Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Gu-
ten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute vor 20 Jahren, am 2. Dezember 1990, fanden in
Deutschland die Wahlen zum 12. Bundestag statt. Es
waren ganz normale und zugleich ganz besondere Wah-
len. Denn ein gutes Jahr nach dem Fall der Mauer, zwei
Monate nach dem Tag der vollzogenen Einheit, konnten
alle Deutschen erstmals wieder in allgemeiner, unmittel-
barer, freier, gleicher und geheimer Wahl ihr gemeinsa-
mes Parlament wählen. 58 Jahre haben die Deutschen
darauf warten müssen; denn die letzte freie Wahl in ganz
Deutschland fand davor 1932 statt.
Nachdem die deutsche Einheit am 3. Oktober 1990
hergestellt war, wurde am 2. Dezember doch noch in
zwei getrennten Wahlgebieten gewählt, im Wahlgebiet
West mit rund 48 Millionen Wahlberechtigten und im
Wahlgebiet Ost mit rund 12 Millionen Wahlberechtigten,
wobei für jedes Wahlgebiet eine eigene Fünfprozent-
hürde galt. Neu war übrigens auch, dass die Westberliner
ihre Abgeordneten zum ersten Mal direkt in den Bundes-
tag wählen konnten. Bis dahin wurden diese vom Berli-
ner Abgeordnetenhaus in den Bundestag gesandt, der
seinen Sitz damals noch in Bonn hatte. Die Konstituie-
rung des gesamtdeutschen Bundestages fand hier in Ber-
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Redet
lin statt. Am 20. Dezember 1990 eröffnete der damalige
Alterspräsident Willy Brandt die Sitzung hier in diesem
Raum.
Auf den Tag sechs Monate später, am 20. Juni 1991,
fasste das erste gesamtdeutsche Parlament dann den Be-
schluss, seinen Sitz ganz nach Berlin zu verlegen, übri-
gens mit ähnlich knapper Mehrheit wie bei der Entschei-
dung im November 1949 für Bonn statt Frankfurt als
Sitz der Verfassungsorgane. Seither begleitet und flan-
kiert der Deutsche Bundestag von Berlin aus den Prozess
der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einheit
Deutschlands.
Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen
jenen 2. Dezember 1990 zurückblicken, so im
sein, dass die ersten gesamtdeutschen Wahlen
lamentarischen Geschichte Deutschlands zwe
ext
– Nein. Einen Tag frei gibt es nicht, jedenfalls nicht,
wenn es sich um einen Sitzungstag handelt.
Die Fraktion der SPD hat mir mitgeteilt, dass der Kol-
lege Dr. Edgar Franke sein Amt als Schriftführer aufgibt.
Als Nachfolgerin wird die Kollegin Sonja Steffen vor-
geschlagen. Können Sie sich damit anfreunden? – Das
sieht so aus. Dann ist die Kollegin Steffen damit zur
Schriftführerin gewählt.
ell ist vereinbart worden, die verbun-
nung um die in der Zusatzpunktliste auf-
te zu erweitern:
, heute auf
Bewusst-
in der par-
ifellos ein
Interfraktion
dene Tagesord
geführten Punk
8500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Sabine Leidig, Eva Bulling-Schröter, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität –
Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und ge-
sellschaftlichem Fortschritt“
– Drucksache 17/3990 –
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP
Schlichterspruch zum Bahnprojekt Stuttgart 21
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen
– Drucksache 17/4046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 36
Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Oliver Krischer, Bettina Herlitzius, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ungebundene EU-Mittel aus dem Konjunk-
turpaket unverzüglich für mehr Ener-
gieeffizienz und erneuerbare Energien nutzen
– Drucksache 17/4017 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD
Fehlende Aktivitäten der Bundesregierung
hinsichtlich der Zukunftsängste des wissen-
schaftlichen Nachwuchses
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Flüchtlinge aus dem Iran aufnehmen
– Drucksache 17/3997 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
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finanziellen Unterstützung Irlands befassen, aufgerufen
werden. Danach folgen der Tagesordnungspunkt 12 so-
wie unmittelbar nacheinander die drei Punkte zur Ver-
längerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Das
sind die Tagesordnungspunkte 11, 13 und 15. Der dann
übersprungene Tagesordnungspunkt 14 folgt im An-
schluss an diese drei Entscheidungen über die Auslands-
einsätze, sodass Sie sich bitte auch auf die entsprechende
Abfolge von Abstimmungen einstellen mögen.
Ich mache außerdem auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam:
Die am 25. November 2010 überwiesene nachfol-
gende Unterrichtung soll zusätzlich dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
zur Mitberatung überwiesen werden:
Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2010 zur Haushalts- und Wirtschaftsprüfung
– Drucksache 17/3650 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ich darf Sie fragen, ob Sie damit einverstanden sind. –
Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:
5 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung gemäß § 154 Ab-
satz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch
zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf
67 Jahre
– Drucksache 17/3814 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetz-
liche Rentenversicherung, insbesondere über
die Entwicklung der Einnahmen und Ausga-
ben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des je-
weils erforderlichen Beitragssatzes in den
künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 Ab-
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und
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-
cherungsbericht 2010
– Drucksache 17/3900 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anton
Schaaf, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen für die Teilhabe am Arbeitsleben
nutzen – Arbeitsbedingungen verbessern –
Rentenzugang flexibilisieren
– Drucksache 17/3995 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
P 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Fritz Kuhn,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Voraussetzungen für die Rente mit 67 schaffen
– Drucksache 17/4046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Hier geht es um die Beratung mehrerer Vorlagen zur
entenpolitik.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
uch dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so
eschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
ie Bundesministerin Frau Dr. von der Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Das Bundeskabinett hat vor zwei Wochen den
ericht der Bundesregierung zur Anhebung der Regel-
ltersgrenze auf 67 Jahre beschlossen. Das gesetzliche
enteneintrittsalter erhöht sich ab 2012 Schritt für
chritt behutsam um zwei Jahre bis zum Jahre 2029. Das
eißt, dass alle Beteiligten genügend Zeit haben, sich da-
auf einzustellen. Das ist auch sinnvoll; denn es gibt
och viel zu tun.
8502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
)
)
Die Erhöhung der Altersgrenze auf 67 im Jahr 2029
ist notwendig, und sie ist vertretbar. Ich will das an eini-
gen wenigen Zahlen deutlich machen. Allein in den letz-
ten 50 Jahren ist die Lebenserwartung von Männern
und Frauen um 11 Jahre gestiegen. Das ist gut für den
Einzelnen. Das sind gewonnene Jahre, die wir zum Teil
auch für die Schaffenskraft in diesem Land, für den Ar-
beitsmarkt nutzen können. Dadurch wird aber natürlich
auch die Frage nach der gerechten Lastenverteilung zwi-
schen den Generationen aufgeworfen.
Der zweite Tatbestand ist der durchschnittliche Ren-
tenbezug. In den letzten 50 Jahren hat sich die Dauer des
Rentenbezugs fast verdoppelt. Vor 50 Jahren bezog ein
Rentner im Durchschnitt zehn Jahre lang eine Rente,
heute sind es im Schnitt 18 Jahre. Vor zehn Jahren erar-
beiteten noch sechs Erwerbstätige eine Rente, heute sind
es drei Erwerbstätige.
Deshalb, meine Damen und Herren, hatte Franz
Müntefering recht, als er bei der Einführung der Rente
mit 67 sagte: „Die Rente mit 67 ist demografisch und fi-
nanziell unabdingbar.“
Diese Aussage war damals richtig, aber sie ist auch
heute noch richtig, auch wenn das heute noch lange nicht
populär ist. Das weiß ich. Aber manchmal, meine Da-
men und Herren, braucht man in der Politik den Mut zur
Verlässlichkeit. In diesem Fall ist es der Mut zur Nach-
haltigkeit, den wir gemeinsam haben sollten.
Eine Absage oder eine Verschiebung der Rente mit 67,
die von Teilen der SPD und den Gewerkschaften – ich
sage bewusst: von Teilen – diskutiert wird, wäre meines
Erachtens verantwortungslos. Denn wer das fordert, der
muss auch sagen, was die Konsequenzen für unser Land
sind:
entweder die Beiträge für die Jüngeren zu erhöhen oder
die Rente für die Älteren zu senken. Aber eine Ausset-
zung der Rente mit 67 zu fordern, ohne die Folgen zu
benennen, das ist meines Erachtens nicht in Ordnung,
meine Damen und Herren.
Ich weiß, bis zur Rente mit 67 im Jahr 2029 ist es
noch ein weiter Weg. Aber es ist auch der Weg zur Stär-
kung des Generationenvertrages.
Die Rente mit 67 ist vertretbar. Wir haben im Augen-
blick weniger als 3 Millionen Arbeitslose. Unter den
OECD-Staaten haben wir in unserem Land das höchste
Wachstum. Noch nie waren so viele Menschen sozial-
versicherungspflichtig tätig. Uns geht nicht die Arbeit
aus – wir haben so viel Arbeit und so viele Aufträge wie
nie zuvor –, aber uns gehen die Arbeitskräfte aus. Des-
halb ist die Rente mit 67 bis 2029 auch ein wichtiger
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Es handelt sich dabei eben nicht um prekäre Jobs, wie
mmer, oft auch mit Absicht, behauptet wird. Das Ge-
enteil ist richtig. Drei von vier Beschäftigten im Alter
on 55 bis 64 Jahren haben sozialversicherungspflich-
ige Vollzeitjobs. Es gibt also mehr und bessere Jobs für
ltere, und die Zahl nimmt zu.
Wenn man den Blick auf die Gruppe der 60- bis 64-
ährigen richtet, also auf die Gruppe, die zum Teil noch
n hohem Maße von den Frühverrentungsregelungen
rofitiert hat, dann sieht man, dass sich deren Erwerbstä-
igenquote in den letzten zehn Jahren von 20 Prozent,
lso einem niedrigen Niveau, auf fast 40 Prozent im Jahr
009 nahezu verdoppelt hat.
emäß den Daten des Europäischen Statistikamtes ist
ie Quote im zweiten Halbjahr 2010 inzwischen auf
1,1 Prozent gestiegen.
ann, wenn nicht jetzt, wagen wir den Aufbruch in eine
ltersgerechte Arbeitswelt? Das ist doch die Frage, die
ir uns stellen sollten.
In den kommenden 15 Jahren werden uns 5 Millionen
rbeitskräfte fehlen. Das entspricht zum Beispiel knapp
er Hälfte der Einwohnerzahl von Baden-Württemberg.
eden wir doch einmal darüber, welche Lebenserfah-
ung, welches Betriebswissen und welche sozialen Kom-
etenzen Ältere besitzen und den Jüngeren voraushaben.
iejenigen, die sich mit aller Kraft gegen eine Rente mit
7 und damit auch gegen die Beantwortung der Frage
temmen, wie das Arbeiten bis 67 funktionieren kann,
lenden automatisch jedwede Überlegung über ein neues
ild des Alters aus.
Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8503
)
)
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Ich führe den Gedanken zu Ende. – Wir müssen doch
anders diskutieren. Wir müssen über den richtigen Mix
aus betrieblicher Gesundheitsförderung und der Verein-
barkeit von Beruf und Pflege, über eine altersgerechte
Arbeitsplatzgestaltung, Weiterqualifizierung und Weiter-
bildung reden. Das sind die Themen, bei denen wir et-
was bewegen sollten.
Ich weiß, dass Kritiker einwenden: Was ist mit den
körperlich schweren Tätigkeiten? Soll der Dachdecker
bis 67 auf dem Dach arbeiten? – Nein, das soll er nicht.
Das macht er heute im Alter von 65 Jahren übrigens
auch nicht mehr. Er muss künftig frühzeitig auf den
Wechsel vorbereitet werden. Das ist die Denke, die wir
entwickeln müssen.
So jemand hat Lebenserfahrung, Kompetenzen und
Betriebswissen. Mit diesem Know-how kann er sich
zum Beispiel auf den Vertrieb, die Ausbildung oder den
Arbeitsschutz spezialisieren. Vorausschauende Unter-
nehmen und übrigens auch vorausschauende Sozialpart-
ner denken längst anders.
Ich weiß, sie sind noch in der Minderheit, aber sie sind
die Trendsetter einer altersgerechten Arbeitswelt.
Wir sind inzwischen eine Gesellschaft des langen Le-
bens, ob es uns passt oder nicht. Eine solche Gesellschaft
muss dementsprechend auch langfristig denken. Kluge
Politik ist nachhaltig und demografiefest, und nur durch
eine zukunftsfähige, nachhaltige und demografiefeste
Politik werden wir unser Land auch gut weiterbringen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Sigmar Gabriel für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin von der Leyen, Sie sollten feststellen, ob jetzt
– so fordert es das Gesetz – und nicht irgendwann in der
Zukunft die arbeitsmarktpolitischen Voraussetzungen
und die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen
– auch das steht im Gesetz – für den Einstieg in die
Rente mit 67 vorliegen oder ob das nicht der Fall ist. Es
geht also nach dem Auftrag des Gesetzes heute gar nicht
darum, ob die Rente mit 67 eingeführt wird, sondern da-
rum, wann die Voraussetzungen für die Rente mit 67
vorliegen.
Denn dass wir nicht tatenlos zusehen können, dass
aufgrund kleiner werdender Geburtenjahrgänge immer
weniger aktive Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
eine immer größer werdende Zahl von Rentnern finan-
zieren müssen, ist völlig unbestritten. Ich glaube, die
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Der Kollege meint, von den rentenversicherten Arbei-
ern und Angestellten dieser Altersgruppe seien
0 Prozent in Altersteilzeit.
enn ich jetzt einmal unterstelle, dass das stimmen
ürde, dann wirft das bei mir die Frage auf: Warum
treichen Sie eigentlich die geförderte Altersteilzeit, ob-
ohl diese so gut sein soll? Das ist meine Frage an Sie.
Meine Damen und Herren, heute reden wir darüber,
ass uns das Gesetz auffordert, zu prüfen, ob die Ar-
eitsmarktbedingungen gegeben sind. Dabei stellen wir
est, dass 80 Prozent der rentenversicherten Arbeiter und
ngestellten zwischen 60 und 64 nicht mehr arbeiten.
nsofern stellen Sie, Frau von der Leyen, knapp
0 Prozent auf dem Arbeitsmarkt vor eine unlösbare
8504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Sigmar Gabriel
)
)
Aufgabe. Denn sie finden entweder keine Arbeit im Al-
ter, oder sie sind körperlich so kaputt, dass sie nicht
mehr arbeiten können.
Genau das will das Gesetz nicht. Es will Arbeiter und
Angestellte nicht vor eine unlösbare Aufgabe stellen.
Vielmehr fordert es mehr Arbeitsmöglichkeiten für
Ältere,
bevor die Rente mit 67 beginnt.
Sie, Frau von der Leyen, wollen die Hände in den
Schoß legen, und tun so, als ob allein der demografische
Wandel dazu führen würde, dass mehr Ältere beschäftigt
werden. Ich zitiere einmal, was der Sozialbeirat der Bun-
desregierung – ich weiß ja nicht, ob Sie dessen Publika-
tionen lesen – dazu geschrieben hat:
Die Gutachter warnen deshalb: „Es gibt somit keine
Automatik, dass sich infolge des demografischen
Wandels die Arbeitsmarktchancen der Älteren we-
sentlich verbessern.“
Das schreiben Ihre eigenen Gutachter.
Sie müssen also etwas tun, damit Ältere Beschäfti-
gung finden. Tatsache ist aber, dass gerade die Arbeitslo-
sigkeit von Älteren zunimmt.
Ältere rentenversicherte Arbeiter und Angestellte finden
oft keinen Arbeitsplatz; anders sind die 80 Prozent auch
nicht zu erklären. Für diese bedeutet die Erhöhung des
Renteneintrittsalters nichts anderes als eine Rentenkür-
zung.
Frau von der Leyen, ich frage Sie: Wissen Sie eigent-
lich, was Rentner an Renteneinkommen haben? Von
den 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in
Deutschland beziehen über 16 Millionen eine Rente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung und leben aus-
schließlich von dieser. Sehr viele dieser 16 Millionen
Rentnerinnen und Rentner beziehen eine Rente von
500 bis 1 000 Euro im Monat. In Ostdeutschland sind es
mehr als 50 Prozent der Männer, die nicht mehr als
500 bis 1 000 Euro Rente ausschließlich aus der gesetz-
lichen Rentenversicherung bekommen. Diesen Prozent-
satz sollte man sich merken, finde ich. In Westdeutsch-
land sind es 65 Prozent der Männer und 97 Prozent der
Frauen, deren gesetzlicher Rentenanspruch unter
1 200 Euro im Monat liegt.
Herr Kollege Gabriel, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lehrieder zu?
Ja, natürlich.
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Herr Kollege, das Arbeitsministerium hat verzweifelt
ersucht, bei Ihnen einen Redner zu finden, der mich das
ragt;
ch hätte Ihnen empfohlen, meiner Rede zuzuhören.
enn genau das, was Sie eben vorgetragen haben, habe
ch auch schon gesagt.
nsofern vielen Dank für den Beweis, dass bei Ihnen
ommunikationsprobleme existieren.
Im Ernst, ich sage das nicht ohne Grund. Lassen Sie
s uns doch ehrlich zugeben: Wer von uns in diesem
aus kann sich vorstellen, im Alter mit einer Rente von
00 bis 1 200 Euro auszukommen? Der Zorn vieler
enschen, Frau von der Leyen – das richtet sich an uns
lle –, rührt doch daher, dass die faktische Rentenkür-
ung – dies bedeutet das, was Sie durchsetzen wollen,
ür viele – von Menschen gefordert und beschlossen
ird, die niemals auch nur annähernd in die Lage kom-
en, im Alter mit einem so geringen Renteneinkommen
uskommen zu müssen. Das ärgert die Menschen.
Deshalb, Frau von der Leyen, müssen wir uns die De-
atte um die Rente mit 67, die ich nicht bestreite und von
er wir sagen, dass die Entscheidung richtig war,
chwerer machen, als Sie es derzeit tun. Es wird nämlich
n Zukunft mehr Menschen mit geringen Renten geben.
enn Armutslöhne schaffen auch Armutsrenten. Des-
alb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindest-
ohn für alle. Das ist entscheidend.
Sie verweigern den gesetzlichen Mindestlohn. In unse-
em Land arbeiten mehr als 6 Millionen Menschen für we-
iger als 8 Euro brutto pro Stunde. Minilöhne produzieren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8505
Sigmar Gabriel
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Minirenten. Armutslöhne produzieren Armutsrenten. Wis-
sen Sie, Frau von der Leyen, welcher Rentenanspruch sich
aus 45 Arbeitsjahren bei einem Bruttostundenlohn von
8 Euro ergibt? Das sind 558 Euro. Wenn Sie dagegen
nichts unternehmen, dann müssen die Menschen zornig
auf die Barrikaden gehen, wenn sie hören, dass ihnen
diese Rente auch noch gekürzt werden soll.
Sie müssen Mindestlöhne einführen, damit die Men-
schen damit auskommen können.
Das gilt übrigens auch für das Prinzip „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ in der Leiharbeit, und zwar ohne jede
Ausnahme und ohne jedes Schlupfloch, Frau von der
Leyen, nicht so, wie Sie es gerade mit der Scheingesetz-
gebung versuchen. Wenn sich Leistung im Arbeitsleben
wie in der Rente lohnen soll, dann müssen wir in
Deutschland erst einmal Recht und Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt schaffen. Das wäre Ihre Aufgabe, Frau von
der Leyen, statt statistische Tricks vorzuhalten.
Viele von denen, die trotz eines sehr langen Arbeitsle-
bens von 45 Jahren nur einen Rentenanspruch von
500 bis 1 200 Euro haben, müssen bereits heute Renten-
kürzungen hinnehmen; denn sie schaffen es gar nicht,
bis 65 zu arbeiten.
Wenn Sie denen jetzt noch einmal die Rente kürzen wol-
len, ohne ihnen Angebote zu machen, wie sie, weil sie
nicht mehr arbeiten können, ohne zusätzliche Rentenab-
schläge in Rente gehen können, dann ist das genau der
Zynismus in der Politik, den die Menschen in Deutsch-
land inzwischen abscheulich finden.
Das Gesetz fordert uns auf, die Wirklichkeit zu be-
trachten. Deshalb ist es ein gutes Gesetz. Das Gesetz
sagt uns: Tut genug dafür, dass Menschen wirklich län-
ger arbeiten können. Deshalb enthält es die Forderung,
den Arbeitsmarkt zu betrachten, bevor man handelt. Sie
machen das genaue Gegenteil: Sie kürzen im Bundes-
haushalt die Mittel für die Qualifizierung von Arbeitslo-
sen – auch von älteren Arbeitslosen – um 1,3 Milliarden
Euro. Statt sie zu qualifizieren, kürzen Sie bei der Quali-
fizierung.
Frau von der Leyen, Sie gehören zu denjenigen, die in
der Diskussion über den Fachkräftebedarf der Zuwan-
derung aus dem Ausland das Wort reden. Ich sage Ihnen:
Sie kassieren den Druck, von dem Sie sagen, dass die
Arbeitgeber ihn spüren müssen, damit sie Ältere einstel-
len, wieder ein. Das kann doch nicht wahr sein.
Solange wir 70 000 Schüler ohne einen vernünftigen
Abschluss entlassen, solange der Anteil der Arbeitslosen
und der Älteren steigt, solange Frauen keine vernünfti-
gen Erwerbschancen haben, wenn sie Kinder haben, so
lange scheint der Fachkräftebedarf in Deutschland nicht
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Ich weiß nicht, ob Sie anders als Ihr Kollege zugehört
aben. Wir versuchen, einen Blick auf die Wirklichkeit
u werfen, wie es das Gesetz fordert. Herr Kollege, Sie
gnorieren das Gesetz.
Frau von der Leyen, ich erzähle Ihnen einmal ein
raktisches Beispiel, damit Sie unsere Empathie verste-
en können. Gerda Küchler ist 55 Jahre alt und Pflege-
raft in München. Mit 16 Jahren hat sie ihre Ausbildung
egonnen und ist in den Beruf gegangen. Sie hat
0 Jahre lang in der Pflege gearbeitet. Als das Kind da
ar, hat sie überwiegend Nachtschichten gemacht. Das
st ein harter Job. Gelenke und Wirbelsäule sind geschä-
igt aufgrund der Belastungen durch viele Erkrankun-
en, ganz zu schweigen von den Belastungen durch die
atienten.
8506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Sigmar Gabriel
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Gerda Küchler hatte Glück. Im Alter von 55 Jahren
muss sie nicht mehr in der Pflege arbeiten. Sie ist jetzt
im Seniorenzentrum tätig. Sie sagt, für sie sei das der
Himmel auf Erden. Sie sagt aber auch, solche Stellen
seien ganz selten und man müsse Glück haben und Fach-
kraft sein.
Für die meisten ist das unerreichbar. Wer nicht Fach-
kraft ist, sondern Pflegehilfskraft – Sie wissen das, Frau
von der Leyen –, der hat keine Chance. Im Übrigen
schafft die Bundesregierung gerade ihre Chancen auf
Qualifizierung ab.
Gerda Küchler sagt weiter: Die wenigsten Pflege-
kräfte schaffen es, bis 60 zu arbeiten. Wer älter ist, muss
das Gleiche leisten wie die Jüngeren. Der Normalfall ist
die Erwerbsminderungsrente.
Gerda Küchler wird mit 65 einen Rentenanspruch von
1 100 Euro haben. Das ist nicht sehr viel nach einem lan-
gen Arbeitsleben. Wenn sie mit 63 in Rente gehen muss,
hat sie Abschläge von 80 Euro hinzunehmen. Wird das
gemacht, was Sie sagen, ohne ihr ein Angebot zu ma-
chen, dann verdoppelt sich der Abschlag.
Mathematisch gesehen und mit Blick auf die Renten-
versicherung sind die Abschläge sicher sinnvoll. Für die
meisten von uns, die hier sitzen, und auch für diejenigen,
die darüber schreiben, wäre ein Abschlag von 80 Euro
oder 160 Euro noch nicht einmal die Welt. Frau von der
Leyen, für diejenigen aber, die sich ihr Leben lang im
wahrsten Sinne des Wortes krumm gemacht haben und
sowieso schon wenig verdienen, sind 80 Euro oder
160 Euro pro Monat ein sehr großer Unterschied. Um
diese Menschen geht es, meine Damen und Herren.
Offensichtlich plagt Sie Ihr schlechtes Gewissen;
denn anders könnte man sich einige Ihrer Anzeigen nicht
erklären. Sie schreiben beispielsweise in einer Anzeige,
die im Weser Kurier erschienen ist: „Wer heute 47 Jahre
oder älter ist, muss gar nicht oder nur wenige Monate
länger arbeiten.“
Damit wollen Sie den Leuten sagen: Beruhigt euch.
Wer 47 Jahre oder älter ist, den trifft das alles gar nicht.
Ich weiß nicht, ob Sie klammheimlich das Gesetz ge-
ändert haben. Aber die Wahrheit ist, dass diejenigen, die
heute 47 Jahre alt sind, bereits bis 66 Jahre und 10 Mo-
nate arbeiten müssen, also fast bis 67.
Nun kann man sicherlich Rechenfehler machen; das ist
bei Ihrer Regierung nicht verwunderlich.
Aber die Menschen in einem so zentralen Punkt mit An-
zeigen, die aus Steuergeldern finanziert sind, in die Irre
führen zu wollen, ist schon mehr als ein Tippfehler. Das
ist Ausdruck Ihres Wunsches, den Menschen etwas vor-
zumachen.
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Erstens. Wir wollen die Erwerbsminderungsrente aus-
auen. Wir wollen flexible Übergänge und Regelungen
ür all diejenigen schaffen, die heute noch nicht einmal
is 64 oder 65 arbeiten können. Zweitens wollen wir da-
ür sorgen, dass Armutslöhne verschwinden, Frau von
er Leyen, und sich Arbeit wieder lohnt. Sozial ist nicht,
as Arbeit schafft. Sozial ist vielmehr, was Arbeit
chafft, von der man leben kann, und zwar auch im Al-
er.
rittens wollen wir mehr für die Beschäftigung älterer
rbeitnehmer tun. Sie machen das Gegenteil. Das sind
ie drei Voraussetzungen, die wir für die Rente mit 67
chaffen müssen. Das fordert das Gesetz.
Übrigens gibt es andere, die uns dabei helfen, zum
eispiel die Tarifpartner. Die IG BCE hat einen ersten
emografietarifvertrag geschlossen. Gesetzliche Rente,
rivate Vorsorge, betriebliche Renten und Tarifverträge
üssen zusammen dafür sorgen, dass die Probleme ge-
öst werden können. Solange wir das nicht getan haben,
olange kann die Rente mit 67 nicht in Kraft treten. So
ill es das Gesetz, Frau von der Leyen, und so wollen es
uch wir Sozialdemokraten.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Hinsken
as Wort.
Herr Kollege Gabriel, da Sie meine Zwischenfrage
icht zugelassen haben, habe ich mich zu einer Kurzin-
ervention gemeldet. Ich frage Sie: Haben Sie die Rede,
ie Sie gerade gehalten haben, mit Ihrem Vorgänger im
mt des Parteivorsitzenden, dem ehemaligen Arbeitsmi-
ister Müntefering, abgestimmt und, wenn nicht, warum
icht? Des Weiteren ist mir sehr wohl aufgefallen, dass
ich Herr Müntefering des Beifalls nach Ihrer Rede ent-
alten hat. Er denkt wahrscheinlich ein bisschen anders
nd teilt nicht die Meinung, die Sie hier dargelegt haben.
s wäre angebracht, wenn Sie sich in diesem Fall im
ahmen eines Privatissimums von Herrn Müntefering
nterweisen ließen.
Herr Kollege, der Kollege Müntefering sitzt hinten,
laube ich. Sie können gerne ein Privatissimum mit ihm
bhalten. Wir haben darüber in der SPD-Fraktion disku-
iert. Vielleicht haben Sie trotz des ganzen Zorns, der an-
cheinend bei Ihnen über meine Rede existiert, bemerkt
jedenfalls waren Ihre Ohren irgendwie ein bisschen
erstopft; das liegt vielleicht am Schnee –, dass ich wört-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8507
Sigmar Gabriel
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)
lich gesagt habe: Das Gesetz ist ein gutes Gesetz. – Ich
habe nicht das Gesetz kritisiert. Vielmehr werfe ich Ih-
nen vor, dass Sie das Gesetz nicht einhalten.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Gabriel, wir halten das Gesetz ein und tun
genau das, was in § 154 SGB VI vorgeschrieben ist. Wir
legen den jährlichen Rentenversicherungsbericht und
den Fortschrittsbericht zur Einführung der Rente mit 67
vor. Beides tun wir, und zwar auf eine sehr sachliche
Weise. Was Sie hier tun, Herr Kollege Gabriel, ist ein
Stück weit beschämend für den angeblichen Opposi-
tionsführer in diesem Haus. Herr Gabriel, Sie können
sich doch nicht ernsthaft hier hinstellen, nachdem die
SPD bis vor einem Jahr über elf Jahre den Arbeitsminis-
ter in Deutschland gestellt hat, und sagen, es müssten erst
einmal Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herge-
stellt werden. Haben Sie oder Ihre Minister elf Jahre lang
geschlafen?
Es ist wirklich nicht so, dass wir in den zwölf Mona-
ten Unordnung hätten schaffen können oder wollen. Wir
hatten vielmehr alle Hände voll mit den Baustellen zu
tun, die Sie uns hinterlassen haben. Ich nenne als Bei-
spiel die Jobcenter oder die Regelsätze für Hartz IV.
Es ist doch unglaublich, welche Vorstellung Sie hier ab-
geliefert haben. Das ist eines Oppositionsführers unwür-
dig.
Das sieht man auch an dem konkreten Vorschlag, ei-
nen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, womit alle
Probleme gelöst seien und es keine Altersarmut in
Deutschland mehr gebe. Wenige Sätze später rechnen
Sie in Ihrer Rede vor, dass selbst bei einem Mindestlohn
von 8 Euro und bei 45 Erwerbsjahren der Rentenan-
spruch gerade einmal – ich habe es mir aufgeschrieben –
558 Euro betragen würde.
– Wenn Sie jetzt von 10 Euro sprechen – der Zwischen-
ruf kam gerade –, dann weise ich darauf hin, wie der ge-
setzliche Mindestlohn wirkt. Der gesetzliche Mindest-
lohn würde in ganz Deutschland einheitlich gelten, im
Erzgebirge wie im Rhein-Main-Gebiet. Es fragt sich,
wie sich das auf den Arbeitsmarkt im Erzgebirge aus-
wirkt, wie viele Jobs in Deutschland wegfallen und wie
viele Menschen dann ungleich schlechtere Vorausset-
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Ich möchte noch auf andere Aspekte verweisen, die
uch heute hier zur Debatte stehen und die erwähnt wer-
en müssen; denn ich finde, dass die Entwicklung der
esetzlichen Rentenversicherung in der jüngsten Ver-
angenheit eine wirkliche Erfolgsgeschichte, geradezu
ine sensationelle Erfolgsgeschichte ist.
ie gesetzliche Rentenversicherung hat die weltweite
irtschafts- und Finanzkrise weitgehend unbeschadet
berstanden. Die Nachhaltigkeitsrücklage wächst von
0,8 Milliarden Euro auf fast 27 Milliarden Euro am
nde des Jahres 2014. Die Beiträge können ab dem
ahre 2014 gesenkt werden. Trotzdem wird es in den
ächsten Jahren – selbst wenn die Dämpfungen bei der
ente nachgeholt werden – Jahr für Jahr Rentenerhöhun-
en für die Rentner in diesem Land geben. Das heißt, die
undesregierung ist in diesem magischen Dreieck gut
nterwegs. Ich sage Ihnen auch, wieso: weil wir es ge-
chafft haben, mit einer vernünftigen Politik für ein star-
es Wachstum – es ist das stärkste in der EU – und für
ine geradezu sensationelle Entwicklung bei der Be-
chäftigung in diesem Land zu sorgen. Die Zahlen sind
erade erst vor zwei Tagen gekommen. Es gibt einen Re-
ord bei der sozialversicherungspflichten Beschäfti-
ung. Das bedeutet sprudelnde Beitragseinnahmen.
ährend die Prognose für das Jahr 2010 – Rechenergeb-
is der gesetzlichen Rentenversicherung – zu Beginn des
ahres noch gewesen ist, dass man mit einem Minus von
Milliarden Euro abschneidet, so können wir jetzt fest-
tellen: Wir werden ein Plus von 1,3 Milliarden Euro ha-
en. Das zeigt: Die Versicherten, also die Aktiven, die
eiträge entrichten, und die Rentner: In diesem Lande
itzen alle in einem Boot. Eine gute Rentenpolitik muss
or allen Dingen die Entwicklung auf dem Arbeits-
arkt in unserem Land im Auge behalten, und genau
as tun wir.
Auf diesem Weg wollen wir weiter voranschreiten.
ch glaube, dass die Entscheidungen, die wir treffen, mit
ugenmaß getroffen werden. Ich möchte noch etwas zur
nhebung der Regelaltersgrenze sagen. Das Rentenein-
rittsalter von 65 Jahren ist in der Kaiserzeit festgesetzt
orden, 1911 und 1916. Damals betrug die Lebenser-
artung 48 Jahre für Frauen und 45 Jahre für Männer.
ie Lebenserwartung ist heute mindestens 30 Jahre hö-
er – und das bei ungleich besseren Arbeitsbedingungen.
s gibt immer noch Schwierigkeiten in einzelnen Beru-
en – das bestreite ich nicht –, aber dagegen muss man
twas tun. Das führt natürlich zu deutlich längeren Ren-
enbezugszeiten. Ich bin kein großer Anhänger der An-
ebung des fixen Renteneintrittsalters, aber es ist auch
icht unvertretbar, in dieser Situation, vor allen Dingen
ngesichts der auf dem Arbeitsmarkt erzielten Fort-
chritte, gerade was die Beschäftigung Älterer anbe-
angt, über eine maßvolle Anhebung nachzudenken.
8508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
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)
Zum Schluss möchte ich Sie, Herr Gabriel, noch et-
was fragen. Was hat sich die SPD eigentlich vorgestellt,
als sie damals dieses Gesetz mit dieser Überprüfungs-
klausel gemacht hat? Sowohl die Zahl der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse der 60-
bis unter 65-Jährigen als auch die Zahl der Erwerbstäti-
gen haben sich innerhalb weniger Jahre prozentual ver-
doppelt. Es ist ein Riesenfortschritt, den wir erreicht ha-
ben. Sie können sich doch heute nicht hier hinstellen und
sagen, Sie hätten sich alles viel besser vorgestellt. Nie-
mand konnte erwarten, dass wir am Ende des Jahres
2010 eine derart günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt
haben. Jetzt müssen Sie springen und zu dem stehen,
was die SPD auf den Weg gebracht hat, als sie in Verant-
wortung war.
Wir sind bereit, uns dieser Verantwortung zu stellen. Es
wäre schön, wenn auch Sie diesen Mut hätten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir erleben hier eine Debatte, die insofern selt-
sam ist, als mit Quoten und mit Zahlen jongliert wird.
Ich habe den Eindruck, hier wird einiges durcheinander
gebracht. Ich will mit dem anfangen, was Frau von der
Leyen und leider auch Teile der Sozialdemokratie – die
Grünen sowieso – als Argument dafür verwenden, dass
wir länger arbeiten könnten, und das ist die Erwerbstä-
tigenquote.
Man muss sich die Erwerbstätigenquote ansehen und
fragen, was das eigentlich ist. Darin enthalten sind alle
Erwerbstätigen, auch diejenigen, die überhaupt nichts
mit der gesetzlichen Rentenversicherung zu tun haben.
Darin enthalten sind Beamte und Selbstständige, und es
sind diejenigen enthalten, die nur eine Stunde in der Wo-
che beschäftigt sind. Es sind die Minijobber enthalten.
Wenn man diese Quote heranzieht, dann stimmt es tat-
sächlich: In der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen ist
inzwischen eine Beschäftigtenquote von 55,9 Prozent er-
reicht; sie ist um 10,5 Prozent gestiegen. Diese Erwerbs-
tätigenquote ist aber nicht der richtige Maßstab bei die-
ser Frage, und das verkennen Sie.
Ich möchte jetzt versuchen, Ihnen das noch einmal zu
erläutern. Selbst wenn man bei dieser Erwerbstätigen-
quote bleibt, ist die Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen
vollkommen falsch.
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Deshalb sagen wir: Das, was Sie vorlegen, ist voll-
ommen neben der Spur. Was ist letztlich die Konse-
uenz dessen, was Sie treiben? Die Konsequenz ist, dass
ie die Menschen mit höheren Abschlägen in die Rente
chicken. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
Ich habe eben ausgeführt, dass nur 9,9 Prozent eine
ozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben.
enn man es genau nimmt, dann ist selbst das noch die
alsche Gruppe. Man müsste nämlich eigentlich schauen,
ie viele von denen eine sozialversicherungspflichtige
ollzeitbeschäftigung haben, wie viele tatsächlich noch
us einer vollen Erwerbstätigkeit heraus in die Rente ge-
en können. Die Quote derer, die im Alter von 64 Jahren
och eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäf-
igung haben, liegt bei 6,4 Prozent. Das sind weit unter
0 Prozent.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8509
Klaus Ernst
)
)
Ich greife jetzt einzelne Berufsgruppen heraus, zuerst
die Maler und Lackierer. Hier liegt die Quote bei
2,9 Prozent. Bei den Mechanikern liegt sie bei
2,8 Prozent. Bei den Bau- und Raumausstattern beträgt
sie nur 2,7 Prozent. Bei den Bäckern liegt sie bei nur
2,0 Prozent. Bei den berühmten Dachdeckern, Zimme-
rern usw. liegt sie bei 1,6 Prozent. Für einen großen Teil,
nämlich für die überwältigende Mehrheit der Menschen,
ist die Anhebung des Renteneintrittsalters nichts anderes
als eine gigantische Rentenkürzung um 7,2 Prozent.
Besonders prekär ist übrigens die Lage der Frauen
– Frau von der Leyen, auch darauf möchte ich noch ein-
mal zu sprechen kommen –: Die Quote der sozialversi-
cherungspflichtig in Vollzeit beschäftigten Frauen liegt
bei den 60- bis 64-Jährigen bei 10 Prozent und bei den
64-Jährigen bei 4 Prozent. Somit werden insbesondere
Frauen von der Anhebung des Renteneintrittsalters be-
troffen sein.
Frau von der Leyen, ich kann es nicht anders sagen:
Sie verschleiern mit Ihren Zahlen die Wahrheit. Warum?
Weil Sie auf die Gruppe der 64-jährigen sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten in Ihrem Bericht überhaupt
nicht eingehen. Die Zahlen, die ich jetzt genannt habe,
stammen aus einer Anfrage, die die Linken an Sie ge-
richtet haben; es sind somit Zahlen aus Ihrem Ministe-
rium. Warum schreiben Sie in Ihrem Bericht nicht die
Wahrheit, sondern verschleiern sie?
Fakt ist, dass diese Abschläge – Herr Gabriel hat da-
rauf hingewiesen – bei dem Rentenniveau, das wir ha-
ben, für einen großen Teil der Menschen zu direkter Al-
tersarmut führen wird. Ich möchte darauf hinweisen,
dass zurzeit für mehr als 90 Prozent der Menschen das
Ergebnis Ihrer Anhebung des Renteneintrittsalters nichts
anderes sein wird als eine Rentenkürzung. Bereits 1998
hatten 1,4 Prozent der Neurentner Abschläge zu ver-
zeichnen. Selbst ohne Ihre Anhebung des Rentenein-
trittsalters hatten 2009 45 Prozent der Neurentner Ren-
tenabschläge hinzunehmen.
Ich garantiere Ihnen: Diese Rentenabschläge werden
natürlich größer werden, wenn die Menschen vor dem
Erreichen des Renteneintrittsalters aus dem Erwerbsle-
ben aussteigen. Sie werden in einer Größenordnung auf-
treten, die viele Menschen direkt in die Altersarmut
führt. Mit Ihrer Rentenpolitik treiben Sie die Menschen
in die Altersarmut. Das ist das, was diese Bundesregie-
rung macht.
Um auch noch einen Diskussionsbeitrag aus Ihren
Reihen zu bringen: Auf dem Bundesparteitag der CDU
wurde ein Antrag verabschiedet – offensichtlich gegen
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olgendes ist aber Fakt: Wir haben in diesem Land eine
urchschnittliche Wachstumsrate – ich will es noch ein-
al sagen – von 1,4 Prozent jährlich. Das heißt, der Ku-
hen, der zu verteilen ist, wird größer, auch wenn es der
ine oder andere nicht wahrhaben will. Ich habe vorhin
ie Zahlen noch einmal beim Statistischen Bundesamt
achgelesen. Wir haben von 2008 bis 2030 – das ist die
gute“ Variante – 4,6 Millionen Menschen weniger in un-
erem Land bzw. – das ist die „schlechtere“ Variante –
Millionen Menschen weniger, also weniger Menschen,
ie sich von diesem Kuchen ernähren müssen. Wenn der
uchen größer wird, Sigmar Gabriel, und weniger Men-
chen sich diesen Kuchen teilen müssen, dann werden
das ist Volksschule Sauerland; da habe ich den Dreisatz
elernt; wo ist denn Herr Müntefering? – die einzelnen
uchenstücke größer und nicht kleiner. Trotz demografi-
cher Veränderungen können wir uns eine vernünftige
ente leisten.
Frau von der Leyen, Sie haben vorhin die Gewerk-
chaften angesprochen. Es ist allemal besser, die Renten-
eiträge – das ist der Vorschlag, den der DGB-Vorsit-
ende gemacht hat – um 0,5 Prozentpunkte zu erhöhen.
as macht bei 0,25 Prozent, paritätisch finanziert, weni-
er aus, als eine Maß Bier im Monat kostet. Ich habe noch
iemanden gefunden, der wegen einer Maß Bier weniger
m Monat zwei Jahre länger arbeiten will.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Strengmann-
uhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
ebatte über Stuttgart 21 zeigt, dass wir in der Politik
nders an Großprojekte herangehen müssen. Auch der
mbau der Rentenversicherung ist ein Großprojekt, bei
8510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
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dem wir die Bevölkerung überzeugen und mitnehmen
müssen, sonst wird die Politikverdrossenheit weiter an-
steigen.
Die Schlichtung zu Stuttgart 21 hat gezeigt, was dazu
als Erstes passieren muss: Die Zahlen und Fakten müs-
sen offen und ehrlich auf den Tisch. Diesbezüglich hat
die Bundesregierung in ihrem Bericht „Aufbruch in die
altersgerechte Arbeitswelt“ eine große Chance verpasst.
Was nötig gewesen wäre, wären Prognosen über die zu-
künftige Entwicklung am Arbeitsmarkt – Fehlanzeige.
Was aber vor allen Dingen auch nötig gewesen wäre
– Sigmar Gabriel hat gesagt, das steht so im Gesetz –,
wäre eine ehrliche Darstellung der sozialen und wirt-
schaftlichen Situation der Älteren heute. Das passt aber
nicht zu der Welt von Ursula von der Leyen. Wir haben
gerade eben wieder erlebt, wie die rosarote Welt von
„Ursula Poppins“, wie sie in der Frankfurter Rundschau
vor kurzem bezeichnet wurde, aussieht:
„Erfolg, Erfolg, wir sind erfolgreich,
ich bin erfolgreich, ich bin die Gröößte“, tirilierte
sie noch ein letztes Mal und flog wie Mary Poppins
durch die Lüfte.
So stand es in diesem Kommentar. Aber es ist nicht alles
gut, Frau Ministerin.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schlecht?
Im Moment noch nicht, später vielleicht. Ich bin ja
jetzt auch bei der Ministerin und nicht bei den Linken.
– Und auch keine Frage zu Stuttgart 21, nein.
Aber es ist nicht alles gut, Frau Ministerin. Zwar stei-
gen die Erwerbsquoten und auch der Anteil der sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigten an den 60- bis 64-Jäh-
rigen an, Herr Lehrieder, selbst in der Krise sogar relativ
stark auf 23 Prozent. Aber der Anteil der sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigten an den 64-Jährigen – Herr
Ernst hat das schon gesagt –, also in dem Jahr vor dem
Renteneintritt, ist im letzten Jahr sogar gesunken. Der
Anteil der atypischen Beschäftigungen steigt. Der Anteil
der Arbeitslosengeld-II-Bezieher bei den Älteren steigt.
Das alles sind Zahlen, die in Ihrem Bericht vorkommen,
die Sie aber überhaupt nicht problematisieren, weil es
nicht in Ihre rosarote Welt und die der Regierung passt.
Schon gar nicht werden in diesem Bericht Lösungen da-
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ie Mehrheit der Bevölkerung ist nämlich nach wie vor
egen die Rente mit 67. Die Menschen sind dagegen,
eil sie echte Sorgen und Ängste haben. Für diese Sor-
en und Ängste brauchen wir Antworten und keine Ju-
elarien. Die Menschen haben Angst davor, dass sie
icht so lange arbeiten können. Sie haben Angst davor,
ass ihre Rente gekürzt wird. Die Menschen haben
ngst vor Altersarmut. Sie haben Angst davor, dass sie
is 67 arbeiten müssen, komme, was da wolle.
Wir nehmen diese Sorgen der Menschen sehr ernst und
achen Vorschläge, was man da tun kann. Wir sagen: Die
ente mit 67 wird nur dann akzeptiert werden, wenn ge-
ährleistet ist, dass Menschen, die lange versichert sind,
icht zum Sozialamt müssen, vorher ihr ganzes Alters-
ermögen aufbrauchen und sich einer stigmatisierenden
edürftigkeitsprüfung unterziehen müssen. Wir schlagen
eswegen eine Garantierente vor, die so ausgestaltet ist,
ass jemand nach 30 Versicherungsjahren eine Rente
ber dem Grundsicherungsniveau erhält – vom Staat ga-
antiert.
Wir sagen: Wer nicht mehr kann und erwerbsgemin-
ert ist oder wer schwerbehindert ist, muss wie bisher
it 63 ohne Abschläge in Rente gehen dürfen.
ir sagen – wie übrigens auch der Sachverständigenrat –:
ie Erwerbsminderungsrente muss insgesamt verbessert
erden. Wir sagen: Wer bereit ist, Abschläge in Kauf zu
ehmen, soll bereits ab 60 in Rente gehen dürfen und
icht gezwungen sein, weiter arbeiten zu müssen. Wir sa-
en: Es müssen fließende und selbstbestimmte Über-
änge in den Ruhestand geschaffen werden. Es soll mög-
ich sein, ab 60 die Arbeitszeit zu reduzieren und eine
eilrente zu beziehen.
Von all dem finden wir in dem Bericht der Bundesre-
ierung nichts. Und ich sage Ihnen, Frau Ministerin: So
erden Sie die Menschen nicht für sich und nicht für die
ente mit 67 gewinnen können.
ie sagte Heiner Geißler? Die Zeit der Basta-Politik ist
orbei.
Die Menschen machen sich aber auch Sorgen, ob ihre
ente in Zukunft noch bezahlbar ist, sie machen sich
orgen über die hohen Beiträge, die sie bezahlen müs-
en, und sie machen sich Sorgen, dass die Beiträge in der
ukunft noch ansteigen.
Was wir deshalb auch brauchen, ist eine nachhaltige
inanzierung der Rente. Wir wollen dazu die Rente zu
iner Bürgerversicherung weiterentwickeln, für die
lle auf alle Einkommen einzahlen, auch wir Politikerin-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8511
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
nen und Politiker – eine für alle, auch bei der Rente. Das
stabilisiert die Finanzierung der Rentenversicherung und
erhöht gleichzeitig die Solidarität.
Wir halten aber darüber hinaus die Rente mit 67 für
notwendig, weil dadurch die Beiträge noch geringer sein
können und das Rentenniveau höher. Höher, Herr Ernst!
Ich will Ihnen das an Ihrem Kuchenbeispiel verdeutli-
chen, das ich im Übrigen gar nicht so schlecht finde.
Wenn die Regelaltersgrenze bei 67 und nicht bei 65 liegt,
gibt es weniger Rentnerinnen und Rentner. Einverstan-
den? – Gut. Auf der anderen Seite gibt es mehr Beitrags-
zahlerinnen und Beitragszahler. Das heißt, der gesamte
Rentenkuchen wird zumindest nicht kleiner, sondern eher
größer. Herr Ernst, was ist denn mit den einzelnen Stü-
cken, wenn dieser Kuchen auf weniger Rentnerinnen und
Rentner verteilt wird:
Werden die Stücke dann kleiner oder größer? – Sie wer-
den größer. Das heißt, mit der Rente mit 67 werden die
Rentenkuchenstücke für die einzelnen Rentnerinnen und
Rentner größer; das Rentenniveau steigt. Wir sind des-
wegen gegen die Abschaffung der Rente mit 67.
Auch die Aussetzung der Rente mit 67, wie sie die
SPD vorschlägt, finden wir nicht überzeugend. Ich gebe
zu, dass wir darüber diskutiert haben; denn auch wir sind
der Meinung, dass die Voraussetzungen für die Rente
mit 67 heute noch nicht gegeben sind.
Es geht aber nicht um die Rente mit 67 heute, sondern
im Jahr 2031. Das entscheidende Argument gegen eine
Aussetzung war für uns, dass eine Aussetzung von vie-
len – Herr Gabriel und Herr Schaaf, nicht von Ihnen –
als Einstieg in den Ausstieg aus der Anhebung der Re-
gelaltersgrenze verstanden würde. Das halten wir für fa-
tal, weil es zu einer Selffulfilling Prophecy werden kann:
Der Druck, die Voraussetzungen für die Rente mit 67 zu
schaffen, wird verringert.
Eine wichtige Voraussetzung für die Anhebung der
Altersgrenze ist ein veränderter Arbeitsmarkt. Wir hal-
ten es für ein wichtiges Signal insbesondere an die Un-
ternehmen, dass die Rente mit 67 kommen wird, damit
sich die Unternehmen endlich darum kümmern, mehr
Arbeitsplätze für Ältere zu schaffen. Vor allen Dingen
müssen sich die Unternehmen darum kümmern, die Ar-
beitsplätze so zu gestalten, dass die Menschen wirklich
länger und gesünder arbeiten können.
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Die Arbeitsbedingungen müssen nicht nur für die Äl-
eren geändert werden: Wenn die Rente mit 67 ab 2031
darum geht es – für möglichst viele Menschen erreich-
ar sein soll, müssen wir auch die Arbeitsbedingungen
er Jüngeren ändern. Wir brauchen eine Kampagne für
ine umfassende Humanisierung der Arbeitswelt; damit
üssen wir sofort anfangen. Dabei sind wir alle gefor-
ert: Unternehmen, Gewerkschaften, Arbeitnehmerin-
en und Arbeitnehmer, natürlich auch die Politik. Die
aßnahmen, die im Bericht der Bundesregierung ge-
annt werden, reichen hier bei weitem nicht aus.
Wir Grüne nehmen diese Herausforderungen ernst und
erden uns darum kümmern, die Voraussetzungen für die
nhebung der Regelaltersgrenze zu schaffen, für mehr
eschäftigung von Älteren, um Rentenkürzungen zu ver-
eiden, für bessere Arbeitsbedingungen, für eine Flexi-
ilisierung des Renteneintrittsalters und für eine Garan-
ierente, um Altersarmut zu verhindern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Schlecht erhält die Möglichkeit zu einer
urzintervention.
Herr Strengmann-Kuhn, ich muss zunächst einmal
it Bedauern feststellen, dass Sie und die Grünen bei
er Frage der Rente mit 67 weiterhin programmatisch so
ah bei der CDU/CSU und der Regierungskoalition ste-
en, dass dazwischen im Grunde genommen kein Blatt
apier passt. Hier ist selbst die SPD mit der von ihr vor-
eschlagenen homöopathischen Modifikation weiter. Es
äbe aber sehr wohl eine Alternative zur Rente mit 67;
as ist in den letzten Wochen selbst von der Arbeitsmi-
isterin konzediert worden. Die Alternative heißt: um
,5 Prozentpunkte höhere Beitragssätze in der Renten-
ersicherung bis zum Jahr 2029. Man müsste also die
eiträge in einer zaghaften Stufung bis zum Jahre 2029
ochfahren.
Ich habe mich vorhin gemeldet, um eine Zwischen-
rage zu stellen, als Sie Ihre Ausführungen mit dem Satz
egonnen haben:
Die Debatte über Stuttgart 21 zeigt, dass wir in der
Politik anders an Großprojekte herangehen müssen.
s ist interessant, dass die Grünen das anscheinend erst
ei Stuttgart 21 gelernt haben. Der veränderte Umgang
ann sich doch nicht nur in der Kommunikation zeigen;
ntscheidend ist es, die Menschen zu beteiligen. Bei vie-
en anderen Dingen sind Sie, die Grünen, dafür, dass man
8512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Michael Schlecht
)
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Volksabstimmungen oder Volksbefragungen durchführt.
Die Frage ist eigentlich: Wären die Grünen nicht dazu be-
reit, sich dafür starkzumachen, eine Volksbefragung oder
Volksabstimmung – das müsste man juristisch prüfen –
zu der Frage durchzuführen, ob die Menschen ab 2029
zwei Jahre länger arbeiten wollen oder sie bereit sind, ab
2029 einen um 0,5 Prozentpunkte höheren Rentenversi-
cherungsbeitrag zu zahlen?
Das ist doch eine sehr einfache Frage, die man auf einem
Stimmzettel unterbringen kann.
Wären Sie bereit, sich für ein solches Projekt starkzu-
machen? Ich würde das begrüßen.
Herr Kollege Schlecht, ich weise mit Abscheu und
Empörung zurück, dass in dieser Frage zwischen CDU/
CSU und uns kein Blatt Papier passt.
Wenn Sie bei meiner Rede vernünftig zugehört haben
und in unseren Antrag schauen, wissen Sie, was wir
noch alles tun müssen und wollen, um die Anhebung der
Regelaltersgrenze zu ermöglichen. In dieser Hinsicht tut
die Bundesregierung fast nichts; da gibt es also große
Unterschiede zwischen uns. Es gibt aber sehr große
Übereinstimmungen beispielsweise mit dem Inhalt des
Antrags der SPD.
Noch einmal zu der Frage, was die Konsequenzen
sind, wenn die Rente mit 67 kommt. Zum einen sinken
die Beitragssätze. Sie würden nicht sinken, wenn man
das Rentenalter nicht auf 67 Jahre anheben würde. Zum
anderen steigt die Rente. Wenn Sie in den Rentenversi-
cherungsbericht schauen, sehen Sie hinten das Gutach-
ten des Sozialbeirats; es ist aber auch so relativ einfach
zu berechnen. Wenn die Menschen zwei Jahre länger ar-
beiten, zahlen sie auch zwei Jahre länger in die Renten-
kasse ein. Die Rente steigt dadurch um über 50 Euro.
Das heißt, es ist nicht nur so, dass die Beiträge sinken,
sondern die Rente erhöht sich. Ich habe das an einem
Beispiel deutlich gemacht.
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Das müssen wir in der Tat ermöglichen; da müssen
ir ran. Wir müssen ermöglichen, dass die Leute länger
rbeiten können, und wir müssen dafür sorgen, dass die-
enigen, die nicht länger arbeiten können, eine vernünf-
ige Rente bekommen.
Natürlich ist richtig, dass es auch auf die Verteilung
er Renten ankommt. Da müssen wir ran, und da unter-
cheiden wir uns massiv von der CDU und der CSU.
Was Volksabstimmungen angeht, sind wir natürlich
ofort dafür. Dann führen wir aber auch eine breite De-
atte darüber, wie hoch die Beitragssätze und wie hoch
ie Renten im Jahr 2031 tatsächlich sein werden. Wir ha-
en davor überhaupt keine Angst.
Sie verweisen immer wieder auf Umfragen. Wenn die
mfrage nur auf Ja oder Nein abzielt, dann bekommt
an klare Ergebnisse. Sobald man differenzierter fragt,
um Beispiel: „Wären Sie auch unter bestimmten Bedin-
ungen für die Rente mit 67?“, sehen die Umfrageergeb-
isse schon ganz anders aus.
ir haben keine Angst vor Volksabstimmungen, im Ge-
enteil.
Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Herr Kollege Strengmann-
uhn, ich wäre sehr gespannt, wie ein moderiertes Ren-
enzukunftsprojekt analog Stuttgart 21 aussähe.
as hätte aber zur Konsequenz, dass Sie dann auch den
chlichterspruch annehmen müssten.
as gilt für alle anderen auch.
Meine Damen und Herren, die Zahlen, die uns mit
em Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8513
Karl Schiewerling
)
)
und dem Bericht zur Rente mit 67 vorgelegt worden
sind, sprechen eine nüchterne Sprache. Bis 2029 werden
wir in Deutschland 6 Millionen Menschen weniger im
erwerbsfähigen Alter haben. Wir werden 5,5 Millionen
Menschen mehr haben, die älter als 65 Jahre sind. Die
Rentenbezugsdauer wird um zwei bis drei Jahre gestie-
gen sein. Der drohende Fachkräftemangel ist damit si-
gnifikant. Das ist uns allen längst geläufig. Wir in der
Politik haben die Aufgabe, dies zur Kenntnis zu nehmen
und uns die Welt nicht so bunt zu malen, wie wir sie
gerne hätten.
Wir haben zusätzlich die Entwicklung, dass die Quote
der 60- bis 65-Jährigen, die im Erwerb sind, in den letz-
ten Jahren von 20 auf 41 Prozent gestiegen ist. Außer-
dem sind in den letzten fünf Jahren 1 Million mehr Men-
schen zwischen 55 und 65 Jahre in Beschäftigung.
Herr Kollege Gabriel, ich darf zitieren, was die SPD
zu § 154 SGB VI, zur sogenannten Überprüfungsklau-
sel, beantragt hat. In Ihrem Antrag steht – ich zitiere –:
Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Kör-
perschaften vom Jahr 2010 an alle 4 Jahre über die
Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitneh-
mer zu berichten und eine Einschätzung darüber ab-
zugeben, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze
unter Berücksichtigung der Entwicklung der Ar-
beitsmarktlage
– die ist wahrhaftig nicht schlecht –
sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation
älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint
und die getroffenen gesetzlichen Regelungen beste-
hen bleiben können.
Nach einer ganz wichtigen Klausel, die in dem Antrag
steht, muss dargelegt werden, dass zur Beibehaltung ei-
nes Sicherungsniveauziels – vor Steuern – von 46 Pro-
zent über das Jahr 2020 hinaus von der Bundesregierung
entsprechende Maßnahmen unter Wahrung der Beitrags-
stabilität vorzuschlagen sind.
Die Bundesregierung hat nichts anderes getan, als
dem zu entsprechen. Wir haben eine wirtschaftliche Pro-
sperität, die die berechtigte Erwartung zulässt, dass wir
die Menschen länger in Beschäftigung halten können.
Wir haben einen signifikanten Anstieg der Zahl der Älte-
ren, die in Beschäftigung sind. Das reicht natürlich noch
nicht aus; aber wir haben auch noch nicht das Jahr 2029.
Mit dem Jahr 2012 begeben wir uns ja erst auf den Weg.
Ich halte das, was Sie damals beantragt haben, für
völlig richtig. Deswegen haben wir das mitgetragen, und
deswegen legen wir gemäß Ihrem Antrag einen sehr prä-
zisen Bericht vor. Die Frau Ministerin hat ihn vorge-
stellt.
Mir liegt daran, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass
wir aus der Geschichte lernen müssen. Vor 40 Jahren gab
es Forscher, die deutlich gemacht haben, dass die demo-
grafische Entwicklung so verlaufen wird, wie sie nun
verläuft. Damals haben wir das alle nicht ernst genom-
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Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob es aus Ihrer
icht vertretbar ist, dass die große Mehrheit der heute
4-Jährigen und derjenigen, die ihre Rente erst ab 67 be-
iehen sollen – das sind nicht die 47-Jährigen, sondern
lle ab dem Jahrgang 1947 –, massive Rentenkürzungen
ird hinnehmen müssen. Die Rentenkürzung beträgt
chon heute im Durchschnitt 117 Euro pro Monat. Eine
hnliche Summe ist für die Zukunft zu erwarten.
8514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Matthias W. Birkwald
)
)
Ich möchte Sie ferner bitten, den Satz von Frau von
der Leyen zu bewerten, den sie auf ihrer Pressekonfe-
renz gesagt hat: Entweder kürzt man die Renten, oder
man erhöht den Beitragssatz drastisch, oder aber wir ar-
beiten alle etwas länger. – Sind 7 Euro im Jahr 2029
„drastisch“, und sind zwei Jahre arbeiten „etwas län-
ger“? Wenn Sie die Menschen fragen, kommt etwas an-
deres dabei heraus. Was sagen Sie dazu?
Es hat eine Umfrage gegeben, in der die Menschen
gefragt wurden, ob sie für die Rente mit 67 sind. Ganz
viele haben gesagt: Nein. Dann wurden sie gefragt, ob
sie bereit sind, mehr Geld in die Rentenversicherung ein-
zuzahlen, um das Rentenniveau zu erhalten? Dazu waren
auch wenige bereit. Dann wurden sie drittens gefragt, ob
sie eine Alternativlösung hätten. Die allergrößte Mehr-
heit der Menschen hatte keine Alternativlösung parat. –
Genau so ist die Diskussion, die wir im Augenblick erle-
ben.
Die Zahlen im Rentenbericht sind überprüfbar, ent-
sprechen den statistischen Angaben und weisen alle da-
rauf hin, dass wir in einer positiven Entwicklung sind
und dass wir es bis 2029 mit vereinten Kräften schaffen
können, dass ganz viele Menschen das 67. Lebensjahr in
Arbeit erreichen.
– Herr Kollege Birkwald, wir können uns die Zahlen na-
türlich zurechtlegen, wie sie uns politisch gerade passen.
Ich halte mich an die Zahlen, die vorgelegt worden sind.
Sie sind überprüfbar und statistisch so dargelegt.
Was Ihre Frage angeht, Herr Kollege Birkwald, ist es
in der Tat so – ich bin noch nicht fertig; Sie hatten mich
das gefragt –:
Wir haben bei der Rente insgesamt nur drei Stellschrau-
ben. Entweder wir arbeiten länger, oder wir erhöhen die
Rentenversicherungsbeiträge, oder wir senken das Ren-
tenniveau ab. Hinsichtlich der Frage, was das Humanere
ist, eine niedrigere Rente oder ein höherer Rentenversi-
cherungsbeitrag, werden die allermeisten Menschen sa-
gen, dass, wenn die Rahmenbedingungen im Betrieb
stimmen, sie bereit sein werden, länger zu arbeiten – und
das tun sie schon.
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Wir werden unser Ziel
ich lasse keine Zwischenfrage mehr zu; das reicht – na-
ürlich nur durch gemeinsame Anstrengungen erreichen.
uch das steht im Rentenbericht und wurde sehr präzise
argelegt. Dazu gehört, dass wir in der deutschen Ren-
enversicherung im erfolgreichen und hervorragenden
ereich Reha nicht kürzen dürfen, sondern ihn weiter-
ntwickeln müssen. Das bedeutet, dass wir die Präven-
ion, um länger und besser leben zu können, stärken
üssen. Aber da sind nicht nur die Regierungen gefor-
ert, sondern auch die Tarifpartner, die Betriebe. Auch
eder einzelne Arbeitnehmer muss sich mit seinem Ver-
alten darauf einstellen. Auch das gehört zur Wahrheit,
b uns das passt oder nicht. Ich glaube, dass die Zahlen,
ie jetzt vorliegen, hoffen lassen, dass sich die Dinge
ernünftig entwickeln.
Wir diskutieren nicht nur die Rente mit 67, sondern
uch den Rentenversicherungsbericht. Ich möchte darauf
inweisen, dass die Rente in einer außerordentlich guten
erfassung ist. 2005 hatten wir gerade noch eine Rück-
age für drei Tage, mit der wir Renten hätten zahlen kön-
en.
ir haben jetzt eine Rentenrücklage von mehr als einer
onatsausgabe. Wenn sich das Ganze weiter gut entwi-
kelt, werden wir die Rentenversicherungsbeiträge im
ahr 2014 wieder senken können,
odass sowohl Arbeitnehmer als auch Versicherte etwas
avon haben.
Ich halte diese Gesamtentwicklung für hoffnungsvoll.
ch sage Ihnen auch mit Blick auf die Rentnerinnen und
entner in Deutschland: Norbert Blüm hat gesagt, die
ente sei sicher. Ich sage Ihnen: Ja, die Rente ist sicher. –
s mag Leute geben, die darüber lachen. Wir können das
etzige Rentenniveau aber nur halten, weil wir entspre-
hende Schutzmaßnahmen eingeführt haben, und zwar
icht erst jetzt, sondern seit 1992 durch verschiedene
undesregierungen parteiübergreifend.
er große Vorteil der Rente war, dass man diese Dinge
emeinsam gestaltet hat.
ch lade alle herzlich dazu ein, sich daran zu beteiligen;
enn die Rentnerinnen und Rentner brauchen Sicherheit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8515
Karl Schiewerling
)
)
Wir werden aber die Botschaft ins Land geben müs-
sen: Die Rente wird nur so lange sicher sein, wie wir
auch über die nächsten Generationen genügend Men-
schen haben, die in die Rentenkasse einzahlen und dafür
sorgen, dass die dann ältere Generation davon leben
kann. Auch wird die Rente nur dann sicher sein, wenn
wir uns gemeinsam auf diesen Prozess verständigen und
uns gemeinsam auf diesen Weg begeben.
Zu dem Rentenbericht der Bundesregierung und den
Initiativen der Bundesarbeitsministerin nenne ich nur
Stichworte: bessere Lebens- und Gesundheitssituation in
den Betrieben, Stärkung von gesunder Arbeit in den Be-
trieben. Diese Entwicklungen müssen fortgeführt wer-
den; das ist keine Frage. Mit dem gesellschaftlichen
Konsens und mit gemeinsamen Anstrengungen in dieser
Richtung können wir einer guten Zukunft entgegense-
hen. Das sagen wir der jetzigen Rentnergeneration, und
das sagen wir den zukünftigen Rentnergenerationen.
Dass das ein Zuckerschlecken wird, hat diese Bundesre-
gierung und haben übrigens auch frühere Bundesregie-
rungen nie behauptet. Es ist eine Kraftanstrengung, die
sich lohnt; denn es geht um die Generationengerechtig-
keit in unserem Land.
Der Kollege Schaaf hat nun das Wort für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier heute
über § 154 SGB VI, weil die SPD-Bundestagsfraktion
im damaligen Gesetzgebungsverfahren darauf bestanden
hat, dass § 154, die Überprüfungsklausel, Bestandteil
des Gesetzes wird. Wir berufen uns auf diesen Bestand-
teil des Gesetzes, und wir nehmen ihn ernst.
Diese Überprüfungsklausel wurde trotz des massiven
Widerstands der Union ins Gesetz aufgenommen. Die
Union wollte diesen Teil in die Präambel oder die Be-
gründung aufnehmen, aber nicht verpflichtend ins Ge-
setz.
Ich habe nun gesehen, in welcher Art und Weise Sie
und insbesondere die Ministerin jetzt mit dem Bericht
umgegangen sind. Bevor der Bericht vorlag, sagte die
Ministerin: Die Rente mit 67 kommt auf jeden Fall. Bevor
Die Rente mit 67 kommt auf jeden Fall. Bevor das Parla-
ment, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die-
sen Bericht in den Händen hatten, ist er veröffentlicht
worden. Da sieht man, wie ernst man die Berichtspflicht
gegenüber den Körperschaften des Deutschen Bundesta-
ges, die im Gesetz steht, nimmt.
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Sie haben kein Interesse daran, dass die Menschen ihr
esetzliches Renteneintrittsalter in würdiger Arbeit er-
eichen; Ihnen ist es egal. Herr Fuchtel, beantworten Sie
ir einmal folgende Frage: Was machen wir mit Lang-
eitarbeitslosen, die jetzt gezwungen sind, mit 63 Jah-
en Rente zu beantragen? Sie haben überhaupt keine
hance; sie sind dazu gezwungen. Ab dem Jahre 2012
üssen sie die Abschläge nicht nur bis 65 hinnehmen,
ondern, Herr Strengmann-Kuhn, aufgrund der schritt-
eisen Erhöhung der Regelaltersgrenze auch darüber hi-
aus.
ie Menschen werden bestraft, obwohl sie nichts dafür
önnen, dass sie arbeitslos werden. Das müssen wir ver-
indern.
In der Analyse liegen Sie richtig. Aber da, wo es kon-
ret wird, wo es um Erwerbsminderungsrente, gleitende
bergänge, würdige Arbeit und Vollzeiterwerbstätigkeit
is zum Rentenalter geht, sagen Sie nicht konsequent,
ass man das in zwei Jahren nicht erreichen kann und
ir die Einführung der Rente mit 67 deswegen zumin-
est verschieben müssen. Darum geht es. Die Ministerin
prach von Mut zur Nachhaltigkeit. Ich sage Ihnen: Sie
aben nur nachhaltig Mut, wenn es darum geht, Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und
entner sowie Arbeitslose zu belasten. Das ist der Mut,
en Sie haben.
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel für
ie FDP-Fraktion.
8516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Danke für den Hinweis, dass ich noch etwas jünger bin,
lieber Kollege Kolb. Das ist auch ein interessanter
Punkt. Ich habe mir einmal die Geburtsjahre meiner ge-
schätzten Vorredner angeschaut und festgestellt, dass ich
von den Rednern in dieser Debatte der Erste bin, den die
Rente mit 67 betreffen wird, der Erste, der bis 67 arbei-
ten wird.
– Herr Strengmann-Kuhn, ich entschuldige mich in aller
Form, dass ich Sie vergessen habe. Es betrifft also uns
zwei; aber es betrifft nicht die bisherigen Redner von der
SPD.
– Lieber Herr Gabriel, ich zahle freiwillig in die gesetzli-
che Rentenversicherung ein.
Einen Augenblick! Das Thema ist hochspannend und
verdient jede Menge kräftiger Kommentare. Aber wenn
sie alle gleichzeitig vorgetragen werden, erreicht nichts
davon die erstaunte deutsche Öffentlichkeit. Deswegen
wäre es schön, wenn der Kollege Vogel jetzt ein paar
Sätze hintereinander ungestört vortragen dürfte.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Damit sind wir beim Punkt. Es geht nicht darum, wie
die Situation auf dem Arbeitsmarkt heute ist – die Rente
mit 67 wird ja nicht morgen eingeführt –, sondern es geht
darum, ob die schrittweise Steigerung des Renteneintritts-
alters angesichts der aktuellen Entwicklung möglich ist.
Da kann ich nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD: Wie Sie es drehen und wenden, die Ent-
wicklung bei der sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigung ist besser, als Sie sich je erhoffen konnten.
Bei den 55- bis 60-Jährigen nahm die Zahl der sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigten in den letzten fünf Jah-
ren um 35 Prozent zu –
– nein, Herr Kollege Ernst, keine Zwischenfrage;
es wurde gerade schon genug dazwischengebrüllt –, bei
den 60- bis 64-Jährigen sogar um 40 Prozent.
– Sie können sich gerne zu einer Kurzintervention mel-
den. Ich antworte Ihnen dann gerne.
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Ich glaube, wenn man ehrlich ist, kann man konstatie-
en – hören Sie bitte gut zu, gerade Sie, Herr Kollege
chaaf –: Die allgemeine Entwicklung auf dem Arbeits-
arkt verbessert sich, auch bei den Älteren. Es ist eine
ewegung da, die in die richtige Richtung geht. Die
ente ab 67 ist notwendig, um die Rente zukunftsfest zu
achen und den Generationenvertrag fortzuführen. Des-
alb starten wir 2012 mit der schrittweisen Umsetzung
er Rente ab 67. – Das waren nicht meine Worte. Das
aren Ihre Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen von
er SPD. Das haben Sie, Herr Schaaf, Herr Müntefering
nd Frau Mast, im Plenum des Deutschen Bundestages
esagt, als die Rente mit 67 beschlossen wurde.
er Punkt ist doch: Damals war von einer 50-Prozent-
uote, die Ihnen heute so wichtig ist, keine Rede. Hand
ufs Herz: Wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie genau, dass
ie Entwicklung seitdem besser ist, als Sie sich je erhof-
en konnten.
amals haben Sie nicht davon geredet, dass 2012 eine
0-Prozent-Quote erfüllt sein muss. In Wahrheit ist das
erzögerungstaktik. Im Fußball heißt das: ängstlich auf
alten spielen. Das hat mit dem Offensivgeist, den Sie
erade bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme
inmal hatten, nichts mehr zu tun.
Ich kann nur feststellen: Die Unternehmer in Deutsch-
and sind auf dem richtigen Weg – ältere Arbeitnehmer
erden im Erwerbsleben besser anerkannt –, die Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer sind auf dem richtigen
eg, und die Regierungskoalition ist auf dem richtigen
eg zu einem vernünftigen, generationengerechten Ren-
ensystem.
uch Sie waren einmal auf diesem Weg. Sie sind aber
avon abgekommen. Sie haben sich verirrt. Davon wird
ich die Regierungskoalition allerdings nicht beirren las-
en. Wir setzen unsere generationengerechte Rentenpoli-
ik fort.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8517
Johannes Vogel
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute über den Rentenversicherungsbe-
richt 2010 der Bundesregierung. Dieser Rentenversiche-
rungsbericht ist letztendlich ein Beweis für die gute Poli-
tik der Bundesregierung.
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung, die unter Bundes-
kanzlerin Angela Merkel und den von ihr geführten Bun-
desregierungen eingetreten ist – das gilt für die Große
Koalition, genauso aber auch für die christlich-liberale
Koalition –, ist die Gesundung der Rentenversicherung
vorangeschritten. Es sind positive Ergebnisse zu ver-
zeichnen.
Der Kollege Kolb und der Kollege Schiewerling ha-
ben bereits darauf hingewiesen, dass die Rücklagen der
Rentenversicherung steigen und bis 2014 möglicher-
weise die Marke von 1,5 Monatsrenten erreichen, sodass
eine Senkung des Rentenversicherungsbeitragssatzes in
Aussicht gestellt werden kann. Dies ist letztendlich auf
die gute wirtschaftliche Entwicklung und die Zunahme
der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungs-
verhältnisse in unserem Land zurückzuführen. Eine fort-
schrittliche Sozialpolitik ist nur zu finanzieren, wenn wir
eine gute Wirtschaftspolitik betreiben. Darum haben wir
uns in der Vergangenheit in der Großen Koalition be-
müht, und darum bemühen wir uns auch jetzt in der
christlich-liberalen Koalition.
Ich glaube, heute ist es an der Zeit für einen kleinen
Rückblick, wie die Situation in früheren Jahren war. Von
einem meiner Vorredner ist schon dargestellt worden,
dass in früheren Jahren zumindest die Rentenpolitik
fraktionsübergreifend betrieben worden ist. Diese frak-
tionsübergreifende Zusammenarbeit wurde 1997/1998
vom damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine aufgege-
ben.
Die damalige christlich-liberale Regierung hat die de-
mografische Entwicklung bereits als große Herausforde-
rung verstanden.
Unter Norbert Blüm wurde der demografische Faktor
in die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt.
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nd haben verbreitet, es sei gar nicht notwendig, eine
ntwort auf die demografische Entwicklung zu geben.
ie haben postuliert, den demografischen Faktor auszu-
etzen. Das haben sie dann auch getan, allerdings mit der
olge, dass die Rentenfinanzen, vor allen Dingen die
ücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung, abge-
chmolzen sind; im Jahr 2005 sind sie bis auf null abge-
chmolzen.
as war die Konsequenz der Politik, die Rot und Grün
etrieben haben. SPD und Grüne haben damals eine ren-
enpolitische Geisterfahrt unternommen, zum Schaden
er Bürgerinnen und Bürger und der Rentnerinnen und
entner.
s war daher sehr entscheidend – ich danke hier aus-
rücklich dem damaligen Bundesarbeitsminister Franz
üntefering –, dass in der SPD wieder rentenpolitischer
achverstand zur Durchsetzung gebracht worden ist.
Jetzt geht es um die Beibehaltung dieses rentenpoliti-
chen Sachverstandes. Wir haben zu beurteilen, ob es so-
ialpolitisch und wirtschaftlich sowie unter Arbeitsplatz-
esichtspunkten möglich ist, die Rente mit 67 bis zum
ahr 2029 einzuführen. Die wirtschaftlichen Daten ge-
en es her, die vermehrte Beschäftigung von älteren Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmern gibt es her. Auch
ie Bewegungen am Arbeitsmarkt und die Überlegungen
n den Betrieben, altersgerechte Arbeitsplätze zu schaf-
en, sind ein Beleg dafür, dass es verantwortbar ist, die-
en Weg zu beschreiten. Die SPD möchte sich letztlich
ur klammheimlich von ihrem Beschluss davonstehlen
nd steht nicht mehr für eine verantwortungsvolle Ren-
enpolitik für die Zukunft der Menschen in unserem
and.
Lieber Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwi-
chenfrage des Kollegen Ernst?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege, herzlichen Dank, dass Sie die Zwi-
chenfrage zulassen. – Ist Ihnen erstens bekannt, dass die
8518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Klaus Ernst
)
)
Zahl der Arbeitslosen, die älter als 60 sind, von 42 000
in 2007 auf 91 000 im Jahr 2009 gestiegen ist?
Ist Ihnen zweitens bekannt, dass 36 Prozent der Betriebe
niemanden beschäftigen, der über 50 Jahre alt ist? Ist Ih-
nen drittens bekannt, dass in 44 Prozent der Betriebe
keine Weiterbildung stattfindet?
Haben Sie deshalb dafür Verständnis, dass viele Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen, das Gesetz
sei folgendermaßen zu vergleichen: „Man verabschiedet
ein Gesetz, dass die Menschen vom Dreimeterbrett ins
Wasser springen müssen, hat aber vergessen, das Gesetz
so zu gestalten, dass im Becken Wasser sein muss“? Mo-
mentan ist die Situation doch so, dass viele Menschen
aufgrund der Situation, die sie vorfinden – im Jahr 2012
soll die Rente mit 67 beginnen –, dafür überhaupt keine
Möglichkeit sehen. Was sagen Sie dazu?
Herr Kollege Ernst, erstens sind die Argumente, die
Sie vortragen, falsch.
Zweitens ist die Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern gestiegen, weil wir die
Möglichkeit des vorzeitigen Renteneintritts richtiger-
weise abgeschafft haben. Wir stehen auch für den Kündi-
gungsschutz, der zum Segen der älteren Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in den Betrieben besteht; das ist
eine zusätzliche Herausforderung für die Betriebe, vor al-
len Dingen wieder ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer einzustellen. Wir wenden uns zu Recht dagegen,
dies aufzuweichen, indem wir vermehrt zulassen sollen,
dass ausländische Facharbeitskräfte in Deutschland ar-
beiten können. Das wäre eine falsche Antwort.
Wir schaffen für die älteren Bürgerinnen und Bürger
Chancen, weiterhin in Arbeit zu sein, und wir wollen
dies nicht mit Belastungen für die Jüngeren verbinden,
wie es letztlich die Linken mit ihrem Vorschlag der Bei-
tragserhöhung zur Rentenversicherung immer wieder in
die Diskussion bringen.
Ich kann verstehen, dass die Linken dies fordern.
Wenn ihre Parteimitglieder ein Durchschnittsalter von
70 aufweisen, dann ist völlig klar, dass denen ein ordent-
licher Beitragsanstieg lieber ist. Sie selbst müssten ihn ja
nicht mehr schultern; aber sie hätten dafür die schöne
Rente.
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Es geht natürlich darum, dass wir zukünftig auch Ar-
eitsplätze für Ältere haben. Darin gebe ich Ihnen völlig
echt. Ich bin aber überzeugt, dass wir hier auf einem gu-
en Weg sind.
Alle Tarifpartner, die Arbeitgeber, die Gewerkschaf-
en, strengen sich an, altersgerechte Arbeitsplätze in den
etrieben zu schaffen. Das war in der Vergangenheit
icht notwendig, weil man immer sehr leicht Frühver-
entungsmaßnahmen beschließen konnte, die für viele,
enn das Geld gestimmt hat, natürlich eine Attraktion
aren. Früher in Rente zu gehen, ist natürlich immer an-
enehmer, als etwas länger arbeiten zu müssen.
Ich möchte aber durchaus noch feststellen: Es ist für
ie Zukunft schon eine Herausforderung, die Rente für
rwerbsgeminderte Menschen zu gestalten. Das ist si-
herlich eine Aufgabe, der auch wir als Koalition uns
idmen werden, weil ich der Überzeugung bin, dass die
enschen, die aus gesundheitlichen Gründen oder auf-
rund einer körperlichen Belastung nicht mehr arbeiten
önnen, eine Erwerbsminderungsrente erhalten müssen,
urch die sie ihren Lebensunterhalt sichern können.
Ich möchte aber auch herausstellen, dass wir, die Große
oalition, bei dem Beschluss über die Rente mit 67 auch
ingeführt haben, dass jemand, der 45 Beitragsjahre oder
leichgestellte Zeiten in der Rentenversicherung nach-
eisen kann, mit Vollendung des 65. Lebensjahres ab-
chlagsfrei in Rente gehen kann.
uch das ist eine soziale Regelung für die ältere Genera-
ion und insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger,
ie sehr frühzeitig in das Arbeitsleben eintreten, also mit
em 16. Lebensjahr eine Lehre beginnen, und die ganze
eit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
achgehen.
Werte Damen und Herren, eines möchte ich noch fest-
tellen: Auch heute wurde wieder der Ruf nach einer
ürgerversicherung laut. Das würde letztendlich aber
eine Entlastung für die Rentenversicherung hinsichtlich
er finanziellen und demografischen Herausforderungen
edeuten, weil jede Beitragszahlung in die Rentenversi-
herung unabhängig davon, ob sie ein Beamter, Ange-
tellter oder Arbeiter leistet, natürlich eine entspre-
hende Rentenleistung nach sich ziehen muss. Deshalb
ann die Rentenversicherung mit einer sogenannten Bür-
erversicherung nicht in die Zukunft geführt werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8519
)
)
Das Wort erhält der Kollege Pascal Kober für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
vergangenen Jahr 2009 sind 651 000 Kinder geboren
worden. Im Jahr 2029, in dem die Rente mit 67 erstmals
vollumfänglich zur Geltung kommt, werden diese
651 000 Kinder 20 Jahre alt sein und damit gerade ihre
Berufsausbildung abgeschlossen haben bzw. vielleicht
mit dem Studium beginnen. In diesem gleichen Jahr
2029 werden 1,35 Millionen Menschen in den Ruhe-
stand treten. Diese beiden Zahlen, 651 000 zu 1,35 Mil-
lionen,
sind nicht nur beeindruckend, wie Herr Kolb gerade an-
gemerkt hat,
sondern durch sie zeigt sich auch, wie ernst das Problem
ist und wie ernst wir dieses Problem nehmen sollten.
Das ist aber kein Grund, den Menschen Angst zu ma-
chen.
Es zeigt sich schon, dass die Entwicklungen in die rich-
tige Richtung gehen. Dass sich die Zahl der sozialversi-
cherungspflichtig Beschäftigten im Alter von 60 bis
64 Jahren in den letzten Jahren verdoppelt hat, ist hier in
der Debatte schon mehrfach gesagt worden.
Dass sich der Trend vom falschen Jugendwahn der Ver-
gangenheit abkehrt und jetzt in die richtige Richtung
geht, ist bemerkbar. Dass der Fachkräftemangel, dem
wir entgegensehen, hier zusätzlich für Entlastung sorgen
wird, ist auch deutlich.
Der Trend geht in die richtige Richtung, aber die He-
rausforderungen sind trotzdem groß. Trotz dieser positiven
Entwicklungen werden wir natürlich eine innovativere
Politik für die Zukunft machen müssen, beispielsweise
eine innovativere Berufsbildungspolitik; denn eines ist
auch klar – darauf weisen hier alle zu Recht hin –: Es
gibt Berufe, in denen man nicht 30, 40 oder 50 Jahre
lang am Stück bei guter Gesundheit arbeiten kann. Auch
in diesem Bereich gibt es aber gute Anzeichen. So gibt
es zum Beispiel das von der Bundesregierung geförderte
„Demographie Netzwerk“. 220 Unternehmen haben sich
bereits zusammengeschlossen. Sie bieten einen Wissens-
transfer untereinander und tauschen miteinander Erfah-
rungen darüber aus, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer auch über längere Zeit bei guter Gesundheit
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as, was Ihnen gegönnt ist, sollten wir auch den anderen
enschen ermöglichen.
Wir als christlich-liberale Koalition, lieber Herr Ernst,
ieber Herr Gabriel, wollen den Menschen nicht Angst
achen. Vielmehr wollen wir den Herausforderungen
it Mut und Zuversicht begegnen. Das ist das Kennzei-
hen dieser christlich-liberalen Koalition im Angesicht
es demografischen Wandels: mit Ernst, aber auch mit
uversicht und Mut die Herausforderungen anpacken. –
ielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
um Abschluss dieser Debatte fragen sich wahrschein-
ich viele derjenigen, die die Debatte verfolgt haben:
as ist denn nun wirklich los mit der Rente? Deswegen
omme ich zunächst einmal zu dem, was die über
0 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem
and interessiert, und das steht im Rentenversicherungs-
ericht. Selten konnte eine Regierung einen Rentenver-
icherungsbericht mit so positiven Perspektiven vorle-
en, wie das jetzt Ursula von der Leyen tun konnte.
iese Feststellung treffe ich jetzt nicht einfach als Abge-
rdneter der Regierungskoalition, sondern aufgrund der
eurteilung der vielen Behauptungen und Fakten, die
on unterschiedlichen Rednerinnen und Rednern aufge-
tellt bzw. vorgetragen worden sind.
Es gibt in Deutschland ein Gremium, nämlich den
ozialbeirat, zusammengesetzt aus Wissenschaftlern,
ertretern der Gewerkschaften und Vertretern der Ar-
eitgeberverbänden, das zu beiden Berichten, die wir
eute diskutieren, Stellung nimmt. Das einstimmige Vo-
um dieser Gewerkschafter, Arbeitgeber und Wissen-
chaftler ist,
8520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Peter Weiß
)
)
dass sich die Rentenversicherung in der Krise, die wir
erlebt haben, als Fels in der Brandung erwiesen hat und
dass damit die Rentenversicherung weit vor allen ande-
ren Systemen der Alterssicherung als das stabilste Al-
terssicherungssystem in der Welt angesehen wird. Ich
glaube, das ist ein großartiges Lob, das der Sozialbeirat
abgegeben hat.
Ich will nur wenige Fakten nennen. Zu Beginn der
Krise haben wir befürchtet, dass die Mindestreserve bei
der Rentenversicherung eines Tages eventuell nicht aus-
reichen könnte. Heute erfahren wir, dass die Reserve in
der Rentenversicherung in der Krise sogar angewachsen
ist und weiter anwachsen wird
– und zwar ohne Tricksereien – und dass wir auf der si-
cheren Seite sind.
Zweitens. Noch vor einem Jahr ist prognostiziert wor-
den, dass sich die Rentnerinnen und Rentner in Deutsch-
land wahrscheinlich über mehrere Jahre mit Nullrunden
bei der Rente zufriedengeben müssen. Jetzt sagt uns der
Rentenversicherungsbericht, dass wahrscheinlich in je-
dem der kommenden Jahre eine zwar bescheidene, aber
immerhin eine Rentenerhöhung möglich sein wird.
In vielen Jahren haben die Rentnerinnen und Rentner
in unserem Land den Eindruck gehabt, dass ihnen zwar
zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, sie aber keine
Entlastung erhalten. Die gute Nachricht des Rentenversi-
cherungsberichts lautet nun: Ja, die Rentnerinnen und
Rentner werden am Aufschwung in Deutschland teilha-
ben können. Ich finde, diese gute Nachricht sollte man in
einer Rentendebatte zuallererst herausstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Vorha-
ben „Erhöhung der Altersgrenze bis zum Jahre 2029 auf
67 Jahre“ haben wir in der Großen Koalition beschlos-
sen, weil wir wollen, dass nicht nur heute, sondern auch
im Jahr 2030 und in den nachfolgenden Jahren die Ren-
tenversicherung in Deutschland zu den stabilsten Alters-
sicherungssystemen in Deutschland gehört. Darum geht
es.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
verstehe nicht, dass Sie das Erbe von Franz Müntefering,
der diese Reform vorangetrieben und durchgesetzt hat,
heute so leichtfertig aufs Spiel setzen wollen.
Denn in Wahrheit setzen Sie die Sicherheit der gesetzli-
chen Rentenversicherung als eines der weltweit stabils-
ten Sicherungssysteme aufs Spiel.
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Herr Kollege Weiß, lassen Sie noch eine – wenn, dann
llerdings ganz knappe – Zwischenfrage des Kollegen
uchtel zu?
Ja. Bitte schön.
Herr Kollege Weiß, können Sie bestätigen, dass die
on der SPD jetzt wieder vorgeschlagenen Änderungen
n der Rentenberechnung zur Berücksichtigung der de-
ografischen Entwicklung schon einmal schiefgegan-
en sind, nachdem 1997 Blüm einen Demografiefaktor
ns Gesetzblatt gebracht hat, die SPD dann 1998 einen
entenwahlkampf geführt und in der Regierungserklä-
ung im selben Jahr die Aussetzung mit den schon ge-
annten Ergebnissen angekündigt hat, und dass Bundes-
anzler Schröder im Jahr 2003 kleinlaut im Parlament
rklärt hat: „Das war ein Fehler“?
Herr Kollege Fuchtel, in der Tat befürchte ich auch,
ass die Sozialdemokraten das Abrücken von den ge-
einsam in der Großen Koalition gefassten Beschlüssen
chlichtweg deswegen praktizieren, weil sie angesichts
hrer schlechten Umfragewerte glauben, für die kom-
enden Wahlen des Jahres 2011 Wahlkampfmaterial zu
hren Gunsten sammeln zu können. Das war auch bei der
undestagswahl 1998 so.
Die damalige rot-grüne Bundesregierung – auch die
rünen tragen also Verantwortung dafür – hat die von
orbert Blüm beschlossene Reform der Rente mit dem
emografiefaktor zurückgenommen. Wenige Jahre
päter musste der damalige Bundeskanzler Gerhard
chröder vor dem Parlament erklären, dass es nicht nur
in Fehler, sondern einer seiner größten Fehler gewesen
ei, diese Reform zurückzunehmen.
Meine Aufgabe ist es nicht, mir als Christdemokrat
esondere Sorge um die Sozialdemokraten zu machen,
ber ein gewisses christliches Mitgefühl hat man doch.
Lieber Kollege Fuchtel, die Frage ist erkennbar beant-
ortet. Sie dürfen sich wieder setzen. Die Zeit läuft wei-
er.
Ich fürchte, dass es die Sozialdemokraten noch ein-
al erleben werden, dass sie sich vor dem Parlament da-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8521
Peter Weiß
)
)
für entschuldigen müssen, dass sie die Reform ihres ei-
genen Arbeits- und Sozialministers kaputtschießen
wollen.
Ich will nicht all das wiederholen, was zum Thema
Anhebung der Regelaltersgrenze für die Rente auf
67 Jahre bis zum Jahr 2029 gesagt worden ist, sondern
nur einen Punkt herausstellen, der von vielen Rednern
vorgetragen worden ist, nämlich dass das eigentlich eine
verkappte Rentenkürzung sei. Der Sozialbeirat hat – ich
wiederhole, es ist eine gemeinsame Stellungnahme von
Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaftlern –
gesagt: Ein Blick auf die Zusammenstellung der einzel-
nen Gruppen von Rentnerinnen und Rentnern zeigt, dass
sich in vielen Fällen die Behauptung, dass die Anhebung
der Regelaltersgrenze zu einer Rentenkürzung führt,
nicht bewahrheiten wird. Der Sozialbeirat sagt also klipp
und klar: Die Behauptung, das sei eine generelle Renten-
kürzung, ist schlichtweg falsch.
Ich betone: unterschrieben von Gewerkschaftern, Ar-
beitgeberverbänden und Wissenschaftlern.
Nein, es entsteht der gegenteilige Effekt: Erstens wird
die Anhebung der Regelaltersgrenze dazu führen, dass
selbstverständlich diejenigen, die länger arbeiten, dann
auch zusätzliche Rentenansprüche erwerben. Zweitens
führt der Nachhaltigkeitsfaktor – das ist ein Faktor, der
in der Rentenformel vorhanden ist –
– von Rot-Grün übrigens eingeführt; das will ich gerne
mit erwähnen – dazu, dass sich dann, wenn länger gear-
beitet wird, die Renten derjenigen, die in Rente sind, er-
höhen werden. Sprich: Keine Rentenkürzung für die
Rentnerinnen und Rentner, sondern kontinuierliche Ren-
tenerhöhungen sind die Folge des Nachhaltigkeitsfak-
tors.
Deswegen kann man eine Feststellung treffen: Die
Rentenkürzer sitzen da, wo diejenigen sind, die die
Rente mit 67 ab dem Jahr 2029 kippen und außer Kraft
setzen wollen; denn diejenigen kürzen die Rente.
Das ist die logische Mathematik der Rentenformel.
Vielleicht sollten die Kolleginnen und Kollegen, die hier
meines Erachtens unverantwortliche Reden halten, zu-
erst einmal die Rentenformel lesen, bevor sie das Gegen-
teil von dem behaupten, was tatsächlich die Wirkung der
Rente mit 67 sein wird.
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Lieber Kollege Weiß, Sie müssen zum Schluss kom-
en. Die Redezeit ist vorbei.
Herr Präsident, ich will gern zum Schluss kommen
nd Folgendes sagen: Selbstverständlich ist die Erwerbs-
eteiligung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
er in Deutschland heute schlecht. Das ist gar keine
rage. Die Frage, die im Rentenversicherungsbericht zu
ntersuchen war, lautete aber: Verschlechtert oder ver-
essert sie sich über die Jahre hinweg? Gott sei Dank hat
ie sich in den letzten Jahren verbessert. Außerdem ste-
en die Chancen gut, dass sie noch besser wird, und
war insbesondere dann, wenn das Programm „50 plus“,
as von Franz Müntefering und Olaf Scholz initiiert
urde, in Deutschland seine Wirkung entfaltet.
Deshalb wollen wir alles tun, damit ältere Arbeitneh-
erinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine Chance
uf dem Arbeitsmarkt haben und damit die positiven
irkungen der Anhebung des Rentenalters dazu führen,
ass sich diese Menschen eine ordentliche und gute al-
erssicherende Rente erwirtschaften.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Noch ein Hinweis zum Debattenverlauf. Ich habe eine
eihe von Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu-
elassen und eine ganze Reihe weiterer Wünsche nicht.
as löst bei denjenigen, die nicht zum Zuge gekommen
ind, keine große Freude aus. Ich möchte nur darauf auf-
erksam machen, dass wir zu Beginn dieser Debatte
invernehmlich beschlossen haben, diese Debatte soll
Stunde und 15 Minuten dauern. Tatsächlich hat sie je-
och 1 Stunde und 45 Minuten gedauert. Ich bitte ein-
ach zu berücksichtigen, dass für das Präsidium die vom
lenum selbst festgesetzte Debattenzeit ein jedenfalls
icht weniger relevantes Kriterium in der Moderierung
er Sitzung ist als die sich spontan ergebenden Rede-
ünsche. Das Dilemma ist nicht rundum überzeugend
uflösbar. Aber ich wollte das noch einmal dem Plenum
ur Kenntnis geben.
Nun stimmen wir ab über die Überweisung der Vorla-
en auf den Drucksachen 17/3814, 17/3900, 17/3995
nd 17/4046 an die in der Tagesordnung aufgeführten
usschüsse. Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint
er Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlos-
en.
8522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd
Scheelen, Nicolette Kressl, Joachim Poß, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klare Perspektiven für Kommunen – Gewer-
besteuer stärken
– Drucksache 17/3996 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses zu
dem Antrag der Fraktion der SPD
Rettungsschirm für Kommunen – Strategie für
handlungsfähige Städte, Gemeinden und Land-
kreise
– Drucksachen 17/1152, 17/4060 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Tillmann
Bernd Scheelen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch
diese Aussprache 1 Stunde und 15 Minuten dauern, was
der eine oder andere vielleicht zur Erinnerung auf einem
Zettel festhält. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann
ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Herr Staatsminister Dr. Carsten Kühl für das Land
Rheinland-Pfalz. – Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bedanke mich zunächst sehr herzlich für die
Gelegenheit, als Mitglied des Bundesrats und als Mit-
glied der Gemeindefinanzkommission zu diesem Thema
sprechen zu können.
