Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Zu Beginn dieser Sitzung habe ich die hochvergnüg-
liche Aufgabe, dem Kollegen Heinz Riesenhuber zu
seinem heutigen 75. Geburtstag zu gratulieren.
Ich wünsche Ihnen im Namen des Hauses alles Gute.
Natürlich wünschen wir uns alle, dass Sie uns weiterhin
so interessante und vergnügliche Reden halten; das ist in
diesem Hause wahrlich nicht selbstverständlich.
Zur Tagesordnung: Interfraktionell wurde vereinbart,
die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt 1 zu er-
weitern:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Sabine Leidig, Eva Bulling-Schröter, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung einer Enquete-Kommission
„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität –
Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und ge-
sellschaftlichem Fortschritt“
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Redet
– Drucksache 17/3990 –
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ermitt-
lung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetz-
buch
– Drucksachen 17/3958, 17/3982 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ich will die Anmerkung machen, dass ich es für unge-
dass zu Beginn unserer Debatte, in der
wichtiges Thema behandeln, kein Ver-
esregierung anwesend ist. – Gerade in
t ist jemand eingetroffen; aber zu dem
wöhnlich halte,
wir ein wirklich
treter der Bund
diesem Momen
8414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
Zeitpunkt, als sich Herr Beck geäußert hat, konnte er zu
Recht darauf hinweisen, dass die Regierungsbank leer
ist.
Das ist – darüber sind wir uns ja einig – ungehörig.
Der Antrag der Fraktion der FDP gilt also. Wie lange
wünschen Sie eine Unterbrechung?
– 20 Minuten. Dann ist die Sitzung für 20 Minuten un-
terbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Herr Kollege Koppelin möchte einen Antrag zur Ge-
schäftsordnung stellen.
Herr Präsident! Wir haben in der FDP-Fraktion über
den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beraten. Wir
sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir den Antrag
ablehnen.
Herr Kollege Beck, bestehen Sie auf Ihrem Antrag?
Also: Der Kollege Beck hat für seine Fraktion den
Antrag gestellt, den Herrn Wirtschaftsminister Brüderle
zur folgenden Debatte herbeizurufen. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
abgelehnt.
Wir fahren nun mit Tagesordnungspunkt 1, der ersten
Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurfes zur Ermittlung von Regelbedarfen und
zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozial-
gesetzbuch, fort.
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(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist ja
ein Superargument!)
– Wenn Sie den Einwand bringen, das sei ein Superargu-
ment, dann müssen Sie vielleicht noch einmal darüber
nachdenken, ob diese Argumentation für Sie, Herr
Steinmeier, nicht bedeuten würde, sich wirtschaftspoli-
tisch auf eine Stufe mit den Linken zu stellen.
Es ist damit klar, dass die Enquete-Kommission zwei
Dinge nicht tun soll. Sie soll zum einen nicht systemkri-
tisch an der sozialen Marktwirtschaft herumkritteln, wie
das viele, insbesondere in der vergangenen Wirtschafts-
krise, getan haben. Das ist nicht ihr Auftrag. Es ist nach
meiner Meinung auch nicht ihr Auftrag, Krisen- und Roh-
stoffendlichkeitsszenarien zu entwerfen, die am Ende eh
falsch sind und nur Ökoapokalyptikern die Chance ge-
ben, daran anzuknüpfen und politisch daraus Kapital zu
schlagen.
Damit bin ich bei der Frage: Was soll und was kann
eine solche Enquete-Kommission? Zunächst einmal soll
sie – und das kann sie vermutlich auch – den Stellenwert
von Wachstum und Wirtschaft in unserer Gesellschaft
ausloten. Das ist unstrittig ein spannendes Thema, vor
allem unter dem Eindruck des demografischen Wandels.
Das Thema ist interessant, wäre aber noch spannender,
wenn wir es aus den Perspektiven „vor der Krise“, „wäh-
rend der Krise“ und „nach der Krise“ betrachten könn-
ten. Man kann ja jetzt schon, auch in der Berichterstat-
tung der Medien, feststellen, wie sich das Bild vom
Wachstum in diesen Zeiten verändert hat. Insofern wird
sich da auch im Laufe der drei Jahre, in denen wir uns
mit diesem Thema beschäftigen werden, einiges tun.
Ich wünsche mir, dass wir dieses Thema nicht mit allzu
viel Pessimismus angehen, insbesondere nicht mit Pessi-
mismus gegenüber dem technischen Fortschritt. Ich stelle
nämlich fest, meine Damen und Herren, dass viele von
uns immer wieder einer Fehleinschätzung aufsitzen und
die Frage stellen: Wann kommt denn das Ende dieses
Fortschritts? Die krasseste Fehleinschätzung hat 1899
Charles Duell, seinerzeit Chef des US-Patentamtes, for-
muliert, als er sagte: „Alles, was man erfinden kann, ist
schon erfunden.“ Sie werden mir recht geben: Seit dieser
Zeit hat sich einiges entwickelt. Man sollte aus dieser
krassen Fehleinschätzung seine Lehren ziehen und die
Themen Technologie und Fortschritt mit einem gewissen
Optimismus behandeln, die „German Angst“ – der Be-
griff ist mittlerweile weltweit bekannt –, die uns prägt, et-
was in den Hintergrund rücken und stattdessen daran
glauben, dass sich technisch noch einiges tut.
Wenn man über Technologie spricht, dann wird es
auch um die Frage gehen: Sind wir in der Lage, Wirt-
schaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkop-
peln? Auch da bin ich sehr optimistisch. Unsere Wirt-
schaft ist hier auf Grundlage hoher politisch gesetzter
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Wir haben in Bayern auf jeden Fall ein hohes Maß an
ufriedenheit, an Wohlstand und auch an Wachstum.
arauf sind wir stolz. Die auf der linken Seite des Hau-
es erwarten jetzt natürlich, dass ich sage: Das liegt an
er CSU.
as tue ich jetzt nicht. Es ist so offenkundig, dass man es
icht explizit betonen muss. Das liegt natürlich auch an
en Bayern, die fleißig arbeiten und unser Land schon
eit vielen Jahren voranbringen.
Was ich kritisch sehe und worüber man im Rahmen
nserer Arbeit dann auch diskutieren wird, sind all die
8416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Dr. Georg Nüßlein
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)
Ansätze, bei denen es darum geht, die Menschen zu än-
dern. Im Antrag wird ja an der einen oder anderen Stelle
die Frage gestellt: Wie ändern wir die Menschen? Ich
bin etwas skeptisch, ob die Politik wirklich in der Lage
ist, so etwas zu tun. Ich sage ganz offen: Ich kann bele-
gen, dass das viele Jahre lang nicht gelungen ist.
Ein Verzichtsumweltschutz, der in die Richtung
weist, verzichten zu müssen, ist selbst bei uns, wo Ver-
zicht aufgrund des Wohlstandsniveaus bei dem einen
oder anderen noch möglich wäre, aus meiner Sicht ganz
klar gescheitert. Er ist auch ausgesprochen arrogant ge-
genüber denjenigen, die in Schwellen- und Entwick-
lungsländern den Anspruch haben, etwas Wohlstand
dazuzugewinnen. Deshalb sollten wir uns einem High-
techumweltschutz widmen, der stärker die Frage berück-
sichtigt, wie wir ökonomisch vorankommen. Schließlich
geht es um Wirtschaft und Gesellschaft.
In diesem Sinne wünsche ich der Enquete-Kommis-
sion ein erfolgreiches und gutes Arbeiten, damit wir am
Ende in der Lage sind, essenzielle Ergebnisse zu liefern.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Nüßlein, man muss vor einer solchen Dis-
kussion keine Angst haben. Wir müssen sie auch nicht
damit beginnen, dass wir erst einmal erklären, was wir in
einer Enquete-Kommission alles nicht prüfen, untersu-
chen und diskutieren werden.
Denn die Erkenntnis, dass wir so etwas brauchen, ist re-
lativ alt. Robert Kennedy hat schon 1968 gesagt: Das
Bruttoinlandsprodukt misst alles, nur nicht das, was das
Leben lebenswert macht.
Wir haben uns dennoch aus guten Gründen in der Ver-
gangenheit daran ausgerichtet – darin unterscheiden wir
uns nicht von Ihnen – und wollen das für die Zukunft än-
dern. Das ist zunächst einmal eine Riesenaufgabe, die
wir der Enquete-Kommission aufbürden. Mein Respekt
gilt all denjenigen, die das in der nächsten Zeit vor sich
haben.
Ich bin froh darüber, dass wir mit einer Initiative in
diese Debatte gestartet sind, und ich sage ganz offen: Ich
freue mich darüber, dass sich die Regierungsfraktionen
dem Vorhaben angeschlossen haben. Es ist gut und rich-
tig, dass Sie von hier aus sagen: Wir wollen uns darum
kümmern, dass die soziale Marktwirtschaft und ihre Zu-
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Mein Eindruck ist jedenfalls, dass vielleicht nicht alle
enschen nachempfinden und erklären können, was in
ieser Doppelkrise, in der wir uns befinden, passiert
die ökologische Krise auf der einen Seite und die so-
iale Krise auf der anderen Seite, also das Nebeneinan-
er von Klimawandel und Finanzkrise –, aber dass sie
in sicheres Gespür dafür haben, dass etwas in Unord-
ung gerät und in Staaten und Gesellschaften etwas aus-
inanderfällt. Wir nennen es Spaltung. Sie nennen es
useinanderdriften.
Es gibt die, wie ich finde, berechtigte Sorge, dass un-
er Wirtschaftsmodell doch zu sehr auf Kosten der Zu-
unft lebt und deshalb allein nicht tragfähig ist. Meine
itte – das ist der Aufruf an uns selbst, wenn Sie so wol-
en – ist, dass wir in der Fortschritts-Enquete, die wir
eute einsetzen, das aufgreifen, was täglich an Vertrau-
nsverlust und Zukunftsangst sichtbar wird, und nach
euen Orientierungspunkten suchen. Das bedeutet nicht
ehr, aber eben auch nicht weniger, als dass wir uns auf
ie Suche nach einem neuen Navigationssystem begeben
üssen und dass wir in dieses Navigationssystem – das
ann nicht mehr allein nur das BIP beinhalten – neben
en Wachstumszahlen neue Ziele einprogrammieren.
azu gehören ebenjene Dinge, die das Leben aus unse-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8417
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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rer Sicht lebenswert machen: freie Zeit, gesunde Arbeit,
saubere Luft und echte Teilhabe.
Das wirft einige Fragen auf, mit denen sich die Kom-
mission beschäftigen wird: Wie viel Teilhabe am Wohl-
stand ist möglich? Gibt es in der Gesellschaft einen fai-
ren Lastenausgleich? Wer trägt die Kosten aufgrund
knapper Ressourcen und steigender Energiepreise? Da-
mit verbinden wir die soziale Frage mit der ökologischen
Frage.
Ich habe gesagt: Um Lebensqualität und Wohlstand
zu messen, reicht das Bruttoinlandsprodukt nicht aus –
im Gegenteil, man könnte noch eins draufsetzen: Das
Bruttoinlandsprodukt suggeriert manchmal sogar dann
wachsenden Wohlstand, wenn sich die Lebensverhält-
nisse, das Wohlbefinden der Menschen ins Gegenteil
verkehren. Die spekulativen Finanzgeschäfte der Ver-
gangenheit, die uns heute belasten, haben, wenn man das
BIP als Maßstab nimmt, zu Wachstum geführt. Wenn im
Golf von Mexiko eine Ölplattform sinkt und Reparatur-
kosten in Milliardenhöhe fällig werden, dann steigt das
Bruttoinlandsprodukt. Diese zwei Beispiele zeigen, dass
solche Indikatoren, die es bisher gibt, keinen klaren
Blick für eine bessere Zukunft liefern.
In der Tat brauchen wir einen neuen Fortschrittsindi-
kator, der auch die Qualität von Arbeit, die Einkom-
mensverteilung, Bildung, Gesundheit und Umwelt ein-
bezieht. Wenn wir das tun, dann darf das nicht zur
statistischen Fummelei werden, sondern wir brauchen
einen Indikator, der wertvolles Wachstum, Nachhaltig-
keit und Gerechtigkeit misst und auf diese Weise man-
chen Blindflug in der Politik zu verhindern hilft. Das
kann, wenn die Enquete-Kommission zu guten Ergeb-
nissen kommt, ein Navigationsinstrument für Politik von
morgen werden.
Ich freue mich darüber, dass wir bei der Einrichtung
der Enquete-Kommission ganz offenbar in der Lage
sind, eine breite politische Mehrheit in diesem Hause zu
finden. Die Arbeit dieser Kommission ist wichtig für uns
alle; denn bei guten Ergebnissen kann daraus auch ein
neuer Konsens in der Demokratie entstehen, der uns ver-
loren gegangen ist. Deshalb haben nicht nur wir ein Inte-
resse daran, dass diese Arbeit gelingt.
Ich glaube, die Mitglieder der Enquete-Kommission
freuen sich auf eine gute Zusammenarbeit. Ich wünsche
im Interesse des ganzen Hauses, dass die Kommission
zu guten Ergebnissen kommt.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
von Amerika findet sich unter den unveräußerlichen
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Gerade in den wohlhabenden Industriestaaten sind
iele Menschen verunsichert und fragen sich, ob die Ent-
icklung der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes oder der
inanzmärkte im globalen Zusammenhang einfach so
eitergehen kann. Dahinter steht die Sorge, ob Wachs-
um zur Lösung der globalen Probleme etwas beitragen
ann oder ob es nicht vielmehr selber das Problem dar-
tellt und Verzicht angezeigt wäre. Dabei wird Wachs-
um häufig mit der Vorstellung „ganz einfach mehr“
leichgesetzt: mehr Autos, mehr Steaks, mehr Bohrma-
chinen usw. und gleichzeitig mehr Öl, mehr Erze, mehr
ohstoffe, mehr Ressourcenverbrauch. Es ist unbestreit-
ar: Die Erde ist und bleibt ein begrenzter Lebensraum.
uch wenn wir immer wieder neue Rohstoffvorkommen
ntdecken: Ein rein quantitativ und materiell ausgerich-
etes Wachstum taugt nicht als Leitbild für die Zukunft.
Die Wachstumskritiker übersehen dabei allerdings
olgendes: Das, was die Statistiker mit dem realen Brut-
oinlandsprodukt messen, ist keineswegs immer mehr
on dem ewig Gleichen. Das reale Bruttoinlandsprodukt
st per definitionem eine qualitative Größe. Wachstum
edeutet einfach Schaffung von mehr Werten. Es geht
icht um „mehr“, sondern um „besser“. Wachstum der
irtschaft bedeutet vor allem Wachstum des Wissens.
8418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Dr. Hermann Otto Solms
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Wachstum in diesem Sinne kennt keine natürlichen
Grenzen. Es muss nicht zwangsläufig mit einem steigen-
den Ressourcenverbrauch einhergehen. Es muss nicht im
Widerspruch zur Nachhaltigkeit stehen.
Allerdings erfordert Nachhaltigkeit eine Wirtschafts-
ordnung, in der wettbewerbsfähige Unternehmen Ar-
beitsplätze schaffen und Wohlstand sichern und in der
gleichzeitig der Raubbau an den natürlichen Ressourcen
und zulasten zukünftiger Generationen verhindert wird.
Nachhaltigkeit erreichen wir nicht, indem wir nur Mess-
größen hinterfragen oder, wo nötig, verändern. Vielmehr
müssen wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so
gestalten, dass es zu einer besseren Abbildung soge-
nannter externer Effekte in den Preisen kommt.
Noch ein Wort zur sozialen Dimension des Wachs-
tums. Es ist nicht zu bestreiten: Wirtschaftliches Wachs-
tum geht einher mit sozialen Ungleichheiten. Nebenbei
bemerkt: Die sozialen Defizite wirtschaftlichen Still-
stands sind aber weitaus gravierender als die des Wachs-
tums. Bei aller berechtigten Kritik dürfen wir die grund-
legende soziale Funktion von Wachstum nicht
vergessen. Höheres wirtschaftliches Wachstum bringt
eine höhere Verteilungsmasse. Je mehr erwirtschaftet
wird, desto mehr kann verteilt werden und desto mehr
Mittel stehen zur Verfügung, um gesellschaftliche Pro-
bleme zu lösen und auch internationale Verantwortung
wahrzunehmen.
Eine stagnierende Wirtschaft bedeutet dagegen gesell-
schaftliche Erstarrung und eskalierende Verteilungs-
kämpfe.
Deutschland braucht mehr Wachstum, Wachstum, das
mehr Lebensqualität ermöglicht, Wachstum, das zu-
gleich knapper werdende Ressourcen schont, das sub-
stanziell zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte
und zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise beiträgt.
Bei all dem ist aus Sicht der FDP ein dritter Aspekt
von zentraler Bedeutung: Wie immer sich nachhaltiges
Wirtschaften in Zukunft abspielen wird, wie immer die
Konzepte aussehen mögen, Grundlage kann immer nur
der eigenverantwortlich handelnde Bürger sein und nicht
das bevormundete Objekt politischer Steuerung.
Auch dies wussten die amerikanischen Gründerväter
schon. Als Aufgabe des Staates sahen sie keineswegs an,
dass der Staat sich des Glücks seiner Bürger anzuneh-
men habe. Aufgabe des Staates ist es lediglich – und das
ist schon anspruchsvoll genug, finde ich –, dass er das
unveräußerliche Recht jedes einzelnen Menschen si-
chert, selbst nach seiner persönlichen Vorstellung von
Glück zu streben.
Ich wünsche der Kommission bei ihrer Arbeit viel Er-
folg und hoffe tatsächlich auf konkrete Ergebnisse.
Vielen Dank.
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Die dritte Sackgasse ist – darüber wurde schon ge-
prochen –, dass mit dem Bruttosozialprodukt der Erfolg
er Marktwirtschaft gemessen wird. Die Höhe des Brut-
osozialprodukts gibt den Grad des Wachstums an. In das
ruttosozialprodukt fließt die Beseitigung von Umwelt-
atastrophen genauso ein wie der Bau und der Verkauf
on Waffen. Solche Aktivitäten werden also positiv ge-
ertet. Sie werden von den wirtschaftlich Handelnden,
en Wirtschaftspolitikern und den politisch Verantwort-
ichen als Erfolg verkauft. Es ist aber kein Erfolg, wenn
in Hedgefonds eine Firma aufkauft, sie in Teile zerlegt,
ie Beschäftigten entlässt und damit das Bruttosozial-
rodukt steigert, während auf der anderen Seite die Tat-
ache, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern, dass
ranke gepflegt werden, dass sich Jugendliche ehren-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8419
Sabine Leidig
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amtlich engagieren, dass gespielt und musiziert wird
– alles Dinge, die glücklich machen –, völlig ausgeblen-
det wird. Auch die Bedingungen, unter denen Menschen
hier leben und ihr privates Glück finden können, werden
völlig ausgeblendet. Weil es uns aber um Lebensqualität
geht – Ihnen sicher auch –, brauchen wir andere Maß-
stäbe und nicht einfach eine kleine Korrektur an den bis-
herigen Maßstäben.
Inzwischen wollen 90 Prozent unserer Bevölkerung
nicht mehr Wachstum um jeden Preis. Ich bin sicher,
dass viele der Protestbewegungen und Bürgerinitiativen,
die sich gegen Großprojekte wenden, aus diesem berech-
tigten Unbehagen und Zweifel entstehen. Dass viele
Milliarden investiert werden, bedeutet eben nicht, dass
es nachher mehr Lebensqualität gibt. Es bedeutet schon
gar nicht, dass es für unsere Kinder und Enkel mehr Zu-
kunftsperspektiven gibt. Deshalb ist es richtig und not-
wendig, dass sich der Bundestag ganz grundlegend mit
der Frage beschäftigt, wie unser Wirtschaften neu ausge-
richtet werden kann. Aus meiner Sicht, auch aus Sicht
der Linken, sind dabei bestimmte Fragen ganz besonders
wichtig. Diese möchte ich formulieren.
Die erste wichtige Frage betrifft die Verteilung. Wer
soll künftig mehr bekommen, und wer muss verzichten?
Wo sind die Obergrenzen des Reichtums? Brauchen wir
neben einem Mindesteinkommen und einer Mindest-
sozialsicherung auch Obergrenzen für den Verbrauch
von Ressourcen? Wenn wir nicht über den gewaltigen
Reichtum reden, der vor allem auf den Finanzmärkten
zum Einsatz kommt, dann wird das Problem der Armut
nicht gelöst werden können. Es sind zwei Seiten einer
Medaille.
Die zweite Frage ist die Frage der Arbeit. Es geht
nicht nur darum, unter welchen Bedingungen gearbeitet
wird – natürlich ist es ein ganz wichtiger Punkt –, es geht
auch darum, was der Gegenstand der Arbeit ist. Was
wird hergestellt? Was wird produziert? Darüber können
die Menschen, die arbeiten, überhaupt nicht mitreden.
Daran muss etwas geändert werden. Wir wollen darüber
mitbestimmen, wie die Gestaltung unserer materiellen
Wirklichkeit konkret aussieht.
Es gibt auf der einen Seite Bereiche in der Gesell-
schaft, die schrumpfen werden, so oder so. Es werden
nicht mehr so viele Autos und Flugzeuge produziert wer-
den. Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, die wachsen
müssen. Wir haben viel zu wenige Menschen, die soziale
Dienstleistungen erbringen, viel zu wenige Lehrerinnen
und Lehrer und viel zu wenige, die sich um die kulturel-
len Bedürfnisse von Kindern und alten Menschen küm-
mern. Um diesen Prozess zu organisieren, braucht es
politisches Handeln. Wir brauchen eine Gestaltung die-
ses notwendigen gesellschaftlichen Umbaus. Das kön-
nen wir nicht einfach den Märkten überlassen, weil dann
die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Damit sind
wir nicht einverstanden.
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Das Wort hat nun Fritz Kuhn für die Fraktion Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
in froh, dass wir die Enquete-Kommission heute einset-
en. Denn es ist die Aufgabe des Parlaments, jenseits der
ormalen Debatten grundsätzliche Punkte zu hinterfra-
en, die unser Gemeinwesen ausmachen. Dazu gehört,
ass wir uns in der Politik über Jahrzehnte an einen un-
eheuren Wachstumsmythos gekoppelt haben. Wenn Sie
ich eine durchschnittliche Rede von Wirtschaftsminis-
er Brüderle anhören – deswegen wollten wir ihn heute
erbeizitieren –, dann wissen Sie, was ich meine. Diesen
ythos zu hinterfragen, ist eine Aufgabe des Parla-
ents, wenn es Zukunftsfähigkeit herstellen will.
Das machen nicht nur die Miegels und die Bieden-
opfs und wer auch immer, sondern das machen auch
luge Leute auf der ganzen Welt, die wissen, dass wir
icht davon ausgehen können, die Probleme der Länder
adurch zu lösen, dass es automatisch immer mehr
achstum gibt und dass damit alles geregelt wäre. Das
eht nicht wegen der ökologischen Grenzen, die wir un-
ersuchen müssen. Es geht auch deswegen nicht, weil
achstum in Zukunft nicht automatisch ein Mehr an so-
ialer Gerechtigkeit bedeutet.
er das glaubt, Herr Nüßlein – Sie waren in Ihrer Rede
ozusagen auf diesem Trip –, der glaubt, dass wir noch
8420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Fritz Kuhn
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in der Zeit von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer le-
ben. Das tun wir aber nicht. Ich behaupte, dass wir in
den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland,
was den sozialen Zusammenhalt und die soziale Gerech-
tigkeit angeht, trotz steigenden Wirtschaftswachstums
nichts hinzugewonnen haben.
Sie haben gesagt: In die Enquete-Kommission gehört
die soziale Marktwirtschaft. Wir haben uns dem ge-
beugt; aber eines müssen Sie jetzt beweisen, nämlich
dass wir noch eine soziale Marktwirtschaft sind. Sie
müssen vor allem auch erklären, wie es um das Soziale
in Deutschland bestellt ist, wenn die Wirtschaft gerade
einmal nicht wächst. Das ist ein wichtiger Punkt. Bedeu-
tet unsere politische Verfassung, dass das Soziale nur bei
Wachstum gesichert ist?
Oder schaffen wir eine soziale Mindestsicherung für
alle, die auch dann greift, wenn die Wirtschaft gerade
einmal nicht im quantitativen Sinne wächst?
Das sind hochspannende Fragen, die eine zukunftsfähige
Politik beantworten muss.
Das Wachstum, das durch das Bruttoinlandsprodukt
wiedergegeben wird, sagt nicht viel über den Wohlstand
aus. Wenn wir zwei, Herr Kollege, uns prügeln und Sie
ins Krankenhaus müssen, steigt das Bruttosozialprodukt,
aber nicht der Wohlstand der Gesellschaft, und Ihrer
schon gar nicht.
Dieses einfache Beispiel zeigt, dass wir uns auf solche
Indikatoren nicht verlassen können, Herr Nüßlein.
Spannend ist, ob wir es schaffen, das Problem der
ökologischen Knappheit und der Ressourcenknappheit
durch den Glauben an mehr Ressourcenproduktivität
und -effizienz zu lösen. Da macht man sich sehr schnell
Hoffnungen; aber die Zahlen geben dazu nicht immer
Anlass. Ich verweise auf eine Zahl aus dem aktuellen
Umweltbericht der Bundesregierung: Zwischen 2000
und 2008 und damit in einem Zeitraum, in dem das
Wachstum 12 Prozent betrug, ist die Abfallmenge in
Deutschland um 15 Prozent zurückgegangen. Jetzt könnte
man sagen: Toll, die Effizienz siegt! Aber wird es in den
nächsten acht Jahren auch so sein? Oder frisst das
Wachstum, das wir in diesen acht Jahren haben, wenn al-
les gut geht, diesen Erfolg bei der Abfallreduktion oder
der Ressourcenproduktivität wieder auf? Das heißt, wir
brauchen sehr radikale Effizienzrevolutionen, wenn wir
tatsächlich etwas erreichen wollen, wenn wir mehr
Wachstum im Sinne des Bruttoinlandsproduktes mit
deutlich weniger Ressourcenverbrauch, als es heute der
Fall ist, wollen.
