Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Gu-ten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor wir mit unserer heutigen Tagesordnung begin-nen, möchte ich Sie noch kurz über eine Änderung desZeitplans für dieses Jahr informieren. Nach einer inter-fraktionellen Vereinbarung sollen zwei vereinbarte Sit-zungswochen im September getauscht werden. Die inder 37. Kalenderwoche geplanten Sitzungen sollen in die38. Woche verschoben werden. Das würde bedeuten,dass die Woche vom 12. September beginnend sitzungs-frei wird und die Woche vom 19. September an eine Ta-gungswoche. Ich nehme an, dass dazu Einvernehmenhergestellt werden kann. – Dann bitte ich, das für mögli-che Dispositionen zu berücksichtigen. Aber wir teilen esnatürlich noch einmal mit.Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 21 auf:Abgabe einer Regierungserklärung durch denBundesminister für wirtschaftliche Zusammenar-beit und Entwicklungzum zivilen Wiederaufbau in AfghanistanHierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor.adbdwntrssbAndliAgRedetNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-rung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung er-hält nun der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer heute an den Hindukusch kommtDie Kinder lassen wieder Drachen steigen. Ichist ein gutes Zeichen, dass diese Lebensfreudenistan wieder Fuß fasst.
ie Diplomaten und Polizisten, die Soldaten und Ent-icklungsexperten. Sie arbeiten im Team. Ihr Einsatzötigt uns Respekt ab, und ihre Opfer machen uns be-offen.
Am Heiligen Abend wurde zum ersten Mal ein deut-cher Mitarbeiter unserer staatlichen Entwicklungszu-ammenarbeit in Afghanistan ermordet. Ich war gesternei der Trauerfeier. Unsere Gedanken sind bei seinenngehörigen, aber auch bei seinem verwundeten afgha-ischen Kollegen. Ich wünsche ihm baldige, vollstän-ige Genesung.Opfer und Rückschläge bewirken, dass in der Öffent-chkeit Zweifel am Erfolg unseres Engagements infghanistan laut wurden. Unüberhörbar sind die Fragenanz besonders der Angehörigen: Wie lange sollen wirextnoch Opfer bringen? Wird die Lage durch unseren Ein-satz überhaupt besser? – Wir gewinnen nichts, wenn wirdie Lage schöner reden, als sie ist. Das ist der Fehler, derfrüher oft gemacht worden ist. Aber wir gefährden alles,wenn wir die Lage schlechter reden, als sie ist. Das istder Fehler, den wir in Zukunft nicht machen werden.
Die Sicherheitslage, liebe Kolleginnen und Kollegen,macht uns Sorge. Die Aufständischen töten wahllos. Siezielen auf Zivilisten und Menschenrechte, auf Völker-recht und Wiederaufbau. So konnte die medienwirksameBehauptung, nichts sei gut in Afghanistan, viel Wider-chwarz-Weiß-Malerei spielt den Extre-ände. „Nirwanasätze“ sind immer falsch unverantwortlich. Richtig ist: Vieles istn in Afghanistan. Richtig ist: Deutsch-, der sieht: glaube, es in Afgha-hall erhalten. Smisten in die Hund gelegentlichbesser geworde
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Bundesminister Dirk Niebel
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lands Rolle in Afghanistan verstehen wir nur, wenn wirden Vorrang des zivilen Wiederaufbaus vor dem militäri-schen Einsatz sehen. Vieles ist besser geworden, auchdank des Engagements vieler Afghaninnen und Afgha-nen. Wer zu ihrem Land nicht mehr zu sagen hat als Ex-tremismus, Terrorismus oder „Nichts ist gut“, der ver-steht nicht, warum es so gut ist, dass heute wiederDrachen fliegen.Mich hat bei meinen Besuchen der Aufbauwille derAfghanen beeindruckt. Der Fortschrittsbericht der Bun-desregierung vom Dezember zeigt hier ein sehr differen-ziertes Bild der Situation. Wenn wir die Situation amAnfang des deutschen Engagements in Afghanistan mitder Lage in den letzten ein bis zwei Jahren vergleichen,stellen wir fest: Der Faktencheck für Afghanistan straftdiejenigen Lügen, die mit schwarzmalerischer Rhetorikversuchen, den kompletten Einsatz Deutschlands zu dis-kreditieren. Jede vierte Frau erhält bei der Geburt medizi-nische Hilfe. Der Getreideertrag hat sich seit 2000 mehrals verdoppelt. 7 Millionen Schülerinnen und Schüler ge-hen zur Schule. Vor zehn Jahren war es 1 Million. DieKindersterblichkeit ist von 250 pro 1 000 Lebendgebur-ten auf 161 zurückgegangen. Die Zahl der Kinderheira-ten ist um weit über 60 Prozent gesunken. Während2001 kein einziges Mädchen zur Schule gehen konnte,liegt der Anteil der Mädchen in den Grundschulen heutebei knapp 40 Prozent. Frauen stellen im afghanischenParlament 28 Prozent der Abgeordneten.Mit Gesundheit, Menschenrechten und Bildungmacht auch die Wirtschaft Fortschritte. Die Weltbankprognostiziert für das laufende Jahr ein Wirtschafts-wachstum von 8,5 bis 9 Prozent. Die Staatseinnahmenhaben sich seit 2002 verzehnfacht. So kann mittlerweiledie afghanische Regierung mehr und mehr die Gehälterfür Lehrer und Polizisten übernehmen. Das Bruttosozial-produkt hat sich fast vervierfacht. Immer mehr Men-schen können ohne Hilfslieferungen leben. Diese Zahlenzeigen, dass es verantwortungslos ist, ohne Kenntnis derSituation vor Ort Erfolge schlechtzureden.
Richtig ist, dass wir Familien, Frauen und Mädchen neueLebenschancen geben konnten. Auch ich kann mir aller-dings vieles besser vorstellen. Aber gerade weil vielesbesser werden kann, ist Deutschlands Rolle jetzt nichtschlechtreden, sondern besser machen und Fortschrittesichern; denn noch sind die Fortschritte nicht unumkehr-bar.Leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden zuBeginn der Intervention 2001 von vielen Seiten überzo-gene Erwartungen an diesen Einsatz geweckt. Diese Er-wartungen waren nicht realistisch. Grundlegende wirt-schaftliche, soziale und gesellschaftliche Veränderungenfinden auch hier eher in Dekaden als in Monaten oderJahren statt. Ich möchte das mit einem Beispiel belegen,das mir sehr eindringlich in Erinnerung geblieben ist.Als ich im letzten Jahr ein Teacher Training Center inMasar-i-Scharif eröffnet habe, wurde mir von dem Di-rektor beim Rundgang gesagt, dass ungefähr 30 Prozentder angehenden Lehrerinnen und Lehrer, die dort unter-richtet werden, erst einmal alphabetisiert werden müs-svefäAzdzddaEHvreemL1gmB44dd1tiDindbFZzngaDsvwZ2wAdEsbkli
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gemeinsame Vorgehen verstehen wir unter vernetzter Si-cherheit. Die sehr deutschen, innerdeutschen kontrover-sen Diskussionen zu diesem Thema sind, wenn man sichdie Praxis vor Ort anschaut, kaum verständlich.
Vernetzte Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,bedeutet keine Militarisierung der Entwicklungspolitik,keine „embedded“ Entwicklungshelfer, keine Soldatenneben Brunnenbohrlöchern.
Der vernetzte Ansatz bedeutet die bessere Abstimmungim Sinne des gemeinsamen politischen Ziels. Wir wollendie politischen, sozialen und wirtschaftlichen ErfolgeAfghanistans stärken. Darum ist jetzt übrigens auch derZeitpunkt gekommen, dass sich die deutsche Wirtschaftmehr in Afghanistan engagiert als bisher.China hat längst das Potenzial Afghanistans erkannt.China investiert Milliarden in den dortigen Kupferberg-bau. Zurzeit ist eine große Eisenerzmine ausgeschrieben.Wenn allein diese beiden Bergbauprojekte realisiert wer-den können, kann der afghanische Staat ab 2016 über500 Millionen US-Dollar pro Jahr an zusätzlichen Ein-nahmen verbuchen, und ungefähr 100 000 Arbeitsplätzefür afghanische Bürgerinnen und Bürger werden ge-schaffen.
– Sie können gern eine Zwischenfrage stellen.Entscheidend bei der Frage der Rohstoffförderung inAfghanistan – hierbei hat Deutschland große Kompeten-zen – ist die Frage der Transparenz, die Frage, ob dieseWerte den Bürgerinnen und Bürgern des eigenen Landeszugutekommen. Ich glaube, wenn dieses breitenwirk-same Wachstum dazu beiträgt, dass Afghanistan zusätz-liche eigene Staatseinnahmen erzielen kann, und wennBürgerinnen und Bürger Berufschancen bekommen,dann ist es ein guter Weg, auch an diesen Bereich zudenken.Afghanistan ist darüber hinaus voller Chancen. Übri-gens ist die Qualität deutscher Produkte in Afghanistanbekannt, und deutsche Produkte genießen dort einen gu-ten Ruf. Der Nachholbedarf Afghanistans kann auch alsPotenzial für deutsche Unternehmen angesehen werden,zur Entwicklung des Landes beizutragen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ungeachtet der er-freulichen Fortschritte bleibt natürlich ein großer Bergvon immensen Herausforderungen vor uns. Immer nochviel zu wenige Menschen haben die Gelegenheit, ihreGrundbedürfnisse zu decken. Dies gilt insbesondere fürdie ländlichen Regionen. Afghanistan bleibt nach wievor ein sehr armes Land.Der Schlüssel zur langfristigen wirtschaftlichen undsozialen Entwicklung Afghanistans liegt im politischenBereich. Was gute Regierungsführung angeht, bestehtauf allen Ebenen ein gravierendes Defizit. Zu den Kern-problemen gehören die weitverbreitete Korruption, man-gleruliuArewdrednstegbmgRdgmdnwndduzmgreswcUowdntecnugnzs
In den meisten Distrikten im Norden können wir wei-rhin unter relativ guten Bedingungen arbeiten. Die Si-herheitslage wirkte sich aber im vergangenen Jahr in ei-igen Regionen, insbesondere in den Provinzen Kunduznd Baghlan, negativ auf die zivile Hilfe aus. Hier verfü-en unsere zivilen Helfer teilweise nicht mehr über denotwendigen Bewegungsfreiraum, um die Projektumset-ung effizient zu begleiten. Die instabilen Gebiete müs-en deshalb durch ISAF und vor allem durch die afgha-
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Bundesminister Dirk Niebel
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nischen Sicherheitskräfte gesichert werden, bevor diezivile Hilfe dort greifen kann. Langfristig können nur af-ghanische Sicherheitskräfte die nötige Sicherheit in derFläche herstellen, die zwingende Voraussetzung für dieafghanische Bevölkerung ist, damit zivile Helfer siebeim Aufbau ihres Landes begleiten können. Auch ausdiesem Grund konzentriert sich ISAF auf die Befähi-gung der afghanischen Sicherheitskräfte. Bis 2014 wol-len wir die Übergabe der Sicherheitsverantwortung andie Afghanen erreichen. Das ist weit mehr als ein nurmilitärisch relevanter Vorgang.Ich freue mich – das sage ich ganz ausdrücklich –,dass die Zusammenarbeit zwischen den vier Afghanis-tan-Ressorts, dem Auswärtigen Amt, dem Bundesminis-terium des Innern, dem Bundesministerium der Verteidi-gung und dem Bundesministerium für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung, so viel besser läuftals früher.
Unsere Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanis-tan wird über die Übergabe der Sicherheitsverantwor-tung hinausreichen, und sie wird auf jeden Fall jenseitsdes Komplettabzugs von ISAF weiter notwendig sein.Die Menschen in Afghanistan zählen auf unsere Unter-stützung. Ungefähr 50 Prozent der Menschen in Afgha-nistan sind jünger als 15 Jahre, also ideale Drachenläu-fer. Sie wollen ein anderes, ein besseres Leben als ihreEltern. Wir können ihnen dabei helfen.Das Schaffen von Perspektiven und Lebenschancenentspricht beidem: sowohl unseren eigenen Interessenals auch unseren gemeinsamen Werten. Deswegen binich froh und dankbar, dass die Bundesregierung sich ent-schieden hat, heute, noch im Vorfeld der Debatte überdie Verlängerung des militärischen Mandats für Afgha-nistan, deutlich zu machen, welche zivilen Komponen-ten hier in der Vergangenheit wichtig waren und für dieZukunft wichtig sind und wo unsere Erfolge auch in die-sem Bereich liegen. Die zivile Betrachtung fällt hinterder militärischen oftmals ab. Sie ist aber mindestens ge-nauso wichtig, wenn man die Zukunft betrachtet, sogarwesentlich wichtiger als alles, was in militärischen Be-reichen der Vergangenheit berichtet wurde. Ich möchteeins deutlich machen: Auch in Afghanistan gilt das Pri-mat der Politik.Vielen herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vieles hat sich im vergangenen Jahr verändert. Unterdem Druck der problematischen, teilweise dramatischenEntwicklung vor Ort ist die Afghanistan-Politik in denVereinigten Staaten, in der Gemeinschaft der 48 Länder,dndzDddsdmebtadJvbrudagsEuligovssEzwDbaKSPndnsteossruzuH
Immerhin: Wir haben im Dezember einen „Fort-chrittsbericht Afghanistan“ von 108 Seiten erhalten, derich auf 20 Seiten auch dem Thema „Wiederaufbau undntwicklung“ widmet. Dieser Fortschrittsbericht enthältahlreiche Daten und Fakten, er geht auch auf Fehlent-icklungen und Defizite ein, und er stellt jede künftigeiskussion über unseren Einsatz in Afghanistan auf eineessere Grundlage, was aktuelle Sachstände und Faktenngeht. Sehr gerne haben wir auch die ausdrücklicheooperationsbereitschaft von Botschafter Michaelteiner, dem Sonderbeauftragten für Afghanistan undakistan, was Rückfragen und Auskünfte angeht, ange-ommen.Aber trotzdem müssen wir feststellen, dass wir miter Ausweitung und Aufwertung des zivilen Aufbausoch längst nicht da sind, wo wir hinwollen und hinmüs-en. Es sind gerade die Berichte der Entwicklungsexper-n, der Nichtregierungsorganisationen und der Mittler-rganisationen von ihrer konkreten Arbeit vor Ort, dieich leider nicht in dem nötigen Ausmaß in dem Fort-chrittsbericht wiederfinden – auch nicht in Ihrer Regie-ngserklärung, die Sie heute abgegeben haben –, dieum Teil zu völlig anderen Lageeinschätzungen führennd die einige dringend zu lösende Probleme benennen.err Minister, das ist nicht Schwarzmalerei, und das ist
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Dr. h. c. Gernot Erler
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auch nicht das Schlechtreden von Erfolgen. Ich will dasan zwei kurzen Beispielen hier zeigen.Ein Thema, das in unseren Gesprächen mit den Ent-wicklungsorganisationen immer wieder angesprochenwurde, ist, Herr Minister, Ihre Doktrin von der soge-nannten vernetzten Sicherheit, die bei den Betroffenenauf breite Ablehnung stößt.
Nicht das ist unverständlich, wie Sie das hier gesagt ha-ben, sondern Ihre Sturheit bei der Doktrin der vernetztenSicherheit ist unverständlich. Ich fordere Sie, HerrMinister, in aller Deutlichkeit auf: Hören Sie auf, Druckauf NGOs zu machen, sich in voller Sichtbarkeit in denDienst militärischer Ziele zu stellen!
Beenden Sie die damit verbundene Instrumentalisierungdes zivilen Aufbaus! Erkennen Sie endlich an, dass derzivile Aufbau im Rahmen der veränderten Afghanistan-Strategie einen erweiterten Eigenwert hat! AkzeptierenSie die jahrzehntelangen Erfahrungen dieser Entwick-lungsorganisationen, und lassen Sie sie selbst entschei-den, wie sie ihre Arbeit machen wollen! Sie wissen ambesten, wie sie das in größter Sicherheit tun können.
Mehrere Organisationen haben uns versichert, HerrMinister, dass sie weder etwas gegen die Bundeswehrhaben noch eine Kooperation ablehnen. Aber sie haltenIhre Doktrin für kontraproduktiv.Sie ist es, nebenbei gesagt, auch für die Zukunft. In-zwischen gibt es ja den internationalen Konsens – Siehaben das angesprochen –, dass bis 2014 die Sicherheits-verantwortung in afghanische Hände übergehen soll unddann keine Kampftruppen mehr vor Ort eingesetzt wer-den sollen. Zugleich versichern wir unseren afghani-schen Freunden, dass unser Engagement vor Ort deswe-gen nicht endet, sondern dass der zivile Aufbaufortgesetzt werden soll. Mit anderen Worten: Dann istdie Bundeswehr weg, die Entwicklungsorganisationensind aber noch da. Was ist dann mit Ihrer Doktrin vonder vernetzten Sicherheit?
Es gibt noch ein zweites Feld dringenden Handlungs-bedarfs. Wenn man dem Fortschrittsbericht folgt, dannsind allein zwischen 2002 und 2008 nicht weniger als20 Milliarden Dollar an offizieller Entwicklungshilfenach Afghanistan geflossen. In den letzten beiden Jahrensind die Jahresraten sogar gestiegen, auch durch die Ver-doppelung des deutschen Anteils. Diese umfangreichenLeistungen schlagen sich aber nicht nieder in einem brei-ten Vertrauen der Menschen in ihre eigene Regierung, indie internationale Gebergemeinschaft und in ihre eigeneZukunft. Eigentlich sollte man das erwarten. Es ist abernicht der Fall.IcgDaprosdteliabtewreCsdJsgfeDdegubdaslesdSaBABvb
iese Korruption würgt alle Erfolge des zivilen Aufbausb wie ein gefährlicher Parasit. Das Bild von mit Geldrall gefüllten Koffern, die über den Kabuler Flughafenllen, von niemandem an ihrer Reise gehindert, frisstich in die Köpfe auch all derer, die sich eigentlich überen Bau einer neuen Schule in ihrem Dorf freuen könn-n, aber es dann nicht mehr tun.Wir müssen tatsächlich alles versuchen, um das end-ch zu ändern. Wenn wir das nicht schaffen, werdenuch alle künftigen Fortschrittsberichte zum zivilen Auf-au an den wahrgenommenen Realitäten vorbeischlit-rn. Das ist eine Aufgabe, ohne die ein Erfolg in diesemichtigen, von uns als am wichtigsten betrachteten Be-ich des zivilen Aufbaus nicht zu sichern ist.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Christian Ruck ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-ere vernetzte Mission in Afghanistan geht zurück aufen verheerenden Terrorangriff vom 11. September desahres 2001, der unser Land zu einer völligen undchmerzhaften Neuorientierung unserer Außenpolitikezwungen hat, und zwar in zweierlei Hinsicht:Erstens. Wir können und wollen nicht nur darauf hof-n, dass unsere Sicherheitskräfte Terroristen ineutschland rechtzeitig vor Attentaten entdecken, son-ern müssen den Terrorismus auch dort bekämpfen, wor herkommt und entsteht. Unser Engagement ist deswe-en ein Engagement vor allem auch für die Sicherheitnserer eigenen Bürger.Zweitens geht es darum, dem Terrorismus den Nähr-oden zu entziehen, bevor es zu einem Flächenbrand umen halben Globus kommt. Dieser Nährboden bestehtus fehlender staatlicher Ordnung, aus fehlender Rechts-taatlichkeit, aus fehlenden Bildungschancen, aus feh-nder Gesundheitsversorgung und aus fehlenden Per-pektiven für die breite Bevölkerung und die gerade iniesen Ländern nachdrängende Jugend. Das gilt für vieletaaten – von Nordafrika über den Jemen bis Südost-sien. Damit ist Entwicklungspolitik zum wesentlichenestandteil unserer Sicherheitspolitik geworden, undfghanistan ist unsere größte entwicklungspolitischeaustelle.30 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben Afghanistanollkommen ruiniert. Aber nach fast zehn Jahren Auf-auhilfe sind die Fortschritte trotz eines immens schwie-
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Dr. Christian Ruck
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rigen und oft gefährlichen Umfelds unübersehbar.Minister Niebel hat bereits einige Details aus den Berei-chen Verkehr und Energie sowie aus dem Bereich Schu-len und Universitäten genannt. Es gibt – ohne Berück-sichtigung der Drogenwirtschaft – eine Vervierfachungdes Pro-Kopf-Einkommens und eine rasante Zunahmeder Zahl von Unternehmen und Beschäftigten.Was wir auch nicht vergessen dürfen: Trotz des wack-ligen Ansehens mancher Institutionen haben wir es zu-sammen mit den Afghanen geschafft, demokratischeGrundinstitutionen in freien Wahlen zu etablieren. Dazuhaben unsere Soldaten, Aufbauhelfer und Polizisten un-ter vielen Opfern einen großartigen Beitrag geleistet. DieCDU/CSU-Fraktion bedankt sich ausdrücklich bei allen,die in den letzten Jahren an der zivilen Aufbauarbeit be-teiligt waren.
Kabul ist nicht ganz Afghanistan; das ist klar. Ichhabe die Stadt trotz aller Unsicherheiten, trotz der übli-chen Splitterweste bei meinem dritten Afghanistan-Be-such in der letzten Woche, begleitet von den KollegenSchockenhoff und Kiesewetter, kaum wiedererkannt.Kabul ist wieder ein einziger Basar. Was uns besondersbeeindruckt hat, war die längste Straße mit Baumateria-lien und Baumaschinen, an der ich jemals irgendwo inder Welt entlanggefahren bin. Afghanistan ist in der Tateine riesige Baustelle.Herr Erler, ich gebe Ihnen in dem Punkt vollkommenrecht, dass wir auch zur Kenntnis nehmen müssen, wasuns vom flachen Land an Rückschlägen berichtet wird.Es gibt da viele sich zum Teil widersprechende Meldun-gen. Wir dürfen uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen.Aber wir können auch froh über die Entwicklungen sein,die wir mit eigenen Augen sehen und deren erfolgreicherAbschluss zum Greifen nah ist.
Auch ich sehe – das wurde teilweise schon angespro-chen – drei große Risikobereiche; diese gehen auch ausdem Fortschrittsbericht hervor, den Afghanistan-Kennerübrigens als den aufrichtigsten Bericht der letzten zehnJahre loben. Diese Risikobereiche sind erstens die pre-käre Sicherheitslage, zweitens die Mängel bei der Regie-rungsführung und drittens die unruhige Nachbarschaft.Zum Thema Sicherheit. Nirgendwo wird die gegen-seitige Abhängigkeit von Entwicklung und Sicherheit sodeutlich wie in Afghanistan. Es gibt keine Befriedungohne Entwicklung. Aber es gibt auch keine Entwicklungohne eine erfolgreiche Sicherheitspolitik. Es ist entschei-dend, dass Bildung, Rechtsstaatlichkeit und ökonomi-sche Perspektiven auch auf das flache Land, in die unru-higen Distrikte und in die Bergdörfer gelangen. Dortwird aber jeder Entwicklungsansatz zunichtegemacht,wenn beispielsweise die neu gebaute Schule von den Ta-liban gesprengt oder die ausgebildeten Lehrer ermordetwerden, sobald die afghanischen Sicherheitskräfte oderdie ISAF-Truppen abgezogen sind. Deswegen sind diebfäswimvZlumgssomwmgvzSliseDvwZtugsteukzsmewatiminghrunMcwddtew
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Aber – auch das wurde schon angesprochen – es gibtgerade in puncto Governance große Fortschritte. Immermehr wichtige Funktionsstellen in wichtigen Ministe-rien, wie zum Beispiel dem Finanzministerium, werdenvon gut ausgebildeten und qualifizierten Afghanen be-setzt.Aber lassen Sie mich noch etwas zum dritten ent-scheidenden Faktor sagen. Auch der wurde kurz ange-sprochen. Das ist die stabile oder stabilisierende Nach-barschaft. Dieser dritte entscheidende Faktor berührt vorallem auch Pakistan. Gerade die an Afghanistan angren-zenden Regionen Pakistans sind nämlich alles andere alsstabilisierend. Die pakistanischen Sicherheitskräfte sindunter großen Opfern dabei, gegen Taliban und Dschi-hadisten die staatliche Kontrolle wiederherzustellen.Aber auch hier ist Entwicklung der entscheidendeSchlüssel zu einer langfristigen Befriedung. Die Vor-gänge um das Swat-Tal sind dafür typisch. Der pakista-nische Staat konnte die Befriedigung der Grundbedürf-nisse und vor allem auch Rechtssicherheit undRechtsstaatlichkeit über einen langen Zeitraum nichtmehr garantieren und hat so den Taliban den Boden fürdie Einflussnahme bereitet.Was für das Swat-Tal gilt, gilt für weite Teile Pa-kistans, auch für das Korruptionsunwesen in Pakistan.Deswegen muss die internationale Staatengemeinschaft,wenn sie in Afghanistan Erfolg haben will, auch von Pa-kistan eine bessere Regierungsführung einfordern. Wirmüssen Pakistan auf diesem Weg stärker, zuverlässigerund koordinierter unterstützen als bisher.
Herr Kollege, Sie achten auf die Zeit, ja?
Ich komme zum Schluss. – Der zivile Wiederaufbau
Afghanistans findet in einem schwierigen Umfeld und
mit großen Rückschlägen statt. Aber wir haben auch Er-
folge und Hoffnungen, und die gemeinsame Absicht, die
Verantwortung für die Sicherheit Schritt für Schritt ab
Ende dieses Jahres in afghanische Hände zu legen, ist im
Prinzip richtig. Aber gerade als Entwicklungspolitiker
sage ich: Wir müssen den Zeitplan auch an den tatsächli-
chen Gegebenheiten ausrichten. Auch die sehr regie-
rungskritische und militärkritische Menschenrechtlerin
Frau Dr. Samar hat uns letzte Woche ins Stammbuch ge-
schrieben: Ihr müsst eure Arbeit erfolgreich zu Ende
führen. – Das ist auch meine Meinung. Wir dürfen keine
Entwicklungsruine hinterlassen, sonst waren alle Opfer
des deutschen Steuerzahlers, alle Opfer unserer Soldaten
und der Entwicklungshelfer umsonst.
Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
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h habe nicht das Gefühl, dass Sie in Afghanistan wa-n. Nach neun Jahren Krieg in Afghanistan – Sie müs-en einmal überlegen, wie lange die internationale Ge-einschaft in diesem Land ist – kann von Fortschritteine Rede sein.Das Land liegt mit seiner Entwicklung nach wie voruf dem vorletzten Platz bei den Vereinten Nationen.sgesamt ist die soziale, wirtschaftliche und politischeituation in diesem Land katastrophal. Immer noch sind0 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer An-lphabeten, und weniger als 19 Prozent der Bevölkerungaben Zugang zu sauberem Wasser und medizinischerersorgung. Laut Weltbank liegt die Säuglingssterblich-eit – das ist ein ganz wichtiger Indikator – bei00 Kindern pro tausend Geburten. Das ist doppelt sooch wie im Nachbarland Pakistan.In Kabul haben trotz Entwicklungsgeldern in Milliar-enhöhe bisher nur 30 Prozent der Bevölkerung Zugangu sauberem Trinkwasser; ein Abwassersystem gibt esberhaupt nicht. Als ich Ende letzten Jahres mit demntwicklungsausschuss in Afghanistan war und mir Ka-ul angeschaut habe, war ich, ehrlich gesagt, schockiert,ie einem in dem Stadtbild die Armut buchstäblich insesicht springt. Von wegen ein einziger lebender Basar!abul ist durch eine nach wie vor schlechte Infrastrukturnd eine katastrophale Sicherheitslage gekennzeichnetnd glich einer Festung. Die deutsche Botschaft ist hin-r hohen Mauern eingebunkert.
ie Arbeitskräfte der internationalen Gemeinschaft kön-en sich dort nicht frei bewegen.Im Bericht der Vereinten Nationen heißt es auch – dast viel zu wenig angesprochen worden –, dass sich,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen aufgrund desrieges auf der Flucht befinden. Für diese Menschen istie humanitäre Situation besonders schwierig. Ein Be-cht der International Crisis Group kritisiert, dass derrieg den Zugang der afghanischen Bevölkerung zuresundheitsversorgung, Bildung und zu anderen sozia-n Dienstleistungen stark eingeschränkt hat. Entwick-ngserfolge – es gibt natürlich auch gute Entwicklungs-rojekte in Afghanistan, auch im Rahmen der deutschenntwicklungszusammenarbeit – werden durch die anhal-nden und zunehmenden Kämpfe wieder zunichtege-acht.Die Zahlen zeigen, dass die 6 Milliarden Euro, die dieundesregierung seit 2002 für den Afghanistan-Einsatz
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Heike Hänsel
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ausgegeben hat, den Bemühungen um wirtschaftlichenAufbau und eine soziale Entwicklung entgegenlaufen.Deshalb, Herr Niebel – ich weiß nicht, wo er jetzt sitztund ob er zuhört –, wird auch bei der jetzt beschlossenenVerdoppelung der Mittel für den zivilen Aufbau die Wir-kung der eingesetzten Mittel konterkariert, solange derKrieg geführt wird. Der Krieg in Afghanistan macht eineEntwicklung unmöglich.
Sie sagten, Sie wollten jetzt die zivile Entwicklungstärken und den Schwerpunkt auf zivile Entwicklung le-gen. Der Bundeswehreinsatz verschlingt mittlerweileüber 1 Milliarde Euro im Jahr. Das Deutsche Institut fürWirtschaftsforschung beziffert die Kosten des Afghanis-tan-Einsatzes sogar weit höher als von der Bundesregie-rung angegeben und schätzt, dass der Krieg bis 2011 ins-gesamt bis zu 33 Milliarden Euro gekostet haben wird.Das ist vier- oder fünfmal so viel, wie für die zivile Ent-wicklung ausgegeben wird. Deshalb stimmt es nicht,dass Ihr Schwerpunkt auf ziviler Entwicklung liegt.
Mittlerweile sind über 120 000 NATO-Soldaten inAfghanistan, und die Sicherheitslage ist schlechter dennje. Über die Zahl der verletzten und getöteten Zivilistin-nen und Zivilisten spricht hier niemand. Sie steigt konti-nuierlich, und sie erhöht sich auch dadurch, dass sich dieISAF militärisch in der Defensive befindet und immerschwerere Waffen einsetzt. Dazu kommen auch die ge-zielten Tötungen durch die NATO. Durch Anschlägeund Kämpfe in Afghanistan sind im vergangenen Jahrwahrscheinlich über 10 000 Menschen getötet worden.Das ist eine tragische Entwicklung für die Menschen inAfghanistan, die deutlich zeigt, dass es bei der Militärin-tervention der NATO nicht um die afghanische Bevölke-rung geht. Deshalb nimmt der Widerstand in der afgha-nischen Bevölkerung gegen die Besatzung ihres Landeszu.Die deutsche Bevölkerung lehnt diesen Einsatz zuüber 70 Prozent ab. Minister zu Guttenberg hat in einerTrauerrede anlässlich des Todes von Soldaten gesagt:In Afghanistan wird für unser Land, für dessenMenschen, also für jeden von uns, gekämpft undgestorben.Das ist eine zynische, unerträgliche Kriegspropaganda.
Ich kann nur sagen – das möchte ich wiederholen –: InAfghanistan wird nicht in unserem Namen gekämpft.
Zugleich wird die Bundeswehr zu einer Interventions-armee umgebaut. Zu Guttenberg fordert ganz direkt denEinsatz der Bundeswehr zur Sicherstellung deutscherWirtschaftsinteressen; er wünscht sich, dass endlich ein-mal ohne Verklemmungen darüber geredet wird. Sosagte er in der Trauerrede:Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Ein-sätze geworden. Und sie werden es auch in denBZEWgruwdtezACnsisIckwfädshÜnmvdnndogtihaAsgnteaAgsMks
ber 29 in Afghanistan tätige Entwicklungsorganisatio-en fordern deswegen dazu auf, diese Art der Zusam-enarbeit zu beenden. Auch VENRO, der große Dach-erband deutscher Entwicklungsorganisationen, lehntie zivil-militärische Zusammenarbeit ab. Herr Niebel,achdem Sie angekündigt haben, dass Hilfsorganisatio-en nur Geld bekommen sollen, wenn sie mit der Bun-eswehr kooperieren, hat Ihnen die Organisation Ärztehne Grenzen vorgeworfen, dass allein Ihre Ankündi-ung die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Organisa-on in Afghanistan gefährdet.Es gibt aber auch andere Beispiele, etwa die Kinder-ilfe Afghanistan, die eine Nähe zum Militär kategorischblehnt. Man kann Entwicklungszusammenarbeit infghanistan ohne Militär betreiben. Bei der Kinderhilfeind über 2 000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, übri-ens auch aus Afghanistan, aktiv. Bisher wurden sieicht angegriffen. Es werden nicht Tausende von Exper-n für einige Wochen in das Land geschickt; es wird mitfghanischen Helfern gearbeitet. Dort funktioniert derufbau, weil die Bevölkerung aktiv einbezogen wird. Esibt eine klare Trennung vom Militär, einen klaren Ab-tand. Das ist eine Voraussetzung für die Sicherheit deritarbeiter dort.
Sie haben überhaupt nicht angesprochen, welchesorrupte System eigentlich die ISAF in Afghanistantützt. Taliban und Warlords haben in vielen Provinzen
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Heike Hänsel
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die Macht errungen. Gouverneure dominieren ihre Re-gion mit viel Blutvergießen durch ihre Privatmilizen.Wir haben gehört, dass selbst der Gouverneur in Masar-i-Scharif, Mohammed Atta, mit dem die Bundeswehrsehr gut kooperiert, ein „blutiges System“ von Privat-milizen aufgebaut hat. Dort gibt es keine Form von Op-position; er dominiert die ganze Region. Diese Politikwird von der NATO weiterhin unterstützt, weil dieKarzai-Regierung ein Garant dafür ist, dass die Truppenin dem Land stationiert werden können, und die NATOgar keine Alternative hat.Die Kanzlerin hat es selbst gesagt: Die Politik inAfghanistan ist ein Lackmustest für eine handlungsfä-hige NATO. Deswegen werden diese schlechten Zu-stände auch akzeptiert. Mit Afghanistan stehen und fal-len die Kriegspolitik und die Existenz der NATO. Das istder Hauptgrund, weswegen Sie hier auch die Augen zu-drücken und ein korruptes Regime weiterhin unterstüt-zen.
Wir fordern dagegen – Sie haben es kurz angespro-chen –, dass endlich die demokratischen Kräfte inAfghanistan unterstützt werden. Es gibt sie. Wir ladendazu ein. Es gibt ganz engagierte Männer und Frauen,die keine Unterstützung von Ihnen hier bekommen. Dasandere Afghanistan an der Basis entwickelt sich.
Es gibt Studierende, die auf die Straße gehen, die gegendie Besatzung und gegen die Taliban demonstrieren. Esgibt mutige Leute in diesem Land. Wir haben sie für dienächste Woche nach Berlin eingeladen. Wir machen eineKonferenz „Das andere Afghanistan“. Diese Leute zei-gen Ansätze von unten für eine Friedenspolitik ohne Mi-litär.
Frau Kollegin!
Ich kann Sie nur einladen, Herr Niebel. Kommen Sie
zu unserer Konferenz! Da können Sie sehr viel lernen.
Da werden Sie vielleicht auch sehen, –
Frau Kollegin!
– dass es um das Primat der Bevölkerung geht,
die selbstbestimmt ihr Land entwickeln soll. Eine aktive
Friedenspolitik ist für uns die beste Entwicklungspolitik.
Danke.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Als ich letztes Jahr mit Bundesminister Niebel infghanistan war, wurde dieser Besuch von einem An-chlag auf die Bundeswehr, dem drei Soldaten zum Op-r fielen, überschattet. Auch ich bin zutiefst bestürztber den Tod des Mitarbeiters der KfW vor wenigenochen.Diese traurigen Ereignisse zeigen uns, dass die Si-herheitslage trotz hoffnungsvoller Entwicklungen beimivilen Aufbau nach wie vor auch im Norden, dort, wonsere Soldatinnen und Soldaten sind, sehr angespanntnd gefährlich ist.Gerade vor dem Hintergrund der Opfer, die dort zueklagen sind, müssen wir uns die Entwicklungen allge-ein und vor allem die des zivilen Aufbaus in Afghanis-n ganz genau anschauen und bewerten. Dabei geht eseben vielen Entwicklungsprojekten, die im ganzenand entstehen, in der Tat auch darum, dass der afghani-che Staat und seine Regierung ihrer Verantwortung ge-cht werden und sich voll und ganz zum Rechtsstaat, zuiner guten Regierungsführung und zu den Menschen-chten bekennen. Es geht auch darum, dass Präsidentarzai und seine Regierung die Korruption im Landrnsthaft bekämpfen.
Ein Staat muss seine Bürger schützen können. So-nge der afghanische Staat dies nicht ausreichend kann,erden die Menschen dort kein Vertrauen in diesen ha-en, und solange der Staat schwach ist, so lange werdenie Extremisten dort aktiv bleiben.Natürlich würde auch ich mir wünschen, dass Wie-eraufbau und Entwicklung in Afghanistan ohne interna-onale militärische Absicherung gelingen könnten. Aberie Sicherheitslage erlaubt dies nun mal nicht. – Lieberau Hänsel, das, was Sie über die deutschen Soldatenesagt haben, die unter Einsatz ihres Lebens, unter gro-em Risiko einen guten Dienst in Afghanistan machen,ar, wie ich finde, sehr beschämend.
Mit dem vernetzten Ansatz der Bundesregierung ge-ngt uns jetzt endlich das, was in den letzten Jahrenicht erreicht wurde, nämlich gleichzeitig die Ausbil-ung der afghanischen Sicherheitskräfte wie auch denivilen Wiederaufbau voranzubringen. Beides sind dochoraussetzungen für die Übergabe in Verantwortung unden Abzug unserer Truppen aus Afghanistan. Sicherheitnd Wiederaufbau gehen Hand in Hand. Es wird eben
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9562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Harald Leibrecht
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keine Sicherheit ohne Wiederaufbau und Entwicklunggeben, aber es gibt auch keinen Wiederaufbau und keineEntwicklung ohne Sicherheit.Die Bundesregierung zeigt sich beim zivilen Wieder-aufbau in Afghanistan äußert engagiert und setzt dabeiwichtige Schwerpunkte. Unser Engagement im Bereichder Lehrerausbildung ist erfolgreich. Nur mit gut ausge-bildeten Lehrern gibt es eine solide Schulbildung und so-mit auch eine echte Zukunft für die junge afghanischeBevölkerung.
Während unseres Besuchs in Afghanistan hat Minis-ter Niebel in Masar-i-Scharif ein Bildungszentrum fürLehrer eröffnet; das hat er vorhin angesprochen. Dortwerden inzwischen 2 000 Lehrer pro Jahr ausgebildet.Ich finde, das ist ein Fortschritt. Das hilft weiter. Die ge-zielte Förderung von Frauen hat zu einer Zunahme derLehramtsstudentinnen von 5 Prozent vor fünf Jahren aufjetzt 40 Prozent geführt. Auch das ist ein Fortschritt. Dasist der richtige Ansatz: Wir bauen nicht nur Schulen,sondern wir versorgen sie auch mit Lehrern.Mit deutscher Hilfe wurde die Einschulungsrate inAfghanistan in den letzten Jahren auf immerhin 52 Pro-zent erhöht. Die Alphabetisierungsrate bei den 15- bis24-Jährigen ist auf beinahe 40 Prozent gestiegen. Das istsicherlich bei weitem noch nicht genug. Diesbezüglichstimme ich der Opposition zu. Wir dürfen, wie MinisterNiebel sagt, die Lage nicht schönreden. Aber wir müssendie positiven Entwicklungen anerkennen, die eines ganzdeutlich machen: Unsere Hilfe kommt in Afghanistanan.
Ich konnte mich von vielen Projekten persönlichüberzeugen, insbesondere im Bereich der Grundversor-gung und der Infrastruktur: von der Trinkwasserversor-gung über den Bau von Straßen und die medizinischeVersorgung bis hin zur Vergabe von Mikrokrediten. DirkNiebel kann hier zu Recht von einer Entwicklungsoffen-sive sprechen.Dabei leisten neben der deutschen Durchführungs-organisation, der GIZ, gerade auch private Hilfsorgani-sationen einen großartigen Dienst, zum Beispiel der Ver-ein Kinderberg International, der Krankenstationen auchin entlegenen Regionen betreibt. Liebe Frau Hänsel, dieKindersterblichkeit ist in den letzten Jahren um über50 Prozent zurückgegangen. Die Zahl 250 ist eine alteZahl.
Wir sind inzwischen bei der Hälfte angekommen. Das istimmer noch zu viel – das gebe ich zu –, aber das ist trotzallem eine positive Entwicklung.All diese Bereiche zeigen, dass es Fortschritte inAfghanistan gibt, und sie zeigen, wie wichtig es ist, die-sen eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten. UnserzleddwtasmheEsVb4lumDsMteredGgntevDAgüsMAKreAJnsRfewd
Dieser Entwicklungshelfer – das ist mir auch in denails aus Afghanistan bestätigt worden – sagte Ja zufghanistan, sagte Ja zum Straßenbauprojekt zwischenholm und Kunduz, sagte Ja zum Leben in einer ande-n Kultur. Ich durfte ihn als Delegationsleiterin derusschussreise nach Afghanistan im Oktober letztenahres kennenlernen, und ich war beeindruckt von sei-en Engagement, von seiner Zuwendung für die Men-chen in Afghanistan. Ihm gebühren Anerkennung undespekt, genauso wie den vielen Helferinnen und Hel-rn, Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem unge-issen und oft, zu oft tödlichen Umfeld bewegen. Aucheswegen tragen wir Verantwortung.
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Ute Koczy
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Die Frage stellt sich, wie es mit der Aufbauarbeit wei-tergehen kann, gerade auch vor dem Hintergrund diesestödlichen Angriffs. Was tun wir eigentlich in Afghani-stan? Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig, undsie sind uneinheitlich. Schlimmer: Sie sind widersprüch-lich. Geht es um entwicklungspolitischen Aufbau in ei-nem komplett zerstörten Land, um den Einsatz für dieMenschen-, die Frauenrechte? Geht es um die Sicherungdes Friedens? Geht es um die Verteidigung am Hindu-kusch? Geht es um zentrale kollektive Sicherheitsinte-ressen? Geht es um den Kampf gegen Terrorismus, umKrieg?Herr Minister Niebel, anders als die Bundeskanzlerinhaben Sie unserer Fraktion, haben Sie der Opposition,haben Sie dem Parlament Ihre Regierungserklärungnicht zur Verfügung gestellt. Ich bedaure das. Aber daswäre auch nicht nötig gewesen; denn zu dieser Frage ha-ben Sie nichts Wegweisendes gesagt.
Ich habe erwartet, dass Sie in dieser Regierungserklä-rung Antwort auf die drängenden Fragen geben, undzwar für die Zeit, die jetzt kommt: für die Zeit bis 2014und darüber hinaus.
Was fehlt, ist eine Agenda für den Aufbau.Das prinzipielle Problem, das wir haben, ist doch,dass der zivile Aufbau das oberste Ziel all unserer An-strengungen ist. Wenn man in Afghanistan ist, dann hörtman ja auch: Militärisch kann man in Afghanistan nichtgewinnen. Trotzdem wird nicht mit gelingenden ent-wicklungspolitischen Instrumenten eine Strategie fürden Erfolg durchdacht, vorgegeben und durchexerziert.Die Regierung hat dazu nichts auf den Tisch gelegt.Diese Regierungserklärung ist es nicht wert, darüber zudebattieren.
Mein Vorwurf lautet: In allen Regierungskonstellatio-nen im Deutschen Bundestag bis heute wurden die Ge-setzmäßigkeiten entwicklungspolitischer Aufbauarbeitin der anderen Kultur von Afghanistan zu wenig be-dacht, sie waren von kurzfristigem Denken durchzogen,wurden von Eigeninteressen torpediert, waren interna-tional schlecht abgestimmt und regional zu blind, wur-den politisch nicht ernst genommen und für medial nichtattraktiv genug befunden. Schlimm ist, dass diese Ana-lyse nicht neu ist. Sie ist Jahre alt.
Schlimmer ist, dass auf diese Analyse so mangelhaftreagiert wird.
