Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nehmen Sie bitte Platz! Guten Morgen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Ich habe einige amtliche Mittei-lungen zu machen.Als Nachfolgerin der im Sommer ausgeschiedenenAbgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren begrüße ichdie Kollegin Kerstin Griese wieder herzlich im Deut-schen Bundestag.
Ich brauche Ihnen zu den Arbeitsmöglichkeiten und Be-dingungen hier nichts wirklich Neues mit auf den Wegzu geben. Wir freuen uns, dass Sie wieder da sind. Aufeine weiterhin gute Zusammenarbeit!Die Fraktion der CDU/CSU hat mitgeteilt, dass derKollege Dirk Fischer aus dem Eisenbahninfrastruktur-beirat ausscheidet.
Dies nimmt das Plenum des Deutschen Bundestages miterkennbarem Bedauern zur Kenntnis. Als Nachfolgerwird der Kollege Thomas Jarzombek vorgeschlagen,gsleddgZZZZRedet
den offenkundig große Erwartungen in dieses neue Amtbegleiten. Neues stellvertretendes Mitglied für die ausdem Bundestag ausgeschiedene Abgeordnete AstridGrotelüschen soll der Kollege Hans-Werner Kammerwerden. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? –Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die KollegenJarzombek und Kammer in den Beirat gewählt.Die nächsten Nachbesetzungen betreffen den Beiratder Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personen-verkehr. Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU sollder Kollege Josef Rief Nachfolger der aus dem Bundes-tag ausgeschiedenen Kollegin Lucia PuttricAuf Vorschlag der Fraktion der SPD soll dHeinz Paula für die Kollegin Elvira Drobnachrücken. Könnten Sie sich auch mit diesen
zu dem Antrag der Abgeordne-
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Leistungskürzungen bei den Unterkunftskos-ten im Arbeitslosengeld II verhindern – Ver-mittlungsverfahren mit den Ländern unver-züglich aufnehmen– Drucksache 17/3058 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussHaushaltsausschussZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahrenErgänzung zu TOP 30a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Fritz Kuhn, Ingrid Nestle, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENEntflechtungsinstrument ins Wettbewerbs-recht einfügen– Drucksache 17/3062 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Krista Sager, Sylvia Kotting-Uhl, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENTechnikfolgenabschätzung im Bundestag undin der Gesellschaft stärken– Drucksache 17/3063 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussc) Beratung des Berichts gemäß § 56 a GO-BT desAusschusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzungTechnikfolgenabschätzung
Technikfolgenabschätzung beim DeutschenBundestag – Eine Bilanz– Drucksache 17/3010 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
PetitionsausschussInnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungZZZZZ
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ZP 12 Unterrichtung durch die BundesregierungEnergiekonzept für eine umweltschonende,zuverlässige und bezahlbare Energieversor-gungund10-Punkte-Sofortprogramm – Monitoring undZwischenbericht der Bundesregierung– Drucksache 17/3049 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
RechtsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Darüber hinaus gibt es folgende Änderungen zur Ta-gesordnung: Der Tagesordnungspunkt 5 – Jahresberichtder Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit –wird abgesetzt. Stattdessen soll das Thema jetzt gleich an-schließend im Rahmen einer Vereinbarten Debatte beratenwerden. Der ursprünglich an dieser Stelle vorgeseheneTagesordnungspunkt 3 – Finanzierung des Gesundheits-wesens – wird nach der heutigen Aktuellen Stunde aufge-rufen. Außerdem muss der Tagesordnungspunkt 12 c ab-gesetzt werden.Schließlich mache ich auf eine geänderte Ausschuss-überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-sam:Der in der 59. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-lich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz zur Mitberatungüberwiesen werden. Die Überweisung an den Ausschussfür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
zur Mitberatung soll entfallen.Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-nisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohn-rechteverträge, Verträge über langfristigeUrlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträgeund Tauschsystemverträge– Drucksache 17/2764 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für TourismusSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so be-schlossen.Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, möchte ichSie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Am 18. September 2010 verstarb im Alter von80 Jahren unser ehemaliger Kollege Dr. Egon AlfredKlepsch. Er war der erste deutsche Präsident des Euro-päischen Parlaments. Der 1930 im Sudetenland gebo-reodbimelemsfahwEnwKuwPtiAWnDAHzoresaMledimwresbwje
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Sie haben aus aktuellem Anlass eine Debatteum Thema „20 Jahre Deutsche Einheit“ vereinbart,hne, wie ich eben erfahren habe, heute schon den Jah-sbericht der Bundesregierung zum Stand der Deut-chen Einheit 2010 diskutieren zu wollen. Dafür bin ichusgesprochen dankbar; denn ich habe ihn erst vor fünfinuten bekommen und konnte ihn natürlich noch nichtsen.
Auch 20 Jahre nach der von uns damals wie ein Wun-er erlebten Wiedervereinigung Deutschlands gibt esmer noch einiges, was zu debattieren ist; denn wirissen heute besser als damals, was das Zusammenfüh-n zweier so grundsätzlich anders strukturierter Teil-taaten innerhalb eines Landes auch an Langzeitfolgenedeutet. Es war gut, dass wir damals noch nicht allesussten, und es war hilfreich, dass es einen Druck ausnem Bevölkerungsteil gab, der sich zur Freiheit selbst
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6394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Ministerpräsident Dr. Wolfgang Böhmer
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befreit hatte. Wir wollten die Freiheit – wir bekennenuns auch heute noch dazu –, ohne dass wir damals frei-lich wissen konnten, welche Konsequenzen damit kurz-fristig und langfristig verbunden sein würden.Mit den Schwierigkeiten der Umwandlung einerabgeschirmten sozialistischen Planwirtschaft in eineweltoffene privatwirtschaftlich organisierte Wettbe-werbswirtschaft haben wir in den 20 Jahren viele Erfah-rungen gesammelt, sowohl mit Erfolgen als auch mitMisserfolgen. Die damalige Illusion vom Reichtumdurch den Verkauf von sogenanntem Volkseigentum ver-schwand in einem riesigen Finanzierungsdefizit, hervor-gerufen durch die notwendige ökologische Sanierungund die notwendige technologische Modernisierung.Die notwendige Wettbewerbsfähigkeit konnte nurdurch interne Rationalisierung und den massiven Abbauvon Arbeitsplätzen erreicht werden. Fast drei Viertel derArbeitnehmer in der ehemaligen DDR haben ihren Ar-beitsplatz wechseln müssen. Etwa ein Drittel hat ihnganz verloren. Wer nicht bald einen neuen fand, derfühlte sich enttäuscht von der Freiheit, für die er selbstmitgekämpft hatte. So kam es über die Jahre hinweg zueiner wechselnden Gemengelage von subjektiven Be-wertungen, die durchaus mit den objektiven Daten derwirtschaftlichen Entwicklung korrelierten.Die statistischen Ämter des Bundes und der Länderhaben vor wenigen Tagen eine vom Statistischen Lan-desamt Rheinland-Pfalz zusammengestellte Daten-sammlung herausgegeben, die die Entwicklung ausge-wählter Parameter in Deutschland zwischen 1991 und2009 sehr übersichtlich zusammenfasst, weshalb ich nurdarauf verweisen und Ihnen hier möglichst viele Zahlenersparen möchte. So ist die Wirtschaftsleistung je Ein-wohner in den neuen Bundesländern seit 1991 um rund100 Prozent gestiegen. Sie entspricht aber noch nichtdem Niveau in den westlichen Bundesländern, weil dieDichte der industriellen Arbeitsplätze noch deutlichniedriger ist.Die politische Bewertung solcher Vergleichszahlenhängt regelmäßig von den Vergleichsparametern und– das wissen Sie besser als ich – von der parteipoliti-schen Perspektive ab. Im Vergleich zu den ehemaligensozialistischen Bruderländern östlich von uns haben wirein hervorragendes Niveau erreicht.
Im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern ha-ben wir noch nicht die Durchschnittswerte erreicht. Die-jenigen, die schon vor 20 Jahren gegen die Wiederverei-nigung gestimmt haben, erklären das heute zu einerKatastrophe. Aber diejenigen, die sich auch heute nochüber das Wunder der Wiedervereinigung freuen, lassensich dadurch nicht entmutigen.
Dabei übersehe ich nicht, dass es Probleme gibt, dieuns noch längere Zeit begleiten werden. Eine große Zahlunterbrochener Erwerbsbiografien, eine große Zahl vonLekwssddesudesBhEfüdwünsbcliwmdgwMneEwdfösstipsgvwtiWdgz
s gibt Stichtagsunstimmigkeiten, die zu Problemen ge-hrt haben, über die durchaus noch diskutiert wird undie uns noch beschäftigen werden. Es ist deshalb not-endig, zu sagen, dass noch mehr als nur einiges zu tunbrig geblieben ist.Die Eigenfinanzierungsquote der Haushalte in deneuen Bundesländern liegt knapp über 50 Prozent. Wirind dankbar für die riesigen finanziellen Hilfen, die wirekommen haben und die wir leider immer noch brau-hen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass sie in der Öffent-chkeit zunehmend als lästig empfunden werden. Auchir möchten einen Zustand erreichen, in dem wir nichtehr hilfsbedürftig sind, und dies möglichst nicht nururch den normalen Finanzausgleich, sondern durch ei-ene Leistung. Wir werden nicht erfolgreich sein, wennir nur nachmachen, was andere vor uns schon bis zurarktsättigung gemacht haben. Wer in uns einmal nichtur Hilfsempfänger sehen möchte, sollte uns die Chanceinräumen, auch in den neuen Ländern Forschungs- undntwicklungskapazitäten aufzubauen, um selbst wettbe-erbsfähig zu werden.
Auch dabei gilt die Maxime, dass wir die Teilung nururch Teilen überwinden können. Was an Wirtschafts-rderung für private Unternehmen noch möglich ist,ollten wir auf diese Zielstellung konzentrieren. Die sehrchmale, mit öffentlichen Mitteln ausgehaltene Innova-onslandschaft in Ostdeutschland ist völlig anders ge-rägt als in Westdeutschland und aus eigener Wirt-chaftskraft noch nicht lebensfähig. Wir müssen deshalbemeinsam nach neuen Wegen und Methoden der inno-ationspolitischen Förderung suchen und dies ohne Arg-ohn untereinander zulassen.Viele Nebenwirkungen dieses globalen Transforma-onsprozesses und die noch immer bestehende negativeanderungsbilanz der neuen Bundesländer konnten nururch die neben der Währungs- und Wirtschaftsunioneschaffene Sozialunion abgefedert werden. Ohne denusätzlichen Finanztransfer der Sozialkassen hätten wir
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Ministerpräsident Dr. Wolfgang Böhmer
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diesen strukturellen Transformationsprozess innerhalbeines Landes nicht ausgehalten.Die auch nach 20 Jahren gelegentlich aufflackerndeDiskussion über einen anderen Weg zur Wiedervereini-gung, zum Beispiel über ein sogenanntes Kondominiummit eigener Währung, ist irreal; das hätten die Menschenin Ost und West damals nicht mit sich machen lassen.
Es ist auch irreal, zu glauben, dass sich 60 MillionenDeutsche mit einem erfolgreichen Wirtschaftssystemund einem geschätzten Grundgesetz von einer kleinenGruppe von 16 Millionen Ostdeutschen mit einem ge-scheiterten Wirtschaftssystem, von denen ein Teil schonauf dem Koffer saß und die untereinander durchaus nichteiner Meinung waren, hätten erklären lassen wollen, wieman die Welt hätte verbessern können.Trotz aller Folgeprobleme sind wir immer nochglücklich darüber, dass 329 Tage nach der erzwungenenMaueröffnung ausreichten, um Deutschland zu vereini-gen und Europa den Weg dazu zu öffnen.
Damit das so bleibt, bitte ich ausdrücklich darum,sich im Bereich der sozialen Ausgleichsstrukturen allenForderungen nach der Lösung regionaler Problemedurch erneute Regionalisierung zu widersetzen. In einerZeit notwendiger Reformen, die den Menschen auch Be-lastungen abverlangen, dürfen die sozialen Ausgleichs-strukturen nicht zur Disposition gestellt werden.
Es ist nicht möglich und auch nicht vorgesehen, in ei-nem kurzen Debattenbeitrag alle Probleme der Wieder-vereinigungspolitik anzusprechen. Weil über ein Themain der Öffentlichkeit sehr häufig diskutiert wird, möchteich dazu allerdings noch ganz kurz ausführen, nämlichzu der noch immer behaupteten Mauer in den Köpfennach Entfernung der tatsächlichen Mauer.Wahr ist, meine Damen und Herren, dass in Umfragenzu politisch bedeutsamen Wertungen und bei Wahlen dieMenschen in den neuen Bundesländern andere Vertei-lungsmengen erzeugen und damit andere Verhaltens-muster bezeugen. Wahr ist auch, dass eine Sozialisationin einer vormundschaftlich organisierten Diktatur zu an-deren Verhaltensmustern führen musste als eine Soziali-sation in einer freiheitlichen Wettbewerbsgesellschaft.Weder muss sich der eine wegen des Versagens seinesWirtschaftssystems persönlich betrogen und als Menschzweiter Klasse fühlen, noch kann der andere so auftre-ten, als sei der Erfolg seiner Wirtschaftsstrukturen seinganz persönlicher gewesen.
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azu ein einziges Beispiel. Ziemlich oft bin ich gefragtorden, warum es in der DDR so viel Opportunismusegeben habe. Ich gebe zu: Ich kann da gar keinen gro-en Unterschied sehen, nur andere Ausdrucksformen. Ininer Diktatur resultiert angepasstes Verhalten aus derngst vor Nachteilen und einem Abstieg, in einer Wett-ewerbsgesellschaft aus der Hoffnung auf Vorteile undinen Aufstieg. Das ist nicht das Gleiche, aber ein sehrergleichbares menschliches Verhaltensmuster.