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eswegen wäre es ganz gut, wenigstens bei solchen Sa-
hen mit ihnen zu reden.
Das Wort hat nun Bernhard Kaster für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
nd Kollegen! Der Einsetzungsbeschluss für diese neue
nquete-Kommission kann sich sehen lassen. Wir be-
rüßen es ausdrücklich, dass es gelungen ist, in angeneh-
en und konstruktiven Gesprächen zwischen den ein-
ringenden Fraktionen sehr schnell Einvernehmen über
ie Problembeschreibung und auch die Aufgabenstel-
ung zu erzielen.
as ist nicht selbstverständlich. Aber es ist gut, dass ge-
ade diese Enquete-Kommission auf einer breiten parla-
entarischen Basis steht.
Die großen Herausforderungen der Zukunft, die viel-
ältigen Fragestellungen und das Ziel, vor allem Hand-
ngsempfehlungen über so umfangreiche Sachkomplexe
u erarbeiten, bieten für uns als Parlament die Chance
da stimme ich Herrn Kollegen Steinmeier zu –, den
ürgern gegenüber deutlich zu machen, dass man Fra-
en der Zeit, die über die Legislaturperiode hinausgehen,
enseits der Tagespolitik hier im Bundestag behandelt.
ber – da stimme ich meinem Kollegen Dr. Nüßlein aus-
rücklich zu – dabei müssen am Ende Ergebnisse he-
auskommen.
Wir, die Union, stehen bei diesem Thema mittendrin,
nd deswegen laden wir Sie gerne ein, mit uns diese
hemen zu diskutieren: Wie definieren wir Wohlstand?
ie nehmen wir Verantwortung für unsere Schöpfung
ahr? Wie viel und welches Wachstum wollen wir? In
nserem Grundsatzprogramm heißt es:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8421
Bernhard Kaster
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)
Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil
christlich-demokratischer Politik: Wir wollen unse-
ren Nachkommen eine Welt bewahren und hinter-
lassen, die auch morgen noch lebenswert ist. Die
nachfolgenden Generationen haben ein Recht auf
wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Wohlstand
und eine intakte Umwelt.
Deshalb hat sich die christlich-liberale Koalition in ih-
rem Koalitionsvertrag zur sozialen Marktwirtschaft als
der zentralen wirtschaftspolitischen Leitlinie bekannt.
Dieses Erfolgsmodell hat uns über Jahrzehnte wirt-
schaftlichen Erfolg, Wohlstand und auch soziale Sicher-
heit gebracht. Das Wirtschafts- und Sozialmodell der so-
zialen Marktwirtschaft ist nicht von ungefähr gerade in
den letzten Jahren ein Exportschlager geworden. Des-
halb bildet dieses Erfolgsmodell die Leitplanken für die
Arbeit in dieser Enquete-Kommission. Das muss so sein.
Wirtschaft, Marktwirtschaft und soziale Marktwirt-
schaft brauchen Regeln, und das besonders in einer
Weltwirtschaft, in der sowohl riesige Absatzmärkte wie
auch neue Marktteilnehmer – teils mit Standorten, an de-
nen billig produziert wird – hinzugekommen sind. Es ist
richtig: Wir stehen insgesamt vor großen Herausfor-
derungen: die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, die
Finanzmärkte, die demografische Entwicklung, die Staats-
verschuldung und auch die Auswirkungen des Klima-
wandels. Herausforderungen sind aber dazu da, sich ih-
nen zu stellen, und das nicht mit Ängstlichkeit und auch
nicht mit ideologischen Scheuklappen.
Der Einsetzungsauftrag der Enquete-Kommission stellt
die richtigen Fragen: Wie definieren wir Wachstum,
Wohlstand, Wohlstandsperspektiven? Wie muss die
Wettbewerbsposition unserer deutschen Unternehmen
auf den Weltmärkten in der Zukunft sein? Wie entkop-
peln wir wirtschaftliches Wachstum mittels technischen
Fortschritts vom Ressourcenverbrauch?
Wir, die Union, definieren Wachstum längst nicht
mehr quantitativ. Es geht nicht um Produktmengen, es
geht um Qualität und ihren Wert. Wir werden gerade mit
Blick auf die junge Generation weiterhin ein qualitatives
Wachstum brauchen. Wer daran zweifelt, der soll sich
nur zwei Herausforderungen stellen, nämlich der demo-
grafischen Entwicklung und der Staatsverschuldung. Da-
ran wird deutlich, dass wir weiterhin qualitatives Wachs-
tum brauchen.
Wir brauchen Wachstum; ein wirtschaftliches Wachs-
tum, das Beschäftigung fördert, ein wirtschaftliches
Wachstum, das den Sozialstaat sichert und finanziert,
und ein wirtschaftliches Wachstum, das unsere Schöp-
fung bewahrt. Gerade Letzteres ist für uns eine sehr hohe
politische Verpflichtung. Unser ambitioniertes Energie-
konzept bis 2050 ist ein Beispiel dafür. Bei allem Streit,
den wir über energiepolitische Fragen führen, bleibt der
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Das Wort hat nun Peter Friedrich für die SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Ich denke, der Zeitpunkt, zu dem sich der Bundes-
ag entschließt, eine solche Enquete-Kommission einzu-
ichten, ist mit Sicherheit kein Zufall. Wir diskutieren zu
inem Zeitpunkt über Wachstum, an dem wir zwar eine
onjunkturelle Erholung feststellen, gleichzeitig aber
uch feststellen, dass die Krisen der letzten Jahre tiefe
puren hinterlassen haben. Es herrscht eine Vertrauens-
rise in Bezug auf unsere Demokratie. Wir alle können
ies als Politiker und als Abgeordnete tagtäglich in unse-
en Wahlkreisen beobachten und nachvollziehen.
Es herrscht aber auch eine massive Vertrauenskrise in
ezug auf unsere Wirtschaft und auf unsere volkswirt-
chaftlichen Entscheidungswege, die Art und Weise, wie
ntscheidungen zustande kommen, und welche Auswir-
ungen sie zeitigen.
Es herrscht im Übrigen auch – auch das gehört zu den
hemen einer Enquete-Kommission – ein Vertrauensver-
st gegenüber der Wissenschaft. Es ist nicht nur einmal
ber die Prognosefähigkeit unserer Volkswirtschafts-
ehre und Politikwissenschaft gesprochen worden. Des-
alb muss in der Enquete-Kommission auch die Frage
8422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Peter Friedrich
)
)
eine Rolle spielen, welche Instrumente neben dem BIP
und welche Wege zur Erkenntnis wir in der Frage haben,
wie sich Wachstum vollzieht und wie wir diese Form
von Wachstum, die wir wollen, nämlich ein wertvolles
Wachstum und solidarischen Fortschritt, bewertet und
auch vermittelt bekommen.
Wir können also feststellen: Wir tun dies zu einem
Zeitpunkt, wo es, bezogen auf unser bestehendes Wirt-
schafts- und Wohlstandsmodell, einen tiefgreifenden
Vertrauensbruch gibt. Über zwei Drittel der Deutschen
haben Zweifel daran, dass ihre Lebensqualität steigt,
wenn die Wirtschaft wächst.
Wenn wir das verändern wollen, wenn wir verhindern
wollen, dass unsere Wirtschafts- und Lebensweise ihren
Kredit in der Bevölkerung verspielt, wenn wir es also
hinbekommen wollen, dass Wachstum und Fortschritt,
also unsere Volkswirtschaft insgesamt, auch wieder mit
dem Volk versöhnt werden, dann brauchen wir eine De-
batte darüber, wie wir dieses Modell gemeinsam neu de-
finieren können. Es darf nicht nur um die Ausrichtung
auf Gewinnmaximierung gehen, sondern es muss auch
darum gehen, wie Lebensqualität, Zufriedenheit, auch
Glück, Herr Solms, Umwelt- und Ressourcenschutz so-
wie soziale Sicherheit gleichberechtigt eine Rolle spie-
len können. Die Frage ist also, welche Wege des Wirt-
schaftens wir beschreiten wollen.
Wir haben vor und in der Finanzkrise erlebt, dass
manches, was uns als Wachstum gefreut hat, sich in
Wahrheit als Luftschloss herausgestellt hat. Wir mussten
feststellen: Auch wenn das BIP wuchs, wuchsen keines-
wegs die Sicherheit und die Zufriedenheit der Men-
schen. Wir haben ein Wachstum erlebt, das von Gier und
Egoismus, anstatt von den Werten unserer Gesellschaft
und übrigens auch unserer Verfassung, unseres Grundge-
setzes, getrieben war.
Dem wollen wir als SPD das Ziel eines wertvollen
Wachstums entgegensetzen. Es wurde schon viel da-
rüber gesprochen: Nicht immer dann, wenn das BIP
steigt, ist damit auch wirklich Fortschritt verbunden.
Nicht jede Renditesteigerung bedeutet tatsächlich auch
Wohlstandssteigerung. Deswegen werden gerade wir als
SPD uns intensiv mit der Frage beschäftigen, welche
Perspektive Arbeit und Teilhabe haben, wenn wir über
andere Formen und neue Wege des Wachstums spre-
chen. Wir wollen dafür streiten, dass es Löhne gibt, von
denen man leben kann, dass es Arbeit gibt, die nicht
krank macht, dass es familienfreundliche Arbeitsbedin-
gungen gibt sowie gleiche Löhne für Frauen und Män-
ner. Es muss Schluss sein mit der Ausbeutung der Jünge-
ren, der Heranwachsenden auf dem Arbeitsmarkt. Es
muss Ausbildungs- sowie Arbeitsplätze für Ältere ge-
ben. Das alles brauchen wir – der demografische Wandel
ist schon angesprochen worden –, wenn Wachstum, über
das wir in der Enquete-Kommission reden werden, bei
den Menschen ankommen soll. Es gilt also, nicht nur die
Arbeit wertzuschätzen, sondern auch die Personen, die
Menschen selbst, die diese Arbeit verrichten.
Wenn wir uns anschauen, welche Zustände es in
Niedriglohnsektoren zum Teil gibt, wenn wir erkennen,
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Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8423
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)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, der Kollege Friedrich überdehnt den Auftrag der
Enquete-Kommission. Wenn man meint, alle Probleme
dieses Landes in der Enquete-Kommission diskutieren
zu können, dann wird diese Kommission nie zu einem
Ende kommen.
Wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht, müssen
wir uns auf das konzentrieren, was der Nachhaltigkeits-
begriff im Besonderen umfasst, nämlich das Thema Ge-
nerationengerechtigkeit. Ja, da geht es um Umwelt und
Klima; es geht aber auch um Bildung und Forschung,
um die Schuldenkrise in Europa und in Deutschland, um
Fehlanreize im Finanzsystem, die wir alle erlebt haben,
und ebenso um die Krise der Sozialversicherungssys-
teme, die im Rahmen des Umlagesystems insbesondere
diejenigen unterstützt haben, die hier die größten Verän-
derungen anmahnen.
Wir brauchen ökologische Leitplanken für das Wirt-
schaften. Sie sind notwendig, insbesondere bei den na-
türlichen Ressourcen, die nicht erneuerbar sind. Arten,
die ausgestorben sind, werden nie wiederkommen. Aber
wir müssen auch sehen, dass es ökologische Fragen gibt,
bei denen es um den optimalen Weg geht, um den Aus-
gleich zwischen ökologischen und ökonomischen Zie-
len. Es geht um die Lebensbedingungen der Kinder- und
Enkelgeneration. Da sind wir uns, glaube ich, einig.
Aber ich muss als Liberaler die Frage stellen: Wer ent-
scheidet eigentlich was? Ich denke, wenn es um verant-
wortliches Wachstum geht, dann ist zunächst einmal der
Einzelne gefragt, und das gilt auch für die Selbstverant-
wortung der Wirtschaft. Diese taucht in Ihren Modellen
kaum auf. Dahinter folgen ökonomische Anreize des
Staates, und erst ganz am Schluss können wir über Ge-
bote und Verbote des Staates für dann immer noch unge-
löste Probleme reden, aber nicht anders herum.
Nachhaltiger Konsum ist ein wichtiges gesellschaftli-
ches Thema. Aber ich bestehe darauf, dass es eben ein
gesellschaftliches Thema ist. Der Staat ist nicht Vor-
mund der Bürger, auch nicht im Auftrag der Nachhaltig-
keit.
Ich möchte Ihnen zwei Beispiele geben: Ich habe
mich entschieden, kein Auto zu haben. Ich fahre im
Wahlkreis mit Bus und Bahn. Aber ich weiß, dass es
Menschen gibt, die nicht in der Großstadt, sondern auf
dem Land wohnen, wo die Bedingungen anders sind. Ich
weiß, dass es auch Menschen gibt, die anders leben wol-
len. Ich möchte nicht ihnen allen vorschreiben, dass sie
ebenfalls ihr Auto abschaffen.
Schon gar nicht möchte ich, dass der Staat versucht, sie
auf diese Weise zu beeinflussen.
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ch möchte, dass jeder und jede so leben kann, wie er
der sie es für richtig hält, und dass wir gemeinsam in ei-
en Dialog über den richtigen Weg für dieses Land ein-
reten.
Der Kollege Friedrich hat von Lebenszielen und Le-
enszwecken gesprochen und gleich danach gesagt: Wir
rauchen das Primat der Politik. – Nein, ich möchte
ein Primat der Politik über Lebensziele und Lebens-
wecke von Menschen. Da ist die ureigene, persönliche
ntscheidung von Menschen gefragt. Hier ist die Trenn-
inie zwischen den vermeintlich Liberalen, die sich nur
o nennen, und den tatsächlich Liberalen. Es geht näm-
ich um die Freiheit des einzelnen Menschen.
Meine Damen und Herren, Innovation und Technik,
as sind die wirklichen Schlüssel zu einer Effizienz-
evolution in diesem Land. Nur mit einer Effizienzrevo-
ution werden wir es schaffen, wirtschaftliches Wachs-
um und Ressourcenverbrauch noch weiter zu
ntkoppeln. Die Industrie hat hier in den letzten Jahren
rhebliche Erfolge erzielt, durch die Einführung der
reislaufwirtschaft und durch Energieeinsparungen.
ir, die christlich-liberale Koalition, gehen mit unserem
nergiekonzept bei der Steigerung der Energieeffizienz
nd beim Ausbau der erneuerbaren Energien weiter als
ede Bundesregierung zuvor.
Chancen durch Effizienz, nicht durch Verzicht: Das
st ein Punkt, der uns erneut von den Grünen unterschei-
et. Sie sind immer skeptisch, wenn es um neue Techno-
ogien geht; wir nutzen die Chancen und Hoffnungen,
ie mit diesen Technologien verbunden sind.
Wohlstandsindikatoren neben dem Bruttoinlands-
rodukt sind wichtig: Wir brauchen qualitative Indikato-
8424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Michael Kauch
)
)
ren, die unsere Wachstumssicht beeinflussen. Diese
neuen Indikatoren können den Indikator des Bruttoin-
landsprodukts ergänzen, aber nicht ersetzen. Denn alle
qualitativen Indikatoren sind anfällig für politische Will-
kür: Wer legt die Kriterien fest? Wer gewichtet sie? Wer
misst sie? – Ich erinnere deshalb daran: Im Zusammen-
hang mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wurde
bereits ein Indikatorensystem entwickelt. Ich würde
mich freuen, wenn die Enquete-Kommission diese Ar-
beit, die in diesem Land bereits geleistet worden ist, in
ihre Arbeit einfließen lassen würde.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
jedem Jahr wird verkündet, zu welchem Zeitpunkt keine
erneuerbaren Rohstoffe mehr zur Verfügung stehen, weil
die Menge, die ein Planet in jedem Jahr zur Verfügung
stellen kann, bereits verwendet worden ist. Das entspre-
chende Datum wird vom Global Footprint Network er-
mittelt. In diesem Jahr treiben wir schon seit dem
21. August Raubbau an der Erde.
Aus diesem Grund unterstützt auch die Linke aus-
drücklich die Einsetzung einer Enquete-Kommission
zum Thema Wachstum. Es muss aber klar sein – ich
möchte hier warnen –: Die Nachhaltigkeits- und
Wachstumsdebatte ist im Kern ökologisch; denn es
geht – das wurde schon gesagt – um die Grenzen unseres
Umweltraumes. Diese Grenzen werden permanent über-
schritten, sei es durch die Belastung mit Treibhausgasen
oder den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen.
Deshalb ist es eine zentrale Frage, ob es qualitatives
Wachstum – also Wachstum ohne zusätzlichen Ressour-
cenverbrauch – tatsächlich dauerhaft geben kann oder ob
dies nur eine gefährliche Illusion ist.
Ich sage Ihnen: Ich tendiere eher zu Letzterem. Denn ich
glaube, es ist notwendig, den Verbrauch von Ressourcen
auf 20 Prozent des heutigen Verbrauchs zu reduzieren.
Ich glaube deshalb nicht, dass wir den Problemen ge-
recht werden, wenn wir uns in erster Linie um einen
neuen Wohlstandsindikator oder um eine neue Unterneh-
menskultur kümmern. Ich befürchte, dass uns solche De-
batten nutzlos Zeit kosten werden, Zeit, die uns fehlen
wird, um an den wirklichen ökologischen, sozialen und
ökonomischen Herausforderungen bei diesem Problem
zu arbeiten.
Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass das Modell
einer Wachstumsgesellschaft, die global – auch in die-
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der braucht er das Wachstum? Ist der Drang nach Pro-
itmaximierung nicht der Motor und Schmierstoff des
achstums? Wie drosselt man einen solchen Motor?
ollten wir ihn drosseln können und wollen? Wie wären
ie sozialen Auswirkungen zu stemmen?
chließlich wären gravierende Strukturbrüche zu er-
arten.
Diese Strukturbrüche erfordern eine mutige Politik
er Verteilung von oben nach unten,
öchstwahrscheinlich in einem Ausmaß, das wir uns
eute gar nicht vorstellen können. Einen zarten Vorge-
chmack auf das Ausmaß der Strukturbrüche bekommt
an beim Thema energetische Gebäudesanierung. Sie
st ökologisch unverzichtbar, aber zunächst ziemlich
euer. Die Bundesregierung will die Kosten für die ener-
etische Gebäudesanierung auf die Menschen abwälzen,
odass Warmmieten unter Umständen drastisch steigen
önnten; aber das wollen die Leute natürlich nicht. Das
st übrigens ein Grund, warum der Entwurf eines Klima-
chutzgesetzes in Berlin gerade gescheitert ist.
Zudem steht die Frage im Raum, wie sich Beschäfti-
ung künftig organisieren lässt, wenn die Produktivität
teigt, das Wachstum aber ausbleibt. Das geht wahr-
cheinlich nur über eine drastische Umverteilung von
rbeit und Einkommen, und zwar in einer Dimension,
ie dieses profitorientierte Gesellschaftssystem eindeu-
ig überfordern wird.
Es gibt also genügend Fragen. Aus diesem Grund ha-
en wir einen Antrag eingebracht. Wir fanden eigentlich
uch den ursprünglichen Antrag von SPD und Grünen
ut, aber wir finden es schade, dass Sie nicht den Mut
atten, mit uns gemeinsam einen Antrag einzubringen.
ieder einmal haben Sie von SPD und Grünen sich mit
DU/CSU und FDP quasi zu einer Großen Koalition zu-
ammengetan. Das tut uns leid.
Das wird eine spannende Debatte. Es gibt viel zu
treiten. Packen wir es an!
Das Wort hat nun Bärbel Höhn für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8425
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
wollen heute eine Enquete-Kommission „Wachstum,
Wohlstand, Lebensqualität“ initiieren. Herr Kauch, das
Wort „Enquete“ steht für Befragung. Es geht darum, Fra-
gen zu stellen. Es geht nicht darum, die ideologischen
Sprüche, die wir immer hören, hier hinauszuposaunen,
sondern darum, uns selbst und unsere Positionen infrage
zu stellen und offen zu sein für die Fragen und Positio-
nen der anderen.
Ich finde es spannend, dass wir die Begriffe Wachs-
tum, Wohlstand und Lebensqualität genommen haben
und den Begriff Wachstum an den Anfang gesetzt ha-
ben. Ich finde es gut, dass die Kollegen Solms und
Kaster sehr intensiv auf den Begriff Wachstum einge-
gangen sind. Für mich scheint dieser Begriff der ent-
scheidende und der spannende zu sein. Unabhängig da-
von, dass man natürlich nicht immer alle Positionen
teilen muss, ist es interessant, zu sehen, dass wir mo-
mentan intensiv über die Notwendigkeit von Wachstum,
aber durchaus auch über die Grenzen von Wachstum dis-
kutieren. Zwischen diesen Punkten müssen wir einen
Spagat hinbekommen. Das macht diese Enquete-Kom-
mission so spannend.
Der Begriff Wachstum ist gerade in der jetzigen Phase
ein sehr aktueller Begriff. Wenn wir uns die Finanzkrise
anschauen, stellen wir fest, dass das Streben nach mehr
Profit und mehr Wachstum die gesamte Weltwirtschaft
an die Grenze des Abgrunds gebracht hat. Das müssen
wir uns klarmachen. So kann das nicht bleiben. Da muss
sich etwas ändern.
Oder nehmen Sie zum Beispiel die Klimakrise: Die
Klimakrise kann unsere Lebensgrundlage vernichten.
Sie kann all das vernichten, was wir brauchen, um über-
haupt leben zu können. Auch hierzu sage ich: Ein
Wachstum um des Wachstums willen darf es nicht ge-
ben.
Sehen wir uns zum Beispiel die Ressourcenverknap-
pung an: Wir haben eben von den Tiefseeölbohrungen
gehört. Man dringt in immer tiefere Tiefen vor, um über-
haupt noch an Öl zu kommen. Bestimmte Produkte er-
zielen aufgrund der Ressourcenverknappung inzwischen
sehr hohe Preise. Das macht doch deutlich: Auf einer be-
grenzten Erde kann es kein unbegrenztes Wachstum ge-
ben. Deshalb müssen wir zu einer ganz anderen Diskus-
sion kommen.
Es gibt also gute Gründe, Wachstumsversprechen und
Wachstumsziele kritisch zu hinterfragen. Eine der Fra-
gen der Enquete-Kommission wird sein: Wie viel und
welches Wachstum können wir uns leisten? Diese Frage
müssen wir beantworten.
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Die Entkoppelung der ökologischen Seite, der Res-
ourcen vom Wachstum ist natürlich ganz wichtig. Auch
a müssen wir fragen: Werden die Effizienzgewinne
icht wieder aufgebraucht? Natürlich sind wir effizienter
eworden, zum Beispiel bei der Stromproduktion, aber
iese Effizienzgewinne werden ganz häufig durch mehr
egehrlichkeiten aufgefressen. Der neue Kühlschrank
ird in die Küche gestellt und der alte Kühlschrank läuft
m Keller weiter. Das führt am Ende zu mehr Stromver-
rauch. Es geht also auch darum, zu fragen: Können wir
ine Entkopplung vom Wirtschaftswachstum erreichen,
nd wie können wir dies schaffen?
Müssen wir nicht zum Beispiel auch Fragen nach der
ebensqualität, dem Lebensstil und den Konsummus-
ern stellen? Das heißt, wir müssen Wohlstand definie-
en. Wir müssen danach fragen, wie wir Lebensqualität
ür die Menschen definieren können, wenn wir Ökologie
om Wachstum abkoppeln. Wir haben also viele Fragen
n diese Enquete.
Ich möchte zum Schluss meiner Rede an eine Enquete
rinnern: die Enquete „Schutz der Erdatmosphäre“. Sie
at in diesem Bundestag Großes geleistet. Sie hat Ergeb-
isse erzielt, durch die national wie international viel
erändert wurde. Ich wünsche dieser neuen Enquete,
ass ihre Mitglieder ähnlich viel Weitsicht und Weisheit
aben und dass sie genauso erfolgreich sein wird. Wir
ls Grüne werden versuchen, unseren Beitrag dazu zu
eisten.
Danke schön.
Das Wort hat Matthias Heider für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr geehrte Damen und Herren! Frau Höhn, es gibt in
er Tat einen kritischen Ansatz für die Untersuchung,
8426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Dr. Matthias Heider
)
)
die wir durchführen wollen. Ich habe aber das Gefühl,
dass wir unserem Ziel nicht näherkommen, wenn wir
aufgrund der jüngsten Erfahrungen auf den Finanzmärk-
ten in einen allgemeinen Marktpessimismus verfallen.
Wir würden damit gleichzeitig auch all diejenigen
Marktteilnehmer, zum Beispiel Mittelständler und Fami-
lienunternehmer, in Mithaft nehmen, die nicht zu diesen
Verwerfungen auf den Finanzmärkten beigetragen ha-
ben. Deshalb fände ich es sehr gut, wenn wir uns in die-
ser Diskussion um eine große Differenzierung bemühen.
Grundsätzlich ist es erfreulich, dass wir zu einem fast
fraktionsübergreifenden Antrag gekommen sind. Es geht
um ein wichtiges Thema. Es liegt an uns, Schrittmacher
in diesem Diskurs abseits der parlamentarischen Tages-
arbeit zu sein. Die Konferenz von Rio im Jahr 1992 hat
den Impuls für die gemeinsame weltweite Anstrengung
zur nachhaltigen Entwicklung gegeben. Weitere interna-
tionale Konferenzen sind ihr gefolgt. Sie alle hatten ei-
gene Schwerpunkte, etwa Stadtentwicklung, Ernährung
und Demografie; das sind nur einige Beispiele.
In der Zwischenzeit haben sich auch die Grundlagen
unseres EU-Vertrages verändert. Sie sind fortgeschrie-
ben worden. In Art. 3 des EU-Vertrages wird die Wirt-
schaftsverfassung des Binnenmarktes in der Europäi-
schen Union beschrieben. Darin enthalten sind die Ziele:
nachhaltige Entwicklung Europas, ein ausgewogenes
Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, eine wettbewerbs-
fähige soziale Marktwirtschaft, Vollbeschäftigung und
sozialer Fortschritt, ein hohes Maß an Umweltschutz,
Verbesserung der Umweltqualität, die Förderung des
wissenschaftlichen und technischen Fortschritts.
