eine zwar verbrecherische, aberdoch gesellschaftlich ungefährliche Haltung handelte.
Das Problem ist allerdings: Diese Haltung kann enormenSchaden anrichten; denn einerseits – darauf haben meh-rebukgusfäveggtiddSVuVwPSgaKDkdknsresreggbmuK1
Drittens. Selbst unter all diesen Umständen hätten wirielleicht diese Aktuelle Stunde nicht gebraucht, wenns sich bei dem Antisemitismus der Linken um ir-endeine verstreute Einzelmeinung handelte. Aber leidereht aus der Studie hervor, dass die Kraft des Antisemi-smus in der Partei der Linken zugenommen hat undass er die Partei stärker und stärker dominiert. Das istas eigentlich alarmierende Ergebnis dieser Studie, einertudie übrigens, die nicht wir in Auftrag gegeben haben.
Kein anderes Land als Deutschland hat eine größereerpflichtung, einer solchen Haltung entgegenzutretennd eine neuerliche Gefährdung des Existenzrechts jenesolkes, das einmal von deutschem Boden aus vernichteterden sollte, zu verhindern. Demzufolge ist es unserelicht, hierzu eine politische Debatte zu beginnen.Herr Edathy, es ist selbstverständlich richtig, wennie sagen, dass es ein Gebot der Selbstachtung ist, sichegen Antisemitismus zu wehren. Aber es ist für unsuch eine zwingende politische Verpflichtung; denn dieonsequenzen einer Unterlassung wären katastrophal.eshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Lin-en, sich nicht mit denjenigen auseinanderzusetzen, dieiesen Vorwurf erheben, sondern aktiv darauf hinzuwir-en, dass dieser Vorwurf Ihnen gegenüber in Zukunfticht mehr erhoben werden muss. Das bedeutet, dass Sieich eindeutig von denjenigen Ihrer Kollegen distanzie-n, denen von meinen Vorrednern Aussagen nachgewie-en worden sind, die den Vorwurf des Antisemitismuschtfertigen. Stellen Sie sich also nicht gegen diejeni-en, die das zur Sprache bringen, sondern gegen diejeni-en, die das verursacht haben.
Dazu gehört auch, dass Sie sich wesentlich stärker alsisher – das würde Ihr Engagement glaubwürdig machen –it Ihren eigenen antisemitischen Traditionen befassennd diese aufarbeiten. Diese Traditionen beginnen beiarl Marx. Nun kann ich jemanden aus dem9. Jahrhundert nicht für die Folgen, die seine Hetze-
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Arnold Vaatz
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reien im 20. Jahrhundert haben, verantwortlich machen.Das ist klar.
– Selbstverständlich auch Martin Luther. – Es gibt andere,die regelmäßig darüber nachgedacht haben. Aber ich ver-misse bei Ihnen bis heute eine aktive Auseinandersetzungmit diesem Thema. Es geht noch weiter. Josef Stalin hatnach dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Bevölkerung,so er ihrer habhaft werden konnte, in die Gegend vonWladiwostok deportiert. Auch das ist nahezu unaufgear-beitet. Ein weiteres Beispiel. Der Slansky-Prozess hatAnfang der 50er-Jahre in Prag mit eindeutig antisemiti-schem Hintergrund stattgefunden. Slansky und elf wei-tere Mitangeklagte wurden hingerichtet.
Ich weise auf diese Dinge nur deswegen hin, weil sichIhre Partei mit dieser Problematik niemals ernsthaft aus-einandergesetzt hat. Sie verlieren demzufolge jedeGlaubwürdigkeit, wenn Sie diese Tradition heute vertei-digen.sen sei als der Aufruf zur Auslöschung des Staates Is-rael. Das ist die Schlussfolgerung Ihres Arbeitskreises.Wenn Sie Ihre Haltung, die Sie heute hier vertretenhaben, ernst nehmen, dann müssen Sie sich mit IhrenTraditionen auseinandersetzen. Dann müssen Sie dieAbgeordneten, die diese Veranstaltung durchgeführt ha-ben, aus Ihren Reihen ausschließen. Dann können wirweiterreden.
Ich finde, das wäre nur folgerichtig.
Herr Kollege Vaatz.
Letzter Satz. Alle anderen Parteien sind mit denjeni-
gen in ihren Reihen, die solche Positionen vertreten ha-
ben, genauso umgegangen. So erwarten wir das auch
von Ihnen.
Herzlichen Dank.
Ich möchte Ihnen als Nächstes empfehlen, dass Sie
sich der Bewertung eines Arbeitskreises Ihrer Partei mit
Blick auf eine Veranstaltung anschließen, die Frau Groth
und Frau Höger mit einer Knesset-Abgeordneten na-
mens Hanin Zoabi am 5. April 2011 bei der linksextre-
mistischen Zeitung Junge Welt durchgeführt haben. Dort
wurde definitiv gesagt, dass das Ziel dieser Abgeordne-
ten nicht die Gleichberechtigung in Israel, sondern der
Kampf gegen Israel ist. Ihre parteiinterne Arbeitsgruppe
kommt zu dem Ergebnis, dass das nichts anderes gewe-
d
n
d
8
re
(D
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende
er Aktuellen Stunde; hiermit ist sie beendet.
Wir sind auch am Schluss unserer heutigen Tagesord-
ung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 26. Mai 2011,
.30 Uhr, ein. Ich bitte Sie um Beachtung: Beginn ist be-
its um 8.30 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.