So gibt es auch nach 20 Jahren noch Aufgaben, dieir zum Erreichen gleichwertiger Lebensverhältnissesen müssen, und Aufgaben, die wir lösen müssen, umu verhindern, dass uns die sozialutopische Illusion ei-es sogenannten konfliktfreien Lebens noch einmal von-inander trennt. Nichts schweißt Menschen mehr zusam-en als gemeinsame Erfolge. Wenn wir in den nochngelösten Problemen gemeinsame Aufgaben sehen undei der Aufarbeitung der Folgen unserer getrennt erleb-n, aber trotzdem gemeinsamen Geschichte erfolgreichind, dann wird auch die innere Einheit bald vollendetein.Ich danke Ihnen.
Dagmar Ziegler ist die nächste Rednerin für die SPD-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ehr geehrter Herr Ministerpräsident! Wir haben es ge-de gehört – wir als SPD-Fraktion teilen diese Haltungelbstverständlich –: Ost- wie Westdeutsche haben inen vergangenen 20 Jahren Großes geleistet. Das warine herausragende Leistung, die, wie ich glaube, mitichts in der deutschen Geschichte vergleichbar ist. Sieat viel Kraft erfordert, und sie hat auch viel Geld erfor-ert.Wenn wir uns die Statistiken ansehen, dann stellenir fest, dass zwischen dem Jahr 2000 und demahr 2009 eine extreme Steigerung stattgefunden hat,as den strukturellen Konvergenzprozess angeht, alsoeispielsweise das Bruttoinlandsprodukt, die Produktivi-t, die Exportquote und auch die Selbstständigenquote.ier ist uns wirklich eine sehr große Annäherung gelun-en. Allerdings ziehe ich die Statistik etwas in Zweifel,
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Dagmar Ziegler
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weil immer der Durchschnitt der westdeutschen Ländermit dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder vergli-chen wird. Ich glaube, es wäre besser, in Zukunft denVergleich zwischen strukturschwachen Regionen inWestdeutschland und strukturschwachen Regionen inOstdeutschland anzustellen.
Dann könnte man den Konvergenzprozess besser ablei-ten, und man würde deutlicher sehen, was bereits er-reicht wurde und was in Zukunft noch notwendig ist.Wir können feststellen – auch der Bericht zeigt das –:Es ist zwar schon viel geschafft worden, aber es gibtnoch viel zu tun. Beispielsweise ist die Arbeitslosen-quote im östlichen Teil Deutschlands fast doppelt sohoch wie im westlichen Teil. Daran sieht man, dass diestrukturellen Probleme bei weitem noch nicht gelöstsind.Bei aller Anerkennung dafür, dass in den letzten20 Jahren viel Geld von West nach Ost geflossen ist,muss man sich den Haushaltsentwurf dieser Bundesre-gierung einmal genauer ansehen. Spiegelt sich darin wi-der, was die künftigen Handlungsnotwendigkeiten in Ostund in West ausmacht? Wir haben den Eindruck, dassdas, was wir in 20 Jahren aufgebaut haben, gleich wiederabgerissen werden soll – und das im 20. Jahr der deut-schen Einheit. Wir müssen feststellen, dass die Sparpo-tenziale, die im Regierungsentwurf aufgezeigt werden,auf Kosten des Ostens gehen.
Einige Politikfelder will ich Ihnen dafür beispielhaftnennen:37 Prozent des gesamten Sparvolumens fallen in denBereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Dasheißt, dort, wo mehr Geringverdiener, mehr Arbeitslosevorhanden sind – das ist leider Gottes im Osten Deutsch-lands der Fall –, werden die Kürzungen stärker durch-schlagen als im westlichen Teil Deutschlands.
Ostdeutschland wird damit viel härter getroffen – mit allden Folgewirkungen für das Konsumverhalten, fürKleinbetriebe, für den Mittelstand, für Handwerker etc.Das muss man einfach wissen und bei einem Haushalts-entwurf bedenken.
Weiter steht im Bericht zum Programm „Kommu-nal-Kombi“:Auch nach der Erweiterung der förderfähigen Re-gionen im April 2009 lag der Schwerpunkt des Pro-gramms in den ostdeutschen Ländern, so dass ins-besondere die Menschen unterstützt werdenkonnten, die auf Grund der in vielen ostdeutschenKreisen angespannten Arbeitsmarktlage und derSchwäche der regionalen Wirtschaft keine Arbeitfinden konnten.gmEAFtedasGfiimnneAeimgAdcLebtiri8Dwd„hSabwswime
as wissen Sie als CDU/CSU-FDP-Koalition genausoie wir. Schauen wir uns dies einmal an! Die Mittel fürie Städtebauförderung, wozu auch die ProgrammeStadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“ gehören, sollenalbiert werden. Ich glaube, Herr Ramsauer wartet aufie, darauf, dass die Koalition dies ändert. Wir werdenuch weiter gegen die Kürzung protestieren. Gehen Sieitte in die Städte, die davon profitiert haben, auch in dieestdeutschen Städte, die davon profitieren, undchauen Sie sich an, was bei einer Halbierung passierenürde! Im Osten würde dies wieder stärker wirken als Westen. Das muss man sich in seinen Auswirkungeninfach einmal ansehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6397
Dagmar Ziegler
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Im Bericht steht:Zugleich beeinflusst eine Reihe noch bestehenderstruktureller Ungleichgewichte das gesamtwirt-schaftliche Ergebnis. Hierzu zählt z. B., dass dieostdeutsche Wirtschaft nach wie vor eine ver-gleichsweise geringe Zahl großer kapitalkräftigerUnternehmen aufweist. So waren 2008 laut Deut-schem Institut für Wirtschaftsforschung … von den700 größten Unternehmen in Deutschland lediglichfünf Prozent in den neuen Ländern ansässig.Was macht die Bundesregierung? – Sie führt ein Sti-pendienprogramm ein, durch das Studierende mithilfe fi-nanzstarker Unternehmen unterstützt werden sollen. Siewissen, was das in Ostdeutschland bedeutet: kein Profitfür Ostdeutschland durch dieses Programm.
Daneben kürzt sie die Ausgaben für die Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-schaftsstruktur“, obwohl sie – auch das ist wieder ein Zi-tat aus dem Bericht – „das zentrale Instrument derInvestitionsförderung bleibt“. Wie bitte soll das bei einerKürzung funktionieren?
Noch ein paar Sätze zur Familienpolitik. In SachenFamilienpolitik legt die Bundesregierung im Bericht auffolgende Fakten Wert: 20 Euro mehr Kindergeld seit Ja-nuar 2010, die Feststellung, dass das Elterngeld sozialausgewogen ist, und die Einführung des Rechtsan-spruchs auf Kinderbetreuung ab dem Jahr 2013. – Sosteht es in dem Bericht.Tatsache ist: Durch die Kindergelderhöhung und dieErhöhung der steuerlichen Kinderfreibeträge werdengutverdiendende Eltern überproportional bevorteilt. Woleben sie? – Sie leben im Westen Deutschlands. Zukünf-tig sollen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängerkein Elterngeld mehr erhalten, dafür aber beispielsweisedie gutverdienende Notarsgattin.Den Kommunen wird durch die Steuerpolitik derBundesregierung zunehmend die finanzielle Basis fürden Ausbau der Infrastruktur weggenommen. Also: Wortund Tat bilden keine Einheit.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Der Osten wird in Zukunft noch mehr schmerzliche
Einschnitte hinnehmen müssen. Sie wissen: Der Solidar-
pakt läuft 2019 aus, die Höchstförderung durch die EU-
Strukturfonds wird wegfallen,
und es wird – so sieht es nach dem Regierungsentwurf
aus – noch mehr Ost-Sparpakete geben.
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ahren Sie einmal in den Osten! Ich glaube, ein großer
eil von Ihnen war vielleicht noch nicht dort.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Kurth für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Bevor ich starte, möchte ich sagen, dass ich michersönlich sehr freue, hier sprechen zu dürfen. Das be-egt mich sehr.Viele von Ihnen waren vor 20 Jahren bereits politischktiv, hatten Verantwortung und haben gestaltet. Ich wars nicht; das gebe ich zu. Ich war 13 Jahre alt und bittea um Nachsicht. Ich bin damals zum Beispiel davonusgegangen, dass ich im DDR-Schulsystem kein Abiturachen und dementsprechend nicht studieren werde.989 bin ich auch davon ausgegangen, meine Westver-andtschaft erst in 50 Jahren sehen zu können, wenn sieann noch leben würde.Dass es anders gekommen ist, ist eine schöne Ent-icklung. Die Ostdeutschen haben die Mauer eingeris-en; wir haben Deutschland gemeinsam vereinigt. Wiraben eine beachtliche Entwicklung „hingelegt“, undeute reden wir über 20 Jahre deutsche Einheit. Das istewegend, und das ist schön.
Die Folgen von 40 Jahren Teilung können auch in0 Jahren nicht ohne Spuren heilen, aber durch die letz-n 20 Jahre zeigt sich, dass der Einigungsprozess eineroße Erfolgsgeschichte ist. In dem Jahresbericht wirdum Beispiel davon gesprochen – ich finde, zu Recht –,ass in den letzten 20 Jahren in Ostdeutschland ein klei-es Wirtschaftswunder stattgefunden hat. Das ist undleibt richtig.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Was hat dieDR hinterlassen? – Sie hat eine verschlissene Infra-truktur, einen veralteten Kapitalstock und zerstörtesnternehmertum hinterlassen, und mit der Wende tratin ausgesprochen großes Problem auf: Es gab ein er-ebliches, nachvollziehbares Potenzial für Abwande-
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6398 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Patrick Kurth
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rung in den Westen. Dass diese enorme Mobilität diepolitischen Gestaltungsmöglichkeiten einschränkte, wis-sen wir; dass sie die politischen Akteure unter einen un-geheuren zeitlichen Druck setzte, wird heute leider oftvernachlässigt. Sie alle kennen den Ruf aus der Zeit:Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehenwir zu ihr.
Das muss man auch berücksichtigen, wenn man über diedeutsche Einheit spricht.Mit relativ großem Unverständnis habe ich deswegenzum Beispiel das gelesen, was der Wirtschaftsministeraus dem Land Thüringen – er hat auch einmal einer Bun-desregierung angehört; nicht dieser, sondern einer ande-ren –, Herr Machnig, im September in einem sogenann-ten Mittelstandsförderprogramm verlautbaren lässt:Von dieser hektischen Aufholjagd sollten sich dieneuen Länder 20 Jahre nach der Vereinigung verab-schieden. Diese hatte negative Begleiterscheinun-gen wie Niedriglöhne, Abwanderung und unüber-legte Ansiedlungen, die einzelne Regionen nichtweitergebracht, sondern zurückgeworfen haben.
Meine Damen und Herren, das schreibt ein Wirt-schaftsminister eines solchen „neuen Landes“ im Sep-tember des Jahres 2010: „zurückgeworfen“!
– Ach, er hat recht. Das ist ja noch interessanter. Es gibtin Ostdeutschland Millionen Menschen, denen es heuteschlechter geht als 1990? Das können Sie doch wahrlichnicht behaupten. Das geht doch überhaupt nicht, meineDamen und Herren.
Worüber wir reden können, ist die Frage, ob die sozia-len Lebensverhältnisse zum Beispiel mancher SED-Op-fer genauso stark gestiegen sind wie die vieler SED-Tä-ter und SED-Mitläufer. Aber das ist heute nicht dasThema.
Ihr Entschließungsantrag spricht – Achtung! – von einer– ich zitiere – „vermeintlich desolaten Ausgangslage“. –Vermeintlich! Das müssen Sie gleich mal erklären, was Siemit einer „vermeintlich desolaten Ausgangslage“ meinen.
Meine Damen und Herren, es gibt viele Zahlen zumAufholprozess. Wir hören gerade jetzt in diesen Tagen,bei den 20-Jahr-Feiern, sehr viel dazu. Ich will nur eineZahl nennen, weil das das Ganze noch mal plastischmacht. Die Arbeitsproduktivität der neuen Bundeslän-der im Vergleich zum Westen ist in den letzten JahrenvgWdlejereATdpaLaBmwsbbabvdEhhd–dshhwKrekcvreimaszzänw
20 Jahre deutsche Einheit heißt aber auch – ich kommeuf die Abwanderung noch zu sprechen –, dass wir denegriff „Aufbau Ost“ noch einmal deutlich definierenüssen. Es ist heute kein abgetrenntes Politikfeld mehr,ie das in den 90er-Jahren richtig war. Viele Themen, dieich in der einen oder anderen Region etwas deutlicheremerkbar machen oder woanders auch weniger deutlichemerkbar machen, sind gesamtdeutsch. „Aufbau Ost“ls Begriff ist übrigens im Westen und auch im Osten un-eliebt, weil er eher trennt, anstatt zu verbinden.Dennoch sind einige Probleme in Ostdeutschland sehriel signifikanter als im Westen. Der Herr Ministerpräsi-ent sprach die Arbeitslosigkeit an, sprach die Rente an.ines der größten Probleme ist die Abwanderung. Wiraben eine hohe Abwanderungsquote. Wir konnten dieseohe Abwanderungsquote trotz der Angleichung nicht iner Weise mildern, wie wir das gern gewollt hätten.
Wir hatten den Wendeknick, Frau Gleicke. Der Wen-eknick bedeutete den größten ohne Kriegseinwirkungtattfindenden Geburtenabsturz in Deutschland über-aupt. Wir haben seitdem eine Abwanderung in unerhörtohen Ausmaßen über Jahre hinweg. Das ist so.Übrigens haben wir jetzt bereits Teil zwei dieser Ab-anderung: In diesen Jahren ab 2010 fehlen bereits dieinder derjenigen Kinder, die vor 20 Jahren nicht gebo-n worden sind oder deren Eltern abwanderten. Soommen wir in eine nächste Stufe.