Sie sehen: Dies ist eine umfassende Beschreibung all
der Themen, die auch in unserem Antrag genannt sind.
Im Mittelpunkt der Beschreibung, die ich gerade ge-
nannt habe, steht die soziale Marktwirtschaft. Ich bin
sehr froh, dass wir in der Europäischen Union diese Er-
rungenschaft ausdrücklich – im Übrigen über den Text
unseres Grundgesetzes hinaus – in den Verfassungstext
aufgenommen haben. Soziale Marktwirtschaft beinhaltet
Freiheit, Verantwortung, Eigentum, aber auch sozialen
Ausgleich. Mit der sozialen Marktwirtschaft haben wir
den idealen Ordnungsrahmen, um den im Antrag ge-
nannten Aufgabenkatalog zu bewältigen. Es gilt, um es
mit den Worten von Alfred Müller-Armack zu sagen, das
Prinzip der Freiheit mit dem des sozialen Ausgleiches zu
verbinden. Die Herausforderungen unseres politischen
Handelns in den Jahren vor der nächsten Rio-Konferenz,
die ja 2012 stattfinden wird – Rio-20-plus ist das Schlag-
wort –, sind eher größer und die Entscheidungen noch
dringlicher geworden. Ressourcenverbrauch, demografi-
scher Wandel, Klimawandel, Staatsverschuldung, Fi-
nanzmarktreformen und Biodiversität – all diese Punkte
berühren unsere Lebensgrundlagen. Sie berühren aber
auch die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Han-
delns.
Wachstum und Wohlstand sind tragende Bestand-
teile unserer wirtschaftlichen Ordnung. Es kann dieser
Enquete-Kommission deshalb nicht darum gehen, das
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it all diesen Fragen wird an unsere sozialen und wirt-
chaftlichen Kompetenzen, unsere technischen Fähig-
eiten und unser ökologisches Bewusstsein appelliert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist – ich sage
as am Schluss dieser kurzen Betrachtung – ein sehr am-
itioniertes Programm. Unsere Geschäftsordnung sieht
or, dass wir eine solche Kommission zur Vorbereitung
on Entscheidungen über umfangreiche und bedeutende
achkonflikte einsetzen. Dem haben wir mit dem Text
es Einsetzungsantrags vielleicht schon mal Rechnung
etragen; aber der Erfolg wird sich letztendlich daran
essen lassen, was wir aus dieser so umfassenden Band-
reite an aufgeworfenen Themen als greifbare und be-
astbare Ergebnisse tatsächlich mitnehmen.
Ich freue mich deshalb mit Ihnen zusammen auf eine
ntensive und gute Beratung und wünsche uns allen da-
ei eine gute Zusammenarbeit und vor allen Dingen
achhaltige Erkenntnisse.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Daniela Kolbe für die SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! In
eutschland und vielen anderen Industriestaaten haben
ir mittlerweile ein beachtliches Maß an Lebensquali-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8427
Daniela Kolbe
)
)
tät – durch technologischen Fortschritt, Wirtschafts-
wachstum und die Arbeit von Millionen Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern – erreicht.
Immer mehr Menschen zweifeln jedoch daran, dass ein
Mehr an Wirtschaftswachstum auch ganz automatisch zu
einem Mehr an Lebensqualität für sie und ihre Mitmen-
schen führt. Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stif-
tung sehen 61 Prozent der Befragten diesen Zusammen-
hang nicht mehr, und zwar nicht zuletzt wegen der
Erfahrungen aus dem Aufschwung direkt vor der Wirt-
schafts- und Finanzkrise, der bei den Menschen viel zu
wenig ankam, und wegen der Wirtschafts- und Finanz-
krise selbst. Damit nicht genug: Auch die drohende Kli-
makatastrophe stellt die reine Fixierung auf numerisches
Wachstum infrage. Das BIP eines Landes wächst, wenn
die Menschen im Stau stehen und der Motor läuft. Dabei
wird Benzin verbrannt. Es wächst auch, wenn Milliarden
dafür ausgegeben werden, um Umweltkatastrophen wie
nach der Explosion der „Deepwater Horizon“ einzudäm-
men.
Einen Wohlstand, der durch Umweltschädigung oder
hohe Staatsverschuldung erkauft wird, lehnen jedoch
mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ab. Ich wiederhole:
mehr als 80 Prozent.
Daran, dass die Steigerung des BIP die alleinige
Richtschnur des politischen Handelns sein sollte, zwei-
feln viele Menschen zu Recht. Dem BIP einen zweiten
Indikator für solidarischen Fortschritt zur Seite zu stel-
len, das ist ein Ziel der Enquete-Kommission, die wir
heute gemeinsam einsetzen wollen. Das BIP reicht nicht
mehr aus, um Wohlstand und Lebensqualität angemes-
sen darzustellen. Es greift zu kurz. Was ist mit sozialer
Teilhabe, Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und
guter Arbeit? Auch diese Faktoren bilden das Wohl-
standsniveau einer Gesellschaft ab.
Wir stehen mit der Diskussion, die wir heute führen,
nicht allein. In der OECD und der EU, aber auch in Na-
tionalstaaten wie in Frankreich und den USA, überall
wird umfassend geforscht und hochkarätig politisch dis-
kutiert. Es ist unabdingbar, dass auch wir im Deutschen
Bundestag uns diesem Thema zumindest für den Rest
dieser Legislaturperiode widmen. Die Frage nach einem
neuen, wertvollen Wachstum für mehr Lebensqualität zu
beantworten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Sie ist kein Nischenprojekt für einen akademischen Zir-
kel oder eine einzelne Partei. Sie ist die wesentliche
Frage, die wir uns als politische Akteure jeden Tag neu
stellen sollten.
Nur dann, wenn wir gemeinsam zeitgemäße Maß-
stäbe entwickeln, was wir unter einem solchen Wachs-
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Zur Unzulänglichkeit des BIP haben meine Vorredner
ereits jede Menge gesagt. Schon aufgrund der Unzu-
änglichkeit des BIP macht es Sinn, diesen Indikator um
inen weiteren zu ergänzen. Folglich ist es auch mitnich-
en so, dass wir uns vom Ziel des Wachstums entfernen
ürden. Wir Sozialdemokraten werden weiter für
achstum arbeiten, aber für ein Wirtschaftswachstum,
as ökologisch nachhaltig ist, das global verantwortbar
st und das bei den Menschen wirklich ankommt. Wir
ollen nicht länger dabei zusehen, dass die Statistiker
achstumsrekorde verkünden und die Menschen den
ufschwung erfolglos in ihrer Lohntüte suchen.
Ob und vor allem wie unser Wohlstand aufwächst,
as ist eine zutiefst soziale Frage. Zu gesellschaftlichem
ortschritt gehört für uns, dass alle daran teilhaben
önnen. Auch in Zukunft kann es also nicht darum ge-
en, dass die Abwesenheit von Wirtschaftswachstum als
rfolg verbucht wird. Wir wollen allerdings ein Wachs-
um, das die natürlichen Grundlagen unserer Umwelt
chont und bei gleichem oder steigendem Wohlstand we-
iger Ressourcen verbraucht. Wir haben nur diese eine
rde, und unsere Ressourcen sind endlich; viele sind
icht regenerierbar. Deshalb müssen wir es ermöglichen,
ehr Beschäftigung und Wohlstand zu schaffen und
leichzeitig weniger Rohstoffe zu verbrauchen.
8428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
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Diese Ziele können wir nicht allein durch eine Verän-
derung des individuellen Konsums und des individuellen
Lebensstils erreichen, sondern dafür brauchen wir auch
den technischen Fortschritt. Ich erwarte, dass wir in
den kommenden drei Jahren der Beantwortung dieser
brennenden Fragen ein ganzes Stück näherkommen, und
freue mich wirklich sehr auf die Debatte mit Ihnen.
Vielen Dank.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Matthias Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Viel-
leicht wird“, so Theodor Adorno in seiner Minima Mo-
ralia, „die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüs-
sig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, statt
unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“.
Ein solcher Verzicht auf die Entwicklung technischer
Möglichkeiten, auf Wachstum, auf Fortschritt ist das
Thema vieler Utopien, von Platon über Thomas Morus
bis in die Utopien der Aufklärung hinein. Aber Utopien
sind statische Gesellschaften. Dies sind wir nicht. Wir
sind dem Wandel der Veränderung unterworfen, sei es
aus Freiheit, sei es aus den Imperativen einer techni-
schen Gesellschaft.
Fortschritt buchstabieren wir heute nicht mehr so op-
timistisch wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Idee
des Fortschritts ist seltsam gebrochen, seltsam einge-
dunkelt. Etwas verschämt spricht der Antrag von gesell-
schaftlichem Fortschritt, ganz so, als könne dieser mit
Blick auf die Geschichte empirisch konstatiert werden.
Ich halte das für problematisch.
Auch das Wachstum, auf das, wie es der Antrag formu-
liert, unser Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, ist uns
längst nicht selbstverständlich. Wir hinterfragen kritisch,
und viele Kollegen haben das ja auch getan: Was ist das
Kriterium für Wachstum? Ich finde es richtig, darüber
nachzudenken, ob lediglich die Kennzahl der Entwick-
lung des Bruttoinlandsprodukts ein sinnvoller Bezugs-
punkt ist. Ich glaube nicht, dass es unserer Lebenswirk-
lichkeit gerecht wird, lediglich das Bruttoinlandsprodukt
hier heranzuziehen. Ich glaube auch nicht, dass das ge-
sellschaftliche Ziel das größtmögliche Glück der größt-
möglichen Zahl, in harter materieller Verteilung gemes-
sen, da sinnvoll ist; denn zur Lebensqualität gehört
meines Erachtens die Möglichkeit des authentischen, des
gelingenden, des guten Lebens jenseits des Konsums.
Diese reflektierende Herangehensweise ist ein Ge-
winn, und das Thema der Enquete-Kommission ist ein
großes, über den Tag hinausreichendes. Dabei geht es
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Durch den Antrag werden wir aber auch aufgefordert,
nicht nur im Reich der Ideen zu verweilen, sondern auch
konkrete Fragen zu beantworten, sodass wir als Gesetz-
geber diese Dinge dann praktisch angehen können.
Ich wünsche mir, dass wir den Mut haben, erste
Schritte zu unternehmen, das Verständnis von Wachs-
tum, Wohlstand und Lebensqualität konkret und neu zu
definieren oder gegeneinander zu justieren. Ich wünsche
mir, dass wir den Begriff der sozialen Marktwirtschaft
qualitativ anreichern, und ich wünsche mir, dass wir auf
die großen Fragen, die zu beantworten uns aufgegeben
ist, große Antworten finden mögen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/3853 zur Einsetzung einer
Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebens-
qualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und ge-
sellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirt-
schaft“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist bei Enthal-
tung der Fraktion der Linken mit den Stimmen des übri-
gen Hauses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3990 zur Einset-
zung einer Enquete-Kommission „Wachstum, Wohl-
stand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaf-
ten und gesellschaftlichem Fortschritt“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP
gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Frak-
tionen der SPD und der Grünen abgelehnt.
Damit ist die Enquete-Kommission auf Grundlage
des Antrages der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3853 einge-
setzt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Umweltbericht 2010.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen. Bitte schön, Herr
Minister.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich freue mich, Ihnen einige Aspekte des Umwelt-
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tuation erreicht, die wir auf andere Bereiche übertragen
müssen; dabei geht es um die Ablösung der Abfallpro-
duktion vom Wirtschaftswachstum. Wir hatten in den
letzten zehn Jahren wirtschaftliches Wachstum, aber we-
niger Abfall. Wir haben hohe Recyclingquoten und wer-
den wegen unseres technologisch-wirtschaftlichen Erfol-
ges – die Europäische Union zieht jetzt mit der Richtlinie
nach – mit dem sich in der regierungsinternen Abstim-
mung befindlichen Kreislaufwirtschaftsgesetz weiter in
Richtung Kreislaufwirtschaft gehen und die Vorstellung,
dass Abfallpolitik sekundär Rohstoffpolitik ist, konse-
quent weiter voranbringen. Das ist ein Beispiel dafür, was
unser Grundverständnis ist.
Ich möchte zum Schluss einige wirtschaftliche Zahlen
aus dem Umweltbericht referieren. Denn die Entwick-
lung, Umwelt und Arten zu erhalten, Naturschutz zu be-
treiben und CO2-sparsam zu wirtschaften und zu leben,
ist unbestreitbar eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte.
Darum ist es auch wirtschaftlich geboten, unser Naturka-
pital zu erhalten, statt es zu verbrauchen.
Wir haben im boomenden Weltmarkt der Umwelttech-
nologien mit 16 Prozent die Spitzenreiterposition. Das
macht 224 Milliarden Euro aus. In den Jahren 2005 bis
2008 sind knapp 10 Prozent des gesamten Industriepro-
duktionszuwachses auf Umweltschutzgüter zurückzufüh-
ren. Wir haben inzwischen 1,8 Millionen Greenjobs in
Deutschland, 340 000 im Bereich der erneuerbaren Ener-
gien und 850 000 in den Umwelttechnikdienstleistungen.
Wir glauben, dass sich die Zahlen in den nächsten zehn
Jahren verdoppeln werden.
Wir sind Technologieführer, was sich auch in den Pa-
tentanmeldungen beim Europäischen Patentamt aus-
drückt. Jedes vierte Patent in diesem Bereich, das vom
Europäischen Patentamt gewährt wird, stammt von ei-
nem deutschen Patentanmelder. Das ist Ausdruck der
technologischen Führung, die wir auf diesem Gebiet ha-
ben. Ich möchte das noch einmal unterstreichen. Ich
glaube, dass das ein entscheidender Ansatz ist, der durch
den Umweltbericht und die ermittelten Zahlen belegt
worden ist. Dass es keinen Widerspruch zwischen Öko-
logie und Ökonomie gibt, sondern dass die Verfolgung
des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla-
gen im ökonomischen Interesse des Landes ist und sich
in ökonomischen Erfolgen für unser Land ausdrückt, ist
nicht nur ein nationaler Prozess, sondern ein globaler
Wettbewerbsprozess. Wir liegen sehr gut in diesem Pro-
zess, wie auch die Direktorin der Europäischen Energie-
agentur, Jacqueline McGlade, am heutigen Tag bekundet
und anerkannt hat. Aber dieser Prozess ist kein Selbst-
läufer, sondern das Zusammenspiel von anspruchsvoller
staatlicher und europäischer Rahmensetzung und Entfal-
tung von innovativen Kräften in Wirtschaft und Gesell-
schaft. Das ist das Erfolgsmuster, das wir auch in der Zu-
kunft fortsetzen müssen. Darüber werden wir streiten,
aber, ich glaube, im Kern gibt es in dieser wichtigen Ent-
wicklungsfrage unseres Landes einen Konsens.
Herzlichen Dank. – Zur ersten Frage hat sich Kollege
Matthias Miersch gemeldet.
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deutsche Haushalte 63 Prozent ihrer Wertstoffe recycelt
haben; das sind 2 Prozent Unterschied. Die auf Baustoff-
recycling bezogenen Zahlen, die Sie als ambitioniertes
Ziel für 2020 angeben, wurden 2007 bereits übererfüllt.
Vor dem Hintergrund und angesichts der Bedeutung ins-
besondere der Ressourcenverwertung und des Ressour-
censchutzes würde ich von Ihnen gern wissen: Wie will
sich denn die Bundesregierung zukünftig für mehr Roh-
stoffrecycling in der Abfallwirtschaft einsetzen, wenn
entsprechende Zielsetzungen auf Bundesebene vollstän-
dig fehlen? In Verbindung damit: Wann werden Sie als
Bundesregierung bzw. als Bundesumweltministerium
Kriterien für zu bevorzugende hochwertige Recycling-
verfahren erarbeiten, um zu erreichen, dass die anhal-
tende sinnlose Verbrennung wertvoller Rohstoffe in Ver-
brennungsanlagen minimiert wird?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich sehe, Frau Kollegin, den Erfolg bzw. den Nach-
weis des Erfolgs vor allen Dingen darin, dass wir mit
dem Kreislaufwirtschaftsgesetz auf dem Gebiet der Res-
sourcenpolitik führend in Europa sind. Das drückt sich
darin aus, dass die europäische Richtlinie, die erlassen
worden ist, im Grunde darauf abzielt, die deutsche
Rechtslage und rechtliche Struktur in der Europäischen
Union zu etablieren und auszuweiten. Wir sind dort in
positivem Sinn Vorreiter. Inzwischen sind es 26 Länder,
die unser System übernommen haben. Das ist auch Aus-
druck des Erfolges, den wir mit unserem Programm ha-
ben.
Wir werden uns aber auf diesem Erfolg nicht ausru-
hen, sondern mit der von mir gerade erwähnten Novelle
zum Kreislaufwirtschaftsgesetz diesen Weg konsequent
fortsetzen, und zwar mit einer von drei auf fünf Stufen
erweiterten und ausdifferenzierten Abfallhierarchie – die
Bedeutung von Abfallvermeidung und -recycling wird
weiter hervorgehoben – und mit zusätzlichen, deutlich
über die neuen europäischen Recyclingquoten hinausge-
henden nationalen Quoten, die noch einmal angehoben
werden. Das heißt, wir werden die Ambitionen auf die-
sem Gebiet weiter ausdehnen. Wir können das auch. Wir
werden einen substanziellen Schritt in der Abfallpolitik
gehen, und zwar weg vom Wegwerfen hin zu einem Ver-
ständnis von Abfall als Sekundärrohstoff. Das wird zu-
nehmend deutlicher werden. Wir entwickeln durch die-
ses vernünftige Zusammenspiel von anspruchsvollen
Rahmensetzungen, Quoten, Standards und Technologie
die Führungsrolle weiter, die wir bislang innehaben. Wir
streben also eine vernünftige, anspruchsvolle Fortent-
wicklung an, die sich in höheren Quoten und insbeson-
dere in einer stärkeren Ausdifferenzierung ausdrückt.
Darüber werden wir in der Debatte über den Gesetzent-
wurf, der bald eingebracht wird, ausführlich diskutieren
können.
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Herr Minister, ich habe eine Frage zum Naturschutz,
en Sie schon angesprochen haben. Sie haben gesagt, es
ei sehr erfreulich, dass wir bei Natura 2000 und dem
ationalen Naturerbe vorangekommen sind. Das ist
hne Zweifel richtig. Gleichwohl ist das erklärte Ziel,
en Biodiversitätsverlust zu stoppen, bei weitem nicht
rreicht. Wir stehen vor einem sehr großen Problem.
un soll das Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“
ufgelegt werden. Wenn ich richtig gelesen habe, steht in
apitel III, auf Seite 120, des Umweltberichts 2010,
ass es dazu einen offenen Diskurs mit verschiedenen
esellschaftlichen Partnern geben soll. Wir hatten am
. November im Rahmen einer schriftlichen Anfrage
ach dem Stand dieses Programms gefragt. Im nächsten
ahr sind dafür 15 Millionen Euro vorgesehen. Wir fin-
en zwar, dass das nicht genug ist. Trotzdem ist das er-
reulich. Aber wie soll das Programm ausgestaltet sein?
m Dezember noch nicht zu wissen, wie es nächstes Jahr
eitergehen soll, ist angesichts eines solchen Pro-
ramms sicherlich mutig. Meine Frage lautet daher:
ann werden wir erfahren, wie dieses Programm ausge-
taltet wird?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
aturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich stimme Ihnen in der – absolut richtigen – Feststel-
ung zu, dass wir, die Staatengemeinschaft, die Biodiver-
itätsziele im Rahmen der CBD nicht erreicht haben.
010 ist das Internationale Jahr der biologischen Viel-
alt. Aber das ist kein Jahr zum Feiern; denn wir haben
ie Ziele auf ganzer Linie nicht erreicht. Gerade deshalb
ar es so wichtig, dass wir in Nagoya erfolgreich waren.
ieser Erfolg muss nun auch auf nationaler Ebene sei-
en Niederschlag finden und umgesetzt werden. Wir ha-
en in der letzten Sitzungswoche etwa über die Relevanz
er veränderten und reformierten gemeinschaftlichen
grarpolitik als eines der wichtigsten Anwendungsfel-
er und als Ausdruck eines neuen Verständnisses gespro-
hen. Landwirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Wirt-
chaftspolitik müssen zu Veränderungen kommen.
Ein anderes Instrument ist das Bundesprogramm „Bio-
ogische Vielfalt“. Ich stimme Ihnen zu, dass dafür
5 Millionen Euro zur Verfügung stehen und 30 Millio-
en Euro besser gewesen wären. Aber wenn ein völlig
eues, finanziertes Instrument eingeführt wird, das nicht
ingeführt wurde, als die Kassenlage noch viel besser
ar, nämlich in der Zeit früherer Regierungen, ist das
iederum ein Grund, sich gemeinsam zu freuen. Wir
ollten uns darüber freuen, dass es das Instrument über-
aupt gibt, das mit 15 Millionen Euro ausgestattet ist
nd in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess ent-
ickelt wird. Es hat dazu einen Jugendkongress und an-
ere Veranstaltungen gegeben, auf denen das Programm
usammen mit den Akteuren entwickelt wurde. Das wird
ach und nach im nächsten Jahr umgesetzt werden. Ich
8432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
)
)
kann Ihnen jetzt keinen Termin nennen, wann die erste
finanzierte Aktion stattfinden wird. Das wird sich über
das Jahr hinweg erstrecken; denn das ist nicht nur eine
Aktion, sondern es handelt sich um ein breites Anwen-
dungsfeld. Das geht von der Landschaftspflege bis hin
zum landwirtschaftlichen Naturschutz. Das nächste Jahr
wird das Anwendungs- und Ausgabejahr für dieses Pro-
gramm sein, und zwar auf der Basis gesellschaftlich ent-
wickelter Konzepte.
Nein, im Augenblick nicht, weil zunächst einmal die
gemeldeten Fragesteller in der Reihenfolge, in der sie
hier notiert worden sind, zu Wort kommen sollen.
Die nächste Frage hat der Kollege Frank Schwabe.
Herr Minister, es ist spannend, was in Ihrem Bericht
steht, es ist aber auch spannend, was nicht darin steht.
Sie widmen zum Beispiel dem Thema des internationa-
len Klimaschutzes und der Finanzierung eine ganze
Seite. Die Begriffe „neu“ und „zusätzlich“ kommen da-
rin allerdings nicht vor. Das betrifft aber die zentrale De-
batte, die wir vor der Konferenz in Cancún führen.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt heute:
„Regierung lobt sich für Umweltschutz.“ In der Tat ist
der Umweltbericht beeindruckend. Ich muss allerdings
sagen, dass er sich auf eine Zeit bezieht, in der Sie keine
Verantwortung getragen haben; es war vielmehr die Zeit,
als Bundesminister Gabriel Verantwortung getragen hat.
Insofern ist der Bericht ein Zeugnis über diese Politik.
Es ist ganz interessant, dass in diesem Umweltbericht
die Maßnahmen des Integrierten Energie- und Klimapro-
gramms sehr positiv bewertet werden. Ich zitiere:
Das Integrierte Energie- und Klimaprogramm …
trägt entscheidend zur Erreichung des deutschen
Klimaschutzziels bei. … Ein Großteil der Eck-
punkte konnte innerhalb kürzester Zeit in Maßnah-
men umgesetzt werden.
Sie haben gesagt, Ihr vor kurzem dargelegtes Energie-
konzept sei ein Konzept gewesen, dass es vor 20,
30 Jahren – da gab es unterschiedliche Zahlen – in dieser
Dimension nicht gegeben habe. Sie haben allerdings zu
dem von Ihnen sehr positiv bewerteten Integrierten
Energie- und Klimaprogramm im Koalitionsvertrag ge-
schrieben – ich zitiere –:
Wir werden die Maßnahmen im Integrierten Ener-
gie- und Klimaprogramm 2010 auf ihre Wirksam-
keit überprüfen und ggf. nachsteuern.
Das haben Sie bisher nicht getan. Im Umweltbericht
steht jetzt:
Der erste Monitoring-Bericht soll noch 2010 einge-
leitet werden.
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Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sehr geehrter Herr Minister, in Ihrem Umweltbericht
loben Sie insbesondere das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm und das Marktanreizprogramm. Sie schreiben
zum Beispiel, dass das Marktanreizprogramm mit
423 Millionen Euro Investitionen von rund 3 Milliarden
Euro ausgelöst hat. Wie kommt es dann dazu, dass aus-
gerechnet das Marktanreizprogramm zeitweise komplett
gestoppt wurde und jetzt stark gekürzt worden ist und
dass auch das Gebäudesanierungsprogramm extrem ge-
kürzt worden ist? Wie kommt es dazu, und wieso findet
das in dem Bericht keine Erwähnung?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Das muss man differenzieren. Erstens. Das Marktan-
reizprogramm wurde schon immer durch die Erlöse aus
dem CO2-Zertifikatehandel finanziert; das ist seine Fi-
nanzgrundlage. Das können Sie gerne noch einmal nach-
prüfen. Wegen der Wirtschaftsrezession ist der CO2-Zer-
tifikatepreis in den Keller gegangen und deutlich
niedriger geworden. Dadurch haben sich die Erlöse aus
dem CO2-Zertifikatehandel verringert, sodass entspre-
chend weniger Mittel zur Verfügung stehen, um das
Marktanreizprogramm zu finanzieren.
Gerade weil es ein solch großer Erfolg ist, haben wir
dafür gesorgt, dass wir im Rahmen des Energiekonzep-
tes – außerhalb dieser jährlichen Verteilungskämpfe mit
ihrer Gefahr von Stop and Go – nunmehr ein gesetzli-
ches Sondervermögen mit einem Numerus clausus von
Förderzwecken zur Verfügung haben – wozu auch das
Marktanreizprogramm zählt –, um eine verlässliche und
gut finanzierte Grundlage für ein stetiges Marktanreiz-
programm zu haben. Das Programm wird im nächsten
Jahr um, ich glaube, 40 Millionen Euro erhöht. Die wirk-
lich gute Finanzausstattung des Energie- und Klima-
fonds wird sich ab 2013 ergeben, wenn alle Zusatzerlöse
aus dem Zertifikatehandel in diesen Fonds einfließen.