Es ist ein Thema, das alle angeht: die Kommunen, die
Länder und den Bund. Es geht die Kommunen an, weil
sie natürlich an allererster Stelle diesen harten Konsoli-
dierungskurs konsequent beschreiten müssen, um aus
ihrer prekären Finanzsituation herauszukommen. Es
geht die Länder an, weil sie die vornehmste Aufgabe ha-
ben, die Kommunen dabei zu unterstützen, beispiels-
weise dadurch, dass sie ein konsequentes Konnexitäts-
prinzip pflegen, beispielsweise dadurch, dass sie einen
Entschuldungsfonds auflegen, um die hohen Liquiditäts-
kredite der Kommunen zurückzuführen und sie wieder
handlungsfähig zu machen, und beispielsweise dadurch,
dass sie – so etwas können die Länder – versuchen, die
Einnahmen, die sie den Kommunen über den Finanzaus-
gleich geben, über einen Solidarfonds im Zeitablauf zu
verstetigen und ihnen dadurch mehr Kalkulationsgrund-
lagen zu geben.
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Zum einen geht es um die Steuereinnahmen der
ommunen. Sie sind – genauso wie die von Ländern
nd Bund – in den letzten Jahren eingebrochen, bei den
ommunen aber ganz besonders stark. Wir haben heute
ine Steuerquote, die unter 21 Prozent liegt. Das sind
wei Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren. Wenn
ie das auf das Bruttoinlandsprodukt beziehen, dann er-
ennen Sie eine Lücke in Höhe von 50 Milliarden Euro.
as hat etwas damit zu tun, dass wir nicht befristet, son-
ern strukturell angelegt und damit dauerhaft Steuersen-
ungen in der Größenordnung von 36 Milliarden Euro
eit 2008 auf den Weg gebracht haben. Das belastet die
ommunalen Haushalte mit etwa 5 Milliarden bis 7 Mil-
iarden Euro. Da kommen sie nicht alleine heraus.
Zum anderen geht es – das ist ein weiterer kritischer
unkt – um die Soziallasten. Die Soziallasten, an denen
ie Kommunen finanziell partizipieren, die sie mit finan-
ieren müssen, sind in den letzten Jahren im Vergleich
ur Entwicklung der kommunalen Einnahmen weit über-
roportional gestiegen. Wir haben beispielsweise bei der
rundsicherung und der Eingliederungshilfe Steige-
ungsraten von über 40 Prozent und bei der Jugendhilfe
n den letzten zehn Jahren zum Teil Steigerungsraten von
30 Prozent zu verzeichnen gehabt. Gleichzeitig sind die
teuereinnahmen der Kommunen nur um 21 Prozent ge-
tiegen. Diese Schere, die sich da auftut, können die
ommunen alleine, ohne Hilfe Dritter, nicht schließen.
arin müssen wir sie unterstützen.
Die Situation ist dramatisch. Wenn eine Situation dra-
atisch ist, dann sollte man eigentlich sofort etwas tun.
eswegen haben sich das Land Rheinland-Pfalz, andere
änder und viele Kommunen gefreut, als die SPD-Frak-
ion im März dieses Jahres eine Initiative auf den Weg ge-
racht hat mit dem Ziel, unabhängig von längerfristigen
nd grundsätzlichen Maßnahmen ein Sofortprogramm
ufzulegen. Leider hat das offensichtlich hier in diesem
aus keine Mehrheit gefunden. Eine Mehrheit in diesem
aus gefunden hat etwas anderes, das die Haushalte der
ommunen zusätzlich belastet hat. Sie haben mit Ihrem
aushaltsbegleitgesetz Abgabenerhöhungen in Höhe
on 7 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, und zwar
olche, die ausschließlich dem Bundeshaushalt zustehen
nd gleichzeitig die Bemessungsgrundlage der den Kom-
unen zustehenden Einnahmen schmälern, beispiels-
eise der Gewerbesteuer. Damit haben Sie die Situation
er Kommunen einmal mehr verschlimmert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8523
Staatsminister Dr. Carsten Kühl
)
)
Sie haben die Rentenversicherungsbeiträge beim ALG II
abgeschafft. Sie haben die Heizkostenpauschale abge-
schafft. Ich garantiere Ihnen: Das wird sich irgendwann
bei der Grundsicherung im Alter und den Kosten der Un-
terkunft auf der Rechnung der Kommunen wiederfinden.
Die Bundesregierung hatte im Februar eine Gemeinde-
finanzkommission etabliert, die sich den Fragen anneh-
men sollte. Diese Kommission hat sehr intensiv und ana-
lytisch gearbeitet. Sie war im besten Sinne fleißig und hat
Ergebnisse produziert. Ich war daher etwas überrascht,
dass der Bundesfinanzminister vor ein paar Wochen nach
einem Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden
ein Fazit für sich gezogen und Ergebnisse verkündet hat.
Ich war nicht überrascht, dass der Bundesfinanzminister
zu dem Ergebnis kam, man müsse die Gewerbesteuer
unangetastet lassen. Denn alle Analysen der Kommission
zeigen, dass das Alternativmodell aus verschiedensten
Gründen – weil es quantitativ schwierige Ergebnisse pro-
duziert und kaum administrierbar ist – nicht umsetzbar
ist. Zudem ist die Gewerbesteuer trotz aller Unkenrufe
eine gute Steuer für die Gemeinde, weil sie das größte
Aufkommensentwicklungspotenzial hat.
Wenn Finanznot herrscht, dürfen wir nicht die Steuer ab-
schaffen, die langfristig die höchsten Erträge bringt.
Ich habe mich gefreut, dass der Bundesfinanzminister
den Vorschlag gemacht hat, zumindest über die Grund-
sicherung im Alter einen Einstieg in die Entlastung der
Kommunen von Soziallasten zu finden.
Der Bundesfinanzminister hat weiter vorgeschlagen,
dass man additiv zur Gewerbesteuer bei der Einkom-
mensteuer ein Zuschlagsrecht etablieren sollte. Wir und
die meisten kommunalen Verbände waren skeptisch, und
zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir befürchten
– diese Befürchtung ist ernst zu nehmen –, dass dadurch
der Konflikt zwischen armen und reichen Gemeinden in
Deutschland verschärft wird, dass Druck entsteht und
gerade die hochverschuldeten und in der Tendenz Kom-
munen mit einkommensschwachen Bürgern in die Situa-
tion versetzt werden, die Hebesätze anzuheben, und wir
dann in die etwas skurrile Situation kommen, dass zu-
künftig in manchen Orten Einkommensschwächere hö-
here Steuern bezahlen müssen als Einkommensstärkere
in anderen Orten, die es sich leisten können, die Hebe-
sätze zu senken.
Das widerspricht dem Prinzip, das über 60 Jahre bei der
Einkommensteuer in Deutschland Konsens ist, nämlich
dem Leistungsfähigkeitsprinzip, wonach Gleiches gleich
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Meine Damen und Herren, wie sieht die Bilanz aus?
ch hätte mir zunächst einmal gewünscht, dass wir den
orschlag von Herrn Schäuble in der Gemeindefinanz-
ommission diskutieren. Aber was ist stattdessen pas-
iert? Es ist das passiert, was immer passiert, wenn diese
oalition versucht, steuer- und finanzpolitische Pro-
leme zu lösen: Es wird gestritten, es wird ein bisschen
haotisch, und es entsteht Stillstand. In der Zwischenzeit
oll eine Koalitionsrunde zu diesem Thema stattgefunden
aben. Die FDP scheint mittlerweile alles infrage zu stel-
en. Der Finanzminister und die Bundeskanzlerin relati-
ieren ihre Gewerbesteuergarantie, die sie gegenüber den
ommunen abgegeben haben, und von der Übernahme
on Soziallasten wird überhaupt nicht mehr geredet.
Mittlerweile gibt es Koalitionsarbeitsgruppen. Aber
as heißt das denn für die Gemeindefinanzkommission?
ie Gemeindefinanzkommission wartet jetzt auf einen
orschlag der Koalitionsarbeitsgruppe. Den soll sie sich
ann zu eigen machen, um ihn anschließend der Bundes-
egierung zu empfehlen.
ie Aufgabe der Kommission ist eine Empfehlung an
ie Bundesregierung. Noch einmal: Die Gemeindefi-
anzkommission bekommt von der Bundesregierung er-
ählt, was sie der Bundesregierung empfehlen soll. Das
st ein Witz, über den weder die Kommunen noch die
änder lachen können;
enn die Finanzsituation ist zu ernst, um koalitionsin-
erne Befindlichkeiten auszuleben. Wiederbeleben soll-
en wir entweder die Gemeindefinanzkommission, oder
er Bundesfinanzminister sollte einen Vorschlag auf den
isch legen, der für alle, nicht nur für die Koalitionäre,
onsensfähig ist. Meine Bitte wäre, dass wir uns nicht
ehr allzu viel Zeit damit lassen. Die Liquiditätskre-
ite der Kommunen steigen von Tag zu Tag. Die Kom-
unen stehen nicht mehr nur mit dem Rücken an der
and, sondern der Rücken drückt sich immer mehr in
ie Wand hinein.
Vielen Dank.
8524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Peter Götz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur der
Bund, sondern auch die Städte, Gemeinden und Kreise
befinden sich in einer schwierigen finanziellen Lage.
Das ist unbestritten. Es ist auch unbestritten, dass sich
eine große Zahl von Kommunen nur noch mit hohen
Kassenkrediten über Wasser halten kann. Trotz der im-
mer noch schwelenden Krise an den internationalen
Finanzmärkten sind wir in Deutschland dank einer gu-
ten, vorausschauenden Politik der CDU-geführten Bun-
desregierung auf einem guten Weg; das sollten wir auch
sagen.
Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie noch nie
in den letzten 20 Jahren. Mit 41 Millionen ist die Zahl
der Erwerbstätigen so hoch wie noch nie.
Herr Kollege Scheelen, die internationale Wettbewerbs-
fähigkeit deutscher Unternehmen hat inzwischen ein
Niveau erreicht, um das uns andere Länder in Europa be-
neiden, und das wirkt sich auch auf die Kommunalfinan-
zen aus.
Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer – eine wich-
tige kommunale Steuer; das ist unbestritten – sind übri-
gens für viele überraschend stark gestiegen.
Für 2011 rechnen die Steuerschätzer mit einem weiteren
kräftigen Anstieg auf 31,6 Milliarden Euro. Zu dieser
positiven Entwicklung hat übrigens nicht nur, aber auch
das Wachstumsbeschleunigungsgesetz maßgeblich bei-
getragen.
Richtig ist, dass die Schere zwischen finanzstarken
und finanzschwachen Kommunen nach wie vor immer
weiter auseinandergeht. Herr Minister Kühl, das hat üb-
rigens auch etwas mit Landespolitik zu tun;
denn zum Beispiel streicht in Rheinland-Pfalz das Land
die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer ein. In dem
Land, aus dem ich komme, in Baden-Württemberg, be-
kommen die Kommunen die Einnahmen aus der Grund-
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Die Jahre kurz vor der Krise waren für die Kommu-
en die besten Jahre seit Bestehen der Bundesrepublik.
er kommunale Saldo lag in dieser Zeit bei mehr als
Milliarden Euro, und viele Kommunen konnten inves-
ieren, auch wenn es Ihnen nicht passt, Herr Poß. Sie ha-
en Rücklagen gebildet und ihre Schulden abgebaut.
Herr Poß, in Zeiten rot-grüner Regierungsverantwor-
ung war daran nicht zu denken. Damals lag der kommu-
ale Saldo im Minus. Der Investitionsstau wurde immer
rößer.
Kollege Götz, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der
ollege Hartmann würde Ihnen gern eine Zwischenfrage
tellen.
Ich sage den einen Satz noch, dann bin ich sehr damit
inverstanden. – Nur zur Erinnerung: 2003 betrug der
egativsaldo der kommunalen Haushalte 8,4 Milliarden
uro – im Minus. – Bitte schön.
Herr Kollege Götz, Sie haben erfreulicherweise da-
auf hingewiesen, dass die Einnahmen der Kommunen
urch die Gewerbesteuer gestiegen sind. Diese erfreuli-
he Feststellung veranlasst mich zu der Frage: Bedeutet
ies ein klares und uneingeschränktes Bekenntnis von
hnen und Ihrer Fraktion zum Erhalt der Gewerbesteuer?
Das ist ein klares Bekenntnis dazu, dass die Besteue-
ung aus wirtschaftlicher Betätigung in Zukunft auch für
ie kommunale Seite gelten muss – eindeutig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8525
Peter Götz
)
)
Lassen Sie mich auf den Gedanken zurückkommen,
den ich vorhin fortsetzen wollte. Die Verschuldung in
den Städten, Gemeinden und Kreisen ist in der Zeit Ihrer
Regierungsverantwortung gestiegen. Das ist die Ursa-
che. Herr Scheelen, davon haben sich gerade im Ruhrge-
biet viele Städte und Gemeinden noch lange nicht erholt.
Das geht nicht von heute auf morgen. Rot-Grün hat den
Kommunen ständig Geld weggenommen und ihnen Auf-
gaben übertragen, ohne die notwendige Finanzierung
mitzuliefern. Das war Ihre damalige Politik, und dafür
tragen Sie von Rot-Grün die Verantwortung.
Sich jetzt in der Opposition als Retter aufzuspielen, ist
nicht nur scheinheilig, sondern auch unanständig.
– Herr Poß, noch kurz vor Toresschluss hat die Schröder-
Regierung beschlossen, den Bundesanteil von 3 Milliar-
den Euro an den Kosten der Unterkunft im Bereich der
Hartz-IV-Empfänger rückwirkend auf null zu reduzie-
ren. Ich wiederhole: auf null. Das war in Ihrer Zeit.
Es war eine der ersten Entscheidungen der Regierung
Merkel, diesen kommunalfeindlichen Akt sofort zu be-
seitigen und die Bundesbeteiligung zugunsten der Kom-
munen wieder anzuheben.
Jetzt als Opposition eine Erhöhung der Bundesbeteili-
gung zu fordern, ist mehr als durchsichtig und spricht ei-
gentlich für sich.
Rot-Grün hat übrigens auch die Grundsicherung im
Alter, die vorhin angesprochen worden ist, den Kommu-
nen aufs Auge gedrückt, aber vergessen, eine anständige
Finanzierung mitzuliefern.
Wir haben in unserer Regierungszeit die Mittel aufge-
stockt und dynamisiert. Das hatten Sie vergessen.
Rot-Grün hat übrigens die von Ihnen so gelobte
Gewerbesteuerumlage erhöht und damit den Kommu-
nen Teile der Gewerbesteuereinnahmen genommen.
Auch das ist erst auf unseren Druck hin korrigiert wor-
den. Heute singen Sie das Hohelied der Gewerbesteuer.
Das hat mit glaubwürdiger Politik eigentlich gar nichts
zu tun.
In diesen Tagen fordern die Grünen eine Boden-
schutzrichtlinie, die allein für die Kommunen zusätzli-
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ch könnte aus dem Katalog Ihrer kommunalfeindlichen
ntscheidungen beliebig weiter vortragen, aber dafür
eicht die Redezeit nicht.
Uns geht es darum, den Kommunen zu helfen und die
emeindefinanzen trotz schwierigster Haushaltslage, in
er sich der Bund, wie wir alle wissen, nach wie vor be-
indet, wieder auf eine solide Grundlage zu stellen.
ir wollen den Gemeinden mehr Eigenverantwortung
eben und dadurch die kommunale Selbstverwaltung
tärken. Deshalb begrüßen wir die positive Haltung des
tädte- und Gemeindebundes sowie des Deutschen
andkreistages zum vorgeschlagenen kommunalen He-
esatzkorridor auf den Einkommensteueranteil der
ommunen. Herr Minister Kühl, das hat mit Steuer-
asen in Deutschland wirklich überhaupt nichts zu tun.
Notwendige Korrekturen bei der Gewerbesteuer dür-
en weder zulasten der Kommunen noch zulasten der
ürger gehen. Wir wollen, dass vor Ort wieder mehr ent-
chieden werden kann. Wir wollen eine Entlastung vor
llem in dem Bereich der sozialen Aufgaben und der so-
ialen Ausgaben.
on der eingesetzten Gemeindefinanzkommission, an
er Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände
eteiligt sind – auch die Länder und die kommunalen
pitzenverbände sind dabei – und die auf Konsens ange-
egt ist – das ist auch gut so –,
rwarten wir im Januar, also in einem Monat, die Ergeb-
isse.
Wir wollen, dass die Kommunen durch stabile Ge-
eindefinanzen wieder Luft zum Atmen bekommen
nd die vielen ehrenamtlichen Räte in den Gemeinden,
tädten und Kreisen ihre Heimat wieder eigenverant-
ortlich gestalten können;
enn sie vor Ort wissen am besten, was für ihre Bürge-
innen und Bürger gut und richtig ist.
8526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Peter Götz
)
)
Unsere Kommunen haben sich in der schwersten
Krise unseres Landes hervorragend verhalten. Sie haben,
unterstützt durch unser Konjunkturpaket II,
mit klugen Entscheidungen maßgeblich dazu beigetra-
gen, dass Deutschland schneller und besser aus der Wirt-
schaftskrise herausgekommen ist, als wir alle gedacht
hatten. Dafür sagen wir heute in einer Kommunaldebatte
ein herzliches Dankeschön.
Jetzt geht es darum, unser Land und die Kommunen
zukunftsfest zu machen. Das ist nicht einfach. Das geht
nicht mit Jammern, sondern das geht mit Anpacken. Pa-
cken wir es also an! Mit Mut und Zuversicht können wir
gemeinsam viel erreichen. Ich lade auch Sie als Opposi-
tion sehr herzlich dazu ein.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel von der
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich freue mich, an dieser Stelle mit direk-
tem Bezug zur Kommunalpolitik, genauer gesagt: zu den
Kommunalfinanzen, sprechen zu dürfen; denn diese
Möglichkeit zu haben, war einer der Gründe dafür, dass
ich als Kommunalpolitiker genau hierher wollte.
Die Probleme durch fehlende finanzielle Mittel in den
Kommunen kommen auf direktem Wege bei den Bür-
gern an, werden dort spürbar, und dann stehen oftmals
die kommunalen Mandatsträger in der Kritik – wegen
fehlender notwendiger Aktivitäten, die aber nur eine
Folge fehlender finanzieller Möglichkeiten sind. Oft
müssen Streichungen in den Bereichen Kultur, Bildung
und Soziales vorgenommen werden; denn trotz aller
Sparmaßnahmen in anderen Bereichen ist in den Kom-
munen das Geld dafür nicht mehr da.
Das wiederum liegt sehr häufig an Bundesgesetzen.
In meinem Kreistag im Altenburger Land führte das
dazu, dass wir bereits seit einem halben Jahr eine Haus-
haltssperre haben. Damit sind wir kein Einzelfall. Aus
allen Fraktionen im Kreistag werde ich immer wieder
aufgefordert, das hier an dieser Stelle noch stärker zu be-
tonen. Erst gestern Abend standen auf der Tagesordnung
Einschnitte wie Kürzungen in der Jugendhilfe und Strei-
chung des Zuschusses für das Schulessen. An solchen
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Bevor mein Kollege Axel Troost nachher zu Zahlen
nd Steuern kommt, geht es mir in allererster Linie um
in Instrument, das unabdingbar notwendig ist, um kom-
unale Realitäten und Aufgaben mit der Bundespolitik
n Einklang zu bringen. Die Regierungskoalition wird es
ielleicht überraschen: Ich meine den Unterausschuss
ommunales. Bisher haben Sie sich der Bedeutung und
ichtigkeit dieses Ausschusses weitestgehend verwei-
ert. Ich erinnere nur daran, wie lange Sie gebraucht ha-
en, um wenigstens Mitglieder für diesen Unteraus-
chuss zu benennen. Zu Beginn der Wahlperiode hatte
an sich im Ältestenrat des Bundestages auf diesen Un-
erausschuss geeinigt. Ein ordentlicher Ausschuss Kom-
unalpolitik, wie ihn die Linke gefordert hat, wäre
ngemessener gewesen; aber es war immerhin ein Kom-
romiss gefunden.
Heute muss man feststellen, dass alle anderen Unter-
usschüsse ihre Arbeit aufgenommen haben; aber der
nterausschuss Kommunales hat sich lediglich konstitu-
ert,
nd das nach einem Viertel der Legislatur – Klasseleis-
ung. Nach dem Willen der Regierungskoalition soll der
nterausschuss zu einem Erfüllungsgehilfen des Innen-
usschusses werden. Aber das Aufgabenfeld ist sehr viel
eiter, und ein Selbstbefassungsrecht, also das Recht,
elbst Themen auf die Tagesordnung zu nehmen, ist eine
rundbedingung für die Wirksamkeit dieses Ausschus-
es.
in eigenes Aufgabenfeld fehlt. Die kommunalrelevan-
en Angelegenheiten als Querschnittsbereich der Politik
nzuerkennen, ist eine klare, logische und konsequente
orderung der Linken.
90 Prozent der im Bundestag beschlossenen Gesetze
üssen letztendlich von den Kommunen ausgeführt
erden. Die schwarz-gelbe Koalition feiert sich nun, ei-
en Unterausschuss Kommunales vorweisen zu können.
atsächlich ist die Koalition dagegen, dass sich der Un-
erausschuss mit den unmittelbaren Problemen der Kom-
unalpolitik befasst. Zentrale Themen wie die Kommu-
alfinanzen wollen Sie von diesem Unterausschuss nach
öglichkeit fernhalten.
Ich möchte deswegen einmal darauf verweisen, wie
er Deutsche Bundestag bereits 1952 die Aufgaben eines
olchen Ausschusses definiert hat: „… die indirekten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8527
Frank Tempel
)
)
Auswirkungen der Bundesgesetzgebung auf die kommu-
nalen Angelegenheiten zu beobachten und sich gegebe-
nenfalls in die Bearbeitung von Vorlagen einzuschalten.“
Das heißt Selbstbefassungsrecht 1952. Schreiben Sie es
einfach ab! Aber einen entsprechenden Antrag von Lin-
ken, SPD und Grünen zu einem wohlformulierten
Grundsatzbeschluss haben Sie bereits am 27. Oktober
dieses Jahres im Innenausschuss ohne Debatte abge-
lehnt.
Sie wollen kein Medikament für die kranken Kom-
munalfinanzen, Sie wollen lieber ein Placebo, um den
Patienten ruhigzuhalten. Ich möchte Ihnen aber an dieser
Stelle versprechen: Die Linke wird das weitere Ausblu-
ten der Kommunen nicht hinnehmen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Wissing von der
FDP-Fraktion.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Minister Kühl, wir haben von
Ihnen gehört, dass die Kommunen sich sehr über die An-
träge der SPD gefreut haben. Ich will Ihnen einmal sa-
gen: Die Schönwetteranträge der Sozialdemokraten in
der Opposition helfen den Kommunen überhaupt nichts.
An den Gesetzen, die Rot-Grün in Regierungsverant-
wortung verabschiedet hat, haben die Kommunen bis
heute eine schwere Last zu tragen. Das ist die Realität.
Sie reden in Ihrem Antrag, meine Kolleginnen und Kol-
legen von der Sozialdemokratie, nur über Einnahmen
der Kommunen. Von den Ausgaben wollen Sie gar nicht
so viel sprechen, weil die Ausgaben nämlich ein Pro-
blem sind, das Sie verursacht haben.
Es sind 40 Milliarden Euro Sozialausgaben unter
Rot-Grün entstanden. Das ist die Folge Ihrer Sozialpoli-
tik.
Sie wollten damals nicht auf uns hören. Wir hatten Ihnen
damals in der Föderalismuskommission I gesagt, dass
wir ein Konnexitätsprinzip brauchen, dass es mit den
Kommunen so nicht weitergehen kann. Wenn der Bund
Ausgaben beschließt, so wie Sie es zur Genüge getan ha-
ben, dann muss er auch die Finanzierung sicherstellen.
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Wir reden heute wieder über ein Problem – die christ-
ich-liberale Koalition löst es –, das sich unter Ihrer Re-
ierungsverantwortung massiv verschärft hat. Sie sagen
n Ihrem Antrag nur unter einem einzigen Spiegelstrich
twas zu den Ausgaben der Kommunen; das ist bezeich-
enderweise auch noch der letzte Spiegelstrich. Sie for-
ern im Grunde genommen nichts anderes, als dass die
hristlich-liberale Koalition die Kommunen aus einer
isere befreit, in die sie von Sozialdemokraten und Grü-
en geführt wurden. Na, bravo!
Sie schlagen keine wirkliche Lösung vor. Wenn man
ie fragt, wie das Problem bewältigt werden soll, kommt
mmer die gleiche Antwort: durch eine Verstetigung der
ewerbesteuereinnahmen.
Frau Kressl sagt es wieder: Es geht um eine Versteti-
ung der Gewerbesteuereinnahmen; das sagt auch der
ozialdemokratische Landesfinanzminister Kühl. Das
oll die große Lösung sein.
Damit die Menschen verstehen, was Ihr Vorschlag be-
eutet: Ihr Vorschlag bedeutet nichts anderes, als dass
in Unternehmen, das zu wenig Einnahmen hat, um aus-
eichend Steuern zu zahlen, künftig auch Steuern auf die
usgaben zahlen soll.
as ist der Vorschlag der Sozialdemokraten. Sie ver-
chweigen, dass das am Ende zulasten der Arbeitnehme-
innen und Arbeitnehmer geht, weil Sie damit die Wett-
ewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft massiv
chwächen, was am Ende Arbeitsplätze kosten wird. Das
st keine sozial verantwortliche Politik. Deswegen ma-
hen wir da nicht mit.
Ihr Vorschlag ist nicht einmal logisch und schon gar
eine Lösung.
as im Einkommensteuerrecht nicht einmal ansatzweise
on Ihnen angedacht wird, soll bei der Gewerbesteuer
mgesetzt werden. Kein Mensch außer Ihnen käme auf
ie Idee, die Mieten der Bürgerinnen und Bürger zu be-
teuern oder ihnen höhere Steuern abzuverlangen, weil
ie höhere Ausgaben haben.
8528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Volker Wissing
)
)
Was im Einkommensteuerrecht schlicht Unsinn ist, das
wird bei der Gewerbesteuer nicht zu einer Form der hö-
heren Weisheit. Es ist gut, dass FDP und Union Ihrem
finanzpolitischen Unsinn ein Ende bereiten. Wir haben
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz dafür ge-
sorgt, dass Unternehmen nicht – aufgrund Ihrer Gesetze –
in Insolvenz geraten. Wir werden diese Politik fortset-
zen.
Wir Liberale werden an unserer Forderung festhalten,
die Gewerbesteuer zu ersetzen, um ein wettbewerbsfähi-
geres und besseres Unternehmensteuerrecht in Deutsch-
land zu erreichen, ganz im Interesse der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, die wir fest im Blick haben; das
bestätigen auch die günstigen, rückläufigen Arbeitslo-
senzahlen. Diese Politik ist gut für dieses Land und für
die Kommunen. Der Koalitionsvertrag sieht im Hinblick
auf die Ersetzung der Gewerbesteuer einen Prüfauftrag
vor. Wenn der Bundesfinanzminister in einzelnen Ge-
sprächen andere Vorstellungen hat, nehmen wir das zur
Kenntnis. Das Ziel der FDP bleibt jedenfalls, die Gewer-
besteuer zu ersetzen, die Kommunen solide zu finanzie-
ren, Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen und ein
besseres Unternehmensteuerrecht in Deutschland zu im-
plementieren. Das ist das Ziel, und an diesem Ziel halten
wir eisern fest.
Es geht aber nicht nur um die Gewerbesteuer. Auf-
grund der Beschlüsse der christlich-liberalen Koalition
ist eine Gemeindefinanzkommission eingesetzt wor-
den. Die Gewerbesteuer gehört hier aber untrennbar
dazu.
Rot-Grün hat mit den Hartz-IV-Reformen den Grund-
stein für die Finanznöte der Kommunen gelegt.
Schwarz-Gelb geht nun daran, die Gemeindefinanzen
auf eine solide Basis zu stellen. Wenn wir Ihre Fehler
korrigieren – –
– Die Grünen wollen mit all dem nichts mehr zu tun ha-
ben; die Sozialdemokraten wollen mit Hartz IV nichts
mehr zu tun haben.
Die Kommunen zahlen aber bis heute; denn Sie haben
die Kommunen mit ihren ungelösten Problemen allein-
gelassen. Wir stellen uns all diesen Aufgaben.
Wir werden Ihre Fehler auch in diesem Bereich korri-
gieren. Es wäre nur besser, wenn Sie uns dabei konstruk-
tiv unterstützen würden, anstatt uns mit Ihren Anträgen
ohne jeden substanziellen Inhalt bei der Arbeit aufzuhal-
ten. Rot-Grün hat die Kommunen in die Schieflage ge-
bracht; Schwarz-Gelb wird die Kommunen sanieren.
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Die Gemeindefinanzreform wird kommen. Sie wird
u einer Verbesserung der finanziellen Lage der Kom-
unen führen. Davon haben die Kommunen jedenfalls
ehr als von Ihrem Antrag, der nichts anderes ist als ein
ohelied der Gewerbesteuer.
ch würde Ihnen empfehlen, endlich einmal mit Ihrer un-
innigen Diskussion über die Verstetigung der Gewerbe-
teuereinnahmen aufzuhören. Wenn Sie mit der Gewer-
esteuer so konform gehen, dann machen Sie doch
inmal einen Vorschlag, wie Sie die Kommunen mit der
ewerbesteuer finanzieren wollen, ohne Arbeitsplätze
u gefährden.
as können Sie nicht.
Deswegen: Hören Sie mit Ihren Anträgen auf und dis-
utieren Sie konstruktiv mit uns! Wir brauchen eine bes-
ere kommunale Finanzierung und keine Fortführung
er Probleme, die Sie geschaffen haben.
Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann vom
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Verehrte Anwesende auf den Besuchertribü-
en! Herr Wissing, Ihre Rede macht deutlich, wie blank
ie beim Thema Kommunen eigentlich sind.
err Götz, Ihre Fraktion im Übrigen auch. Denn was Sie
onsequent machen, ist, sich mit der Regierungszeit von
ot-Grün und den Beschlusslagen aus den Jahren 2002
nd 2004 zu beschäftigen.
un kann man der FDP zugestehen, dass sie gerade erst
eit einem Jahr regiert. Aber auch nach einem Jahr Re-
ierung könnte man fragen: Wo ist denn der substan-
ielle Vorschlag in der Sache, der die Lage der Kommu-
en verbessert? Der ist bisher nicht da, weil Sie dazu
ichts zu sagen haben.
Das Einzige, was gerade wirklich gut war, war, dass
ie sowohl den Kommunen als auch der CDU noch ein-
al eindeutig gesagt haben, wo bei Ihnen die Fahrt hin-
eht. Ich habe mir den Satz gemerkt: Wir halten eisern
n der Abschaffung der Gewerbesteuer fest. Ich hoffe,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8529
Britta Haßelmann
)
)
das haben die Städte und Gemeinden gehört, und ich
hoffe, das haben auch die CDUler gehört.
Herr Götz, Sie bei der CDU können sich das in der
Sache nicht so einfach machen. Merken Sie eigentlich
nicht, dass sich die Menschen bei der Auseinanderset-
zung mit den Jahren 2002 und 2004 inzwischen fragen:
Was sind eigentlich die konzeptionellen Vorschläge der
CDU, die seit 2005 regiert und die Kanzlerin stellt?
Seit 2005, das sind immerhin fünf Jahre!
Wir können gerne über die Frage der Verantwortung
für die Auswirkungen der Kapitalertragsteuer auf die
Kommunen unter Rot-Grün reden. Diese habe ich schon
zu rot-grünen Zeiten kritisiert. Ich kann Ihnen aber auch
sagen, wie im Bundesrat Ihre CDU bei solchen Vor-
schlägen gehandelt, agiert und das Ganze befeuert hat.
Darüber können wir gerne reden.
Das ändert aber für die Zukunft nichts. Das legt nur of-
fen, wie blank und nichtssagend Ihre Vorschläge bislang
sind. Sie haben in der Frage, wie wir denn die Probleme
der Städte und Gemeinden lösen, nichts zu bieten.
Wenn wir uns die Politik von heute ansehen – wir sind
ja im Hier und Jetzt, im Jahr 2010 –, dann kann man ei-
nige in Ihrer Verantwortung getroffene Beschlüsse fest-
stellen – ich will sie Ihnen gern in Erinnerung rufen; denn
das tun Sie anscheinend ungern –: 6,5 Milliarden Euro
Minus durch Steuersenkungsbeschlüsse seit dem Jahr
2008 für die Kommunen, 600 Millionen Euro Minus
durch Änderungen bei den Funktionsverlagerungen im
Rahmen der Unternehmensteuer. Dann als Nächstes die
SGB-II-Reform, die Streichung beim Heizkostenzu-
schuss und beim Kinderwohngeld; das sind über
300 Millionen Euro. Streichung bei den ALG-Renten-
beiträgen: über 1,8 Milliarden Euro. Das alles wurde ge-
strichen, und zwar zulasten der Kommunen, gerade im
aktuellen schwarz-gelben Haushalt. Wir haben eine Kür-
zung der Städtebaufördermittel zu verzeichnen. Das Ge-
bäudesanierungsprogramm ist gestrichen worden.
Das alles ist massiv eingeschränkt worden. Wir haben
massive Kürzungen bei den Eingliederungshilfen und
bei den Arbeitsmarktmitteln. Das alles liegt in Ihrer jet-
zigen Verantwortung und ist den Städten und Gemeinden
aufgebürdet worden. Diese Beschlusslagen aus Ihrem
Haushalt werden die Städte und Gemeinden massiv tref-
fen.
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ir könnten über viele weitere Fragen reden.
Ich möchte Sie gern einmal an etwas erinnern. Sie sa-
en hier: Wir wollen, wir würden gern, wir möchten in
er nächsten Zeit. Was haben Sie denn letzte Woche hier
m Bundestag entschieden? Sie haben den Einspruch des
undesrates, der mit Stimmen der CDU-Länder formu-
iert worden ist, nämlich bei den Kosten der Unter-
unft zu einem höheren Bundesanteil zu kommen, ein-
ach ganz schnöde zurückgewiesen. Sie haben ohne jede
ebatte die höhere Bundesbeteiligung einfach abge-
ehnt.
ann kommen Sie mir doch nicht mit der Debatte über
004. Sie haben letzten Freitag die Chance gehabt, zu
ntscheiden, dass die Kommunen einen höheren Bun-
esanteil bekommen.
Ferner möchte ich gerade die CDUler aus NRW – die
üssten sich jetzt eigentlich alle wegducken –
aran erinnern, dass Ihre NRW-CDU noch am 26. Okto-
er 2010 gemeinsam mit Rot und Grün in NRW einen
andtagsantrag auf den Weg gebracht hat, mit dem der
und aufgefordert wird, einen Anteil von 50 Prozent der
osten der Unterkunft zu übernehmen, um zu einer Ent-
astung der sozialen Kosten zu kommen. Wo waren denn
ie über 40 Abgeordneten aus NRW letzten Freitag? Ich
age Ihnen: Wir werden es Ihnen nicht durchgehen las-
en, dass Herr Röttgen als neuer Vorsitzender der NRW-
DU hier im Bundestag gegen die Beschlusslage seiner
igenen Leute in NRW stimmt und sich in NRW für sol-
he Sachen feiern lässt.
Frau Kollegin Haßelmann, lassen Sie eine Frage des
ollegen Götz zu?
Gerne.
Bitte, Herr Götz.
Frau Kollegin, ich würde Sie gerne fragen, ob Sie es
ls ehrlich empfinden, dass Sie sich darüber beklagen,
ass der Anteil des Bundes an den Kosten der Unter-
unft jetzt nicht erhöht wird, obwohl Sie während Ihrer
egierungszeit den Anteil des Bundes an diesen Kosten
uf null gesetzt haben. Finden Sie das in Ordnung?
8530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Herr Götz, wenn Sie meiner Rede gefolgt wären,
wüssten Sie, dass das, was Sie gesagt haben, in der Sa-
che nicht richtig ist.
Vielleicht hat ja jemand, der nach mir spricht, mehr Re-
dezeit und kann darauf eingehen.
Das Nächste ist: Sie regieren seit 2005. Warum haben
Sie den Bundesanteil nicht erhöht, wenn Sie glauben,
dass die Beschlusslagen falsch waren? In der letzten Le-
gislaturperiode lag uns hier sogar ein Antrag der damali-
gen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, beste-
hend aus CDU und FDP, vor. Ich sage Ihnen: Sie
kommen damit nicht durch. Sie können nicht immer sa-
gen: 2004 ist etwas passiert; 2004 ist etwas falsch gelau-
fen.
Sagen Sie doch einmal, was Ihr Ansatz bei der Frage der
sozialen Kosten ist. Wie stehen Sie zu einem höheren
Bundesanteil? Sie haben keine Idee, und deshalb reden
Sie gerne über die Jahre 2002 oder 2004. Ich finde, das
darf man Ihnen nicht durchgehen lassen.
Frau Haßelmann, erlauben Sie eine Nachfrage des
Kollegen Götz?
Wenn Herr Götz sich so mehr Redezeit verschaffen
möchte, bitte.
Bitte.
Mir geht es nicht um mehr Redezeit, sondern mir geht
es darum, dass wir einigermaßen bei der Wahrheit blei-
ben.
Ja, bitte. Das finde ich auch gut. Ich erinnere Sie nur
an den letzten Freitag.
Dazu gehört, dass der Anteil des Bundes an den Kos-
ten der Unterkunft während der Zeit Ihrer Regierungs-
verantwortung auf null gesetzt wurde und dass sofort
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Heute mehr zu fordern, ist die eine Sache. Darüber
ann man natürlich immer reden. Ich frage Sie, ob Ihnen
ewusst ist, dass wir gegenwärtig einen Bundeshaushalt
Sie sind, wenn ich richtig informiert bin, Haushälterin –
it einer Nettoneuverschuldung von nahezu 50 Milliar-
en Euro haben. Deshalb wird es auch in Zukunft
chwierig sein, die Auswirkungen auf die unterschiedli-
hen politischen Ebenen einigermaßen angemessen zu
erücksichtigen. Können Sie mir folgen?
Das heißt, Sie sind dagegen, dass sich die Bundes-
bene an sozialen Kosten in einem höheren Umfang be-
eiligt. So habe ich Ihren Einwand verstanden.
Über die Jahre 2002 und 2004 können wir in aller
uhe diskutieren. Wir können auch über Verantwortlich-
eiten und Beschlüsse, die getroffen wurden, reden. Das
ntlässt Sie aber nicht aus der Verantwortung, Herr Götz.
ch bin seit fünf Jahren im Bundestag. Seit vier Jahren
iskutieren wir über einen höheren Bundesanteil, über
ine größere Verantwortung des Bundes bei den Kosten
er Unterkunft. Ich stelle fest, dass Sie sich seit vier Jah-
en im Bund dagegen wehren, zu einem anderen Berech-
ungsmodus zu kommen und den Anteil des Bundes zu
rhöhen. Auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und
m Bundesrat streiten CDU-geführte Länder aber sehr
ohl dafür, dass der Anteil des Bundes steigt. Ich sage
hnen: Diese Widersprüchlichkeit wird man feststellen.
ie Leute bemerken das. Das darf man Ihnen nicht
urchgehen lassen.
Jetzt lassen Sie uns einmal über die Kommission zur
emeindefinanzreform reden. Sagen Sie doch einfach
inmal, was Sie wollen. Die FDP hat gerade erklärt: Wir
alten an der Abschaffung der Gewerbesteuer eisern
est. Bei Ihnen ist das so: Erst erklärt der Finanzminister:
Wir schaffen die Gewerbesteuer ab und ersetzen sie“,
etzt ist er auf dem Trip, die Gewerbesteuer beizubehal-
en. Das ist ein Versprechen an die Kommunen – mittler-
eile von Angela Merkel und dem Finanzminister. Jetzt
st gemeinsam mit der FDP anscheinend die Lösung ge-
unden worden, die Gewerbesteuer zu entkernen, anstatt
ie auszubauen, sie also sozusagen zu einer Rumpfge-
innsteuer zu machen, um sie dann im zweiten Schritt
bzuschaffen. Ich sage Ihnen: Es gibt nur zwei Gemein-
esteuern. Diese Gemeindesteuern brauchen die Städte
nd Gemeinden als stabile Steuern und nicht etwa so
ntkernt und so entschlackt, dass sie sich nur noch auf
ewinne beziehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8531
Britta Haßelmann
)
)
Ich halte auch Ihre Analyse für falsch. Es ist nicht
richtig, zu sagen, wir bewerten Fremdkapital oder
Fremdfinanzierungen völlig anders als Eigenkapital.
Vielmehr brauchen wir auch die Hinzurechnungen. Ihr
Totschlagargument, dass damit eine Substanzbesteue-
rung vorliege, ließe sich doch auflösen. Wir finden genü-
gend Möglichkeiten, zum Beispiel über Freibeträge oder
Verlustvorträge, um im Rahmen der Gewerbesteuer zu
berücksichtigen, dass Unternehmen schlechte Jahre ha-
ben, aber dennoch weiterhin Hinzurechnungen erzielen.
Mehr als Ausreden sind bei Ihnen bisher konzeptionell
gar nicht drin. Schenken Sie den Leuten endlich einmal
reinen Wein ein, und sagen Sie als CDU – die FDP hat es
schon getan –, was Sie wollen!
Wohin wollen Sie denn bei der Gewerbesteuer? Einmal
sind Sie dafür, einmal sind Sie dagegen und wollen sie
irgendwie ersetzen. Das ist doch keine substanzielle
Politik einer Regierungspartei!
Sagen Sie den Leuten klar, ob Sie sie abschaffen oder ob
Sie sie ersetzen wollen! Legen Sie ein Modell vor, über
das man reden kann! Aber agieren Sie hier nicht mit
Teufelsszenarien nach dem Motto: Wir gingen hier voll
in die Substanzbesteuerung. – Es gibt genug Möglich-
keiten, das Thema Substanzbesteuerung zu regeln, zum
Beispiel durch Freibeträge und durch Verlustvorträge. In
der Sache können wir gerne darüber streiten.
Ein zweites Thema: die kommunale Einkommen-
steuer. Hierbei handelt es sich doch um ein vergiftetes
Angebot an die Städte und Gemeinden. Wollen Sie denn
den Städten und Gemeinden im Ruhrgebiet sagen: „Wir,
Schwarz-Gelb in Berlin, senken die Einkommensteuer
und machen uns als diejenigen beliebt, die Steuern sen-
ken; aber ihr vor Ort könnt dann schön den Hebesatz an-
heben, wenn es euch miserabel geht, und seid damit für
die Steuererhöhungen verantwortlich“? – Wie kann man
einen solchen Vorschlag in einer Situation machen, in
der Städte und Gemeinden 40 Milliarden Euro Kassen-
kredite haben?
Da kann man doch nicht einfach nur sagen, der Wettbe-
werb der Kommunen solle befördert werden. Wir müs-
sen dringend etwas tun, damit es nicht zu einem ruinösen
Wettbewerb der Städte und Gemeinden untereinander
kommt. Wenn Ihre Antwort darauf die kommunale Ein-
kommensteuer ist, dann hoffe ich, dass Ihnen genügend
Städte und Gemeinden, denen es schlecht geht, wirklich
einmal deutlich die Quittung für einen solchen Vorschlag
geben.
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Angesichts einer Situation von 12 Milliarden Euro
efizit, von 40 Milliarden Euro Kassenkrediten und
0 Milliarden Euro Investitionsnotwendigkeiten gehört
n die Debatte ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit als nur
erweise auf frühere Regierungen und Absichtserklä-
ungen, die bei Ihnen heute so und morgen so aussehen.
egen Sie doch einmal vor, welche Form von Bundesbe-
eiligung Sie bei den Kosten der Unterkunft und bei der
rundsicherung im Alter wollen.
ch sehe nur einen Finanzminister, der jeden Tag einen
euen Vorschlag macht, so jüngst den Vorschlag, dass
er für die Bundesagentur für Arbeit gedachte Mehr-
ertsteuerpunkt, der 8 Milliarden Euro ausmacht, an die
ommunen gehen soll.
Frau Haßelmann, Ihre Zeit ist schon lange abgelau-
en.
Ich komme sofort zum Ende.
Sie müssten wieder einmal durchatmen; das wäre
anz gut.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann
einer Meinung nach nicht auf noch mehr Geld verzich-
en. Sie haben deren Haushalt um 16 Milliarden Euro ge-
chröpft. Das ist genug.
Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ern nutze ich erneut die Gelegenheit, mit Ihnen heute
ber die Finanzausstattung der Kommunen zu reden. Ich
ätte mich aber gerne einmal mit neuen Positionen und
euen Tatbeständen auseinandergesetzt und nicht zum
iederholten Male mit den immer gleichen Argumenten,
ie keine Lösung für die Kommunen darstellen.
8532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Antje Tillmann
)
)
In Ihrem Antrag „Klare Perspektiven für Kommunen –
Gewerbesteuer stärken“, liebe Kollegen von der SPD,
fällt Ihnen wieder nur die Gewerbesteuer ein. Sie for-
dern uns auf, Gesetzesänderungen zu unterlassen, auf die
Einführung neuer Gestaltungsmöglichkeiten zu verzich-
ten und bei der Gemeindefinanzkommission, von der Sie
sowieso nichts halten, schnell zum Ende zu kommen.
Herr Minister Kühl, dass Sie sich hier hinstellen und
die Schuldfrage in dem Sinne klären, dass die Finanzsi-
tuation der Kommunen dadurch entstanden sei, dass der
Bund Gesetze im Sozial- und Steuerbereich gemacht
habe, die die Kommunen belasteten, finde ich einiger-
maßen dreist; denn jeder von uns weiß, dass diese Bun-
desgesetze selbstverständlich im Bundesrat gewesen
sind und dass Sie als Vertreter der Länder sich Ihre Zu-
stimmung haben gut abkaufen lassen. Das war ein rich-
tig teures Vergnügen für den Bund. Leider haben Sie
dann vergessen, das Geld an die Kommunen weiterzuge-
ben, sodass die Schuldfrage, wenn überhaupt, zwischen
uns beiden gemeinsam zu klären ist.
Ich finde, dass es zur Ehrlichkeit gehört – viele Red-
ner in dieser Debatte sind ja aus dem Finanzbereich –, zu
sagen, wie sicher die Gewerbesteuer ist. Sie ignorieren
immer noch, dass die Gewerbesteuer nicht nur konjunk-
turabhängig ist, sondern auch große Risiken aufgrund
veränderter Rechtsprechung birgt. Sie ignorieren, dass
sich bei den Körperschaften zwischenzeitlich ein Ver-
lustvortragspotenzial von über 506 Milliarden Euro
aufgebaut hat und dass diese Verlustvorträge zu Steuer-
ausfällen von 140 Milliarden Euro führen könnten. Die
bestehenden Verlustvorträge entsprechen dem 3,6-Fa-
chen des Jahresaufkommens von Körperschaftsteuer und
Gewerbesteuer gemeinsam. Diese Thematik hat auf-
grund des BFH-Beschlusses vom August 2010 an Bri-
sanz gewonnen. Der BFH hat bezüglich der Regelung
zur Mindestbesteuerung gesagt, dass sie in Sonderfäl-
len eventuell nicht rechtens ist und die Verluste geltend
gemacht werden dürfen.
Auch die Abschirmwirkung der Gewerbesteuer,
die die Kommunen bisher als Garant für die Kontinuität
der Steuereinnahmen gesehen haben, gilt nicht mehr,
weil die Rechtsprechung des EuGH auch hier zu Verän-
derungen führt.
Sie aber erzählen den Kommunen: Wir behalten die
Gewerbesteuer bei, dann wird alles gut, dann ist eure Fi-
nanzsituation gesichert. Das verstehen wir nicht unter
klaren Perspektiven für Kommunen.
Wir sind froh, dass das Finanzministerium Vorsorge trifft
und überlegt, wie man diese Risiken, die gegebenenfalls
auf uns und insbesondere auf die Kommunen zukom-
men, auffangen kann und wie man schon heute Entschei-
dungen treffen kann, um die Kommunen in die Lage zu
versetzen, besser planen zu können.
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ie Kommunen werden entlastet, indem wir 500 Millio-
en Euro für außerschulische Bildung zur Verfügung
tellen. Die Kommunen werden entlastet, indem wir die
ahrtkosten von bedürftigen Schülerinnen und Schülern
n weiterführenden Schulen übernehmen.
atürlich kommen wir als Bund auch für die entspre-
henden Verwaltungskosten auf.
Herr Götz hat Ihnen die Energieprogramme darge-
tellt. Es gibt auch hier kein einziges Programm, bei dem
ie Kommunen nicht besonders gefördert werden.
Für Sprachförderung stellen wir 400 Millionen Euro
ur Verfügung.
Hinsichtlich der Steuervereinfachungsgesetze – diese
tehen ja noch an – haben wir schon gesagt, dass die
ommunen an deren Finanzierung nicht beteiligt werden.
Was tun Sie von den Sozialdemokraten und den Lin-
en? Sie diskutieren morgen mit uns über die Regelsätze
ei Hartz IV. Ihnen sind die 5 Euro Regelsatzerhöhung
u wenig.
ch habe von Ihnen noch kein Wort dazu gehört – auch in
hren Änderungsanträgen steht dazu nichts –, dass diese
egelsatzerhöhung selbstverständlich Auswirkungen
uf die Kommunen hat, weil sie automatisch auch Folge-
irkungen auf SGB XII hat. 5 Euro Regelsatzerhöhung
edeutet 143 Millionen Euro Kosten für die Kommunen.
azu haben Sie keinen Gegenfinanzierungsvorschlag
emacht;
ordern aber hier eine weitergehende Regelsatzerhöhung
tändig ein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8533
Antje Tillmann
)
)
Sie sehen, dass die bundespolitischen Maßnahmen
massiv an Qualität gewonnen haben, seitdem wir an der
Regierung sind. Es gibt kein Gesetz, bei dem die Aus-
wirkungen auf die Kommunen nicht betrachtet werden,
natürlich unter dem Aspekt, dass Bund, Länder und
Kommunen massive finanzielle Schwierigkeiten haben.
Im Gegensatz zu einigen anderen im Haus, die der
Schuldenbremse nicht zugestimmt haben, finde ich nach
wie vor, dass das die beste Errungenschaft der letzten
Legislaturperiode war. Wir stehen dazu.
Man muss natürlich alle drei Ebenen gleichzeitig be-
trachten.
Frau Kollegin Haßelmann, Sie weisen zu Recht darauf
hin, dass Vergangenheitsbewältigung schwierig ist, wenn
etwas schon sieben Jahre her ist. Die Kommunen leiden
aber tatsächlich immer noch unter den Kosten der
Grundsicherung. Das ist einer der Bereiche, in dem die
Kosten außerordentlich stark steigen. Deshalb finde ich
den Vorschlag des Bundesfinanzministers, die Kommu-
nen an dieser Stelle gegebenenfalls zu entlasten, richtig.
Wir werden hier Reparaturen an Problemen durchführen,
die Sie verursacht haben. Wir werden Spielräume schaf-
fen. Wir glauben, dass solche Spielräume nützlicher sind
als irgendwelche Sonderprogramme für die Kommunen.
Wir trauen den Kolleginnen und Kollegen auf kom-
munaler Ebene zu, verantwortlich eigene Entscheidun-
gen zu treffen.
Wir werden durch die Gesetzesänderungen bei SGB II
und SGB XII ein Satzungsrecht beschließen, demzu-
folge Kreise und Kommunen demnächst die Höhe der
Kosten für Unterkunft und Heizung in ihren Gebieten
angemessen selbst bestimmen dürfen und demzufolge
Kommunen demnächst auch Pauschalen für die Kosten
von Unterkunft und Heizung einführen dürfen. Liebe
Kollegin Haßelmann, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, Ihren im Ausschuss eingebrachten Än-
derungsantrag kann ich daher eigentlich nur als Miss-
trauensvotum gegenüber Stadträten sehen.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, diese Regelung zu
streichen. In Ihrem Antrag heißt es:
Die Regelungen zur Bestimmung der angemesse-
nen Kosten für Unterkunft und Heizung durch Sat-
zung führen zu sozialpolitisch unerwünschten Fol-
gen. Die Folge wäre eine verstärkte Segregation
und die Zunahme sozialer Brennpunkte.
Liebe Kollegen, was haben Sie für ein Verständnis von
Kommunalpolitik? Sind wir in Berlin die Einzigen, die
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Das Gleiche gilt beim Thema Hebesätze. Die Kom-
unen und die kommunalen Spitzenverbände halten das
ebesatzrecht bei der Gewerbesteuer und der Grund-
teuer zu Recht hoch. Unterschiedliche Lebensverhält-
isse gibt es schon heute; der Geringverdiener in einer
roßstadt wird durch die Grundsteuer natürlich mehr be-
astet als der Geringverdiener in einer kleineren Stadt.
as Hebesatzrecht ist Ausdruck der kommunalen Selbst-
erwaltung. Wenn es bei der Gewerbesteuer und bei der
rundsteuer gerecht ist, warum soll es dann bei der Ein-
ommensteuer und der Körperschaftsteuer Gift sein?
Das Problem liegt doch eher bei den Ländern; das sa-
en die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände sehr
eutlich. Die kommunalen Spitzenverbände haben die
orge, dass das Hebesatzrecht von den Ländern sofort
enutzt wird, um Kommunen zu zwingen, eine Steuer zu
rheben.
as werden wir durch ein Bundesgesetz ausschließen,
ollten wir uns tatsächlich auf dieses Hebesatzrecht ver-
tändigen. Das ist für uns wiederum ein Ausdruck des Be-
ühens, die Verantwortung auf die Ebene zu heben, wo
ie hingehört. Die Verantwortung für die Kommunen ge-
ört nicht nach Berlin, sondern in die Stadträte. Wir ver-
rauen unseren Vertreterinnen und Vertretern dort sehr.
Sie fordern in Ihrem zweiten Antrag schließlich, dass
undesgesetzliche Regelungen hinsichtlich ihrer Finan-
ierung bzw. ihrer Kosten künftig einer Stellungnahme
urch die Kommunen zu unterziehen sind. Das ist ein
uter Vorschlag. Die Gemeindefinanzkommission hat
hn aber schon längst gemacht; und ich schätze auch die
orschläge, die von dort kommen, sehr. Ich finde es
ämlich richtig, dass wir demnächst, wenn wir über
undesgesetze sprechen, auch die Auswirkungen auf die
ommunen, die die Kommunen in einer Stellungnahme
um Ausdruck bringen können, beraten. Es darf nicht
ur um den Gesetzestext, der vom Finanzministerium
owieso vorgelegt wird, gehen, sondern die kommunalen
pitzenverbände sollten ruhig eine Stellungnahme abge-
8534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Antje Tillmann
)
ben dürfen. Wir glauben, dass wir bei Bundesgesetzen
dann noch mehr auf die Kommunen achten könnten.
Aber ich wiederhole: Das wäre eigentlich Aufgabe der
Länder, die das offensichtlich aber nicht vernünftig ma-
chen, sodass wir diese Verantwortung gerne überneh-
men.
Liebe Kollegen, wir wollen klare Perspektiven für die
Kommunen: mehr Planungssicherheit, mehr Eigenver-
antwortung, mehr Handlungsspielraum. Das scheint für
Sie ein Experiment zu sein, das Sie sich nicht zutrauen.
Wir trauen uns das zu.
Wir glauben, dass die Stadträte in den Kommunen vor
Ort richtige, sozial verantwortliche und vernünftige Ent-
scheidungen treffen können.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich bin dem Finanzminister des Landes Rheinland-
Pfalz, Carsten Kühl, sehr dankbar, dass er hier deutlich
gemacht hat, dass Bund und Länder in der Verantwor-
tung stehen. Ich darf sagen: Rheinland-Pfalz ist, was die
Verantwortung für die Kommunen angeht, vorbildlich.
Ich darf auf den Fonds zur Stabilisierung der kommuna-
len Finanzen hinweisen. Er hat Vorbildcharakter. Daran
sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.
– Jetzt sage ich etwas zur Grunderwerbsteuer, Herr
Götz, und komme damit zu Ihnen: Sie haben darauf hin-
gewiesen, in Baden-Württemberg gebe es andere Zustän-
digkeiten als in Rheinland-Pfalz. Das interessiert die
Kommunen eigentlich überhaupt nicht. Für die Kommu-
nen ist wichtig, was bei ihnen ankommt. Dafür sind die
Länder zuständig. Die Länder sind für die Verteilung der
Steuermasse zuständig, und da verhalten sich Rheinland-
Pfalz und andere SPD-regierte Länder vorbildlich.
Herr Kollegen Scheelen, möchten Sie eine Zwischen-
frage zulassen?
Nein, bitte nicht.
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n dem Gesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat – da-
als war von Angela Merkel als Bundeskanzlerin über-
aupt noch nicht die Rede –, haben wir eine Summe von
ber 4 Milliarden Euro festgelegt, wobei die Kommunen
m 2,5 Milliarden Euro entlastet wurden. Die Null, die
ie ansprechen, war ein Platzhalter im Gesetz, der auf-
rund der Tatsache, dass Sie diese Entscheidung im
undesrat verhindert haben, weil Ihnen das alles zu viel
ar, notwendig war.
Jetzt zum Thema. Im Jahre 2008 erzielten die circa
2 500 Städte und Gemeinden in Deutschland Einnah-
en von 183 Milliarden Euro, ihre Ausgaben betrugen
75 Milliarden Euro. Das heißt, sie hatten einen Finan-
ierungsüberschuss von 8 Milliarden Euro im Schnitt.
ir wissen, dass es Kommunen gab, denen es gut ging,
nd Kommunen, denen es schlecht ging. Sie wissen, wie
as mit dem Durchschnitt ist. Wenn Sie mit einem Bein
uf der Herdplatte stehen und mit dem anderen im Eis-
übel, haben Sie im Schnitt eine angenehme Temperatur.
rotzdem haben Sie hinterher ein verbranntes und ein
nterkühltes Bein.
Im Jahr 2010 sieht das aber anders aus. Bei 180 Mil-
iarden Euro Ausgaben gab es nur noch 168 Milliarden
uro Einnahmen. Das heißt, da ist jetzt plötzlich eine
ücke von 12 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2008
ehlen 20 Milliarden Euro. Diese Lücke ist groß, und da
üssen wir als Bund handeln und helfen.
iese Lücke ist krisenbedingt, aber sie ist auch durch
chwarz-Gelb bedingt. Durch Ihre Gesetze, die Sie in
em einen Jahr, in dem Sie regieren, gemacht haben – die
ollegin Haßelmann hat darauf hingewiesen; ich will
as nicht im Einzelnen ausführen –, haben Sie die Kom-
unen schon um 3 Milliarden Euro zusätzlich belastet.
as machen wir auf Dauer nicht mit.
Deswegen haben wir den Antrag eingereicht, einen
ettungsschirm für die Kommunen zu spannen. Denn
ommunen sind genau wie Banken, genau wie Unter-
ehmen, genau wie Arbeitsplätze systemrelevant. All
)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8535
Bernd Scheelen
)
)
das ist systemrelevant. In der Kommune erfahren die
Bürger Politik, dort nehmen sie wahr, welche Folgen
Politik hat, und deswegen muss man den Kommunen
helfen.
Wir haben in dem Antrag kurzfristige Maßnahmen
vorgeschlagen:
400 Millionen Euro zusätzlich für Kosten der Unter-
kunft; den Kommunen soll also der Betrag wiedergege-
ben werden, den Sie ihnen voriges Jahres weggenom-
men haben. Diesen Antrag haben wir letzte Woche im
Haushaltsausschuss eingebracht. Den Antrag haben Sie
abgelehnt. Da haben Sie Ihre Kommunalfreundlichkeit
bewiesen, Herr Götz.
Dann haben wir gefordert, die Belastungen, die Sie
durch Ihre Gesetze geschaffen haben, auszugleichen.
Auch dazu haben wir von Ihnen bisher nichts gehört
außer Ihrer Aussage, in der Kommission müsse man mal
über die Gewerbesteuer reden.
Von der Abschaffung der Gewerbesteuer soll ja das
Heil kommen. Das ist für die Städte und Gemeinden die
wichtigste Steuer mit einem Aufkommen von 41 Milliar-
den Euro im Jahr 2008.
– Ja, zu Ihnen komme ich gleich, Herr Dr. Wissing. Ma-
chen Sie sich ruhig schon mal parat.
Sie wollen den Kommunen die Gewerbesteuer wegneh-
men. Die Gewerbesteuer – das muss man für die Zuhöre-
rinnen und Zuhörer vielleicht einmal erläutern – ist eine
Steuer, die nur von den Unternehmen gezahlt wird, und
zwar von denen, die das auch können,
weil sie auf den Gewinn erhoben wird, und zum Gewinn
werden tatsächlich bestimmte Dinge noch hinzugerech-
net. Sie haben gesagt, dabei handele es sich um Ausga-
ben. Das sind keine Ausgaben, sondern es sind in der
Regel umgewandelte Gewinne. Es ist für Unternehmen,
gerade für international tätige, überhaupt kein Problem,
Gewinne in Mieten, in Pachten, in Leasingraten zu ver-
wandeln. Diese Hinzurechnung haben wir gemeinsam in
der Großen Koalition – damals war die CDU/CSU ja
noch auf dem richtigen Weg – beschlossen. Das wollen
Sie jetzt zurückdrehen.
An die Stelle der Gewerbesteuer wollen Sie drei Säu-
len setzen: Sie wollen die Einkommensteuer- und Lohn-
steuerzahler belasten, Sie wollen die Verbraucher belas-
ten, und dann wollen Sie noch ein bisschen die
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Ich werde Ihnen gleich einmal ein paar Grafiken zei-
en.
Erstes Argument: Wenn die Gewerbesteuer krisen-
erschärfend wirkte – wir haben ja nun eine Krise mit
inem Einbruch des Wachstums um 4,7 Prozent –, dann
üsste die Anzahl der Insolvenzen ja dramatisch nach
ben gegangen sein, dann müsste 2009 in etwa Folgen-
es passiert sein,
ass nämlich wie hier auf der Grafik die Zahl der Insol-
enzen doppelt so hoch liegt. Das ist aber nur ein Fake,
enn tatsächlich ist die Zahl der Insolvenzen gleichge-
lieben.
m Jahr 2009, im stärksten Krisenjahr, gab es sogar we-
iger Insolvenzen als 2006, als 2005, als 2004.
as Argument zieht also nicht.
Zweites Argument: Aufkommensschwankungen.
atürlich schwankt das Aufkommen aus der Gewerbe-
teuer. Allerdings hat der Deutsche Städtetag eine
chöne Broschüre mit dem Titel „Die Gewerbesteuer –
ine gute Gemeindesteuer“ herausgegeben; die sollten
ie mal lesen.
s sieht nämlich folgendermaßen aus:
ie Gewerbesteuer schwankt mit einer Amplitude von
napp 30 Prozent – das ist richtig –, aber sie entwickelt
ich dynamisch; sie wächst nämlich jedes Jahr um
,7 Prozent. Das macht keine andere Steuer. Alle ande-
en Steuern wachsen nur um etwa 1,2 Prozent und haben
abei genau die gleiche Schwankungsgröße. Insoweit ist
uch dieses zweite Argument von Ihnen entkräftet.
Jetzt bleibt Ihnen nichts anderes mehr übrig, als ein
oblied auf die Gewerbesteuer zu singen. Darauf warten
ir jetzt. Die Gewerbesteuer ist vor kurzem 200 Jahre alt
eworden. Viele wollten sie abschaffen. Ich gebe Ihnen
ie Prognose: Sie werden das nicht schaffen. Die Gewer-
esteuer wird auch die nächsten 200 Jahre überdauern.
Vielen Dank.
8536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Bernd Scheelen
)
)
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
Bernhard Kaster das Wort.
Vielen Dank. – Herr Kollege Scheelen, Sie haben in
Ihrer Rede einleitend auf die Mustersituation im Land
Rheinland-Pfalz hingewiesen. Aus Fürsorge auch in Be-
zug auf weitere Redebeiträge von Ihnen möchte ich Sie
damit konfrontieren, dass Rheinland-Pfalz bei einem
Vergleich der westlichen Flächenländer – so schreibt
dies der Rechnungshof Rheinland-Pfalz – im Jahre 2009
die absolute Spitze beim Defizitsaldo darstellte.
Im gleichen Bericht des Rechnungshofes Rheinland-
Pfalz für das Jahr 2010 ist ausgeführt:
Die finanzielle Lage der rheinland-pfälzischen
Kommunen ist desolat: …
In einem folgenden Spiegelstrich heißt es dazu:
Auch in Jahren, in denen die Kommunen der meis-
ten übrigen westlichen Flächenländer Überschüsse
erzielten, wies die Kassenstatistik für die rheinland-
pfälzischen Gemeinden und Gemeindeverbände
Defizite aus.
Die Frage ist, ob das nicht auch etwas mit Landespoli-
tik zu tun haben könnte. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie die
Finanzierungsmodelle, die es in Rheinland-Pfalz gibt
und die sehr ungewöhnlich sind, wie beispielsweise das
vom Nürburgring, in dieser Form auch den Kommunen
empfehlen würden.
Herr Kollege Scheelen, zur Erwiderung.
Herr Kollege, Sie können sich sicherlich daran erin-
nern, dass ich darauf hingewiesen habe, dass Rheinland-
Pfalz einen Stabilisierungsfonds für die Finanzen der
Kommunen eingerichtet hat.
Das ist vorbildlich, weil es den Kommunen in Rhein-
land-Pfalz natürlich nicht deutlich besser geht als den
Kommunen im Rest der Republik.
Es gibt einige SPD-regierte Länder, die solche Fonds ha-
ben. Das letzte Land, das einen solchen eingerichtet hat,
ist Nordrhein-Westfalen.
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Jetzt hat die Kollegin Birgit Reinemund für die FDP-
raktion das Wort.
Herr Präsident Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle
ahre wieder, nein, jede Woche wieder debattieren wir
ier im Bundestag auf Betreiben der SPD-Fraktion über
as Thema Gemeindefinanzen.
n der letzten Sitzungswoche geschah dies in einer Aktu-
llen Stunde, heute debattieren wir über zwei Anträge
leichen Inhalts.
Das ist das gute Recht der Opposition, doch wo blei-
en Ihre zusätzlichen Aspekte? – Neue Ideen? Fehlan-
eige!
eue Lösungsansätze? Heute waren keine zu hören.
tändige Wiederholungen bringen uns nicht weiter.
chon Goethe wusste: „Getretener Quark wird breit –
icht stark“.
Seit der letzten Debatte hat sich an der Faktenlage
ichts geändert. Die Regierungskommission hat die Auf-
abe, einen nachhaltigen Vorschlag zu erarbeiten,
m die Finanzierung der Kommunen auf eine verlässli-
here Basis zu stellen. Das beinhaltet sowohl die struktu-
elle Verbesserung der Einnahmesituation als auch die
ntlastung auf der Ausgabenseite. Diese Regierungs-
ommission besteht aus Regierungsmitgliedern, Mitglie-
ern der Landesregierungen und Vertretern der kommu-
alen Spitzenverbände. Das ist übrigens die erste
egierungskommission, bei der die Vertreter der kom-
unalen Spitzenverbände gleichrangig mit am Tisch sit-
en. Das haben Sie damals, 2003, nicht geschafft.
)
Frau Reinemund! Das sollten Sie nicht wieder-
holen! Das ist gegen das neunte Gebot! –
Joachim Poß [SPD]: Bei der Kommission von
Eichel waren die Kommunen auch dabei!)
Auf die Ergebnisse der Kommission warten wir län-
ger als gedacht; das ist richtig. Wir erwarten diese ge-
nauso ungeduldig wie Sie. Auf Basis dieser Ergebnisse
wollen wir diskutieren. Sie veranstalten hier immer wie-
der den gleichen Schlagabtausch mit allseits bekannten
Positionen.
Seit der Wiedervereinigung haben die deutschen
Kommunen gemäß der volkswirtschaftlichen Gesamt-
rechnung einen Überschuss von 6,6 Milliarden Euro er-
wirtschaftet. Im gleichen Zeitraum machte der Bund ein
Defizit von fast 1 Billion Euro. Dennoch haben die
Kommunen aktuell ohne Zweifel an einer Notlage zu lei-
den. Der Deutsche Städtetag spricht von einem Haus-
haltsdefizit von 11 bis 12 Milliarden Euro im Jahr 2010.
Unabhängig von jeder Krise sind die Einnahmen der
Kommunen im Schnitt um 1,5 Prozent gestiegen, die
Ausgaben dagegen um 4 Prozent. Das ist doch eindeutig
ein strukturelles Defizit, das wir mit strukturellen Lö-
sungsansätzen beheben müssen.
In der Krise zeigt sich die seit Jahrzehnten bekannte
Problematik der Gewerbesteuer drastisch: ihre gene-
relle Schwankungsanfälligkeit um bis zu 50 Prozent, ab-
hängig von der Konjunktur – das hat sogar Herr
Scheelen bestätigt –,
ihre ungleiche Verteilung zwischen den Kommunen,
ohne dass ein direkter Bezug zwischen dem Steuerauf-
kommen und der Leistung der Kommune besteht, und
die Abhängigkeit vieler Kommunen von einzelnen gro-
ßen Gewerbesteuerzahlen, wie SAP in Walldorf, BASF
in Ludwigshafen, Audi in Ingolstadt usw.
Einen Punkt haben Sie bisher in jeder Debatte igno-
riert – Frau Tillmann hat es ausführlich ausgeführt –: die
aktuelle Rechtsprechung des EuGH und das Urteil des
Bundesfinanzhofes, infolge derer bzw. dessen
der Gemeindesteuer ein massiver Einbruch durch erwei-
terte Verlustverrechnungen drohen kann.
Was schreibt denn nun die SPD in ihren Anträgen? –
Ich zitiere:
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Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der SPD-
raktion: Ist das wirklich Ihr Ernst? Wie scheinheilig ist
as denn!
ie Kommunen sind doch gerade deshalb in ihrer fatalen
age, weil der Bund ihnen immer mehr Aufgaben aufge-
ürdet hat, ohne ihnen gleichzeitig die finanziellen Mit-
el zur Verfügung zu stellen.
aran leiden die Kommunen aktuell. Das geschah vor
llem unter sozialdemokratischer Regierungsverantwor-
ung. Es war Ihr Minister Clement, der im Jahre 2005
en Anteil des Bundes bei den Kosten der Unterkunft
uf null setzen wollte. Dass dies ein Platzhalter war,
err Scheelen, ist das einzig Neue, was ich heute gehört
abe.
eute dagegen streiten wir hier darum, ob die derzeitige
ostenübernahme in der Höhe ausreichend ist; das ist
ine ganz andere Qualität, Herr Scheelen.
Wenn Ihre gebetsmühlenartigen Forderungen nach
erbreiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbe-
teuer erfüllt würden, würde das zu nichts anderem als
u einer weiteren Substanzbesteuerung der Unternehmen
ühren.
erade in der Krise hat sich gezeigt, wie krisenverschär-
end dies ist. Das gefährdet Unternehmen und Arbeits-
lätze. Jede Firmeninsolvenz ist ein Gewebesteuerzahler
eniger und bedeutet zig Arbeitslose mehr. Das ist Poli-
ik zulasten der Arbeitnehmer und zulasten der Kommu-
en.
Auch die Einbeziehung der freien Berufe ist ein im-
er wieder gerne vorgebrachtes Placebo. Denn es be-
eutet viel Bürokratie für wenig Ertrag, und größtenteils
ringt es lediglich eine Verlagerung der Einnahmen von
und und Land auf die Kommune. Das freut natürlich
ie Kommunen, ist jedoch nicht im Sinne der Sache.
8538 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Birgit Reinemund
)
)
Was tun wir für die Kommunen,
und zwar bereits vor jeder Gemeindefinanzreform? –
Wir haben die Städtebauförderung über dem Stand von
2008 weitergeführt.
Wir haben die energetische Gebäudesanierung auf ho-
hem Niveau weitergeführt. Wir haben ein Bildungspaket
für bedürftige Kinder in Höhe von fast 1 Milliarde Euro
verabschiedet, das zum Großteil den Kommunen zugute-
kommt.
Die größte Unterstützung für die Kommunen ist un-
sere solide Finanz- und Wirtschaftspolitik,
angefangen mit einer Steuerentlastung für Bürger und
Unternehmen
von über 22 Milliarden Euro zum 1. Januar 2010 mit
dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Nicht umsonst haben wir 2010 zusätzlich zum Export
erstmals wieder einen steigenden Binnenkonsum und ein
steigendes Investitionsvolumen in Deutschland. Nicht
umsonst haben wir ein geschätztes Wirtschaftswachstum
von 3,7 Prozent in diesem Jahr und von 2,2 Prozent im
nächsten Jahr.
Frau Kollegin Reinemund, Ihre Zeit ist seit einer ge-
wissen Weile abgelaufen.
Nur die Redezeit, hoffe ich doch.
Ja. – Bitte schön.
Unser Ziel ist und bleibt eine nachhaltige strukturelle
Verbesserung der kommunalen Finanzen.
Klare Perspektiven für Kommunen – ja, das wollen
wir. Wir wollen klare Perspektiven für die kommunale
Selbstverwaltung, aber keine Zuwendungen und Ret-
tungsschirme.
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Raumforschung und Landesplanung – das sind die re-
nommiertesten Kommunal- und Regionalforscher der
Bundesrepublik – hinweisen, das im Herbst erstellt wor-
den ist. Diese Wissenschaftler haben nichts mit Parteien
zu tun. Sie kommen zum Schluss ihrer sehr guten Ana-
lyse auf vier Seiten zu Empfehlungen, aus denen ich drei
Passagen zitieren will, und zwar zuerst, weil das sehr
wichtig ist, zu den Kassenkrediten. Dazu sagt das Gut-
achten:
Hierzu gehören auf der Einnahmeseite kommunale
Entschuldungsfonds in denjenigen Ländern, in de-
nen Kommunen mit hohen Kassenkrediten eine
nennenswerte Rolle spielen.
Das ist sehr wichtig, weil viele Kommunen nicht mehr
aus dem Elend herauskommen.
Zum Thema unserer Debatte heißt es:
Die Gewerbesteuer ist in drei
Richtungen fortzuentwickeln: Sie benötigt eine brei-
tere, das heißt weniger von Gewinnschwankungen
abhängige und regional weniger streuende Bemes-
fristig sollten Möglichkeiten zum schrittweisen
Abbau der Gewerbesteuerumlage mit dem Ziel der
fiskalischen Entflechtung der Ebenen geprüft wer-
den.
Ich weise darauf hin, dass die Ansicht, es sei angeblich
völlig klar, dass die Gewerbesteuer nicht tragfähig ist,
von den Wissenschaftlern nicht geteilt wird und sie die
Situation völlig anders einschätzen. Sie kommen zu ge-
nau demselben Ergebnis wie wir in der Opposition mit
unseren Anträgen.
Zwei Absätze weiter heißt es dann:
Der kommunale Anteil an der Einkommensteuer
ist beizubehalten. Für die Ab-
lehnung eines Hebesatzrechtes hier spricht vor al-
lem folgender Grund: Eine bedarfsorientierte Diffe-
renzierung der Hebesätze würde in den Städten zu
überdurchschnittlichen, im Umland zu unterdurch-
schnittlichen Hebesätzen führen und so die raum-
entwicklungspolitisch unerwünschte Stadt-Um-
land-Wanderung … befördern.
Das wird völlig zu Recht von den Wissenschaftlern fest-
gestellt.
Insofern kann ich nur sagen: Was Sie machen, wider-
spricht allen Erkenntnissen der Wissenschaft, und es ent-
spricht nicht den Forderungen der Kommunen. Es entspricht
allenfalls den Forderungen einiger Umlandgemeinden.
Deswegen müssen wir hier weiterkommen. Es kann aber
nicht allein darum gehen, nur einen aufkommensneutralen
Ersatz zu schaffen. Notwendig ist vielmehr eine Weiterent-
wicklung der Gewerbesteuer, die zu Mehreinnahmen der
Kommunen führt, damit diese wieder handlungsfähig
werden.
Danke schön.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
ieder einmal dürfen wir über einen Antrag der SPD zu
en Kommunalfinanzen debattieren.
Sie werden sich gleich freuen.
hr Antrag trägt den Titel „Klare Perspektiven für Kom-
unen – Gewerbesteuer stärken“. Wo war die klare Per-
pektive der SPD? Ich habe in der ganzen Debatte nichts
on einer Perspektive gehört.
ie Forderungen Ihres Antrags werden in der Gemein-
efinanzkommission schon längst bearbeitet.
Die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister, der
ayerische Ministerpräsident und die CSU haben immer
esagt, dass wir ohne die Kommunen keine Entschei-
ung über die Gewerbesteuer treffen. Dieser Punkt, den
ie von der SPD und auch Sie, Frau Haßelmann, immer
nsprechen, hat sich also erledigt. Die Zusage des Bun-
esfinanzministers, einnahme- und ausgabenseitig etwas
u ändern, entspricht dem, was Sie in Ihrem Antrag for-
ern. Außerdem wird das Kommunalmodell in der Ge-
eindefinanzkommission bereits diskutiert und bearbei-
et.
Deshalb frage ich mich, weshalb Herr Staatsminister
r. Kühl vorhin gesagt hat, die Gemeindefinanzkommis-
ion sei ein Witz, obwohl er selbst Mitglied darin ist.
err Staatsminister, Sie kennen wahrscheinlich den An-
rag Ihrer Genossen aus dem Bundestag nicht. Bei der
PD weiß offensichtlich die Linke nicht, was die Rechte
ut, und das Land weiß nicht, was der Bund tut. Zudem
erabschiedet sich der Herr Staatsminister auch noch in
ine Pause, während wir über die Zukunft diskutieren.
as sollte man auch einmal ansprechen.
Herr Kollege Aumer, erlauben Sie eine Zwischen-
rage der Kollegin Haßelmann?
Nein, keine Zwischenfrage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD,
erspektiven zielen auf die Zukunft. Sie haben die Zu-
unft aber doch schon längst aus dem Blick verloren. Es
eht nicht um ein bisschen „Rauf und Runter“; damit ha-
en Sie vollkommen recht, Herr Troost. Wir arbeiten für
8540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Peter Aumer
)
)
eine klare Struktur der Kommunalfinanzen. Deswegen
nehmen wir uns in der Debatte Zeit, und zwar die Zeit,
die Sie uns nicht lassen wollen. Man braucht aber Zeit,
um ganz konkret über Themen zu diskutieren und um
das Band zwischen Ländern und Kommunen neu auszu-
richten.
Wir, die christlich-liberale Koalition, arbeiten an un-
serem Wählerauftrag für die Zukunft unseres Landes.
Zur Zukunft gehört Verlässlichkeit, die Sie von der SPD
bei Stuttgart 21 und bei der Rente mit 67 vermissen las-
sen. Das ist keine verlässliche Politik.
Die Bundeskanzlerin hat in Ihrer Haushaltsrede die
tragenden Säulen unserer Politik angesprochen:
Wir sind erstens für eine starke Wirtschaft, zweitens
für einen starken Staat und drittens für ein starkes
Gemeinwesen.
Um genau diese drei Punkte kümmert sich die Gemein-
definanzkommission. Damit soll erreicht werden, dass
das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen eine
tragfähige Zukunft hat.
Das Gemeinwesen, das in einem noch stärkeren Wett-
bewerb um die besten Entscheidungen steht, muss sich
auf neue Gegebenheiten einstellen. Darüber hinaus müs-
sen in Zukunft die Menschen noch stärker an der politi-
schen Diskussion beteiligt werden. Genau daran arbeiten
wir als christlich-liberale Koalition. Lassen Sie uns kon-
struktiv zum Wohle unserer Kommunen, zum Wohle un-
seres Gemeinwesens und zum Wohle unseres Staates ar-
beiten. Frau Haßelmann, wo sind denn Ihre Vorschläge?
Die Gemeindefinanzkommission hat angekündigt, im
Januar werde das Ergebnis bekannt gegeben. Dann kön-
nen wir im Parlament darüber diskutieren.
– Oder im Februar. Über einen Monat später oder früher
sollten wir uns nicht streiten. Ich weiß aber schon, was
die Grünen sagen werden. Sie werden sagen: Wir sind
dagegen.
Denn in den vergangenen Wochen und Monaten war es
immer so, dass wir für die Zukunft arbeiten und Sie da-
gegen sind.
Wir sind im Großen wie im Kleinen ein verlässlicher
Partner für die Kommunen. Der Bundesverkehrsminis-
ter, den die CSU stellt, Peter Ramsauer, hat zum Beispiel
eine Regelung für den Feuerwehrführerschein auf den
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In der Politik muss man aber unterscheiden zwischen
em, was pragmatisch umzusetzen ist, und dem, was
issenschaftlich machbar ist. Wir arbeiten für eine prag-
atische und für eine verlässliche Politik, die Zukunft
chafft und die neue Perspektiven eröffnet.
Die SPD konnte das mit ihrem Antrag heute nicht er-
eichen. Machen Sie konstruktive Vorschläge! Machen
ie Vorschläge, die auf die Zukunft ausgerichtet sind, die
an mit Zahlen untermauern kann und die eine verlässli-
he Politik für unsere Gemeinden hinsichtlich der Finan-
en bedeuten.
Der Herr Staatsminister hat im Übrigen nicht gesagt,
ie er sein Land voranbringen möchte. Herr Kaster hat
orhin aufgezeigt, dass es eine gemeinsame Politik ge-
en muss, eine gemeinsame Politik von Bund, Ländern
nd Kommunen. Ich glaube, nur in einem verlässlichen
iteinander können wir zukunftsfähige Politik gestal-
en. Deswegen bitte ich Sie und fordere Sie auf: Lassen
ie uns nicht in Phrasen diskutieren, sondern lassen Sie
ns an der Zukunft arbeiten! Machen Sie substanzielle
orschläge! Lassen Sie die Gemeindefinanzkommission
um Ende ihrer Beratungen kommen! Wir werden auf
er Grundlage der Ergebnisse dieser Kommission und
m Einklang mit den Kommunen eine gute Zukunft ge-
talten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
iese Debatte zeigt, wie gemeingefährlich diese schwarz-
elbe Koalition für die Menschen und die Kommunen ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8541
Dr. Carsten Sieling
)
)
Sie haben hier in aberwitziger Weise darüber gejammert,
dass die Einnahmen aus der Gewerbesteuer Schwankun-
gen aufweisen; das ist in der Tat so. Sie haben aber keine
Vorschläge gemacht, aus denen hervorgeht, wie diese
Einnahmen zu stabilisieren sind. Vielmehr machen Sie
Vorschläge, die zum Ziel haben, sie weiter zu schwächen
und zu unterlaufen. Damit machen Sie die Kommunen
kaputt.
Ich bin sehr froh, dass meine Fraktion den vorliegen-
den Antrag eingebracht hat, in dem wir uns ausdrücklich
hinter das sogenannte Kommunalmodell stellen. Das
heißt, wir haben kein Verständnis dafür, dass die Gewer-
besteuer in der jetzigen Form – so bewährt sie auch ist –
den Handwerker belastet, während sein Steuerberater
und sein Rechtsanwalt von dieser Steuer befreit sind.
Das geht nicht. Das ist eine ungerechte Steuer.
Man muss die Bemessungsgrundlage der Gewerbe-
steuer erweitern; das ist ein Vorschlag. Dafür hätten Sie
sich einsetzen sollen. So käme man zu einem vernünfti-
gen Kompromiss in der Kommission zur Reform der Ge-
meindefinanzen. Aber Sie jagen diese Kommission – ich
will ausdrücklich wiederholen, was Herr Minister Kühl
hier sehr deutlich gemacht hat – von links nach rechts.
Die Bundesregierung setzt eine Kommission ein, und
dann kommt ein Koalitionsausschuss, der andere Vor-
schläge macht. Das hat nichts mit Demokratie zu tun. Sie
wollen eine Koalitionsherrschaft ausüben. Das geht
nicht. Das schadet den Menschen.
Ich möchte in den letzten wenigen Sekunden, die mir
als Redezeit verbleiben, einen weiteren aberwitzigen
Punkt aufgreifen, den der schon nicht mehr anwesende
Vorsitzende des Finanzausschusses, Herr Wissing – ihm
ist das anscheinend nicht so wichtig –, angesprochen hat.
Er hat uns vorgeworfen, wir würden die Ausgabenpro-
blematik nicht angehen. Ich will es konkretisieren: In
der letzten Woche ist in diesem Haus der Haushalt be-
schlossen worden. Die SPD hat im Haushaltsausschuss
vorgeschlagen, die Kommunen bei den Kosten der Un-
terkunft um 400 Millionen Euro und bei der Grundsiche-
rung im Alter um 300 Millionen Euro zu entlasten sowie
vor allem die Streichungen bei der Städtebauförderung
zurückzunehmen. Wir haben insgesamt 1 Milliarde Euro
mehr für die Kommunen gefordert. Aber Sie von der
schwarz-gelben Koalition haben das abgelehnt. Auch da
haben Sie die Kommunen geschwächt.
Sie reden über das eine, tun aber etwas ganz anderes.
Das ist nicht vertretbar. Ändern Sie Ihre Politik! Machen
Sie etwas für die Menschen!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Herr Kollege Sieling, ich möchte darauf hinweisen,
ass keine Fraktion in diesem Hause gemeingefährlich
t.
ir arbeiten nach demokratischen Prinzipien zusam-
en.
Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
ich, dass Sie, Herr Präsident, den Begriff „Gemeinge-
ährlichkeit“ abgeräumt haben. Ich wäre sonst ausführ-
ich darauf eingegangen. Ich glaube, dass die Politik der
hristlich-liberalen Koalition das genaue Gegenteil von
emeingefährlich im Hinblick auf die Kommunen ist.
Ich will das am Wachstumsbeschleunigungsgesetz,
as heute vielfach erwähnt worden ist, deutlich machen.
in wesentliches Element des Wachstumsbeschleuni-
ungsgesetzes ist, dass es durch die Erhöhung des Kin-
ergeldes und des Kinderfreibetrages 4,5 Milliarden
uro mehr für Familien, für „ganz normale“ Menschen
n diesem Land gibt.
ir haben so die Kaufkraft der Menschen in den Kom-
unen gestärkt. An den aktuellen Zahlen sehen wir, dass
ie Menschen von der gestiegenen Kaufkraft Gebrauch
achen. Das schlägt sich erfreulicherweise in allen
teuerkassen nieder, auch in den Steuerkassen der Kom-
unen.
Ich halte von diesen wissenschaftlichen Musterrech-
ungen, wonach die Kommunen aufgrund des Wachs-
umsbeschleunigungsgesetzes 1,5 Milliarden Euro Min-
ereinnahmen haben, gar nichts. Das sage ich ganz
ffen; denn diese Rechnungen gehen davon aus, dass die
irtschaft völlig statisch ist:
lle produzieren immer das Gleiche, alle verdienen das
leiche, und die Unternehmen machen bei diesen Rech-
ungen immer die gleichen Gewinne. Wir erleben im
oment aber einen grandiosen konjunkturellen Auf-
chwung in diesem Land.
8542 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Mathias Middelberg
)
)
Dieser wirkt sich aus und schlägt sich in mehr Kaufkraft
und in höheren Steuereinnahmen nieder.
Selbst wenn Sie niedrigere Sätze haben, haben Sie unter
dem Strich mehr Einnahmen. Das kann Ihnen jedes
Milchmädchen ausrechnen.
Der Kollege Götz hat richtigerweise auf Folgendes
hingewiesen: Als wir 2005 mit Ihnen starteten, hatten
wir 5 Millionen Arbeitslose in diesem Land. Wir haben
jetzt die 3-Millionen-Grenze unterschritten. Die Per-
spektive für die kommende Zeit ist hervorragend. Wir
reden sogar schon über Facharbeitermangel. Das ist eine
Situation, die die Kommunen im Bereich der Sozialaus-
gaben ganz gewaltig entlastet. Das ist nicht nur – das
nehmen wir gar nicht für uns allein in Anspruch –, aber
auch Ausfluss des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes,
durch dessen zweiten Teil vor allem die Mittelständler
und die kleinen Unternehmen in diesem Land aufgrund
der Sofortabschreibungen, Verlustnutzung usw. entlastet
werden.
Wenn wir schon von problematischer Politik im Hin-
blick auf die Kommunen reden – ich will gar nicht die
Vergangenheit bemühen, sondern auf die aktuelle Be-
schlusslage der SPD verweisen –, dann möchte ich Sie
auf ein Zitat des Geschäftsführers des Deutschen
Städte- und Gemeindebundes hinweisen, der sich mit
Ihren Vorschlägen zur Hartz-IV-Politik und der Verab-
schiedung von der Agendapolitik auseinandergesetzt hat.
Die Mehrleistungen und den Verzicht auf Vermögens-
und Einkommensprüfung, den Sie beschlossen haben,
bezeichnet der Deutsche Städte- und Gemeindebund als
unbezahlbar. Es gelte, die Eigenverantwortung der Bür-
ger zu stärken, statt immer wieder den Eindruck zu ver-
mitteln, der Staat könne weiter ein Rundum-sorglos-Pa-
ket finanzieren. Zitat:
Wer aus eigener Arbeitskraft oder mit eigenem Ver-
mögen seinen Unterhalt bestreiten kann, darf nicht
noch zusätzliche Transferleistungen erhalten …
Wenn wir das umsetzen würden, wäre das eine Belas-
tung der Kommunen. Was Sie hier vorschlagen, ist allen-
falls eine Mogelpackung; denn Sie wollen die Gewerbe-
steuer erhöhen, aber auf der anderen Seite sorgen Sie
auch für eine Mehrbelastung der Kommunen im Hartz-IV-
Bereich. Das ist doch völlig unglaubwürdig.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen.
Die Gewerbesteuer hat Nachteile; diese sind genannt
worden. Sie hat auch manche Vorteile. Aber es geht doch
wirklich nicht, die Hinzurechnung so darzustellen, dass
man Gewinne gewissermaßen in Mieten und Pachten
übersetzen kann.
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Nein, Herr Poß, Sie haben es nicht begriffen. Der ist
ertig und macht Pleite, und dann sind die Arbeitsplätze
erloren.
as führt zu toten Innenstädten, wo vorher der Einzel-
andel floriert hat. Das wäre das Ergebnis Ihrer Politik.
eswegen haben wir die Hinzurechnungen nicht erhöht,
ondern reduziert; denn wir wollen etwas für das Leben
n den Innenstädten tun.
s ist geradezu empörend, dass Sie diese Banalitäten im-
er wieder als Lösungsmodell anpreisen. Das halte ich
irklich für empörend.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem Zuschlag
ur Einkommensteuer mit kommunalem Hebesatz ma-
hen. Sie kritisieren das in aller Breite. Die kommunalen
erbände äußern sich dazu durchaus differenziert. Der
eutsche Städte- und Gemeindebund hat gesagt, die
orrorszenarien, von denen die SPD spreche, seien völ-
ig wirklichkeitsfremd, sonst hätten unterschiedliche Ab-
all- und Abwassergebühren längst zu einer Abwande-
ung ins Umland führen müssen. Die Kollegin Tillmann
at zu Recht auf das Thema Grundsteuer hingewiesen.
uch bei der Gewerbesteuer haben wir unterschiedliche
ätze, und das Land leidet nicht darunter. Im Gegenteil:
ie sprechen sich in dem Punkt ja sogar dafür aus. Pro-
essor Henneke vom Deutschen Landkreistag sagt, der
ebesatz stärke die kommunale Selbstverwaltung aus-
rücklich. Der Bürger könne damit besser sehen, was die
eistungen der Gemeinde kosten. Er rechne damit, dass
an sorgsam mit diesem Instrument umgehen werde.
Daran sollten wir uns auch halten und den Verlauf der
iskussion ganz sachlich abwarten. Ich finde, es handelt
ich in keiner Weise um ein Diktat des Ministers. – Herr
inister Kühl, es wäre zweckmäßig, wenn Sie während
iner Debatte, in der Sie als Auftaktredner aufgetreten
ind, weiterhin aufmerksam teilnähmen.
Ich finde, es ist überhaupt nicht empörend, dass es ei-
en Vorschlag des Ministers gibt. Es gibt eine gemein-
ame Presseerklärung des Ministeriums und der kommu-
alen Spitzenverbände. Es gibt gewissermaßen einen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8543
Dr. Mathias Middelberg
)
)
Zwischenbericht der Kommission, der zeigt, wo man
sich über die verschiedenen Punkte einig ist.
Wir sollten jetzt die sachliche Diskussion über den
Vorschlag von Herrn Schäuble abwarten. Die Situation
der Kommunen ist zu ernst, als dass wir tatsächlich auf
die Schnellschüsse von Ihnen reagieren sollten.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3996 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall, dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit
dem Titel „Rettungsschirm für Kommunen – Strategie
für handlungsfähige Städte, Gemeinden und Land-
kreise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/4060, den Antrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1152 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und Enthaltung der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 i sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 23. Juni 2010 zur Änderung des
Protokolls über die Übergangsbestimmungen,
das dem Vertrag über die Europäische Union,
dem Vertrag über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union und dem Vertrag zur Grün-
dung der Europäischen Atomgemeinschaft
beigefügt ist
– Drucksache 17/3357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Berufskraftfahrer-Qualifika-
tions-Gesetzes
– Drucksache 17/3800 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des ZIS-Ausführungsgesetzes und ande-
rer Gesetze
– Drucksache 17/3960 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 29. März 2010 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und St. Vincent
und die Grenadinen über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informa-
tionsaustausch
– Drucksache 17/3959 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 7. Juni 2010 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und St. Lucia über
den Informationsaustausch in Steuersachen
– Drucksache 17/3961 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 17. Juni 2010 zur Änderung des
Abkommens vom 8. März 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und Malta zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen
– Drucksache 17/3962 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
g) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Burkhard Lischka, Dr. Peter Danckert, Martin
Dörmann, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die
Wahrnehmung von Urheberrechten und ver-
– Drucksache 17/3991 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Swen
Schulz , Dr. Ernst Dieter Rossmann,
8544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
)
)
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Bei Aussetzung der Wehrpflicht Hochschul-
pakt aufstocken
– Drucksache 17/4018 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Birgitt Bender, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Umsetzung der EU-Health-Claims-Verord-
nung voranbringen
– Drucksache 17/4015 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Oliver Krischer, Bettina Herlitzius, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Ungebundene EU-Mittel aus dem Konjunk-
turpaket unverzüglich für mehr Ener-
gieeffizienz und erneuerbare Energien nutzen
– Drucksache 17/4017 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 37 a bis
37 k. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vor-
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 37 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
von Cramon-Taubadel, Marieluise Beck (Bre-
men), Volker Beck , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
OSZE-Vorsitz für Reformen in Kasachstan
nutzen
– Drucksachen 17/1432, 17/2476 –
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Tagesordnungspunkt 37 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 175 zu Petitionen
– Drucksache 17/3922 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 175 ist bei Gegenstimmen
von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übri-
gen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 176 zu Petitionen
– Drucksache 17/3923 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 176 ist bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übri-
gen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 177 zu Petitionen
– Drucksache 17/3924 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 177 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Linken und der Grünen angenommen.1)
Tagesordnungspunkt 37 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 178 zu Petitionen
– Drucksache 17/3925 –
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 178 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 37 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 179 zu Petitionen
– Drucksache 17/3926 –
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 179 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Grünen
bei Gegenstimmen von SPD und Linken angenommen.
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B1) Anlage 2
ass sie eine unbefristete Stelle haben wollen. Das ist na-
ürlich auch wichtig für die Vereinbarkeit von Familie
nd Beruf, die uns so sehr am Herzen liegt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum ist
as nun ein Thema, warum diese Aktuelle Stunde? Weil
ir den wissenschaftlichen Nachwuchs brauchen! Wir
rauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen. Immer
ehr Leute wollen studieren – das ist wunderbar –, aber
ie müssen natürlich auch ausgebildet werden. Dafür
raucht es entsprechend qualifiziertes Personal. Wir
rauchen daneben natürlich auch Forscherinnen und
orscher, die uns voranbringen, die uns in verschiedenen
ereichen Problemlösungen anbieten. Dabei entstehen
8546 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Swen Schulz
)
)
Schwierigkeiten, wenn Leute von schlechten Arbeitsbe-
dingungen abgeschreckt werden.
Ich möchte aus dieser aktuellen Studie gern etwas
vorlesen, nämlich das Zitat von einer im Bereich Natur-
wissenschaften tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiterin
einer Universität:
Die Gefahr, nach jahrelangem „Durchschlagen“ auf
befristeten Stellen und einem gewissen „Berufsno-
madentum“ am Ende keine permanente Stelle zu
bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu ge-
hen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die
Arbeit in der Wissenschaft mag.
Wir sehen an diesem Zitat, dass wir Menschen verlieren,
dass wir ihre Kompetenzen verlieren. Das können wir so
nicht hinnehmen. Da müssen wir gegensteuern.
Es gilt auch hier der sozialdemokratische Grundsatz
von der guten Arbeit. Nur mit Perspektiven und nur mit
guten Arbeitsbedingungen können wir die Leute gewin-
nen, und nur so können diese auch die exzellenten Leis-
tungen abliefern, die wir von ihnen sehen möchten. Das
wollen wir erreichen: gute Arbeit, auch in der Wissen-
schaft.