Die dadurch entstehende Überalterung hat erhebli-he Folgen für die Sozialsysteme, die Infrastruktur undieles mehr. Aber – auch das will ich sagen – das ist keinin ostdeutsches Problem, auch wenn viele Regionen Osten davon betroffen sind. Das Problem wird auchuf den Westen zukommen, vielleicht nicht so hart undo schnell, aber es wird auch dort ankommen. Wenn mirum Beispiel mein Kollege Luksic vom Saarland er-ählt, dann stellen wir fest, dass wir da in vielen Fällenhnliche Probleme haben, und das Saarland liegt ja nunicht unbedingt im Osten unserer Republik. Daher ist esichtig, zu wissen, dass die Konzepte, die wir entwi-
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Patrick Kurth
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ckeln, im Osten anwenden und dort erfolgreich prakti-zieren können, Vorbild auch für die Entwicklung imWesten sein können.Eines muss klar sein: In Gänze können wir die bishe-rige Entwicklung leider nicht umdrehen. Weder im Ostennoch im Westen können die fehlenden Kinder 20 Jahrespäter auf die Welt gebracht werden. Aber wenn wir dierichtigen Strategien anwenden, dann können gelungeneKonzepte aus dem Osten Vorbild für den Westen sein.Was können wir von der deutschen Einheit lernen?Ich glaube, wir können sehr viel von der Aufbruchstim-mung von 1990 lernen. Die DDR-Bürger stellten sichquasi über Nacht auf ein völlig neues System ein. Siekrempelten ihr Leben um. Sie haben neue Sprachen ge-lernt, sie haben umgelernt, sie haben neue Berufe ange-fangen, und sie haben persönliche Belastungen und Risi-ken auf sich genommen. Sie haben das getan, weil siedie Vision von einem besseren, eigenbestimmten Lebenhatten. Diese Haltung könnte auch heute Vorbild für un-sere Gesellschaft sein.
Es wurde gerade umfänglich aus dem Sparpaket zitiert.Wir können übrigens aus dem Untergang der DDR auchlernen, dass das Ausplündern der Staatskasse zum Kol-laps führen kann. Ein Staat muss sich finanzieren kön-nen.
Manchmal ist es auch angesichts der Fehler, die gesche-hen sind, hilfreich, sich an die Worte der ehemaligenVolkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl zu erinnern, diesagte: Ja, es sind Fehler gemacht worden, und ich verspre-che Ihnen, beim nächsten Mal machen wir es besser. –Das hilft manchmal auch schon.
Mit Blick auf die Uhr komme ich zum Schluss.
Sehr gut.
Ich möchte noch eines sagen: Gleichwertige Lebens-
verhältnisse wollen wir anstreben. Wir werden aber
keine gleichen Lebensverhältnisse in ganz Deutschland
erreichen. Das müssen wir auch gar nicht. Was wir aber
möchten, ist, dass alle Menschen in Deutschland die
gleichen Voraussetzungen vorfinden, um ein glückliches
und selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Einheit füh-
ren zu können. Dafür steht diese Koalition.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist Kollegin Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
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ein Eindruck ist allerdings, dass sich diejenigen selbstm meisten feiern, die am wenigsten für die deutscheinheit getan haben.
Haben Sie sich zum Beispiel schon einmal die Frageestellt, wie viele der Montagsdemonstranten von 1989tzt von Hartz IV leben müssen und dadurch gedemü-gt werden? Ist das Ihre Vorstellung von deutscher Ein-eit? Alle Bundesregierungen der letzten 20 Jahre habeniel getan – der Kollege von der FDP hat es schon ange-prochen –, um Zwietracht zwischen Ost und West zuäen.
ie taz aus Berlin titelte am Dienstag dieser Woche zu-effend: „Merkel zementiert neue Mauer“. Die auf deritelseite abgebildete Hartz-IV-Deutschlandkarte zeigteutlich die Grenzen der ehemaligen DDR. In Ost-eutschland leben lediglich 15 Prozent der Bevölkerung,ber 34 Prozent der Hartz-IV-Empfänger. Sie haben mitrer Politik aus Ostdeutschland ein Hartz-IV-Land ge-acht, und das ist alles andere als eine gelungene deut-che Einheit.
eute gibt es allerdings eine weitere Karte in derselbenageszeitung. Dort steht, der Osten sei arm, aber schlau.ber davon profitiert vor allen Dingen der Westen, weilut ausgebildete junge Leute in den Westen gehen. Nachrer Rede, Herr Kurth, hätte ich allerdings diesen Kom-entar am liebsten vergessen. Für Sie trifft er nicht zu.
Wir haben die Einheit erst wirklich erreicht, wenn wiragen können: Wir haben gleiche Renten, gleiche Löhne,ie gleiche Anzahl von Kitaplätzen, die gleiche Anzahlon Polikliniken in Ost und West. Das wäre ein gutesiel, aber das strebt die Bundesregierung augenschein-ch nicht an.Meine Damen und Herren, sagen wir es ganz deut-ch: Alle Bundesregierungen haben dafür gesorgt, dassut gebildete Ostdeutsche keine Chance bekommen, um dieser Gesellschaft wirklich aufzusteigen. Es gibt inieser Bundesregierung keinen Minister und keinen be-mteten Staatssekretär, keinen Intendanten einer ARD-nstalt, keinen Chefredakteur einer überregionalen Ta-eszeitung,
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6400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Gesine Lötzsch
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keinen Sternegeneral der Bundeswehr und keinen Rich-ter des Bundesverfassungsgerichtes mit einer ostdeut-schen Biografie. Das ist wirklich kein Zufall. Nur dieKanzlerin – sie ist gerade verschwunden – stammt ausdem Osten.
Aber was hat sie denn für den Osten getan? Was ist ausihrem Versprechen geworden, endlich die Renten Ostund West anzugleichen? Kein Wort dazu habe ich seitder Wahl gehört.
Die Ausgrenzung der ostdeutschen Eliten wird mitihrer Staatsnähe begründet. Wer in der DDR staatsnahwar, sollte in diesem Land keine zweite Chance bekom-men. Staatsnah war schon jeder DDR-Bürger, der nichtals Partisan in den Thüringer Wald ging, um mit derWaffe in der Hand gegen das Politbüro zu kämpfen.
Doch selbst die ehemaligen Bürgerrechtler, die die DDRmit allen Mitteln bekämpften, konnten in der bundes-deutschen Elite nicht aufsteigen. Kein einziger ehemali-ger Bürgerrechtler ist in der Bundesregierung vertreten.Sie haben sie alle entsorgt.
Meine Damen und Herren, wir reden am Tag derDeutschen Einheit immer sehr viel über den Osten; aberdie deutsche Einheit hat auch etwas mit dem Westen zutun. Jetzt stellen wir uns einmal die Frage: Wie hat sichdas Leben der Menschen in Westdeutschland seit demFall der Mauer verändert?
Hatten sie die Chance, Dinge aus dem Osten zu bekom-men, von denen jetzt viele sagen: „Die hätten wir gernegehabt“? Ich denke an Kindergartenplätze, Polikliniken,Bildungschancen. Ganz im Gegenteil: Das Leben derWestdeutschen hat sich seitdem verändert, in vielen Fäl-len verschlechtert: seitdem sinken die Löhne, seitdemgibt es immer mehr Jobs, von denen man nicht lebenkann, und seitdem gibt es Hartz IV.An dieser Stelle will ich etwas länger verweilen. Wirhaben in dieser Woche schon sehr viel über Hartz IVdiskutiert. Es ist unglaublich, wie diese Bundesregierungarbeitslose Menschen ausspioniert, entmündigt und be-leidigt. Was für einen Arbeitslosen gut oder schlecht ist,das will unsere Arbeitsministerin als Supernanny ent-scheiden. Ich sage Ihnen: Arbeitslose sind keine kleinenKinder, sondern mündige Bürger.Icrabddkdznwa–wdwbwszwbkDKvdd
h kenne genügend gebildete Arbeitslose, die wederuchen noch Alkohol trinken und einfach keine Arbeitekommen, weil sie über 50 Jahre alt sind. Das ist docher eigentliche Skandal, und darüber sollten wir hier iniesem Parlament viel deutlicher reden.
Ich sage Ihnen auch: Der Eingriff in die Persönlich-eitsrechte von Arbeitslosen ist eine Schande für einenemokratischen Rechtsstaat. Das hat mit Freiheit nichtsu tun.
Seit der deutschen Einheit sinken die Renten.
Einen Augenblick, bitte. – Alle nachfolgenden Red-
er können alles zurückweisen, was gerade vorgetragen
ird. Aber vorgetragen werden darf das; darauf lege ich
llergrößten Wert.
Ja, selbstverständlich.
Jetzt hat die Frau Kollegin Lötzsch das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bin gespannt auf dieeiteren Beiträge in dieser Debatte; das ist doch klar.Seit der deutschen Einheit sinken die Renten in West-eutschland. Seit der deutschen Einheit sterben erstmalsieder Soldaten in Kriegen. Ist es da nicht nachvollzieh-ar, dass viele Westdeutsche die Mauer wieder habenollen?
Meine Damen und Herren, wie konnte das alles pas-ieren? All das wäre in Zeiten der Systemkonkurrenzwischen Kapitalismus und Sozialismus unmöglich ge-esen. Aber mit dem Wegfall dieses Wettbewerbs glau-en viele, auf die soziale Marktwirtschaft verzichten zuönnen. Seit dem Fall der Mauer, so formulierte es derramatiker Heiner Müller, stecken wir bis zum Hals imapitalismus. Je schlechter die soziale Situation füriele Menschen in Ost und West ist, desto heftiger sindie Angriffe auf die längst untergegangene DDR. Aberarum geht es eigentlich gar nicht.
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Dr. Gesine Lötzsch
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Es geht darum, dass es eine Alternative zu dieser ka-pitalistischen Gesellschaft geben muss. Wir als Linkelassen uns nicht abschrecken. Wir kämpfen für eine Ge-sellschaft, die nicht profit- und angstgesteuert ist, dieMenschen nicht ausgrenzt und demütigt. Wir setzen viel-mehr auf eine Gesellschaft mit Solidarität und Gerech-tigkeit.
Davon lassen wir uns von niemandem abhalten.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob dieLage besser ist als die Stimmung, wie Herr Minister deMaizière oft sagt, darüber kann man diskutieren. Es istaber auf jeden Fall falsch, Ostdeutschland auf dasThema Hartz IV zu reduzieren.
Die Bilanz nach 20 Jahren deutscher Einheit ist zwei-felsfrei positiv. Neben Licht gibt es aber auch Schatten.Der wirtschaftliche Aufholprozess in Ostdeutschland hatseine Dynamik verloren. Die wirtschaftliche Leistungs-kraft der neuen Länder stagniert bei ungefähr 73 Prozentdes westdeutschen Bruttoinlandsprodukts. Wir habeneine verfestigte Arbeitslosigkeit, die doppelt so hoch istwie in den alten Bundesländern.Ein schon angesprochenes besonderes Entwicklungs-hemmnis für die ostdeutsche Wirtschaft ist die anhal-tende Abwanderung junger ausgebildeter Menschen.Sie fehlen künftig als Unternehmensgründer und als Be-triebsnachfolger. Junge Leute, die an unseren attraktivenostdeutschen Hochschulen ausgebildet werden, müssenwir halten. Ich sage an dieser Stelle: Wer den Wettbe-werb um die klügsten Leute gewinnen will, wird diesesZiel nicht mit einem niedrigen Lohnniveau erreichenkönnen.
Wir können es uns nicht leisten, dass bis zu10 Prozent der Schuljahrgangsabgänger die Schule ohneAbschluss verlassen. Das kann sich Ostdeutschlandnicht leisten. Auch deshalb schlagen wir vor, den Soli ineinen Bildungssoli umzuwandeln.sredliaInGgwgüdvRBesdnnvABfüdunsszwSmksPFdBDdKOW
Ostdeutschland erlebt einen Teilungsprozess in einer-eits wirtschaftlich potente Wachstumskerne und ande-rseits abgekoppelte Regionen. Dieser Prozess wirdurch den demografischen Wandel beschleunigt.Wir glauben, dass die bisherigen Konzepte einernearen, nachholenden Modernisierung, die sich oft nuruf den Infrastrukturausbau beziehen – wir haben keinefrastrukturlücke mehr –, nicht ausreichen, um die imrundgesetz verankerte Vorgabe der Herstellungleichwertiger Lebensverhältnisse zu erreichen; dennir sind weit davon entfernt.
Wenn wir über das Ziel der Herstellung gleichwerti-er Lebensverhältnisse reden, dann müssen wir auchber soziale, kulturelle und wirtschaftliche Mindeststan-ards reden und klären, was die Sicherung der Daseins-orsorge vor allem in strukturschwachen ländlichenäumen heißt. Ich glaube nicht, dass das heißt, dass derus in der Woche ein Mal täglich fährt und am Wochen-nde gar nicht mehr.Wir müssen feststellen, dass die Rahmenbedingungenchwieriger werden und diese durch die Politik der Bun-esregierung zusätzlich verschärft werden. Die Kommu-en im Osten haben nur geringe Einnahmen. Darüber hi-aus werden ihnen immer mehr Aufgaben und damiterbundene Ausgaben zugewiesen. Ich erwähne nur dennteil der Kosten der Unterkunft.Schaut man sich die aktuellen Sparmaßnahmen derundesregierung an, dann muss man sagen: Die Mittelr die Städtebauförderung zu kürzen, ist kontrapro-uktiv. Wenn man die Programme „Stadtumbau Ost“nd „Soziale Stadt“ infrage stellt, wie will man dannoch die Abwanderung stoppen? Wir brauchen einetädtebauliche Aufwertung und Qualifizierungs- und Be-chäftigungskonzepte im Rahmen des Programms „So-iale Stadt“. In diesem Bereich zu kürzen, ist ein schwer-iegender politischer Fehler.