Das bedeutet eine verlässliche Finanzierungsgrundlage,
die ab 2013 beim heutigen CO2-Preis ungefähr 3 Milliar-
den Euro pro Jahr ausmachen wird. Das macht den Un-
terschied deutlich. Die Finanzierungsschwankung, die es
gegeben hat, führt zu Stop and Go. Es ist nun einmal so,
dass Ausgaben an Einnahmen geknüpft sind. Genau die-
sen Schwankungen vorzubeugen, ist der strukturelle
Vorteil des Energie- und Klimafonds.
Zum Gebäudesanierungsprogramm. Das war insbe-
sondere als ein Konjunkturprogramm vorgesehen und
hat sich als solches absolut bewährt. Es war aber befris-
tet bis Ende 2009 und sollte dann nicht fortgesetzt wer-
den, weil es als Konjunkturprogramm verstanden wurde.
Wir verstetigen das Gebäudesanierungsprogramm, weil
wir der Überzeugung sind, dass hier wirkliche Energie-
effizienzpotenziale schlummern. Darum wird dieses Pro-
gramm ein Dauerinstrument der Effizienzgewinnung,
der Energieeinsparung und der Modernisierung in unse-
rem Gebäudebestand, das ebenfalls dauerhaft und ver-
lässlich aus dem Energiefonds durch einen eigenen
Energieeffizienzfonds finanziert wird.
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Auch die Steuervergünstigungen für Fernwärme wurden
zusammengestrichen. Vor diesem Hintergrund frage ich
Sie: Von welchem Wachstum des Bereichs Kraft-
Wärme-Kopplung im kommenden Jahr geht die Bundes-
regierung aus?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Erst einmal: Wir beide überprüfen das. Der Zertifika-
tehandel war die Finanzgrundlage für das Marktanreiz-
programm. Der Preis ist gesunken. Vielleicht können
Ihnen das Ihre Fraktionskollegen aus dem Haushaltsaus-
schuss – ich weiß nicht, ob einer von ihnen da ist – be-
stätigen. Ich verweise auf die Debatte im Haushaltsaus-
schuss. Wir können es jetzt wahrscheinlich nicht klären.
Wir beide können uns aber vornehmen, das zu recher-
chieren.
Aus diesem Grund gibt es eine geringere Finanzaus-
stattung. Darum musste eine Priorisierung vorgenom-
men werden zugunsten anderer Maßnahmen, die noch
wirksamer sind als das wirksame Mini-KWK-Pro-
gramm. Es ist einfach so: Wenn die Mittel begrenzt sind,
muss man Prioritäten setzen. Die wirksamsten Maßnah-
men sind ergriffen worden, und die wirksamen Maßnah-
men – ich habe das Mini-KWK-Programm sehr ge-
schätzt – sind der Begrenztheit der finanziellen Mittel
zum Opfer gefallen. Wir wollen das Marktanreizpro-
gramm weiter ausdehnen.
– Dazu kann ich Ihnen keine Prognose geben.
Dirk Becker, bitte die nächste Frage.
Vielen Dank. – Herr Minister Röttgen, Sie haben be-
reits eben in der Beantwortung der Frage von Herrn
Schwabe das EEG angesprochen: Im kommenden Jahr
stehe eine Überprüfung an, für 2012 sei eine Novelle ge-
plant. Herr Bareiß aus der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion – er ist immerhin energiepolitischer Koordinator –
hat Sie in einem Schreiben quasi aufgefordert, beim
Thema PV bereits zum 1. Januar 2011 eine Veränderung
vorzunehmen. Diese Änderung solle gegebenenfalls
rückwirkend in Kraft gesetzt werden. Mit Blick auf die
weitere Entwicklung sei zu prüfen, ob es gerade beim
Thema PV sinnvoll sei, die jetzt geltende Regelung um-
zugestalten – weg vom „atmenden Deckel“ hin zum
„festen Deckel“ – und womöglich eine Quote einzufüh-
ren. Herr Bareiß stellt den Einspeisevorrang im weiteren
Zusammenhang gerade mit Blick auf die fluktuierenden
Erneuerbaren durchaus infrage. Meine konkrete Frage:
Sagen Sie heute klipp und klar: „Es bleibt beim Fahr-
plan, Erfahrungsbericht EEG im Frühjahr, eine Novelle
zum 1. Januar 2012; vorher wird es keine weiteren Ver-
änderungen geben, und es bleibt beim Einspeisevor-
rang“?
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schätzung aus Ihrer Sicht hier nicht zu? Oder ist diese
doch deutliche Abhängigkeit anders zu werten?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Sie haben völlig recht, wir importieren knapp drei
Viertel unserer Energie: Öl, Kohle – der Anteil der hei-
mischen Steinkohle ist minimal – und eben auch Uran.
Die Strategie, sowohl Energieeffizienz zu forcieren als
auch erneuerbare Energien zu entwickeln, zielt auch da-
rauf ab, die Importabhängigkeit mit all ihren außenpoli-
tischen oder auch sicherheitspolitischen Implikationen
zu reduzieren und auf heimische Wertschöpfung zu set-
zen. Das ist wirtschaftspolitisch und arbeitsmarktpoli-
tisch sinnvoll, aber es hat auch den Aspekt von Sicher-
heit, den Sie ansprechen. Dieser bezieht sich auf die
Energiequellen, die ich genannt habe. Darum ist die
Kernenergie im Energiekonzept übrigens auch keine Zu-
kunftsoption, sondern ein Übergang.
Kollegin Höhn.
Herr Minister, ich möchte eine Frage zur Energieeffi-
zienz stellen. Wir haben gerade in der Diskussion über
die Enquete-Kommission festgestellt, dass wir mehr für
die Ressourceneffizienz tun müssen. Wir stellen fest,
dass wir bei der Energieeffizienz nicht gut sind. Die EU-
Vorgaben sind sehr schwer einzuhalten, obwohl man sie
sich noch ehrgeiziger vorstellen könnte. Fakt ist, dass die
EU-Richtlinie schwach umgesetzt worden ist. Das ist of-
fensichtlich auch Ihre Meinung; denn – ich zitiere Sie –
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. März
dieses Jahres haben Sie gesagt, Sie wollen zu einem spä-
teren Zeitpunkt ein echtes Effizienzgesetz auf den Tisch
legen. Das ist ein Dreivierteljahr her. Von daher frage ich
Sie: Wann können wir damit rechnen, dass Sie uns das
vorlegen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Sie haben völlig recht. Wir haben gesagt: Wir kom-
men unserer Umsetzungspflicht nach. Die haben wir
selbstverständlich auch erfüllt. Die Effizienzziele, die
wir uns setzen, werden wir in dem Energiekonzept ver-
ankern, und darauf werden wir auch die Maßnahmen
gründen.
Ich habe Ihnen eben das Ziel genannt: bis 2050 Hal-
bierung des Primärenergieverbrauchs. Dazu brauchen
wir eine erhöhte Steigerung der Effizienz: von 1,7 Pro-
zent auf 2,1 Prozent pro Jahr. Auf der Basis des Kon-
zepts, das wir gerade erst beschlossen haben, werden wir
die Instrumente diskutieren und beschließen, die zu dem
Ziel führen. Wir haben eben zum Beispiel über die Ge-
bäudesanierung gesprochen. Die Verstetigung des Ge-
bäudesanierungsprogramms ist eines der Effizienzpoten-
ziale. Aber es gibt solche Potenziale auch in anderen
Bereichen.
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Kollege Ostendorff.
Herr Minister, am 18. November hat der neue EU-
grarkommissar Ciolos die Vorschläge dazu vorgelegt,
ie die EU-Agrarpolitik bis 2020 aussehen soll. Wir ha-
en deutlich vernommen, dass es um Ökologisierung
eht, um Greening, wie er es nennt, sowohl der ersten als
uch der zweiten Säule. Wir haben bisher noch keine
inweise darauf, wie das Umweltministerium sich dazu
erhält. Wie sehen Sie die einzelnen Bausteine, die uns
ls Agrarumweltmaßnahmen in der Agrarpolitik bisher
egleitet haben? Wo werden Sie sich positionieren? Gibt
s von Ihrer Seite schon Aussagen dazu? Natura 2000,
asserrahmenrichtlinie, das sind zum Beispiel Punkte,
ie der Agrarkommissar ausdrücklich benannt hat. Wo
8436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Friedrich Ostendorff
)
)
sehen Sie die zukünftig verankert? Welche Maßnahmen
wollen Sie aus Ihrer Sicht gefördert wissen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Aus der Sicht des Umweltministeriums, der Umwelt-
politik zeigt genau das die Akzentverschiebung, die Sie
angesprochen haben. Es gibt ein neues Kriterium für die
Rechtfertigung von gesellschaftlicher Unterstützung; so
will ich „Beihilfe“ einmal nennen. Ich glaube, dass ge-
sellschaftliche Unterstützung nicht für die Vergangen-
heit, für vergangene Produktionsanteile und -quoten, so-
zusagen historisch, zu bemessen ist, sondern danach
bemessen werden muss, welcher gesellschaftliche oder
ökologische Mehrwert durch landwirtschaftliche Pro-
duktion geleistet wird. Wenn wir einen besonderen Bei-
trag zur Landschaftspflege, zum Naturerhalt, mit dem
man über die Erfordernisse reiner Wirtschaftlichkeit hin-
ausgeht, wollen, dann ist es berechtigt, finde ich, dass
der Landwirt, der eine solche zusätzliche Leistung er-
bringt, von der Gesellschaft eine Gegenleistung dafür er-
hält. Es geht sozusagen um die Honorierung eines ge-
sellschaftlichen Beitrages und damit um die Abkehr von
einer Prolongierung, der Verlängerung, historischer Pro-
duktionsquoten. Das ist der Paradigmenwechsel, der aus
Sicht der Umweltpolitik zu erfolgen hat.
Kollege Ott.
Herr Minister, die Geschichte der Umweltpolitik in
Deutschland ist lang; sie geht zurück bis zum damaligen
Innenminister Genscher. Ebenso lang ist aber die Ge-
schichte der Überschätzung der deutschen Umweltpoli-
tik. Wir werden das in Cancún nächste Woche erleben.
Nach einem internen Bericht der EU-Kommission,
des Commission Staff Working Paper im Environment
Policy Review von 2009, liegt Deutschland innerhalb
der EU 27 praktisch überall nur im Mittelfeld. Es gibt
eine Kategorie, nämlich „Ressourcen und Abfall“, bei
der Deutschland wirklich spitze ist. In allen anderen Ka-
tegorien liegt es nur im Mittelfeld. Auffallend ist insbe-
sondere: Bei den durchschnittlichen CO2-Emissionen
der neu zugelassenen Pkw belegt Deutschland den
21. Platz von insgesamt 27. – Was sind Ihre Pläne, um
das zu verbessern? Denn natürlich ist der Autoverkehr
zentral für die Erreichung der Klimaziele.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Nach meinem Eindruck haben Sie sich in dem Jahr
unserer Zusammenarbeit bislang nicht so richtig an der
Überschätzung der gegenwärtigen Umweltpolitik betei-
ligt; aber das kann sich ja in Zukunft ändern.
Ich habe den Verkehrsbereich eben bewusst genannt.
In den letzten Jahren hat sich die Optimierung des Ver-
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Nein, bei den Neuzulassungen sind es im Schnitt
45 Gramm. Diese Zahl habe ich jedenfalls im Kopf;
ber nageln Sie mich nicht darauf fest. – Im Zentrum
teht natürlich die Entwicklung von Elektromobilität auf
iesem Gebiet. Ich habe in meinem Eingangsstatement
rwähnt, dass die Elektromobilität aufgrund der wach-
enden Bedeutung sowohl des Güterverkehrs als auch
es Personenverkehrs eine ganz besondere klimaschutz-
olitische Relevanz erhält.
Kollege Göppel.
Herr Minister, der Haushaltsausschuss hat die Zuwei-
ung der Kyritzer Heide an das nationale Naturerbe be-
chlossen. Freuen Sie sich über dieses Geschenk, und
ind Sie mit mir der Meinung, dass andere Flächen, die
us fachlicher ökologischer Sicht in zweijähriger Arbeit
orgfältig ausgewählt wurden, deshalb nicht zurückste-
en dürfen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
aturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich denke, bei dieser Entscheidung gibt es noch Dis-
ussionsbedarf. Insbesondere das Land Brandenburg hat
ier andere Vorstellungen. Ich glaube, darüber muss wei-
er gesprochen werden.
Frau Kurth.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zum Bundes-
rogramm „Biologische Vielfalt“. Damit die Mittel ab-
erufen werden können, bedarf es einer genauen Defini-
ion der Förderkriterien. Wann können wir mit dieser
efinition und der Ausgestaltung des Bundesprogramms
onkret rechnen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
aturschutz und Reaktorsicherheit:
Zunächst einmal muss das Bundesprogramm be-
chlossen werden. Das haben wir erst in der letzten Sit-
ungswoche, also vor wenigen Tagen, hier im Deutschen
undestag gemacht. Damit stehen jetzt die Mittel bereit.
er gesellschaftliche Dialog über die Kriterien und die
ittelverwendung hat schon Mitte dieses Jahres begon-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8437
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
)
)
nen. Die Umsetzung wird im Jahre 2011 erfolgen. Wir
haben zwar schon Dezember; aber wir werden dieses
Programm einschließlich Kriterien und Mittelverwen-
dung mit breiter gesellschaftlicher Einbindung umset-
zen.
Die letzte Frage hat Frau Bulling-Schröter.
Herr Minister, aufgrund der Krisenjahre 2008 und
2009 konnte überproportional CO2 eingespart werden. In
dem Bericht heißt es „übererfüllt“; das ist positiv. Meine
Frage lautet: Was machen wir mit den überschüssigen
Emissionsrechten? Sie können sie verkaufen oder still-
legen. Wenn Sie sie verkaufen, werden sie wieder rele-
vant. Wenn wir sie stilllegen, können wir unseren Füh-
rungsanspruch als Klimanation weiterentwickeln. Was
also wird mit diesen überschüssigen CO2-Zertifikaten
geschehen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich glaube nicht, dass wir überschüssige Zertifikate
haben werden, wenn wir klimaschutzpolitisch erfolg-
reich sind. 2013 wird eine neue Handelsperiode begin-
nen. Sie wird sich auf weitere Industriesektoren und die
gesamte Energiebranche erstrecken. Das heißt, hier fin-
det eine konsequente Weiterentwicklung statt. Aber wir
können nicht permanent in das Börsensystem des Handels
mit CO2-Zertifikaten eingreifen. Wenn wir erfolgreich
sind, dann im Rahmen dieses sich fortentwickelnden
Systems. Wir können nicht permanent Preisfestsetzun-
gen vornehmen oder einen Entzug von CO2-Emissions-
zertifikaten.
– Es handelt sich, nebenbei bemerkt, um einen europäi-
schen Cap. – Ich glaube, wir brauchen in einem solchen
System Verlässlichkeit; denn man stellt sich darauf ein,
auch auf den Preis.
Übrigens nehme ich mir grundsätzlich nicht vor,
durch eine Wirtschaftsrezession zu einer Reduzierung
der CO2-Emissionen zu kommen. Ich glaube, dass eine
Wirtschaftsrezession andere negative Folgen hat. Es ist
nicht der richtige Ansatz, die Rezession durch Preiserhö-
hungen bei den CO2-Emissionszertifikaten zu verschär-
fen. Die niedrigeren CO2-Emissionen sind ein Kollate-
ralnutzen der Wirtschaftsrezession; in Zukunft müssen
wir die Reduzierung der CO2-Emissionen auf andere
Weise erreichen.
Ich schließe damit die Befragung der Bundesregie-
rung zum Bericht aus der heutigen Kabinettssitzung.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der Kabinettssit-
zung? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Gibt es jen-
seits der erfolgten Berichterstattung oder der Kabinetts-
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Der Wirtschaftsweise … fordert von Deutschland
mehr Einsatz zur Rettung des Euro.
„Die Risiken für den Euro sind enorm groß“,
warnte Bofinger … „Wo dieser Flächenbrand
stoppt, weiß niemand.“ In Deutschland müsse man
sich fragen, ob man den Euro weiter haben wolle.
… „Will man die Beziehung fortsetzen oder nicht?
Und wenn man sie fortsetzen will, muss man sich
engagieren.“
Teilen Sie die damit verbundene Kritik des Wirtschafts-
weisen an der Bundesregierung?
S
Herr Kollege Maurer, wir schätzen die Hinweise nicht
nur dieses Experten, sondern auch vieler anderer wirt-
schaftspolitischer Experten. Diese Kritik teilen wir aber
nicht. Ich möchte nur in diesem Maße auf die Äußerun-
gen von Professor Bofinger eingehen.
Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin per-
sönlich haben sich in den letzten Wochen nicht nur mit
dem deutsch-französischen Gipfel und dem darauf fol-
genden Beschluss des Europäischen Rates an die Spitze
der Bewegung der Euro-Stabilisierung gesetzt; der Bun-
desfinanzminister hat bereits im Frühjahr eine umfas-
sende Debatte über Ergänzungen zum Stabilitäts- und
Wachstumspakt und zu den europäischen Verträgen be-
gonnen. Ich glaube deshalb, dass die Bundesregierung
im internationalen Kontext keinen Vergleich scheuen
muss, wenn es um ihren Einsatz für die Stabilität der
Währung geht, mit der wir hier in Deutschland zahlen
und mit der wir einen Großteil unseres Exportes absi-
chern.
Kollege Hunko.
Vielen Dank. – Als der Euro-Rettungsschirm im Mai
dieses Jahres geschaffen wurde, erklärte die Bundes-
kanzlerin, dass auf diese Weise gewährleistet werde,
dass der Schirm niemals gebraucht würde, da die Speku-
lation nun beendet sei. Die einfache Formel war: Der
Rettungsschirm ist da, damit er nie benutzt wird. – Jetzt
wird in Europa schon über die Frage diskutiert, was zu
tun ist, wenn die Mittel des Rettungsschirms gänzlich
aufgebraucht sind. Wie erklären Sie sich diese Fehlein-
schätzung? Halten Sie wie wir die Strategie der Bundes-
regierung für gescheitert?
S
Nein, Herr Kollege Hunko, durch die Strategie der
Bundesregierung – das habe ich im Rahmen meiner Ant-
worten auf die vorangegangenen Fragen bereits ausge-
führt – wird der Euro insgesamt stabilisiert, obgleich ich
nicht verhehlen möchte, dass wir die aktuellen Entwick-
lungen in der vergangenen Woche mit Interesse, teil-
weise auch mit Sorge beobachtet haben. Aber dies ent-
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steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max
Stadler zur Verfügung.
Die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick
wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Ingrid Hönlinger
auf:
Wann ist mit Abschlussberichten bzw. Beschlüssen auf
exekutiver Ebene zur Zukunft des Betreuungsrechts, das heißt
sowohl auf Ebene der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbe-
reitung auf die Justiziministerkonferenz als auch auf Ebene
der interdisziplinären Arbeitsgruppe im Bundesministerium
der Justiz, zu rechnen, und wird die Bundesregierung noch in
dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Reform des
Betreuungsrechts in den Deutschen Bundestag einbringen?
D
Zu der Frage der Kollegin Hönlinger darf ich Folgen-
des mitteilen: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter
Beteiligung des Bundesjustizministeriums, die im
Jahr 2006 zur Beobachtung und Analyse der tatsächli-
chen Entwicklungen im Betreuungsrecht eingesetzt wor-
den ist, hat im Juni 2009 zur Konferenz der Justizminis-
terinnen und Justizminister ein Bündel von Maßnahmen
empfohlen, mit denen auf der Ebene der Rechtsanwen-
dung, also ohne weitere Gesetzesänderungen, die Quali-
tät der Betreuung verbessert und weitere Kostensteige-
rungen verhindert werden können. Eine besondere
Bedeutung kommt dabei der Stärkung der ehrenamtli-
chen Betreuung zu, etwa durch intensivere Unterstüt-
zung der Betreuungsvereine, durch flächendeckende
Vernetzung aller Beteiligten und durch ausreichende
Ausstattung der Betreuungsbehörden.
Auf Wunsch der Konferenz der Justizministerinnen
und Justizminister hat das Bundesministerium der Justiz
im Dezember 2009 den Vorsitz einer Arbeitsgruppe zum
Betreuungsrecht übernommen. Ziel dieser interdiszipli-
nären Arbeitsgruppe ist es, im Sinne der Beschlüsse der
JuMiKo aus den vergangenen Jahren zu prüfen, ob und
gegebenenfalls wie das Betreuungsrecht weiterentwi-
ckelt und verbessert werden kann.
Diese Arbeitsgruppe hat mittlerweile viermal getagt.
Weitere Termine sind vorgesehen. Ob die Bundesregie-
rung in dieser Legislaturperiode neben dem Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und
Betreuungsrechts einen Entwurf eines Gesetzes zur Re-
form des Betreuungsrechts in den Deutschen Bundestag
einbringen wird, kann heute noch nicht prognostiziert
werden.
Zusatzfrage?
Ich bedanke mich für die Beantwortung. Uns würde
noch interessieren, wer Mitglied der interdisziplinären
Arbeitsgruppe ist und welche Auswahlkriterien angelegt
wurden.
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vor dem Hintergrund der
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Das freut mich, weil wir schon aus verschiedenen
Oberlandesgerichtsbezirken gehört haben, dass die Be-
treuungen auf 50 gedeckelt werden sollen. Von daher ist
Ihre Antwort sehr interessant.
Ich möchte noch eine Nachfrage stellen. Es gibt einen
Evaluationsbericht des Instituts für Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik. Inwieweit fließt dieser in die Arbeit
der Arbeitsgruppe ein?
D
Auch hier gilt das, was ich vorhin gesagt habe: Er-
kenntnisse aus der Praxis und der Wissenschaft werden
natürlich in dieser Arbeitsgruppe verwertet. – Derzeit ist
ein Schwerpunktthema der Arbeitsgruppe die Strukturre-
form des Betreuungsrechts. Dies beinhaltet auch die
Frage, ob Aufgaben, die bisher bei den Betreuungsge-
richten angesiedelt sind, auf Betreuungsbehörden über-
tragen werden sollten. Bei diesem Punkt zeichnet sich
als Mehrheitsmeinung ab, dass man es bei der bisherigen
Rechtslage belassen sollte.
Insgesamt ist zu sagen: Das Betreuungsrecht ist in der
jetzigen Form Anfang der 90er-Jahre geschaffen wor-
den. Es ist also ein relativ junges Rechtsgebiet. Es gab
meines Wissens schon drei größere Novellen. Daran se-
hen Sie, dass wir laufend beobachten, welchen Verbesse-
rungsbedarf es gibt, und dann im Parlament entspre-
chende Vorschläge machen.
Ich habe noch eine Nachfrage zu den Stundensätzen.
Diese sind ja immer ein Thema in der Diskussion über
das Betreuungsrecht. Inwiefern wird über eine Anpas-
sung der Stundensätze oder der pauschalierten Stunden-
zahlen nachgedacht?
D
Ihre Ausgangsfrage bezog sich ja darauf, ob die Be-
suchshäufigkeit gesetzlich festgeschrieben wird. Daraus
könnte man Folgerungen auch für die Vergütung ziehen.
Da diese Frage aber zu verneinen war, ergibt sich daraus
keine zwangsläufige Notwendigkeit für Änderungen.
Unabhängig davon hat Ihre Fraktion dazu meines
Wissens eine Kleine Anfrage mit verschiedenen Frage-
stellungen aus dem Bereich der Vergütung gestellt. Ich
darf auf die Beantwortung, die bevorsteht, verweisen.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Burkhard Lischka
auf:
Worin bestand die „umfassende Untersuchung“ zur Rolle
des Justizministeriums während der NS-Zeit, und was sind die
wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung, auf die ein
Sprecher des Bundesministeriums der Justiz in einem Beitrag
zu Forderungen nach der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
„kein weiterer Handlungsbedarf“ bestehe?
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Zusatzfragen?
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Stadler, für diese
ntwort. Mich würde interessieren, ob im Zusammen-
ang dieser Aufarbeitung und der Studien vor allen Din-
en aus den 80er-Jahren, die Sie angesprochen haben,
rmittelt wurde, wie viele Mitarbeiter mit nationalsozia-
istischer Vergangenheit eigentlich im BMJ weiterbe-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8441
Burkhard Lischka
)
)
schäftigt wurden. Gibt es auch dazu Erkenntnisse? Gibt
es möglicherweise sogar Namenslisten?
D
Herr Kollege Lischka, das ist mir bei der Vorberei-
tung nicht präsent gewesen. Ich lasse gerne nachprüfen,
ob es auch hierüber Informationen gibt. Jedenfalls gab es
vielfältige schriftliche historische Auseinandersetzungen
mit der NS-Zeit, übrigens beginnend – das will ich hier
nicht unterschlagen – durch den allseits hochgeschätzten
seinerzeitigen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel,
den früheren Vorsitzenden der Sozialdemokratischen
Partei. Ob der von Ihnen genannte Inhalt gegebenenfalls
mit bearbeitet worden ist, müsste ich noch prüfen lassen.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, Sie haben angesprochen, dass ein
Großteil der Aufarbeitung in den 80er-Jahren erfolgt ist.
Nun ist in der historischen Forschung ein Zeitraum von
30 Jahren durchaus ein erheblicher Zeitraum, weil auch
neue Quellen und neue Archive zugänglich gemacht
werden. Vor diesem Hintergrund: Halten Sie eine wei-
tere Bearbeitung dieses Themas für erforderlich, gerade
auch deshalb, weil es neue Quellen und Archive gibt, die
auch zu neuen Erkenntnissen führen könnten?