Das Thema ist natürlich nicht ganz neu, auch wenn
wir hier eine aktuelle Studie haben. Die Bundesregie-
rung hat bereits 2008 in dem umfangreichen „Bundesbe-
richt zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuch-
ses“ selbst festgestellt, dass es durchaus Probleme gibt.
Die Frage ist bloß: Was tut die Bundesregierung, um die-
ses Problem zu lösen? – Unter Rot-Grün haben wir Re-
gelungen zur Ausschaltung von Kettenbefristungen ge-
schaffen, und in der Großen Koalition haben wir das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz gemacht. Wir haben
aber gleichzeitig gesagt, dass es evaluiert werden soll,
weil wir gucken müssen, was tatsächlich in der Realität
passiert. Wir haben die Bundesregierung damit beauf-
tragt, eine Evaluation vorzulegen.
Meine sehr verehrten Herren Staatssekretäre, die Evalua-
tion durch die Bundesregierung ist überfällig. Wo ist der
Bericht? Legen Sie ihn vor, damit wir da weiterkommen.
Tatsächlich müssen wir überlegen: Reichen die jetzi-
gen Bestimmungen aus, oder sind sie vielleicht sogar an
der einen oder anderen Stelle kontraproduktiv? Ein
Punkt scheint mir jedenfalls jetzt schon klar zu sein: Die
Tarifsperre muss weg.
Es sollte die Möglichkeit geben, dass Arbeitgeber und
Arbeitnehmer gemeinsam Regelungen über das Gesetz-
liche hinaus treffen. Das sollte gerade in diesem Bereich
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Der zweite Punkt sind Juniorprofessuren. Unter Rot-
rün haben wir Juniorprofessuren eingeführt und auch
efördert, weil das vielen Nachwuchswissenschaftlern
erspektive gibt. Da stellt sich die Frage, warum unter
er Regie von Frau Schavan die Förderung beendet bzw.
ein neues Programm aufgelegt wurde. Wir wollen Ju-
iorprofessuren. Deswegen schlagen wir ein neues
und-Länder-Programm vor: 1 000 Juniorprofessuren –
as wäre ein guter Beitrag.
Der dritte Punkt ist: Der sogenannte Tenure Track,
lso der Karriereweg an der eigenen Hochschule, muss
usgebaut werden. Die Bundesregierung sollte da aktiv
erden und mit den Ländern ins Gespräch kommen, wie
ir den Tenure Track ausbauen können.
Der vierte Punkt ist: Die Hochschulen müssen eine
olide Personalentwicklungsplanung machen. Das ist
eicht gesagt, aber schwerer getan. Da muss Überzeu-
ungsarbeit geleistet werden. Da müssen Kompetenzen
ufgebaut werden. Ich habe da einen kleinen Vorschlag
ür die Bundesregierung: Sie bieten seit neuerem Kurse
ür Hochschulen an, wie Stipendien eingeworben wer-
en können. Wie wäre es, wenn Sie einmal etwas Ver-
ünftiges machen und Kurse für Personalentwicklungs-
lanung anbieten? – Das wäre doch ein vernünftiger
eitrag.
Und der fünfte Punkt: Es gibt eine Menge Bund-Län-
er-Programme im Hochschulbereich, etwa den Hoch-
chulpakt und die Exzellenzinitiative. Die Bundesregie-
ung hat in ihrem Bericht gesagt, dass mit dem
ochschulpakt sicherlich alles viel besser für die Nach-
uchswissenschaftler wird. Aber Vertrauen allein reicht
icht. Da muss man auch genauer hinschauen und viel-
eicht auch einmal den Erhalt von Bundesmitteln an
indestarbeitsbedingungen knüpfen und Anreize für
ute Arbeit einbauen. Es kann nicht sein, dass – wie es
atsächlich insbesondere in der Hochschullehre häufig
assiert – Leute nachgerade ausgebeutet werden, zu
anz schlechten Bedingungen Arbeit leisten, die eigent-
ich von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ge-
eistet werden sollte. Dem müssen wir einen Riegel vor-
chieben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8547
)
)
Herr Kollege Schulz, kommen Sie bitte zum Schluss.
Herr Präsident, Sie wollen keine weiteren Punkte hö-
ren? Das ist natürlich traurig. Ich hätte noch einiges an-
zubieten, zum Beispiel aus dem Drittmittelsektor.
Letzter Satz: Wir sollten im Ausschuss dieses Thema,
das nicht leicht ist, seriös und sachlich auf der Basis der
Evaluation diskutieren, die dann hoffentlich bald kommt
– Herr Staatssekretär, Sie können dazu gleich etwas sa-
gen –, und dann tatsächlich Konsequenzen ziehen. Diese
Debatte hier sollte dafür ein Auftakt sein.
Herzlichen Dank.
Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamen-
tarische Staatssekretär Dr. Helge Braun.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft
Deutschlands liegt ganz erheblich in den Händen junger
Nachwuchswissenschaftler. Wir erwarten von ihnen Bei-
träge zur Lösung unserer Klimaprobleme, der Welt-
ernährung, der Energieversorgung, der Volkskrankheiten
und internationaler Konflikte. Wir erwarten von ihnen
auch Innovationen, sodass Wachstum und soziale Si-
cherheit in Zeiten des demografischen Wandels verste-
tigt werden können.
Deshalb steht selbstverständlich der wissenschaftli-
che Nachwuchs mitten im Fokus der Politik der Bundes-
regierung und des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung.
Junge Forscher sind oft voller Begeisterung; aber ich
bin sicher, dass sie deutlich weniger davon begeistert
sind, dass diese Aktuelle Stunde – der Auftakt der De-
batte zum Thema Nachwuchswissenschaftler – mit dem
polemischen Titel „Fehlende Aktivitäten der Bundesre-
gierung hinsichtlich der Zukunftsängste des wissen-
schaftlichen Nachwuchses“ versehen wurde. Ich glaube
nicht, dass Sie damit die klügsten Köpfe in diesem Land
beeindrucken können.
Als aktuellen Aufhänger haben Sie die HIS-Studie zi-
tiert, die sich der Situation der Nachwuchswissenschaft-
ler in Deutschland widmet. Es war Bundesministerin
Annette Schavan, die 2008 den ersten „Bundesbericht
zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses“
vorgelegt hat.
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s war diese Bundesregierung, die den HIS-Bericht
Wissenschaftliche Karrieren“ in Auftrag gegeben hat,
amit wir erstmals empirische Zahlen zur Situation des
issenschaftlichen Nachwuchses erhalten. Schon dieser
ericht, aus dem Sie heute hier zitieren, ist ein erster Be-
eis dafür, dass die Bundesregierung nicht tatenlos ist,
ondern sich intensiv diesem Thema widmet.
Wenn Sie sich den Bericht anschauen, dann sehen Sie,
ass die Nachwuchswissenschaftler gebeten wurden,
en folgenden Satz zu vervollständigen:
„Wenn ich meine berufliche Situation ändern
könnte, dann würde ich …“
er Punkt, der am meisten genannt wurde, war: „Unbe-
ristete Stelle“. An zweiter Stelle lag: „Bezahlung“. Ich
laube, dass es kaum eine Berufsgruppe gibt, in der die
rbeitszufriedenheit so hoch ist wie bei den Nachwuchs-
issenschaftlern, denn an dritter Stelle lag die Nennung:
Nichts ändern“. Ich denke, das macht deutlich, dass
ier viele junge Menschen mit Engagement und Freude
issenschaftlich tätig sind. Deswegen ist es aus meiner
icht völlig falsch, wie Sie bei diesem Thema stigmati-
ieren.
Die Studie macht im Hinblick auf die Einkommens-
ituation deutlich, dass junge Wissenschaftlerinnen und
issenschaftler geradezu mit großer Freude daran arbei-
en, ihren Weg an den Universitäten und außeruniversitä-
en Forschungseinrichtungen fortzusetzen; sie haben ein
roßes Interesse daran und sind sogar bereit, ein geringe-
es Einkommen in Kauf zu nehmen, wenn sie weiterhin
ber die Freiheiten des Wissenschaftssystems verfügen
ürfen.
Ich will etwas zur Situation von Akademikern am Ar-
eitsmarkt sagen, die nicht in die Wissenschaft, sondern
n die freie Wirtschaft gehen. Diejenigen mit einem aka-
emischen Abschluss haben die weitaus besten Chancen
m Arbeitsmarkt. Die Bundesagentur für Arbeit hat für
as Jahr 2009 entsprechende Zahlen herausgegeben: Da-
ach gibt es bei der Beschäftigung von Akademikern
ine positivere Entwicklung als bei allen Beschäftigten.
kademiker sind am kürzesten arbeitslos. Die Zahl der
eschäftigten hat bei den Akademikern in den letzten
ehn Jahren um 21 Prozent zugenommen, bei allen Be-
chäftigten hat sie um 2 Prozent abgenommen. Allein im
etzten Jahr hat sie um 3,5 Prozent zugenommen, bei al-
8548 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
)
)
len Beschäftigten um 0,3 Prozent abgenommen. – Wenn
Sie die absoluten Zahlen wissen wollen: Am Ende der
Regierung Schröder gab es 244 000 arbeitslose Akade-
miker; heute sind es 167 000, also deutlich weniger als
damals.
Sie haben das Thema Tenure Track angesprochen. Sie
wissen genau, dass Sie sich damit am allerwenigsten an
die Bundesregierung richten müssen. Wir haben zum
Beispiel im Bereich der Helmholtz-Gemeinschaft den
Nachwuchswissenschaftlern und Gruppenleitern in vie-
len Fällen einen solchen Tenure Track angeboten, also
die Möglichkeit, bei positiver Evaluation ihrer Tätigkeit
unbefristete Stellen zu bekommen. Es treibt auch die
Bundesregierung um, dass sich der Tenure Track an vie-
len Universitäten – und zwar nicht aufgrund fehlender
Initiativen der Bundesregierung – noch nicht so durchge-
setzt hat, wie sich das viele junge Nachwuchswissen-
schaftler wünschen. Ich denke, die Berichte, die wir an
dieser Stelle abgegeben haben, können dazu beitragen,
dass dieses Thema in sachlicher Weise weiter vorange-
bracht wird.
Sie brandmarken hier die Untätigkeit der Bundesre-
gierung. Dazu will ich einige Sätze sagen, Herr Kollege:
Erstens. Sie haben selber die Exzellenzinitiative ange-
sprochen. Die vom Bund finanzierte Exzellenzinitiative
hat 3 800 neue Jobs für Nachwuchswissenschaftler ge-
schaffen.
In der zweiten Runde der Exzellenzinitiative werden es,
wenn es sich verstetigt, bis zu 5 400 sein.
Zweitens haben wir darüber hinaus im Zusammen-
hang mit der Exzellenzinitiative 39 Graduiertenschulen
geschaffen.
Drittens sorgt der Pakt für Forschung und Innovation
dafür, dass das Gleiche auch an den außeruniversitären
Forschungseinrichtungen geschieht.
Viertens. Sie haben auch das Thema der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf angesprochen. Das Programm
„Zeit gegen Geld“ ist ein erfolgreiches Programm zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Familienkom-
ponente im Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben Sie
selbst genannt.
Zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz will ich Ihnen
sagen: Sie werden die Evaluation Anfang nächsten Jah-
res bekommen. Sie wird sogar noch viel umfangreicher
werden als das, was dem ursprünglichen Auftrag ent-
spricht, und um weitere Facetten ergänzt.
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Was haben wir fünftens getan? Wir haben die Mittel
ür die Begabtenförderung, insbesondere für die Promo-
ionsstipendien, von 30 auf 50 Millionen Euro jährlich
ngehoben. Damit steht einem Promotionsstudierenden
n den Begabtenförderungswerken jetzt ein monatliches
alär von 1 050 Euro zur Verfügung.
Was haben wir sechstens gemacht? Wir haben in den
roßen Forschungsprogrammen Nachwuchsgruppen eta-
liert, zum Beispiel im Gesundheitsforschungspro-
ramm oder im Programm der empirischen Bildungsfor-
chung.
Wir haben siebtens die Programme „PhD-Net“ und
ganz erfolgreich – auch das Programm „International
romovieren“ gestartet.
Und wir haben achtens mit dem KISSWIN-Netzwerk
in erfolgreiches Netzwerk etabliert. Ich konnte im letz-
en Jahr selber die entsprechende Tagung eröffnen, auf
er junge Nachwuchswissenschaftler nicht nur Transpa-
enz im Hinblick auf ihren Karriereweg bekommen, son-
ern sich auch erfolgreich vernetzen können.
Wir haben neuntens die Rückkehrperspektiven nach
uslandsaufenthalten verbessert. Ich glaube, die
lexander-von-Humboldt-Professur ist etwas, was in der
anzen Welt Beachtung findet. Gleichzeitig, seit 2009,
ibt es auch das DAAD-Programm zur Rückführung und
ückgewinnung von deutschen Wissenschaftlern.
Doch nicht nur die Bundesregierung direkt, sondern
uch die DFG hat ermöglicht, dass zukünftig Promovie-
ende – Sie haben ihre Arbeitsverhältnisse angespro-
hen – mehr als 50 Prozent einer Stelle in Anspruch
ehmen können. Die DFG hat 301 Graduiertenkollegs
nd -schulen gebildet. Wir haben das Emmy-Noether-
rogramm und die Heisenberg-Professur, den Heinz-
aier-Leibnitz-Preis und vieles andere.
Also, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von der SPD, ich glaube, es wird deutlich:
as, was die Regierung in den letzten Jahren auf den
eg gebracht hat, ist das, was Deutschland braucht,
ämlich die Leistungsträger in unserem Land – und das
ind die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nach-
uchswissenschaftler – deutlich zu stärken. Wir haben
ine Vielzahl von Initiativen. Mit der vorliegenden Stu-
ie und der Fortschreibung des von uns erstmals vorge-
egten „Bundesberichtes zur Förderung des Wissen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8549
Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
)
)
schaftlichen Nachwuchses“ werden wir an dem Thema
weiter arbeiten, damit die jungen Menschen in Deutsch-
land, die Nachwuchswissenschaftler, bei guten berufli-
chen Perspektiven entscheidend dazu beitragen können,
dass Deutschland eine gute Zukunft hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss
Studien wirklich ernst nehmen und auch lesen können.
Und die Studie der HIS GmbH, die Anlass dieser De-
batte ist, zeigt eines ganz deutlich: Das Rennen um die
Einwerbung zusätzlicher Forschungsgelder, also um die
sogenannten Drittmittel, führt zu einer deutlichen Ver-
schlechterung der Beschäftigungsbedingungen des wis-
senschaftlichen Nachwuchses an Wissenschaftseinrich-
tungen.
Zwischenzeitlich arbeiten mehr Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler auf solchen Drittmittelstellen
als auf Stellen, die aus den regulären Haushalten finan-
ziert werden. Der wissenschaftliche Mittelbau bzw.
Nachwuchs bildet heute die Verschiebemasse in den
Haushalten von Hochschulen und Instituten. Die Betrof-
fenen sind quasi zum akademischen Proletariat gewor-
den.
Alle bisherigen Studien, auch diese jüngste, zeigen uns:
Wer in das deutsche Wissenschaftssystem einsteigt, kann
auch gleich auf einem Vulkan tanzen. Es ist nämlich völ-
lig offen, ob man sich halten kann, oder ob man wieder
ausgestoßen wird. Wissenschaftliche Dauerstellen – das
haben Sie schon gesagt, Herr Kollege – im Mittelbau
verglühen nämlich immer mehr. Laut HIS-Umfrage ha-
ben nur noch 9 Prozent der Befragten an Universitäten
und 6 Prozent an außeruniversitären Einrichtungen eine
unbefristete Stelle inne. Es dominiert die befristete Be-
schäftigung. Doch damit nicht genug: Auch die Dauer
der Befristung wird ständig eingedampft. Deutlich mehr
als die Hälfte der Befragten hat einen Vertrag mit einer
Laufzeit von weniger als 24 Monaten. Ein Viertel der
Bezugsgruppe hat einen Vertrag mit einer Laufzeit von
weniger als einem Jahr. Dann finden sich noch ganz bi-
zarre Erscheinungen. Uns wird in jüngster Zeit immer
öfter von Monats- oder sogar Wochenverträgen berich-
tet, und das im Wissenschaftsbereich.
Deutschland, ein Land der Ideen, wie Sie immer so
schön sagen? Angesichts dieser Entwicklung kommen
Hochqualifizierte nur auf eine Idee: Weggehen, und das
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as Einzige, was Sie nach dieser Anhörung gemacht ha-
en, ist, ein Internetportal zu schaffen, damit man die
tellenvermittlung besser gestalten kann. Ansonsten se-
en Sie Ihre Aufgaben der Förderung des Nachwuchses
it der Projektförderung und vor allem mit der Exzel-
enzinitiative als erledigt an.
Die Exzellenzinitiative löst die Probleme aber nicht,
ondern sie verschärft sie weiter. Ich will das kurz erklä-
en. Man hat also, wie Sie schon erwähnt haben, etwa
000 Projektstellen in einem hochspezialisierten Be-
eich geschaffen. Das ist zusätzliches Personal. Dieses
nd das bereits vorhandene Personal steuern auf das
leiche Nadelöhr zu. Dahinter liegen die bereits erwähn-
en höchst seltenen Dauerstellen. Dort aber gibt es, wie
ir wissen, keinen Aufwuchs. Deshalb werden von den
ielen über die Exzellenzinitiative Geförderten später
iele keine Beschäftigung an Hochschulen und Instituten
inden. Die Gewerkschaften haben uns früh auf diesen
iderspruch hingewiesen. Schon deshalb hätte weder
ot-Grün die Exzellenzinitiative noch Schwarz-Rot spä-
er das Wissenschaftszeitvertragsgesetz beschließen dür-
en. Erst dieses Gesetz hat die unbegrenzte Befristung
on Drittmittelstellen möglich gemacht.
Wie dem auch sei: Wenn sich mit dieser Debatte eine
hance eröffnet, diese Fehler zu korrigieren, dann soll-
en wir sie entschlossen nutzen. Tilgen Sie die Fehler im
esetz; einige sind schon genannt worden. Kippen Sie
ie Tarifsperre, damit Gewerkschaften und Arbeitgeber
ktiv gegen diese miesen Arbeitsbedingungen im Dritt-
ittelbereich vorgehen können. Stellen Sie endlich das
ooperationsverbot ins Abseits, damit das Ausufern des
rittmittelsektors begrenzt werden kann. Stellen Sie die
asisfinanzierung von Hochschulen und Forschungsein-
ichtungen auf sichere Füße. Schließlich – da kann ich
ich meinem Kollegen aus der SPD-Fraktion nur an-
chließen –: Legen Sie ein Stellenprogramm von Bund
nd Ländern vor, damit insbesondere im Postdocbereich,
lso in der Zeit nach der Promotion, verlässliche Be-
chäftigungschancen angeboten werden können.
Danke schön.
8550 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Martin Neumann
von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Zukunftsperspektive junger Menschen
beschäftigt dieses Haus des Öfteren. In der Vergangen-
heit haben wir oft über Bildungsverlierer, Schulabbre-
cher und dergleichen gesprochen. Heute, in dieser De-
batte, stellen wir uns die Frage nach der Situation derer,
die eigentlich auf der Sonnenseite der Gesellschaft ste-
hen müssten. Letztendlich geht es um diejenigen, die den
Sprung in das wissenschaftliche Ausbildungssystem ge-
schafft haben und – das sage ich auch als Hochschulpro-
fessor – den Weg in Richtung Wissenschaft gehen wol-
len.
Wie geht es also unseren Doktoranden, Postdoktoran-
den und Juniorprofessoren? Die Studie, auf die diese Dis-
kussion Bezug nimmt, die HIS-Studie, basiert auf Zahlen
aus dem Jahr 2009. Die Frage, wie es heute aussieht,
muss man sicherlich durchaus differenziert beantworten.
Bei den Doktoranden – das will ich an dieser Stelle deut-
lich sagen – sind wir im Vergleich mit dem EU-Durch-
schnitt viel besser. In den 27 Mitgliedstaaten der EU gibt
es im Durchschnitt 2,7 Promotionen je 100 Hochschulab-
schlüsse. Wir haben eine Quote von 14,2 Prozent. Wir
sind besser als Frankreich, besser als Großbritannien und
sogar besser als Finnland. An dieser Stelle sage ich: Die
OECD hat es versäumt, uns dafür einen Lorbeerkranz zu
überreichen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Hier kann – das ist in der Bildung allgemein so – sicher-
lich das eine oder andere besser gemacht werden.
Ein Artikel in der FAZ stand unter der Überschrift
„Fördert mich, ich bin Forscher!“. In diesem Zusammen-
hang ist die Frage zu klären: Wie kann man Defizite mit
Programmen beispielsweise auch aus der Bundespolitik
bereinigen? Ich spreche auch die Landespolitik an; dazu
komme ich gleich noch. Im Kern – das ist eine Diskus-
sion, die wir im Herbst vergangenen Jahres hatten – geht
es um die qualifizierte Betreuung, die Planbarkeit und
die Finanzierungsmöglichkeiten. Die Hochschulen ma-
chen das schon, wenn wir sie nur lassen. Wir müssen den
Hochschulen die Möglichkeit geben. Sie antworten mit
strukturierten Promotionsprogrammen und Graduierten-
kollegs, um an der Stelle nur einige Punkte zu nennen.
Auch die Stipendienprogramme der Begabtenförder-
werke sind ein wesentlicher Bestandteil, um hier etwas
deutlich zu verbessern.
Das Thema Projektarbeit sowie befristete Arbeitsver-
träge sind in der Tat ein Problem. Wenn Sie einmal in die
Studie gucken, werden Sie feststellen, woher die Klage
kommt. Die Klage kommt nicht von den Menschen mit
befristeten Arbeitsverträgen, sondern sie kommt im Re-
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Das steht da drin, Herr Schulz. Das ist so.
Was tut die Bundesregierung? Ich will an dieser Stelle
och einmal deutlich hervorheben – Staatssekretär Braun
at das gerade gesagt –: Wir haben mit der dritten Säule
es Hochschulpakts etwas für eine bessere Lehre getan.
Milliarden Euro gibt es beispielsweise für mehr Stel-
en. Klar ist, dass das eine oder andere zu tun ist. Wir ha-
en nicht die Verhältnisse wie beispielsweise in Großbri-
annien, etwa einen Lecturer oder solche Dinge. Wir
rauchen sicherlich eine strukturiertere Position.
Natürlich. Darüber muss man in Zukunft nachdenken. –
ir brauchen rechtliche Rahmenbedingungen – das ist
ie Aufgabe dieser Bundesregierung –, um Deutschland
ttraktiv, forschungsfreundlich und international konkur-
enzfähig zu machen.
Wir reden über ein Thema, das von ureigenem landes-
olitischen Interesse ist. Das ist an verschiedenen Stellen
iskutiert worden. Ich komme aus Brandenburg. Die
issenschaftspolitik im rot-rot regierten Brandenburg
st meiner Ansicht nach wirklich beängstigend.
tellen Sie sich bitte Folgendes vor: Die Landesregie-
ung vereinbart mit den Hochschulen einen Hochschul-
akt. Die Hochschulen bilden Rücklagen. Das wird ge-
an, um eine langfristige Perspektive zu bekommen.
ann gibt es plötzlich Probleme im Haushalt, und dann
reift man einfach einmal in die Tüte.
Fragen Sie doch einmal die Kollegen, die letztendlich
eine Perspektive sehen, weil es keine verlässliche
ochschulpolitik gibt. Es geht nicht nur um diese
0 Millionen Euro. Es geht darum, dass man in beste-
ende Verträge eingreift und so Planbarkeit verhindert.
Liebe Frau Sitte, das sind Rücklagen. Man bildet
ücklagen für eine langfristige Personalentwicklung.
as führt meiner Ansicht nach dazu – gestatten Sie mir
iesen Satz –, dass junge Wissenschaftler dann nicht
ehr an einen Vertrag glauben, sondern fragen: Was ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8551
Dr. Martin Neumann
)
)
die Perspektive an dieser Hochschule? Das schadet uns
sehr. Darum habe ich Angst.
Ich bitte Sie, diese Angst an der Stelle so zu erkennen.
Wir brauchen in der Zukunft Aktivitäten, die langfris-
tig und planbar sind, um ein besseres und in der Tat im-
mer wieder zu veränderndes und weiterzuentwickelndes
Hochschul- und Wissenschaftssystem zu haben.
Ich bedanke mich. Glück auf!
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Braun, Sie haben richtig festgestellt, dass unser wissen-
schaftlicher Nachwuchs Spaß an der wissenschaftlichen
Arbeit hat. Aber das muss er nicht an deutschen Hoch-
schulen machen. Das muss er noch nicht einmal in
Deutschland machen. Sie haben offensichtlich überhaupt
keine Ahnung, wie es für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs an deutschen Hochschulen inzwischen aussieht.
Befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitarbeit, neben-
berufliche Tätigkeit, prekäre Beschäftigungsverhält-
nisse, und zwar für Leute, die Daueraufgaben in For-
schung und Lehre leisten – das ist inzwischen der
Normalfall. Für einen wirklich guten Postdoc gibt es
kaum Möglichkeiten, durch den engen Karriereflaschen-
hals zu einer ordentlichen Professur zu kommen. Auf
30 Promovierte kommen 3 Habilitierte und eine ordent-
liche Professur.
Sie weisen darauf hin, dass wir so viele Graduiertenpro-
gramme haben. Durch diese wird doch der Druck auf
diesen engen Flaschenhals nur größer. Dadurch wird das
Problem nicht gelöst.
Sie haben für den wissenschaftlichen Nachwuchs
überhaupt keine Berechenbarkeit, überhaupt keine Plan-
barkeit der Karriere geschaffen. Im Gegenteil: Der wis-
senschaftliche Nachwuchs läuft heute Gefahr, dass er im
fünften Lebensjahrzehnt immer noch befristete Stellen
hat, immer noch als Nachwuchs gilt und am Ende als
Überqualifizierter und Gescheiterter im beruflichen Nir-
wana landet. Das kann doch nicht die Perspektive in un-
serem Wissenschaftssystem sein.
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Viele deutsche Postdocs arbeiten in den USA. Sie wür-
en liebend gerne nach Deutschland zurückkommen;
ber das ist für sie ein Hochrisikounternehmen. Wenn
an in den USA ein guter Postdoc ist, nützt es einem
ichts, wenn man gesagt bekommt, man könne auch bei
ns Postdoc werden. Die Postdocs wollen wissen, was da-
ach kommt. Herr Schulz hat recht, wenn er sagt, dass die
amiliengründung in dieser Lebensphase eher schwierig
t.
Es geht hier nicht um ein individuelles Problem einiger
ochqualifizierter, sondern um die Frage, wie attraktiv
er wissenschaftliche Beruf in Deutschland ist. Dies be-
rifft nicht nur unsere Hochschulen und unsere außeruni-
ersitären Forschungseinrichtungen, sondern dies ist ein
xistenzielles Problem unseres Wissenschaftssystems
nsgesamt. Es geht um dessen Wettbewerbsfähigkeit und
ualität in der Zukunft. Die Bundesregierung reagiert da-
auf mit Realitätsverweigerung. Wir haben eine Kleine
nfrage gestellt. Sie haben auf unseren Hinweis auf die
asante Zunahme von befristeten und nebenberuflichen
eschäftigungsverhältnissen noch am 10. November die-
es Jahres geschrieben, dass die Beschäftigungsverhält-
isse Ihrer Auffassung nach attraktiv und konkurrenzfä-
ig sind.
Wenn man Bund, Länder und auch einen Teil der
issenschaftsorganisationen betrachtet, sieht man, dass
egschauen oder kollektive Verantwortungslosigkeit – man
chiebt sich den Schwarzen Peter für das Problem ge-
enseitig zu – herrschen. Ich glaube, es ist überfällig,
ass Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen die
ragen nach den Arbeitsbedingungen für hauptberufli-
he Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den
ochschulen in Deutschland und nach den Perspektiven
nseres wissenschaftlichen Nachwuchses gemeinsam
anz oben auf die Tagesordnung setzen.
Dieses Problem ist weder beim Hochschulpakt, also
em Pakt für mehr Studienplätze, noch beim Pakt für For-
chung und Innovation angesprochen worden. Die Grund-
inanzierung in den Ländern bricht weg. Die Drittmittelfi-
anzierung des Bundes kann das nicht kompensieren. Wir
aben dadurch eine rasant ansteigende Zahl befristeter
eschäftigungsverhältnisse. Die Personalstruktur ist im
nternationalen Vergleich extrem ungünstig: 14 Prozent
rdentliche Professuren und darunter Nachwuchs und un-
elbstständiger Mittelbau mit unklaren Perspektiven in
efristeten Beschäftigungsverhältnissen. Mit einer sol-
hen Personalstruktur können wir in Deutschland nicht
eiter erfolgreich sein im Wettbewerb um die besten
öpfe.
8552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Krista Sager
)
)
Deswegen sage ich Ihnen: Wir brauchen jetzt ganz drin-
gend einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, ei-
nen Pakt für die Zukunftsperspektiven der hauptberufli-
chen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir
brauchen Änderungen im Wissenschaftszeitvertragsge-
setz. Es hat nicht die gewünschten Ziele erreicht. Es ist ge-
scheitert; das muss man heute anerkennen. Wir brauchen
wissenschaftsgerechte Bedingungen. Wenn wir das nicht
schaffen, wird uns der demografische Wandel böse einho-
len. Die jungen Leute sind heute viel internationaler
orientiert, als es noch vor 20 Jahren der Fall war. So wer-
den wir die besten Köpfe weder für die Wissenschaft ge-
winnen noch sie hier halten können.
Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
– Ich habe doch noch gar nichts gesagt, Herr Schulz. Sie
müssen sich doch noch nicht aufregen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die
SPD als Partei der konsequenten Enthaltung kennenler-
nen dürfen, und zwar immer dann, wenn es um die Zu-
kunftsfragen unseres Landes geht. Eine Partei, die zu-
dem das Abrücken von ihren eigenen Programmpunkten
– das Zeitvertragsgesetz gehört dazu – zur alleinigen
Strategie erklärt, muss sich nicht wundern, wenn sie in
der öffentlichen Diskussion keine Rolle mehr spielt.
Die Umfragewerte sprechen hier eine deutliche Sprache.
Man könnte sich nun fragen, welch eine Verzweiflung
bei den Chefideologen dieser Partei herrschen muss,
wenn sie versuchen, nicht nur ein Thema für sich zu be-
setzen, welches eine erschreckende Realitätsferne be-
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Eine Art Zukunftsoptimismus breitet sich aus, „No
uture“ war gestern – so bilanzierte der Zukunftsforscher
orst Opaschowski vor wenigen Tagen. Das Sinus-Insti-
ut kommt in einer Studie zu dem Ergebnis: Zukunfts-
ngste sind zwar vorhanden, beziehen sich jedoch meist
uf die Tatsache, dass noch kein konkretes Berufsziel
orliegt. Die hohe Anziehungskraft, die von dem Berufs-
iel Wissenschaftler ausgeht, ist ungebrochen; das stel-
en wir fest. Allerdings gibt es strukturelle und weitge-
end bekannte Probleme
das kommt noch hinzu –, die insbesondere die Karriere-
lanbarkeit, die berufliche Sicherheit und die Gerechtig-
eit von Personalentscheidungen sowie die Möglichkei-
en der Vereinbarkeit von Familie und Beruf betreffen.
Allerdings ist auch das Problem der Verengung der
obperspektive allein auf den Hochschulraum bekannt.
enau das haben wir festgestellt, verehrte Kollegin
ager, als wir bei der GAIN-Conference in Boston wa-
en. Wir müssen die Studenten natürlich auch dafür sen-
ibilisieren, dass sie sich für Jobs in der Wirtschaft oder
n der Verwaltung interessieren; genau das brauchen wir.
ine Verengung auf die Hochschulperspektive wird die-
es Problem nicht lösen.
Jetzt noch ein paar Fakten. An den deutschen Hoch-
chulen ist die Zahl der hauptberuflichen wissenschaftli-
hen Stellen in den letzten zehn Jahren um 26 Prozent
estiegen. Ist das Versagen? Die Zahl der Professoren-
tellen stieg im gleichen Zeitraum um 6 Prozent. Ist das
ichts?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8553
Dr. Thomas Feist
)
)
Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter stieg um
knapp 50 Prozent. Das sind doch Ergebnisse, die sich se-
hen lassen können.
Allein für Sachsen bedeutet dies einen Anstieg um
27 Prozent. Ich kann Ihnen sagen: Das sind für die
Hochschulen in Sachsen die richtigen Impulse. Das sind
genau die Impulse, die die Bundesregierung gesetzt hat.
Trotz der Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung –
auch das gehört zur Wahrheit – ist das Volumen des Bil-
dungshaushalts in dieser Legislaturperiode so groß wie
nie. Das BAföG wurde erhöht, ebenso der Elternfreibe-
trag. Die Altersgrenze für den BAföG-Bezug wurde
deutlich heraufgesetzt. Mit der Einrichtung des Deutsch-
landstipendiums kämpfen wir für die Etablierung einer
neuen Anerkennungs- und Förderkultur für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs.
Nicht nur wir, sondern auch die Studierenden und die
Nachwuchswissenschaftler sehen deutlich: Von Tatenlo-
sigkeit der Bundesregierung kann hier keine Rede sein.
Das bestreiten wir. Auch die Zahlen und Fakten spre-
chen dagegen. Zukunftsangst ist vor allem eines: in der
Sache unbegründet.
Eine aktuelle Studie stellt fest: 86 Prozent der Studen-
ten gehen davon aus, im Anschluss an das Studium zü-
gig eine Anstellung zu finden, die ihren Erwartungen
und Qualifikationen entspricht.
Ich wiederhole: 86 Prozent. Das durchschnittliche Ein-
stiegswunschgehalt stieg von 37 000 Euro im Jahr auf
38 000 Euro im Jahr. Das alles sind doch deutliche Si-
gnale, die Sie nicht negieren können.
Diese Studie kommt zu dem Schluss: Von Zukunfts-
angst kann, jedenfalls in dieser Studentengeneration,
trotz der weltweiten Krise keine Rede sein.
Jetzt komme ich auf einen weiteren Aspekt zu spre-
chen. Frau Kollegin Sager, auch Sie haben, wie gesagt,
an der GAIN-Conference in Boston teilgenommen.
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Abschließend: Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat
icht zu Unrecht gesagt: Das 20. Jahrhundert war das
ahrhundert der Sozialdemokratie. Willkommen im
ahr 2010!
Einen schönen Tag noch.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kolbe für
ie SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen!
ber die Performance der schwarz-gelben Regierung
isher kann man ja wirklich trefflich streiten. Ich halte
ie für denkbar schlecht. Nur in einem Punkt würde ich
chwarz-Gelb halbwegs gute Noten ausstellen, und
war, wenn es darum geht, Sachen schön zu reden und
ohltaten anzukündigen.
Glaubt man Ihrer Rhetorik und der Rhetorik der Bun-
esregierung, dann sind die Arbeitssituation und die Zu-
unftsaussichten junger Wissenschaftler in unserem
and wirklich ganz ausgezeichnet.
ber wie sieht die Realität aus? Viele junge Forschende
ind in Teilzeit eingestellt und arbeiten trotzdem fast
ollzeit. Der übergroße Teil ist befristet eingestellt, und
as ohne eine wirklich längerfristige Perspektive. Zu
iele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen
n den Universitäten und Forschungseinrichtungen unse-
es Landes nur eine begrenzte Perspektive. Laut der ak-
uellen Studie sehen nur 20 Prozent der Befragten eine
arriere, die sie planen können. Zum Teil werden selbst
ostdocs, also Menschen, die eine Promotion hinter sich
aben, noch Stipendien angeboten. Das ist wirklich eine
8554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Daniela Kolbe
)
)
ziemliche Frechheit. Wenn man dann weiß, dass das
nicht nur an Universitäten passiert, sondern auch an vom
Bund mitfinanzierten Forschungseinrichtungen, dann
wird schlussendlich doch mindestens klar, dass es auch
in der Verantwortung des Bundes liegt, da etwas zu tun.
Aber was tut Frau Schavan? Da ist nichts zu hören au-
ßer warmen Worten, und heute ist von ihr nicht mal was
zu sehen. Sicherlich stimmt es, dass die Arbeitsverhält-
nisse für den wissenschaftlichen Nachwuchs einige Spe-
zifika haben. Denn viele junge Wissenschaftler und Wis-
senschaftlerinnen schätzen es durchaus, dass sie eine
Zeitlang einfach nur forschen und sich beweisen können.
Ihnen geht es oft gar nicht um den unbefristeten Arbeits-
vertrag mit einer 40-Stunden-Woche. Das zeigen auch
die Zahlen. Trotz dieser hochprekären Arbeitsbedingun-
gen und unsicheren Perspektiven sind die meisten Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrem Job zu-
frieden. Sie schätzen eigenverantwortliches Forschen,
und sie sind hochgradig motiviert. Aber wissenschaftli-
cher Idealismus allein sichert auf Dauer kein Auskom-
men.
Nur mit Kant, Planck, Einstein usw. wird weder die
Wohnung warm noch Hunger gestillt noch für die Rente
vorgesorgt. Vor allem bedrücken junge Wissenschaftler
in unserem Land die Unsicherheit und die fehlende Plan-
barkeit ihrer Karrieren.
Meine Damen und Herren, ein Blick auf die soziale
Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses wirft die
Frage auf: Können und wollen wir es uns wirklich leis-
ten, junge Akademikerinnen und Akademiker, die wir so
dringend brauchen, so lange in Unsicherheit zu lassen?
Wir sagen Nein. Weder wollen wir, dass junge Men-
schen in solcher Unsicherheit verharren, mit allen für sie
schmerzhaften persönlichen Konsequenzen wie Kinder-
losigkeit, dem Gedanken, auszuwandern, und schlicht
schlechter Lebensqualität, noch können wir es uns als
wissensbasierte Gesellschaft leisten, diese jungen Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler in solcher Unsi-
cherheit zu lassen.
Wir Sozialdemokraten meinen, Beschäftigungsver-
hältnisse müssen auch für Forscher in der Promotions-
phase zur Norm werden. Allein durch Stipendien können
wir diese Gruppe auf Dauer nicht halten
und nicht zufriedenstellen. Hier muss der Bund
als regelmäßiger Mittelgeber höhere Anforderungen an
gute Arbeitsbedingungen stellen.
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iele Frauen verschieben den Wunsch nach Kindern in
ine ferne Zukunft, doch der ideale Zeitpunkt für ein
ind kommt unter diesen Bedingungen selten oder nie.
erade junge Frauen – lesen Sie ruhig mal die Studie –
orgen sich mehr um ihre berufliche Perspektive und se-
en die größere Gefahr, abgehängt zu werden, wenn sie
inder bekommen.
Wir brauchen auch in den wissenschaftlichen Arbeits-
ruppen eine andere Kultur. Oft hängt es von der Stim-
ung und der Kultur in den Instituten ab, ob Kinder-
ünsche erfüllt werden. Dadurch wird die Bundes-
egierung aber nicht aus der Verantwortung entlassen.
Gerade in der Postpromotionsphase, in der viele junge
orscherinnen an vom Bund mitfinanzierten außeruni-
ersitären Forschungseinrichtungen arbeiten, müssen
erlässliche Karriereperspektiven her: Arbeitsstellen in
er Wissenschaft, durch die ein Leben an einem Ort für
ine längere Zeit ermöglicht wird. Wir sagen: Tenure-
rack-Karrieren müssen auch in Deutschland häufiger
erden.
Die Probleme liegen auf dem Tisch, und sie sind er-
rückend. Wir reden in der Tat über eine Gruppe von Ar-
eitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Zukunft
nseres Landes mitbestimmen können. Nehmen Sie die
orgen dieser jungen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
chaftler nicht nur in Sonntagsreden, wie heute hier im
eutschen Bundestag, sondern endlich auch in der rea-
en Politik ernst.
Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt für die
DP-Fraktion.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8555
)
)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Ich darf nochmals den Titel dieser Aktu-
ellen Stunde zitieren: „Fehlende Aktivitäten der Bundes-
regierung hinsichtlich der Zukunftsängste des wissen-
schaftlichen Nachwuchses“.
Das ist ein beachtlicher Titel, so präzise auf den Punkt
gebracht und so knackig. Vielleicht könnte man in Rich-
tung SPD eher sagen: fehlende Fähigkeit der SPD hin-
sichtlich der verständlichen Formulierung des Themas
einer Aktuellen Stunde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, um was geht
es in der Debatte? Es geht um die grundlegende Frage:
Wie attraktiv ist Deutschland für junge Wissenschaftle-
rinnen und junge Wissenschaftler? Wenn wir in die Stu-
die hineingucken, dann sehen wir eine zentrale Aussage
dazu: Trotz aller Hürden ist der Beruf der Wissenschaft-
lerin und des Wissenschaftlers ein attraktives Ziel.
Durch unendlich viele Aktivitäten im Rahmen des
Pakts für Forschung und Innovation, des Hochschul-
pakts, der Exzellenzinitiative, des Professorinnenpro-
gramms und des Stipendiatenprogramms wird sehr deut-
lich, dass Deutschland im Moment sein Gesicht ändert.
Deutschland wird als Wissenschaftsstandort von Jahr zu
Jahr attraktiver.
Es ist aber richtig: Man muss sich anhören, was bei-
spielsweise die jungen Studierenden und die Doktoran-
den auch in den Netzwerken wie GAIN, dem German
Academic International Network, sagen. Dabei werden
natürlich auch Punkte angesprochen, denen wir uns un-
ter allen Umständen mit einer gewissen Sorgsamkeit
widmen müssen, zum Beispiel wird dort gefordert, dass
es auch für Partnerinnen und Partner verstärkt Angebote
geben soll und dass es auch eine familienfreundliche In-
frastruktur an unseren Hochschulen geben muss, um die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erhöhen.
Gucken wir uns doch einmal die Realität an. Wir ha-
ben Schritt für Schritt Veränderungen herbeigeführt. Die
TU und das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbio-
logie und Genetik in Dresden betreiben gemeinsam eine
Kindertagesstätte. Genau das ist der Weg, den wir be-
schreiten müssen, um familienfreundliche Strukturen in
den Forschungseinrichtungen und den Universitäten her-
zustellen.
Es ist dringend notwendig, dass wir uns auch damit
auseinandersetzen, wo wir jungen Menschen, jungen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Perspekti-
ven geben können. Natürlich ist der Hochschul- bzw.
Universitätsbereich dabei von zentraler Bedeutung. Es
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau-
hen in diesem Land ein richtiges Grundgefühl, eine
ichtige Grundstimmung, eine richtige Grundeinstellung.
eswegen ist es immer wieder schön, wenn junge Wis-
enschaftlerinnen und Wissenschaftler von sich aus sa-
en, dass sie in diesem Land eine Perspektive haben.
iese Perspektive lassen wir uns von der Opposition
uch nicht kaputtreden.
Der nächste Schritt – diesen hat der Staatssekretär für
ächstes Jahr angekündigt –, den wir jetzt nach der De-
atte machen müssen, ist, dass wir aufzeigen, wie wir
ieses Land im Bereich der Wissenschaftsfreiheit voran-
ringen. Dann haben wir die Chance, im kommenden
ahr eine Diskussionskultur über mehr Wissenschafts-
reiheit in der Bundesrepublik Deutschland zu etablieren
nd auf diesem Wege die dynamische Forschungspolitik,
ie ein Qualitätszeichen dieser Bundesregierung ist, fort-
uschreiben.
Vielen herzlichen Dank.
8556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Der Kollege Klaus Barthel ist nun der nächste Redner
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Ich will zuerst versuchen, das Thema in den Ge-
samtzusammenhang zu stellen.
Wir haben heute Vormittag eine heftige Debatte über
die Rente mit 67 geführt. Die Koalitionsredner haben
wieder einmal ihr Mantra von der Demografie herunter-
geleiert. Aber ein Blick in die Demografiegeschichte
zeigt doch, dass wir den gravierendsten demografischen
Wandel, was das Verhältnis der erwerbstätigen Bevölke-
rung zur Gesamtbevölkerung angeht, bereits hinter uns
haben. Obwohl sich dieser demografische Wandel bei
uns in den letzten 100 Jahren vollzog, haben wir hohe
Wachstumsraten erzielt und den Sozialstaat ausgebaut,
und zwar trotz der Kriege und Krisen.
Warum ging das überhaupt? Es ging, weil sich die
Produktivität der Arbeit schneller entwickelt hat als der
demografische Wandel. Denn wenn es nur nach der De-
mografie ginge, müssten Bangladesch, Guatemala und
der Kongo das beste Rentensystem haben.
Die Produktivität hängt von der Qualität der Arbeit ab
und diese Qualität wiederum von den Fertigkeiten und
Fähigkeiten der Erwerbstätigen. Dabei spielen die Berei-
che Wissenschaft, Forschung und Entwicklung eine zen-
trale Rolle, weil wir aus dem Wertprodukt dieser Arbeit
alles, also auch den Staat, die Sozialversicherung und die
Wissenschaft, finanzieren.
Umgekehrt gilt: Fehlende Bildung, fehlende Qualifi-
kation, fehlende Wissenschaft und fehlende Forschung
würden uns erhebliche Wohlstandsverluste bescheren.
Die Prognos AG hat zum Beispiel errechnet, dass sich,
sofern wir nichts tun – und hier sind wir bei der Untätig-
keit der Bundesregierung –, eine immer größere Arbeits-
kräftelücke insbesondere im Bereich der Fachkräfte und
Akademiker auftun wird.
Man kann nicht allen Zahlenspielen, die es dazu gibt,
folgen, aber die Größenordnungen, die aufgezeigt wer-
den, müssen uns doch zu denken geben. Von heute bis
2030, so Prognos, baut sich unter Berücksichtigung der
Qualifikation ein Wachstumsverlust von mehr als 5 Bil-
lionen Euro auf. Damit fällt das Bruttoinlandsprodukt je
Einwohner im Jahre 2030 um 4 000 Euro weniger aus,
wenn wir nichts tun. 2030 haben wir nur noch ein halb
so großes Wachstum, wenn wir nichts tun. Daher ist es
notwendig, dass wir in den Bereichen Bildung und Wis-
senschaft handeln.
Man wird den Eindruck nicht los, dass die Bundesre-
gierung hier zwischen Ignoranz und Untätigkeit einerseits
– das haben wir heute gerade wieder gehört – und einer
interessengeleiteten Hysterie andererseits schwankt.
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ie wollen Akademiker aus aller Welt anlocken, um
ruck auf die Arbeitsbedingungen für die Wissenschaft-
erinnen und Wissenschaftler auszuüben. Das ist reines
ohndumping auch noch in diesem Bereich. Es ist alles
ndere als eine Lösung des Problems, über das wir heute
eden.
Noch gibt es keinen generellen Fachkräftemangel. Ich
ill nicht in die Hysterie mit einstimmen, aber Sie sind
abei, ihn zu produzieren. Deswegen müssen Sie endlich
ie Studien- und Arbeitsbedingungen für den wissen-
chaftlichen Nachwuchs deutlich verbessern. Es kann
och nicht wahr sein, dass ausgerechnet der öffentliche
orschungs- und Wissenschaftsbetrieb vom Idealismus
er dort Tätigen lebt und ansonsten in diesem Bereich
ie Prekarität die Regel ist: von Befristung zu Befristung
ei Teilzeitbezahlung für Vollzeitarbeit frei nach dem
otto „Nur die Not gebiert Großes“, wenngleich sie
uch keine Kinder gebiert, weil die Zukunft unklar ist,
ie wir gehört haben.
Die Entwicklung zieht sich inzwischen bis in die Eh-
enamtlichkeit hinein. Mir ist heute der Mustervertrag
iner namhaften deutschen Hochschule vorgelegt wor-
en. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass sich
ehrbeauftragte, die in einem öffentlich-rechtlichen
echtsverhältnis stehen, verpflichten, die einschlägigen
rbeitssicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften
inzuhalten. Das Ganze nennt sich Lehrauftrag. Der
ernsatz lautet:
Eine Vergütung des Lehrauftrages erfolgt nicht.
Meine Damen und Herren, heben Sie die Tarifsperre
m Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf!
uch wissenschaftliche Arbeit ist Arbeit, und Arbeit
uss der Tarifautonomie unterliegen. Ersetzen Sie pre-
äre durch reguläre Arbeit! Schaffen Sie Dauerstellen
ür Daueraufgaben! Sie wollen sicherlich nicht behaup-
en, dass die wissenschaftliche Arbeit keine Dauerauf-
abe ist.
Wir werden den internationalen Wettbewerb um die
esten Köpfe, wie es so schön heißt, nicht im Wettlauf
m die miserabelsten Arbeitsbedingungen gewinnen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8557
Klaus Barthel
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die SPD veranstaltet heute eine erstaunlich
populistische Aktuelle Stunde.
Die Linke tanzt auf einem heißen Vulkan, und die SPD
springt auf die jüngst veröffentlichte HIS-Studie „Wis-
senschaftliche Karrieren“ auf. Die darin angesprochenen
Probleme sind allseits bekannt. Lösungsvorschläge wer-
den diskutiert und Maßnahmen ergriffen.
Die Vertreter der christlich-liberalen Koalition sind
im regen Gedankenaustausch mit jungen Wissenschaft-
lern vor Ort in den Hochschulen, aber auch mit den Ver-
tretern der Jungen Akademie. Wir haben ein Ohr für
diese Probleme. Dazu braucht es keine Aktuelle Stunde.
Bereits in vorangegangenen hochschulpolitischen De-
batten haben wir uns klar dazu bekannt, eine kalkulier-
bare Laufbahnperspektive für junge Wissenschaftler
zum Beispiel nach dem Vorbild des Tenure Track weiter
auszubauen und den Ausbau unbefristeter Stellen im
akademischen Mittelbau voranzutreiben. Die Befristung
von Stellen im akademischen Mittelbau auf maximal
zwölf Jahre durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
ist aber im Grundsatz sehr sinnvoll. Sie dient dem Wett-
bewerb. Sie gibt dem wissenschaftlichen Nachwuchs ei-
nen Orientierungsrahmen und den nötigen Schub, um
Dissertationen abzuschließen und Habilitationen anzu-
gehen. Sie vermeidet, dass Menschen über Jahrzehnte
auf Qualifizierungsstellen sitzen, ohne nennenswerte
Forschungsergebnisse zu produzieren und ohne Anreize
zu haben, im akademischen System weiter aufzusteigen.
Doch sehen wir durchaus auch einen Korrekturbedarf
mit Blick auf bessere Rahmenbedingungen für den wis-
senschaftlichen Nachwuchs.
Die Kollegen der SPD sollten aber auf den Adressaten
ihrer Aktuellen Stunde achten. Gefordert ist nicht primär
der Bund; gefordert sind die Länder und die Hochschu-
len.
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schulen, also für Studienplätze und wissenschaftlichen
Nachwuchs.
Wissen Sie, was die Demonstranten in Thüringen sa-
gen? Sie sagen: Uni-Tod in Raten: Danke, liebe Sozial-
demokraten.
Die SPD sollte sich lieber darum kümmern, nicht die
Grundfinanzierung der Hochschulen zu kürzen. Damit
wäre dem wissenschaftlichen Nachwuchs mehr geholfen
als mit einer populistischen Aktuellen Stunde im Bun-
destag.
Die christlich-liberale Koalition in Berlin schürt keine
Zukunftsangst beim wissenschaftlichen Nachwuchs.
Dies macht die SPD mit ihren Ministern wie Christoph
Matschie, der das Fundament der Grundfinanzierung der
Hochschulen nachhaltig schädigt, und dies im Zeitalter
der Bildungsrepublik Deutschland.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ernst Dieter
Rossmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Beste bei solchen Debatten wäre, wenn wir uns alle
vornehmen, dass diese Reden, die wir hier wechselseitig
halten, an den Hochschulen im Bereich des wissen-
schaftlichen Nachwuchses verteilt werden oder auch bei
der Landesregierung von CDU und SPD in Thüringen.
Ich will damit nur sagen: Wir können uns das jetzt wech-
selseitig in die Schuhe schieben. Ein Kollege hat Bran-
denburg angeführt. Wir könnten Bayern anführen. Sie,
Herr Schipanski, haben Thüringen angeführt. Wir könn-
ten fragen, wer in Thüringen regiert. Lassen wir das.
Ich finde, wir hatten einen guten Einstieg in das
Thema durch die Rede des Kollegen Schulz. Herr Staats-
sekretär Braun hat dann richtigerweise auf die Ambiva-
lenz in der HIS-Studie abgehoben. Dieser Studie ist bei
den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaft-
lern viel Begeisterung für die Wissenschaft zu entneh-
men, aber auch viel Sorge um die Bedingungen, unter
denen man eine optimale Leistung der Wissenschaft
schaffen will und kann.
Diese Ambivalenz muss uns doch Ansporn sein. Es
muss doch unser Ansporn sein, dass es nicht mehr eine
Ambivalenz bleibt, sondern zu ganz konkreter Unterstüt-
zung wird, aus der besseren Absicherung von wissen-
schaftlicher Tätigkeit heraus dann mit aller Energie für
die Wissenschaft arbeiten zu können.
Ich will in gleicher Weise für eine Balance werben.
Diese Balance ist etwas aus dem Ruder geraten. Im wis-
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nd wir müssen eine neue Balance finden.
Aus diesem Grund will ich noch einmal die fünf
andlungsfelder beschreiben, die uns Sozialdemokraten
esonders wichtig sind.
Zunächst einmal muss es doch eine institutionelle Si-
herheit für Hochschulen und Wissenschaftseinrichtun-
en geben, damit sie ihre Hochschuletats, ihre For-
chungsetats und ihre Mitarbeiteretats nicht immer nur
urch Projektförderung finanzieren können. Dabei ist
atürlich existenziell wichtig – das spreche ich ganz ru-
ig an –, dass es an erster Stelle eine auskömmliche Wis-
enschaftsfinanzierung durch die Länder gibt. Aber ohne
ine auskömmliche Finanzierung der Länder gibt es
eine auskömmliche und sichere Wissenschaftsfinanzie-
ung. Lassen Sie uns das gemeinsam festhalten, und
war sowohl für die CDU als auch die SPD in Thürin-
en.
Das Zweite ist, dass es eine neue Betrachtung von
ochschule geben muss. Frau Sager, vielleicht habe ich
ie Tragweite Ihrer Ausführungen nicht ganz verstan-
en. Aber das Ziel jedenfalls, dass jede wissenschaftli-
he Laufbahn am Ende in eine wissenschaftliche
pitzenposition, in eine Professur, zu münden hat, darf
icht das ausschließliche Leitbild des wissenschaftlichen
achwuchses sein.
ie Hochschulen sind breiter aufgestellt. Sie sind For-
chungseinrichtungen und kümmern sich auch um Wis-
enschaftsvermittlung, Vermittlung von beruflichem Wis-
en und Weiterbildung. Vor diesem Hintergrund bedarf es
ines neuen Ethos und einer neuen Wahrnehmung dessen,
as früher akademischer Mittelbau genannt wurde.
ie Personalstruktur der Hochschulen muss deshalb in
weierlei Hinsicht weiterentwickelt werden: in Richtung
orschung und in Richtung Lehre.
Wenn es hier zu einem neuen Aufbau kommt, dann
ibt es auch Sicherheit für den wissenschaftlichen Nach-
uchs. Im Qualitätswettbewerb entscheidet sich dann,
n welcher Stelle sich der wissenschaftliche Nachwuchs
m Wissenschaftssystem einbringen kann. Wenn wir die
ehre aufwerten, dann schaffen wir schließlich auch hier
unehmend qualitativ hochwertige Stellen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8559
Dr. Ernst Dieter Rossmann
)
)
Das Dritte ist: Wir müssen einerseits die Juniorprofes-
sur über den Tenure Track ausbauen und andererseits die
Graduiertenkollegs noch mehr profilieren. Ich will den
bedenkenswerten Punkt dessen, was Sie, Herr Feist, an-
gesprochen haben, aufgreifen. Es muss auch im Rahmen
des Graduiertenkollegs und des Promotionsbereichs eine
Vermittlung von beruflichen Kenntnissen geben, die auf
eine Tätigkeit außerhalb der Hochschule abzielen. Ich
bitte Sie, bei den Graduiertenkollegs nachzufragen, wie
es nicht nur um die Wissenschaftsorientierung, sondern
auch um die Berufsorientierung bestellt ist. Das könnte
zu einer neuen Qualität in Deutschland, dem Spitzenland
in Europa bei den Promotionen, führen.
Der vierte Punkt bezieht sich auf die Familienförde-
rung. Diese scheint uns Sozialdemokraten in der Debatte
unterbelichtet zu sein. Wenn 25 Prozent der männlichen
Nachwuchswissenschaftler, aber nur 12 Prozent der weibli-
chen Kinder haben, dann kann uns das nicht ruhen lassen.
Das ist nicht nur diskriminierend. Vielmehr verschenken
wir hier auch Potenzial. Dass Nachwuchswissenschaftle-
rinnen so wenige Kinder haben, ist Ausdruck einer Not-
lage; denn sie haben den gleichen Wunsch nach Verein-
barkeit von Beruf und Familie, von Wissenschaft und
Familie. Dennoch haben sie deutlich geringere Chancen,
Beruf und Familie zu vereinbaren. Schwache Studenten-
werke und schwache Beratungsstellen, wenn es um Kin-
dertagesstätten und Unterstützung geht, schwächen den
wissenschaftlichen Nachwuchs. Es ist eine gemeinsame
Aufgabe, hier für Verbesserungen zu sorgen.
Der fünfte Punkt betrifft den Tarifbereich. Es sollte
einen Wissenschaftstarifvertrag in Ergänzung der gesetz-
lichen Regelungen geben. Ich sage an Ihre Adresse,
meine Damen und Herren von der Koalition: Das Strei-
ten für die Wissenschaftsfreiheit ist sicherlich richtig.
Aber Freiheit erzeugt auch Bedarf nach Sicherheit. Nur
wenn es Freiheit und Sicherheit gleichzeitig gibt, kom-
men wir voran. In dieser Hinsicht fand ich Ihre Ausfüh-
rungen, Herr Neumann, im Hinblick auf das nächste Jahr
verheißungsvoll.
Aber es geht nicht nur um das nächste Jahr. Ich
möchte auch Rückschau auf das letzte Jahr halten. Im
Dezember letzten Jahres haben wir mit großen Erwar-
tungen auf den Bildungsgipfel der Bundeskanzlerin mit
den Ministerpräsidenten geschaut. Auch dieses Jahr fin-
det wieder eine Ministerpräsidentenkonferenz statt. Dort
soll ein Resümee in Bezug auf die Qualifizierungsinitia-
tive gezogen werden. Ich werbe und kämpfe bei Frau
Merkel und den Ministerpräsidenten dafür: Nehmen Sie
auch die Fragen betreffend den wissenschaftlichen
Nachwuchs in Ihre Agenda auf, wenn Sie bei der nächs-
ten Ministerpräsidentenkonferenz überprüfen, was bei
der Qualifizierungsinitiative gut und was schlecht gelau-
fen ist! Machen Sie das rechtzeitig! Verschenken Sie
nicht wieder ein Jahr! Warten Sie nicht erst die Studie
ab, sondern sorgen Sie jetzt für entsprechende Weichen-
stellung! Tun Sie jetzt mehr für die Qualifizierung des
wissenschaftlichen Nachwuchses! Das ist der Anlass für
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
r. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! In dieser Woche wurde die große HIS-Studie „Wis-
enschaftliche Karrieren“ vorgelegt.
ür diese Studie wurden 2 300 Nachwuchswissenschaft-
er befragt. Als ich die Auswertung der Antworten gele-
en habe, habe ich mich zuerst sehr gefreut. Denn entge-
en der Meinung vieler, die den Wissenschaftsstandort
eutschland permanent schlechtreden, haben die Be-
ragten mit überwältigender Mehrheit angegeben, dass
ie mit den Bedingungen und den Inhalten ihrer Arbeit
ehr zufrieden oder zufrieden sind.
er Beruf des Wissenschaftlers stellt ein erstrebenswer-
es Ziel dar. Die Studie zeichnet insgesamt ein sehr posi-
ives Bild vom Klima und von den Arbeitsbedingungen
n den Hochschulen und an unseren Forschungseinrich-
ungen.
Doch, Arbeitsbedingungen auch. – Darüber können
ir uns auch, bevor wir gleich wieder ins Kritisieren fal-
en, wahrlich freuen, und darauf können wir zumindest
ür einen Moment stolz sein.
In der Studie werden auch Sorgen angesprochen. Die
orgen der Nachwuchswissenschaftler, die zum Aus-
ruck kommen, drehen sich vor allem um die Befristung
on Stellen und die dadurch entstehenden Unsicherhei-
en für die Karriere und für die Familienplanung. Man
uss ehrlicherweise sagen: Diese Unsicherheiten wer-
en wir nie ganz aus dem System nehmen können. Es
8560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Reinhard Brandl
)
)
kann in der Wissenschaft nicht jeder als Professor oder
als Dozent unbefristet beschäftigt werden.
Ich kann daher nur jedem Wissenschaftler empfehlen,
immer auch eine berufliche Option außerhalb der Wis-
senschaft im Blick zu haben. Nichtsdestotrotz nehmen
wir die Sorgen der jungen Wissenschaftler sehr ernst.
Frau Bundesministerin Schavan war die erste Ministerin,
die diese Situation systematisch erfasst und 2008 den
ersten „Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftli-
chen Nachwuchses“ vorgelegt hat.
Parallel dazu wurde zum Beispiel die KISSWIN-Platt-
form freigeschaltet; der Staatssekretär hat es vorhin an-
gesprochen. Auch die erwähnte HIS-Studie, die am
Montag vorgelegt worden ist, wurde im Auftrag der
Bundesregierung erstellt. Diese Untersuchungen sind für
alle Beteiligten eine wichtige Bestandsaufnahme und
bieten Ansatzpunkte zur Verbesserung der Situation.
Ich will einen herausgreifen, der mich persönlich
nachdenklich gestimmt hat. Laut HIS-Studie sind – da-
rüber ist heute noch nicht debattiert worden – nur etwa
20 Prozent der Befragten der Meinung, dass Personal-
entscheidungen in der Wissenschaft im Allgemeinen fair
ablaufen. Wir setzen die jungen Wissenschaftler einem
harten Wettbewerb aus und erwarten von ihnen Topleis-
tungen. Aber dann müssen wir auch darauf achten, dass
die Bedingungen und die Regeln in diesem Wettbewerb
fair sind und die Regeln auch so wahrgenommen wer-
den. Das kann der Bund nicht von oben verordnen, son-
dern das ist ein Thema, das die ganze Community an-
geht. Vorbild kann zum Beispiel das Auswahlverfahren
für das Emmy-Noether-Programm der DFG sein. Das
hat in der Wissenschaft einen hervorragenden Ruf.
Wenn es um die Schaffung attraktiver Rahmenbedin-
gungen für Nachwuchswissenschaftler geht, sind alle Be-
teiligten gefordert. Der Bund fördert die Wissenschaft in
großem Umfang. Alleine über die Exzellenzinitiative
– Herr Staatssekretär Braun hat es vorhin angesprochen –
sind in den letzten Jahren über 4 000 neue Stellen für Wis-
senschaftler geschaffen und an die 330 Professuren neu
eingerichtet worden.
Ähnlich erfolgreich sind die Initiativen Hochschul-
pakt und Pakt für Forschung und Innovation.
Die Länder sind ebenfalls gefordert, ihren Beitrag zu
leisten. Wir haben das eben in der Debatte von den Kol-
legen Schipanski und Neumann gehört. Es stehen auch
die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen in der
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Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b sowie
en Zusatzpunkt 6 auf:
7 a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtslage im Iran verbessern
– Drucksache 17/4011 –
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Die Hinrichtung der Iranerin Sakineh
Mohammadi Ashtiani verhindern und welt-
weit die Todesstrafe abschaffen
– Drucksache 17/3993 –
P 6 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Flüchtlinge aus dem Iran aufnehmen
– Drucksache 17/3997 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wurde vereinbart, darüber eine Drei-
iertelstunde zu debattieren. – Ich sehe, damit sind Sie
inverstanden. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
ollegin Marina Schuster für die FDP-Fraktion das
ort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Wir sprechen heute über die ernste Menschen-
echtslage im Iran. Erst gestern wurde eine Frau ge-
ängt; erst gestern wurde wieder die Todesstrafe voll-
treckt. Unabhängig davon, ob Frau Schahla Dschahed
nschuldig oder schuldig war – an ihrer Schuldigkeit
ibt es nach Amnesty International sehr wohl Zweifel –,
laube ich, wir alle hier im Hohen Haus können sagen:
ir sind gegen die Todesstrafe, und sie gehört weltweit
bgeschafft.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8561
Marina Schuster
)
)
Diese Hinrichtung ist leider kein Einzelfall. Nach
Schätzungen von Amnesty International sollen im letz-
ten Jahr 388 Menschen hingerichtet worden sein. In die-
sem Jahr sollen bereits 146 Todesurteile vollstreckt wor-
den sein. Weitere Menschen sind von der Todesstrafe,
auch von der besonders grausamen Art der Hinrichtung,
nämlich der Steinigung, bedroht. Darunter ist Frau
Sakine Aschtiani. Redner aller Fraktionen haben in vor-
herigen Debatten zu Recht und unablässig gefordert, sie
von der Steinigung zu verschonen.
Deswegen ist es wichtig und richtig, dass sich die Bun-
desregierung regelmäßig gegenüber Vertretern der Isla-
mischen Republik Iran für die Abschaffung der Todes-
strafe einsetzt. Daneben initiiert und unterstützt sie
regelmäßig EU-Demarchen oder EU-Erklärungen, wie
zum Beispiel im Juli 2010. Da drohte die Hinrichtung ei-
nes zur Tatzeit Minderjährigen. Oder: Im Mai 2010 wur-
den ohne vorherige Ankündigung fünf Kurden hingerich-
tet. Hier hat die Bundesregierung eine Protesterklärung
der Hohen Vertreterin der EU, Lady Catherine Ashton,
initiiert.
Deswegen ist auch unser interfraktioneller Antrag
richtig. Wir fordern darin die iranische Regierung auf,
die Todesstrafe nicht mehr zu vollstrecken und endlich
dem 2. Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt
über bürgerliche und politische Rechte beizutreten.
Die iranische Bevölkerung ist tagtäglich gravierenden
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Unter Mahmud
Ahmadinedschad hat sich die Lage verschlechtert. Neben
fehlender Versammlungsfreiheit und eingeschränkter
Meinungsfreiheit kommt es auch zu willkürlichen Ver-
haftungen. Seit Juni 2009 gab es rund 6 000 Verhaftungen
von Demonstranten, politisch Andersdenkenden oder
Unterstützern von regimekritischen Kreisen. Anderen ge-
lang glücklicherweise die Flucht. Deswegen hat die Bun-
desregierung zu Recht entschieden, iranische Bürger auf-
zunehmen, die nach der sogenannten Grünen Revolution
in die Türkei geflohen sind und ohne gesicherte Aufent-
haltsperspektive waren. 29 sind mittlerweile in Deutsch-
land angekommen.
Ich möchte an dieser Stelle dem Menschenrechtsbe-
auftragten der Bundesregierung, Markus Löning, sehr
herzlich danken. Er war gestern bei uns im Menschen-
rechtsausschuss und hat über seinen Besuch in der Tür-
kei berichtet. Er hat auch darüber berichtet, dass er sich
dort mit iranischen Flüchtlingen getroffen und mit den
Familien gesprochen hat. Das zeigt: Wir nehmen dieses
Thema sehr ernst.
Es geht uns bei diesem Antrag aber nicht nur um die
Todesstrafe oder um die Flüchtlinge. Es geht uns darum,
dass wir uns für die allgemeine Verbesserung der Men-
schenrechtslage einsetzen, damit politische und bürgerli-
che Freiheiten endlich gewährt werden. Universitätspro-
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Das iranische Volk blickt auf eine erfolgreiche und
tolze Geschichte innerhalb der Völker dieser Welt zu-
ück. Es verdient eine Regierung, eine Justiz und Sicher-
eitsbehörden, die es beschützen und fördern, statt es zu
nterdrücken. Deswegen ist es wichtig, dass wir Parla-
entarier im Bundestag, aber auch die Bundesregierung
it unserer Arbeit weitermachen und den vorliegenden
ntrag verabschieden. Wir senden damit ein Signal an
as Regime, aber vor allem auch an die Zivilbevölke-
ung.
Die Islamische Republik muss sich ihrer Verantwor-
ung bewusst werden und endlich ein klares und deutli-
hes Bekenntnis zu Freiheit, zu Rechtsstaatlichkeit und
egen die Todesstrafe, gegen Folter, gegen Unterdrü-
kung und gegen Diskriminierung ablegen – nicht durch
orte, sondern durch Taten.
Für die Islamische Republik steht viel auf dem Spiel.
s geht nämlich um die Zukunft, um die Zukunft von
8562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Marina Schuster
)
)
74 Millionen Menschen. Deswegen ist es richtig und
wichtig, dass wir mit unserem Engagement nicht nach-
lassen, dass wir aber auch nicht die Gesprächskanäle in
den Iran verschließen.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Graf für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Fall der Sakine Aschtiani beschäftigt uns und die
Medien seit Monaten. Ihr Schicksal ist nach wie vor un-
klar. Selbst wenn die entsetzliche Strafe der Steinigung
nicht vollstreckt wird, droht ihr nun der Tod durch Er-
hängen.
Ich selbst habe Ende September an einer Pressekonfe-
renz teilgenommen, um für die SPD-Fraktion gegen die-
ses schreckliche Schicksal von Frau Aschtiani zu protes-
tieren – immer in der Hoffnung, dass internationaler
Protest die Verurteilte und ihre Angehörigen schützen
könnte. Ich danke ausdrücklich Frau Mina Ahadi, die
uns als Dissidentin und Gründungsmitglied des Komi-
tees gegen Steinigung auf dieses schreckliche Steini-
gungsurteil aufmerksam gemacht hat und damals auch
den Telefonkontakt mit dem Sohn von Frau Aschtiani
hergestellt hat.
Todesurteile gibt es im Iran zuhauf. Frau Kollegin
Schuster hat gerade schon die Nachricht angesprochen,
dass die Iranerin Schahla Dschahed gestern im Tehera-
ner Evin-Gefängnis wegen Mordes an einer Rivalin
durch den Strang hingerichtet wurde. Diese Nachricht ist
nur wenige Stunden alt. Die Angehörigen des Opfers
übernahmen laut Presseberichten bei der Hinrichtung
eine aktive Rolle. Frau Dschahed war die Ehefrau auf
Zeit eines iranischen Fußballprofis.
Ob die Anklagen gegen Frau Aschtiani oder Frau
Dschahed gerechtfertigt waren oder nicht, kann ich nicht
beurteilen. Es gibt erhebliche Zweifel daran; das hat
eben auch die Kollegin Schuster schon angesprochen.
Wir wissen aber wohl, dass ihr Verfahren weder fair
noch rechtsstaatlich war.
Gefangenen im Evin-Gefängnis droht generell die
Folter. So hat Frau Dschahed nach fast einem Jahr Un-
tersuchungshaft ihr Geständnis vor Gericht widerrufen –
unter Hinweis auf die Umstände, unter denen es zu-
stande gekommen ist.
Wir müssen leider seit Jahren feststellen: Die Men-
schenrechtssituation im Iran ist katastrophal, in jeglicher
Hinsicht. Die zivile Opposition, die gegen das Regime
aufbegehrt, wird blutig niedergeschlagen, und ihre An-
hänger werden politisch verfolgt. Ich darf darauf hinwei-
sen, dass der WDR am Montag, dem 6. Dezember, ab
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gen Ergänzungen diesen Antrag, über den wir heute re-
den, gemeinsam einzubringen – auch um dem Anliegen
der Frau Aschtiani mehr Gewicht zu geben. Wir hätten
uns allerdings gefreut, wenn es möglich gewesen wäre,
die Anzahl der Flüchtlinge – das haben Sie angespro-
chen – von 50 auf eine größere Zahl zu erhöhen.
Wir wollten, dass es geprüft wird. Es war also kein ir-
gendwie unsittliches Ansinnen, das wir da formuliert ha-
ben. Es handelte sich um einen Prüfauftrag an die Bun-
desregierung. Ich denke, die Bundesregierung und die
sie tragenden Parteien hätten da über ihren Schatten
springen sollen; denn 50 ist zu willkürlich, es ist zu we-
nig, und es ist ein zu schwaches Signal.
Wir sollten etwas nicht vergessen: Die Menschen, die
wir aufnehmen, sind fähig, nach der Schreckenszeit des
Herrn Ahmadinedschad den Iran wieder aufzubauen.
Auch das sollten wir bedenken, wenn wir über solche
Dinge reden. Es hat auch etwas mit unserer eigenen Ge-
schichte zu tun. Wo wären wir heute, wenn wir nicht die
Menschen gehabt hätten, die geholfen haben, unseren
Staat wieder aufzubauen?
Darum meine Bitte an Sie bei den weiteren Beratun-
gen: Gehen Sie in sich! Vielleicht ist es doch noch mög-
lich, diesen Satz in den Antrag einzufügen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Granold für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Graf, zunächst ein Wort an Sie. Wir sind
heute in der Lage, über einen interfraktionellen Antrag
zu debattieren; das kommt in diesem Haus nicht sehr oft
vor.
Es ist per se gut, dass wir uns alle bei diesem Thema sehr
einig sind; das wurde auch in den Redebeiträgen deut-
lich.
Zusätzlich liegt ein Antrag von SPD und Grünen zur
Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus dem Iran vor. Wir
haben uns auf die Aufnahme von 50 Flüchtlingen aus
dem Iran geeinigt. Unsere Regierung – unter anderem
der Außenminister und der Menschenrechtsbeauftragte –
waren hier aktiv. Inzwischen sind 29 Flüchtlinge in
Deutschland angekommen; Kollegin Schuster hat es be-
reits gesagt. Die anderen Fälle befinden sich derzeit in
der Prüfung. Frau Kollegin Graf, bei allem Verständnis
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Ich möchte ein Beispiel dafür anführen, dass die Bun-
esregierung und das Parlament in der Lage sind, zu
andeln, wenn die Lage prekär wird, wenn die Men-
chenrechte mit Füßen getreten werden und die Men-
chen in Not sind. Ich erinnere an eine Aktion auf euro-
äischer Ebene, die von Deutschland ausging: 10 000
rakische Flüchtlinge sollten nach Europa gebracht wer-
en. 2 501 Flüchtlinge sind in Deutschland angekom-
en; wir haben unsere Hausaufgaben erfüllt; wir sind
ach wie vor sehr eng bei den irakischen Flüchtlingen.
ir brauchen also keine Aufforderung von Ihnen. Wenn
ir sehen, dass etwas nicht funktioniert, sind wir durch-
us in der Lage, zu handeln und den Menschen zu hel-
en. In diesem Fall war Deutschland der Motor in Eu-
opa. Das zeigt, dass wir uns um die Menschen in Not
ümmern. Das wollte ich zunächst einmal zu dem an-
erken, was Sie gesagt haben.
Wir haben das Thema Iran bereits mehrfach hier im
ohen Haus – im Plenum, aber auch im Menschen-
echtsausschuss – behandelt. Wir haben Betroffene, zum
eispiel die Bahai, gehört. Wir stehen aber auch in Kon-
akt zu Exiliranern, die uns über die Situation in ihrer
eimat berichten.
Wir sollten an dieser Stelle daran erinnern, dass Iran
itunterzeichner der Allgemeinen Erklärung der Men-
chenrechte von 1948 ist. Am 8. Dezember findet in Er-
nnerung an die Unterzeichnung der Internationale Tag
er Menschenrechte statt. Wir werden dann noch einmal
ie Situation im Iran thematisieren.
er Iran ist aber auch Vertragsstaat des Internationalen
aktes über bürgerliche und politische Rechte und schon
on daher verpflichtet, die grundlegenden Menschen-
echte zu gewähren.
Die Realität sieht aber leider anders aus. Beide Kolle-
innen haben bereits davon berichtet; ich brauche das
icht zu wiederholen. Fundamentale Menschenrechte
ie das Recht auf Leben, auf angemessene Behandlung
m Gefängnis und auf Rechtsstaatlichkeit – keine Inhaf-
ierung aus Willkür, sondern nur nach Überprüfung
urch den Haftrichter –, aber auch die Meinungsfreiheit,
ie Pressefreiheit und viele andere Rechte werden im
ran nicht gewährleistet. Menschen, deren Angehörige
epressalien und Folter erfahren oder zu Tode kommen,
rfahren Druck und Zwang, wenn sie Kontakt mit der
resse aufnehmen, um Öffentlichkeit zu schaffen.
Auch ausländische Journalisten, die sich darum küm-
ern, sind der Schikane ausgesetzt. Aktuell sind zwei
eutsche Journalisten im Zusammenhang mit dem Fall,
8564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Ute Granold
)
)
den die Kollegin gerade angesprochen hat, inhaftiert.
Hier ist das Auswärtige Amt dabei, zu helfen. Wir hof-
fen, dass es im Fall Aschtiani vorangeht. Erst weg von
der Steinigung, dann hin zum Erhängen, und jetzt even-
tuell eine Begnadigung.
Eine Steinigung ist grausam: Die Männer werden bis
zur Hüfte, die Frauen bis zur Brust eingegraben und
dann gesteinigt. Teilweise ist es ein stundenlanger
Kampf, bis man tot ist. Das ist ganz barbarisch. Im Ver-
gleich dazu erscheint der Tod durch Erhängen fast wie
ein Gnadenakt; aber das ist auch nicht viel besser. Es
handelt sich um ein Todesurteil aus Willkür. Geständ-
nisse werden durch Folter erpresst. Man hört vom Men-
schenrechtsrat im Iran, dass im Fall Aschtiani eine Be-
gnadigung anstehen könnte. Wir wissen nicht, ob das
stimmt; aber ich denke, dass der weltweite öffentliche
Druck in diesem Fall etwas bewirken konnte und kann.
Wir sollten in diesem Fall dafür sorgen, dass der Druck
so lange aufrechterhalten wird, bis auch der Sohn und
der Anwalt und auch die beiden deutschen Journalisten
aus der Haft entlassen werden. Ich denke, da sind wir
uns sehr einig.
Dieser Fall zeigt, dass wir durch öffentlichen Druck
Einfluss auf die Geschehnisse im Iran nehmen können,
wenn auch nicht massiv, aber doch langsam und stetig.
Dieser Druck muss international aufgebaut und dann
aufrechterhalten werden; wir haben mit vielen Reisen
des Ausschusses dazu beigetragen. Frau Kollegin Graf,
wir waren gerade in Kairo. Auch dort konnte man fest-
stellen: Die Deutschen haben einen guten Ruf in der
Welt, gerade im Hinblick auf die Einforderung der Men-
schenrechte. Ich erwähne in diesem Zusammenhang ge-
rade auch Indien und viele andere Länder mehr. Wir
schauen danach. Wenn man insistiert, hat man auch Er-
folg. Wir wollen dieses Pfund, unseren guten Ruf als
Deutsche nutzen, um immer wieder darauf hinzuweisen,
dass die fundamentalen Menschenrechte eingehalten
werden müssen.
Wenn man sich die Bilanz des derzeitigen Präsidenten
ansieht, muss man sagen, dass sich die Menschenrechts-
situation dramatisch verschlechtert hat. Ich hatte die Si-
tuation geschildert, die Grüne Revolution und all das,
was den Menschen, die für ihre fundamentalen Rechte
auf die Straße gehen, geschieht: Sie werden inhaftiert,
gefoltert und kommen zu Tode. Davon sind auch Min-
derjährige betroffen. Auch die traurigen Rekorde an Hin-
richtungen wurden genannt. In diesem Jahr wurden bis-
lang 2 000 Todesurteile verhängt; einige Hundert sind
bis jetzt vollstreckt worden. Zu den Details der Hinrich-
tungen habe ich mich bereits geäußert.
Es gibt viele Straftatbestände, auch vermeintliche
Straftatbestände, auf deren Grundlage jemand in Haft
kommt und mit dem Tode bestraft werden kann. Es gibt
zum Beispiel den Straftatbestand der Gottesfeindschaft.
Das kann man sehr weit auslegen. Ein Beispiel dafür,
dass man auch dafür schwere Repressalien erfahren
kann, ist die 26-jährige Bloggerin und Menschenrechts-
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heute, dann sollte das auch bei anderen Staaten der Welt
gelten, in denen es ähnlich prekäre Situationen gibt.
Noch einmal zu der Prüfung der Annahme weiterer
Flüchtlingen: Da werden wir, wenn es so weit ist, wei-
tere Gespräche führen. Wir haben das Kontingent von 50
noch nicht ausgeschöpft. Wenn sich die Situation ver-
schärft und Bedarf besteht, dann können wir sicherlich
auch mit den Vertretern der Länder darüber reden, ob
und wie wir hier eine weitere Hilfestellung geben kön-
nen, so wie wir es auch beim Irak gemacht haben. Ich
denke, dann werden wir, die Bundesregierung, der Au-
ßenminister und auch der Menschenrechtsbeauftragte
das Ohr am Volk, nah bei den Menschen haben und hel-
fen. Ich denke, darin sind wir uns einig, und das sollten
wir weiter so machen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Groth für die Fraktion Die
Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte einmal kurz auf die Entstehung
des Antrags der Regierungskoalition, von SPD und Grü-
nen eingehen. Es waren die Grünen, die die Regierungs-
fraktionen gebeten hatten, einen interfraktionellen An-
trag gegen die Hinrichtung der Iranerin Sakine Aschtiani
zu unterstützen. Die Koalition lehnte dies aus innenpoli-
tischem Kalkül ab. So sind die Grünen und die SPD auf
uns, die Linke, mit der Bitte zugekommen, gemeinsam
einen Oppositionsantrag zu formulieren. Das ist der jetzt
vorliegende Antrag der Linken. Nachdem wir drei Frak-
tionen einen gemeinsamen Antrag erarbeitet hatten, sind
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
fraktionen, zu SPD und Grünen gegangen und haben
plötzlich für einen gemeinsamen Antrag geworben. Dem
haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD
und Grünen, zugestimmt. Sie wollen es sich nicht mit
der CDU verderben, stehen nächstes Jahr doch etliche
Wahlen an, bei denen es interessante Koalitionsmöglich-
keiten gibt.
Dieses Spiel machen wir nicht mit.
Wir haben uns entschieden, den gemeinsam mit SPD
und Grünen ausgearbeiteten Antrag als eigenständigen
Antrag zur Abstimmung zu stellen, da er schlicht und
einfach besser ist. Also gibt es keine Zustimmung zu Ih-
rem Antrag.
Wir setzen uns gegen die Vollstreckung des Todesur-
teils an Frau Aschtiani ein und fordern die iranische Re-
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ch halte es im Kampf für die Abschaffung der Todes-
trafe für enorm wichtig, immer wieder auf Einzel-
chicksale von Menschen, die weltweit durch die eigene
egierung vom Tode bedroht sind, aufmerksam zu ma-
hen. Darum beteilige ich mich seit Jahren an der inter-
ationalen Kampagne für Mumia Abu-Jamal, der in den
SA von der Todesstrafe bedroht ist.
Bei unserem Einsatz für die Menschenrechte und ge-
en die Todesstrafe dürfen andere politische Interessen
egenüber den betreffenden Staaten keine Rolle spielen.
ie Fraktion Die Linke wird sich nicht an Ihrer Debatte
ber die Achse des Bösen beteiligen. Die Todesstrafe im
ran ist genauso barbarisch wie die Todesstrafe in China
der den USA.
Wenn ich mir Ihren gemeinsamen Antrag ansehe, bin
ch mir nicht ganz sicher, worum es Ihnen eigentlich
eht.
ollen Sie sich für Frau Aschtianis Recht auf Leben ein-
etzen, oder benutzen Sie sie, um einmal richtig gegen
en Hort des Bösen, den menschenfeindlichen Islam,
om Leder ziehen zu können? Wir lehnen es ab, unseren
ppell gegen die Todesstrafe für außenpolitische und
eostrategische Machtinteressen instrumentalisieren zu
assen. Für die Fraktion Die Linke ist immer wichtig,
ass Menschenrechtsverletzungen, die von unseren Ver-
ündeten begangen werden, nicht einfach unter den
isch gekehrt werden, während sie, wenn sie von unlieb-
amen Regimen begangen werden, offensiv aufgegriffen
erden. Eine solche Menschenrechtspolitik ist unehrlich
8566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Annette Groth
)
)
und schadet unserem Bemühen, die Achtung der Men-
schenrechte weltweit durchzusetzen.
Die Menschenrechtsverletzungen im Iran sind
schwerwiegend; das wissen wir alle. Aber schauen Sie
auch einmal in die ägyptischen Folterkammern oder
nach Saudi-Arabien. Warum schreien Sie nicht auf,
wenn unzählige Kinder und Frauen bei dem israelischen
Krieg gegen den Gazastreifen ums Leben kommen? Wo
ist Ihre Stimme, wenn Kinder in israelischen Gefängnis-
sen gefoltert oder bei friedlichen Demonstrationen er-
schossen werden?
Wir stellen uns gegen jeden Versuch, die iranische
Oppositionsbewegung als Vorwand für eine Neuordnung
der Ölregion im Interesse der westlichen Industriena-
tionen zu missbrauchen. Sanktionen, die die Bevölke-
rung treffen – Sanktionen treffen immer die Bevölke-
rung –, lehnt die Linke ab. Sanktionsdrohungen tragen
zur Verschärfung von Konflikten bei. Wem es wirklich
um Demokratisierung und Menschenrechte im Iran geht,
der muss alles tun, um die internationale Lage des Iran
zu entspannen. Wir alle kennen die Kriegsdrohungen ge-
gen den Iran.
Sie sollten sich für eine Politik starkmachen, die den
Iran einbindet und statt Konfrontation und Isolation eine
Politik des wirklichen Dialogs wählt. Solange deutsche
Iranpolitik im Kern auf Sanktionen und Androhung mili-
tärischer Intervention beschränkt bleibt, ist eine wir-
kungsvolle Menschenrechtspolitik unmöglich.
Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Volker Beck das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen
gemeinsamen Antrag mit der Koalition eingebracht, weil
es uns darum geht, das gemeinsame Signal dieses Hau-
ses an den Iran zu senden:
Stoppen Sie die Steinigung von Aschtiani! Führen Sie
sie einem fairen Gerichtsverfahren zu! Lassen Sie sie so-
fort frei, wenn die Schuld nicht erwiesen ist!
Darum geht es in dieser Debatte, nicht um die Kinde-
reien zwischen CDU/CSU-Fraktion und Linksfraktion.
Ich finde, unser Signal wäre stärker – das will ich deut-
lich sagen –, wenn alle fünf Fraktionen auf dem Antrag
stünden. Themen, bei denen wir uns einig sind, Men-
schenrechtsverletzungen in anderen Ländern zu kritisie-
ren, sollten wir hier im Hohen Haus gemeinsam tragen.
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Ich bin nicht bereit, wegen der Probleme, die Sie mit
er Linken haben, das gemeinsame Signal gegenüber ei-
em menschenrechtsverletzenden Regime zu schmälern.
eshalb haben wir uns auf diesen Antrag eingelassen.
er Antrag zur Menschenrechtssituation im Iran ist um-
assend. Er beinhaltet nicht nur das Problem der Steini-
ung, sondern auch Themen, die Oppositionelle und reli-
iöse Minderheiten sowie Homosexuelle und Frauen
egelmäßig betreffen.
Die Kollegin Schuster hat vorhin angesprochen, dass
ir den Iran auffordern, das Zusatzprotokoll zur völligen
bschaffung der Todesstrafe zu unterzeichnen. Im Fall
schtiani und auch in anderen Fällen reicht es aber, ihn
n seine Verpflichtung zu erinnern, die er zur Einschrän-
ung der Todesstrafe im Internationalen Pakt über bür-
erliche und politische Rechte eingegangen ist. Danach
arf die Todesstrafe nur bei schwersten Verbrechen, bei
iner klaren Beweislage und in einer nicht brutalen Form
erhängt werden. All diese Punkte verletzt der Iran. Des-
alb müssen wir den Iran aufgrund seiner selbstständig
ingegangenen völkerrechtlichen und menschenrechtli-
hen Verpflichtungen daran erinnern, dass das so nicht
eht und dass die Staatengemeinschaft das nicht hin-
immt.
hebruch, Abfall vom Glauben oder Homosexualität
ind häufig Gründe für Todesurteile im Iran. Keiner die-
er Gründe ist ein schwerstes Verbrechen. Das kann man
chon dem entnehmen, dass es über die Strafbarkeit die-
er Tatbestände in der Staatengemeinschaft überhaupt
einen Konsens gibt. Dann können es keine schwersten
erbrechen sein.
Wie die Urteile zustande kommen, kann man auch an
em Fall von Ibrahim Hamidi nachvollziehen, einem 18-Jäh-
igen, der von der Hinrichtung durch Erhängen am Kran
edroht ist, weil er mit drei anderen jemanden homo-
exuell vergewaltigt haben soll. Der Tatvorwurf der ho-
osexuellen Vergewaltigung ist der häufigste Vorwurf,
er gemacht wird, um Homosexuelle zu verfolgen. Die
eständnisse der Zeugen sind in der Regel erpresst oder
ehen, wie in diesem Fall, auf Familienstreitigkeiten zu-
ück. Später ziehen die Zeugen ihre Aussagen zurück,
ber das Todesurteil bleibt in Kraft. Während seiner Ver-
ehmung war Ibrahim Hamidi an den Beinen aufgehängt
nd geschlagen worden. Bei einer weiteren Vernehmung
ing ein Glastisch zu Bruch. Auf diese Art bekommt der
ran in seinen Moralverfahren die Beweise. Das ist ver-
recherisch. Ein solches Vorgehen müssen wir verurtei-
en.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8567
Volker Beck
)
)
Wenn wir das glaubwürdig tun, können wir aber nicht
sagen, dass wir nur 50 Flüchtlinge – Oppositionelle, An-
hänger religiöser Minderheiten und Homosexuelle aus
dem Iran – aus der Türkei aufnehmen.
Es gibt dazu einen umfangreichen Antrag unserer Frak-
tion, über den wir gestern im Ausschuss gesprochen ha-
ben. Die Türkei akzeptiert gegenwärtig nicht die Regeln
der Genfer Flüchtlingskonvention für nichteuropäische
Flüchtlinge. Oppositionelle, die aus dem Iran fliehen,
werden regelmäßig eingesperrt, so übrigens der Anwalt
von Frau Aschtiani. Ich habe mich persönlich dafür ein-
gesetzt, dass sich das Auswärtige Amt für seine Freilas-
sung einsetzt. Mohammed Mostafai wurde von den türki-
schen Behörden zunächst festgenommen und konnte
später nach Norwegen ausreisen. Wir sehen: Homosexu-
elle, Oppositionelle und Menschenrechtsverteidiger ha-
ben in der Türkei aufgrund deren Außenpolitik gegenüber
dem Iran oftmals weitere Verfolgung und Diskriminie-
rung zu ertragen. Deshalb müssen wir Menschen aus der
Türkei aufnehmen, die es geschafft haben, den Iran zu
verlassen, aber in der Türkei nicht in einem sicheren Ha-
fen sind.
Ich bitte Sie: Stimmen Sie diesem Prüfauftrag oder
unserem umfassenden Antrag zur Aufnahme von Flücht-
lingen zu. Es ist nicht so – damit möchte sich die Koali-
tionsmehrheit in diesen Debatten immer herausreden –,
dass es dafür nach unserem Ausländerrecht der Zustim-
mung der Länder bedarf und deswegen so kompliziert
ist. Ich lese Ihnen, mit Erlaubnis der Präsidentin, zum
Schluss meiner Rede § 22 des Aufenthaltsgesetzes vor:
Einem Ausländer kann für die Aufnahme aus dem
Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden hu-
manitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis er-
teilt werden. Eine Aufenthaltserlaubnis ist zu ertei-
len, wenn das Bundesministerium des Innern oder
die von ihm bestimmte Stelle zur Wahrung politi-
scher Interessen der Bundesrepublik Deutschland
die Aufnahme erklärt hat.
Welches politische Interesse könnte höher stehen als die
Wahrung der Menschenrechte und die Unterstützung
von Menschenrechtsverteidigern, die sich in Gefahr für
Leib, Leben und Freiheit für Demokratie und Rechts-
staatlichkeit einsetzen!
Die Frau Präsidentin darf gerne die Zwischenfrage
der Kollegin Granold zulassen.
Kollege Beck, das hätten Sie mit der Kollegin vorher
klären müssen. Sie haben, wie Sie wissen, Ihre Redezeit
bereits überschritten.
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Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
olenz.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
egen! Der Iran ist eine alte und große Kulturnation. Die
raner sind zu Recht stolz darauf. Schon im 13. Jahrhun-
ert hat der berühmte persische Dichter Saadi in seinem
oetischen Meisterwerk Golestan – auf Deutsch Rosen-
arten – die Solidarität der Menschen über alle Grenzen
inweg beschworen. Ich möchte gerne einen Vers aus
em Rosengarten zitieren:
Als Adams Nachfahr’n sind wir eines Stammes
Glieder.
Der Mensch schlägt in der Schöpfung als Juwel
sich nieder.
Falls Macht des Schicksals ein Organ zum Leiden
führt,
Sind alle Andern von dem Leid nicht unberührt.
Wenn niemals Du in Sorge um den andern brennst,
Verdienst du nicht, dass Du Dich einen Menschen
nennst.
ie weit hat sich die heutige iranische Regierung von
ieser Humanität, von diesem Respekt vor der Würde ei-
es jeden einzelnen Menschen entfernt?
Die Vertreter der iranischen Regierung werden nicht
üde, immer wieder einzufordern, mit Respekt, mit
ürde und auf gleicher Augenhöhe behandelt zu werden.
ie gleiche Regierung verhält sich dem eigenen Volk ge-
enüber nicht so. Jeder, der nicht ihrer Meinung ist, wird
edroht; er läuft Gefahr, unterdrückt und misshandelt zu
erden, wenn die Kleidungsvorschriften nicht exakt ein-
ehalten werden oder wenn eine Party mit westlicher Mu-
ik gefeiert wird.
Kollege Polenz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Liebich?
Ja.
Bitte.
8568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
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Sehr geehrter Herr Kollege Polenz, wir arbeiten im
Auswärtigen Ausschuss sehr gut zusammen, und ich
schätze Ihre faire Verhandlungsführung. Mich würde in-
teressieren, wieso es Ihre Fraktion eigentlich ablehnt,
dass wir in dieser Frage, in der wir uns über die Frak-
tionsgrenzen hinweg einig sind, einen gemeinsamen An-
trag einbringen.
Ich stelle mir diese Frage gerade bei Themen, die die
Menschenrechte betreffen, immer wieder. Aber ich muss
Ihnen ganz ehrlich sagen: Der Beitrag Ihrer Kollegin, die
vorhin gesprochen hat, hat mich darin bestärkt, dass es
diesmal richtig war.
Ich fordere die iranische Regierung auf, ihre eigenen
Bürgerinnen und Bürger mit Respekt zu behandeln. Ich
fordere sie auf, Respekt vor der politischen Entschei-
dung des iranischen Volkes zu haben, wenn es an die
Wahlurnen gerufen wird. Ich fordere die iranische Re-
gierung auf, Respekt vor der politischen Meinung der
Iranerinnen und Iraner zu haben, sie sie frei äußern zu
lassen, friedliche Demonstrationen zuzulassen und Me-
dien- und Pressefreiheit zu gewährleisten.
Wir müssen auch Respekt vor der Würde des Men-
schen einfordern: im Strafvollzug, im Gerichtsverfahren
mit anwaltlicher Vertretung und fairen rechtsstaatlichen
Regeln. Weil wir die weltweite Abschaffung der Todes-
strafe aber nicht in einem Anlauf erreichen werden, müs-
sen wir, wie ich finde, mit allem Nachdruck fordern,
dass die Steinigung, die die barbarischste Form der To-
desstrafe ist, sofort abgeschafft wird.
Man kann sich zur Begründung dieser barbarischen
Strafe auch nicht auf den Koran berufen. Ajatollah
Ghaemmaghami, ein oberster schiitischer Rechtsgelehr-
ter, der in Teheran Theologie studiert hat und das Islami-
sche Zentrum Hamburg leitete, an dem früher auch der
ehemalige iranische Präsident Chatami tätig war, hat ge-
rade erst in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung geschrieben: „Im Koran finden wir keine Bestä-
tigung dieser Strafmethode“. Außerdem stellte er fest,
„dass die Steinigung aus koranischer Sicht nicht akzepta-
bel sein kann“. So äußerte sich ein oberster schiitischer
Rechtsgelehrter.