Wenn wir mit den herkömmlichen Rezepten derchrumpfung ostdeutscher Regionen nicht beikommen,üssen wir uns fragen, wie ein selbsttragender Zu-unfts- und Entwicklungspfad für die neuen Länder aus-ehen kann. Wir sagen ganz klar: Wir brauchen einenerspektivwechsel in der Wirtschaftsförderung. Dieörderpolitik muss neu ausgerichtet werden, weg voner Investitions- und Infrastrukturförderung, hin zu einerildungs- und Innovationsförderung.
ie Förderpolitik muss ferner daran angepasst werden,ass mehr als 80 Prozent der Arbeitsplätze in Kleinst-,lein- und mittelständischen Unternehmen existieren. Instdeutschland gibt es viele Unternehmensgründungen.ir merken aber, dass viele Akteure und Projekte gerade
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6402 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Stephan Kühn
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in schrumpfenden Regionen nicht auf dem Radarschirmgängiger staatlicher Infrastrukturprogramme sind. Nur5 Prozent der industriellen Aufwendungen für For-schung und Entwicklung werden in den neuen Bundes-ländern getätigt. Das ist deutlich zu wenig.Wir sagen deshalb: Die Investitionszulage muss ineine Innovationszulage umgewandelt werden. Wir sa-gen auch ganz klar: Die Stärkung des Bildungs- und For-schungsstandorts Ostdeutschland hat für uns oberstePriorität. Statt 10 Kilometer Autobahn zu bauen, solltenwir aus den Mitteln des Solidarpakts II lieber einFraunhofer-Institut finanzieren. Das bringt Ostdeutsch-land voran; das ist die zentrale Aufgabe. Die Zukunfts-perspektive Ostdeutschlands hängt nämlich von seinerInnovationsfähigkeit ab.
Der Schlüssel zur Reökonomisierung und zur ökolo-gischen Modernisierung Ostdeutschlands liegt bei denerneuerbaren Energien. Sie sind der Wirtschafts- undJobmotor. Weitere wirtschaftliche Entwicklungschancenfür die neuen Bundesländer sehen wir in den noch jun-gen und forschungsintensiven Entwicklungsfeldern derUmwelt-, Energie-, Bio- und Nanotechnologie, im Tech-nologiefeld Optik sowie in der Informations- und Kom-munikationstechnologie und der Gesundheitswirtschaft.Damit dies zu einem selbsttragenden Zukunfts- undEntwicklungspfad werden kann, braucht es vor allenDingen eines, nämlich eine starke Zivilgesellschaft, denMut der Bürgerinnen und Bürger. Der zentrale Impulsder friedlichen Revolution 1989 ist für uns die Selbster-mächtigung der Menschen zum politischen Handeln.
Wir brauchen dringend eine Stärkung der Kultur derSelbstständigkeit und Unterstützung von Unternehmun-gen und Eigeninitiativen. Ostdeutschland als Labor fürwirtschaftliche und gesellschaftliche Transformations-prozesse braucht neue Formen der Zusammenarbeit undVernetzung zwischen Politik, Verwaltung, Bürgerinnenund Bürgern sowie Unternehmen.Wir reden jetzt zwar nicht im Detail über den Jahres-bericht zum Stand der Deutschen Einheit, aber in diesemsteht es richtig drin: Es geht um das „noch nicht akti-vierte Engagementpotenzial“, um die Aktivierung vonEigenverantwortung und Gründungswillen vieler ost-deutscher Bürgerinnen und Bürger. Letztlich geht es da-rum, mehr Handlungsräume für regional angepassteInnovationskonzepte, beispielsweise über Regionalbud-gets, zu eröffnen. Leider ist die Initiative, die Minister deMaizière in diese Richtung gestartet hat, von den Län-dern zurückgewiesen worden. Ich bedaure das zutiefst.Abschließend darf ich sagen: Herr Minister, auchwenn wir jetzt nicht im Einzelnen den Jahresbericht dis-kutieren, ist doch festzuhalten: Die neue Tonlage, dievon Ihnen im Bericht angeschlagen wird, ist richtig. WirwpFHwgdZwmdeSDnkvshhzDefrsdwukddusüepdbva
Michael Glos erhält nun das Wort für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich bin sehr dankbar, dass ich dafür ausgesuchtorden bin, hier zum Thema „20 Jahre Wiedervereini-ung“ als Einziger, der nicht aus den neuen Bundeslän-ern kommt, reden zu dürfen. Mein Wahlkreis lag an deronengrenze, die es ja nun nicht mehr gibt. Für michar das die Erfüllung eines Traumes und der Höhepunkteines politischen Lebens, den Mauerfall und die Wie-ervereinigung erleben zu können.Wenn man sieht, was daraus geworden ist, dann ist esigentlich schade, dass wir über dieses Thema nur einetunde im Deutschen Bundestag debattieren.
as zeigt auch, wie selbstverständlich die Wiederverei-igung nach 20 Jahren inzwischen geworden ist. Ichann nur sagen: Wenn sich diejenigen, die die Wieder-ereinigung herbeigeführt und möglich gemacht haben,o im Klein-Klein ergangen hätten wie manche Rednereute, dann wäre dieses große Werk der deutschen Ein-eit nie zustande gekommen.
Der heutige Tag ist die Gelegenheit, auch denjenigenu danken, die dies möglich gemacht haben. Dieserank richtet sich mit Sicherheit an die Menschen in derhemaligen DDR, die auf die Straße gegangen sind,iedlich demonstriert haben und Risiken eingegangenind. All dies ist aber auch durch die Weichenstellungen,ie an allererster Stelle von Helmut Kohl vorgenommenurden, und durch die Unterstützung von George Bushnd Michail Gorbatschow möglich gemacht worden; ichann nicht alle aufzählen. Auch das Vertrauen, das sichie Deutschen in der Welt wieder erworben hatten, hatieses wunderbare Ereignis möglich gemacht.
Ich war am 9. November 1989 im Bundestag in Bonnnd saß in der ersten Reihe, weil ich damals finanzpoliti-cher Sprecher meiner Fraktion war. Wir haben damalsber das Vereinsförderungsgesetz diskutiert, das dannrst später verabschiedet worden ist. Aber es gab einaar Leute, die gesagt haben: „Ach, verabschieden wiroch erst dieses Vereinsförderungsgesetz, und danacheschäftigen wir uns mit dem Mauerfall.“ Ich habe daserhindert. Das Thema ist also zu allen Zeiten kleinlichngegangen worden, nicht nur heute von Frau Lötzsch.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6403
Michael Glos
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Zu den Errungenschaften, auf die wir hätten verzich-ten können, gehört sicherlich die PDS.
– Ich bitte um Vergebung, Frau Kollegin. – Aber ansons-ten war die Wiedervereinigung ein wunderbares Ge-schenk: Wie viel mehr Möglichkeiten wir Deutsche er-halten haben, um wie viel reicher Europa geworden ist,wie der Frieden in der Welt vorangebracht worden ist!Es war ein Fauxpas von Ihnen, Frau Lötzsch, als Siegesagt haben, keines der führenden Ämter im Staat seimit Menschen aus den neuen Bundesländern besetztworden. Frau Bundeskanzlerin – ich habe Ihrer Regie-rung angehört; bei aller Hochachtung: ich will ihr nichtmehr angehören; insofern ist das kein „Radfahren“ –, ichfinde, Sie sind das beste Beispiel dafür, wie großartig dieMenschen, die aus den neuen Bundesländern gekommensind, hier angenommen worden sind, wenn sie die Krafthatten.
Das Forbes-Magazin hat Sie einmal zur mächtigstenFrau der Welt erklärt.Wir sind heute sehr stolz auf das, was wir als Bundes-republik Deutschland gemeinsam erreicht haben. Ichmöchte noch einmal sagen, dass es dabei ganz entschei-dende Weichenstellungen gab. Ganz wichtig war, dassman sich für die soziale Marktwirtschaft entschiedenhat. Ganz wichtig war, dass Theo Waigel die D-Marknoch in der damaligen DDR eingeführt hat. Das war einsehr großes Risiko. Ich war damals finanzpolitischerSprecher der CDU/CSU-Fraktion, und ich habe auch zuden Bedenkenträgern gehört. Das muss ich zugeben. Ichhabe einmal – dazu hat mich einer angestichelt – in einerSitzung des engeren Fraktionsvorstands Helmut Kohlgefragt, was denn geschehen würde, wenn wir die D-Markin der DDR einführten und die DDR hinterher dem Bei-tritt nicht zustimmte. – Er hätte mich beinahe gefressen.
Ich werde nie vergessen; er hat gesagt: Solche Fragenstellt man nicht.
Ich denke, wenn wir über die historische Wahrheit reden,sollte man auch über manch kleinliches Denken, das da-mals vielleicht vorhanden war, sprechen.Aber noch einmal: Die D-Mark war die Erfolgsge-schichte. Deswegen habe ich mich auch gar nicht ge-wundert, dass sich unsere Landsleute aus den neuenBundesländern sehr viel schwerer dabei getan haben alswir, von der D-Mark Abschied zu nehmen. Die D-Marksteckt im Euro, und der Euro ist heute unser Schicksal inEuropa. Es hat sich gezeigt, dass die Menschen das inKrisen auch gespürt haben.dbgMdvGGbEzlinmdsadDtewruIhdABdsDfäbbm
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Iris
leicke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiregehen in drei Tagen den 20. Jahrestag der deutscheninheit. Das ist zweifelsohne ein wirklich guter Grundu feiern. Aber einigen ist offenbar schon jetzt so feier-ch zumute, dass es ihnen die Sinne ein bisschen ver-ebelt. Man kann den Eindruck gewinnen, dass esanchen gar nicht so sehr um eine sachliche Auseinan-ersetzung und Bestandsaufnahme nach 20 Jahren deut-cher Einheit geht.Herr Kollege Glos, es geht nicht um Kleinlichkeiten;ber es muss um diese Bestandsaufnahme gehen. Aller-ings muss ich auch sagen, liebe Frau Kolleginr. Lötzsch: Ihr Beitrag war dazu kein wirklich geeigne-r.
Ich gewinne diesen Eindruck zum Beispiel dann,enn die nach der Wende vollzogene Deindustrialisie-ng Ostdeutschlands penetrant geleugnet wird.
re wichtigste Botschaft lautet: Helmut Kohl und dieamalige Bundesregierung haben alles richtig gemacht.ber damit, meine Damen und Herren, sind zwei weitereotschaften verbunden,
ie nicht zuletzt an die jungen Leute im Osten gerichtetind. Diese Botschaften lauten: Vor der Wende ist in derDR nichts geleistet worden, es gab keine konkurrenz-hige Industrie, eure Eltern und Großeltern sind undleiben ganz alleine verantwortlich für die heutigen Pro-leme. – Herr Kurth, Ihr Beitrag hat genau dies noch ein-al dokumentiert.
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Iris Gleicke
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Ich möchte zwei Sätze aus dem Jahresbericht zum Standder Deutschen Einheit vorlesen – Herr Kollege Kurth,vielleicht hören Sie ganz genau zu –:Die mit der Privatisierung und Sanierung derStaatsunternehmen beauftragte Treuhandanstaltkonnte aufgrund ihres konsequenten Privatisie-rungskonzepts bereits 1994 ihren Kernauftrag, denUnternehmensbestand zu privatisieren, weitgehendabschließen. Damit war eine grundlegende Voraus-setzung für die Herausbildung einer leistungsfähi-gen privaten Unternehmensbasis in den neuen Län-dern geschaffen.Das steht übrigens auf Seite 14. Das ist wirklich toll, dasist ganz großes Kino. Ich garantiere Ihnen, dass jederOstdeutsche, der das damals wie ich bewusst miterlebthat, diesen Satz als Realsatire empfinden muss.
Ich erinnere kurz daran, was damals wirklich passiertist: Mit der Art und Weise, wie die Währungsreform ge-macht worden ist, gingen den ostdeutschen Unterneh-men die Märkte im ehemaligen Ostblock über Nacht ver-loren. Der von der FDP in den Einigungsvertrag diktierteGrundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ war ein fun-damentaler Fehler, der Investitionen ausgebremst hat.Bei den Privatisierungen durch die Treuhand nutztennicht wenige der sogenannten Investoren die günstigeGelegenheit, sich missliebiger ostdeutscher Konkurrenzzu entledigen. Beispiele dafür gibt es viele, die Zerschla-gung der „Glasring Ilmenau“ ebenso wie die Abwick-lung der Deutschen Kugellagerfabriken Leipzig.
Ostdeutschland wurde in den meisten Bereichen zurbloßen Werkbank des Westens deklassiert, und das istleider heute immer noch so. Die zwangsläufige Folgewar eine katastrophale Massenarbeitslosigkeit mit ver-heerenden ökonomischen und seelischen Folgen für dieBetroffenen, die bis heute noch nachwirken. Die Ar-beitslosigkeit – das ist von einigen Rednern angespro-chen worden – ist immer noch nahezu doppelt so hochwie in Westdeutschland. Wer dies alles leugnet und hin-ter Floskeln zu verstecken sucht, trägt in der Tat nichtzur Vollendung der deutschen Einheit bei.
Ich behaupte nicht, dass man alle Betriebe hätte rettenkönnen. Aber manches hätte man garantiert vermeidenkönnen, und man hätte es vermeiden müssen, meine Da-men und Herren. Davon bin ich überzeugt.
In Wirklichkeit wissen Sie das auch, aber Sie wollen esnicht sagen.
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nd lasten sie damit einseitig den Ostdeutschen an. Dast eben nicht sachgemäß.