D
Herr Kollege Lischka, meinen umfangreichen Aus-
führungen, die ich aus Zeitgründen sogar gekürzt habe,
konnten Sie entnehmen, dass sich das Bundesministe-
rium der Justiz seiner Nazivergangenheit, besser gesagt,
der Tätigkeit des Reichsjustizministeriums in der NS-
Zeit, bereits sehr umfassend gestellt hat. Selbstverständ-
lich sind wir jederzeit bereit, Hinweisen auf weiße Fle-
cken in der Forschung, wenn es diese gibt, nachzugehen.
Im Moment besteht der Eindruck – diese Debatte ist
mittlerweile seit einigen Wochen im Gange –, dass ge-
rade dieses Ministerium betreffend schon eine sehr sorg-
fältige Aufarbeitung erfolgt ist.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Christine Lambrecht
auf:
Sieht sich die Bundesregierung unter anderem angesichts
der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Oktober 2010
zur Dauer des Unterhaltsanspruchs von
Frauen, die in der Ehe über Jahre Haushaltsführung und Kin-
dererziehung übernommen haben, zu einer gesetzlichen Klar-
stellung oder gar Gesetzesänderung im Bereich des Unter-
haltsrechts veranlasst?
D
Ich darf für die Bundesregierung feststellen, dass wir
selbstverständlich die Sorgen und Ängste von lange ver-
heirateten Ehegatten, die eine „traditionelle Ehe“ gelebt
haben, sehr ernst nehmen. Wir beobachten daher genau,
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Es ist genau so, wie Sie es darstellen. Wir streben an,
die Auswertung noch im ersten Halbjahr des nächsten
Jahres vorzulegen. Man kann aber heute nicht vorhersa-
gen, dass wir Ihnen dann Gesetzesänderungen werden
vorschlagen müssen. Möglicherweise reicht der geltende
Gesetzesrahmen – im Sinne der genannten Grundsätze,
die das Unterhaltsrecht prägen – zu den passenden Ein-
zelfallentscheidungen. Auf alle Fälle ist es das Ziel, Sie
nicht mehr allzu lange auf die Auswertung warten zu las-
sen, sondern sie im ersten Halbjahr 2011 vorzulegen.
Weitere Zusatzfragen sehe ich dazu nicht.
Die Frage 6 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 7 des Kollegen
Volker Beck.
Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Dr. Eva Högl
auf:
Wann legt die Bundesregierung ihren Vorschlag für eine
neue Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdaten-
speicherung vor, und welche Kriterien zum Grund und zur
Dauer der Speicherung wird diese voraussichtlich erhalten?
D
Frau Dr. Högl, wie Sie wissen, ist die Richtlinie 2006/
24/EG gegenwärtig Gegenstand einer Bewertung durch
die Organe der Europäischen Union. Art. 14 dieser
Richtlinie gibt vor, dass die Kommission dem Europäi-
schen Parlament und dem Rat eine Bewertung der An-
wendung dieser Richtlinie sowie ihrer Auswirkungen
auf die Wirtschaftsbeteiligten und die Verbraucher vor-
legt, um festzustellen, ob die Bestimmungen der Richtli-
nie gegebenenfalls geändert werden müssen. Mit dem
Abschluss dieser Evaluation ist nach jüngsten Informa-
tionen aus der Kommission im nächsten Quartal zu rech-
nen. Im aktuellen Arbeitsprogramm kündigt die Kom-
mission eine Bewertung und Überarbeitung der
Richtlinie an.
Auch wenn diese Evaluierung, über die ich jetzt be-
richtet habe, die europarechtliche Verpflichtung zur in-
nerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie nicht suspen-
diert, so erscheinen doch angesichts der vor dem
Abschluss stehenden Evaluation und Bewertung der
Richtlinie durch die Europäische Kommission sowohl
Planungen zu einem Zeitrahmen für eine etwaige Neure-
gelung als auch diesbezügliche inhaltliche Festlegungen
verfrüht. Angaben zum Verfahren und zum Zeitplan für
eine erneute Umsetzung setzen zudem voraus, dass das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010
und die daraus zu ziehenden konkreten Konsequenzen
für das nationale Recht umfassend geprüft sind, um ab-
schätzen zu können, welche Maßnahmen konkret zur Er-
füllung der gegebenenfalls zu überarbeitenden Richtlinie
eingeleitet werden müssen.
Diese Prüfung der Entscheidung des Verfassungsge-
richts nimmt die Bundesregierung unter besonderer Be-
rücksichtigung der Erfordernisse der Gefahrenabwehr
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nationalen Aktivitäten die Entwicklung in Europa im
Auge zu behalten.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank auch für diese
Antwort. Ich habe trotzdem noch eine Nachfrage.
Da wir als großes Land nicht irgendein Mitgliedstaat
in der Europäischen Union sind und es für die weitere
Debatte über die europäische Richtlinie vielleicht auch
nicht ganz unwichtig ist, was in Deutschland diskutiert
wird, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Was wird die
Bundesregierung in diese Evaluierung einbringen? Wel-
che wesentlichen Gesichtspunkte können Sie uns heute
nennen, von denen Sie sagen: Es ist wichtig, dass
Deutschland sie a) in die Evaluierung der bisherigen Pra-
xis und b) in die Debatte über die Zukunft der Vorratsda-
tenspeicherung auf europäischer Ebene einbringt?
D
Die Bundesregierung hat dort über die markante Ent-
scheidung, wenn ich das so formulieren darf, des Bun-
desverfassungsgerichts vom 2. März 2010 vorgetragen
und wird dies auch weiter tun. Ich kann mich an kaum
einen Fall erinnern, dass das Verfassungsgericht gesagt
hat, eine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, sei
von einer bisher nie gekannten Streubreite und erzeuge
das diffuse Gefühl, ständig beobachtet zu werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns auch aufgege-
ben, dass wir nicht beliebig Datensammlungen großer
Quantität anlegen können. Wir verweisen in der Debatte
in Europa also auf diese klare Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts, durch die gleichwohl, damit das
nicht falsch ankommt, eine Neuregelung nicht gänzlich
ausgeschlossen wird. Die Karlsruher Richter stehen dem
aber offenkundig sehr kritisch gegenüber.
Darüber hinaus tragen wir dort natürlich auch über
die praktischen Erfahrungen vorher, während der Gel-
tung und seither vor.
Die Frage 9 des Kollegen Winfried Hermann wird
schriftlich beantwortet.
Mit Dank an den Kollegen Stadler kommen wir nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Fi-
nanzen. Für die Beantwortung der Fragen steht der Kol-
lege Staatssekretär Koschyk zur Verfügung.
Die Frage 10 des Kollegen Dr. Schick und die
Frage 11 des Kollegen Paula werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Ströbele auf:
Warum hat die Bundesregierung bisher nicht die Gewäh-
rung von Garantien und Krediten in Milliardenhöhe aus Steuer-
mitteln an Staaten wie jetzt an Irland und vorher an Griechen-
land oder an Finanzinstitute in Deutschland von Auflagen und
Bedingungen abhängig gemacht, dass die privaten Geldhäu-
ser, die von solchen Hilfen letztlich profitieren, durch Zahlun-
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des permanenten Krisenbewältigungsmechanismus vor-
gesehen.
Danke, Herr Staatssekretär. Das war schon ein biss-
chen was.
Aber ich habe eigentlich auch die deutschen Banken ge-
meint. Können Sie bestätigen, dass die Bundesregierung
auf dem Arbeitgebertag letzte Woche davon gesprochen
hat, dass es kein „Schlaraffenland für Banker“ geben
dürfe und dass mit „Schlaraffenland für Banker“ die
Bundesrepublik Deutschland gemeint war? Welche In-
anspruchnahme deutscher Banken, die gerade von der
beabsichtigten Rettung Irlands aus Steuergeldern profi-
tieren würden, ist vorgesehen? Welchen Anteil an den
riesigen Verlusten, die verschmerzt werden müssen, neh-
men die Deutsche Bank, aber auch andere deutsche
Großbanken auf sich, vor allen Dingen angesichts des-
sen, dass trotz der Finanzkrise oder nach dem Abflauen
der Finanzkrise die deutschen Großbanken wie die Deut-
sche Bank wieder erhebliche Profite einstreichen kön-
nen, die zu erheblichen Erhöhungen etwa der Boni bei
den Banken geführt haben? Wann sind die deutschen
Banken dran?
H
Herr Kollege Ströbele, ich habe davon gesprochen,
dass es der Bundesregierung gelungen ist, auf europäi-
scher Ebene Zustimmung dafür zu finden, dass wir einen
auf Dauer angelegten Krisenbewältigungsmechanismus
entwickeln werden. Das war ein schwieriges Unterfan-
gen, weil es auch bei anderen Mitgliedstaaten starke Be-
denken gegeben hat, diesen dauerhaften Krisenbewälti-
gungsmechanismus so auszugestalten, dass in Zukunft
auch der Privatsektor eingezogen wird. Wenn diese
Maßnahmen, die jetzt noch vom Europäischen Rat ab-
schließend gebilligt und in entsprechendes Vertragsrecht
gekleidet werden müssen, greifen, dann werden alle
Banken und Finanzinstitute bei der Bewältigung künfti-
ger Krisen in einem abgestuften Verfahren mit herange-
zogen und entsprechend in die Verantwortung genom-
men werden.
Ist es richtig, dass erst ab dem Jahr 2013, also in
knapp drei Jahren, tatsächlich die Chance besteht, dass
beispielsweise die deutschen Großbanken in Anspruch
genommen werden könnten?
H
Die Rechtslage ist so, dass die gegenwärtig auf euro-
päischer Ebene eingerichteten Instrumente – sowohl
EFSM als auch EFSF, der Rettungsschirm, die Zweckge-
sellschaft – die Einbeziehung des privaten Sektors nicht
vorsehen. Es war, als im Hinblick auf Griechenland drin-
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Sie dürfen, sicher, ich habe sie nur nicht registriert.
Das kann einmal passieren.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben das, was der Kollege
tröbele gefragt hat, jetzt mit Blick in die Zukunft beant-
ortet. In seiner Frage war aber auch enthalten, ob wir
ie Chance haben, und wenn ja, wann, einmal etwas von
em, was wir in die Rettung der deutschen Banken, zum
eispiel HRE oder Commerzbank, gesteckt haben, zu-
ückzubekommen. Wie sieht denn da die Zukunft aus?
H
Sie wissen, Herr Kollege, dass zum Beispiel das
ngagement des Bundes bei der Commerzbank vorsieht,
ass, wenn die Commerzbank in einer stabileren Situa-
ion ist, die Beteiligung des Bundes an der Commerz-
ank entsprechend verzinst werden muss.
Bei der HRE ist es so, dass der Bund inzwischen Voll-
igner dieses Instituts ist. Da ist es uns in einer der
chwierigsten Transaktionen der deutschen Finanzge-
chichte gelungen, die sogenannten schlechten Assets,
ie problematischen Dispositionen in der Bank, in eine
ogenannte Bad Bank auszulagern. Dabei bleibt es das
emühen der Bundesregierung, durch ihren Einfluss die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8445
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
)
)
HRE nach Abspaltung der schlechten Assets durch die
Bad Bank wieder in die Gewinnzone zu bringen und sie
dann so früh wie möglich zu veräußern, damit das, was
zur Stabilisierung dieser Bank notwendig war, für den
Steuerzahler zurückgewonnen werden kann.
Die Frage 13 des Kollegen Ernst, die Frage 14 der
Kollegin Schmidt sowie die Fragen 15 und 16
der Kollegin Krellmann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Josef Fell
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die derzeitige Rege-
lung beizubehalten, wonach Biokraftstoffe der sogenannten
ersten Generation ab 1. Januar 2013 in gleicher Höhe besteu-
ert werden wie die Erdölderivate Benzin und Diesel, und, falls
nein, welche konkreten Pläne hat die Bundesregierung, eine
sogenannte Unterkompensation bei der steuerlichen Förde-
rung von Biodiesel und Pflanzenöl zukünftig zu vermeiden?
H
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Verehrter Herr
Kollege Fell, Biokraftstoffe werden in der Bundesrepu-
blik Deutschland in erster Linie über die Biokraftstoff-
quote gefördert. Daneben sind für einen Übergangszeit-
raum auch steuerliche Begünstigungen vorgesehen.
Diese steuerlichen Begünstigungen für konventionelle
Biokraftstoffe, Biodiesel und Pflanzenölkraftstoff laufen
entsprechend der hierzu von der Europäischen Kommis-
sion erteilten beihilferechtlichen Genehmigung Ende des
Jahres 2012 weitestgehend aus. Planungen der Bundes-
regierung, diese steuerlichen Förderungen zu verlängern,
gibt es nicht. Dies entspricht auch den Vorgaben des
Energiekonzepts der Bundesregierung, das eine Fortfüh-
rung der steuerlichen Förderung von konventionellen Bio-
reinkraftstoffen nicht vorsieht.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Koschyk. – Ich
denke, dass dies nicht dem Koalitionsvertrag der
schwarz-gelben Regierung entspricht. Dort steht näm-
lich, es wird eine Wiederbelebung des Marktes für reine
Biokraftstoffe angestrebt. Genau dieser wurde aber
durch die Besteuerung der reinen Biokraftstoffe zurück-
gedrängt, mit der Folge vieler Unternehmenskonkurse
und der Freisetzung vieler Arbeitnehmer. Die Besteue-
rung hat insgesamt zu einem Rückgang der Nutzung der
Biokraftstoffe in Deutschland geführt. Mit der Beimi-
schungsverpflichtung konnte dies nicht aufgefangen
werden. Da das Ziel im Koalitionsvertrag klar artikuliert
ist, möchte ich Sie eindringlich fragen, ob Sie sich damit
von diesem Ziel des Koalitionsvertrages verabschiedet
haben. Denn mit einer vollen Besteuerung würde – auch
entgegen der Vorgabe der EU-Kommission, Unterkom-
pensationen zu vermeiden – dieses Ziel nicht erreicht
werden. Die volle Besteuerung reiner Biokraftstoffe
wird bei einem höheren Kaufpreis des Pflanzenrohöls
für Biodiesel oder reine Pflanzenöle zu einem deutlich
höheren Marktpreis im Vergleich zu besteuertem Diesel
und Benzin an den Tankstellen führen. Dieser Markt ist
dann in Deutschland für immer beendet.
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Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
undesministeriums der Finanzen. Vielen Dank an den
ollegen Koschyk.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
inisteriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Be-
ntwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
rnst Burgbacher zur Verfügung.
8446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
)
)
Da die Kollegin Wicklein nicht da ist, wird die Frage
18 nicht beantwortet. Es wird verfahren, wie in der Ge-
schäftsordnung vorgesehen. Der Kollege Hacker, der die
Frage 19 gestellt hat, hat um schriftliche Beantwortung
gebeten. Das gilt auch für die Fragen 20 und 21 der Kol-
legin Hiller-Ohm. Die Fragen 22 und 23 des Kollegen
Manfred Nink werden schriftlich beantwortet, genauso
wie die Fragen 24 und 25 des Kollegen Garrelt Duin und
die Frage 26 der Kollegin Doris Barnett.
Ich komme zu Frage 27 des Kollegen Klaus Barthel:
Wie bewertet die Bundesregierung den seit Anfang des
Jahres verstärkten Trend einer weltweiten Verknappung der
Verfügbarkeit von Rohstoffen, insbesondere bei seltenen Er-
den, und ist die Bundesregierung bereit, sich bezüglich der
chinesischen Ausfuhrbeschränkungen für seltene Erden für
eine Überprüfung vor dem Welthandel-Streitbeilegungsme-
chanismus einzusetzen?
Herr Staatssekretär Burgbacher, bitte.
E
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr
Kollege Barthel, ich beantworte Ihre Frage nach der Ver-
fügbarkeit von Rohstoffen, insbesondere die der seltenen
Erden, wie folgt: Die Situation auf den internationalen
Rohstoffmärkten ist generell von einer rasant steigenden
Nachfrage und – siehe seltene Erden – einer zumindest
teilweisen Verknappung des Angebots geprägt, einherge-
hend mit steigenden bzw. stark schwankenden Preisen
und oftmals intransparenten Angebotsstrukturen.
Mit Blick auf die langfristige und zuverlässige Siche-
rung von Rohstoffbezugsquellen ist es angesichts der ho-
hen Importabhängigkeit Deutschlands von wichtigen In-
dustrierohstoffen mehr denn je erforderlich, dass alle
politischen Ebenen kohärent handeln.
Die am 20. Oktober 2010 vom Bundeskabinett be-
schlossene Rohstoffstrategie der Bundesregierung trägt
der veränderten Situation auf den Rohstoffmärkten
Rechnung. Zusammen mit europäischen und internatio-
nalen Partnern setzt sich die Bundesregierung für eine
Verbesserung der Transparenz und Funktionsfähigkeit
von Rohstoffmärkten ein. Das gilt auch ausdrücklich
hinsichtlich der Finanztransaktionen und der Kontrolle
der physischen Lagerbestände.
Eine Überprüfung der Exportbeschränkungen für sel-
tene Erden durch China im Rahmen eines WTO-Streit-
beilegungsverfahrens – danach fragen Sie – ist für die
Bundesregierung eine Option, zu der aber bisher noch
keine Entscheidung gefallen ist. Zuvor müssen die erfor-
derlichen Untersuchungen zur Sach- und Rechtslage
durchgeführt werden, mit denen die für die Handelspoli-
tik zuständige EU-Kommission bereits begonnen hat.
Darüber hinaus sollte nach Auffassung der Bundesregie-
rung ein solches Streitschlichtungsverfahren erst bean-
tragt werden, wenn sich eine Entscheidung im laufenden
Verfahren der EU gegen China zu neuen anderen Roh-
stoffen abzeichnet.
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Diese Frage habe ich schon eben indirekt angespro-
chen. Wir wissen, dass in letzter Zeit Rohstoffe für
Hochtechnologien im Fokus stehen. Das sind insbeson-
dere die seltenen Erden. Die Volksrepublik China ist
hierbei mit einem Marktanteil von über 95 Prozent der
weltgrößte Produzent und Exporteur. Allerdings ist seit
einigen Jahren die Höhe der Exporte der seltenen Erden
aus China aufgrund des gestiegenen und weiter anstei-
genden Energieverbrauchs Chinas und der Exportbe-
schränkungen rückläufig. Für das Jahr 2011 rechnen wir
mit einer weiteren Reduzierung der Exportquote.
Deshalb ist die internationale Bergbauindustrie be-
müht, neue Gewinnungskapazitäten außerhalb Chinas
verfügbar zu machen. Ich habe die Zahl bereits genannt:
Momentan liegt der Marktanteil Chinas bei 95 Prozent.
Wir gehen aber davon aus, dass weniger als 65 Prozent
der Vorkommen in China zu finden sind. Mit der Inbe-
triebnahme neuer Produktionskapazitäten ist voraus-
sichtlich erst ab dem Jahr 2012 zu rechnen. Das betrifft
insbesondere Australien und die USA, möglicherweise
– allerdings in geringerem Umfang – auch Vietnam und
Indien. Versorgungsengpässe bei seltenen Erden können
daher unter Berücksichtigung dieser Explorations- und
Bergbauaktivitäten in den kommenden Jahren nicht aus-
geschlossen werden.
Rohstoffpartnerschaften sind eine Möglichkeit, die
Rohstoffbezugsquellen zu sichern, und zwar unter der
Voraussetzung – ich habe das schon genannt –, dass die
Industrie konkrete rohstoffwirtschaftlich und rohstoff-
politisch bedeutsame Projekte vorschlägt. Dann ist die
Bundesregierung bereit, diese Projekte politisch zu flan-
kieren und mit den Förderländern gezielte bilaterale
Rohstoffabkommen abzuschließen.
Ihre Nachfrage.
He
Wenn Sie mit dem Anspruch antreten,
eine Rohstoffstrategie zu präsentieren, dann sollte diese
Strategie nicht nur Deskription und Beobachtung dessen,
was gerade passiert, beinhalten. Ihre Antworten befassen
sich mit der Beschreibung dessen, was passiert, was wir
schon längst wissen und was bereits niedergeschrieben
steht. Eine Strategie sollte auch aktives Handeln beinhal-
ten.
Ich möchte von Ihnen genauer wissen: Wie weit sind
Sie beispielsweise mit Ihrer Rohstoffagentur vorange-
kommen? Wie weit sind Sie bei der Frage, die deutschen
Interessen, wie es in der Strategie beschrieben ist, klar zu
benennen und Aktivitäten im Bereich Rohstoffhandel
politisch zu flankieren? Über die Beschreibung dieser
Probleme sind wir uns einig. Mich interessiert, wie weit
Sie in Ihrem aktiven Handeln gekommen sind. Wenn Sie
mir bitte sagen könnten, was das Wirtschaftsministerium
bzw. die Bundesregierung in diesem Bereich konkret
macht.
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wiederzubeleben. Das dauert aber sehr lange. Man
spricht von Zeiträumen von bis zu zehn Jahren. Außer-
dem ist es richtig, dass wir alle uns jetzt gewaltig an-
strengen müssen, um das Ganze zu beschleunigen.
Die deutsche Wirtschaft hatte sich aus der eigenen
Rohstoffsicherung weitgehend zurückgezogen und da-
rauf vertraut, dass Rohstoffe am Weltmarkt zu kaufen
sind. Wenn wir unsere wirtschaftliche Entwicklung si-
chern wollen, dann muss das Thema Rohstoffsicherung
ganz oben auf der Agenda stehen. Das tut es bei uns.
Deshalb haben wir diese Strategie vorgestellt.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Keul auf:
In welchem Umfang hat die gegenwärtige Bundesregie-
rung seit ihrem Amtsantritt die Ausfuhr von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern genehmigt, und in welchem
Umfang wurden im gleichen Zeitraum Kriegswaffen expor-
tiert?
E
Sehr geehrte Frau Kollegin Keul, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: In der für die Beantwortung der Frage
zur Verfügung stehenden Zeit ist eine detaillierte Ant-
wort sicher nicht möglich, da die erforderlichen Daten
zunächst im Einzelnen ermittelt werden müssen. Für die
Zuhörer darf man sagen: Das ist in der knappen Woche,
die wir zur Vorbereitung zur Verfügung haben, natürlich
nicht möglich. Das monatliche Genehmigungsvolumen
für die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern sowie die monatliche Ausfuhr von Kriegs-
waffen wird in dem Rüstungsexportbericht statistisch
überhaupt nicht erfasst.
In den politischen Grundsätzen der Bundesregierung
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern, die seit dem Jahr 2000 unverändert gelten,
ist festgelegt, dass die Bundesregierung dem Deutschen
Bundestag jährlich einen Rüstungsexportbericht vor-
legt. Der Bericht für 2009 wird dem Parlament in Kürze
vorgelegt werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antwort, die
ich, ehrlich gesagt, auch befürchtet hatte. – Wie Sie zu
Recht gerade gesagt haben, warten wir immer noch auf
den Rüstungsexportbericht 2009, und es ist jetzt das
Ende des Jahres 2010. Meine Frage daher: Hält die Bun-
desregierung es im Rahmen der parlamentarischen Kon-
trolle für angemessen, dass wir über die Beantwortung
der hier konkret gestellten Fragen voraussichtlich in
zwei Jahren werden diskutieren können? Oder sieht die
Bundesregierung eine Möglichkeit, diese Zahlen zeitnah
vorzulegen?
E
Frau Kollegin Keul, die Bundesregierung strebt an,
den Rüstungsexportbericht noch vor Weihnachten dem
Deutschen Bundestag zu übersenden.
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Weitere Zusatzfrage?
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 30, ebenfalls von Frau Keul, auf:
Wie verteilt sich angesichts der schwerwiegenden Be-
hauptung des Bundesministers des Auswärtigen in der Plenar-
debatte zum Einzelplan 05 – „Jede Waffe, die derzeit ins Aus-
land exportiert wird, wurde nicht von dieser Regierung
projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren von Rot-
Grün“ – der Anteil der Waffen, die
seit Amtsantritt der Bundesregierung ins Ausland exportiert
wurden, auf Genehmigungen, die von der rot-grünen,
schwarz-roten und schwarz-gelben Regierung „projektiert“
wurden?
E
Auch da muss ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung
esitzt keine genaue Kenntnis darüber, wann Unterneh-
en bestimmte Ausfuhren von Rüstungsgütern projek-
iert haben. Erfahrungsgemäß erfolgt die Planung von
nternehmen lange Zeit vor der Stellung von Anträgen
uf Ausfuhrgenehmigungen, auch lange Zeit vor Voran-
ragen, deren Genehmigungen insbesondere vor der tat-
ächlichen Ausfuhr dieser Güter erfolgen. Deshalb ist
avon auszugehen, dass bei den Gütern, die in diesem
ahr exportiert wurden, entsprechende Anträge lange
orher gestellt wurden.
Vielen Dank. – Wenn Sie sagen, dass diese Zahlen der
undesregierung gar nicht im Einzelnen vorliegen, dann
tellt sich aber die Frage, wie es sein kann, dass Minister
esterwelle zu der Aussage „Jede Waffe, die derzeit ins
usland exportiert wird, wurde nicht von dieser Regie-
ung projektiert, sondern im Schnitt in den sieben Jahren
on Rot-Grün“ kommt? Wie konnte er zu dieser Aus-
age kommen, wenn diese Zahlen gar nicht vorliegen?
E
Das ist ganz einfach zu beantworten. Diese Bundesre-
ierung ist etwas mehr als ein Jahr im Amt. Wie ich Ih-
en gesagt habe, zeigen alle Erfahrungen, dass diese
rozesse viel langfristiger sind und nicht von dieser
undesregierung projektiert wurden; insofern stimmt
iese Aussage.