Ich fordere auch in dieser Debatte dazu auf, die deut-
schen Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch, die
schlimmen Haftbedingungen ausgesetzt sind, zügig vor
Gericht zu stellen, wenn sie gegen iranische Vorschriften
verstoßen haben sollten, und ihnen ein faires Verfahren
zu gewährleisten, damit sie nach Deutschland zurück-
kehren und das Weihnachtsfest mit ihren Familien feiern
können.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Iran hat den
N-Zivilpakt unterschrieben. Wie kommt es dann zu
iesen schweren Menschenrechtsverletzungen? Der Phi-
osophieprofessor Reinhard Brandt aus Marburg hat ge-
ade an einer UNESCO-Konferenz in Teheran zum
hema „Philosophie: Theorie und Praxis“ teilgenommen
nd einen Erfahrungsbericht darüber veröffentlicht. Er
itiert einen iranischen Teilnehmer, Mohammad Hossein
alebi, der auf diesem Kongress Folgendes gesagt hat:
Das Menschenrecht richte sich nach dem islami-
schen Recht, das den Menschen zum Tier erklärt,
wenn er von Gott abfällt. … Von einem Menschen-
recht auf der Grundlage eines unverlierbaren Perso-
nenstatus jedes Menschen, selbst des Verbrechers
, könne keine Rede sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer einen Men-
chen zum Tier erklärt, hat ein bestialisches Verständnis
on Menschenwürde und Menschenrechten.
as steht im Gegensatz zu den internationalen Verpflich-
ungen des Iran und zur UN-Charta, übrigens auch im
egensatz zur Auffassung vieler hervorragender islami-
cher Theologen – auch aus dem Iran. Es steht außerdem
m Gegensatz zu den Worten des großen iranischen Poe-
en Saadi:
Wenn niemals Du in Sorge um den andern brennst,
Verdienst Du nicht, dass Du Dich einen Menschen
nennst.
Aus Sorge um Frau Aschtiani, die beiden deutschen
ournalisten, die Bahai, die verfolgten Studenten und
rofessoren und aus Sorge um die ins Gefängnis gewor-
enen Blogger und Journalisten führen wir im Deutschen
undestag heute diese Debatte.
Wir führen sie aus Sorge um die Humanität im Iran,
ie immer mehr von dieser Regierung und ihren Helfe-
innen und Helfern mit Füßen getreten wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Arnold
aatz das Wort.
Der Kollege Polenz hat soeben zu dem Thema Stel-
ung genommen, ob es nicht zusammen mit der Linken
emeinsame Anträge zum Thema Menschenrechte ge-
en sollte. Ich möchte der Antwort des Kollegen Polenz
twas hinzufügen: Ich halte es für richtig, dass unsere
nträge so stark wie möglich sind und eine so breite Un-
erstützung wie möglich erfahren, wenn sie dem Thema
enschenrechte gelten, weil es um die Betroffenen geht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8569
Arnold Vaatz
)
)
und nicht um uns. Aber das setzt voraus, dass man sicher
ist, dass alle Unterstützenden unter dem Wort „Men-
schenrechte“ in etwa dasselbe verstehen.
Das große Problem, das ich mit den Kolleginnen und
Kollegen von der Linken habe, ist, dass mir in meinem
Wahlkreis sehr viele Vertreter der Linken-Basis begeg-
nen, die in der DDR behauptet haben, dass dieser Staat
die Menschenrechte optimal verwirkliche. Genau das
zeigt, dass es hier eine dramatische Differenz im Ver-
ständnis dieses Begriffs gibt. Ich möchte ein gemeinsa-
mes Votum dieses Hauses nicht dadurch schwächen,
dass ich mich dem Verdacht aussetze, unter Menschen-
rechten etwas Ähnliches zu verstehen, was die aus der
DDR kommende Parteibasis der Linken ihr Leben lang
darunter verstanden hat und noch heute darunter ver-
steht.
Der Kollege Liebich hat das Wort.
Herr Kollege Vaatz, zunächst einmal möchte ich Ih-
nen sagen, dass Ihre Aussage schon in der Sache über-
haupt nicht zutrifft. Sie machen sich gar nicht die Mühe,
sich mit uns auseinanderzusetzen und mit uns eine Dis-
kussion darüber zu führen, was wir in Fragen der Men-
schenrechte hier vertreten wollen, sondern Sie sagen von
vornherein – nicht nur unserer Fraktion, sondern allen
anderen Fraktionen im Haus –, dass Sie, egal, was wir
finden, immer gemeinsame Anträge mit uns ablehnen
werden. Machen Sie sich insofern hier nicht die Mühe,
sich irgendwelche Ausreden einfallen zu lassen!
Zum Zweiten. Wenn es in unseren Reihen jemanden
gäbe, der die Universalität der Menschenrechte infrage
stellte, dann wäre er nicht lange Mitglied unserer Frak-
tion. Dass es in Parteien Menschen gibt, die da durchaus
abweichende Meinungen haben, möchte ich gerne an Sie
zurückgeben; denn das gibt es durchaus auch in Basis-
organisationen der CDU. Ich habe hin und wieder auch
mit der CDU meine Diskussionen.
Wir sind die gewählten Mitglieder des Deutschen
Bundestages. Wir versuchen gemeinsam ein starkes Si-
gnal in Richtung Iran zu senden; aber Ihre Fraktion
macht aus rein parteipolitischem Kalkül jedes Mal das
gleiche Spiel. Da müssen Sie nicht im Nachhinein nach
irgendwelchen Ausreden suchen. Es wäre wirklich
schön, wenn Sie den besonderen Worten Ihres Vorred-
ners, Herrn Polenz, ein wenig Aufmerksamkeit schenk-
ten und zumindest darüber einmal nachdächten.
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Das Wort hat der Kollege Strässer für die SPD-Frak-
ion.
8570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bis vor kurzem habe ich gedacht, dass wir hier über ein
Thema sprechen, bei dem nichts weniger am Platz ist als
parteipolitisches Gezänk.
Weil das jetzt vielleicht ein bisschen subjektiv rüber-
kommt, will ich das auch noch einmal in aller Deutlich-
keit sagen:
Ich als Mitglied dieses Deutschen Bundestages unter-
stelle bei einer solchen Forderung keinem Kollegen, aus
welcher Fraktion auch immer, unlautere Motive; das tue
ich nicht. Alle Kolleginnen und Kollegen, die hier sit-
zen, sind gewählt und haben, wenn sie gegen die Todes-
strafe eintreten, das Recht, dass ihnen das abgenommen
wird. Ich nehme ihnen das ab und sage nicht: Die haben
eine Vergangenheit, mit der sie sich auseinanderzusetzen
haben, und deshalb dürfen sie nicht die Abschaffung der
Todesstrafe im Iran fordern.
Ich glaube, wenn die Menschen, die wir damit anspre-
chen wollen, diesen Teil der Debatte hören, dann werden
sie sich von dem Schauspiel, das hier in diesem Hohen
Hause gerade abgelaufen ist, beschämt abwenden.
Ich sage das auch vor dem Hintergrund ganz deutlich,
dass man sich – ich verlasse jetzt einfach einmal mein
Manuskript – natürlich mit bestimmten Fragen auseinan-
dersetzen kann und muss; das ist doch überhaupt nicht
das Problem. Man muss aber zumindest ein Angebot
machen, und dann kann man sehen, wo die Leute eigent-
lich stehen und was da eigentlich los ist.
Ich sage das für mich persönlich ganz klar – wir ha-
ben das auch in unserer Fraktion so besprochen –: Die
Forderung nach einer Nichtvollstreckung der Todes-
strafe für Frau Aschtiani ist bei uns ebenso Konsens wie
die Forderung, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen.
Deshalb werden wir dem Antrag, den wir selber mit for-
muliert haben, am Schluss dieser Debatte auch zustim-
men. Das ist für mich überhaupt keine Frage.
Darüber kann man sich natürlich auseinandersetzen,
aber ich hätte mir gewünscht, dass das in dieser Plenar-
sitzung heute nicht erforderlich gewesen wäre.
Frau Kollegin Groth, ich verstehe Sie nicht. Sie haben
keinen einzigen Ton dazu gesagt, was an dem Antrag,
den wir hier eingebracht haben, falsch ist. Sie haben ge-
sagt: Unser Antrag ist besser. – Damit kann man natür-
lich leben und sich einen schlanken Fuß machen. Ich bin
aber wirklich einmal gespannt – das würde ich von Ihnen
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dieses Regimes, und diese Perversion müssen wir in die-
sem Hohen Hause einheitlich aufzeigen. Deshalb
möchte ich noch einmal an die Linksfraktion gerichtet
werben – dabei ist es mir egal, ob es den Kollegen von
der CDU gefällt –: Stimmen auch Sie diesem Antrag zu!
Denn nur damit gewinnen Sie die Glaubwürdigkeit, die
Sie in Anspruch nehmen und mit der wir uns auseinan-
dersetzen müssen.
In diesem Sinne würde ich mir wünschen, Frau Kolle-
gin Granold – vielleicht noch als Ergebnis zum 8. De-
zember, dem Tag der Menschenrechte; das wäre ein
klasse Signal –, dass die Bundesregierung verkünden
würde: Wir öffnen uns. Wir nehmen von den 4 000 In-
haftierten in der Türkei ein paar mehr als diese 50 auf,
deren Aufnahme wir schon zugesichert haben. – Das
wäre für diese Menschen – obwohl sie keine Christen
sind – ein schöner Auftakt für die Weihnachtszeit. –
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache. – Mir liegt von den Kol-
legen Koenigs, Nouripour, Malczak und Beck
eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung
vor.1) Eine weitere Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung liegt mir von zahlreichen Abgeordneten
der Fraktion Die Linke vor.2) Entsprechend unseren Re-
gularien nehmen wir diese zu Protokoll.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/4011 mit dem Titel „Men-
schenrechtslage im Iran verbessern“. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen vier Stimmen aus der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der übrigen Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3993
mit dem Titel „Die Hinrichtung der Iranerin Sakineh
Mohammadi Ashtiani verhindern und weltweit die To-
desstrafe abschaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/3997 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
1) Anlage 3
2) Anlage 4
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Gerechte Alterseinkünfte für Beschäftigte im
Gesundheits- und Sozialwesen der DDR
– Drucksache 17/3871 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Gerechte Lösung für rentenrechtliche Situa-
tion von in der DDR Geschiedenen
– Drucksache 17/3872 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Gerechte Versorgungslösung für Ballettmit-
glieder in der DDR
– Drucksache 17/3873 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Regelung der Ansprüche der Bergleute der
Braunkohleveredlung
– Drucksache 17/3874 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Beseitigung von Rentennachteilen für Zeiten
der Pflege von Angehörigen in der DDR
– Drucksache 17/3875 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
8572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenrechtliche Lösung für Land- und Forst-
wirte, Handwerkerinnen und Handwerker,
andere Selbständige sowie deren mithelfende
Familienangehörige aus der DDR
– Drucksache 17/3876 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten
und vereinbart verlängerten Bildungswegen
sowie Forschungsstudien und Aspiranturen in
der DDR
– Drucksache 17/3877 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung von DDR-Re-
gelungen für ins Ausland mitgereiste Ehepart-
nerinnen und Ehepartner sowie von im Aus-
land erworbenen Ansprüchen
– Drucksache 17/3878 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenrechtliche Anerkennung aller freiwilli-
gen Beiträge aus DDR-Zeiten
– Drucksache 17/3879 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Befristetes System „sui generis“ für die Besei-
tigung des Versorgungsunrechts bei den Zu-
satz- und Sonderversorgungen der DDR
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Vertrauensschutz für Versorgungsberechtigte
der DDR mit einem Ruhestandsbeginn bis
zum 30. Juni 1995 schaffen
– Drucksache 17/3881 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Regelung der Ansprüche und Anwartschaften
auf Alterssicherung für Angehörige der Deut-
schen Reichsbahn der DDR
– Drucksache 17/3882 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Regelung der Ansprüche und Anwartschaften
auf Alterssicherung für Angehörige der Deut-
schen Post der DDR
– Drucksache 17/3883 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Angemessene Altersversorgung für Professo-
rinnen und Professoren neuen Rechts, Ärztin-
nen und Ärzte im öffentlichen Dienst und wei-
tere Beschäftigte universitärer und anderer
wissenschaftlicher Einrichtungen in Ost-
deutschland
– Drucksache 17/3884 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8573
Vizepräsidentin Petra Pau
)
)
o) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Angemessene Altersversorgung für Beschäf-
tigte des öffentlichen Dienstes der DDR, die
nach 1990 ihre Tätigkeit fortgesetzt haben
– Drucksache 17/3885 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
p) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Angemessene Altersversorgung für Angehö-
rige von Bundeswehr, Zoll und Polizei, die mit
DDR-Beschäftigungszeiten nach 1990 ihre Tä-
tigkeit fortgesetzt haben
– Drucksache 17/3886 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
q) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Einheitliche Regelung der Altersversorgung
für Angehörige der technischen Intelligenz der
DDR
– Drucksache 17/3887 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
r) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Wertneutralität im Rentenrecht auch für Per-
sonen mit bestimmten Funktionen in der DDR
– Drucksache 17/3888 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es handelt sich um die Beratung mehrerer Vorlagen
zur Überleitung von DDR-Rentenrecht in Bundesrecht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Martina Bunge.
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ber denen, die in der Nähe im Raum Borna/Espenhain
it seiner zerstörten Umwelt in der Braunkohlevered-
ung gearbeitet haben
die dort geschuftet haben, muss man sagen –, streichen
ie einfach den besonderen Rentenanspruch. Das finden
ir beschämend.
Wie sehen denn Ihre Aktivitäten aus? In der CDU/
SU-Fraktion wurden die Verantwortlichen ausge-
auscht. Zumindest sah das in der Debatte zum Gesamt-
ntrag im Mai so aus. Denn in der letzten Legislatur-
eriode hatte Kollegin Maria Michalk aus Sachsen
8574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Martina Bunge
)
)
wenigstens einen gewissen Handlungsbedarf einge-
räumt. Ein neuer Abgeordneter, der Kollege Frank
Heinrich, sprach am 20. Mai dieses Jahres hingegen von
„Härten, Verwerfungen und Randschwächen“, mit denen
wir bei der Rentenüberleitung leben müssten. Hoffent-
lich stehen Sie heute zu Ihrem Wort, Kollegin Michalk.
Ich habe gesehen, dass Sie noch sprechen werden. Aber
wo sind die Taten?
Es geht um die Anerkennung gelebten Lebens von Hun-
derttausenden älteren Menschen im Osten.
Das haben übrigens auch die Kolleginnen und Kollegen
von der FDP-Fraktion in der letzten Legislaturperiode so
gesehen und einen Antrag mit fast allen der von uns er-
kundeten Probleme vorgelegt.
Kollegin Bunge, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lazar?
Das ist jetzt zwischendrin etwas schwierig, weil ich
gerade bei der FDP-Fraktion bin. Vielleicht nach dem
Passus. Ich bin gerade mittendrin.
Ich will mich erst einmal mit der FDP beschäftigen.
Sie haben als Oppositionsfraktion fast alles in Ihren An-
trag hineingebracht. Sie hatten beispielsweise erkannt,
dass ein Techniker Ost eine ähnliche zusätzliche Versor-
gung hatte wie ein Techniker West, und waren scho-
ckiert, wie dann bei der Überführung der Rentenansprü-
che vorgegangen wurde.
Sie haben damit bewiesen, dass das keine Absurditäten
im Alterssicherungssystem der DDR waren, sondern
Ansprüche in Systemen, in die der Einzelne zum Teil er-
hebliche Beiträge eingezahlt hatte.
Ich denke, wir müssen hier den Vertrauensschutz einfor-
dern.
Jetzt bin ich mit meiner Bemerkung über die FDP fer-
tig.
Wenn die Wortmeldung zu der Zwischenfrage noch
besteht, dann lasse ich sie jetzt zu.
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Frau Kollegin, das DDR-Rentensystem war nicht üp-
ig. Es gab aber eine Mindestrente. Man konnte zumin-
est bescheiden davon leben, weil es eine zweite Lohn-
üte gab, da die Mieten sehr viel niedriger waren. Eine
weiraumwohnung kostete beispielsweise 30 Mark.
Insofern sind die Zusatzversorgungssysteme denen mit
öheren Qualifikationen aus dem Westen nachgebildet
orden. Rentenrecht hat eine Wertneutralität. Deshalb
ann man nicht a priori sagen, dass es sich um privilegier-
es Einkommen handelt. Das ist einfach nicht möglich.
Sie können doch nicht einfach alles auf die Rente zu-
ückstufen und sagen, dass sei für Sie alles Luft. Es gibt
inen Vertrauensschutz, weil Beiträge gezahlt wurden.
Schauen Sie doch einmal genau hin. Das hat sogar
err Seehofer damals als Staatssekretär zugegeben, der
iese Rentenüberleitung gemacht hat.
Nun zur SPD-Fraktion. Kollege Anton Schaaf, meine
ochachtung. Sie haben das Versagen zu SPD-Regie-
ungszeiten eingestanden. Ich hoffe nur, dass Sie jetzt
rnst machen. Ich denke, wir haben viele Gemeinsam-
eiten. Sie, verehrte Kollegen von den Grünen, hatten ei-
en Antrag zu den Geschiedenen gestellt, den Sie leider
eute zurückgezogen haben. Lassen Sie uns das doch ge-
einsam anpacken. Ich denke, es ist nun an der Zeit, ei-
en gangbaren Weg zu suchen. Umsetzen muss dies na-
ürlich das Ministerium für Arbeit und Soziales. Dort
ind die personellen Kapazitäten vorhanden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8575
Dr. Martina Bunge
)
)
Ich fordere insbesondere die Koalitionsfraktionen und
die Kanzlerin auf: Machen Sie die Sache zur Chefsache
Ost. Machen Sie endlich Schluss mit den Ungerechtig-
keiten und der Diskriminierung von Hunderttausenden
älterer Bürgerinnen und Bürgern im Osten.
Danke schön.
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Weiß das
Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundestagspräsident Dr. Lammert hat heute Morgen
die Plenarsitzung des Bundestages mit einem Gedenken
an den 20. Jahrestag der ersten Wahl eines gesamtdeut-
schen Bundestages eröffnet. Zu den großen Leistungen
dieses ersten gesamtdeutschen Bundestags gehört es, dass
er die Rentenüberleitung Ost-West beschlossen hat, eines
der markantesten und wichtigsten sozialpolitischen Vor-
haben des wiedervereinigten Deutschlands. Ich möchte
an dieser Stelle zunächst einmal den Abgeordneten, die
damals im ersten gesamtdeutschen Bundestag diese Ren-
tenüberleitung beschlossen haben, einen herzlichen Dank
aussprechen für den Mut und die Weitsicht, die sie damals
mit diesem Beschluss bewiesen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Renten-
überleitung war und ist eine großartige Solidarleistung
zuallererst der Versicherten und des Staates. Durch diese
Rentenüberleitung wurden die Rentnerinnen und Rent-
ner in den neuen Bundesländern nicht benachteiligt, son-
dern sie sind die eigentlichen Gewinner des gemeinsa-
men deutschen Rentenrechts. Für die Rentnerinnen und
Rentner in den neuen Bundesländern war die Renten-
überleitung ein echter Zugewinn im Vergleich zu dem,
was sie nach altem DDR-Recht je hätten bekommen
können.
Ich möchte das an folgendem Beispiel deutlich machen.
Wurden ihnen in der alten DDR gerade einmal 30 bis
40 Prozent des durchschnittlichen Arbeitseinkommens
ausgezahlt und wurden ihnen im ersten Jahr der Vereini-
gung nur 35 Prozent der Westrente ausgezahlt, kletterte
dieser Anteil im Laufe der letzten 20 Jahre auf 89 Pro-
zent des Westwertes. Um es kurz und knapp zu sagen:
Hätten wir keine Rentenüberleitung geschaffen, lebten
heute die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutsch-
lands allesamt in Armut. Sie könnten von ihren Renten
nie und nimmer leben.
Bei aller Kritik, die man an einzelnen Regelungen
üben kann, sollten wir heute, am 20. Jahrestag der Wahl
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Wir haben schon im Mai 2009 über die meisten der
un vorliegenden Anträge debattiert und eine Anhörung
it Fachexperten durchgeführt. Die Experten haben ein-
ellig darauf hingewiesen, dass sie keinen Handlungsbe-
arf, wohl aber die Gefahr weiterer Ungerechtigkeiten
ehen, wenn wir das beschließen, was vorliegt.
8576 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Peter Weiß
)
)
Bevor wir angebliches Unrecht durch Beschlüsse ver-
meintlich beheben, was wieder anderen Unrecht zufügt
oder andere zu der Auffassung bringt, dass ihnen Unrecht
geschieht, sollten wir diesem Expertenrat folgen. Wir
brauchen – das haben wir uns in der Koalition vorgenom-
men – ein einheitliches Rentenrecht in Deutschland. Das
muss unser großes Ziel sein.
Aber mit den vielen vorliegenden Einzelanträgen wider-
fährt niemandem Gerechtigkeit. Es bleibt dabei: Mit der
Rentenüberleitung haben wir ein ungerechtes Rentensys-
tem Ost abgeschafft und den Rentnerinnen und Rentnern
in den neuen Bundesländern eine Lebensgrundlage ge-
geben. Das wäre mit einer Rente nach DDR-Recht nie
möglich gewesen.
Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Schaaf das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Bunge, ich glaube nicht, dass es der
Sache, die Sie hier vortragen – auch wenn man sie in
Teilen für berechtigt halten kann –, guttut, wenn man das
Rentenrecht und die Rentenüberleitung, die allen Men-
schen, die Rentenansprüche aus der DDR hatten, ein
Auskommen gesichert haben, hier als Rentenstrafrecht
bezeichnet. Ich glaube, der Sache tut man damit nichts
Gutes.
Ich habe es schon letztes Mal gesagt und sage es jetzt
noch einmal: Ich habe maximales Verständnis dafür,
dass es hier in diesem Hause Kolleginnen und Kollegen
gibt, die an einer Stelle schlichtweg nicht springen kön-
nen, nämlich an der Stelle, wo es darum geht, dass man
die Privilegien derjenigen, die in der DDR besonders
partei- und staatsnah waren, in heutige Rentenansprüche
überträgt. Das kann ich absolut nachvollziehen.
Sie tun der Sache keinen Gefallen, wenn Sie die Renten-
überleitung als Nachteil für eine riesige Masse von Men-
schen im Osten der Republik darstellen. So finden wir
keine gemeinsame Lösung.
Sie haben jetzt bis auf einen neuen Antrag wieder
wortgleiche Anträge eingebracht.
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u diesem neuen Antrag kann ich Folgendes sagen: Ich
abe mir alle Mühe gegeben, zu verstehen, wen Sie da-
it genau meinen. Ich weiß nicht, welcher Professor die-
en Antrag geschrieben hat. Aber ich konnte noch nicht
inmal herausfinden, welche Anspruchsberechtigten Sie
einen. Auch Leute, die wirklich Ahnung vom Renten-
echt haben, haben vergeblich versucht, herauszufinden,
as eigentlich mit diesem Antrag gemeint ist. Sie haben
ier und da einen Finanzvorschlag in den Anträgen ge-
acht. All das bewegt sich innerhalb des Rentenrechts.
ch sage Ihnen: Sie werden mich damit nicht dazu bewe-
en, meine Zustimmung zu einer neuen Anhörung zu
ieser Thematik zu geben. Das ergibt überhaupt keinen
inn. Solange sich Ihre Vorschläge im Rahmen des Ren-
enrechts bewegen, wo sie nichts zu suchen haben, kom-
en wir keinen Schritt voran.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Lösungen
ür einzelne Fallgruppen, die dort beschrieben sind, su-
hen müssen. Ich finde, man kann den Standpunkt recht-
ertigen, dass sich aus der Rentenüberleitung für einen
eil der Bevölkerung besondere Härten ergeben haben.
afür muss man aber eine sozialpolitische Lösung fin-
en und keine rentenpolitische Lösung, die auf Dauer
entenwirksam wird. Das kann man von mir aus tun,
ber dazu höre ich von Ihnen nichts. Ihr Erkenntnisge-
inn hat bisher nicht dazu ausgereicht, zu sagen: Lasst
ns doch einmal überlegen, wie wir soziale Härten au-
erhalb des Rentenrechts mildern können. – Deswegen
rbeiten wir an einem Vorschlag zur Errichtung eines
ozialfonds, der besondere Härten, die sich aus der Ren-
enüberleitung ergeben haben, abmildern soll.
as wäre ein sinnvoller Vorschlag. Damit trifft man ziel-
enau die, die wirklich betroffen waren.
Ich nenne noch eine Gruppe, die Sie ständig vergessen,
ie ich aber immer auf dem Schirm habe und auf die man
enau achten sollte. Es handelt sich um die Menschen, die
us der DDR geflüchtet sind und nach dem Fremdrenten-
esetz zunächst einmal Ansprüche hatten, aber nach der
entenüberleitung nach dem allgemeinen Rentenrecht
ehandelt worden sind. Auch diese Menschen haben
urch die Einigung und den Rentenüberleitungsvertrag
achteile erlitten. Wir müssen also schauen, dass wir
uch an dieser Stelle etwas bewegen. Das ist nicht Ihre
lientel, das ist mir klar, aber auch für diese muss aus
einer Sicht eine sozialpolitische Lösung gefunden wer-
en. Die sollten wir gemeinsam suchen.
An die Regierung gerichtet – da pflichte ich Ihnen
erne bei – würde ich sagen: Meiner Kenntnis nach gibt
s einen konkreten Vorschlag für Menschen, die in der
arbonchemie gearbeitet haben. Es gibt einen vernünfti-
en Vorschlag zur Umsetzung der Ansprüche. Ich bitte
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8577
Anton Schaaf
)
)
Sie, diesen zügig zu bearbeiten. Es gibt 500 Leute, die
dringend darauf warten, dass ihre Ansprüche erfüllt wer-
den. Wenn es einen Lösungsvorschlag gibt, der tragbar
ist, dann kümmern Sie sich darum, sonst sind die
500 Leute weggestorben, bevor sie diese Ansprüche gel-
tend machen können. An die Regierung gerichtet sage
ich, dass es einen Vorschlag einiger Bundesländer im
Bundesrat gibt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzu-
richten, um die Problematik der Geschiedenen in der
DDR aufzugreifen und vielleicht Lösungsvorschläge zu
unterbreiten. Lassen Sie sich auf den Versuch ein, Lösun-
gen zu finden, damit wir einige Schritte vorankommen.
Ich glaube, wir können die Lage nur dann befrieden,
wenn man schaut, wo soziale Härten entstanden sind und
wie man diese sozialen Härten vernünftig abmildert. Be-
wegen Sie sich an dieser Stelle. Ich kann damit leben,
wenn wir das alles nicht im Rentenrecht lösen; denn da
hat es im Allgemeinen nichts zu suchen. Wenn man das
Ganze sozialpolitisch mit einem Sozialfonds löst, um
Härten abzumildern, dann hat man einmalige Aufwen-
dungen, aber man hat den Menschen tatsächlich und sehr
konkret geholfen. Bewegen Sie sich also an dieser Stelle.
Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte: Sie ha-
ben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es eine renten-
rechtliche Ost-West-Angleichung geben soll.
Ich sage Ihnen dies als Mahnung: Wenn man ein solches
Versprechen macht, bei dem am Ende substanziell für
die Menschen keine Verbesserung herauskommt, dann
sollte man sich besser an dieses Podium stellen und sa-
gen: Das können wir zurzeit nicht stemmen. – Das sollte
man besser tun. Gehen Sie nicht mit einem Vorschlag
raus, der nicht wenigstens ein Stück weit etwas von dem
einlöst, was die Menschen im Osten erwarten. Das tut
uns allen nicht gut und Ihnen sowieso nicht. Ich sage Ih-
nen: Wenn Sie schon etwas machen, dann muss dabei et-
was Substanzielles für die Menschen passieren, sonst
lassen Sie besser die Finger davon. Sagen Sie den Men-
schen: Wir kriegen es nicht gewuppt.
Frau Bunge, ganz zum Schluss: Ich weiß, wie schwie-
rig es ist, die Problematik zu lösen, und wie viel Geld
man bewegen müsste, um alle Bedürfnisse zu befriedi-
gen. Vor diesem Hintergrund habe ich gesagt: Wir haben
das in den letzten Legislaturperioden, in denen wir Ver-
antwortung getragen haben, nicht hinbiegen können. Das
ist kein Schuldeingeständnis, sondern es zeigt nur auf,
wie schwierig es ist, diese Problematik tatsächlich zu lö-
sen; denn es kostet enorm viel Geld und befriedigt unter
Umständen nicht alle. Wir haben eine wechselseitige
Diskussion: Wenn wir auf der einen Seite ein bisschen
mehr machen, dann wird auf der anderen Seite darüber
diskutiert, dass das bezahlt werden muss. Das ist auch
nicht gut für unser Land.
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Das ist ja prima, das ist ja nett, wie Sie sich getroffen
ühlen. Es ist bezeichnend.
ch hatte Verständnis dafür, dass diese Gruppe nicht zu
ns gekommen ist, solange wir noch PDS waren. Die
efindlichkeiten konnte ich gut nachvollziehen. Können
ie sich aber vorstellen, dass diese Menschen sich jetzt
uch an uns wenden, weil Sie einfach nichts tun?
o groß ist deren Not, dass sie sagen: Dieses Problem
uss gelöst werden. Wir sehen: Die Linke macht hier et-
as. Wir möchten möglichst, dass Sie gemeinsam etwas
nternehmen, um auch unser Problem zu lösen.
Danke.
8578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Herr Kollege Schaaf, bitte.
Frau Kollegin Bunge, ich wollte nur sagen, dass ne-
ben dem Personenkreis, den Sie benannt haben, andere
betroffene Gruppen da sind, die durch die Rentenüber-
leitung auch Nachteile erlitten haben. Ich habe das noch
einmal angesprochen: Wir sollten die Debatte vollstän-
dig und mit allen betroffenen Personengruppen führen,
und wir sollten das Ganze einer sozialpolitischen Lösung
zuführen.
Ich habe am Anfang etwas gesagt, zu dem ich weiter-
hin stehe: Ich nehme vieles von dem, was Sie an Anträ-
gen gestellt haben, ebenso wie die Schicksale dahinter
sehr ernst. Das ist nicht mein Problem. Ihr Erkenntniszu-
gewinn in den letzten Anträgen, dass die Rentenüberlei-
tung für die allermeisten Menschen aus der DDR wirk-
lich glatt gelaufen ist, ist ein Erkenntniszugewinn, den
wir in dieser Form vorher noch nicht hatten. Ich konsta-
tiere das wirklich als einen positiven Schritt nach vorn.
Wenn Sie hier permanent damit argumentieren, das, was
da praktiziert werde, sei ein Rentenstrafrecht,
wohl wissend, dass niemand – niemand! – ohne Rente
durch die Überleitung gegangen ist, dann ist das dem
Versuch einer gemeinsamen Lösung nun wirklich nicht
angemessen. Deswegen weise ich das in aller Deutlich-
keit zurück.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin mit den Kollegen Weiß und Schaaf nachdrück-
lich der Meinung, dass die Rentenüberleitung, das heißt
die Integration des Rentensystems der DDR in das Ren-
tensystem der Bundesrepublik, eine riesige Leistung ist.
Man muss einfach festhalten, Frau Bunge: Millionen
von Menschen haben wir dadurch im Alter einen Le-
bensstandard gesichert, von dem sie zu DDR-Zeiten
nicht zu träumen wagten. Das muss man hier einmal sehr
deutlich sagen.
Sie konnten nicht erhoffen, dass es ihnen so gut gehen
würde, wie es durch das bundesdeutsche Rentensystem
am Ende gewährleistet werden konnte.
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Nein, das kann man nicht sagen. – Das sehen Sie auch
n den drei Fallgruppen, in die man die 18 Fälle im We-
entlichen einteilen kann. Es gibt die Menschen, die aus
echtlichen, politischen, persönlichen Gründen in der
DR keine Rentenversicherungsbeiträge leisten konn-
en; sie konnten einfach keine Beiträge leisten. Dann
ibt es die Menschen, deren Rentenansprüche aus der
DR-Zeit nicht mit dem SGB VI kompatibel waren
das sind im engeren Sinne die, von denen ich gespro-
hen habe –, deswegen auch nicht überführt werden
onnten. Und schließlich gibt es die Menschen, die An-
artschaften hatten, die aber statt in andere Versor-
ungssysteme ins SGB VI übergeleitet wurden, einfach
eil es kein bundesdeutsches Äquivalent gab.
Die vierte Fallgruppe, eine Sondergruppe, so will ich
inmal sagen, bilden diejenigen, die geflüchtet sind, die
lso noch vor der Maueröffnung die DDR verlassen ha-
en. Es war wirklich ein starkes Stück, fand ich, wirklich
ine Unverschämtheit, mit Blick auf diese Gruppe zu sa-
en: Na ja, wir wissen ja nicht, aus welchen Gründen die
egangen sind. – Sie wussten ganz genau, warum sie die
DR verlassen haben. An mir nagt, dass diese Men-
chen bis heute keine Gerechtigkeit erfahren konnten.
Schwierig wird die Sache durch Folgendes: Ein Teil
erjenigen, mit denen wir gesprochen haben – wir haben
ns mit jeder einzelnen Gruppe unterhalten –, fordert,
as frühere DDR-Recht nicht mehr wirken zu lassen
ich bringe es einmal auf diese kurze Formel –, und ein
nderer Teil fordert gerade, dass Ansprüche nach eben-
iesem früheren Recht komplett anerkannt werden. Man
rkennt sehr schnell, dass das zu Ungerechtigkeiten füh-
en muss und dass es keine einfache Lösung gibt. In die-
em Sinne ist auch das Ergebnis zu verstehen, das wir in
er Anhörung im Mai 2009 erzielt haben. Die Sachver-
tändigen haben die Empfehlung abgegeben, keine Kor-
ektur der geltenden Gesetze vorzunehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8579
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
Sie haben uns deutlich gemacht, dass die Nachjustierung
zu neuen Ungleichbehandlungen, also zu neuen Unge-
rechtigkeiten, führen würde.
In dieser Situation haben wir versucht, einen Lö-
sungsvorschlag zu entwickeln. Unser Vorschlag bewegt
sich innerhalb des Rentensystems, also innerhalb des
SGB VI. Da gilt nun einmal der Grundsatz: ohne Beitrag
keine Leistung. Deswegen war unsere Idee – sie ist es
unverändert –, günstige Nachversicherungsmöglichkei-
ten zu schaffen, sodass die Menschen aus diesen
18 Fallgruppen Ansprüche erwerben können. Wir su-
chen also eine Lösung auf dem Boden der Beitragsäqui-
valenz, eine Nachversicherungslösung auf freiwilliger
Basis. Wir halten das für gut geeignet. Wir sind mit dem
Kollegen Schaaf, den ich persönlich und fachlich sehr
schätze, und allen Gutwilligen in diesem Hause dabei,
gemeinsam eine Lösung zu suchen. Nur eines geht nicht,
Frau Bunge: Ich bin nicht bereit, diese Larmoyanz, mit
der Sie hier angetreten sind, zu akzeptieren. Dass Men-
schen in der DDR unter schwierigsten Arbeits- und Um-
weltbedingungen gearbeitet haben, dass sie haben schuf-
ten müssen bis zum Umfallen – da frage ich mich schon,
wer am Ende die Verantwortung dafür gehabt hat, dass
die Umwelt in der DDR zerstört wurde und dass Men-
schen unter teils unmenschlichen Bedingungen gearbei-
tet haben.
Deswegen will ich Ihnen ein Stück weit auch die Kom-
petenz absprechen, hier einfach als die Gutmenschen,
die bei allem wissen, wie es geht, aufzutreten. Sie tragen
einen Gutteil Verantwortung daran,
dass sich die Menschen in der Situation befinden, in der
sie heute sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wir finden, dass die Überleitung der DDR-Alters-
sicherung in die deutschen Rentenversicherungen eine
große Leistung war. Ich kann nur wiederholen, was an-
dere Kollegen, Herr Weiß und Herr Schaaf, gesagt ha-
ben: Die Rentnerinnen und Rentner sind die Gewinner
der deutschen Einheit gewesen. Das zeigen alle empiri-
schen Untersuchungen. Sie sind diejenigen, die am meis-
ten von der Einheit profitiert haben.
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Im Übrigen konnte das nur funktionieren, liebe Kolle-
innen und Kollegen von der FDP, weil wir ein umlage-
inanziertes Rentensystem haben und kein kapitalge-
ecktes. Da wäre das nämlich nicht möglich gewesen.
Nun ist es so, dass immer noch einige Regelungen des
entenüberleitungsgesetzes bei einigen Betroffenen zu
iskussionen führen, sie sich diskriminiert fühlen und
enken, dass ihre Lebensleistung aberkannt wurde. Da-
ür haben wir im Einzelnen durchaus Verständnis. Aber
ch glaube, dass es nicht möglich ist, im Rahmen eines
olchen Rentenüberleitungsgesetzes tatsächlich alle Ein-
elfälle zu lösen und jedem Einzelfall gerecht zu wer-
en. Deswegen finden wir auch heute, dass vor diesem
intergrund eine grundlegende Korrektur des Renten-
berleitungsgesetzes nicht sinnvoll ist.
Aber es gibt einige wenige Gruppen, bei denen tat-
ächlich Handlungsbedarf besteht; das sehen wir ganz
hnlich wie die SPD. Da greife ich eine Gruppe heraus:
ie Geschiedenen der ehemaligen DDR. Bei der Renten-
berleitung wurde keine Gewährung der Geschiedenen-
itwenrenten für Frauen vorgesehen, die vor Einführung
es Versorgungsausgleichs im Jahr 1992 in den neuen
undesländern geschieden wurden. Eine Frau aus den
lten Bundesländern, deren Ehe vor 1977 geschieden
urde, kann Geschiedenenwitwenrente beziehen, wenn
hr geschiedener Ehemann vor seinem Tod Unterhalt ge-
ahlt hat. Eine Frau aus den neuen Bundesländern, deren
he vor 1977 geschieden wurde, hat keinen Anspruch
uf Geschiedenenwitwenrente, auch dann nicht, wenn
hr Mann gerichtlich dazu verurteilt wurde, ihr Unterhalt
u zahlen. Der Versorgungsausgleich trat erst 1992 nach
em Einigungsvertrag in Kraft. Dies führt im Vergleich
u den alten Ländern tatsächlich zu einer Schlechterstel-
ung dieser Personengruppe und zu einer Benachteili-
ung gegenüber den Personen, die nach dem ab dem
. Januar 1992 geltenden Recht in den neuen Ländern
it einem Anspruch auf Versorgungsausgleich geschie-
en worden sind. Wir finden, dass diese Gerechtigkeits-
ücke tatsächlich geschlossen werden muss.
Unter Berücksichtigung des überwiegend schon sehr
ortgeschrittenen Alters der Betroffenen sollte die Erar-
eitung und Festlegung konkreter Lösungen zügig in
ngriff genommen und die beschlossenen Maßnahmen
nverzüglich umgesetzt werden. Auch wenn die Bun-
esregierung, wie auf eine unserer schriftlichen Fragen
m Juli zu erfahren war, keinen Handlungsbedarf sieht,
at meine Fraktion hierzu bereits in der letzten Legisla-
ur konkrete Vorschläge gemacht, und wir werden das
uch in dieser Legislaturperiode wieder tun.
Wir sind nicht die Einzigen, die diesbezüglich Hand-
ungsbedarf sehen – der Kollege Schaaf hat schon darauf
ingewiesen –: Der Bundesrat hat am 24. September die-
es Jahres die Bundesregierung nachdrücklich gebeten,
8580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
eine befriedigende Lösung für diese Gruppe herbeizu-
führen. Wenn Sie schon nicht unserem Vorschlag folgen
können, fordern wir Sie auf, wenigstens dem Beschluss
des Bundesrates zu folgen und endlich etwas zu tun.
Wir sehen noch eine Gruppe, die zum Teil durch das
Rentenüberleitungsgesetz benachteiligt wurde, die nicht
bei den Linken vorkommt – auch darauf hat Herr Schaaf
schon hingewiesen –, nämlich die DDR-Flüchtlinge.
Den Flüchtlingen wurden damals im Zuge der Wieder-
vereinigung und im Rahmen der neuen Sozialgesetzge-
bung die bereits zuerkannten Rentenansprüche nach
Fremdrentengesetz wieder aberkannt. Sie wurden ren-
tenrechtlich wie Bürgerinnen und Bürger des Beitrittsge-
biets behandelt, obwohl sie zum Teil schon viele Jahre
vor dem Mauerfall die DDR verlassen hatten, ihre Ren-
tenverläufe längst festgestellt waren und sie dann in der
berechtigten Erwartung ihrer Rentenanwartschaften ent-
täuscht wurden. Die formale Anwendung mag juristisch
vertretbar sein, schafft aber Ungerechtigkeiten, ausge-
rechnet gegenüber Menschen, die die DDR teils unter
Lebensgefahr, teils unter großen Repressalien und teils
unter großen persönlichen Entbehrungen vor 1989 ver-
lassen haben.
Wir finden, auch hier muss es eine gerechte Lösung ge-
ben.
Zum Schluss ein Blick nach vorne. Zurzeit sind die
Renten im Osten immer noch höher als im Westen; das
muss einmal zur Kenntnis genommen werden. Das wird
sich aber in den nächsten Jahren dramatisch ändern.
Aufgrund der Arbeitsmarktsituation im Osten und der
Lebensläufe derjenigen, die jetzt oder künftig in die
Rente eintreten, wird das durchschnittliche Rentenni-
veau im Osten erheblich sinken. Deswegen brauchen wir
auch hier eine Garantierente für langjährig Versicherte,
die über dem Grundsicherungsniveau liegt. Davon profi-
tieren vor allem Menschen in Ostdeutschland, die in den
nächsten Jahren von Armut bedroht werden. Ich habe
gesagt, dass es aus unserer Sicht nicht möglich war und
ist, bei der Rentenüberleitung jedem einzelnen Fall ge-
recht zu werden. Eine Garantierente hilft aber zumindest
denjenigen, die sich benachteiligt fühlen und zurzeit ge-
ringe Rentenansprüche haben.
Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitions-
vertrag versprochen, in dieser Legislaturperiode ein ein-
heitliches Rentenrecht in Ost und West einzuführen.
Wir finden in der Tat, dass es dafür 20 Jahre nach der
Einheit höchste Zeit ist. Es ist nicht hinnehmbar, dass
der Rentenwert im Osten immer noch niedriger ist als im
Westen. Wir sind für einheitliche Rentenregelungen in
Ost und West. Die Vereinheitlichung sollte so schnell
wie möglich umgesetzt werden.
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Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Jahre
ieder bringt die Fraktion der Linken Anträge ein, in de-
en gefordert wird, die Altersversorgung zahlreicher
enschen mit DDR-Erwerbsbiografie in bestimmten
erufsgruppen aufzubessern.
ir haben zuletzt – das wurde schon gesagt – im Mai
etzten Jahres hier im Hohen Haus darüber debattiert und
ntschieden; wir haben Anhörungen dazu durchgeführt.
rotzdem bringen Sie heute 18 Anträge ein, die alle ei-
es gemeinsam haben, nämlich die Aufforderung: Bis
um 30. Juni nächsten Jahres muss alles geregelt sein.
Haben Sie als Antragsteller die Argumente vergessen,
ie ausgetauscht und uns in der Anhörung von Sachver-
tändigen vorgetragen worden sind?
aben Sie keine Auswertung vorgenommen? Hier gab
s keine Willkür, sondern eine Entscheidung auf rechts-
taatlicher Basis, untermauert mit guten Argumenten
on Experten. Dort, wo bestimmte rentenrechtliche Re-
elungen aus der Vergangenheit nicht bestätigt wurden,
at das Hohe Haus Gesetzesänderungen vorgenommen,
n vielen Fällen übrigens auf der Grundlage von Urteilen
um Leidwesen der SED-Opfer.
Ich glaube, wir sollten uns deshalb einig sein, dass die
berführung der rentenrechtlichen Regelungen die Si-
uation der Menschen in den neuen Bundesländern ver-
essert hat; sie ist eine Erfolgsgeschichte.
s wurde von meinen Vorrednern herausgearbeitet – ich
öchte das bestätigen –: Die Überführung der renten-
echtlichen Regelungen war gut. Natürlich hat sie auch
u Verwerfungen geführt. Jeder von uns kennt einzelne
eispiele: Verwerfungen durch Stichtagsregelungen,
ufgrund der Besonderheit, dass es in der DDR ein be-
ufsspezifisches Rentenrecht gab. Wir haben selbstver-
tändlich darüber diskutiert. In bestimmten Fällen disku-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8581
Maria Michalk
)
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tieren wir weiter darüber; das will ich hier durchaus
einräumen.
Es ist historisch gesehen schon ein starkes Stück, dass
sich diejenigen, die die Komplexität und Kompliziertheit
der Materie der rentenrechtlichen Zusammenführung
verursacht haben, heute zu Fürsprechern bestimmter Be-
rufsgruppen aufschwingen. Das will ich Ihnen heute be-
scheinigen.
Ich halte Ihre Anträge für durchweg opportunistisch.
Gleichwohl bestätige ich Ihnen noch einmal, dass es
Einzelschicksale, einzelne Gruppen gibt, die auch uns
am Herzen liegen und mit deren Problemen wir uns be-
schäftigen. Das geht aber nicht so: Hopp, hopp, hopp,
Pferdchen, lauf Galopp.
Am 30. Juni 2011 kann nicht alles erledigt sein. Es han-
delt sich um eine hochkomplexe Materie, mit der wir uns
intensiv beschäftigen. Wir werden unsere Zusage aus
dem Koalitionsvertrag einhalten.
Die angeblichen Ungerechtigkeiten bei der Renten-
überleitung haben – das muss man einmal sagen – ihre
Ursache in der Willkür des DDR-Rentenrechts.
Zum Beispiel gab es in der DDR keine eindeutigen, ein-
heitlich angewendeten und einklagbaren Regeln für Zu-
satzrenten.
Zu diesem Punkt haben bereits frühere Regierungen ganz
unterschiedlicher Zusammensetzung umfangreiche Prü-
fungen vorgenommen und letztlich die Überführungsre-
geln bestätigt. Die Gerichte haben das auch getan, und das
müssen Sie jetzt einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
Wir haben in den vorangegangenen Debatten auch
immer wieder festgestellt, dass eine pauschale Besser-
stellung der heute wieder in Rede stehenden einzelnen
Gruppen die Debatte nicht beenden, sondern – das
wurde schon gesagt – neue Ungerechtigkeiten bei ande-
ren Gruppen hervorrufen würde.
Uns in der Union war immer bewusst, dass mit der
Regelung zur Rentenüberleitung nicht sämtliche Erwar-
tungen aller Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bun-
desländern erfüllt werden. Mir tun die Leute an vielen
Stellen schon auch leid.
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iese Regelung müssten wir in das SGB VI überneh-
en. Das ist schon deshalb problematisch, weil wir ein
leichbehandlungsgebot zu erfüllen haben. Denn die da-
it verbundene Begünstigung würde sich nur auf Be-
chäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens und nur
uf die Berechnung der Alterseinkünfte, nicht aber auf
ie Berechnung der Erwerbsminderungsrenten beziehen.
as ist ein Beispiel, das zeigt: Wenn wir das so lösen
ürden, hätten wir eine neue Ungerechtigkeit.
ei der Rentenüberführung in diesem Punkt haben die
erichte dezidiert keinen Verstoß gegen Art. 14 des
rundgesetzes festgestellt, da dieser nicht einzelne Be-
echnungselemente, sondern den Geldwert der Rente
chützt. Wir haben uns in vorangegangenen Debatten be-
eits darüber ausgetauscht, wie hoch der Geldwert nach
er Mark der DDR im Vergleich zum heutigen Euro-
uszahlbetrag wäre. Auch das müssen wir uns noch ein-
al in Erinnerung rufen.
Meine Empfehlung ist: Ziehen Sie Ihre 18 Anträge,
hre 18-Punkte-Wunschliste, zurück
nd konzentrieren Sie sich auf die Fragen einer zu-
unftssicheren Rentenregelung im vereinten Deutsch-
and. Wir in der Union werden das jedenfalls tun.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sonja Steffen für
ie SPD-Fraktion.
8582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir reden heute über ein unbequemes Thema,
dem bereits seit der Wiedervereinigung, also seit 20 Jah-
ren, mit allerlei Sonderregelungen ausgewichen wurde:
gerechte Alterseinkünfte für Rentner und Rentnerinnen
im Osten.
Die Bilanz der Rentenangleichung ist bislang – zu-
mindest aus ostdeutscher Sicht – ernüchternd. Nach ei-
nem rasanten Anstieg stagniert die Ostrente, und viele
Ostdeutsche sehen ihre Arbeitsleistung nicht ausrei-
chend anerkannt. Darauf zielen auch die meisten der
18 bzw. 19 Anträge der Fraktion Die Linke ab.
In meiner Eigenschaft als Mitglied des Petitionsaus-
schusses sind mir die Petitionen, die dieses Anliegen
verfolgen, hinlänglich bekannt. Ich sehe hier auch einige
andere Mitglieder des Petitionsausschusses, die das mit
Sicherheit bestätigen können.
Das ist ein sehr schwieriges Thema. Ich will das
Thema heute zum Anlass nehmen, als Abgeordnete aus
Ostdeutschland zu Ihnen zu reden.
In Ihrem Koalitionsvertrag, meine Kolleginnen und
Kollegen von Union und FDP, haben Sie festgeschrie-
ben, die Unterschiede im Rentensystem in Ost und West
endlich zu beseitigen. „Wir führen in dieser Legislatur-
periode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West
ein“, heißt es in Ihrer Vereinbarung, und in einem Be-
schluss des CDU-Bundesausschusses kann man lesen:
Wir wollen ein einheitliches Rentenrecht in Ost und
West schaffen.
Herr Kolb, ich glaube, auch Sie haben das verschiedent-
lich in der Presse bestätigt.
Unterschlagen wurde in den Papieren bisher aber der
Zeitpunkt. Ich befürchte, dass die Lösung weiterhin auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird.
Aber auch in den alten Bundesländern – das ist heute
schon mehrfach zur Sprache gekommen – rumort es be-
reits seit längerem bei diesem Thema, weil die Men-
schen in den alten Bundesländern die Ostruheständler
bevorzugt sehen. Nach der Wiedervereinigung 1990
mussten die Ostrenten aufgewertet werden – das wissen
Sie alle hier –, um es den Rentnern im Osten zu ermögli-
chen, ihren Ruhestand bei gesamtdeutschen Mieten und
Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Dadurch sehen
sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Westen
benachteiligt. Allerdings – Herr Weiß, hören Sie bitte
gut zu – sind die Löhne im Osten nach wie vor viel nied-
riger. Wesentlich niedrigere Renten sind die Folge.
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Sigmar Gabriel hat uns heute Morgen in seiner Rede
rastisch vor Augen geführt, dass eine Arbeitsbiografie
it 35 Erwerbsjahren bei einem Stundenlohn von 8 Euro
u einer Rente von 558 Euro monatlich führt. 558 Euro
onatlich!
er Gang zum Sozialamt zur Beantragung von Leistun-
en nach der Grundsicherung ist damit unvermeidbar.
In meinem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern
ehören Menschen mit einem Stundenlohn von 8 Euro
chon fast zu den Gutverdienenden; glauben Sie mir das.
ie Bundesregierung muss also dringend gegensteuern,
m Altersarmut vor allem im Osten zu verhindern.
abei muss auch berücksichtigt werden, dass viele Men-
chen im Osten nach 1990 meist unverschuldet ihre Ar-
eit verloren haben, lange arbeitslos waren oder sind und
ftmals nur sehr schlecht bezahlte Arbeit gefunden ha-
en. Dies wird dramatische Spätfolgen für die Rente ha-
en. Das Problem bleibt nicht auf Ostdeutschland be-
chränkt, wenn prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne
icht bekämpft werden.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die so-
iale Einheit vollenden. Dazu gehört ein einheitliches
entensystem in Ost und West, und zwar noch in dieser
egislaturperiode.
bsichtserklärungen der Regierungskoalition reichen
icht aus.
n 20 Millionen Rentnern kommt man nicht vorbei. Wie
ieht die Bundesregierung auch an dieser Stelle aus,
enn sie 2013 feststellt, dass sie hinsichtlich der ver-
prochenen Angleichung der Altersbezüge in Ost und
est nichts erreicht hat?
Ich warne jedoch davor, auf diesem Wege erneut die
elange der ostdeutschen Bevölkerung zu vernachlässi-
en. In einem Welt-Online-Artikel von heute dämpft der
nionskollege Michael Kretschmer – ich weiß nicht, ob
r heute hier ist – die Erwartungen der ostdeutschen Be-
ölkerung sehr deutlich. Man kann dort lesen – ich zi-
iere –:
Die Anpassung bedeutet für Ostdeutsche nicht au-
tomatisch eine Anhebung des Niveaus.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8583
Sonja Steffen
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Darauf hat der Kollege Schaaf schon hingewiesen. Las-
sen Sie die Leute nicht im Ungewissen. Sie haben hohe
Erwartungen an diese Ost-West-Angleichung.
Ich muss heute an dieser Stelle noch einmal darauf
hinweisen, dass die Ostdeutschen, dass wir Ostdeutsche
ohnehin schon die Gebeutelten des sogenannten Sparpa-
ketes sind. Die Zahlen der Paritätischen Forschungs-
stelle sprechen eine sehr deutliche Sprache: Die Kür-
zungsbeträge pro Einwohner und Jahr für den Zeitraum
2010 bis 2014 beginnen bei 22 Euro in Bayern und en-
den bei 96 Euro in Berlin. Da die Hauptmasse der Kür-
zungen im SGB-II-Bereich liegt, sind die ostdeutschen
Länder besonders betroffen.
Mecklenburg-Vorpommern drohen dadurch Wertschöp-
fungsverluste von insgesamt 840 Millionen Euro. Die
Angleichung der Rente muss daher mit einem ausgewo-
genen und wirksamen Programm zur Bekämpfung der
Altersarmut und mit der Einführung gesetzlicher flä-
chendeckender Mindestlöhne verbunden sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Sebastian
Blumenthal für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte auf die Drucksache 17/3888 aus dem Antragsrei-
gen, den die Linken vorgelegt haben, eingehen. Darin
geht es um Personen mit besonderen Funktionen in der
DDR.
In der heutigen Debatte können wir sicherlich festhal-
ten, dass es Sachverhalte gibt, die von niemandem hier
infrage gestellt werden. Dazu gehört auf jeden Fall, dass
es in individuellen Wahrnehmungen in den neuen Bun-
desländern gefühlte Ungerechtigkeit gibt. So gibt es Ru-
heständler, die aufgrund der Diktatur in der DDR keine
persönliche Karriere machen konnten. Auch sie haben
Ungerechtigkeitsgefühle. Das sollte hier nicht ver-
schwiegen werden.
Sie von den Linken gehen aber immer nur auf den ande-
ren Teil ein. Das zumindest besagt der Antrag, den Sie
uns hier vorgelegt haben. Wie wollen Sie es aber den
eben genannten Menschen als angemessen oder gerecht
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s geht um ehemalige Minister und ehemalige General-
ekretäre des Zentralkomitees.
s geht um Staatsanwälte, Richter, Vorsitzende des
taatsrats und weitere. Genau das ist der Personenkreis.
nd diesem Personenkreis möchten Sie eine
öchstrente bescheren, indem Altersansprüche, die nicht
ur durch Arbeitsleistung erworben wurden, dargestellt
erden sollen.
Frau Bunge, mir ist schon die ganze Zeit aufgefallen,
ass Sie ständig dazwischenbrüllen, wenn wir versu-
hen, auch einmal andere Standpunkte darzustellen.
eine Familie gehört zu denen, die damals „freiwillig
ie DDR verlassen“ haben, wie Sie es hier so süffisant
argestellt haben.
s war eine große Herausforderung, Ihrem Beitrag zuzu-
ören, ohne die Fassung zu verlieren, bzw. während Ih-
es Beitrages die parlamentarischen Gepflogenheiten
inzuhalten.
etzt möchte ich Sie bitten, einfach einmal zuzuhören.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja im Sommer
estgestellt, dass die Rentenansprüche der eben genann-
en Personenkreise zum Teil „Prämien für Systemtreue“
ewesen sind. Aber Prämien für Systemtreue sieht unser
entensystem einfach nicht vor.
Wir von der FDP sehen als Zielsetzung ganz klar, hier
ine ganzheitliche Lösung zu finden. Das haben die Kol-
egen Vorredner schon ausgeführt. Auf die Wiederein-
ührung einer Prämie für Systemtreue werden wir ganz
icher verzichten. Aus diesem Grund werden wir zumin-
est diesen einzelnen Antrag, den Sie vorgelegt haben,
n der weiteren Beratung entschieden ablehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
8584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Frank
Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich stehe als Letzter in dieser Debatte und
merke, dass eigentlich schon alles gesagt ist. Die Argu-
mente wurden nicht nur letztes Jahr, sondern auch in die-
sem Jahr schon einmal ausgetauscht und liegen heute
schon wieder auf dem Tisch. Daher möchte ich nur zu-
sammenfassen und zwei Grundgedanken in die Debatte
einbringen.
Der erste Gedanke, der mir dabei kommt, ist: Quanti-
tät vor Qualität. Quantitativ haben Sie sich ausgiebig mit
den unterschiedlichsten Ansprüchen verschiedenster
Gruppen beschäftigt. Das bedeutet aber nicht automa-
tisch, dass damit auch eine Annäherung an Lösungen
stattfindet.
Viele Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fraktio-
nen – Herr Schaaf, Sie haben das gesagt – haben sich in
den letzten Jahren bemüht, differenziert mit diesem
Thema umzugehen. Ein abschließendes Ergebnis gibt es
noch nicht. Wir gehen davon aus und ich setze mich da-
für ein, dass wir nächstes Jahr an die nächsten Anglei-
chungsschritte herangehen. Das heißt, dann wird noch
einmal debattiert werden. Mein Einsatz wird in diese
Richtung gehen. Wir sind aber noch bei keinem Ergeb-
nis. Das zeigt die Komplexität.
Wie müssen sich die Betroffenen zum Teil fühlen,
wenn es immer wieder hü und hott geht? Sie machen ih-
nen neue Hoffnungen, sprechen sie von Ihrer Seite aus
immer wieder an und machen sie heiß. Denken Sie nur
einmal daran – Herr Blumenthal hat es gerade gesagt;
auch mir ist da einiges durch den Kopf gegangen –, wie
Sie diese eine Gruppe ansprechen und wie Sie darüber
reden.
Ihre 18 Anträge sind meines Erachtens nicht im Inte-
resse der einzelnen Gruppen. Das Vorgehen wird keiner
oder kaum einer der Gruppen gerecht. Da wird eher in-
strumentalisiert, und ich hinterfrage die Motive.
Am Ende kann die Linke allen, jeder dieser Gruppen, sa-
gen: Für eure Gruppe haben wir uns eingesetzt.
Schauen Sie in den Mai 2009, in das Jahr 2010, in den
November und auf den 2. Dezember dieses Jahres. – Wie
komplex die Lösung von und das Herangehen an Ren-
tenfragen ist, kommunizieren Sie allerdings nicht.
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ir sehen – so haben Sie es genannt, Frau Dr. Bunge –
as Gesamtpaket. Wir wollen nicht in den gemeinsamen
opf geworfen werden. Das wird unserer Problematik
berhaupt nicht gerecht. – Ich bin sicher, dass es anderen
n anderen Bereichen ganz ähnlich geht.
Der zweite Gedanke, den ich ansprechen möchte, ist,
ass einige der Anträge mit dem Wort „Gerecht“ begin-
en, zum Beispiel „Gerechte Alterseinkünfte“. Da gibt
s ein Problem, eine Kollision. Durch die Wende – das
aben wir nicht verschwiegen – und durch die Stichtage,
ie angesetzt wurden, sind Ungerechtigkeiten gehalten
orden oder entstanden. Dies betrifft aber auch generell
ie Frage der Generationengerechtigkeit. Junge Leute
agen mir: Wie können Sie immer noch darüber disku-
ieren? Es ist so geschehen. Wir müssen Rechtssicherheit
chaffen und neu in die Zukunft denken.
Man kann nicht in allen Fällen völlige Gerechtigkeit
rreichen. Ich habe die Frage im Ohr, warum man das in
inem Rechtsstaat nicht schafft. Die Herausforderung
er Einzelfallgerechtigkeit können wir so nicht meistern.
eine Kritik ist auch hier: Sie klären die Menschen
icht auf. Ich weiß – das ist bei meinen Vorrednern
ehrfach angeklungen –, dass Vertrauen enttäuscht wor-
en ist. Aber es ist viel mehr vor der Wende, vor der
riedlichen Revolution enttäuscht worden.
orauf wurde überhaupt vertraut? Viele Planungen und
rwartungen sind hinfällig geworden. Es ist nachvoll-
iehbar, dass auf die sozialen Versprechungen der DDR
ertraut wurde.
etzt machen Sie in Ihren Anträgen ähnliche Verspre-
hungen. Das Wort „Willkür“ ist im Zusammenhang mit
em Rentenrecht gefallen. Die Ungerechtigkeiten, die
ch hier aufgelistet habe, sind alle genannt worden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8585
Frank Heinrich
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)
Ich möchte zum Schluss sagen: Insgesamt betrachtet
war die Übertragung des Rentensystems West auf das
Rentensystem Ost eine große gesellschaftliche Leistung.
Es war eine tolle Leistung, die in kürzester Zeit stattfand.
Die Löhne sind danach gestiegen. Wir haben es ge-
schafft, die Rentnerinnen und Rentner daran zu beteili-
gen. Das war überhaupt nicht selbstverständlich. Dies
geschah immer in dem Bewusstsein, dass Ungerechtig-
keiten dabei passieren. Auch jetzt führt jede Verände-
rung zu neuen Ungerechtigkeiten. Ich habe das Bild ei-
nes Mobiles vor Augen: Wenn wir es an einer Stelle
belasten, wird das System kippen.
Die wirtschaftlichen Fehler von damals, die sich auch
in unzähligen Lebensläufen, in die widerrechtlich einge-
griffen wurde, niedergeschlagen haben, heute entspre-
chend ausgleichen zu wollen, ist trotz aller Bestrebungen
nicht möglich.
Wir würden die Leistungsfähigkeit unseres Staates über-
dehnen, wenn wir für alle negativen Folgen, die das Sys-
tem für den Bürger hatte, einen Ausgleich schaffen woll-
ten. Gerechtigkeit kann man nicht gegen Gerechtigkeit
aufwiegen, auch ein demokratischer Rechtsstaat kann
das nicht.
Schwer nachvollziehbar ist für mich allerdings – da-
mit komme ich zum Schluss –, dass die angeblichen oder
tatsächlichen Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in
regelmäßigen Abständen von Ihrer Seite immer wieder
so stark betont werden. Dies steht nicht im Verhältnis zu
den Chancen, die mit der Erlangung der Freiheit verbun-
den waren. Deshalb erinnere ich zum Ende noch einmal
an den Satz von Peter Weiß, der heute den Jahrestag be-
tont hat.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Er hat damit genau diese Freiheit dokumentiert.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/3871 bis 17/3888 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
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Sicherungsverwahrung bedeutet weiteren Freiheits-
ntzug nach vollständiger Verbüßung einer schuldange-
essenen Strafe aufgrund einer Gefährlichkeitsprog-
ose. Das bedeutet zugleich: Dieses Institut ist zwar
otwendig, es kann und darf in einem Rechtsstaat aber
ur die Ultima Ratio, das letzte Mittel, sein. Ich bin des-
egen sehr zufrieden, dass die Parlamentarier in den Be-
atungen des Rechtsausschusses den Katalog der Anlass-
aten, also derjenigen Taten, bei denen dieses
inschneidendste und letzte Mittel des Strafrechts noch
ur Anwendung kommen darf, sehr genau durchforstet
aben. Das Ergebnis ist, dass nun im Wesentlichen nur
och schwere Gewalt- und Sexualdelikte und einige wei-
ere schwere Straftaten mit hoher Strafandrohung Anlass
8586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
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)
für die Verhängung von Sicherungsverwahrung sein
können. Damit ist der Ultima-Ratio-Charakter, den ich
erwähnt habe, deutlich gewahrt. Das ist ein gutes Ergeb-
nis der Beratungen des Rechtsausschusses.
Meine Damen und Herren, unserer Meinung nach hat
sich die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht be-
währt. Es ist daher besser, den Anwendungsbereich der
schon im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
auszubauen. Genau dies geschieht mit diesem Gesetz.
Schließlich mussten wir auf eine Sondersituation rea-
gieren, nämlich auf die Situation, dass Verurteilte aus der
Sicherungsverwahrung schon entlassen wurden oder
noch zu entlassen sind, und zwar wegen eines Ihnen be-
kannten Urteils des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte. Für diese Fälle schaffen wir das Gesetz
zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter
Gewalttäter. Wir haben damit als Bundesgesetzgeber das
getan, was uns möglich ist, um diese schwierige Situa-
tion zu meistern. Es handelt sich dabei um eine Sonder-
situation, auf die wir mit speziellen Vorschriften reagie-
ren.
Ich möchte am Ende meiner kurzen Einführung allen
Mitgliedern des Rechtsausschusses dafür danken, dass
sie in sehr konstruktiven Beratungen die Vorschläge, die
das Bundesjustizministerium erarbeitet hat und die die
Koalitionsfraktionen eingebracht haben, noch einmal
verbessert haben. Ich finde, jetzt liegt ein anspruchsvol-
les und ausgewogenes Gesamtkonzept vor, das sich
durchaus sehen lassen kann.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine
Lambrecht für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Vor fast genau einem Jahr hat der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte festgestellt, dass die nach-
trägliche Verlängerung der zunächst auf zehn Jahre
begrenzten Sicherungsverwahrung gegen die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention verstößt. Ein Jahr spä-
ter – spät, aber nicht zu spät – liegt uns jetzt ein Gesetz-
entwurf vor, der, wie ich finde und wie die SPD-
Bundestagsfraktion findet, durchaus eine Antwort auf
die Vorgaben, die uns der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte gemacht hat, ist. Damit wird nämlich
vor allem ermöglicht, Kinder, Jugendliche und Frauen
auch weiter vor Gewalttätern zu schützen, die als hoch-
gefährlich gelten müssen.
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Die Sicherungsverwahrung – Herr Staatssekretär
tadler hat es gesagt – ist ja die schärfste Sanktion, die
as deutsche Strafrecht überhaupt kennt. Sie bedeutet
reiheitsentzug zum Schutz der Allgemeinheit trotz be-
eits erfolgter vollständiger Verbüßung der Haftstrafe,
enn zu befürchten ist, dass bei jemandem weiterhin
ine Gefahr für die Sicherheit der Allgemeinheit besteht.
eswegen soll diese Ultima Ratio nur für eng begrenzte
älle möglich sein. Ich will es deutlich sagen: Es geht
icht um ein subjektives Sicherheitsgefühl in der Bevöl-
erung. Wir müssen die Tatsache akzeptieren, dass es
inzelne, Gott sei Dank sehr wenige Menschen gibt, die
atsächlich eine permanente Gefahr für die Gesellschaft
arstellen. Für diese begründeten Einzelfälle, wirklich
ur für die, muss es unserer Überzeugung nach auch in
ukunft die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung ge-
en.
Zu Beginn der Beratungen hatten wir noch einen Ent-
urf auf dem Tisch liegen, gegenüber dem wir sehr kri-
isch waren, insbesondere weil darin auch Vermögensde-
ikte enthalten waren. Unsere Position war: Wenn wir es
etzt schon neu regeln, dann sollten wir es wirklich eng
uf eine geringe Anzahl von Anlasstaten begrenzen –
uch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. Ich habe es
chon gesagt: Es ist gelungen, diese Konzentration zu er-
eichen, und das ist auch gut so.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8587
Christine Lambrecht
)
)
Unserer Meinung nach immer noch nicht gut ist, dass
es nicht gelungen ist, Sie davon zu überzeugen, den letz-
ten Schritt zu gehen, eben auch die Sicherungsverwah-
rung für Heranwachsende und für Jugendliche neu zu re-
geln. Dass uns das nicht gelungen ist, ist sehr schade.
Wir bedauern das. Da haben Sie Handlungsbedarf. Da
sind Sie gefordert. Ich gehe davon aus, dass das dann
auch zügig erfolgen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
dem Therapieunterbringungsgesetz kommen. Diese Re-
gelung wurde geschaffen, weil nach dem vorhin schon
genannten Urteil Menschen aus der Sicherungsverwah-
rung entlassen wurden bzw. jetzt entlassen werden, teil-
weise völlig unvorbereitet auf das, was sie nach jahrelan-
ger Haft und auch noch Sicherungsverwahrung in
Freiheit erwartet, und dann noch umgeben von mehreren
Polizisten, die sie rund um die Uhr bewachen. Ich glaube,
das ist ein untragbarer Zustand. Deswegen ist dieses The-
rapieunterbringungsgesetz sicherlich ein schmaler Grat,
ein schwieriger Weg, den man aber nichtsdestotrotz ge-
hen muss. Ich glaube auch, dass die Eingrenzung, die vor-
genommen wurde, eine durchaus sachgerechte und auch
akzeptable Einschränkung ist.
Ich will es deswegen noch einmal deutlich sagen:
Diese Unterbringung im Nachhinein ist nur möglich – als
Auswirkung des Urteils –, wenn Verurteilungen aufgrund
von Taten erfolgt sind, die auch jetzt nach der Neurege-
lung als Vortaten der Sicherungsverwahrung gelten wür-
den, und wenn zwei externe Gutachter feststellen, dass
eine Störung vorliegt, aufgrund der die Gefahr besteht,
dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen wird,
durch die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschä-
digt werden, oder dass eine hinreichend konkretisierte
potenzielle schwere Straftat droht.
Ich glaube, wir haben es mit diesen ganz engen
Voraussetzungen geschafft, dass wirklich nur der Perso-
nenkreis erfasst ist, den wir auch erfassen wollen. Wir
wollen nämlich nicht, dass durch das Therapieunterbrin-
gungsgesetz alle, die nach dem genannten Urteil entlas-
sen wurden und werden, erfasst werden, sondern wirk-
lich nur die Schwerstkriminellen, von denen zu erwarten
ist, dass sie in genau den gerade angeführten Bereichen
hinterher rückfällig werden. Ich glaube, für diese ist der
Gesetzentwurf auch angemessen.
Es ist ein Novum, dass im Gesetzentwurf von der psy-
chischen Störung gesprochen wird. Diesen Begriff kann-
ten wir im deutschen Recht bisher nicht. Wir kennen die
psychische Krankheit, aber nicht die psychische Stö-
rung. Ich glaube aber durchaus, dass das mit dem, was
uns aus Europa vorgegeben worden ist, zu vereinbaren
ist. Ich sage aber auch: Es kommt jetzt darauf an, was
die Länder daraus machen. Allein die Buchstaben des
Gesetzes werden nicht entscheidend sein. Auch das Ur-
teil ist ja nicht erfolgt, weil etwas im Gesetz stand, son-
dern weil die Sicherungsverwahrung in Deutschland so
ausgestaltet war, dass sie nichts anderes als eine Verlän-
gerung der Strafhaft war. Das war die Situation, die vor-
gefunden wurde. Darauf wurden wir auch hingewiesen.
Trotzdem wurde in den Ländern nichts verändert.
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twa nichts zu tun und dabei zuzuschauen, wie höchst ge-
ährliche Straftäter völlig unvorbereitet in eine untrag-
are Situation entlassen werden, sodass Gefahr von ihnen
usgeht? Ich sage Ihnen: Das ist kein verantwortbarer
eg. Deswegen haben wir uns entschieden, Verantwor-
ung zu übernehmen. Wir werden diesem Gesetzentwurf
ustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Andrea Voßhoff für
ie CDU/CSU-Fraktion.
8588 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die
christlich-liberale Koalition legt heute einen Gesetzent-
wurf zur abschließenden Neugestaltung der Sicherungs-
verwahrung vor, einen Gesetzentwurf mit einer rechts-
politischen Tragweite von – ich glaube, das sagen zu
können – grundsätzlicher Bedeutung. Nach meiner Erin-
nerung hat es, seitdem ich im Bundestag bin, kein anderes
Gesetzgebungsverfahren in der Rechtspolitik gegeben,
das in der öffentlichen Wahrnehmung zu Recht so auf-
merksam diskutiert und verfolgt worden ist.
Ich denke auch, sagen zu können – das wissen all die,
die sich intensiver damit befasst haben –, dass gerade
diese Materie zu den komplexesten und schwierigsten
im Bereich des Strafrechts, des Strafprozessrechts und
des Strafvollzugs gehört und es demzufolge in besonde-
rer Weise eine Herausforderung war. Das wird jeder fest-
stellen, der schon einmal in den Gesetzentwurf hineinge-
schaut hat.
Mit dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute zur ab-
schließenden Beratung vorlegen, regeln wir nicht nur
das Recht der Sicherungsverwahrung nahezu komplett
neu, sondern – das ist auch die Auffassung der Union –
wir werden hiermit künftig auch ausgewogen und ver-
antwortbar Schutzlücken im Recht der Sicherungsver-
wahrung schließen und damit den Ansprüchen gerecht,
die die Bürger an uns haben. Ich glaube, all das wird mit
diesem Gesetzentwurf zu einem großen Teil erreicht.
Die Neuordnung der Sicherungsverwahrung gehörte
ja von Anfang an – auch das hat der Staatssekretär er-
wähnt – zu den umfassendsten rechtspolitischen Vorha-
ben dieser christlich-liberalen Koalition. Nachdem in ei-
ner Vielzahl von Gesetzesinitiativen der vergangenen
Jahre immer wieder einzelne Bereiche geregelt wurden,
ist das Recht insgesamt unübersichtlich geworden. Es
gibt wohl kaum eine andere Materie, die mit so unter-
schiedlich divergierenden Entscheidungen von Bundes-
gerichten bis hin zum EGMR leben musste. Die Ursa-
chen kennen wir. Die Folgen haben wir heute mit dem
Gesetzentwurf nicht nur zu lösen versucht, sondern auch
auf einem guten Weg – wie ich finde – lösen können.
Wir standen vor der schwierigen Frage – ich sagte es
bereits –, im Lichte der divergierenden Entscheidungen
von Obergerichten einschließlich des EGMR das Recht
der Sicherungsverwahrung neu zu regeln und im Span-
nungsfeld dieser unterschiedlichen Entscheidungen auch
einen Weg zu finden, um die Lücken, die die Entschei-
dungen des EGMR, aber auch Entscheidungen des Bun-
desverfassungsgerichts und infolgedessen des BGH auf-
gerissen haben, zu schließen.
Die durch das EGMR-Urteil entstandene Situation
wurde hier schon angesprochen; ich brauche es daher
nicht im Einzelnen zu thematisieren. Viele betroffene
Bürger und Eltern haben sich an uns gewandt und ge-
fragt: Ist es richtig und was tut der Staat dagegen, dass
immer noch Straftäter, die erklärtermaßen als gefährlich
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Meine Damen und Herren, es ist schon erwähnt wor-
en: Im Nachgang zur Anhörung haben wir einige wei-
ere Änderungen vorgenommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8589
Andrea Astrid Voßhoff
)
)
Sozusagen im Lichte der Auswertung der Anhörung
haben wir den Kreis der Anlasstaten nochmals einge-
grenzt, um die Ultima-Ratio-Funktion der Sicherungs-
verwahrung deutlich zu dokumentieren.
Wir haben weiterhin das Erlöschen des Vorbehalts
beim Bewährungswiderruf rückgängig gemacht. Das be-
deutet, dass der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bei
jemandem, der vorzeitig auf Bewährung freigelassen
wird, nicht automatisch erlischt. Vielmehr kann der Vor-
behalt der Sicherungsverwahrung wieder aufleben, wenn
die Bewährung aus welchen Gründen auch immer – bei-
spielsweise weil er Straftaten begangen hat oder erneut
auffällig geworden ist – aufgehoben wird. Im Nachgang
zu der Anhörung ist es auch gelungen, die Frist für die
Rückfallverjährung von 10 auf 15 Jahre zu verlängern.
Wenn man dies alles zusammennimmt, dann ist diese
grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung – das
habe ich eingangs gesagt – ein tragfähiges Konzept für
die Zukunft. Das ist – nach den Regelungen der vergan-
genen Jahre – ein großer Erfolg der christlich-liberalen
Koalition. Es ist nicht in allen Punkten unumstritten; das
wissen wir. Aber die Materie ist außerordentlich kom-
plex und schwierig.
Ich meine, die christlich-liberale Koalition hat in die-
ser Frage den richtigen Weg gefunden und in den offe-
nen Punkten einen guten Kompromiss erzielt. Dass sich
die Linken dem nicht anschließen können, kann man
schon deren Stellungnahme entnehmen. Die Kollegin
Lambrecht hat es bereits angesprochen. Die Grünen ent-
wickeln sich leider zu einer Dagegen-Partei. Es gibt – so
wurde es auch von der SPD vorgetragen – gute Gründe,
diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
– Das muss nicht sein, keine Frage. Es zeigte sich aber in
den Beratungen, dass wir in vielen Fragen nicht nur ei-
nen guten Kompromiss, sondern auch einen vertretbaren
Weg gefunden haben.
Auch ich darf mich beim BMJ und beim Koalitions-
partner für die guten konstruktiven Gespräche im Rah-
men unserer Berichterstattung bedanken. Das war wich-
tig und gut. Wir haben viele Anregungen aufgenommen
und, wie Sie sehen, die eine oder andere auch umgesetzt.
In diesem Sinne darf ich an die Länder appellieren. Es
ist von entscheidender Bedeutung – das wäre es schon
die ganzen Jahre über gewesen, aber jetzt erst recht –,
dass die Länder die Umsetzung der Sicherungsverwah-
rung jetzt endlich neu anpacken. Ich weiß, dass es eine
Arbeitsgruppe auf Länderebene und ein erstes Kriterien-
papier gibt. Auch dort ist man also auf einem guten Weg.
Unser Gesetz kann nur so gut sein wie die anschließende
Umsetzung in den Ländern. Deshalb darf ich hoffen,
dass die Länder an dieser Stelle zügig weitermachen.
Wir sind es der Sicherheit unserer Bürger schuldig.
Vielen Dank.
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iese Aussage kann ich bedingungslos teilen.
ch glaube, wir können sie alle bedingungslos teilen. Sie
ntspricht auch den übereinstimmenden Einschätzungen
ller Sachverständigen, die wir in den letzten Wochen zu
iesem Thema gehört haben.
Aber mit dem vorgelegten Gesetzentwurf kommt die
oalition in ihrer Abwägung zu einem Ergebnis, das
iesem Anspruch bedauerlicherweise nicht gerecht wird
nd bei dem erhebliche rechtsstaatliche Bedenken beste-
en bleiben. Deshalb können wir Linken den Gesetzent-
urf nicht mittragen.
Dass die Sicherungsverwahrung unter rechtsstaatli-
hen Gesichtspunkten ein problematisches Instrument
st, wird selbst von konservativen Strafrechtlern nicht
estritten. Deshalb sagen auch Befürworter der Siche-
ungsverwahrung, dass dieses Mittel nur die Ultima Ra-
io sein darf. In der Abwägung der Koalition wird jedoch
ieses rechtsstaatlich fragwürdige Instrument nicht be-
chränkt. Das postulierte Ziel der Sicherungsverwahrung
ls Ultima Ratio wird nicht eingehalten. Massive Beden-
en hinsichtlich der Europarechtskonformität werden
gnoriert. Das Gesetzgebungsverfahren war allenfalls
ormal von dem Bemühen geprägt, ein größtmögliches
invernehmen herzustellen. Inhaltlich hat die Koalition
s schlicht durchgezogen.
Sicherungsverwahrung bedeutet im Kern, dass Men-
chen, die für früher begangene Straftaten eine Freiheits-
trafe verbüßt haben, aufgrund einer vermuteten Gefähr-
ichkeit für die Zukunft präventiv weggesperrt werden.
as aber steht im Widerspruch zum Schuldprinzip des
eutschen Strafrechts. Der Gesetzentwurf manifestiert
iesen Widerspruch, und deshalb lehnen wir ihn ab.
Wir erleben heute die zweite und dritte Beratung ei-
es Gesetzentwurfs, der fast genauso aussieht, wie er
ingebracht wurde. Ich erinnere daran: Der Gesetzent-
8590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Halina Wawzyniak
)
)
wurf wurde von der Koalition wenige Tage vor der ers-
ten Lesung eingebracht. Die Begründung umfasste
knapp 100 Seiten. Danach gab es eine Sachverständigen-
anhörung und zwei sogenannte Orientierungsgespräche.
Wir Linke waren die einzige Fraktion, die trotz erhebli-
cher grundsätzlicher Bedenken gegen den ganzen Ansatz
nach der Sachverständigenanhörung eine schriftliche
Stellungnahme für das Orientierungsgespräch vorgelegt
haben, in der wir detailliert und sehr konkret einen er-
heblichen Änderungsbedarf aufgezeigt haben. Aber was
ist jetzt das Ergebnis der Anhörung und der Orientie-
rungsgespräche? Lediglich an einem einzigen Punkt ha-
ben Sie Veränderungen vorgenommen, nämlich bei den
Anlassstraftaten. Der Preis für diese Veränderung war
die Verlängerung der Frist für die Rückfallverjährung
auf 15 Jahre. So etwas nennt man Kopplungsgeschäft.
Selbst die Veränderung bei den Anlassstraftaten führt
nicht zu dem Ziel, die Sicherungsverwahrung als Ultima
Ratio zu gestalten. Immer noch zählen Staatsschutzde-
likte und Delikte nach dem Betäubungsmittelgesetz zu
den Anlassstraftaten.
Doch damit nicht genug. Trotz erheblicher Bedenken
reicht es aus, dass der Hang nicht festgestellt, sondern
weiter nur wahrscheinlich sein muss. Aber auch damit
nicht genug: Trotz erheblicher Kritik an der Europa-
rechtskonformität wurde die vorbehaltene Sicherungs-
verwahrung ausgeweitet mit der Begründung, dies sei
günstig für die Therapie. Wir sind der Auffassung, dass
diese Begründung absurd ist. Mit dem Damoklesschwert
der Sicherungsverwahrung wird jeder Therapieansatz
konterkariert.
Trotz erheblicher Kritik an der Europarechtskonfor-
mität bleibt die Regelung der nachträglichen Sicherungs-
verwahrung für Altfälle bestehen. Wir werden also bis
zu 15 Jahre weiter eine nachträgliche Sicherungsverwah-
rung haben. An dieser Stelle frage ich Sie mit den Wor-
ten von Herrn Renzikowski: Wer zahlt eigentlich die
Schadensersatzforderungen, wenn diese Fälle vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhan-
delt werden und die Betroffenen recht bekommen?
Zum Schluss zum Therapieunterbringungsgesetz; das
ist Art. 5 des Gesetzentwurfs. Die vorgeschlagenen Rege-
lungen zum Therapieunterbringungsgesetz wurden von
allen Sachverständigen als problematisch bezeichnet.
Sie wissen, dass die Gesetzgebungskompetenz umstrit-
ten ist. Sie etikettieren Menschen um zu psychisch Ge-
störten, trotz erheblicher europarechtlicher Bedenken.
Das führt zu einer Psychiatrisierung, hilft aber nieman-
dem weiter. Wir haben einen Rechtsanspruch auf Thera-
pie gefordert. Sie haben das nicht aufgegriffen. Deshalb
ist es gut und richtig, dass das Land Brandenburg den
Vermittlungsausschuss in Sachen Sicherungsverwahrung
anrufen wird.
Für uns ist es unmöglich, diesem Gesetzentwurf zuzu-
stimmen. An dieser Stelle möchte ich eine Bitte an die
Kolleginnen und Kollegen der SPD richten: Überlegen
Sie sich noch einmal, ob Sie diesem Gesetzentwurf
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enn man die beste Lösung gefunden hat, dann stimmt
an dieser zu. Wenn man aber mit einer schlechten Lö-
ung konfrontiert wird, wie Sie sie uns vortragen, dann
st man dagegen. Das ist das Wesen der Demokratie und
es Parlamentarismus.
assen Sie also diese gegen uns Grüne gerichteten Mätz-
hen. Uns schadet das nicht; aber es fällt Ihnen auf die
igenen Füße.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition aus
DU/CSU und FDP hat vor über einem Jahr vereinbart
nd in der Koalitionsvereinbarung zu Papier gebracht,
ie Sicherungsverwahrung grundlegend zu reformieren.
aum war die Tinte trocken, entschied der Europäische
erichtshof für Menschenrechte im Dezember 2009,
ass die frühere schwarz-gelbe Koalition unter Kohl im
anuar 1998 einen entscheidenden Fehler im Rahmen
er Sicherungsverwahrung gemacht hat und dass dieser
ehler im Ergebnis ein Verstoß gegen europäische Men-
chenrechte ist. Es wäre also an der Zeit gewesen, sich
ofort im Dezember 2009 an die Arbeit zu machen, um
hren eigenen Reformwillen zu zeigen und um der Ent-
cheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
echte nachzukommen.
Was haben Sie aber gemacht? Sie haben eine Be-
chwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschen-
echte eingereicht, die von vornherein aussichtslos war.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8591
Jerzy Montag
)
)
Der Gerichtshof hat sie nicht einmal zur Entscheidung
angenommen. Auf diese Art und Weise haben Sie viele
Monate verstreichen lassen, viele Monate, in denen wir
im Parlament über eine Reform hätten diskutieren kön-
nen, die uns, den Ländern und der Polizei viele Probleme
erspart hätte, die wir jetzt haben.
Nun beraten wir abschließend über einen Gesetzent-
wurf der Koalitionsfraktionen. Zuerst zum einzigen
positiven Punkt. Dass Sie schon in Ihrem ersten Vor-
schlag eine Begrenzung bei den Anlasstaten vorgenom-
men haben, haben wir gesehen und gewürdigt. Wir alle
– nicht nur die SPD – haben kritisiert, dass der Anlassta-
tenkatalog zu weit gefasst ist. Dieser ist nun eingeengt
worden; das ist gut. Aber die Vorschriften betreffend den
Staatsschutz, das Drogenstrafrecht und die Kriegsverbre-
chen – dies sind sicherlich schwere Straftaten – haben
mit der Sicherungsverwahrung nicht das Geringste zu
tun. Es wäre deshalb richtig gewesen, sich, wie es die
Ministerin im Sommer versprochen hat, auf schwerste
Gewalttaten und schwere Sexualstraftaten zu beschrän-
ken. Das haben Sie nicht getan. Selbst beim einzigen gu-
ten Punkt sind Sie auf halbem Weg stehen geblieben.
Zu den negativen Punkten. Sie haben gesagt, Sie
wollten die nachträgliche Sicherungsverwahrung ab-
schaffen. Aber Sie haben es nicht getan. Aufgrund fal-
scher Übergangsbestimmungen wird es noch in über
15 Jahren Fälle geben, in denen die nachträgliche Siche-
rungsverwahrung drohen kann und eventuell verhängt
werden wird. Über 15 Jahre werden wir einen Doppel-
standard haben, weil Sie sich nicht entschließen konnten,
eine vernünftige Übergangsregelung zu schaffen. Beson-
ders schlimm ist, dass Sie nicht die Kraft gefunden ha-
ben, die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugend-
strafrecht – diese halten Sie selbst für falsch –
abzuschaffen; das wäre notwendig gewesen. Das kriti-
sieren wir. Auch deswegen werden wir Ihrem Gesetzent-
wurf nicht zustimmen.
Dass Sie die vorbehaltene Sicherungsverwahrung
ausbauen, ist ein Fehler, meine Damen und Herren von
der Koalition. Sie beziehen die Ersttäter ein und setzen
das Maß der Wahrscheinlichkeit für den Richter so ge-
ring an, dass es Hunderte, vielleicht sogar Tausende
Fälle geben wird, in denen der Vorbehalt erklärt wird.
Das führt zu einem Chaos im Strafvollzug; denn diese
Menschen werden ganz anders behandelt als andere.
Des Weiteren stellt das geplante Therapieunterbrin-
gungsgesetz keine Lösung für die Zukunft dar. Dieses
Gesetz gilt für einen sehr begrenzten Personenkreis. Von
diesem Personenkreis werden Sie nur einen ganz kleinen
Subkreis erfassen, nämlich diejenigen, bei denen sich ein
Zivilgericht dazu hergibt, sie für psychisch gestört zu er-
klären. Da die Länder in diesen wenigen Fällen keine
Möglichkeiten haben, die Betroffenen entsprechend un-
terzubringen, werden sie diese Menschen in psychiatri-
sche Krankenhäuser stecken. Diese Häuser wehren sich
schon heute gegen die Aufnahme solcher Menschen;
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kol-
eginnen und Kollegen! Bevor ich unangenehm werde,
olgendes vorweg: Es waren gute Beratungen. Wir
reuen uns, dass wir nun ein gutes Gesetzeswerk vorle-
en und dass es uns gelungen ist, viele gute Vorschläge
er Opposition, insbesondere von der SPD-Fraktion,
ufzunehmen. Aber das, was Sie vorgetragen haben,
err Montag, ist eine bodenlose Frechheit. Die nachträg-
iche Sicherungsverwahrung, über die Sie sich beklagen,
aben Sie 2004 im Bundestag beschlossen. Nun bekla-
en Sie, dass wir sie nicht so abschaffen, wie Sie wollen.
ie hätten diese Regelung erst gar nicht einführen sollen.
as ist der erste Fehler.
Damit bin ich auch beim Kernproblem. Das gesamte
echt der Sicherungsverwahrung ist ein Flickenteppich.
ch gebe Ihnen recht: Es war ein Fehler, 1998 die
öchstgrenze von zehn Jahren abzuschaffen – das hat
ns das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men-
chenrechte dieses Jahr eingebracht –, weil wir damit ge-
en das Rückwirkungsverbot verstoßen haben. Aber was
n diesem Jahr gelungen ist, ist Folgendes: Wir haben
it dem Gesetzentwurf das Recht im Hinblick auf die
icherungsverwahrung wieder vom Kopf auf die Füße
estellt. Deswegen muss man sich an dieser Stelle bei
er Bundesjustizministerin bedanken; denn sie hat den
ielen, relativ forsch vorgetragenen Vorschlägen wider-
tanden und ist konsequent bei ihrem Gesetzentwurf ge-
lieben. Sie hat einen guten Gesetzentwurf vorgelegt,
en wir bei den Beratungen im Parlament noch weiter
erbessert haben. Deswegen geht mein ganz besonderer
ank an das Justizministerium.
Herr Kollege Ahrendt, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Ströbele?
8592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Ahrendt, wenn Sie die Frau Justizminis-
terin loben,
dann kann das nicht nur daran liegen, dass sie aus Ihrer
Partei und Fraktion kommt. Sie sollten auch dazu Stel-
lung nehmen, was der Kollege Montag gesagt hat, näm-
lich dass die Justizministerin nicht nur in einer Veran-
staltung, sondern den ganzen Sommer über in der
Diskussion über die Veränderung der Sicherungsverwah-
rung immer wieder betont hat, dass sie dieses verfas-
sungsrechtlich schwierige und problematische Instru-
ment nur ganz eng bei Gewalttaten und Straftaten gegen
die sexuelle Selbstbestimmung einsetzen will.
Nun legen Sie einen Gesetzentwurf vor – dafür loben
Sie die Bundesministerin auch noch –, der eine Auswei-
tung auf viele andere Tatbestände wie Diebstahl, Zerstö-
ren einer Telefoneinrichtung und Ähnliches vorsieht.
Das passt irgendwie nicht zusammen. Wollen Sie Ihr
Lob nicht ein bisschen einschränken?
Nein, im Gegenteil. Der Gesetzentwurf veranlasst
mich, mein Lob zu verstärken. Denn das Justizministe-
rium und die Koalition haben zusammen mit der SPD
gezeigt, dass es im Gesetzgebungsverfahren möglich ist,
ein Gesetz ein Stück weit zu verbessern. An einer Stelle
gebe ich Ihnen recht. In dem Entwurf stand, dass alle
Straftaten mit einer Strafe über zehn Jahren zu einer Si-
cherungsverwahrung führen können. Wir haben das, was
Herr Montag in der ersten Lesung kritisiert hat, in den
Beratungen aufgenommen, diese Einwände mit dem Jus-
tizministerium abgeklärt und das Gesetz neu gefasst, so-
dass jetzt die Ultima Ratio im Gesetz steht: nur schwere
Straftaten.
– Lassen Sie mich ausreden, Herr Kollege. – Deshalb
haben wir gemeingefährliche Straftaten aufgenommen;
denn es ist gefährlich, wenn jemand in Serie Brände legt.
Wenn eine entsprechende Gefährlichkeit des Täters ge-
geben ist, kann die Sicherungsverwahrung verhängt wer-
den. Wir können uns als Parlament für diese entschei-
dende Verbesserung, die im Gesetzgebungsverfahren
erfolgt ist, selbst loben.
Ich möchte an der Stelle die Gelegenheit ergreifen,
die weiteren Punkte auszuführen, die wir bei der Siche-
rungsverwahrung verbessern. Dadurch, dass wir die
nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen, was
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geht es uns. Deswegen können wir diesem Gesetz guten
Gewissens zustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Montag das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Ahrendt, ich
habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil Sie mich
in Ihrem Beitrag persönlich angesprochen haben und mir
nicht nur meine sachliche Kritik, sondern eine ungeheu-
erliche Unverschämtheit meinerseits oder etwas in die-
sem Sinne vorgeworfen haben.
Herr Kollege, ich will Ihnen sagen: Sie erleben jetzt
die Schwierigkeiten, die man in einer Regierungskoali-
tion hat, wenn man der kleinere Koalitionspartner ist. Ich
hatte nicht die Zeit, in meinen fünf Minuten darüber zu
reden, dass die Frist für die Rückfallverjährung, die bis-
her – über Jahrzehnte – mit fünf Jahren eine gute Vorlage
für die Justiz in Deutschland in Sicherungsverwahrungs-
fällen gewesen ist, von der Union auf zehn Jahre ange-
hoben worden ist. In den letzten Beratungen wurde of-
fensichtlich in der Koalition ein Geschäft gemacht; denn
sie wurde sogar auf 15 Jahre angehoben.
Ich wage die Hypothese: Das hat Ihnen und der FDP
nicht gefallen, aber Sie mussten das schlucken. So ähn-
lich war die Situation bei der nachträglichen Sicherungs-
verwahrung im Jahr 2004. Die SPD wollte sie unbedingt,
wir Grüne wollten sie nicht. Deswegen haben wir uns
mit Erfolg dafür eingesetzt, dass sie so rechtsstaatlich
eingeführt wurde, dass in den sechs Jahren seitdem nicht
mehr als 20 Menschen in nachträgliche Sicherungsver-
wahrung gekommen sind.
Sie kennen unsere grundsätzliche Kritik an der nach-
träglichen Sicherungsverwahrung. Deswegen haben wir
viel Gemeinsames und nicht so viel Trennendes; Sie
wollen sie doch auch nicht. Ich habe mir die Freiheit ge-
nommen, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie sie im Ju-
gendstrafrecht immer noch nicht abgeschafft haben, ob-
wohl Ihr Kollege van Essen in keiner Rede zu diesem
Thema vergisst, zu sagen, dass das auf dem FDP-Zettel
steht. Dennoch schaffen Sie es nicht, in dieser Angele-
genheit zu Ihrem Koalitionspartner durchzudringen.
Ich habe mir ferner erlaubt, zu sagen, dass die Über-
gangsregelung für viele Jahre – bis zu 15 Jahre und
mehr – zu einer Doppelstruktur im Strafvollzug führen
wird. Das sind sachliche Argumente. Die können Sie gut
oder richtig finden, aber Sie dürfen darauf nicht in einer
so persönlichen und emotionalen Art erwidern.
Herr Kollege Ahrendt, bitte.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
nsgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Wären wir der ideale Gesetzgeber, könnten wir
eute ein perfektes Gesetz zur Reform der Sicherungs-
erwahrung vorlegen. Doch den idealen Gesetzgeber
ibt es nur in der idealen Welt. Wir leben aber nicht in
iner idealen Welt. Wir leben in einer Welt, in der es
enschen gibt, die eine Gefahr für andere sind. Wir le-
en in einer Welt, in der es potenzielle Straf- und auch
iederholungstäter gibt, die jederzeit wieder zuschlagen
önnen.
Wir haben das zu Beginn dieser Woche in Duisburg
rlebt. Ein gerade aus der Sicherungsverwahrung Entlas-
ener
nach einem Gutachten, das ist richtig; er wurde als
icht gefährlich eingestuft –
8594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Ansgar Heveling
)
)
hat ein kleines Kind angegriffen und gewürgt. Es konnte
sich Gott sei Dank losreißen. So ist sicherlich Schlimme-
res verhindert worden.