Deshalb hilft es leider nicht viel, wenn der Bundes-räsident die „westdeutsche Ignoranz gegenüber deneistungen im Osten“ kritisiert und dies sicherlich auf-chtig und gut meint. Deshalb hilft es leider auch nichtiel, Herr Minister de Maizière, wenn Sie in Ihrem Be-cht „Defizite bei der Anerkennung von ostdeutschenebensleistungen und Geschichtserfahrungen“ anpran-ern. Dennoch spreche ich Ihnen ganz ausdrücklich mei-en Dank und meine Hochachtung dafür aus, dass es iniesem Bericht aufgenommen ist. Sie haben damit einenehr wichtigen Punkt aufgegriffen, den Sozialdemokra-n wie Wolfgang Thierse schon lange thematisieren. Sieind damit aber, wie Sie jetzt auch an der Debatte unden Zwischenrufen mitbekommen konnten, Ihren Partei-eunden um Lichtjahre voraus.Meine Damen und Herren, im Osten ist nicht nur inen letzten 20 Jahren etwas geleistet worden. Wir dürfenicht zulassen, dass mit den Biografien unserer Elternnd Großeltern so acht- und würdelos umgegangen wird.ie haben unter den unendlich schwierigen Bedingungeniner Diktatur Großartiges geleistet; darauf dürfen sietolz sein. Es gab eben nicht nur die Stasi-Spitzel oderie SED-Funktionäre,
ondern auch die vielen Anständigen, die das richtigeeben im falschen System gelebt haben.
Auch das sage ich mit tiefer Überzeugung und demleichen Engagement: Wir dürfen stolz auf das sein, wasir in den letzten 20 Jahren deutscher Einheit erreichtaben. Dank der Solidarität des Westens und dank desleißes, des Mutes und der Anpassungsbereitschaft derstdeutschen hat es bereits großartige Fortschritte gege-en. Uns bringen weder Schönfärberei noch Schwarz-alerei weiter; im Sinne einer ehrlichen Bilanz müssenir aber nüchtern festhalten, dass noch viel zu tun ist. Esilt, die soziale Einheit zu vollenden. Das ist unsereichtigste Aufgabe.Insofern sage ich sehr klar: Der Solidarpakt II mussnangetastet bleiben; er ist und bleibt die wichtigsterundlage für die Fortsetzung des Aufbaus Ost.
ir brauchen für die neuen Bundesländer und in deneuen Bundesländern eine nachhaltige Finanzpolitik, umpielräume für Forschung und Entwicklung, für Aufbau-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6405
Iris Gleicke
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leistungen und Infrastruktur zu schaffen. Alle Kürzun-gen zulasten der Entwicklung Ostdeutschlands – bei derStädtebauförderung, den CO2-Gebäudesanierungspro-grammen und den Gemeinschaftsaufgaben zur Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie des Küs-tenschutzes – müssen umgehend rückgängig gemachtwerden. Wenn Sie das nicht machen, bedeutet dies fürviele Investitionen in den Kommunen das Aus. Das be-deutet, dass Tausende Arbeitsplätze gefährdet werden,gerade in der mittelständischen Bauwirtschaft.Von dieser Bundesregierung gibt es kein klares Be-kenntnis zum Aufbau Ost.
Sie setzen leichtfertig aufs Spiel, was noch immer nichtvollendet ist:
die soziale Einheit unseres Landes.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Arnold Vaatz von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Spiegel hat in seiner letzten Ausgabe eine
sehr interessante Betrachtung angestellt: Er ist der Frage
nachgegangen, wie die Stimmung bei den europäi-
schen Nachbarn in den Jahren 1989 und 1990 in Bezug
auf die Frage der deutschen Wiedervereinigung gewesen
ist, und hat festgestellt, dass es eine ungeheure Feind-
seligkeit gegenüber dem Gedanken einer Wiedervereini-
gung gegeben hat: von Margaret Thatcher über Ruud
Lubbers, Giulio Andreotti und viele andere bis hin zu
Mitterrand, am Anfang bis hin zu Gorbatschow.
Als ich mir das durchgelesen habe, ist mir der Ge-
danke durch den Kopf gegangen: Was wäre denn gewe-
sen, wenn in dieser Situation im Bundeskanzleramt ein
Mensch gesessen hätte, der der deutschen Wiederverei-
nigung ebenso feindselig gegenübergestanden hätte wie
die eben genannten Menschen?
Ich möchte Ihnen sagen, dass dieser Gedanke für
mich gar nicht so abwegig ist: Einem solchen Menschen
hätte es mit den entsprechenden Mehrheiten im Deut-
schen Bundestag ohne Weiteres gelingen können, die
deutsche Wiedervereinigung im letzten Augenblick zu
vereiteln, und zwar leichter, als es Helmut Kohl und sei-
ner Mannschaft mit vielen Mühen gelungen ist, die deut-
sche Wiedervereinigung zu erreichen.
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h bin ein bisschen traurig, dass er so selten genannt
ird –: dem damaligen EG-Kommissionspräsidenten,
acques Delors, der uns in enormem Maße unterstützt
at.
Unabhängig davon, wie man zu jeder Einzelentschei-
ung aus der damaligen Zeit steht – auch ich halte man-
he Dinge, die damals gemacht worden sind, für falsch,
ie ich ganz offen sagen will –, halte ich es für ein
rundgebot des politischen Anstandes, dieser enormen
olitischen Leistung seine Dankbarkeit zu bezeugen.
Ich sage das auch, weil man sich ab und zu einmal
agen sollte, was eigentlich gewesen wäre, wenn die
eutsche Wiedervereinigung ausgeblieben wäre und wir
o eine Art „Österreich-Lösung“ gehabt hätten. Vorhin
aben schon einige Kollegen den Vergleich mit Polen,
it unserem ehemaligen sozialistischen Nachbarn, ange-
tellt. Ich will das einmal mit Zahlen unterlegen, damit
an erkennt, wie die Dimensionen eigentlich sind.
In Polen gab es 1990 ein ähnliches wirtschaftliches
iveau wie in der DDR. Es gab – ähnlich wie in der
DR – einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der
ben nicht nach 1990 inszeniert wurde, sondern flächen-
eckend den ganzen Ostblock betroffen hat. Daher be-
urfte es einer völligen Erneuerung der gesamten öffent-
chen Infrastruktur – wie bei uns. Aber im Gegensatz zu
ns mussten die Polen alle diese Leistungen aus eigener
raft erwirtschaften.
Herr Kollege Vaatz, erlauben Sie eine Zwischenfrageer Kollegin Happach-Kasan?
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Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege, ich danke Ihnen für Ihre Aufzählung, in
der Sie die Leistungen all derer genannt haben, die an
der deutschen Einheit mitgewirkt haben. Mir ist aller-
dings aufgefallen, dass ein Name fehlte – der Name ei-
ner Person, die eine enorme Leistung vollbracht hat. Das
ist Hans-Dietrich Genscher.
Ich möchte Sie bitten, deutlich zu machen, dass gerade
die Leistung von Hans-Dietrich Genscher, beginnend
1975 mit der KSZE-Schlussakte, einen enormen Ein-
fluss darauf gehabt hat, dass der deutsche Einigungspro-
zess derart positiv verlaufen ist und dass wir es in der
Gemeinschaft der Staaten erreicht haben, eine solche
Leistung zu vollbringen. Ich denke, es wäre nur ein Ge-
bot der Fairness, den langjährigen Außenminister Hans-
Dietrich Genscher ebenfalls zu nennen.
Frau Kollegin Happach-Kasan, ich entschuldige mich
von dieser Stelle aus dafür, dass es mir in der Hitze des
Gefechtes und als Folge meines Temperamentes leider
unterlaufen ist, Hans-Dietrich Genscher in meiner Auf-
zählung zu vergessen. Ich hole das jetzt mit dem Be-
kenntnis tiefer Zerknirschung nach und sage Ihnen dazu,
dass ich es ihm schon sehr oft persönlich gesagt habe.
Meine Damen und Herren, wir waren gerade bei der
Situation, die sich in Polen eingestellt hatte, und ich
wollte mit Zahlen belegen, was sich dort wirklich ereig-
net hat. In Polen betrug das kaufkraftbereinigte Einkom-
men pro Haushalt im Jahre 1996, also sechs Jahre nach
1990, etwa 4 200 Euro, während es in Ostdeutschland im
selben Jahr 11 000 Euro waren; das ist fast das Dreifa-
che. Im Jahr 2007 hatten die polnischen Haushalte im
Durchschnitt 7 700 Euro und die ostdeutschen Haushalte
im Durchschnitt 15 000 Euro zur Verfügung; das ist un-
gefähr das Doppelte. Das sind Zahlen der Europäischen
Union, die Sie nachlesen können.
Nun sind unsere polnischen Nachbarn aber nicht düm-
mer oder fauler als wir. Ganz im Gegenteil: Viele von ih-
nen – und unter ihnen viele Ärzte und Ingenieure – ha-
ben, weil sie ihre Familien nach vorne bringen wollten,
Sommer für Sommer auf ostdeutschen Feldern gearbei-
tet und dort Arbeiten verrichtet, die deutschen Arbeitslo-
sen angeblich überhaupt nicht mehr zuzumuten waren.
Ich habe einen ungeheuren Respekt vor unseren polni-
schen Nachbarn, ohne die dieses Europa von heute nie-
mals so zustande gekommen wäre.
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r Zerstörungswerk in Ostdeutschland war eine
weistufige Rakete. 1946 haben sie die Marktwirtschaft
der Ostzone abgeschafft und durch die sozialistische
lanwirtschaft ersetzt.
Die Partei, deren Geld Sie haben, nicht Sie persönlich.
Nach 1990 haben Sie nicht im Mindesten zu Ihrem
erstörungswerk gestanden. Sie haben eine formale Ent-
chuldigung vorgebracht und sich später in der deut-
chen Politik als Lobby der Täter profiliert, für die Sie
ich vorher entschuldigt haben. Herzlichen Dank!
ls Nächstes haben Sie nichts dazu beigetragen, dass die
eutsche Wiedervereinigung ein Erfolg wird.
ie haben an ihr herumgemäkelt. Sie haben versucht, die
reude an der Wiedervereinigung nach Kräften zu zer-
tören. Sie haben ihr alle Steine in den Weg gelegt, die
ie finden konnten. Auch dafür herzlichen Dank!
Danke.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrager Fraktion der SPD auf Drucksache 17/3078? Ich bittem Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –er Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmener Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Fraktioner SPD und Enthaltung der Fraktionen Die Linke undündnis 90/Die Grünen.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-on Die Linke auf Drucksache 17/3079? Ich bitte umandzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6407
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der FraktionDie Linke abgelehnt mit den Stimmen aller übrigenFraktionen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatz-punkte 4 und 5 auf:4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten GabrieleHiller-Ohm, Anette Kramme, Iris Gleicke, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDas Urteil des Bundesverfassungsgerichteszur Bemessung der Regelsätze umsetzen –Die Ursachen von Armut bekämpfen– zu dem Antrag der Abgeordneten MarkusKurth, Ekin Deligöz, Dr. WolfgangStrengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBedarfsgerechte Regelsätze für Kinder undErwachsene jetzt ermöglichen– Drucksachen 17/880, 17/675, 17/2092 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Carsten LinnemannZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Markus Kurth, Fritz Kuhn, Ekin Deligöz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENBedarfsgerechte Regelsätze und ein zuverlässi-ges Hilfesystem für Kinder, Jugendliche undErwachsene statt Experimenten– Drucksachen 17/2921, 17/3081 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Carsten LinnemannZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten BrittaHaßelmann, Markus Kurth, Alexander Bonde,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENLeistungskürzungen bei den Unterkunftskos-ten im Arbeitslosengeld II verhindern – Ver-mittlungsverfahren mit den Ländern unver-züglich aufnehmen– Drucksache 17/3058 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
FinanzausschussHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt esWiderspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das sobeschlossen.ndMmaSgaRLteaterüdmbDBtegRmDremliPwtiuvEdsbdgvS–
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Schwerpunkt-äßig debattieren wir heute über zwei Anträge, die sichuf das Urteil aus Karlsruhe vom 9. Februar beziehen.eitdem ist viel passiert. Wir haben Anhörungen durch-eführt. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe istusgewertet worden. Seit Montag liegt ein vollständigereferentenentwurf aus dem Hause von Frau von dereyen vor. Wir sollten uns zunächst mit diesem Referen-nentwurf beschäftigen, danach würde ich gerne nochuf Ihre Anträge eingehen.In der gegenwärtigen Diskussion kommt mir das Ur-il aus Karlsruhe zu kurz. Wir sprechen nicht mehr da-ber. Es hat noch niemandem geschadet, konkret aufas Urteil Bezug zu nehmen und es zu zitieren. Dasöchte ich heute machen und mit einem zentralen Satzeginnen, der aus meiner Sicht für die gesamte heutigeebatte entscheidend ist. Ich zitiere: „Schätzungen ‚inslaue hinein‘ laufen … einem Verfahren realitätsgerech-r Ermittlung zuwider und verstoßen gegen“ das Grund-esetz. Karlsruhe hat damit gesagt, dass das, was Sie vonot-Grün damals bei der Berechnung der Regelsätze ge-acht haben, nicht sachgerecht war.
eshalb sagt uns Karlsruhe jetzt, dass wir ein transpa-ntes, nachvollziehbares Verfahren nutzen sollen. Dasachen wir. Ein entsprechender Referentenentwurfegt vor. Lassen Sie mich kurz auf die wichtigstenunkte dieses Entwurfs eingehen:Über die Einkommens- und Verbrauchsstichprobeird viel gesprochen. Im Urteil wird ausdrücklich bestä-gt – ich zitiere –: Grundsätzlich ist die Einkommens-nd Verbrauchsstichprobe ein „taugliches Berechnungs-erfahren zur Bemessung des Existenzminimums“. DieVS kann also auch künftig als Datenbasis benutzt wer-en. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatie bei dem Referentenentwurf herangezogen. Die Anga-en von 60 000 Haushalten zu rund 230 Positionen wur-en vom Statistischen Bundesamt ausgewertet. Das Er-ebnis bildet die Basis. Das Verfahren ist alsoerfassungskonform.Zum Verfahren: Auch hier hat das Urteil eine klareprache. Ich zitiere:Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetz-geber und kein anderer –alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerich-tig in einem transparenten und sachgerechten Ver-
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fahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also reali-tätsgerecht, zu bemessen.Wir machen nicht den Fehler, einfach irgendwelcheAbschläge zu nehmen. Entweder die Positionen sind zu100 Prozent drin, oder sie sind draußen. Bei Möbelnzum Beispiel hat man damals einen Abschlag von20 Prozent vorgenommen und 80 Prozent angesetzt.Diesen Fehler machen wir nicht. Darüber hinaus gibt esSonderauswertungen. Das ist bei den Positionen erfor-derlich, bei denen die Referenzgruppe nicht herangezo-gen werden kann, beispielsweise beim Thema Mobilität.Außerdem schauen wir uns die Regelsätze für Kinder anund führen eine eigenständige Ermittlung durch.Lassen Sie mich noch einen Satz zum Existenzmini-mum sagen. Wir reden die ganze Zeit über das „men-schenwürdige Existenzminimum“. Dieses Schlagwortbestimmt auch die Berichterstattung in der Presse. Ichzitiere:Das Sozialstaatsgebot …– auch hier ist das Urteil klar –erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem einmenschenwürdiges Existenzminimum zu sichern,wobei dem Gesetzgeber– jetzt kommt es –ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichenWertungen zukommt.Wir haben also existenzsichernde Positionen, bei-spielsweise Grundnahrungsmittel, und nichtexistenzsi-chernde Positionen wie beispielsweise Flugreisen oderAutos. Darüber gibt es keinen Dissens. Diese Positionenhatten Sie damals auch nicht drin. Dann gibt es neuePositionen. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt.Wir leben heute im Zeitalter des Internets. Daher habenwir Internetkomponenten aufgenommen. Auch die Pra-xisgebühr, die es damals noch nicht gab, haben wir auf-genommen.Jetzt kommt ein entscheidender Punkt, über den wirin den Medien oft diskutieren, die sogenannten Wert-entscheidungen. In diesem Zusammenhang führen Sieoft das Beispiel Alkohol an. Das Bundesarbeitsministe-rium schlägt vor, Alkohol nicht länger zu berücksichti-gen, weil es nicht zum menschenwürdigen Existenz-minimum gehört. Das ist – diesbezüglich haben Sie recht –am Ende des Tages eine politische Entscheidung. Dafürwurden wir gewählt, und deswegen unterstützen wir indiesem Punkt das Ministerium.