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9564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
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Aufklärung ihre Verschleierungstaktik fortsetzt, bleibendie Verdachtsmomente doch im Raum. Die schwarz-gelbe Bundesregierung und auch die Vorgängerregierun-gen haben es versäumt, Kontrollmechanismen zu eta-blieren, die schon den Anschein von Korruption und Un-terschlagung nicht zulassen.
Es ist doch offensichtlich, dass gerade hier eine rechtzei-tige externe Evaluation notwendig gewesen wäre.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Leibrecht zu?
Bitte.
Frau Kollegin Koczy, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass das Entwicklungshilfeunternehmen AGEF
bereits im Jahr 2002 tätig war? Da war bekanntermaßen
Minister Niebel noch nicht für die Entwicklungszusam-
menarbeit zuständig. Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass Herr Niebel bereits im November 2010
diesbezüglich eine Untersuchung durch einen Wirt-
schaftsprüfer angeordnet hat und dass das jetzt auch von
einem unabhängigen Unternehmen überprüft wird? Inso-
fern ist das eine Situation, die nicht unter dieser Regie-
rung entstanden ist, und sie wird von dieser Regierung
bereits überprüft.
Herr Kollege Leibrecht, sind Sie auch bereit anzuer-
kennen, dass die Reaktion des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit auch deswegen erfolgt,
weil die Grünen dazu eine Kleine Anfrage gestellt ha-
ben, dass die Hinweise in der Presse veröffentlich wur-
den und dass sich jetzt gezeigt hat, dass das Ministerium
nicht vorhat, jetzt die notwendigen externen Evalua-
tionsmechanismen einzurichten? Sind Sie auch bereit,
anzuerkennen, dass die Bundesregierung auf meine
Kleine Anfrage sehr schwammig, sehr ausweichend re-
agiert hat, dass es sehr lange Zeit braucht, bis die Ant-
worten kommen, dass das Wirtschaftsunternehmen, das
die AGEF jetzt prüft, Vorlagen erstellt hat, und wir bis
heute keine Klarheit darüber haben, ob das Ministerium
bereit ist, lückenlos aufzuklären – in die eine oder in die
andere Richtung?
Ich verlange, dass das Ministerium hier mit maxima-
ler Transparenz zur Aufklärung beiträgt. Bis heute haben
wir dazu nichts gehört. Ich hatte erwartet, dass in dieser
Regierungserklärung dazu einige Worte gesagt werden.
Wir haben eine aktuelle Situation, darauf muss man jetzt
in der Regierungserklärung auch reagieren.
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Herr Minister, stellen Sie die Neutralität der zivilen
ufbauarbeit wieder her, denn das macht sie ja gerade so
ertvoll, und organisieren Sie die Bedingungen so, dass
s eine Entwicklungszusammenarbeit auch dann noch
eben wird, wenn die Kampftruppen abgezogen sind.
Frau Kollegin, auch die Kollegin Hänsel würde gerne
ine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Ich bitte aber, das knapp zu halten, weil sich die ohne-
in mit Rederecht ausgestatteten Kolleginnen und Kolle-
en ihre Redezeiten verständlicherweise eigentlich nicht
urch wechselseitige Zwischenfragen zusätzlich verlän-
ern sollten. – Bitte schön.
Ja, aber ich denke, es ist mein gutes parlamentari-
ches Recht, eine Zwischenfrage zu stellen.
Deswegen gebe ich Ihnen dazu ja auch Gelegenheit.
Genau, danke schön. Ich denke, ohne Kommentie-
ng ist das auch möglich. Danke schön, Herr Präsident.
Ich darf Sie der Vollständigkeit halber darauf auf-erksam machen, dass Kommentare zu sitzungsleiten-en Entscheidungen des Präsidenten von den Mitglie-ern des Hauses prinzipiell nicht kommentiert werden.
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Ja, gut. – Ich möchte jetzt zu den wichtigen Dingen
kommen.
Liebe Kollegin Ute Koczy, Sie haben die zivil-militä-
rische Zusammenarbeit angesprochen. Ich kann Ihnen
meine Frage dazu jetzt natürlich nicht ersparen.
Die zivil-militärische Zusammenarbeit gab es schon
im Kosovo nach dem Jugoslawienkrieg.
– Ihnen fällt nie etwas anderes ein, Frau Künast. Das ist
sehr schwach. Sie lenken ab.
Bereits 2002 wurde mit der zivil-militärischen Zusam-
menarbeit begonnen. Die Strukturen dafür wurden durch
den Aufbau der Wiederaufbauteams geschaffen.
In diesen dezentralen Teams haben Soldaten, Entwick-
lungshelfer und das Auswärtige Amt zusammengearbei-
tet. Das ist ein Projekt der rot-grünen Bundesregierung.
Dazu hätte ich von Ihnen schon gerne ein paar Sätze ge-
hört.
Liebe Kollegin Heike Hänsel, die Situation in Afgha-
nistan ist leider nicht so, wie die Linke sie gerne hätte.
Ohne die Soldatinnen und Soldaten und ohne den militä-
rischen Schutz kann die Entwicklungszusammenarbeit
in Afghanistan nicht geleistet werden.
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zivile
Aufbauarbeit leisten, ist sehr wohl klar, dass sie auf-
grund dessen, dass sie zivil arbeiten, in diesem schwieri-
gen Umfeld keine Möglichkeit haben, bei terroristischen
Attacken zu reagieren. Sie sind darauf angewiesen, dass
es einen substanziellen Schutz gibt.
Die Umsetzung Ihrer Forderung, diese militärische
Unterstützung sofort zu beenden, würde bedeuten, dass
wir diese entwicklungspolitische Aufbauarbeit, die wir
gerne leisten und die wir den Menschen in Afghanistan
versprochen haben, umgehend beenden müssten. Wenn
wir diesem Vorschlag folgen würden, hätten wir unser
Versprechen gegenüber dem afghanischen Volk, es bei
der Bildung, bei der Trinkwasserversorgung und bei al-
len anderen organisatorisch wichtigen entwicklungspoli-
tischen Leistungen zu unterstützen, komplett gebrochen.
Deswegen muss man differenzieren. So einfach, wie Sie
es in Ihrer Argumentation sagen,
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t das Land Afghanistan nicht zu retten.
Drittens. Weil die Situation in Afghanistan so schwie-
g ist, brauchen wir einen Plan, eine Strategie und eine
genda; denn die Debatte über den Abzug findet statt.
ür die Zivilisten, für die Bundeswehr und für die inter-
ationalen Truppen war das Jahr 2010 das bisher verlust-
ichste, und es ist zweifelhaft, ob die USA mit ihrer
eränderten Strategie, der gezielten Aufstandsbekämp-
ng, ihr Ziel erreicht.
Was heißt das für die Entwicklungszusammenarbeit?
as heißt das für die Zeit bis zum Abzug? Was heißt das
r die Zeit darüber hinaus? Ein einfaches „Weiter so!“
ann es nicht geben. Deswegen lautet unsere Forderung:
ir brauchen eine Agenda für den Aufbau bis 2014 und
anach, damit wir unserer Verantwortung gerecht wer-
en. Das ist die letzte Chance, die wir haben, für die ent-
icklungspolitische Zusammenarbeit Pflöcke einzuram-
en und zusammen mit den umliegenden Staaten, was
anz, ganz wichtig ist – ich nenne hier Pakistan und die
entralasiatischen Staaten –, zu einem anständigen Er-
lg zu kommen, durch den es uns ermöglicht wird, in
fghanistan tatsächlich zu einer Verbesserung der Situa-
on zu kommen. Dafür setzen wir uns ein.
Danke.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kolleginänsel, ich habe zwei Probleme mit Ihrer Rede.
as erste Problem ist: Offensichtlich haben Sie Ihreede lange vorbereitet, waren aber aufgrund der Kürzeer Zeit oder aus welchen Gründen auch immer nicht
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9566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Holger Haibach
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mehr in der Lage, sich auf das, was der Minister gesagthat, einzustellen. Sie haben gesagt, der Minister hätte al-les nur beschönigt und nicht auf die Probleme in Afgha-nistan hingewiesen. Das hat er sehr wohl getan. Nunkommt das zweite Problem hinzu, und das ist Ihre ideo-logische Weltsicht. Sie können nur schwarz-weiß sehen.Ich finde, Herr Niebel hat zu Recht darauf hingewiesen,dass Schwarz-weiß-Sehen das Schlechteste ist, was manin Afghanistan machen kann. Dafür gibt es drei Gründe.Erstens. Sie diskreditieren die Arbeit derer, die sichhier im Parlament seit Jahren mit Afghanistan beschäfti-gen. Das trifft nicht nur die Regierungskoalitionen, son-dern auch andere Fraktionen hier im Hause, und es trifftdie Bundesregierung. Damit könnte man notfalls nochleben, das gehört bis zu einem gewissen Grade zum par-lamentarischen Gebrauch dazu. Zweitens. Sie diskredi-tieren damit auch die Erfolge, die besonders deutscheEntwicklungshelfer und deutsche Soldatinnen und Sol-daten in Afghanistan erreicht haben. Das kann man nichteinfach so stehen lassen.
Drittens, und das finde ich das Schlimmste: Sie diskredi-tieren damit auch das, was viele Afghaninnen undAfghanen zum Teil unter Einsatz ihres Lebens in all denJahren seit 2001 in Afghanistan erreicht haben. Ichfinde, das kann man am allerwenigsten stehen lassen.
Ich bin sehr dankbar, dass ich von anderen Rednern,auch von Oppositionsseite, sehr sachliche Beiträge ge-hört habe. In diesem Zusammenhang möchte ich eineBemerkung zu Ute Koczy machen. Ich schätze deine Ar-beit sehr, aber das Problem ist: Wenn man sagt, dies hatnicht funktioniert und da fehlt uns etwas, dann muss manzur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung in die-ser Zusammensetzung erst seit anderthalb Jahren imAmt ist. Das Afghanistan-Engagement – das ist deutlichgeworden – ist von Regierungen getragen worden, dievon vier Fraktionen dieses Hauses gestellt wurden bzw.werden. Insofern gilt das alte Sprichwort: Wenn man mitdem Finger auf jemanden zeigt, dann zeigen immer dreiFinger auf einen zurück. Ich finde, ein bisschen Zurück-haltung wäre an dieser Stelle durchaus angebracht.
Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die Debatte einrelativ differenziertes Bild zur Situation in Afghanistanzeichnet. Im Übrigen ist auch der Fortschrittsbericht– Christian Ruck hat darauf hingewiesen – von Kennernals das ehrlichste Dokument und die ehrlichste Bestands-aufnahme über die Situation in Afghanistan seit Beginndes Einsatzes gelobt worden. Ich glaube, darin wirddeutlich, worin die Herausforderung eigentlich besteht.Die Herausforderung besteht zum einen darin, die Situa-tion in Afghanistan kritisch, realistisch und nüchtern indügZhMsnSBhdLreABfaKnscKÜtumfewwsguKtuaacMlisDsDBzgshgZis
Es ist mir auch wichtig, auf das schwierige Themaivil-militärische Zusammenarbeit zu kommen, weil eserade in diesem Zusammenhang eine große Rollepielt. Auch hierzu waren sehr einseitige Äußerungen zuören. Die Wahrheit ist auch in der deutschen Nichtre-ierungsorganisationsszene ein bisschen komplizierter.Es gibt Organisationen wie Kinderberg, für die dieusammenarbeit mit der Bundeswehr selbstverständlicht. Andere machen das nicht. Das ist genauso richtig. Es
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9567
Holger Haibach
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wird auch keiner dazu gezwungen, wie es in der Debattegesagt worden ist.Ich will auf eines hinweisen: Der Fonds, den Bundes-minister Niebel im Rahmen des Wiederaufbaus in Af-ghanistan mit 10 Millionen Euro für das letzte Haus-haltsjahr aufgelegt hat,
ist ausgeschöpft. Die Mittel sind komplett gebunden.Wir werden sicherlich irgendwann erfahren, welche Or-ganisationen Mittel aus diesem Topf bekommen haben.Ich bin ganz sicher, dass sie nicht allein an Kinderberggeflossen sind. Das wird sicherlich eine interessante De-batte, weil wir dann feststellen werden, wer diejenigensind, die den großen Kampf gegen die zivil-militärischeZusammenarbeit führen.
Ich glaube, dass wir – das gilt für alle, die im Bereichdes zivilen Aufbaus tätig sind – eine Sache genau imBlick behalten müssen, nämlich dass die Entwicklungs-zusammenarbeit ein langfristig angelegtes Instrumentist. Christian Ruck hat darauf hingewiesen. Wir werdenlange nach 2014 mit deutscher Entwicklungszusammen-arbeit in Afghanistan tätig sein.Es ist einerseits gut; andererseits gibt es dabei He-rausforderungen. Eine Herausforderung ist die Frage,wer nach 2014 Sicherheit garantiert. Das ist zweifels-ohne eine wichtige Frage. Aber wir haben immer gesagt:Der Abzug setzt selbsttragende Sicherheitsstrukturen inAfghanistan voraus. Insofern ist es zumindest aus mei-ner Sicht völlig klar, dass ein verantwortungsvoller Ab-zug nur dann stattfinden kann, wenn selbsttragende Si-cherheitsstrukturen vorhanden sind, die auch in der Lagesind, Aufbauhelfer zu schützen. Ohne das eine kann esdas andere nicht geben.
Wenn ich einen Schlussstrich unter die Debatte zieheund berücksichtige, was im Fortschrittsbericht und imAfghanistan-Konzept enthalten ist, dann sind, denke ich,drei Punkte wichtig:Der erste Punkt ist schon angesprochen worden.49 Prozent der afghanischen Bevölkerung ist unter15 Jahre alt. Das ist eine unglaubliche Chance mit einemunglaublichen Potenzial. Darin liegt aber auch eine un-glaubliche Herausforderung. Denn diese Menschen wer-den durch das geprägt, was sich jetzt in den kommendenJahren abspielt. Die Frage, ob wir in Afghanistan erfolg-reich sind, wird auch ihr Denken über uns bestimmen.Deswegen ist es so wichtig, dass wir dort erfolgreich ar-beiten. Unser Einsatz dort ist wichtig und richtig.
Zweitens. Die Weltbank hat vor einigen Tagen veröf-fentlicht – ich bin beim Spiegel-Lesen darauf aufmerk-sam geworden –, dass China im Jahr 2010 110 Milliar-den Dollar Entwicklungshilfe ausgezahlt hat. Das sind1ZfeinsenCrekshluacmfoaGgluüzSutedwnbD–gznIcdwDhbs
h finde das bedauerlich.
Es gibt in Afghanistan ein Sprichwort, mit dem sichie Menschen immer dann gegenseitig Mut machen,enn sie vor scheinbar unlösbaren Problemen stehen.ieses Sprichwort besagt, dass selbst zum Gipfel desöchsten Berges ein Weg führt. Um in diesem Bild zuleiben: Nach über neun Jahren Einsatz in Afghanistantehen nicht nur die Afghanen, sondern auch wir mitten
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9568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Burkhard Lischka
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in einer riesigen Gebirgslandschaft zahlreicher und nachwie vor ungelöster Probleme. Der Berggipfel ist nichtimmer erkennbar. Obwohl vieles in der Vergangenheit inbester Absicht unternommen wurde, haben sich dochmanche Wege im Nachhinein als falsch erwiesen. VieleHoffnungen haben sich zerschlagen. Niemand von unsweiß mit Sicherheit, welch ein Afghanistan wir aufDauer zurücklassen, wenn wir uns in den nächsten Jah-ren militärisch zurückziehen.Eine Erkenntnis zieht sich inzwischen durch jedenDebattenbeitrag, wenn wir über die Zukunft Afghanis-tans sprechen. Mit militärischen Mitteln allein werdenwir einen dauerhaften Frieden und Stabilität in Afgha-nistan nicht hinbekommen. Ich kann an dieser Stelle nurdas wiederholen, was wir Sozialdemokraten seit vielenJahren immer wieder fordern und im Rahmen des Strate-giewechsels unterstützen, nämlich dass wir von einerreinen Dominanz militärischer Ziele weg müssen, hin zueiner dauerhaften und nachhaltigen Hilfsstrategie, diesich vor allen Dingen dem Aufbau staatlicher Institutio-nen widmet, zivilgesellschaftliche Strukturen stärkt unddie Lebenssituation der Menschen ganz praktisch ver-bessert.Kurz gesagt: Jetzt ist Entwicklungspolitik gefordert.Jetzt sind Sie als zuständiger Minister gefordert, HerrNiebel. Nur, Herr Niebel, der Verantwortung, die damitverbunden ist, wird man doch nicht dadurch gerecht,dass man zuallererst damit beginnt – das ist jedenfallsIhre Absicht –, denjenigen Hilfsorganisationen, die nichtbereit sind, mit dem Militär in Afghanistan zu kooperie-ren, die Gelder zu streichen.
Diese törichte Vorgabe, die Sie eben wieder verteidigthaben, zeigt doch nur, dass Sie bis heute nicht dieGrundidee guter Entwicklungspolitik verstanden haben.Entwicklungspolitik muss immer und zuallererst nachden Bedürfnissen der Menschen fragen und nicht da-nach, was militärisch nützlich erscheint. Eine Entwick-lungspolitik, die sich stattdessen möglicherweise zu ei-nem verlängerten Arm militärischer Interessen macht, ist– dafür gibt es unzählige Beispiele – zum Scheitern ver-urteilt. Konsequent zu Ende gedacht, nimmt eine solchePolitik sogar billigend in Kauf, dass viele Hilfsorganisa-tionen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten in Afghanistanengagieren, ihre Arbeit einstellen bzw. einstellen müssenund sich aus Afghanistan zurückziehen. Wenn aber dieHelfer Afghanistan verlassen, Herr Niebel, dann ist die-ses Land verloren. Deshalb sage ich Ihnen deutlich: Kor-rigieren Sie diese Politik. Sie ist falsch und stellt einenfatalen Irrweg dar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wirSozialdemokraten gerade in diesen Tagen und Wochenimmer wieder darauf drängen, in diesem Jahr mit demTruppenabzug zu beginnen, dann ist das vor allen Din-gen von der Erkenntnis getragen, dass für Sicherheit undSgjekeKuruvtusnredgbinamen2leHgsgDdwFHKgSSbndcNgnwzk
iese Bundesregierung stand und steht nach wie vor iner Pflicht, deutlich zu sagen, wie sie Sicherheitsverant-ortung an die Afghanen übergeben und in welcherorm sie mit dem Abzug der deutschen Truppen amindukusch beginnen will.Talkshows zur Selbstinszenierung vermeintlicheranzlerkandidaten können ein solches klares Wort übri-ens nicht ersetzen.
olche Inszenierungen helfen auch Afghanistan keinenchritt weiter. Sie lösen nicht eines der dortigen Pro-leme. Sie verbessern nicht die Lebensumstände auchur eines einzigen Afghanen. Sie bringen nicht eineneutschen Soldaten sicher nach Hause. Kurz gesagt: Sol-he Selbstinszenierungen sind überflüssig wie ein Kropf.
Deshalb zum Schluss noch ein Dank an Sie, Herriebel. Als Sie von der Frankfurter Rundschau vor eini-en Wochen gefragt wurden, ob auch Sie ähnliche Insze-ierungen planen, haben Sie schlicht und einfach geant-ortet:Ich habe nicht vor, meine Frau nach Afghanistan mit-unehmen. – Ich hatte nach Ihren Einsätzen mit Militär-äppi und verspiegelter Sonnenbrille schon Schlimmeres
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9569
Burkhard Lischka
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befürchtet. Zumindest für diese Aussage dann doch rechtherzlichen Dank, Herr Niebel.
Helga Daub ist die nächste Rednerin für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Vor einem Jahr war es gerade Deutschland, das auf derKonferenz in London auf dem Konzept der vernetztenSicherheit und der Übergabe in Verantwortung in Afgha-nistan bestanden hat. Dass es schon in diesem Jahr mög-lich sein wird, einzelne Regionen in die Verantwortungder Afghanen zurückzugeben, ist bei allen Rückschlä-gen, die es leider gegeben hat und die es möglicherweiseauch noch geben wird, ein großer Erfolg.Wir sind sehr betroffen und trauern um die gefallenenBundeswehrsoldaten und um den getöteten zivilen Mit-arbeiter. Unser Beileid gilt natürlich den Angehörigen.Ja, es bleibt nach zehn Jahren Einsatz die Erkenntnis,dass es einen Königsweg, am besten noch nach westli-chem Vorbild, so nicht geben wird, weder allein militä-risch noch mit Aufbauhilfe. Deshalb braucht es die Ko-ordinierung von beidem, vor allem aber Aufbauhilfe,insbesondere zum Aufbau der Infrastruktur. Zu langesollten Soldatinnen und Soldaten quasi Entwicklungs-helfer in Uniform sein, was außer in der heimischen Be-richterstattung so schon lange nicht mehr funktionierthat.
Auch oder gerade deshalb ist es so verkehrt, wenn Kriti-ker immer wieder – auch hier klang es wieder an – dieangebliche Militarisierung der Entwicklungshilfe an-prangern. Das Gegenteil ist der Fall: Diese Regierungwill, dass die Beteiligten das machen, was sie am bestenkönnen – die Herstellung von Sicherheit die einen, denAufbau die anderen. Hier kommt dann die Entwick-lungshilfe ins Spiel.
Wir, eine Delegation des Ausschusses für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung, konnten Infra-strukturprojekte in Afghanistan in Augenschein nehmen,zum Beispiel ein Trainingscenter für die Lehrerausbil-dung, Schulen, neu gebaute Straßen, ein Kraftwerk undHandwerksbetriebe, aber auch die Projekte zur Ausbil-dung der Polizei in Kabul und in Masar-i-Scharif.Liebe Kollegen und Kolleginnen, sicher geht es Ihnenähnlich wie mir: Ich werde immer wieder angesprochenund gefragt: „Glauben Sie wirklich an einen Erfolg inAfghanistan?“
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ie sehen ihre Zukunft aber auch nicht als Schaf- undiegenhirten – ich möchte diesem Berufsstand nicht zuahe treten – oder aber als Landflüchtlinge in dem ohne-in schon überbevölkerten Kabul. Vor allen Dingeneshalb müssen wir in die Infrastruktur des Landes in-estieren. Dann gibt es genügend Möglichkeiten des be-flichen Fortkommens. Ansonsten werden diese jungeneute ins Ausland gehen und ihre Fähigkeiten nicht demigenen Land zugutekommen lassen.Die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen wirber auch mit einem weiteren Aspekt, der in der Öffent-chkeit eher selten wahrgenommen wird: Ich meine dieerbesserung der Gesundheitsversorgung. Es gibt nochehr viel zu tun – das wissen wir alle –, um vor alleningen die Infrastruktur der ärztlichen Versorgung wei-r zu verbessern. Es fehlt unter anderem zwar noch anualifizierten Krankenschwestern und Hebammen; aberie Fortschritte werden von der Bevölkerung wahrge-ommen. Sie kommen ihr unmittelbar zugute, sie sindichtbar und führen zu einer deutlichen Verbesserung derebensqualität der Menschen, im Übrigen auch der Ak-eptanz der Helfer dort. Das sollte uns Anlass zu Hoff-ung geben und Ansporn zum Weitermachen sein.Mütter- und Kindersterblichkeit konnten gesenkt wer-en. Frau Hänsel, Ihre Zahlen sind nicht mehr ganz aktu-ll. Im Human Development Index wird beispielsweisestgestellt, dass die Kindersterblichkeit in Afghanistaninkt und von jedem Geburtenjahrgang fast 130 000 Kin-
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9570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Helga Daub
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der den fünften Geburtstag erleben. Wenn das kein Er-folg ist!
Die Impfraten – das betrifft Diphterie, Keuchhustenund Tetanus – sind enorm gestiegen. Ein Thema liegtmir sehr am Herzen, nämlich der Kampf gegen die Tu-berkulose. Wir haben das im Unterausschuss „Gesund-heit in Entwicklungsländern“ öfter behandelt. Mittler-weile konnten fast zwei Drittel der afghanischen Kindergegen Tuberkulose geimpft werden.Unsere Anstrengungen bei der Unterstützung des zi-vilen Aufbaus werden also wahrgenommen. Wie gesagt,es gibt noch Defizite. An deren Beseitigung müssen wiralle gemeinsam weiter arbeiten. Diese Regierung hat al-lerdings die Gelder für den Wiederaufbau verdoppelt,nämlich die Gelder, die direkt in Projekte und nicht inden Haushalt der Regierung fließen, was angesichts dervorhandenen Korruption auch eher kontraproduktivwäre. Wir bleiben dran. Der zivile Aufbau ist uns wich-tig.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Ende. – Ein Land, das Hoffnung hat,
das Chancen eröffnet, entzieht dem Terrorismus den
Nährboden. Das bedeutet auch mehr Sicherheit für uns
hier.
Danke.
Ich erteile nun der Kollegin Sibylle Pfeiffer für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! „Wir müssen den zivilen Wiederauf-
bau Afghanistans stärken“ – das ist eigentlich seit Jah-
ren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Mantra hier
im Deutschen Bundestag, und zwar seit der Zeit, als
nach den ersten militärischen Rückschlägen in Afghani-
stan der Ruf nach einem Strategiewechsel, nach einem
umfassenden zivilen Ansatz laut wurde.
In der Debatte um Afghanistan habe ich schon viele
Strategiewechsel miterlebt, aber nicht jeder, der so be-
zeichnet wurde, war auch einer. Aber dann kam Anfang
letzten Jahres die Konferenz in London. Das Ergebnis
dieser Konferenz kann man zweifelsohne als echten
Strategiewechsel bezeichnen. Die internationale Ge-
meinschaft hat sich dazu verpflichtet, in Afghanistan
massiv in den zivilen Sektor zu investieren. Allein
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Hören Sie erst einmal zu; vielleicht kommt es noch.
Ich sehe, dass es Einvernehmen gibt, dass der Kollege
aabe eine Zwischenfrage stellen darf. Bitte schön.
Frau Kollegin Pfeiffer, Sie sagten gerade, wie wichtigs ist, dass die Regierung Karzai und ihre Verwaltungei von Korruption, also von Günstlings- und Vettern-irtschaft, ist. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir zustim-en, dass es auch ganz wichtig ist, dass das zuständigeinisterium mit gutem Beispiel vorangeht. Es gibt nunum wiederholten Male den Fall, dass ein FDP-Partei-nktionär einen unbefristeten Vertrag mit Versorgungs-arantie im BMZ bekommt, obwohl er bereits eine Ge-chäftsführerposition in der GIZ, der neu gegründeteneutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenar-eit, innehat. Der Personalrat hat das auf das Schärfsteemängelt, weil hier wiederholt das offizielle Bewer-ungsverfahren umgangen wurde, um Parteimitgliederu versorgen.Würden Sie mir auch zustimmen, dass, wenn infghanistan eine Partei nach der Übernahme der Regie-ng zum Beispiel einer Wirtschaftsbranche einen gro-en steuerlichen Vorteil gewährt und daraufhin dieseranche der Regierungspartei eine Spende in Millionen-öhe gibt,
ieses in die Nähe einer schlechten Regierungsführungu rücken wäre?Glauben Sie nicht, dass man vor diesem Hintergrunduch im Ministerium von Herrn Niebel mit gutem Bei-piel vorangehen sollte?
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Lieber Kollege Raabe, wenn Sie mir sagen, was die-ses Thema mit der Afghanistan-Debatte zu tun hat, diewir hier zurzeit führen, dann gebe ich Ihnen nach derDebatte eine Antwort darauf.
Ich fahre dann fort. – Wenn wir mit den Afghanen engzusammenarbeiten wollen, muss es um eine Partner-schaft auf Augenhöhe gehen. Das heißt aber auch: JedeSeite muss die Versprechen der jeweils anderen Seiteernst nehmen. Dazu gehört für mich – ich hoffe, auch fürden einen oder anderen, vielleicht irgendwann für dasganze Haus – unter Umständen eine gewisse Konditio-nalisierung. Zu Recht wird vereinzelt geäußert, wir seienunseren finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekom-men. Wir halten uns daran, auch wenn es nicht immerleichtfällt. Wenn aber die andere Seite ihre Verpflichtun-gen nicht einhält, muss das Konsequenzen haben. Zusa-gen und Versprechen müssen eingehalten werden, undzwar von beiden Seiten. Zu oft sind wir schon enttäuschtworden.Ich finde es richtig, dass bei Projekten eine Konditio-nalisierung stattfindet und im Übrigen auch konsequentangewendet wird. Nach der ersten Phase eines Projektswird überprüft, ob die afghanische Regierung ihren Teilder Vereinbarung eingehalten hat. Nur im Erfolgsfallwerden die Mittel für die zweite Projektphase freigege-ben. So werden der Wille zu verantwortungsvoller Ar-beit gefördert und der Erfolg der Projekte vergrößert.Umgekehrt müssen Gelder auch zurückgehalten werden,wenn die erste Projektphase nicht erfolgreich abge-schlossen wurde.Ich gehe davon aus, dass das ganze Haus diesenneuen Ansatz unterstützt; denn er setzt erstens Anreizezu einer besseren Regierungsführung, fördert zweitensein dringend notwendiges Umdenken in der RegierungKarzai und sichert darüber hinaus drittens, liebeFreunde, eine vernünftige Verwendung deutscher Steuer-gelder.Damit einher geht allerdings auch etwas anderes. Ichmöchte schon heute eine Warnung aussprechen. Solltenwir mit gutem Gewissen einmal Mittel für eine zweiteProjektphase nicht ausschütten können, bedeutet dies,dass unter Umständen die 430 Millionen Euro, die unszur Verfügung stehen, nicht ausgegeben werden. Dasliegt dann nicht an uns, sondern am Missmanagementder afghanischen Seite. Darüber müssen wir offen reden.Was wir dann allerdings nicht brauchen können, sindAnfeindungen der Opposition, polemische Vorwürfe,von welcher Seite auch immer, sei es gar von den NGOsoder der Gebergemeinschaft. Von Vorwürfen, dass wirunsere Verpflichtungen nicht eingehalten haben, weilwir es unter den oben geschilderten Umständen ebennicht konnten, hat übrigens auch das afghanische Volknichts; denn ohne diese Form der Erfolgs- und Projekt-kontrolle würden Korruption und Missmanagement un-tenMngSjudD1dSdhPgmdddesuudmsisluihingmpVesSJimpKtäVGwrazserek
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Gesellschaft ihrer Väter bilden und den Teufelskreislaufvon Korruption und Machtmissbrauch durchbrechen.Die internationale Gemeinschaft ist bis zur Grenzedessen gegangen, was ihr möglich war, um Erfolge undFortschritte zu erzielen. Das ist ihr in einigen Bereichenauch sehr gut gelungen und kann nicht hoch genug ein-geschätzt werden. Doch wenn Afghanistan diesen Wegweitergehen und als Land insgesamt erfolgreich seinwill, muss die afghanische Regierung anfangen, ihre ei-genen Hausaufgaben besser zu machen als bisher.
Nun liegt es an ihr, ob sie die langfristige Unterstützungund Hilfe der internationalen Gemeinschaft sinnvoll zumWohl der ganzen afghanischen Gesellschaft nutzt oderihr System der Abhängigkeiten und Korruption weiteram Leben erhalten will.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Roth, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbin sehr froh, dass wir heute diese Debatte vor der Be-schlussfassung des Bundestages über den Antrag derBundesregierung zur weiteren Mandatierung des Mili-täreinsatzes haben. Damit machen wir deutlich – daswar ja offensichtlich auch die Strategie der Bundes-regierung –, dass es im Bereich des zivilen Aufbaus undder Entwicklungspolitik eine eigenständige Strategie ge-ben muss. Herr Minister Niebel, es ist deshalb gut undrichtig, dass wir heute ein wenig Bilanz über die letztenzehn Jahre ziehen und aufzeigen, welche Veränderungenin den nächsten Jahren notwendig sind.Zuallererst will ich deutlich machen, dass es von An-fang an ein Irrtum von Ihrer Seite war, den Einsatz derEntwicklungsorganisationen in Afghanistan mit der Auf-forderung, mit dem Militär zusammenzuarbeiten, zu ver-binden. Das war nicht notwendig und sogar schädlich.
Sie haben von Anfang an eine Konfrontation in Kauf ge-nommen. Man muss heute aber auch feststellen, dass Sieletztlich kapituliert haben.
Die Entwicklungsorganisationen haben Sie in dieSchranken gewiesen; denn Sie sind auf die Arbeit dieserOrganisationen angewiesen. Insofern täte uns ein biss-chen weniger Doktrin und ein bisschen mehr Pragmatis-mus bei der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsorga-nisationen gut.Im Übrigen will ich darauf hinweisen, dass die erfolg-reiche Bilanz über zehn Jahre Aufbauarbeit in Afghanis-talaDcbmmruhEutücFgfütievbbDvmwgnkEwnShTnzNDktieisureSdjesdd
Die positive Bilanz dieser Arbeit ist sichtbar. Wäh-nd unter den bildungsfeindlichen Taliban zahlreichechulen zerstört und Mädchen und Frauen vom Besucher Bildungseinrichtungen ausgeschlossen wurden, isttzt eine erfreuliche Trendwende festzustellen. Die Ein-chulungsrate liegt bei über 50 Prozent, und sie wirdank unserer Hilfe steigen. Besonders wichtig ist, dasser Anteil der Schülerinnen seit 2001 – damals lag er bei
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Karin Roth
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0 Prozent – auf jetzt über 40 Prozent gestiegen ist. Dasist auch ein Erfolg unserer Arbeit, nicht nur des letztenJahres, sondern der vergangenen Jahre.Ganz klar ist für uns das Thema Bildung ein Schlüs-selthema, nicht nur hinsichtlich einer nachhaltigen Wirt-schaftsentwicklung, sondern Bildung ist eben auch dieVoraussetzung dafür, dass sich Männer und Frauen inden politischen Beteiligungsprozess einbringen können.Unsere Bemühungen in diesem Bereich müssen alsofortgesetzt werden.An dieser Stelle will ich sagen, dass mir die Rolle derFrauen in Afghanistan noch große Sorgen macht. Auchwenn wir einiges erreicht haben und der Frauenanteil imParlament bei 28 Prozent liegt, wissen wir, dass dieFrauen eine noch größere Rolle spielen könnten, wennwir sie entsprechend unterstützen würden. Nach wie vorsind Frauen eher geduldet und kein gleichberechtigterTeil jener Gesellschaft. Frauenorganisationen – das mussman wirklich zur Kenntnis nehmen – werden noch belä-chelt. Manchmal erinnert man sich daran, dass das beiuns auch einmal so war. Sexuelle Gewalt gegen Frauenist schreckliche Normalität.Die Frauenministerin – das ist besonders interessant –weiß noch nicht einmal, wie viel Geld die internationaleGemeinschaft der Regierung Karzai für Frauenprojektezur Verfügung gestellt hat. Das muss sich ändern. Eskann nicht sein, dass ein Alibiministerium für Fraueneingerichtet wird, das in Wirklichkeit nur dazu dient,Gelder der Gebergemeinschaft zu akquirieren.
Die Bundesregierung muss daher darauf bestehen, dassdas Frauenministerium und die Frauenministerin bei denRegierungsverhandlungen am Tisch sitzt, damit sie inZukunft weiß, welche Projekte gefördert werden. Sokann ihre Politik vonseiten der Bundesregierung unter-stützt werden. Das ist konkrete Aufbauarbeit und kon-krete Unterstützung der Frauen.
Frau Kollegin, Sie kommen bitte auch zum Schluss.
Ja, gleich.
Gemeint war sofort, und das ist völlig in Ordnung.
So viel Zeit muss sein. – Das Gleiche gilt natürlich
auch für den Bereich der Frauen- und Müttersterblich-
keit. Auch hier, denke ich, müssen wir ein bisschen zule-
gen, auch wenn die Zahlen besser geworden sind.
Ebenso gilt das – das will ich besonders betonen – für
die Korruptionsbekämpfung. Ich weiß, wie schwierig
das ist. Ich weiß, wie kompliziert die Kontrollmaßnah-
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Menschenrechte sind in der afghanischen Verfassungerankert. Bei der Umsetzung gibt es Fortschritte in al-n menschenrechtsrelevanten Bereichen, insbesondereber, Frau Roth, im Hinblick auf die Situation derrauen und Mädchen. Eine Bischöfin aus Hannover hatinmal gesagt, nichts sei gut in Afghanistan. Insbeson-ere auf die Frage der Menschenrechte bezogen ist dieseußerung grundlegend falsch. Die westliche Gemein-chaft hat es geschafft, einen Wertekanon in dem musli-ischen Land zu etablieren.Schauen wir zurück, wie es vor 2001 in Afghanistanum Beispiel mit den Frauen war: Ärztinnen, Rechts-nwältinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Dozen-nnen, Übersetzerinnen waren gezwungen, ihre Arbeitufzugeben. Sie wurden gezwungen, zu Hause zu blei-en. Wohnungen, in denen Frauen lebten, mussten un-urchsichtige Fenster haben, sodass die Frauen von au-en nicht gesehen werden konnten. Frauen mussten
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9574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Jürgen Klimke
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Schuhe tragen, die keine Geräusche machten, sodass sienicht gehört werden konnten. Die Frauen lebten in einerständigen Angst um ihr Leben, das sie wegen jeder klei-nen Missachtung von Gesetzen verlieren konnten.Frauen, die keine männlichen Verwandten hatten, muss-ten betteln oder verhungern, weil sie nicht arbeiten durf-ten. Mädchen hatten keinerlei Chance auf Bildung. Siewurden zwangsverheiratet und waren willkürlichen Ver-gewaltigungen ausgesetzt.Wie ist die Lage der Frauen heute? Vor etwas mehrals einem Jahr hat das afghanische Parlament ein Gesetzzur Beendigung von Gewalt gegen Frauen verabschie-det. Nun wird auch an der Umsetzung in den Provinzengearbeitet. Vor diesem Hintergrund wurde eine Konfe-renz zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen in Faiza-bad durchgeführt. Initiator war das Amt für Frauenange-legenheiten in Badakhshan. Wir haben gehört, dass dieSituation der Frauen im Parlament mit 28 Prozent ei-gentlich vergleichsweise gut ist. Die Burka ist nichtmehr alltägliche Zwangskleidung. Mädchen gehen in gutausgestattete Mädchenschulen und können ihre Zukunftselbst in die Hand nehmen. Viel wichtiger ist jedoch,dass die Frauen in den Stämmen wieder in ihrer Rolleanerkannt und gefördert werden. Die Bundesregierunghat mit ihren Instrumenten, angesiedelt im BMZ und imAuswärtigen Amt, gerade auch zu dieser positiven Ent-wicklung beigetragen. – So viel zur Begrifflichkeit„Kriegsführung“, Frau Hänsel!Trotzdem gibt es immer wieder Kritik an dieser posi-tiven Entwicklung, auch aus der Ecke der Grünen. DerKollege Tom Koenigs, Menschenrechtsausschussvorsit-zender – er ist nicht mehr da –, hat der Bundesregierungmangelnden Einsatz für die Menschenrechte in Afgha-nistan vorgeworfen. Seiner Meinung nach bietetDeutschland zu wenig Unterstützung beim Aufbau vonStrukturen an Schulen und Universitäten, die eine libe-rale, demokratische und an Menschenrechten orientierteStaatsauffassung vertreten. Anscheinend hat sich derKollege Koenigs, der eigentlich ein pragmatischer Poli-tiker ist, von der gesamten Antihaltung seiner Partei, denGrünen, mitreißen lassen. Ich empfehle ihm, aber auchallen anderen Kolleginnen und Kollegen einen Blick inden Menschenrechtsbericht der Bundesregierung; darinwird die Arbeit in Afghanistan sehr ausführlich beschrie-ben. Zugleich wird hier deutlich gemacht, welche He-rausforderungen noch bestehen; ich werde sie gleich an-sprechen.Grundlegend für die Menschenrechte in Afghanistanist, dass die Afghanistan Independent Human RightsCommission dem neuen Verfassungsrang, den sie inne-hat, gerecht wird. Es wird eine der Aufgaben vor allenDingen der Bundesregierung sein, dem sogenannten Is-lamvorbehalt, also dem Vorrang der Scharia vor den in-ternationalen Menschenrechtskonventionen, aktiv entge-genzutreten.In diesem Zusammenhang möchte ich die Rolle desStaatspräsidenten Karzai in der Frage des Gesetzes zurBeendigung von Gewalt gegen Frauen besonders hervor-heben. Ihm ist es zu verdanken – auch wenn über ihnviel Negatives gesagt wird –, dass das Gesetz ausdrück-lisWmBAtihoMrereensruhnSüebinDMMaWsadpZ
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9575
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Die Bahn im Einklang mit dem Grundgesetzam Wohl der Allgemeinheit orientieren– Drucksache 17/4433 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussZP 8 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann,Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür eine konsequente Strukturreform derDeutschen Bahn AG– Drucksache 17/4434 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenFlorian Pronold für die SPD-Fraktion das Wort.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrterHerr Präsident! 1966 hieß der Werbeslogan der Deut-schen Bundesbahn:Alle reden vom Wetter. Wir nicht.Als ich das letzte Mal mit der Deutschen Bahn gefahrenbin, konnte ich im Zug den Werbeslogan lesen:Reisen wie auf Wolke 7Diese Wolke hat offensichtlich im Sommer gefehlt,als wir aufgrund der Hitze bei der Bahn ein großesChaos erlebt haben, und sie hat im letzten Winter und indiesem Winter dafür gesorgt, dass es ein ziemlichesChaos gab. Wir alle haben das mitbekommen. AlleVerkehrsträger waren davon betroffen, aber insbeson-dere die Bahn mit unzureichenden Informationen, mitdem S-Bahn-Chaos in Berlin, mit den Verspätungen.Am Mittwoch haben wir von Ihnen, Herr Bundesver-kehrsminister, im Verkehrsausschuss einen Bericht vor-gelegt bekommen, in dem davon die Rede ist, dass diePünktlichkeit im Fernverkehr tageweise unter 70 Prozentgesunken sei. Heute entnehmen wir der HannoverschenAllgemeinen Zeitung die Originalstatistik der Netzleit-zentrale der Deutschen Bahn. Danach lag die Pünktlich-keit in der Woche vom 13. bis 19. Dezember bei40,3 Prozent und in der darauffolgenden Woche bei29,8 Prozent.
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Sie berichten uns, die Pünktlichkeit sei tageweise un-r 70 Prozent gesunken. Meine Frage ist: Herr Minister,ekommen Sie als Eigentümer der Bahn und als Bundes-erkehrsminister nicht die richtigen Zahlen von derahn,
der haben Sie im Ausschuss die Öffentlichkeit bewusstinters Licht geführt? Das ist die Frage, auf die ich heuteon Ihnen eine Antwort erwarte.
Wenn man sich anschaut, was Sie, Herr Minister, zuen Zuständen sagen – Sie sind jetzt im zweiten Jahrundesverkehrsminister –, dann stellt man fest, dass Sieuf Pontius Pilatus machen: Ich wasche meine Hände innschuld; meine Vorgänger sind an allem schuld.In der Passauer Neuen Presse sagen Sie am 11. Ja-uar 2011:Vor der Zeit von Bahnchef Grube und mir hat aufder Bahn ein überzogener Kosten- und Spardruckgelastet. Es gab Kostendruck, Kapazitätsreservenwurden reduziert, Personal abgebaut – all das hat zudiesen Missständen geführt. …
Die kaufmännischen Ziele standen zu sehr im Vor-dergrund, die Interessen der Fahrgäste sind in denHintergrund gerückt.as erinnert an Pontius Pilatus. Man könnte auch sagen:er Schwarze Peter soll an den Amtsvorgänger gescho-en werden.Dies ist aus mehreren Gründen unlauter:Erstens. Die Bundeskanzlerin ist diejenige, die schon der Großen Koalition und auch jetzt am vehementes-n für die Privatisierungspläne der Bahn gekämpft hat.enn Sie Tiefensee treffen wollen, treffen Sie in Wirk-chkeit die Bundeskanzlerin.