Wir dürfen als Politiker vor solchen Situationen nicht
die Augen verschließen. Wir müssen deshalb um gesetz-
liche und rechtsstaatliche Lösungen ringen. Aber was wir
auch tun – darauf müssen wir klar und deutlich hinweisen –:
Wir können keine perfekten gesetzlichen Regelungen
zum Schutz vor gefährlichen Straftätern schaffen. Weil es
keine perfekten Regelungs- und Schutzmechanismen ge-
ben kann, wird auch niemals ein hundertprozentiger
Schutz vorhanden sein.
Aber wir stehen in der Verantwortung, unser Möglichs-
tes zu tun, diesem Risiko mit rechtsstaatlichen Mitteln
zu begegnen. Das ist ohne Zweifel nicht einfach, geht es
doch um unterschiedliche, teils widerstreitende Rechts-
positionen. Es sind im Wesentlichen drei Faktoren, die
dieses Spannungsfeld, in dem wir unsere gesetzgeberi-
sche Entscheidung zu treffen haben, ausmachen:
Erstens. Der Staat hat einen Schutzauftrag gegenüber
den Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere den
Schwächsten gegenüber. Freiheit und Sicherheit zu ge-
währleisten, ist die existenzielle Aufgabe auch und ge-
rade des Rechtsstaats.
Zweitens. Ohne Zweifel, auch die persönliche Frei-
heit ist ein hohes Gut. Freiheitsentziehungen sind daher
zu Recht nur in engen Grenzen zulässig.
Drittens. Freiheitsentziehung als Strafe knüpft an be-
reits begangenes Unrecht, damit an Schuld und damit an
einen objektivierbaren Faktor an.
Freiheitsentziehung aufgrund von vermuteter Gefähr-
lichkeit ist demgegenüber von einer Prognoseentschei-
dung abhängig und damit durch Unwägbarkeiten
gekennzeichnet. Es können immer falsche Prognoseent-
scheidungen getroffen werden, in jeglicher Richtung. Es
können Gefährliche als nicht gefährlich und Nichtge-
fährliche als gefährlich begutachtet werden. Progno-
seentscheidungen können sich als falsch erweisen; so
war es in Duisburg.
Wir müssen versuchen, dieses Spannungsverhältnis
aufzulösen, und zwar rechtsstaatlich aufzulösen. Ich
glaube, wir haben es uns dabei alle miteinander – ge-
nauer gesagt: weitgehend alle – nicht leicht gemacht.
Denn nicht nur das oben skizzierte Spannungsfeld hat
die Reformdiskussion beherrscht, sondern auch der
durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte ausgelöste Regelungsdruck hat uns
unter Zug- und Entscheidungszwang gesetzt.
Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Si-
cherungsverwahrung verfolgen wir das Ziel, dafür zu
sorgen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung in
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atürlich kann man stets unterschiedliche Schlussfolge-
ungen aus Erkenntnissen ziehen. Natürlich kann man
mmer noch mehr regeln. Aber wir haben uns doch er-
ennbar aufeinander zubewegt. Dann kommt es letztlich
uf das Wollen an. Wenn es daran mangelt, dann redu-
iert es sich nachher doch auf das Dagegen-Sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8595
Ansgar Heveling
)
)
Leider ist bei der Fraktion Die Linke nicht einmal im
Ansatz die Bereitschaft zur Problemlösung erkennbar.
Mir fehlt offen gestanden jedes Verständnis für deren
Position.
Ihre Skepsis gegenüber allem, was mit Rechtsstaat zu
tun hat, mag man vor dem Hintergrund Ihrer Geschichte
noch nachvollziehen können.
Vielleicht ist es aber auch besser, wenn man erst gar
nicht versucht, eine Fraktion zu verstehen, die in der
Tradition einer Partei steht, die das eigene Volk jahr-
zehntelang selbst für gefährlich gehalten und wegge-
sperrt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie am Ende Ihrer Redezeit
eine Zwischenfrage der Kollegin Klein-Schmeink?
Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen. – Wir
schließen heute die Neuordnung des Rechts der Siche-
rungsverwahrung ab. Wir haben es uns dabei alle nicht
leicht gemacht. Wir wissen auch um die Schwierigkeiten
im Detail, aber wir stehen den Bürgerinnen und Bürgern
gegenüber in der Verantwortung, um deren Freiheit und
Sicherheit zu gewährleisten. Dieses Gesetz wird dazu ei-
nen Beitrag leisten.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Neuordnung des Rechts der Sicherungs-
verwahrung und zu begleitenden Regelungen. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/4062, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/3403 in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Druck-
sache 17/4066 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Änderungsantrag der SPD-Fraktion? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-
trag ist damit abgelehnt. Dafür hat die SPD-Fraktion ge-
stimmt, dagegen die anderen Fraktionen.
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hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges nach Artikel 23 Absatz 2 des Grund-
gesetzes i. V. m. § 9 Absatz 1 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundesre-
gierung und Deutschem Bundestag in
Angelegenheiten der Europäischen Union
Profiteure der Krise zur Kasse bitten – Keine
weitere Verstaatlichung fauler Bankkredite bei
Finanzhilfen für Irland
– Drucksache 17/4029 –
Über den Antrag der Fraktion der SPD und über den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir
später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so ver-
fahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Manuel Sarrazin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass wir
Grüne in dieser Woche als Erste beantragt haben, dass
der Bundestag Verantwortung für Irland übernimmt. Für
die Kredithilfen für Irland sprechen aus unserer Sicht
Solidarität und Rationalität im europäischen Sinn.
Der Geschichtsphilosoph Alfred Vierkandt sagte einmal:
Solidarität ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das
praktisch werden kann und soll.
Echte Solidarität gibt es also nur dann, wenn man sie am
Ende auf die Wirklichkeit bezogen eintreten lässt. Wir
finden, das gilt auch heute.
Es ist nicht so, dass wir alles, was die Europäische
Kommission und die irische Regierung ausgehandelt ha-
ben, einfach gut finden. Wir finden es falsch und unklug
für Irland, auf dem harten Weg des Sparens nicht auch die
Anhebung des Unternehmensteuersatzes anzupacken.
Wir finden es falsch, auf dem Sanierungsweg nicht auch
die Vermögen heranzuziehen.
Wir wollen, dass Europa endlich bei der Harmonisierung
der Unternehmensteuern vorankommt. Wir denken, dass
gerade Irlands Probleme zeigen, dass es jetzt Zeit ist,
hier voranzukommen und zu handeln.
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Es steckt ein tieferer Sinn hinter unserem Antrag.
ei der Tat der Solidarität geht es uns nicht einfach nur
arum, Europa zu bewahren, sondern wir wollen Europa
eiterentwickeln. Diese Tat fordert auch politisch ein:
eht endlich die Koordination der nationalen Wirt-
chaftspolitiken an! Geht endlich die Steuerharmonisie-
ung an und geht endlich den Abbau der wirtschaftlichen
ngleichgewichte in der Europäischen Union an!
Denn – um es mit Robert Schuman zu sagen, der
iese Erkenntnis schon 1950 hatte; ich zitiere –: Europa
wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst
ine Solidarität der Tat schaffen“. Wer also will, dass Eu-
opa mehr wird, als es 1950 war und als es heute ist, der
ollte aus unserer Sicht heute für die Solidarität der Tat
timmen.
Meine Damen und Herren, dass wir mit unserem An-
rag eine Stellungnahme nach Art. 23 des Grundgesetzes
infordern, liegt daran, dass wir möchten, dass der Bun-
estag zeigt, dass er seine Verantwortung übernimmt, zu
agen, dass die Parlamente beteiligt werden müssen,
enn wir wollen, dass Europa gelingt. Das ist notwen-
ig, um die irische Hilfe verfassungsgerichtsfest zu ma-
hen.
Die Beschlussvorlage der Kommission liegt uns noch
icht vor. Das Finanzministerium hat uns heute den Ent-
urf für die Beschlussvorlage zur Verfügung gestellt.
ir denken deshalb, dass eigentlich den Rechten des
arlamentes auf Stellungnahme gemäß Art. 23 GG nicht
enüge getan worden ist. Wir geben mit dieser Stellung-
ahme aber ideell unsere Zustimmung dazu, dass die
undesregierung im Ecofin für die Kredithilfen für Ir-
and stimmt. Wir wahren trotzdem unser Recht auf Stel-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8597
Manuel Sarrazin
)
)
lungnahme, die wir erst dann abgeben können, wenn wir
auch die endgültigen Beschlussvorlagen kennen und
richtig bewerten können. Wir kennen den Inhalt durch
die Information im Ausschuss aber relativ gut. Deshalb
ist das sachlich möglich und auch geboten. Das bedeutet
aber nicht, dass wir auf unsere Rechte verzichten. Darauf
werden wir auch weiterhin pochen.
Vielen Dank.
Der nächste Redner ist der Kollege Norbert Barthle
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren heute über ein 85-Milliarden-
Euro-Paket, das zwischen der Europäischen Kommis-
sion, dem Internationalen Währungsfonds und der Euro-
päischen Zentralbank verabredet wurde. Es soll dazu
dienen, die Zahlungsfähigkeit Irlands wiederherzustellen
und gleichzeitig auch die Finanzstabilität der Euro-Zone
sicherzustellen.
Dieses Paket beinhaltet verschiedene Teile, für die
auch verschiedene Beteiligungen gelten. Da ist zunächst
einmal der EFSF-Teil, also die Europäische Finanzstabi-
litätsfazilität. Für diesen Teil ist das Einvernehmen mit
dem Haushaltsausschuss herzustellen. Ich möchte fest-
stellen, dass dieses Einvernehmen eindeutig hergestellt
wurde. Ich will an dieser Stelle auch dem Bundesfinanz-
minister ganz herzlich danken, der uns aktuell und lau-
fend über die jeweiligen Beratungen informiert hat, zu-
letzt noch am Sonntag über Telefonkonferenzen, mit
einer umfassenden Unterrichtung am Montag im Haus-
haltsausschuss und erneut unter dem entsprechenden Ta-
gesordnungspunkt am Mittwoch.
Dieses Einvernehmen wurde mit den Stimmen der
Koalition, mit den Stimmen der SPD und mit den Stim-
men der Grünen hergestellt. Dafür ein ganz herzliches
Dankeschön. Das zeigt, dass an dieser Stelle doch ein
Verantwortungsbewusstsein besteht. Ich möchte aber
nochmals betonen, dass wir im Haushaltsausschuss auch
– entgegen anderslautender Agenturmeldungen von ges-
tern – eine eigenständige Mehrheit hatten. Wir hatten
eine eigene Mehrheit von 14 : 11, daran gibt es nichts zu
rütteln.
Damit sind diese Bedingungen für den Rettungsschirm
erfüllt.
Es geht heute aber eigentlich um den zweiten Teil.
Das ist – EFSM genannt – der Europäische Finanzstabi-
lisierungsmechanismus. Hierfür ist die Beteiligung des
Parlaments, des Deutschen Bundestages, vorgesehen.
Diese erfolgt hier und heute und damit auch rechtzeitig
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Ich will nochmals darauf verweisen, dass wir froh und
tolz sind, dass wir eine so gute industrielle Basis haben,
ass wir eine mittelständische Struktur haben, die sich in
ieser Krise als flexibel und resistent erwiesen hat, dass
nsere Industrie eine Grundstruktur hat, die in der Lage
ar, möglichst schnell wieder Impulse aufzunehmen.
ie Marktreaktionen in Irland zeigen allerdings, dass die
ärkte die industriellen Voraussetzungen nicht immer
enau im Visier haben, sondern auch spekuliert wird.
iesen Spekulationen müssen wir den Boden entziehen.
azu dient dieses Paket, das jetzt auf den Weg gebracht
ird.
8598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Norbert Barthle
)
)
Lassen Sie mich an dieser Stelle nochmals daran erin-
nern, dass das Sparpaket, das in Irland jetzt auf den Weg
gebracht wird, zu etwa einem Drittel aus Mehreinnah-
men und zu zwei Dritteln aus Ausgabenreduzierungen
besteht, und zwar mit teilweise ernst zu nehmenden
Maßnahmen: Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf
68 Jahre,
Stellenabbau im öffentlichen Dienst, Absenkung der
Mindestlöhne um 1 Euro, Erhöhung des Mehrwertsteu-
ersatzes. An dieser Stelle empfehle ich vor allem den
Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite des Hau-
ses, einmal nachzuschauen, wie die Länder, die quasi ge-
zwungen sind, heftige Sparprogramme aufzulegen, diese
Aufgabe angehen, und eine Analogie zu Deutschland
herzustellen. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein
Blick auf unser Zukunftspaket.
Mit unserem Zukunftspaket machen wir genau dasselbe:
ein Drittel Einnahmeverbesserungen, zwei Drittel Spa-
ren bei den Ausgaben.
Deshalb lohnt sich ein Blick darauf. Das ist genau die-
selbe Grundstruktur.
Sosehr ich es begrüße, dass Grüne und SPD dabei
sind, wenn es um dieses Rettungspaket geht, so sehr
empfehle ich, dass Sie darauf achten, dass Sie nicht, um
außenpolitisch seriös zu erscheinen, innenpolitisch das
Gegenteil tun und gemeinsam mit den Gewerkschaften
die Menschen gegen unsere Zukunftspakete auf die
Straße treiben. Das beißt sich. Das widerspricht sich.
Das ist nicht konsistent.
Ich begrüße es außerdem, dass auf europäischer
Ebene ernsthaft darüber nachgedacht wird, wie ein Sta-
bilisierungsmechanismus für die Zeit nach Auslaufen
dieser Maßnahmen, also für die Zeit nach 2013 einge-
richtet werden kann.
Dazu gibt es Vorschläge der Van-Rompuy-Gruppe. Ich
begrüße es sehr, dass unsere Position von Bundeskanzle-
rin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble immer wieder vorgetragen wird.
Wir setzen darauf, dass es gelingt, den Mechanismus
einzuführen, der in unserem Antrag dargelegt ist, mit
dem wir in der Lage sind, zukünftige Krisen zu beherr-
schen, und zwar auch unter Beteiligung der Gläubiger.
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as steht in unserem Antrag mit drin. Ich glaube, damit
ind wir auf dem richtigen Weg.
Es geht immer – dessen müssen wir uns stets verge-
issern – um die Stabilität unserer Währung. Es geht um
as Vertrauen der Menschen in unsere Währung. Dafür
ilt es sich auch auf europäischer Ebene einzusetzen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir Sozialdemokraten stimmen den Hilfen für Irland zu.
ir tun dies im Bewusstsein unserer Verantwortung für
in friedliches Europa. Wir tun dies nicht – entgegen den
erade wieder vorgetragenen Argumenten – für eine
ettung des Euro, Kollege Barthle. Es geht nicht um den
urs des Euro, der tagtäglich schwankt. Vielmehr geht
s darum, dass, wenn ein Land aus der Währungsunion
ussteigt, der zweite Schritt der Ausstieg aus der Euro-
äischen Union ist. Das ist die Gefahr, vor der wir ste-
en. Wir wollen eine gemeinsame Europäische Union,
eil nur sie zum Beispiel dafür sorgen kann, dass die Fi-
anzmärkte gezähmt werden. Das geht nur durch eine
emeinsame Linie innerhalb der Europäischen Union.
eswegen muss sie erhalten bleiben. Vor dieser Frage
tehen wir.
Eine politische Union muss aber auch politische Ant-
orten geben. Alles, was bis jetzt verabredet wurde, sind
eld und Kredite – und das alles sehr kurzfristig. Wir
ind Getriebene der Märkte. Politische Entscheidungen
erden mittlerweile morgens im Kanzleramt mit dem
lick auf den Ticker bzw. darauf getroffen, wie sich die
urse ändern. So werden heute politische Entscheidun-
en durch Ihre Regierung getroffen. Das ist fatal.
as ist nicht das Primat der Politik, Frau Bundeskanzle-
in, das Sie vor einer Woche hier gefordert haben, son-
ern das ist das Gegenteil.
Eine politische Antwort wäre, die Spirale der Speku-
ation und der Verunsicherung zu durchbrechen. Wir So-
ialdemokraten haben in unserem Antrag ganz konkrete
orschläge dazu gemacht. Sie als Koalitionsfraktionen
ind nicht mit einer Silbe darauf eingegangen und haben
ie sich nicht zu eigen gemacht. Die Verunsicherung bei
hnen ist so stark – ich brauche mir nur die Pressemittei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8599
Carsten Schneider
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)
lungen der FDP vom gestrigen Tag anzuschauen –, dass
es schwer genug ist, diesen Laden zusammenzuhalten,
geschweige denn für eine gemeinsame Initiative und
eine gemeinsame Aktion aller hier vertretenen Fraktio-
nen zu sorgen. Ich bedauere dies ausdrücklich.
Es zeigt sich die Abhängigkeit der Politik von den
Märkten. Da Sie uns Irland immer als das Heilsmodell
der ökonomischen Entwicklung gepriesen haben und
weil die Märkte für Sie das Evangelium sind, frage ich
Sie, warum Sie die Märkte dann so treiben lassen. Wa-
rum greifen Sie nicht ein, indem Sie klare Regularien
aufstellen? Warum greifen Sie nicht ein, indem Sie unse-
ren Vorschlägen folgen?
Zur Akzeptanz dieses Programms in der deutschen
Bevölkerung gehört, Frau Bundeskanzlerin, auch einmal
klar öffentlich dazu Stellung zu beziehen. Diese klare
Ansage würde aber auch bedeuten zu sagen: Das ist
nicht umsonst. Das wird uns höchstwahrscheinlich etwas
kosten. Die Frage ist dann, wer dafür zahlt. Die Position
der SPD ist da eindeutig: Wir wollen auf europäischer
Ebene, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben,
auch zahlen.
Das bedeutet die Einführung einer Finanztransaktion-
steuer. Dazu ist von Ihnen nichts zu hören.
Zur Ehrlichkeit und zur Akzeptanz der Stabilisie-
rungsmaßnahmen: Wir erleben Gipfel für Gipfel. Nach-
dem die EZB gerade keine Entscheidung für eine Aus-
weitung des Ankaufsprogramms getroffen hat – dies
begrüße ich sehr –, wird darüber spekuliert, dass es viel-
leicht schon wieder einen Gipfel gibt. Als Nächstes sind
Portugal, Spanien, Belgien und Italien im Fokus. Aber
das alles hilft uns nicht.
Ich hätte erwartet, dass von dem Gipfel am Sonntag in
Brüssel – Stichwort „Ecofin“ – ein klares Signal des
Sich-ehrlich-Machens der Staaten ausgeht, die im Feuer
stehen. Das heißt erstens, deutlich zu machen, wie die
Situation ist, und zweitens, die Rettungsmaßnahmen, die
Hilfsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen und nicht so
lange zu warten, bis es gar nicht mehr anders geht. Das
ist die Bankrotterklärung der Politik.
Ich will auf einen für uns Sozialdemokraten sehr
wichtigen Punkt zu sprechen kommen, der von Ihnen
wie eine Monstranz vor sich her getragen, aber nicht ver-
wirklicht wird. Das ist die Frage der Gläubigerbeteili-
gung.
Es ist vollkommen klar, dass derjenige, der eine Anleihe
zeichnet, einen höheren Zins bekommt, aber auch ein
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Das, was verabredet wurde, machen Sie sich jetzt zu
igen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist beinahe
ine Art Misstrauensvotum gegenüber dem Ergebnis,
as Finanzminister Schäuble erzielt hat. Sie sprechen
ich für automatische Sanktionen aus. Dies haben Sie
ber in Deauville geopfert. Es gibt keine automatischen
anktionen; Sie fordern sie lediglich. Sie sprechen sich
afür aus, dass Gläubiger immer beteiligt werden sollen.
ir als Sozialdemokraten unterstützen das. Wer ein Ri-
iko eingeht, wer einen höheren Zins bekommt, muss die
eche zahlen. Nicht der Steuerzahler muss einspringen,
ondern die Investoren müssen zahlen. Das gehört zur
arktwirtschaft; sonst wird sie auf den Kopf gestellt.
Das ist aber nicht verabredet. Man muss sich das ge-
au anschauen. Sie unterscheiden in dem vorgeschlage-
en Kompromiss bei der Frage der Gläubigerbeteili-
ung, ob der betroffene Staat Liquiditätsprobleme oder
olvenzprobleme hat. Bisher konnte mir niemand erklä-
en, woran dieser Unterschied festgemacht wird.
arüber wird eine politische Entscheidung getroffen
erden, auch wenn Sie das ausschließen wollen. Genau
as wird passieren. Deswegen befürchte ich, dass diese
lausel niemals in Kraft treten wird, dass es niemals zu
iner Gläubigerbeteiligung kommen wird. Sie werden
mmer politische Entscheidungen treffen. Das ist ein
ehler.
Wir brauchen hier klare Ansagen, klare Regularien
nd keine Betrachtung von Fall zu Fall und auch keine
nterscheidung von Aspekten, die man gar nicht unter-
cheiden kann. Das Finanzministerium konnte mir ges-
ern im Haushaltsausschuss anhand der beiden Fälle Ir-
and und Griechenland nicht erklären, wer ein
iquiditäts- und wer ein Solvenzproblem hat. Ich habe
o schon kein Vertrauen in dieses Vorgehen, wie soll es
ann in der Zukunft sein?
Diese Frage wurde nicht beantwortet, Herr Kollege
ricke. – Das führt nur dazu, dass die Verunsicherung
8600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Carsten Schneider
)
)
bestehen bleibt, dass es höhere Risikoaufschläge und
Prämienzinsen geben wird. Aber das, was eine Markt-
wirtschaft ausmacht, nämlich dass Anleger und nicht der
Steuerzahler für das höhere Risiko zahlen und geradeste-
hen – ich vermute, es wird zu einem Ausfall der Gläubi-
gerbeteiligung kommen –, wird nicht passieren.
Ich wäre froh und dankbar, Sie würden dem dezidier-
ten und sehr konkreten Antrag der SPD-Fraktion zustim-
men. Das würde Europa sicherer machen. Das würde zu
einem sozialen Europa führen, in dem nicht immer die
Spekulanten herrschen. Stimmen Sie unserem Antrag zu.
Dann hätten Sie mehr als Herr Sarkozy, der den Spatz in
der Hand hat, wenn diese Rettungsaktionen vorüber
sind. Sie, Frau Merkel, haben nach dem derzeitigen Ver-
handlungsstand jedenfalls nicht die Taube auf dem
Dach.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Oliver Luksic für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2010 wird als das Jahr der Prüfung unserer Gemein-
schaftswährung in die Geschichte der Europäischen
Union eingehen. Nach den schwierigen Entscheidungen
über die Griechenland-Hilfe und den Rettungsschirm
müssen wir jetzt über die Hilfen für Irland entscheiden.
Wir müssen uns vor allem zu den Eckpunkten des robus-
ten Krisenmechanismus nach 2013 positionieren. Das ist
die zentrale Frage, die beantwortet werden muss, damit
der Teufelskreis von Krisen und Rettungspaketen end-
lich durchbrochen werden kann.
Irland-Hilfen sind notwendig, um den Euro zu schüt-
zen. Die nun beschlossenen Grundzüge des künftigen
Mechanismus sind ein guter Kompromiss. Die Bundes-
regierung hat in Brüssel das realpolitische Maximum he-
rausgeholt.
Irland hat als erstes Land Hilfen aus dem Rettungs-
schirm beantragt und wird diese zu Recht erhalten. Es
zeigt sich im Fall Irlands, dass die Konzeption des Ret-
tungsschirms, die Wahrung der strikten Konditionalität
der Hilfen und die aktive Einbindung des IWF, richtig
war und ist.
Die drei Elemente des Hilfspakets sind richtig: die Re-
form des Bankensektors, die Stabilisierung des irischen
Haushaltes sowie wachstumsorientierten Strukturrefor-
men. Das sind strenge Bedingungen. Diese Maßnahmen
sind in Irland innenpolitisch schwer umzusetzen. Wir
sind aber fest davon überzeugt, dass es nur so eine Hilfe
zur Selbsthilfe geben kann. Deswegen will ich, wie es
auch der Kollege Barthle getan hat, betonen: Griechen-
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rland hat aufgrund der Bankenkrise ein temporäres Fi-
anzierungsproblem. Es muss geholfen werden, die Spe-
ulation zu stoppen.
Wichtig ist – das kommt im Antrag der Linken falsch
erüber –: Eine zwingende Beteiligung der Gläubiger ist
ach dem derzeitigen Mechanismus gar nicht vorgese-
en. Sie ist für Irland weder rechtlich möglich noch poli-
isch und ökonomisch sinnvoll. Solidarität ist für Sie lei-
er ein Fremdwort. Sie lassen Irland alleine. Ihr Antrag
st leider ein reiner Showantrag.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich SPD und
rüne in ihren Anträgen jetzt für Hilfen für Irland aus-
prechen.
ie zeigen damit europapolitische Verantwortung, die Sie
ei den vorherigen Abstimmungen zu Griechenland
zw. zum Euro-Schirm nicht an den Tag gelegt haben.
hre jetzige Zustimmung zeigt, dass Sie damals falsch
ntschieden haben.
ber es ist gut, dass Sie diesen Fehler jetzt korrigieren.
ie reden hier immer von europäischer Solidarität. Gut,
ass Sie Ihren Worten jetzt auch Taten folgen lassen!
Für die Zukunft müssen neue Lösungen gefunden
erden, um den Euro langfristig zu stabilisieren. Kol-
ege Schneider, Sie haben eben von den Märkten gespro-
hen. Das eigentliche Problem war, dass die Regeln, die
s in Europa gibt, von Rot-Grün aufgeweicht wurden.
ndem damals der blaue Brief verhindert wurde, wurde
as falsche Zeichen gesetzt, dass jeder ungestraft Schul-
en machen kann. Wir brauchen jetzt harte Regeln für
inen harten Euro.
Die Bundesregierung hat in schwierigen Verhandlun-
en die richtigen Weichen für den zukünftigen Mecha-
ismus gestellt. Der neue Mechanismus wird den derzei-
igen Rettungsschirm vollständig ablösen, sowohl was
ie bilaterale Hilfe angeht als auch was das Gemein-
chaftsinstrument betrifft. Es ist ein besonderer Erfolg
er Bundesregierung, dass sie im Gegensatz zu dem, was
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8601
Oliver Luksic
)
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Sie wollen, die Vergemeinschaftung des Zinsrisikos in
Form von Euro-Anleihen abgewendet hat. Das wäre die
Transferunion. Das ist der Unterschied zwischen uns und
Ihnen.
– Das steht in Ihrem Programm.
Stattdessen muss auch nach dem neuen Mechanismus
Einstimmigkeit herrschen. Das ist gut. So kann gegen
den Willen Deutschlands nichts beschlossen werden. Die
Bundesregierung hat hier im Interesse Deutschlands und
eines stabilen Euros die richtigen Akzente gesetzt.
Der wichtigste Punkt, den Sie, Herr Schneider, weg-
gelassen haben, ist die Einführung von Umschuldungs-
klauseln, den sogenannten Collective Action Clauses, ab
2013. Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass wir
das hinbekommen?
Das Thema „Beteiligung privater Gläubiger“ ist nicht
in der Schublade verschwunden, obwohl viele Mitglied-
staaten dagegen waren und es auch vonseiten der Euro-
päischen Kommission und der EZB Widerstand gab. Das
ist ein großer Erfolg. Dass Sie ihn kleinreden, ist in Ord-
nung. Dennoch ist es ein großer Erfolg, dass wir die Be-
teiligung privater Gläubiger jetzt durchsetzen.
Nun muss Sorge dafür getragen werden, dass dies in
der Praxis geschieht. Es ist wichtig, dass wir die Hürden
der politischen Manipulierbarkeit höher legen, damit der
Rettungsschirm nicht zur Geldpumpe wird. Was den prä-
ventiven Arm angeht, müssen wir bei Sanktionen eine
weitgehende Automatisierung hinbekommen. Bei der
Gläubigerbeteiligung ist die Schuldentragfähigkeitsana-
lyse von Europäischer Kommission, EZB und IWF
wichtig. Hier brauchen wir ein Stück Entpolitisierung.
Dabei sind wir auf einem guten Weg.
Nur so wird sichergestellt, dass die Unterstützung durch
die Staatengemeinschaft erst nach den Anstrengungen
des Schuldnerlandes einsetzt und die Beteiligung der
Gläubiger wirklich das letzte Mittel darstellt.
Klar muss auch sein: Der zukünftige Schirm darf nicht
zu groß werden. Das wäre ein falsches Signal.
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Im Laufe der Beratungen im Europäischen Rat und in
er Euro-Gruppe werden noch viele Präzisierungen vor-
enommen. Das erfordert europapolitischen Mut. Diesen
ut hat sowohl die FDP als auch die christlich-liberale
oalition. Mit unserem Antrag stärken wir der Bundes-
egierung für ihren guten und richtigen Kurs in Brüssel
en Rücken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Thomas Nord von der Frak-
ion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
nd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke
das ist bekannt – hat als einzige Fraktion gegen das
ilfspaket für Griechenland und gegen den Euro-Ret-
ungsschirm gestimmt. Wir stimmen heute gegen die
ilfsmaßnahmen für Irland; denn auch in diesem Fall
chützt der Euro-Rettungsschirm nicht den Euro, son-
ern die Banken.
iese benötigen unsere Hilfe nicht. Unsere Solidarität,
err Sarrazin, Herr Luksic, gilt den Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmern, den Rentnerinnen und Rentnern und
en vielen anderen Menschen, die jetzt die Suppe auslöf-
eln müssen, die sie nicht bestellt haben.
ier wird gesagt, es gebe keine Handhabe gegen Krisen-
rofiteure und für eine sofortige Regulierung der Finanz-
ärkte, die EU-Verträge ließen dies nicht zu. Wir sagen,
ie Verträge sind in Kernbereichen ohnehin nicht mehr
n Kraft und müssen verändert werden.
Wer jetzt europaweit den Sozialabbau gegen die Men-
chen vorantreibt, der hätte auch die Kraft, jetzt Speku-
anten zur Kasse zu bitten.
Sie sagen, wer nicht hilft, die Banken zu retten, ris-
iert die politische Stabilität der Europäischen Union.
ir sagen, wer Banken rettet, aber Finanzmärkte jetzt
icht reguliert, der treibt die Europäische Union in eine
xistenzielle Krise.
Die Fakten sprechen für sich. Am 6. Mai wurde hier
as Griechenland-Paket beschlossen. Die Kanzlerin er-
annte eine Notsituation. Sicherlich, Griechenland war
n Not. Aber die Ursache war keine Naturkatastrophe.
ie Verträge wurden verletzt, geholfen hat es nicht. Am
8602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Thomas Nord
)
)
19. Mai sagte die Kanzlerin, dass der Euro in Gefahr ist.
In zwei Wochen wurde aus der Griechenland-Krise eine
Euro-Krise. Der Euro-Rettungsfonds wurde installiert.
Die Verträge wurden erneut außer Kraft gesetzt und die
Krise eben nicht gestoppt. Die Folgen für die betroffe-
nen Staaten waren unabsehbar.
Absehbar jedoch sind sie für die Banken. Sie werden
immer auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzah-
ler saniert. Sie zahlen, wie zum Beispiel die Hypo Real
Estate, weiter satte Gewinne und Boni an ihre Aktionäre
und Manager. Sie können sich ohne Risiko immer auf
Staatshilfen verlassen.
Ausgeblieben ist die Regulierung der Finanzmärkte.
Die Debatte über einen zukünftigen Mechanismus zur
Krisenbewältigung treibt das Dilemma auf die Spitze.
Bei der Zinsentwicklung für portugiesische und für spa-
nische Staatsanleihen ist das doch zu beobachten. Es
wird behauptet, man komme an die Gewinner der Spe-
kulationen nicht heran. Es sei unmöglich, die irische Re-
gierung zu bewegen, die Dumpingsteuer für Unterneh-
men anzuheben. Die nationale Souveränität würde eine
Steuerharmonisierung behindern. Wo bleibt dieses Argu-
ment beim größten Sozialabbau in Europa seit dem
Zweiten Weltkrieg?
Alle europäischen Mitgliedstaaten, die Hilfe benöti-
gen, werden durch EU und IWF genötigt, die Mehrwert-
steuer anzuheben, die Löhne zu senken, den Kündigungs-
schutz abzubauen, das Renteneintrittsalter zu erhöhen
usw. Alles ist erlaubt. Nichts hindert die EU und den IWF
daran, das durchzusetzen. Wenn aber Profite abgeschöpft
werden sollen und Spekulation verhindert werden soll,
dann geht in der Europäischen Union gar nichts mehr. So
schützt man den Euro nicht vor weiteren Angriffen.
Die Rettung Irlands ist eben kein unabhängiges Phäno-
men. Es ist eine Frage der Zeit, bis Portugal fällig wird –
oder auch Belgien. Portugal soll unter den Schirm, damit
Spanien nicht fällt. Schon wird die Forderung nach einer
Verdoppelung des Umfangs des Rettungsschirms laut.
Nach Spanien kommt Italien, meine Damen und Herren,
und was kommt dann?
Wenn der irische Haushalt am 7. Dezember verab-
schiedet sein wird, wird die dortige Regierung zerbre-
chen. Was 2008 als Finanzmarktkrise begonnen hat, ist
2010 eine Krise der europäischen Institutionen.
Was auch immer das heißt, eines ist sicher: Wenn es
nach Ihnen geht, dann sollen weiterhin die Bürgerinnen
und Bürger, diejenigen, die jetzt schon wenig haben, die
Zeche bezahlen. Das wird Europa weiter destabilisieren.
Wir wollen das nicht. Deshalb lehnt die Linke das Fi-
nanzpaket für Irland ab. Deshalb fordern wir die Regu-
lierung der Finanzmärkte, fordern wir, die Profiteure der
Krise zur Verantwortung zu ziehen, fordern wir eine EU-
weite Mindestbesteuerung, fordern wir eine Komplettre-
vision der europäischen Verträge.
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Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
etzt der Kollege Alois Karl von der CDU/CSU das
ort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Wir haben uns die Situation, in der
ir heute sind, nicht ausgesucht; wir haben gehofft, dass
ie an uns vorübergeht. Trotzdem musste Irland am
1. November 2010 diesen Antrag auf finanzielle Hilfe
tellen. Das war notwendig, auch wenn wir fast den Ein-
ruck hatten, Irland musste ein wenig gedrängt werden.
Es geht aber nicht nur um Irland, sondern es geht auch
m unsere Währung, um den Euro. Aus diesem Grunde
st es wichtig, dass es hier in Europa ab dem 21. Novem-
er 2010 zu einer solidarischen, gemeinschaftlichen Leis-
ung gekommen ist. Ich danke dem Herrn Bundesfinanz-
inister, dass er mutig, schnell und entschlossen mit den
ollegen gehandelt hat.
Wenn es richtig ist, dass die deutsche Sicherheit am
indukusch verteidigt wird, wie es ein ehemaliger Ver-
eidigungsminister gesagt hat, dann wird unsere Wäh-
ung, der Euro, auch in Irland verteidigt. Ansonsten fällt
r. Das können wir uns nicht leisten; das ist jedem klar.
Es ist kurz angedeutet worden: Irland ist nicht Grie-
henland. Irland hat sein Bruttosozialprodukt in zehn
ahren verdoppelt. Das Wirtschaftswachstum war enorm
och, die Arbeitslosigkeit war gering. Irland ist mit dem
irtschaftswunderland Deutschland verglichen worden.
as hat für die Menschen in Irland außerordentlich viel
ebracht.
Wie Sie von den Linken jetzt fordern können, dass
ir in der jetzigen prekären Situation Irland alleine las-
en, ist Ihr Geheimnis. Dämlicher könnte es für die Iren
icht zugehen, dämlicher könnten Sie sich nicht ausdrü-
ken. Für Irland wäre es eine Katastrophe, wenn wir
eute nicht helfen würden.
Ich bin sehr dankbar, dass sich die Hilfe für Irland in
öhe von etwa 85 Milliarden Euro – das ist gesagt wor-
en – auf viele Schultern verteilt. Irland selbst hat sich ja
chon großartig beteiligt. 15 Milliarden Euro sind in den
etzten Jahren für die eigene Konsolidierung schon auf-
ewendet worden. Jetzt wendet Irland weitere 17,5 Mil-
iarden Euro dadurch auf, dass die Barreserven aufge-
raucht werden und die Pensionskasse in Anspruch
enommen wird.
Ich bin sehr dankbar, dass sich der IWF zu einem
rittel an den restlichen Kosten, also mit 22,5 Milliar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8603
Alois Karl
)
)
den Euro, beteiligt und dafür Zinsen in Höhe von
3,12 Prozent verlangt. Dadurch wird den Iren in der Tat
geholfen.
Ich bin dankbar, dass durch die Fazilitäten ebenfalls
mit 22,5 Milliarden Euro unterstützt wird, und es ist ein
Gebot der Korrektheit, dass man sagt: Auch Länder wie
Großbritannien, Schweden und Dänemark, die nicht zur
Euro-Zone gehören, unterstützen diesen Rettungsfonds
mit ihrem Beitrag von etwa 5 Milliarden Euro. Auch das
ist ein großartiger Beitrag im Rahmen der Solidarität in
Europa.
Ich möchte hier ausdrücklich erwähnen, dass Irland tat-
sächlich auch Freunde außerhalb der Euro-Zone hat,
auch deshalb, weil Vertrauen darin besteht, dass sich Ir-
land weiterhin anstrengen wird, um aus der jetzigen Si-
tuation herauszukommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
viel gehört. Irland muss sich anstrengen. Die Steuern
werden erhöht, die Zahl der Mitarbeiter im öffentlichen
Dienst wird um 25 000 gekürzt und die Bediensteten des
öffentlichen Dienstes bekommen zwischen 10 und 30 Pro-
zent weniger Entlohnung.
Ich habe heute Vormittag mit dem irischen Botschaf-
ter in Deutschland gesprochen. Er wird einen gehörigen
Abschlag hinnehmen müssen. Trotzdem steht er dahinter
und sagt: Wir werden das schaffen. Wir werden es auch
deshalb schaffen, weil wir unsere niedrigen Körper-
schaftsteuersätze halten können. – Das ist die Vorausset-
zung dafür, dass Irland auch in den nächsten Monaten
und Jahren wieder zu einer blühenden Volkswirtschaft
wird. Gerade dies ist nötig, damit Irland das Geld erwirt-
schaftet, um die jetzigen Konsolidierungsanstrengungen
in der Tat zu meistern.
Meine Damen und Herren, wir sollten doch nicht
glauben, dass wir von Deutschland aus eine Steuerhar-
monisierung in Europa jetzt lostreten oder verordnen
könnten. Vor dem Hintergrund, dass es uns schon in
Deutschland nicht gelingt, dass für die Städte und Ge-
meinden vergleichbare oder gleiche Hebesätze für die
Gewerbesteuer, für die Grundsteuer A und die Grund-
steuer B gelten – unsere Städte und Gemeinden haben
also unterschiedliche Steuersätze –, frage ich Sie: Wie
sollten wir uns erdreisten, unseren Freunden in Europa
– und jetzt insbesondere unseren Freunden in Irland – zu
sagen, welche Steuersätze sie anwenden müssten? – In-
sofern sind die Überlegungen, die Sie jetzt äußern, völlig
verwoben und übersteigert.
Ich bin optimistisch und zuversichtlich, dass Irland
mit den großen Anstrengungen, die es auf sich genom-
men hat, in wenigen Jahren wieder auf einem sicheren
Pfad sein wird. Es kommt auf uns an, die richtigen Leh-
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1)
2)
Wir kommen zunächst zu dem Antrag der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/4065 mit
em Titel „Irland unterstützen und Steuerharmonisie-
ung vorantreiben, hier: Stellungnahme des Deutschen
undestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundge-
etzes“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlangen der
raktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
rnen zu besetzen. – Sind Schriftführerinnen und
chriftführer an allen Urnen? – Das ist der Fall. Damit
röffne ich die Abstimmung.
Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ihre Stimm-
arte abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich
ie Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
chriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2)
Ich bitte die Mitglieder der Fraktionen, sich zu ihren
lätzen zu bewegen, weil wir jetzt eine einfache Abstim-
ung durchführen.
Zusatzpunkt 8: Abstimmung über den Antrag der Frak-
onen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/4082
it dem Titel „Irland unterstützen und den Euro stabilisie-
en, hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages ge-
äß Artikel 23 des Grundgesetzes“. Wer stimmt für die-
en Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
er Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
onsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und der
raktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen.
Damit kommen wir zum Zusatzpunkt 9: Abstimmung
ber den Antrag der Fraktion der SPD auf Druck-
Anlage 5
Ergebnis Seite 8606 C
8604 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
)
)
sache 17/4014 mit dem Titel „Irland unterstützen und
gerechten, wirksamen Mechanismus zur Bewältigung
von Staatsfinanzierungskrisen schaffen, hier: Stellung-
nahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23
Absatz 3 des Grundgesetzes“. Wir stimmen über diesen
Antrag auf Verlangen der Fraktion der SPD namentlich
ab.
Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer noch an
ihren Plätzen? – Das ist offenkundig der Fall. Dann bitte
ich, mit der Abstimmung zu beginnen.
Hat ein Mitglied des Hauses seine Stimmkarte noch
nicht eingeworfen? – Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.1)
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4029 mit dem
Titel „Profiteure der Krise zur Kasse bitten – Keine wei-
tere Verstaatlichung fauler Bankkredite bei Finanzhilfen
für Irland, hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta-
ges nach Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Dann ist der Antrag abgelehnt mit den
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der
FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der
Fraktion Die Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Vor Cancún – Mit Glaubwürdigkeit zu einem
globalen Klimaschutzabkommen
– Drucksache 17/3998 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Andreas
Jung , Marie-Luise Dött, Peter
Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und und der Fraktion der
FDP
Die UN-Klimakonferenz in Cancún – Fort-
schritte für den Klimaschutz erreichen
– Drucksache 17/4010 –
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe,
A
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t1) Ergebnis Seite 8608 B
)
Man sieht also: All die Herausforderungen, über die
wir jetzt diskutieren und in Cancún reden werden, war-
ten nicht. Es geschieht hier und jetzt. Der Klimawandel
wird sich weiter verstärken. Er wird nicht warten, egal
ob wir in Kopenhagen, Cancún oder sonst wo über die-
ses Thema diskutieren. Wir alle wissen: Ein allumfas-
sendes Abkommen wird es nicht geben, auch nicht in
Cancún. Dennoch formulieren wir Erwartungen. Wir er-
warten beispielsweise Fortschritte beim Waldschutz. Da-
rüber müssen wir noch einmal mit unserer Delegations-
leitung reden; denn Deutschland ist nicht gerade sehr
progressiv, wenn es um das Thema LULUCF geht. Ich
kann hier nicht näher darauf eingehen. Aber wir sollten
uns das zu Herzen nehmen und noch einmal mit dem
Bundesumweltminister darüber reden.
Wir wollen in Cancún Verbesserungen und Fort-
schritte im Bereich der Anpassungsmaßnahmen erzielen,
genauso wie beim Technologietransfer und bei der Fi-
nanzierung dieser Maßnahmen. Insofern gibt es durch-
aus Anforderungen an Cancún. Wir müssen aber aufpas-
sen, dass wir die Anforderungen nicht zu gering
bemessen, vor allen Dingen nicht die an uns selbst. Wir
müssen Schluss mit dem Warten auf den Langsamsten
im internationalen Klimaprozess machen. Der Kollege
Ott, der gleich reden wird, hat das „Klimapolitik der un-
terschiedlichen Geschwindigkeiten“ genannt. Darum
wird es nun gehen: Was ist fortschrittlich, und welches
ist der Erfolgsweg für die Volkswirtschaften in Europa,
wenn man bedenkt, dass die Ressourcen knapper werden
und dass der Klimawandel in Zukunft dramatischer
wird? Darauf müssen wir uns stärker besinnen. Der Er-
folgsweg kann nur darin bestehen, Energie und Roh-
stoffe deutlich effizienter einzusetzen. Wir sollten diesen
Weg aus eigener Erkenntnis gehen, vollkommen egal,
was andere auf der Welt machen. Das ist das Gebot der
Stunde.
Wir sollten Allianzen der Fortschrittlichen bilden,
also mit den Teilen der Erde, in denen die Menschen be-
reit sind, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Ich
glaube, man kann solche Allianzen mit Lateinamerika
beim Schutz des Regenwaldes und mit Südostasien bei
der technologischen Entwicklung schließen. Südkorea,
China und andere asiatische Länder sind bereits auf ei-
nem guten Weg. Das bedeutet aber auch, dass wir unsere
Außenpolitik anders ausrichten müssen. Klimaschutz
und Energiesicherheit müssen in Zukunft zentrale The-
men unserer Außenpolitik sein.
Jetzt komme ich zum kritischen Teil. Was tun wir in
Deutschland unter Schwarz-Gelb? Mein Eindruck ist,
dass wir in das Mittelmaß zurückgefallen sind. Wenn ich
mir die aktuellen Debatten in diesem Land anschaue,
dann stelle ich fest: Es gibt ein sogenanntes Energiekon-
zept. Der Umweltbericht 2010 der Bundesregierung,
über den wir gestern bereits diskutiert haben, macht
deutlich, dass das Klimaprogramm von 2007 auf vielfa-
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b
enn ich mir die Situation in Europa anschaue, dann
telle ich fest, dass wir seit mehreren Jahren über die
rage reden, ob wir unser Minderungsziel auf 30 Prozent
rhöhen sollen. Herr Umweltminister Röttgen hat das
ehrfach gefordert. Durchsetzen kann er sich in der Re-
ierung aber nicht. Leider findet sich dieses Ziel auch im
ntrag der Koalition nicht wieder. Mir ist nicht klar, wie
ie das nationale Ziel von 40 Prozent erreichen wollen,
enn Sie nicht gleichzeitig innerhalb der Europäischen
nion eine Erhöhung des Minderungsziels auf 30 Pro-
ent durchsetzen. Schließlich wird der gesamte Emis-
ionshandel auf europäischer Ebene geregelt. Wenn Sie
hr 40-Prozent-Ziel erreichen wollen, müssen wir inner-
alb der Europäischen Union das 30-Prozent-Ziel festle-
en.
Am schlimmsten ist es allerdings bei dem Thema Fi-
anzierung der Klimaschutzziele. Was glauben Sie ei-
entlich, wie es die Entwicklungsländer, von denen ich
m Anfang geredet habe, finden, wenn sie sehen, wie Sie
ei der Finanzierung des internationalen Klimaschutzes
ricksen?
ie haben 1,26 Milliarden Euro in Kopenhagen zuge-
agt, am Ende werden es aber nur 10 Prozent dieser
umme sein, die neu und zusätzlich – das ist das Ent-
cheidende – zur Verfügung gestellt werden. Auch Frau
taatssekretärin Kopp wird in Cancún sein, wie ich gele-
en habe. Frau Staatssekretärin Kopp hat in der letzten
oche in einem AFP-Gespräch gesagt, diese Mittel
eien insofern zusätzliche Mittel, als sie neu und zusätz-
ich zu den Leistungen des BMZ in 2009 auf ein be-
timmtes Thema bezogen seien, nämlich den Klima-
chutz. Ich habe zuerst überhaupt nicht verstanden, was
amit gemeint ist. Das heißt, immer dann, wenn man
elder, die schon zugesagt worden sind, umdeklariert
nd auf ein anderes Thema bezieht, ist es neues und zu-
ätzliches Geld. So meinen Sie das offenbar in diesem
usammenhang. Das heißt, wenn dieselben 1,26 Mil-
iarden Euro demnächst auf irgendeiner Konferenz für
ie Malariabekämpfung zugesagt werden, dann ist das
ach Ihrer Interpretation – so muss ich das verstehen –
eues und zusätzliches Geld.
s ist abenteuerlich, was die Bundesregierung macht. Es
st ein dicker Klotz für die Verhandlungen in Cancún; es
st ein dicker Klotz, den Sie, Frau Kopp, im Gepäck ha-
en werden.
8606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Frank Schwabe
)
)
SPD
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Carsten Schneider
Swen Schulz
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Fritz Rudolf Körper
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r. Matthias Miersch
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r. Rolf Mützenich
anfred Nink
homas Oppermann
olger Ortel
ydan Özoğuz
einz Paula
ohannes Pflug
oachim Poß
r. Wilhelm Priesmeier
lorian Pronold
r. Sascha Raabe
echthild Rawert
erold Reichenbach
r. Carola Reimann
önke Rix
ené Röspel
r. Ernst Dieter Rossmann
arin Roth
ichael Roth
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Kerstin Griese Caren Marks Ewald Schurer
Ich kann leider im Einzeln
eingehen. Ich möchte nur ein
fordern, wenn ich das richtig ve
weitung der CDM-Projekte. D
gerade zum Glück das Gegente
ob man die CDM-Projekte nich
war am Montag in einer Schu
die Schüler gefragt, ob der Em
was wie ein Ablasshandel sei.
des CDM muss ich sagen, dass
mer mehr zum Ablasshandel v
ist nicht eine Ausweitung vo
Stunde, sondern eine Reduzieru
Nichtsdestotrotz, wir werde
Delegation des Deutschen Bun
Wir werden uns bemühen, gem
zielen und gemeinsam zu agier
zelne beruft, ist jedem selbst ü
ziale Verantwortung für die be
ob es die Ehrfurcht vor der Ar
Pflanzen ist. Man kann es
Dr. Zimmer von der Union fo
einer bemerkenswerten Rede
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 195
nein: 378
enthalten: 3
Ja
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en auf die Anträge nicht
en Punkt aufgreifen. Sie
rstanden habe, eine Aus-
ie Europäische Union tut
il. Sie diskutiert darüber,
t einschränken muss. Ich
lklasse. Dort haben mich
issionshandel nicht so et-
Gerade für den Bereich
der Emissionshandel im-
erkommen ist. Deswegen
n CDM das Gebot der
ng dieser Maßnahme.
n gemeinsam mit einer
destages in Cancún sein.
einsam Fortschritte zu er-
en. Worauf sich der Ein-
berlassen, ob es die so-
troffenen Menschen oder
tenvielfalt bei Tieren und
aber auch wie Herr
rmulieren, der gestern in
zur Einsetzung der En-
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r. Edgar Franke
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igmar Gabriel
ichael Gerdes
artin Gerster
is Gleicke
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B
uete-Kommission „Wachstum
ität“ gesagt hat, dass die chr
rinzip der Nachhaltigkeit einl
an unterstützen. In diesem S
am nach Cancún reisen.
Vielen Dank.
n Otto Solms:
ner das Wort erteile, gebe
hrerinnen und Schriftfüh-
r namentlichen Abstim-
lichen Abstimmung über
eten Manuel Sarrazin,
raktion Bündnis 90/Die
unterstützen und Steuer-
. Abgegebene Stimmen
95, mit Nein haben ge-
er Antrag ist damit abge-
arlene Rupprecht
nton Schaaf
xel Schäfer
ernd Scheelen
arianne Schieder
lla Schmidt
ilvia Schmidt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8607
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
)
)
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Volker Beck
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth
Monika Lazar
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler
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DU/CSU
eter Altmaier
eter Aumer
orothee Bär
homas Bareiß
orbert Barthle
ünter Baumann
rnst-Reinhard Beck
anfred Behrens
r. Christoph Bergner
eter Beyer
teffen Bilger
lemens Binninger
eter Bleser
r. Maria Böhmer
olfgang Börnsen
olfgang Bosbach
orbert Brackmann
laus Brähmig
ichael Brand
r. Reinhard Brandl
elmut Brandt
r. Ralf Brauksiepe
r. Helge Braun
eike Brehmer
alph Brinkhaus
itta Connemann
eo Dautzenberg
lexander Dobrindt
homas Dörflinger
arie-Luise Dött
r. Thomas Feist
nak Ferlemann
grid Fischbach
artwig Fischer
irk Fischer
r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
r. Hans-Peter Friedrich
ichael Frieser
r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
go Gädechens
r. Thomas Gebhart
orbert Geis
lois Gerig
berhard Gienger
ichael Glos
osef Göppel
eter Götz
r. Wolfgang Götzer
te Granold
einhard Grindel
ermann Gröhe
ichael Grosse-Brömer
arkus Grübel
anfred Grund
onika Grütters
r. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
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lav Gutting
lorian Hahn
olger Haibach
r. Stephan Harbarth
ürgen Hardt
erda Hasselfeldt
r. Matthias Heider
echthild Heil
rank Heinrich
udolf Henke
ichael Hennrich
ürgen Herrmann
nsgar Heveling
rnst Hinsken
eter Hintze
hristian Hirte
obert Hochbaum
arl Holmeier
ranz-Josef Holzenkamp
nette Hübinger
homas Jarzombek
ieter Jasper
r. Franz Josef Jung
ndreas Jung
r. Egon Jüttner
artholomäus Kalb
ans-Werner Kammer
teffen Kampeter
lois Karl
ernhard Kaster
olker Kauder
r. Stefan Kaufmann
oderich Kiesewetter
ckart von Klaeden
wa Klamt
olkmar Klein
ürgen Klimke
ulia Klöckner
xel Knoerig
ens Koeppen
r. Kristina Schröder
anfred Kolbe
r. Rolf Koschorrek
artmut Koschyk
homas Kossendey
ichael Kretschmer
unther Krichbaum
r. Günter Krings
üdiger Kruse
ettina Kudla
r. Hermann Kues
ünter Lach
r. Karl A. Lamers
ndreas G. Lämmel
r. Norbert Lammert
atharina Landgraf
lrich Lange
r. Max Lehmer
aul Lehrieder
r. Ursula von der Leyen
ngbert Liebing
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
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etlef Seif
ohannes Selle
einhold Sendker
r. Patrick Sensburg
ernd Siebert
homas Silberhorn
ohannes Singhammer
ens Spahn
arola Stauche
r. Frank Steffel
rika Steinbach
8608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
)
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dorothee Menzner
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß
Sabine Weiss
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-
Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-
Dugnus
Daniel Bahr
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
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Nun zur zweiten namentlich
Antrag der Fraktion der SPD
r. Werner Hoyer
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ichael Kauch
r. Lutz Knopek
ascal Kober
r. Heinrich L. Kolb
udrun Kopp
r. h. c. Jürgen Koppelin
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olger Krestel
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einz Lanfermann
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arald Leibrecht
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r. Martin Lindner
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r. Erwin Lotter
liver Luksic
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atrick Meinhardt
abriele Molitor
an Mücke
etra Müller
urkhardt Müller-Sönksen
r. Martin Neumann
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r. Christiane Ratjen-
Damerau
r. Birgit Reinemund
r. Peter Röhlinger
r. Stefan Ruppert
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en Abstimmung über den
. Abgegebene Stimmen
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r. Daniel Volk
r. Guido Westerwelle
r. Claudia Winterstein
r. Volker Wissing
artfrid Wolff
IE LINKE
an van Aken
gnes Alpers
erbert Behrens
arin Binder
atthias W. Birkwald
eidrun Bluhm
teffen Bockhahn
hristine Buchholz
va Bulling-Schröter
r. Martina Bunge
oland Claus
evim Dağdelen
r. Diether Dehm
eidrun Dittrich
erner Dreibus
r. Dagmar Enkelmann
laus Ernst
olfgang Gehrcke
icole Gohlke
iana Golze
nnette Groth
r. Gregor Gysi
eike Hänsel
r. Rosemarie Hein
nge Höger
r. Barbara Höll
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75. Mit Ja haben gestimmt 19
ungen 1. Auch dieser Antrag is
)
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 575;
davon
ja: 197
nein: 377
enthalten: 1
Ja
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf
Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
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ohannes Kahrs
r. h. c. Susanne Kastner
lrich Kelber
ars Klingbeil
ans-Ulrich Klose
r. Bärbel Kofler
aniela Kolbe
ritz Rudolf Körper
nette Kramme
icolette Kressl
ngelika Krüger-Leißner
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hristine Lambrecht
hristian Lange
r. Karl Lauterbach
teffen-Claudio Lemme
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abriele Lösekrug-Möller
irsten Lühmann
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llrich Meßmer
r. Matthias Miersch
ranz Müntefering
r. Rolf Mützenich
anfred Nink
homas Oppermann
olger Ortel
ydan Özoğuz
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oachim Poß
r. Wilhelm Priesmeier
lorian Pronold
r. Sascha Raabe
echthild Rawert
erold Reichenbach
r. Carola Reimann
önke Rix
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r. Ernst Dieter Rossmann
arin Roth
ichael Roth
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r. Dieter Wiefelspütz
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r. Thomas Gambke
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ettina Herlitzius
infried Hermann
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lrike Höfken
r. Anton Hofreiter
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r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
r. Hans-Peter Friedrich
ichael Frieser
r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
go Gädechens
r. Thomas Gebhart
orbert Geis
lois Gerig
berhard Gienger
8610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
)
)
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
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ndreas G. Lämmel
r. Norbert Lammert
atharina Landgraf
lrich Lange
r. Max Lehmer
aul Lehrieder
r. Ursula von der Leyen
gbert Liebing
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
r. Michael Luther
arin Maag
ans-Georg von der Marwitz
ndreas Mattfeldt
tephan Mayer
r. Michael Meister
r. Angela Merkel
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r. h. c. Hans Michelbach
r. Mathias Middelberg
hilipp Mißfelder
ietrich Monstadt
arlene Mortler
r. Gerd Müller
tefan Müller
adine Schön
r. Philipp Murmann
ernd Neumann
ichaela Noll
r. Georg Nüßlein
ranz Obermeier
duard Oswald
enning Otte
r. Michael Paul
ita Pawelski
lrich Petzold
r. Joachim Pfeiffer
ibylle Pfeiffer
eatrix Philipp
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uprecht Polenz
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ckhardt Rehberg
atherina Reiche
othar Riebsamen
osef Rief
laus Riegert
r. Heinz Riesenhuber
ohannes Röring
r. Christian Ruck
rwin Rüddel
lbert Rupprecht
nita Schäfer
r. Wolfgang Schäuble
r. Annette Schavan
r. Andreas Scheuer
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hristian Schmidt
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r. Patrick Sensburg
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ohannes Singhammer
ens Spahn
arola Stauche
r. Frank Steffel
rika Steinbach
hristian Freiherr von Stetten
ieter Stier
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tephan Stracke
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arin Strenz
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ena Strothmann
ichael Stübgen
r. Peter Tauber
ntje Tillmann
r. Hans-Peter Uhl
rnold Vaatz
olkmar Vogel
tefanie Vogelsang
ndrea Astrid Voßhoff
arco Wanderwitz
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arcus Weinberg
eter Weiß
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arl-Georg Wellmann
eter Wichtel
nnette Widmann-Mauz
laus-Peter Willsch
lisabeth Winkelmeier-
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agmar Wöhrl
r. Matthias Zimmer
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hristian Ahrendt
hristine Aschenberg-
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icole Bracht-Bendt
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führt, die Deutschland und die Europäische Union über
viele Jahre im Klimaschutz hatten.
des IPCC im Jahr 2015 darüber möglicherweise hinaus-
gehen müssen. Das wollen wir dort als Mindestziel fest-
Gescheitert ist dieser Gipfe
nerseits die USA und andererse
ren, die von ihnen geforderten V
rungen bzw. Beiträge – zu üb
Situation vor einem Jahr. Lei
dem Gipfel in Cancún nicht vi
wir auch nicht die konkrete Er
der Durchbruch passieren wird
hagen erhofft hatten. Nach wi
China nicht bereit, diese Verp
men.
Andererseits wissen wir ab
von Cancún kein verlorener G
sen in ganz konkreten Schr
Schritten, zu denen es keine Al
zu dem mühsamen Prozess des
auf internationaler Ebene. Es
l letztlich daran, dass ei-
its China nicht bereit wa-
erpflichtungen – Minde-
ernehmen. Das war die
der ist die Situation vor
el anders. Deshalb haben
wartung, dass in Cancún
, den wir uns für Kopen-
e vor sind die USA und
flichtungen zu überneh-
er auch, dass der Gipfel
ipfel sein darf. Wir müs-
itten weiterkommen, in
ternative gibt, auch nicht
Einstimmigkeitsprinzips
geht uns immer viel zu
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chreiben.
Im Übrigen ist dies auch d
olitik der Bundesregierung, n
chen Kontext. Warum haben w
ls Deutscher Bundestag zu de
ung bekannt, bis 2040 ein M
reibhausgasen zu erreichen, u
achen? Dieses Ziel leitet sich
as beinhaltet, dass wir den T
eit bis Mitte des Jahrhunderts
lar, dass Industriestaaten wie
eblich mehr übernehmen mü
020 das 40-Prozent-Ziel. Bis 2
nergiekonzept festgeschriebe
on 80 bis 95 Prozent, das im E
tändlich mit ganz konkreten
ird.
ie Grundlage der Klima-
ational und im europäi-
ir uns als Koalition und
r unbedingten Verpflich-
inus von 40 Prozent an
nd zwar egal, was andere
aus dem 2-Grad-Ziel ab,
reibhausgasausstoß welt-
halbieren müssen. Es ist
die Bundesrepublik er-
ssen. Kurzfristig gilt bis
050 gilt das ebenfalls im
ne Ziel einer Minderung
nergiekonzept selbstver-
Maßnahmen unterlegt
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Caren Lay
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Wir kommen jetzt zum Redebeitrag des Kollegen
Andreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist jetzt rund ein Jahr her, dass die Konferenz in Kopen-
hagen stattgefunden hat. Natürlich haben wir die Enttäu-
schung über die Konferenz in Kopenhagen miteinander
geteilt. Das Ziel, das wir erreichen wollten, nämlich ein
völkerrechtlich verbindliches Klimaabkommen, das das
2-Grad-Ziel festschreibt, bei dem sich alle Staaten global
verpflichten, beim Klimaschutz mitzumachen, haben wir
nicht erreicht.
Wir haben es trotz des Einsatzes der Bundesrepublik
Deutschland und der Europäischen Union nicht erreicht.
Wir haben gemeinsam mit vielen Partnern auf der Welt
dafür gekämpft, dass wir dieses Ziel erreichen. Wir ha-
ben dabei die Vorreiterrolle unterstrichen und fortge-
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Damit nehmen wir die Herausforderung an, die uns
die Wissenschaft mit auf den Weg gibt, und dafür wollen
wir in Cancún verhandeln. Frank Schwabe hat angespro-
chen, wie unsere Position zu der Festlegung der Europäi-
schen Union ist. Ich denke, dass in dem Antrag auch
eine Offenheit für eine Erhöhung des Klimaziels der Eu-
ropäischen Union enthalten ist. Wir sagen: Wir wollen
den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates folgen,
die lauten: Wir müssen nach Cancún unsere Ziele über-
prüfen. Wir müssen prüfen, ob wir von 20 auf 30 Prozent
hinaufgehen. – Wir sagen ferner ganz konkret: Dabei ist
anzustreben, dass die anderen Staaten in Europa und die
Europäische Union ambitionierte Ziele übernehmen, die
mit denen der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar
sind.
Wir wollen erreichen, dass es in Cancún einen Ent-
scheidungstext zu den Fragen von Messungen, Überprü-
fungen und Verifizierungen gibt; denn wir glauben, dass
dies wichtig ist, um Transparenz und Vertrauen in die-
sem Prozess zu schaffen. Wir wollen auch die Fragen der
Finanzierung angehen. Wir wollen, dass die wichtigen
und entscheidenden Schritte hin zu einem Klimafonds in
Cancún gegangen werden können. Hier geht es selbst-
verständlich auch um Finanzierungsfragen. Bei den The-
men, bei denen wir weit fortgeschritten sind, erhoffen
wir uns, dass wir zu tatsächlichen Umsetzungsentschei-
dungen kommen. Das gilt für die Fragen der Technolo-
giekooperation, die Fragen der Anpassung und die Fra-
gen des Waldschutzes.
Wenn es zu einem solchen Klimafonds kommt, dann
– das ist uns klar – führt das zu Verpflichtungen der Bun-
desrepublik, der Industriestaaten überhaupt, auch der Eu-
ropäischen Union. Deshalb will ich an dieser Stelle und in
Anwesenheit des Bundesfinanzministers sagen: Einer der
großen Erfolge im Rahmen des Energiekonzepts ist mit
Sicherheit die Festlegung, dass bei einem Aufstocken auf
100 Prozent bei der Auktionierung im Bereich des Emis-
sionshandels das, was zusätzlich eingenommen wird, für
Klimaschutz, für nationalen Klimaschutz, aber auch für
internationalen Klimaschutz, verwendet werden kann.
Das ermöglicht uns, das umzusetzen, für das wir mit die-
sem Klimafonds die Grundlagen schaffen wollen.
Ich will ein letztes Wort sagen, und zwar zu dem von
Frank Schwabe angesprochenen CDM, also zu dem fle-
xiblen Mechanismus nach dem Kioto-Protokoll. Wir se-
hen nach wie vor eine Perspektive für diesen Mechanis-
mus. Wir wollen, dass die Deckelung überprüft wird.
Wir sagen aber gleichzeitig – das haben wir auch in den
Antrag hineingeschrieben –: Es muss als Voraussetzung
die ökologische Integrität dieses Instruments erhöht wer-
den. Es muss klargestellt werden, dass es sich tatsächlich
um zusätzliche Projekte in Entwicklungsländern zur
Reduzierung von Treibhausgasemissionen handelt, die
ohne die Mittel aus dem Emissionshandel nicht durchge-
führt worden wären. Das ist uns wichtig.
Wenn das gewährleistet ist, sehen wir darin eines der
Instrumente, die zu einer globalen Klimaschutzarchitek-
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ür China und Indien wird es keinen Grund für Zuge-
tändnisse geben. Es drohen also eine gegenseitige Blo-
kade von Interessenblöcken und somit ein erneutes
cheitern der UN-Klimaverhandlungen.
Was bleibt, ist die dürre Hoffnung, dass von den Re-
ierungschefs in Cancún wenigstens jene Pakete zuge-
chnürt werden, die von den Ad-hoc-Arbeitsgruppen in
er UN schon weitgehend gepackt wurden. Es geht um
echtsverbindliche Entscheidungen zu den Themenblö-
ken Waldschutz, Anpassung, Technologiekooperation.
Die entscheidende Frage „Wer zahlt’s?“ lässt Cancún
edoch wohl genauso offen wie Kopenhagen. Auch Be-
chlüsse über konkrete und verbindliche Minderungs-
iele – eigentlich sollte das das Kerngeschäft der Klima-
iplomaten sein – wird man in Mexiko wieder einmal
ermissen.
Umso wichtiger wäre eine Vorreiterrolle Europas. Der
achweis, dass mit CO2-armen Technologien Vorteile für
irtschaft und Beschäftigung verbunden sind, könnte
ine neue Dynamik in Gang setzen und auch den Falken
ei den Großmächten das Wasser abgraben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8613
Eva Bulling-Schröter
)
)
Doch auch hier ist Optimismus fehl am Platze. Die
EU kann sich nicht durchringen, ihr Minderungsziel für
Treibhausgasemissionen, nämlich 20 Prozent weniger
Emissionen gegenüber 1990, bedingungslos auf 30 Pro-
zent zu verbessern. Auch die Bundesregierung stützt das
leider nicht. Sie tritt ebenso wenig dafür ein, den gewal-
tigen Überschuss an Emissionszertifikaten stillzulegen,
der EU-weit durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 ent-
standen ist. Wird er aber künftig genutzt, so kann sich
Europa von CO2-Zertifikatepreisen verabschieden, die
eine Lenkungswirkung hin zu einer weniger klimaschäd-
lichen Gesellschaft hätten. Das haben wir auch neulich
erst wieder diskutiert.
Offensichtlich setzt sich die Lobby von Großindustrie
und überkommener Energiewirtschaft auch dabei durch,
die ohnehin schwachen Minderungsziele über den soge-
nannten Clean Development Mechanism – CDM – weiter
aufzuweichen. Es werden Zertifikate dafür vergeben,
dass in Entwicklungsländern bestimmte Projekte stattfin-
den. Wenn es die aber nicht gibt, ist es kein zusätzlicher
Klimaschutz, aber sie werden angerechnet. Trotz des
mittlerweile nachgewiesenen Skandals – ich sage es noch
einmal – um die sogenannten HFC-23-Projekte – das ist
ein Abfallprodukt von Kältemitteln, das in den Industrie-
ländern extra dafür produziert wird – zögert die EU ge-
nauso wie der CDM-Exekutivrat der UN, wenigstens
diese endgültig vom CO2-Handel auszuschließen. Das
wäre dringend notwendig.
Auch das ist kein Wunder, haben doch maßgebliche
Teile der Wirtschaft großes Interesse an niedrigen CO2-
Zertifikatepreisen. Die faulen, aber sehr preiswerten
HFC-23-Zertifikate machen dabei 60 Prozent aus. Wenn
wir es ehrlich meinen, müssen die endlich weg.
2010 war ein neues Rekordjahr bei den Temperaturen,
aber auch beim CO2-Ausstoß. Es ist dringend notwen-
dig, dass wir Erfolg bei den Verhandlungen haben, dass
die Entwicklungsländer endlich sehen, dass wir, die In-
dustrieländer, es ernst meinen, dass wir ihnen die Hände
reichen und nicht wieder zu etwas drängen, was sie
selbst nicht wollen, sondern dass es wirklich fair zugeht.
Diese Fairness haben wir bis jetzt noch nicht bewiesen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von
der FDP-Fraktion.
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0 bis 95 Prozent bis 2050 – das ist international vor-
ildlich.
Wir haben mit unserem Energiekonzept auch deutlich
emacht, dass das kein Wolkenkuckucksheim ist, son-
ern dass man das realistisch, seriös und fachlich fun-
iert umsetzen kann. Und wir werden es tun.
Aber klar ist auch: Wir brauchen im internationalen
limaschutz Mitstreiter; denn allein national werden wir
icht die Erfolge erzielen, die wir erzielen müssen.
Grad als Perspektive werden wir nur dann schaffen,
enn wir andere Länder – die großen Emittenten dieser
elt – ins Boot holen. Wir in Deutschland haben nur gut
Prozent, die Europäische Union etwa 15 Prozent An-
eil am weltweiten Treibhausgasausstoß. Das macht
eutlich: Wir können noch so gut sein – wenn es uns
icht gelingt, die anderen ins Boot zu holen, werden wir
rfolglos bleiben. Außerdem müssen wir sehen: Ein in-
ernationales Abkommen ist auch deshalb wichtig, damit
s nicht zu Produktionsverlagerungen in Länder kommt,
ie es mit Klimaschutz nicht ernst meinen. Das kann
uch nicht im Interesse des internationalen Klimaschut-
es sein.
Deshalb müssen wir auf den internationalen Konfe-
enzen wirklich sinnvoll vorgehen. Es geht nicht nur um
ut Fühlen, sondern es geht um gut Machen.
Wir haben weiterhin das Ziel, ein globales Klima-
chutzabkommen zu erreichen. Dieses Ziel gibt diese
oalition nicht auf. Wir sehen aber auch die Realitäten
n der Welt. Wir sehen, dass die Vereinigten Staaten ge-
ade nach den Zwischenwahlen völlig unbeweglich sind
nd nicht damit zu rechnen ist, dass sich hier eine
chnelle Änderung ergibt.
Der zweite große Emittent China wird häufig in ei-
em Atemzug mit den USA genannt. Ich glaube aber,
ier muss man differenzieren. Ich war Anfang des Mo-
ats in China und war überrascht, wie fortschrittlich die
hinesische Regierung in dieser Beziehung ist und wie
ie ihre Positionen ändert. China wird jetzt, mit dem
ächsten Fünfjahresplan, ein nationales, unkonditionier-
es Energieeffizienzziel auf den Weg bringen. Momentan
rüft China, ob es einen nationalen Emissionshandel ein-
ührt. All das ist noch nicht so viel wie das, was wir ma-
hen; aber es sind Schritte in die richtige Richtung.
enn es mit den USA nicht gelingt, dann muss man sich
n dieser Stelle gegebenenfalls andere Partner in der
8614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Michael Kauch
)
)
Welt suchen, die mit uns zumindest Stück für Stück vo-
rangehen.
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Rolle der Au-
ßenpolitik in diesem Prozess stärken; alleine mit den
Umweltministerkonferenzen werden wir nicht voran-
kommen. Insofern ist es ein großer Fortschritt, dass der
Antrag der Koalition die Bundesregierung erstmals dazu
auffordert, „die umweltpolitischen Anstrengungen stär-
ker durch die Außenpolitik zu unterstützen“. Ich bin sehr
froh, dass das Auswärtige Amt signalisiert hat, dass es
diese Rolle übernehmen will. Denn nur im Rahmen ei-
nes Interessenausgleichs, der über die Umweltpolitik hi-
nausgeht und beispielsweise die Sicherheitspolitik und
die Handelspolitik einbezieht, wird es dazu kommen,
dass die USA und China erkennen, dass es sich lohnt,
mit uns zu kooperieren, weil wir dann auch an anderen
Stellen der internationalen Politik Leistungen erbringen.
Wir sehen nicht, dass es unmittelbar ein globales Kli-
maschutzabkommen geben wird. Deshalb hat die Koali-
tion hier das beantragt, was die Europäische Union in
Bezug auf das Kioto-Protokoll schon vereinbart hat:
Deutschland ist gemeinsam mit der EU bereit, eine
zweite Verpflichtungsperiode einzugehen …
Das bedeutet, dass wir nicht auf die Vereinigten Staaten
warten werden. Die Voraussetzung ist aber, dass wir in
den Vereinigten Staaten zumindest auf nationaler Ebene
Schritte erkennen können und es dort in den nächsten
Jahren zu vergleichbaren Anstrengungen kommt. Wenn
schon kein internationales Abkommen mit den USA zu-
stande kommt, dann erwarten wir aber von den amerika-
nischen Partnern, dass sie auf nationaler Ebene ihre
Hausaufgaben machen.
Um zu weiteren Fortschritten in der Klimaschutzpoli-
tik zu kommen, ist es ein ganz wichtiger Schritt, verstärkt
mit unseren Partnern in den Schwellen- und Entwicklungs-
ländern zusammenzuarbeiten. Es ist schon angesprochen
worden: Technologiekooperation, Anpassungsmaßnah-
men und Waldschutz sind zentrale Voraussetzungen da-
für, dass wir Emissionen in den Ländern mindern können,
die sich gerade entwickeln und industrialisieren.
Man sollte an dieser Stelle das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus-
drücklich loben.
Die Einschränkung bei Maßnahmen, die es in früheren
Jahren gegeben hat – Waldschutz wurde hauptsächlich in
Brasilien betrieben –, war nicht ausreichend. Ich finde es
wichtig, dass das BMZ jetzt auch Afrika stärker in den
Blick nimmt und insbesondere zur Kenntnis nimmt, dass
das Kongobecken neben dem Amazonas-Gebiet eine der
grünen Lungen unseres Planeten darstellt. Dirk Niebel
hat sehr deutlich gemacht, dass wir auch in dieser Re-
gion den Waldschutz forcieren müssen.
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s geht darum, klarzustellen: Was ist unsere Zusage?
ir müssen es schaffen, dass die Entwicklungsländer
nsere Zusage auch so verstehen. Das war in der Vergan-
enheit leider nicht der Fall. Das müssen wir ändern; ich
laube, das ist ein gemeinsames Anliegen dieses Hauses.
Abschließend komme ich zum Clean-Development-
echanismus. Es ist richtig – da muss ich Frau Bulling-
chröter von den Linken einmal zustimmen –:
er Umgang mit den HFC-23-Industriegasen stellt einen
issbrauch des Clean-Development-Mechanismus dar.
as ist mit Blick auf die Umwelt im Prinzip ein – –
Ja. Im Prinzip ist es ein Hintertreiben des Clean-Deve-
opment-Mechanismus.
Wir sollten aber nicht das Kind mit dem Bade aus-
chütten. Es gibt gute, glaubwürdige Projekte des Clean-
evelopment-Mechanismus. Es ist unser gemeinsames
nteresse, mit dem Geld, das wir investieren, möglichst
iele Treibhausgasemissionen zu verhindern. Dazu trägt
er Clean-Development-Mechanismus bei.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Ott vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
abe seit 1994 fast alle Klimakonferenzen erlebt, mit ih-
en Höhen und vor allem auch mit ihren Tiefen. Ja, in
er Rückschau scheint es, als sei die Geschichte der Kli-
apolitik eine einzige lange Geschichte der Krisen.
ber es ging immer wieder aufwärts. Das Scheitern der
etzten Konferenz in Kopenhagen ist allerdings nach un-
erem Eindruck ein Bruch, der mit business as usual
icht geheilt werden kann. Ein einfaches Weiter-so kann
nd darf es deshalb nicht geben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8615
Dr. Hermann Ott
)
)
Die Gründe dafür sind vielfältig, doch liegen sie vor
allem in der Lähmung der USA begründet. Schon in Ko-
penhagen war sichtbar geworden, dass der Bewegungs-
spielraum von Präsident Obama sehr gering war. Nach
den letzten Wahlen, den Midterm Elections, ist jedoch
klar, dass dieses Land, welches historisch den größten
Ausstoß an Treibhausgasen hat, sehr wahrscheinlich in
den nächsten zehn Jahren keinem internationalen Vertrag
zum Schutz des Klimas beitreten wird. Dabei drängt die
Zeit; denn schließlich muss bis spätestens 2020 der glo-
bale Treibhausgasausstoß ein Maximum erreichen, wenn
wir unter der wichtigen 2-Grad-Grenze bleiben wollen.
Doch anstatt beherzt das Schicksal in die Hand zu
nehmen, verlieren sich die Verhandlungen im Gescha-
cher der Supermächte. Das Spektakel erinnert an einen
Kampf der Elefanten, die mit großem Getöse aufeinan-
der losgehen. Die Erde bebt, viel Staub wird aufgewir-
belt, und die Europäische Union steht dabei und sagt:
Tut uns leid, die konnten sich nicht einigen. Jetzt können
wir auch nichts tun. – Das, meine Damen und Herren,
nennt man Flucht vor der Verantwortung.
Der erste faule Trick ist, dass sich die Elefanten über-
haupt nicht einigen wollen und nur einen Schaukampf
veranstalten. Der zweite faule Trick dabei ist, dass die
EU kein Mäuschen ist, das sich ducken muss, sondern
durchaus eine gewisse Masse aufweist und auf Augen-
höhe agieren kann, und es gibt keinen Grund, das nicht
zu tun.
Natürlich wäre ein Vertrag unter Einbeziehung aller
großen Verursacher die optimale Lösung. Wenn aller-
dings die optimale Lösung nicht erreichbar ist, dann
muss man die zweitbeste Lösung wählen; ansonsten be-
steht die Gefahr, dass wir in ein paar Jahren immer noch
mit leeren Händen dastehen, und das können wir uns
einfach nicht leisten.
Die zweitbeste Lösung ist aus unserer Sicht eine Klima-
politik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Was
wir brauchen, sind Vorreiter, also Länder und Regionen,
die den Zögerern und Zauderern zeigen, dass Klima-
schutz funktioniert und dass Klimaschutz die Arbeits-
plätze der Zukunft schafft.
Was ist also in Cancún zu tun? Zunächst müssen
Deutschland und die EU sich vor allem für eine Weiter-
geltung der Pflichten des Kioto-Protokolls nach 2012
einsetzen, und zwar ohne die Bedingung, Herr Kauch,
dass andere mitziehen. Ein „offener Himmel“, wo alle
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odann muss die Europäische Union mit den Schwellen-
ändern und mit der großen Mehrheit der Entwicklungs-
änder Verhandlungen über ein Klimaschutzprotokoll be-
innen, ohne auf ein Einlenken der USA zu warten. Für
inen erfolgreichen Fortgang der internationalen Klima-
erhandlungen muss die EU, muss aber auch die Bun-
esregierung in den nächsten Jahren ihre Strategie auf-
eben, erst Vorleistungen von anderen zu verlangen, ehe
ie selber etwas tut.
Meine Fraktion ist bereit, eine solche Politik aktiv zu
nterstützen. Frau Staatssekretärin, für die anstehenden
erhandlungen wünschen wir trotz aller politischen Un-
erschiede dem Minister und seinem Team viel Erfolg.
Ich danke Ihnen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Josef Göppel von der CDU/CSU-Fraktion
as Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ach der Ernüchterung von Kopenhagen flammte die
iskussion über die Ursachen des Klimawandels wieder
uf. Diese Debatte wird zwar heftig geführt, aber sie ist
üßig. Der haushälterische Umgang mit den Gütern der
rde ist auch wirtschaftlich vernünftig, und der sparsa-
ere Einsatz von Rohstoffen und Energie bringt wirt-
chaftliche Vorteile. Das sind Argumente, die die Kli-
askeptiker immer für sich beanspruchen. Deshalb ist
ieser Streit müßig.
Das nun schon mehrfach angesprochene Thema der
osition der Europäischen Union in Cancún hängt damit
irekt zusammen. 20 Prozent Minderung der Treibhaus-
ase bis 2020 – das ist unsere größte Schwäche in der
onferenz, weil die anderen wissen, dass wir 17 Prozent
rreicht haben. Ich schätze das so ein: Wenn die Europäi-
che Union nicht wieder wie in Kopenhagen an den
and gedrängt werden will, sondern an den Schlussta-
en der Konferenz eine aktive Rolle spielen will, dann
uss sich die Delegation hier bewegen. Gott sei Dank
ibt es einige Anzeichen dafür.
8616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Josef Göppel
)
)
Ich komme zu einem zweiten Bereich, der ebenfalls
schon mehrfach angesprochen wurde, zum Waldschutz.
Es besteht jetzt die Chance, mit dem Schwung der gelun-
genen Konferenz zur biologischen Vielfalt den Wald-
schutz konkret voranzubringen. Waldschutz heißt mehr
Klimaschutz, bedeutet aber auch Sicherung der biologi-
schen Vielfalt, und er trägt zur Armutsbekämpfung bei.
Wir haben in Deutschland eine lange Tradition der nach-
haltigen Forstwirtschaft. Jetzt geht es darum, das Wissen
des hochqualifizierten Personals mit anderen zu teilen.
Ich nenne dafür zwei Beispiele.
Erstens. Die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu
speichern, hängt mit ihrer biologischen Vielfalt zusam-
men. Man muss ganz klar sagen: Pappelkulturen und Eu-
kalyptuswälder – Monokulturen – sind keine echten
Wälder. Sie können die Funktion der Klimaanpassung
nicht wahrnehmen.
Zweitens. Je stärker wir den Wald nutzen, desto stär-
ker sinkt die Speicherfähigkeit. Auch im Zusammen-
hang mit unserer Waldstrategie in Deutschland ist es
wichtig, die Nutzung so auszubalancieren, dass die Wäl-
der eine Senke bleiben.
Erfreulich ist, dass sich von den 193 Staaten, die an
der Konferenz teilnehmen, 140 bereit erklärt haben, den
2-Grad-Appell von Kopenhagen mit freiwilligen Ver-
pflichtungen zu unterlegen. Aber die unschöne Seite an
der Sache ist, dass diese Verpflichtungen gerade einmal
ausreichen, um den Anstieg der mittleren Erdtemperatur
auf 4 Grad zu begrenzen. 2 Grad wollen wir erreichen.
Damit wird deutlich: Es muss noch kräftig nachgelegt
werden.
Deutschland ist in der Gruppe der Willigen, in der so-
genannten Cartagena-Gruppe. In dieser Cartagena-
Gruppe sind Industrieländer, aber auch Entwicklungs-
länder und hochbedrohte Inselstaaten. Ich erhoffe mir
von der Mitarbeit in der Cartagena-Gruppe eine abge-
stimmte Vorgehensweise, die auf der Konferenz in Can-
cún eine gewisse Dynamik in Gang setzen kann, insbe-
sondere im Hinblick auf unseren Nachbarkontinent
Afrika. Es geht darum, die Lebensbedingungen dort so
zu stabilisieren, dass die Menschen in ihrer Heimat blei-
ben können. Wir sind uns im Umweltausschuss darin ei-
nig, dass wir das ureigene afrikanische Projekt eines gro-
ßen Pflanzgürtels am Südrand der Sahara unterstützen
wollen.
Damit komme ich abschließend zur Verhandlungs-
strategie in Cancún. Ich möchte an dieser Stelle kurz an
unseren verstorbenen Kollegen Hermann Scheer erin-
nern. Er war der Erste, der in die Niedergeschlagenheit
nach Kopenhagen hinein gesagt hat: Wendet euch kon-
kreten Aktionen zu. Geht die Schritte, die jetzt gegangen
werden können. Dann können die konkreten Aktionen
zu einem Abkommen zusammenwachsen.
Ich wünsche unserem Umweltminister Verhandlungs-
glück und eine starke Rolle, um an jedem Tag der Ver-
handlungen deutlich zu machen, dass Deutschland vo-
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 17/3998 und 17/4016 an die in der Ta-
esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
raktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
7/4010 mit dem Titel „Die UN-Klimakonferenz in Can-
ún – Fortschritte für den Klimaschutz erreichen“. Wer
timmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
ungen? – Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen
er Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
ionsfraktionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na-
tionen von 1982 und der Resolutionen 1814
vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom
2. Juni 2008, 1838 vom 7. Oktober 2008,
1846 vom 2. Dezember 2008, 1897
vom 30. November 2009 und nachfol-
gender Resolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen in Verbindung mit der Ge-
meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November
2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 8. Dezember
2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 30. Juli 2010
und dem erwarteten Beschluss des Rates der
Europäischen Union vom 13. Dezember 2010
– Drucksachen 17/3691, 17/4048 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Edelgard Bulmahn
Dr. Rainer Stinner
Jan van Aken
Kerstin Müller
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8617
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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)
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/4055 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Burkhardt Müller-Sönksen von der
FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Zeit, in der die Piraterie ausschließlich als regionales
Problem am Horn von Afrika wahrgenommen wurde, ist
vorbei. Seit knapp anderthalb Wochen läuft der Prozess
gegen zehn somalische Staatsbürger vor dem Landge-
richt Hamburg und verdeutlicht uns erneut die globale
Tragweite des Problems.
Die Operation Atalanta leistet nicht nur einen Beitrag
im Kampf gegen die Piraterie, sondern sie leistet durch
den Schutz der Hilfsgutlieferungen vor allem direkte
Hilfe für die notleidende Bevölkerung Somalias. Der
Seeweg ist für die humanitäre Hilfe alternativlos. Nur
durch den Einsatz der Marine ist es gelungen, dass in
diesem Jahr alle UN-Hilfslieferungen ihr Ziel unbescha-
det erreicht haben.
Hierin liegen der Schwerpunkt und der Erfolg der Ope-
ration Atalanta. Die Entscheidung über die Fortsetzung
des Mandats ist gleichzeitig eine Entscheidung über den
Erfolg dieser notwendigen humanitären Hilfe für die Be-
völkerung Somalias.
Aber die militärischen Maßnahmen sind nicht isoliert,
sondern Teil eines umfassenden Konzepts. Neben den
Hilfslieferungen sind die Unterstützung beim politischen
Wiederaufbau und die Ausbildung von Polizeikräften
von zentraler Bedeutung. Nur wenn es gelingt, die Pro-
bleme in Somalia zu lösen, entziehen wir der Piraterie
dauerhaft die Grundlage.
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den
über 300 vor allem bei der Marine befindlichen Soldatin-
nen und Soldaten bedanken. Sie leisten hervorragende
Arbeit und einen von den Bündnispartnern hochge-
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Wir müssen aber die fortbestehenden Probleme in al-
er Offenheit analysieren. Noch immer ist die Zahl der
ngriffe auf Handelsschiffe ausgesprochen hoch. Aber
und das ist neu – die Anzahl der erfolgreichen Kape-
ungen und Geiselnahmen nimmt im Verhältnis ab. Es
eigt sich, dass die militärische Präsenz Wirkung zeigt.
Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle auch die Ei-
eninitiative der Reeder zum Schutz ihrer Besatzungen
egrüßen. Vorsorgemaßnahmen wie die Einrichtung von
chutzräumen an Bord, die bewusst deeskalierend wir-
en, sind ein besonders wichtiger Beitrag, der aus mei-
er Sicht ausbaufähig ist. Die am Freitag erfolgreich
bgewendete Entführung des deutschen Frachters „Bre-
en“ ist für mich ein überzeugendes Beispiel für den Er-
olg solcher privaten Maßnahmen.
eute Abend, zu dieser Stunde, tagt in Hamburg der
erband Deutscher Reeder mit Hans-Joachim Otto, dem
arlamentarischen Staatssekretär beim Bundeswirt-
chaftsminister. Ich bin mir sicher, dass die privaten
orsorgemaßnahmen der Reeder dort Gesprächsthema
ein werden.
Auch der von der Europäischen Union im Februar
etzten Jahres eingerichtete Sicherheitskorridor hat sich
ls großer Erfolg herausgestellt. Ich rege an, dass sich
ie Bundesregierung mit unseren Partnern in Atalanta
arüber verständigt, wie wir die Bekämpfung der Pirate-
ie über die Begleitung von Schiffen hinaus intensivieren
önnen. Ich glaube, dass es ein guter Weg ist, neben dem
andat Atalanta und den Eigenvorsorgemaßnahmen
eitere Initiativen zusammen mit den Partnern herbeizu-
ühren.
Als Abgeordneter der Freien und Hansestadt Ham-
urg liegt mir die Bewegungsfreiheit im offenen Meer
esonders am Herzen. Bei dieser Bewegungsfreiheit
eht es nicht nur um die Wahrung der wirtschaftlichen
nteressen der westlichen Länder, sondern sie ist auch
ine zentrale Errungenschaft des zivilisatorischen Fort-
chritts. Es ist diese Freiheit, die wir im Kampf gegen
ie Piraterie verteidigen.
Der Welthandel braucht die internationalen Seehan-
elswege. Sie sind die Grundlage unserer globalisierten
eltwirtschaft.
ber 90 Prozent des Handels weltweit erfolgt über die-
en Weg. Diese Zahl – über 90 Prozent des Welthandels –
erdeutlicht, dass es hierbei nicht um ein egoistisches In-
8618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Burkhardt Müller-Sönksen
)
)
teresse einer exportorientierten Nation wie Deutschland
geht, sondern um ein gemeinsames Interesse der Völker-
gemeinschaft. Das breite Bündnis, das die Maßnahmen
zur Sicherung der Seeverbindungswege trägt, geht weit
über die Europäische Union und die NATO hinaus. Auch
Länder wie China, Indien, Pakistan und Indonesien ko-
operieren mit uns im gemeinsamen Kampf gegen die Pi-
raterie. Auch die breite Zustimmung für das Mandat hier
im Deutschen Bundestag zeigt die allgemeine Akzeptanz
dieser Operation.
Ich möchte mich hier – dies ist mein letzter Punkt –
ganz deutlich gegen die Romantisierung des Problems
Piraterie aussprechen. Es handelt sich bei diesen Piraten
nicht um mittellose Fischer, denen die Existenzgrund-
lage entzogen wurde und die nun in ihrer Verzweiflung
mit ihren Booten Handelsschiffe angreifen. Wer über
500 Seemeilen von Somalia entfernt, vor der indischen
Küste, mit Granatwerfern und modernsten Schnellboo-
ten agiert, ist auf andere Weise motiviert und finanziert.
Bei dieser Erscheinungsform von Piraterie handelt es
sich um eine der schwersten Formen von Kriminalität;
sie ist ausschließlich von wirtschaftlichen Interessen ge-
leitet. Die Entführung der malaysischen „Albedo“ diesen
Montag, mehr als 1 500 Kilometer von der somalischen
Hauptstadt entfernt, verdeutlicht, dass sich das Problem
keinesfalls auf die somalischen Küstengewässer be-
schränkt. Deswegen ist es gut und richtig, das Opera-
tionsgebiet auszuweiten.
Eines müssen wir uns vor Augen führen: Wenn wir
die Operation Atalanta jetzt einstellten, wie es die Lin-
ken immer wieder fordern, würden die Menschen in So-
malia wieder Hunger leiden und würde neuer Nährboden
für die Piraterie geschaffen. Ich bitte Sie daher um Un-
terstützung für dieses Mandat.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ullrich Meßmer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Hohe See ist Freiheit. Nach völkerrechtlichen
Grundsätzen bedeutet dies, dass die Hohe See, also das
Meer außerhalb der Küstengewässer, von jeder Staatsan-
gehörigkeit frei ist. Einzelpersonen und Staaten ist das
Meer insgesamt frei zugänglich. Dies wurde zuletzt im
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von
1982 bestätigt. Von diesem freien Zugang hängen gerade
für Afrika der überlebenswichtige Transport humanitärer
Hilfsgüter, aber auch – mein Vorredner hat es gerade an-
gesprochen – der freie und ungehinderte Verkehr von zi-
vilen Schiffen und damit der Waren- und Güterverkehr
ab.
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Somalia selbst ist nicht in der Lage, gegen die Pirate-
ie vorzugehen. Deshalb hat man sich an die Vereinten
ationen gewandt. Die Europäische Union hat im Rah-
en der Umsetzung der entsprechenden Aufträge der
ereinten Nationen die Operation Atalanta beschlossen.
ie Operation Atalanta soll erreichen, dass die Piraten-
etzwerke zerschlagen werden, dass die Piraterie einge-
ämmt wird und vor allen Dingen dass Personen, die bei
iesem Vorgehen gefangen genommen bzw. festgesetzt
erden, rechtsstaatlichen Verfahren zugeführt werden.
ugegebenermaßen haben wir hier noch einiges zu tun.
achdem Kenia die entsprechenden Abkommen aufge-
ündigt hat, müssen wir dringend daran interessiert sein,
it anderen Staaten entsprechende Lösungen zu finden.
Drei Ziele verfolgt diese Operation vorrangig: die Si-
herstellung der durch Piratenüberfälle gefährdeten hu-
anitären Hilfe für die notleidende Bevölkerung am
orn vom Afrika, den Schutz der zivilen Schifffahrt und
ie Verhinderung von Geiselnahmen einschließlich der
eiselbefreiung. Da mein Vorredner schon auf eine ent-
prechende Aktion hingewiesen hat, erspare ich mir
usführungen dazu.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8619
Ullrich Meßmer
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Nun zur freien Handelsschifffahrt und zur Kritik, die
in diesem Zusammenhang gelegentlich geäußert wird.
Wir reden immer davon, dass ein freier Handelsverkehr
unseren Interessen dient. Insgesamt geht es aber um Fol-
gendes: Bei den jährlich etwa 16 000 Schiffen, die den
Golf von Aden passieren, handelt es sich nicht nur um
Schiffe, die Europa verlassen, sondern auch um Schiffe,
die sich aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Ländern
Asiens, nach Europa bewegen. Arbeit und Wohlstand in
Deutschland, aufgrund der Globalisierung aber auch in
der Welt insgesamt hängen nicht zuletzt davon ab, ob ein
freier Handelsverkehr gewährleistet ist oder nicht.
Ich denke, dass wir daran ein großes Interesse haben
müssen, übrigens auch im Sinne der Menschen, die in
Drittländern oder Schwellenländern leben und sich auf
diesem Weg ihre Existenz sichern.
Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle den Sol-
datinnen und Soldaten zu danken, die im Einsatz sind.
Die Bedeutung ihres internationalen Einsatzes zeigt sich
gerade erneut, auch an der Bereitschaft, auf den Schiffen
multinational zu operieren, sogar mit dieser Gruppe, die
bereit ist, Einsätze zum Schutz von Handelsschiffen
durchzuführen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass auch Reeder in der
Verantwortung stehen. Sie müssen zum Schutz ihrer ei-
genen Schiffe etwas tun. Deshalb finde ich es wichtig
und richtig, dass es Sicherheitsräume gibt. Aber was
nützt auf einem Schiff die beste Sicherheitseinrichtung,
wenn es nicht auch eine Einsatzgruppe gibt, die im
Zweifelsfall bereit ist, sich auf diesem Schiff für die
Mannschaft, die sich in Sicherheit gebracht hat, einzu-
setzen? Dies ist ein weiteres Argument für unsere Initia-
tive im Rahmen der Operation Atalanta. Die Erfolge
sind messbar. Alle im Auftrag des Welternährungspro-
gramms durchgeführten Schiffstransporte für Somalia
haben ihre Zielhäfen sicher erreicht. Über 90 000 Ton-
nen Lebensmittel und weitere wichtige Hilfsgüter ge-
langten an ihr Ziel und halfen, circa 1,8 Millionen Men-
schen zu versorgen. Auch Mittel für verschiedene
Projekte der Hilfe zur Selbsthilfe konnten so sicher ihren
Weg finden.
Obwohl die Zahl der Angriffe steigt, ist es seit dem
Beginn der Operation immer mehr möglich geworden,
zivile Schiffe zu schützen. Während 2009 noch 19 – so
heißt es schön in der Formulierung – größere Piratenein-
heiten neutralisiert wurden, konnten bis Oktober 2010
bereits 116 Pirateneinheiten neutralisiert und damit An-
griffe verhindert werden. Das hat natürlich dazu geführt,
dass die Piraten ihren Einsatzraum ausgeweitet haben;
mein Vorredner hat darauf hingewiesen. Deshalb um-
fasst das jetzige Mandat auch mehr als nur den Bereich
vor der somalischen Küste. Der Einsatzraum umfasst
mittlerweile Teilgebiete des Indischen Ozeans. Das ist
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Das Wort hat jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit
em 22. November, also seit einer guten Woche, stehen
n Hamburg zehn Somalis, der Piraterie angeklagt, vor
ericht. Sie sind gewiss die schwächsten Glieder der
ette. Aber es wird in der Diskussion über das Gerichts-
erfahren deutlich, dass viele behaupten, Deutschland,
uropa, die Vereinten Nationen hätten Somalia und die
egion aufgegeben.