Der letzte wichtige Punkt – in diesem Zusammenhangmöchte ich nicht aus dem Urteil zitieren, weil sich dasThema wie ein roter Faden durch das gesamte Urteilzieht – sind die Lebenschancen für Kinder. Wir sagen:Es geht nicht nur um die Absicherung der materiellenBedürfnisse, sondern auch um die Absicherung der im-materiellen Bedürfnisse, um die Teilhabe an der Gesell-schaft. Deshalb bringen wir das Bildungspaket auf denWeg. Wir gehen die Probleme an, indem wir zielgenauauf die Bedürfnisse der Kinder eingehen.sdnvaHBszAscbDjehKIhwddswmcdMsDpumicdmmmSdkbddim
Unserer Meinung nach hat das Arbeitsministeriumeine Hausaufgaben gemacht. Ich habe den Eindruck,ass wir bei vielen Punkten, die in dem Antrag der Grü-en angesprochen werden – Herr Kurth, Sie sprechenermutlich gleich auch noch –, gar nicht so weit ausein-nderliegen. Ich glaube sogar, das gilt für mindestens dieälfte der Punkte, beispielsweise für die eigenständigeemessung des Regelsatzes für Kinder. Ein Dissens be-teht bei anderen Punkten. Beim Thema Kommissionum Beispiel vertreten wir diametral entgegengesetzteuffassungen. Wir verstehen das Urteil von Karlsruheo, dass Karlsruhe den Gesetzgeber und nicht irgendwel-he Kommissionen beauftragt hat, das Problem der Neu-erechnung der Regelsätze anzugehen.
eshalb können wir nicht verstehen, dass Sie den Satztzt pauschal auf 420 Euro erhöhen wollen. Sie bezie-en sich auf einen Lobbyverband. Aber genau das wolltearlsruhe nicht. Deshalb können wir unter dem Strichre Anträge nicht unterstützen.Zum Schluss etwas Grundsätzliches. Warum stehenir heute überhaupt hier? Was machen wir hier? Wir re-en über die Neubemessung der Regelsätze. Diese wer-en wir, denke ich, bis zum Ende des Jahres zum Ab-chluss bringen müssen. Die Organisationsreform habenir schon gemacht. Das heißt, wir schaffen das Funda-ent dafür, dass die Hilfebedürftigen in Deutschland Si-herheit haben. Das war die Pflicht.Die Kür ist natürlich auch wichtig. Sie besteht darin,ass wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir denenschen eine Perspektive geben können, dass sie sochnell wie möglich wieder einen Arbeitsplatz finden.a schauen wir uns beispielsweise die arbeitsmarkt-olitischen Instrumente an.Ich war dieser Tage bei der Bundesagentur für Arbeitnd habe dort mit Mitarbeitern gesprochen. Da hat kaumehr einer den Überblick über die Instrumente. Wennh mir die ersten fünf Kapitel des SGB III anschaue,ann stelle ich fest, dass es da kein Prinzip, kein Systemehr gibt. Daher sagen wir, wir brauchen für die Ver-ittler vor Ort einen Koffer mit schlagkräftigen arbeits-arktpolitischen Instrumenten. Das ist der nächstechritt, den wir angehen, damit Menschen endlich wie-er in Beschäftigung kommen.
Ein anderer Punkt sind die Hinzuverdienstmöglich-eiten. Dazu steht im Koalitionsvertrag, dass wir sie ver-essern wollen. Auch das ist wichtig, damit wir Anreizeafür schaffen, dass jemand in Arbeit kommt und nichtraußen bleibt. Auch das ist ein wichtiger Punkt.Sie sehen, das ist ein Gesamtkonzept. Wir gehen das Bündel an, weil wir nicht nur die Kurzzeitarbeitslo-
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sigkeit senken wollen, sondern endlich auch die Lang-zeitarbeitslosigkeit angehen wollen. Ich glaube, dassdieses Konzept gut ist. Ich hoffe, dass ich das Gesamt-konzept sachlich beschrieben habe.In diesem Sinne bedanke ich mich und wünsche Ih-nen alles Gute.
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war füruns alle ein Paukenschlag. Zum ersten Mal haben Ver-fassungshüter genau definiert, was ein Mensch zum Le-ben braucht – nicht in Cent und Euro; aber sie haben einPrinzip verbindlich vorgegeben. Der Mensch brauchtnicht nur Nahrung, Kleidung und ein Dach über demKopf. Teilhabe an Bildung, Zugang zu Kultur und dieMöglichkeit zum politischen Engagement gehören in ei-nem Sozialstaat wie dem unseren genauso selbstver-ständlich zum Existenzminimum; denn die Bürger-rechte sind universell. Der Leistungsberechtigte gibt sieeben nicht an der Tür des Jobcenters ab.Meine Fraktion hat deshalb einen Antrag erarbeitetund in den Bundestag eingebracht, der einen Weg zurUmsetzung des Urteils aufzeigt. Bitter notwendig wardieser Antrag; denn die Bundesregierung hat die Chan-cen des Urteils für mehr Teilhabe und Bildung und einenstärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt, wie ichmeine, bereits jetzt verspielt.Gefordert haben die Richter ein Leben in Würde auchfür Menschen in Not. Bekommen haben sie einen Ge-setzentwurf, der Misstrauen gegen Hilfsbedürftige atmetund populistische Ressentiments schürt.
Gefordert hat Karlsruhe, dass die Regelsätze transpa-rent und nachvollziehbar ermittelt und begründet wer-den. Mit ansehen mussten sie ein monatelanges Ver-steckspiel der zuständigen Ministerin von der Leyen, diedie vollständigen Daten und Auswertungen des Statisti-schen Bundesamtes bis heute dem Bundestag und derÖffentlichkeit vorenthält.Gefordert haben die Richter einen umfassenden Zu-gang zu Bildung gerade für Kinder. Bekommen habensie ein vollmundig angekündigtes Bildungs- und Teil-habepaket, das sich bei näherer Betrachtung bestenfallsals gutgemeinter Anfang, schlechtestenfalls als üblerPR-Gag interpretieren lässt.
Denn werfen wir doch einmal einen Blick in das Bil-dungspäckchen der Bundesregierung. Bildungschip-kpufrTDSKzSSzp–dri–HdinkdnmmsdrekdisDvgszpDduzB
Schulbedarfspaket – 100 Euro im Jahr für Schulran-en, Zirkel und Hefte –, das ist eine Leistung mitubstanz, aber sie ist weder neu noch von Ihnen. Daschulbedarfspaket haben die Sozialdemokraten und So-ialdemokratinnen noch in der Großen Koalition konzi-iert und durchgesetzt.
Das warme Mittagessen ist eine sinnvolle Leistung auch das ist eine Forderung unserer Fraktion –, aberas reicht nicht, um die Vorgaben des Verfassungsge-chts zu erfüllen.
Sie regieren ja auch manchmal, ab und zu. – Denn deraken beim Mittagessen ist, dass in Deutschland nur je-es fünfte Kind überhaupt Zugang zu einem Mittagessen Kita oder Schule hat. Alle anderen haben entwedereinen Kitaplatz bekommen oder gehen auf eine Schule,ie immer noch mittags endet. Wenn wir es ernst mei-en, dass wir Bildungschancen für alle schaffen wollen,üssen wir genau hier ansetzen. Hier reicht Ihr Maßnah-enpaket eben nicht aus.
Wir müssen den Ausbau von Kitas und Ganztags-chulen vorantreiben. Denn nur diese sind die Orte, anenen alle Kinder Förderung und Unterstützung erfah-n, und zwar völlig unabhängig von ihren Eltern. Dortann ein Kind Geigenunterricht bekommen, nicht weiler Vater gut verdient, sondern weil das Kind talentiertt und Lust zum Musizieren hat. So schlicht ist das.eshalb brauchen wir eine Offensive für den Ausbauon Bildungsinfrastruktur, so wie es in unserem Antragefordert wird.
Dies können Länder und Kommunen nicht alleinchaffen; das wissen wir alle. Vielen steht das Wasser bisum Hals, was auch eine Folge Ihrer verfehlten Steuer-olitik ist.
eshalb muss der Bund den Kommunen und den Län-ern beim Ausbau von Bildungsinfrastruktur finanziellnter die Arme greifen. Der Verweis, dafür sei er nichtuständig, überzeugt nicht. Denn auch hierzu trifft dasundesverfassungsgericht eine Aussage: Wenn es Län-
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Dagmar Ziegler
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der und Gemeinden nicht aus eigener Kraft schaffen, hatder Bund einen Sicherstellungsauftrag. Der Ausbauvon Bildung kann nur als gemeinsame nationale Kraft-anstrengung gelingen. Bund, Länder und Kommunenmüssen an einen Tisch. Sie müssen sich auf Ausbauzieleverständigen, sie müssen definieren, was gute Kitas undSchulen ausmacht, und sie müssen vereinbaren, wer esfinanziert.
Deshalb lautet unsere immer wiederholte Forderungan die Regierung: Laden Sie endlich zu einer nationalenKinderkonferenz ein! Vereinbaren Sie mit Ländern undKommunen einen Bildungspakt! Das ist im Interesse al-ler Kinder – nicht nur der Kinder im Hartz-IV-Bereich –und erfüllt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.Dazu reichen wir Ihnen gern die Hand. Für ein würdelo-ses Geschachere stehen wir allerdings in keinem Fall zurVerfügung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Pascal Kober von der FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern hatten wir eine Aktuelle Stunde zur Neuberech-
nung der Regelsätze. Heute befassen wir uns mit zwei
Anträgen von SPD und Grünen, die allerdings schon
kurz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 9. Februar 2010 entstanden sind.
Sie von den Grünen fordern eine unverzügliche Erhö-
hung des Regelsatzes für Erwachsene auf 420 Euro.
Diese Zahl beruht auf Berechnungen aus dem Jahr 2004.
Nun werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, nicht behaupten wollen, dass sich die Le-
bensumstände seither nicht verändert hätten. Ihre Be-
rechnungen entbehren einer vernünftigen Datenbasis
und sind daher erneut Schätzungen ins Blaue hinein.
Schätzungen ins Blaue hinein hat das Bundesverfas-
sungsgericht als verfassungswidrig beurteilt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Fehler mö-
gen verzeihlich sein, aber man muss die Bereitschaft ha-
ben, aus gemachten Fehlern zu lernen.
Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-
Fraktion, hätten die vergangenen Wochen und Monate
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tatt sich darüber zu freuen, dass etwas Verfassungskon-
rmes in Ihren Regelungen war, wollen Sie dies nun
uch noch ändern.
Die vergangenen Tage haben eines sehr deutlich ge-
eigt: Die christlich-liberale Koalition ist imstande, un-
r hohem Zeitdruck eine sachgerechte und nachvoll-
iehbare Berechnung der Regelsätze für Arbeitslosen-
eld-II-Bezieher vorzulegen.
aher kann ich nur zu dem Ergebnis kommen, dass Ihre
oreiligen Anträge hier und heute nicht nötig waren. Sie
issen so gut wie ich, dass Sie in Kürze neue Anträge
um gleichen Thema, aber auf Basis der aktuellen Daten
orlegen werden. Darüber werden wir dann – das sage
h Ihnen zu – gerne diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen
erdeutlichen, was wir mit der Neuberechnung der Re-
elsätze erreicht haben. Das Bundesverfassungsgericht
at – es ist wichtig, dies immer wieder zu betonen –
icht die Höhe der Regelsätze, sondern ihre Herleitung
eanstandet. Die Herleitung der Regelsätze haben wir
tzt nachvollziehbar dargelegt. So viel Transparenz wie
tzt gab es noch nie.
Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben gestern im Aus-
chuss sinngemäß gesagt, dass die Regelsätze unter den
orgängerregierungen vom Bundesarbeitsministerium
mer nach Kassenlage festgelegt worden sind.
Herr Kollege Kober, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Schaaf?
Vom Kollegen Schaaf immer gerne.