Gut, vielen Dank. – Ich habe eine weitere Rückfrage.
erstehe ich Sie richtig, dass Ihre Antwort dahin gehend
u verstehen ist, dass allein durch den Zeitablauf Geneh-
igungen aus rot-grüner Zeit möglich waren und nicht,
eil Rot-Grün überdurchschnittlich viele Waffenexporte
enehmigt hätte?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8449
Katja Keul
)
)
Aber meine spezielle Frage aus aktuellem Anlass
wäre ein Bezug auf das Jahr 2008. Ich wüsste gern auf-
grund der aktuellen Veröffentlichungen im Spiegel, in-
wieweit die Bundesregierung Kenntnis davon hat, dass
eine private amerikanische Firma 2008 unter wissentli-
chem und willentlichem Verstoß gegen das deutsche Ex-
portrecht ohne Genehmigung Hubschrauber über Eng-
land und die Türkei nach Afghanistan verbracht hat.
E
Zu Ihrer ersten Frage noch einmal die deutliche Fest-
stellung: Das war keine Wertung, sondern das ergibt sich
eindeutig aus dem Ablauf.
Zur zweiten Frage: Ich bitte um Verständnis, dass ich
das nicht aus der hohlen Hand beantworten kann. Das
können wir aber gern nachliefern.
Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende dieses Ge-
schäftsbereichs.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Fuchtel zur
Verfügung.
Die Frage 31 der Kollegin Doris Barnett, die Frage 32
der Kollegin Katja Dörner und die Frage 33 der Kollegin
Birgitt Bender werden schriftlich beantwortet.
Ich komme zur Frage 34 der Kollegin Müller-Gem-
meke:
Wie wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass
künftig auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die
bislang nicht das Kriterium der sogenannten Werkstattfähig-
keit nach § 136 Abs. 2 SGB IX erfüllen, gemäß Art. 27 der
UN-Behindertenrechtskonvention das Recht mit anderen auf
Arbeit erhalten, und wie bewertet die Bundesregierung das
Vorgehen der beiden Landschaftsverbände in Nordrhein-
Westfalen, die den Begriff der Werkstattfähigkeit sehr weit
auslegen und somit auch Menschen mit sehr hohem Unterstüt-
zungsbedarf einen Werkstattarbeitsplatz zur Verfügung stel-
len?
Bitte schön.
H
Die erste Bemerkung dazu: Die Werkstätten als Ein-
richtungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Ein-
gliederung in das Arbeitsleben bieten Menschen, denen
dies wegen Art und Schwere ihrer Behinderung nicht
oder noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allge-
meinen Arbeitsmarkt möglich ist, eine angemessene be-
rufliche Bildung, um in eine Beschäftigung zu kommen.
Das ist die Funktion der Werkstätten.
Die zweite Bemerkung: Art. 27 der UN-Konvention
über die Rechte von Menschen mit Behinderung stellt
kein absolutes Recht der Personengruppe behinderter
Menschen auf Arbeit fest. Aus der UN-Konvention lässt
sich deshalb kein Anspruch darauf herleiten, dass auch
schwerstbehinderten Menschen unabhängig von ihrer
Leistungsfähigkeit Teilhabe am Arbeitsleben etwa in ei-
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Ich möchte nachfragen: Sieht die Bundesregierung
ie Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Änderung
es § 136 Abs. 2 SGB IX, sodass es künftig nicht mehr
ie Sozialhilfeträger sind, die darüber entscheiden, ob
ie Menschen werkstattfähig sind oder nicht?
H
Ich darf hier nochmals betonen: Die Bundesregierung
ält die in § 136 SGB IX gestellten Anforderungen zur
eilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behin-
erte Menschen für sinnvoll. Die Bedürfnisse schwerst-
ehinderter Menschen können die Werkstätten als Ein-
ichtungen der beruflichen Teilhabe und Rehabilitation
it ihrem primär hierauf ausgerichteten Angebot und
achpersonal nicht mit erfüllen.
Zu den Aufgaben der Werkstätten gehört auch, wirt-
chaftliche Arbeitsergebnisse zu erstreben, um den be-
inderten Menschen ein Arbeitsentgelt zahlen zu kön-
en. Bei Aufnahme der genannten Personengruppe
önnten Werkstätten nicht mehr in der Lage sein, Ar-
eitsentgelte in der gesetzlich festgelegten Höhe zu zah-
en. Daher kann ich Ihrem Anliegen nicht entsprechen.
Vielen Dank. – Ich habe noch eine Nachfrage: Inwie-
ern war diese Problematik Gegenstand der Bund-Län-
er-Arbeitsgruppe zur Fortentwicklung der Eingliede-
ungshilfen?
H
Was Sie ansprechen, ist natürlich immer ein Thema.
ch möchte deshalb noch auf Folgendes hinweisen: Die
ier genannte Personengruppe ist nicht unversorgt. Die
enschen werden in Einrichtungen, sogenannten Tages-
örderstätten, gefördert, die auch unter dem Dach der
erkstätten angesiedelt sein können. Wir beide wissen
wir interessieren uns ja für solche Themen –, dass man
n solchen Fällen von „Einrichtungen unter dem verlän-
8450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
)
)
gerten Dach der Werkstatt“ spricht. Die Leistungen, die
dort erbracht werden, sind dem Bereich der Leistungen
der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft zuzuordnen. Dabei geht es um § 55 So-
zialgesetzbuch XII, nicht um den Bereich der Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Differenzierung
hatte in der Vergangenheit Bestand, und sie ist aus unse-
rer Sicht auch für die Zukunft erforderlich.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Kurth.
Herr Fuchtel, ich komme aus Nordrhein-Westfalen
und habe schon Arbeitsbereiche für Menschen mit einem
sehr hohen Unterstützungsbedarf gesehen. Ich bin der
Auffassung, dass es einen Unterschied macht, ob man
unter dem „verlängerten Dach einer Werkstatt“ beschäf-
tigt ist oder ob man direkt in den Arbeitsprozess einge-
bunden ist. Meine Frage lautet: Ist die Bundesregierung
nicht der Ansicht, dass der Begriff der wirtschaftlichen
Leistung so unbestimmt ist, dass bei einer zeitgemäßen
Gesetzesauslegung oder Gesetzesschöpfung nach der
neuen UN-Konvention auf ihn verzichtet werden kann
und der Begriff der Teilhabe in diesem Fall, für diese be-
sondere Personengruppe, in den Vordergrund zu stellen
ist?
H
Ich möchte nochmals betonen, dass diese Unterschei-
dung, auch wenn sie schwierig ist, erforderlich ist und
dass es bei der Beurteilung natürlich auf den Einzelfall
ankommt. Ich bin in jüngerer Zeit in Einrichtungen ge-
wesen, in denen selbst Autisten einer Beschäftigung zu-
geführt werden. Wenn sie einer Beschäftigung zugeführt
werden können, dann muss man im Einzelnen prüfen, ob
es um eine Teilhabe am Arbeitsleben geht. Das wird im-
mer im Einzelfall beurteilt werden müssen. Die gene-
relle Aufgabe der Kriterien planen wir nicht.
Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Müller-Gemmeke
auf:
Wird die Bundesregierung zur Umsetzung von Art. 27
Buchstabe c der UN-Behindertenrechtskonvention § 139 SGB IX
sowie die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung, WMVO, da-
raufhin evaluieren, wie echte Mitbestimmungsrechte der Werk-
statträte verwirklicht werden können, und wie bewertet die
Bundesregierung den Status des „arbeitnehmerähnlichen Rechts-
verhältnisses“ nach § 139 SGB IX vor dem Hintergrund der
Konvention?
H
Hierzu muss ich wieder etwas ausholen. Die in den
Werkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderungen
stehen in der Regel nicht in einem abhängigen Arbeits-
verhältnis mit den dafür geltenden Rechten und Pflich-
ten, sondern in einem arbeitnehmerähnlichen Arbeits-
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Vielen Dank, Herr Fuchtel. – Auch wenn ich hin und
ieder nicke, wenn ich einen Begriff kenne, heißt das
icht, dass ich da ganz Ihrer Meinung bin.
Ich möchte nachfragen: Werkstattbeschäftigte fühlen
ich in der Regel als ganz normale Mitarbeiterinnen und
itarbeiter, die morgens pünktlich erscheinen, ihre Ar-
eit verrichten und bis zum Ende ihrer Arbeitszeit blei-
en. Was spricht dann dagegen, dass Werkstatträte den
etriebsräten gleichgestellt werden?
H
Zunächst einmal kann ich Ihre Beurteilung voll bestä-
igen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
erkstätten in ganz besonderer Weise pflichtbewusst
ind. Das kann ich auch bei meinen vielen Begegnungen
it diesen Menschen feststellen.
Ich habe eben versucht, Ihnen darzustellen, dass es
ich hier um eine arbeitnehmerähnliche Situation han-
elt, aus der sich für uns diese Differenzierung ergibt.
as heißt aber nicht, dass diese Arbeit nicht auch Unter-
tützung finden würde. Ich möchte darauf hinweisen,
ass die Bundesregierung die Werkstattbeschäftigten
eim Aufbau einer überregionalen Struktur auf Bundes-
nd Landesebene unterstützt. Im Oktober dieses Jahres
at das Deutsche Rote Kreuz unter Beteiligung der Cari-
as begonnen, in einem Netzwerk die Vorstandsarbeit der
undesvereinigungen der Vertretungen zu koordinieren.
afür werden derzeit aus Mitteln des Ausgleichsfonds
eim Bundesministerium für Arbeit und Soziales immer-
in 200 000 Euro zur Verfügung gestellt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8451
)
)
Vielen Dank. – Ich habe eine weitere Nachfrage: In
welchem Rechtsverhältnis werden künftig Menschen mit
Behinderungen stehen, die Werkstattleistungen in Form
des Persönlichen Budgets in Anspruch nehmen, um ei-
nen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
bekommen?
H
Wir haben auch dafür derzeit noch keine Änderungen
vorgesehen. Diese Fragen, bei denen es um einen Grenz-
bereich, um die Integration in den allgemeinen Arbeits-
markt, geht, sind natürlich immer in der Diskussion. Al-
lerdings gilt dieser Status, solange diese Menschen den
Status eines Mitarbeiters der Werkstatt haben, auch be-
züglich Mitbestimmungsfragen.
Kollege Kurth hat noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, genau in diesem Grenzbereich se-
hen wir Probleme. Es handelt sich um Mitarbeiter, die in
einem regulären Betrieb arbeiten, ein sogenanntes Per-
sönliches Budget, in der Regel als Lohnkostenzuschuss,
erhalten und sich gar nicht mehr im Kontext der ge-
schützten Werkstatt befinden. Sie sind also in der Regel
– das ist schon beim Außenarbeitsplatz der Fall – doch
dazu gezwungen, etwa ein bestimmtes Arbeitsergebnis
in einer bestimmten Zeit zu erwirtschaften. Sieht die
Bundesregierung denn nicht zumindest an dieser Stelle,
beim Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt – we-
nigstens im Falle des Persönlichen Budgets und mögli-
cherweise auch bei den sogenannten Außenarbeitsplät-
zen –, Handlungsbedarf, die Regelung des Status zu
überdenken und den arbeitnehmerähnlichen Status auf-
zugeben?
H
Sie wissen, dass wir gerade an einem Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention arbei-
ten. In diesem Zusammenhang werden natürlich alle
Fragestellungen, auch Fragen zu den Schnittstellen,
sorgfältig geprüft. Dem möchte ich in keiner Weise vor-
greifen und hier nicht die Linie vertreten, dass Verände-
rungen zu erwarten sind. Ich kann nur sagen, dass wir
mit dieser Materie sehr sorgfältig umgehen und es viele
Aspekte gibt, die es abzuwägen gilt. Das alles werden
wir, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, nicht ver-
nachlässigen.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Kurth auf:
Welche Rolle spielt nach Ansicht der Bundesregierung das
Neunte Buch Sozialgesetzbuch bei der Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention – insbesondere die Verpflich-
tung, trägerübergreifend einheitliche und koordinierte Rehabi-
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Auch dazu nehme ich gerne Stellung. Soweit im Ein-
zelfall die Leistungen der Sozialhilfe im Vordergrund
stehen – „im Vordergrund stehen“ will ich unterstreichen –,
soll der Träger der Sozialhilfe bei leistungsträgerüber-
greifenden Bedarfskonstellationen die Aufgaben einer
Koordinierungsstelle übernehmen und Leistungen für
hilfesuchende Menschen mit Behinderungen wie aus ei-
ner Hand erbringen. Die Träger der Sozialhilfe sollen
unter Einbindung der Menschen mit Behinderung im
Auftrag und im Namen der anderen Sozialleistungsträ-
ger handeln können, ohne Leistungsentscheidungen an
deren Stelle treffen zu können. Die Rolle des Trägers der
Sozialhilfe wäre vergleichbar mit der Rolle des Beauf-
tragten im Verfahren zur Ausgestaltung trägerübergrei-
fender Persönlicher Budgets entsprechend den einschlä-
gigen Vorschriften der Budgetverordnung.
Näheres ist noch nicht geklärt. Das muss natürlich
noch geklärt werden. In diese Richtung wird zurzeit dis-
kutiert.
Die zweite Nachfrage.
Sieht die Bundesregierung denn nicht das Risiko, dass
der Sozialhilfeträger als beteiligter Kostenträger, also als
beteiligte Partei im Verfahren, seine Steuerungsfunktion
ausnutzt, indem er bei finanzwirksamen Entscheidungen
darauf hinwirkt, dass diese nicht vorrangig ihn, sondern
andere Leistungsträger betreffen? Wäre es insofern nicht
sinnvoller, eine von den Kostenträgern unabhängige
Steuerungsstelle einzurichten, wie das vom Prinzip her
im SGB IX bei den gemeinsamen Servicestellen einmal
angedacht war?
H
Das Problem ist der Fachwelt natürlich bekannt. Da-
mit muss man umgehen. Deswegen habe ich hier ganz
deutlich ausgeführt, dass diese Funktion ohne Leistungs-
entscheidung anstelle anderer erfolgen soll. So kann
zwar das, was Sie zu bedenken geben, natürlich weiter-
bestehen und ist in der Praxis nicht immer auszuschlie-
ßen. Das ist aber als eine Möglichkeit zu akzeptieren, da-
mit wir hier auf diesem Weg vorankommen. Dass man in
diesem Bereich nicht alle Probleme so wunderbar und
lupenrein beseitigen kann, dass es nicht zu Konflikten
kommt, ist uns allen bekannt. Deshalb müssen wir einen
Weg gehen, der gewährleistet, dass die Probleme, die
entstehen können, nicht auf dem Rücken der betroffenen
Menschen ausgetragen werden. Die Menschen müssen
eine Lösung bekommen, mit der sie leben können.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Kurth auf:
Inwiefern gibt es innerhalb der Bundesregierung Überle-
gungen, analog zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins
vom 8. Dezember 2004 ein einkommens- und vermögensun-
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Das tut mir leid; es ist Ihnen nicht möglich, hierzu
noch eine Nachfrage zu stellen.
Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Pothmer, die Fra-
gen 40 und 41 des Kollegen Sarrazin, die Fragen 42 und
43 der Kollegin Hinz , die Fragen 44 und 45
der Kollegin Haßelmann, die Frage 46 des Kollegen
Seifert, die Fragen 47 und 48 der Kollegin Andreae so-
wie die Fragen 49 und 50 der Kollegin Wagner werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 51 des Kollegen Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn auf:
Welche Zahlen liegen der Bundesregierung vor, wie viele
Menschen von der Heraufsetzung der abschlagsfreien Regel-
altersgrenze für Erwerbsminderungsrente und Rente wegen
Schwerbehinderung betroffen sein werden, und wie bewertet
die Bundesregierung den Vorschlag, die Altersgrenze für
diese Personengruppen wieder auf 63 Jahre abzusenken?
H
Auf Ihre Frage möchte ich Folgendes antworten: Die
Altersgrenze für den abschlagsfreien Beginn der Alters-
rente für schwerbehinderte Menschen wird ab dem Jahr-
gang 1952 stufenweise von 63 auf 65 Lebensjahre ange-
hoben. Die Altersgrenze für eine frühestmögliche
Inanspruchnahme wird analog vom 60. auf das 62. Le-
bensjahr erhöht. Es ist damit zu rechnen, dass im Jahr
2009 – das bezieht sich auf Ihre Frage nach der Anzahl
der Betroffenen – gut 80 000 Personen auf diese Weise
in Rente gegangen sind. Das entspricht hier ungefähr
9,3 Prozent der Versichertenrentenzugänge.
Das Referenzalter für die Berechnung von Abschlä-
gen bei Renten wegen Erwerbsminderung wird ebenfalls
stufenweise vom 63. auf das 65. Lebensjahr angehoben.
Für Rentenzugänge in jüngeren Jahren ergeben sich
keine Veränderungen. Höhere Abschläge als nach bishe-
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Vielen Dank für die Antwort, Herr Fuchtel. – Bei ge-
unden Menschen kann man ja vortrefflich über die An-
ebung der Altersgrenze streiten. Das werden wir dann
orgen hier im Plenum auch tun. Bei der Rente mit 67
ind wir ja durchaus eher beieinander. Ich finde aber, bei
rwerbsgeminderten und Schwerbehinderten stellt sich
ie Situation ganz anders dar.
Erwerbsminderung sucht man sich nicht aus. Und um
em Fachkräftemangel zu begegnen, auf den Sie verwie-
en haben, nützen die Erwerbsgeminderten ja auch rela-
iv wenig. Auch bei Schwerbehinderten handelt es sich
m eine spezielle Gruppe. Sehen Sie es nicht auch so,
ass es nicht zumutbar ist, dass Angehörige dieser
ruppe länger arbeiten sollen? Die Erwerbsgeminderten
önnen ja gar nicht länger arbeiten; für diese stellt die
ente mit 67 tatsächlich eine reine Rentenkürzung dar.
)
8454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
Halten Sie es tatsächlich für vertretbar, bei dieser
Gruppe eine Rentenkürzung vorzunehmen?
H
Wir haben bisher schon eine spezielle Situation bei
der Bewertung. Ich habe gerade dargestellt, dass sich
diese ganz großteilig auch weiterhin so zeigen wird – nur
allerdings mit einer Verschiebung von zwei Jahren.
Wenn dann eine entsprechend starke Erwerbsunfähigkeit
gegeben ist, wenn beispielsweise eine Beschäftigung un-
terhalb einer bestimmten Zahl von Stunden am Tage
nicht zumutbar ist, besteht natürlich die Möglichkeit,
eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen und auf
diese Weise aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.
Es geht hier nicht nur darum, dass Leute frühestens
mit 60, wie jetzt, bzw. in Zukunft mit 62 ausscheiden
können, sondern auch künftig werden solche Leute zum
Beispiel schon weit vor dem 60. Lebensjahr ausscheiden
können. Es gibt hier Zurechnungszeiten; dann wird eben
eine Rentenbewertung nach speziellen Regelungen
durchgeführt.
Die zweite Nachfrage, bitte.
Sie haben eben selber gesagt: Im Altersbereich zwi-
schen 60 und 65 gibt es Einflüsse. Deswegen dazu – die
Zahlen fand ich sehr interessant – noch eine Nachfrage:
Warum kommen solche Zahlen nicht in dem Bericht vor,
den wir morgen diskutieren? Es wäre doch eigentlich
sehr gut, wenn man tatsächlich die Vor- und Nachteile
der Rente mit 67 bzw. der Anhebung der Regelalters-
grenzen für die verschiedenen Renten ehrlich nennen
würde, um eine offene Debatte führen zu können.
H
Die offene Debatte wird sicher von uns geführt wer-
den. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie offensiv
wir diese Debatte führen werden. Wir wissen heute, dass
die Menschen länger gesund sind, dass sie in einer ande-
ren körperlichen Verfassung als vor 20 Jahren sind. Da
es immer nicht gesagt wird, sage ich es hier: Der Über-
gang kommt nicht an einem Tag von null auf hundert,
sondern es ist jetzt ein langer Übergang vorgesehen; es
wird bis zum Jahre 2029 dauern, bis die Endstufe er-
reicht sein wird.
Überlegen Sie, was vor 20 Jahren war und was heute
ist. Vielleicht machen Sie sich auch einmal Gedanken,
was für Veränderungen in den nächsten 20 Jahren – in
der Frage des Arbeitsprozesses, bei der Form der Ausge-
staltung von Arbeit – noch eintreten können. Vor diesem
Hintergrund ist auch zu sehen, dass wir nicht mehr von
der Rente mit 67 reden, sondern dass wir von Arbeit bis
67 sprechen. Wir stellen also von uns aus ganz transpa-
rent und plakativ dar, dass wir diesen Prozess auch von
der gesundheitlichen Seite her in ganz neuer Form mit-
gestalten müssen und auch alle Möglichkeiten prüfen
werden, was man noch tun kann, um sogenannte gute
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Haben Sie eine Nachfrage? – Sie verzichten.
Die Fragen 53 und 54 des Kollegen Dr. Konstantin
von Notz, die Fragen 55 und 56 der Kollegin Monika
Lazar, die Fragen 57 und 58 der Kollegin Tabea Rößner,
die Fragen 59 und 60 des Kollegen Tom Koenigs, die
Fragen 61 und 62 der Kollegin Anette Kramme, die
Fragen 63 und 64 der Kollegin Bärbel Bas, die
Fragen 65 und 66 der Kollegin Sabine Zimmermann, die
Fragen 67 und 68 des Kollegen Werner Dreibus und die
Frage 69 des Kollegen Klaus Ernst werden schriftlich
beantwortet.
Damit kann ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär,
bedanken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz.
Die Fragen 70 und 71 der Kollegin Cornelia Behm
und die Frage 72 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
werden schriftlich beantwortet.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung.
Die Fragen 73 und 74 des Kollegen Omid Nouripour
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 75 der Kollegin Katja Dörner und die
Fragen 76 und 77 der Kollegin Caren Marks werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 78 der Kollegin Daniela Kolbe auf:
Sind der Bundesregierung Organisationen bekannt, die
nachweislich eine den Zielen des Grundgesetzes nicht förder-
liche Arbeit verrichten und gleichzeitig in der Vergangenheit
aus Mitteln des Bundes, etwa aus dem Programm „Vielfalt tut
gut“ oder dessen Vorgängerprogramm, gefördert wurden, und,
wenn ja, welche sind das?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. – Bitte.
Dr
Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: Träger,
die nachweislich eine den Zielen des Grundgesetzes
nicht förderliche Arbeit verrichten, sind von der Förde-
rung grundsätzlich ausgeschlossen. Da sie ausgeschlos-
sen sind, sind der Bundesregierung folglich auch keine
Träger bekannt, die bei Vorliegen entsprechender Er-
kenntnisse gefördert worden sind. Wenn im Nachgang
zu einer Förderentscheidung Erkenntnisse gewonnen
wurden, dass verantwortliche Personen des geförderten
Trägers Kontakte zu extremistischen Organisationen un-
terhalten haben, sind Konsequenzen gezogen worden.
Ein Beispiel ist der Träger Muslimische Jugend, der
auch hier schon Gegenstand der Debatte war.
Die Bundesregierung wird ähnliche Vorgänge nach
Vorliegen entsprechender Erkenntnisse auch weiterhin
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jekts der Jungen Union ist es, jungen Menschen, die be-
reits Multiplikatoren in der Jugendszene darstellen,
Wissen über Linksextremismus zu vermitteln. Dazu ge-
hört zum Beispiel der Besuch der Gedenkstätte Hohen-
schönhausen.
Ich sage ausdrücklich dazu: Ob und inwieweit die
konkrete Ausgestaltung und Durchführung des Projekts
den der Förderungsentscheidung zugrundeliegenden An-
tragsunterlagen entspricht, wird derzeit vom Ministe-
rium geprüft.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, aber Sie
haben aus meiner Sicht noch nicht wirklich auf die Frage
geantwortet, wie die Bundesregierung zu der Erkenntnis
kam, dass der vorgelegte Antrag der Jungen Union „Wir
fahren nach Berlin – gegen Linksextremismus“ dem An-
spruch eines Modellprojektes für die Prävention gegen
Linksextremismus entspricht in dem Sinne, dass, wie Sie
es auch gerade geschildert haben, junge Menschen davor
bewahrt werden sollen, in extremistische Strukturen ab-
zugleiten. Wie soll das gewährleistet werden?
Ich frage noch einmal konkreter: Haben Sie die
Sorge, dass die Zielgruppe – Mitglieder der Jungen
Union und Menschen, die mit der Jungen Union nach
Berlin fahren – in der Gefahr steht, in den Bereich des
Linksextremismus abzugleiten?
Dr
Vielleicht darf ich zunächst sagen: Wir fördern nicht
nur die Junge Union als politische Jugendgruppe, wenn
sie Anträge stellt und diese ins Konzept passen, sondern
auch andere politische Jugendorganisationen. Die vorge-
legten Antragsunterlagen waren Grundlage für die Ent-
scheidung. Wir werden dem aber noch einmal ganz ge-
nau nachgehen, weil wir einige Hinweise bekommen
haben, die für uns Anlass sind, das noch einmal im Ein-
zelnen zu überprüfen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich muss noch einmal nachhaken: In Ihrer Förder-
richtlinie geht es ja eindeutig darum, wie Sie beschrie-
ben haben, eine bestimmte Zielgruppe, nämlich gefähr-
dete Jugendliche, davor zu bewahren, in ein solches
Spektrum abzurutschen. Ich kenne leider den Antrag der
Jungen Union nicht; vielleicht hat sie das ja plausibel
machen können. Wir reden hier über Modellprojekte und
über relativ viel Geld, nämlich 2 Millionen Euro, die für
einen bestimmten Bereich zur Verfügung gestellt wer-
den. Das sind Steuergelder, und Sie müssen durchaus
rechtfertigen, mit welcher Intention Sie hier Modellpro-
jekte ins Leben rufen. Gerade diese Projekte sollen ja
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und zwar in dem Sinne, dass einige wichtige Lehren da-
raus zu ziehen sind.
Doch zunächst sei gesagt: Dieser Erfolg ist vor allem
einer Person zu verdanken, die, das möchte ich sagen,
von den Grünen ins Spiel gebracht, von Ministerpräsi-
dent Stefan Mappus entschieden vorgeschlagen und von
allen Parteien im Landtag von Baden-Württemberg und
allen Gesprächsbeteiligten akzeptiert wurde: unserem
ehemaligen Kollegen Heiner Geißler, der auch im hohen
Alter noch unermüdlich ist. Aus ganzem Herzen und, ich
vermute, im Namen des ganzen Hauses sage ich: Lieber
Herr Dr. Geißler, Sie haben unseren großen Respekt für
diese Leistung und unseren herzlichen Dank.