Wir zeigen mit unserer heutigen Debatte: Wir haben
ie Region nicht aufgegeben, wir kümmern uns um die
egion. Wir setzen uns für die Operation Atalanta ein.
ntscheidend ist nicht, dass wir hier die Mythologie und
ine griechische Jägerin bemühen; aber sie war auf der
agd. Wir müssen deutlich machen, dass diejenigen, die
inter der Piraterie stecken, die organisierte Kriminalität,
usgehoben werden müssen. Die Piraterie bekämpft das
echt. Die Piraterie beraubt Menschen der Freiheit. Die
iraterie verletzt Menschen, und sie tötet sie auch. Das
ürfen wir nicht durchgehen lassen.
8620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Roderich Kiesewetter
)
)
Die organisierte Kriminalität, die dahintersteckt, ist
nicht nur organisiert, sie ist militärisch straff organisiert;
das sind Hightechorganisationen. Das müssen wir auf-
klären. Damit wird klar: Mit der Operation Atalanta al-
lein werden wir des Problems nur auf See Herr werden.
Die Zahlen sprechen für sich. Die Kollegen Meßmer und
Müller-Sönksen haben das sehr deutlich angesprochen.
Ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür; das war sehr hilf-
reich. Ich möchte das auch nicht im Einzelnen wiederho-
len. Aber ich möchte deutlich machen: Wenn wir nichts
unternehmen, schaden wir den 3,5 Millionen Einwoh-
nern Somalias, der internationalen Gemeinschaft, dem
Welternährungsprogramm und nicht zuletzt den Welt-
handelswegen.
80 Prozent des Welthandels wird über die Meere ab-
gewickelt. Mit der Operation Atalanta, die die Europäi-
sche Union im Juli 2010 glücklicherweise ausgeweitet
hat, weil auch die Piraten ihr Einsatzgebiet ausgeweitet
haben, werden wir ein klares Zeichen setzen. Unsere
Fraktion unterstützt deshalb die Operation Atalanta voll
und ganz, und ich werbe auch fraktionsübergreifend um
Zustimmung.
Über eines müssen wir uns aber auch klar sein: Teile
davon sind aus der Not heraus geboren. Durch Not wird
aber keine Gewalt gerechtfertigt. Wir müssen das grund-
sätzlich und ganzheitlich angehen.
Ich bin unserem Außenminister sehr dankbar, dass er
auf dem diesjährigen EU-Afrika-Gipfel vor zwei Tagen
deutlich gemacht hat, dass wir AMISOM und die Afri-
kanische Union unterstützen und dass wir hier auch Zei-
chen für Afrika setzen und Afrika nicht alleine lassen. Es
geht um vernetzte Sicherheit.
Wir haben ja etliche Kollegen, die sich in dem Be-
reich intensiv engagieren. Ich möchte an dieser Stelle
auch dem Kollegen Holger Haibach danken, der für un-
sere Fraktion einen Kongress zur vernetzten Sicherheit
mit über 300 Teilnehmern organisiert hat, der in dieser
Woche stattfand. Es waren übergreifend – auch partei-
übergreifend – Fachleute und Experten eingeladen, und
es wurde klargemacht, dass wir Krisen nur übergreifend
und vernetzt mit einem zivil-militärischen Ansatz be-
kämpfen können.
Genau das müssen wir auch in Afrika tun. Wir haben
dafür auch den Unterausschuss „Zivile Krisenprävention
und vernetzte Sicherheit“, das heißt, auch unser Parla-
ment stellt sich neu auf und nimmt die neuen Herausfor-
derungen an. Das müssen wir klarmachen. Die Opera-
tion Atalanta ist ein Beispiel für vernetzte Sicherheit. Ich
glaube, dass das Außenministerium in dieser Richtung
sehr gut arbeitet, insbesondere auch hinsichtlich der an-
schließenden Evaluation.
Lassen Sie mich in den letzten zwei Minuten auf den
regionalen Kontext und auf die Perspektive eingehen. Es
ist ganz wichtig, dass wir Somalia nicht isoliert betrach-
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(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens
[CDU/CSU]: Deshalb bringen wir die Nah-
rungsmittel dahin!)
Das sagen einem nicht nur die Zahlen der letzten zwei
Jahre. Das sagt einem nicht nur der gesunde Menschen-
verstand. Das sagt auch unser Außenminister, Herr
Westerwelle, der an dieser Stelle vor genau einer Woche
gesagt hat – ich zitiere Sie jetzt, Herr Westerwelle –:
Der Einsatz gegen die Piraterie wird nicht
– „nicht“, Herr Kiesewetter –
auf der Hohen See gewonnen, sondern nur an Land.
Das ist die Wahrheit. Ich gebe Ihnen recht, Herr
Westerwelle. Allerdings verstehe ich nicht – das müssen
Sie mir hier erklären –, dass Sie hier zwar eine richtige
Analyse vorlegen, aber trotzdem 50 Millionen Euro und
1 400 Soldaten beantragen, um sie auf die Hohe See zu
schicken, obwohl das Problem dort gar nicht zu lösen ist.
Das verstehe ich wirklich gar nicht.
Wenn Sie so weitermachen, können Sie die ganze Bun-
desmarine in den Indischen Ozean schicken. Sie können
sie für 30 Jahre dort hinschicken, aber es wird sich nichts
ändern, solange Sie nicht an die Ursachen herangehen.
Da frage ich auch die Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen. Sie machen in Ihrem Antrag genau die glei-
che Analyse auf. Sie fragen sogar richtigerweise: Wie
lange soll es denn noch so weitergehen? Wann ist ein
Ende abzusehen? – Aber wie können Sie nach dieser
richtigen Analyse diesem Mandat noch zustimmen? Ich
verstehe es einfach nicht.
Herr Westerwelle hat letztes Mal noch etwas Zweites
gesagt. Er hat behauptet, die Bundesregierung werde
auch den politischen Wiederaufbau in Somalia unterstüt-
zen. Das allerdings war schlichtweg gelogen. Wir haben
ihn gestern zweimal im Ausschuss gefragt. Wir haben
uns das Mandat genau durchgelesen, und es gibt sehr ge-
naue Zahlen darüber, was die Bundesregierung in Soma-
lia macht und was sie nicht macht.
Sie liefert Nahrungsmittelhilfe. Wunderbar! Das finde
ich richtig, und diese Hilfe muss auch weiterhin geleistet
werden. Allerdings ist das kein politischer Wiederauf-
bau. Und sie bildet 2 000 somalische Soldaten aus. Das
ist nicht nur falsch, das ist richtig kontraproduktiv. Denn
wie wollen Sie überhaupt einen politischen Friedenspro-
zess in Somalia anstoßen, wenn Sie eine Seite im Bür-
gerkrieg mit Militärs ausrüsten? Sie haben doch jeden
Kredit verspielt. Sie sind jetzt Partei. Sie können in So-
malia doch überhaupt nicht mehr als Mediator bzw. als
Friedenspartei auftreten. Das heißt, Sie machen das Ge-
genteil eines politischen Wiederaufbaus.
Dabei gibt es doch viele gute und konstruktive Ideen.
Beispielsweise haben Amnesty International oder der
Evangelische Entwicklungsdienst in den letzten Tagen
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
egin Kerstin Müller das Wort.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr van
ken, es kam jetzt nicht wirklich überraschend, dass
hre Fraktion den Atalanta-Antrag ablehnen wird.
ch finde allerdings: Wenn Sie es hier wieder einmal ab-
ehnen, sollten Sie auch realistische Alternativen benen-
en.
Ich frage mich, wie Ihr Beitrag zu verstehen ist, wenn
ie sagen, die Ursachen liegen an Land. Das sagen übri-
ens alle. Niemand behauptet, dass wir mit diesem Ein-
atz die Ursachen bekämpfen. Es geht um Symptombe-
ämpfung.
Ja, natürlich. Sie haben es echt nicht verstanden.
Aber wie ist Ihr Beitrag zu verstehen? Fordern Sie,
ass wir Truppen nach Somalia schicken, weil wir da die
rsachen bekämpfen müssen und weil es da ein Sicher-
eitsproblem gibt?
8622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Kerstin Müller
)
)
Ich jedenfalls sehe hier nur schlechte Alternativen, die
die notwendigen Aufgaben erfüllen könnten.
Da ist zum einen die notwendige humanitäre Versor-
gung – dazu haben Sie besser nichts gesagt – von im-
merhin 3,2 Millionen Menschen erforderlich. Sie ist nur
auf dem Seeweg mit dem Welternährungsprogramm
möglich. Die Schiffe des Welternährungsprogramms
fahren inzwischen nur noch mit internationalem Geleit-
schutz. Die Reeder stellen sonst keine Schiffe mehr zur
Verfügung. Allein in diesem Jahr sind 46 Schiffe beglei-
tet worden. Was ist Ihr Vorschlag, damit die Nahrung bei
den Menschen in Somalia ankommt? Ich habe dazu
nichts gehört.
Wir haben keine internationale Seepolizei – erst recht
keine so robuste, das wollen wir nach deutschem Recht
schon gar nicht –, die zivile Schiffe und wehrlose Matro-
sen wirksam schützen könnte. Die Zahl ist schon er-
wähnt worden: 438 Geiseln sind in der Gewalt somali-
scher Piraten.
Wie wollen Sie die befreien? Mit Polizei? Das ist kein
Spaziergang. Deswegen fahnden auch keine Polizisten,
sondern Soldaten nach den Piraten. Ich will klar sagen:
Atalanta ist im Grunde ein quasipolizeilicher Einsatz,
der von Soldaten geführt werden muss.
Hätten wir Atalanta nicht, was wären die Alternati-
ven? Manche sähen zum Beispiel lieber die NATO als
diesen UN-mandatierten und EU-geführten Einsatz. Ich
sage für meine Fraktion sehr deutlich: wir nicht.
Wir wollen, dass diese Missionen im Wesentlichen von
der UNO geführt werden. Oder es gäbe noch mehr natio-
nale Alleingänge – es gibt einige, die dort mit nationalen
Schiffen herumfahren –, oder – das ist die eigentliche
Gefahr – es würden künftig die Blackwaters dieser Welt
auf den Decks von Containerschiffen und Getreidefrach-
tern stehen. Wollen Sie das?
Das wäre eine gefährliche Militarisierung der zivilen
Schifffahrt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das
wollen.
Die Alternative ist ganz einfach. Die Alternative zu
diesem multilateralen Einsatz heißt: entweder Rena-
tionalisierung oder Privatisierung des Sicherheitsrisi-
kos. Die große Mehrheit meiner Fraktion will das nicht.
Deswegen werden wir heute diesem vernünftigen Man-
dat zustimmen.
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Ich komme zum Schluss. – Ich frage mich, warum wir
icht Somaliland stärker einbeziehen. Dieses unmittel-
are Nachbarland ist völlig stabil mit einer demokrati-
chen Entwicklung. Ich verstehe nicht, warum man das
icht als gutes Beispiel nutzt.
Politisch muss viel mehr geschehen. Dieses Mandat
eseitigt nicht die Ursachen. Es muss vielmehr ein poli-
isches Gesamtkonzept geben. Das fehlt uns noch. Dazu
agen wir etwas in unserem Entschließungsantrag. Wir
ürden uns freuen, wenn Sie auch dem zustimmen.
Danke schön.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8623
)
)
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Buchholz.
Frau Müller, ich habe zwei Fragen. Die erste Frage
zielt hauptsächlich auf die Versorgung der Menschen in
Somalia mit Nahrungsmitteln ab. Wie können Sie ange-
sichts dessen erklären, dass sich das Mandat bis in den
Indischen Ozean fast vor die Küste des Irans ausgeweitet
hat? Wie passen diese beiden Argumente zusammen?
Meine zweite Frage bezieht sich auf die politische Al-
ternative. Das Mandat Atalanta und die Politik der Bun-
desregierung sind absolut einseitig auf die Unterstützung
des Transitional Federal Government ausgerichtet. Das
ist eine scharfe Kritik der Nichtregierungsorganisation
Amnesty International. Dieser Ansatz ignoriert kom-
plett, dass in den letzten 19 Jahren versucht wurde, in
Somalia Regierungen aufzubauen, die von den Somalis
nicht akzeptiert werden. Diese Realität können Sie nicht
ignorieren. Wenn Sie dem Mandat zustimmen, stimmen
Sie auch dieser Politik zu. Das widerspricht allerdings
den schönen Worten, die Sie am Ende Ihrer Rede gefun-
den haben.
Frau Müller, bitte.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Wenn Sie zugehört haben, dann haben Sie mitbekom-
men, dass ich von zwei zentralen Zielen dieses Mandats
gesprochen habe.
Das eine Ziel ist der Geleitschutz für die Schiffe des
Welternährungsprogramms. Auch in Ihrer Kurzinterven-
tion haben Sie nichts dazu gesagt, was denn Ihr Vor-
schlag ist, wie 3,2 Millionen Menschen – das ist die
Hälfte der Bevölkerung in Somalia – mit Nahrungsmit-
teln versorgt werden sollen. Das finde ich für eine Partei,
die einen humanitären Anspruch hat, ziemlich schlecht
und ziemlich wenig.
Das ist das erste Ziel.
Das zweite Ziel ist der Schutz der Seewege. Der freie
Zugang zur See ist eine Errungenschaft des modernen
Völkerrechts, des UN-Seerechtsübereinkommens von
1982. Ihre Haltung dazu verstehe ich nicht. Sie suggerie-
ren immer, Sie seien die Völkerrechtspartei. Wenn aber
Völkerrecht geschrieben wird und wenn es ein einstim-
mig gefasstes UN-Mandat gibt, das zur Durchsetzung
dieses Völkerrechts Schiffe auf See schickt, dann sagen
Sie: Wir sind nicht dabei. – Das finde ich nicht sehr
glaubwürdig. Um diese beiden Rechtsgüter geht es.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ingo
ädechens für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr van
ken, Ihre Rede war schwer zu ertragen. Die Kurzinter-
ention, Frau Buchholz, hätten Sie sich sparen können.
ie Antwort von Frau Müller empfand ich aber als sehr
rfrischend.
Atalanta, eigentlich eine schöne und klangvolle Be-
eichnung, die auch Namensgeber für eine friedliebende
egion sein könnte. Atalanta ist aber leider die Bezeich-
ung einer EU-geführten Operation in einer weniger
riedliebenden Region zur Bekämpfung der Piraterie auf
er Grundlage des Seerechtsübereinkommens und der
ntsprechenden Resolution des Sicherheitsrats der Ver-
inten Nationen.
Die multinationale Operation stemmt sich mit einer
onzertierten Kraftanstrengung gegen eine hässliche und
enschenverachtende Fratze einer skrupellosen Pirate-
ie. Selbst diejenigen, die womöglich einer Art Sir-
rancis-Drake-Romantik hinterherlaufen, müssen erken-
en, dass auf den strategisch positionierten Piratenmut-
erschiffen und Skips Verbrecher der übelsten Sorte an
ord sind, für die ein fremdes Menschenleben wertlos
st. Stehen sie erst vor Gericht, so wie aktuell in Ham-
urg, geben sie sich scheinheilig, demütig und unterwür-
8624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Ingo Gädechens
)
)
fig. Sind sie bewaffnet auf See, werden Schiffe mit un-
barmherziger Brutalität geentert, wird rücksichtslos auf
Besatzungsmitglieder geschossen. Diese Piraten schre-
cken weder vor Erpressung noch vor Mord zurück.
Vor dem Hintergrund eigener staatlicher Machtlosigkeit
hat die somalische Übergangsregierung den Sicherheits-
rat um Hilfe gebeten, die nunmehr seit zwei Jahren
– auch mit deutscher Unterstützung – gewährt wird.
Das Engagement und der Einsatz der Einheiten unse-
rer deutschen Marine sowie insbesondere die hohe Flexi-
bilität der Soldatinnen und Soldaten verdienen gerade
von den Mitgliedern des Deutschen Bundestages aller-
höchste Wertschätzung.
Wie nahezu bei allen Einsätzen gelten die deutschen
Schiffe und deren Besatzung als wichtige, erfahrene und
professionell handelnde Einheiten auch in diesem multi-
nationalen Verband. Das internationale Engagement geht
mittlerweile weit über die Einheiten der EU-Mission
Atalanta hinaus. Unilateral operieren Staaten wie – um
nur einige zu nennen – Russland, Saudi-Arabien, Singa-
pur, Thailand, Indien, China und die Vereinigten Arabi-
schen Emirate im Einsatzgebiet.
Neben dem bereits erwähnten Schutz der Hilfsschiffe
des World Food Programme und dem Schutz der African
Union haben Deutschland und die gesamte freie Welt
eine vehementes Interesse an freien Seehandelswegen.
Es geht nicht, wie von den Linken wiederholt behauptet,
um eine Art Kanonenbootpolitik, sondern es geht um le-
gitimiertes internationales Recht auf Hoher See, das al-
len Staaten ungehinderte Durchfahrt gewährt. So wie
Deutschland in Nord- und Ostsee im Seehoheitsgebiet
und selbstverständlich auf den internationalen Seeschiff-
fahrtsstraßen eine sichere Passage gewährt, erwarten wir
gemeinsam mit den verbündeten Staaten eine ungehin-
derte Fahrt auf den Weltmeeren.
Die ungehinderte Fahrt unserer Schiffe, egal ob gechar-
tert oder unter deutscher Flagge fahrend, gilt es, zu
schützen, weil freie Handelswege von elementarer Be-
deutung gerade für ein Exportland wie Deutschland sind.
Ich möchte an dieser Stelle keine tiefergehende Ana-
lyse über die Entstehung der Piraterie auf einem ge-
schundenen Kontinent, insbesondere in einem armen
und unsicheren Land wie Somalia, machen. Selbstver-
ständlich ist uns allen bewusst, dass Maßnahmen not-
wendig sind, damit Piraterie erst gar nicht entsteht. Auch
hier setzt die deutsche Außenpolitik an wichtigen Stellen
an, um die unübersichtliche Situation in Somalia und in
der gesamten Region zu verbessern.
Als größtes Problem für die im Kampf gegen die Pira-
terie eingesetzten Marineeinheiten erweist sich nach wie
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Herr Kollege, Sie selber haben sich gerade auch für
ndere Maßnahmen ausgesprochen. Geben Sie mir recht,
ass in den Gewässern vor Somalia und den Nachbar-
taaten nach wie vor – so lautet jedenfalls die Auskunft
es Auswärtigen Amtes – große schwimmende Schiff-
inheiten etwa aus Italien, Frankreich und anderen euro-
äischen Staaten sowie aus Asien fischen und dass das
eerfischen dieser ursprünglich sehr fischreichen Ge-
ässer eine der Ursachen ist, warum auch Fischer zu
iraten geworden sind? Dabei verkenne ich nicht, dass
s sich hier inzwischen um eine international agierende
riminelle Organisation handelt. Was gedenken Sie vor-
uschlagen, um das Leerfischen der Gewässer rund um
omalia zu beenden?
Ein weiterer Punkt. Ist Ihnen ein Bericht der Kontroll-
ommission des Weltsicherheitsrates bekannt, wonach
twa 50 Prozent der Versorgungsgüter des Welternäh-
ungsprogramms zwar in Somalia ankommen, dort aber
erloren gehen, weil 30 Prozent so versickern sowie je-
eils 10 Prozent an die Transportunternehmen und die
ilizen in den Gebieten gehen, durch die die Güter
urchgeschleust werden? Was soll gemacht werden, um
inen viel größeren Schwund zu verhindern, der bewirkt,
ass die Waren und Nahrungsmittel des Welternährungs-
rogramms nicht zu den Bedürftigen gelangen? Haben
ie dazu Vorschläge, statt immer nur vom Militär zu re-
en?
Herr Ströbele, ich verkenne nicht das Problem der
ischtrawler, der großen Fischfangfabrikschiffe, die in
nternationalen Gewässern weit vor der Küste Somalias
ie Meere leerfischen. Es gibt sicherlich einen Zusam-
enhang, aber ich sehe keinen direkten Zusammenhang,
eil der somalische Fischer Küstenfischerei betrieben
at. Ich könnte jetzt einen großen Exkurs über die Pro-
leme, die unsere Ostseefischer und unsere Nordsee-
ischer haben, vortragen. Die sind auch nicht Piraten ge-
orden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8625
Ingo Gädechens
)
)
Aber die Küstenfischerei leidet natürlich darunter, dass
größere Mengen von Fischen in internationalen Gewäs-
sern genau von den Schiffen, die Sie eben genannt ha-
ben, weggefischt werden. Es muss internationale Ver-
handlungen geben, damit in internationalen Gewässern
eine vernünftige Regelung getroffen wird.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn Sie lobend erwäh-
nen, dass die Hilfsgüter in Somalia ankommen, dann
sage ich Ihnen, dass das dem Part geschuldet ist, den
Atalanta übernimmt. Wir bringen die Schiffe des World
Food Programme sicher in die Häfen. Dass auf außen-
politischem Wege etwas getan werden muss, damit die
Hilfsgüter nicht in die falschen Hände geraten, sondern
bei den notleidenden Menschen ankommen, darüber
sind wir uns beide einig. Diese Aktivitäten müssen noch
verstärkt werden.
Leider ist die Zahl der Überfälle noch gestiegen, aber
die Abwehr ist effektiver geworden. Das kann man als
Erfolg für das neue Sicherheitskonzept der Marine, des
Verbands Deutscher Reeder und der Bundespolizei wer-
ten. Die Besatzungen wissen sich besser zu wehren und
melden Vorfälle und Beobachtungen schneller, sodass
auch schneller Hilfs- und Schutzmaßnahmen eingeleitet
werden können. Die enge Verbundenheit beim gemein-
samen Vorgehen gegen die Piraterie können Sie daran
erkennen, dass sich auf der Fregatte „Hamburg“, die zur-
zeit im Einsatzgebiet ist, ein estnisches Vessel Protection
Detachment Team befindet, das zuvor auch in Deutsch-
land für den Einsatz ausgebildet wurde.
Wir brauchen heute ein klares und deutliches Signal
für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
EU-Mission Atalanta. Eine breite Zustimmung, um die
ich Sie alle bitte, wäre zugleich ein deutliches Signal für
alle Soldatinnen und Soldaten, die hochmotiviert ihren
oftmals gefährlichen Dienst auf See verrichten.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-
geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Pira-
terie vor der Küste Somalias. Dazu liegen mehrere per-
sönliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung vor.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/4048, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 17/3691 anzunehmen. Über
diese Beschlussempfehlung stimmen wir namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. Sind
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1) Anlagen 6 und 7 2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
chließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
uf Drucksache 17/4067. Wer stimmt für diesen Ent-
chließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
en? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Dafür
aben die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen gestimmt, dagegen die Koalitions-
raktionen und die Fraktion Die Linke. Die SPD-Frak-
ion hat sich enthalten.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 13:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
des Friedensprozesses in Bosnien und Herze-
gowina im Rahmen der Implementierung der
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein-
barung sowie an dem NATO-Hauptquartier
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage
der Resolution des Sicherheitsrates der Ver-
einten Nationen 1575 und Folgeresolu-
tionen
– Drucksachen 17/3692, 17/4049 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Sevim Dağdelen
Marieluise Beck
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/4056 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen vor.
Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
entlich abstimmen.
Ergebnis Seite 8629 D
8626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
)
)
Interfraktionell wurde vereinbart, eine halbe Stunde
zu debattieren. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch.
Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache.
Als erster Redner hat der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute vor genau 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag
das IFOR-Mandat für Bosnien-Herzegowina verabschie-
det. Wenn man diese 15 Jahre Revue passieren lässt,
dann muss man sagen, dass auch dieses Mandat insge-
samt sehr erfolgreich gewesen ist. Vor 15 Jahren waren
in diesem Rahmen noch über 50 000 NATO-Soldaten im
Einsatz. Nachdem es in eine EU-Mission umgewandelt
wurde, sind es nunmehr noch 1 900 internationale Solda-
ten. Dazu zählen zum heutigen Zeitpunkt 126 deutsche
Soldaten.
Das ist ein Entwicklungspfad, der in die richtige
Richtung gegangen ist. Wir haben in Bosnien-Herzego-
wina in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen er-
reicht. Dafür Dank und Anerkennung allen, die daran
mitgewirkt haben!
Wir alle wissen, dass in Bosnien-Herzegowina noch
vieles ungelöst ist. Aber eines wissen wir auch: Die Si-
cherheitslage ist weitestgehend stabil.
Man kann sagen: Es hat lange genug gedauert, aber im-
merhin haben wir es erreicht. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wenn wir uns anschauen, wie es in anderen
Konfliktgebieten nach 15 Jahren internationalem Enga-
gement aussieht, müssen wir feststellen: Wir sind in
Bosnien-Herzegowina besser dran.
Wir wollen ALTHEA weiter reduzieren. Wir möchten
dazu kommen, dass wir diese Mission beenden und in
eine Ausbildungsmission umwandeln. Das werden wir
Schritt für Schritt tun. Der Entwicklungspfad ist vorge-
zeichnet. Das heißt, wir beenden Mandate. Eine wichtige
Botschaft an die Bevölkerung ist: Wir tun das Richtige
und Wichtige, aber wir hören auf, wenn das nicht mehr
in diesem Umfang notwendig ist.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat noch-
mals die Mandatierung beschlossen und uns beauftragt.
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das Land
Bosnien-Herzegowina mitgestimmt, weil Bosnien-
Herzegowina seit Herbst letzten Jahres Mitglied im
Weltsicherheitsrat ist. Das heißt, wir trauen diesem Land
zu, die Welt mit zu regieren. Ich werbe dringend dafür,
dass wir diesem Land auch zutrauen, sich selbst zu re-
gieren.
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Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
rünen, muss ich auch dafür plädieren, Ihren Antrag ab-
ulehnen. Sie wollen ein weiteres Mal die Hürden für die
bschaffung des Hohen Repräsentanten erhöhen. Es gibt
chon jetzt hohe Hürden, vielleicht zu hohe. Eine Hürde
st: nachhaltige Finanzpolitik. Wo gibt es die schon?
Was die Abschaffung des Büros des Hohen Repräsen-
anten, OHR, angeht, gibt es bereits fünf Ziele und zwei
edingungen. Das ist schon eine ganze Menge. Sie von
en Grünen – ich weiß, wer es geschrieben hat – wollen
iese Hürden nochmals erhöhen, indem Sie formulieren:
ir müssen das Büro des Hohen Repräsentanten auf-
echterhalten, bis es in diesem Land endlich eine Verfas-
ung gibt. – Wir alle wissen, wie wichtig es ist, über
ayton hinwegzukommen, aber diese Hürde ist zu hoch.
lle, die sich mit dem Thema näher beschäftigen, wis-
en, dass die Hohen Repräsentanten der letzten Jahre an
irksamkeit verloren haben, auch wenn sie guten Wil-
ens waren. Ich darf es so deutlich sagen: Die letzten Ho-
en Repräsentanten haben einen eher traurigen Eindruck
emacht, weil sie wussten, dass sie nichts mehr errei-
hen können. Deshalb ist es hohe Zeit, dass wir damit
chritt für Schritt Schluss machen.
Deshalb sagen wir, dass das OHR aufgelöst werden
uss, spätestens dann, wenn das SAA abgeschlossen ist.
arüber sind wir im besten Einvernehmen mit der Bun-
esregierung.
Wo stehen wir in Bosnien-Herzegowina, und wo
öchten wir in Zukunft stehen? Ich wiederhole für alle
ier im Raum, aber auch mit Blick nach draußen noch
inmal, dass meine Fraktion unverändert zu dem politi-
chen Commitment von Thessaloniki des Jahres 2003
teht, dass der westliche Balkan und damit auch Bos-
ien-Herzegowina eines Tages Teil eines geeinten,
reien, demokratischen Europas in der EU sein soll.
Das ist unser politisches Ziel. Das möchten wir
chrittweise erreichen. Die Hürden sind mannigfaltig,
ber wir müssen daran arbeiten, weil es auch in unserem
igenen Interesse ist, dass wir das erreichen. Da ist noch
ieles zu tun,
n Bosnien-Herzegowina insbesondere. Wir müssen Hil-
estellung leisten – wir alle wissen das –, und wir versu-
hen auch, sie zu leisten. Die Probleme sind bekannt: ein
nwilliger Herr Dodik, zu viel Administration in der Fö-
eration. Es gibt 180 Minister. Das wünschen sich viel-
eicht auch manche bei uns.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8627
Dr. Rainer Stinner
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)
Das ist ein bisschen viel für dieses Land und kaum zu fi-
nanzieren. Es gibt keine Verfassung. Es werden Gesetze
nicht zügig genug verabschiedet etc.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben erlebt,
dass Bosnien-Herzegowina ans Laufen kommt, wenn
man ein konkretes Ziel vorhält, nämlich die Visabefrei-
ung. Das hat im Lande einen sehr starken Druck hervor-
gerufen, Reformen einzuleiten. Ich bin froh darüber,
dass unsere Freunde in Bosnien-Herzegowina endlich
das Europa kennenlernen können, in dem das Land eines
Tages aufgehen soll.
Diesen Weg werden wir weitergehen. Wir werden Bos-
nien-Herzegowina weiter unterstützen. Wir werden weiter
deutlich sagen: Der Weg nach Europa ist offen, das Tor ist
offen, aber, liebe Leute, ihr müsst selbst – durch eigene
Reformanstrengungen – durch das Tor hindurchgehen.
Wir helfen, ihr müsst auf diese Hilfe antworten, müsst
euer eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Ihr seid in
Europa willkommen, wir helfen euch dabei.
Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Fritz
Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ALTHEA
ist eine Begrifflichkeit aus der griechischen Sage und be-
schreibt die Göttin der Gesundheit. Ich bin im vergange-
nen Jahr auf diese Sage eingegangen. Ich will das nicht
wieder tun, sondern nur so viel sagen: Die Namenswahl
ist ganz gut, weil Bosnien-Herzegowina in der Tat Ge-
sundung braucht. Dieses Land braucht weiterhin Gesun-
dung, und es muss sich etwas bewegen.
Wenn man die letzten zwölf Monate verfolgt hat, ist
das, was sich zum Positiven bewegt hat, relativ leicht
und schnell aufzuzählen. Da sind einmal in der Tat die
für die Befreiung von der Visapflicht für Schengen-Staa-
ten notwendigen Reformen. Sie sind erfolgreich durch-
geführt worden, und das ist gut für Bosnien-Herzego-
wina.
Was einem auch ein Stück weit Anlass gibt, optimisti-
scher als vielleicht noch vor zwölf Monaten zu sein, ist
das Wahlergebnis am 3. Oktober: Die nicht nationalis-
tisch gesinnten Parteien haben Stimmenzuwächse er-
zielt. Jetzt ist wirklich Hilfe zu leisten, damit es zu der
Bildung einer Regierung kommt, die die ethnischen
Konflikte überwinden kann.
Wenn wir heute den militärischen Anteil dieses Man-
dates beschließen – dazu ist schon etwas gesagt worden;
wir haben im Grunde genommen nur noch 120 Soldatin-
nen und Soldaten im Einsatz und die Obergrenze zum
Glück bei weitem nicht erreicht –, gibt es einen Punkt,
der, glaube ich, zu beachten ist, nämlich dass dieser mili-
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enn das Schlimmste wäre, wenn es zu einem vergesse-
en Konflikt käme.
Dass wir diese Konfliktsituation auf dem Balkan
icht gelöst bekommen kann sich Europa im Grunde ge-
ommen nicht leisten. Denn die Konfliktlösung ist auch
ür uns wichtig, nicht nur für den Balkan selbst, sondern
ür Gesamteuropa.
eswegen ist es notwendig, dass wir hier diesem Land
en Weg zu einem vollkommen souveränen Staat ebnen
nd da unsere Hilfe leisten.
Meine Damen und Herren, ich habe etwas zur Regie-
ungsbildung gesagt. Zur Regierungsbildung ist es not-
endig, eine multiethnische Verfassung in Bosnien-
erzegowina zu verabschieden, damit wir den Weg für
ieses Land nach Europa öffnen und begradigen.
In diesem Land muss auch die polizeiliche EU-Mis-
ion Beachtung finden. Deutschland ist mit einem ganz
esentlichen Beitrag an der insgesamt 120-köpfigen Po-
izeimission mit Polizeibeamtinnen und -beamten betei-
igt, die dort ihren Dienst insbesondere in der Qualifizie-
ung und in der Ausbildung leisten. Ihnen ist an dieser
telle ebenso zu danken wie den Soldatinnen und Solda-
en in diesem Bereich.
Wenn man über die Situation dieses Landes redet,
ommt man an einem nicht vorbei: Wir waren bei der
ekämpfung der organisierten Kriminalität und der Kor-
uption noch nicht erfolgreich. Ich finde, das muss deut-
ich gesagt werden: Dieses Land hat nur Erfolg, wenn es
ie organisierte Kriminalität und die Korruption erfolg-
eich bekämpft.
enn diese Bekämpfung nicht erfolgreich ist, wird es
einen direkten Weg zu einem vollkommen souveränen
taat mit einer freiheitlich-demokratischen Grundord-
ung geben können. Insofern ist hier unsere Hilfe ge-
ragt und gefordert.
Es ist gut, dass im militärischen Teil der Operation
ine ganze Menge umorganisiert worden ist; eine Aus-
ildungs- und Beratungskomponente wurde integriert.
amit beschreiten wir den richtigen Weg.
Es wird immer wieder vergessen, dass die EU auch
uf Kapazitäten der NATO zurückgreift. So wird das
auptquartier in Bosnien-Herzegowina in Fragen der
erteidigungs- und Sicherheitsarchitektur und im Hin-
8628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Fritz Rudolf Körper
)
)
blick auf eine euro-atlantische Integration von der
NATO unterstützt, und das ist gut so.
Ich bin sicher: Das Hauptrisiko für Bosnien-Herzego-
wina liegt nicht so sehr auf militärischer Ebene, sondern
viel stärker auf politischer Ebene, auch in den Bereichen
der Wirtschaft und der inneren Sicherheit; da liegt leider
nach wie vor ein hohes Risiko für die Entwicklung die-
ses Landes. Insofern ist es nach wie vor richtig, an den
fünf Zielen festzuhalten, die wir gemeinsam vereinbart
haben, nämlich: Aufteilung und nachhaltige Regelung
des Staatsvermögens, Regelung des Vermögens im Ver-
teidigungssektor, Umsetzung des Schiedsspruchs zum
Sonderbezirk Brcko, fiskalische Nachhaltigkeit und Ver-
ankerung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in der Verfas-
sung von Bosnien-Herzegowina. Es ist lohnenswert, für
diese Ziele zu kämpfen.
Meine Damen und Herren, die Konflikte in und um
Bosnien-Herzegowina dürfen nicht vergessen gemacht
werden; sie dürfen auch nicht verdrängt werden. Das ist
ganz wichtig; denn die Verwirklichung von Frieden,
Freiheit und Sicherheit auf dem Balkan, in den Balkan-
staaten, ist für Gesamteuropa von existenzieller Bedeu-
tung. Deshalb stimmt meine Fraktion, die SPD-Bundes-
tagsfraktion, dieser Mandatsverlängerung zu.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Beyer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie brüchig das
gesellschaftliche Gefüge und wie aufgewühlt die Situa-
tion in Bosnien und Herzegowina zuweilen auch heute
noch ist, zeigen die Emotionen, die in diesen Wochen im
Zusammenhang mit einem Filmprojekt hochkochen. In
dem Film geht es um eine junge muslimische Frau und
um einen Serben, der diese Frau während des Bürger-
kriegs im Flüchtlingslager vergewaltigt hat. Angelina
Jolie, die bekannte US-amerikanische Schauspielerin,
führt bei diesem Filmprojekt Regie. Zugleich ist sie Son-
derbotschafterin des UN-Flüchtlingswerks UNHCR und
damit auch für die Opfer des bosnischen Bürgerkrieges
zuständig.
Sie sorgt mit ihrem Filmprojekt in diesen Tagen für
großen Unmut. Sie stößt vor allem bei weiblichen
Kriegsopfern mit ihrem Projekt auf Widerstand. Die
Frauen sehen sich nämlich erneut einem großen menta-
len Leid ausgesetzt. Die Drehgenehmigung für das Film-
projekt in Bosnien ist derzeit annulliert, und UNHCR
beschäftigt sich mit dem Fall.
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Über diesen weitgehenden Konsens in diesem Haus
reue ich mich ausdrücklich, auch wenn es – jetzt an die
rünen gerichtet – für die Grünen vielleicht ein langer
ernprozess gewesen sein mag.
eute würdigen Sie in Ihrem Entschließungsantrag aus-
rücklich das Engagement der Bundeswehr, und das ist
ut so.
s war ein langer Weg dorthin, eine beachtliche Lern-
urve, die Sie so gerade noch hinbekommen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Nach dem 11. September 2001 haben Sie zu-
ächst für den Einsatz in Afghanistan gestimmt, obwohl
ie in der Sache dagegen waren. Das nennt man wahr-
cheinlich grüne Dialektik, meine Damen und Herren.
ir werden sehen, wie weit es bei Ihnen mit der außen-
olitischen Verantwortung her ist, wie ernst Ihnen dieses
hema ist, und zwar spätestens dann, wenn wir Anfang
es kommenden Jahres hier im Hohen Hause über die
erlängerung des ISAF-Mandats für Afghanistan zu ent-
cheiden haben werden. Es stellt sich die Frage, ob Sie
ich dort erneut den Luxus leisten werden, drei Positio-
en gleichzeitig zu vertreten. Denn seinerzeit haben
5 Ihrer Kollegen sich nicht entschieden – sie konnten
der wollten nicht –, 8 waren dafür und 21 dagegen. Wo-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8629
Peter Beyer
)
)
ropa lohnt sich für die Menschen im Land, in der Region
größte EU-geführte Operation im Militärbereich. In die-
sem Rahmen nehmen unsere Soldaten eine ganze Reihe
wichtiger Aufgaben in Verantwortung wahr. Sie bündeln
vor allem die Anstrengungen für die zivil-militärische
Zusammenarbeit und führen dabei nicht zuletzt Experten
der unterschiedlichsten Disziplinen zusammen.
Das funktioniert in Bosnien und Herzegowina weit-
aus besser als andernorts. Gerade in dieser Woche, an
diesem Montag, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
hier im Bundestag einen Kongress zu diesem Thema
veranstaltet, um die zivil-militärische Zusammenarbeit
auch konzeptionell voranzubringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil ALTHEA,
gemessen an der Aufgabenstellung, erfolgreich ist, weil
sich die militärische Sicherheitslage stabilisiert hat, des-
halb konnte die Friedenstruppe in der Vergangenheit
schrittweise reduziert werden. Das ist auch und gerade
ein Erfolg der Europäischen Union.
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 487
nein: 68
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
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r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Und hier kommt ALTHEA ins Spiel, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren. ALTHEA ist die bisher
des Westbalkans und in Europa. In diesem Zusammen-
für, so frage ich, stehen Sie e
auch in dieser Frage einfach nu
Meine Damen und Herren, d
Bosnien und Herzegowina vo
– Kollege Stinner deutete es sc
Kriegsende, 15 Jahre nach dem
ja und auch 15 Jahre nach den
nica. Leider ist das Land nac
nicht so weit, dass es von innen
sen kann. Bis heute konnten
linge nicht in ihre Heimatorte z
zeit, die ethnischen Säuberunge
wie ich finde –, die Not in den F
ist noch immer sehr präsent.
igentlich? Oder sind Sie
r dagegen?
n der FDP – Zuruf
GRÜNEN: Ha, ha,
er Frieden selbst muss in
n innen heraus wachsen
hon an –, 15 Jahre nach
Abkommen von Dayton,
Gräueltaten von Srebre-
h 15 Jahren selbst noch
heraus in Frieden wach-
Hunderttausende Flücht-
urückkehren. Die Kriegs-
n – ein schlimmes Wort,
lüchtlingslagern: All das
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Da ich von der Europäische
ch darauf hinweisen, dass zwe
nd sicherheitspolitischen Auf
nion die dauerhafte Stabilität
ontinents und die Integration
tlantischen Strukturen bleiben
Meine Damen und Herren, i
eobachte ich auch erfreut die
iv und stabilisierend wirkende
Die optimistische Einschätzu
chließungsantrag der Grünen
erzegowina „baldmöglich“ M
nion werden sollen, teile ich
aten gelten die EU-Beitritts
iemand sollte zeitlich bevor
eitritt gibt es nur bei strikter
ller Kriterien, ansonsten eben
)
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
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r. Philipp Murmann
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r. Georg Nüßlein
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r. Wolfgang Schäuble
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r. Andreas Scheuer
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r. Peter Tauber
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lisabeth Winkelmeier-
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Rolf Schwanitz
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Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
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Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-
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Daniel Bahr
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
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Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
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Dr. Christel Happach-Kasan
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r. Lutz Knopek
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r. Heinrich L. Kolb
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r. Martin Lindner
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r. Erwin Lotter
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r. Martin Neumann
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isela Piltz
r. Birgit Reinemund
r. Peter Röhlinger
r. Stefan Ruppert
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rank Schäffler
hristoph Schnurr
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r. Erik Schweickert
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r. Hermann Otto Solms
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r. Max Stadler
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r. Rainer Stinner
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atja Keul
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liver Krischer
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ndine Kurth
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r. Konstantin von Notz
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riedrich Ostendorff
rigitte Pothmer
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laudia Roth
rista Sager
anuel Sarrazin
lisabeth Scharfenberg
hristine Scheel
r. Gerhard Schick
r. Frithjof Schmidt
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ürgen Trittin
aniela Wagner
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r. Valerie Wilms
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gnes Alpers
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r. Martina Bunge
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r. Diether Dehm
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r. Dagmar Enkelmann
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r. Gregor Gysi
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)
Nun setzen wir die Debatte fort. Das Wort hat die
Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
15 Jahren ist die Bundeswehr in Bosnien-Herzegowina
präsent. Worum geht es bei diesem Einsatz im armen
Vorhof der Europäischen Union? Geht es um Sicherheit
und Frieden? Geht es um den Aufbau eines lebensfähi-
gen, demokratischen Rechtsstaates?
Die EU-Mission ALTHEA ist ein Musterbeispiel da-
für, dass Sicherheit und Frieden mit Militär nicht zu er-
reichen sind.
Die beiden Landesteile Bosnien und Herzegowina sind
weiterhin tief gespalten. Die Korruption blüht. 30 Pro-
zent der Menschen leben in extremer Armut. Die Ar-
beitslosigkeit liegt bei 40 Prozent. Insbesondere junge
Menschen sind von Erwerbslosigkeit betroffen. Das Ein-
zige, was ALTHEA in Bosnien-Herzegowina teilweise
gelingt, ist die Privatisierung öffentlichen Eigentums.
Aber das Verkaufen öffentlichen Eigentums ist kein Re-
zept zur Bekämpfung von Armut, weder in Bosnien
noch anderswo.
Die neoliberale europäische Agenda
löst die Probleme in Bosnien-Herzegowina nicht, sie
verschärft sie noch.
Menschen in wirtschaftlicher Not sind häufig anfälliger
für nationalistische Feindbilder und Hetze gegen ver-
meintlich andere. Das gilt für die Bevölkerung in Bos-
nien-Herzegowina ebenso wie für die Menschen hier bei
uns in Deutschland.
Die Linke distanziert sich von jeder Form des Rassis-
mus und Nationalismus.
Solange die Armut in Bosnien-Herzegowina nicht nach-
haltig bekämpft wird, bleibt eine Abkehr vom Nationa-
lismus eine Illusion. In vielen osteuropäischen EU-Län-
dern bringt die gepriesene Freiheit des Kapitals mehr
soziale Spaltung und mehr Armut hervor, und sie führt
leider auch zur Stärkung nationalistischer, rechtsextre-
mistischer Parteien.
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Die geschichtliche Kontinuität wird in Bosnien-Her-
egowina besonders deutlich mit Blick auf den größten
ruppensteller, auf Österreich. Dieses Land schickt wie
eutschland nicht nur Soldatinnen und Soldaten, son-
ern auch Investoren. Seit Jahren konkurriert die Tele-
om Austria mit der serbischen Telekom um Marktan-
eile in Bosnien. Nicht nur die Menschen in diesem Land
ühlen sich dabei an die Zeiten des Habsburger Reichs
rinnert.
Einerseits wird Bosnien-Herzegowina durch die EU
ezwungen, bei Gesundheit und Sozialem massiv zu
paren. Andererseits wird das Land zu hohen Militäraus-
aben ermutigt. Um eng mit der NATO kooperieren und
rgendwann NATO-Mitglied werden zu können, gibt das
and viel zu viel Geld für Militär aus. 4,5 Prozent des
ruttoinlandsprodukts fließen in Ausbildung und Aus-
üstung des Militärs. Das ist im Verhältnis dreimal so
iel wie in Deutschland. Mit diesem Geld könnten Ar-
eitsplätze geschaffen, könnte Armut überwunden wer-
en.
Die Bundeswehr ist in Bosnien-Herzegowina nicht
eil der Lösung; sie ist Teil des Problems.
ie 7,7 Millionen Euro, die dieser Einsatz kostet, wären
n sozialen bosnischen Projekten viel besser aufgehoben.
Die Linke lehnt dieses Mandat ab.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8633
)
)
Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Manchmal möchte man sagen: Denn sie wissen nicht,
was sie tun – oder sprechen.
Ich habe einen Reisevorschlag für Sie, Frau Höger: Fah-
ren Sie doch einfach einmal nach Bosnien. Sprechen Sie
mit den Menschen, und fragen Sie sie einmal, wie ihr
Blick auf diesen Einsatz ist.
Bevor man den Vorgaben der CDU-Parteizentrale
folgt – jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Beyer – sollte
man einmal in der Geschichte zurückschauen:
Es war in den Jahren 1990 bis 1994 die kleine Gruppe
der Bürgerrechtler, die hier als Ost-Grüne die Grünen-
Fraktion vertreten haben – wir waren ja auf die Reser-
vebank getreten – und die ganz früh und durchaus nicht
unbedingt zum Gefallen von uns allen in der grünen Par-
tei Position für Bosnien bezogen haben. Damals wurde
in den Debatten die Situation auf dem Balkan verdrängt
– das geht an Sie, Herr Stinner; denn Sie waren damals
mit der CDU an der Regierung – und immer und immer
wieder ein friedenserhaltendes Mandat beschlossen. In
Bosnien gab es aber keinen Frieden mehr zu erhalten,
sondern dort tobte der offene Krieg, und 100 000 Men-
schen fielen der Verdrängung und dem Selbstbetrug, den
diese Regierung mitgemacht hat, zum Opfer. Hier kom-
men Sie nicht so einfach davon. Sie sollten sich hüten, in
dieser Frage auf dem hohen Ross zu sitzen. Es steht Ih-
nen einfach nicht zu.
Weil es innenpolitisch so stark drängt, dass wir end-
lich einmal vermelden können: „Jetzt ist ein Mandat
vollständig abgeschlossen“, Herr Stinner, sollten wir
eine Situation, die durchaus prekär und fragil ist, jedoch
nicht schönreden.
Der bosnische Präsident Izetbegovic hat dem Friedens-
implementierungsrat vor zwei Tagen sehr deutlich ge-
sagt, in welche Situation sein Land mit Dayton versetzt
wurde: Bei der Verankerung des Entitätenvetos in der als
Übergangsverfassung gedachten Verfassung wurde näm-
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olange diese Instabilität besteht, muss in Bosnien eine
euerwehr vorgehalten werden. Dies gilt, bis es dort
ndlich – hoffentlich unter tätiger Mitwirkung des deut-
chen Außenministers und der europäischen Staaten; wo-
ei ich mir nur wünschen kann, dass diese vereint agieren
nd nicht getrennt, wie es bisher der Fall war – eine Ver-
assung gibt, die diesen Staat lebensfähig macht und den
erzeitigen fragilen Zustand beendet. Wir alle wissen
och, dass es nur einen Funken braucht, damit es wieder
u kleineren Konflikten und Krisen kommt, von denen
ir nicht wissen, welche Dynamik sie entwickeln könn-
en.
Wir müssen also Verantwortung übernehmen, und,
enn man so will, die Polizei muss vor Ort bleiben, bis
ieses Land eine Verfassung hat, die das friedliche Le-
en im Staat für alle gemeinsam möglich macht. Das ist
nser Vorschlag.
Schönen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
lorian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-
en! Wenn wir Politiker über die Verlängerung eines
andats diskutieren, was den weiteren Einsatz deut-
cher Soldatinnen und Soldaten im Ausland zur Folge
at, denken die meisten an den Einsatz in Afghanistan.
eider erleben unsere Streitkräfte in den anderen Ein-
8634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Florian Hahn
)
)
satzgebieten nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Aber auch
sie erledigen ihre Aufgabe hervorragend, oft unter
schwierigen Rahmenbedingungen. Das bedarf ausdrück-
lich unserer Anerkennung. Ich möchte deshalb die Gele-
genheit nutzen, allen Soldatinnen und Soldaten, aber
auch den Polizeikräften, den zivilen Helfern und den Di-
plomaten im Einsatz für ihren Mut und für ihr Engage-
ment zu danken und ihnen weiterhin Gottes Segen zu
wünschen.
Schon letztes Jahr in der Debatte über diese Mandatsver-
längerung wurden Sie, die Linken, aufgefordert, sich mit
der Geschichte dieser Region, beispielsweise mit dem
Überfall auf die Stadt Vukovar und dem Genozid in Sre-
brenica zu beschäftigen. Nach Ihrer Einlassung heute,
die uns einmal mehr fassungslos machen muss, wird
deutlich, dass Sie sich weigern, der Geschichte ins Ge-
sicht zu sehen. Wenn ich noch den Blick auf den Tages-
spiegel von gestern werfen darf: Gegenüber dieser Zei-
tung hat sich Ihre Partei nicht einmal davor gescheut,
deutsche Soldaten als Mörder zu bezeichnen. Auch das
finde ich – ich drücke es milde aus – reichlich unange-
bracht.
Der westliche Balkan und insbesondere Bosnien und
Herzegowina gehören zu den wichtigsten Betätigungs-
feldern der deutschen Diplomatie. Die Region grenzt in
allen Himmelsrichtungen an die EU und hat die EU-Per-
spektive zudem von uns und unseren Partnern fest zuge-
sagt bekommen. Seit April dieses Jahres nimmt Bosnien
und Herzegowina am Membership Action Plan der
NATO teil. Deutschland hat hohes Interesse daran, dass
die Region mit bi- und multilateraler Hilfe langfristig
und nachhaltig stabilisiert wird, damit sich Zukunftsper-
spektiven, Wohlstand und Demokratie weiter entwickeln
können. Das ist die Voraussetzung dafür, dass ethnische
Auseinandersetzungen irgendwann hoffentlich für im-
mer der Vergangenheit angehören können.
Die Stabilisierung dieser Region liegt aber auch in
unserem ureigenen deutschen Interesse. Deshalb müssen
wir den Staaten des Westbalkans eine Beitrittsperspek-
tive zur EU geben. Langfristiger Frieden, Stabilität und
Wohlstand sorgen nicht zuletzt dafür, dass es für den in-
ternationalen Terrorismus keinen Nährboden in Europa
geben kann. Deutschland war und ist auf dem Balkan ein
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EU-geführten Operation ALTHEA. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/4049, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 17/3692 anzunehmen. Über diese Be-
schlussempfehlung stimmen wir nun namentlich ab.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen.
Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die
ihre Stimmkarte nicht abgegeben haben? – Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergeb-
nis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/4068. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Wer enthält
sich? – Für den Entschließungsantrag haben gestimmt
die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen. Dagegen haben gestimmt die Koalitions-
fraktionen, die SPD-Fraktion und die Fraktion Die
Linke. Enthaltungen gab es keine.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 und 1373
des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen
– Drucksachen 17/3690, 17/4050 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Dr. Frithjof Schmidt
– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/4057 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
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M1) Ergebnis Seite 8636 D
as es eigentlich nicht geben sollte, nämlich, dass, an
ormalien aufgehängt, SPD und Grüne angekündigt ha-
en, diesem Mandat nicht zuzustimmen.
Da rentiert sich schon ein Blick auf die rechtliche
rundlage. Es wurde ja argumentiert, dass mit immer
eiterer zeitlicher Entfernung der terroristischen An-
riffe auf New York und Washington im Jahr 2001 die
egitimation immer schwächer würde. Dazu kann man
ur sagen: Es mag vielleicht eine Argumentationslinie
eben, anhand derer man rechtlich in diese Richtung ar-
umentiert, aber wie bei vielen juristischen Fragen ist
och auch hier zu klären, wer letztendlich entscheidet,
as gilt. Dabei muss man schon zur Kenntnis nehmen,
ass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch in
iesem Jahr, am 13. Oktober, seine Meinung geäußert
nd festgestellt hat, dass die rechtliche Grundlage wei-
erhin gilt. Ich denke, das ist das entscheidende Gre-
ium bei diesen Fragen.
Im Übrigen darf darauf hingewiesen werden, dass
ich auch die NATO auf ihrer jüngsten Konferenz in Lis-
abon ausweislich des Schlussdokumentes unwiderspro-
hen zu diesem Einsatz bekannt hat. Das heißt, zu argu-
entieren, es gebe keine rechtlichen Grundlagen mehr,
st nicht einschlägig.
Nichtsdestoweniger sagen wir Ihnen zu, dass wir ge-
auso wie bei OEF daran arbeiten werden, dass dieses
andat eine andere Struktur erhält, und zwar aus politi-
chen Gründen, weil zwar nicht rechtlich, aber natürlich
olitisch zur Kenntnis zu nehmen ist, dass 9/11 schon ei-
ige Zeit her ist. Deshalb werden wir versuchen, dieses
andat in ein Standing Defense Program zu überführen.
ie Standing NATO Maritime Groups, die im Mittel-
eer operieren, können dafür die Basis sein. Genauso
ie wir das bei OEF eingehalten haben, werden wir das
davon können Sie ausgehen – auch hier einhalten.
Kollege Groschek, ich finde es schon ein bisschen
utig, der Regierung vorzuwerfen: Na ja, beim letzten
al habt ihr noch ein Jahr für OEF beantragt und es
8636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Joachim Spatz
)
)
stimmung mit den NATO-Partnern. schieden. Nutzen Sie diesen billigen Vorwand nicht, son-
[FDP] und Michael Groschek [SPD])
So kann man das machen, und so sollten wir das ma-
chen.
Was den Inhalt der Mission angeht, ist im Übrigen
schon festzustellen: Auch das Mittelmeer als eine der
Hauptadern des internationalen Verkehrs – des Seever-
kehrs natürlich –, ist einer der Hauptangriffspunkte ter-
roristischer Kräfte. Nur dadurch, dass dort noch nichts
passiert ist, wird natürlich in überhaupt keiner Weise be-
gründet, dass unsere deutsche Marine durch ihre Präsenz
nicht auch einen entsprechenden Beitrag dazu geleistet
hat.
Weil die Mandatsobergrenze von 700 Soldatinnen
und Soldaten kritisiert worden ist, sei einmal darauf hin-
gewiesen, dass wir noch im Mai dieses Jahres 578 Sol-
daten für die entsprechenden Schiffseinheiten, die dort
eben präsent waren, gebraucht haben. Diese Obergrenze
ist also keinesfalls Teil eines Vorratsbeschlusses, son-
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 562;
davon
ja: 498
nein: 58
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
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Danke schön.
Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerin-
en und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
hen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
uswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregie-
ung auf Drucksache 17/3692: „Fortsetzung der Beteili-
ung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge-
ührten Operation ‚ALTHEA‘“, bekannt: abgegebene
timmen 562. Mit Ja haben gestimmt 498, mit Nein 58.
s gab 6 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist da-
it angenommen.
r. Ralf Brauksiepe
r. Helge Braun
eike Brehmer
alph Brinkhaus
itta Connemann
eo Dautzenberg
lexander Dobrindt
homas Dörflinger
arie-Luise Dött
r. Thomas Feist
nak Ferlemann
ngrid Fischbach
artwig Fischer
irk Fischer
r. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
)
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
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aul Lehrieder
r. Ursula von der Leyen
gbert Liebing
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
r. Michael Luther
arin Maag
r. Thomas de Maizière
ans-Georg von der Marwitz
ndreas Mattfeldt
tephan Mayer
r. Michael Meister
aria Michalk
r. h. c. Hans Michelbach
r. Mathias Middelberg
hilipp Mißfelder
ietrich Monstadt
arlene Mortler
r. Gerd Müller
tefan Müller
adine Schön
r. Philipp Murmann
ernd Neumann
ichaela Noll
r. Georg Nüßlein
ranz Obermeier
duard Oswald
enning Otte
r. Michael Paul
ita Pawelski
lrich Petzold
r. Joachim Pfeiffer
ibylle Pfeiffer
eatrix Philipp
onald Pofalla
hristoph Poland
uprecht Polenz
aniela Raab
homas Rachel
ckhardt Rehberg
atherina Reiche
othar Riebsamen
osef Rief
laus Riegert
r. Heinz Riesenhuber
ohannes Röring
r. Christian Ruck
rwin Rüddel
lbert Rupprecht
nita Schäfer
r. Wolfgang Schäuble
r. Andreas Scheuer
arl Schiewerling
orbert Schindler
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eorg Schirmbeck
hristian Schmidt
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r. Ole Schröder
ernhard Schulte-Drüggelte
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einhold Sendker
r. Patrick Sensburg
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homas Silberhorn
ohannes Singhammer
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arola Stauche
r. Frank Steffel
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hristian Freiherr von Stetten
ieter Stier
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ichael Stübgen
r. Peter Tauber
ntje Tillmann
r. Hans-Peter Uhl
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olkmar Vogel
tefanie Vogelsang
ndrea Astrid Voßhoff
arco Wanderwitz
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ngo Wellenreuther
arl-Georg Wellmann
eter Wichtel
nnette Widmann-Mauz
laus-Peter Willsch
lisabeth Winkelmeier-
Becker
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r. Matthias Zimmer
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ngrid Arndt-Brauer
ainer Arnold
einz-Joachim Barchmann
r. Hans-Peter Bartels
laus Barthel
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r. Peter Danckert
artin Dörmann
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Sönke Rix
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Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth
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Marlene Rupprecht
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Marianne Schieder
Werner Schieder
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Carsten Schneider
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Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff
Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
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Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-
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Daniel Bahr
Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
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r. Edmund Peter Geisen
r. Wolfgang Gerhardt
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r. Christel Happach-Kasan
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lke Hoff
irgit Homburger
r. Werner Hoyer
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r. Lutz Knopek
ascal Kober
r. Heinrich L. Kolb
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r. h. c. Jürgen Koppelin
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r. Martin Lindner
ichael Link
r. Erwin Lotter
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urkhardt Müller-Sönksen
r. Martin Neumann
irk Niebel
ornelia Pieper
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r. Birgit Reinemund
r. Peter Röhlinger
r. Stefan Ruppert
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hristoph Schnurr
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r. Erik Schweickert
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r. Hermann Otto Solms
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r. Max Stadler
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r. Rainer Stinner
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r. Claudia Winterstein
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ngrid Hönlinger
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)
Jetzt erteile ich dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich für
die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es vorab klarzustellen: Unter bestimmten
Umständen kann es richtig sein, im Sinne von Aufklä-
rung, Überwachung und Kontrolle im Mittelmer militä-
risch präsent zu sein. Das war vor dem 11. September
2001 so gewesen, und das wird auch in Zukunft so sein.
Nur, Herr Spatz, genau das ist das Problem: Sie füh-
ren diesem Mandat, dieser Aufgabe das Motiv eines
Antiterrorkampfes zu, der im Grunde genommen über-
haupt nicht das hergibt, was Sie letztendlich mit diesem
Mandat – ich erwähne beispielsweise die Einheiten, die
Sie zur Verfügung stellen – bezwecken. Damit schaffen
Sie hier ein neues Mandat, Herr Außenminister. Aus
meiner Sicht hätten Sie versuchen sollen, vorher mit der
Opposition darüber zu reden, wie dieses ausgestaltet und
begründet werden könnte. Ich erinnere an die Diskus-
sion, die der Deutsche Bundestag hier vor einigen Jahren
geführt hat. Herr Spatz hat dagegen versucht, konkrete
Aussagen zur Begründung zu umschiffen. Somit muss
ich Ihnen sagen, Herr Bundesaußenminister: Das war
kein gutes Gesellenstück der Bundesregierung. Denn Sie
haben ein neues Mandat geschaffen, und Sie haben die
Opposition wissentlich von der Möglichkeit, an dieser
Mandatierung mitzuwirken, ausgeschlossen.
Der Widerspruch wird ja schon daran deutlich, dass
Sie für dieses Mandat – und darauf haben Sie im Grunde
genommen gerade auch hingewiesen – offensichtlich gar
nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.
Sie von der FDP haben jedoch, als wir vor einigen Jah-
ren das Parlamentsbeteiligungsgesetz diskutiert haben,
stets Mandatsklarheit und Mandatswahrheit gefordert.
Beides ist bei diesem Mandat aber nicht gegeben. Sie er-
öffnen damit eine Diskussion über das Mandat. Das ist
der große Fehler, den die Bundesregierung heute hier zu
verantworten hat.
Ich glaube, es ist doch ganz offensichtlich, dass die
rechtliche Ableitung fragwürdig ist; es wird ja das wie-
der aufgenommen, was Sie bei OEF – aus meiner Sicht
zu Recht – kritisiert haben. Der Kollege Hoyer hat im
Jahre 2007, als wir hier im Deutschen Bundestag da-
rüber diskutiert haben, zum Beispiel gesagt: Wir müssen
aufpassen, dass wir in den Mandaten nicht immer das
Selbstverteidigungsrecht anführen. Denn damit machen
wir es wertlos.
Genau dieses Argument haben Sie aber in die Debatte
eingeführt, und das ist auch einer der Gründe, warum wir
diesem Mandat nicht zustimmen können.
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Gestern haben wir im Ausschuss – das war, glaube
ch, auch für Sie sehr überraschend, Herr Bundesaußen-
inister – eine sehr lange Debatte über dieses Mandat
eführt. Ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie diese De-
atte mit uns geführt haben. Es hat mich aber gewundert,
ass Sie plötzlich die Resolution 1943 des Sicherheits-
ats wieder so massiv in die Debatte eingeführt haben.
ie findet sich in Ihrem Antrag sozusagen nur als Rand-
otiz auf Seite 3 ganz unten, und plötzlich wird sie zur
egitimationsgrundlage. Sie verschweigen aber, dass die
esolution des Sicherheitsrates ausdrücklich das ISAF-
andat in Afghanistan unterstützt; OEF hat auch einen
fghanischen Teil. Dass Sie diese Unklarheit auch heute
och in der Debatte zulassen, ist, finde ich, ein großer
issgriff, was diesem Mandat überhaupt nicht gerecht
ird.
Kommen wir zu den Aktivitäten. Das haben Sie uns
estern sehr eindrücklich vor Augen geführt: Seit 2004
st zwischen dem Mandat für OEF damals und diesem
andat, das Sie sozusagen als neues Mandat erfunden
aben, keine Aktivität mehr erfolgt. Sie haben keine Ein-
ätze mehr durchgeführt. Das, was Sie gemacht haben,
aren eher Transitfahrten. Wenn Sie in die Straße von
ibraltar eingefahren sind, dann haben Sie das Mandat
ozusagen umgewidmet.
Aus der Unterrichtung des Parlaments geht hervor,
ass die 16 Aktionen in letzter Zeit eben nicht mit deut-
cher Beteiligung erfolgt sind. Insofern können Sie Ihre
egründung nicht im Deutschen Bundestag vertreten.
ch finde, Sie haben wissentlich sowohl das Völkerrecht
edehnt als auch das Parlament nicht mit der notwendi-
en Mandatswahrheit und -klarheit informiert, wie es
otwendig gewesen wäre.
Kollege Spatz, Sie haben gesagt, es sei kein Problem,
ass ein Personaleinsatz von 700 Soldatinnen und Solda-
en gefordert wird; denn es seien schon früher insgesamt
00 eingesetzt worden. Ich finde, so kann man keine
olitik machen. Sie können nicht einfach sagen: OEF
asst nicht mehr. Damals hat die Personalstärke bei bei-
en Mandaten zusammen 700 betragen, und plötzlich
8640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Dr. Rolf Mützenich
)
)
werden für die Operation Active Endeavour alleine
700 Soldatinnen und Soldaten für notwendig gehalten.
Ich finde es sehr willkürlich, wie Sie dieses Vorgehen in
Ihrem Mandat beschreiben.
Ich glaube, Sie haben einfach nur abgeschrieben. Sie
haben sich keine Mühe gemacht, länger über das Mandat
nachzudenken, und Sie haben die anderen Bundestags-
fraktionen, die Sie eigentlich gerne dabei haben wollen,
nicht ausreichend mit einbezogen.
Für die FDP-Fraktion sehen Sie jetzt einen möglichen
Ausweg darin, demnächst wieder den NATO-Hut aufzu-
setzen. Warum haben Sie das nicht sofort gemacht?
Dann müssten Sie aber hier sagen, dass Sie es nicht ge-
schafft haben bzw. dass Sie diese Debatte geführt haben,
aber dass Ihnen niemand gefolgt ist. Zur Wahrheit und
Klarheit gehört auch, zuzugeben, dass Sie nicht nur kein
gutes Gesellenstück abgeliefert haben, sondern dass Sie
sich möglicherweise auch in den NATO-Gremien poli-
tisch nicht durchgesetzt haben. Ich finde, darüber müss-
ten Sie dem Deutschen Bundestag genauso Rechenschaft
ablegen, wie es auch im Hinblick auf das Völkerrecht
notwendig ist.
Angesichts der Vielzahl von Unklarheiten und Wider-
sprüchen in dem Mandat und angesichts der mangelnden
völkerrechtlichen Grundlagen müssen wir als SPD-Frak-
tion dieses Mandat ablehnen. Wir tun das aus Überzeu-
gung und haben das gestern im Auswärtigen Ausschuss
ausführlich begründet.
Herr Bundesaußenminister, ich kann Sie mit Blick auf
zukünftige Mandate nur nachdrücklich darum bitten, die
Opposition früher in diese Mandate einzubinden und mit
uns darüber zu reden, damit Sie den Konsens, den Sie
angeblich mit dem gesamten Deutschen Bundestag er-
zielen wollen, möglicherweise auch für weitere Mandate
erreichen.
Ganz herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Götzer
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Man muss vielleicht erst einmal ein paar Punkte
sachlich klarstellen, was dieses Thema angeht. Die Ope-
ration Active Endeavour stellt den gemeinsamen Beitrag
des NATO-Bündnisses als Reaktion auf terroristische
Angriffe dar. OAE erfolgt völkerrechtlich auf der Grund-
lage des Art. 51 der VN-Charta, der das naturgegebene
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sowie gegebenenfalls das direkte Vorgehen gegen Terro-
risten vor. Die deutschen Streitkräfte leisten ihren Bei-
trag im Rahmen der Lagebilderstellung und nehmen im
Bedarfsfall auch Schutzaufgaben wahr.
Auch nach der Abtrennung der Operation Active En-
deavour von der Operation Enduring Freedom sieht der
Aktionsplan nach wie vor exekutive Befugnisse sowie
die Durchsetzung mit militärischer Gewalt vor. Deshalb
stellt die Operation einen bewaffneten Einsatz im Sinne
des Parlamentsbeteiligungsgesetzes dar. Aus diesem
Grunde haben wir heute darüber abzustimmen.
In der jüngsten Vergangenheit konnten Angriffe ge-
gen den Luftverkehr vereitelt werden, da der Luftver-
kehr einer lückenlosen Überwachung unterliegt. Für den
Bereich des Seeverkehrs im Mittelmeerraum existiert ein
solches Überwachungssystem bisher nicht. Der Kollege
Schwartze hat schon zu Recht ausgeführt, dass der See-
verkehr durch die enorme Menge des Transportraums
und die verhältnismäßig ungeschützten Zugangsmög-
lichkeiten ein erhebliches Potenzial für terroristische Be-
drohung bietet. Das Mittelmeer ist darüber hinaus als
maritimes Tor zwischen Europa, Afrika und Asien für
Deutschland als größte Exportnation von enormer Be-
deutung. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Mittel-
meer als Nachschubverbindung für Terroristen genutzt
wird.
Das alles sind Gründe, die für eine Fortsetzung dieser
Operation sprechen. Dass das Mittelmeer – dieses wird
immer gern als Gegenargument angeführt – bisher nicht
Schauplatz terroristischer Aktivitäten war, spricht nicht
gegen die Richtigkeit von OAE, sondern vielmehr dafür,
dass die Operation erfolgreich ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zukünftig wird
allerdings zu prüfen sein, ob die Gewinnung von Infor-
mationen in der Region auch mit nichtmilitärischen Mit-
teln erfolgen kann und die abschreckende Präsenz durch
Kräfte anderer Organisationen gewährleistet werden
kann. Wäre dies der Fall, könnte die Aufrechterhaltung
eines spezifischen Antiterrormandats entbehrlich wer-
den. Im Rahmen einer sich ändernden Sicherheitsstruk-
tur könnte die Bündnisverteidigung im Mittelmeer in ei-
nen sogenannten Standing Defense Plan überführt
werden. Überlegungen hierzu und somit auch zu einer
Beendigung der OAE-Mission werden bekanntlich der-
zeit in der NATO angestellt.
Wesentlich für einen solchen Plan ist aber eine ausrei-
chende Informationsüberlegenheit, die den Grad der Be-
drohung kalkulierbar macht. Bis es so weit ist, ist die
Operation Active Endeavour unverzichtbar.
Deshalb werden wir dem Antrag zustimmen. Ich appel-
liere an die Opposition, dies auch zu tun.
Vielen Dank.
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Damals wie heute ist klar, dass unsere Gründe dafür
ehr unterschiedlich sind. – Der Kollege Nouripour gibt
ich gerade große Mühe, darauf hinzuweisen. – Ja, un-
ere Gründe dafür sind sehr unterschiedlich; das ist Fakt.
eider hat es nicht gereicht. CDU/CSU und FDP haben
ich durchgesetzt und erneut ein Mandat verlängert.
ber unsere unterschiedlichen Argumente sind nicht
hne Wirkung geblieben. Eine weitere Verlängerung des
EF-Einsatzes hat die Bundesregierung erst gar nicht
eantragt. Er ist nicht fortgesetzt worden. Damit ist die
eteiligung Deutschlands an dem durch die von Gerhard
chröder gestellte Vertrauensfrage herbeigeführten Anti-
erroreinsatz zu Ende. Das ist doch eine gute Nachricht.
Man muss sagen: Dieser Einsatz ist fast zu Ende.
enn wir stimmen nun über die Fortsetzung der damit
erbundenen Operation Active Endeavour ab. Die glei-
hen Argumente, die gegen OEF gegolten haben, gelten
uch gegen den Bundeswehreinsatz im Mittelmeer. Der
ollege Mützenich hat bereits darauf hingewiesen, dass
as Argument des Bündnisfalls hier nicht zieht. Ich
inde, wer A sagt, muss auch B sagen und sollte diesen
insatz beenden.
Nun sind für den aufmerksamen Zuhörer durchaus
nterschiede bei den Koalitionsfraktionen herauszuhö-
en. Das war im Ausschuss noch ein wenig deutlicher.
er Kollege Stinner hat im Prinzip argumentiert, dass
ieses Mandat unnütz ist. Der Außenminister selbst
ürde lieber heute als morgen dieses Mandat beenden.
enn das schon bei Ihnen so ist, dann können Sie von
ns, der Opposition, doch nicht im Ernst verlangen, ei-
er Fortsetzung des Mandats zuzustimmen.
8642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Stefan Liebich
)
)
Ich möchte auch in der Sache argumentieren. Wir fin-
den, dass es weiterhin nicht richtig ist, eine Blankovoll-
macht für den Einsatz von Soldaten wegen eines Terror-
anschlags von vor neun Jahren zu erteilen. Wir sind
weiterhin der Meinung, dass die Bekämpfung von Terror
bei den Ursachen beginnen muss und dass man Krimina-
lität mit polizeilichen Mitteln und Strafverfolgungsmit-
teln beantworten muss, auch international. Dass der
neunjährige Krieg gegen den Terror nicht gewonnen
wurde, erleben wir in diesen Tagen hier im abgesperrten
Reichstag wieder selbst. Deshalb wird meine Fraktion
die Fortsetzung dieses Einsatzes aus diesen Gründen
wieder ablehnen.
Der Kollege Mißfelder hatte in der ersten Lesung an-
gekündigt, dass er Missverständnisse ausräumen und
Fragen der Opposition beantworten wird. Das ist nicht
gelungen. Die Missverständnisse und Fragen sind eher
größer geworden. Der Kollege Mißfelder hatte sich zu-
dem eine breite Mehrheit für den Regierungsantrag ge-
wünscht. Auch das ist nicht gelungen. Insofern schlage
ich zum Abschluss vor, dass Sie Konsequenzen ziehen
und dass nicht nur die Opposition, sondern auch die
CDU/CSU und die FDP den Antrag der Regierung ab-
lehnen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Liebich, herzlichen Dank dafür, dass Sie mich an etwas
erinnert haben: Ich möchte den Leuten draußen, die uns
bei einem Wetter, bei dem man nicht wirklich gerne hin-
ausgeht, Tag und Nacht beschützen – das ist wirklich
keine angenehme Aufgabe –, herzlich danken. Ich
glaube, das tue ich im Namen aller hier im Hohen
Hause. Sie tun es für uns. Herzlichen Dank dafür.
Gegen diese Mission, bei der es um die Überwachung
im Mittelmeer geht, kann man eigentlich relativ wenig
sagen. Die NATO ist dort gemeinsam mit Russen und
Georgiern im Einsatz. Das ist eine Konstellation, die
politisch sehr spannend und zu begrüßen ist. Das Pro-
blem ist, dass Sie diese Mission komplett vermurksen.
Deutschland hat demnächst einen Sitz im VN-Sicher-
heitsrat. Darauf sind wir alle stolz, und darüber sind wir
glücklich.
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ch bin versucht, den Innenminister zu fragen, warum er
ns bisher verschwiegen hat, dass es Ausbildungslager
er al-Qaida gibt, die sich auf dem Grund des Mittel-
eers befinden. Das ist völlig absurd.
ie haben einfach den Text für das OEF-Mandat abge-
chrieben und nicht darüber nachgedacht, was Sie ei-
entlich tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Spatz?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8643
)
)
Nein, ich möchte endlich namentlich abstimmen.
Sie haben einen Text vorgelegt, den man der Öffent-
lichkeit nicht erklären kann. Sie haben einen Text vorge-
legt, der den Soldatinnen und Soldaten keinen Gefallen
tut. Sie haben einen Text vorgelegt, der mit dem Selbst-
verständnis eines Parlamentes, das tatsächlich über den
Einsatz der Parlamentsarmee entscheiden will, nichts zu
tun hat.
Die Mission ist aus meiner Sicht nicht falsch. Des-
halb, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bitte
ich Sie: Überlegen Sie doch einmal, ob Sie nicht der ei-
genen Regierung sagen sollten: Setzt euch auf euren Ho-
senboden und schreibt einen Mandatstext, der tatsäch-
lich etwas mit der Mission zu tun hat und der vor allem
eine völkerrechtliche Grundlage hat.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Spatz das
Wort.
Getretener Quark wird breit, nicht stark, Herr Kollege
Nouripour. Auch wenn die allgemeinen Aufgaben so
sind, wie Sie es sagen, sollten Sie dennoch nicht ver-
schweigen, dass die konkreten Aufgaben der Bundes-
wehr nicht dem entsprechen, wovon Sie reden. Im An-
trag ist nämlich von militärischer Präsenz auf See,
Aufklärung und Überwachung, Lagebildherstellung,
Kontrolle des Seeverkehrs, temporärer Führung der
Operation, Lufttransport zur Unterstützung, Nothilfe und
Eigensicherung die Rede. Sie können uns doch nicht
ernsthaft das vorwerfen, was dem allgemeinen Auftrag
zuzurechnen ist und womit die Deutschen nichts zu tun
haben.
Herr Kollege Nouripour, Sie haben das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Spatz, Sie
wissen, ich bin ein großer Bewunderer Ihrer poetischen
Künste. Herzlichen Glückwunsch! Von Ihnen möchte ich
gern noch etwas lernen. Was Sie als Parlamentarier aber
auch können sollten, ist lesen. Denn im Antrag heißt es:
Die Operation Active Endeavour hat weiterhin zum
Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, Führungs- und
Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszu-
schalten.
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as ist einfach abstrus.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
ürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Nouripour, Sie haben es eben selbst vorgelesen:
enn es terroristische Stationen am Meeresgrund des
ittelmeeres gäbe, können Sie sicher sein, dass die deut-
chen Minenabwehrkräfte und die deutschen U-Boote
iese finden würden.
Es geht darum, dass die Deutschen einen Beitrag dazu
eisten, das Lagebild zu vervollständigen. Nur so bleibt
ns das Mittelmeer als sicheres und friedliches Meer für
andel, das es für uns Europäer und für die Nordafrika-
er seit 4 000 Jahren ist, erhalten. Diesen Beitrag werden
ir Deutsche selbstverständlich leisten.
Bereits in der letzten Woche haben wir hier sowie
uch in den zuständigen Ausschüssen über den Antrag
iskutiert. Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag zu-
timmen. Er ist personell, räumlich und auftragsmäßig
ngemessen ausgestattet. Das gilt auch für das Völker-
echt. Ich füge hinzu: Herr Kollege Mützenich, es geht
elativ weit, wenn Sie von einer mangelnden völker-
echtlichen Grundlage sprechen. Mit einer solchen For-
ulierung muss man sehr vorsichtig sein. Eine mangel-
afte rechtliche Grundlage ist als völkerrechtswidrig zu
erstehen. Diesen Vorwurf werden Sie wohl kaum erhe-
en wollen. Ansonsten lade ich Sie herzlich ein, vor das
undesverfassungsgericht zu gehen und dies prüfen zu
assen. Sie werden dann eine Antwort bekommen, die
hnen nicht gefallen wird.
Der Auftrag des Mandates ist klar definiert. Es geht
arum, den internationalen Terrorismus mit angemesse-
en Mitteln zu bekämpfen. Wer, wenn nicht wir Euro-
äer, ist dafür zuständig, dies im Mittelmeer zu leisten.
ir sollten das nicht den Amerikanern überlassen. Die
atsache, dass im Mittelmeer derzeit keine akute und
ichtbare terroristische Bedrohung besteht, ist kein Be-
eg dafür, dass der Einsatz überflüssig ist. Im Gegenteil:
ollen Sie etwa warten, bis die ersten Terroristen einen
astanker gekapert haben und mit diesem nach Haifa,
8644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Jürgen Hardt
)
)
Marseille oder Neapel fahren? In einem solchen Fall
wäre das Geschrei nämlich groß. Ich bin der Meinung,
dass wir uns auf die bewährten Instrumente der Abschre-
ckung und der Militärpräsenz verlassen sollten. Ich
denke, in diesem Bereich ist das der richtige Weg.
Herr Nouripour, die Mandatsobergrenze ist intellektu-
ell überschaubar. Für Sie rechne ich es noch einmal vor:
Die Beteiligung der Deutschen Marine an einem NATO-
Einsatzverband mit einer Fregatte und einem Versorger
erfordert rund 250 Soldaten. Operieren gleichzeitig drei
deutsche Einheiten im Rahmen eines Minenabwehrver-
bands, so sind weitere 150 Soldaten erforderlich. Wenn
Sie dann noch mit AWACS Luftaufklärung betreiben
und noch ein Schiff von Wilhelmshaven in den Indi-
schen Ozean schicken, kommen Sie ziemlich genau auf
700 Soldaten. Deswegen ist die Mandatsobergrenze völ-
lig angemessen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Nouripour?
Wenn er es immer noch nicht verstanden hat, dann
bitte.
Bitte.
Ich mache es kurz, damit wir endlich zur Abstim-
mung kommen können.
Herr Kollege Hardt, ist Ihnen bekannt, dass der Einsatz-
truppenversorger auch unabhängig vom Mandat im Mit-
telmeer operiert?
Ich selbst habe an Einsätzen von Marineverbänden im
Mittelmeer teilgenommen, auf einer deutschen Fregatte.
Die hatte damals 200 Mann Besatzung. Die Schiffe sind
heute größer, die Besatzung besteht immer noch aus
200 Mann. Dabei ist in der Regel ein Betriebsstofftrans-
porter oder ein ähnliches Fahrzeug, das mit 25 bis 30,
vielleicht auch 40 oder 50 Mann besetzt ist. Das sind die
250 Mann, von denen ich gesprochen habe. Herr
Nouripour, fahren Sie einfach mal mit! Machen Sie eine
kleine Reserveübung!
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eit über einem Jahr führen wir dort endlos lange und
nsinnige Vernehmungen durch. Die Dinge sind für uns
ängst klar. Im Grunde müssten wir die Sache jetzt zügig
eenden.
Als wir am vergangenen Dienstag die sechs Aufklä-
ungstornados, die über fast vier Jahre in Afghanistan
ertvolle Arbeit für die ISAF geleistet haben, zusam-
en mit dem Bundesverteidigungsminister in Jagel wie-
er in Deutschland begrüßt haben, war kein einziger Ab-
eordneter der Grünen, der SPD oder der Linken
nwesend.
Das kann ich Ihnen sagen. Die Abgeordneten haben
ie Tornados dorthin geschickt, und deswegen war es
ut, dass wir gemeinsam mit dem Minister in Jagel ge-
esen sind und sie begrüßt haben, als sie zurück in
eutschland waren.
Ich glaube, dass in diesem Land für eine dritte Nein-
ager-Partei – so gibt sich die SPD im Augenblick – kein
latz ist. Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass die
ürgerinnen und Bürger von der SPD eine verantwor-
ungsvolle Außen- und Verteidigungspolitik im Stile von
illy Brandt, Helmut Schmidt, Hans Apel und Schorsch
eber erwarten und nicht das, was im Augenblick hier
eboten wird.
Herr Kollege Hardt, der Herr Arnold möchte gern
ine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie die?
Also keine Zwischenfrage.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8645
)
)
Ich komme zum Schluss. Die CDU/CSU wird dem
Antrag zustimmen. Jeder ist herzlich eingeladen, das
auch zu tun – im Interesse der Soldatinnen und Soldaten,
die dort den Einsatz leisten.
Danke schön.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Arnold das
Wort.
Da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Was wir hier
erlebt haben, ist die Aufkündigung des eigentlich vor-
handenen Grundkonsenses in der Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik,
und das ist für uns ein sehr ernstes Thema. Herr Kollege,
ich begründe das in zwei Punkten:
Erstens. Sie werfen Parlamentariern vor, dass sie
nicht die Tornado-Piloten in Empfang nehmen. Tatsache
ist: Sie haben sie deshalb nicht in Empfang genommen,
weil sie an diesem Dienstag ihre parlamentarischen
Pflichten hier im Deutschen Bundestag zu erfüllen hat-
ten.
Es stellt sich doch eine ganz andere Frage, nämlich: Will
diese Regierung, dass Parlamentarier an solchen Veran-
staltungen in der Breite teilnehmen? Wenn ja, dann muss
sie Termine finden, die nicht mit unserem Geschäft hier
kollidieren. Dann sind wir dabei. Wir lassen uns von Ih-
nen überhaupt nichts nachsagen. Wir haben unsere Aner-
kennung für Soldaten an vielen symbolischen Stellen
immer wieder, auch was die Personen angeht, deutlich
gemacht. Was Sie sagen, ist völlig inakzeptabel.
Zweitens. Sie sagen, Sozialdemokraten verabschiede-
ten sich von ihrer Verantwortung.
Das ist falsch. Wenn die Regierung will, dass eine Oppo-
sitionspartei sich der Verantwortung stellt und gemäß
dem Grundkonsens in der Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik handelt – wir haben immer gesagt, dass wir
das tun; Sie merken an der Seriosität unserer Debatten
im Verteidigungsausschuss, dass sich das auch im Alltag
widerspiegelt –, wenn die Regierung dies also bewahren
will, dann lautet die Anforderung, die auch heute wieder
formuliert wurde, dass die Regierung im Vorfeld von
Mandatsentscheidungen den Dialog mit der Opposition
sucht. Das ist wirklich notwendig für den Grundkonsens.
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weitens. Die Verteidigungspolitiker der CDU/CSU und
er FDP haben ihre Arbeitsgruppensitzung eben am
ienstagabend nach den Fraktionssitzungen abgehalten,
amit sie am Dienstagmorgen dabei sein konnten. Ich
and das keine unzumutbare oder sehr komplizierte Um-
tellung des normalen Ablaufplans.
enn Sie allerdings mit Ihrer Wortmeldung deutlich ma-
hen wollen, dass Sie in Zukunft auf dem Weg der Bes-
erung sind, was das Verhältnis zwischen SPD und Bun-
eswehr angeht, bin ich im Interesse der Soldaten froh
arüber.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
mpfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
rag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes
ewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung
er gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe
egen die USA, Operation Active Endeavour im Mittel-
eer.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
ung auf Drucksache 17/4050, den Antrag der Bundesre-
ierung auf Drucksache 17/3690 anzunehmen. Über
iese Beschlussempfehlung stimmen wir namentlich ab.
ch bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
orgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind an allen Ur-
8646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
)
)
nen die Plätze besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne
ich die Abstimmung.
Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die
ihre Stimmkarte nicht abgegeben haben? – Das ist nicht
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, auszuzählen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei
Vertragsabschlüssen im Internet
– Drucksache 17/2409 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/3588 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder
Stephan Thomae
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger
Interfraktionell wurde vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Damit sind Sie einverstanden. Es sind die Reden folgen-
der Kolleginnen und Kollegen: Marco Wanderwitz,
Mechthild Heil, Marianne Schieder, Elvira Drobinski-
Weiß, Stephan Thomae, Dr. Erik Schweickert, Caren
Lay und Ingrid Hönlinger.2)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/3588, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/2409 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Den Frieden befördern – Politische Gefangene
in Israel freilassen
– Drucksache 17/3545 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie, wie ich sehe, einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Christine Buchholz für die Frak-
tion Die Linke.
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1) Ergebnis Seite 8648 D
2) Anlage 8
ie Bewohner dürfen nichts ernten, nicht ihre Bäume
flegen. Die Proteste bestehen in wöchentlichen friedli-
hen Prozessionen der Dorfbewohner zu ihren Bäumen.
Ibrahim Amireh wurde im unterirdischen Trakt eines
sraelischen Militärgefängnisses eingesperrt und dort ge-
chlagen. Dann wurde er in ein Freiluftlager in der
üste verlegt. Dort wird es tagsüber unerträglich heiß,
achts unerträglich kalt. Seine Familie muss Geld sam-
eln, damit er dort Wasser und Nahrung kaufen kann.
ie Armee verweigert ihm Medikamente zur Behand-
ung seines Herzleidens. Ibrahim Amireh ist nur einer
on über 160 Menschen, die die Armee seit 2008 allein
n diesem Dorf verhaftet hat.
Die Hohe Vertreterin der Außen- und Sicherheitspoli-
ik der EU, Catherine Ashton, wies kürzlich darauf hin,
ass die Verhaftung politischer Aktivisten dazu diene,
alästinenser von ihrem legitimen Recht auf Protest ab-
uhalten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8647
Christine Buchholz
)
)
Die Linke fordert die Freilassung der politischen Ge-
fangenen in Israel, die Aufhebung der militärischen Son-
dergerichtsbarkeit und die Abschaffung der Administra-
tivhaft.
Die Linke fordert die israelische Regierung auf, die
Menschenrechte der Gefangenen bis zu ihrer Freilassung
zu respektieren. Das gilt insbesondere für die 691 Gefan-
genen aus dem Gazastreifen, denen seit Juni 2007 jegli-
cher Familienbesuch verweigert wird.
Ich bitte Sie, die Abgeordneten der anderen Fraktio-
nen, unserem Antrag zuzustimmen, um ein Zeichen für
die Wahrung der Menschenrechte zu setzen und damit
einen Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit in Nahost zu
leisten.
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Philipp Mißfelder.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Buchholz, Ihr Antrag
fügt sich in den Rahmen einer Debatte ein, die wir erst
kürzlich hier erlebt haben, nämlich in die um die Freilas-
sung von Gilad Schalit. Gilad Schalit ist ein junger israe-
lischer Soldat, der im Zuge des Gaza-Konfliktes entführt
worden ist, dessen Eltern diese Woche vom Bundesprä-
sidenten Christian Wulff besucht worden sind und des-
sen Schicksal in der israelischen Gesellschaft mit gro-
ßem Bangen verfolgt wird.
Ich erwähne das deshalb, weil in der Debatte damals
Ihr Fraktionsvorsitzender hier theatralisch gesagt hat, er
plädiere für die bedingungslose Freilassung von Gilad
Schalit.
Ich habe den Eindruck, dass das in Ihrer Fraktion nicht
ganz bedingungslos abgelaufen ist
und dass Sie deshalb diesen eigenen Antrag eingebracht
haben. Denn ich glaube, dass Sie einen Kuhhandel inner-
halb Ihrer Fraktion gemacht haben,
dass Sie nämlich für die Freilassung Gilad Schalits stim-
men, um dann die Stimmen in Ihrer eigenen Fraktion für
diesen Antrag zu bekommen, den Sie quasi aus dem
Nichts eingebracht haben. Anders kann ich mir nicht er-
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Sie haben in Ihrer Rede so getan, als seien alle 6 180
efangenen nach der gängigen Definition von politi-
chen Gefangenen, wie wir sie hier auch in anderen
enschenrechtsdiskussionen anwenden, auch wirklich
olitische Gefangene. Das ist nicht so. Von den 6 180
efangenen sind viele Terroristen, und von vielen geht
ine akute Gefahr für Israel und für das Existenzrecht Is-
aels aus.
Sie haben nicht unrecht, dass in Israel in manchen
ällen nicht nach unseren rechtlichen Maßstäben vorge-
angen wird. Das ist uns allen bewusst. Im Übrigen
pielt das in unseren bilateralen Kontakten zu Israel im-
er eine sehr große Rolle. Aber hier im Deutschen Bun-
estag so zu tun, als würde es sich bei einem Großteil
er Gefangenen um solche handeln, denen dort – wahr-
cheinlich sogar auch noch vorsätzlich – Unrecht getan
ird, halte ich doch für falsch. Denn an dieser Stelle
eht es um die Schutzinteressen Israels,
ie durch die Administrativhaft auch durchaus gewähr-
eistet werden. Nun darf man sich doch nicht einbilden,
en rechtlichen Rahmen, den wir uns für Israel und den
esamten Nahen Osten, im Übrigen auch für die Länder
m Israel herum, wünschen und den wir hier in Deutsch-
and haben, automatisch eins zu eins auf die israelische
ituation übertragen zu können. Wir kämpfen dafür, dass
ie Menschenrechte in Israel gewährleistet werden.
ir werben dafür. In Gesprächen, in denen wir mit Ent-
cheidungsträgern Israels zusammen sind, ist dies ein
unkt, der – durchaus auch an unangenehmer Stelle – an-
esprochen wird. Aber es ist trotzdem so, dass Sie auch
ie existenzielle Bedrohung Israels zur Kenntnis nehmen
üssen. Davon haben Sie nichts, aber auch rein gar nichts
ier in Ihrer Rede gesagt.
as ist auch der Rahmen, in dem sich diese Diskussion
bspielt.
Vergleichen Sie doch einmal unsere Gesellschaft mit
er israelischen. Es gibt durchaus soziologische Mög-
ichkeiten, das gut miteinander zu vergleichen. Sie müs-
en sich einmal fragen, wie die Menschenrechtssituation
8648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Philipp Mißfelder
(C)
)
in unserem Land wäre, wenn Sie diese Gefährdungssi-
tuation, wie sie Israel tagtäglich hat, in Deutschland hät-
ten.
Deshalb werbe ich zwar dafür, die Maßstäbe, die wir
hier bei uns haben, auch für Israel anzulegen – selbstver-
ständlich –,
aber eine Vorverurteilung Israels und auch Pauschalisie-
rungen lasse ich an dieser Stelle nicht zu, sondern weise
sie entschieden zurück.
Zum Nahostkonflikt haben Sie nichts gesagt. Wir
wünschen uns Frieden. Dazu gehört einerseits, dass alle
Seiten zu Gesprächen und zu Zugeständnissen bereit
sind,
und andererseits ein genereller Verzicht auf Terror und
Gewalt. Dazu ist die Hamas, der ein großer Teil der Ge-
fangenen angehört bzw. nahesteht, nicht bereit. Die Ha-
mas ist nicht bereit, der Gewalt abzuschwören, und die
Hamas ist nicht bereit, das Existenzrecht Israels auch nur
im Ansatz anzuerkennen.
– Nein, das ist kein Grund, Menschenrechte zu ignorie-
ren. Ich weiß nicht, ob Sie persönlich schon einmal in Is-
rael waren, aber ich weiß, dass zumindest Kollegen von
Ihnen schon dort waren. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
dass in Israel sehr engagiert über dieses Thema diskutiert
wird. Es ist aber nicht Aufgabe des Deutschen Bundes-
tages, Israel hier im Rahmen einer Debatte an den Pran-
ger zu stellen und so zu tun, als sei die israelische
Gesellschaft per se gegen die Verwirklichung von Men-
schenrechten. Das ist nicht so.
Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Selbst
wenn sie an dieser Stelle Defizite hat,
die angesprochen gehören, weigere ich mich, eine Pau-
schalverurteilung vorzunehmen.
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Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 557;
davon
ja: 308
nein: 249
Ja
CDU/CSU
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
Manfred Behrens
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
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atherina Reiche
othar Riebsamen
osef Rief
laus Riegert
r. Heinz Riesenhuber
ohannes Röring
r. Christian Ruck
rwin Rüddel
lbert Rupprecht
nita Schäfer
r. Wolfgang Schäuble
r. Andreas Scheuer
arl Schiewerling
orbert Schindler
ankred Schipanski
eorg Schirmbeck
hristian Schmidt
atrick Schnieder
r. Ole Schröder
ernhard Schulte-Drüggelte
we Schummer
etlef Seif
ohannes Selle
einhold Sendker
r. Patrick Sensburg
ernd Siebert
homas Silberhorn
ohannes Singhammer
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Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner
Michael Link
Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Dr. Max Stadler
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel
Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff
Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen
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grid Arndt-Brauer
ainer Arnold
einz-Joachim Barchmann
r. Hans-Peter Bartels
laus Barthel
ören Bartol
ärbel Bas
irk Becker
we Beckmeyer
othar Binding
erd Bollmann
laus Brandner
illi Brase
ernhard Brinkmann
delgard Bulmahn
lla Burchardt
artin Burkert
etra Crone
r. Peter Danckert
artin Dörmann
lvira Drobinski-Weiß
arrelt Duin
ebastian Edathy
iegmund Ehrmann
r. h. c. Gernot Erler
etra Ernstberger
arin Evers-Meyer
abriele Fograscher
r. Edgar Franke
agmar Freitag
eter Friedrich
igmar Gabriel
artin Gerster
is Gleicke
lrike Gottschalck
ngelika Graf
erstin Griese
ichael Groschek
ichael Groß
olfgang Gunkel
ans-Joachim Hacker
ettina Hagedorn
laus Hagemann
ichael Hartmann
ubertus Heil
olf Hempelmann
r. Barbara Hendricks
ustav Herzog
abriele Hiller-Ohm
etra Hinz
rank Hofmann
hristel Humme
osip Juratovic
liver Kaczmarek
ohannes Kahrs
r. h. c. Susanne Kastner
lrich Kelber
ars Klingbeil
r. Bärbel Kofler
aniela Kolbe
ritz Rudolf Körper
nette Kramme
icolette Kressl
ngelika Krüger-Leißner
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r. Karl Lauterbach
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abriele Lösekrug-Möller
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llrich Meßmer
r. Matthias Miersch
ranz Müntefering
r. Rolf Mützenich
ietmar Nietan
anfred Nink
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ohannes Pflug
oachim Poß
r. Wilhelm Priesmeier
r. Sascha Raabe
echthild Rawert
erold Reichenbach
r. Carola Reimann
önke Rix
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r. Ernst Dieter Rossmann
arin Roth
ichael Roth
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arianne Schieder
erner Schieder
lla Schmidt
ilvia Schmidt
arsten Schneider
wen Schulz
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r. Martin Schwanholz
olf Schwanitz
tefan Schwartze
ita Schwarzelühr-Sutter
r. Carsten Sieling
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r. Frank-Walter Steinmeier
hristoph Strässer
r. h. c. Wolfgang Thierse
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r. Marlies Volkmer
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r. Dieter Wiefelspütz
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machen, ist, dass beide Dinge in den Blick genommen
Israel Frieden in den Grenzen von 1967 garantieren. Das
ist ein wichtiger Aspekt.
werden müssen. Dort gibt es z
nensische Menschenrechtsorga
sich sowohl um die in Israel ein
fangenen kümmert, aber gleich
tischen Gefangenen in Palästi
darüber, was sowohl bei der Ha
tah passiert ist, nämlich dass es
fangene gibt. Wenn man scho
Thema für eine politische D
sinnvoll ist und mit der versuch
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auch wir –, dann hätte man di
chen sollen. Ich finde, an dies
Chance vertan.
um Beispiel die palästi-
nisation Addameer, die
sitzenden politischen Ge-
zeitig auch über die poli-
na spricht, insbesondere
mas als auch bei der Fa-
dort auch politische Ge-
n versucht, ein solches
ebatte aufzubringen, die
t wird, auf beiden Seiten
s wollen Sie, das wollen
eses Thema auch anspre-
er Stelle haben Sie eine
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Wir müssen zur Kenntnis ne
ogar innerhalb der Hamas eine
nija gesagt, auch die Ha-
Volksabstimmung der pa-
rlangten Votum beugen,
das Existenzrecht Israels
e. Ich finde, diese Debat-
che Politik, die deutsche
tik im Nahen und Mittle-
. Deswegen bin ich der
r, dass sie mit anderen
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Ute Koczy
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth
Monika Lazar
Agnes Malczak
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Nun setzen wir die Debatte fort. Der nächste Redner
ist der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Frak-
tion.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! In der Tat wird mit dem Antrag ein richtiges An-
liegen und ein Punkt angesprochen, mit dem man sich in
demokratischen Rechtsstaaten wird auseinandersetzen
müssen und auch dürfen. Insbesondere ist es wichtig,
dass internationale Organisationen, auch die Vereinten
Nationen, das getan haben. Deswegen fordern auch wir,
die SPD-Bundestagsfraktion, dass die Genfer Konven-
tion beachtet wird, der Zugang des Roten Kreuzes zu
den Gefängnissen gewährleistet wird und die Möglich-
keiten, die den Vereinten Nationen in dieser Situation
zur Verfügung stehen, genutzt werden.