Zweitens. Als Bundesverkehrsminister sprechen Siemer davon, dass zuerst die Bahn ihre Hausaufgaben ineutschland erledigen muss, bevor sie auf Einkaufstour der ganzen Welt geht. Was ist denn in Ihrem Verant-ortungsbereich in Ihrer Zeit passiert? Nach dem ersteninterchaos ist nicht dafür gesorgt worden, dass sich et-as ändert. Wir haben im Oktober 2010 von Bahnvor-tand Homburg Ankündigungen gehört; er hat gesagt,as alles getan worden ist, um das nächste Winterchaosu vermeiden. Nichts davon ist eingetroffen. Sie habenie Hausaufgaben nicht gemacht, und in Ihrer Verant-ortung liegt es, dass trotzdem Zukäufe wie bei Arrivatattgefunden haben. Sie haben den Aufsichtsrat kom-lett ausgetauscht. Außerdem greifen Sie – wie ich ver-
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Florian Pronold
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mute, wenn ich richtig vernommen habe, dass Sie jedenTag mit Bahnchef Grube telefonieren – doch wohl auchimmer selber ins operative Geschäft ein.Meine Frage ist: Herr Ramsauer, was haben Sie dennin den letzten eineinhalb Jahren gemacht? Was haben Siegetan, um dieses Chaos zu verhindern? Das ist dochnicht vom Himmel gefallen, sondern es war absehbar!
Sie haben den Renditedruck beklagt und gesagt, dassdie Bahn zu wenig Geld für Investitionen in die Infra-struktur hat. Da muss man die Frage stellen: Was ma-chen Sie denn jetzt in Ihrem Verantwortungsbereich, umdas zu ändern? In den Haushaltsberatungen im letztenJahr – das ist noch gar nicht so lange her – mussten wirerleben, dass Ihre Antwort lautet: noch weniger Geld fürdie Bahn.
Sie entziehen dem Konzern jedes Jahr 500 MillionenEuro. Das sind in vier Jahren 2 Milliarden Euro. DiesesGeld fehlt für Investitionen in die Infrastruktur.
Die Bahn soll eine Zwangsdividende an den Bundes-haushalt abführen, übrigens unabhängig von der Ge-winnentwicklung.Jetzt erleben wir eine Vernebelungsdebatte, in der ge-fragt wird, ob man nicht die Finanzierungsstruktur inner-halb des Bahnkonzerns verändern könnte. Das ist zwareine spannende Frage; die wirklich entscheidende Frageaber ist: Steht nachher mehr oder weniger Geld für dienotwendigen Investitionen in die Infrastruktur zur Verfü-gung? Das, was die schwarz-gelbe Mehrheit in diesemHaus beschlossen hat, bedeutet 500 Millionen Euro proJahr weniger.
Spannend ist auch, dass Herr Grube bestreitet, dassder Renditedruck die Ursache für diese Probleme sei. Ichfinde, man muss eine vernünftige Analyse vornehmenund schauen, was man im operativen Geschäft verändernkann. Eine Grundvoraussetzung ist, dass wir in Zukunftbestimmte Dinge ändern.vssinWuwaBmmisjes–cBMhsDnsdswedkvmF
ir wollen, dass insgesamt mehr Mittel für den Ausbaund die Instandhaltung des Schienenverkehrs verwendeterden.
Im Sommer habe ich mir viele Bahnhöfe in Bayernngeschaut.
ei der Bahn geht es nicht nur um die Frage, wie manit dem Winterchaos umgeht. Sie müssen sich auch ein-al anschauen, wie es um die Barrierefreiheit bestelltt. In unserer älter werdenden Gesellschaft müssten wirtzt umsteuern, damit die Menschen, die auf die Deut-che Bahn angewiesen sind, sie auch benutzen können.
Ich lade Sie gerne ein. Anstatt Zwischenrufe zu ma-hen, können Sie gerne mit den Betroffenen auf dieahnhöfe gehen und sich das Chaos anschauen.
ütter mit Kinderwagen, ältere Menschen und Gehbe-inderte sind in Städten wie Straubing nicht in der Lage,elbstständig mit der Bahn zu fahren.
ieser Zustand ist doch unglaublich! Wenn wir jetzticht umsteuern, wird das in den nächsten 10, 20 Jahreno bleiben.Wichtig ist auch – das ist eine weitere Forderung –,ass wir den Personalabbau insbesondere bei den Werk-tätten und in den Instandhaltungswerken stoppen undieder mehr Personal einstellen.
Wir hatten jetzt zwei besonders kalte Winter, in denens zum Chaos kam. Außerdem hatten wir einen beson-ers heißen Sommer, in dem es ebenfalls zum Chaosam. Herr Ramsauer, liebe Kolleginnen und Kollegenon Schwarz-Gelb, jetzt ist es Zeit für Frühling. Stim-en Sie unserem Antrag zu, damit es Frühling wird!
Das Wort hat nun Arnold Vaatz für die CDU/CSU-raktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Danke, Herr Kollege Pronold, dass Sie uns dieFähigkeit zusprechen, einen früheren Frühlingsbeginnherbeizuführen! Das finde ich hervorragend.
Diese Aussage reiht sich nahtlos an Ihre Forderung anHerrn Dr. Grube, das Wetter zu beeinflussen.Wir hatten im letzten Dezember einen untypisch har-ten Wintereinbruch. Es ist deshalb richtig, dass wir unsheute im Bundestag mit der Frage befassen: Welche Fol-gen hatte das für den Verkehr, und was müssen wir tun,um diese Folgen in Zukunft gering zu halten?
Es wäre schön, wenn dies in einer sachlichen Diskussiongelänge, in der nicht politisch motivierte Schuldzuwei-sungen im Vordergrund stehen, sondern in der es um dieFrage geht: Was können wir in Zukunft tun, um dieDinge zu verbessern? Aber leider lässt Ihr Antrag genaudas nicht zu; das ist das Schlimme.Auf den Punkt gebracht, Herr Kollege Pronold, be-steht Ihr Antrag aus zwei Teilen. Der eine Teil ist derVersuch, Ihr eigenes Versagen in den elf Jahren Ihrer Re-gierungsbeteiligung seit 1998 zu bemänteln und ein JahrSchwarz-Gelb gegen elf Jahre, in denen Sie an der Re-gierung beteiligt waren, aufzuwiegen.
Die Problemlösungen, die Sie im anderen Teil IhresAntrags vorschlagen, enden alle mit dem gleichen so-zialdemokratischen Urschrei: mehr Geld und mehrLeute! Das ist keine Lösung. Das reicht nicht aus.
An den Anfang, Herr Kollege, gehört erst einmal einevernünftige Analyse und eine realistische Bewertung.
Wenn Sie schreiben, die Bahn habe die Chance gehabt,sich als das sicherste und verlässlichste Verkehrsmittelzu erweisen, und diese Chance nicht genutzt, dann sageich: Die Bahn hat diese Chance in einem Maße genutzt,das mir persönlich Respekt abnötigt. Denken Sie nur da-ran, welch eine Einsatzbereitschaft, welch eine Geduldund welch ein Verständnis die Beschäftigten der Bahn indiesen Tagen gezeigt haben.
– Es hat etwas mit Politik zu tun, ob man diese LeistunganerkenntoWvwliSaggsnWmtiRSGkdZstibsmBdKdvpDä
der sie herabwürdigt.
ir erkennen sie an.Wir rufen den Beschäftigten der Deutschen Bahn AGon hier aus zu: Wenn Sie nicht gewesen wären, dannäre der Verkehr in diesem Lande nahezu völlig zum Er-egen gekommen.
ie waren für viele Reisende die letzte Hoffnung, sicherns Ziel zu kommen. Nachdem Flüge reihenweise aus-efallen und die Straßen zu gefährlichen Unfallquelleneworden sind, waren Sie, die Beschäftigten der Deut-chen Bahn, da. – Es wird in diesem Haus doch wohloch erlaubt sein, dies in einer solchen Debatte zu sagen.ir wollen die Menschen, die für unser Wohl sorgen,otivieren und nicht beschimpfen. Das gehört zur Poli-k dazu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eineeihe wirklich ernsthafter Kritikpunkte; an manchentellen haben Sie sicherlich auch recht. Aber das tut deresamteinschätzung, die ich gerade vorgetragen habe,einen Abbruch. Dies gilt übrigens auch für die verän-erten Verspätungszahlen, die heute in verschiedeneneitungen zu lesen sind. Auch dies beschädigt die Ge-amteinschätzung überhaupt nicht.
Wir erwarten von der Bahn, dass eine Reihe von Kri-kpunkten tatsächlich beseitigt wird. Die Kritik beginnteim Informationssystem und betrifft sowohl den Reise-ervice am Telefon als auch das Internetangebot, woan vergeblich auf Auskünfte wartete, ebenso wie aufahnhöfen, wo stundenlanges Schweigen herrschte, so-ass die Passagiere nicht wussten, wie es weitergeht. Dieritik zielt aber auch auf die Situation in den Zügen, inenen zwar Durchsagen erfolgten, diese aber nicht zuerstehen waren, weil die Lautsprecher seit Jahren ka-utt sind.
as muss nicht sein. Das ist inakzeptabel und muss sichndern.
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9578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Arnold Vaatz
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– Doch, das Geräusch konnte man vernehmen. Mankonnte die Durchsage schon als solche identifizieren.Aber der Inhalt war nicht zu verstehen.
Allerdings muss man auch feststellen: Stillstand auf-grund von Leitungsvereisungen, blockierte Gleise durchBaumbruch und das Fahren mit verminderter Geschwin-digkeit wegen der Gefahr von Schotterflug wird es beider Bahn auch in Zukunft geben. Damit werden wir le-ben müssen.
Da Sie in Ihrem Antrag schreiben, auch BahnchefDr. Rüdiger Grube sei es in dem Jahr seit seinem Dienst-antritt nicht gelungen, einen ganzjährigen störungsfreienBetrieb zu gewährleisten, muss ich Sie, abgesehen vondieser weltfremden Anforderung an einen Menschen,
fragen: Was heißt denn „auch“? Sie schreiben, auchBahnchef Grube habe dies nicht geschafft. Das Wort„auch“ hat vier Buchstaben.
Mit diesen vier Buchstaben ist es genauso wie mit denvier Fingern an einer Hand, die auf einen selbst zeigen,wenn man auf andere zeigt.Ich erinnere mich noch sehr gut an die fast flächende-ckenden Stilllegungen ehemaliger Reichsbahnausbesse-rungswerke in ganz Ostdeutschland in den Jahren 2003und 2004. Diese Kapazitäten, die damals in puncto Pro-duktivität keine Vergleiche mehr zu scheuen brauchten,fehlen uns heute. Der damalige Verkehrsminister hießManfred Stolpe, und der damalige Kanzler hießSchröder.
Wer hat uns denn wie ein Wanderprediger den Bör-sengang der Bahn als Allheilmittel empfohlen? Das wardas Duo Mehdorn/Tiefensee.
– Sie haben damit angefangen, also muss ich das zurück-geben.
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uss ich sagen: Es geht nicht, dass Sie sagen: Mit demuten Management während der ersten Finanzkrise hatie Bundeskanzlerin wohl nichts zu tun – während derollege Steinbrück für Sie einer der Väter dieses gutenanagements ist –, aber in diesem Fall ist selbstver-tändlich die Bundeskanzlerin schuld.
eine Damen und Herren, das können Sie sich nichtinfach aussuchen.Gestern hat an dieser Stelle der Kollege Steinmeierestanden und den Anteil der SPD am Aufschwung ineutschland hervorgehoben. Der Kollege Dr. Lindneron der FDP hat ihm dies als fairer Politiker auch zuge-tanden. Wenn das im Positiven gilt, dann muss sich diePD das in Bezug auf ihre vorangegangene Regierungs-rbeit auch im Negativen sagen lassen.
Bezug auf die Bahn gilt: Ihre ganze vernichtende Kri-k an den strukturellen Unzulänglichkeiten der Bahn,oweit sie berechtigt ist, beschreibt das aufeinanderfol-ende Versagen von fünf Verkehrsministern aus Ihrerartei in den letzten elf Jahren.
s ist intellektuell unredlich, das gegen ein Jahr Regie-ngszeit der christlich-liberalen Regierung aufwiegenu wollen.Wir werden das anders machen als Sie. Herrr. Grube und Herr Dr. Ramsauer werden an einemtrang ziehen, und zwar in eine Richtung.
m Ende werden Sie sehen: Wir werden ein sicheres,uverlässiges und leistungsfähiges Verkehrssystemchiene für Deutschland bereitstellen. Dazu sind auchchon wichtige Voraussetzungen geschaffen worden.err Dr. Grube hat sofort personelle und organisatori-che Veränderungen vorgenommen, um die Talfahrt derahn nach der Ära Tiefensee/Mehdorn zu stoppen.Die am stärksten treibende Kraft bei der Benennungnd bei der Behebung der betrieblichen Unzulänglich-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9579
Arnold Vaatz
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keiten ist die Bahn selber. Das hat sich bei vielen Anhö-rungen im Verkehrsausschuss, wo alle Verkehrsexpertenselbst zugegen waren, gezeigt. Sie hat teilweise Pro-bleme erstmalig benannt, über die wir vorher noch garnicht informiert waren. Das ist die Realität. Die Ent-scheidung, dass sich die Bahn dem Brot-und-Butter-Ge-schäft zuwenden muss, bevor sie von der Börse träumt,kommt vom Vorstand. Er hat ein Maßnahmenpaket vor-gestellt, wie er sich dieses Brot-und-Butter-Geschäftvorstellt: für das rollende Material, für die Infrastrukturund für den Kundenservice. Das ist ein Schritt nachvorn.
Ich bin mir sicher, dass dieser Vorstand nach den Ge-schehnissen im Dezember die Optimierungsaufgabe inBezug auf die Notwendigkeit der Vorhaltung von Win-tertechnik und die dabei unerlässliche Kosteneffizienzlösen wird.
Was die von der Politik zu verantwortende struktu-relle Frage betrifft, sind die Winterereignisse zwar einplausibler Aufhänger, das zu thematisieren; aber eineausreichende Grundlage, um das zu besprechen, sind sienicht.Trotzdem will ich sagen: Wir sind auch hier sehr klar.Wir werden die 1994 erfolgreich begonnene Bahnreformfortsetzen. Wir fühlen uns für eine zukunfts- und leis-tungsfähige Infrastruktur verantwortlich. Wir werdendeshalb die Infrastruktursparten DB Netz AG, DB Sta-tion & Service AG und DB Energie GmbH nicht privati-sieren. Die Privatisierung der Transport- und Logistik-sparten werden wir erst dann einleiten, wenn dafürgeeignete Rahmenbedingungen vorhanden sind. Wirsind für einen fairen Wettbewerb und werden daraufdrängen, dass die Deutsche Bahn faire Wettbewerbsbe-dingungen nicht nur auf deutschen Schienen, sondernauch in Europa vorfindet.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen!
Noch einen Satz, Herr Kollege. – Wir müssen das tun,
um auch dort wirtschaftliche Erfolge zu generieren, die
für uns notwendig sind. Schließlich und endlich werden
wir einen Finanzierungskreislauf Schiene schaffen.
Die Trassenerlöse werden wir in die Schieneninfrastruk-
tur zurückführen. Wir werden die Gewinnabführungs-
und Beherrschungsverträge zwischen dem DB-Konzern
und den Infrastrukturunternehmen aufheben.
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Im Sommer 2010 fielen die Klimaanlagen aus. Dieeute saßen entweder im Treibhaus oder in der Sauna.as Problem ist: Winter und Sommer sind nicht daranchuld. Schuld daran sind Union und – tut mir leid –uch SPD und FDP, weil Sie die Bahn an die Börse brin-en und privatisieren wollten.
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9580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Gregor Gysi
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Damit war ja verbunden, dass Sie die Bahn profitabelmachen wollten. Als Erstes haben Sie dann – leider zu-sammen mit den Grünen – das Grundgesetz geändert.Nur wir haben dagegen gestimmt, weil Sie geregelt hat-ten, die Bahn in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln
und künftig – jetzt zitiere ich wörtlich – „als Wirtschafts-unternehmen in privat-rechtlicher Form“ zu führen.
Das bezahlen wir teuer; denn dadurch waren Sie ja ver-pflichtet, die Bahn rentabel und profitabel zu machen.
Wie haben Sie das gemacht? Das kann ich Ihnen sa-gen: Von 1995 bis zum Jahre 2010 haben Sie die Zahlder Beschäftigten halbiert. Deshalb müssen die übrigenjetzt ja so viel leisten. Sie haben die Löhne stagnierenlassen; sie haben mehr als 2 000 Bahnhöfe, vor allem imOsten, stillgelegt; Sie haben mehr als 1 000 Bahnhöfeverkauft; Zehntausende Schalter wurden geschlossen;das Schienennetz wurde um 9 000 Kilometer verkürzt,und massenhaft – Herr Vaatz hat es gesagt – wurdenReichsbahnausbesserungswerke geschlossen, und zwarvon allen Regierungen, auch von der Unionsregierung;darum kommen Sie nicht herum.Die S-Bahn in Berlin hat das Personal von fast allenBahnhöfen abgezogen und eingespart; die Wartungs-intervalle wurden erheblich verlängert; Werkstätten wur-den geschlossen; die Zahl der Beschäftigten für Instand-haltung und Wartung sank – überlegen Sie sich das mal –von 800 auf 200,
und die Zahl der Meister sank von 26 auf 3. Es ist eineinzigartiger Skandal, dass Sie sich trotzdem noch überdas wundern, was wir jetzt erleben.
Weil ja alles profitabel sein sollte, soll die S-Bahnjährlich – auch in diesem Jahr – 50 Millionen Euro ab-führen. Nein, sie braucht dringend Geld für Investitio-nen. Sie kann nicht noch Geld an die Bahn AG abführen.
Die Bahn AG wurde zielstrebig heruntergewirtschaftund kaputtgespart. Die Ergebnisse sehen wir heute: zuwenige Züge, mangelhafte Wartung und Instandhaltung,schlechterer Service.Die Große Koalition – Merkel, Steinmeier, Tiefensee –wollte die Bahn seit 2005 privatisieren. Ein Gesetzent-wurf lag hier zur ersten Beratung vor. Der Protest aus derBevölkerung war aber zu groß, und – ich muss das ein-mal würdigend sagen – ein SPD-Parteitag hat gegen denWmbmSnzwMunmFztemBDIhisdkUngUaTliMBnmhUsG
ie geben Ihre unsozialen neoliberalen Träume leidericht auf.Wir sollten endlich Lehren aus der Krise der Bahniehen:Erstens. Die Bahn ist keine Profitmaschine, sondernichtiger Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge.illionen Bürgerinnen und Bürger sind auf bezahlbarend pünktliche Mobilität angewiesen, um zur Arbeit undach Hause zu kommen, um politische Rechte wahrneh-en zu können, um Angehörige, Freundinnen undreunde zu besuchen, um Urlaub zu machen und Freizeitu gestalten, einschließlich der Besichtigung von Städ-n, Gegenden und Natur. Daher hat die Bahn dem Ge-einwohl und nicht privaten Profitinteressen zu dienen.egreifen Sie das doch endlich!
ie Bahn wird immer ein Zuschussgeschäft sein.
r Betrieb erfordert Milliarden an Investitionen, und siet schon deshalb für Privatisierungen völlig ungeeignet.Zweitens. Die Deutsche Bahn AG muss eine Anstaltes öffentlichen Rechts werden, damit sie demokratischontrolliert werden kann.
nd: Sie muss verpflichtet werden – jetzt kommt esoch dicker, nun warten Sie einmal ab, Sie können sichleich noch mehr aufregen –, wie ein gemeinnützigesnternehmen zu handeln. Gewinnabführungen müssenusgeschlossen werden.
rotz des desolaten Zustandes der Bahn verlangen Sie,eber Herr Ramsauer, die Bundesregierung und dieehrheit im Parlament im Haushaltsgesetz, dass dieahn an den Bund vier Jahre lang pro Jahr 500 Millio-en Euro abführt. Wollen Sie denn, dass gar kein Zugehr fährt? Sie können doch der Bahn nicht noch ernst-aft 500 Millionen Euro wegnehmen! Das ist absurdernsinn, was Sie beschlossen haben.
Drittens. Die bereits erfolgten Teilprivatisierungenind zu stoppen und die Pläne der Bahn AG zu einemlobal Player aufzugeben; denn zu Hause ist genügend
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9581
Dr. Gregor Gysi
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zu tun. Die Bahn soll sich jetzt nicht in Sansibar oder inden USA einkaufen. Sie soll ihre Aufgaben in Deutsch-land erledigen. Es wird höchste Zeit.
Viertens. Es ist alles zu unternehmen, den S-Bahn-Be-trieb so schnell wie möglich wieder in vollem Umfang zugewährleisten. Die S-Bahn in Berlin muss in öffentlichemEigentum verbleiben. Eine Zerschlagung des Unterneh-mens und eine Ausschreibung einzelner S-Bahn-Streckenmuss ausgeschlossen werden.Fünftens. Die Beschäftigten bei der Bahn AG und beider S-Bahn leisten, wie ich schon sagte, gerade vor demHintergrund des Personalabbaus Enormes: Sonder-schichten und Überstunden wurden zur Selbstverständ-lichkeit. Es ist höchste Zeit, dass man an die Beschäftig-ten einen entsprechenden Ausgleich zahlt.
Mobilität ist ein Grundrecht. Wir alle sind verpflich-tet, es zu verwirklichen. Sie müssen lernen, über dieBahn völlig anders zu denken und sie endlich dem Ge-meinwohl unterzuordnen.
Das Wort hat nun Patrick Döring für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweifellosgibt es über den Eisenbahnverkehr in Deutschland nachdem vergangenen Sommer, nach dem vergangenen Win-ter viel zu bereden. Zweifellos gibt es Dinge zu klären,sowohl bei der Infrastruktur als auch beim rollenden Ma-terial. Herr Kollege Gysi, ich kann es Ihnen gar nicht sorichtig übelnehmen – Sie folgen den Debatten zu diesemThema sonst eher nicht so intensiv –, dass Sie glauben,dass man die Probleme durch Schlagworte wie Gemein-wohlorientierung und ein bisschen Sozialromantik lösenkann. Das wird nicht gelingen, und das können wir Ihnenauch beweisen.Es lohnt sich, in diesen Tagen die Bundestagsproto-kolle von 1994 zur Debatte über die Organisationspriva-tisierung der Bahn nachzulesen. Es ist interessant, wasdie Sozialdemokraten und die christlich-liberale Koali-tion seinerzeit vorgetragen haben.
In diesem Jahr, als nämlich Deutsche Bundesbahn undDeutsche Reichsbahn die DB AG gebildet haben, reich-ten die Einnahmen aus Fahrkartenentgelten nicht aus,die Personalkosten zu decken. Eine Bahn zulasten desSteuerzahlers haben wir Gott sei Dank nicht mehr.WWwlebzcuvntiDruazlaDsteRvWasDpZw
er zurück zur Behördenbahn will, wo sich mächtigeahlkreisabgeordnete ICE-Halte bestellen können, derird mit uns diesen Weg nicht gehen können. Wir wol-n den Schienenverkehr dort, wo die Menschen ihnrauchen, und nicht, wo er ausgekungelt wird.
Lassen Sie uns zurückschauen: Wie ist es eigentlichu dem Konzern gekommen, über den wir heute spre-hen? In der Tat hat sich die Bahn seit 1994 – auch 1998nter Rot-Grün und danach unter der Großen Koalition –on einem nationalen Unternehmen zu einem internatio-alen Logistikunternehmen entwickelt. Der Begriff „Na-onal Champion“ stand im Raum.
as war die Philosophie, die die damalige Bundesregie-ng dem Konzern aufgegeben hat.Wir sehen heute, dass es in der Tat ordnungspolitisch,ber auch eisenbahnpolitisch falsch war, den Eindrucku erwecken, dass es wichtiger ist, außerhalb Deutsch-nds Geschäfte zu machen als innerhalb Deutschlands.
iese Auffassung hat die FDP schon immer vertreten.
Wir sollten uns auf das konzentrieren, was der Deut-che Bundestag in diesen Fragen schon mehrfach bera-n hat. Geschätzter Herr Kollege Pronold, bei allemespekt vor der Oppositionsarbeit: Man kann sich nichtor dem davonstehlen, was Ihre Minister in der letztenahlperiode gemacht haben.
Finanzminister Steinbrück wollte 2 Milliarden Eurous der Bahnprivatisierung keineswegs für die Infra-truktur, sondern für den Bundeshaushalt verwenden.er frühere Bundesminister Tiefensee hat in der Hoch-hase der Debatte über die Bahnprivatisierung in einemeit-Interview wunderschön vorgetragen: „Langfristigerden wir die Bundeszuschüsse minimieren können.“
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9582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
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struktur geben! Sagen Sie mal die gesamteWahrheit! Unsinn!)All das wollten Sie. Sie haben Herrn Mehdorn undsein Management auf dem Weg in die Internationalisie-rung unterstützt. Sie wollten eine Privatisierung mit Netzund haben nie begriffen, dass es falsch ist, das Unterneh-men als Ganzes zu betrachten, weil die unterschiedli-chen Verkehrssparten unterschiedlich privatisierungsreifsind. Sie sind überwiegend nicht privatisierungsfähig,zum Beispiel die Infrastruktur. Sie haben doch in densieben Jahren Rot-Grün und in der Großen Koalition denintegrierten Konzern überhaupt erst geschaffen.
Die Intransparenz, die Sie ebenso beklagen wie wir, istentstanden, weil der Konzern heute so ist, wie er ist.Lassen Sie mich zu dem kommen, was der KollegeGysi wortreich zu den betriebswirtschaftlichen Kenn-zahlen des Unternehmens vorgetragen hat.
Ich glaube, es gehört zur Wahrheit dazu, dass wir auf daszurückkommen, was das Unternehmen heute leistet undwas es kann.Ich sage noch einmal: Wir wollen, dass das Unterneh-men wirtschaftlich arbeitet. Warum? Es gibt nur zweiMöglichkeiten, Investitionen im Unternehmen zu finan-zieren, nämlich entweder durch Schulden oder durch Er-trag. Wenn man das Unternehmen nicht bis unter dasDach verschulden will – letzten Endes sind die Schuldeneiner 100-prozentigen Tochter des Bundes die Schuldendes Bundes –,
dann muss das Unternehmen einen Ertrag erwirtschaf-ten, um diesen investieren zu können. Das geschieht, seitwir regieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke?
Ich führe zunächst die Zahlen aus. Danach gerne.
Man kann auch belegen, dass die Investitionen im
Unternehmen anwachsen, wie es Herr Vorstandsvorsit-
zender Grube und der Bundesminister seit der Regie-
rungserklärung und dem Machtwechsel im Konzern vor-
tragen. Im Mobilitäts- und Logistikkonzern, also in dem
Teil, der nur der Beförderung von Gütern und Personen
dient, betragen die Investitionen des Konzerns im Jahr
2009 1,1 Milliarden Euro, im Jahr 2010 1,2 Milliarden
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iese Zahlen hat das Unternehmen auf einer Pressekon-
renz vor dem Winter vorgetragen.
s lohnt sich manchmal, sich mit der Mittelfristplanung
on Unternehmen, die einem gehören, zu beschäftigen,
eschätzte Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin entschieden dafür, dass wir über die Frage
prechen: Was bringt uns das in wirtschaftlicher Hinsicht
r das Netz und die Investitionsmöglichkeiten? Sie ha-
en völlig recht, dass neben den Steuermitteln auch Ei-
enmittel des Konzerns in das Netz fließen müssen.
ber auch hierbei verweise ich auf die Zahlen, die bele-
en, was der Konzern seit Beginn unserer Regierungs-
eit macht: Im Jahr 2009 sind 1,8 Milliarden Euro zu-
ätzliche Mittel aus Eigenmitteln in das Netz geflossen.
010 waren es 2 Milliarden Euro. 2011 sind es 3 Milliar-
en Euro, 2012 3,8 Milliarden Euro und 2013 4 Milliar-
en Euro erwirtschaftete Eigenmittel aus der Infrastruk-
r, die in die Infrastruktur fließen.
as ist kluge Politik, die unsere kluge Haushaltspolitik
rgänzt. Damit müsste die Legendenbildung an dieser
telle ein Ende haben.
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Herr Döring. – Erste Frage. Ich habe Ih-n Ausführungen genau zugehört. Mich interessiert:immt die Bundesregierung nun Einfluss auf das Bun-esunternehmen DB AG, sodass die Auslandsgeschäfteckgängig gemacht werden? Sie haben diese Geschäfteritisiert. Das wäre dann die logische Folge.Zweite Frage. Ich komme aus der Industrie und weiß,ie Maschinen gewartet werden. Wie sehen Sie dasenn? Welche Informationen haben Sie? Wenn Maschi-en nicht gewartet werden, wenn Wartungszyklen stän-ig verlängert werden, ist das keine nachhaltige Wirt-chaftspolitik, weil dann ein viel größerer Schadenntsteht. Dieser Schaden muss natürlich auch bezahlt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9583
Eva Bulling-Schröter
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werden. Ich weiß nicht, wie oft Sie Zug fahren, aber ichkann Ihnen nur sagen: Wenn die Züge stehen bleibenund Menschen stundenlang in Zügen warten müssen,dann ist das keine gute Geschäftspolitik. Dann sagen dieKunden das nächste Mal: Da es keine Alternativen gibt,fahre ich wieder mit dem Auto oder nehme das Flug-zeug.Im Hinblick auf den Klimaschutz, zu dem sich dieBundesregierung bekennt, sage ich als Umweltpolitike-rin: Hier müssen wir noch wesentlich mehr tun. Da soll-ten Sie zu Ihren Versprechen stehen.
Erste Anmerkung. Geschätzte Kollegin, selbstver-
ständlich werden wir in der Koalition und mit dem
Bahnvorstand über die Internationalisierung sprechen.
Ich persönlich bin der Meinung – ich bin sicher, dass
viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen das teilen –,
dass weitere Investitionen in ausländische Geschäftsfel-
der angesichts der aktuellen Qualität des Verkehrs im In-
land nicht darstellbar sind, um es offen zu sagen.
Zweite Anmerkung. Sie machen bei dem Thema War-
tung und Wartungspersonal immer den Fehler, nur da-
rauf zu achten, was sich im Konzern getan hat. Sie müs-
sen einfach sehen, dass die Wartungskapazitäten, über
die die S-Bahn nicht mehr verfügt, bei den Herstellern
sind. Sie können das falsch finden. Aber es ist egal, wer
wartet. Hauptsache, es wird gewartet.
Das findet statt, sehr geschätzte Kollegin.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenbe-
merkung der Kollegin Barbara Hendricks?
Sehr gerne.
Herr Kollege Döring, ich erlaube mir eine Zwischen-
bemerkung, die sich auch an Sie in Ihrer Eigenschaft als
Mitglied des DB-Aufsichtsrates richtet. Ich erzähle ein-
fach eine Geschichte aus dem Leben, wie sie viele Men-
schen in diesem Winter erlebt haben.
Ich bin am 2. Januar aus Innsbruck zurückgereist. Der
Zug hatte auf der Strecke nach München ziemlich viel
Verspätung. Das lag in erster Linie an der österreichi-
schen Bahn; das ist nicht zu bestreiten. Das bedeutete
aber, dass wir den in Richtung Nordrhein-Westfalen fah-
renden Eurocity, den wir in München eigentlich hätten
bekommen sollen und für den wir natürlich, wie es sich
an stark frequentierten Reisetagen gehört, reserviert hat-
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in weiteres Problem war, dass der ICE nur halb so lang
ie vorgesehen war. Die Wagen 21 bis 28 waren da.
ber auch die Menschen, die für die Wagen 29 bis 38 re-
erviert hatten, wollten natürlich mitfahren. Diese Wa-
en waren aber nicht da.
Dieses Erlebnis vom 2. Januar ist typisch. Alle Urlau-
er, die an diesem Tag unterwegs waren, haben Ähnli-
hes erlebt und waren im Recht; denn fast alle hatten or-
entliche Preise gezahlt und reserviert, wenn auch nicht
nbedingt für diesen Zug. Wir hatten immerhin den Vor-
il, in der ersten Klasse zu sitzen. Dort war es nicht
anz so voll. In der zweiten Klasse war es viel schlim-
er. Ein Beispiel. Ein sehr großer Mann stieg mit seiner
rau ein.
Frau Kollegin, können Sie Ihre Zwischenbemerkung
in bisschen abkürzen? Sie sollen hier kein Koreferat
alten.
Ich mache es kurz. – Dieser große Mensch, der kaum ICE stehen konnte, sagte zu seiner Frau völlig ver-weifelt: Dafür haben wir 300 Euro in der ersten Klasser eine Strecke bezahlt. – Es war also offenbar einensch, der nicht immer erster Klasse fährt.Die Stimmung war nahe am Aufruhr.
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9584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Barbara Hendricks
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Ich hätte es sehr leicht zum Aufruhr bringen können,wenn ich gesagt hätte: In dieser Situation muss die Bahnauch noch 500 Millionen Euro an den Bundeshaushaltabliefern.
Geschätzte Frau Kollegin Hendricks, in der Tat ist esso, dass jeder von uns diese Erlebnisse hatte und jedermassenhaft Briefe aus seinem Wahlkreis bekommen hat.
– Ich auch persönlich.Es bestreitet doch kein Kollege meiner Fraktion undkein Kollege der Unionsfraktion, dass es Qualitätspro-bleme, Managementprobleme, Umsetzungsproblemeund technische Probleme am rollenden Material gibt.Das ist doch unbestritten und in der Fehleranalyse auchbewiesen. Deshalb steigern wir doch die Investitionenfür das rollende Material in diesem Maße.Ich sage aber auch – dabei bin ich mit dem KollegenVaatz vollkommen einig –: Ich bitte darum, nicht nur im-mer zu sehen, dass diejenigen, die mit dem rollendenMaterial die Menschen befördern, große Verantwortungtragen. Vielmehr haben diejenigen, die das rollende Ma-terial geliefert haben, nicht immer das geliefert, was be-stellt war, und es nicht immer in der Qualität geliefert,wie wir uns das gewünscht haben. Das anzuerkennen,gehört zur Fairness dazu.Deshalb plädiere ich für die Konzentration auf das in-ländische Geschäft. Wir wollen alle sicherstellen, dassSie in einem Jahr eine solche Geschichte möglichst nichtmehr erzählen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließendmöchte ich auf die Legende um die Dividende zu spre-chen kommen. Sie schaffen es tatsächlich immer wieder,neue betriebswirtschaftliche Begriffe einzuführen. DenBegriff „Zwangsdividende“ kennt das Aktienrecht nicht.
Vielmehr entscheidet die Hauptversammlung nach Vor-schlag darüber, was mit dem Gewinn passiert.Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Ertragslage. Eine Divi-dende wird gezahlt, nachdem ein Unternehmen alle Kos-ten abgezogen und Investitionen vorgenommen hat.Abgezogen werden außerdem Abschreibungen undZinskosten.
Das ist dann das Ergebnis vor Steuern. Sie tun immer so,als säße irgendwo ein Verrückter, der sich eine Divi-dende von 500 Millionen Euro ausgedacht hätte,uliuGliddihDmdis–PKaumÜbdAnteDvKDDrefazmddWHs
nd zwar völlig unabhängig von der Planung hinsicht-ch des Ergebnisses nach Steuern im Konzern.
Ich sage Ihnen: Die Ergebnisse allein der Mobilitäts-nd Logistiksparte nach Steuern werden sich in einerrößenordnung bewegen, dass es ohne Probleme mög-ch ist, die Investitionen weiter zu erhöhen und die Divi-ende an den Bund auszuzahlen. Das ist nachlesbar iner mittelfristigen Planung. Die Aufsichtsräte kommenrer Aufgabe nach und haben das getan.
eshalb ist die Behauptung falsch, dass ein Unterneh-en, das mehr als 1 Milliarde Euro nach Steuern ver-ient, keine 500 Millionen Dividende zahlen kann. Dast schlicht falsch.
Nein. Ich berufe mich ausschließlich auf das, was inressekonferenzen veröffentlicht wurde.Natürlich gibt es in unserer Fraktion und in dieseroalition die Erkenntnis, dass sich der Konzern mehruf die Ertüchtigung der Infrastruktur in Deutschlandnd auf die Verkehre in Deutschland konzentrierenuss. Wir unterstützen den Bundesminister bei denberlegungen zum Finanzierungskreislauf Schiene. Erezieht sich dabei auf das, was im Koalitionsvertrag nie-ergelegt worden ist.CDU/CSU und FDP knüpfen an ihren gemeinsamenntrag aus rot-grüner Zeit an. Für diejenigen, die esachlesen wollen: Das ist die Drucksache 15/2156. Un-r den Fraktionsvorsitzenden Dr. Angela Merkel undr. Wolfgang Gerhardt haben wir unsere Vorstellungenon einer Bahnreform und einer Weiterentwicklung desonzerns niedergelegt.Dabei gibt es Unterschiede zu dem, was Sie wollten.iese Unterschiede finden Sie im Koalitionsvertrag.azu werden wir alsbald Aussagen treffen.Ich sage für die FDP-Fraktion: Gegen die Bundes-publik Deutschland läuft ein Vertragsverletzungsver-hren, was die Unabhängigkeit des Netzes angeht. Deruständige EU-Kommissar, Vizepräsident Kallas, hateinen Kollegen und mir geschrieben: Die Richtlinieer Europäischen Union verlangt die Unabhängigkeit beier Entscheidungsfindung.
eiter fordert er Maßnahmen, die jede Kontrolle derolding über die Entscheidung der DB Netz AG aus-chließen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9585
Patrick Döring
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Deshalb bleiben wir dabei, dass der Prüfauftrag überdie Beherrschungsverträge, der im Koalitionsvertragniedergelegt ist, zu dem Ergebnis kommen wird, dassdas mit europäischem Recht nicht vereinbar ist.
In dem Beherrschungsvertrag steht der schöne Satz: DieDB Netz AG unterstellt die Leitung ihrer Gesellschaftder DB AG. – Das ist mit Vorstellungen von unabhängi-ger Geschäftsführung nicht vereinbar.Deshalb wird es Veränderungen geben, die die Ein-flussmöglichkeiten des Bundes und der Aufsichtsrätestärken werden. Das ist jedenfalls eine Überlegung, diewir weiter verfolgen.Die Eisenbahnpolitik der Vergangenheit war viel-leicht zu stark managementgeprägt. Der frühere Vor-standsvorsitzende Mehdorn hat sicher sehr starken Ein-fluss auf das Bundesverkehrsministerium und auf dasBundesfinanzministerium gehabt. Gelegentlich hatteman das Gefühl: Die Eisenbahnpolitik von Rot-Grünund Schwarz-Rot war reine DB-Interessenpolitik. Dasist zu Ende. Diese Koalition macht Eisenbahnpolitik füralle, die auf der Schiene fahren wollen, auch für die vie-len Wettbewerber;
denn Wettbewerb ist gut für den Kunden und für dieQualität der Bahn.
Wir wollen nicht zurück zum Monopolbetrieb. Werheute von Hamburg nach Frankfurt fliegt und mit derLufthansa unzufrieden ist, kann Air Berlin wählen, undin der Regel tut er das auch. Deswegen strengen sichbeide Unternehmen an, gute Qualität zu liefern. Ichwünschte mir manchmal, wir hätten im Fernverkehrdiese Möglichkeit. Dann wäre vielleicht die eine oderandere Problematik, wie sie Frau Kollegin Hendricks ge-schildert hat, nicht in diesem Umfang da.Kurzum, diese Koalition sorgt durch ihre Eisenbahn-politik dafür, dass der Konzern gut arbeitet,
dass Schienenverkehrspolitik besser wird, dass in Netzund rollendes Material so viel wie noch nie investiertwird, ohne die Verschuldung des Konzerns zu erhöhen.Die Aufgabe ist, mit dem Geld, dem Vermögen der Steu-erzahler das größte Bundesunternehmen noch besser zumachen und damit am Ende für alle Menschen die Quali-tät zu erhöhen. Die Qualitätsmängel, die wir heute bekla-gen, gehen zurück auf eine verfehlte Eisenbahnpolitik.Diese Mängel haben die SPD-Minister in den elf Jahrenihrer Regierungszeit zu verantworten.WBlasSdDfuimteDsdkghzCddmdaHsEriimnadmDzfüaF
ir machen Schluss damit.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Zeitng hat man gedacht, die größten vier Feinde der Deut-chen Bahn seien die vier Jahreszeiten: Frühling,ommer, Herbst und Winter. Das ist aber nicht so, undaran hat die Debatte hier bisher auch nichts verändert.ie größten Feinde der Bahn, die größten Feinde einesnktionierenden Bahnverkehrs, ob im Fernverkehr oder Nahverkehr, sind am Ende die Bundesverkehrsminis-r gewesen.
a können einem die Kunden, die auf den Bahnsteigentanden und froren, samt der Mitarbeiter, die dort stan-en und froren und die Fragen gar nicht beantwortenonnten, nur leidtun.Herr Döring, ich sehe Ihnen angesichts Ihrer enga-ierten Rede voller Prüfaufträge nach, dass Sie gesagtaben: Wir fangen jetzt an. – Ich komme darauf gleichurück. Sie sind neu in dieser Koalition. Die Schwarzen,DU/CSU, sind jetzt sechs Jahre an der Regierung, undeshalb, Herr Döring, kann man an dieser Stelle sagen,ass bei dieser Koalition, bei diesem Bundesverkehrs-inister keine gute Bahnpolitik gemacht wird, sondernass sie eher eine komplette Fehlanzeige ist, und zwaruf Kosten der Kunden.
Da sagt Herr Ramsauer, er telefoniere fast täglich miterrn Grube. Das finde ich schön. Nur, worüber redenie da? Worüber reden sie bei diesen Telefongesprächen?s gab zweimal hintereinander Winterchaos. Es gab üb-gens auch ein Sommerchaos. Im Winter erfriert man, Sommer wird man gegrillt. Vielleicht sollten Sieicht so oft telefonieren und endlich einmal das Geschäftnpacken!Putzig ist, Herr Ramsauer, dass auch Sie anfangen,as Ganze auf die Vorgängerregierung zu schieben. Dasachen wohl alle gern. Ich muss einmal sagen: Dieseebatte brauchen wir hier gar nicht zu führen. Liebe So-ialdemokraten, auch ihr solltet diese Debatte hier nichthren, weil auch dann gilt: Wer mit dem Zeigefingeruf andere Leute zeigt, sollte nie vergessen, dass dreiinger seiner Hand auf ihn selbst zeigen.
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9586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
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Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich[Hof] [CDU/CSU]: Lasst euch nicht be-schimpfen! Wehrt euch!)Es war Bundeskanzler Schröder, der Mehdorn bei derBahn haben wollte. Außerdem wollte er den Börsen-gang. Die Grünen haben stets gesagt: Die Voraussetzun-gen für einen Börsengang liegen nicht vor. Wir habenihn unter Rot-Grün verhindert.
Die weitere Verschiebung des Börsengangs kam erst mitder Finanzkrise im Oktober 2008. Da hat die GroßeKoalition ihn immer noch gewollt.
Also vergessen wir lieber, was war, und sagen wirjetzt, wie es möglich ist, dass wir in Zukunft endlich einepünktliche und zuverlässige Bahn haben, damit die Men-schen zur Arbeit kommen, ihre Dinge erledigen könnenund die Wirtschaft eine funktionierende Hauptschlag-ader für ihren Transport hat. Um diesen Blick nach vornegeht es.
Herr Döring, noch ein Satz zu Ihren Angaben, wieviel investiert wurde. Sie haben so getan, als sei alles sowunderbar. Eine Zahl haben Sie vergessen.
– Sie haben gesagt, dass es mehr wird; das ist noch keineAussage. – Sie hätten auch ehrlich sagen müssen, dassGewinne der Netz AG in Höhe von 768 Millionen Euronicht im Netz geblieben sind, sondern per Gewinnab-schöpfung herausgezogen wurden. Dann hat die Deut-sche Bahn AG Arriva in Großbritannien gekauft. DasErgebnis ist: Die DB ist Europachampion beim Busver-kehr. Überall fahren Busse der Deutschen Bahn, nur inDeutschland, in Berlin geht nichts. Da schauen die Leuteauf die Gleise und hören und sehen gar nichts. Also,auch unter dieser Regierung, Herr Döring, wurde dieFehlentwicklung fortgesetzt.