Geschätzter Kollege Kober, Sie haben gerade überransparenz gesprochen und gesagt: So viel Transparenzar noch nie. – Der Antrag, den wir vorgelegt haben,nthält im Prinzip eine vergleichende Rechnung: Wiearen die Regelsätze bisher, und wie sind sie neu be-
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rechnet worden? Die Grundlagen der Berechnung habenSie uns im Ausschuss ja erklärt.Würden Sie mir recht geben, dass die SPD-Bundes-tagsfraktion gestern im Ausschuss erstens den Antraggestellt hat, die Grundlagen der Berechnung, die Basis-daten, zur Verfügung gestellt zu bekommen, und zumZweiten gebeten hat, darüber informiert zu werden, wiedie Alternativrechnungen aussahen, nämlich bei der Be-rechnung die unteren 20 Prozent und nicht nur die unte-ren 15 Prozent der Einkommen zugrunde zu legen?Würden Sie mir auch recht geben – so viel zum ThemaTransparenz –, dass die Regierungskoalition dieses Be-gehren der Opposition nach Transparenz im Ausschussin Bausch und Bogen abgelehnt hat?
Lieber Herr Kollege Schaaf, vielleicht erinnern Siesich an die Ausführungen des Parlamentarischen Staats-sekretärs Dr. Ralf Brauksiepe,
der sehr deutlich dargelegt hat, wie es zur Berechnungdes unteren Einkommensquintils, wie man so schön sagt,gekommen ist und warum man der Regierung nicht denVorwurf machen kann, sie sei von diesem Grundsatz ab-gewichen. Ungefähr 22 Prozent der Einkommen wurdenberücksichtigt;
das hat der Parlamentarische Staatssekretär, wie ichglaube, plausibel und transparent erläutert. Herr Schaaf,ich bin mir übrigens sicher, dass er auf weitere Nach-frage bereit wäre, Ihnen das noch einmal zu verdeutli-chen und zu erklären.
Jetzt zu der anderen Frage, zur Einkommens- undVerbrauchsstichprobe. Auch Sie müssen zugeben, dassuns gestern im Ausschuss vom Bundesministerium fürArbeit und Soziales erläutert worden ist, dass die Rohda-ten vom Statistischen Bundesamt zum jetzigen Zeitpunktnoch nicht in anonymisierter Form vorliegen und wir aufdie sogenannten Daten zur wissenschaftlichen Nutzung– das Stichwort lautet: Scientific Use File – noch wartenmüssen. Wir arbeiten aber jetzt – ich betone das nocheinmal – auf einer viel transparenteren Datenbasis, alsSie es in der Vergangenheit jemals getan haben.
Lassen Sie uns nun abwarten, bis uns das StatistischeBundesamt weitere Informationen zur Verfügung stellt. –Vielen Dank.
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Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen sindr jeden nachprüfbar und nachvollziehbar. Wir begrün-en klar, was Bestandteil des Regelsatzes ist und wasicht. Maßgabe ist für uns die Sicherung des Existenz-inimums. Der Grundbedarf ist für uns unantastbar. Al-rdings: Genussmittel wie Alkohol und Tabak gehörenr uns nicht zum Grundbedarf,
enauso wenig wie motorbetriebene Gartengeräte undchnittblumen. Hier haben wir Wertentscheidungenetroffen, zu denen uns das Bundesverfassungsgerichtxplizit aufgefordert hat.
Zu diesen Wertentscheidungen gehört – auch daraufuss man hinweisen –, dass wir den Ausgaben für Ver-ehr eine größere Bedeutung als bisher beimessen, dair möchten, dass die Menschen mobil sind. Wir messenuch den Ausgaben für Telekommunikation und neueedien eine größere Bedeutung bei, weil die Teilhabe-hancen in unserer Gesellschaft immer mehr von neuenedien abhängen. Wir haben Wertentscheidungen ge-offen, die zeitgemäß sind und die Menschen voranbrin-en, und das ist gut so.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zu den Bildungsleis-ngen für Kinder, auf die meine Kollegin Miriam Grußpäter noch ausführlicher eingehen wird. Ich finde, dassns hier ein Meilenstein geglückt ist. Wir werden dazuuch noch einen Weg finden, der, wie man so schön sagt,iskriminierungsfrei ist. Dass Sie als Opposition sich je-och um den Punkt der Diskriminierung so viel Sorgenachen, ist ein Stück unehrlich. Schon heute haben vieletädte und Kommunen Sozialpässe oder ähnliche Ange-ote,
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Pascal Kober
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die fast alle in Ihrem Sinne nicht diskriminierungsfreisind. Auf kommunaler Ebene haben Sie von SPD, Grü-nen und Linkspartei nichts gegen Sachleistungen einzu-wenden und setzen diese sogar selbst mit um. Wenn Sienun hier auf Bundesebene versuchen, das Sachleistungs-prinzip als diskriminierend zu brandmarken, dann ist dasschlichtweg unehrlich.
Es ist gut, dass wir im Gegensatz zu Rot-Grün auch aufBundesebene etwas für die Bildungschancen und Teilha-bechancen von Kindern tun. Es ist gut, was wir tun undwie wir es tun.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Kipping von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die De-
batte über die Erhöhung der Hartz-Regelsätze ist ein
Lehrstück für das Aufhetzen der Armen gegen die ganz
Armen. Jahrelang haben verschiedene Regierungen in
diesem Land den Niedriglohnbereich gefördert. Im Er-
gebnis sind viele Menschen arm, obwohl sie von früh bis
abends schuften. Anstatt nun engagiert gegen Lohndum-
ping vorzugehen, benutzt Schwarz-Gelb die Menschen
mit Hungerlöhnen, um die Hartz-IV-Regelsätze niedrig-
zurechnen. Ich finde, das ist verdammt blamabel.
Die Friseurin mit niedrigem Lohn muss herhalten, um
Hartz IV niedrigzurechnen. Das ist ein total durchsichti-
ges Manöver. Als ob die Friseurin nur einen Cent mehr
in der Tasche hätte, wenn es den Erwerbslosen noch
schlechter geht. Wir wissen doch, dass das Gegenteil der
Fall ist – es ist empirisch bewiesen –: Je schlimmer die
Situation von Erwerbslosen ist, umso eher sind diejeni-
gen, die noch einen Arbeitsplatz haben, bereit, für nied-
rigere Löhne zu arbeiten. Das heißt im Klartext: Nied-
rige Sozialleistungen ziehen das Lohnniveau in der
Tendenz nach unten. Wenn man also höhere Löhne
möchte, dann muss man sich auch für bessere Sozialleis-
tungen einsetzen.
Frau von der Leyen erweckt den Eindruck, dass die
Regelsatzhöhe direkt von den kleinen Löhnen abgeleitet
worden ist. Vor diesem Hintergrund muss ich einmal fra-
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it der gestrigen Abstimmung im Ausschuss haben wir
s nun schwarz auf weiß: Schwarz-Gelb will zwar den
indruck von Transparenz schaffen, aber Sie wollen
eine wirkliche Transparenz, zumindest wenn es um die
formation der Opposition geht. Das ist höchstpeinlich.
Sie erwecken den Eindruck, bei den Abschlägen
inge es nur um Zigaretten und Alkohol. Halten wir ein-
al fest: Die Zigarettendebatte bewirkt vor allem eines:
ebelschwaden, die von Abschlägen in anderen Berei-
hen ablenken sollen,
um Beispiel beim Bereich Benzin oder Autoreparatur.
Ich bin sehr für umweltfreundliche Verkehrsmittel
ie Bus und Bahn, muss aber auch zur Kenntnis neh-
en, dass man im ländlichen Raum leider häufig das
uto braucht, um bestimmte Orte zu erreichen.
0 Prozent der Hartz-IV-Haushalte leben nun einmal im
ndlichen Raum. Wie sollen dann die Betroffenen zu
en schönen neuen Bildungsangeboten kommen, die Sie
nen jetzt anbieten? Sie können sich doch nicht hinstel-
n und sagen: Toll, wir schaffen neue Angebote, aber
ie die Leute dahinkommen, das ist uns egal.
Frau Kollegin Kipping, erlauben Sie eine Zwischen-age des Kollegen Patrick Kurth?
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Mit Vergnügen.
Herr Kurth, bitte.
Frau Kipping, in diesem Zusammenhang haben Sie
am Montag in einer Pressemitteilung geschrieben:
Kollektiver Ansturm auf Büros von Union und FDP
Wenn die Koalition das im Hinterzimmer auskun-
geln und das Parlament ausschließen will, dann
muss diese Auseinandersetzung auf die Straße ge-
tragen werden. Ich empfehle allen Erwerbslosen, in
den nächsten Wochen kollektiv Besuche in den Bü-
ros von Union und FDP abzustatten …
Meine Frage aufgrund meiner persönlichen Planung –
es gab in Thüringen mehrere Anschläge auf FDP-Büros;
jetzt klatscht keiner, sehr gut – ist: Würden Sie mir recht
geben, dass in einer rechtsstaatlichen Demokratie,
egal, wer regiert, die politische Auseinandersetzung aus-
schließlich mit der Kraft des Wortes gepflegt wird? Wie
stehen Sie zu der Aussage: Gewalt ist keine Lösung? –
Sie sprachen vorhin von „aufhetzen“: Wie bezeichnen
Sie Ihren Artikel hier?
Normalerweise verabredet man mit Leuten aus der ei-genen Fraktion, solche Zwischenfragen zu stellen, wenndie Redezeit zu kurz ist. Die Fragezeit wird dann dazugenutzt, noch einmal Punkte anzusprechen, die man un-bedingt unterbringen will. Vielen Dank, dass Sie vielZeit Ihrer Frage dafür genutzt haben, meine Pressemit-teilung zu zitieren.
Zu Ihrer Frage kann ich nur sagen: Ich selbst bin Pazi-fistin, und wenn Sie bei „Ansturm auf Büros“ an An-schläge denken, dann ist das eher Ausdruck Ihrer Denke.
Ich verstehe unter „Ansturm“ natürlich, dass man zu Ih-nen hingeht und – das stand auch in der Pressemitteilung –dass Ihnen die Erwerbslosen endlich einmal erklären,wie schwer es ist, mit diesem wenigen Geld über dieRunden zu kommen;dmhVIcvAsAduBeaWnbteAdssbsgEWBmSnakwndBzmWfü
enn Sie sind ja offensichtlich der Überzeugung, dassan von 364 Euro im Monat leben kann. Ich glaube,ier ist noch viel Aufklärungsarbeit bei Ihnen nötig. –ielen Dank.
Ich würde gerne auf meine Rede zurückkommen. –h finde, die Debatte um Zigaretten ist auch deswegenerlogen, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, dasslkohol und Zigaretten nur ein Problem von Erwerbslo-en sind. Es kommt doch auch niemand auf die Idee, denbgeordneten die Diäten zu kürzen, weil sie eventuellen Whiskeyschwenker in Schreibtischnähe haben,
nd es kommt niemand auf die Idee, den Bankern dieoni zu kürzen, weil sie Champagner trinken. Ich meine,s gibt gute Gründe, den Bankern die Boni zu kürzen,ber nicht wegen ihrer Trinkgewohnheiten.Abschließend möchte ich dann doch noch einigeorte zur SPD sagen. Es ist ja unnötig, daran zu erin-ern, wer Hartz IV auf den Weg gebracht hat. Manraucht keinen Vaterschaftstest, um an die rot-grüne El-rnschaft von Hartz IV zu erinnern.Nun gibt es Ihren Antrag, und ich finde, mit diesemntrag erwecken Sie schon klar den Eindruck, dass Sieas Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, im Gegen-atz zu Schwarz-Gelb, sehr ernst nehmen. Das finde ichehr erfreulich. Ich muss allerdings sagen: Ich finde eseunruhigend, wie sich der Ton der SPD-Spitze zu die-em Thema verändert hat – und das innerhalb von nuranz wenigen Tagen.
s steht wirklich zu befürchten, dass die SPD, die amochenende als Tiger abgesprungen ist, am Ende imundesrat als Schoßhündchen bei Schwarz-Gelb landet.
Ich hoffe wirklich, dass ich mich sehr irre; denn icheine, wir müssen hier nicht wie das Kaninchen vor derchlange vor Schwarz-Gelb stehen und sagen: Wir kön-en ja gar nichts machen, die haben die Mehrheit. – Wirls Rot-Rot-Grün hätten es konkret in der Hand. Wirönnten diesen Gesetzentwurf zu Fall bringen, indemir erstens mit einer Normenkontrollklage gemeinsamach Karlsruhe ziehen und deutlich machen: „Hier wirdas Urteil missachtet“, und zweitens kann man ihn imundesrat ablehnen. Im Bundesrat wird es tatsächlichum Offenbarungseid kommen. Ich glaube, bei der SPDuss man sich entscheiden – man steht jetzt vor einereggabelung –, ob man sich gemeinsam mit den Linkenr Erwerbslose und Niedrigverdienende einsetzen will
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Katja Kipping
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oder ob man – das wollen die Kollegen von der CDU –zur Westentaschenreserve der CDU werden will.
Ich will nur noch einmal daran erinnern: Der ge-schäftsführende SPD-Fraktionsvorsitzende hat bereitsBereitschaft zum Kompromiss angekündigt. Ich appel-liere an Sie: Lassen Sie sich im Bundesrat die Zustim-mung nicht für ein paar symbolische Glasperlen abhan-deln. Ich meine, die mindeste Voraussetzung für jedeVerhandlung im Vermittlungsausschuss muss sein, dassim Bundesrat nicht die Rechentricksereien der Bundes-regierung die Grundlage sind, sondern zumindest die umdie schlimmsten Tricksereien bereinigte Berechnung desParitäters. Mir geht das, was der Paritäter berechnet hat,nicht weit genug, aber ich glaube, die Berechnung desParitäters muss die rote Linie sein, unter die Sie als SPDim Bundesrat nicht zurückfallen dürfen.