Auf der anderen Seite muss ich Ihnen sagen – ich will
versuchen, das ruhig zu tun –, dass ich glaube, dass Ihr
Antrag durchaus auch im Zusammenhang mit Ihrem Ab-
stimmungsverhalten bezüglich der Freilassung von
Schalit steht. Das wissen Sie, und das werden Sie nicht
in Abrede stellen können. In Ihrem Antrag, in dem es um
politische Gefangene geht, zeichnen Sie ein sehr einsei-
tiges Bild von Israel, aber auch von Palästina.
Was Nichtregierungsorganisationen, insbesondere pa-
lästinensische Nichtregierungsorganisationen, Ihnen vor-
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Partnern innerhalb der Europäischen Union genau das
kritisiert, was von Israel immer wieder als Friedenshin-
dernis in den Weg gestellt wird, nämlich der Siedlungs-
bau. Genau dieser Punkt gehört mit dazu. Dazu gehört
auch der Mut – darin unterstützen wir Sie –, dass das im-
mer wieder angesprochen wird.
Die Reise des Bundesaußenministers in den Gaza-
streifen ist richtig gewesen. Dennoch werden wir nicht
umhinkommen, Frau Staatsministerin, dass Sie dem
deutschen Parlament gegenüber zumindest andeuten
müssen, was aus diesem Besuch erfolgt; denn das Pro-
blem ist doch, was die Nichtregierungsorganisationen in
ihrem gemeinsamen Bericht über die Situation im Ga-
zastreifen berichtet haben. Die humanitäre Situation ist
weiterhin eine Katastrophe.
Deswegen muss der Boykott, muss die Blockade gegen-
über dem Gazastreifen aufgehoben werden. Genau das
gehört zu einer realistischen Politik, die auch hier eine
Rolle hätte spielen müssen.
Kollege Mißfelder, der Bundespräsident hat in der Tat
die richtigen Worte gefunden. Ich finde es auch richtig,
dass er die Angehörigen von Schalit besucht hat. Ich
glaube, das war auch in unser aller Namen. Schließlich
haben wir hier im Bundestag gemeinsam einen Antrag
beschlossen, in dem die Freilassung des Soldaten Schalit
gefordert wird. Die Botschaften waren also richtig.
Wir hier im Deutschen Bundestag und, ich glaube,
insbesondere die europäischen Regierungen sind jetzt
stärker gefordert. Nach den Kongresswahlen in den USA
– die Befürchtungen sind offensichtlich Realität gewor-
den – haben der amerikanische Präsident und die ameri-
kanische Außenministerin nicht mehr die Unterstützung
für eine Friedensinitiative für den Nahen und den Mittle-
ren Osten. Möglicherweise müssen sie nun von der
Europäischen Union – auch von der deutschen Außen-
politik – stärker unterstützt werden. Sie hätten die Unter-
stützung der SPD-Bundestagsfraktion und, ich glaube,
des gesamten Hauses.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Stinner
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne jeden Zweifel ist die Menschenrechtssituation im
Nahen Osten für uns alle besorgniserregend. Das ist gar
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ort werden tagtäglich Menschenrechtsverletzungen
rößeren Ausmaßes begangen.
Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
inken, es fehlt Ihnen an Verständnis – vielleicht sind
ie persönlich zu wenig in Israel gewesen –: Der Kern
es Denkens jedes einzelnen Israelis ist primär nur von
inem Thema, dem Thema Sicherheit, geprägt. Das ist
erständlich. Noch heute fliegen Raketen auf israelische
äuser, und Menschen werden verletzt. Jahrelang muss-
en israelische Bürger fürchten, dass ihr Sitznachbar im
us eine Bombe am Leibe trägt.
ch erinnere Sie an das – ich sage das jetzt einmal so,
iebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – dra-
atische Erlebnis von Herrn Fischer, in dessen Nähe, als
r in Jerusalem war, eine Bombe hochgegangen ist.
urch so ein Erlebnis wacht man richtig auf. Ich hatte
in solches Erlebnis nicht, aber eine Bombe ist dort ex-
lodiert, wo ich eine Woche zuvor war. Dieses Urver-
tändnis über die Sicherheit Israels müssen wir immer
m Sinn behalten, wenn wir über Israel richten und rech-
en.
Herr Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischen-
rage der Kollegin Hänsel?
Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen; sonst
erne, aber zu diesem Zeitpunkt heute Abend nicht
ehr.
Es gibt, wie gesagt, problematische Menschenrechts-
ituationen. Diese müssen wir an diesem Urverständnis
sraels spiegeln. Ich darf Ihnen sagen, liebe Kollegin von
en Linken: Frau Groth hatte eine Anfrage an die Bun-
esregierung gestellt. Die Regierung hat Ihnen, Frau
roth, am 4. November dieses Jahres geantwortet und
rklärt, was genau sie tut und dass – das hat auch Herr
ißfelder gesagt – wir als Bundesregierung, als deut-
ches Parlament sehr kritisch betrachten, was hinsicht-
ich der Menschenrechte dort passiert. Jawohl, wir sagen
as auch hier ganz offen: In Israel sind einige Dinge pas-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8653
Dr. Rainer Stinner
)
)
siert und passieren noch, die unseren hundertprozentigen
Maßstäben nicht entsprechen. Das sprechen wir deutlich
an.
Ich glaube, wir wollen und werden nicht so weit ge-
hen, wie Sie das in Ihrem Antrag vorschlagen. In diesem
wird kursorisch die Freilassung sämtlicher politischer
Gefangener gefordert. Nun stellt sich die Frage, was
politische Gefangene eigentlich sind. Nach meinem Ver-
ständnis sind politische Gefangene solche Gefangene,
die ausschließlich aufgrund ihrer politischen Äußerun-
gen in Haft genommen werden. Viele der Gefangenen,
um die es sich hier handelt, waren politisch aktiv, haben
aber auch andere Dinge getan, die weiß Gott über nor-
male politische Streitigkeiten hinausgehen, zum Beispiel
das Werfen von Steinen. Das mag ja für manche Aus-
druck einer bestimmten kulturellen Einstellung sein, für
mich ist es jedenfalls nicht Folklore, sondern durchaus
ein Verbrechen, das entsprechend geahndet werden
sollte.
Von daher glaube ich, dass wir uns Ihrer pauschalen
Forderung zu Recht nicht anschließen. Sehr wohl weist
die Bundesregierung, weist die Europäische Union auf
problematische Situationen hin. Man arbeitet daran. Der
Dialog wird ständig gesucht. Das wissen wir, und das
wissen auch Sie. Wir haben es Ihnen, falls Sie es noch
nicht wussten, am 4. November durch die Bundesregie-
rung nochmals sehr deutlich bestätigen lassen.
Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage in Tei-
len Israels hat sich zum Glück verbessert. Auch die Si-
cherheitslage in der Westbank wird Schritt für Schritt et-
was besser. Dort geschieht nämlich etwas, das bei uns zu
wenig beachtet wird: Israelische und palästinensische Si-
cherheitsbehörden arbeiten in der Westbank vertrauens-
voll – ich nehme dieses Wort bewusst in den Mund – zu-
sammen, um dafür zu sorgen, dass keine weiteren
Bomben explodieren, keine weiteren Attentate verübt
werden etc. Das ist im Interesse Israels und, wie sich
zeigt, auch im wohlverstandenen Interesse der Palästi-
nenser.
Die Palästinenser, jedenfalls die vernünftigen, wissen
genau, dass sie ihrem Ziel der Eigenstaatlichkeit, das wir
unterstützen, nur näher kommen können, wenn sie selbst
dafür sorgen, dass in ihren Reihen keine Verbrechen be-
gangen und Bombenattentate verfolgt und geahndet und
die Attentäter abgeurteilt werden. Darum geht es.
Wir können Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir be-
trachten die Situation in Israel durchaus kritisch. Aber
wir wissen, dass Israel in einer Lage ist, in der sich kein
anderes Land der Welt befindet. Es steht immer noch die
Drohung im Raume, dieses Volk, das über 2 000 Jahre
geschunden wurde und gelitten hat, grundsätzlich zu
vernichten. Auf diese Sondersituation wollen wir Rück-
sicht nehmen.
– Das mag für Sie dramatisch klingen. Ich sage: Die Si-
tuation ist nicht so, wie ich sie gerne hätte. Wenn es Ih-
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
a wir heute Abend die Gelegenheit haben, über dieses
hema zu diskutieren, will ich, bevor ich zum Antrag
er Linken komme, kurz auf die aktuellen Entwicklun-
en in Nahost eingehen. Herr Mützenich hat schon er-
ähnt: Aktuellen Tickermeldungen zufolge haben die
alästinenser erklärt, für sie sei der Friedensprozess ge-
torben, weil es keine Verlängerung des Siedlungsmora-
oriums gibt.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Es wäre
ehr bedauerlich, wenn es tatsächlich zu einem Ende der
erade erst begonnenen direkten Gespräche kommen
ürde. Ich möchte an beide Seiten appellieren: Setzen
ie diese Gespräche fort! Sie liegen nicht nur in Ihrem
igenen Interesse, sondern auch im internationalen Inte-
esse. Meine Bitte und Aufforderung an die israelische
eite lautet: Eine Verlängerung des Siedlungsmoratori-
ms muss doch, zumindest solange diese Gespräche an-
auern, möglich sein. Alles andere wäre im Hinblick auf
en Friedensprozess wirklich hinderlich. Man muss auch
ie Position der anderen Seite verstehen. Ich kann mir
ur wünschen, dass es zu einer Fortsetzung dieser Ge-
präche kommt.
Der Konflikt im Nahen Osten hat uns in diesem Jahr
chon öfter beschäftigt. Es ist uns im Deutschen Bundes-
ag nicht nur gelungen, konstruktive Debatten über die-
es Thema zu führen, sondern wir haben gemeinsam
uch substanzielle Beschlüsse gefasst, sowohl zur Auf-
ebung der Gaza-Blockade als auch zur Freilassung von
ilad Schalit. Ich glaube – das entspricht auch den
ückmeldungen, die wir bekommen –, damit haben wir
ls Deutscher Bundestag ein starkes Zeichen gesetzt, so-
ohl in Richtung internationaler Gemeinschaft als auch
n die Adresse der Konfliktparteien.
Ich bedaure allerdings, dass die entsprechenden An-
räge nicht von allen Fraktionen gemeinsam eingebracht
erden konnten; das will ich an dieser Stelle sagen.
eute zum Beispiel haben wir wieder einmal über einen
nterfraktionellen Antrag zur Verbesserung der Men-
8654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
Kerstin Müller
)
)
schenrechtslage im Iran diskutiert. Ich möchte, da bald
Weihnachtspause ist, vor allen Dingen an die CDU/
CSU-Fraktion appellieren: Denken Sie doch einmal da-
rüber nach! Es bringt nichts, die Linke pauschal unter
Quarantäne zu stellen. Es ist doch besser, eine Auseinan-
dersetzung in der Sache zu führen und konkret zu sagen:
Dem stimmen wir zu, dem nicht. – Und wenn wir bei ei-
nem außenpolitischen Thema Übereinstimmung erzielt
haben, wäre es ein noch stärkeres Signal, wenn wir bei
entsprechenden Anträgen auch gemeinsam abstimmen
würden. Sie, meine Damen und Herren von den Linken,
haben mit Ihrem Antrag zur Lage der palästinensischen
Gefangenen in Israel ein wichtiges Thema aufgesetzt.
Auch ich meine, wir dürfen die Augen nicht davor ver-
schließen, dass heute über 200 Personen in Israel in die-
ser sogenannten Administrativhaft einsitzen. Die palästi-
nensische Menschenrechtsorganisation Addameer – Herr
Mützenich hat sie erwähnt – beziffert die Zahl auf 212
im Oktober dieses Jahres.
Administrativhaft – das kritisieren wir auch an ande-
rer Stelle, bei anderen Ländern – heißt, eine Person kann
auf der Basis der vagen Annahme, sie stelle ein Sicher-
heitsrisiko dar, festgenommen und eingesperrt werden –
monatelang, ohne Verfahren, ohne dass Verteidiger aus-
reichend Informationen über den Anklagegrund erhal-
ten.
Ich will zu dieser Frage für meine Fraktion ganz klar
sagen: Das ist mit unseren Vorstellungen von Rechtsstaat
und Menschenrechten nicht vereinbar. Ich sage auch
sehr deutlich: Das muss man kritisieren, ganz besonders,
wenn auch Minderjährige Opfer einer solchen Praxis
werden. Wir tun das; denn Menschenrechte sind unteil-
bar, und sie sind für alle verbindlich.
Es gibt allerdings einen Unterschied, ob diese Admi-
nistrativhaft in Israel angewendet wird oder etwa in
China. In Israel haben wir es mit einer Demokratie zu
tun, und zwar mit einer sehr lebendigen, und wir haben
es mit einem gut funktionierenden Rechtsstaat zu tun,
Frau Buchholz. Deshalb meine auch ich, dass Israel sol-
che Verfahren eigentlich nicht nötig hat. Wir jedenfalls
haben die Erwartung, dass diese rechtsstaatlichen Prinzi-
pien auch gegenüber den Palästinensern eingehalten
werden.
Ich will aber trotzdem zu Ihrem Antrag sagen, dass
der Duktus den Eindruck erweckt, dass sie ihn quasi als
Antwort auf den Beschluss zur Befreiung von Gilad
Schalit hier als Kontrapunkt setzen. Das finde ich völlig
falsch. Denn ich finde, beide Sachen müssen für sich be-
trachtet werden.
– Jetzt hören Sie an der Stelle mal zu! –
Ich finde auch nicht, dass wir dann, wenn wir – wie Sie
schreiben – den Frieden fördern wollen, eine aufrech-
nende Logik des „Auge um Auge“ zugrunde legen soll-
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Doch, so liest sich Ihr Antrag. –
Frau Kollegin, denken Sie an die Redezeit, bitte.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
– Da steht: „Ebenso wie … fordern wir die Freilas-
ung der palästinensischen Gefangenen.“ Das führt mei-
er Meinung nach nicht zum Frieden, das führt nicht
eiter. Gilad Schalit ist kein politischer Gefangener. Wir
ordern seine Freilassung unabhängig davon, ob auch
alästinensische Gefangene freigelassen werden. Des-
alb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten.
Letzter Redner ist nun der Kollege Michael Frieser
ür die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Gerade im Kontext des heutigen Tages mit einer
anzen Reihe von namentlichen Abstimmungen, die mit
em Thema „Frieden in der Welt“ und der Frage „Wie
ann unser Beitrag zu einer Befriedung aussehen?“ zu
un hatten – niemand hier in diesem Haus hat es sich bei
en namentlichen Abstimmungen leicht gemacht –,
ommt Ihr Antrag mit dem sehr problematischen Titel
Den Frieden befördern“ wie ein Kanonenschlag daher.
lles andere ist leider Gottes der Fall.
Ich glaube, wir haben schon einiges gehört. Der
rößte Fehler, der sich hinter diesem Antrag der Linken
erbirgt, ist sicherlich das Simplifizieren des Sachver-
altes. Es geht immer um das ganz Schräge, um den Ver-
uch, es möglichst irgendwie zu verschleiern.
ie scheren höchst unterschiedliche Dinge und absolut
icht mehr zu vergleichende Einzeltaten einfach über ei-
en – in diesem Zusammenhang leider Gottes – sehr gro-
en Kamm. Das bedeutet am Ende, dass man, glaube
ch, niemandem mehr gerecht wird. Sie werden demjeni-
en, der wirklich in erster Linie aus politischen Motiven
n Israel inhaftiert wird, nicht gerecht, weil er gleichge-
tellt wird mit demjenigen, bei dem man, was das Exis-
enzrecht anbetrifft, wirklich Sorge haben muss. Es wer-
en alle über einen Kamm geschoren. Ich glaube, dass
ir anhand dieses Antrags deutlich machen können – er
st der Beweis –, dass es gar kein wirkliches Interesse
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8655
Michael Frieser
)
)
gibt, diesen Frieden in irgendeiner Art und Weise zu be-
fördern.
Es kommt kein Wort zum Existenzrecht des Staates
Israel vor. Es geht mit keinem Wort um Sicherheitsinte-
ressen.
Es geht mit keinem Wort um die Tatsache, dass es auch
um die Freilassung von Menschen geht, die nicht zu ver-
nachlässigende Straftaten mit einem vielleicht sogar ter-
roristischen Hintergrund begangen haben. So können wir
dieses Thema sicherlich nicht angehen.
Ich glaube, dass es ein Hohn wäre, wenn wir dem An-
trag mit dem Titel „Den Frieden befördern – Politische
Gefangene in Israel freilassen“ zustimmen und damit et-
was beantragen würden, wodurch der Frieden in diesem
Landstrich gefährdet würde, nämlich das Freilassen von
Menschen, die am nächsten Tag wieder gegen den Staat
Israel vorgehen könnten.
Ich glaube, mit diesem Antrag befördern Sie nicht den
Frieden, sondern Sie befördern damit allenfalls die deut-
sche Außenpolitik ins Abseits. Das ist das Einzige, was
damit erreicht wird. Davon kann WikiLeaks nur träu-
men. Ich muss aber ehrlich sagen: Dass damit eine sol-
che Katastrophe vorbereitet werden könnte, ist vielleicht
genau die Absicht, die hinter diesem Antrag steht.
Dieser Verdacht bleibt zumindest bestehen.
Wir haben in unserem Antrag zu den Ereignissen um
die Gaza-Flottille, den wir gemeinschaftlich vorbereitet
haben, darauf hingewiesen, dass es eben auch darum
geht, einen Gefangenenaustausch vorzubereiten. Auch
das ist schon angesprochen worden. Ich glaube, die is-
raelische Regierung steht in dieser Hinsicht mehr als un-
ter Druck.
Geradezu infam ist es natürlich, dass Sie im Andeu-
tungsstil unterstellen – „nach Einschätzung mehrerer
Menschenrechtsorganisationen“ –, dass es zu Menschen-
rechtsverletzungen gekommen ist, und dass Sie dazu
auffordern, dass Menschenrechtsverletzungen unterblei-
ben sollen. Hier wird alles über einen Kamm geschoren.
Es wird quasi gesagt, Folter sei an der Tagesordnung,
und es wird suggeriert, dass man in übersteigerter Form
als Mahner auftritt. Ich glaube, auch an dieser Stelle
muss man sagen, dass Israel das einzige nach unseren
Maßstäben vorhandene rechtsstaatliche Prinzip immer
noch tatsächlich durchsetzen kann und dass es die Mög-
lichkeit gibt, dort auch rechtsstaatlich zu arbeiten und
sich zur Wehr zu setzen;
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ielleicht nicht ausreichend in jedem Fall, aber diese
öglichkeit besteht. Davon könnten sich andere Länder,
ie im Fokus stehen, wenn es um diese sicherheitstheo-
etische und sicherheitspolitische Problematik geht, viel-
eicht ein Stück abschneiden. Ich glaube aber, auch da-
um geht es Ihnen in Wahrheit nicht.
Ich kann an dieser Stelle am Ende dieses Tages wirk-
ich nur dazu auffordern, dass die Linke in Deutschland
ine längst überfällige Klärung herbeiführt, und zwar
insichtlich ihres Verhältnisses zum Staate Israel. Diese
lärung wurde immer noch nicht geleistet. Sie haben
ich immer noch nicht von der fortwährenden Prägung
hrer Organisation durch den Antizionismus und den
ntisemitismus der DDR gelöst.
on dieser Vergangenheit haben Sie sich immer noch
icht verabschiedet.
Es ist bekannt, dass die DDR damals als einziger
taat des Warschauer Paktes keine Beziehungen zu Is-
ael aufgenommen hat. Man wollte sich jahrelang nicht
ur Verantwortung für die Judenvernichtung im NS-Re-
ime bekennen.
as muss man aufarbeiten, und es wäre Ihre Pflicht ge-
esen, genau das an dieser Stelle zu tun.
Broder hat schon gesagt, dass dieser Antizionismus
in getarnter Antisemitismus ist. Es geht darum: Dieses
chüren von Ressentiments – das müssen Sie sich vor-
alten lassen – kann letztendlich auch genau in die fal-
che Richtung führen.
Ich glaube, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass
hre Äußerungen zum Existenzrecht Israels reine Lip-
enbekenntnisse sind. Leider Gottes sind Sie nämlich
icht in der Lage, das zu tun, was man eben tun müsste,
ämlich deutlich zu machen, dass man das Einhalten von
echtsstaatlichen Prinzipien fordern kann, ohne auf der
nderen Seite antisemitische Ressentiments zu bedienen.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich will deshalb deutlich machen: Vielleicht stand
inter diesem Antrag nicht unbedingt ein antisemitischer
edanke.
8656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010
)
)
Herr Kollege, denken Sie an die Redezeit.
Ich komme mit meinem letzten Satz zum Ende. – Viel-
leicht kann und soll damit aber genau das erzeugt wer-
den. Ich kann Sie nur bitten: Werden Sie mit so etwas
nicht zum Katalysator für antisemitische Reaktionen,
egal von welcher Seite, ob von links oder von rechts.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3545 mit dem Ti-
tel „Den Frieden befördern – Politische Gefangene in Is-
rael freilassen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit abge-
lehnt. Die Fraktion Die Linke hat für den Antrag ge-
stimmt, dagegen haben die Fraktionen der CDU/CSU
und der FDP gestimmt. Enthalten haben sich die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion.
Wir werden jetzt eine ganze Reihe von Überweisun-
gen und Abstimmungen vornehmen. Dabei handelt es
ich um Tagesordnungspunkte, bei denen die Reden zu
Protokoll gegeben wurden. Es wurde interfraktionell
vereinbart, dass ich die Namen der Redner nicht zu nen-
nen brauche; diese sind dem Protokoll zu entnehmen.
Wir kommen zunächst zu den Tagesordnungspunkten
17 a und 17 b:1)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Über-
tragung ehebezogener Regelungen im öffentli-
chen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften
– Drucksache 17/3972 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck , Dr. Konstantin von Notz, Birgitt
Bender, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung der
eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der
Ehe im Bundesbeamtengesetz und in weiteren
Gesetzen
– Drucksache 17/906 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
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1) Anlage 9
2)
3)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz , Birgitt Bender, Markus Kurth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz von Patientinnen und Patienten bei der
genetischen Forschung in einem Biobanken-
Gesetz sicherstellen
– Drucksache 17/3790 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-
Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Biobanken als Instrument von Wissenschaft
und Forschung ausbauen, Biobanken-Gesetz
prüfen und Missbrauch genetischer Daten und
Proben wirksam verhindern
– Drucksache 17/3868 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Vorlagen auf den Drucksachen 17/3790 und 17/3868
ollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
chüsse überwiesen werden. – Damit sind Sie einver-
tanden, wie ich sehe. Dann sind die Überweisungen so
eschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:3)
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Anlage 10
Anlage 11
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 78. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2010 8657
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
)
)
Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer-
gesetzen
– Drucksache 17/3025 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 17/4052 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Ingrid Arndt-Brauer
Dr. Birgit Reinemund
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/4052, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/3025 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfrak-
tionen und einer Enthaltung seitens der FDP-Fraktion
angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Benachrichtigungswesens in
Nachlasssachen durch Schaffung des Zentra-
len Testamentsregisters bei der Bundesnotar-
kammer
– Drucksache 17/2583 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/4063 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christoph Strässer
Stephan Thomae
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger
Wir beraten heute abschließend über den vom Bun-
desrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
richtung eines zentralen, elektronisch geführten Testa-
mentsregisters bei der Bundesnotarkammer. Die
Erfahrungen aus der geltenden Benachrichtigungspra-
xis zeigen, dass dieses System völlig veraltet und nicht
mehr zeitgemäß ist. Die Zielsetzung und das Konzept des
Gesetzentwurfs sind daher zu Recht von Anfang an all-
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die der Rechtsaufsicht des Bundesjustizministeriums un-
terliegt.
Mit dem neuen Register soll auch das Benachrichti-
gungswesen deutlich vereinfacht werden: Die Standes-
ämter werden verpflichtet, jeden Sterbefall der neuen
Registerbehörde mitzuteilen. Diese prüft sodann, ob im
zentralen Testamentsregister Verwahrangaben vorliegen
und benachrichtigt dann im Wege der automatisierten
Datenübertragung das Nachlassgericht sowie die ver-
wahrenden Stellen über den Sterbefall und etwaige Ver-
wahrangaben. Damit ist gewährleistet, dass das Nach-
lassgericht zeitnah von dem Tod und allen für das
Nachlassverfahren erforderlichen Informationen Kennt-
nis erlangt. Für die Erben ergibt sich somit der Vorteil,
dass ihnen künftig deutlich schneller als bisher ein Erb-
schein ausgestellt wird. Darüber hinaus wird das Ver-
fahren deutlich weniger fehleranfällig.
Die Bundesnotarkammer steht jetzt vor der großen
technischen Herausforderung, zunächst alle in den Pa-
pierkarteikarten registrierten Informationen zu digitali-
sieren und dann in das neue, elektronische Register zu
überführen. Dies ist in der Tat keine leichte Aufgabe.
Nach den guten Erfahrungen mit dem zentralen Register
für Vorsorgevollmachten können wir aber darauf ver-
trauen, dass die Bundesnotarkammer auch diese techni-
sche Herausforderung meistern und das neue Register
zeitnah an den Start bringen wird. Auch die im Vorfeld
durchgeführten Machbarkeitsstudien zeigen, dass hier
gründlich und sorgfältig geplant und kalkuliert wurde.
Insbesondere mit Blick auf die Anregungen der Experten
im Rahmen eines erweiterten Berichterstattergesprächs
haben wir in den Beratungen im Rechtsausschuss noch
diverse Änderungen eingefügt. Diese sind jedoch alle-
samt nicht prinzipieller Natur und lassen aus guten
Gründen im Übrigen das Grundkonzept unberührt. Ich
möchte im Folgenden nur die Wichtigsten davon kurz er-
läutern:
Es ist davon auszugehen, dass nur in etwa 25 bis
30 Prozent der Sterbefälle eine letztwillige Verfügung
vorliegt, wovon wiederum ein Großteil eigenhändige
Testamente sind, die sich nicht in amtlicher Verwahrung
befinden. Bei einem Großteil der Meldungen an die
Nachlassgerichte dürfte es sich folglich um sogenannte
Negativmeldungen handeln, die lediglich den Inhalt ha-
ben, dass keine Verwahrangaben registriert sind. Ein
Bedarf für derartige Negativmeldungen besteht an sich
nur in jenen Bundesländern, in denen die Nachlassge-
richte nach dem jeweiligen Landesrecht auch beim Feh-
len einer verwahrten Verfügung die gesetzlichen Erben
von Amts wegen zur ermitteln haben, also in Bayern und
Baden-Württemberg.
Für die anderen Länder besteht hingegen kein Be-
darf, dass auch in besagten Negativfällen eine obligato-
rische Meldung an die Nachlassgerichte ergeht, da diese
nur auf Antrag der Erben tätig werden. Die anderen
Länder sollen daher durch die geplante Rechtsverord-
nung, mit der die Details der Umsetzung geregelt wer-
den sollen, die Möglichkeit erhalten, auf die Negativ-
meldung im Sterbefall dauerhaft zu verzichten. Der
Änderungsvorschlag enthält hierzu eine entsprechende
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Verlängerung der Hofraumverordnung um weitere fünf
Jahre zum Gegenstand hat. Die Hofraumverordnung
würde ohne eine entsprechende gesetzliche Änderung
zum 31. Dezember dieses Jahres auslaufen. Entgegen
der ursprünglichen Erwartung gibt es in den neuen Län-
dern jedoch immer noch zahlreiche ungetrennte Hof-
räume, deren Auflösung noch nicht erfolgt ist. Aus die-
sem Grund bedarf es einer temporären Verlängerung,
die wir an dieser Stelle regeln wollen.
Wir sind überzeugt, mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf ein gutes Konzept zu haben. Das Benachrichti-
gungswesen in Nachlasssachen erfährt jetzt eine längst
überfällige Erneuerung und wird auf den Stand der Zeit
gebracht. Es wird schneller, einfacher und weniger feh-
leranfällig. Das ist ein großer Fortschritt.
Die Formulierung eines Testaments ist schon schwie-
rig genug; das gilt nicht so sehr für die Form als für den
Inhalt. Im Zweifel kann es der Erblasser nicht allen
recht machen. Das wusste auch schon Goethe, als er
schrieb: „Wenn ich scheid aus diesem Elend und lass
hinter mir ein Testament, so wird daraus nur ein Zank
und weiß mir’s niemand keinen Dank.“ An diesem Pro-
blem können wir als Gesetzgeber nichts ändern. Aber
wir können das Verfahren und die Abwicklung zumindest
für alle Beteiligten vereinfachen, beschleunigen und mit
den uns zur Verfügung stehenden Mitteln modernisieren.
Viele Bürgerinnen und Bürger setzen sich frühzeitig
mit dem Sterben auseinander und verfassen ihren letzten
Willen. Viele Millionen hinterlegen diesen rechtzeitig bei
einem Notar oder einem Amtsgericht. Über 15 Millionen
Testamente und Erbverträge werden zurzeit von den öf-
fentlichen Urkundenstellen in ganz Deutschland ver-
wahrt. Stirbt ein Erblasser, setzt dies einen schwerfälli-
gen Benachrichtigungsprozess in Gang. Die Bearbei-
tung eines Sterbefalls kann sich bei den zuständigen
Stellen unter Umständen über mehrere Monate hinzie-
hen. Grund für diesen langen Zeitraum ist die Tatsache,
dass die Angaben auf den Karteikarten im Laufe der Zeit
mangels regelmäßiger Aktualisierung und Pflege ihre
Richtigkeit verlieren können. Die Recherche des neuen
Verwahrungsorts der Urkunden kostet Zeit, was gleich-
bedeutend ist mit höheren Personalkosten. Das bishe-
rige Registerwesen ist dezentral-zersplittert, papierge-
bunden, nicht auf dem neuesten Stand der Technik,
kurzum: nicht mehr zeitgemäß.
Dazu kommt die für den Bürger als auch für die zu-
ständigen Stellen fehlende Transparenz dieses Benach-
richtigungssystems. Im Zeitalter der Neuen Medien ist
es notwendig und richtig, dass die Länder auf eine
schnellere und sicherere Bearbeitung in Nachlasssachen
und auf das Austauschen von Informationen durch elek-
tronischen Schriftwechsel setzen wollen.
Das neue Register sichert das Erbrecht des Bürgers
und sorgt für einen Effizienzgewinn. Mit dem Gesetzent-
wurf wird durch die Schaffung eines elektronischen zen-
tralen Testamentsregisters das Benachrichtigungswesen
in Nachlasssachen modernisiert. Damit sparen sowohl
die Gerichte und Notare als auch die Bürgerinnen und
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gen für ein grenzüberschreitendes Auskunftswesen mög-
lich gemacht.
Bei der Sachverständigenanhörung im Rahmen des
erweiterten Berichterstattergesprächs haben daneben
vor allem Fragen zum Datenschutz eine wichtige Rolle
gespielt; schließlich werden unter dem neuen System
mehr Daten zentral gebündelt als zuvor. Es sei aber
noch einmal klargestellt: Das Register soll und wird
nicht die Urkunden oder deren Inhalt, sondern nur An-
gaben enthalten, von wem das Testament oder der Erb-
vertrag stammt und wo diese Urkunden hinterlegt sind.
Für die Bundesnotarkammer als öffentliche Körper-
schaft gilt außerdem unmittelbar das Bundesdaten-
schutzgesetz.
Nun kann man darüber streiten, ob die Regelungen
und Formulierungen des Bundesdatenschutzgesetzes an
entsprechenden Stellen auch in den Gesetzentwurf ein-
fließen sollten oder ob eine Verweisung ausreicht. Der
Gesetzentwurf hat sich eher für eine schlanke Lösung
entschieden. So wie die Datenschützer habe ich mich
aber auch dafür eingesetzt, die Datensammlung auf das
Notwendigste zu begrenzen. Auch deshalb unterstützen
wir den Änderungs- und Ergänzungsvorschlag, die Er-
mächtigungsvorschrift weiter zu konkretisieren.
Insbesondere wird im Sinne des Datenschutzes nun
ergänzt und klargestellt, dass die Erhebung und Verwen-
dung der Daten auf das „Erforderliche“ zu beschränken
ist. Damit soll und kann auch nach den Auffassungen
der Datenschützer im erweiterten Berichterstatterge-
spräch sichergestellt werden, dass lediglich die zum Auf-
finden des Testaments erforderlichen Verwahrangaben
gespeichert werden. Ansonsten wäre eine Ausweitung
der Datenmenge über die Speicherung zusätzlicher An-
gaben möglich, die diesem Zweck nicht dienen.
Dem Gebot der Datensparsamkeit soll eine weitere
Regelung Rechnung tragen: Es kann zwar auch Sterbe-
fallmitteilungen mit dem Hinweis geben, dass es keine
Verwahrmitteilung über ein Testament gebe, sodass
überschießende Informationen entstehen könnten, mit
denen die Gerichte nichts anfangen können. Doch das
Gesetz ist hinreichend flexibel. Um Datenfriedhöfe zu
vermeiden, wird die Möglichkeit für eine Ausnahme von
der Benachrichtigungspflicht des Nachlassgerichts
durch Rechtsverordnung geschaffen, sodass die Länder
auf eine automatische „Negativbenachrichtigung“ über
den Sterbefall dauerhaft für die Zukunft verzichten kön-
nen.
In den Bundesratsausschusssitzungen, aber auch in
den Sitzungen des Bundestages hat der Gesetzentwurf zu
großen Teilen Zustimmung erfahren. Einige Kritik-
punkte, die einige Kollegen und ich teilten, konnten
durch die Änderungsvorschläge beseitigt werden. Die
verbliebenen Streitfragen wiegen nicht so schwer, als
dass man dem Gesetzentwurf nicht zustimmen könnte.
Insgesamt ist die Einführung eines zentralen Testa-
mentsregisters positiv zu bewerten – für die Länder, den
Bund, aber auch für die Bürger. Ich hätte mir durchaus
vorstellen können, dass auch privat hinterlegte Testa-
mente registriert werden können. Aber wie bei der Re-
gistrierung von Vorsorgevollmachten bleibt es dem Ge-
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grenzt. Dadurch wurde dem Grundsatz der Datenspar-
samkeit Rechnung getragen. Weiter hat die FDP-Bun-
destagsfraktion in den Verhandlungen zu dem Gesetz
dafür gesorgt, dass der Anspruch auf Information aus
§ 19 BDSG durch das Gesetz nicht beeinträchtigt wird.
So wird gewährleistet, dass der Erblasser kostenfrei
Auskunft über von ihm selber in Verwahrung gegebene
Testamente, Erbverträge oder ähnliche Dokumente ver-
langen kann.
Abschließend möchte ich erwähnen, dass die ge-
plante Gesetzesänderung niemanden zwingt, sein Testa-
ment zu hinterlegen. Wer sein Testament privat verwal-
ten möchte, kann dies auch in Zukunft tun. Wer seine
letztwillentliche Verfügung aber registrieren lassen will,
muss hierfür eine Gebühr bezahlen. Eine solche Gebüh-
renpflicht ist angemessen und auch erforderlich, da sie
zur Finanzierung des Zentralen Testamentsregisters bei-
trägt. Dabei müssen die Belastungen für die Bürger aber
so gering wie möglich gehalten werden. Die vorgese-
hene Gebühr von 15 Euro pro Neuregistrierung muss re-
gelmäßig durch das Bundesministerium der Justiz als
Aufsichtsbehörde auf ihre Angemessenheit überprüft
werden. Wenn die mit der Errichtung eines zentralen
Testamentsregisters verbundenen Kosten refinanziert
sind und eine betriebswirtschaftlich gebotene Rücklage
gebildet wurde, sollten die Gebühren nach Möglichkeit
abgesenkt werden.
Vor diesem Hintergrund unterstützt die FDP-Bundes-
tagsfraktion den vorliegenden Gesetzentwurf.
Die Modernisierung des Benachrichtigungswesens in
Nachlasssachen und die damit verbundene zukünftige
Nutzung der technischen Möglichkeiten ist zu begrüßen.
Die Landesregierungen wollen zu diesem Zweck ein
elektronisch geführtes zentrales Testamentsregister bei
der Bundesnotarkammer einrichten. Diese soll mit der
Benachrichtigung der Nachlassgerichte über den Tod
eines Erblassers und den Verwahrungsort erbfolgerele-
vanter Urkunden eine bisher von der Justiz erfüllte Auf-
gabe übernehmen.
Die Registrierung von erbrechtlichen Urkunden bei
den circa 5 200 Geburtsstandesämtern, bei im Inland
registrierter Geburt, auf Karteikarten nach dem Zettel-
kastenprinzip mutet nicht nur vorsintflutlich an, sondern
bedeutet auch für den die Dienste in Anspruch nehmen-
den Bürger unnötige bürokratische Hürden. Die kompli-
zierten Meldewege, erhebliche Verzögerungen und die
Kapazitätsgrenzen der Hauptkartei beim Amtsgericht
Schöneberg für Erbfälle mit Auslandsbezug sind ein büro-
kratischer Zopf aus dem vorigen Jahrhundert, der einer
grundlegenden Revision bedarf. Mit der nunmehr ge-
planten Einrichtung eines zentralen Registers beschrei-
tet das BMJ den richtigen Weg. Allerdings soll dieses
löbliche Ziel in nicht gänzlich unbeanstandbarer Art
und Weise umgesetzt werden.
Durch die Einrichtung des zentralen Testamentsregis-
ters entstehen voraussichtlich Kosten in Höhe von
12,6 Millionen Euro, wobei die laufenden Kosten mit
jährlich 2,8 Millionen Euro veranschlagt werden. Die
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Neben Namen, Geburtstag, Geburtsstandesamt, Tag
der Beurkundung, dem Vorhandensein einer Verfügung
von Todes wegen an sich und dem Verwahrungsort wer-
den auch die Namen der Eltern gespeichert. Durch die
Speicherung dieser besonders schutzwürdigen Daten
sind die Anforderungen an den Datenschutz bereichs-
spezifisch besonders hoch anzusetzen. Dennoch wird in
diesem Gesetzentwurf die Datensicherheit nicht dem
Maßstab des Bundesdatenschutzgesetzes gerecht. Des-
halb würde ich persönlich ein Testament nicht in amtli-
che Verwahrung geben.
Gestatten Sie mir noch einen letzten Hinweis. Ich be-
fürchte, dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Überlei-
tung der Altdaten weder reibungslos noch zeitnah von-
statten gehen wird. Sorgen sie dafür, dass den
Bürgerinnen und Bürgern keine Nachteile entstehen,
wenn die Daten der Standesämter und des Amtsgerichts
Schöneberg durch Einscannen digitalisiert werden. Ob
der eingeschlagene Weg hält, was er verspricht, sollte
kurzfristig evaluiert und im Interesse der Bürgerinnen
und Bürger gegebenenfalls korrigiert werden.
Wir befinden uns heute in der abschließenden Bera-
tung des Gesetzentwurfs zur Schaffung eines zentralen
Testamentsregisters. Ziel des Gesetzes ist es, das Auffin-
den von Testamenten im Zeitpunkt des Eintritts eines
Erbfalls zu erleichtern. Das ermöglicht eine schnellere
und sicherere Klärung von Erbfällen. Das ist ein Anlie-
gen, das wir ausdrücklich begrüßen.
Im Gesetzentwurf sind verschiedene Auskunftsrechte,
zum Beispiel für Gerichte, geregelt. Im Entwurf ist aber
nicht ausdrücklich festgehalten, dass auch der Erblasser
oder die Erblasserin selbst Auskunft über seine oder ihre
letztwilligen Verfügungen vom Register erhalten kann.
Natürlich kann man sagen: Das ergibt sich implizit aus
der Verweisung aus diesem Gesetz in das Bundesdaten-
schutzgesetz. Dennoch ist es für den Bürger und die Bür-
gerin klarer und einfacher, zu erkennen, wenn sein und
ihr Auskunftsanspruch direkt im einschlägigen Gesetz
nachzulesen ist. Wenn wir schon neue Gesetze entwer-
fen, dann sollten wir sie auch so gestalten, dass nicht der
Bürger vor der Anwendung Rechtsbeistand aufsuchen
muss.
Noch auf ein weiteres Thema möchte ich eingehen. In
dem Gesetz sind verschiedene Regelungen zum elektro-
nischen Rechtsverkehr beinhaltet. Wir alle wissen, dass
der elektronische Rechtsverkehr den bürokratischen
Aufwand erheblich vereinfachen und beschleunigen
kann. Allerdings birgt die elektronische Übermittlung
von Daten auch Risiken. Für uns lauten die zentralen
Fragen: Wie können wir den Datenschutz bei einem so
umfassenden Vorhaben lückenlos gewährleisten? Wie
können wir also das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung am besten gewährleisten?
Im Gesetzentwurf wird auf den Datenschutz einge-
gangen. Er ist mittels einer Verweisung auf das Bundes-
datenschutzgesetz geregelt. Das verkennen wir nicht.
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Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Evaluierung der deutschen Beteiligung an
ISAF und des deutschen und internationalen
Engagements für den Wiederaufbau Afghanis-
tans seit 2001
– Drucksachen 17/1964, 17/4051 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Roderich Kiesewetter
Johannes Pflug
Dr. Bijan Djir-Sarai
Wolfgang Gehrcke
Dr. Frithjof Schmidt
Die bereits erwähnte Anhörung im Bundestag zur
Lage in Afghanistan und zum Kriterienkatalog der Bun-
desregierung letzte Woche hat für die Öffentlichkeit
sichtbar gemacht, dass wir Parlamentarier verfügbare
wissenschaftliche Expertisen intensiv in unsere tägliche
Arbeit einbinden. Die CDU/CSU hat zudem vor drei Ta-
gen einen Kongress zur zivil-militärischen Zusammen-
arbeit veranstaltet. Auch hier haben wir wertvolle Anre-
gungen von den geladenen Experten erhalten.
Es wird deutlich, wie umfassend wir externes Fach-
wissen in unsere Arbeit einfließen lassen und uns, im
konkreten Fall, mit unserem zivil-militärischen Engage-
ment in Afghanistan befassen. Dieser Rückgriff auf
Experten entlässt uns aber selbstverständlich nicht aus
der Verantwortung für den von uns mandatierten Ein-
satz. Genau dies wäre aber die Folge einer Evaluierung
durch eine wissenschaftliche Institution, die die Bundes-
regierung aus der Pflicht nimmt, oder gar einer Kom-
mission mit externen Experten als Substitut für unsere
parlamentarische Arbeit. Dies fordern SPD und Grüne
in ihrem Antrag, den wir deshalb nicht mittragen kön-
nen. Entscheidend ist, dass wir Parlamentarier unsere
politische Verantwortung wahrnehmen.
Der Kriterienkatalog der Bundesregierung und der
demnächst vorliegende Fortschrittsbericht, der einen
ganzheitlichen, zielführenden Ansatz mit guter Betonung
ziviler Aspekte verspricht, ermöglicht es uns Parlamen-
tariern, den Prozess der Übergabe in Verantwortung,
die sogenannte Transition, in Afghanistan eng zu be-
gleiten. Jetzt gilt es zunächst, die bisher erfolgte Umset-
zung der in London und Kabul entschiedenen neuen
Strategie auszuwerten. Dafür brauchen wir einen brei-
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rung war die Vorlage eines Katalogs von Kriterien
durch die Bundesregierung, auf deren Grundlage unter
Federführung des Auswärtigen Amts von nun an halb-
jährlich ein evaluierender ressortübergreifender Fort-
schrittsbericht unseres Engagements vorgelegt wird.
Die Regierungsfraktionen hatten dieses Vorgehen den
Kollegen von SPD und Grünen in einem Schreiben An-
fang Oktober vorgeschlagen. Herr Erler und Herr
Schmidt hatten für ihre Fraktionen zugestimmt. Es war
gut, dass wir uns in einer öffentlichen Sitzung mit dem
Kriterienkatalog der Bundesregierung und der Lage in
Afghanistan unter Einbeziehung von externen Sachver-
ständigen befasst haben. Wir haben eine ernsthafte und
sehr sachliche Diskussion, die frei von politischer Pole-
mik war, geführt. Das hat dem Bundestag gut angestan-
den.
Die Abzugsperspektive für unsere Soldaten im Ein-
satz in Afghanistan, die wir mit dem Anfang des Jahres
beschlossenen Strategiewechsel fest im Auge haben,
muss sich an konkreten Fortschritten vor Ort bemessen.
Dafür müssen wir Kriterien definieren. Deshalb haben
die Regierungsfraktionen bereits im Frühjahr – noch
bevor SPD und Grüne ihren Antrag, den wir heute de-
battieren, vorgelegt haben – die Bundesregierung dazu
aufgefordert, einen Katalog von Kriterien – neudeutsch
„Benchmarks“ – sowie regelmäßige Fortschrittsbe-
richte vorzulegen. Somit ist gewährleistet, dass wir den
Prozess der Übergabe der Verantwortung in afghani-
sche Hände intensiv parlamentarisch begleiten und be-
werten können.
Diese Benchmarks und der Fortschrittsbericht, der
im Dezember nun erstmals von der Bundesregierung
vorgelegt wird, müssen von uns Parlamentariern einer
genauen Überprüfung unterzogen werden, bevor wir im
Januar eine neue Mandatierung unseres Einsatzes dis-
kutieren. Hierzu hat die Anhörung einen wichtigen Bei-
trag geleistet. Aus unserer Sicht ist der Kriterienkatalog
mit 27 Indikatoren umfassend und zielführend angelegt.
Es ist selbstverständlich, dass wir auch externe Ex-
pertise berücksichtigen und hinzuziehen. Dies geschieht
ja ständig. Wir alle lassen die Erfahrung von Nichtregie-
rungsorganisationen oder die Arbeit unserer Stiftungen
oder die wissenschaftliche Analyse von Forschungs-
institutionen und anderer in unsere Arbeit zu Afghanis-
tan einfließen.
Es ist aber bezeichnend, dass die Linke keinen Sach-
verständigen nominieren konnte. Es wollte sich schlicht-
weg kein seriöser Experte hergeben für ihren aus-
schließlich ideologisch getriebenen Populismus bezüg-
lich eines Einsatzes, der seit 2001 von den Vereinten Na-
tionen jedes Jahr einstimmig mandatiert wurde. Es ist
doch kein Zufall, dass sie keinen Wissenschaftler ausfin-
dig machen konnte, der ihre naive und scheinheilige Ar-
gumentation teilt, dass sich mit einem sofortigen Abzug
der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan über
Nacht alles zum Besten wendet.
SPD und Grüne fordern nun in ihrem Antrag zweier-
lei: eine wissenschaftliche Evaluierung durch eine ex-
terne Institution sowie eine Begleitung des weiteren En-
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dert. Sowohl die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr
als auch die Parlamentswahlen im September dieses
Jahres waren von gravierenden Missständen begleitet.
Inzwischen wurde 27 Abgeordneten, die im September
vermeintlich gewählt worden waren, wegen erwiesener
Wahlmanipulationen ihr Mandat wieder aberkannt. So
schafft man kein Vertrauen in die politischen Institutio-
nen Afghanistans.
Gerade weil das Jahr 2011 mutmaßlich darüber ent-
scheiden wird, ob der Afghanistan-Einsatz letztendlich
doch noch zu einem erfolgreichen Ende geführt werden
kann oder nicht, wäre eine unabhängige, wissenschaftli-
che Expertise dringend geboten gewesen. Die Probleme
beschränken sich nicht allein auf die militärische Situa-
tion. Wir alle wissen: Letztendlich kann auch ein militä-
rischer Erfolg nur dann dauerhaft von Bestand sein,
wenn er im zivilen Bereich unterfüttert wird. Was nützt
es, wenn in einem Distrikt die Taliban in die Flucht ge-
schlagen werden, sich an den Lebensverhältnissen der
Menschen aber nichts Grundlegendes ändert? Deutsch-
land und die internationale Gemeinschaft haben ihre
Mittel für den zivilen Wiederaufbau mit dem eingeleite-
ten Strategiewechsel der Londoner Konferenz vom Ja-
nuar 2010 deutlich erhöht. Das begrüßen wir. Zugleich
müssen wir aber feststellen, dass es offenbar große Pro-
bleme beim Mittelabfluss und bei der Umsetzung gibt.
Auch das hätten wir gerne von einer unabhängigen Seite
näher beleuchtet bekommen, um gegebenenfalls noch
gegensteuern zu können.
Aus vielen Berichten und aus eigener Anschauung
weiß ich, dass sich die Umsetzung zahlreicher sinnvoller
Projekte verzögert, weil qualifizierte Fachleute nur
schwer zu finden sind. Häufig bildet sich eine erhebliche
Diskrepanz zwischen dem, was mit der afghanischen
Seite vereinbart wird, und dem, was am Ende tatsächlich
realisiert wird.
Lassen Sie mich das am Beispiel des im Frühjahr
2010 in Anwesenheit von Entwicklungshilfeminister
Niebel feierlich eröffneten Teacher Training Center,
TTC, in Masar-i-Scharif erläutern. Ich hatte Gelegen-
heit, dieses Projekt im September dieses Jahres zu
besichtigen. Dort wurde mit Hilfe der GTZ ein hervorra-
gend ausgestattetes Ausbildungsgebäude plus anliegen-
dem Wohnheim für die auszubildenden Lehrer errichtet.
Im Vorfeld wurde mit der afghanischen Seite vertraglich
vereinbart, dass sie dafür Sorge zu tragen haben, dass
das Gebäude mit Strom versorgt und die Lehrkräfte re-
gelmäßig bezahlt werden. Leider musste ich bei meinem
Besuch feststellen, dass die afghanische Seite ihren Ver-
pflichtungen bislang gar nicht bzw. nur unzureichend
nachgekommen ist und damit ein sehr sinnvolles Pro-
jekt, in das von deutscher Seite bereits viel investiert
wurde, zu scheitern droht, bevor es richtig begonnen
hat, und zwar nicht aufgrund von Talibanangriffen, son-
dern aufgrund des Unwillens bzw. Unvermögens der of-
fiziellen afghanischen Institutionen. Solche Beispiele
lassen sich zahlreiche finden. Sie sind eine der Ursachen
dafür, warum der zivile Aufbau in Afghanistan nicht so
vorankommt, wie von uns erwartet und wie er für das
Land dringend nötig wäre.
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sich diesem Fahrplan anzuschließen. Doch bis dahin ist
es noch ein schwieriger und komplizierter Weg.
Es hätte dieser Bundesregierung gut zu Gesicht ge-
standen, wenn sie sich auf das Verfahren einer unabhän-
gigen Analyse von dritter Seite eingelassen hätte. Da sie
das nicht getan hat, sehen wir erwartungsvoll dem ange-
kündigten Fortschrittsbericht entgegen, den sie uns in
wenigen Tagen vorlegen will. Was wir erwarten, ist eine
schonungslose Analyse der gegenwärtigen Lage in Af-
ghanistan, in der keine Schönfärberei betrieben wird
und in der Probleme und Herausforderungen, vor denen
die internationale Gemeinschaft nach wie vor steht, of-
fen beim Namen genannt werden. Eine systematische
Evaluation und Wirksamkeitsanalyse des bisherigen
deutschen diplomatischen, militärischen, entwicklungs-
politischen und polizeilichen Engagements, so wie wir
sie vorgeschlagen haben, wäre dabei von großem Nutzen
gewesen.
Die Koalition hat sich für einen anderen Weg ent-
schieden. Wir werden daher umso gründlicher prüfen,
ob der von der Bundesregierung vorgelegte Fortschritts-
bericht den Kriterien, die ich gerade benannt habe, ge-
recht wird. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes,
die dem Einsatz in Afghanistan mit wachsender Skepsis
begegnen, haben Anspruch auf eine umfassende Be-
standsaufnahme. Sie wollen ein ungeschminktes Bild der
aktuellen Lage, und sie wollen wissen, wann und auf
welche Weise die Bundesregierung gemeinsam mit der
internationalen Gemeinschaft die Verantwortung in af-
ghanische Hände legt, um den Rückzug der internatio-
nalen Truppen einzuleiten und in spätestens vier Jahren
zu beenden.
Eines steht außer Frage: Wir als Parlament brauchen
ein realistisches Bild der aktuellen Lage in Afghanistan;
wir brauchen eine verlässliche Einschätzung der Ent-
wicklung des Einsatzes. Was wir heute wiederholt disku-
tieren ist das Wie, also die Art und Weise, wie wir zu ei-
ner realitätstreuen Einschätzung kommen. Und da sehe
ich große Unvollkommenheiten in Ihrem Antrag, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
Viele Ihrer Forderungen sind entweder von der Bun-
desregierung längst in die Tat umgesetzt oder sie sind
schlichtweg nicht zielführend. Der uns vorliegende An-
trag zur Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes ist
– und das muss ich ganz zu Anfang klarstellen – längst
überholt. Seit dem Tag, an dem wir hier das erste Mal
über dieses Thema diskutiert haben, hat sich einiges ge-
tan – nicht nur im Land Afghanistan selbst, sondern
auch hier im parlamentarischen Umgang mit diesem
wichtigen Thema. Inzwischen hat die Konferenz in Ka-
bul, auf die wir mit Spannung geschaut haben, stattge-
funden. Dort wurde ein weiterer wichtiger Schritt getan:
hin zu einem erfolgreichen internationalen Engagement
in Afghanistan. Die Probleme Afghanistans werden
zwar nicht durch eine einzige Konferenz gelöst. Die in-
ternationale Gemeinschaft hat aber nach der Konferenz
in Kabul ein gemeinsames, erfolgversprechendes Kon-
zept. Dieses Konzept verdient eine faire Chance.
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Dabei waren erstens alle beteiligten Ausschüsse einge-
bunden und zweitens zahlreiche Wissenschaftler betei-
ligt. Wir hatten über drei Stunden hinweg die Möglich-
keit, über den Fragebogen zur Einsatzeinschätzung zu
diskutieren. Die Einschätzung an sich ist jedoch ganz
klar Aufgabe des Parlaments.
Über die baldige Vorlage des Fortschrittsberichts bin
ich sehr froh. Wir werden darüber im Detail diskutieren.
Das ist unsere Aufgabe und nicht die Aufgabe außenste-
hender Experten. Die Federführung, und damit auch un-
sere Verantwortung, in diesem Bereich wird von uns
nicht einfach outgesourct.
Wir wollen ein realistisches Bild der Lage in Afgha-
nistan. Wir wollen sehen, in welchen Bereichen es Ver-
besserungen gibt und wo wir und die internationale Ge-
meinschaft noch stärker aktiv werden müssen. Das ist
das, worin wir einer Meinung sind. Denn diese ehrli-
chen Einschätzungen sind unerlässlich für unser zukünf-
tiges Engagement und das Ergebnis, auf das wir seit Be-
ginn des Einsatzes hinarbeiten: die Übergabe von
Verantwortung in Verantwortung. Wir haben als Koali-
tion klar gesagt: Wir wollen den Einstieg in den Aus-
stieg. Und wir haben unser Wort gehalten. Bis zum Jahr
2014 soll die Übernahme der Sicherheitsverantwortung
durch Afghanistan abgeschlossen werden. Ich begrüße
aber ausdrücklich, dass Kompetenz und Fachwissen der
unterschiedlichen Wissenschaftler in den Prozess der
parlamentarischen Begleitung des Einsatzes so gut ein-
fließen konnten.
Genau so sehe ich Ihre Forderung nach einer Kom-
mission. Wir alle zusammen – als Parlament – müssen
die Arbeit der Bundesregierung begleiten und nicht ir-
gendeine externe Kommission, wie es in Ihrem Antrag
gefordert wird. Die Ausschüsse bieten genug Spielraum
und Einflussmöglichkeiten, um verantwortungsvoll mit
der Sache umzugehen. Zusätzlich wird das Parlament
vierteljährlich über die Entwicklungen in Afghanistan
sowie wöchentlich über die Einsätze der Deutschen
Bundeswehr unterrichtet. Die Informationslage befindet
sich doch weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Aus
all diesen Gründen wird die FDP-Fraktion Ihrem An-
trag nicht zu stimmen.
„Nichts ist gut in Afghanistan“. Mit dieser Feststel-
lung brachte die damalige Vorsitzende des Rates der
Evangelischen Kirchen in Deutschland, Frau Margot
Käßmann, ihre Wahrnehmung auf den Punkt. Nach die-
ser klaren Feststellung teilte sich die Öffentlichkeit in
viel Zustimmung hier und harschen Widerspruch dort zu
dieser Aussage. Heute wird kaum einer bestreiten kön-
nen, dass die Aussage von Margot Käßmann richtig war.
„Nichts ist gut in Afghanistan“, das meint nicht, dass
nicht in einzelnen Bereichen Verbesserungen erreicht
worden seien. „Nichts ist gut in Afghanistan“ ist der Wider-
spruch zu all jenen, die sich verantwortungslos die Lage
schön- und der Öffentlichkeit einreden wollen, alles sei
besser geworden oder zumindest auf dem Wege der Bes-
serung. Solche Propagandamärchen werden jeden Tag
durch Meldungen über die Verschlechterung der Sicher-
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gen und sozialer Unsicherheit umgegangen wird und
wie tatsächlich Frauenrechte gesichert werden können.
Afghanistan braucht keinen Zynismus, sondern wirklich
Hilfe.
Immer wieder wurde gesagt, dass der Krieg in Afgha-
nistan, der „Krieg gegen den Terror“, ein Krieg für Ab-
rüstung sei. Das schien vielen Menschen besonders mit
Blick auf das Nachbarland Afghanistans, Pakistan, das
ein Atomwaffenstaat ist, plausibel. Tatsache jedoch ist,
dass der Krieg den Waffenhandel erst so richtig in
Schwung gebracht hat. Kriege reduzieren Waffen nicht,
sondern Kriege heizen Waffenproduktion und deren Ver-
breitung an.
Letztlich: Der Krieg in Afghanistan darf jetzt endlich
Krieg genannt werden. Über lange Zeit benutzten die mit
uns konkurrierenden Parteien im Bundestag alle mögli-
chen Umschreibungen für den Begriff. Warum? Man
wusste, dass die Bevölkerung unseres Landes keinen
Krieg will. US-Politiker wie der Verteidigungsminister
Robert Gates bemängeln den in Europa vorhandenen
Pazifismus. Ich bin froh über eine Bevölkerung, die mehr-
heitlich Nein zu Kriegen sagt. Ich bin gespannt auf die
Bilanz, die die Bundesregierung vorlegen wird, möchte
aber, dass der Bundestag selbst sich an die Arbeit einer
solchen Bilanz macht.
SPD und Grüne schlagen dazu die Bildung einer Eva-
luierungskommission vor. In einer solchen Kommission
werden wir gern mitarbeiten. Aber im Moment gilt noch
immer: Ich verlasse mich mehr auf Wikileaks als auf Be-
richte der Bundesregierung.
Wir schließen heute ein langes Verfahren ab. Bereits
im März dieses Jahres haben wir uns zusammen mit der
SPD an die Koalitionsfraktionen gewandt, um eine ge-
meinsame Initiative zur Evaluierung des Afghanistan-
Einsatzes zu ergreifen.
Seit März haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Union und FDP, dieses Vorhaben immer wieder ver-
schleppt und verzögert, sich dann doch wieder millimeter-
weise bewegt, nur um jetzt am Ende den sinnvollen und
notwendigen Schritt zu einer unabhängigen Evaluierung
abzulehnen. Ich finde es sehr schade, dass wir hier nicht
zu einem gemeinsamen Beschluss gekommen sind. Mit
Ihrer Haltung sind Sie Ihrer Verantwortung für Afgha-
nistan und für die sich dort im Einsatz befindenden Sol-
datinnen und Soldaten und zivilen Kräfte nicht gerecht
geworden.
In unserem Antrag fordern wir die Einsetzung einer
unabhängigen Kommission, die den Afghanistan-Ein-
satz in seiner ganzen Komplexität und in seiner mittler-
weile achtjährigen Dauer auswerten und Lehren daraus
ziehen sollte. Das haben viele unserer Bündnispartner
getan, und das hat, daran habe ich ja bei unserer letzten
Debatte hierzu schon erinnert, auch Ihr Verteidigungs-
minister noch vor zwei Jahren gefordert.
Die Bundesregierung will uns nun noch im Dezember
erstmals einen Fortschrittsbericht vorlegen. Ich begrüße
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sar Charlie McCreevy bewertete die Richtlinie im Ja-
nuar 2010 folgendermaßen: „Diese Richtlinie wird
nicht nur das Zahlungssystem in der EU verbessern,
sondern ebenfalls den Weg für konkrete Vorteile der Ver-
braucher aus der Integration der Finanzmärkte ebnen.”
Die neue E-Geld-Richtlinie soll den Weg für neue, in-
novative und sichere E-Geld-Dienstleistungen ebnen,
neuen Unternehmen Zugang zum Markt verschaffen so-
wie echten und wirkungsvollen Wettbewerb unter den
Marktteilnehmern fördern. Davon sollen Verbraucher,
Unternehmen und die europäische Wirtschaft im Allge-
meinen profitieren. Das Hauptziel der Richtlinie besteht
darin, EU-Vorschriften zu elektronischem Geld zu mo-
dernisieren und insbesondere die Beaufsichtigung von
E-Geld-Instituten an die im Rahmen der Zahlungsdiens-
terichtlinie geltenden Aufsichtsregelungen für Zah-
lungsinstitute anzupassen. Die Zweite E-Geld-Richtlinie
über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der
Tätigkeit von E-Geld-Instituten wird fristgerecht bis zum
30. April 2011 in deutsches Recht umgesetzt. Von den
Änderungen betroffen sind das Finanzdienstleistungs-
aufsichtsgesetz, das Geldwäschegesetz, das Handelsge-
setzbuch und das Unterlassungsklagengesetz. Die auf-
sichtsrechtlichen Vorschriften der Zweiten E-Geldricht-
linie sehen für die neue Institutskategorie der E-Geld-
Institute ein spezifisches Erlaubnisverfahren und beson-
dere Regelungen für die laufende Aufsicht vor. Diese
werden in das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz aufge-
nommen, und im Gegenzug dazu werden E-Geld-Insti-
tute aus dem Kreditwesengesetz herausgelöst.
Im Zuge der Umsetzung werden weitere Änderungen
in den genannten Aufsichtsgesetzen vorgenommen, die
Defizite bei den geldwäscherechtlichen Normen beseiti-
gen sollen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland
wirksamer vor einem Missbrauch durch Geldwäsche
und Terrorismusfinanzierung zu schützen. Die Umset-
zung der Zweiten E-Geld-Richtlinie in den Vertragsstaa-
ten der EU bringt wesentliche Vorteile für unseren Wirt-
schaftsraum. Sie schafft einen modernen und rechtlich
kohärenten Zahlungsverkehrsraum für die Ausgabe von
elektronischem Geld im europäischen Binnenmarkt. Auf
diese Weise wird der Weg für neue innovative und si-
chere E-Geld-Dienstleistungen geebnet. Sie fördert faire
Wettbewerbsbedingungen und setzt gleiche Marktzu-
gangskriterien für alle Zahlungsdiensteanbieter, ein-
schließlich der E-Geld-Institute. Sie initiiert einen ech-
ten und wirkungsvollen Wettbewerb. Sie schafft einen
einheitlichen aufsichtsrechtlichen Rahmen.
Wie sehen die Änderungen konkret aus? Nach der
Zweiten E-Geld-Richtlinie ist die Kreditinstitutseigen-
schaft nun nicht mehr zwingende Voraussetzung für das
Betreiben des E-Geld-Geschäfts. Mit der Durchsetzung
des Erlaubnisvorbehaltes, der Zulassung und der lau-
fenden Aufsicht über die E-Geld-Institute wird die Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, be-
auftragt werden. Durch die Modifizierung der bestehen-
den Regelungen soll bewirkt werden, dass in Deutsch-
land die Nachfrage nach E-Geld-Lizenzen erhöht wird
und dass sich auch deutsche E-Geld-Institute auf dem
europäischen Markt etablieren können. Entscheidend ist
hier, dass diese nun ein erweitertes Tätigkeitsfeld haben
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EU-Ebene seit Ende der 1990er-Jahre. Als digital ge-
speichertes Zahlungsmittel soll es in Zukunft zu einer
dritten tragenden Säule zwischen Bargeld und Buchgeld
werden.
Um den rechtlichen Rahmen zu regeln, wurde im Jahr
2000 die erste europäische E-Geld-Richtlinie verab-
schiedet. In ihrer Wirkung wurde die Regelung den in sie
gesetzten Erwartungen jedoch nicht gerecht. Eine ernst-
hafte Belebung des E-Geld-Anbietermarktes blieb aus.
Das sollte mit der 2009 beschlossenen zweiten E-Geld-
Richtlinie geändert werden, deren Umsetzung einen Teil
des heute diskutierten Gesetzesentwurfs ausmacht. Sie
soll einen einheitlichen Aufsichts- und Rechtsrahmen für
die Anbieter von Dienstleistungen im E-Geld-Sektor
schaffen.
Das ist im Prinzip in Ordnung. Es mag tatsächlich
sinnvoll sein, mehr E-Geld-Anbietern den Zutritt zu die-
sem Markt zu ermöglichen und den Wettbewerb zu bele-
ben. Denn Konkurrenz erhöht den Innovationsdruck und
schlägt sich tendenziell in günstigeren Konditionen für
die Endverbraucher nieder. Solange durch klare auf-
sichtsrechtliche Regelungen gewährleistet ist, dass die
angebotenen Dienstleistungen aus Verbrauchersicht se-
riös und mit hinreichendem Eigenkapital abgesichert
sind, spricht nichts dagegen, entsprechende Freiräume
zu schaffen.
Es deutet einiges darauf hin, dass der anspruchsvolle
Regelungsrahmen des KWG, an den E-Geld-Anbieter
bislang gebunden sind, dafür nicht den notwendigen
Raum lassen. Insofern erscheint der Weg zielführend,
die E-Geld-Institute als eigenen Institutstyp an das Zah-
lungsdiensteaufsichtsgesetz zu koppeln. Ob sich hieraus
tatsächlich eine ernsthafte Belebung eines eigenständi-
gen E-Geld-Marktes auf nationaler und europäischer
Ebene ergibt, bleibt aber abzuwarten. Meine Einschät-
zung ist: Würde dies in größerem Stil gelingen, ergäben
sich daraus neuer Regelungsbedarf bei der Überwa-
chung der in E-Geld-Form kursierenden Geldmenge und
eine Reihe anderer Fragestellungen, die auch auf euro-
päischer Ebene noch nicht hinreichend berücksichtigt
worden sind. Einstweilen ist das aber Zukunftsmusik.
Zurück zur Gegenwart: Ginge es bei der Beratung
des vorliegenden Gesetzentwurfs tatsächlich nur um die
aktuelle Ausgestaltung der E-Geld-Thematik, hätten wir
ihm wohl zustimmen können. Doch greift die Bundesre-
gierung darin ein zweites, ebenfalls wichtiges Thema
auf, bei dem Deutschland international am Pranger
steht: die Geldwäscheprävention. Zwar ist es gleichsam
überraschend und erfreulich, dass sich eine Bundesre-
gierung unter FDP-Beteiligung dieses Themas über-
haupt annimmt, nicht hinnehmbar ist jedoch, dass der
Entwurf gerade auf diesem zentralen Feld entschieden
zu kurz greift.
Zu den Hintergründen: Im Februar 2010 erschien der
„Deutschland-Bericht“ der Financial Action Task Force
on Money Laundering. Dabei handelt es sich um ein
1989 gegründetes OECD-Gremium, das sich mit dem
Kampf gegen Geldwäsche und der Finanzierung des in-
ternationalen Terrors befasst. Das Frühjahrszeugnis für
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Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
verfolgen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zwei
Ziele. Das erste Ziel ist die Schaffung eines modernen
Zahlungsverkehrsraums im Binnenmarkt mit dem
Zweck, den Wettbewerb auch in diesem Bereich zu inten-
sivieren. Diesem Ziel dient die Umsetzung der zweiten
E-Geld-Richtlinie. Hier werden sich für die Unterneh-
mer neue Marktchancen bieten, von deren Nutzung dann
die Verbraucher profitieren werden. Es geht uns jedoch
gerade nicht darum, unnötige Bürokratie zu schaffen.
Deshalb haben wir in den Ausschussberatungen klarge-
stellt, dass Kreditinstitute, die schon die Voraussetzun-
gen des Kreditwesengesetzes erfüllen, im Rahmen ihrer
Vollbankenerlaubnis auch das E-Geld-Geschäft betrei-
ben dürfen. Eine weitere Erlaubnis nach § 8a Abs. 1
ZAG ist für sie nicht erforderlich. In diesem Sinne haben
wir in den Ausschussberatungen noch einige weitere
Klarstellungen getroffen und redaktionelle Korrekturen
am Gesetzentwurf vorgenommen.
Das zweite Ziel, das die christlich-liberale Koalition
mit diesem Gesetzentwurf verfolgt, ist die Bekämpfung
der Geldwäsche. Zum Thema Geldwäsche wurde im Fe-
bruar der Bericht der Financial Action Task Force on
Money Laundering, der FATF, über die Einhaltung der
FATF-Standards – der sogenannten 40+9 Empfehlun-
gen – in Deutschland veröffentlicht. Deutschland ist ver-
pflichtet, diese Standards in nationales Recht umzuset-
zen und deren Umsetzung in regelmäßigen Abständen
von der FATF überprüfen zu lassen. Wir haben nun bis
Februar 2012 Zeit, die festgestellten Defizite zu behe-
ben.
Im vorliegenden Gesetzentwurf beseitigen wir auf-
grund der Sachnähe zunächst die Defizite, die den Fi-
nanzsektor betreffen. Unter anderem wird der Sorgfalts-
pflichtenmaßstab, den die Institute im Rahmen der
Erfüllung von Hochrisikokategorien bzw. in Fällen eines
niedrigen Risikos anzuwenden haben, vollständig dem
FATF-Standard angepasst. Gleiches gilt für die Anpas-
sung der institutsinternen Sicherungsmaßnahmen gegen
Geldwäsche und des Risikomanagements der Institute.
Eine Revision des Geldwäschegesetzes im Rahmen die-
ses Gesetzgebungsverfahrens konnte angesichts der kur-
zen Umsetzungsfrist für die Zweite E-Geld-Richtlinie bis
zum 30. April 2011 nicht erfolgen. Änderungen des
Geldwäschegesetzes wären, anders als der vorliegende
Gesetzentwurf, aufgrund der Zuständigkeiten der Län-
der nur über eine Gesetzesinitiative aufzugreifen, die
der Zustimmung der Länder bedarf.
Wir werden die Forderungen der FATF also nach und
nach abarbeiten. Bereits jetzt erarbeiten wir auch einen
Gesetzentwurf zur Beseitigung der von der FATF festge-
stellten Defizite im Strafrecht vor, der voraussichtlich
bereits in der nächsten Woche vom Kabinett beschlossen
wird.
Das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-
Richtlinie soll im Wesentlichen zwei Dinge regeln: Ers-
tens soll dem Gesetzestitel entsprechend eine EU-Richt-
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Das vorliegende Gesetz umfasst zwei Themen: Die
Umsetzung der E-Geld-Richtlinie und – viel wichtiger –
Bestimmungen zum Kampf gegen Geldwäsche und Ter-
rorismusfinanzierung. Der Gesetzesvorschlag reagiert
damit zumindest teilweise auf die Kritik der Financial
Action Task Force, FATF. Sie hatte im Februar 2010 einen
Katalog vorgelegt, in dem anhand von 49 Kriterien die
Rechtslage in Deutschland begutachtet wurde. Das Er-
gebnis war nicht überzeugend. Lediglich in fünf Punkten
war die FATF vollständig zufrieden, in 19 Punkten hin-
gegen sind die Kriterien ganz oder größtenteils nicht er-
füllt. Für ein Land, das zu den Gründungsmitgliedern
der FATF gehört und das sich den Kampf gegen Geldwä-
sche und Terrorfinanzierung auf die Fahnen geschrie-
ben hat, ist das ein beschämendes Ergebnis.
Das vorliegende Gesetz soll nun laut Bundesregie-
rung ein erster Baustein sein, um die bestehenden Män-
gel zu beseitigen. Es ist höchstens ein Steinchen, mehr
nicht. Es geht lediglich die Mängel im Finanzsektor an.
Kernstück der Kritik ist aber der Nichtfinanzsektor. Ent-
scheidend ist, dass die Bundesregierung keinen klaren
Fahrplan vorlegt, bis wann und wie sie die Kritikpunkte
der FATF beseitigen will. Bisher ist lediglich bekannt,
dass sie zwei Gesetzentwürfe vorlegen will. Bleibt es da-
bei bei dem, was bislang im Referentenentwurf zur Be-
kämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung
steht, wird aber die geplante Gesetzgebung bei Weitem
nicht alle Kritikpunkte ausräumen können. Im Gegen-
teil: Er geht lediglich einen kleinen Teil an; es geht da-
bei um Vortaten des Geldwäschetatbestandes. Es sollen
bestimmte Delikte in einen Vortatenkatalog aufgenom-
men werden. Eine überzeugende Antwort auf die heftige
Kritik der FATF sieht anders aus. Das Bundesfinanz-
ministerium weist aber in seiner eigenen Stellungnahme
darauf hin, dass „der Löwenanteil der von der FATF ge-
äußerten Monita … nur durch die Änderung des Geld-
wäschegesetzes beseitigt werden“ kann, und schiebt an-
schließend die Verantwortung auf das federführende
Bundesinnenministerium ab.
Nun muss man fairerweise sagen, dass die Ansprüche
der FATF teilweise nur schwer und mit hohem Aufwand
mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar sind. Die
Transparenz bei juristischen Personen – und hier vor allem
Treuhandkonstruktionen – wäre nur zu erhöhen, wenn
das öffentliche Registerwesen umgestellt würde. Das
rechtfertigt aber nicht, dass an anderer Stelle die Bun-
desregierung nicht forsch genug voran geht. Beispiels-
weise versucht sie die mangelnde Umsetzung der Rege-
lungen dadurch zu rechtfertigen, dass vieles auf
Länderebene zu regeln sei und sie da nichts machen
könne. Klar ist aber auch, dass der Bund gemäß Art. 84
Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes die zuständige Landes-
behörde benennen könnte.
Besondere Schwächen sieht die FATF beim Nichtban-
kensektor. Hier sind Geldwäsche und Terrorfinanzie-
rung nach wie vor Tür und Tor weit geöffnet. Es gibt
keine systematische Umsetzung von Auflagen zur Geld-
wäsche und Terrorismusfinanzierung durch Immobilien-
makler, Trust- und Unternehmensdienstleister sowie
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Wir beraten heute über einen Antrag der Opposition,
der sich mit der Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung
für unsere Energieversorgung befasst. KWK fristet kei-
neswegs ein Schattendasein bei der deutschen Energie-
versorgung. Gegenwärtig macht in Deutschland der An-
teil von KWK rund 12 Prozent am Strommix aus. Das ist
nicht wenig.
Wir finden KWK wichtig und richtig. Genau aus die-
sem Grund kommt der KWK in zahlreichen Regelungen
eine besondere Bedeutung zu, auf die ich gleich noch nä-
her eingehen werde. Denn wir halten diese Technologie
für einen intelligenten Weg, effizient mit Energiequellen
umzugehen. Zum einen ermöglicht KWK eine doppelte
Dividende: Sie fängt die bei der Erzeugung von Elektri-
zität entstehende Wärme ab und führt diese einer weite-
ren Nutzung in Wohnimmobilien und Industriebetrieben
zu. Die Novelle des KWK-Gesetzes – seit dem 1. Januar
2009 in Kraft – soll dazu beitragen, den KWK-Stroman-
teil auf 25 Prozent bis 2020 anzuheben.
Ich möchte Ihnen aber in aller Offenheit sagen: Nach
meiner Einschätzung ist dieses Ziel nach derzeitigem
Stand nicht zu schaffen. Ich bedaure das sehr, weil ich
der Überzeugung bin, dass die Technologie gut und rich-
tig ist. KWK hat einen hohen Wirkungsgrad. Während in
konventionellen Kraftwerken zwischen 45 und 70 Pro-
zent der Energie, die für die Stromerzeugung eingesetzt
wird, als Abwärme verloren gehen, schaffen moderne
KWK-Technologien Nutzungsgrade von bis zu 90 Pro-
zent. Die abgefangene Wärme versorgt Wohnimmobilien
und Industrie effizient und umweltschonend mit Strom
und Wärme. Bei einer Stromerzeugung kann die anfal-
lende Abwärme also nahezu vollständig für die Wärmer-
zeugung genutzt werden. Ziel ist es daher, die Stromer-
zeugung so zu gestalten, dass in vorhandenen oder zu
erschließenden Wärmesenken die Abwärme aus der
Stromerzeugung genutzt werden kann. Dies gilt auch für
die Nutzung erneuerbarer Energien.
Deshalb lassen Sie mich gleich auf Ihren Antrag ein-
gehen: Die Äußerungen in Ihrem Antrag finde ich ab-
surd. Wir planen keinen Verzicht auf KWK, und die stän-
dige Kernkraft-Rhetorik, die Sie zelebrieren, hilft uns
auch nicht weiter. Ganz im Gegenteil: Dass wir das
Thema KWK ernst nehmen, zeigt sich darin, dass wir die
KWK über viele Instrumente und in zahlreichen Rege-
lungen fördern. Als Beispiel nenne ich das Erneuerbare-
Energien-Gesetz. Durch den KWK-Bonus von 3 Cent/
kWh erfolgt im EEG eine zusätzliche Förderung für
Strom aus Biomasse und Geothermie, soweit er in einer
KWK-Anlage erzeugt wird. Hier wollen wir im ersten
Halbjahr 2011 prüfen, ob und – wenn ja – inwieweit eine
verpflichtende KWK-Nutzung im Vergleich zur reinen
Stromerzeugung eingeführt werden kann.
Kommen wir zum Beispiel Kraft-Wärme-Kopplungs-
gesetz: Auch das KWKG fördert KWK-Strom, regelt
seine vorrangige Einspeisung ins Stromnetz und sieht
außerdem den Aus- und Aufbau von Fernwärmenetzen
vor. Auch hier werden wir im nächsten Jahr, im Rahmen
des Zwischenberichts für das KWKG, die Wirksamkeit
überprüfen und nachsteuern, wenn es nötig ist. Als wei-
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gere Wege geleitet werden, beispielsweise von einem ab-
seits liegenden Aussiedlerhof zu weiter entfernten Ver-
sorgungsobjekten, fallen relativ hohe Transport- und
Übertragungskosten an. Insofern sollte darauf geachtet
werden, die Stromerzeugungsanlagen möglichst nah der
Wärmesenken anzusiedeln.
Im Grunde ist es paradox: „Besonders effizient“ pro-
duzierter Strom und Wärme fährt im Weg zum Verbrau-
cher oft hohe Effizienzverluste ein. Diese Überlegung
findet in der rot-grünen Gedankenwelt wohl wenig Be-
achtung. Sie wirft jedoch die Frage auf, welche Rolle
große KWK-Anlagen für die Wärmeerzeugung tatsäch-
lich spielen können. Diese Aspekte sollte jeder im Hin-
terkopf haben, der mit dem Gedanken spielt, die KWK-
Förderung weiter zu stärken, um der Umwelt uneinge-
schränkt etwas Gutes zu tun.
Ich möchte die KWK nicht schlechtreden, aber wir
müssen pragmatisch prüfen, welche konkreten Ziele für
den KWK-Ausbau vor dem Hintergrund der angespro-
chenen Probleme angemessen und sinnvoll sind. In Ih-
rem Antrag nennen Sie eine Reihe von Maßnahmen, wie
der KWK verstärkt unter die Arme gegriffen werden
sollte, beispielsweise mit einer Überprüfung des Förder-
deckels oder dem Abbau bürokratischer Hemmnisse bei
der Modernisierung von KWK-Anlagen.
Ich will Ihnen ganz offen sagen: Was die Überprüfung
der KWK-Instrumente betrifft, kann ich mir durchaus ei-
niges vorstellen. In der Zielsetzung sind wir gar nicht so
weit voneinander entfernt, wie Sie vielleicht meinen.
Ebenso wie Sie stelle ich die grundsätzliche Sinnhaftig-
keit von KWK als einen intelligenten Weg effizienter
Energienutzung überhaupt nicht infrage. Ich möchte Ih-
nen aber auch sagen: Die Opposition lässt keine Gele-
genheit ungenutzt, um unsere energiepolitischen Maß-
nahmen anzuprangern. Aber im Unterschied zu Ihnen
haben wir seit nunmehr 20 Jahren ein energiepolitisches
Konzept aus einem Guss vorgelegt. Zum ersten Mal wird
ein Ziel verbindlich. Dieses besteht darin, dass wir am
Industriestandort Deutschland die effizienteste, klima-
verträglichste und wettbewerbsfähigste Energieversor-
gung realisieren werden, die es weltweit gibt. Insgesamt
planen wir über 60 Maßnahmen. Dabei ist die KWK ei-
ner von vielen Faktoren, um unsere Energieversorgung
umzustellen: von fossiler Energie und Kernenergie auf
regenerative Energien. Aber Ihnen fehlt eine solche
energiepolitische Strategie. Deshalb ist es einfach, diese
und jene Stellschraube zu kritisieren. Anspruchsvoller
hingegen, eine Langfriststrategie umzusetzen.
Ich bin überzeugt, die KWK-Frage sinnvollerweise
nur vor einem langfristigen Horizont entscheiden zu
können. Unser Energiekonzept lebt von seinem Ziel. Was
ist dieses Ziel? Bis 2050 unsere Energieversorgung na-
hezu vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen –
und dabei das Prinzip der Wirtschaftlichkeit nicht aus
den Augen zu verlieren. Deshalb ist es auch ein Gebot
von Verantwortlichkeit, nicht hier und dort isoliert nach-
zusteuern, sondern die Förderung von KWK in der ge-
samten Beziehung unserer energiepolitischen Ziele an-
zugehen. Für die KWK bedeutet das mittelfristig: In der
ersten Jahreshälfte 2011 werden wir über die Wirksam-
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Erst vor kurzem haben Sie der Fernwärme noch einen
Schlag versetzt, als Sie in einer Hauruck-Aktion die Be-
günstigung für die Fernwärme bei der Energiesteuer ge-
strichen haben. Neben der Benachteiligung der Fern-
wärme im europäischen Emissionshandel in den Jahren
nach 2012 wird die Fernwärme mit diesem Schritt dop-
pelt gegenüber ineffizienten und dem Emissionshandel
nicht unterworfenen Einzelfeuerungsanlagen benachtei-
ligt.
SPD und Grüne bieten Ihnen mit diesem Antrag nun
ihre Hilfe an, um einen Fehler zu korrigieren bevor er
gemacht wird. Es besteht ein großes Potenzial für KWK
in Deutschland – sowohl im Wärmemarkt als auch im
Strommarkt. Halten Sie daher zumindest am 25-Prozent-
Ziel fest. Dadurch kann unsere Volkswirtschaft ihre Im-
portabhängigkeit bei fossilen Primärenergieträgern re-
duzieren. Die Modernisierung unseres Kraftwerkparks
auf Basis der KWK wirkt wie ein Konjunkturprogramm
für den Mittelstand. Es werden hier Arbeitsplätze ge-
schaffen und gesichert. Der Maschinenbau und das
Handwerk würden es Ihnen danken.
In den vergangenen Jahren haben neue Energiean-
bieter und vor allem Stadtwerke in die Erneuerung und
Verjüngung des Kraftwerksparks investiert. Durch Ihre
Atompolitik verkommen nun viele Investitionen zu
„stranded investments“. Planungen mit einem Milliar-
denvolumen werden auf Eis gelegt. Am besten beerdigen
Sie die Laufzeitverlängerung, denn dann wird auch wie-
der in den Strommarkt Deutschland investiert.
Um das 25-Prozent-Ziel zu erreichen, müssen wir
aber auch die bisherigen Instrumente, insbesondere das
KWKG, auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Das Gesetz
muss einem Monitoring unterzogen werden. Was muss am
Gesetz verändert werden, damit es wirkt? Auf jeden Fall
muss der Anmeldezeitraum für Anlagenbau und -moder-
nisierung über das Jahr 2016 hinaus verlängert werden.
Reichen aber die Vergütungsklassen und die Höhe der
Vergütung? Wirkt sich der jährliche Deckel in Höhe von
750 Millionen Euro als Investitionshindernis aus? Kann
mit der Struktur des Gesetzes das Potenzial bei der in-
dustriellen KWK gehoben werden?
Öffnen Sie für die kleinere und mittlere KWK den
Markt für Regel- und Ausgleichsenergie. Insbesondere
die gasbetriebene KWK ist die eigentliche Brücke ins
Zeitalter der erneuerbaren Energien. Führen Sie das Im-
pulsprogramm für Mini-KWK wieder ein. Die Mini-
KWK bietet nicht nur eine sinnvolle und wirtschaftliche
Lösung im Bereich von kleineren Mehrfamilienhäusern,
die weder an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden
können noch ausreichend Potenzial für die Nutzung von
erneuerbaren Energien bieten. Sie stärkt auch die deut-
sche und regionale Wirtschaft. 93 Prozent der bisher in
Deutschland geförderten Anlagen stammen aus heimi-
scher Produktion; der Handwerker vor Ort installiert
die Anlage im Keller.
Bauen Sie Hemmnisse und Benachteiligungen ab. In
unserem Antrag listen wir Ihnen einen ganzen Katalog
von geeigneten Maßnahmen dazu auf. Arbeiten Sie in
Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen daran,
dass Kommunen klare und individuell geschneiderte
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reichen, wird die Zwischenüberprüfung im nächsten
Jahr zeigen. Ich bin zuversichtlich!
Sie, Grüne und SPD, beklagen ferner in Ihrem An-
trag, dass die Weiterführung des Impulsprogramms für
Mini- und Mikro-KWK-Anlagen unsicher ist. Mir ist be-
kannt, dass sie gerne Geld ausgeben, das sie nicht ha-
ben. Ich finde die Idee mit dem Schwarmstrom ebenso
vielversprechend wie die Antragsteller. Dazu braucht es
aber intelligente Netze. Bis sie flächendeckend in
Deutschland vorhanden sind, sind die Anlagen, die
heute beim Verbraucher zu Hause stehen, schon nicht
mehr up to date. Das bedeutet, wir müssten schon wie-
der neue Anreize setzen, um nicht einen ganzen Investi-
tionszyklus abwarten zu müssen, und das ist ganz ein-
fach Quatsch!
Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Hören Sie endlich
mit Ihren Lügen auf! Ihre Anträge zur Energiepolitik
sind voll davon. Die Bundesregierung würde auf den
Ausbau der KWK weitestgehend verzichten, um in den
Netzen Platz für den zusätzlichen Strom aus der Lauf-
zeitverlängerung der Kernkraftwerke zu machen. Bloßes
Wiederholen macht einen Sachverhalt lange noch nicht
wahr. Lesen Sie die Netzstudie II der dena! Marktwirt-
schaftlich gesehen hat ganz einfach immer der Strom im
Netz zu sein, der zu genau diesem Zeitpunkt am kosten-
günstigsten produziert wird. Das ist nach den Erneuer-
baren nun einmal der Strom aus den deutschen
Kernkraftanlagen, wenn wir einmal vom Import von Er-
neuerbaren absehen.
Die Bundesregierung gibt sich allenthalben Mühe,
sinnvolle Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffi-
zienz nicht in Betracht zu ziehen. Das konnte man bei
den Beratungen zum Gesetz für Endenergieeffizienz gut
beobachten, und das manifestiert sich auch in ihrem
Energiekonzept.
Energieverschwendung können wir uns nicht leisten.
Was bei der energetischen Umwandlung von der Pri-
mär- zur Nutzenergie tagtäglich an Ressourcen vergeu-
det wird, ist unbegreiflich. Allein die Abwärme, die stän-
dig aus Kraftwerken in die Umwelt verpufft, reicht aus,
den Wärmebedarf des gesamten Gebäudebestandes zu
decken.
Hier gibt es wesentliche Ansatzpunkte, den Energie-
verbrauch zu minimieren, Ressourcen zu schonen und
die weitere Beschädigung des Weltklimas zumindest ein-
zudämmen. Dass sich Deutschland mit einem Anteil von
nur etwa 15 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung im Strom-
mix europaweit im unteren Mittelfeld bewegt, ist ein
Zeichen von eklatanten Versäumnissen und verfehlter
Energiepolitik: Fernwärme beispielweise wird durch
den jüngsten Beschluss des Haushaltsbegleitgesetzes
schlechter gestellt – eine Technologie, die in Finnland
selbst vom größten Stromversorger als die mit Abstand
wirtschaftlichste Variante für die Stromerzeugung be-
zeichnet wird und dort zu einem großen Boom der Kraft-
Wärme-Kopplung geführt hat.
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gieeinsparungen, sowohl in privaten Haushalten als
auch in der Industrie. Diese innovative und flexible
Technologie stellt darüber hinaus eine ideale Ergänzung
für Strom aus erneuerbaren Energien mit einem fluktuie-
renden Einspeiseverhalten dar. Doch die schwarz-gelbe
Bundesregierung hat in den vergangenen 14 Monaten
ihrer Regierungszeit alles getan, um den weiteren Aus-
bau dieser Technologie zu verhindern und der gesamten
Branche mit circa 40 000 Beschäftigten vor den Kopf zu
stoßen. Dies ist der Grund, warum wir uns gemeinsam
mit der SPD zum Handeln gezwungen sehen.
Lassen Sie uns zunächst einen kurzen Blick zurück
werfen: Es ist gerade einmal drei Jahre her, da hat die
damalige Große Koalition unter der Kanzlerin Angela
Merkel ihr Integriertes Energie- und Klimapaket, IEKP,
vorgelegt. In diesem Paket wurde als oberste Maßnahme
das Ziel vereinbart, den Anteil der hocheffizienten KWK
auf 25 Prozent am deutschen Stromverbrauch zu erhö-
hen. Auch wenn in Deutschland noch deutlich größere
KWK-Potenziale existieren und erschließbar sind, ha-
ben wir Grüne es damals begrüßt, dass ein deutlicher
Ausbau der KWK stattfinden soll. Viele Unternehmen in
Deutschland haben in den vergangenen Jahren in diese
Klimaschutztechnologie in dem Vertrauen investiert,
dass die Politik den Ausbau dieser Technologie fördert
und forciert.
Doch schon beim Regierungswechsel vor etwas mehr
als einem Jahr wurde erkennbar, dass die neue schwarz-
gelbe Bundesregierung ungeachtet des Vertrauens auf
Investitionssicherheit seitens der Branche und vieler
Stadtwerke eine Kehrtwende bei der KWK vollzieht. Mit
keinem Wort wurde die KWK im Koalitionsvertrag er-
wähnt. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke
wurde dagegen im Koalitionsvertrag bereits angekün-
digt und auch der Neubau von „hocheffizienten Kohle-
kraftwerken“, bei denen mehr als die Hälfte der Energie
immer noch sinnlos als Abwärme in die Atmosphäre ab-
gegeben wird, sollte ausdrücklich ermöglicht werden.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt zeichnete sich die be-
vorstehende Klientelpolitik der neuen Bundesregierung
zugunsten der großen Energiekonzerne deutlich ab. Als
Folge dieser Politik stehen viele Stadtwerke – diese in-
vestieren hauptsächlich in KWK – nun vor sogenannten
„Stranded Investments“.
Diese Politik gegen die KWK setzte sich in dem zu-
rückliegenden Jahr durchweg fort. So wurde das Im-
pulsprogramm zur Förderung von Mini-KWK-Anlagen
ohne jede Not im März diesen Jahres eingestellt, und
das, obwohl selbst das Bundesumweltministerium in ei-
ner Studie nachgewiesen hat, dass jeder Förder-Euro
mindestens 7 Euro Investitionen auslöst und sich das
Programm durch die damit verbundenen Steuereinnah-
men von selbst trägt. Dies ist ein wahrer Schildbürger-
streich, den sich die Bundesregierung da geleistet hat.
Ohne das Impulsprogramm wird es die noch junge Tech-
nik mit ihrem großen Potenzial, die einen wichtigen Bei-
trag zur Erreichung der Klimaschutzziele und zur De-
zentralisierung der Stromerzeugung leistet, sehr viel
schwerer haben, den Durchbruch im Markt zu erreichen.
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Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 17/4061 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding
Dr. Birgit Reinemund
Dem Deutschen Bundestag liegt heute der Gesetzent-
wurf zur Ratifikation des Änderungsprotokolls zum
Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland vor. Grund-
sätzlich dienen Doppelbesteuerungsabkommen dazu,
die doppelte Besteuerung in den Vertragsstaaten für Un-
ternehmen und Privatpersonen zu vermeiden. Damit
kann die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit
verbessert und Investitionshemmnisse können aufgrund
einer doppelten Steuerlast abgebaut werden.
Das bestehende Abkommen mit Irland wird nach dem
heutigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens an die
bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst.
Zum Inhalt: Am 17. Oktober 1962 wurde erstmalig ein
Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Irland und der
Bundesrepublik unterzeichnet. Zur damaligen Zeit war
es ein Grundsatz der bundesdeutschen Außensteuerpoli-
tik, Doppelbesteuerungsabkommen mit als Instrument
der bundesdeutschen Hilfe zur wirtschaftlichen Ent-
wicklung zu nutzen, um das ärmere Land zu fördern. So
wurde auf die Dividenden aus Irland in Deutschland
eine fiktive irische Steuer von 18 Prozent angerechnet,
die tatsächlich so nicht angefallen war, sondern nur
fiktiv angenommen wurde. Somit wurden deutsche In-
vestitionen in Entwicklungsländern gefördert, da sich
die Steuerschuld gegenüber dem deutschen Fiskus im
Verhältnis zu wirtschaftsstarken Ländern ohne fiktive
Quellenbesteuerung verringert.
Da die teilweise rasante wirtschaftliche Entwicklung
Irlands dieses Instrument heute nicht mehr erfordert,
war es aufzuheben. Das Änderungsprotokoll vom
25. Mai 2010 enthält die notwendigen Regelungen, die
fiktive Anrechnung von Quellensteuern zu beseitigen.
Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz soll das Ände-
rungsprotokoll zu dem geltenden Doppelbesteuerungs-
abkommen die für die Ratifikation erforderliche Zustim-
mung durch unser Haus erlangen.
Zur Bewertung: Das geltende Doppelbesteuerungs-
abkommen ist aufgrund der wirtschaftlichen und steuer-
rechtlichen Entwicklung in beiden Staaten überholt und
sollte insbesondere an das aktuelle OECD-Musterab-
kommen angepasst werden. Irland hat bereits vor dem
Abschluss dieses Änderungsprotokolls einer Gesamtre-
vision des Doppelbesteuerungsabkommens zugestimmt
und somit dem Wunsch der deutschen Seite entsprochen.