Sie haben viele Beispiele genannt, worüber Sie mitder Bahn sprechen wollen. Ich sage dazu: Allein, mirfehlt der Glaube. Ich will nicht, dass Sie sprechen, ichwill nicht, dass Sie prüfen, sondern ich will, dass Sie hierzum Beispiel ganz klar sagen: Wir wollen alles dafürtun,
dass das Netz unabhängig von der DB wird und in un-mittelbares Eigentum des Bundes überführt wird, damites nicht mehr ausgequetscht wird, sondern zur Basis-infrastruktur in Deutschland wird. Den Satz suchen wir.
Wir brauchen die Trennung von Netz und Transport,weil nur dann auf diesem Netz ein guter Wettbewerb miteinem zuverlässigen Verkehr stattfinden wird. Wie beidR–DWzdsu–undhSgrua–rumWu–ddhnimdsdAgSrikv–d
Sie haben es vorgelesen. – Wir wollen im Rahmen deraseinsvorsorge auch Wettbewerb auf der Schiene.enn man mit einem S-Bahn-Betreiber, um ein Beispielu nennen, einen Vertrag schließt, der nicht funktioniert,ann kann man doch nicht sagen, nur eine staatliche Lö-ung wäre die Ideallösung. Sie brauchen regionale Netzend das Eigentum am Netz.
Wer in Berlin Zehntausende von Wohnungen verkauftnd sich danach beklagt, dass es zu wenig Sozialwoh-ungen gibt, sollte mit uns nicht über Privatisierung re-en. Wir denken vorher nach. Das ist manchmal ganzilfreich.
chauen Sie sich die Situation an: Die Berliner S-Bahnehört dem Bund, gefahren ist sie trotzdem nicht. Wa-m? Weil es einen miserablen Vertrag gibt. Es kommtuch auf den Vertrag an, den Sie abschließen.
Blöd gefragt, Herr Pronold. Das ist Ihnen so herausge-tscht. Der rot-rote Senat war es, im Jahr 2002. Ich willeinem Freund Gregor Gysi sagen, was das Buch derahrheit sagt: Januar bis August 2002 Bürgermeisternd Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin.
– Zuruf
des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])Das war die beste Zeit. Ich hoffe nur für dich, dass duiesen Vertrag nicht auch noch unterschrieben hast, dau so tust, als ob du die Weisheit mit Löffeln gefressenättest. So viel Zeit muss sein.
Es war ein miserabler Vertrag, der vom rot-roten Se-at abgeschlossen wurde. Als dann die Bahn den Vertrag Sack hatte, hat sie in Heuschreckenart angefangen,ie S-Bahn im wahrsten Sinne des Wortes auszuquet-chen. Ich sage Ihnen: Es muss und wird in Zukunft an-ers sein. Es darf keine Direktvergaben mehr geben.uch das Bundeskartellamt sagt, dass das nicht geht. Eseht auch nicht über den Trick, ausländische Töchter zuubunternehmern zu machen. Was wir brauchen, ist einchtiger Wettbewerb auch im Schienenpersonennahver-ehr. Die Rechte der Mitarbeiter sind durch den Tarif-ertrag der Bahnbranche gesichert.
Lieber Herr Pronold, es werden viele Mitarbeiter vonen Billigtöchtern der Deutschen Bahn davon pro-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9587
Renate Künast
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fitieren, dass sie endlich ordentliche Löhne bekommen.Man sieht auch daran, dass das Staatliche nicht immerhilft.Wir sagen eines ganz klar: Wir brauchen nicht nurPrüfaufträge, sondern wir müssen eine neue Bahnpolitikbetreiben. Wir brauchen neue Strukturen und Regeln.Weg mit der Zwangsdividende, weg mit der internen Ge-winnabschöpfung! Das Geld muss im Netz bleiben. Netzund Transport sind zu trennen. Wir brauchen eine Kri-senprävention. Nur über den Weg kommen wir endlichdahin, wohin wir müssen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Gute Bahnpolitik ist Daseinsvorsorge. Man könnte
fast sagen: Die Menschen haben ein Recht darauf, dass
wir alle uns anstrengen, damit die Bahn pünktlich und
zuverlässig ist.
Das Wort hat nun Bundesminister Peter Ramsauer.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bei aller Aufgeregtheit möchte ich als Bun-desverkehrs- und -bauminister zunächst einmal persön-lich, aber auch im Namen der Bundesregierung all jenenim Land ganz herzlich danken, die auf den Straßen, beider Schiene, auf den Wasserstraßen oder auf den Flughä-fen bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee Tag undNacht Betriebsdienste geleistet haben. Respekt vor derLeistung dieser Mitarbeiter!
– Dafür hätte ich von den Fraktionen, die sich sonst alsVertreter von Arbeitnehmerinteressen wähnen,
Beifall erwartet. Dass Sie hier keine Hand zum Beifallrühren, ist eine Blamage für Sie.
Wir erkennen die Leistung dieser Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer voller Respekt an.
– Dann könnten Sie diesen Menschen draußen im Landeden Respekt auch durch einen Beifall bekunden. Sie tunes nicht.eskuDvsSinz–Rs2HDdmssvdkIhteFakv„csH
a wird natürlich Barrierefreiheit hergestellt.Herr Pronold, Sie geben Presseerklärungen heraus, inenen Sie von irgendwelchen Maulhelden reden. Dazuuss ich sagen: Gerade Sie sind berufen, so etwas zuchreiben.
Ich bin dankbar dafür, lieber Verkehrs- und Bauaus-chussvorsitzender, Kollege Winfried Hermann, dass ichorgestern das zehnte Mal im Ausschuss sein durfte. Beiiesen zehn Besuchen von mir im Ausschuss haben Sieein einziges Mal Ihren Mund aufgemacht. Manche ausrer Fraktion würden sich wünschen, dass Sie wenigs-ns ein Maulheld wären. Aber Sie sind stumm wie einisch. Sie bringen im Ausschuss nicht einmal den Munduf, wenn ich da bin. Es ist leider so.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, jetztomme ich zu dem Antrag, den Sie zur heutigen Sitzungorgelegt haben. Der Antrag ist mit den WortenDeutschland braucht im ganzen Land einen verlässli-hen und sicheren Schienenverkehr“ überschrieben. Mitolchen Plattitüden würden wir keinen Antrag in diesemohen Hause überschreiben.
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NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich,was er vorträgt!)Das ist wohl selbstverständlich. Ich sage Ihnen ganz ehr-lich: Diesen Antrag stellen Sie 12 oder 13 Jahre zu spät.Den hätten Sie im Jahr 1998 oder 1999 einbringen sol-len, als Sie mit Schröder und zusammen mit den Grünendie Bundesregierung gestellt haben; dann wären vieleder Defizite ausgeblieben, die wir heute zu beklagen ha-ben.
Einer meiner Vorgänger war Kurt Bodewig. Übrigenswerden Sie mich mit nichts dazu bringen, in irgendeinerWeise über irgendeinen meiner Vorgänger,
sei es auch irgendeiner meiner fünf SPD-Vorgänger, her-zufallen. Das überlasse ich Ihnen; ich nicht. Ich habepersönlich Respekt vor allen Vorgängern.Ich möchte eine Aussage von Kurt Bodewig zitieren.Er hat am 9. Januar in „Berlin direkt“ im ZDF über dierot-grüne Verkehrspolitik gesagt:Eine der gravierendsten Auswirkungen– dieser Politik in der Retrospektive –war eigentlich, dass die Investitionsplanung derBahn auf Kante genäht worden ist. Man kann dasheute feststellen: Damals wurden die Serviceinter-valle verlängert, damit die Qualität reduziert undauch die eigentlich vorzuhaltenden Reservekapazi-täten wurden verringert. Darunter leidet die Bahn.Wo Bodewig recht hat, hat er recht.
Wir haben über alle Fragen im Zusammenhang mitdem Winter bereits im Ausschuss diskutiert. Ich bedankemich noch einmal bei Ihnen, Winfried Hermann, als Vor-sitzendem des Verkehrsausschusses,
dass Sie meiner schon vor Weihnachten geäußerten Bitteentsprochen haben, im Ausschuss vortragen und berich-ten zu dürfen. Zugegebenermaßen ist es nur ein Zwi-schenbericht, weil wir noch mitten im Winter stehen.Möglicherweise liegt der dickste Winter noch vor uns.Obwohl es kalendarisch gesehen noch Herbst war,war der Dezember ein Wintermonat, und zwar derstrengste seit Jahrzehnten. Man muss daher die Pro-bleme der Bahn im Vergleich zu denen der anderen Ver-kehrsträger sehen. In Ihrem Antrag steht ein völlig rich-tiger Satz:Die Fluggesellschaften gaben die Empfehlung he-raus, dass innerdeutsch Reisende möglichst vonvornherein alternative Verkehrsmittel nutzen soll-ten.Ja klar, die Bahn hat im großen Stile Ersatzverkehre fürandere Verkehre, auch für den Straßenverkehr, schaffenmbWgfüDssdaFledimlisAdhMhghnAdhDKBzfaBs
enn bei anderen Verkehrsträgern wird fast selbstver-tändlich hingenommen, dass Beeinträchtigungen ent-tehen.Frau Hendricks, Sie haben von Ihren Erlebnissen miter Bahn berichtet. Ähnliche Berichte gibt es natürlichuch über den Flugverkehr. Was die Pünktlichkeit imlugverkehr angeht, gibt es ebenfalls katastrophale Zah-n. Etwa 10 Prozent aller Flüge sind ausgefallen. Beien Flügen, die tatsächlich stattgefunden haben, gibt es Großen und Ganzen wahrscheinlich ähnliche Pünkt-chkeitsquoten, wie wir sie im Bahnverkehr hatten. Hieritzen viele, die darüber berichten können.Ich möchte auch dies in aller Deutlichkeit feststellen:ngesichts der Widrigkeiten des Winters kann nieman-em quasi ein Vollkaskoanspruch, also ein Anspruch aufundertprozentige Verkehrsleistung, gewährt werden.anchmal wird so getan, als sei dies möglich.Auch die Straße hatte ihre Probleme. Aber wir habenier gut vorgesorgt. Wir haben die Streusalzreservenanz gezielt aufgebaut. Ich bedanke mich bei allen, dieier mitgeholfen haben. Gott sei Dank haben wir auchoch rechtzeitig die Winterreifenpflicht eingeführt.
uch da hat es ein Kuriosum gegeben. Ausgerechnetiejenigen, die gegen eine Winterreifenpflicht waren,aben vor wenigen Wochen eine Verschärfung gefordert.
as soll einmal irgendjemand verstehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Volkmer von der SPD-Fraktion?
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
au und Stadtentwicklung:
Ja.
Ich habe eine ganz kurze Frage. Verfügen Sie als deruständige Minister über die interne Pannen- und Aus-llstatistik der Deutschen Bahn?Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,au und Stadtentwicklung:Ist die Frage zu Ende? Es ist schlecht für einen Frage-teller, wenn niemand merkt, dass die Frage zu Ende ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9589
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Ich wiederhole die Frage gerne: Verfügen Sie als der
zuständige Minister über die interne Pannen- und Aus-
fallstatistik der Deutschen Bahn?
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Ich habe vorhin bereits gesagt – darin liegt die Ant-
wort –, dass wir in dem Bericht, den ich im Ausschuss
vorgelegt habe, die Zahlen von der DB AG wie auch die
Zahlen von den anderen Verkehrsträger verwendet ha-
ben. Wenn Sie aber die Zeitintervalle anders gestalten
– damit wird die Grundmenge N verändert; so nennt
man das in der Statistik – und beispielsweise nur den be-
rühmten zweiten Weihnachtsfeiertag zugrunde legen,
dann bekommen Sie natürlich völlig andere Quoten.
Deswegen heißt es zum Beispiel auch „teilweise unter
70 Prozent“.
Unter 70 Prozent umfasst natürlich auch die 20 Prozent,
die wir angeblich am zweiten Weihnachtsfeiertag hatten.
Sie können sich setzen.
Haben Sie die oder nicht?
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:
Ich habe Ihre Frage beantwortet.
Herr Präsident, die Kollegin hat eine Nachfrage.
Frau Kollegin, wollen Sie eine Nachfrage stellen?
Ja.
Dann bitte schön.
Ich habe die Antwort so nicht verstanden. Michwürde interessieren: Haben Sie die Daten, ja oder nein?Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Wir haben die Daten der Deutschen Bahn AG ver-wendet, genauso wie wir für den Flugverkehr die Datender Fluglinien und der Flughäfen verwendet haben unddie Erkenntnisse aus dem Straßenverkehr.
Wir werden natürlich bei der DB AG mit den Konse-uenzen genau dort intensiv weiterarbeiten,
o ich vom ersten Tag an begonnen habe, als ich Minis-r wurde. Wir werden intensiv weiter in den Betrieb und das Netz investieren. Wir müssen in die Vorhaltungon Kapazitätsreserven investieren. Wir müssen deutlichehr für die Instandhaltung und für die Reparatur desllenden Materials aufwenden. Wir dürfen dieses ganzeystem nicht auf Verschleiß fahren. Aber ich betoneoch einmal: Die Probleme sind nicht von heute auforgen abzuarbeiten.
Wir arbeiten auch an einer Novellierung des Allge-einen Eisenbahngesetzes, um endlich einmal die Ver-ntwortlichkeiten der Hersteller auf der einen Seite under Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf der andereneite klarzustellen. Ich als Bundesverkehrsminister bins leid, dass hier die Verantwortlichkeiten ständig hin-nd hergeschoben werden. Das muss ein Ende haben.eswegen werden wir in den kommenden Monaten auchit der entsprechenden Gesetzgebungsinitiative kom-en.
Wir werden auch – die Gespräche dazu haben begon-en – Schritt für Schritt einen Finanzierungskreislaufchiene herstellen. Der Bund nimmt seine Verpflichtungnd Verantwortung wahr, hier für zuverlässige Finanzie-ngsbedingungen zu sorgen.Zu der Dividende hat der Kollege Döring hervorra-end Stellung genommen.
s ist etwas Selbstverständliches, dass der Eigentümerines Unternehmens dann, wenn ein Unternehmen Ge-inn erwirtschaftet, auch einen verantwortbaren Teil desewinns entnimmt. Das ist eine Selbstverständlichkeit.Ich sage Ihnen dazu auch noch eines: Die Hauptver-ammlung hat auf Vorschlag des Aufsichtsrats über dieividende zu bestimmen. Die Hauptversammlung derB AG bin ich. Ich werde selbst die Hauptversammlungbhalten. Ich habe das auch letztes Jahr schon getan, undwar zur absoluten Verwunderung vieler. Ich musste miragen lassen, dass keiner meiner letzten fünf Amtsvor-änger je einmal selbst die Aufgabe und für mich selbst-erständliche Verpflichtung auf sich genommen hat, alsinister und Verantwortlicher die Hauptversammlungelbst abzuhalten.
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9590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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Keiner hat sich ordentlich um die Bahn gekümmert. Ichkümmere mich um dieses Unternehmen und leite selbstdie Hauptversammlung.
– Da lachen Sie drüber. Sie drücken sich weg, ausge-rechnet die PDS bzw. die Linke.Zum Thema Auslandsgeschäft habe ich oft genugStellung genommen. So wie wir hier Wettbewerb voran-treiben, muss es der DB auch möglich sein, im Auslandtätig zu werden. Wir haben 320 Wettbewerber auf deut-schen Gleisen, und wenn die DB AG nicht schrumpfenwill, muss sie auf anderen Märkten aktiv sein können.Lassen Sie uns bitte gemeinsam an einem Strang zie-hen, wenn wir die Bahnpolitik in Deutschland neu aus-richten. Es ist ein mühsames Geschäft, aber es lohntsich, an diesem Ziel zu arbeiten.Ich darf noch einmal aus dem SPD-Antrag zitieren.Hier heißt es:Die Ursachen … sind das Ergebnis einer verfehltenUnternehmenspolitik, die sich u. a. von rein be-triebswirtschaftlichen Renditegesichtspunkten lei-ten ließ und den eigenen Fuhrpark … auf Ver-schleiß fuhr. Das rächt sich jetzt, und das nicht ingeringem Maße.Hier muss ich wirklich sagen: Dass Sie von der SPDmir ausgerechnet all die Probleme vorwerfen, die ichnach gut einem Jahr Amtszeit von fünf SPD-Amtsvor-gängern in elf Amtsjahren geerbt habe, ist schon ein star-kes Stück.
Dennoch wünsche ich Ihnen jetzt eine schnee- und eis-freie pünktliche Heimreise und ein schönes Wochen-ende.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Uwe Beckmeyer für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Minister, wir werden heute Nachmittag nocharbeiten; das muss man hier einmal festhalten.HMFBMSnSRVbgisDdhFsbedsuVkinVzpddzdNskhsDnjeneu
aben Sie hier nun als Hauptversammlung oder alsinister gesprochen? – Also als Minister.An dieser Stelle will ich für die sozialdemokratischeraktion als Erstes sagen, dass wir hier kein Bahn-ashing vorhaben; wir wollen die Mitarbeiterinnen unditarbeiter nicht in irgendeiner Form herabwürdigen.ie haben einen guten Job gemacht; daran ist überhaupticht zu deuteln.
ie haben in Eis und Schnee versucht, mit besonderenäumkommandos das ganze Ding am Laufen zu halten.ier Tote hatte die Deutsche Bahn in diesem Winter zueklagen. Man muss sich einmal vorstellen, was da ab-egangen ist!Die Frage ist nur: Musste das alles wirklich so sein,t das, was wir da vorgefunden haben, gottgegeben oderB-gegeben? Ich sage auch selbstkritisch Nein. Wennie DB Netz AG seit 2007 exorbitante Gewinne gemachtat, die ganze Zeit vorher aber keine, dann ist doch dierage zu stellen, wie es dazu kam. Hat dies dieselbe Ur-ache wie bei der S-Bahn Berlin in den letzten Jahren,ei der jemand gesagt hat, sie habe Gewinne zu machen,s müssten Gewinne organisiert werden, die draußen füras Windowdressing gebraucht würden, weil manchließlich an die Börse wolle. Diese Frage müssen wirns doch alle stellen. Meine Antwort ist: Ich habe dieermutung, dass dies ursächlich der Fall war. Andersann nicht plötzlich ein Gewinn von 763 Millionen Euronerhalb von drei Jahren herauskommen, wenn vorhererluste gefahren wurden.Was ist denn ein Gewinn? Das ist der Unterschiedwischen Aufwand und Ertrag. Sind denn die Trassen-reise exorbitant gestiegen? Nein, der Aufwand ist iniesen Jahren deutlich gesunken. Das bedeutet, dass dortie Dinge vernachlässigt worden sind, deren Folgen wirurzeit erleben. Das muss geändert werden.
Darum ist all das, was jetzt erzählt wird, Herr Döring,ass wir nämlich die entsprechenden Gewinne deretz AG demnächst investieren wollten, falsch. Wennie beim Netz einen guten Job machen, dann haben dieaum Gewinne, weil der Aufwand, den sie für die Unter-altung dieses Netzes betreiben müssen, deutlich höherein muss, als es in der Vergangenheit der Fall war.
arum haben wir im Jahr 2010 in diesem Bereich auchur noch 200 Millionen Euro Gewinn. Da ist plötzlichmand aufgewacht; da hat ein Technikvorstand, eineuer Vorstand der DB AG, gesagt: Oh Gott, wir habeninen Winter gehabt, wir müssen in Weichenheizungennd andere Sachen investieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9591
Uwe Beckmeyer
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– Hören Sie zu! Es gibt noch ein paar andere Leute imDeutschen Bundestag, die von Wirtschaft eine Ahnunghaben.
An dieser Stelle will ich deutlich sagen: Es ist objek-tiv falsch, zu glauben, dass Sie mit diesem Winkeltrickdem deutschen Volk weismachen können, es würde derBahn helfen, wenn sie ihren Finanzkreislauf in irgendei-ner Form dazu brächte, das zu organisieren, was Sie zu-sätzlich brauchen. Sie versuchen auf diese Art undWeise, die Diskussion mit dem Minister nicht auf demFeld zu führen, das da heißt, die Zwangsdividende zuvermeiden. Sie wollen die Zwangsdividende herauszie-hen: eine halbe Milliarde pro Jahr, 2 Milliarden inner-halb von vier Jahren, verordnet durch Bundeskabinetts-beschluss. Der Minister knallt die Hacken zusammenund sagt: Jawohl, Herr Schäuble, ich mache das mit. Dasist falsch. Ein Bundesverkehrsminister darf das nichtmitmachen.
Wenn er etwas von der Bahn versteht, dann weiß er, dassdort jeder Euro und jeder Cent benötigt wird, um das De-saster, das wir im Sommer und im Winter erlebt haben,für die Zukunft auszuschließen.Ich rede über die Zukunft, weil die Erfahrungen ausder Vergangenheit uns doch lehren müssen, dass wirmehr in das rollende Gerät und in die Infrastruktur inves-tieren müssen. An dieser Stelle sage ich auch: Wenn dieDB AG der Meinung ist, dass sie weiter Gewinne macht,wie Sie es hier für den Konzern insgesamt dargestellt ha-ben, dann frage ich Sie als einen, der für die Koalitionpolitisch verantwortlich ist: Wie ist denn das Netz derDB AG in den nächsten Jahren gestaltet? Wird es weiternur ein Kernnetz sein? Muss die DB nicht weiter in dieFläche gehen? Gibt es nicht die Verantwortung, auchdort mehr in rollendes Gerät zu investieren? Es gibtGroßstädte in Deutschland, die vom IC-Verkehr der DBAG nicht mehr angefahren werden.
Interregioverkehre gibt es nicht mehr, IC-Verkehre auchnicht. Es wird nur noch der Regionalverkehr betrieben,der von den Ländern bestellt wird. Das geht nicht. Wirbrauchen einen Fernverkehr, der in der Fläche vertretenist. Darum muss man bei der DB AG zukünftig nicht im-mer nur auf den Gewinn achten, sondern auch auf dieVersorgung, die notwendigerweise in ganz Deutschlanderbracht werden muss.Ich komme zu dem, was der Minister letztendlich zuverantworten hat. Schauen Sie mal in Art. 87 e desGrundgesetzes.
Der Artikel besagt eindeutig, dass wir alle in Deutsch-land etwas von der Bahn zu erwarten haben. Herr Minis-teVrasswSKwsinuBninvfeSvdjeimbBnsdeBrätidfaDMdveTpwgDüpMmh
eswegen sage ich an dieser Stelle deutlich: Die halbeilliarde, über die wir heute unter anderem reden, mussringend im Konzern bleiben.Jetzt ein Wort zur Frage der Struktur, die Sie damiterbunden haben. Ich habe hier gelernt – Herr Vaatz hats schon für seine Fraktion erklärt –: Es geht um dierennung von Netz und Betrieb. Der eine will es nochrüfen, der andere hat es schon für sich entschieden. Esundert mich, dass auch die Grünen in diese Richtungehen. Was heißt das eigentlich?
ie Trennung von Netz und Betrieb bedeutet: Man gehtber das hinaus, was das Erste, Zweite und Dritte euro-äische Eisenbahnpaket gefordert haben. Wir sind dereinung, dass wir die Vorgaben der Eisenbahnpaketeit der Einlassung der sogenannten Chinese Wall erfülltaben.
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9592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Uwe Beckmeyer
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Am Ende zerlegt man mit der Trennung von Netz undBetrieb den Konzern. Sie werden den Konzern zerlegenund damit den integrierten Konzern DB AG zerstören.
Damit zerstören Sie den konzerninternen Arbeitsmarktkomplett und bereiten bei den Eisenbahnverkehrsunter-nehmen im Grunde potenziell die Privatisierung vor.
Das wissen Sie ganz genau, denn Sie haben sich jahre-lang mit der Frage beschäftigt. Jetzt kommen Sie hintendurch die Drehtür mit einem solchen Vorschlag nachvorne, um uns das Thema auf andere, vermeintlich ele-gante Weise erneut zu präsentieren. Ich sage: Das ist derfalsche Weg.Wir Sozialdemokraten wollen einen integrierten Kon-zern,
der Geld verdient, aber auch investiert, der seine Ge-winne möglichst im Konzern behält.Herr Minister Ramsauer, dass der ICE nach Londonfährt, wo Sie ihn schon gestreichelt haben, muss dochnicht sein, oder? Ich finde, bevor wir mit dem ICE nachLondon fahren, sollten wir erst einmal in Deutschlanddie ICE-Flotte so einsetzen, dass sie deutschlandweitbreit läuft. Ich glaube, das ist nötig und muss hier auchgesagt werden.
Ein allerletzter Gedanke. Wir haben hier in Deutsch-land eines nötig: einen Minister, der sich einsetzt für In-frastrukturfinanzierung, für neue Ideen, für ein Pro-gramm, mit dem Deutschland fit gemacht wird in derInfrastruktur, auf der Schiene, auf der Straße, auf derWasserstraße. Wir brauchen keinen Stillstandsminister.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der Tat, in diesem Winter wurde die Bahn
kräftig von den Wetterverhältnissen getroffen, und das
sorgte für heftigen Gesprächsstoff. Zugausfälle, Verspä-
tungen, defekte Heizungen, überfüllte Züge zerrten an
den Nerven der Fahrgäste – Frau Hendricks hat hier ei-
nen ausführlichen Erlebnisbericht vorgetragen –, und der
Winter ist noch lange nicht vorbei. Dennoch haben wir
wegen des ganzen Bahnchaos eines erreicht: Wir haben
hier ein Thema auf der Tagesordnung, das von den Vor-
gängerregierungen immer gemieden wurde. Es geht um
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eine Damen und Herren, wer so sorglos mit dem Geld,
as im deutschen Netz erwirtschaftet wurde, umgeht, der
ollte nicht jammern, dass ihm dann die Mittel für Inves-
tionen in ebendieses Netz fehlen.
Wer finanziert das Schienennetz, aus dem die Bahn
re Gewinne abschöpft? Es ist der Bund, also der Steu-
rzahler, der jährlich fast 4 Milliarden Euro für Investi-
onen zur Verfügung stellt.
afür können wir auch erwarten, dass sich die Bahn zu-
llererst um den Heimatmarkt kümmert, statt rund um
en Globus als Global Player zu agieren.
Vor diesem Hintergrund ist es übrigens auch absurd,
enn jetzt versucht wird, dem Bund die Schuld für das
interchaos bei der Bahn in die Schuhe zu schieben,
eil er aus den Gewinnen der Bahn AG eine Dividende
on 500 Millionen Euro als Teil des Sparpakets erhält.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Hofreiter?
Nein, ich möchte gern fortfahren. – Es ist ja auchichts Ungewöhnliches, wenn der Eigentümer eines Un-rnehmens, das im vergangenen Jahr einen Gewinn von,75 Milliarden Euro erzielt hat, eine Beteiligung an die-em Gewinn einfordert. Weil der Bund der einzige Ak-onär der Bahn AG ist, steht ihm natürlich eine Divi-ende zu – das ist schon gesagt worden –, zumal er inieses Unternehmen viel Geld investiert. Insgesamtdas muss man einmal deutlich sagen – sind es über0 Milliarden Euro pro Jahr, wenn man Investitions- undegionalisierungsmittel zusammenrechnet. Die Haupt-ersammlung, also die Bundesregierung, hat die Höheer Dividende auf 500 Millionen Euro jährlich festge-gt. Der Bund fordert die Dividende ja nicht als Selbst-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9593
Dr. Claudia Winterstein
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zweck ein. Die Abführung der Dividende dient einemzentralen politischen Ziel, das die Koalitionsfraktionenin den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt haben, nämlichdem Abbau der massiven Staatsverschuldung,
um die Stabilität unseres Landes zu gewährleisten undzukünftige Generationen zu entlasten. Das sage ich na-türlich auch als Haushaltspolitikerin.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Politikerdie Wichtigkeit der Haushaltskonsolidierung in Sonn-tagsreden gerne betonen, dieses Ziel aber, wenn es kon-kret wird, doch als nachrangig betrachten.
Diese Koalition will den Abbau der Staatsverschuldungvorantreiben. Um die im Grundgesetz verankerte Schul-denbremse einhalten zu können, haben wir das Sparpa-ket beschlossen. Daher verbietet es sich, dieses Sparpa-ket an einzelnen Stellen aufzuschnüren.Das Thema Sparen ist kein Tick von uns Haushalts-politikern. Das Problem der öffentlichen Verschuldungtreibt auch die Menschen im Land um. In einer Forsa-Umfrage vom November 2010 wurde gefragt, wovor dieMenschen die größte Furcht haben.
61 Prozent gaben an, dass sie große oder sehr großeFurcht davor haben, die Staatsschulden könnten ins Im-mense steigen. Dieses Thema wurde als Problem Num-mer eins genannt, noch vor der Furcht vor dem Verlustdes Arbeitsplatzes und der Furcht vor Altersarmut.Wir erreichen bei der Bahn keine Verbesserungen, in-dem wir einfach mehr Geld in ein falsch konstruiertesSystem stecken, was die Opposition in ihren Anträgenfordert. Im Gegenteil: Dadurch würden die Fehler imEndeffekt nur verfestigt.
Wir können nur dann in die Schiene investieren, wennwir strukturelle Reformen bei der Bahn vornehmen.Dazu gehört zuallererst die Aufhebung der Gewinnab-führung der DB Netz AG an die Bahn Holding. Ge-winne, die im Netz erwirtschaftet werden, müssen dortverbleiben. Das ist eine alte FDP-Forderung, die nunendlich erfüllt wird.Im vergangenen Jahr zum Beispiel hätten wir so800 Millionen Euro zusätzlich investieren können. DieseInvestitionen sind möglich, ohne auf eine Dividende ver-zichten zu müssen. Das zeigt ein Blick auf die Zahlender Bahn. 2010 hat der Konzern einen Gewinn von1,75 Milliarden Euro erwirtschaftet. Bis 2015 – das istschon angesprochen worden – sollen es nach Unterneh-mensplanungen über 3 Milliarden Euro werden. Ichdenke, das bietet genug Spielraum für die Zahlung derDividende an den Bund.vtiIcsLIcgmwzbadkESg–gDgFtaheecG
h sage Ihnen eines: Der nächste Schnee kommt be-timmt, vielleicht schon morgen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Sabine Leidig für die Fraktion Die
inke.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!h habe mich in den letzten Wochen ziemlich darüberewundert, dass aus allen Richtungen die Unterneh-enspolitik der Bahn beklagt worden ist. Sie ist falsch,eil sie kurzfristig und auf die Bilanz des Konzerns kon-entriert ist und weil die Bahn auf Verschleiß fährt. Ichin froh, dass wenigstens Herr Beckmeyer, wenn auchls Einziger derjenigen, die hier geredet haben, zumin-est im Ansatz Selbstkritik geübt hat. Das finde ichlasse.
s war tatsächlich die Große Koalition aus Grünen,PD, CDU/CSU und FDP, die den Börsengang der Bahnewollt und bestimmt hat.
Diesen Privatisierungskurs hat Gregor Gysi nicht mit-emacht.
ie Linken waren die Einzigen, die von Anfang an ge-en diesen Kurs waren.
rau Künast, das ist einer der Gründe, warum ich als At-c-Bundesgeschäftsführerin für die Linken kandidiertabe und nicht für eine andere Partei. Die Linke hat eineindeutige und klare Fokussierung auf das Gemeinwohl.
Die rot-grüne Bundesregierung hat im April 2005ine Studie in Auftrag gegeben – das ist ein umfangrei-hes Werk mit 560 Seiten geworden –, das PRIMON-utachten. PRIMON ist die Abkürzung für „Privatisie-
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Sabine Leidig
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rungsvarianten mit und ohne Netz“. Darin ist überhauptnicht untersucht worden, ob man die Bahn in öffentli-cher Hand weiterentwickeln kann. Das wäre doch eineinteressante Frage gewesen. Sie haben gesagt: Privatisie-rung auf jeden Fall. Die Grünen haben, nachdem dieGroße Koalition den Beschluss, die Bahn an die Börsezu bringen, weiter vorangetrieben hat, sogar aus der Op-position heraus gefordert, dieses Vorhaben nicht aufzu-geben. Ich habe eine Broschüre gefunden: das Wachs-tum-Schiene-Modell. Darin werden SPD und Unionaufgefordert, am vorgesehenen Zeitplan festzuhalten, dieEntscheidung über den Börsengang nicht zu verschiebenund nicht den Experten zu folgen, die einen Börsenganggänzlich ablehnen.
Das war im Januar 2007. Verantwortet wurde die Bro-schüre von Fritz Kuhn und Winfried Hermann.
Winfried, ich muss sagen: Ich finde es toll, wenn ihreine andere Position einnehmt.
Aber wenn ihr in eurem Antrag schreibt, dass die Grü-nen die verfehlte Bahnpolitik, den Konzern an die Börsezu bringen, immer massiv bekämpft haben – so steht esdort –, dann ist das zumindest nicht ganz richtig. Dasmuss man einmal sagen.
– Frau Künast, hören Sie mir einmal zu. Es gibt in dieserWelt nämlich noch etwas anderes als Bundestagspar-teien.
Die Bevölkerung der Bundesrepublik engagiert undorganisiert sich um politische Fragen herum. Wir habenmit der Kampagne „Bahn für Alle“, die wir 2005 auf dieBeine gestellt haben, eine sehr breite Bewegung initiiert.Ihr hat sich eine ganze Reihe von Organisationen ange-schlossen, die gegen die Privatisierung, gegen den Bör-sengang der Bahn auf die Straße gegangen sind, Aktio-nsRwcfüimfrhIcznrensIcazFtilöMeAMdSFDfühkdweeteuMgAliInliMdddn
h will damit nicht die Qualifikation von Herrn Grubenzweifeln. Aber ich will Ihnen Folgendes sagen: Heut-utage schimpfen alle über Herrn Mehdorn, der imrühjahr 2009 nach einer ganzen Reihe wirklich drama-scher und skandalöser Aktivitäten als Bahnchef abge-st worden ist. Als Bundeskanzler Schröder diesenann aus der Flugzeugindustrie im Jahr 2000 angeheu-rt hat, war die Zustimmung in diesem Haus aber groß.uch als Herr Mehdorn 2006 verkündet hat: „Unserarkt ist die Welt“ und: „Ich kann mir gut vorstellen,ass wir in Zukunft auch Flugzeuge betreiben“, habenie überhaupt nicht gezuckt.Nun ist es nicht so weit gekommen, dass die Bahnlugzeuge betreibt. Aber ich erinnere daran, dass imezember 2002 versucht wurde, ein Preissystem einzu-hren, bei dem man Zugfahrten wie einen Flug vorabätte buchen müssen. Das hat Hunderttausende Bahn-unden verschreckt. Die Abstimmung mit den Füßen hatazu geführt, dass dieses Konzept in die Tonne getretenurde. Ich frage Sie: Warum wird an dieser Stelle nichtin ganz anderer Weg gegangen? Warum fragt man nichtinfach die Kunden, wie ein vernünftiges Bahnpreissys-m gestaltet werden soll? Das wissen die Kundinnennd Kunden der Bahn doch am allerbesten.
Ich glaube, der Vorstand der Bahn hat kein einzigesitglied mehr, das gelernter Eisenbahner ist. Aber esibt dort jede Menge Manager aus der Flugzeug-, deruto- und der Rüstungsindustrie. Das finde ich bedenk-ch. Ich kenne bei der Bahn, aber auch in vielen anderendustriebetrieben und in Verwaltungen jede Menge qua-fizierter Beschäftigter, die sehr darunter leiden, dassanagementkonzepte von oben nach unten diktiert wer-en, Stichwort Global-Player-Vorgaben. Die Arbeit wirdadurch nämlich nicht verbessert, und die Erfahrungen,ie Kompetenzen und das Fachwissen der Leute werdenicht berücksichtigt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9595
Sabine Leidig
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Zweiter Punkt auf dem Weg zur Börsenbahn: DieAuslandszukäufe müssen aufhören. Noch im letzten Jahrist Arriva mit Zustimmung der Bundesregierung für2,7 Milliarden Euro gekauft worden; das ist noch nichtso lange her. Herr Döring, ich bin froh, dass es in dieserFrage auch bei Ihnen Ansätze eines Umdenkens gibt;schließlich sitzen Sie im Aufsichtsrat der DeutschenBahn.
Auch die kontraproduktiven Großprojekte müssen über-dacht und beendet werden.
Für diese beiden Bereiche wird jedes Jahr insgesamtmehr Geld ausgegeben als für die gesamte Infrastrukturin der Fläche.Drittens. Die Pläne zur Privatisierung mit und ohneNetz müssen endlich ad acta gelegt werden.
Die Bahn kann als gemeinwohlorientiertes Unternehmengut entwickelt werden; das ist ja nicht utopisch. Wennman sich hierzulande einmal umguckt, dann sieht manModelle, wie es funktionieren kann. Ich möchte als Bei-spiel die Region Karlsruhe nennen. Die Karlsruher Ver-kehrsbetriebe sind ein großes Unternehmen. Zusammenmit Heilbronn und Pforzheim wird auf einer großen Flä-che Taktverkehr organisiert. 20 Unternehmen arbeiten inKooperation miteinander, nicht in Konkurrenz; daswürde nämlich nicht funktionieren.Gehen Sie einmal nach England, Frau Künast. Ichwürde Ihnen wirklich empfehlen, einmal von Cambridgezum Flughafen London zu fahren. Da fahren Sie mit dreiverschiedenen Verkehrsgesellschaften.
Es gibt drei verschiedene Tarifsysteme, drei verschie-dene Auskunftssysteme. Das ist ein Flickenteppich. DasChaos in England ist noch viel größer als bei uns. DieKunden sind noch unzufriedener, weil es eben kein Sys-tem in einer Hand gibt.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Das ist schade; denn ich hätte gern noch etwas zum
Schuldenstand gesagt.
Nur eine Bemerkung: 1994 sind die Schulden der
Bahn sozusagen auf null gestellt worden; inzwischen hat
die DB AG 15 Milliarden Euro Schulden. Das Schienen-
system in Europa, das mit den wenigsten Zuschüssen
auskommt, ist das Schienensystem der Schweiz. Auch
das kann man in dem PRIMON-Gutachten nachlesen.
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Mein Schlusssatz: Es geht weder um eine bürokrati-
che Behördenbahn noch um eine Börsenbahn. Wir
rauchen etwas anderes, etwas Neues.
Frau Kollegin!
Es geht darum, eine demokratische Bürgerbahn aufs
leis zu setzen.
Das Wort hat nun Kollege Anton Hofreiter für dieraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Frau Leidig, es tut mir leid; aber ich muss aufren Beitrag eingehen. Das Problem bei Ihrer Darstel-ng ist, dass Sie offensichtlich nicht wissen, worum esich bei der DB AG handelt. Ihre Aussage, dass die DBG keine Flugzeuge habe, ist natürlich grotesk.
ir als Bundesrepublik Deutschland sind mit BAX Glo-al der zweitgrößte Luftfrachtlogistiker der USA, undie sagen, Sie wollten nichts privatisieren. Wollen Sieenn die Luftfrachtlogistik in der USA als Behörde orga-isieren?
erfen Sie uns vor, dass wir schon damals diese interna-onalen Abenteuer, die nichts mit der Bundesrepublikeutschland, nichts mit dem Steuerzahler zu tun haben,bstoßen wollten? – Entschuldigen Sie, das ist grotesk.
Die Vorstellung der Bundesregierung war allerdingsuch interessant. Wir haben hier einen Minister, der lobt.ir haben einen Minister, der sich freut. Wir haben ei-en Minister, der ermahnt. Wir haben Koalitionäre, dierüfen wollen. – Geprüft wurde lange genug, ermahntuch; freundliche Worte sind viele gefallen. Es ist end-ch an der Zeit, dass im Bereich der Bahn gehandeltird.
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9596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Anton Hofreiter
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Manchmal könnte man meinen, Sie wären an dieserRegierung bzw. an dieser Koalition gar nicht beteiligt.Sie freuen sich darüber, dass es bei der Bahn mal besser,mal schlechter geht. Aber wer ist denn der Eigentümerder Bahn? Das ist zu 100 Prozent die Bundesrepublik.Da hilft es uns nichts, wenn Herr Ramsauer stolz erklärt,dass er sich auf der Hauptversammlung in einem intensi-ven Selbstgespräch befindet.
Teilweise wurde sogar gehandelt. Das Problem ist,dass nichts Vernünftiges dabei herausgekommen ist. DieMauteinnahmen, die unter Rot-Grün im Rahmen einerintegrierten Verkehrspolitik allen drei Verkehrsträgernzur Verfügung gestellt worden sind, werden jetzt alleinder Straße zur Verfügung gestellt.
Das war die erste Handlung.Ich komme zur nächsten Handlung und damit zu demvöllig grotesken Vortrag von Frau Winterstein, die inmassive Opposition zu sich selbst getreten ist; denn Siehat wortreich beklagt, dass Arriva von der DB AG ge-kauft worden ist. Es stellt sich die Frage: Wann ist Ar-riva gekauft worden? Es war im letzten Jahr. ErinnernSie sich, wer letztes Jahr regiert hat? Ich glaube, es wareine schwarz-gelbe Koalition.
Aber vielleicht waren Sie damals noch nicht an dieserKoalition beteiligt. Man konnte den Eindruck gewinnen,dass Sie nur mit sich selbst beschäftigt waren. – FrauWinterstein tritt also in Opposition zu sich selbst.
– Ah, die Bundesregierung hat mit Ihnen nichts zu tun.Das ist tröstlich.
Was war die nächste Handlung? Die nächste Hand-lung war, dass man von der Bahn eine Zwangsdividendevon 500 Millionen Euro im Jahr verlangt hat. Nun ja, dieBahn bekommt 3,6 bis 3,9 Milliarden Euro pro Jahr– das ist von Jahr zu Jahr etwas unterschiedlich – ausdem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt.
Neben diesen Haushaltsmitteln gibt es noch etwa7 Milliarden Euro an Regionalisierungsmitteln. Manhätte natürlich auch ehrlich sein und sagen können: Wirsind nicht in der Lage, die Bahn weiter vernünftig zu fi-nanzieren, also kürzen wir etwas. Dann wäre es aber fürjeden offensichtlich gewesen. Was hat man stattdessengemacht? Man hat „rechte Tasche, linke Tasche“ ge-sdwBvddvBDbtudGtimDsGudvGsZzatereWgggTsvedzv
Was ist jetzt am dringendsten nötig, nachdem dieahn-Maut abgeschafft wurde, eine Zwangsdividendeon 500 Millionen Euro gezahlt wurde und 2,7 Milliar-en Euro an Eigenmitteln der Bahn verschleudert wor-en sind, um Marktführer in Großbritannien beim Bus-erkehr zu werden?
Als erster Schritt sind die Gewinnabführungs- undeherrschungsverträge aufzuheben.
ie Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge ha-en durchaus etwas mit der Qualität dieses Netzes zun;
enn wenn die DB Netz AG „ausgepresst“ wird, dieseelder in die Holding fließen und die Holding interna-onale Abenteuer eingeht, dann steht das Geld nichtehr für Reinvestitionen ins Netz zur Verfügung.
eshalb sind die Gewinnabführungs- und Beherr-chungsverträge aufzuheben. Dann stehen die gesamtenewinne aus dem Netz der DB Netz AG zur Verfügungnd können reinvestiert werden. Das gilt nicht nur fürie DB Netz AG, sondern auch für die DB Station & Ser-ice AG und selbstverständlich auch für die DB EnergiembH. Warum schauen die Bahnhöfe denn teilweise sochlecht aus? Weil die Stationsgebühren, die für jedenug und damit durch jeden, der in diesem Zug fährt, be-ahlt werden, nicht in die Stationen reinvestiert, sondernn die Holding abgeführt werden, um für lustige Aben-uer weltweit verschwendet zu werden.
Was ist als Nächstes notwendig? Als Nächstes ist dieale Trennung von Netz und Transport durchzuführen.arum ist das notwendig? Wir brauchen eine unabhän-ige Infrastrukturgesellschaft, die direkt beim Bund an-esiedelt ist. Das einzige Geschäftsfeld dieser unabhän-igen Infrastrukturgesellschaft muss sein, so gut es gehtrassen zu vermarkten, damit jeder, der auf diesen Tras-en fährt, pünktlich fahren kann und eine gute Qualitätorfindet; denn nur in einem gut unterhaltenen Netz ists möglich, den Bahnverkehr pünktlich und ordentlichurchzuführen. Das interessiert die Leute.Hören Sie deshalb endlich auf, zu mahnen, glücklichu sein, sich zu freuen und sich hinter Mitarbeitern zuerstecken, Herr Minister! Sorgen Sie für Strukturent-
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Dr. Anton Hofreiter
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scheidungen! Handeln Sie endlich! Dann bekommen Sieauch unsere Unterstützung.Danke.