Wir haben aber nicht nur von Heiner Geißler, sondern
wir haben auch aus dem Prozess gelernt:
Erstens. Wir haben verstanden, dass wir insbesondere
bei Großprojekten um die Zustimmung der Bürgerinnen
und Bürger in anderer Art und Weise werben und die
Bürgerinnen und Bürger in anderer Art und Weise mit-
nehmen müssen. Einen Kommunikations-GAU wie
Stuttgart 21 darf es nie wieder geben.
Zweitens. Wir haben verstanden: Bei Stuttgart 21
wird es konkrete Nachbesserungen geben. Ministerpräsi-
dent Mappus hat heute Vormittag noch einmal klipp und
klar gesagt: Alle Vorschläge werden konsequent und
transparent geprüft und, wo nötig, umgesetzt. – Ich
möchte den S-21-Kritikern Dank sagen, die sich im Ver-
lauf des Verfahrens konstruktiv eingebracht und gute
Vorschläge gemacht haben.
Drittens. Wir haben verstanden: Wir müssen unsere
Planungsverfahren hinsichtlich der Bürgerbeteiligung
kritisch hinterfragen. Dabei muss die Vorgabe klar sein:
beteiligen und beschleunigen. Das ist kein Widerspruch.
Es darf nicht sein, dass ein Verfahren wie Stuttgart 21
15 oder 20 Jahre dauert. Deswegen heißt die klare Vor-
gabe: beteiligen und beschleunigen.
– Ich komme gleich zu Ihnen.
Was nun gar nicht geht, ist, dass diejenigen, die als
Erste Heiner Geißler als Schlichter ins Gespräch ge-
bracht haben, nach dem Ende der Schlichtungsveranstal-
tung sofort an Schlichtung und Schlichter herummäkeln.
Ausgerechnet die, die schon immer mehr Bürgerbeteili-
gung wollten und Heiner Geißler als Erste ins Gespräch
gebracht haben, sind jetzt gegen Schlichtung und
Schlichter.
Lackmus hat die Farbe Rot. Der Inkonsistenztest hat die
Farbe Grün. Die Grünen sind die wahrhafte Dagegen-
Partei: jetzt auch gegen Schlichtung und Schlichter.
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as ist dieselbe SPD, die immer mehr Beteiligung will,
ie Heiner Geißler gutgeheißen hat und mit ihm völlig
inverstanden war. Das ist die Dafür- und Dagegen-SPD,
icht Fisch und nicht Fleisch. Sie ist selber unglaubwür-
ig.
Kommen Sie mir jetzt nicht mit Volksbefragungen,
eine Damen und Herren. Wenn Sie sich schon jetzt, wo
s im Grunde um ein paar Kilometer Schienen und einen
ahnhof geht, wie trotzige Kinder verhalten, wie wohl
rst dann, wenn, um den Blick in die reale Abstim-
ungswelt der von Ihnen oft und gerne zitierten
chweiz zu richten, das deutsche Volk in einer Volksab-
timmung ein Minarettverbot oder eine Ausschaffungs-
nitiative beschließen würde? Die Ratlosigkeit der SPD
ngesichts solcher Volksbefragungen kann ich mir vor-
tellen. Sie wäre dann sehr schnell wieder so weit: im
runde dafür, aber dann doch dagegen. Wer aber sehr
chnell gegen solche Volksbefragungen wäre, ist klar:
nsere grünen Stars. Deshalb Vorsicht an der Bahnsteig-
ante!
Um es mit den Worten des Großlateiners Heiner
eißler zu sagen: Quidquid agis, prudenter agas et re-
pice finem. Was auch immer du tust, tu es klug und be-
enke das Ende.
eherzigen Sie es, meine Damen und Herren von der
pposition!
Danke fürs Zuhören.
Das Wort hat der Kollege Christian Lange für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Es ist vollbracht: Der sogenannte Schlichter-
pruch ist gesprochen. Das Demokratieexperiment hat
unktioniert. Stuttgart 21 kommt, und es wird erweitert.
8458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Christian Lange
)
)
Im Bahnhof selbst wird die Verkehrssicherheit im In-
teresse von Behinderten, Familien mit Kindern, älteren
und kranken Menschen entscheidend verbessert. Für das
Streckennetz wird die Erweiterung des Tiefbahnhofs um
ein neuntes und zehntes Gleis und zugleich eine zwei-
gleisige Anbindung des Flughafen-Fernbahnhofs an die
Neubaustrecke sowie eine zweigleisige und kreuzungs-
frei angebundene Wendlinger Kurve und die Anbindung
der bestehenden Ferngleise von Zuffenhausen an den
neuen Tunnel von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof ge-
fordert.
Aber eines sagt der Schlichter nicht: Wer soll das be-
zahlen? Die SPD begrüßt diese Verbesserungsvor-
schläge. Doch wenn diese Aktuelle Stunde einen Sinn
haben soll, dann den, dass CDU/CSU und FDP heute er-
klären, dass sie bereit sind, die möglichen Mehrkosten,
egal ob 170 Millionen oder gar 500 Millionen Euro und
mehr, im Bundeshaushalt unterzubringen.
Ich rufe Sie auf: Bekennen Sie sich, meine Damen
und Herren von CDU/CSU und FDP! Denn eines darf
nicht das Ergebnis des gelungenen Demokratieexperi-
ments sein, nämlich dass Sie den sogenannten Stresstest
für den geplanten Bahnknoten bis über den 27. März hi-
nauszögern und nicht sagen, wie Sie die möglichen
Mehrkosten finanzieren wollen. Denn dann würden die
Menschen in Baden-Württemberg erneut getäuscht. Ich
habe berechtigte Gründe, das hier zu sagen.
Im ZDF etwa sagte Herr Mappus – ich zitiere –:
Ich kann im Moment noch nicht erkennen, wo
500 Millionen Mehrkosten notwendig sein sollten.
Es könne auch möglich sein, dass gar keine Mehrkosten
– ich betone: gar keine – entstehen. Frau Gönner sagte
heute Morgen, wenige Stunden nach dem Schlichter-
spruch:
Das Schweizer Unternehmen, das den Stresstest
durchführen soll, hat bereits gesagt, sie sehen nicht
das neunte und zehnte Gleis als notwendig an.
Wenige Stunden – ich hätte fast gesagt: Minuten –
nach dem Schlichterspruch hieß es: Die Dauer des
Stresstests ist laut der Landesverkehrsministerin schwer
zu schätzen, es würde aber mehrere Monate dauern.
Weiterhin wurde über eine Äußerung von Herrn Kefer
von der Deutschen Bahn AG berichtet: Die Ergebnisse
des in der Schlichtung vereinbarten Stresstests zur Leis-
tungskapazität des geplanten Bahnknotens werden Kefer
zufolge erst Mitte kommenden Jahres vorliegen.
Sie spielen auf Zeit. Unterlaufen Sie nicht den
Schlichterspruch! Ergebnisse müssen vor der Landtags-
wahl auf den Tisch, meine sehr geehrten Damen und
Herren.
Die Bundesregierung in Person von Herrn Ramsauer
lässt die Mehrkosten prüfen, doch es gibt kein Wort über
die Pflicht des Bundes, für diese Kosten einzustehen. Ich
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Nicht verschweigen will ich, dass, wenn schon kein
ompromiss zwischen Tiefbahnhof und K 21 zu erwar-
en war, wenigstens eine Befriedung möglich gewesen
äre.
eshalb sage ich: Herr Geißler hat eine Chance ver-
äumt, mit einem Volksentscheid eine Brücke für beide
eiten zu bauen.
ch sehe in seiner Ablehnung im konkreten Fall von
tuttgart 21 einen deutlichen Widerspruch zu seiner For-
erung, die Bevölkerung stärker bei Entscheidungen
ber Großprojekte einzubeziehen.
enn Geißler tatsächlich die Bürger stärker einbeziehen
ill, hätte er dies doch gerade bei einem solchem Kon-
liktthema wie Stuttgart 21 empfehlen müssen, wie es
hm Herr Dr. Schmid vorgezeichnet hat. Im Übrigen be-
egen zwei Rechtsgutachten genau diesen Weg.
Es freut mich, dass sich jetzt auch die baden-württem-
ergische Landtagsfraktion der Grünen für eine Volksab-
timmung ausgesprochen hat, nachdem sie sich im
andtag noch der Stimme enthalten hat.
Ein letztes Wort zum Schlichterspruch. Die SPD teilt
ie Auffassung ausdrücklich, dass Stuttgart 21 nur dann
inen Sinn hat, wenn gleichzeitig die Neubaustrecke
lm-Wendlingen verwirklicht wird.
och während der Schlichterphase hat Bundesverkehrs-
inister Ramsauer seinen Bedarfsplan für die Infrastruk-
ur in Deutschland veröffentlicht. Dabei zeigte sich, dass
eine Pläne weit größer sind als seine finanziellen Mittel.
eshalb sage ich auch an dieser Stelle: Bekennen Sie
ich! Setzen Sie Prioritäten und sagen Sie, was dafür
egfällt, oder aber erhöhen Sie Ihren Etatansatz!
Auch hier gilt: Alles auf den Tisch und alle an einen
isch! Tun Sie dies nicht, steht fest: Am 27. März 2011
erden Ihnen die Bürgerinnen und Bürger dies, da bin
ch mir sicher, nicht durchgehen lassen. Dieser Stress-
est, meine Damen und Herren von FDP und CDU, steht
hnen noch bevor.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8459
)
)
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Döring das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem wir schon einige Debatten über dieses Thema
hier, wie ich finde, durchaus verantwortungsbewusst und
konstruktiv geführt haben, muss ich mich doch über die
vorangegangene Rede des Kollegen sehr wundern.
Ich persönlich glaube, dass es nach diesem erfolgrei-
chen Projekt, nach diesem langwierigen Faktenfindungs-
verfahren und nach den Ergebnissen, die jetzt auf dem
Tisch sind, klug ist, nicht den Eindruck zu erwecken,
man hätte über Dinge sprechen sollen, die nicht Auftrag
der Schlichtungskommission waren. Es wäre für eine
verantwortungsbewusste Fraktion in diesem Haus auch
klug, sich keine Fantasiezahlen zu eigen zu machen.
Es wäre vor allen Dingen gut, von einem früheren Kolle-
gen, der in dieser Angelegenheit eine große Leistung
vollbracht hat, nicht zu verlangen, Dinge zu empfehlen,
die rechtlich nicht durchsetzbar sind, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Es ist einfach unvernünftig und wird der Arbeit und
der Mühe der Gegner von Stuttgart 21 wie auch des
Schlichters nicht gerecht, wenn wenige Minuten nach
dem Schlichterspruch zu weiteren Protesten aufgerufen
und davon ausgegangen wird, dass das alles nichts ge-
bracht hat. Das bringt uns doch in der Sache nicht weiter.
Ich habe das Gefühl, dass die Beteiligten in diesem
Schlichtungsverfahren mit ihrer Rolle verantwortungs-
voller umgehen als die linke Seite dieses Hauses heute.
Ich finde es nicht angemessen, dass schon jetzt, bevor
überhaupt eine einzige Prüfung der Vorschläge stattfin-
den konnte und bevor entschieden wurde, ob ein oder
zwei Gutachter den Stresstest durchführen, verlangt
wird, alles müsse nun schnellstmöglich und sofort pas-
sieren. Ich hätte gerne die Rede des Kollegen Lange hier
gehört, wenn die Bahn schon wüsste, welcher Gutachter
das bis Februar berechnen soll. Dann hätten Sie uns vor-
geworfen, wir würden im Schweinsgalopp ein Gefällig-
keitsgutachten in Auftrag geben. Das ist doch scheinhei-
lig, was hier passiert.
Das Gleiche gilt im Hinblick auf die sich in der Dis-
kussion befindlichen Mehrkosten. Die Vorschläge, die
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ganz besonderen Art. Die Bürgerinnen und Bürger haben
nämlich gelernt, dass sie zwar mitreden und mitdiskutie-
ren können, dass sie aber dann, wenn es um Mitbestim-
mung und Entscheidungen geht, in die Zuschauerrolle
verbannt werden. Ist also der Souverän doch kein
Citoyen, sondern ein TV-Konsument? Ich finde das Er-
gebnis, das bei diesem Schlichtungsprozess herausge-
kommen ist, ziemlich bedrückend.
Ich versichere Ihnen: Die Leute, die in Stuttgart mo-
natelang auf die Straße gegangen sind, fühlen sich be-
schissen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten über Monate auf
der Straße gestanden, Sie hätten mit all der Kraft Ihrer
Argumente und Ihrer Überzeugung durchgesetzt, dass
nach Jahren endlich ein Prozess der Transparenz ange-
stoßen wird und endlich die Fakten auf den Tisch kom-
men. Das war mühsam. Zehntausende haben über Mo-
nate hinweg diesen Schritt durchgesetzt, erzwungen.
Denn es wurde ihnen nicht angeboten, über dieses Pro-
jekt zu diskutieren,
sondern die Diskussionen wurden durch die Demonstra-
tionen und das bürgerschaftliche Engagement, das die
Leute auf der Straße gezeigt haben, durchgesetzt.
Was wir bei dieser Schlichtung, die sich über viele
Runden erstreckt hat, zur Kenntnis genommen haben,
waren unheimlich viele neue Tatsachen, die auch dem
Parlament bis dahin unbekannt waren. Ich will Ihnen
noch etwas sagen: Der Schlichterspruch besagt im Kern
auch, dass Stuttgart 21 ein schlechtes, ein unnützes und
ein viel zu teures Projekt ist und dass das Alternativmo-
dell viel sinnvoller wäre. Herr Geißler sagt in seinem
Schlichterspruch, dass er trotzdem dafür ist, dass das
schlechte, unsinnige und milliardenteure Projekt umge-
setzt wird, weil die Bahn es erzwingt, indem sie mit ei-
ner Klage droht, und weil die Herrschenden nicht bereit
sind, den besseren Argumenten nachzugeben.
Das ist ein demokratischer Skandal.
Wenn die Macht immer am längeren Hebel sitzt, dann
ist die Demokratie verloren. Ich sage Ihnen: Wir werden
das nicht zulassen, und die Leute werden es sich nicht
gefallen lassen. Wir werden weiter auf die Straße gehen
und mit allen friedlichen Mitteln für volkswirtschaftliche
Vernunft und dafür eintreten, dass das Volk der Souverän
ist und nicht Herr Geißler, und schon gar nicht die Bahn.
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Allerdings war diese Schlichtung von Anfang an als
achschlichtung und nicht als Ergebnisschlichtung ge-
acht, und es war völlig klar, dass sein Entscheid bzw.
eine Empfehlung am Ende nicht bindend sein kann,
ondern diese höchstens auf der psychologisch-politi-
chen Ebene für eine weitere Entwicklung sorgen kann;
enn er kann keine Entscheidung fällen, deren daraus
ntstehenden Kosten andere, beispielsweise der Bund,
ezahlen müssen. Insofern bleibt die Politik gefragt. Die
olitik muss entscheiden.
Wir nehmen den Schlichterspruch von Heiner Geißler
rnst. Wir sind enttäuscht, weil wir etwas anderes erwar-
et hätten. Auch darüber kann überhaupt kein Zweifel
estehen. Aber wenn Sie den Text in voller Länge und
enau lesen, dann werden Sie sich wundern. Sie, die für
tuttgart 21 sind, können mit diesem Text nicht glück-
ich werden. Heiner Geißler hat nicht gesagt, wir müss-
en Stuttgart 21 bauen, weil das das bessere Projekt sei,
ondern deshalb, weil es so weit fortgeschritten sei.
Heiner Geißler hat weiterhin gesagt, er könne
tuttgart 21 nur als Stuttgart-21-plus gutheißen. Zu die-
em Plus gehört eine ganze Reihe von bedeutenden Be-
ingungen. Die erste Bedingung ist: Nur wenn ein
tresstest bestanden wird und der neue Bahnhof 30 Pro-
ent mehr Leistung in den Spitzenzeiten erbringen kann
ls der bisherige Kopfbahnhof, dann kann er dem Pro-
ekt zustimmen. Weitere Bedingungen sind: Nur wenn
in neuntes und ein zehntes Gleis gebaut werden, kann
r zustimmen.
ur wenn am Flughafen zweigleisig kreuzungsfrei ein-
eschleift wird, nur wenn die Gäubahn nicht abgebaut,
ondern erhalten und neu eingeschleift wird, nur wenn
arrierefreiheit garantiert wird, nur wenn ein besseres
icherheitskonzept erarbeitet wird, nur wenn die unterir-
ischen Sicherheitsstollen barrierefrei sind und man si-
her herauskommt, kann er zustimmen. Wenn Sie alle
iese Bedingungen erfüllen wollen, dann müssen Sie
ieses Projekt zu einem erheblichen Teil neu planen, ein
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8461
Winfried Hermann
)
)
neues Planfeststellungsverfahren beginnen und ganz
neue Rechnungen aufmachen.
Es ist keine Kleinigkeit, ein neuntes und zehntes Gleis
zu bauen. Alle Experten sagen, dass diese Forderungen
in der Summe mindestens 500 Millionen Euro Mehrkos-
ten ausmachen, wahrscheinlich sogar 1 Milliarde Euro.
Wenn man das alles ernst nimmt, dann stellt sich natür-
lich die Frage: Wer soll das bezahlen? Dann stellt sich
auch die Frage: Wird die Bahn, die gesagt hat, dass sie
bei 4,5 Milliarden Euro aussteigt, wirklich aussteigen,
wenn das Projekt 500 Millionen Euro mehr kostet? Dann
reißt sie nämlich die Latte. Wird der Bund bei seiner
Aussage bleiben, dass er nicht mehr als bisher zahlt? –
Wer soll dann diese Finanzierungslücke schließen?
Kommen wir zur Neubaustrecke. Da sieht es noch
schlimmer aus. Bei der Neubaustrecke ist nicht annä-
hernd so gründlich geprüft worden, aber es ist klar ge-
worden, dass ein hohes Kostenrisiko vorliegt. Das trägt
alleine der Bund. Der Bundesverkehrsminister weiß
ebenso gut wie ich, dass er nicht die 2,8 Milliarden Euro
im Etat hat, die jetzt als Kosten für die Strecke anfallen,
sondern nur 950 Millionen Euro, die sich auf die 2-Mil-
liarden-Euro-Kalkulation gründen. Die anderen 900 Mil-
lionen Euro sind, genauso wie sämtliche Mehrkosten,
noch nicht finanziert.
Zusammenfassend muss man sagen: Vieles ist noch
nicht finanziert. Das wirft gravierende neue Fragen auf
und wird neue Debatten auslösen. Wer jetzt sagt „Wir
machen weiter; schön, dass es dieses Schlichtungsge-
spräch gegeben hat; wir haben gelernt; wir werden es zu-
künftig anders machen“, der hat eben nicht gelernt. Man
muss jetzt ernsthaft eine neue Wirtschaftlichkeitsberech-
nung durchführen. Dann wird man mit ziemlicher Si-
cherheit feststellen müssen, dass dieses Projekt nicht
wirtschaftlich ist. Es ist und bleibt ein politisch durchge-
drücktes Projekt, das aber verkehrlich und wirtschaftlich
nicht sinnvoll ist.
Bei diesem Projekt handelt es sich um ein Kirchturm-
projekt in Baden-Württemberg: Es werden Milliarden
eingefordert, ohne dass es für das Gesamtsystem einen
Nutzen hat. Wir Grüne sind als Bahnpartei schon immer
gegen dieses Projekt gewesen.
– Ja, dagegen, weil wir für eine bessere Bahn sind; dage-
gen, weil wir für „oben bleiben“ sind; dagegen, weil wir
dieses Konzept für nicht durchführungsfähig halten, weil
es nichts taugt und weil es schlechter ist als der Kopf-
bahnhof. Das ist der Punkt. Wir sind gegen eine ver-
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Im Moment schreien Sie dagegen.
Noch eine Anmerkung zum Demokratieverfahren.
err Döring, ich gebe Ihnen in einem Punkt grundsätz-
ich recht: Es ist völlig aberwitzig, dass wir am Ende ei-
es langen Prozesses solche grundsätzlichen Debatten
ühren. Das liegt daran, dass unser Planungsrecht voll-
ommen falsch gewickelt ist. Zukünftig müssen wir bei
roßprojekten schon zu Beginn eine offene Debatte füh-
en, alle Alternativen offenlegen, durchrechnen und da-
über in der Gesellschaft diskutieren. Dann muss es zur
ntscheidung kommen, und dann muss die Finanzierung
bgesichert werden. Wenn sich die Bevölkerung dann
ür ein Projekt entscheidet, dann kann man sich an die
einplanung begeben und das Planfeststellungsverfahren
m Detail angehen. Das wäre der richtige Weg, das wäre
ie Konsequenz.
Wir brauchen ein anderes Planungsrecht, wir brau-
hen eine andere Planungskultur, damit wir zukünftig zu
inem demokratischen Verfahren bei Groß-, aber auch
ei kleineren Projekten kommen.
Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Dr. Stefan
aufmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war
in guter Tag für Deutschland und für meinen Wahlkreis
tuttgart I, weil erstens ein wichtiges Infrastruktur- und
ukunftsprojekt nach einer in dieser Intensität noch nie
agewesenen Vorabprüfung als sinnvoll und plausibel
estätigt wurde und weil wir zweitens in Stuttgart ein
öllig neues öffentliches Verfahren mit großem Gewinn
ür die Demokratie abgeschlossen haben. Vor diesem
intergrund begrüße ich den gestrigen Schlichterspruch
usdrücklich.
Um es vorwegzunehmen: Die Schlichtung weist am
nde keine Gewinner und keine Verlierer aus. Alle Sei-
en haben viel gelernt. Die Schlichtung hat maßgeblich
u einer Versachlichung und Deeskalation beigetragen.
or allem aber wurde verloren gegangenes Vertrauen in
olitik und Projektträger zurückgewonnen.
8462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Dr. Stefan Kaufmann
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Daher war die Schlichtung auch ein Erfolg für die politi-
sche Kultur insgesamt. Sie war ein gelungener Versuch,
ein hochkomplexes Thema so aufzuarbeiten, dass Bürge-
rinnen und Bürger zu einem eigenen Urteil finden kön-
nen.
Auch das weitere Ziel des Verfahrens wurde erreicht:
Transparenz politischer und planerischer Entscheidun-
gen. Diesen Punkt sollten wir wirklich nicht kleinreden.
In einer von Medien dominierten Welt ist eine gelin-
gende politische Kommunikation die große Herausfor-
derung der Zukunft. Unser Anspruch muss sein, zuneh-
mend komplexe Themen allgemeinverständlich zu
vermitteln und nachvollziehbar zu machen. Auch das ist
eine Erfahrung aus dieser Schlichtung. Neue Formen der
Bürgerbeteiligung und Bürgerinformation sind in der
Diskussion. Das Land Baden-Württemberg hat heute
hierzu im Rahmen eines Sieben-Punkte-Programms die
Einrichtung einer Enquete-Kommission zur modernen
Ausgestaltung der repräsentativen Demokratie angekün-
digt. Das ist ein guter Weg, wie ich meine.
Zum Ergebnis der Schlichtung im Einzelnen. Die
Schlichtung hat große Stärken, aber auch kleinere
Schwächen des Projekts zutage gefördert. Insofern gab
es einen hilfreichen Beitrag der K-21-Befürworter in der
Schlichtung. Insgesamt gilt unser aller Lob dem kon-
struktiven Dialog aller Beteiligten. Ein großes Danke-
schön geht an – es wurde gesagt – Heiner Geißler für
seine beispielhafte Gesprächsführung. Heiner Geißler
ließ in seinem Schlichterspruch keinen Zweifel daran,
dass Stuttgart 21 gebaut werden soll und dass ein Um-
schwenken auf K 21 nicht zu verantworten ist.
Stuttgart 21 soll noch attraktiver, sicherer, familien- und
behindertenfreundlicher werden. Stuttgart 21 soll auch
ein ökologisches Vorzeigeprojekt werden. Insgesamt hat
Heiner Geißler seine Vision von einem optimierten
Stuttgart 21 als „Stuttgart-21-plus“ bezeichnet.
Zentral für die Entwicklung des neuen Stadtquartiers
wird sein, dass die frei werdenden Flächen in eine Stif-
tung mit eindeutigem Stiftungszweck überführt werden.
Das ist eine sehr gute Lösung, wie ich meine. In Ham-
burg hat man sehr positive Erfahrungen gemacht. Die
Stadt hat bereits mit einem Stadtentwicklungsprojekt
Rosenstein unter breiter Bürgerbeteiligung begonnen.
Ich darf noch einmal auf die verkehrliche Dimension
eingehen. Der geforderte Stresstest wird von der Bahn
zügig angegangen; das wurde heute schon verlautbart.
Sollte es dabei nicht zu den geforderten 30 Prozent Leis-
tungssteigerungen zur Spitzenlaststunde kommen, dann
– wohlgemerkt, nur dann – sind entsprechende Verbesse-
rungsmaßnahmen vorgesehen. Dies wird von der neutra-
len SMA und Partner AG im beiderseitigen Einverständ-
nis – das wurde am Schlichtungstisch vereinbart –
überprüft.
Der Schlichterspruch stellt im Übrigen auch an den
Bund eine Forderung: Die noch offenen Planfeststel-
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innvoll ist darüber hinaus der Vorschlag von Heiner
eißler, eine situationsbedingte oder begleitende Bür-
erbeteiligung während des Baus von Stuttgart 21 vor-
usehen.