Die Aufhebung der fiktiven Quellensteueranrechnung
orientiert sich an den Empfehlungen des Steueraus-
schusses der OECD aus dem Jahre 1998. Der Bericht
stellt den Nutzen der Gewährung fiktiver Quellensteuer-
anrechnungen insbesondere wegen der Missbrauchs-
anfälligkeit, der Wirksamkeit als Instrument zur
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Deutschland entsteht also lediglich eine fiktive Steuer-
last. Das im bisherigen Abkommen vorgesehene An-
rechnungsverfahren gilt für Zins- und Dividendenzah-
lungen an natürliche Personen, insbesondere allerdings
für Ausschüttungen einer irischen Tochtergesellschaft
an die deutsche Konzernmutter. Bislang konnte sich das
in Deutschland steuerpflichtige Mutterunternehmen
18 Prozent des Nettobetrags dieser empfangenen Divi-
denden auf seine Steuerschuld anrechnen lassen. Im Er-
gebnis musste das Unternehmen somit weniger Steuer
abführen, als wenn seine Dividendeneinkünfte aus inlän-
dischen Beteiligungen stammen würden – ein steuerli-
cher Anreiz für ein Engagement im Ausland. Deutsch-
land subventionierte mit dieser Regelung also Investi-
tionen deutscher Unternehmen in Irland.
Der Verzicht auf Steuereinnahmen diente somit als In-
strument der Wirtschaftsförderung und entwicklungspo-
litischen Zusammenarbeit. Es handelte sich um eine
steuerliche Subvention von Investitionen im Ausland, die
von deutscher Seite toleriert wird. Im Regelfall findet
diese Anrechnungsmethode in Abkommen mit Entwick-
lungsländern oder Staaten in wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten Anwendung. Die steuerliche Unterstützung der
wirtschaftlichen Entwicklung war 1962 für Irland si-
cherlich eine sinnvolle Überlegung und Regelung. Das
geltende Abkommen ist mittlerweile aufgrund des wirt-
schaftlichen Aufholprozesses Irlands allerdings über-
holt. Das Land hat stark von seinem Beitritt zur Euro-
päischen Union und dem dadurch ausgelösten
Modernisierungsschub profitiert, insbesondere von der
Unterstützung aus den verschiedenen EU-Programmen
zur Förderung der wirtschaftlichen, strukturellen und
regionalen Entwicklung.
Inzwischen ist Irland ein starker Standort für Unter-
nehmen, sogar so stark, dass das Land einen der nied-
rigsten Körperschaftsteuersätze in Europa hat und da-
mit in einen starken Ansiedlungswettbewerb mit anderen
Staaten getreten ist, die einen höheren Steuersatz haben.
Die irische Regierung schreibt in einem Memorandum
zur Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ihrem Antrag auf
finanzielle Unterstützung im Rahmen des europäischen
Finanzstabilisierungsmechanismus, „dass Irland welt-
weit an vorderster Front steht, was die Bereitstellung ei-
ner unternehmensfreundlichen Umgebung angeht“. In
dieser Konstellation ist eine steuerliche Förderung über
eine fiktive Quellensteueranrechnung nicht mehr sinn-
voll und erforderlich. Deshalb hat die Bundesregierung
im Jahr 2007 Verhandlungen über eine Revision des Ab-
kommens aufgenommen. Die Aufhebung der fiktiven
Steueranrechnung hilft dabei, Steuersubstrat in Deutsch-
land zu sichern. Es handelt sich um ein Ziel, für das die
SPD-Bundestagsfraktion seit langem arbeitet.
Mit Blick auf die angekündigte Sicherung von Steuer-
einnahmen in Deutschland tritt allerdings ein Wider-
spruch im Gesetzentwurf der Bundesregierung zutage,
der sich auch in den Beratungen im Finanzausschuss
nicht aufklären ließ: Die Bundesregierung spricht in ih-
rem Gesetzentwurf davon, dass sich durch die Beseiti-
gung der fiktiven Quellensteueranrechnung „nicht bezif-
ferbare Steuermehreinnahmen“ für die öffentlichen
Haushalte ergeben. Andererseits heißt es zu den Kosten
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Wechsel zu einem „echten“ Anrechnungsverfahren auf-
zunehmen.
Leider hatte die Exekutive auch keine zufriedenstel-
lende Antwort auf die Frage, warum der Bundestag
nicht schon früher auf die alte Regelung der fiktiven
Quellensteueranrechnung hingewiesen wurde; schließ-
lich sind die Rechtfertigungsgründe dafür schon lange
entfallen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass uns
Irland von Schwarz-Gelb immer als Musterland für die
vermeintlichen Wohltaten von Steuersenkungen und
nachlässiger Finanzaufsicht vorgehalten wurde. Dabei
wurde allerdings übersehen, welcher Schaden für den
Staat bei solcher Unterfinanzierung entstehen würde.
Heute sehen wir das Problem, wenn das finanziell aus-
gezehrte Irland seine Finanzierungsschwierigkeiten, die
auch mit den umfangreichen Rettungsmaßnahmen für
seinen Bankensektor zusammenhängen, nur noch mit-
hilfe seiner europäischen Partnerländer bewältigen
kann.
Die Aufhebung der fiktiven Quellensteueranrechnung
und der damit verbundene Wegfall der steuerlichen För-
derung fallen ausgerechnet in eine Phase, in der es Ir-
land schlecht, sogar sehr schlecht geht. Diese zeitliche
Konstellation ist natürlich unglücklich und von nieman-
dem bewusst herbeigeführt, zumindest was die DBA-
Neuregelung angeht.
Die Finanzierungsschwierigkeiten Irlands spiegeln
allerdings auch die grobe Verhandlungsführung von
Bundeskanzlerin Merkel auf europäischer Ebene wider.
Ihre unausgereiften und unkoordinierten Vorschläge zu
einer Verschärfung des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts, SWP, zur Einrichtung eines europäi-
schen Stabilitätsmechanismus zur Bewältigung von
Staatsfinanzierungskrisen sind bei vielen Partnerstaaten
in Europa auf Ablehnung und heftige Kritik gestoßen.
Das außenpolitische Ansehen der Bundesrepublik und
ihr Einfluss in den auf Zusammenarbeit angelegten eu-
ropäischen Institutionen hat durch das rücksichtslose,
machtorientierte Auftreten der Bundeskanzlerin und ih-
ren fast schon herrischen Verhandlungsstil großen Scha-
den genommen.
Auch in der irischen Bevölkerung ist der Eindruck
entstanden, die schwarz-gelbe Bundesregierung habe
mit ihrem unkoordinierten Vorgehen und ihren vagen
Andeutungen viel Unsicherheit in die Finanzmärkte hi-
neingetragen und die in den vergangenen Tagen und
Wochen wachsenden Refinanzierungsschwierigkeiten
Irlands mitverschuldet. Die Nachwirkungen des irischen
Antrags auf Unterstützung werden den irischen Staats-
haushalt und die Menschen in Irland noch lange be-
schäftigen. Als Gegenleistung für die europäische und
internationale Unterstützung musste sich Irland wie zu-
vor schon Griechenland zu schmerzhaften Sparanstren-
gungen, zu einer tiefgreifenden Reorganisation, zu einer
Rekapitalisierung des Bankensektors und zu einschnei-
denden Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und in
den Sozialsystemen verpflichten. Die Beschlüsse, etwa
die Absenkung des Mindestlohns oder die Kürzung von
Sozialleistungen und Gehaltszahlungen im öffentlichen
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naus wird mit dem vorliegenden Änderungsprotokoll die
Gewährung von Vergünstigungen bei Schachteldividen-
den gemäß der Bestimmungen der europäischen Mutter-
Tochter-Richtlinie von 25 Prozent auf 10 Prozent ange-
passt.
Es ist allerdings zu begrüßen, dass während der Ver-
handlungen über das Revisionsabkommen im Juni die-
ses Jahres alle noch offenen Punkte geklärt werden
konnten und das neue Abkommen somit auch bereits pa-
raphiert werden konnte. Struktur und Inhalt entsprechen
im Wesentlichen den anderen deutschen Abkommen die-
ser Art. So wurde, was das Auskunftsverfahren anbe-
langt, der umfassende Informationsaustausch entspre-
chend der OECD-Musterklausel vereinbart. Er erstreckt
sich damit nicht nur auf die Bankenauskünfte, sondern
auch auf Sachverhalte wie Geldwäsche, Korruption und
Terrorismus. Man orientiert sich am aktuellen OECD-
Musterabkommen. Derzeit werden die Vertragstexte
übersetzt, sodass wir neben dem jetzt vorliegenden Än-
derungsprotokoll dann das gesamte Abkommen an den
aktuellen Stand der wirtschaftlichen Verflechtungen mit
Irland anpassen können. Bevor wir dieses im nächsten
Jahr beraten werden, sollten wir allerdings bereits heute
den vorliegenden Gesetzentwurf beschließen. Nur so
können wir die fiktive Quellensteueranrechnung bereits
für 2010 außer Kraft setzen und die entsprechenden
Steuermehreinnahmen verbuchen. Wir begrüßen die
Vorlage des Änderungsprotokolls, da es an der Zeit war,
eine Revision des bestehenden Abkommens aus dem
Jahr 1962 der Realität anzupassen.
Es ist unser ausgesprochener politischer Wille, die
Regelung der fiktiven Quellenbesteuerung als Instru-
ment der Entwicklungspolitik durch geeignetere Maß-
nahmen zu ersetzen, in Entwicklungsländern ebenso wie
innerhalb Europas. Wir freuen uns, dass diese Bundes-
regierung dies Schritt für Schritt umsetzt.
Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung endlich
die fiktive Anrechnung von Quellensteuern im derzeiti-
gen Doppelbesteuerungsabkommen mit Irland aufheben
will. Diese Änderung ist überfällig. Denn sie war ur-
sprünglich als Instrument zur wirtschaftlichen Entwick-
lung gedacht. Aber wie wir sehen konnten, hatte Irland
das die letzten Jahre definitiv nicht nötig, und der
OECD-Steuerausschuss empfahl das bereits 1998.
Noch einmal zur Rolle von Doppelbesteuerungsab-
kommen: Einerseits ist zu verhindern, dass Staatsbürger,
sofern sie in einem anderen Land arbeiten, übermäßig
besteuert werden. Gleichzeitig soll dadurch verhindert
werden, dass jemand Vermögen ins Ausland schafft und
dieses somit der Besteuerung im Ursprungsland ent-
zieht.
Der Knackpunkt zur tatsächlichen Verhinderung von
Steuerumgehung ist der Informationsaustausch zwi-
schen den Steuerbehörden der Länder. Hier steckt der
Teufel wie so oft im Detail. Selbst nach OECD-Muster-
abkommen erfolgt kein automatischer Informationsaus-
tausch, sondern lediglich ein Austausch auf Ersuchen.
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So kommt es, dass, ebenfalls wie in Griechenland, in
Irland Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, eine
Senkung des Mindestlohnes, die Erhöhung des Renten-
eintrittsalters auf 68 Jahre sowie eine Mehrwertsteuer-
erhöhung auf 21 Prozent als Bedingungen gesetzt wer-
den, damit Irland die finanziellen Hilfen erhält.
Fakt ist: So wie Sie im Moment weitermachen, wird
Irland nicht das letzte Land sein, mit dem wir uns hier
beschäftigen werden müssen.
Zunächst eine klare Aussage: Wir Grünen unterstüt-
zen das von den EU-Finanzministern geschnürte Ret-
tungspaket für Irland. Die Lage in Irland hat sich in den
vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt. Die akute
Ansteckungsgefahr für andere Euro-Staaten, die von der
angespannten Situation in Irland und den Reaktionen
auf den Finanzmärkten ausgeht, kann nur durch die In-
anspruchnahme des Euro-Rettungsschirms verringert
werden.
Das Programm zur Stützung des irischen Staatshaus-
haltes enthält aber auch harsche Einschnitte für die
Bürger Irlands: Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung des
Mindestlohns und Anhebung der Studiengebühren. Im-
mer wieder müssen Bürgerinnen und Bürger die Lasten
der Finanzkrise tragen, die sie selbst nicht verursacht
haben. Nicht zuletzt deshalb müssen wir noch mehr An-
strengungen unternehmen, die Ursachen der Krise zu
bestimmen und zu bekämpfen. Im Falle Irlands liegen
sie in einer laxen Regulierung, die Banken, um sie nach
Irland zu locken, praktisch alles durchgehen ließ. Bei
der Aufsicht der Banken wurde nun mit dem Einsetzen
von drei neuen EU-Finanzmarktaufsichtsbehörden end-
lich einiges verändert: Riskante Finanzmarktprodukte
können im Krisenfall verboten werden, die neue EU-Fi-
nanzmarktaufsicht erhält weitreichende Befugnisse bei
der Rettung maroder Geldinstitute bis hin zum Durch-
griffsrecht über nationale Aufseher hinweg. Wir müssen
nun genau beobachten, ob diese Aufsicht funktioniert
und die Regelungen angewendet werden. Auch müssen
wir Sorge dafür tragen, dass die Regelungen zur Kredit-
sicherung aus Basel III in der EU zügig umgesetzt wer-
den.
Natürlich haben wir auch das Thema der niedrigen
Unternehmensteuern; der Körperschaftsteuersatz liegt
in Irland bei 12,5 Prozent. Nun aber auf eine rapide Er-
höhung der Steuern oder auf eine Ausrichtung an einem
europäischen Durchschnittssteuersatz nur in Irland zu
dringen, halte ich für falsch. Richtig ist: Der nicht sinn-
volle Steuerwettbewerb in Europa muss beendet werden.
Dies kann mit der Harmonisierung der steuerlichen Be-
messungsgrundlage sowie mit der verbindlichen Eini-
gung auf Mindeststeuersätze gelingen. Die Bundesregie-
rung muss sich hierfür verstärkt einsetzen. Ein
gemeinsamer Markt braucht einen stärkeren Regelungs-
rahmen, und dazu gehört natürlich auch eine Harmoni-
sierung steuerlicher Regelungen.
Nun aber zum Doppelbesteuerungsabkommen. Die
vorliegende Änderung ist noch keine Gesamtrevision
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– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Auch Verletztenrenten von NVA-Angehöri-
gen der DDR anrechnungsfrei auf die
Grundsicherung für Arbeitsuchende stellen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Auch Verletztenrenten von NVA-Angehöri-
gen der DDR anrechnungsfrei auf die Al-
tersrente stellen
– Drucksachen 17/2326, 17/3217, 17/3734 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb
Ja, die Rechtslage ist hier eindeutig: Verletztenrenten
für Wehrdienstbeschädigte der Nationalen Volksarmee
wurden – analog zum bis dato gültigen DDR-Recht –
nach der Wende in die gesetzliche Unfallversicherung
überführt. Das heißt, die Schadensfälle wurden und wer-
den als normale Arbeitsunfälle behandelt und mit einer
„Unfallrente“ bedacht. Wehrdienstbeschädigten der
Bundeswehr wird dagegen eine Verletztenrente aus dem
Soldatenversorgungsgesetz gewährt. Eine Auswirkung
dieser unterschiedlichen rechtlichen Einordnung in Un-
fallversicherung und Soldatenversorgungsgesetz ist,
dass den ehemaligen NVA-Angehörigen ihre Verletzten-
rente vollständig auf die Grundsicherung für Arbeitsu-
chende angerechnet wird – im Gegensatz zu den ehema-
ligen Bundeswehrangehörigen. Die Fraktion Die Linke
fordert die gesetzliche Gleichbehandlung von ehemali-
gen NVA- und Bundeswehrangehörigen, indem die Ver-
letztenrenten der NVA-Angehörigen bis zur Höhe der
Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz bei der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht angerechnet
werden. Dieses Anliegen – insbesondere aus der Sicht
der einzelnen Betroffenen – teile ich.
Gleiches gilt auch für den zweiten Antrag. Beim Be-
zug einer Altersrente sollen die Verletztenrenten ehema-
liger NVA-Wehrdienstbeschädigter gemäß dem Bundes-
versorgungsgesetz ebenfalls anrechnungsfrei gestellt
werden.
Die hier tatsächlich bestehende Ungleichbehandlung
kann ich nicht nachvollziehen. Es erscheint mir un-
schlüssig, dass Wehrdienstleistende, die während ihres
Dienstes bei der Nationalen Volksarmee der DDR zu
Schaden gekommen sind, anders behandelt werden als
ihre Kolleginnen und Kollegen der Bundeswehr. Auf-
grund einer Petition in der 16. Wahlperiode hat der Pe-
titionsausschuss in seiner Beschlussempfehlung die Un-
gleichbehandlung ebenfalls als nicht sachgerecht und
verfassungsrechtlich bedenklich bewertet.
In meiner Fraktion wurde vorgeschlagen, eine belast-
bare Datenlage zu erarbeiten, um die Rechtslage neu be-
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wird sie angerechnet. So entsteht die Situation, dass Ver-
letztenrenten aus nahezu vergleichbaren Sachverhalten
unterschiedlich behandelt werden. Eine gerichtliche An-
fechtung der Anrechnung scheiterte bislang; denn es be-
stehen unterschiedliche Rechtsgrundlagen und damit
scheidet ein Gleichheitsverstoß aus.
Auch das Bundesarbeitsministerium hat entspre-
chend argumentiert, als es im April 2008 auf eine Hand-
lungsaufforderung des Petitionsausschusses reagierte.
Es sah keinen Anlass, an der bestehenden Rechtslage et-
was zu ändern, und stellte sich auf den Standpunkt, auch
nachträglich könne nicht von der in § 220 Abs. 4 Ar-
beitsgesetzbuch der ehemaligen DDR vorgesehenen
Gleichbehandlung zwischen Wehrdienst- und Arbeitsun-
fällen abgewichen werden. Das ist heute in der Tat dis-
kussionswürdig. Zwar ist die unterschiedliche Behand-
lung von Berufssoldaten und Wehrpflichtigen gerichtlich
bestätigt, politisch aber ist sie zu hinterfragen.
Wenn die Linke in diesem Zusammenhang von Ge-
rechtigkeit redet, sollte sie allerdings einen wichtigen
Aspekt eigentlich nicht unterschlagen: Die Wehrpflicht
in der DDR lässt sich mit der Wehrpflicht der Bundesre-
publik nicht vergleichen. In der Bundesrepublik gab und
gibt es die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten. Der SED-
Staat aber achtete rigoros darauf, dass niemand der
Wehrpflicht ausweichen konnte. Wer den Wehrdienst
verweigerte, ging für zwei Jahre ins Gefängnis. Wir soll-
ten die Menschen nicht noch beim ALG-II-Bezug gegen-
über Bundeswehr-Wehrpflichtigen benachteiligen.
Wie bereits erwähnt, hat der Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages – auch auf Betreiben der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion – deshalb in der vergangenen
Wahlperiode das Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales aufgefordert, hier eine gerechte Regelung zu erar-
beiten. Über die Haltung des Bundesarbeitsministeri-
ums dazu habe ich bereits gesprochen, auch darüber,
dass diese Auffassung rein rechtlich in Ordnung ist. Im
Sinne der Betroffenen und mit dem Ziel der Gleichbe-
handlung sollten wir hier dennoch zu einer politischen
Lösung kommen, allerdings im größeren Rahmen einer
Angleichung der Renten in West- und Ostdeutschland.
Für eine entsprechende Lösung hat sich die Union im
Koalitionsvertrag ausgesprochen. Die Ost-West-Renten-
angleichung ist für uns aber kein Selbstzweck. Entschei-
dend für die Angleichung ist für uns das konkrete Ergeb-
nis für die Beitragszahler und die Rentner.
Nahezu für alle ostdeutschen Rentner geht die Ren-
tenüberleitung mit einer erheblichen finanziellen Ver-
besserung einher. Beim Rentenzahlbetrag sind sie heute
im Vergleich zu den Rentnern im Westen im Durchschnitt
besser gestellt. Die monatliche Rente im Osten beträgt
durchschnittlich 1 004 Euro für Männer und 684 Euro
für Frauen. Im Westen sind es dagegen 967 Euro für
Männer und 485 Euro für Frauen.
Das Problem sind allerdings die ungleichen Renten-
werte in West und Ost. Gegen eine vorzeitige Anglei-
chung der Ost- an die Westrenten spricht, dass dann im
Gegenzug auch die Hochwertung der im Osten erzielten
Arbeitsverdienste auf das Westniveau aufgegeben wer-
den müsste. Im Westen musste im Jahr 2006 ein Arbeit-
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Maßnahme zur Herstellung gleichwertiger Lebensver-
hältnisse auf der Basis von Rentengerechtigkeit. Das
dürfen wir nicht vergessen, wenn wir über Gleichbehand-
lung verschiedenster Gruppen in diesem Hause spre-
chen.
Das Engagement dieser Bundesregierung für die
Rentengerechtigkeit wird sich auch darin zeigen, ob die
Kanzlerin mit ihrer vollmundigen Versprechung Ernst
macht und den Koalitionsvertrag mit der FDP Ernst
nimmt. Es geht um die Gerechtigkeit für Menschen, die
ihr Leben lang hart gearbeitet haben und mit überwie-
gend kleinen Renten leben müssen.
Die Anrechnung von Verletztenrenten früherer NVA-
Angehöriger auf ihre Altersrente bzw. auf die Grund-
sicherung wird von Betroffenen als ungerecht empfun-
den. Das kann ich nachvollziehen, und deshalb habe ich
mich mehrfach mit diesem Thema befasst und Gesprä-
che mit Vertretern dieser Gruppe geführt.
Der Sachverhalt ist aber nicht so schlicht, wie uns die
Linken Glauben machen wollen. Das begründet sich
hauptsächlich dadurch, dass die NVA-Verletztenrenten
Anteile eines Schmerzensgeldes und Anteile eines Lohn-
ersatzes in jeweils nicht definierter Höhe enthalten. Die
reine Forderung einer Nichtanrechnung dieser Leistung,
wie es bei einem reinen Schmerzensgeld der Fall wäre,
ist also nicht angemessen. Wollten wir so verfahren, ent-
stünden vergleichbare Ansprüche bei Zivildienstleisten-
den und anderen Gruppen. Die „gefühlte“ oder tatsäch-
liche Ungerechtigkeit würde also nur verlagert.
In der DDR war der Unfall eines Wehrdienstleisten-
den einem Arbeitsunfall gleichgestellt. Deshalb hatten
die Betroffenen Anspruch auf eine Unfallrente aus der
allgemeinen Sozialversicherung der DDR und wurden
später in die entsprechenden Zweige der bundesdeut-
schen Sozialversicherung überführt. Weil dabei ein
Durchschnitts-Jahresarbeitsverdienst zugrunde gelegt
wurde, ergab sich für Geringverdiener sogar ein gewis-
ser Vorteil. Anders war das bei Zeit- und Berufssoldaten.
Sie waren durch das Sonderversorgungssystem der NVA
abgesichert und erhielten im Falle eines Dienstunfalls
eine Dienstbeschädigungsrente. Diese Dienstbeschädigungs-
vollrenten nach der Versorgungsordnung der NVA wur-
den mit dem Einigungsvertrag in die gesetzliche Renten-
versicherung überführt. Sie gelten als Invalidenrenten
und wurden damit zu Erwerbsunfähigkeitsrenten der ge-
setzlichen Rentenversicherung, die bei Erreichen der Al-
tersgrenze in Altersrente umzuwandeln ist.
Das heißt, die Dienstbeschädigungen, die bei Wehr-
pflichtigen zu einer zusätzlichen Unfallrente führten,
blieben bei den Zeit- und Berufssoldaten der NVA zu-
nächst ohne Ausgleich. Deshalb wurde für ehemalige
Angehörige der Sonderversorgungssysteme ein Dienst-
beschädigungsausgleich eingeführt, der in Höhe der
Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz gezahlt
wird und ausschließlich den immateriellen Schaden ent-
schädigt.
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rente wird vollständig auf das Arbeitslosengeld II ange-
rechnet – anders bei Bundeswehrangehörigen, die we-
gen eines erlittenen Unfalls eine Wehrdienstbeschädig-
tenrente erhalten. Diese Rente gilt bis zur Höhe der
Grundrente nach Bundesversorgungsgesetz als privile-
giertes Einkommen und kommt den Betroffenen – sinn-
vollerweise – zugute.
Die derzeitige augenscheinliche Ungleichbehand-
lung hat bereits vor mehr als drei Jahren den Petitions-
ausschuss veranlasst, die Regelung für bei der NVA er-
littene Schädigungen „nicht für sachgerecht und für
verfassungsrechtlich bedenklich“ zu bewerten. Eine
Einschätzung, die sich der Bundestag zueigen machte,
als er die entsprechende Petition an die Bundesregie-
rung als Material überwies und den Fraktionen zur
Kenntnis gab. Aufgrund dessen legte meine Fraktion einen
Antrag vor. Wir wollten uns damals – und nun erneut –
nicht damit abfinden, dass eine Wehrdienstbeschädi-
gung im Osten weniger wert ist als im Westen.
Ein Blick in die damalige Debatte erklärt die Hoff-
nungen, die sich Betroffene am Ende der 16. Wahl-
periode machten: Die Abgeordneten von FDP und Grü-
nen stimmten seinerzeit für unseren Antrag. Kollege
Heinz-Peter Haustein von der FDP stellte fest: „Wer
den Wehrdienst verweigerte, ging für zwei Jahre ins Ge-
fängnis. Somit hatten Wehrpflichtige keine Chance, dem
zu entgehen. Wir sollten die Menschen nicht noch beim
ALG-II-Bezug gegenüber Bundeswehrpflichtigen be-
nachteiligen.“ Kollegin Maria Michalk von der CDU er-
klärte ihre Bereitschaft, die Verletztenrenten in der kom-
menden – also in der jetzt laufenden – Wahlperiode
„pragmatisch“ zu beraten. Sie plädierte für eine
„lösungsorientierte Herangehensweise im Sinne der be-
troffenen ehemaligen NVA-Soldaten“. Mit unserem er-
neuten Antrag wollten wir das Thema in Erinnerung
bringen. Die Betroffenen haben keine Zeit zu verlieren.
Der zweite vorliegende Antrag meiner Fraktion greift
eine gleichgelagerte Ungerechtigkeit auf. Hierbei geht
es um den gleichzeitigen Bezug von Altersrente und Ver-
letztenrente für frühere NVA-Angehörige. Auch in die-
sem Falle erfolgt eine Anrechnung, während sie für frü-
here Bundeswehrangehörige anrechnungsfrei gestellt
wird. Dass ausgerechnet Menschen, die durch erlittene
Schädigungen schon genug leiden und mit Beeinträchti-
gungen leben mussten, in dieser Weise benachteiligt
werden, ist nicht länger hinnehmbar.
Im federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales
haben alle Oppositionsfraktionen die Bundesregierung
aufgefordert, dieses Problem zu lösen. Auch die Abge-
ordneten von Union und FDP sehen Handlungsbedarf.
Ich appelliere an Sie: Stehen Sie zu Ihrem Wort und neh-
men Sie diese Aufgabe rasch in Angriff.
Wehrdienstbeschädigungen bei Soldaten der Bundes-
wehr und der ehemaligen NVA sind in unterschiedlichen
Rechtsgrundlagen geregelt. Bundeswehrsoldaten erhal-
ten eine Versorgung nach dem Soldatenversorgungsge-
setz. Ehemalige Angehörige der NVA sind im Rahmen
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nicht. Wir müssen also untersuchen, ob hier eine Un-
gleichbehandlung von früheren Angehörigen der Natio-
nalen Volksarmee, NVA, und der Bundeswehr vorliegt,
die nicht gerechtfertigt ist. Letztlich handelt es sich bei
einer Schädigung im Rahmen des Dienstes bei der NVA
um einen vergleichbaren Sachverhalt wie bei einer
Wehrdienstbeschädigung im Rahmen des Dienstes bei
der Bundeswehr. Allein die Tatsache, dass diese Ansprü-
che im Rahmen der Sozialunion in die gesetzliche Un-
fallversicherung überführt wurden, kann eine unter-
schiedliche Behandlung bei der Anrechnung als
Einkommen im Rahmen der Grundsicherung für Arbeit-
suchende nach meiner Überzeugung, im Übrigen auch
der des Petitionsausschusses, nicht rechtfertigen. Der
Petitionsausschuss hat diese Regelung für nicht sachge-
recht und für verfassungsrechtlich bedenklich erachtet.
Es liegt also ganz klar auf der Hand, dass es sich dem
Sinne nach auch bei Zahlungen an die ehemaligen NVA-
Angehörigen um Entschädigungen handelt, genauso wie
es bei der Bundeswehr der Fall ist.
Meine Fraktion plädiert dafür, eine lösungsorien-
tierte Herangehensweise im Sinne der betroffenen ehe-
maligen NVA-Soldaten zu prüfen. Meines Erachtens
braucht es dafür zunächst eine verlässliche Datengrund-
lage, aus der hervorgeht, wie viele Bürger betroffen
sind, einschließlich aller Kostenfragen. Auf dieser
Grundlage sollte das Anliegen fundiert beraten werden.
Gleiche Sachverhalte müssen gleich behandelt wer-
den. Die Verletztenrente der ehemaligen NVA-Angehöri-
gen darf genauso wie die Leistungen an Bundeswehran-
gehörige nach dem Soldatenversorgungsrecht nicht auf
die Grundsicherung nach dem ALG II angerechnet wer-
den. Deshalb plädieren wir für eine lösungsorientierte
Herangehensweise im Sinne der betroffenen ehemaligen
NVA-Soldaten und stimmen dem Antrag der Linken zu.
Wir kommen zur Abstimmung der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf
Drucksache 17/3734. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2326.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktio-
nen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3217. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfrak-
tionen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in
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schaffene zentrale Stelle hat die Missbrauchskontrolle
dabei klar erleichtert. Europarechtliche und daten-
schutzrechtliche Vorgaben machen es nun erforderlich,
dass Banken in dieser Frage auch mit allen übrigen Aus-
kunfteien zusammenarbeiten. Da der Gesetzgeber diese
Notwendigkeit bei der letzen Novelle zu § 850 k Abs. 8
ZPO im vergangenen Sommer nicht erkannt hat, ist mit
der nun vorliegenden Neuregelung zu Recht von einer
„Reparaturklausel“ in Hinblick auf die Gleichbehand-
lung die Rede.
Ob die Einbeziehung der übrigen Auskunfteien jedoch
in der Konsequenz auch zu einer Zersplitterung und da-
mit Erschwerung des effektiven Informationsaustauschs
zwischen Banken und Auskunfteien führt, wie teilweise
befürchtet wird, muss abgewartet werden. Zwar sind tat-
sächlich praktische Schwierigkeiten denkbar, wenn eine
Bank erst bei einer Vielzahl von Auskunfteien anfragen
muss, um endlich sicher darüber Auskunft zu bekommen,
ob ein Kunde bereits ein Pfändungsschutzkonto führt. Je-
doch ist dies angesichts der dominierenden Stellung der
Schufa auf diesem Markt nicht zu erwarten.
Auch schließen wir mit der Novelle ausdrücklich aus,
dass Daten über das Bestehen eines P-Kontos zu ande-
ren Zwecken genutzt werden als zur Überprüfung der
Richtigkeit der Versicherung des Kunden, nach welcher
eben noch kein Pfändungsschutzkonto auf seinen Namen
geführt werde. Auch diese eindeutige Regelung dürfte
dem Wettbewerb um die Information über das Bestehen
eines P-Kontos an Schärfe nehmen und damit der be-
fürchteten zersplitterten Informationslage zu bestehen-
den P-Konten entgegenwirken.
Sollten sich die Befürchtungen einzelner Sachver-
ständiger allerdings bewahrheiten und sollte den Ban-
ken die Missbrauchsbekämpfung dadurch erschwert
werden, dass sie nicht oder nicht rechtzeitig an die
erforderlichen Informationen über das Bestehen von
P-Konten kommen, weil bei der Vielzahl der relevanten
Auskunfteien der richtige Ansprechpartner nicht ersicht-
lich ist, so werden wir als Gesetzgeber nicht untätig sein
können und eine entsprechende gesetzliche Änderung
vornehmen müssen. Denn eines ist klar: Durch die nun
erforderlich gewordenen Anpassungen darf das Haupt-
anliegen des § 850 k Abs. 8 ZPO nicht in den Hinter-
grund geraten: Der Schutz der Marktteilnehmer vor
Missbrauch durch das Führen mehrerer Pfändungs-
schutzkonten darf nicht an Effektivität verlieren. Ich bin
optimistisch, dass die Neuregelung diesen Praxistest be-
stehen wird.
Grundsätzliche Schwachstellen im nationalen Recht
werden durch die Änderung des Zugangs zum Insolvenz-
verwalterberuf für Personen, die die Staatsangehörig-
keit eines anderen EU- oder EWR-Staats besitzen, deut-
lich. Wir schaffen für die genannten Verwalter eine
einheitliche Stelle, an die sie sich bei Interesse für eine
Verwaltertätigkeit wenden können. Diese Stelle leitet ih-
rerseits die Unterlagen an das zuständige Insolvenzge-
richt weiter. Auch führen wir für dieses Verfahren eine
dreimonatige Entscheidungsfrist ein.
Die Auswahl der Insolvenzverwalter durch die zu-
ständigen Gerichte in Deutschland ist mehr als nur un-
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Mechanismus der Verhinderung von Missbräuchen beim
Pfändungsschutzkonto nach § 850 k Abs. 8 der Zivilpro-
zessordnung und zur Amtsenthebung von Schöffen bei
gröblicher Amtspflichtverletzung zu lösen. Gleiches gilt
für auftretende Streitfragen bei den Gerichtskosten und
Anwaltsgebühren im neuen familienrechtlichen Verfah-
ren.
Wie sie wissen, müssen EU-Richtlinien nach deut-
schem Recht grundsätzlich durch ein formelles Gesetz in
innerstaatliches Recht transformiert – oder besser ge-
sagt: umgesetzt – werden. Genau das machen wir heute.
Insgesamt betrifft die EU-Richtlinie im Bereich der Jus-
tiz relativ geringfügige Rechtsanpassungen sowie Ände-
rungen beispielsweise im Kostenrecht. Sie haben im We-
sentlichen nur klarstellende Funktion oder gar nur
redaktionellen Charakter.
Ich möchte dennoch die Gelegenheit zum Anlass neh-
men, auf einen Punkt etwas näher einzugehen, der, so
glaube ich, in dieser insgesamt naturgemäß eher forma-
len Vorlage, für viele Bürgerinnen und Bürger von be-
sonderem Interesse ist. Ich meine den Pfändungsschutz
durch das sogenannte P-Konto. Die SPD hat die Einfüh-
rung des Pfändungsschutzkontos zum 1. Juli dieses Jah-
res ausdrücklich begrüßt. Denn es erlaubt Schuldnern,
auch bei Kontopfändung unbürokratisch über das ga-
rantierte Existenzminimum zu verfügen.
Mit der heutigen Reform des Pfändungsschutzes, ins-
besondere durch das Pfändungsschutzkonto, ist es not-
wendig gewesen, weitere gesetzliche Regelungen zu tref-
fen, die einen Missbrauch verhindern. Durch die
Änderung des § 850 k Abs. 8 Satz 3 und 4 ZPO ist ein
Weg beschritten, der verhindern soll, dass einzelne Per-
sonen mehrere Pfändungsschutzkonten bei unterschied-
lichen Kreditinstituten unterhalten können. Damit wird
unterbunden, dass diese Personen zum Nachteil der
Gläubiger mehrfachen Kontopfändungsschutz in An-
spruch nehmen. Diese Missbrauchskontrolle geschieht
mit einem Informationsaustausch zwischen den Banken,
die ein Pfändungsschutzkonto für ihre Kunden führen,
und Auskunfteien. Mit dem hier vorliegenden Gesetzent-
wurf soll dies optimiert und europäisch harmonisiert
werden.
Allerdings – und das ist aus meiner Sicht wesentlich –
dürfen diese eingeführten Kontrollmechanismen nicht zu
Abstrichen beim Schutz der Rechte der betroffenen Kon-
toinhaberinnen und -inhaber führen. Dennoch ist es aus
meiner Sicht richtig und im Interesse der Gläubiger so-
wie der Schuldner, diese in § 850 k ZPO vorgenommene
gesetzliche Änderung vorzunehmen.
Bei Auskunftsverlangen von Kreditinstituten im Hin-
blick auf die Bonität potenzieller Vertragspartner wen-
den sich diese in der Praxis im Regelfall an die Schufa
Holding AG; das ist Schutzgemeinschaft für allgemeine
Kreditsicherung. Mit den in diesem Gesetzentwurf vor-
genommenen Änderungen der ZPO werden die Banken
allerdings ermächtigt, nicht nur die Schufa über die Ein-
richtung eines Pfändungsschutzkontos zu unterrichten.
Denn nach diesem Gesetzentwurf können nunmehr Ban-
ken und Sparkassen, die nicht mit der Schufa, sondern
mit anderen Auskunfteien zusammenarbeiten, auch die-
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ner neuen Berufsausübungsgesellschaft – erforderlich
ist. Ebenso in den Bereich der Rechtsberatung gehört,
dass künftig auch europäische Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer mit der Befähigung zum deutschen
Richteramt vor Verwaltungs- und Sozialgerichten sowie
dem Bundesverfassungsgericht auftreten können. Fer-
ner erhalten nunmehr europäische Bewerber, die als In-
solvenzverwalter in Deutschland tätig werden wollen,
Klarheit darüber, an wen sie sich in diesem Fall wenden
müssen.
Diese Regelung ist notwendig, da auch Insolvenzver-
walter unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fal-
len. Sie sind Dienstleister in hoheitlichem Auftrag, ohne
dabei selbst hoheitliche Gewalt auszuüben. Daher ist
auf sie die Ausnahmevorschrift des Art. 2 Buchstabe i
der Richtlinie nicht anwendbar. Mit der Einführung des
Art. 102 a EGInsO wird aber weder eine Vorentschei-
dung für ein noch zu schaffendes deutsches Zulassungs-
verfahren für Insolvenzverwalter getroffen, noch erfolgt
eine Ungleichbehandlung von deutschen und europäi-
schen Bewerbern. Für die Beauftragung mit einem kon-
kreten Fall ist weiterhin der jeweilige Richter zuständig.
Neben der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie bot
sich dieses Gesetzgebungsverfahren dazu an, noch klei-
nere notwendige Anpassungen in verschiedenen anderen
Bereichen vorzunehmen.
Ich will nur auf einige davon kurz eingehen. Die erste
Änderung betrifft das Pfändungsschutzkonto – P-Konto –,
das wir in der letzten Legislaturperiode eingeführt ha-
ben. Um sicherzustellen, dass jede Person nur ein einzi-
ges Pfändungsschutzkonto führt, sieht § 850 k Abs. 8
ZPO vor, dass die Kreditinstitute die Führung eines sol-
chen Kontos der Schufa Holding AG mitteilen dürfen
und diese wiederum ihrerseits Kreditinstituten auf An-
trag Auskunft über ein bestehendes Pfändungsschutz-
konto des Kunden erteilen darf. Mit der Änderung in
§ 850 k ZPO werden nunmehr alle Auskunfteien gleich-
berechtigt behandelt. Die Fraktionen waren sich einig,
dass die in der Beratung angesprochene sogenannte
Monatsanfangsproblematik, die bei der Einrichtung des
P-Kontos auftreten kann und seit Einführung des P-Kon-
tos bereits zu Problemen geführt hat, noch einer geson-
derten Regelung bedarf. Hier hat das Justizministerium
zugesagt, alsbald einen entsprechenden Änderungsvor-
schlag vorzulegen.
Schließlich haben wir auf Bitten des Bundesrates ei-
nige Anpassungen vorgenommen. So schaffen wir im
Kostenrecht Übergangsvorschriften zur Höhe des Haft-
kostenbeitrags, die bis zum Erlass entsprechender lan-
desrechtlicher Vorschriften anzuwenden sind. Auch füh-
ren wir eine Länderöffnungsklausel für die Regelung der
Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in verwaltungs-
rechtlichen Notarsachen ein.
Außerdem vereinfachen wir das Wahlverfahren zum
Vorstand der Rechtsanwaltskammern, das mit seinen
bisherigen Mehrheitserfordernissen in der Vergangen-
heit zu Schwierigkeiten geführt hat. Nunmehr wird ab
dem dritten Wahlgang die einfache Stimmenmehrheit
ausreichen. Ich denke, wir haben damit zügig und ein-
vernehmlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das den
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Sie es doch auch bitte so konkret in das Gesetz. Auch ein
Verweis auf die Verwendung der Begriffe „gröbliche
Verletzung“ in bereits geltenden Gesetzen begründet
keine Legitimation. Vielmehr belegen sie, dass auch dort
gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Mit der
Neubesetzung des § 51 Gerichtsverfassungsgesetz und
der bereits im Sommer verabschiedeten Änderung von
§ 33 Gerichtsverfassungsgesetz wird faktisch die Mög-
lichkeit geschaffen, sich unliebsamer oder unbequemer
Schöffinnen und Schöffen schnell und einfach, ohne dass
diese eine Möglichkeit zur Verteidigung haben, zu entle-
digen. Das ist wirklich kein Ruhmesblatt.
Im Gesetzentwurf sich aber auch wichtige Regelun-
gen, zum Beispiel für das Berufszulassungsverfahren zur
Rechtsanwaltschaft. Danach ist die Einführung einer
Dreimonatsfrist zur vollständigen Bearbeitung eines Zu-
lassungsantrages vorgesehen. Somit müssen junge Ju-
ristinnen und Juristen nicht mehr über Gebühr auf ihre
Zulassung als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt war-
ten. Neben verfahrensrechtlichen Regelungen zur Insol-
venzverwaltervorauswahl ist eine Gleichstellung von
Rechtslehrerinnen und Rechtslehrern aus dem europäi-
schen Ausland mit Rechtslehrerinnen und Rechtslehrern
an deutschen Hochschulen im Hinblick auf die Prozess-
führungsbefugnis im deutschen Gerichtsverfahren vor-
gesehen. Trotz einer Reihe sinnvoller Artikel, die zur
Verbesserung der Rechtslage beitragen, ist aufgrund der
völlig unzureichenden Regelung der Amtsenthebung von
Schöffinnen und Schöffen eine Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf nicht möglich.
Auf der Tagesordnung steht heute der „Gesetzentwurf
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Jus-
tiz und zur Änderung weiterer Vorschriften“. Der Ge-
setzentwurf umfasst die unterschiedlichsten Regelungen.
Ich möchte mich mit meinen Ausführungen auf nur eines
dieser vielen Themen beschränken – das ist ein Thema,
das mir aus Sicht des einzelnen Bürgers und der einzel-
nen Bürgerin besonders wichtig erscheint –: das Pfän-
dungsschutzkonto, kurz: P-Konto.
Wir alle wissen: Ein P-Konto ist kein neues Bank-
konto. Es ermöglicht dem Verbraucher, mit Banken oder
Sparkassen zu vereinbaren, dass ein bereits bestehendes
Girokonto als Pfändungsschutzkonto geführt wird. Das
Geldinstitut muss dann dafür Sorge tragen, dass der
Pfändungsschutz gewahrt bleibt. Im Falle einer
Zwangsvollstreckung gegen seinen Kunden darf das
Geldinstitut den pfändungsfreien Betrag nicht an den
Gläubiger auskehren.
Die Regelungen zum Pfändungsschutz finden sich in
§ 850 k ZPO. Abs. 8 dieser Vorschrift soll nun neu ge-
fasst werden. Was verbirgt sich nun in § 850 k Abs. 8
ZPO? Durch § 850 k Abs. 8 ZPO soll sichergestellt wer-
den, dass jeder Bürger und jede Bürgerin nur ein einzi-
ges und nicht mehrere Pfändungsschutzkonten führt.
Denn natürlich kann jede Schuldnerin und jeder Schuld-
ner den Pfändungsfreibetrag auch nur einmal und nicht
mehrmals in Anspruch nehmen. Bisher ist geregelt, dass
Geldinstitute ausschließlich die Schufa Holding AG
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wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/3356 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Ablehnung der Fraktion Die
Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie bei der zweiten Beratung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Lebensmittel-Smiley nach dänischem Vor-
bild bundesweit einführen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Smiley-Kennzeichnungssystem bundesweit
verbindlich einführen
– Drucksachen 17/3434, 17/3220, 17/3994 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Bleser
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Erik Schweickert
Karin Binder
Ulrike Höfken
Ein Smiley an der Eingangstür als Hinweis darauf,
dass in Küche, Keller und Gastraum alles sauber ist? All
unsere Probleme in diesem Bereich sind gelöst? Nach
dem Weltbild der Grünen und Linken mag das so sein.
Die Welt ist aber nicht schwarz oder weiß, auch Grau-
zonen müssen wir im Blick behalten und hinterfragen.
Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Die Union
sagt Ja zu mehr Transparenz. Restaurantgäste sollen auf
einen Blick erkennen, wie die Gaststätte bei der Lebens-
mittelkontrolle abgeschnitten hat. Smileys und damit
wertende Modelle lehnen wir allerdings ab.
Eine Bemerkung vorneweg: Lebensmittelüberwa-
chung ist und bleibt in Deutschland Ländersache. Wer
bestellt, bezahlt. Das ist nicht nur im Restaurant oder in
der Kneipe so, sondern es ist auch hier unser Credo.
Ihre Forderungen nach mehr Geld und finanzieller Un-
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Vergessen wir nicht: Die Gesetze im Bereich der Le-
bensmittelüberwachung und der -kontrollen in Deutsch-
land sind schon jetzt auf einem hohen Standard. Wirten,
die sich nicht an die Regeln halten, drohen Bußgelder,
im schlimmsten Fall die Schließung des Betriebs. Kon-
trolliert werden schon heute nach einem bestimmten
System verschiedene Aspekte, etwa Sauberkeit, Lage-
rung der Waren oder Verarbeitung.
Das Regelwerk besteht. Die Transparenz für den Ver-
braucher gilt es jetzt moderat und umsetzbar auszu-
bauen. Statt sich aber wie die Opposition nur auf die
Kennzeichnungsfrage zu versteifen, sollten wir auch an-
dere Aspekte zur Verbesserung der Lebensmittelsicher-
heit im Blick behalten. Wir brauchen vor allem einen
Sachkundenachweis für Unternehmensgründer in der
Gastronomie. Jeder kann bis heute ungeprüft einen Be-
trieb eröffnen. Kontrolle – Fehlanzeige! Die Konsequenz:
Asia-Shops und Grillbuden an jeder Ecke. Hygiene ist
hier oftmals ein Fremdwort. Hier müssen wir ansetzen
und die Standards in der Branche anheben.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb
dafür ein, dass jeder, bevor er eine Gaststätte oder einen
Betrieb in der Lebensmittelbranche eröffnet, entweder
in Form einer Ausbildung oder durch Seminarbesuche
in den Bereichen Arbeitsrecht, Betriebswirtschaft und
Hygienevorschriften lernen muss. Das würde das Image
der Branche stärken und dem Verbraucher mehr Sicher-
heit geben, dass Besitzer von Dönerbuden und anderen
Shops wissen, wie unsere Hygienestandards sind.
Die Union sagt mit Blick auf die Verbraucher Ja zu
mehr Transparenz im Lebensmittelbereich, zu mode-
raten, nicht wertenden und umsetzbaren Kennzeich-
nungssystemen und zu einem verpflichtenden Sach-
kundenachweis für Gastronomiebesitzer im Rahmen der
Gewerbeaufsicht. Wir sagen Nein zu wertenden und dif-
famierenden Kennzeichnungssystemen, solange die
Chance der Betriebe auf zeitnahe Kontrollen nicht ge-
währleistet ist.
Im April dieses Jahres ergab eine repräsentative Um-
frage des Emnid-Institutes, dass 93 Prozent der Bürge-
rinnen und Bürger eine Smiley-Kennzeichnung für Gast-
stätten und Lebensmittelbetriebe haben wollen, die sie
einfach, schnell und unkompliziert über den Hygienezu-
stand informiert. Wir meinen: Das ist ihr gutes Recht.
Schließlich zahlen Bürgerinnen und Bürger mit ihren
Steuergeldern die amtlichen Kontrollen. Da sollten sie
auch erfahren dürfen, was dabei herauskam. Die SPD
will Informationen und Kennzeichnungen, die all-
tagstauglich sind und Verbrauchern wirklich nutzen. Wir
wollen die verpflichtende Smiley-Kennzeichnung nach
dänischem Vorbild für Gastronomie und Lebensmittel-
betriebe, die Verbraucher auf einen Blick und vor Ort
über Hygienekontrollergebnisse informiert.
Diese Art von Transparenz nützt nicht nur Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern, sondern auch den Lebens-
mittelbetrieben; denn für die große Mehrheit der sauber
wirtschaftenden Betriebe ist der Positiv-Smiley ein Wett-
bewerbsvorteil. Verwunderlich ist deshalb, warum sich
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gemacht. Denn die Veröffentlichung der Hygienezu-
stände hat eine solch abschreckende Wirkung, dass der
Anreiz, sich ordentlich zu verhalten und sauber zu wirt-
schaften, viel höher geworden ist. Berichtet wurde uns,
dass es im Bezirk vor der Einführung der Smileys in
2008 111 Betriebsschließungen gab. Nach der Einfüh-
rung in 2009 sank die Zahl der Betriebe, die wegen an-
haltend schlechter Hygienezustände geschlossen werden
mussten, auf 71. Ohne Smileys seien früher Bußgelder
für Verstöße einfach aus der Portokasse gezahlt worden,
und dann sei der Betrieb weitergelaufen wie zuvor. Mit
Smileys müssen Schmuddelgastronomen damit rechnen,
dass die Gäste wegbleiben, und das kann sich niemand
leisten.
Die Kosten für die Nachkontrollen bei Schmuddellä-
den zahlen übrigens derzeit die Steuerzahler. Zwar muss
der Verursacher eine Gebühr entrichten, sie deckt aber
bei weitem nicht die Kosten der Nachkontrolle. Wenn
man es allerdings wie die Dänen regeln würde, könnte
man für diejenigen, die einen Negativ-Smiley haben, die
Möglichkeit schaffen, sich auf eigene Kosten nachkon-
trollieren zu lassen, um den Negativ-Smiley wieder los-
zuwerden. Damit käme Geld in die Kassen, mit dem die
Lebensmittelaufsicht besser ausgestattet werden könnte.
Der Leiter der Lebensmittelaufsicht in Pankow konnte
uns an vielen Fällen aus der Praxis verdeutlichen, dass
dem Amt mit der Smiley-Kennzeichnung endlich eine
wirksame Waffe im Kampf gegen Hygiene-Verstöße ge-
geben ist. All dies hat die Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU aber nicht interessiert. Von ihnen hat nie-
mand die Gelegenheit zum Austausch mit Praktikern ge-
nutzt; nicht ein einziger Abgeordneter von CDU oder
CSU hat teilgenommen.
Laut Empfehlung des Verbraucherausschusses sollen
die Anträge von Grünen und Linken zur Einführung von
Smileys abgelehnt werden. Meine Fraktion lehnt die Aus-
schussempfehlung ab. Die Einführung des Smiley-Sys-
tems nach dänischem Vorbild ist uns ein Anliegen. Auch
wenn die Regierungskoalition mit ihrer Mehrheit die Ab-
lehnung der Anträge zur Smiley-Einführung erreicht:
Die Diskussion wird weitergehen. Mit dem Verbraucher-
informationsgesetz haben wir die Möglichkeit zur akti-
ven Verbraucherinformation geschaffen, und einige nut-
zen sie bereits tatsächlich. Allerdings brauchen wir ein
paar klarstellende Nachbesserungen am VIG. Doch bis-
her mauert schwarz-gelb.
In Berlin werden ab Juli nächsten Jahres alle Bezirke
ihre Gaststätten mit Smileys kennzeichnen. Es gibt be-
reits Überlegungen, nicht nur Gaststätten, sondern alle
Lebensmittelbetriebe zu kennzeichnen. Wir gehen davon
aus, dass sich das System durchsetzen wird. Immer mehr
werden einsteigen; denn die Vorteile für die Verbrau-
cher, für die seriösen Unternehmen und für die Lebens-
mittelüberwachung sind offensichtlich. Wir werden uns
weiterhin für die Smileys und für eine aktive und all-
tagstaugliche Verbraucherinformation einsetzen.
Wenn jemand Hunger bekommt und sich überlegt,
zum Mittagessen in ein Restaurant zu gehen, dann
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übereilten Schnellschuss vorlegen. Deshalb gibt es ja
auch die angesprochene Projektgruppe. Außerdem ar-
beitet die Bundesregierung intensiv an der Novellierung
des Verbraucherinformationsgesetzes, in dessen Rah-
men auch eine Regelung zur Kennzeichnung in der Gas-
tronomie diskutiert wird. Beide Bereiche müssen also
zusammen behandelt werden. Denn es ist doch absurd,
dass nach dem derzeitigen VIG zwar die schlecht arbei-
tenden Gastronomen im Internet veröffentlicht werden
dürfen, jene, bei denen alles vorbildlich ist, aber nicht.
Allerdings stelle ich auch ganz klar fest, dass ich es
für einen Fehler hielte, die Verantwortung für die Um-
setzung des Smiley-Systems allein den Ländern zuzu-
schieben. Es ist zwar richtig, dass die Lebensmittelüber-
wachung in der Zuständigkeit der Länder liegt. Ebenso
richtig ist es aber auch, dass eine bundeseinheitliche Re-
gelung nur im Zusammenspiel der Bundesregierung mit
den Ländern erfolgen kann. Es darf eben keinen Ver-
schiebebahnhof der Zuständigkeiten zwischen Bund und
Ländern geben, bei dem der effiziente Verbraucher-
schutz auf der Strecke bleibt.
Voraussetzung für die Umsetzung des Smiley-Systems
ist allerdings die Neuorganisation der Lebensmittelkon-
trolle. Denn zum einen muss sichergestellt sein, dass
gute Gaststätten zeitnah einen Smiley erhalten, um Wett-
bewerbsnachteile zu vermeiden. Zum anderen müssen
Gaststätten, bei denen Beanstandungen vorlagen, nach
Beseitigung der Mängel die Chance erhalten, eine Ne-
gativbewertung ebenfalls zeitnah wieder loszuwerden.
Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass keine Ab-
kehr von der risikoorientierten Kontrolle erfolgt, das
heißt bereits auffällige Gaststätten weiterhin häufiger
kontrolliert werden als unauffällige Betriebe. Auch muss
zwingend vermieden werden, dass durch einen Mangel
an ausreichendem Kontrollpersonal nur noch Gaststät-
ten und keine Zulieferbetriebe – Kühlhäuser etc. – mehr
kontrolliert werden. Denn dem Verbraucher ist nicht ge-
holfen, wenn am Ende zwar die Theken und Küchen der
Gaststätten sauber sind, aber das dort zubereitete
Fleisch gesundheitlich problematisch ist.
Der Smiley in der Gastronomie kann, wenn er gut
eingesetzt ist, einen wirklichen Fortschritt für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher bringen. Er schafft
Transparenz bei wenig Bürokratie und ohne zusätzliche
Kosten für die Betriebe. Allerdings setzt die Umsetzung
des Smiley-Systems voraus, dass eine Neuorganisation
der Lebensmittelkontrolle erfolgt. Hierzu müssen der
Bund und die Länder zu einem klaren Konzept gelangen.
Dies geht nicht von heute auf morgen, ist aber derzeit in
Arbeit. Dabei werden sowohl die rechtlichen als auch
die finanziellen Aspekte eine Rolle spielen; denn wir
brauchen ein funktionales Gesamtkonzept und keine
Schnellschüsse. Den vorliegenden Anträgen werden wir
als christlich-liberale Koalition daher nicht zustimmen.
Wenn Sie wissen wollen, wie sauber in einem Restau-
rant die Küche ist, werfen Sie einen Blick in die Toilette.
Dieser Hinweis eines bekannten Küchenchefs ist ein gu-
ter Rat, aber wenig hilfreich, wenn man die Örtlichkei-
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und stellen Sie ausreichend Mittel im Bundeshaushalt
bereit. So wird der Smiley eine saubere Sache. Machen
Sie mit, damit alle Beteiligten auf den ersten Blick etwas
zu lachen haben.
Die einstimmige Vereinbarung der Verbrauchermi-
nisterkonferenz von Bund und Ländern für mehr Trans-
parenz bei der Lebensmittelkontrolle im September ist
als Erfolg zu bezeichnen. Erfolgreicher Vorreiter ist Däne-
mark, das bereits seit 2001 durch die Einführung des
Smiley-Systems für mehr Schutz der Verbraucherinnen
und Verbraucher durch Transparenz bei der Lebensmit-
telüberwachung – vom Schlachthof bis zum Supermarkt
und der Imbissstube – gesorgt hat. Seither müssen die
Kontrollergebnisse über ein mehr oder weniger „lächeln-
des“ Gesicht direkt an den Verkaufsstellen ausgehängt
werden. Der Erfolg: Seit der Smiley-Einführung sank
die Quote der Beanstandungen um 16 Prozent. In
Deutschland hat das Smiley-Modell in Berlin-Pankow
vorgemacht, wie man endlich Verbraucherinnen und
Verbrauchern die Möglichkeit gibt, die schwarzen
Schafe unter den Betrieben zu erkennen.
Mit dem Verbraucherausschuss des Bundestages ha-
ben wir letzte Woche das Ordnungsamt – mit Veterinär-
und Lebensmittelaufsicht – gemeinsam mit dem grünen
Bezirksstadtrat Kirchner, Leiter der Abteilung für Öffentli-
che Ordnung und Mitinitiator des Smiley-Projekts, Ber-
lin-Pankow besucht. Wir haben die erfreulichen Auswir-
kungen des Projekts gesehen, aber auch die Defizite
gezeigt bekommen. Diese beruhen hauptsächlich auf ei-
ner fehlenden bzw. lückenhaften bundeseinheitlichen
Gesetzeslage.
An dieser Stelle ist Ministerin Aigner bei der Reform
des Verbraucherinformationsgesetzes gefordert, zügig
Rechtssicherheit für die Länder zu schaffen. Nur dann
werden die Länder auch negative Funde veröffentlichen
können, ohne einer ständigen rechtlichen Auseinander-
setzung mit den Unternehmen ausgesetzt zu sein. Bei der
Regelung, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse be-
trifft, muss sichergestellt werden, dass Betriebe durch
eine Darlegungspflicht nicht mehr in der Lage sind, al-
les pauschal als Geschäftsgeheimnis zu kennzeichnen.
Darüber hinaus muss die Möglichkeit geschaffen wer-
den, Informationen nach dem Verbraucherinformations-
gesetz auch während eines öffentlichen, laufenden Ge-
richtsverfahrens zu erlangen. Dies verhindert, Verfahren
durch juristische Tricksereien in die Länge zu ziehen,
zum Beispiel um unzureichende Ware in dieser Zeit noch
weiter produzieren zu können und somit unerlaubte Ge-
winne auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher zu erwirtschaften. Beispielsweise verhinderte ein
Schinkenhersteller über fünf Jahre, für seine unerlaub-
ten Panschereien bestraft zu werden, und produzierte
munter weiter – ein Wettbewerbsvorteil zulasten der
Mitbewerber und Verbraucher. Im Verbraucherinforma-
tionsgesetz muss die Frist für die schriftliche Gelegen-
heit zur Stellungnahme Dritter an die allgemeine Rege-
lung des Verwaltungsverfahrens – 14 Tage – angepasst
werden. Es besteht kein Grund, im Verbraucherinforma-
tionsgesetz schärfere Regelungen als im normalen Ver-
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Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/3434 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Frak-
tion.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3220 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak-
tionen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Jan van Aken, Christine Buchholz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Keine großflächige Landnahme und Spekula-
tionen mit Land oder Agrarproduktion in den
Ländern des Südens
– Drucksache 17/3541 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Mit dem neuen strategischen Konzept „Entwicklung
ländlicher Räume und deren Beitrag zur Ernährungssi-
cherung“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung will die Regierungs-
koalition die Potenziale der ländlichen Räume in Ent-
wicklungsländern besser fördern. Dies bedingt den si-
cheren Zugang zu Land in ländlichen Gebieten. Der
sichere Zugang zu Land ist eine Grundvoraussetzung
zur Erreichung der Millennium Development Goals. Nur
wenn der Zugang zu Land gesichert ist, können Familien
in ländlichen Gebieten die Produktivität auf den zur Ver-
fügung stehenden Flächen steigern und so ihr Einkom-
men erhöhen. Ein höheres Einkommen trägt zur Verbes-
serung der Ernährungssicherheit bei und reduziert
Armut.
Land ist eine knapper werdende Ressource; sie steht
in Konkurrenz zu verschiedenen Nutzungsinteressen.
Vor diesem Hintergrund erleben wir seit geraumer Zeit
verstärkt eine Entwicklung, die in internationalen
Schlagzeilen auch als Landnahme oder Land Grabbing
bezeichnet wird: Staatliche Akteure, private Investoren
aus Industrie- und Schwellenländern sowie inländische
private Investoren sichern sich mittels langfristiger
Pacht- oder Kaufverträge große Agrarflächen in Ent-
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auch dazu bei, die Korruption im Landsektor einzudäm-
men. Mit der Verabschiedung ist nach einem intensiven
Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten, der Wirt-
schaft und der Zivilgesellschaft im dritten Quartal 2011
zu rechnen.
Weiter bietet die Initiative Principles for Responsible
Agricultural Investment that Respects Rights, Liveli-
hoods and Resources der Weltbank, UNCTAD, IFAD und
der FAO eine Orientierung für Investoren für sozial ver-
antwortliche Investitionen. Die Bundesregierung hat die
Entwürfe der Initiative ressortübergreifend abgestimmt
kommentiert. Sie ist in den Prozess der weiteren Ent-
wicklung eng mit eingebunden. Sie verfolgt vor allem
das Ziel einer engen Abstimmung und Zusammenarbeit
mit anderen Initiativen, wie beispielsweise mit den frei-
willigen Leitlinien der FAO. Wie Sie sehen, handelt die
Bundesregierung. Dazu müssen wir sie nicht auffordern.
Noch immer liegt die größte entwicklungspolitische
Herausforderung in der weltweiten Bekämpfung von
Hunger und Armut. Aktuell leiden über 900 Millionen
Menschen an Hunger. Die Ursachen hierfür sind vielfäl-
tig. Zum einen führen die stetig wachsende Weltbevölke-
rung und die veränderten Ernährungsgewohnheiten – vor-
wiegend der Menschen in den asiatischen Schwellen-
ländern – zu einer Bedarfszunahme von Lebensmitteln.
Zum anderen tragen der vermehrte Anbau von Bioener-
gieträgern, die durch Erosion und Versalzung unwirt-
schaftlich gewordenen Flächen für die Landwirtschaft
und die durch den Klimawandel hervorgerufenen Natur-
katastrophen zunehmenden Ernteausfälle zu einer Ver-
ringerung der fruchtbaren Landflächen und Produk-
tionsmengen von Nahrungsmitteln bei. Die diesjährigen
Ernteausfälle in Russland und Pakistan bestätigen diese
Entwicklung.
Zum einen führen alle diese Faktoren zu einem erhöh-
ten Bedarf an begrenzten Ressourcen wie Lebensmitteln
und pflanzlichen Energieträgern, zum anderen wird
fruchtbares Land zu einem noch kostbareren Gut. Be-
gehrte Güter rufen Spekulanten auf die Tagesordnung,
die versuchen, sich am Bedarf knapper Güter zu berei-
chern. Leider ist das nicht nur an den Finanzmärkten
der Fall, sondern auch an den zur Ermittlung des Prei-
ses für Grundnahrungsmittel zuständigen Warentermin-
börsen. Die Nahrungsmittelkrise im Frühjahr 2008 war
ein erster großer Vorbote dessen, was zunehmend bei
der Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen und damit
bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln zu beobachten
sein wird. Finanzspekulanten an den Warenterminbör-
sen, die kein wirkliches Kaufinteresse am Produkt ha-
ben, versuchen durch kurzfristige Käufe und Verkäufe
mit der Preisentwicklung von Nahrungsmitteln den gro-
ßen Reibach zu machen. Das ist verwerflich und ethisch
nicht zu vertreten. Daher haben wir als SPD-Bundes-
tagsfraktion mit einem Antrag – ich meine Drucksache
17/3413 – gegen diese Spekulationen ein Zeichen ge-
setzt.
Aber es sind nicht nur die unverantwortlichen Speku-
lationen an den Warenterminbörsen, die es zu kontrollie-
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ten oder Kleinbauern findet so gut wie nicht statt. Zum
einen wird dabei durch den Anbau großflächiger Mono-
kulturen unter dem Einsatz von Düngemitteln und Pesti-
ziden das ursprüngliche Ökosystem aus dem Gleichge-
wicht gebracht; dadurch ist die Existenz vieler
einheimischer Pflanzen bedroht. Zum anderen werden
vorwiegend Ländereien erworben, bei denen eine Was-
serversorgung problemlos möglich ist. Durch den Kauf
oder die Pacht von Land gehen auch die an die Flächen
gebundenen Entnahme- und Nutzungsrechte für Wasser
an die Investoren über, oder die entsprechenden Rechte
werden mitverpachtet. Damit erweitert sich das Problem
der Landverknappung zunehmend auch auf die nutzba-
ren Wasserbestände.
Das aufgezeigte Szenario verdeutlicht, wie schwierig
es ist, durch die rapide Zunahme von Land Grabbing
Hunger und Armut in der Welt erfolgreich zu bekämpfen.
Dem unkontrollierten Landkauf muss der Riegel vorge-
schoben werden. Der vorliegende Antrag stellt daher
nicht zu Unrecht die besondere Bedeutung des Men-
schenrechts auf Nahrung in den Vordergrund. Das ist
eine richtige und wichtige Forderung, die ich so mit-
trage. Ebenso verhält es sich mit dem im Antrag enthal-
tenen Passus bezüglich der Stärkung ländlicher klein-
bäuerlicher Strukturen.
Was ich im vorliegenden Papier allerdings schmerz-
lich vermisse ist die Einbeziehung aller relevanten Di-
mensionen, die es beim Thema Land Grabbing zu beach-
ten gilt. Neben der menschenrechtlichen Komponente,
sind es vor allem Bedingungen sozialer und umweltpoli-
tischer Natur. Auch die rechtliche Bindung von Investo-
ren an die Einhaltung sozialer und ökologischer Min-
deststandards fehlt. Der Kauf von Landflächen muss
umfassender an bestimmte Kriterien geknüpft werden.
Menschenrechte sind dabei die wesentlichen, aber nicht
die einzigen Rechte, die es zu schützen gilt.
Ich sehe das Phänomen Land Grabbing darüber hi-
naus als ein Puzzleteil im Themenfeld der ländlichen
Entwicklung. Hier gehört es angesiedelt und in ein Kon-
zept integriert, das die Probleme der ländlichen Ent-
wicklung umfassend beleuchtet und versucht, das Pro-
blem an der Wurzel zu packen. Nur so haben wir eine
Chance, gegen das menschenverächtliche Vorgehen vie-
ler Investoren erfolgreich anzukämpfen.
Trotz aller negativen Seiten des Landkaufs, muss ver-
sucht werden die richtigen Steuerungsinstrumente zur
Verfügung zu stellen, um die positiven Effekte der Inves-
titionen in Land zu nutzen. Uns muss es auf internatio-
naler Ebene gelingen, die Mitspracherechte und Beteili-
gungen der betroffenen Bevölkerung rechtlich so
auszugestalten, dass vor allem die lokalen Produzenten
von der Zusammenarbeit profitieren. Lösungsansätze
die in diese Richtung gehen, gilt es weiterzuentwickeln.
Land ist eine immer knapper werdende Ressource
und steht im Wettstreit verschiedener Nutzungsinteres-
sen. Anhaltendes Bevölkerungswachstum, Klimawandel
und die damit einhergehende Probleme wie fortschrei-
tende Flächenversiegelung, Erosions- und Desertifika-
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Frauen in Entwicklungsländern besitzen trotz ihrer
bedeutenden Rolle in der Landwirtschaft und für die
Versorgung der Familien weniger als 2 Prozent der
Landfläche. Sicherer Zugang zu Land verbessert nicht
nur ihre ökonomische Situation, sondern stärkt auch
ihre soziale und politische Stellung in der Gesellschaft.
Ich könnte mir vorstellen, dass gerade die Kreditvergabe
zum Landkauf an Frauen eine gute Strategie in diesem
Zusammenhang ist.
Wir müssen entwicklungspolitische Ansätze entwi-
ckeln, um negativen Auswirkungen zu begegnen und um
die Direktinvestitionen in Land nachhaltig zu nutzen.
Wir werden jedoch nicht wie Sie vorhaben, eine Hexen-
jagd auf Unternehmen zu veranstalten, die im Ausland
investieren wollen.
Menschrechtsverletzungen, die Vertreibungen von
Menschen aus ihrer Heimat, aus ihren Häusern und von
ihren Feldern ist nicht hinnehmbar. Ich persönlich habe
erst vor einigen Wochen mit einem Betroffenen aus Kam-
bodscha gesprochen, dem Gleiches wiederfahren ist.
Die Aussage dieses Mannes hat mich persönlich sehr
berührt und mir das Problem noch einmal ausdrücklich
vor Augen geführt.
Wir wollen, dass deutsche Firmen im Süden investie-
ren, dort Aufbauhilfe leisten und ihr Know-how in die
Länder transferieren. Es gibt unzählige Beispiele die be-
legen, dass das funktionieren kann. Auch in den ärmsten
Ländern unserer Welt. Daher werden wir den Dialog mit
Partnerregierungen, Investorenländern, Banken/Fonds
und Firmen intensivieren. Wir werden die Zivilgesell-
schaft in ihrer Kontrollfunktion und Beteiligung bei Aus-
handlungsprozessen zu Vertragsvereinbarungen stärken
und eine belastbare Informationsgrundlage und Trans-
parenz über Umfang, Konditionen und Wirkungen aus-
ländischer Direktinvestitionen in Land in den beteiligten
und betroffenen Ländern schaffen. Wir werden die natio-
nalen Landpolitiken und die entsprechende Gesetzge-
bung inklusive des Aufbaus von Institutionen stärken
und unterstützen.
Man kann Länder nicht von außen entwickeln; sie
müssen sich mit unserer Unterstützung nachhaltig aus
sich heraus entwickeln. Legen wir unseren Firmen
Steine bei Investitionen im Süden in den Weg, kommen
andere, autoritäre Regime mit mehr Geld, die im Gegen-
satz zur Bundesregierung die Einhaltung der Menschen-
rechte nicht in den Vordergrund stellen.
Das BMZ unterstützt maßgeblich die FAO-Initiative
zur Erarbeitung der „Voluntary Guidelines on Respon-
sible Governance of Tenure of Land and other Natural
Resources“. Diese freiwilligen Leitlinien sollen Staaten
darin unterstützen, Zugangs- und Nutzungsrechte zu
Land und anderen natürlichen Ressourcen nachhaltig zu
gestalten, entsprechende institutionelle Strukturen auf-
zubauen und damit auch die Korruption im Landsektor
einzudämmen.
Mit der Verabschiedung dieser Initiative ist nach ei-
ner intensiven Konsultation mit den Mitgliedstaaten, der
Wirtschaft und der Zivilgesellschaft im dritten Quartal
2011 zu rechnen. Des Weiteren bietet die Initiative
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einem Besuch in Madagaskar Anfang November selbst
ein Bild machen. In Madagaskar trat 2008 ein Gesetz in
Kraft, welches es ausländischen Investoren erstmals er-
laubt, auch riesige Landflächen für bis zu 99 Jahre zu
pachten. Obwohl der Inselstaat heute schon in großem
Umfang Nahrungsmittel importieren muss, hat sich die
südkoreanische Firma Daewoo die Rechte an 1,3 Millio-
nen Hektar Land gesichert. Dies entspricht rund der
Hälfte der fruchtbaren Agrarfläche Madagaskars. Die
allgemeine Entwicklung zeigt die Absurdität dieses Fal-
les: Die Ausgaben der afrikanischen Länder für Ge-
treideimporte sind seit 2008 insgesamt um ganze
130 Prozent gestiegen. Daewoo will in Madagaskar
ausschließlich für den südkoreanischen Markt produzie-
ren, obwohl es vor Ort massive Unterernährung gibt.
Sollte dieser Deal tatsächlich in die Tat umgesetzt wer-
den – derzeit liegt er auf Eis –, werden noch mehr Men-
schen dort hungern müssen. Das ist Kolonialismus im
neuen Gewand: mittels Kauf- und Pachtverträgen und
wie immer auf Kosten der Armen.
Die Liberalisierung der Landmärkte und die Ab-
schaffung von Restriktionen für ausländische Investoren
sind wichtige Grundlagen vieler ähnlicher Land-Grab-
bing-Deals. Die internationale Entwicklungszusammen-
arbeit hat nicht zuletzt selbst die Weichen für diese kata-
strophalen Entwicklungen gestellt. Auch die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit fördert durch ihre einsei-
tige Ausrichtung der Landpolitik auf technische und ad-
ministrative Themen die beschriebenen Tendenzen. Ein
Beispiel dafür ist das Engagement der deutschen Durch-
führungsorganisation GTZ in Kambodscha. Dort unter-
stützt die GTZ zwar die Vergabe von Landtiteln. Besteht
aber Interesse an einem bestimmten Gebiet seitens zah-
lungskräftiger Investoren oder lokaler Eliten, werden
häufig gar keine Landtitel vergeben. Weder GTZ noch
BMZ widersprechen dieser Praxis, obwohl die lokale
Bevölkerung genau in diesen Fällen besonders von Ver-
treibungen bedroht ist.
Bereits 1968 hat sich Deutschland durch die Unter-
zeichnung des Internationalen Pakts über wirtschaft-
liche, soziale und kulturelle Menschenrechte dazu ver-
pflichtet, das Menschenrecht auf Nahrung durch
nationale und internationale Zusammenarbeit durchzu-
setzen. Dies bedeutet besonders, vorhandenen Zugang
zu Land und Wasser zu schützen, aktiv zur Verbesserung
des Zugangs zu Land für Kleinbäuerinnen und Klein-
bauern und Landlose beizutragen und traditionelle
Landnutzungen zu respektieren. Das aktuelle Land
Grabbing und die ihm zugrunde liegende Landpolitik
aber verschärft die Konflikte um Land und führt zu einer
weiteren Konzentration von Land in den Händen einiger
weniger.
Die G 8 haben sich beim Gipfel in Hokkaido 2008 für
internationale Verhaltensregeln zusammen mit der Welt-
bank stark gemacht. Doch freiwillige Verhaltenskodizes
stellen keine Lösung dar. Zum einen haben sie in der
Vergangenheit in den seltensten Fällen Menschenrechts-
verletzungen verhindert, zum anderen stellen sie die
Entwicklung nicht grundsätzlich in Frage. Der Erstel-
lung freiwilliger Verhaltenskodizes steht die Aufsto-
ckung der Gelder für das Agrobusiness von 3 Milliarden
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45 Millionen Hektar Land an private Investoren, also an
private Unternehmen. Das ist eine Fläche, die so groß
ist wie Deutschland und Österreich zusammen.
Vor drei Wochen hat die grüne Bundestagsfraktion
gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung hier in den
Räumen des Bundestages eine große zweitägige Konfe-
renz mit dem Titel „BodenLos: Wem gehört das Land?
Wer hat Zugang? Wie schützen wir es vor Spekulanten?“
veranstaltet. Etwa 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
haben sich mit der Land-Grabbing-Problematik – übri-
gens nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern, sondern auch hier bei uns in Deutschland und Eu-
ropa – näher auseinandergesetzt. Wir haben mit Ex-
perten wie Olivier De Schutter, Sonderberichterstatter
für das Menschenrecht auf Nahrung bei den Vereinten
Nationen, und Alexander Müller, Vizedirektor der Welt-
ernährungsorganisation, der FAO, sowie mit Vertrete-
rinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und der Bun-
desregierung diskutiert, welche Maßnahmen notwendig
sind, um das Problem in den Griff zu bekommen. Sie sind
herzlich eingeladen, die Ergebnisse in unserer ausführ-
lichen Internetdokumentation nachzulesen.
Im Parlament haben wir das Thema Land Grabbing
bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit unse-
rem grünen Antrag „Landrechte stärken – Land Grab-
bing in den Entwicklungsländern verhindern“ auf die
Tagesordnung gesetzt. Der Antrag wurde am 13. Mai
2009 im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung beraten – übrigens bei Abwesenheit
der Linken – und von der damaligen Großen Koalition
mit der Begründung abgelehnt, dass beim Thema Land
Grabbing für die „deutsche Entwicklungszusammenar-
beit nur die Option bleibe, darauf zu vertrauen, dass alle
Maßnahmen, die in Richtung gute Regierungsführung
unternommen würden, erfolgreich sein werden“. Das
reicht sicherlich nicht aus, um diese gefährliche Ent-
wicklung in den Griff zu bekommen. Die schwarz-gelbe
Koalition scheint die Thematik immerhin etwas ernster
zu nehmen, vonseiten der Bundesregierung wurde den
Mitgliedern des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung zugesichert, dass Land
Grabbing in das neue BMZ-Konzept zur Entwicklung
der ländlichen Räume, das zurzeit vom BMZ finalisiert
wird, noch aufgenommen wird.
Wir haben in unserem Antrag klare Forderungen ge-
stellt, die immer noch hochaktuell sind und sich zum Teil
auch in dem jetzigen Antrag der Linken wiederfinden.
Hierzu zählt beispielsweise die Aufforderung an die
Bundesregierung, den Prozess und die Ausarbeitung der
„Voluntary Guidelines on Responsible Governance of
Tenure of Land and other Natural Resources“ der FAO
aktiv zu unterstützen. Dazu gehört auch die Aufforde-
rung an die Bundesregierung, im Rahmen von bi- und
multilateralen Verhandlungen mit betroffenen Partner-
ländern Land Grabbing zu thematisieren und mit den
Regierungen dieser Partnerländer auf die Ausarbeitung
umfassender Bodenpolitiken und Landnutzungspläne
sowie redistributive Agrarreformen hinzuarbeiten. Auch
stimmen wir mit der Linken darüber überein, dass öf-
fentliche und private Investitionen, die mit deutscher Be-
teiligung in Entwicklungsländern getätigt werden, im
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natürlich der Bodenverbrauch durch die zunehmende
Flächennutzung für Siedlungs- und Verkehrsflächen.
Noch in den Jahren um 2000 wurden jeden Tag mehr als
120 Hektar am Tag in Siedlungs- und Verkehrsflächen
umgewandelt, in Flächen, die insbesondere der Land-
und Forstwirtschaft entzogen wurden. Seit 2006 ist die-
ser Flächenverbrauch deutlich im Sinken begriffen. Im
Jahr 2009 waren es noch ganze 78 Hektar, die pro Tag
dem Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsflächen zum
Opfer fielen, wobei Siedlungs- und Verkehrsflächen kei-
nesfalls mit versiegelten Flächen gleichgesetzt werden
dürfen. Ein erheblicher Anteil davon sind die unbebau-
ten und nicht versiegelten Flächen, wie Grünflächen
und Sportflächen, die unter dem Begriff der Erholungs-
flächen zusammengefasst werden. Im Jahr 2008 mach-
ten diese Erholungsflächen 43 Prozent des Flächenver-
brauchs aus. Hochgerechnet auf dieses Jahr wären wir
2009, bei Herausrechnung dieser oftmals ökologisch
wertvollen Flächen aus den 78 Hektar Flächenver-
brauch, unserem Ziel, den Flächenverbrauch bis zum
Jahr 2020 auf 30 Hektar am Tag zu reduzieren, ein we-
sentliches Stück näher gekommen.
Gerade mit der Erreichung dieses Zieles könnte
Deutschland weiterhin seine Vorreiterposition im Bo-
denschutz untermauern. Wir brauchen keine Sorge zu
haben, beim Vergleich des Bodenschutzes in den euro-
päischen Ländern in Zukunft schlechter abzuschneiden.
Alle Schwarzmalerei ist gerade auf diesem Gebiet fehl
am Platze. Die Bundesrepublik hat also überhaupt kei-
nen Grund, eine europäische Regelung, die sich nach
dem nachgewiesenermaßen effektiven deutschen Boden-
schutzrecht ausrichtet, zu fürchten, sondern die deutsche
Wirtschaft wäre durchaus Nutznießer, wenn endlich alle
nach gleich strengen deutschen Maßstäben wirtschaften
müssten. Doch ein Blick in den Entwurf der Boden-
schutzrahmenrichtlinie, die vom EU-Parlament verab-
schiedet wurde, reicht, um die Vorurteile und Sorgen vie-
ler unserer Bürger vor Regelungen aus Brüssel bestätigt
zu sehen: Neue, andersartige Berichtspflichten, neue,
andersartige Grundsätze und Kontrollen sowie Defini-
tionen und Regelungen, die mit anderen Richtlinien
nicht oder nur ungenügend kompatibel sind, finden sich
hier wieder.
Es ist schon bedenklich, wenn für die Umsetzung der
Richtlinie eine zusätzliche jährliche Kostenbelastung für
Bund, Länder und Kommunen in der Größenordnung ei-
nes dreistelligen Millionenbetrages prognostiziert wird.
Unsere Bundesländer haben funktionierende Boden-
beobachtungssysteme. So werden zum Beispiel in Sach-
sen-Anhalt an 70 Dauerbeobachtungsstellen durch vier
Behörden zyklische Untersuchungen zur Erfassung um-
fangreicher Daten durchgeführt. Diesen Datenpool
durch Veränderungen in der Erfassung wertlos zu ma-
chen, wäre genauso sinnlos wie dessen deutliche Aus-
weitung.
Wenn einige südeuropäische Länder mit großen Bo-
dendegradationsproblemen es sich nicht zutrauen, in ih-
ren Ländern eigenständige Bodenschutzregelungen zu
beschließen, und die EU als Sündenbock für kosten-
intensive Umweltmaßnahmen aufbauen wollen, finde ich
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Das deutsche Bodenschutzrecht ist im europäischen
Vergleich der Vorreiter im aktiven Schutz des Bodens
und der darin befindlichen Ressourcen. Unternehmen
und Betriebe, Landwirte und Privatleute und alle ande-
ren, die mit dem Boden zu tun haben, müssen die stren-
gen Vorgaben achten. Dazu gehört auch, dass es um-
fangreiche Dokumentations- und Kartierungspflichten
gibt, die ein hohes Maß an Bürokratie und Verwaltung
erfordern und sehr schnell zu übertriebenen Sanktionie-
rungen führen.
Wir haben hier im Parlament schon vor drei Jahren
heftig um den Punkt einer europäischen Bodenschutz-
rahmenrichtlinie diskutiert, und wir haben die damali-
gen Pläne der Europäischen Kommission abgelehnt. Die
damals genutzten Argumente haben weiterhin ihre Gül-
tigkeit. Aus meiner Sicht besteht keine Notwendigkeit für
eine über die europäische Bodenschutzstrategie hinaus-
gehende detaillierte europäische Regelung. Anders als
bei Luft und Wasser gibt es innerhalb der EU beim Bo-
den eine sehr große Vielfalt, beispielsweise hinsichtlich
der Bodenarten, Bodenverhältnisse und der Lage und
Bewirtschaftung der Böden. Man sieht folglich, dass die
Probleme auf dem Gebiet des Bodenschutzes vor allem
durch regionale geografische und geologische Beson-
derheiten bedingt sind. Ich möchte noch einmal betonen,
dass mehr als 300 verschiedene Bodenarten europaweit
zu finden sind. Dies dokumentiert eindringlich, dass der
Schutz des Bodens primär eine nationale Aufgabe ist, da
vor Ort das Wissen über die regional unterschiedlichen
Strukturen existiert. Hier nun eine „europäische Scha-
blone“ anzulegen, halte ich für sehr ineffizient und auch
nicht für zielführend. Denn zentral von Brüssel organi-
sierte und gesteuerte Schutzsysteme bergen die große
Gefahr, entweder am Bedarf vorbeizugehen oder belie-
big zu werden.
Ein zweiter sehr wichtiger Punkt ist – besonders für
den deutschen Staat und die Wirtschaft – die zu erwar-
tende Kostenbelastung und zusätzliche Bürokratie, die
zwar in der Sache nichts bringen würde, aber ein weite-
rer Hemmschuh für den Wirtschaftsstandort darstellen
würde. Wir alle wissen, dass schon zahlreiche Vorschrif-
ten auf europäischer Ebene existieren, die besonders für
die Landwirtschaft schon längst ins deutsche Recht ein-
gearbeitet sind und Wirkung erzielen.
An dieser Stelle möchte ich deshalb das Thema Land-
wirtschaft und Bodenschutz besonders betonen. Die be-
reits vorhandenen Regelungen zur guten fachlichen Praxis
im Bodenschutzrecht, des landwirtschaftlichen Fach-
rechts sowie von „Cross Compliance“ stellten einen
nachhaltigen Schutz landwirtschaftlicher Böden sicher.
Dies ist auch von der Landwirtschaft so gewollt, denn
die Landwirtschaft hat ein ureigenes Interesse am Erhalt
und der Steigerung der Bodenfruchtbarkeit.
Das Bundesbodenschutzgesetz ist international vor-
bildlich. Nach wie vor ist allerdings das größte Problem
des Bodenschutzes, dass ein unverändert hoher Flä-
chenverbrauch durch Siedlungs- und Verkehrsmaßnah-
men stattfindet. Hier hätten wir im vergangenen Jahr bei
der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wirklich et-
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sind die Erfolge auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bo-
dennutzung. Es muss ja, auch aus Wettbewerbsgründen,
unser Interesse sein, dass überall in Europa ähnlich
hohe Schutzstandards gelten wie bei uns. Abgesehen
vom Wettbewerb gibt es auch aus umweltpolitischen
Gründen ein Erfordernis der Einigung. Denn die Schä-
digung der Böden außerhalb unserer Grenzen betrifft
uns angesichts der Tatsache, dass Böden beispielsweise
Kohlenstoff binden oder den Wasserhaushalt aufrechter-
halten. Das sind alles keine Probleme, die an Länder-
grenzen halt machen. Ein europäischer Rechtsrahmen
für den Bodenschutz ist deshalb notwendig.
Es geht hier also nicht um das Ob, sondern um das
Wie. Dabei müssen wir auch berücksichtigen, dass der
Bundesrat schon früher deutliche Kritik an der Richtli-
nie geäußert hat. Ich teile diese Kritik inhaltlich nicht,
aber wir müssen mit den Ländern in einen neuen Dialog
dazu kommen. Wir dürfen das Thema nicht liegenlassen,
sondern müssen an der Richtlinie arbeiten. Wir müssen
die Subsidiarität stärken und die bürokratischen Aus-
wüchse der Vorlage zurückschneiden. Selbstverständ-
lich sind alle Regelungen, die über das deutsche Recht
hinausgehen, zu prüfen. Aber das alles ist machbar. Es
gibt keinen Grund, die Richtlinie in Bausch und Bogen
abzulehnen.
Deshalb muss auch die Bundesregierung wegkommen
von der plumpen Ablehnung der Richtlinie und sich
stattdessen beim Feintuning der Richtlinie einbringen.
Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Bundeskanz-
lerin aufhört, auf dem Bauerntag, so wie sie es 2009 ge-
tan hat, aus durchsichtigen politischen Gründen gegen
die Richtlinie zu polemisieren. Da erwarte ich mir mehr
Konstruktives und weniger Klientelpolitik.
Die Schaffung eines europäischen Ordnungsrahmens
für den Bodenschutz wird seit längerem kontrovers dis-
kutiert. Einen ersten Richtlinienentwurf gab es bereits
2006. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte sich in der
letzten Legislaturperiode dafür ausgesprochen, die EU-
Bodenschutzrahmenrichtlinie aktiv mitzugestalten. Trotz
fraktionsübergreifender Arbeitsgruppe ist es damals lei-
der nicht zu einem interfraktionellen Antrag gekommen.
Den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf Bundes-
tagsdrucksache 16/4736 mit dem Titel „Bodenschutz-
rahmenrichtlinie aktiv mitgestalten – Subsidiarität si-
chern, Verhältnismäßigkeit wahren“ hatten dann alle
anderen Fraktionen – auch die der Grünen – im Plenum
des Deutschen Bundestages abgelehnt. Damit hatte sich
Deutschland letztlich nicht inhaltlich gegenüber der
EU-Kommission zum Richtlinienvorschlag geäußert.
Auch wenn es bisher keine weiteren Vorstöße von EU-
Seite gab, sollten wir uns in dieser Wahlperiode eine
neue Meinung auf Grundlage der aktuellen Fakten bil-
den.
Deutschland selbst ist bereits sehr vorbildlich, was
den Bodenschutz betrifft. Andere Länder haben noch
Nachholbedarf. Man kann sich auf den Standpunkt stel-
len, dass man eine EU-weite Initiative braucht. Dafür
spricht, dass sich die negativen Effekte der Überbelas-
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Verglichen mit dieser zentralen Bedeutung des Bo-
dens und der Problemlage gehen wir immer noch recht
sorglos mit dem Boden um. Das zu ändern, ist auch eine
Frage der Generationengerechtigkeit. Bodenschutz
muss ein elementarer Politikbereich sein. Es gibt also
gute Gründe, für eine Bodenschutzrahmenrichtlinie auf
EU-Ebene.
Dass in Deutschland, formal gesehen, auf diesem Ge-
biet schon viel erreicht wurde, ändert daran nichts.
Richtig ist, dass sich das deutsche Bodenschutzrecht im
internationalen Vergleich durchaus sehen lassen kann.
Unter den politischen Kriterien für Nachhaltigkeit hat
der Schutz der Böden einen besonderen Wert. Doch wie
sieht die Realität als konkretes Ergebnis der Boden-
schutzpolitik aus? Es ist alles andere als eine heile Welt.
Auch in Deutschland sind wir weit davon entfernt, die
gesteckten Ziele im Bodenschutz zu erreichen.
Ich möchte aus der Vielzahl von Problemen ein sehr
zentrales Thema herausgreifen. Der Flächenverbrauch
für Siedlungs- und Straßenbau ist in Deutschland nach
wie vor skandalös hoch. Laut „Indikatorenbericht
2010“ zur Nachhaltigkeit des Statistischen Bundesamts
beträgt er 104 Hektar pro Tag. Das sind 100 Fußballfel-
der täglich, und das, obwohl die Bevölkerung schrumpft.
Der Beirat zum Bodenschutz im Umweltbundesamt hat
vor kurzem angesichts dieser Sachlage drastische For-
derungen gestellt: eine schnelle Reduzierung des Flä-
chenverbrauchs auf 30 Hektar, mittel- und langfristig
auf 0 Hektar pro Tag. Wir diskutieren über solche Forde-
rungen schon sehr lange. Es muss endlich etwas passie-
ren. Aus Sicht der Linken können wir nur noch über den
Weg dorthin diskutieren, aber nicht mehr über das Ziel.
Mit rund der Hälfte der Fläche Deutschlands ist die
Landwirtschaft ein wichtiger Bodennutzer. Damit hat
die Landwirtschaft hohe Mitverantwortung. Boden-
schutz in der direkten landwirtschaftlichen Erzeugung
ist dabei relativ einfach und im Grunde unumstritten.
Keine Bäuerin und kein Bauer kann Interesse daran ha-
ben, dass es in der Bewirtschaftung von Böden zu Ero-
sion und zur Minderung der Bodenfruchtbarkeit kommt.
Auch die Steigerung des Humusgehalts im Boden ist im
ureigenen Interesse der nachhaltigen landwirtschaftli-
chen Erzeugung und dient dabei sogar noch dem Klima-
schutz. Zumindest bei bäuerlicher Bewirtschaftung ist
dieses Verständnis weit verbreitet, wenn auch die Rah-
menbedingungen eines marktradikalen Agrarleitbildes
ihnen die Spielräume zum Handeln immer mehr verengt.
Umso mehr muss aber gelten: kein Bauernland in Spe-
kulantenhände! Sonst wird die Durchsetzung des Boden-
schutzes noch schwieriger.
Die politischen Ziele sind klar; über die Mittel kann
man sicherlich diskutieren. Die Landwirtschaft ist einer-
seits Opfer des hohen Flächenverbrauchs; aber sie trägt
auch kräftig dazu bei. Die Frage ist durchaus berech-
tigt: Müssen Neubauten für Ställe, Silos oder Biogasan-
lagen auf noch unversiegelten Flächen im Außenbereich
gebaut werden? Wir haben in Deutschland bereits Stall-
kapazitäten für rund 13 Millionen Rinder, 27 Millionen
Schweine und knapp 130 Millionen Stück Geflügel. Na-
hezu überall deckt die Erzeugung mehr als den einhei-
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möchten wir mit unserem heutigen Antrag einen Anstoß
geben. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich zu
handeln und sich für ein umfassendes europäisches Bo-
denschutzrecht einzusetzen.
Aus Reihen der CDU und FDP hört man häufig, eine
europäische Regelung habe keine positiven Auswirkun-
gen. In Deutschland habe man doch schon ein umfassen-
Zerstörte Böden in unseren Nachbarländern wirken sich
den muss, lese ich die Forderungen in unserem Antrag
noch einmal vor: „Wir fordern die Bundesregierung auf,
ihre Blockadehaltung bei der Schaffung eines umfassen-
den europäischen Bodenschutzrechtes aufzugeben und
sich innerhalb der europäischen Union für eine sofor-
tige Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Boden-
schutzrahmenrichtlinie einzusetzen; Wir fordern Frau
Merkel auf, sich innerhalb weiterer Verhandlungen für
auch als Mindeststandard auf der Ebene der Europäi-
aus, und das grenzüberschreitend. Aber wenn schon die
Umweltschutzargumente ihnen nicht einleuchten, dann
vielleicht die wirtschaftspolitischen. Für die Wettbe-
werbsfähigkeit deutscher Unternehmen kann es doch
nur von Vorteil sein, wenn der deutsche Bodenschutz-
standard europaweit gilt und ein Umweltdumping ver-
hindert wird.
Die Abgeordneten der CDU/CSU mögen unseren An-
trag ablehnen; aber dass sie ihn schon vor der Einbrin-
gung in der Presse kommentieren, zeigt ja, wie auch ih-
nen das Thema unter den Nägeln brennt. Nur leider,
Herr Götz, scheinen Sie den Antrag nicht sehr genau ge-
lesen zu haben. Mir jedenfalls ist bis heute unklar, wie
Sie zu der Behauptung kommen, dass mit unserem An-
trag die deutschen Kommunen um 273 Millionen Euro
jährlich belastet würden. Ich habe dazu ja bei Ihnen an-
gefragt; aber Ihre Antwort half mir auch nicht weiter.
Sie verwiesen auf ein Gutachten zu den Kosten des
EU-Vorschlages für eine Bodenschutzrichtlinie von
2006. Dieses Gutachten habe ich mir dann – auch wenn
der Antrag alles fordert, nur nicht die sofortige Umset-
zung des Kommissionsvorschlags von 2006 – natürlich
einmal angeschaut. Ich war doch enttäuscht über die
Undifferenziertheit der Analyse. Ihre angebliche Kos-
tenabschätzung ist wirklich sehr zweifelhaft. Die Auto-
ren selbst geben zu, es sei eine grobe Schätzung, die re-
alen Kosten würden nicht einmal ansatzweise abgebil-
det. Dass die wirklichen Kosten massiv von der Ausge-
staltung der nationalen Umsetzung abhängen, räumen
Sie selbst ein. Meine Schlussfolgerung: Was Sie mit Ih-
ren öffentlichen Äußerungen betreiben, ist billige Pole-
mik, aber keine ernsthafte politische Auseinanderset-
zung. Ich vermute, Sie haben unseren Antrag nicht ein-
mal vollständig gelesen, behaupten aber ohne jede Fak-
tenbasis, er sei unsinnig und teuer.
Damit man sich nicht auf Grundlage der irrenführen-
den Einschätzungen des Herrn Götz eine Meinung bil-
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ich die Bundesregierung innerhalb weiterer Verhand-
ungen für eine EU-Bodenschutzrahmenrichtlinie dafür
insetzt, dass endlich verbindliche Ziele und klare Bo-
enschutzstandards festgelegt werden.“
Um ihre Bedenken ernst zu nehmen, Herr Götz, sollte
an vielleicht noch hinzufügen, dass die Bundesregie-
ung sich dafür einsetzen sollte, dass auf europäischer
bene über den deutschen Standard hinausgegangen
ird. Dann brächte die Richtlinie auch Verbesserungen
ür den deutschen Bodenschutz. Wir sind gerne dabei,
enn sie einen entsprechenden Änderungsantrag stel-
en. Natürlich unterstützen wir sie auch darin, die Bun-
esregierung aufzufordern, bei den Verhandlungen auf
U-Ebene sicherzustellen, dass die Kommunen nicht
inseitig belastet werden. Ich hoffe, vor diesem Hinter-
rund können auch Sie, Herr Götz, noch einmal über
hre Einschätzung unseres Antrages nachdenken und
ich gemeinsam mit uns für mehr Bodenschutz in Europa
insetzen. Diesen nämlich brauchen wir dringend.
Auch hier wird interfraktionell die Überweisung der
orlage auf Drucksache 17/3855 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
ehe, auch damit sind Sie einverstanden. Dann ist die
berweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung. Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie so
ange ausgeharrt haben.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, 3. Dezember 2010, 9 Uhr,
in.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
ie Sitzung.