Das Wort hat nun Ulrich Lange für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Hofreiter, ich bin ein glücklicherMensch.
Kollege Pronold, Sie haben einen Slogan von 1966 zi-tiert und gesagt, wie gut man damals mit der Bahn ge-fahren ist. – Wir beide noch nicht; wir sind dafür zujung. – Ich darf daran erinnern: Bis 1966 war die SPDnoch nie an der Regierung. In diesem Sinne denke ich anRudi Carrell: „Wann wird’s mal wieder richtigSommer?“ Sie wollten den Frühling. Ich freue mich aufden Sommer, weil wenn etwas schiefläuft: „Schuld da-ran ist nur die SPD“.
– Bitte schön.Lassen Sie mich auf Ihren Antrag eingehen. Ihr An-trag liest sich im ersten Moment geradezu abenteuerlich.Als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe, habe ich über-legt, wer das wohl geschrieben hat. Das war entwederein Mitarbeiter, der erst seit ein paar Tagen für Sie arbei-tet, oder jemand, der nicht weiß, was Sie elf Jahre langgemacht haben.
– Ja, natürlich, im Zweifel war es der Referent; aber mansollte den Text zumindest vorher durchlesen.Herr Beckmeyer, Sie beklagen das Schneechaos. Siesagen, die Bahn habe den Ausfall des Straßen- und Flug-verkehrs auffangen müssen. Die Bahn hat über einehalbe Million zusätzlicher Passagiere aufgenommen.Wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie mit Ih-rem Antrag elf Jahre Regierungspolitik der SPD im Ver-kehrsministerium überdecken wollen und sagen: Das istvergessen; das haben wir verdrängt. – Ich sage Ihnenganz offen: Das ist ein Versuch von Regierungsamnesie,den wir Ihnen definitiv nicht durchgehen lassen.
– Das steht da drin.wtesIcUbksImkzmdsavglesxmzdm–aInesTgsd
Endeffekt wollen Sie die Epoche verfehlter SPD-Ver-ehrspolitik mit einem Winter und ein bisschen Schneeudecken. Das lassen wir Ihnen aber nicht durchgehen.
Sie sollten eines nicht vergessen – das wurde schonehrfach angesprochen –: Es war Ihr Kanzler Schröder,er Mehdorn zum Bahnchef gemacht und auf den Bör-engang gesetzt hat. Kollege Hofreiter, Kollegin Künast,uch Sie saßen in diesem Boot. Wenn jetzt plötzlich eineon „betriebswirtschaftlichen Renditegesichtspunkten“eprägte Politik kritisiert wird, dann muss man feststel-n: Das war Ihre Politik. Diese Kritik haben Sie sichelbst zuzuschreiben. Ihnen ging es nur um Gewinnma-imierung; es ging darum, die Bahn börsentauglich zuachen.
Inzwischen wissen wir alle, dass es Infrastruktur nichtum Nulltarif gibt. Wir wissen auch: Wenn wir heute beier Infrastruktur sparen, bezahlen wir morgen und über-orgen doppelt dafür.
Frau Künast, Sie waren schon dran. – Wir müssen unsuch an anderen Stellen im Haushalt überlegen, wie wirfrastruktur finanzieren. Sie müssen dann aber auch sohrlich sein und das in anderen Ausschüssen, zum Bei-piel im Ausschuss für Arbeit und Soziales, auf denisch bringen; denn die wunderbare Geldvermehrungibt es nicht, nicht einmal in Nordrhein-Westfalen. Infra-truktur kostet Geld. Seien wir so ehrlich, und geben wiras Geld auch dafür aus.
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9598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Ulrich Lange
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Verkehrsminister Peter Ramsauer hat deutlich gemacht:Das Umdenken im Ministerium hat mit der Übernahmedes Ministeriums durch die CSU begonnen.
Sie reden von Zwangsdividende. Ich sage Ihnen: Wirhaben eine Zwangserbschaft von Ihnen übernommen.Leider konnten wir sie, anders als im privaten Leben,nicht ausschlagen. Wir müssen nun an dieser Situationarbeiten, um sie in Ordnung bringen.
Meine Damen und Herren, natürlich ist die Bahn auchselber gefordert. Man kann nicht immer nur vom Brot-und-Butter-Geschäft reden und dann Wasser und Brotvorsetzen. Es geht sehr wohl darum, dass die Bahn vonsich aus eine Qualitätsoffensive, eine Pünktlichkeits-offensive und vielleicht auch eine Charmeoffensive an-strengt, aber man muss auch das Gute sehen. Viele vonuns haben am Freitag vor der Weihnachtspause versucht,nach Hause zu kommen.
– Ich auch, Kollege Beckmeyer. – Anders als mit demFlugzeug, wozu ich keine Informationen hatte, bin ichmit der Bahn nach Hause gekommen; es gab auch dienötigen Informationen. Das war alles nicht so schlecht,wie es heute dargestellt wird.Wer hat denn die Ausbesserungswerke geschlossen?Wer hat den Wagenpark reduziert? Das waren Sie.
– Das war Ihre Politik. – Deshalb ist Ihr Antrag doppeltscheinheilig.Frau Leidig hat davon geredet, dass auf Verschleißgefahren wird.
Liebe Kollegin Leidig, wenn Sie die Einzigen wären, dienicht auf Verschleiß fahren, dann würde ich Ihnen viel-leicht zustimmen. Aber Sie sind diejenigen, die mit Ih-rem Weg in den Kommunismus mit dem real existieren-den Sozialismus ein ganzes Land auf Verschleißgefahren haben. Sie haben nicht nur einen Zug, sondernnicht mehr und nicht weniger als ein ganzes Land aufVerschleiß gefahren.
Wir mussten dann die Infrastruktur und die Waggons,die wir kaputt übernommen haben, wieder aufbauen.Meine Damen und Herren, wir stellen uns der Mam-mutaufgabe Bahn. Unser Verkehrsminister hat sofortnach Regierungsantritt diese Aufgabe wahrgenommen.Er hat sehr genau geprüft, was funktioniert und wasnicht.
EwEtekKreteliSKbEeDvdsusogudmdMdZHWGdfaw
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Burkert von der
PD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tri-üne! Ich bin selbst Eisenbahner.
isenbahner ist man mit Leib und Seele. Ich komme ausiner Eisenbahnerfamilie und bin damit großgeworden.eswegen weiß ich, was die Kolleginnen und Kollegenor Ort das ganze Jahr über mitmachen und vor allem inen letzten Wochen mitgemacht haben.Ich möchte zu Beginn etwas loswerden. Die Men-chen sind zurzeit, ob zu Recht oder zu Unrecht, aus dennterschiedlichsten Gründen unzufrieden mit der Deut-chen Bahn. Ob Klimaanlagenausfall, S-Bahn Berlinder die Winterproblematik – das alles wurde heute an-esprochen –: Es gibt immer mehr verärgerte Kundinnennd Kunden.Wer bekommt den Ärger als Erster ab? Wer bekommten Ärger am heftigsten ab? Das sind nicht die Bahn-anager am Potsdamer Platz. Es ist auch nicht das Bun-esverkehrsministerium. Es ist auch nicht der arme Herrinister. Nein, es sind die Kolleginnen und Kollegen inen Service Points und Fahrkartenausgaben und dieugbegleiter in den Zügen.
inzu kommen die Kolleginnen und Kollegen in denerken, die massenhaft Überstunden leisten und an ihrerenzen gegangen sind. Nicht zu vergessen sind auchie Gleisarbeiter, die in diesem Winter unter Lebensge-hr die Weichen von Schnee befreien, um die Streckenieder befahrbar zu machen. Adam Smith hat einmal
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9599
Martin Burkert
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sinngemäß gesagt: Der Betrieb einer Eisenbahn ist zu95 Prozent Mensch
und zu 5 Prozent Stahl. Die Kolleginnen und Kollegenbei der Bahn halten den Betrieb am Laufen, wie es vorallem in diesem Winter in den zurückliegenden Wochender Fall war. Ihnen gebührt heute ausdrücklich der Dank.
Herr Minister, wie wollen Sie diesen Menschen erklä-ren, dass Sie auf einer Dividende in Höhe von 500 Mil-lionen Euro im Jahr bestehen? Ich empfehle Ihnen, sichmit Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern zusammenzu-setzen. Was passiert denn da? Es gibt noch 16 soge-nannte C-Werke. Das sind große Instandhaltungswerke,in denen beispielsweise ICEs gewartet werden. Wir hat-ten einmal 28. In den letzten 15 Jahren sind 12 Werkegeschlossen worden, von Opladen über Leipzig-Engels-dorf bis nach München-Freimann, um nur ein paar zunennen.
Im Jahre 2000 waren ungefähr 12 000 Mitarbeiter in derInstandhaltung der Deutschen Bahn AG beschäftigt. Ak-tuell sind es noch 6 900. Ich sage Ihnen, Herr Minister:Sie haben einiges angekündigt. Wenn Sie etwas tun wol-len – es gibt noch eine Standardsicherung für fast zweiJahre –, dann gehen Sie nach Chemnitz und Zwickau.Dort wird schon über Werksschließungen gesprochen.Das ist – nur am Rande – auch in industriepolitischerHinsicht wichtig; denn dort ist die Bahn der zweitgrößteArbeitgeber.Sie haben in den letzten Tagen publikumswirksam– zu Recht – eine Menge kritisiert. Aber in der jetzigenSituation wollen Sie dem Bahnkonzern jedes Jahr500 Millionen Euro Dividende entziehen. Mit Verlaub,meine Damen und Herren von der Koalition, es ist dochabsurd, eine solche Forderung umzusetzen.
Sehr geschätzter Herr Kollege Fischer, Sie sind ein alterHase, haben reichhaltige Erfahrung und waren schon vorder Bahnprivatisierung Mitglied des Parlaments. Siemüssten doch am besten wissen, was passiert, wenn500 Millionen Euro entzogen werden. Das Geld wird inallen Unternehmensbereichen eingesammelt, Million fürMillion. Das geht beim Netz los und endet bei der Bahn-Landwirtschaft.
Jeder muss seinen Beitrag dazu leisten. Das heißt, eswird wieder auf Kante gefahren. Gemacht wird nur nochdas, was das EBA will. Alles andere wird geschliffen.Das ist die Problematik, vor der wir stehen. Sie habendie Situation verschärft.vWIcliwIC1cInMBSfratuIcwhcSggIhPwicSinFgdetiTmAVhB„mdeS
Deshalb verzichten Sie doch in Gottes Namen aufiese 500 Millionen Euro Zwangsdividende! Legen Siein Sofortprogramm auf, um kurzfristig die aktuellentörungen im Betriebsablauf zu beseitigen! Investieren
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9600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Martin Burkert
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Sie endlich ausreichend in die Instandhaltung, wie Sie esangekündigt haben! Nehmen Sie endlich Ihre Aufgabeals Eigentümer der Deutschen Bahn AG wahr! StellenSie außerdem sicher – auch über die Länder, reden Siemit den Ländern –, dass genügend Reservekapazitätenan Fahrzeugen aufgebaut werden! Auch die Länder sindbei der Bestellung von Fahrzeugen im Regionalverkehrin der Verantwortung. Stoppen Sie den Abbau von Per-sonal! Und zu guter Letzt: Legen Sie endlich ein nach-haltiges Konzept zum Schienenverkehr in Deutschlandund in Europa vor!Herr Minister, fangen Sie endlich an, zu arbeiten, an-statt immer nur anzukündigen! Beschäftigen Sie sichendlich mit der Bahn! Werden Sie zur Lokomotive, diedie Bahn zuverlässig durch alle Wetter zieht! Sonst – soist meine Befürchtung – enden Sie als Hemmschuh aufeinem Abstellgleis, und das wollen wir alle wahrlichnicht.
Das Wort hat der Kollege Hans-Werner Kammer von
der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! An den Anfang meines Beitrags möchte icheinen Dank an diejenigen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter stellen, die durch ihren unermüdlichen Einsatzdafür gesorgt haben, dass der Verkehrsbetrieb inDeutschland im letzten Dezember weitestgehend auf-rechterhalten werden konnte.Im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestagesherrscht über die Parteigrenzen hinweg Einigkeit da-rüber, dass die Situation aller Verkehrsträger, insbeson-dere auch der Bahn, in diesem Winter desaströs war. Da-her gebührt unserem Verkehrsminister, Dr. Ramsauer,ein besonderer Dank dafür, dass er die Bahn zur Chefsa-che erklärt hat. Das ist die richtige Weichenstellung fürdie Zukunft. Er hat hier auch Finanzierungsmöglichkei-ten angesprochen.Eine Vielzahl von Ursachen hat zu den erheblichenBeeinträchtigungen im Bahnverkehr geführt. Wir müs-sen uns dieser Ursachen annehmen und sie so schnellwie möglich beseitigen. Dabei müssen wir ehrlich sein.In Anbetracht der Versäumnisse in elf Jahren SPD-Ver-kehrspolitik wird dies nicht von heute auf morgen ge-schehen können.Die Wetterlage im Dezember 2010 hat die Problemebei der Deutschen Bahn schonungslos offenbart. Es gibtkeinen Zweifel, dass sowohl auf technischer als auch auforganisatorischer Seite erhebliches Optimierungspoten-zial besteht. Die Frage ist allerdings, wo die Grenze zwi-schen dem technisch Machbaren und dem finanziell Ver-tretbaren verläuft. Wenn die Bahn ausreichend Kapazitätvorhielte, um einen Winter wie diesen problemlos zu be-wvdgBwicsWddbdla–gepwzsab2nsDDmrud2dn–4füwV
Ich komme gleich auch noch zu Ihnen. – Daher be-rüße ich es, dass unser Verkehrsminister der Sanierunginer lebenswichtigen Infrastruktur Vorrang vor einemrestigeträchtigen, in Wirklichkeit aber für das Gemein-ohl ruinösen Börsengang einräumt.Ich warne davor, gleich wieder in das andere Extremu verfallen und die gute alte Behördenbahn herbeizu-ehnen. Die Gründe, die für die Privatisierung der Bahnusschlaggebend gewesen sind, gelten noch heute. Wirrauchen eine solide Basis für die Eisenbahn des1. Jahrhunderts.
Nun zu den Anträgen. Dass die Linke den Kommu-ismus wiederhaben will, war für mich keine Überra-chung. Das ist deren ideologische Bankrotterklärung.
ass die Linke aber nun ernsthaft die Reichsbahn derDR mit der jetzigen DB AG vergleicht, erstaunt sogarich. Das ist nämlich eine intellektuelle Bankrotterklä-ng.
Ich frage mich, wes Geistes Kind Politiker sind, dieie Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit von 280 auf00 km/h aufgrund besonderer Witterungseinflüsse miten Magistralen der DDR – Strecken, auf denen perma-ent langsam gefahren werden musste – vergleichen.
Das steht in Ihrem Antrag. – Dort waren nur 30 oder0 km/h erlaubt, und zwar das ganze Jahr über. Das kannr uns wirklich kein Vorbild sein.
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Wege zu bieten, dem würde ich nicht einmal eine Mo-delleisenbahn anvertrauen.
Ein ähnliches Niveau zeigt die Argumentation vonBündnis 90/Die Grünen. Wenn ein unbefangener Be-trachter die Ausführungen der Kolleginnen und Kolle-gen liest, wird ihm alles Mögliche einfallen, nur nicht,dass die rot-grüne Koalition 1999 Herrn Mehdorn instal-liert und Kurs auf die Börse genommen hat. Aufrichtig-keit ist, wenn man sich zu seinen Fehlern bekennt.
Jetzt wurde auch noch der Begriff der Zwangsdivi-dende aus dem Fundus geholt. Was sich brutal anhört, istjedoch in Wirklichkeit nur das, was auch die Damen undHerren der Opposition immer fordern: Der Bund stecktdieses und noch viel mehr Geld in den Infrastrukturaus-bau. Anders gesagt: Kein Euro aus der Gewinnabfüh-rung wird für den Erwerb ausländischer Logistikunter-nehmen ausgegeben. Jeder Cent landet in Deutschland.Noch weniger überzeugend, muss ich allerdings sa-gen, argumentiert die SPD. Ich habe in einer Zeitung ausmeinem Wahlkreis gelesen, dass man interessanterweisegesagt hat: Damit die Fahrgäste nicht belästigt werden,solle man die Baustellenzeiten einfach verlängern. Ichweiß nicht, ob das sinnvoll ist und zur Erleuchtung bei-trägt. Wenig überzeugend sind also Ihre Argumente,Herr Beckmeyer.Sie sagen: Oberstes Ziel muss es sein, die Bahn fürden Sommer und für den Winter wieder fitzumachen. InWirklichkeit aber scheinen hier einige unter Amnesie zuleiden; denn wenn der rot-grüne Tsunami die Strukturder Bahn nicht verwüstet hätte, müssten wir diese Dis-kussion nicht führen. Dann hätten wir nämlich dieseSchwierigkeiten heute nicht.
Wir müssen in die Zukunft blicken. Viele der auchvon meinen Vorrednern geschilderten Schwierigkeitensind leider nicht von heute auf morgen zu beheben. Dazusind die Schäden, die die rot-grünen Verkehrspolitikerverursacht haben, einfach zu groß.Wir werden die Weichen stellen für eine leistungsfä-hige Schieneninfrastruktur, die dem IndustriestandortDeutschland angemessen ist. Die CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion und die von ihr getragene Koalition sindsich ihrer Verantwortung zu allen vier Jahreszeiten be-wusst und werden die Verantwortung nicht der Opposi-tion auf der linken Seite überlassen; denn dann wäre inDeutschland wahrscheinlich Stillstand oder finstereNacht.Herzlichen Dank.
jetiD„mSSmGSgImbdIdsRSdlaedVfütuuhW–bsoe
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!er Kollege Pronold hat die SPD-Eröffnungsrede à laWenn früh die liebe Sonne lacht, hat das die SPD ge-acht“ gehalten. Die SPD war noch niemals für denchienenverkehr in diesem Lande verantwortlich. DiePD kann sich an keinen Namen eines SPD-Verkehrs-inisters erinnern. Wie traurig für Leber, Lauritzen,scheidle, Hauff, Müntefering, Klimmt, Bodewig,tolpe und Tiefensee. Aber zu deren Trost muss ich sa-en: Ihre Bilder hängen noch im Ministerium.
Übrigen hat mir die Eröffnungsrede der Union vielesser gefallen;
enn eben ging eine SMS der Enkelin von Arnold Vaatz,a, mit dem Text ein: Opi, gute Rede. – Wenn Ida das soieht, dann dürfen wir dem Kollegen Vaatz für seineede noch einmal Beifall und Anerkennung zollen.
Verehrte Kollegen der SPD, Sie können sagen, wasie wollen: Die Probleme der Berliner S-Bahn sind ein-eutig – das können Sie nicht wegschummeln – eine Alt-st der SPD-Minister und von Herrn Mehdorn. Das istine Tatsache, und diese Altlast muss jetzt bereinigt wer-en.
Im Übrigen zum Thema Dividende: Nach meinemerständnis ist bei einer ordnungsgemäßen Geschäfts-hrung geboten, dass die Aufwendungen für die War-ng des rollenden Materials, der Netze, der Bahnhöfend aller anderen Anlagen getätigt werden, bevor über-aupt von Gewinn oder Dividende geredet werden kann.
enn Herr Mehdorn die Kosten so radikal gesenkt hatübrigens: als Sie Verantwortung trugen –, um im Hin-lick auf die Kapitalmarktfähigkeit eine besonderschöne Bilanz vorzuweisen, dann ist dies ein Mangel anrdnungsgemäßer Geschäftstätigkeit gewesen. Das istindeutig.
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9602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dirk Fischer
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Ich will Sie, Herr Kollege, daran erinnern, dass dervon Ihnen so sehr verehrte Herr Mehdorn am letztenSonntag in einem Interview mit der FAZ-Sonntagszei-tung wörtlich gesagt hat:Es ist völlig in Ordnung, wenn der Bund als Gesell-schafter eine Dividende von der DB AG erhält,wenn sie Gewinn macht.Ich sage: Das ist auch in Ordnung; denn der Bundes-haushalt hat sich in einem hohen Maße auch verschuldet,weil er in das System Schiene investiert hat. Da mussdoch über den Gewinn die Refinanzierung der Staats-schuld möglich sein – nach einer ordnungsgemäßen Ge-schäftstätigkeit und Gewinnermittlung.
Im Übrigen erhält das System Schiene aus dem Haus-halt jährlich etwa 20 Milliarden Euro, fast 4 MilliardenEuro für den Unterhalt und die Erneuerung des Netzessowie den Neu- und Ausbau des Netzes, 7 MilliardenEuro Regionalisierungsmittel für steuerfinanzierten Um-satz – jeder andere Verkehrsträger wäre dankbar, wenner einen steuerfinanzierten Umsatz erhielte –,9 Milliarden Euro gibt es für die Altlastenbeseitigung imBereich der Schiene und für das Bundeseisenbahnver-mögen. 20 Milliarden Euro unter diesen Haushaltsbedin-gungen – kaputtsparen sieht für mich anders aus.
In jüngerer Zeit, Herr Kollege Beckmeyer, warenüber elf Jahre fünf SPD-Verkehrsminister für Verkehrs-politik verantwortlich. Daher kann ich Ihnen in der jetzi-gen Debatte einige Gedächtnisstützen nicht ganz erspa-ren. Herr Mehdorn war davon beseelt, mit Sack undPack, mit Netz und Bahnhöfen und allem Drum undDran – das war das integrierte Modell – in den Kapital-markt zu gehen. Er wollte die Verbindungen zur Politikabschneiden, den goldenen Zügel des Geldes allerdingsnicht. Dann haben Ihr SPD-Verkehrsminister und IhrSPD-Finanzminister ausgerechnet bei einer Investment-bank ein Gutachten zu der Frage bestellt, mit welchemStrukturmodell das geschehen solle, wo doch jeder In-vestmentbanker sagt: Mit allem Drum und Dran. – Dasist doch erheblich für die Tantiemen.
Das heißt, mit diesem Gutachten, das ein bestimmtesStrukturmodell empfahl und das unter einer rot-grünenBundesregierung von einem SPD-Verkehrsminister undeinem SPD-Finanzminister in Auftrag gegeben wordenist, hat man im Grunde genommen schon die Leute indie Irre geführt.
Es ist doch nachgerade abenteuerlich, dass Sie damalsdie Vorstellung hatten, ein Anlagevermögen von mehrals 120 Milliarden Euro nach der Ertragswertmethodefür 8 bis 9 Milliarden Euro in den Kapitalmarkt zu brin-gen. Ich will hier ein ganz hartes Wort vermeiden. Aberwer so gegenüber dem Staatsvermögen und dem Steuer-zmw5huisgdaggtitivetütutednPdtideeBswuEtrdDSudate
Ich will an ein Weiteres erinnern. Nach vier Häutun-en in der Legislatur 2005 bis 2009 sagt die SPD jetzt:ar kein Privatkapital, noch nicht einmal für die Logis-kunternehmen. – Herr Tiefensee hat als Minister ausefer innerer Überzeugung nacheinander vier Modelleertreten: erst, dem Willen Mehdorns entsprechend, dasben dargestellte integrierte Modell, dann das besondersckische, vom Namen her völlig irreführende Eigen-mssicherungsmodell – das war in Wahrheit das Gegen-il –,
ann das Holding-Modell, wie wir es jetzt haben, mit ei-er Teilprivatisierung der operativen Gesellschaften desersonen- und Güterverkehrs, also DB ML. Am Endeann: Privatkapital ist sowieso des Teufels. – Diese Posi-on eignet sich nach meiner Auffassung allenfalls füren Schulterschluss mit den Linken, taugt aber nicht fürine Aufstellung dieses Unternehmens im deutschen unduropäischen Wettbewerbsmarkt.
Dann will ich daran erinnern, Herr Kollegeeckmeyer, dass Verkehrsminister Bodewig vorherchon zum Parteitag der Grünen nach Stuttgart geeiltar.
nd für die Trennung von Netz und Betrieb plädiert hat.
r hat wörtlich gesagt: Die Trennung von Netz und Be-ieb ist nicht mehr die Frage des Ob, sondern nur noches Wie. Das weiß auch Herr Mehdorn.
ann kam er nach Hause. Inzwischen war Mehdorn beichröder. Herr Bodewig wurde umgekippt. Er ist nichtmgekippt; er wurde umgekippt. Die Verkehrsexpertiner Grünen, Frau Künast, hat deswegen heute zu Rechtuch frühere Verkehrsminister der SPD einer Kritik un-rzogen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9603
Dirk Fischer
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Die Grünen – da will ich sie loben; das habe ich ver-sprochen –
sind ordnungspolitisch tausendmal besser aufgestellt als– das muss man eindeutig sagen – der übrige Teil der lin-ken Seite dieses Hauses.
Insbesondere die Beschlüsse des damaligen Kieler Bun-desparteitags der Grünen
könnten – bis auf wenige Randziffern mit ungebührli-chen Attacken auf eine große und wichtige Partei – bei-nahe von mir geschrieben worden sein; so sehr kann ichzustimmen.Die Infrastruktur – Netz, Bahnhöfe, Energie – mussdauerhaft im Eigentum des Staates bleiben. Das ist dieKernaussage.
Denn, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das sind dieLebensadern einer Volkswirtschaft – das gilt in Deutsch-land und in Europa –, auf denen sich der Wettbewerbentfalten muss.Ist das Netz in der DB AG integriert, kann ich mitdem Strukturmodell im Moment unter einer Bedingungleben – die Zerschlagungshorrorgeschichte von UweBeckmeyer ist natürlich völlig daneben; das weiß erauch selbst; das soll nur nach außen ein bisschen Ein-druck machen –: wenn sichergestellt wird, dass die Ge-winne der Infrastrukturgesellschaften in die Infrastrukturreinvestiert werden, wir also einen Finanzierungskreis-lauf Schiene bekommen,
dass die Mittelzuwendungen des Bundes direkt an dieInfrastrukturgesellschaften gehen und dass die Beherr-schungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen DB-Infrastrukturgesellschaften und der DB AG Holding auf-gelöst werden; denn dies entspricht auch besser dem eu-ropäischen Recht,
das bei einem integrierten Netz strikte Wettbewerbsneu-tralität und unternehmerische Eigenständigkeit verlangt.Das wäre auch eine gute Reaktion auf das gegenDeutschland laufende EU-Vertragsverletzungsverfah-ren. Damit täten wir insoweit auch dem EU-Recht Ge-nüge.Ich kann am Ende nur sagen:
GBdDdgDAWsndwreDnNdgnsgIh
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufrucksachen 17/4428, 17/4433 und 17/4434 an die iner Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-en. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.ann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Grundlage der Resolutionen 1386 undfolgender Resolutionen, zuletzt Resolution1943 des Sicherheitsrates der VereintenNationen– Drucksache 17/4402 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussRechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dagegeniderspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es so be-chlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er dem Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelleas Wort.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-ärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Es ist kein Zufall, dass der heutige Tag mit seinenebatten über Afghanistan und über die Lage in Afgha-istan mit einer Regierungserklärung des Ministersiebel begonnen hat. Das bringt klar zum Ausdruck,ass wir vordergründig nicht nur das militärische Enga-ement sehen dürfen, das von unseren Frauen und Män-ern der Bundeswehr dort geleistet wird. Da Soldaten ino großer Anzahl anwesend sind, möchte ich die Gele-enheit nutzen, mich im Namen des ganzen Hauses beinen und Ihren Kameradinnen und Kameraden für das,
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9604 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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was Sie in Afghanistan leisten, sehr herzlich zu bedan-ken.
Wir wissen natürlich auch – die Soldatinnen und Sol-daten wissen das ganz besonders –, dass wir in Afghanis-tan nicht erfolgreich sein werden, wenn wir auf eine mi-litärische Lösung setzen. Unser militärisches Engagementdient der Absicherung der Stabilität in Afghanistan. DieFortschritte beim zivilen Aufbau in Afghanistan, die zuerkennen sind, sind sehr bemerkenswert. Noch nie hatsich eine Bundesregierung beim zivilen Aufbau in Afgha-nistan so umfangreich engagiert wie diese Bundesregie-rung. Noch nie hat eine Bundesregierung so viel für denAufbau und für das Training der Sicherheitskräfte vorOrt getan wie diese Bundesregierung. Ich bitte, dies beiall Ihrer Kritik zu berücksichtigen. Die Lage war anders,als Sie regiert haben.
Aber der zivile Aufbau und seine Absicherung im In-teresse der Stabilität des Landes werden natürlich nur einTeil der Lösung sein können. Entscheidend ist die politi-sche Lösung. Diese Einsicht ist der eigentliche Strategie-wechsel, der vor ziemlich genau einem Jahr auf der Lon-doner Afghanistan-Konferenz stattgefunden hat. Damalswar dieser Wechsel noch sehr umstritten, auch in diesemHause. Aber es zeigt sich, dass das, was die Bundes-regierung mit unseren Bündnispartnern in London aus-verhandelt hat, eine richtige Entscheidung gewesen ist.Wir werden in Afghanistan den Frieden nicht militärischschaffen, sondern nur durch eine politische Lösung. DasZiel unseres internationalen Engagements ist es daher,eine politische Lösung zu erreichen, um Afghanistannachhaltig und dauerhaft zu stabilisieren, damit es auchin der Zeit nach unserem Engagement nicht wieder Hortund Rückzugsort des Terrorismus gegen die Welt wer-den kann.
Für diesen politischen Prozess ist es von großer Be-deutung, dass wir alle einbinden. Deswegen ist nicht dieBedeutung dessen zu unterschätzen, dass auch die regio-nale Einbindung, das heißt die Einbindung insbesondereder betroffenen Nachbarländer, mehr und mehr gelingt.In London hat es mit der Afghanistan-Konferenz ange-fangen. Dann gab es in Kabul zum ersten Mal eine Afgha-nistan-Konferenz im Land selbst. Dort waren alle Betei-ligten dabei. Darunter befanden sich übrigens auch dieNachbarländer, die jahrelang nicht mitgewirkt haben.Diese Konferenz wurde begleitet von Abkommen zwi-schen Afghanistan und Pakistan. Solche Handelsabkom-men kann man von Mitteleuropa aus als leicht machbaransehen. Wer aber den Hintergrund der Beziehungenzwischen den beiden Ländern kennt, der weiß, dass siein Wahrheit einen großen Fortschritt darstellen. Iran: Esgibt viele Fragen – ich nenne zum Beispiel Fragen imZusammenhang mit dem Drogenhandel –, die nur mitder Einbindung der Nachbarländer und mit einer ent-sAsnpSdDrePkdnadLnhdbgMwVw2wdbDliwdMPssdfänDA
it anderen Worten: Ende 2011 wollen wir erstmalig dieräsenz der Bundeswehr reduzieren. Aber es ist dochelbstverständlich, dass wir alles unter den Vorbehalttellen müssen: soweit es die Lage erlaubt und insbeson-ere unsere Soldatinnen und Soldaten vor Ort nicht ge-hrdet werden. Denn wir wollen einen unumkehrbaren,achhaltigen Prozess der Übergabe der Verantwortung.as ist das Ziel.
Wenn wir das übrigens nicht tun, wie es klar in demntrag der Bundesregierung steht, – –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9605
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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– Lesen Sie es nach, dann wissen Sie es. Ich kann es Ih-nen noch einmal vorlesen:Die Bundesregierung ist zuversichtlich, im Zugeder Übergabe der Sicherheitsverantwortung diePräsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzierenzu können, und wird dabei jeden sicherheitspoli-tisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögli-che Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies er-laubt und ohne dadurch unsere Truppen oder dieNachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefähr-den.
Man muss kein Militärexperte sein, es reicht, wennSie Ihren Menschenverstand einschalten, dann wissenSie, dass das der vernünftige Weg ist. Und darauf kommtes auch an.
Herr Bundesminister, der Kollege Nouripour von den
Grünen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Sehr gerne, bitte sehr.
Herr Außenminister, Sie haben gerade beschrieben,
dass, wenn es möglich ist und die Sicherheitslage es er-
laubt, am Ende dieses Jahres die Kontingente der deut-
schen Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan reduziert
werden sollen. Meine Frage ist: Schließen Sie damit aus,
dass zwischenzeitlich durch den Einsatz der AWACS-
Flugzeuge die Mandatsobergrenze angehoben oder die
flexible Reserve dadurch angebrochen wird?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Ich unterstütze die Haltung des Vorsitzenden der So-
zialdemokratischen Partei Deutschlands in diesem Punkt,
und ich empfehle sie Ihnen auch einmal zur Aufmerk-
samkeit.
Der SPD-Vorsitzende Herr Gabriel – man merkt, ganz
allgemein gesprochen, dass Reisen läutert – hat heute in
einem Interview erklärt, das seien zwei unterschiedliche
Vorgänge. Deutschland hat erklärt, dass wir uns derzeit
an diesem AWACS-Einsatz nicht beteiligen,
weil unser Schwerpunkt auf dem Training und der Aus-
bildung liegt. Ansonsten ist es selbstverständlich, dass
wir in regelmäßigen Abständen mit unseren Bündnis-
partnern alles besprechen und alles überprüfen. Deswe-
gen ist eine Frage, ob ich etwas ausschließe, vielleicht
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iese sozialdemokratische Partei ringt mit sich, disku-
ert, wägt die Argumente ab und erklärt öffentlich auf
en Antrag der Bundesregierung hin, dass sie die Ab-
icht habe, die Soldatinnen und Soldaten nicht alleinezu-
ssen, und sie ihnen den Rücken stärken wolle.
Bei Ihnen ist das ganz anders. Es hat noch niemals ein
ußenminister so viele Soldaten in Auslandseinsätze ge-
chickt wie der grüne Außenminister, nur, dass Sie da-
on nichts mehr wissen wollen, kaum dass Sie in der
pposition sitzen.
s ist verantwortungslos, was Sie hier machen, verant-
ortungslos!
Herr Bundesminister, erlauben Sie noch eine Zwi-
chenfrage des Kollegen Stefan Liebich von der Linken?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
ärtigen:
Ja.
Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben geradein paar Passagen aus dem Text vorgelesen, der hier zurbstimmung steht, allerdings nicht aus dem Teil, überen abgestimmt werden soll. Können Sie bestätigen,ass die Bedingung, die die SPD für ihre Zustimmungestellt hat, im Beschlusstext des Antrags der Bundesre-ierung überhaupt nicht erfüllt wird und dass das, wasie hier vorgelesen haben, sowie jede Zahl, die einenbzug andeutet, lediglich in der Begründung des Regie-ngsantrags stehen?Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-ärtigen:Ich will Ihnen kurz antworten. Sie sind doch nicht ersteit ein paar Wochen, sondern schon seit ein paar Mona-n im Deutschen Bundestag.
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9606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Sie müssen doch wissen, Herr Kollege, bei allem Re-spekt, dass es immer so gewesen ist, dass wir einen An-tragstext vorlegen und dass die Begründung natürlichauch die politische Einbettung dieses Antragstextes dar-stellt. Soll denn der Deutsche Bundestag ernsthaft be-schließen, dass die Bundesregierung zuversichtlich sei?Ich glaube, hier sollte der Deutsche Bundestag etwasselbstbewusster sein. Wir haben eine Parlamentsarmeeund keine Regierungsarmee. Deswegen hat dieser Deut-sche Bundestag das letzte Wort; alles andere ist surreal.
Wir haben dann die Aufgabe, den Prozess, den wirhier hoffentlich gemeinsam oder jedenfalls mit großerMehrheit verabschieden werden, in diesem Jahr hand-werklich voranzubringen. Für die politische Lösung, diewir anstreben, haben wir im letzten Jahr drei wichtigeWegmarken gehabt: London, Kabul und die Konferenzin Lissabon. In diesem Jahr werden wir eine sehr wich-tige Wegmarke bei uns in Deutschland haben, nämlichdie Afghanistan-Konferenz in Bonn. Ich sage Ihnen vo-raus, dass diese Konferenz, die am Ende des Jahres statt-finden wird, die Schwerpunkte haben wird, um die esgeht: die politische Lösung, Reintegration, auch Aussöh-nung, den Dialog. In den Mittelpunkt dieser Afghanis-tan-Konferenz muss aber auch die Zeit ab 2014 rücken.Das war der Gedanke, bevor die Zwischenfragen gestelltworden sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute in Afgha-nistan den Eindruck hinterlässt, ab 2014 sei man dort aufsich allein gestellt, weil wir uns für die Menschen dortnicht mehr interessieren, sie könnten machen, was siewollen, und sollten zusehen, wie sie klarkommen, derwird nur erreichen, dass es weder Fortschritte bei der gu-ten Regierungsführung sowie bei der Bekämpfung desDrogenhandels und der Korruption noch Fortschritte imdemokratischen Prozess geben wird, den wir alle wollen.Dann riskiert man, dass genau die Partner, die wir brau-chen, um das Land auf Dauer sicher aufzubauen, nichtsmehr mit uns zu tun haben wollen, weil sie anschließendum ihr Leben und das ihrer Familien fürchten müssen.Weil so etwas keine verantwortungsvolle Politikwäre, wollen wir einen Prozess der Übergabe der Verant-wortung in Verantwortung. Man bringt etwas verantwor-tungsvoll zu Ende, was man gemeinsam im Bundestagbeschlossen hat, und man enttäuscht nicht die Freunde,die man braucht, um mit Blick auf Terrorismus auch un-sere eigene Sicherheit hier in Deutschland vergrößern zukönnen.
Wir haben im Rahmen unserer Mitgliedschaft im Si-cherheitsrat der Vereinten Nationen die Koordination fürAfghanistan übernommen. Ich werde deswegen regel-mäßig hier im Deutschen Bundestag zu diesem Themasprechen. Ich gehe davon aus, dass wir darüber regelmä-ßig in den Ausschüssen diskutieren werden. Ich kann Ih-nen zusagen, dass ich Sie – Ihre Obleute und Ihre Reprä-sentanten –, wo immer ich kann, über die Fortschritteparlamentarisch auf dem Laufenden halten werde. IchggdwRwhEtitiBüleEZmSnmvKSusgbsdDwdsSRSn
ine solche breite Mehrheit ist auch für unsere interna-onalen Verbündeten, für unsere Bündnispartner wich-g, damit sie wissen: Das wird von der Politik in derreite getragen.Man muss in der Politik bereit sein, Verantwortung zubernehmen, selbst wenn es einen in den Umfragen viel-icht das eine oder andere Prozentpünktchen kostet.
s geht erst einmal um die Sicherheit, die Freiheit, dieukunft unseres Landes und Afghanistans. Meine Da-en und Herren von der Opposition, von den Grünen,ie sollten sich ein Beispiel an den Sozialdemokratenehmen. Wenn ich das sage, sollte Sie das nachdenklichachen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich
on der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Bundesaußenminister, ich weiß nicht, obie gedacht haben, dass Sie die Sozialdemokratinnennd Sozialdemokraten, insbesondere deren Redner, mito viel Lob irritieren könnten. Ich möchte aber zu Be-inn sagen: Wir sollten bei solch einer bedeutenden De-atte schon den wichtigen Versuch unternehmen, gegen-eitig Brücken zu bauen; das scheint mir bei dieser Frageringend notwendig.Wir haben hier im Deutschen Bundestag schwierigeebatten über das Bundeswehrmandat erlebt; aber das,as sich die Bundesregierung in den letzten Wochen beier Entwicklung dieses Mandates geleistet hat, war bei-piellos:
ie haben irritiert und provoziert; Sie haben sich in deregierung zerstritten. Frau Bundeskanzlerin, ich frageie: Haben Sie in diesem Kabinett eigentlich eine ord-ende Hand?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9607
Dr. Rolf Mützenich
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Wie werden Sie der Verantwortung gerecht, dass Sie beidieser wichtigen internationalen Frage die Führung über-nehmen müssen? Ich finde, Sie haben nicht nur das Par-lament verunsichert, sondern auch die Bündnispartner.Das hat die deutsche Politik im letzten Jahr ausgemacht:Nach der Formulierung des Mandatstextes sind zweiPressekonferenzen durchgeführt worden, auf denen zweiunterschiedliche Interpretationen vorgetragen wurden.Das halte ich bei diesem wichtigen Mandat nicht nur fürungewöhnlich, sondern auch für eine Zumutung.
Ich habe mich schon gefragt: Wollen Sie wirklich einebreite Zustimmung des Parlaments erreichen? Herr Bun-desaußenminister, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sieheute hier wichtige Feststellungen – hoffentlich für diegesamte Bundesregierung – getroffen haben. Wir wer-den in den Ausschussberatungen darüber reden. Leiderwaren Sie bisher nicht stark genug, um Querschüsse, ins-besondere des Verteidigungsministers, zu verhindern.Ich habe mich gefragt, ob das Primat des Politischen,das beim Afghanistan-Mandat bisher Vorrang vor allemanderen hatte, im Kabinett einem Primat des Militäri-schen gewichen ist. Ich finde, hier müssen Sie das Ver-trauen wiederherstellen. Es kann doch nicht sein, dasssich ein Verteidigungsminister hinstellt und sagt: „EinKabinettsbeschluss ist mir wurscht.“ Was ist das dennfür ein Umgang mit der Öffentlichkeit, aber auch mit Ih-nen im Kabinett!
Ich sage Ihnen: Am Ende ist es dieses Parlament, dasdie Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan zurückführt,nicht irgendein einzelner Minister. Es handelt sich umeine Parlamentsarmee; das wird auch so bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Sozialde-mokraten war Afghanistan immer mit politischen Zielenverknüpft. Wir wollten, dass die Afghanen die Möglich-keit, auch die Chance haben, nach verheerenden Jahr-zehnten sowjetischer Besatzung, Bürgerkrieg und Inter-ventionen Afghanistan wieder aufzubauen. Aber dassind politische Ziele.Wir haben die Chance gesehen, dass diese politischenZiele mit Präsident Obama und dann auch mit der Lon-doner Konferenz verbindlich werden und dann das Mili-tärische dem untergeordnet wird. In dem wichtigen Be-schluss, der noch gilt und jetzt durch das neue Mandatabgelöst werden soll, ist genau das aufgenommen wor-den, was wir diskutiert haben. Hier gebe ich Ihnen recht,Herr Bundesaußenminister: Das war für uns in der so-zialdemokratischen Partei eine schwierige Debatte. Aberwir haben auf unseren Konferenzen über den zivilenWiederaufbau gesprochen, wir haben über die Polizei-ahaKintäbicLvdamsDinAzndszhwgBlemsmvwAanduUsspIcaFw
eider, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie da-on abgelenkt.Ein Abzugsplan mit militärischen Zielen, das ist dochas Wichtige. Wir haben ein Signal in die Region, aberuch an die afghanische Regierung geben wollen: Sieüssen davon ausgehen, dass die internationale Gemein-chaft irgendwann die Verantwortung übergeben will.as wird bis 2014 der Fall sein. Dieser Abzugsplan wird den nächsten Tagen auch bei den Beratungen in denusschüssen eine Rolle spielen.
Dann kommen Sie daher und sagen, ein solcher Ab-ugsplan sei leichtfertig. Wollen Sie wirklich den Bünd-ispartnern Kanada, den Niederlanden und den USA,em amerikanischen Präsidenten, Leichtfertigkeit unter-tellen, wenn sie einen solchen Abzugsplan unterstüt-en? Diese Frage müssen Sie hier beantworten, und ichoffe, dass der Verteidigungsminister dies gleich tunird.Herr zu Guttenberg, ich glaube, Ihr Problem bei Af-hanistan ist, dass Sie nur noch durch die militärischerille schauen und versuchen, in der Öffentlichkeit al-in ein militärisches Bild darzustellen. Das ist nichtein Verständnis von einem Verteidigungsminister. Sieind ein Zivilist, der aus meiner Sicht an dieser Stelleoderne Sicherheitspolitik mit den politischen Zielenerbinden müsste, die die internationale Gemeinschaftill.Diesen Eindruck hatte man beispielsweise bei Ihremuftritt bei Kerner – mir zumindest ist es so gegangen,ls ich mir das angeschaut habe – nicht. Da ging es ebenicht um Kunduz, da ging es nicht um die Polizeiausbil-ung, da ging es nicht um die Skepsis der Afghaninnennd Afghanen. Das gehörte nämlich nicht zu Ihrer Show.nd das ist der entscheidende Punkt, den ich hier kriti-iere. Ich glaube, Sie sind kein guter Sicherheitspolitiker,ondern Sie wandeln nur auf den Wegen alter Militär-olitik.
h glaube, das führt auch Sie in der Regierungskoalitionuf einen falschen Weg.
Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie zum Schlussolgendes fragen: Sie haben sich ja sozusagen – icheiß nicht, woran es liegt – diesem Trend ein bisschen
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9608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Rolf Mützenich
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unterworfen. Vielleicht hat das auch etwas mit Mei-nungsumfragen zu tun. Aber auch Sie scheuen sich janicht, das Wort „Krieg“ zu nennen, auch als Sie damalsin Afghanistan gewesen sind. Der Bundesaußenministerhat im letzten Jahr nach meinem Dafürhalten zu Rechterklärt, dass es sich hier um einen bewaffneten interna-tionalen Konflikt handelt, wenn man das Völkerrecht alsGrundlage nimmt. Ich glaube, Sie sollten sich doch ein-mal die Frage stellen, ob Sie nicht eine Tendenz in deröffentlichen Diskussion unterstützen, die nach meinemDafürhalten genau in die falsche Richtung geht. Wennzum Beispiel der Vorsitzende des Deutschen Bundes-wehrVerbandes, Herr Kirsch, sagt: „Was interessierenmich verfassungsrechtliche Spitzfindigkeiten?“, dannmüssen wir doch dagegenhalten.
Die völkerrechtlichen Fragen stehen doch im Vorder-grund einer solchen Diskussion. Ich glaube, das mussdoch auch einer Kanzlerin ein bisschen durch den Kopfgehen.Wir werden in den kommenden Tagen streng daraufachten, ob Sie glaubhaft die politischen Ziele mit einemverbindlichen militärischen Abzugsplan verbinden wol-len. Dann und nur dann können Sie mit einer breiten Un-terstützung durch die SPD rechnen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidi-gung, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-desminister der Verteidigung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Herr Kollege Mützenich, das Rednerpultscheppert noch. Ich danke Ihnen für die Feststellung, einZivilist zu sein. Das ist richtig.Bevor ich auf die Diskussion über das ISAF-Mandatund gerne auch auf die Punkte, die Sie, KollegeMützenich, genannt haben, eingehe, darf ich noch einigeSätze zu drei Fällen sagen, die die Bundeswehr, aber auchdie Öffentlichkeit in diesem Land beschäftigen. Hier giltder ganz klare Anspruch, dass man rückhaltlos aufklärt,dass man die Dinge bewertet und man sie, wenn die Vor-würfe Tatsachen entsprechen sollten, abstellt und die ent-sprechenden, notwendigerweise harten Konsequenzenzieht. Das ist die Herangehensweise. Ich glaube, so sollteman solche Punkte angehen: nicht mit Vorverurteilungen,nicht mit irgendwelchen Mutmaßungen oder Vermutun-gen, sondern auf der Grundlage von Tatsachen.
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Ich darf auch deutlich machen, dass ich mich mit allerntschiedenheit gegen Vorwürfe verwahre, meine Mitar-eiter oder ich hätten das Parlament vorsätzlich ge-uscht oder Tatsachen vertuscht. Solche Verdächtigun-en sind infam und fallen letztlich auf diejenigen zurück,ie sie abgeben. Es geht auch weiterhin darum, dass wirie Dinge mit größtmöglicher Offenheit ansprechen undortragen
nd man einen vertrauensvollen Umgang miteinanderflegt. Diesen haben wir in den letzten Jahren grundsätz-ch entwickelt. Auch heute fand diesbezüglich eine Ob-uteunterrichtung statt. Ich glaube, das ist der richtigeeg.
Ein Fall betrifft Afghanistan. Wenn man über Afghani-tan spricht, ist es wichtig, über Tatsachen und nicht überutmaßungen zu sprechen, insbesondere dann nicht,enn der Schutz eines Soldaten, der gerade Ermittlungenusgesetzt ist, deswegen gefährdet sein könnte. Ichlaube, es ist notwendig, auch das zu sagen.
Was das ISAF-Mandat anbelangt, hat Kollegeesterwelle völlig zu Recht darauf hingewiesen, wieichtig und stark das Signal ist, das wir heute geben; dasegann mit der Regierungserklärung des Kollegeniebel. Zum Bezugspunkt, lieber Kollege Mützenich: Esäre verwegen, die Zukunft Afghanistans und die zu-ünftige Gestaltung Afghanistans nur durch die militäri-che Brille zu betrachten. Das würde zeigen, dass manlaubt, die Ziele in Afghanistan allein militärisch errei-hen zu können. Das ist eine schiere Illusion. Das isticht machbar und nicht darstellbar. Das geht nur durchin Zusammenwirken der Kräfte. Das geht nur, wenn dientwicklungshilfe, also die zivile und diplomatische He-ngehensweise, eine wirklich starke Säule darstellt. Ichann nur sagen: Die ressortübergreifende Zusammenar-eit innerhalb des Kabinetts in den letzten Monaten istesser als das, was wir in den Jahren vorher erlebt haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9609
Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
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Dafür danke ich den Kollegen noch einmal. Das Zusam-menwirken hinsichtlich der Zielsetzung Afghanistan isterstklassig.
Im Übrigen führt der Verteidigungsminister dieTruppe natürlich nicht heim. Das würde ich mir auch nieanmaßen, lieber Herr Kollege Mützenich. Es ist interes-sant, welche Zitatbrocken vermengt wurden. Aber derVerteidigungsminister gibt während eines Mandates im-mer wieder eine militärische Bewertung ab, so wie derMinister des Auswärtigen eine Bewertung der anderenPunkte – auch eine übergreifende Bewertung – vor-nimmt, so wie der Entwicklungsminister eine entwick-lungspolitische Bewertung abzugeben hat. Das ent-spricht der Erwartungshaltung, die letztlich auch Sie anuns haben.Die NATO hat den in Lissabon und auf den Konferen-zen in Kabul und London beschlossenen Strategiewech-sel mittlerweile umgesetzt. Dieser Strategiewechsel trägtin meinen Augen erste Früchte. Das kann man wirklichsagen.Über meinen Fachbereich haben wir auch im letztenJahr intensive Diskussionen geführt, etwa was das Kon-zept des Partnerings anbelangt. Das Konzept des Partne-rings – als ein Ausbildungskonzept, als ein Schutzkon-zept,
ja, auch als ein Konzept, um die Aufständischen letztlichaus ihren schon ergriffenen Räumen in andere Räume zuverdrängen – ist eines, das erfolgreich läuft. Mit denAusbildungsleistungen sind wir im Zeitplan. Es ist sogarso, dass wir vor dem Zeitplan liegen. Ich glaube, daskann als ein Erfolg gewertet werden. Das ist ein Erfolgder Leistungen der militärischen wie der zivilen Kräftevor Ort, ein Erfolg des Zusammenwirkens, und das funk-tioniert.
Wir haben natürlich Zielsetzungen zu erfüllen, auchehrgeizige, ambitionierte Zielsetzungen. Wir haben inden letzten Monaten und im letzten Jahr gottlob aucheine Diskussion über realistische Ziele geführt: Was istin Afghanistan erreichbar? Wann ist es erreichbar? Mitwelchen Partnern ist es erreichbar?Vor diesem Hintergrund sage ich: Ja, 2011 wird füruns ein forderndes Jahr werden.
Präsident Karzai hat gesagt, er will diesen Prozess derÜbergabe in Verantwortung, von dem der KollegeWsinddLaaünü2gliJDkgWtiDdnvWleKVnlifodabgds
en Satz, den Guido Westerwelle vorhin verlesen hat,
ann man, wenn man irgendwo einen Streit hineinbrin-en will, so und so deuten.
ir haben uns auf diesen Satz geeinigt. Er ist die Posi-on der Bundesregierung.
ie Position der Bundesregierung enthält das Ziel undie Zuversicht, in diesem Jahr mit dem Abzug zu begin-en. Guido Westerwelle hat auch klar gesagt – das ist einöllig logischer Ansatz –: wenn es die Lage erlaubt.
ir tun alles dafür, dass es die Lage erlaubt.
Ich glaube, dieser Ansatz ist ehrgeizig. Lieber Kol-ge Mützenich, dieser Ansatz wird auch vom Zivilistenarl-Theodor zu Guttenberg mitgetragen, und zwar auserantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten, de-en ich von dieser Stelle aus für ihren Dienst ausdrück-ch danken will. Sie haben die Anerkennung in diesemrdernden Einsatz verdient.Dieser Ansatz ist von der Verantwortung mitgetragen,ass wir immer auch sagen: Verantwortung haben wiruch für diejenigen, die dort verbleiben. Auch daran ha-en wir unsere Entscheidungen auszurichten. Es werdenemeinsam getragene und kluge Entscheidungen sein,ie wir treffen, und solche, die endlich auch einer Per-pektive für Afghanistan, die das Land verdient hat, die
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9610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg
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aber auch unsere Soldaten und unsere zivilen Helfer ver-dient haben, Ausdruck geben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Das Sprachrepertoire derBundesregierung hat sich in den letzten Monaten be-trächtlich erweitert. Da hört man Worte, für die dieLinke in der Vergangenheit heftig angegangen wordenist; „weltfremd“ sind wir genannt worden: „Abzug derTruppen“, „Versöhnungsprozess“, „regionale Lösung“,„Selbstbestimmung“, ja, selbst „Verhandlungen mit denTaliban“ sind kein Tabu mehr. Aber wenn es um Afgha-nistan und die Menschen dort geht, dann muss eines klarsein: Rhetorische Wendungen sind nicht angesagt. DiePolitik muss sich ändern, und zwar gründlich. Daraufkommt es an.
Leider findet man das im Handeln dieser Regierungnicht.Mit der jetzt zu beschließenden Entsendung der Bun-deswehr wird der Eindruck erweckt, man verfolge einenAbzugsplan. Vorsicht! Man sollte das Kleingedrucktegenau lesen. Nach 2014 möchte man nur keine Kampf-truppen mehr im Lande haben. Ausbildungseinheitensollen bleiben. Wie viele? Nobody knows. Es ist dochso, schon jetzt sollen sich die Truppen auf die Ausbil-dung der afghanischen Armee konzentrieren. Wo alsoliegt der Unterschied?Einen Generalvorbehalt hat man auch eingebaut. DerAbzug soll nur dann stattfinden, wenn bestimmte – inmeinen Augen nicht sehr klare – Bedingungen erfülltsind, zum Beispiel eine stabile Regierung in Kabul. DerVerteidigungsminister hat jetzt gesagt, ihm sei es völligwurscht – ja, er hat wirklich „wurscht“ gesagt –, ob derRückzug 2014 oder 2013, 2010 oder 2011 stattfinde, aufdie Konditionierung komme es an.Im Klartext: Das kann noch um einiges länger dauern.Ich kann nur sagen: Ein eindeutiger, unmissverständli-che Abzugsplan sieht anders aus,
und der müsste hier auch beschlossen werden. Es gehtnicht um vage Ankündigungen und Versprechungen,sondern es geht darum, hier etwas konkret festzulegenund zu beschließen. Das ist der Punkt.
Man sieht daran auch, dass Ihre Politik nach wie vorauf der falschen Annahme basiert, die Rückholung derTzgsedSNsDWriSATJ1mdVbwUdkKlaSdregjutuDhfeslenbhKLmdgas4wis
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9611
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– namentlich den USA – bezahlt werden müssen unddass sie natürlich auch als entscheidendes Machtinstru-ment des dortigen Regimes, des Karzai-Regimes, ange-sehen werden. Deshalb ist die Warnung nicht unbegrün-det, die da sagt: Dieser Plan kann sich als Roadmap füreinen fortgesetzten Bürgerkrieg erweisen. Deshalb sindwir entschieden dagegen.
Alle reden inzwischen davon, dass man mit den Geg-nern reden müsse, sie in einen auszuhandelnden Frie-densprozess einbinden müsse. Aber trotz dieser schönenRhetorik klammern Sie sich an diese trügerische Hoff-nung, mit militärischer Stärke könne man eine solcheLösung herbeizwingen. Anders wäre dieser Truppenauf-wuchs nicht zu erklären.Und es bleibt eine Tatsache: Wenn Sie die Anführernachts mit Drohnen und Spezialkommandos jagen, wer-den sie sich tagsüber nicht an den Verhandlungstisch set-zen. Das ist widersinnig und muss beendet werden.
Es wäre also klug, sich stattdessen auf eine Verhand-lungslösung zu fokussieren, die mit Waffenstillstands-vereinbarungen lokal und zentral eingeleitet werdenmüsste, um dann zu einem Gesamtarrangement zu kom-men, das uns allen hier nicht schmecken wird. Daswürde aber nicht mehr und nicht weniger bedeuten, alsdass endlich die Waffen schweigen und ein kontinuierli-cher Aufbau im Land entstehen kann. Das ist die Voraus-setzung dafür. Es geht also um eine langfristig angelegteEntwicklungsarbeit mit den Schwerpunkten Bildung undAusbildung. Das alles wird aber nur funktionieren, wennder Krieg beendet wird. Das ist das A und O.
Wir sagen: Das ist ein mühsamer Prozess, der jetzt inGang gebracht werden muss. Deshalb ist es umso wich-tiger, dass die UNO nicht länger mit einem Beobachter-status auf der Rückbank sitzt. Es geht eben nicht nur umeinen Deal zwischen der NATO und den Taliban, son-dern es geht um einen umfassenden Friedensplan bzw.Friedensprozess, der alle Akteure und Kräfte in Afgha-nistan umfassen muss und ohne die sicherheitspolitischeEinbindung der Anrainerstaaten nicht gelingen wird.Dies zu organisieren, sollte den Vereinten Nationen undniemandem sonst obliegen. Das ist der Punkt.
Es ist üblich geworden, einzugestehen, dass man Feh-ler gemacht hat.
Jetzt müssen praktische Schlüsse daraus gezogen wer-den, die darin bestehen – das sagt auch eine stabileMehrheit in der Bevölkerung –, die Bundeswehr zurück-zuziehen und sich auf den zivilen Aufbau und eine inter-nationale politische Lösung zu konzentrieren. Das istaussichtsreich. Ich finde, die Leute haben recht. HörenSie auf sie!Danke.
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Herr Präsident! Herr zu Guttenberg, als Reaktion aufre Vorbemerkung eben: Wir glauben, dass wir als Par-ment im Fall des toten Soldaten in Afghanistan voministerium objektiv falsch unterrichtet worden sind,
nd wir wollen wissen, warum.
as wird noch weiter aufzuklären sein. Ich kann Ihnenur sagen: Das, was Sie hier erklärt haben, genügt unsicht. Das reicht nicht aus.
Jetzt komme ich zur Debatte des heutigen Tages. Ichnde es wichtig, dass wir uns heute Morgen viel Zeit ge-ommen haben, um über den zivilen Wiederaufbau infghanistan zu sprechen. Das kommt oft zu kurz. Dabeiind gerade diese Anstrengungen entscheidend für dieukunft Afghanistans. Herr Außenminister, etwas ande-s ist dabei aber auch deutlich geworden: Durch dieseerkwürdige Zweiteilung der Debatte, die wir heute hierrlebt haben – vormittags Entwicklungspolitik und zivi-r Wiederaufbau, nachmittags, getrennt davon, militäri-ches Mandat –, wird eine Menge über die Koordina-onsprobleme der Regierung ausgesagt.
Dass Sie es nach einem weiteren Jahr nicht geschafftaben, ein integriertes Mandat vorzulegen, in das auchie zivile und die politische Dimension aufgenommenird, ist ein politisches Versagen; es tut mir leid.
h sage auch: Hätten Sie dem Vorschlag von uns unden Sozialdemokraten für eine gemeinsame, unabhän-ige Evaluierung des Einsatzes keine Absage erteilt,ann hätten wir nun wenigstens eine gemeinsame Lage-inschätzung. Ihre Absage an uns ist und bleibt einchwerer Fehler.Nun zur politischen Frage, ob die Bundeswehr eineiteres Jahr in Afghanistan bleiben soll. Unsere Ant-ort ist klar: Ja, das soll sie. Ein Sofortabzug der inter-ationalen Truppen ist und bleibt unverantwortlich. Dasäre ein Treibsatz für einen offenen Bürgerkrieg infghanistan. Herr Außenminister, dass Sie meinen, aus-erechnet uns Grünen vorwerfen zu müssen, wir würdens uns in dieser Frage leicht machen,
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9612 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Frithjof Schmidt
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ist sehr billig. Das sollten Sie eigentlich wirklich nichtnötig haben.
Trotz dieser Einschätzung sage ich: Ich – das giltwohl auch für die Mehrheit meiner Fraktion – kann Ih-rem Mandatstext, wie schon im letzten Jahr, nicht zu-stimmen.Wir sind mit einer Reihe von Punkten, wie sie imMandat stehen – manches fehlt auch – nicht einverstan-den. Vor einem Jahr sprach die Bundesregierung davon,man müsse sich eine Abzugsperspektive erarbeiten. EinJahr später streiten sich die zuständigen Minister da-rüber, und zwar öffentlich und ohne Ende. Was Sie sichals Bundesregierung in den letzten Wochen geleistet ha-ben, ist schon einmalig.
Herr Außenminister, Sie haben ausgeführt, dass Sie2011 mit dem Abzug beginnen wollen. Das nehmen wirsehr wohl zur Kenntnis. Der Verteidigungsminister hatSie daraufhin quasi vom Feldherrenhügel herab abge-kanzelt und erklärt, das sei ihm wurscht, nach demMotto: Wann und wie meine Truppen abziehen, das be-stimme doch wohl eher ich. Da lasse ich mir auch nichtvon einem angeschlagenen Außenminister hineinreden.
Im Mandat haben Sie einen Satz aus 49 Wörtern ge-bastelt, um diesen Konflikt zu übertünchen. Sie habenihn dankenswerterweise noch einmal vorgelesen. AmEnde dieses Satzes steht nur fest, dass bei Ihnen garnichts feststeht.
„Die Bundesregierung ist zuversichtlich …, Ende 2011“mit dem Abzug beginnen zu können, allerdings mit derEinschränkung: „soweit die Lage dies erlaubt“. Sie sindKönige des Konjunktivs.
Sie können nicht weiter ausweichen. Seit über einemJahr beschwören Sie eine Abzugsperspektive. Legen Sieendlich einen konkreten, verlässlichen Plan vor. In ande-ren Ländern geht das doch auch. Sagen Sie, was Sie zwi-schen 2011 und 2014 machen wollen. Sagen Sie, wie diekonkreten Schritte 2012 und 2013 aussehen sollen. Daswollen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wis-sen. Nur so werden wir Druck auf die afghanische Re-gierung erzeugen, ihre Seite des Fahrplans einzuhalten.In Interviews sprechen Sie durchaus an, Herr Außen-minister, dass dieser Mechanismus notwendig ist. Siewissen es doch besser. Warum haben Sie sich in der Re-gwsbsssfoisneMWfüleegPdWPdafeshAsHKaDFrufüJFL
Herr Außenminister, Sie haben vor einem Jahr dasartnering neu in das Mandat eingeführt, ohne es klar zuefinieren. Dazu war seitdem in Ihren Erklärungen keinort zu hören. Wir hatten die Befürchtung, dass das einrozess der schrittweisen Veränderung des Mandats fürie Bundeswehr bedeutet, nämlich die Abkehr von ISAFls Stabilisierungseinsatz hin zu einer Strategie der of-nsiven Aufstandsbekämpfung. Ich muss leider fest-tellen: Diese Befürchtung hat sich weitgehend bewahr-eitet. Damit haben Sie den deutschen Einsatz infghanistan auf einen falschen Weg gebracht.
Es gibt keine ausreichende Klarheit über den militäri-chen Auftrag und die politischen Ziele. Auch bei derilfe für den zivilen Aufbau gibt es höchstens bis 2013larheit. Unsere Verantwortung für Afghanistan endetber nicht mit einem Abzug der internationalen Truppen.afür brauchen wir eine Strategie, ein Konzept für dieortsetzung der zivilen Unterstützung nach 2014.Statt ihres ewigen Streites könnte die Bundesregie-ng Initiative zeigen. Das wäre ein sinnvoller Beitragr die Vorbereitung der Bonn-II-Konferenz Ende diesesahres.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Stinner von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Herr Mützenich, ich habe heute von Ihnen eine
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9613
Dr. Rainer Stinner
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neue Form der politischen Debatte gelernt, nämlich dieentrüstete Zustimmung.
Das finde ich sehr interessant. Für Ihre Entrüstung habeich politisch sehr großes Verständnis. Wir alle müssensozusagen unsere Kartoffeln zusammenkriegen. Für dieZustimmung bedanke ich mich bei Ihnen ausdrücklich.
Wir sind jetzt zum zehnten Mal dabei, ein Mandat zuverlängern. Ich möchte an alle Kollegen und auch an dieÖffentlichkeit sowohl hier, als auch andernorts, wo dieDebatte verfolgt wird, appellieren, Folgendes zu verste-hen: Wir verlängern nicht einfach ein weiteres Mal dasMandat für Afghanistan wie vielleicht 2006 oder 2007.
– Nein, das ist eindeutig nicht der Fall. Das möchte ichbegründen.Wir haben heute, im Januar 2011, eine grundsätzlichandere Situation als vor einem Jahr. Mit den StichwortenLondon, Kabul und Lissabon haben wir in der NATOdurch Versammlungen und Meinungsbildung auf derEbene der Organisationen erstmals den Dreiklang einergemeinsamen Vision, eines gemeinsames Ziels und ge-meinsamer Strategien.
Wir definieren gemeinsame Maßnahmen, die wir auchdurchführen. Es ist insofern ein Vierklang. Das ist neu.Deswegen gibt es jetzt auch erstmals die Perspektive ei-nes Endes unseres militärischen Einsatzes, was Kampf-truppen angeht.
Diese Differenzierung ist wichtig. Sie ist hier auch ge-macht worden. Das ist völlig richtig. Das ist neu.Ich habe ein gewisses Verständnis dafür – ich gebezu: ein marginales Verständnis –, dass man von Anfangan sagt, eine Beteiligung sei unter allen Umständen aus-geschlossen, weil wir nicht wissen, wann es zu Endegeht. Aber diejenigen, die eine verantwortliche deutscheAußen- und Sicherheitspolitik betreiben wollen, müssenspätestens jetzt erkennen: Die Bundesregierung hat ge-tan, was sie tun konnte. Sie hat eine Perspektive entwi-ckelt, wann der Einsatz zu Ende ist.Ich bitte Sie alle herzlich, dafür zu sorgen, dass wirdiesen Entwicklungspfad der schrittweisen Entscheidun-gen von London Anfang 2010 bis zum 31. Dezember2014 gemeinsam verantwortungsvoll gehen. Auf diesemEntwicklungspfad von London 2010 bis Ende 2014 gibtes bestimmte Zwischenstufen.mudgSdJIcBwvDmSimlisAsvRkmruadwiskAbteunraHsgdsusSh
h sage Ihnen ganz offen, Herr Schmidt: Das weiß dieundesregierung nicht, und ich weiß es auch nicht. Icheiß aber eines: Auch Sie wissen es nicht. Deshalb ist esöllig unsolide, dies zu tun.
eshalb müssen wir den Pfad verfolgen, den wir ge-einsam in der Koalition beschlossen haben und demie auch zustimmen können.Ich kann mich sehr gerne auf das beziehen, was ich vergangenen Monat aus Ihren Reihen gehört habe,ebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Herr Erler hatich dazu eingelassen, dass er bei einem Besuch infghanistan – ich glaube, es war im letzten Herbst – ge-ehen hat: Jawohl, es hat sich etwas verändert.Ich habe mit großem Interesse heute das Interviewon Herrn Gabriel gelesen. Ich merke, dass das in Ihreneihen diskutiert wird und dass Sie zu dem Schluss ge-ommen sind, mehrheitlich diesem Mandat zuzustim-en.Selbstverständlich wird auch in dieser Bundesregie-ng darüber diskutiert, was der richtige Weg ist. Es wirduch in dieser Bundesregierung und in dieser Koalitionarüber diskutiert, wie die Worte im Mandat gewählterden sollen. Das machen Sie doch genauso. Wichtigt aber, wie Helmut Kohl sagte, was am Ende heraus-ommt.
m Ende kommt heraus, dass das Mandat der Beschrei-ung entspricht und dass der Außenminister und der Ver-idigungsminister heute wortgleiche Sätze vortragennd ein gemeinsames Konzept haben, das sie offensivach außen vertreten.
Das müssen wir im Deutschen Bundestag wissen. Da-uf haben nicht nur Sie ein Anrecht, sondern auch wir,err Mützenich. Wir haben dasselbe Interesse, und wirehen, dass die Bundesregierung nach Diskussionen hieremeinsam auftritt. Insbesondere die Soldaten der Bun-eswehr, aber auch die Öffentlichkeit haben einen An-pruch darauf, dass die Bundesregierung ein Konzeptnd einen Gesamtrahmen vorlegt, dass sie innerhalb die-es Gesamtrahmens verantwortungsvoll einzelnechritte abarbeitet und etwas tut, was in der Vergangen-eit nie in der Weise geschehen ist, nämlich in Zwi-
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9614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Rainer Stinner
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schenberichten kritisch und selbstkritisch zu beobachtenund beleuchten, was geschehen ist. Auch das ist im letz-ten Jahr erstmals geschehen.Insofern kann ich sagen: Meine Fraktion wird auf-grund dieser Situation diesem Mandat heute in vollerÜbereinstimmung zustimmen. Es wird einige geben, diesich anders verhalten werden; das wissen wir. Aber wirglauben, dass wir auf einem richtigen Pfad sind. DieBundesregierung hat erstmals etwas erreicht, das es zu-vor nicht gab. Das ist ein Fortschritt. Die Welt in Afgha-nistan ist nicht schön. Sie kann aber besser werden. Dazuwollen wir unseren Beitrag leisten.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Arnold, da Sie schon am Rednerpult ste-
hen: Normalerweise werden die Redner aufgerufen.
– Ich habe Verständnis für Ihren Durst. Aber Sie sollen
jetzt reden.
Herr Kollege Arnold von der SPD-Fraktion hat jetzt
das Wort.
Herr Präsident, bitte gehen Sie gnädig mit mir um. Ich
bitte um Entschuldigung.
Herr Kollege Stinner, Sie haben mit der „entrüsteten
Zustimmung“ einen netten Begriff geprägt, der deutlich
machen soll, wie Sozialdemokraten dem Mandat zustim-
men. Darf ich Ihnen etwas dazu sagen? – Meine Partei
kann stolz darauf sein, wie sie mit der ernsten Situation
in Afghanistan und dem schwierigen Auftrag der Solda-
ten umgeht. Ja, wir ringen mit uns – und zwar in der gan-
zen Breite unserer Partei –, manchmal sogar ein bisschen
stellvertretend für unsere Gesellschaft und andere Par-
teien, denen es guttäte, genauer zu diskutieren. Ich
komme noch darauf zurück.
Aus der Diskussion ist bei uns die Erkenntnis erwach-
sen: Ja, auch im elften Jahr ist der Einsatz in Afghanistan
nicht nur in militärischer, sondern vor allen Dingen auch
in ziviler Hinsicht notwendig, weil er im Interesse der
Welt und damit auch im Interesse Deutschlands liegt.
Niemand will sich ausmalen, was in dieser ohnehin
schon fragilen Region – unter anderem mit Pakistan als
Nachbar und gefährdeten zentralasiatischen Staaten –
passieren würde, wenn Afghanistan zum zerfallenden
Staat wird. Die Instabilität geht uns daher etwas an. Es
ist richtig, unserem Auftrag dort gerecht zu werden. Ich
sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken:
Die Idee, dass die UNO Verantwortung in Afghanistan
übernimmt und die Staatengemeinschaft beauftragt, in
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ie Bundesregierung hat eine Brücke gebaut. Natürlichann man immer darüber streiten, ob eine Formulierungicht noch verbessert werden kann. Herr Außenminister,ir könnten uns im Vorfeld von Mandatsdiskussionenurchaus eine größere Gesprächsbasis vorstellen. Daind wir bisher nicht immer ganz glücklich. Aber diesesandat zeigt die richtige Richtung auf.Im Übrigen, Herr Kollege, ist 2014 das entscheidendeahr. Dies ist auch nicht konditioniert,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9615
Rainer Arnold
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sondern Beschlusslage der Staatengemeinschaft. Neh-men Sie das bitte zur Kenntnis!
– Nein. Ich brauche nicht den Außenminister zu verteidi-gen.
Herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage, HerrLiebich.Ich komme auf meine Rede zurück. Eines wurdeheute schon sichtbar – viele Vorredner haben darauf hin-gewiesen –: Ein einfaches Weiter-so in Afghanistanwürde nicht zum Erfolg führen. London und die folgen-den Konferenzen haben doch dazu geführt, dass endlichErnst gemacht wird, dass alle bei allem mehr tun, dassman nicht mehr auf den anderen wartet, dass er das lie-fert, was er zugesagt hat. Allerdings ist auch ganz wich-tig, dass wir erkennen: Unsere Anstrengungen im Zugedieser veränderten Strategie brauchen auch das Jahr2011, um zu greifen. Wir brauchen Zeit dafür. In diesemJahr wird man sehen, ob die Weichenstellungen in dieRichtung führen, die wir uns alle wünschen, nämlich hinzu mehr Stabilität und hin zu mehr Möglichkeiten desAufbaus.
Ganz wichtig ist auch, dass man bei der London-Kon-ferenz endlich erkannt hat, dass es nicht nur um die Säu-len der Stabilität und des zivilen Aufbaus geht, sondernim Zentrum die dritte Säule steht, nämlich der politischeProzess. Dies gilt sowohl für den regionalen Prozess inAfghanistan – dabei können wir uns mehr Aktivitätender Regierung vorstellen – als auch für den Versöh-nungsprozess, den die Gesellschaft in Afghanistanselbstverständlich braucht, damit sie Menschen, die desGeldes wegen bei den Aufständischen schießen, zurück-gewinnen kann. All dies sind also vernünftige Entschei-dungen.Interessant ist allerdings Folgendes. Die Debatte, inder wir Sozialdemokraten dies alles vor einem Jahr hierin Berlin diskutiert haben, in der wir definiert haben,dass man im Jahr 2011 den Einstieg schaffen und imJahr 2014 den Prozess abschließen muss, hat der Bun-desverteidigungsminister als leichtsinnig bezeichnet.Dies haben Sie, Herr Minister, in vielen Interviews ge-sagt. Ist also Obama, ist also die Staatengemeinschaftleichtsinnig? Wie gehen Sie eigentlich mit diesemThema um? Wenn wir zustimmen, stimmen wir nichtwegen des Verteidigungsministers, sondern trotz desVerteidigungsministers zu.
Kann man von einem Verteidigungsminister, der er-klärt, ihm sei all das wurscht, ernsthaft erwarten, dass ersich anstrengt, dass all das, was wir hier miteinander dis-kutieren, dann tatsächlich zum Tragen kommt? HerrMVsMdhFwtusgVwIhkkPfüstipleeTwddduB–üzfedngstenreacgnC
Herr Minister, wir haben ja heute Morgen in dem vonnen angesprochenen Obleutegespräch miteinander dis-utiert. Sie sagen, im Prinzip hätten Sie die Öffentlich-eit richtig informiert, und in den Fällen, in denen dasarlament unvollständig informiert wurde, hätten zweihrende Militärs die Verantwortung übernommen. Jen-eits der Frage, wie man die schlechte Informationspoli-k ganz genau bezeichnet, ist festzuhalten: Das ist ty-isch für Ihre Vorgehensweise. Wenn es unbequem wird,gen Sie die Verantwortung anderen auf die Schulter.
Herr Minister, eine unvollständige Information istine Halbwahrheit. Das ist für uns ein sehr ernsteshema, auch wegen Afghanistan. Wir Sozialdemokratenollen mithelfen, das über das Thema Afghanistan iner deutschen Gesellschaft diskutiert wird. Wir wollenie Menschen möglichst mitnehmen und ihnen erklären,ass dieser Einsatz richtig und notwendig ist. Das wirdns aber nur dann gelingen, wenn die Bürgerinnen undürger den Eindruck haben, dass wir als Parlamentarier dabei sind Sie genauso angesprochen wie wir – wissen,ber was wir reden, und dass die Bundesregierung unseitnah, korrekt und umfassend informiert. Dann schaf-n wir Vertrauen in den Afghanistan-Einsatz. Dies hatie Bundesregierung in den vergangenen Wochen leidericht geleistet.
Entscheidend ist, dass das Vorhaben in Afghanistanelingt. Ich sehe eine ernsthafte Chance, dass die be-chlossenen Maßnahmen in den nächsten Monaten wei-re Erfolge zeitigen werden. Afghanistan ist nämlichicht überall schlecht. Afghanistan muss man sehr diffe-nziert betrachten: Es gibt sehr negative Nachrichten,ber auch Entwicklungen, die Hoffnung und Mut ma-hen. Dies bestätigen die Menschen auch bei den Umfra-en in Afghanistan.Ich sage ganz eindeutig: Könnten wir eigentlich ei-em Mandat zustimmen, wenn wir nicht eine ernsthaftehance auf Erfolg sehen würden? Es wäre nicht zu ver-
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9616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Rainer Arnold
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antworten, Soldaten, denen wir Respekt und Anerken-nung schuldig sind, in einen Einsatz zu schicken, wennwir nicht die Perspektive hätten, dass es am Ende ge-lingt. Das Gelingen muss man allerdings richtig definie-ren. Dabei gab es in den vergangenen zehn Jahren daseine oder andere Missverständnis. Gelingen in Afghanis-tan heißt nicht, militärisch den Terror zu besiegen. Daswird nicht gelingen. Gelingen in Afghanistan heißt, Ter-ror zurückzudrängen, jetzt zunehmend zusammen mitden Afghanen; dort ist man schon so weit. Gelingen inAfghanistan heißt außerdem, die Zeit zu nutzen und denAfghanen zu helfen, damit sie im Jahr 2014 mit den Pro-blemen, die es dort dann selbstverständlich noch gebenwird, selbst umgehen können. Das ist das Ziel. Ichglaube, dieses Ziel ist erreichbar. Dass es erreicht wird,ist für uns alle extrem wichtig.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Schmidt, ich möchte zu-
nächst einmal in aller Form, aber ganz klar Ihre Unter-
stellung zurückweisen, der Minister habe hier das Parla-
ment falsch unterrichtet.
– Nein, er hat gesagt, er habe es falsch unterrichtet. Herr
Arnold, Sie haben von unvollständig gesprochen. Weder
das eine noch das andere ist richtig. – Der Minister hat
das Parlament und die Öffentlichkeit vollständig über
die Tatsachen unterrichtet, die ihm vorlagen und die bis-
her ermittelt worden sind.
Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass nach
dem Tod des jungen Soldaten am 17. Dezember bereits
am 18. Dezember in Afghanistan, während der Herr
Minister noch vor Ort war, die Unterrichtung erfolgt ist
und dass jetzt zunächst einmal die Staatsanwaltschaft er-
mittelt. Sie versucht, die Tatsachen herauszufinden. Das
muss abgewartet werden. Erst wenn das geschehen ist,
ist der Zeitpunkt da, an dem der Minister über weitere
Tatsachen unterrichten kann. Ich erwarte von einem
Minister, dass er das Parlament nicht über Spekulationen
unterrichtet, sondern dass er über Fakten spricht. Das hat
er zu jedem Zeitpunkt getan.
Herr Kollege Friedrich, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Keul?
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as ist ein entscheidender Punkt. Er hat dazu beigetra-en, dass die Völkergemeinschaft – dazu gehören nichtur die Deutschen, die Amerikaner, die Franzosen undie Engländer – die Entscheidung getroffen hat, mit demandat, das im Oktober vergangenen Jahres noch ein-al bekräftigt worden ist, 46 Nationen zu beauftragen, Afghanistan für die Stabilität zu sorgen, die notwen-ig ist, um weltweit Sicherheit, also auch in Deutsch-nd, garantieren zu können. Ich glaube, das ist etwas,as man bei der Diskussion um Afghanistan immer wie-er in den Vordergrund stellen muss.Es geht aber auch um die Übergabe in Verantwortung,o wie es im Grunde in London zu Recht als nächsterchritt der Stabilisierung vereinbart worden ist. Diesebergabe in Verantwortung findet statt. Der Minister hatas, glaube ich, sehr umfangreich ausgeführt.Oft wird gesagt: Nichts ist gut in Afghanistan. – Es istieles in Afghanistan gut geworden. Es ist gut, dass es,achdem die Schulen zerstört waren und Mädchen undrauen bis 2001 keinen Unterricht in Schulen erhalten
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9617
Dr. Hans-Peter Friedrich
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konnten, jetzt gelungen ist, 3 500 Schulen zu bauen, unddass sich die Zahl der Schüler auf 7 Millionen verfünf-facht hat, darunter ein Drittel Mädchen. Wir haben heuteMorgen in einer langen Debatte gehört, was in Afghanis-tan alles gut geworden ist. Es ist noch nicht alles gut,und es muss noch an vielem gearbeitet werden, aber vie-les ist gut geworden, auch dank unserer Soldatinnen undSoldaten. Ihnen gebührt unser Dank, den wir ihnen im-mer wieder ausdrücken sollten.
Was die Abzugsperspektive angeht: Sie ist sehr kon-kret und sehr klar.
Abzug findet in dem Maße statt, wie es möglich ist, Ver-antwortung auf die afghanischen Kräfte zu übertragen.
Es geht darum, dass eine Armee von 171 000 Soldatenaufgebaut wird. Das wird zu schaffen sein im Rahmendes jetzt zu erteilenden Mandates. Es geht darum, dass134 000 Polizisten in Amt und Würden eingesetzt wer-den und ihre Aufgabe wahrnehmen können.
Das wird sich in den nächsten zwölf Monaten im Rah-men des Mandats realisieren lassen. Dann kommt es aufdie Entwicklung vor Ort an.
Es wäre schön, meine Damen und Herren, wenn Siesich ein bisschen in die Situation der Bevölkerung vonAfghanistan versetzen würden.
Der Außenminister hat heute versucht, Sie ein bisschenin die Gedankenwelt der Menschen einzuführen, dieauch durch Gerede im Westen über Abzugsperspektivenund Zeitpunkte verunsichert werden, ohne dass dies da-von abhängig gemacht wird, dass Fortschritte erreichtwurden und die Sicherheit der Menschen dort gewähr-leistet ist. Das muss das entscheidende Kriterium sein.So gehen wir auch vor.Wir stehen hinter dem Einsatz unserer Soldaten, diemit sehr viel persönlichem Engagement und persönli-chem Risiko, aber auch mit hoher Professionalität dortagieren. Angesichts dessen, dass sich die Soldaten dortmit der Kultur des Landes und dem Denken der Men-schen auseinandersetzen, merkt man, dass sie ihre Auf-gabe verinnerlicht haben und sie ernst nehmen, eineAufgabe, die dem Frieden und der Freiheit der Men-schen dort und in der ganzen Welt dient.Ich bin sehr froh – das möchte ich ausdrücklich inRichtung der Sozialdemokraten sagen –, dass es unsüeddggsPfebIcmKBBbüsnkPUwgdtegdhinddw
Kollege Friedrich zur Erwiderung. – Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin, ich weiß nicht, ob Sie hin undieder auch die Zeitung lesen.
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9618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Dr. Hans-Peter Friedrich
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Ich habe bereits am 18. Dezember in der Zeitung gelesen– das wurde auch von keiner Seite bestritten –, dass derSoldat durch Fremdeinwirkung zu Tode gekommen ist.Was wollen Sie denn noch?
Die deutsche Öffentlichkeit ist insgesamt über diesenUmstand der Fremdeinwirkung unterrichtet worden.
Dass natürlich Einzelheiten, die am Ende auch straf-rechtlich relevant sein können, zunächst von der Staats-anwaltschaft untersucht werden und dass man zunächsteinmal in internen, nur für den Dienstgebrauch vorgese-henen Dokumenten der Sache nachgeht, ist doch eineSelbstverständlichkeit.
Ich erwarte auch, dass wir den Ermittlungen derStaatsanwaltschaft nicht vorgreifen, sondern ihr Raumgeben, das zu tun, was ihre Aufgabe ist. Darauf kommtes an. Das alles ist erfolgt. Insofern gibt es da keine Ver-säumnisse.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Philipp Mißfelder von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auch ich werbe, wie meine gesamte Fraktionund die Kolleginnen und Kollegen der Liberalen, füreine möglichst breite Unterstützung dieses Hauses. Wirhaben den Einsatz auch in verschiedenen Ausprägungenvon Mandaten durchweg unterstützt. Aber wir habenauch immer ein Fragezeichen hinter die Grundsatzent-scheidung gesetzt, durch die dieser Einsatz zustandekam.Zumindest für die diejenigen in der Union, die sichdamit heute im Bereich der Außen- und Verteidigungs-politik federführend beschäftigen, kann ich hier feststel-len: Unsere Aufgabe ist es jetzt nicht, den Einsatz auszu-weiten, sondern unsere Aufgabe ist es jetzt, einenEinsatz, der kopflos mit einem Einmarsch begonnen hat,heute besonnen zu Ende zu führen. In diesem Spagat be-wegt sich auch dieses Mandat.Die schwierige Aufgabe, die sich stellt, ist natürlichder schwierigen Situation in Afghanistan geschuldet,adninptrgwraDamdAirhnsfüAsdgresvmTredziskmnAdreregbaPas„
as ist eine der wichtigen Lehren, die man bereits heuteus dem Afghanistan-Einsatz ziehen kann. Das hättean bei dem Mandat damals schon bedenken können.
Ich war überrascht, dass vorhin kritisiert worden ist,ass es in der heutigen Plenarsitzung zwei Debatten zufghanistan gibt. Herr Schmidt hat gesagt, man hätte dasgendwie zusammenfassen können. Wenn das so gese-en wird, können wir uns eigentlich die Debatte in derächsten Woche sparen.Am 16. Dezember letzten Jahres haben wir den Fort-chrittsbericht diskutiert. Heute morgen haben wir aus-hrlich und unter großer Beteiligung über den zivilenufbau diskutiert, und jetzt diskutieren wir in erster Le-ung über das Mandat. Diese Diskussion werden wir iner nächsten Woche fortsetzen. Ich finde es gut – ichlaube, dass das zur Demokratie und gerade auch unse-r parlamentarischen Tradition gehört –, dass bei einero schwierigen Fragestellung wie der der Entsendungon Soldaten ins Ausland das Parlament sich fortlaufendit allen Aspekten beschäftigt und so ein Höchstmaß anransparenz der Entscheidungsfindung gewährleistet.
Von Herrn Arnold wurde gesagt, er würde sich mehrgionale Kooperation und auch politische Initiativen inieser Hinsicht wünschen. Es hat in den vergangenenwölf Monaten starke Initiativen gegeben! Die Wahrheitt doch, dass es heute kaum eine außenpolitische Dis-ussion gibt, die wir als Politiker bzw. als Parlamentarierit Partnern und Freunden, auch mit strategischen Part-ern im Ausland, führen, in der nicht über die Frage vonfghanistan gesprochen wird. Selbstverständlich spieltas bei nahezu allen wichtigen internationalen Konfe-nzen eine große Rolle. Die Deutschen sind dabei füh-nd. Es wird auch wahrgenommen, dass unser Strate-iewechsel Erfolg hat.Gerade das, was wir Deutsche in den Bereichen Aus-ildung und ziviler Wiederaufbau leisten, wird weltweitnerkannt und mit Respekt bedacht, gerade von unserenartnern in der NATO.Wie erklären Sie sich sonst, dass Länder, die eigentlichngekündigt hatten, dass sie aufgrund des innenpoliti-chen Drucks nicht mehr mitmachen wollen, jetzt sagen:Wir unterstützen die von den Deutschen ausgegebenen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9619
Philipp Mißfelder
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Ziele, und deshalb sind wir bereit, uns weiterhin an demEinsatz zu beteiligen und ihn zu unterstützen“? – Für ihreUnterstützung bedanke ich mich natürlich bei diesen Län-dern.Es ist von daher wichtig, hier ein kraftvolles Zeichenzu setzen. Ich hoffe, dass wir mit einer großen Mehrheitin der nächsten Woche das Mandat verlängern. Damituntermauern wir den Strategiewechsel und vergrößernunsere Erfolgsaussichten in Afghanistan.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4402 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun Dittrich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Aufgaben und Zusammensetzung der Alters-
armutskommission – Altersarmut umfassend
und mit den richtigen Mitteln bekämpfen
– Drucksache 17/4422 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Matthias Birkwald von der Fraktion
Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit mehrals einem Jahr steht der schwarz-gelbe Beschluss, eineKommission zur Altersarmut einzusetzen, im Koali-tionsvertrag. Im kommenden April soll sie ihre Arbeitaufnehmen. Erst im September 2012 wird der Ab-schlussbericht vorliegen.