Ich darf an die Grünen appellieren, doch noch einzu-
enken. Herr Hermann, Sie haben die gesamte Schlich-
ung hier vom Tisch gewischt.
ie haben den runden Tisch für die Schlichtung vorge-
chlagen. Sie haben Heiner Geißler als Schlichter vorge-
chlagen. Sie haben das gewählte Verfahren akzeptiert,
nd nun wollen Sie das Ergebnis nicht mittragen.
ls Ausweg aus Ihrem Dilemma plädieren Sie nun wie
uch die Linke und die SPD für eine Volksabstimmung
nd rufen munter zu neuerlichen Protesten und Demon-
trationen auf. Durch eine Volksabstimmung und ein
bwarten bis zur Landtagswahl würde aber rein gar
ichts gewonnen. Sie würden das Projekt, selbst wenn
ie Regierungspartei würden
nd sich die Mehrheit in einer Volksabstimmung gegen
tuttgart 21 aussprechen würde, nicht stoppen können.
as hat Renate Künast hier in der Haushaltsdebatte auf
ine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht ausdrücklich
ochmals bestätigt.
Ja, Sie, Frau Künast.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen sich
chon positionieren. Eine Flucht in eine Volksabstim-
ung befreit Sie nicht aus Ihrem Dilemma und im Übrigen
uch keine albernen Kleinen Anfragen an die Bundes-
egierung zum Vorkommen und Schutz des Juchtenkä-
ers im Stuttgarter Schlossgarten. Kehren Sie also bitte
um sachlichen Dialog zurück und kommen Sie aus Ih-
em Schmollwinkel.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8463
Dr. Stefan Kaufmann
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)
Mein letztes Wort gilt Ihnen von der SPD. Auch Ihr
fast schon blindes Festhalten an einer zudem unzulässi-
gen Volksabstimmung
ist spätestens nach der Schlichtung anachronistisch. Be-
kennen Sie Farbe und sagen Sie endlich, ob Sie für oder
gegen Stuttgart-21-plus sind!
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kumpf für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann es gleich unspannend machen, Herr Kollege
Kaufmann und Herr Kollege Strobl: Die SPD ist für
Stuttgart 21.
Im Unterschied zu Ihren Vorstellungen wollen wir die
Befriedung über einen Volksentscheid herbeiführen. Das
ist der wesentliche Unterschied.
Was wir jetzt erleben, ist dies: Die Schlichtung ist
vorbei, aber nicht am Ende. Das zeigt sich auch daran,
wie wir hier miteinander umgehen.
Wir hätten lernen müssen. Das hat auch Kollege Döring
gesagt. Es war bewundernswert, wie sich die Leute stun-
denlang vor dem Fernseher aufgehalten und die ganze
Fachdebatte mit verfolgt haben. Ich sage Dank von unse-
rer Seite dafür, wie von Herrn Geißler versucht wurde,
Sachlichkeit hineinzubringen, was mir – auch in Stutt-
gart – immer ein großes Anliegen war.
Diese Sachlichkeit verspielen wir mit dieser Debatte
gerade wieder. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die
unsere Aktuelle Stunde vor dem Fernseher erleben, sa-
gen, es habe sich gelohnt. Die Schlichtung war gut, aber
das, was Sie hier treiben, ist reine Polemik.
Eines sage ich in die Richtung der Grünen und der
Linken: Es darf sich keiner wundern, dass der Protest
weitergehen wird, wenn der Schlichterspruch zerredet
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Doch, heute Morgen wurde ich fröhlich davon ge-
eckt.
Herr Kefer sagt auch, er braucht ein halbes Jahr. Herr
öring, wenn Sie im Ausschuss aufgepasst hätten, wüss-
en Sie, dass das Unternehmen, das dies entsprechend
rüfen soll, schon lange feststeht. Es hat schon erste
berlegungen angestellt. Die Grünen haben damals
iese Information ins Netz gestellt. Das ist die Firma
MA. Also, bitte genauso aufpassen – wie die Bürgerin-
en oder die Bürger es vor dem Fernseher gemacht ha-
en.
Ich denke, wir sollten hier für uns mitnehmen, dass
ie Schlichtung zu einer größeren Transparenz und auch
kzeptanz für dieses Projekt geführt hat.
enn Sie aber so weitermachen, dann ist diese Akzep-
anz gleich wieder weg. Dann heißt es sofort, es wird al-
es nicht ernst genommen, was Herr Geißler uns ins
tammbuch geschrieben und worüber er uns zum Teil
uch die Leviten gelesen hat.
Es muss allen klar gewesen sein, dass diese Schlich-
ungsrunde keinen Kompromiss finden konnte. Ein biss-
hen Bahnhof unten, ein bisschen Bahnhof oben geht
infach sachlich nicht.
Alle, die an dieser Schlichtungsrunde beteiligt waren,
aren nicht in irgendeiner Form demokratisch legiti-
iert. Der Kollege Hermann war am Sonnabend auch
abei. Ich glaube, wir vom Verkehrsausschuss haben Ih-
en kein Votum mitgegeben, für den Verkehrsausschuss
u reden. Es war allen klar: Wenn dieser Spruch in ir-
endeiner Form verankert werden soll, dann braucht er
ine demokratische Legitimation. Wir sagen, dieser
chlichtungsspruch muss durch einen Volksentscheid le-
itimiert werden.
Ich will jetzt nicht hören, dass das alles nicht geht. Sie
atten die Gelegenheit, im Landtag einem entsprechen-
en Antrag der Grünen und der SPD zuzustimmen und
in Verfahren aufzuzeigen, wie so etwas möglich ge-
acht wird. Es ist zwar ungewöhnlich, dass man einen
8464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Ute Kumpf
)
)
Volksentscheid nach dem ganzen Verfahren durchführt,
aber einiges ist natürlich der CDU-Regierung im Lande
geschuldet, die – was die Planungszeit, die Transparenz
und die richtigen Informationen anbelangt – ein bisschen
geschlampt hat; das sage ich ganz vornehm.
Auch der Herr Schuster als Oberbürgermeister der Stadt
Stuttgart hat einen Super-Kommunikations-GAU hinge-
legt, das wissen Sie alle. Deshalb sind wir gezwungen,
im Nachhinein die Zustimmung für dieses Projekt bei
den Leuten abzuholen. Herr Strobl, Sie wollen wahr-
scheinlich auch nicht, dass die Polizei hier in Stuttgart
zehn Jahre lang dieses Bauprojekt absichern muss?
Das geht zulasten der Polizisten. Ich glaube, das wollen
Sie ganz bestimmt nicht.
Wir wollen das auch nicht, von daher muss Frieden in
die Stadt kommen. Das passt auch gut in die Vorweih-
nachtszeit, damit wir wirklich „Stille Nacht, heilige
Nacht“ singen können.
Sonst können wir das zu Weihnachten nicht singen und
vielleicht nach Weihnachten auch nicht, weil der Friede
in dieser Stadt nicht hergestellt wird, weil Sie sich die-
sem Volksentscheid verweigern.
– Nein, ich mache mir das überhaupt nicht einfach. Ich
habe unter diesem Projekt persönlich sehr gelitten, das
müssen Sie wissen. Ich hätte ganz andere politische Per-
spektiven gehabt. Mehr sage ich darüber nicht. Deshalb
denke ich, dass der Volksentscheid ein wichtiges Instru-
ment ist, dessen Zulässigkeit Sie wirklich überprüfen
müssen. Wenn Sie es nicht einläuten und einfädeln wol-
len, dann werden wir uns dieses Mandat für den Volks-
entscheid eben am 27. März abholen, damit die Leute
sich mit vollem Herzen zu diesem Projekt bekennen
können.
Schließen Sie sich uns an! Machen Sie mit! Seien Sie
wirklich Demokraten und Demokratinnen und machen
Sie den Weg frei für einen Volksentscheid!
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ir alle müssen gemeinsam unseren Auftrag als Volks-
ertreter wahrnehmen und beispielgebend den Schlich-
erspruch umsetzen, anstatt zu versuchen, den Konflikt
eu zu befeuern.
etztendlich müssen wir die Bürgerinnen und Bürger
itnehmen. Wir müssen aus dem bisherigen Vorgehen
ernen.
Wie auch Sie wissen, gibt es viele Bürgerinnen und
ürger – inzwischen ist es sogar die Mehrzahl –, die aus
irtschaftlichen Gründen für ein modernes, leistungsfä-
iges und umweltfreundliches Verkehrsinfrastrukturnetz
owie für den Erhalt und die Schaffung von Tausenden
on Arbeitsplätzen sind.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8465
Werner Simmling
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)
Wir wollen Stuttgart die Chance geben, ein neues Quar-
tier und die Erweiterung der Parkanlagen zu realisieren,
damit frühere Fehlplanungen korrigiert werden können.
Wissenschaftler beider Parteien oder Fraktionen, die
Deutsche Bahn AG und Politiker haben sich in neun
Schlichtungsrunden an einen Tisch gesetzt, externe Ex-
perten haben Präsentationen erarbeitet, und das Ganze
hat auch richtig Geld gekostet. Die Beteiligten sind an
ihre Belastungsgrenzen gegangen. Der Schlichter hat
eine Entscheidung verkündet, in der alle Interessen ab-
gewogen worden sind und in der eine machbare und
praktikable Lösung formuliert worden ist. Für das Zu-
standekommen dieses Schlichtungsspruchs danken wir
Herrn Dr. Geißler ausdrücklich. Er hat – anders als Sie,
Herr Lange, vorhin gesagt haben – keineswegs eine
Chance versäumt.
Die Koalitionsregierungen in Land und Bund leisten
eine konstruktive Arbeit. Es gibt bei diesem Verfahren
keine Gewinner und keine Verlierer. Wenn Sie wollen,
meine Damen und Herren, dass unsere Demokratie als
Gewinner dasteht, weil sie durch den Prozess wieder ein
Stück vitalisiert wurde,
dann helfen Sie mit, das Projekt Stuttgart 21 umzuset-
zen! Sie alle sind herzlich dazu eingeladen.
Der Kollege Beckmeyer hat für die SPD-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich denke, die Schlichtung hat zu einer Versach-
lichung der Debatte und der Diskussion geführt. Das
sollten wir einmal festhalten. Der Schlichterspruch ist
eine Empfehlung. Ich kann an dieser Stelle nur die ba-
den-württembergische Landesregierung auffordern, ihn
ernst zu nehmen.
Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Presse. Das
Handelsblatt von heute stellt fest, dass die CDU-Minis-
terin den Stuttgart-21-Stresstest zur Farce macht.
Es stellt fest, dass Ministerin Gönner zusätzliche Bahn-
gleise für unnötig hält.
Es stellt fest, dass ganz bestimmte Punkte des Schlich-
terspruches wieder zerredet werden –
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uch von Ihnen heute, Herr Strobl.
Der Schlichter sagt:
Ich kann den Bau des Tiefbahnhofes nur befürwor-
ten, wenn entscheidende Verbesserungen an dem
ursprünglichen Projekt vorgenommen werden.
ie entsprechenden Veränderungen und Verbesserungen
ieses Projektes hat er gestern der deutschen Öffentlich-
eit erklärt.
Der Schlichterspruch empfiehlt: Erweiterung des
iefbahnhofes; eine zweigleisige westliche Anbindung
es Flughafen-Fernbahnhofs an die Neubaustrecke; eine
weigleisige, kreuzungsfreie Anbindung der Wendlinger
urve; die Anbindung der bestehenden Ferngleise von
uffenhausen an den neuen Tunnel von Bad Cannstatt
um Hauptbahnhof; die Ausrüstung aller Strecken mit
onventioneller Leit- und Sicherungstechnik.
Ich sage an dieser Stelle einmal ganz wertfrei: Wun-
erbar! Das hat aber Konsequenzen.
iese Konsequenzen sind beim Bundesverkehrsministe-
ium und bei der Deutschen Bahn AG zu beurteilen.
Hören Sie einmal zu, Herr Strobl! Sie können jetzt et-
as lernen. – Wir werden sie dann hoffentlich am 15. De-
ember im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
icklung beurteilen können. Dann wird auch von der
eutschen Bahn erklärt werden müssen, in welcher
orm sich diese auswirken werden, sowohl in finanziel-
er Hinsicht als auch in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit
es Projektes.
ir werden uns das anschauen, und dann werden wir
ieses Projekt, für das wir in den vergangenen Jahren in
en verschiedensten Parlamenten die Hand gehoben ha-
en, unter den neuen Bedingungen bewerten.
ch hoffe, das gilt auch für Sie. Sie werden doch keine
rojekte im Deutschen Bundestag befürworten, die am
nde nicht wirtschaftlich sind, oder?
8466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
Uwe Beckmeyer
)
)
– Nein, nicht ein bisschen dagegen, Herr Strobl! Wofür
sind Sie denn? Sind Sie für Projekte, die am Ende un-
wirtschaftlich sind, oder nicht? Das ist doch die ent-
scheidende Frage, vor der Sie sich momentan drücken.
Sie sind im Grunde eine parteipolitische Kampfma-
schine, die sagt: Egal was es kostet, wir machen das. –
Diese Position hatten wir schon einmal. Wir werden das
im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
des Deutschen Bundestages verfolgen
und von der Bundesregierung und auch von der Deut-
schen Bahn AG endlich Klarheit diesbezüglich bekom-
men.
Ich habe an dieser Stelle schon häufig darauf hinge-
wiesen: Die Deutsche Bahn AG hat in Bezug sowohl auf
den Aufsichtsrat als auch auf den Vorstand einen Corpo-
rate-Governance-Beschluss gefasst, und ich erwarte,
dass der Vorstand sich daran hält. Die Deutsche
Bahn AG ist ein betriebswirtschaftlich agierendes Unter-
nehmen, das genau schauen muss, wie es mit seinen In-
vestitionen umzugehen hat.
Wir werden uns anhören, was Herr Dr. Kefer dazu aus-
führen wird.
Als Letztes möchte ich einen Appell an Sie richten:
Im Laufe des Schlichtungsverfahrens ist eine Menge an
Informationen öffentlich geworden, die den Ausschüs-
sen und den Abgeordneten des Deutschen Bundestages
bisher vorenthalten worden sind.
So geht es nicht weiter.
Ich kann an dieser Stelle nur alle Beteiligten auffordern
– Ministerium, Bundesregierung und Deutsche Bahn AG –,
uns Abgeordneten in der Zukunft alle Informationen auf
den Tisch zu legen, damit wir sie offen und ehrlich be-
werten können.
– Herr Tiefensee hat keine Papiere unterdrückt. Aber uns
wurden die Papiere, die jetzt offengelegt worden sind,
bisher vorenthalten mit dem Argument, die Deutsche
Bahn AG sei ein eigenständiges wirtschaftliches Unter-
nehmen, das dem Deutschen Bundestag gegenüber keine
Berichtspflicht habe. Das ist falsch.
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Ich komme zum Schluss. Wir werden dafür sorgen,
ass Sie hier zukünftig nicht mehr mit der Streusand-
üchse hantieren. Wir wollen in dieser Frage Klarheit,
ffizienz und Sicherheit erreichen. Dann können wir das
rojekt in neuer Form bewerten.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Lange für die Unionsfrak-
ion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Zukunft braucht Wege. Stuttgart 21 ist ein Gleis in
ie Zukunft. Heiner Geißler hat mit seinem Schlichter-
pruch die Weichen auf Zukunft gestellt. Es geht um
ine Entscheidung für die kommenden Generationen.
ahnprojekte dieser Größenordnung waren schon immer
enerationenentscheidungen. Stuttgart-21-plus ist ein
ahnprojekt mega-plus.
Wir haben es heute schon ein paarmal gehört: Es gibt
ei dem Schlichterspruch keine Gewinner und Verlierer.
ch glaube, Heiner Geißler hat hier einen salomonischen
pruch gesprochen. Ihm gebührt nicht nur dafür der
ank der Beteiligten, sondern ihm gebührt auch der
ank unseres Hauses und der jungen Generation dafür,
ass er uns nicht aus dem Auge verloren hat.
Danke für diese Einschätzung. So jung bin ich leider
icht mehr. – Auf dem Weg der neuen Sachlichkeit sind
iele Aufgaben und Verpflichtungen mitgegeben wor-
en. Ich glaube, diese Anstrengungen haben sich ge-
ohnt.
Sie haben vorhin bezweifelt, dass wir das, was aufge-
eben wurde, ernst nehmen. Sie können sicher sein, dass
ir das ernst nehmen. Kollege Hermann, erlauben Sie
ir, dass ich Ihren Parteikollegen Boris Palmer zitiere,
er heute auf n-tv gesagt hat, dass er im Rahmen der
chlichtung Vertrauen zu Herrn Kefer von der DB ge-
unden hat. Angesichts dieses Vertrauens können Sie
och jetzt nicht sagen, dass hier etwas nicht ernst ge-
ommen wird. Vielmehr sollten Sie, nachdem Sie Heiner
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8467
Ulrich Lange
)
)
Geißler ins Spiel gebracht haben, das Votum respektie-
ren.
Ich möchte nochmals Boris Palmer zitieren, der Ihnen in
diesem Interview ausdrücklich widerspricht und sagt:
„Heiner Geißler hat Hervorragendes geleistet.“ Ich ap-
pelliere an Sie: Akzeptieren auch Sie diese Leistung.
Meine Damen und Herren von der SPD, liebe Kolle-
gin Kumpf, mir ist klar, dass Ihre Gemütslage nicht nach
Stille Nacht ist. So hilflos, wie Sie hier agieren, gleicht
Ihre Gemütslage auf dem Abstellgleis vielleicht eher ei-
nem Es geht eine Träne auf Reisen.
Mehr kann ich dazu wirklich nicht sagen.
Ich muss einen Satz zum Kollegen Hermann sagen.
Sie haben den baden-württembergischen Kirchturm an-
gesprochen. Dazu kann ich nur sagen: Wir in Bayern,
wir in Augsburg und München, freuen uns auf
Stuttgart 21, auf die Magistrale. Der Süden freut sich.
Heiner Geißler, herzlichen Dank für diesen Schlichter-
spruch.
– Sie werden es sehen.
Liebe Kollegin von der Linken, Sie bestreiten die de-
mokratische Legitimation und sagen: Die armen Leute
stehen auf der Straße und demonstrieren, aber am Ende
wird gegen das Volk entschieden.
Schauen Sie sich die Umfragen an: Die Mehrheit in Ba-
den-Württemberg ist für Stuttgart 21, die Mehrheit in
Stuttgart ist für Stuttgart 21.
Glauben Sie doch nicht, dass nur Ihre Meinung die
Mehrheitsmeinung ist.
Ich brauche es nicht noch einmal zu wiederholen,
dass es Ihr Verkehrsminister Tiefensee war, Herr
Beckmeyer,
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er viele Jahre lang das Verkehrsministerium innehatte.
r führte die Unterlagen und hat den Vertrag unterschrie-
en.
tellen Sie sich hier also nicht so hin und sagen Sie
icht, Sie hätten von all dem nichts gewusst. Sonst muss
ch fragen, wie die Kommunikation in Ihrem eigenen
aus lief.
Was die Menschen von uns erwarten, ist, dass wir als
ertreter einer repräsentativen Demokratie den Mut ha-
en, zu entscheiden und die Entscheidungen durchzuset-
en, und damit für Verlässlichkeit in unserem Rechts-
taat sorgen.
Mit Volksbefragungen
llein lösen Sie so ein Problem nicht. Ich erinnere Sie
ur an Dresden.
a ist die Volksbefragung nicht so gelaufen, wie Sie sich
as gedacht haben. Volksbefragungen sind kein Allheil-
ittel.
Ich kann Ihnen nur sagen: Kommen Sie zum Schlich-
erspruch zusammen. Wir nehmen ihn ernst. Kommen
ie auf das Gleis Zukunft. Steigen Sie ein in den Zug
Stuttgart 21“. Fahren wir gemeinsam auf diesem Gleis
n die Zukunft.
Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
ilger für die Unionsfraktion.
8468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss mich in dieser Debatte schon sehr wundern.
Worum geht es Ihnen eigentlich? Geht es Ihnen darum,
die Wirtschaftlichkeit des Projektes Stuttgart 21
schlechtzurechnen und damit das Projekt zu gefährden?
Oder geht es um die Verbesserungen, die in den Schlich-
tungsverhandlungen erzielt wurden? Das, was Sie hier
betreiben, ist doch keine verantwortungsvolle Politik.
Dass sich die Atmosphäre in den letzten Wochen ver-
ändert hat – ich darf daran erinnern, dass wir in der letzten
Aktuellen Stunde zu Stuttgart 21 auch über den Polizei-
einsatz diskutiert haben –, ist in der Tat ein Verdienst von
Heiner Geißler und der Schlichtungsgespräche, die wir
sicherlich alle mit Spannung verfolgt haben. Mein Dank
gilt ausdrücklich allen, die sich an diesen Gesprächen be-
teiligt haben. Bis auf die sogenannten Parkschützer, die
bei der Stuttgarter Bevölkerung nach wochenlangem
Dauercampen mittlerweile eher als Parkverschmutzer be-
kannt sind, haben auch alle relevanten Vertreter der Geg-
ner teilgenommen.
– Das können Sie aus Frankfurt alles gut beurteilen, Frau
Leidig.
Der Erfolg der Schlichtungsgespräche zeigt sich für
uns Befürworter auch daran, dass mittlerweile nicht
mehr diejenigen die öffentliche Meinung bestimmen, die
am lautesten schreien. Jeder interessierte Bürger konnte
sich sein eigenes Bild machen.
– Ich habe mir sehr wohl ein Bild gemacht.
Auch wenn viele der Gegner, Sie eingeschlossen,
Frau Leidig, immer wieder behauptet haben, sie hätten
die Mehrheit des Volkes hinter sich, zeigt sich doch zum
wiederholten Male – auch jetzt, in den jüngsten Umfra-
gen von Spiegel und ZDF –, dass eine knappe Mehrheit
der Baden-Württemberger für Stuttgart 21 ist.
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ine deutliche Mehrheit gibt es in der Region Stuttgart,
o sich die Bürger besonders intensiv mit den Fakten
eschäftigen.
m Übrigen kann ich nur dazu raten, sich einmal genau
it diesen Umfrageergebnissen auseinanderzusetzen.
ls Baden-Württemberger will ich dies verdeutlichen,
eil auch hier im Bundestag immer wieder – auch heute –
in anderer Eindruck vermittelt wurde. Bei der Neubau-
trecke Wendlingen–Ulm ist noch viel eindeutiger, dass
ie Mehrheit dafür ist: 41 zu 17 Prozent. Diese Zahlen
ollten sich alle, die von Baustopp und von einer Volks-
bstimmung in einem halben Jahr reden, ganz genau vor
ugen halten.
Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, auch ich kann
hnen nicht ersparen, zu sagen, dass Ihr durchsichtiges
anöver, mit der Forderung nach einer Volksbefragung
errain zu gewinnen, nicht belohnt wurde.
ur 5 Prozent der Befragten sehen die SPD als die Partei
n, die bei Stuttgart 21 ihre eigene Meinung am besten
iedergibt.
Lieber Christian Lange, es gibt eine Finanzierungs-
ereinbarung für Stuttgart 21. Diese Finanzierungsver-
inbarung beinhaltet einen Puffer. Daher sollten wir hier
etzt nicht spekulieren, welche Summen zusätzlich auf-
ebracht werden müssen. Darüber werden wir im Ver-
ehrsausschuss noch sprechen.
Ich möchte Sie von den Sozialdemokraten auffordern:
tehen Sie zu Ihrer ursprünglichen Position für
tuttgart 21.
iele Sozialdemokraten haben jahrelang überzeugend
ür Stuttgart 21 gekämpft. Verwerfen Sie dieses Hirnge-
pinst einer Volksabstimmung.
a schon so viel Geld investiert wurde, hat es jetzt,
ahre zu spät, keinen Sinn, darüber abstimmen zu lassen,
b Stuttgart 21 gebaut werden soll oder nicht. Auch das
st ein klares Ergebnis der Schlichtung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 1. Dezember 2010 8469
Steffen Bilger
(C)
)
Noch ein Hinweis von mir als Baden-Württemberger:
Vor allem die Grünen haben immer wieder behauptet,
wegen Stuttgart 21 fehle das Geld für andere Projekte im
Land.
– Sie nennen das Stichwort. – Sie haben versucht, die
Bürger gegeneinander auszuspielen, im Fall der Rhein-
talbahn Badener gegen Württemberger. Hier im Plenum
und im Verkehrsausschuss haben wir vielfach über die
Rheintalbahn gesprochen, dieses andere große und von
der Bevölkerung kritisch begleitete Schieneninfrastruk-
turprojekt in Baden-Württemberg. Eigentlich sind wir
uns alle einig, dass an der Rheintalbahn mehr Lärm-
schutz benötigt wird. Dazu gehört aber auch das Be-
kenntnis, dass mehr Lärmschutz mehr Geld kosten wird.
Das Land Baden-Württemberg hat sich bereit erklärt,
hierbei entstehende Mehrkosten mitzufinanzieren. Alle
Fraktionen des baden-württembergischen Landtags un-
Das ist ein klassisches Eigentor; so hat es auch die Lan-
despresse kommentiert.
Einmal mehr sind die Grünen dagegen, diesmal sogar
gegen mehr Lärmschutz. Wer so agiert, sollte aufhören,
von der Regierungsbank zu träumen.
Nachdem der Schlichter gesprochen hat, sollten wir
das Gesagte ernst nehmen. Auch ich bin den Grünen
durchaus dankbar, dass sie Schlichtung und Schlichter
ins Gespräch gebracht haben; das war eine gute Idee.
Aber nach der notwendigen Versachlichung der Debatte
ist es jetzt nötig, den Schlichterspruch anzuerkennen und
umzusetzen. Lassen Sie uns diesen Prozess auch im
Deutschen Bundestag konstruktiv begleiten.
Vielen Dank.
terstützen diese Position, nur eine ist dagegen: die Frak-
tion der Grünen.
Da fragt man sich, was mit den Grünen los ist. Vor
lauter Begeisterung für den Kampf gegen Stuttgart 21
haben die Grünen kundgetan, es sei nicht zulässig, dass
das Land Baden-Württemberg Stuttgart 21 mitfinanziert.
Dabei haben sie völlig übersehen, dass das aber auch für
die Rheintalbahn gelten müsste.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Donnerstag, den 2. Dezember
010, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.