Das ist viel zu spät. Meine Damen und Herren aus Unionund FDP: Trödeln Sie nicht rum! Legen Sie einen Zahnzu und den Abschlussbericht deutlich eher vor!dSFfakszhteMsENgräbRwbGisFlezogKwhabtezwDdmzuguccev
Bereits heute gibt es Armut im Alter. In Zukunft wer-en davon leider noch mehr Menschen betroffen sein.ie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union undDP, sprechen in Ihrem Koalitionsvertrag von der „Ge-hr einer ansteigenden Altersarmut“. Ihnen ist auch be-annt, dass die Menschen im Osten besonders gefährdetind, künftig im Alter in Armut zu leben, weil die Löhneu niedrig und die Arbeitslosigkeit zum Teil doppelt sooch ist wie im Westen.Frauen waren, sind und werden auch in Zukunft wei-rhin besonders stark von Altersarmut betroffen sein.enschen, die von Erwerbsminderungsrente leben müs-en, werden ebenfalls sehr häufig Renten unterhalb desxistenzminimums beziehen. Auf Ihrem Parteitag imovember vergangenen Jahres haben Sie, liebe Kolle-innen und Kollegen von der CDU/CSU, klar einge-umt, dass Altersarmut politische Ursachen hat. Sie ge-en zu, dass Altersarmut eine Folge des abgesenktenentenniveaus und eine Folge niedriger Löhne ist. Sieissen das alles, und trotzdem verschärfen Sie das Pro-lem, anstatt es zu lösen. Kommen Sie endlich in dieänge und tun Sie etwas gegen die Altersarmut!
Ich weiß, Sie wollen es nicht mehr hören, aber richtigt es trotzdem: Nehmen Sie die Rente erst ab 67 zurück!ühren Sie einen gesetzlichen Mindestlohn ein, und stel-n Sie die Weichen für gute statt wie bisher für mies be-ahlte Arbeit!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierung kannder will ja noch nicht einmal genau sagen, was sie nunenau unter Armut versteht. Schwarz-Gelb will, dass dieommission eineinhalb Jahre lang berät, aber kann oderill nicht sagen, worüber und mit wem eigentlich. Genauier setzt der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linken. Die Linke will, dass die Menschen ein würdiges Le-en im Alter führen können. Wir nehmen das Problem Al-rsarmut sehr ernst. Deshalb sind uns die Zusammenset-ung und die Aufgaben der Altersarmutskommissionichtig.Ich will hier nur einige unserer Forderungen nennen:ie Linke will die Kommission aus den Hinterzimmerner Ministerien an die Öffentlichkeit bringen. Deshalbüssen alle Parteien genauso wie Gewerkschaften, So-ialverbände, Seniorenorganisationen sowie Expertinnennd Experten aus der Wissenschaft der Kommission an-ehören und nicht ausschließlich Regierungsmitgliedernd Ministerialbeamtinnen und -beamte. Dass die Kir-hen dazugehören, hat der Herr Staatssekretär freundli-herweise schon erklärt.Wir wollen, dass die gesetzliche Rente wieder deninmal erreichten Lebensstandard sichert und dass sieor Armut schützt.
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9620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Matthias W. Birkwald
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Deshalb soll die Kommission entsprechende Reform-und Finanzierungsvorschläge entwickeln.Erstens. Die Linke will eine solidarische Alterssiche-rung. Darum soll die Kommission prüfen, wie die Rentezu einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung aus-gebaut werden kann.Alle Erwerbstätigen – sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte, Beamtinnen und Beamte, Politiker und Politi-kerinnen und selbstverständlich auch Selbstständige –sollen einbezogen werden.Zweitens. Die Linke will, dass Altersarmut nicht nurmit einer guten Rentenpolitik, sondern ebenso mit einerguten Arbeitsmarktpolitik bekämpft wird. Kurz und gut:Es geht um gute Arbeit, gute Löhne und gute Rente.
Deshalb soll die Kommission Vorschläge entwickeln,wie Frauen und Männer Familie und Beruf künftig bes-ser vereinbaren können. Hierzu zählt auch, Zeiten derPflege und der Erziehung besser in der Rente zu berück-sichtigen.Nicht zuletzt wollen wir, dass die Kommission die Si-tuation in Ostdeutschland ganz besonders im Blick hat.Ich fordere die Kommission auf, Vorschläge zu machen,wie die Menschen vor der bereits heute laut rauschendenWelle von Altersarmut in Ostdeutschland geschützt wer-den können. Denn das Ziel muss sein, dass alle Men-schen in Deutschland in Würde alt werden können – inKöln und in Greifswald.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Das von Ihnen eingebrachte Thema lau-tet: Aufgaben und Zusammensetzung der Altersarmuts-kommission.Ich möchte eines vorausschicken. Im Koalitionsver-trag haben wir uns einiges vorgenommen und angekün-digt, einige Änderungen anzugehen: Viele Dinge hatman am Anfang belächelt, unter anderem auch, dass wirdiese Kommission zu diesem Zeitpunkt einsetzen wol-len, der jetzt noch so steht. Jetzt steht dieses Versprechenvor der Einlösung. Aber zuvor haben wir auch einige an-dere – ich würde sagen – dicke Bretter gebohrt und sinddamit schon auf dem Weg. Vieles von dem, was ange-kündigt war, ist angegangen worden und zum Teil schondurchgesetzt worden.Die Wirtschaftskrise ist fast vergessen. Natürlich ha-ben auch Sie von der SPD Ihren Anteil daran; das ist inder gestrigen Diskussion hier bestätigt worden. Wir müs-ssBincaTriwruaDsgasghS–ZsddmtonTmdszSkruSImw
Auch das Bildungspaket ist zu nennen und Reformen verschiedenen anderen Bereichen. Wir haben Verspre-hen bis hin zu Steuererleichterungen eingelöst. So viells Einstieg.Jetzt zum Thema Altersarmut, wie es uns hier unterOP 24 begegnet. Gestern sprach mich eine Chemnitze-n an – Chemnitz ist mein Wahlkreis – und fragte mich,arum denn die Bundesregierung erst jetzt eine Regie-ngskommission einsetze, die Konzepte gegen Alters-rmut entwickeln soll.
a höre ich fast Sie, Herr Birkwald, durch. Altersarmutei doch bereits in aller Munde. Sie fragt sich, ob die Re-ierung da nicht etwas spät dran sei. Dass Altersarmutllerdings bereits jetzt ein akutes Problem sei und alsolches wahrgenommen wird, überrascht mich und ei-entlich viele der Fachleute, die die Zahlen vor Augenaben, tatsächlich.
chließlich sind wir genau von dem Phänomen bislangbis zum heutigen Tag – nahezu verschont geblieben.um Glück und Gott sei Dank, sage ich dazu. Es zeigtich einmal mehr, dass es Medien oder Parteien, wie iniesem Fall Sie, genau auf eine solche Verunsicherung iner Bevölkerung anlegen.
Ich habe mein Arbeitsleben lang im Umfeld von Ar-ut gearbeitet – zuerst als Sozialpädagoge, dann als Pas-r in der Heilsarmee. Ich erinnere mich zum Beispieloch an die alte Dame, die zu der von uns eingerichtetenafel kam, und ich sehe immer noch sowohl die Ohn-acht bei ihr als auch die Ohnmacht bei mir. Aber – undas ist mir ganz wichtig – das ist, und das will ich sehrtark betonen, nicht der Regelfall in Deutschland.Die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land sindu 97 Prozent nicht von Altersarmut betroffen.
ie haben ein ausreichendes Einkommen und müsseneine staatliche Unterstützung in Form von Grundsiche-ng in Anspruch nehmen. Das ist eine beeindruckendeituation, die ich ausdrücklich auch so darstellen will.
internationalen Vergleich steht Deutschland sehrohl sehr gut da.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9621
Frank Heinrich
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Das generelle Armutsrisiko – Sie schreiben das in Ih-rem Antrag ganz am Anfang – bei Älteren liegt im Ver-hältnis zu anderen Teilen der Bevölkerung bei ver-gleichsweise niedrigen 13 Prozent. In Ihrem Antragheißt es „beinahe genau so viele“. Mathematisch gibt esdamit im Alter weniger Armutsgefährdete als im Durch-schnitt der Bevölkerung.
Doch will ich natürlich nicht verhehlen – deshalb die-ser Einschub und auch die berechtigte Beschäftigung derKommission mit dem Thema –, dass trotz dieser mo-mentan positiven Lage demografische Herausforderun-gen kommen werden, von denen die wirtschaftliche Ent-wicklung geprägt werden wird. Dann kommt ein Wandelauf uns zu, wenn wir jetzt nicht darüber nachdenken,was in den nächsten 10 oder 20 Jahren passieren wird.Dafür sind Weichen zu stellen, nachdem man einen Plangemacht hat.
– Da widerspreche ich Ihnen, Herr Birkwald: Wir brau-chen Zeit, um in dieser Kommission gut zu arbeiten,weil es sich um komplexe Fragen handelt. Auch mir istwichtig, dass wir das angehen; wir müssen uns aber dienötige Zeit dafür nehmen.Genaue Prognosen, verlässliche Vorhersagen – be-züglich Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung,Veränderungen des Erwerbsverhaltens, Erwerbsbiogra-fien mitsamt der Brüche, die möglicherweise geschehenoder auch schon geschehen sind, Einkommens- undPreisentwicklungen, Höhe der Mieten und Verbraucher-ausgaben und noch einiges mehr – sind außerordentlichschwierig und sehr komplex.Mein besonderes Anliegen auch als Berichterstatterzu diesem Thema ist, gezielt gegen Altersarmut vorzu-gehen – auch gegen die, die in 10 oder 15 Jahren auf unszukommen wird, wenn wir nichts tun – und frühzeitigstimmige Konzepte zu entwickeln. Dafür stehe ich, undgenau dafür wird diese Regierungskommission einge-setzt, worüber ich sehr froh bin.
Sehr froh bin ich auch darüber, dass wir das Themaschon in die Koalitionsverhandlungen und den Koali-tionsvertrag eingebracht haben.Ich verstehe allerdings nicht ganz, wieso Sie als Linkein dem Antrag, über den wir heute diskutieren, die ge-naue Aufgabenstellung und die Zusammensetzung derKommission kritisieren, bevor überhaupt ein Konzeptvorliegt und ebendiese Zusammensetzung feststeht. Ichbin wirklich erstaunt, dass Sie teilweise schon genau zuwissen scheinen, was in diesem Auftrag stehen wird undwarum es dort hinein soll oder nicht, obwohl es dazunoch gar nichts Schriftliches gibt. In sämtlichen Antwor-teimgGnApLteddkashAriswbBgwWuwtrdbapDzLsvtiagsdaEmsugs
Fest steht nur, dass die Kommission alle möglichennsätze zur Vermeidung von Altersarmut umfassendrüfen soll. Dazu gehören auch die Auswirkungen vonangzeitarbeitslosigkeit, die Sie ansprechen, auf die spä-re Absicherung im Alter. So sieht der Auftrag, überen ich erst einmal sehr froh bin, aus, der bei mir gelan-et ist. Wenn das Konzept für die Kommission vorliegt,önnen wir uns gern kritisch damit auseinandersetzen;ber lassen Sie uns doch bitte so lange warten, bis es tat-ächlich vorliegt.
Laut aktueller Planung wird die Kommission – dasaben Sie vorhin auch schon gesagt – ihre Arbeit impril aufnehmen. Den Vorsitz wird das Bundesministe-um für Arbeit und Soziales haben. Im September 2012oll der Abschlussbericht vorgelegt werden, und wirerden über die Qualität der Aussagen zu befinden ha-en. Ich kann Ihnen versichern – auch das wurde von derundesregierung in jeder Debatte zur Altersarmut vor-etragen –, dass neben den fachlich betroffenen Ressortsie Wirtschaft, Finanzen und Justiz auch unabhängigeissenschaftler und Sachverständige aus den sozialennd arbeitsmarktspezifischen Bereichen vertreten seinerden. Natürlich werden dann auch Beiträge von Ver-etern aus der Wissenschaft, von Gewerkschaften under Arbeitgeberseite, von Sozial- und Betroffenenver-änden eingeholt; das versteht sich von selbst. Wir sinduf diese Expertise angewiesen, um jenseits von partei-olitischen Argumenten zu einem Ergebnis zu kommen.
ies wird uns Szenarien und damit auch Strategien auf-eigen, wie wir darauf reagieren können.Der Vorwurf aus Ihrem Antrag, liebe Kollegen derinken, dass der Koalitionsvertrag eine einseitige Zu-ammensetzung vermuten lässt, ist für mich nicht nach-ollziehbar.Abschließend komme ich noch einmal auf die wich-gsten Voraussetzungen zur Vermeidung der von Ihnenngesprochenen Altersarmut zu sprechen. Zum eineneht es um die Integration in den Arbeitsmarkt. Wirprechen in diesen Tagen immer wieder davon, dass Bil-ung in den Mittelpunkt gestellt werden und niemanduf der Strecke bleiben soll. Es geht um eine dauerhafterwerbstätigkeit mit entsprechendem Einkommen undöglichst vollständiger und adäquater Rentenbiografieowie um eine verbesserte Vereinbarkeit von Familiend Beruf, durch die die von Ihnen als nachteilig wahr-enommene Situation von Frauen verbessert werdenoll.
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9622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Frank Heinrich
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Die Arbeit der Kommission dient zuallererst der Mei-nungsbildung der Bundesregierung hinsichtlich be-stimmter Maßnahmen und Modelle zur Vermeidung vonAltersarmut. Dieser Prozess ist in alle Richtungen offen.Es geht eben nicht um eine ideologische Debatte zu derFrage, ob staatliche oder private Vorsorge zu bevorzugenist, sondern um eine gründliche Prüfung und Analyse derMaßnahmen zur Sicherung im Alter. Ziel ist es, ein lang-fristiges Konzept zu entwickeln. Dieses gilt es gut vor-zubereiten. Ich denke, ein Zeitraum von eineinviertelJahren ist dafür nicht zu lang. Gleichwohl ist der Terminfür den Abschluss der Tätigkeit der Kommission so an-gelegt, dass wir noch in dieser Wahlperiode gesetzgebe-risch tätig werden können.
Je nachdem, welche Empfehlungen von dieser Kommis-sion ausgehen, werden wir weit über die Legislaturpe-riode hinaus daran zu arbeiten haben.Lassen Sie es mich mit einem Bild beschreiben: Mirkommt es so vor, als führen wir alle in einem gut funk-tionierenden Fahrzeug, das bis zur nächsten Inspektionnoch 10 000 Kilometer einwandfrei fahren kann. Wirsind in die richtige Richtung unterwegs – davon bin ichüberzeugt –
und haben schon einen Termin für die nötige Inspektionfestgelegt. Aber Sie, liebe Kollegen, tun so, als stündenwir seit Monaten auf dem Schrottplatz.
Das ist absolut nicht legitim.
Ich halte dies nicht nur für unangemessen, sondernauch für ein weiteres Beispiel dafür, dass Sie sozialeThemen für parteipolitische Zwecke missbrauchen: Sieschüren Ängste. Sie sagen, Sie würden sich um dieseAnliegen bemühen, aber Sie nutzen sie nur für Ihre par-teipolitischen Interessen, ohne die statistischen Grundla-gen ernst zu nehmen.Möglicherweise versuchen Sie sogar wieder, uns eineIdeologiedebatte aufzuzwingen.
Wir haben gleich noch eine Aktuelle Stunde, in der wireine Ideologiedebatte führen werden. Vielleicht wollenSie unser ganzes Gesellschaftssystem infrage stellen;aber das ist mit uns nicht zu machen. Wir wollen einegute, saubere Planung, auf deren Grundlage wir dannEntscheidungen treffen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Kollege Schaaf hat für die SPD-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wennan sich die konkrete Fragestellung des Antrags derinken anschaut, dann erkennt man, dass das mit Ideolo-ie wenig zu tun hat. Der Antrag greift ein dringendesroblem auf, das aus meiner Sicht von Ihnen, Herreinrich, unzureichend beschrieben wurde. Sie habenerade gesagt, Altersarmut sei aktuell kein besondersroßes Problem. Aber die Menschen, die im Alter armein werden, gehen jetzt zu miserablen Löhnen arbeitender sind arbeitslos.
atürlich haben wir es mit Altersarmut zu tun, und zwartzt und sehr konkret.
Wir haben eine gute Entwicklung bei der Rentenkasse das stimmt sogar –, weil die Anzahl der Beschäftigtenewachsen ist. Jetzt schauen Sie sich aber einmal an, wieiele Entgeltpunkte ein Einzelner durchschnittlich er-irbt: Diese Zahl geht systematisch nach unten. Da istlso Altersarmut vorprogrammiert. Dem muss man ent-egenwirken; dem muss man sich stellen. Da reicht diellgemeine Ankündigung der Einsetzung einer Kommis-ion zur Altersarmut nicht aus; man muss auch den kon-reten Arbeitsauftrag beschreiben.Herr Birkwald, ich bin da nicht bei Ihnen: Wenn ichir den Koalitionsvertrag anschaue und sehe, was FDPnd Union dort miteinander vereinbart haben, dann weißh, dass ich einer Kommission, deren Arbeitsauftrag da-uf beruht, überhaupt nicht angehören möchte. Ichöchte einer solchen Arbeitsgruppe nicht angehören,enn ihr geht es um die weitere Privatisierung der Al-rsvorsorge. Das, was Sie miteinander vereinbart haben,at mit der gesetzlichen Rentenversicherung überhauptichts zu tun; es sorgt eher dafür, dass immer mehr Men-chen, die nicht in der Lage sind, eine betriebliche oderrivate Altersvorsorge aufzubauen, im Alter arm wer-en. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, was Siea miteinander vereinbart haben.Es ist übrigens spannend, dass der CDU-Parteitagas, was Sie im Koalitionsvertrag miteinander vereinbartaben, richtigerweise komplett zurückgeholt hat. Ichann dem Beschluss des CDU-Parteitages in fast allenunkten zustimmen; das haben Herr Laumann und dieozialausschüsse prima hinbekommen. Nur ist mir über-aupt nicht erklärlich, wie Sie einen gemeinsamenuftrag für eine solche Kommission finden wollen,achdem der CDU-Parteitag die Vereinbarung im Koali-onsvertrag zurückgeholt hat. Das wird nicht gehen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9623
Anton Schaaf
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weil der Beschluss des Parteitages der Vereinbarung dia-metral gegenübersteht.Das kann man schon am Beispiel der Soloselbststän-digen erkennen. Da wird überlegt, ob man jetzt nachRiester und Rürup nicht irgendwie noch einen drittenWeg findet. Der CDU-Parteitag sagt, dass im Zweifel inden Fällen, in denen die Leute keine eigene private Vor-sorge aufbauen können, weil sie als Soloselbstständigenicht genügend verdienen, überprüft werden soll, ob siein die gesetzliche Rentenversicherung hineinkommenkönnen.Wie Sie diese beiden diametral entgegengesetztenDinge miteinander verbinden wollen, ist mir rätselhaft.Deswegen, Herr Birkwald, würde ich einer solchenKommission lieber nicht angehören wollen. Denn manwird sich noch nicht einmal auf einen Arbeitstitel füreine solche Kommission wirklich einigen können.Ich würde einer solchen Kommission, in der die bei-den Fraktionen eine herausragende Rolle spielen, auchaus einem weiteren Grund nicht beitreten wollen: weilzumindest ein Teil dieser Koalition eine Tatsacheschlichtweg nicht anerkennt, nämlich dass man, bevorman eine Kommission zur Altersarmut und zur Zukunftder Rente einrichtet, zunächst einmal die Ursachen fürArmut ordentlich benennen und bekämpfen muss. Dasbetrifft die Frage der Arbeitseinkommen und der darausresultierenden Beiträge. Zumindest muss man sich da-rauf verständigen, dass man anfängt, die Ursachen fürAltersarmut zu beseitigen.
Da geht es natürlich um gesetzliche Mindestlöhne.Übrigens gibt es dazu auch einen Beschluss des Parteita-ges; der wurde hier noch nicht zitiert. Der Beschluss C 1des CDU-Parteitags – C 2 ist übrigens die Frage der Al-tersarmut – sagt:Die CDU Deutschlands setzt sich in der christlich-liberalen Bundesregierung für eine Aufnahme derZeitarbeitsbranche ins Arbeitnehmer-Entsendege-setz … ein.Wenn wir so weit schon einmal wären! Wahrscheinlichmüssen wir Sie jetzt im Rahmen der SGB-II-Verhand-lungen dazu zwingen, dass Sie das tun. Aber es gibt im-merhin dieses Anerkenntnis. Ich bin einmal gespannt,wie das weiterläuft.Das gilt übrigens ebenso für andere Passagen diesesTextes, der beschlossen worden ist, zum Beispiel – derKollege Birkwald hat darauf hingewiesen –:Niedrige Renten resultieren nicht nur aus einer Ab-senkung des Rentenniveaus, sondern auch aus nied-rigen Löhnen.Was ist denn Ihre Strategie dagegen? Was macht dieseKoalition, damit Löhne stabil werden, damit Löhne sohoch werden, dass man auch eine vernünftige Alterssi-cherung aufbauen kann und nicht nur ausreichend An-sprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt,snNaehicVWAsincteslibmRdusrehwzATwDgnaVBrew1)
Den Beitrag des Kollegen Kolb für die FDP nehmenir zu Protokoll.1)
Anlage 2
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9624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Vizepräsidentin Petra Pau
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Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich hätte gerne auf das reagiert, was der Herr Kolb ge-sagt hätte. Das müssen wir aber leider nachlesen undkönnen dann erst in späteren Debatten darüber diskutie-ren.
– Zum Teil wissen wir das ja auch.
Armut im Alter ist ein Problem, vor dem niemandmehr die Augen verschließen kann. Ich begrüße es des-wegen ausdrücklich, dass die Regierungskommissionder Bundesregierung im April ihre Arbeit beginnt. Aller-dings ist Teilen der Regierungsfraktionen die Bedeutungdes Problems immer noch nicht bewusst. So hat HerrHeinrich gerade eben wieder behauptet – wahrscheinlichhätte Herr Kolb das auch gesagt –, dass Altersarmutheute noch kein Problem ist.
Das ist schlicht falsch. Zwar ist es richtig, dass Kin-derarmut das vordringliche Problem ist, aber nach denZahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Armuts-quote der über 65-Jährigen fast so hoch wie im Durch-schnitt, Herr Heinrich. Die Zahl der Fälle, in denenGrundsicherung im Alter gezahlt wird, steigt kontinuier-lich an. Sie haben vorhin gesagt, dass 13 Prozent der Äl-teren ein Einkommen haben, das unterhalb der Armuts-grenze liegt. Das sind fast 2 Millionen Menschen indiesem Land. Das ist schon heute ein Problem.Wenn man die Zahl der Grundsicherungsempfänge-rinnen und -empfänger als Maßstab nimmt – das sindjetzt fast 500 000 –, dann ist das der falsche Maßstab. Esist nämlich trotz der Verbesserungen unter Rot-Grün im-mer noch so, dass viele die Grundsicherung im Alternicht in Anspruch nehmen und die verdeckte Armut imAlter besonders hoch ist. Deswegen muss man andereMaßstäbe heranziehen, und danach ist Altersarmut heuteschon ein Problem. Die Leute gehen nicht zum Amt, undzwar nicht, weil sie das Geld nicht bräuchten, sondernweil sie sich schämen oder ihre Rechte nicht kennen. Ichhalte das nicht für einen tragbaren Zustand.
Wir möchten, dass diejenigen Älteren, die einen An-spruch auf Leistungen haben, diesen auch wahrnehmen.Deswegen ist der Vorschlag der FDP – über den habenwir hier leider nichts gehört, aber das können wir janachlesen –,AtrliaAAdgsdDDreKhsevagruinsAreößdDntinZpDvWGmPRnLneRWepati
ltersarmut durch Einführung von zusätzlichen Freibe-ägen in der Grundsicherung zu bekämpfen, nicht taug-ch. Dadurch würde die Zahl der Alten, die zum Sozial-mt müssen, nämlich steigen und nicht sinken, die armenlten wären weiterhin stigmatisiert, und die verdecktermut würde nicht bekämpft.Alle anderen Parteien – da schließe ich die CDU aus-rücklich ein – haben einen anderen Ansatz. Sie wollenerade das verhindern. Der CDU-Parteitag ist geradechon erwähnt worden. Auch die CDU setzt innerhalber Rente an und will dort Lösungen finden. Man sieht:ie Regierung kann sich wieder einmal nicht einigen.eswegen ist es auch nicht erstaunlich, dass die Bundes-gierung weder die genaue Zusammensetzung derommission noch den genauen Arbeitsauftrag festgelegtat. Klar ist nur, dass es eine regierungsinterne Kommis-ion sein wird und diese bis 2012 arbeitet.Mich wundert es nicht, dass die Regierungskoalitionine interne Kommission braucht, um bei diesem Themaoranzukommen. Die einen bestreiten das Problem, dienderen sehen es zumindest. Die einen wollen Änderun-en bei der Grundsicherung, die anderen wollen Ände-ngen innerhalb der Rente. Nun soll eine regierungs-terne Kommission weiterhelfen. Wie heißt es sochön? Wer nicht mehr weiterweiß, der gründet einenrbeitskreis.Wichtig ist, dass die Regierungskommission keineine Selbstfindungsgruppe wird, sondern dadurch eineffentliche Debatte über die besten Lösungen angesto-en wird. Wir fordern deshalb, dass die Kommissionem Parlament regelmäßig Bericht erstattet und hier, imeutschen Bundestag, über Ergebnisse, Zwischenergeb-isse und vor allem über Lösungsmöglichkeiten disku-ert wird. Ob etwas aus der Kommission folgt, ist auchoch völlig unklar. Gerade eben hieß es, dass danacheit vorhanden sei. Dazu, ob danach tatsächlich etwasassiert, gibt es bisher aber noch keine klaren Aussagen.ie Ministerin hat irgendwann einmal in einem Inter-iew gesagt, dass dafür kein Geld zur Verfügung steht.ir müssen also abwarten, was daraus wird.Sehen wir einmal das Positive: Zumindest über dieefahr einer Zunahme bei der Altersarmut sind wir unsittlerweile einig. Der Beschluss der CDU auf ihremarteitag deutet an, dass sie Lösungen innerhalb derente will und über die Rente nach Mindesteinkommenachdenkt. Darüber denken übrigens auch SPD undinke nach. Wir halten diesen Vorschlag nicht für geeig-et, weil er nicht zielgenau ist und Armut im Alter nichtffektiv genug bekämpft.Wir setzen auf eine Garantierente, mit der geringeentenansprüche auf ein Minimum aufgestockt werden.ir wollen, dass jemand mit 30 Versicherungsjahrenine Rente auf der Basis von mindestens 30 Entgelt-unkten erhält. Das entspricht heute etwa 800 Euro. Dasllein reicht aber nicht aus. Wir brauchen auch präven-ve Maßnahmen. Wir wollen die Weiterentwicklung zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9625
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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einer Bürgerversicherung – wir wollen keine reine Er-werbstätigenversicherung –, um Versicherungsbiogra-fien komplett erfassen zu können.
Eine durchbrochene Erwerbs- und Versicherungsbiogra-fie ist eine wesentliche Ursache für Altersarmut.Wir müssen natürlich auch beim Arbeitsmarkt anset-zen – das haben Kolleginnen und Kollegen der SPD undder Linken schon gesagt –: Absenken der Löhne durchMindestlohn verhindern, Equal Pay etc.
Kollege Strengmann-Kuhn, die Redezeit des Kolle-
gen Kolb ist nicht auf Sie übertragen worden. Sie müs-
sen bitte zum Schluss kommen.
Letzter Satz: Für uns Grüne ist Altersarmut ein zen-
trales Thema, und wir werden sowohl die Regierungs-
fraktionen als auch die anderen Oppositionsfraktionen
weiter fordern und eigene Lösungen vorschlagen; denn
es geht um nicht mehr und nicht weniger als darum, den
Menschen ein Altern in Würde zu ermöglichen.
In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive
Diskussion und danke für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/4422 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorle-
gen
– Drucksache 17/4040 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
rucksache 17/4040 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP
Forderungen der Vorsitzenden der Partei DIE
LINKE, Dr. Gesine Lötzsch, Wege zum Kom-
munismus auszuprobieren – Opfer nicht ver-
höhnen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
ermann Gröhe für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! In Bezug auf Wege zum Kommunismus formu-erte am 3. Januar dieses Jahres die Vorsitzende der Par-i Die Linke, Frau Kollegin Lötzsch, folgendermaßenich zitiere –:Die Wege zum Kommunismus können wir nur fin-den, wenn wir uns auf den Weg machen und sieausprobieren …
ugleich entwarf sie in schaurig-wohliger Weise daszenario von zerbrechender EU und niedergehenden de-okratisch-marktwirtschaftlichen Staaten, denunzierteie unsere politische Ordnung als Verteilungs- undohlstandsdemokratie.
arianne Birthler stellt zu Recht fest, dass sie damit vie-n Mitgliedern ihrer Partei aus dem Herzen spricht.
ie Linkspartei ist und bleibt die Erbin der alten SED.
Wir sagen klar: Unser Land braucht keine Anstren-ungen, neue Wege zum Kommunismus auszuprobieren.s gab wahrlich schon genug schaurige Experimente inAnlage 3
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9626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Hermann Gröhe
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der Welt: in China mit 65 Millionen Toten, in der So-wjetunion mit über 20 Millionen Toten, in Nordkoreamit über 2 Millionen Toten, auf den Killing Fields vonKambodscha mit über 2 Millionen Toten, in Osteuropaund Mitteleuropa mit 1 Million Toten.
– Ja, da werden Sie unruhig. – Wo immer Wege zumKommunismus ausprobiert wurden, endete es in Terrorund Unterdrückung und in Summe in millionenfachemMord.
Es ist eben keine gute Idee, die nur stets und überallfalsch umgesetzt wurde, sondern es ist eine menschen-verachtende Ideologie, der Ihre Vorsitzende bis heute an-hängt.
Schauen wir uns doch einmal das Umfeld der Veran-staltung an. Da diskutiert die Kollegin Jelpke mit derRAF-Terroristin Inge Viett und der DKP-VorsitzendenJürgensen über das Thema: Wo bitte geht’s zum Kom-munismus? Frau Viett meint, sie könne das – Zitat –„Abfackeln von Bundeswehrausrüstung“ legitimieren.Welche Frage stellt daraufhin Frau Jelpke der liebenInge? Zitat: „… ob das wirklich zu einer antimilitaristi-schen Bewegung führt“. Hier wird die Rechtfertigungvon Terror und Gewalt nicht klar zurückgewiesen, son-dern nur auf ihre Nützlichkeit hin überprüft. Ein klaresNein zur Gewalt sieht wahrlich anders aus. Das ist eineSchande.
Und sollen wir dann an einen Zufall glauben – ich tuees nicht –, wenn just im Umfeld dieser VeranstaltungLinksextremisten Opfer der SED tätlich brutal angreifen– einige von ihnen sind heute auf dieser Besuchertribüne –,dann diese linksradikalen Täter auf der Konferenz Un-terschlupf finden und bis heute Frau Lötzsch kein Wortder Verurteilung oder wenigstens des Bedauerns gegen-über diesen Opfern linker Gewalt zum Ausdruck bringt?Auch das ist eine Schande.
Einer solchen Haltung glaubwürdig entgegenzutreten,muss eine Aufgabe aller Demokratinnen und Demokra-ten in diesem Hause sein.Wenige Tage nach den Äußerungen von Frau Lötzscherklärte der Kollege Oppermann von der SPD, an derSpitze der Linkspartei stünden halt eine „Fernziel-Kom-munistin“ und ein „Salonbolschewist“. Herr Gabriel er-hob öffentlich Zweifel an der demokratischen Grund-oaESsAdnBWzszpIdWsdIsbbLZDnin–inBdsDeDbD
s sind ja nicht gerade wenige Sozialdemokratinnen undozialdemokraten unter den Opfern des kommunisti-chen Terrors gewesen.
ber dann müssen Sie, Kolleginnen und Kollegen voner SPD, sich auch fragen, wie Sie es verantworten kön-en, diese Partei zur Regierungspartei in Berlin undrandenburg zu machen. Das passt nicht mit den klarenorten zur Distanzierung vom Linkskurs dieser Parteiusammen.
Wenige Meter von diesem Haus entfernt erinnernchlichte weiße Kreuze daran, wo in diesem Land Wegeum Kommunismus endeten. Die Opfer sollten uns Ver-flichtung sein, gemeinsam dafür zu arbeiten, dass dieseeologie nie wieder Unheil über unser Land oder dieelt bringt. Daran sollten sich alle Demokraten in die-em Haus messen lassen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Thierse für
ie SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!t das, worüber wir hier lästigerweise zu reden haben,loß unglücklich formuliert oder überinterpretiert oderöswillig missverstanden, wie Lafontaine, Gysi undötzsch behaupten?Ich lese den Text von Frau Lötzsch und stelle fest:wei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution in derDR macht sich die Vorsitzende der Partei Die Linke er-eut auf die Suche nach dem „richtigen Weg“, dem Weg den Kommunismus. Die Wege dahin – so schreibt sie könne man nur finden, wenn man sie ausprobiere, ob der Opposition oder in der Regierung.Man mag es kaum glauben: Die Vorsitzende einer imundestag vertretenen Partei propagiert im Jahre 2011en Kommunismus als ein mögliches gesellschaftspoliti-ches Ziel, als sei der Kommunismus eine normaleenkoption, ein unschuldiges gedankliches Konstrukt,in noch immer erstrebenswertes, unbeflecktes Ziel.ass der Kommunismus eine ganz reale, nämlich einerutale und blutige Geschichte hat, spielt im politischenenken der Gesine Lötzsch offensichtlich keine Rolle.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9627
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Es gibt in ihrem mehrseitigen Text vom 3. Januar 2011zwar eine Passage über die „offene Barbarei“ im20. Jahrhundert; aber diese bezieht sich ausdrücklich aufPerioden der Entfesselung des Kapitalismus. An den ent-fesselten Kommunismus, den entfesselten Stalinismusverschwendet die Autorin kein einziges Wort, keineneinzigen Gedanken, obwohl sie doch selbst SED-Mit-glied war und heute deren Nachfolgepartei vorsitzt.
Diese Geschichtsvergessenheit, diese Ignoranzgegenüber den Opfern des kommunistischen Großver-suchs, dieses großzügige Hinwegsehen über die Verant-wortung der eigenen politischen Bewegung ist beschä-mend, ist verletzend, ist skandalös.
Und es ist verräterisch; denn unüberhörbar ist die Bot-schaft von Frau Lötzsch an Anhänger, Sympathisantenund Funktionäre der Linkspartei gerichtet, die die Ver-brechen des Stalinismus verdrängen und die Opfer derkommunistischen Diktatur verhöhnen. Sie macht damitdie ständig wiederholte Behauptung unglaubwürdig, dieLinkspartei hätte sich radikal selbstkritisch mit ihrer ei-genen Geschichte befasst und Konsequenzen gezogen.
Ihr Verweis darauf, dass der Kommunismus etwasganz Fernes, noch niemals Verwirklichtes sei, ist schlichtintellektuell unredlich. Frau Lötzsch sollte vielleichtdoch einmal ihre – wie hieß das? – Klassiker lesen. InDie Deutsche Ideologie von Marx und Engels heißt es:Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand,der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach dieWirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nen-nen Kommunismus die wirkliche Bewegung, wel-che den jetzigen Zustand aufhebt.Kommunismus ist „die wirkliche Bewegung“, nicht dasferne Ziel.Das wichtigste politische Instrument dieser Bewe-gung hieß Diktatur: Diktatur des Proletariats und tat-sächlich Diktatur der Kommunistischen Partei. DieWirklichkeit des Kommunismus begann mit Lenin undseinen Bolschewiki. Seine Bewegung reagierte nicht nurauf Gewalt, sondern erzeugte sie auch. Für Stalin wurdeGewalt dann allgegenwärtiges Machtinstrument mit Mil-lionen von Opfern im Namen des Kommunismus.Die herrschenden Parteien im sowjetischen Machtbe-reich verstanden sich, durch Lenin und Stalin geprägt, zuRecht als kommunistische Parteien und handelten auchso – auch die SED.
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie kennenhoffentlich die unbequeme Frage von Ernst Bloch schonaSvFBewkshtiKbleAuDMsmtefasmdgwbguOAgODcs
Wer am Traum von einer gerechten Gesellschaft undiner gerechteren Welt festhalten will – dafür gibt esahrlich gewichtige und sehr anständige Motive –, derann das nur – jedenfalls nach der furchtbaren Ge-chichte der kommunistischen Bewegung im 20. Jahr-undert –, wenn er oder sie radikale Kommunismuskri-k übt und nicht kalkuliert naiv von Wegen zumommunismus schwadroniert; sonst diskreditiert erzw. sie sich moralisch und politisch.
Sie müssen sich endgültig entscheiden, was Sie wol-n.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege
ckermann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnennd Kollegen! Wenn ich mit Besuchergruppen hier imeutschen Bundestag diskutiere, dann höre ich jedesal einen aufgewühlten Bericht darüber, was die Men-chen von ihrem Besuch in Hohenschönhausen mitneh-en. Die Berichte der ehemaligen Gefangenen über Fol-r und Leid machen selbst gestandene Menschenssungslos. Hier zeigt sich, was der Mensch dem Men-chen antun kann, wenn er sich auf den Weg zum Kom-unismus begibt. Hohenschönhausen ist aber nur eineser Schreckensbilder, die die Opfer und auch die über-roße Mehrzahl unserer Bevölkerung vor Augen haben,enn sie den Begriff „Kommunismus“ hören.Wenn man nun ausgerechnet im 50. Jahr des Mauer-aus den Weg zum Kommunismus zur politischen Auf-abe erklärt, dann ist das geschichtsvergessen, zynischnd in jedem Fall ein Angriff auf die Gefühle der vielenpfer des Kommunismus.
llein schon aus diesem Grund wäre eine Entschuldi-ung gerechtfertigt gewesen.Frau Lötzsch verletzte aber nicht nur die Gefühle derpfer, Frau Lötzsch startete auch eine Kampfansage anemokratie, Grundrechte, Freiheit und staatsbürgerli-he Gleichheit, kurz: an unsere freiheitlich-demokrati-che Grundordnung.
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9628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Jens Ackermann
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Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondernauch die Haltung des Bundesverfassungsgerichts. DasVerbot der Kommunistischen Partei Deutschlands, derKPD, hat das höchste deutsche Gericht unter anderemmit einer umfassenden Auswertung des politischen Kon-zepts des Kommunismus begründet. In der Begründungheißt es:Der Mensch wird in diesem System als Mitglied ei-ner Klasse gesehen. … Das macht jeden Eingriffgrundsätzlich zulässig, der aus der Klassenzugehö-rigkeit des Einzelnen und der Klassensituation imGanzen von der herrschenden Klasse hergeleitetwird. Damit tritt an die Stelle der Gleichheit allerStaatsbürger die Scheidung in „führende“ … und„unterdrückte“ Klassen … Grundrechte im Sinneder freiheitlichen Demokratie können hier dem Ein-zelnen … nicht zustehen.Kurz gesagt: Der Kommunismus scheidet die Menschenin solche von unbegrenzter Macht und solche ohne jedesRecht, wie zum Beispiel die Opfer von Hohenschönhau-sen. Kommunismus spaltet die Gesellschaft in Hammerund Amboss.Frau Lötzsch hat sich bewusst oder fahrlässig alsgeistige Brandstifterin betätigt.
Wer den Kommunismus predigt, der gibt die freiheitlich-demokratische Grundordnung rhetorisch zum Abschussfrei und muss damit rechnen, dass sich Linksextremistenermutigt fühlen, die Rechte des Einzelnen buchstäblichmit Füßen zu treten. So passierte es auch am Rande derRosa-Luxemburg-Konferenz. Sie wollten Stimmen amlinksextremistischen Rand fischen und sind erwischtworden.Dass Kommunismus nicht funktioniert, haben wirschon gehört. Das hat auch die Geschichte bewiesen.Der Ostblock ist zusammengebrochen. Auch in der Ge-genwart funktioniert der Kommunismus nicht. Staatenwie Weißrussland, Kuba, Venezuela oder Nordkoreasind das beste Beispiel dafür. Er wird auch in Zukunftnicht funktionieren. Diese Idee gehört auf den Müllhau-fen der Geschichte.
Kommunismus ist nicht eine gute Idee, die nurschlecht ausgeführt wurde, sondern eine durch unddurch schlechte Idee. Unsere Demokratie gibt Ihnen dieMöglichkeit, über den Kommunismus nachzudenkenund zu philosophieren. Im real existierenden Sozialis-mus war es leider nicht möglich, über Freiheit auch nurnachzudenken oder offen und ehrlich darüber zu spre-chen. Wir werden es Ihnen auch weiterhin ermöglichen,über Ihre Philosophie, über diese Utopie nachzudenkenund zu sprechen. Wir werden es aber nicht zulassen, dassSie diese falsche Idee in die Tat umsetzen.gcGKEdmEntiwSsJoDgIhUmdSaedafü
Solange von der Kollegin Lötzsch keine Entschuldi-ung an die vielen Opfer des Kommunismus ausgespro-hen wird, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen derrünen und der SPD bitten und herzlich aufrufen, dieooperation mit der Partei Die Linke einzustellen.
s gehört sich nicht, dass man hier in Berlin oder – ichenke da an die Tolerierung – in Nordrhein-Westfalenit Feinden der Demokratie kooperiert.
ines muss alle Demokraten einen: Nie wieder Kommu-ismus auf deutschem Boden!
Der Kollege Ulrich Maurer hat das Wort für die Frak-
on Die Linke.
Meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass man et-as salbungsvoll vorträgt, rechtfertigt es nicht, eineummation falscher Anschuldigungen und Unver-chämtheiten an die Partei Die Linke zu richten.
eder, der auch nur eines der Dokumente unserer Parteider der PDS, die es nicht mehr gibt und die in der Parteiie Linke aufgegangen ist,
elesen hat, der kann sich nur wünschen – das sage ichnen nach der Debatte von vorgestern –, dass sich dienion von ihrer Zusammenarbeit, ihrem Kollaborierenit den Nazis in der Adenauer-Ära auf die gleiche Weiseistanziert, wie wir das mit der DDR getan haben.
o geht es nicht, meine Damen und Herren.Uns Übergriffe von Extremisten auf andere Menschenuf der Straße in die Schuhe zu schieben, obwohl wir dieinzige Partei im Bundestag sind – die einzige leider –,ie Gewalt als Politik und Krieg als Mittel der Politikblehnt – wir haben gerade eine Afghanistan-Debatte ge-hrt –, ist eine besondere Unverschämtheit.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9629
Ulrich Maurer
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Ich merke, dass Sie offensichtlich wenig über Kom-munismus gelesen haben.
Sie halten ihn nämlich für eine Erfindung von Marx undEngels. Deswegen will ich Ihnen aus der Apostelge-schichte vorlesen – hören Sie gut zu! –: Die Menge derGläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nichteiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, son-dern es war ihnen alles gemeinsam. Jeder, der einenAcker hatte, verkaufte diesen und brachte den Erlös indie Gemeinschaft ein. Das ist Kommunismus pur, liebeKolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.
Im Übrigen hat dann einer namens Ananias einen Teildes Erlöses beiseitegeschafft.
– Nein, das sind kommunistische Ideen, von denen Siesich distanzieren – na klar.
Sie müssen das einmal zur Kenntnis nehmen.Sie würden uns gerne in diese Ecke stellen. Sie ma-chen schließlich Wahlkampf – na klar.
– Sie können schäumen, so viel Sie wollen. Ich sage Ih-nen: Meine Partei steht für die Wiedergewinnung vonSozialstaat und Gerechtigkeit. Sie steht für die Wieder-gewinnung von Demokratie und die Ablehnung vonKrieg als Mittel der Politik.
Alle großen Utopien in der Menschheitsgeschichtesind für die Rechtfertigung von Verbrechen missbrauchtworden. Die urchristliche Utopie von Gemeinsamkeitund der Abschaffung von Privateigentum – das habe ichIhnen gerade vortragen – ist für die Verbrechen Stalinsund Pol Pots missbraucht worden. Sie ist an der BerlinerMauer und mit dem Begriff der Diktatur des Proletariatsmissbraucht worden.Aber die christliche Idee ist dafür missbraucht wor-den, dass in Jerusalem im Blut der Muslime gewatetwurde. Sie ist für die Hexenprozesse und die Folter derInquisition missbraucht worden.
ie Idee des Kapitalismus hat Millionen von Toten unterer Zivilbevölkerung in Vietnam zu verantworten.
Zum Schluss sage ich Ihnen eines – zu diesem Be-enntnis können Sie mich bekommen –: Wir sind dieinzige Partei, die sich gegen den Finanzmarktkapitalis-us erhebt. Dazu stehen wir, und wir sind stolz darauf.
Sie sind prokapitalistische Parteien, die mit der Kom-unismusdebatte nur von den eigentlichen Problemennserer Gesellschaft ablenken wollen. In diesen Tagenerden durch die Spekulanten an den Warenterminbör-en die Getreidepreise und andere Lebensmittelpreiseach oben getrieben.
aran werden in diesem Jahr Millionen von Kindernterben. Das ist eine elegante Art zu töten, aber sie istuch durch und durch verwerflich.
Wenn schon Wahrheit, dann die ganze Wahrheit.
ie werden uns nicht in die Kommunismusecke kriegen.u der Logik der Geschichte gehört, dass im selben zar-n Alter, in dem ich Oberministrant war, Ihre Parteivor-itzende FDJ-Funktionärin für Propaganda und Agita-on war. Auch das gehört zu dem, was Sie erst einmalufarbeiten dürfen, statt bei uns die Dinge abzuladen.
Dass Sie sich das Vermögen der Blockparteien unteren Nagel gerissen haben, müssen Sie aufarbeiten. Sieaben auch verschwiegen, dass Sie mit unseren Stimmen der Uckermark Ihren Mann zum Landrat gewählt ha-en. Sie sind opportunistisch und scheinheilig. Deswe-en lassen wir uns das nicht bieten.
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9630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Wolfgang Wieland das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Maurer, Ihr Beitrag war wirklich unterirdisch.
Oskar Lafontaine fing schon bei Anne Will so an, als ersagte, man könne über Raiffeisenkassen, das Spiegel-Re-daktionsstatut und das Urchristentum reden. Sie habenhier den Ministranten herausgekehrt. Sie tun so, als obsich Frau Lötzsch und Frau Viett bei der besagten Veran-staltung zum Beten zusammenfinden wollten. Es waraber anders. Frau Viett kam von der RAF, überwintertein der DDR und predigt jetzt wieder den Gang in denUntergrund. Der Saal dort tobte. Man wusste schon vor-her, welche Veranstaltung dort zu Ihrem sonstigen staats-rituellen Gedenken arbeitsteilig stattfinden sollte. Siestellen sich nun hier hin, spielen den Harmlosen, stellenNebelkerzen auf, reden über den Hunger in der Welt undanderes und behaupten auch noch: Unsere Partei hat mitKommunismus ja überhaupt nichts zu tun. – Wer soll Ih-nen diese Heuchelei eigentlich glauben?
Wen haben Sie denn vor einem Jahr zu Ihrer stellver-tretenden Parteivorsitzenden gewählt, auf Vorschlag vonGregor Gysi, dem diese Frau zuvor noch peinlich gewe-sen ist? Sahra Wagenknecht, Sprecherin der Kommunis-tischen Plattform seit jeher.
– Stimmt, dieses Amt hat sie inzwischen niedergelegt. –Wie aber schreibt sie denn ihre erleuchteten Texte? LautAuskunft ihres Ehemanns – der wird es ja wohl wissen –unter einer Fahne der DDR, einer roten Fahne und einemPorträt von Walter Ulbricht. So sind diese Texte dannauch.
– Da Sie es offenbar hören wollen, bitte schön! – Sie er-klärt, Erich Honecker gebühre „unser bleibender Res-pekt“.
Wofür? Dafür, dass er die Mauer gebaut hat. Sie erklärtferner, dass die DDR – Zitat – „das friedfertigste undmenschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich dieDeutschen im Gesamt ihrer Geschichte bisher geschaf-fen haben“, gewesen sei. Die Mauer ist für sie eine Maß-nahme zur – Zitat – „Grenzbefestigung, die dem lästigenEinwirken des feindlichen Nachbarn ein längst fälligesEnde setzte“. So weit Sahra Wagenknecht, so weit ihrBeitrag im 50. Jahr des Mauerbaus. Es gab keine Ent-shfownbdwauIhES–nssDbgAdwLdetinJsadaEWwDm
Ein Wort zu Ihrer Parteiführung, weil Sie gesagt ha-en, wir sollten Marx lesen. Dazu fällt mir die Stelle ausem 18. Brumaire ein, wonach sich die großen Tateniederholen: Sie finden einmal als Tragödie und einmalls Farce statt. Die Ermordung von Rosa Luxemburgnd Karl Liebknecht war sicherlich eine Tragödie.
re neue Parteiführung – Gesine Lötzsch und Klausrnst – ist die Farce, um das deutlich zu sagen.
ie weist auf die vielen Wege zum Kommunismus hinman müsse sie nur beschreiten –, und er weiß darobicht, auf welchem er mit seinem Porsche voranfahrenoll. Deswegen steht er auf der Stelle und sagt ewig das-elbe.
ie beiden, die Sie sich als Vorsitzende ausgesucht ha-en, sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufeistigem Mindestregelsatz.
ber das macht ihre Äußerungen nicht besser.Es wurde doch schon gesagt, dass Menschen, die iner DDR in Haft saßen – Vera Lengsfeld ist inhaftiertorden wegen eines Plakates, das sie bei einer Rosa-uxemburg-Demonstration gezeigt hat –, getreten wur-en und geradezu in drei Angriffswellen, selbst als sie anine Bushaltestelle gingen, von sogenannten jungen An-fas verfolgt wurden, die an dieser Veranstaltung teilge-ommen und Ulla Jelpke zugejubelt haben. Von Ullaelpke wissen wir, dass ihre Hauptsorge der Entdämoni-ierung der DDR und der Stasi gilt. Sie war bei der Ver-nstaltung Moderatorin. Man muss sagen: Wie die Mo-eratorin, so das Publikum. Auch das können Sie nichtbstreiten. Das ist ihr Publikum gewesen.
Es ist eine Schande, was vor diesem Saal passiert ist.s ist eine Schande, dass Frau Lötzsch kein offiziellesort des Bedauerns dazu gefunden hat. Es ist richtig,as hier gesagt wurde, dass gerade die Opfer der DDR-iktatur uns dazu zwingen, diese Auseinandersetzungit Ihnen in aller Schärfe zu führen und keine Relativie-
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Wolfgang Wieland
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rungen und erst recht keine Rehabilitierung der Täter zu-zulassen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Bergner.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Ver-treter des Bundesministeriums, das für politische Bildungund für Extremismusbekämpfung zuständig ist, stelle ichfest: Die große Aufmerksamkeit und die öffentliche Erre-gung, die die schriftlichen und mündlichen Aussagen vonKollegin Lötzsch als Parteivorsitzende der Linken anläss-lich der Rosa-Luxemburg-Konferenz gefunden haben,sind berechtigt, und die Debatte über diese Äußerungenist notwendig, auch die Debatte, die hier im DeutschenBundestag geführt wird.
Herr Kollege Maurer, unter dem Eindruck Ihrer Redefüge ich hinzu, dass die massive Kritik, der Ihre Fraktionin dieser Debatte ausgesetzt ist, für die politische Kulturin unserem Land offensichtlich unverzichtbar ist, wennSie nicht ein einziges Wort der Einsicht oder der Zurück-nahme in dieser Debatte zu verkünden haben.
Die Debatte ist wichtig, weil es um den demokrati-schen Grundkonsens und die Wertegrundlagen unseresGemeinwesens geht.Die Äußerung von Frau Lötzsch, viele weitere Wegehin zum Kommunismus auszuprobieren, sowie die Inter-pretation des aktuellen Handelns der Partei Die Linkeund der Fraktion Die Linke im Sinne dieser Viele-Wege-Theorie hin zum Kommunismus – auch das ist bemer-kenswert – mögen auf unterschiedliche Bewertungsper-spektiven treffen.Ich muss zusammen mit anderen in diesem ParlamentWert darauf legen, dass es zwischen Frau Lötzsch und mireigentlich keine Missverständnisse geben dürfte, wenn esum den Begriff des Kommunismus geht. Sie wie ich ha-ben im Rahmen unserer Schulpflicht in der DDR denStaatsbürgerkundeunterricht besucht. Sie wie ich und an-dere haben im Rahmen ihres Studiums die obligatorischeMarxismus-Leninismus-Ausbildung erfahren. Sie wieich haben die indoktrinierende M-L-Weiterbildung wäh-rend des Berufslebens über uns ergehen lassen müssen.bWkudfütesNsndMdstoudlirünmggWszsWaEvdLmtunz
Wir wissen, was diejenigen, die diese Idee begründe-n, gemeint haben: klassenlose Gesellschaft. Engelsprach vom Sprung des Menschen aus dem Reich derotwendigkeit in das Reich der Freiheit. Das ist eine an-pruchsvolle und endzeitliche Sozialutopie, die von ei-er berufenen Elite erreicht werden sollte, von der Parteier Arbeiterklasse; es war die Rede von der historischenission der Arbeiterklasse. Die berufene Elite nahmeshalb für sich das Recht in Anspruch, die eigenen Vor-tellungen im Rahmen der Diktatur des Proletariats mittalitären Mitteln durchzusetzen. Das heißt, die Sozial-topie des Kommunismus ist untrennbar verbunden mitem Totalitarismus, der seiner Zielerreichung zugrundeegt.
Wenn Herr Gysi nun sagt, als Politiker müsse man be-cksichtigen, dass andere unter dem Begriff „Kommu-ismus“ Stalin verstehen oder an die Mauer denken, souss ich sagen: Das stimmt. Aber das ist nicht das Er-ebnis einer schöpferischen Fantasie, sondern das Er-ebnis leidvoller Erfahrungen, die sich auf vielfacheeise weltweit niedergeschlagen haben.
Wenn wir eine Debatte über die Wertegrundlagen un-erer Gesellschaft führen wollen, dann ist für uns un-weifelhaft: Der Kommunismus ist nicht die Gesell-chaft des Grundgesetzes.
er Wege zum Kommunismus sucht, der sucht Wegeus der Gesellschaft des Grundgesetzes.
r braucht sich dann nicht zu wundern, dass das Bundes-erwaltungsgericht am 21. Juli letzten Jahres entschie-en hat, dass die praktische Beobachtung der Partei Dieinke durch das Bundesamt für Verfassungsschutz recht-äßig ist.
Wir haben es hier mit einer Leitbildkonkurrenz zun, mit einem Leitbildgegensatz, der nicht deutlich ge-ug benannt werden kann. Das Leitbild des Grundgeset-es ist eine Gesellschaft, die allen Menschen, auch denen
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9632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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der zukünftigen Generation, ein Leben in Würde ermög-lichen will. Die Erfüllung dieses Leitbildes ist eine an-spruchsvolle und täglich wiederkehrende Aufgabe. Werden Kommunismus propagiert, der will sich mit derFlucht in eine Sozialutopie der täglichen Mühe dieserAufgabe entziehen. Wie mühevoll diese Aufgabe ist, daserleben wir in den Debatten, aktuell bei der Debatte umdie Hartz-IV-Sätze im Vermittlungsausschuss. DieseAufgabe ist mühevoll, und es ist streitig, was im Einzel-nen auf der Grundlage des Leitbildes des Grundgesetzesverhandelt wird. Aber gerade weil es streitig ist, ist es sowichtig, dass der Streit auf dem gleichen Fundament ge-führt wird, wenn er zu regierungsfähigem Handeln füh-ren soll. „Gleiches Fundament“ bedeutet eben nicht dasAusprobieren von Wegen zum Kommunismus, sondernsich täglich der Mühe zu unterziehen, jedem Menschenin dieser Gesellschaft ein Leben in Würde zu ermögli-chen.Wenn Sie sich an der Debatte beteiligen, so setzen Siesich – hier hat Frau Lötzsch vielleicht nur eine Offenba-rung längst bekannter Positionen verkündet – dem be-rechtigten Misstrauen aus, dass Ihr Beitrag zur Debatteum Hartz-IV-Sätze, um Altersarmut, um Steuerpolitik,um Friedenspolitik kein Beitrag ist, hinter dem die indi-viduelle Menschenwürde als wirklich letztendliches undentscheidendes Ziel steht. Vielmehr ist sie nur ein takti-sches Ziel.
– Sie haben den Beitrag von Frau Lötzsch hoffentlichebenfalls gelesen.
Ich rede nicht über irgendetwas, sondern ich rede überdas, was ihre Haltung prägt und was in diesem Aufsatzzum Ausdruck kommt.
Manche illusionäre Finanzforderung an den Staat findetunter Umständen darin eine logische Erklärung; denn esgeht Ihnen offenkundig nicht darum, tagtäglich das Zielder Wahrung der individuellen Menschenwürde zu errei-chen, sondern Sie folgen einer Utopie, für deren Durch-setzung in der Geschichte immer wieder Gewalt gerecht-fertigt wurde.Es ist nicht so, dass ich gegen das eine oder andere Ih-rer Parteimitglieder Einwände hätte. Ich habe schon in-dividuelle Personen Ihrer Partei für ihren Einsatz gewür-digt. Aber weil ich der Meinung bin, dass zurRegierungsfähigkeit eine Übereinstimmung in den Wert-grundlagen erforderlich ist, war für mich immer klar,dass mit Ihnen keine Koalition und keine Zusammen-arbeit in der Bundesrepublik Deutschland auf Regie-rungsebene praktiziert werden sollte.
Ich nehme den Beitrag von Frau Lötzsch als eine Mah-nung. Jeder sollte in diesem Sinne seine Verantwortungbei seinem politischen Handeln wahrnehmen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.WGwbnLdliwwpdindihgSsbmaDZTmnssswDdssMLhsimleUudac
Die Kollegin Gleicke hat für die SPD-Fraktion das
ort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!esine Lötzsch hat Unsinn geredet und geschrieben. Dasissen hier alle. Frau Lötzsch weiß das sicher auch sel-er. Das macht das Ganze kein bisschen besser, sondernur noch viel ärgerlicher und noch viel peinlicher. Frauötzsch sollte zugeben, dass sie bestimmten Leuten nachem Maul reden wollte. Damit wäre zwar nichts wirk-ch gut, aber zumindest vieles geklärt. Dann könntenir diese Debatte beenden und uns wieder um wirklichichtige Dinge kümmern, um die Zensur von Soldaten-ost zum Beispiel, um vergiftete Lebensmittel oder umen Zynismus, mit dem diese Bundesregierung Hartz IVstrumentalisiert, um all die großen und kleinen Skan-ale, die unsere volle Aufmerksamkeit verdient hätten.Aber nein, sie gibt gar nichts zu. Sie bleibt lieber inrem rot lackierten Elfenbeinturm sitzen und spinnt dortenau das Garn, aus dem die CDU ihre nächste Rote-ocken-Kampagne stricken möchte. Wenn Frau Lötzschich selbst als demokratische Sozialistin bezeichnet undehauptet, nach irgendwelchen Wegen zum Kommunis-us suchen zu wollen, dann ist das erstens intellektuellrmselig, weil das eine das andere definitiv ausschließt.as hat uns die Geschichte gezeigt.
weitens ist das purer Opportunismus, weil sie damit imrüben fischt. Sie geht damit bei denjenigen auf Stim-enfang, die aus der Geschichte nichts, aber auch garichts gelernt haben. Das sind die, die von der Ge-chichte nichts wissen, das sind die, die von der Ge-chichte nichts wissen wollen, oder die, die die Ge-chichte kennen und keine Konsequenzen aus ihr ziehenollen. Die dritte Gruppe sind die völlig Unbelehrbaren.as sind die herz- und hirnlosen Zyniker, die finden,ass all dieser Schrecken und all diese Verbrechen insge-amt irgendwie doch richtig und notwendig gewesenind: die Schauprozesse, die Gulags, Bautzen, dieauer, der Schießbefehl. Es gibt tatsächlich immer nocheute, die der Meinung sind, dass das bedauerliche, aberistorisch irgendwie notwendige Irrtümer auf den ver-chlungenen Wegen ins Paradies gewesen sind. Es gibtmer noch Leute, die nicht begreifen können oder wol-n, dass der Kommunismus des 19. Jahrhunderts seinenschuld für immer verloren hat.
Aber es gibt noch ein Drittes, was ich Ihnen ankreidend übel nehme. Diese unsägliche Debatte beschädigt allie anständigen Menschen, die wirklich und aufrichtign eine bessere Welt glauben und die jeden Tag versu-hen, sie ein kleines bisschen besser zu machen. Damit
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Iris Gleicke
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meine ich auch durchaus Leute in der Linkspartei, ge-rade unter den Jüngeren.
Die sitzen jetzt da und wissen nicht so recht, was sie ma-chen sollen – mit einer Vorsitzenden auf der Suche nachWegen in den Kommunismus und mit einem Vorsitzen-den auf der Suche nach dem besten Rotwein unter10 Euro. Rosa Luxemburg wäre da speiübel geworden.
Sie gehen schlecht um in der Linkspartei mit Ihrenjungen Leuten und deren Träumen von einer besserenWelt. Das müssen Sie letztlich selber wissen; da mischeich mich nicht ein. Aber wir werden Ihnen nicht durch-gehen lassen, dass Sie auf der einen Seite kalten Kaffeevom Kommunismus erzählen und auf der anderen Seiteuns Sozialdemokraten immer wieder als Totengräber desSozialstaats oder als Kriegstreiber denunzieren. Sie ha-ben den Traum von der besseren und von der gerechte-ren Welt nicht gepachtet; im Gegenteil: Sie sind dabei,ihn für einen billigen Applaus der Ewiggestrigen zu ver-raten.
Wenn Sie glauben, dass Sie mit dieser billigen Maschedurchkommen, dann werden Sie Ihr rotes Wunder erle-ben.
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sehr geehrter Herr Maurer, das Christentum willdas Individuum ändern, durch Einsicht, und nicht dieGesellschaft.
Der Kommunismus will durch Revolution die Gesell-schaft verändern. Der Kommunismus scheitert regelmä-ßig. Das Christentum bleibt. Das ist der gewaltige Unter-schied.
Frau Lötzsch hat einen Beitrag geschrieben. HoheWellen hat dieser Beitrag geschlagen: öffentlicher Auf-schrei, zahlreiches Kopfschütteln. Ja, das beruhigt: Dasgesellschaftliche und demokratische Immunsystem istintakt.TsSDdw–gisWLGkaBtandsudAwtaGs„ksgddsesdu
Etwas ist schon ein bisschen erstaunlich; das muss ichirklich sagen. Eine Frage stellt sich vielleicht vielenSie haben auch keine Antwort gegeben –: Wo ist ei-entlich Frau Lötzsch? Wo ist eigentlich Herr Gysi? Wot denn eigentlich Klaus Ernst? Wo ist denn Sahraagenknecht? Und noch einmal: Wo ist Gesineötzsch?
Hier wird über ihre Diskussionsbeiträge gesprochen.esine Lötzsch geht offensichtlich viel lieber zu links-riminellen Demagogen und Terroristen. Sie ehrt, siedelt eine solche Veranstaltung, aber dem Deutschenundestag bleibt sie fern. Eine hervorragende parlamen-rische Auffassung hat diese Dame, die Sie hier heuteoch einmal bestätigt haben.
Die Aussagen von Frau Lötzsch lassen in ihrer Ein-eutigkeit wenig Interpretationsspielraum. Sie bekenntich klar zur „strukturellen Veränderung der Eigentums-nd Machtverhältnisse“. Sie sieht ihre Partei in der „Tra-ition gesellschaftsverändernder radikaler Realpolitik“.n diesen Aussagen kann man ebenso wenig deutelnie an der Verwendung eines sehr problematischen Zi-ts. Sie zitiert Rosa Luxemburg. Ich zitiere:So soll die Machteroberung nicht eine einmalige,sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hi-neinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir allePositionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägelnverteidigen.esine Lötzsch!Ich frage Sie: Was verstehen Sie unter „hineinpres-en“? Ich frage Sie: Wie sind in diesem ZusammenhangZähne“ und „Nägel“ zu verstehen? Ich frage Sie: Wasönnen Sie denn dagegen haben, dass die Verfassungs-chutzämter Sie beobachten? Wer mit Zähnen und Nä-eln in der Demokratie umgehen will, der hat nichts an-eres als Gewalt oder Härte vor. Ich möchte Sie bitten,iese Frage hier noch schnell zu klären.
Eines lässt einen ganz erschaudern. Es gibt einen Ab-chnitt mit der Überschrift „Fortschreitende Macht-roberung“. Der Begriff „Eroberung“ ist höchst interes-ant. Er hat relativ wenig gemein mit dememokratischen Grundkonsens, mit der Willensbildungnd dem politischen Wettbewerb. „Machteroberung“
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Patrick Kurth
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– andere haben es übrigens „Machtergreifung“ ge-nannt –,
unter diesem Aspekt schreibt Frau Lötzsch verschiedeneDinge auf. Sie schreibt darüber, ob sich Krisen mögli-cherweise zum Vorteil für die Linken auswirken könn-ten; sie schreibt über die Klimaerwärmung und überMissstände in Verbindung mit der Euro-Krise und stelltdie Frage, ob die EU eventuell auseinanderbricht. Dannfolgert sie – das ist ganz interessant –: Angenommen,das tritt alles so ein, dann werden wir gefragt.Wir, die demokratischen Fraktionen, versuchen ja,diese Krisen – wenn auch mit unterschiedlichen politi-schen Mitteln – zu verhindern. Das Ziel ist aber dasGleiche, nämlich dass es den Menschen in diesem Landgut gehen soll. Sie aber wollen Ihren politischen Gewinnaus der Tatsache ziehen, dass diese Krisen eintreten. Ichhabe mir gedacht, dass ich diese Haltung von irgendwo-her kenne. Ich habe etwas gefunden, das Ihnen sicherlichbekannt ist:Für den Marxisten unterliegt es keinem Zweifel,dass eine Revolution ohne revolutionäre Situationunmöglich ist …An anderer Stelle steht sinngemäß: Erst wenn das Volkhungert, ist es bereit zur Revolution. – Das hat WladimirIljitsch Lenin vor ungefähr 100 Jahren zum Zusammen-bruch der Zweiten Internationale geschrieben, nachzule-sen in Lenin, Werke, Band 21.
Was Frau Lötzsch in der Sprache des 21. Jahrhundertsgeschrieben hat, ist genau das Gleiche: Aus Krisen wol-len Sie Ihren politischen Gewinn erzielen.
Ich halte fest: Wer glaubt, es handele sich um einengesellschaftspolitischen Aufsatz, der irrt. Dahinter steckteiskalte Parteitaktik. Der Unterschied zu irgendwelchenDDR-Shows ist der, dass Frau Lötzsch eine Politik ma-chen will, die in unser künftiges Leben eingreifen soll.Für viele Menschen ist der kommunistische Gedankemöglicherweise hipp und modern. Aber diese Menschenwissen gar nicht, dass diese Haltung von Ihnen partei-politisch ausgenutzt wird.Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass ausgerechnetder Kommunismus mit seiner menschenausgrenzenden,bevorteilenden und nach Klassen unterscheidendenTheorie und in seiner gewalttätigen, freiheitsberauben-den und tödlichen Praxis als die gerechtere Gesell-schaftsform dargestellt wird. Einem solchen im Kernvöllig ungerechten Gesellschaftssystem müssen auf-rechte Demokraten aufklärerisch, aber auch wehrhaftentgegentreten.Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksam-keit.WsMhEdSDnsmfocgGSssKdSnhscdd
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dobrindt das
ort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokraten! Anwe-ende Kommunisten!
eine Damen und Herren! Herr Maurer, das, was Sieier abgeliefert haben, ist nicht nur unterirdisch.
s ist auch abartig und pervers. Das muss man einmal anieser Stelle sagen.
ie haben das Bekenntnis zum Kommunismus hier imeutschen Bundestag erneuert. Außerdem waren Sieoch bereit, dass Christentum mit hineinzuziehen. Sieollten sich an die geschichtliche Wahrheit halten. Kom-unisten haben überall auf der Welt die Christen ver-lgt, unterdrückt und entrechtet. Das ist die geschichtli-he Wahrheit und nichts anderes.
Sie reden von den Wegen zum Kommunismus. Esibt in diesem Artikel noch weitere schöne Zitate vonesine Lötzsch. Sie schreibt:Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, allesind sich einig, dass es ein sehr langer und steinigersein wird. Warum eigentlich?ie fragt also, warum es keinen schnellen Weg gebenoll, warum es nicht bald geschehen soll. Sie hat mit die-er Aussage klar gesagt, dass sie in Deutschland denommunismus einführen will.
Damit stellen Sie sich außerhalb des Verfassungsbo-ens. Wer in Deutschland ein menschenverachtendesystem verherrlicht, wer in Deutschland den Kommu-ismus predigt, der sagt damit deutlich, dass er die frei-eitlich-demokratische Grundordnung in diesem Landchleifen will und sie ablehnt. Wer dies tut, muss flä-hendeckend vom Verfassungsschutz beobachtet wer-en.
Der Kollege Kurth hat gerade zu Recht gefragt, woenn eigentlich Ihre Parteivorsitzende Lötzsch ist.
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Alexander Dobrindt
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Draußen bei den Menschen, in Hinterzimmern und woauch immer sind Sie gerne bereit, den Kommunismus zupredigen. Hier aber, wo Sie eine politische Debatte füh-ren könnten, stehlen Sie sich feige davon. Warum stelltsich Ihre Vorsitzende nicht dieser Debatte?Ich sage Ihnen: Die Linken lassen sich heutzutageeindeutig mit drei Wörtern beschreiben: antidemokra-tisch, verfassungsfeindlich und feige. Das ist die Realitätder Linken in Deutschland.
Aber Sie hätten auch einmal die Wahrheit sagen kön-nen.
Sie hätten die Chance gehabt, heute die Wahrheit zu sa-gen, warum Sie sich eigentlich mit dem Thema Kommu-nismus jetzt mehr beschäftigen als vielleicht in der Ver-gangenheit. Ihre Vorsitzende Gesine Lötzsch hat es ja inihren ersten Wortmeldungen nach diesem Artikel getan,danach nicht mehr. In den ersten Wortmeldungen hat siegesagt, es solle ein Ansporn sein, auch diejenigen für dieLinken zu gewinnen und zu halten, denen die Parteiheute zu angepasst erscheint.Das ist Ausdruck einer tief verwurzelten antidemo-kratischen kommunistischen Haltung in Ihrer Partei, dieSie jetzt billig bedienen wollen, die Sie mit in die Ver-antwortung nehmen wollen, deren Weg Sie mit beschrei-ten wollen. Sie haben sich klar dafür entschieden, eineKommunismusdebatte in Deutschland zu führen, um ei-nige Menschen in Ihrer Partei, die antidemokratischsind, billig wieder auf Linie zu bringen. Es ist feige undpopulistisch, was an dieser Stelle stattfindet.
Man kann den Ursprungsentwurf dieses Artikelsheute nachlesen. Der Ursprungsentwurf, den einer IhrerPhilosophen geschrieben hat, hat in der Tat einen Hin-weis auf kommunistischen Terror enthalten. Er hat in derTat darüber gesprochen, dass es Millionen von Opfernaufgrund kommunistischer Regime gegeben hat. Genaudiesen Satzteil haben Sie bewusst aus diesem Manu-skript herausgestrichen und die Wege zum Kommunis-mus, die es vorher gab, hineingeschrieben.
Das ist es, was ich dabei eigentlich mit am schlimmstenfinde. Da zeigt sich deutlich, wes Geistes Kind hinterdiesem Schreiben steht.
Ich habe sehr genau zugehört, wie Sie, Herr Thierse,beschrieben haben, welche Auswirkungen der Kommu-nismus auf die Welt hat. Ich kann es nur mit großemRespekt zur Kenntnis nehmen. Ich hätte allerdings ge-hofft, dass Ihre Kollegin Frau Gleicke Ihnen genauso gutzugehört hätte wie ich. Dann hätte sie nämlich fest-gestellt, dass es nicht um die Frage irgendeiner Rote-SgkmHwKBmWmKmsrehdIclesDwtiDreSbHesLdB
enn Sie heute zu Recht dieses Bekenntnis gegen denommunismus abgeben, dass Sie sagen, dass sich inerlin und Nordrhein-Westfalen Sozialdemokraten nichtit den Linken gemeinmachen dürfen.
Das trifft leider Gottes auch die Grünen. Kollegeieland, ich habe mit Entsetzen feststellen müssen, dassan genau nach diesem Bekenntnis der Linken zumommunismus nicht als Erstes einen Aufschrei aller de-okratischen Parteien gehört hat,
ondern dass als Allererstes auch eine Wortmeldung Ih-r Parteivorsitzenden Frau Roth dabei war, die gesagtat: Egal, was ist, ich schließe eine Zusammenarbeit miten Linken in Deutschland nicht aus.
h kann für die Christlich-Soziale Union hier feststel-n: Wir schließen für alle Zeiten aus, mit denen gemein-ame Sache zu machen, der Kommunismus darf ineutschland keine Chance mehr haben! Dafür müssenir alle sorgen.
Das Wort hat der Kollege Hacker für die SPD-Frak-
on.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er Kommunismus – ob in den Farben des real existie-nden Sozialismus in der DDR oder beispielsweise alsowjetsystem – ist geschichtlich gescheitert. Eine De-atte zum Kommunismus würde sich eigentlich vor demintergrund anderer wichtiger Themen hier im Hauserübrigen, wenn irgendjemand diese Diskussion ange-toßen hätte.Aber es ist nicht so. Es ist die Parteivorsitzende derinken, Frau Lötzsch, die scheinbar in dem Führungs-uo ihrer Partei die Rolle für Agitprop und ideologischeestandspflege übernommen hat,
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Hans-Joachim Hacker
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während sich der Kovorsitzende mehr um die angeneh-men Seiten des Lebens kümmert. Hier kommt erneut dieDoppelgesichtigkeit dieser Partei zum Ausdruck.Frau Lötzsch ist heute nicht anwesend. Das ist ange-sichts des Eklats, den sie in der deutschen Gesellschaftprovoziert hat, für mich unverständlich. Bei ihrem Aus-flug in den Kommunismus kommt mir ein Song aus demDDR-Oktoberklub ins Gedächtnis, den Frau Lötzsch da-mals im Gegensatz zu mir vielleicht mit vollem Herzenund aus voller Brust mitgesungen hat. Der Titel lautet:„Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst“. FrauEnkelmann kennt diesen Song; sie gehört wahrschein-lich ebenfalls zu den Anhängern dieser Musik, was auchin Ordnung ist. Bei dem anderen Thema ist die Bewer-tung anders.Bei allen Bemühungen fällt es schwer, herauszufin-den, was Frau Lötzsch mit ihren Äußerungen eigentlichpolitisch und gesellschaftlich will. Mir kommt ihr Agie-ren während der Diskussion und auch danach wie eineSchifffahrt auf hoher See ohne Kompass und Radar vor.Oder sie strebt tatsächlich an, was ihrer diffusen Wort-meldung über Wege zum Kommunismus in der Konse-quenz zu entnehmen ist. Das könnte dann aber nur eineandere Gesellschaft als die nach unserem Grundgesetzsein; dann wären Diktatur und Unterdrückung statt Frei-heit und Demokratie die Folge.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen inunserem Land haben nach den geschichtlichen Erfahrun-gen des vorigen Jahrhunderts mit Weltverbesserern ideo-logischer Prägung genug von solchen Angeboten undstehen fest zu unserer verfassungsrechtlichen Grundord-nung. Frau Lötzsch hat nicht zum ersten Mal mit derKommunismusdebatte die Frage danach aufgeworfen,wie sie es tatsächlich mit dem Grundgesetz hält. Damithat sie auch die Frage gestellt, wie diese Partei es mitdem Grundgesetz hält. Ihre Äußerungen sind kein Aus-rutscher.
– Ich komme gleich zu einem Zitat. Die Äußerungen vonFrau Lötzsch sind kein Ausrutscher – hier sind genügendZitate gebracht worden –, sondern ein weiterer Punkt ineiner Reihe von Wortmeldungen, in denen sie ihre Ab-neigung zu unserer Demokratie und zu unserem Rechts-staat unverhohlen zum Ausdruck bringt. Ich will nur ein-mal ein Zitat aus ihrer Rede zum Jahresbericht zurDeutschen Einheit am 30. September 2010 vortragen.
Einige werden sich an diese Rede noch erinnern; aucheinige aus der Fraktion Die Linke. Einige werden sichauch daran erinnern, dass sie die Rede von Frau Lötzschmit Abscheu zur Kenntnis genommen haben. Ich willhier keine Namen nennen. Sie hat dort ausgeführt:Es geht darum, dass es eine Alternative zu dieserkapitalistischen Gesellschaft geben muss. Wir alsLinke lassen uns nicht abschrecken.
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Mitglieder ihrer eigenen Partei Die Linke mahnen an,ass die Blutspur, die der Kommunismus hinterlassenat, nicht ausgeblendet werden darf. Ich sage dazu: Jederolitischer Häftling, jeder Zwangsausgesiedelte an derhemaligen innerdeutschen Grenze, jeder Mauertote undder Flüchtling aus der DDR ist ein Argument gegenen Kommunismus und die neuen Wege, die Frauötzsch empfiehlt.
Den Kommunismus, der teilweise verklärt und schön-eredet wird, Herr Maurer, gibt es nicht halb. Das ist wieei der Schwangerschaft; Kommunismus gibt es nuranz oder gar nicht. Wir in Deutschland wollen auchicht die Hälfte vom Kommunismus haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jene Mit-lieder der Linken, die nicht nur mit Lippenbekenntnis-en unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung an-rkennen, müssen sich fragen lassen, wie sie eineerartige Wegbeschreibung ihrer Parteivorsitzenden mit-ehen können.Herr Maurer, ich bin ernüchtert. Heute hätte hier einerklärung erfolgen können. Es ist ein weiterer Skandal,ass Sie sich auf die Bibel berufen und mit ihr Enteig-ungen rechtfertigen;
as haben Sie hier getan. Sie haben kommunistischeaßnahmen mit dem Unrecht anderer gerechtfertigt; dast ein weiterer Skandal.
Frau Lötzsch muss sich allerdings am Ende die Frageefallen lassen, ob sie mit ihrer Kommunismuspositionine Partei führen kann, die den Anspruch erhebt, einenke, demokratische Partei in Deutschland zu sein. Dientwort darauf muss uns Frau Lötzsch noch geben.
Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011 9637
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Der Kollege Baumann hat für die Unionsfraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Maurer, Ihre Rede war für jeden, der in derDDR gelebt hat, der das System kennt, der in der DDRzum Opfer geworden ist, der dort gelitten hat, der dortChrist war, eine bodenlose Frechheit. Ihre Rede war eineVerhöhnung der Opfer.
Lassen Sie mich mit einem Beispiel aus der DDR be-ginnen. Ein 17-jähriger Schüler trägt eine Jeansjacke.Darauf ist ein Aufnäher, der unerwünscht ist. Er kommtmit der SED in Schwierigkeiten. Man verhaftet ihn,schlägt ihn mit einem Knüppel. Als Jugendlicher ver-sucht er, sich zu wehren. Es folgen sechs Monate Ju-gendgefängnis wegen Widerstandes gegen die Staatsge-walt. Er kommt frei und schreibt handschriftlich siebenFlugblätter, die er verteilt. Man kann sagen: ein Dumme-jungenstreich. Darauf folgte die Inhaftierung im Stasi-gefängnis Hohenschönhausen. Nach der Entlassungkommt er gleich in das nächste Gefängnis, in das GelbeElend von Bautzen; viele wissen, was das war. Danachwird ihm Republikflucht unterstellt, obwohl er diese nie-mals unternehmen wollte – es gab keine Beweise da-für –, und er wird ständig wieder ins Gefängnis gesteckt.Bis November 1989 bleibt er durchgehend in Haft, inDDR-Gefängnissen, mit allem, was dazugehörte. In derSumme: sieben Jahre schlimmster Haft ohne jedenGrund, eine zerstörte Jugend, eine gebrochene Persön-lichkeit. Das war Kommunismus live. Dort möchtenFrau Lötzsch und einige Gestrige wieder hin.
– Genau das wollen Sie!
Ich könnte viele Beispiele anführen; viele von uns ken-nen genügend Beispiele, man findet sie an vielen Stellen.Ich möchte von der täglichen Arbeit im Petitionsaus-schuss sprechen. Wir haben im Petitionsausschuss desDeutschen Bundestages in den letzten acht Jahren etwa2 000 Petitionen von Opfern des SED-Regimes erhalten:Sie führen berechtigte Gründe dafür an, dass sie für dasSchicksal, das sie in der DDR erleiden mussten, Ent-schädigung verlangen. Noch heute gehen wöchentlichmehrere Petitionen von Bürgern ein, die eine Rehabili-tierung im strafrechtlichen oder beruflichen Bereichwünschen. Sie haben ihr Hab und Gut verloren, saßen imGefängnis oder ihre Karriere wurde zerstört, einfach nurwegen einer anderen politischen Meinung. Herr Maurer,das war DDR live, das war Kommunismus.Nicht nur beim Bundestag gehen jeden Tag Petitionenein; auch die Zahl der Eingaben bei LandesparlamentenuinswnadBsSahSesAgADepdjadnHvktiddm8RbbCvfüIcnsbEfevSSa
h hätte mir nicht vorstellen können, dass im Jahr 2011och Menschen für eine demokratische Gesinnung zu-ammengeschlagen werden.Ich möchte noch ein Zitat von Günter Schabowskiringen, der garantiert nicht zu meinen Freunden zählt.r hat 2009 ein Buch geschrieben und in der Pressekon-renz, als er das Buch vorgestellt hat, folgendes Zitaterwendet: Zentralismus, Planwirtschaft, das ganzeystem war ein Konstruktionsfehler. – So Günterchabowski. – Herr Maurer, das Buch können Sie sichuch einmal anschauen.
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9638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 85. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011
Günter Baumann
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Meine Damen und Herren, diese Partei muss weiter-hin vom Verfassungsschutz kontrolliert werden. Das istabsolut notwendig; es ist gerichtlich bestätigt. Wir müs-sen wachsam sein. Diese Partei möchte die Grundord-nung des Staats zerstören, ein anderes System aufbauen.Das werden wir als Demokraten nicht zulassen.
Gerade für uns aus den neuen Bundesländern, die wirheute in demokratischen Parteien arbeiten dürfen, diewir dankbar sind, im Bundestag sein zu dürfen, die wirjeden Tag Demokratie live erleben, ist es Verpflichtung,uns mit all unseren Mitteln dagegenzustellen. Dies darfnicht wieder passieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Jung für die Unions-
fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als ich an dem historischen 9. November 1989nach Ostberlin gefahren bin, um mich mit Reformkräf-ten der CDU zu treffen, die den Brief aus Weimar fürMeinungsfreiheit, für Reisefreiheit, für Rechtsstaat, fürDemokratie in der DDR geschrieben hatten, hatten wirauch die Absicht, über Werte auf der Grundlage deschristlichen Menschenbildes zu sprechen, über Werteunseres Grundgesetzes. Das Grundgesetz hatte ich da-mals dabei. Aber ich musste es verstecken, weil dieGrenzwächter des real existierenden Sozialismus es mirsonst abgenommen hätten. Daran wird deutlich – ichfand, der Kollege Baumann hat das sehr überzeugenddargestellt –:
Im Sozialismus und Kommunismus der DDR gab es we-der Meinungsfreiheit noch Reisefreiheit, freie Wahlenund Demokratie. Was es gab, war Unfreiheit, Unterdrü-ckung, Stasibespitzelung, waren Mauer, Stacheldrahtund Schießbefehl. Einen derartigen Sozialismus undKommunismus darf es auf deutschem Boden nicht mehrgeben.
Ich erinnere mich daran – und viele mit mir –, wieich die Bürger damals, während der friedlichen Revolu-on, vom Joch des Kommunismus befreit haben undich eindeutig zu Werten wie Freiheit, zu Werten unseresrundgesetzes bekannt haben. Ich denke, deswegen darfs kein Zurück geben. Das Elend des Kommunismus,as es auf deutschem Boden gegeben hat, muss für im-er der Vergangenheit angehören.
Herr Maurer, für mich war das, was Sie hier ausge-hrt haben, bezeichnend. Sie haben im Grunde genom-en alles gerechtfertigt.
ie haben gezeigt, was Ihre geistigen Wurzeln sind. Ichage Ihnen, der Sie zur Nachfolgepartei der SED gehö-n: Ich bin und bleibe der Auffassung, dass die geisti-en Väter und Mütter von Mauer, Stacheldraht undchießbefehl in Deutschland keine politische Verantwor-ng mehr tragen dürfen.
Herr Kollege Thierse, Ihre Ausführungen haben michehr nachdenklich gestimmt. Ich kann Ihnen sehr wohlustimmen. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dassie SPD mit einer solchen Partei in Berlin und in Bran-enburg eine gemeinsame Regierung bildet. Das sageh im Übrigen auch an die Adresse der Grünen. Herrieland, ich kann Ihre Ausführungen ebenfalls sehr gutachvollziehen. Ich kann mich auch noch sehr gut an dasündnis 90 erinnern. Sie führen es in Ihrem Namen, undinige sind sogar noch im Parlament.
ie man sich aber von einer so antidemokratischen Par-i, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, inordrhein-Westfalen tolerieren lassen kann, nur um deracht willen, kann ich nicht nachvollziehen.
In dieser Woche hat der Präsident des Bundesamtesr Verfassungsschutz, der übrigens Mitglied der SPDt, die Notwendigkeit formuliert, dass die Linke weiterom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wenn die Par-ivorsitzende der Linken den Weg in den Kommunis-us gehen will und die stellvertretende Parteivorsit-ende die Kommunistische Plattform vertritt, dann istas mit den Werten unseres Grundgesetzes nicht inbereinstimmung zu bringen. Das zeigt, dass sie sichegen unsere Verfassung richten. Deshalb sind alle De-okraten aufgerufen, ihnen ein eindeutiges Nein entge-
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Dr. Franz Josef Jung
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genzurufen, sich abzugrenzen und nicht mit einer sol-chen politischen Gruppierung zusammenzuarbeiten.
Ich finde es bezeichnend, dass Frau Lötzsch hier, imDeutschen Bundestag, einen Mitarbeiter beschäftigt, dereine Stasivergangenheit hat.
Das sind Folgewirkungen. Das kommt daher, dass Sieeine derartige Vergangenheit haben.Lassen Sie mich auch Folgendes sagen: Der Kommu-nismus – das wurde bereits vorgetragen –, der so vielElend, so viel Unmenschlichkeit und Tod in diese Weltgebracht hat, ist gescheitert, weil er sich gegen die Naturdes Menschen richtet. Der Mensch ist nicht unfehlbar inder klassenlosen Gesellschaft. Der Kommunismus istimmer verbunden mit Unfreiheit, mit Unterdrückungund Diktatur. Das darf und kann nicht die politischeZielvorstellung in einem demokratischen Parlamentsein.
Der Kommunismus gehört auf den Müllhaufen derGeschichte. Er hat in all seinen Ausprägungen versagt.Eine derartige Perspektive kann es nicht mehr geben.Deshalb ist es notwendig, dass auch die Bürgerinnen undBürger den Linken die Rote Karte zeigen. Mit solchenZielvorstellungen dürfen sie keine politische Verantwor-tung in Deutschland tragen.Besten Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 26. Januar 2011, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.