Grundsätzlich ist zu sagen: Der Kurs von Hartz IVführt in die falsche Richtung. Wir als Linke setzen hierauf einen anderen Kurs. Wir wollen einen gesetzlichenflächendeckenden Mindestlohn, eine Kindergrundsiche-rung und mindestens eine sanktionsfreie Mindestsiche-rung. Finanziert werden kann das alles, wenn man sichendlich an eine ordentliche Besteuerung der Spekulatio-nen heranwagt.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Einige Rednerinnen und Redner haben es schon be-
tont: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt uns
auf, ein menschenwürdiges Existenzminimum, das der
Maßgabe des Art. 1 des Grundgesetzes entspricht, zu
schaffen. Ich wundere mich, wie wenig Sie von der Re-
gierungskoalition in der öffentlichen Darstellung auf
diesen Bezug zur Menschenwürde eingehen.
In der öffentlichen Debatte draußen führen Sie doch
hauptsächlich, wenn nicht vollständig, eine miserable
Lohnabstandsdiskussion nach dem Motto: Wenn schon
die Löhne nicht existenzsichernd sind, dann soll es die
Grundsicherung erst recht nicht sein.
Mit dieser Art der öffentlichen Darstellung, nach der
die kleine Verkäuferin dafür herhalten muss, dass die
Höhe des Arbeitslosengeldes II unzulänglich bleibt, er-
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as zieht sich durch das gesamte Gesetzgebungsvorha-
en der Bundesregierung und natürlich auch durch das
parpaket. Auf der ganzen Linie treffen Sie Bestimmun-
en, die gar keinen anderen Schluss zulassen, als dass
ie Langzeitarbeitslose als Bürger zweiter Klasse sehen.
Ich fange mit dem Regelsatz an. Ich will da gar nicht
en Vorwurf der Trickserei bemühen. Mir reicht völlig
us, welche politischen Setzungen Sie vornehmen, etwa
ei Schnittblumen; bei den kleinen Dingen kommt es ja
esonders deutlich zum Vorschein. Ich dachte, Sie sind
ie Partei der Bürgerlichkeit. Nach meinem Verständnis
ehört zur bürgerlichen Lebensführung, dass man seiner
utter zum Geburtstag auch mal einen Strauß Blumen
itbringen kann.
Auch da, wo Sie Bedarfe nicht aberkennen, zeigen die
euen Berechnungen zum Regelsatz: Die Lebenswirk-
chkeit – die muss man ja auch einmal heranziehen –
cheint für Sie keine Rolle zu spielen. Nehmen wir auch
ier nur ein Beispiel, Mobilitätskosten bei Jugendlichen.
ür 14- bis 18-Jährige haben Sie 12,62 Euro pro Monat
orgesehen. Dafür kriegen Sie kein Schülerticket und
eine Monatskarte. Wenn ich weiß, dass es Landkreise
ibt, die über 16-Jährigen keine Monatskarte mehr für
en Schulweg finanzieren, weil sie sagen: „Das Ende der
chulpflicht ist erreicht. Wenn du Abitur machen willst,
usst du selbst für deine Fahrkarte aufkommen“, dann
ehe ich doch ein, dass diese 12,62 Euro für Mobilität im
onat völlig unzureichend sind.
Selbst wenn sie korrekt berechnet worden sind: Ich
uss doch den Gegencheck mit der Wirklichkeit ma-
hen. Deswegen fordern wir in unserem Antrag ja auch,
ass wir zur Gegenprüfung wieder einen Warenkorb
usammenstellen, um zu sehen, ob die Bedarfe, die sta-
stisch ermittelt worden sind, tatsächlich dem entspre-
hen, was notwendig ist. Denn das Bundesverfassungs-
ericht hat ja auch gesagt: Der tatsächliche Bedarf muss
edeckt werden.
Wenn Sie mit solchen Dingen konfrontiert werden,
agen Sie immer: Der Regelsatz ist aber doch nicht evi-
ent zu niedrig. Das Bundesverfassungsgericht habe ge-
agt: Er ist nicht evident zu niedrig.
Herr Kollege Kurth.
Einen Moment bitte noch. – Es muss Ihnen doch auf-llen, dass die Bundesagentur für Arbeit mittlerweile
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6415
Markus Kurth
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1,1 Millionen Darlehen verwaltet, weil Aufwendungenetwa für langlebige Verbrauchsgüter, die kaputtgegangensind, wie Kühlschränke, Herde, einfach nicht aus demRegelsatz angespart werden können. Wollen Sie denndie Bundesagentur für Arbeit zu einer Art Bad Bank fürArme machen?
Erlauben Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen
Weiß?
Sehr gern, Herr Weiß. Bitte.
Herr Kollege Kurth, Sie haben eben in Ihrer Rede auf
das alte Berechnungsmodell für den Regelsatz – damals
noch der Sozialhilfe, heute des Arbeitslosengeldes II –
verwiesen, den sogenannten Warenkorb. Würden Sie uns
bitte bestätigen, dass das Bundesverfassungsgericht in
seinem Urteil ausdrücklich die neue Berechnungsme-
thode nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
als geeignet bezeichnet hat, um den Regelsatz zu bemes-
sen?
Würden Sie zum Zweiten bestätigen, dass die Ab-
schaffung des alten Warenkorbs – da ging es etwa da-
rum: Gehört da eine Banane hinein oder ein Apfel? – da-
mals von allen Wohlfahrtsverbänden und Fachleuten
gefordert worden ist, der Übergang zur neuen Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe begrüßt worden ist und
dass vor allen Dingen die Abschaffung des Warenkorbs
und der Übergang zu der neuen Berechnungsmethode
dazu geführt haben, dass die Regelsätze damals um über
10 Prozent gestiegen sind, dass Warenkorb also weniger
Leistungen und Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
mehr Leistungen bedeutet?
Ausdrücklich kann ich Ihrer letzten Feststellung nichtzustimmen.
Es ist so gewesen, dass die einmaligen Leistungen, dievorher gewährt worden sind, in den pauschalierten Re-gelsatz übernommen worden sind. Das geschah leider– das muss man rückblickend sagen – zulasten insbeson-dere der Kinder, die überproportional einmalige Leistun-gen in Anspruch genommen haben, weil sie schließlichwachsen. Ich will aber gar nicht in Abrede stellen, dassdas Bundesverfassungsgericht die Einkommens- undVerbrauchsstichprobe als zulässiges und geeignetesVerfahren angesehen hat.
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Das bestätige ich gerne. – Allerdings muss man dazuagen, dass wir damals ein ganz anderes Lohnniveauatten. Wir müssen doch sehen, dass seit dieser Zeit dieöhne abgesackt und nicht mehr existenzsichernd sindnd dass wir deswegen nicht mehr ausschließlich auf dieinkommens- und Verbrauchsstichprobe zurückgreifenönnen, wenn wir den tatsächlichen Bedarf feststellenollen – und dies umso mehr, als die von Ihnen ausge-ählte kleine Gruppe, die den Maßstab für den Regel-atz bildet, nicht mehr die unteren 20 Prozent, sondernur noch die unteren 14 Prozent der Einkommen um-sst.
Es geht aber nicht nur allein um den Regelsatz. Deresetzentwurf ist umfangreicher. Ich möchte abschlie-end kurz etwas zur Rechtsposition der Langzeitar-eitslosen sagen. Sie verschlechtern nämlich auch derenechtsstellung und führen eine Ungleichbehandlung ein,ie ich wirklich als unglaublich empfinde. So soll zumeispiel bei der Verhängung von Sanktionen zukünftigeine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung mehr notwen-ig sein, sondern es reicht, wenn der Betroffene davonenntnis gehabt hat. Im Zweifelsfall reicht also ein Tele-nat mit dem Fallmanager, der sagt: Wenn du das undas nicht machst, verhänge ich eine Sanktion. – Das istann die Rechtsgrundlage für die Verhängung eineranktion. Wir würden uns doch als Steuerbürger oder alserkehrsteilnehmer, der einen Bußgeldbescheid erhält,iemals gefallen lassen, dass die Rechtsbehelfsbeleh-ng fehlt. Und so etwas kommt von der angeblichenechtsstaatspartei FDP.
arüber muss ich mich doch schon sehr wundern.
Wenn man dann noch sieht, dass Gerichtskosten nicht Regelsatz enthalten sind und dass von den von Ihnengierten Ländern Baden-Württemberg und Bayern Vor-töße kommen, die Prozesskostenhilfe einzuschränken,ann erkennt man, dass Sie auf der bürgerrechtlichenbene ebenfalls Bürgerinnen und Bürger zweiter Klassechaffen. Sie können noch so viel von den neu anerkann-n Kinderbedarfen reden: Das ist angesichts dieserchwerwiegenden Mängel ein Tröpfchen auf den heißentein. Mir jedenfalls ist zu dem, was die schwarz-gelbeoalition tut, ein Vers aus Heinrich Heines Deutschland.in Wintermärchen eingefallen:
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6416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Markus Kurth
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Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,Ich kenn auch die Herren Verfasser,Ich weiß, sie tranken heimlich WeinUnd predigten öffentlich Wasser.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debattenbeiträge der Opposition werden
wirklich nicht besser.
Gestern hat Frau Ferner noch gesagt, die Sozialministe-
rin von der Leyen sei nicht durchsetzungsfähig; heute
haben wir von Frau Ziegler gehört, sie zögere.
Ich sage dazu: Zwei Jahre keine Jobcenterreform; die ha-
ben Sie nicht hinbekommen. Ursula von der Leyen hat
dafür drei Monate gebraucht.
Bei den Regelsätzen ist es genauso: Im September waren
die statistischen Unterlagen verfügbar, und noch im Sep-
tember liegt der Referentenentwurf vor. Am 17. Dezem-
ber dieses Jahres werden wir diesen Gesetzentwurf ver-
abschieden. Wenn Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, das verhindern, dann tragen Sie auch da-
für die Verantwortung.
Wir als CDU tragen das C in unserem Namen.
– Da dies bei Ihnen Schreierei verursacht, sollten Sie
einmal darüber nachdenken, wie weit wir gekommen
sind. – Unsere Basis ist nicht sozialistisch. Unser Motto
ist eben nicht „alle gleich“. Menschenwürde ist deswe-
gen für uns kein politisches Kalkül, sondern eine tiefe
Überzeugung.
Hier setzt unser Gesetzentwurf an.
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s wird dem geholfen, der es wirklich braucht.
Eine weitere Klarstellung: Keinen der vom Bundes-
erfassungsgericht angemahnten Sachverhalte haben die
DU/CSU oder die FDP zu verantworten. Diese Gesetze
tammen nun einmal von der SPD und den Grünen.
ie SPD schreibt in ihrem vorliegenden Antrag – ich zi-
ere –:
Das BVerfG hat dabei in seinem Urteil weder die
absolute Höhe der Regelsätze infrage gestellt noch
das Verfahren zur Bemessung der Regelsätze an-
hand der Verbrauchsausgaben unterer Einkom-
mensgruppen … als grundsätzlich ungeeignet be-
zeichnet.
in spröder, unhandlicher Satz, aber wahr.
Frau Kollegin Heil, erlauben Sie eine Zwischenfrage
res Namenskollegen?
Aber gern. Wir haben uns noch nie unterhalten.
Bitte schön, Herr Heil.
Frau Heil – weder verwandt noch verschwägert –, eseut mich, dass wir uns einmal kennenlernen.
Gestatten Sie mir die Frage, ob Sie sich entsinnen,ass zumindest CDU und CSU, namentlich Herraumann und andere, über den Bundesrat und über denermittlungsausschuss am Zustandekommen der ent-prechenden Gesetze beteiligt waren. Können Sie sichines Programms Ihres Kanzlerkandidaten Edmundtoiber aus dem Jahre 2002 entsinnen, der seinerzeit ge-rdert hat, die damals bestehenden Regelsätze pauschaluf 75 Prozent zu verringern? Können Sie bestätigen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6417
Hubertus Heil
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dass das so war? Wie erklären Sie dann Ihre heutigenVorwürfe?
Ich kann mich sehr gut dessen entsinnen, auch wenn
ich ein bisschen älter als Sie bin. Ich war damals anders
als Sie noch nicht hier im Parlament. Ich fände es wirk-
lich sehr gut, wenn Sie sich gleich hier vorne hinstellten
und sagten: Ja, wir haben das damals so beschlossen,
und wir stehen auch dazu. – Aber das werden Sie nicht
tun; vielmehr werden Sie heute eine Rolle rückwärts ma-
chen.
Das Einzige, was Vertreter Ihrer Fraktion, zum Bei-
spiel Ihre Kollegen Nahles oder Gabriel, tun, ist, uns
eine verfassungswidrige Vorlage oder Trickserei vorzu-
werfen. Sie fordern höhere Transferleistungen; wir ha-
ben das eben wieder gehört. Sie stellen diese Forderung
auf, obwohl in Ihrem uns vorliegenden Antrag nicht
steht, dass die Regelsätze vom Bundesverfassungsge-
richt infrage gestellt werden. Meine sehr verehrten Da-
men und Herren der SPD, das ist Populismus und Aus-
druck notorischer Vergesslichkeit.
Die SPD geißelt die Bemessungsverfahren als unzu-
lässig und willkürlich. Gleichzeitig erklären Sie in dem
vorliegenden Antrag, dass dieses Verfahren vom Bun-
desverfassungsgericht als grundsätzlich geeignet einge-
stuft wurde. Eine eigene nachvollziehbare Berechnung
legen Sie nicht vor. Das ist Populismus und Ausdruck
notorischer Vergesslichkeit. Liegt es vielleicht daran,
dass der Antrag, den Sie vorlegen, schon ein halbes Jahr
alt ist – er stammt vom 2. März 2010 – und dass Sie Ihre
Meinung in dieser Zeit bekanntlich schon x-mal geän-
dert haben? Liegt es vielleicht daran, dass Sie sich nicht
mehr erinnern können? – Wir erleben heute eine Rolle
rückwärts der SPD, wie bei vielen anderen Themen in der
Vergangenheit auch. Ich erinnere an die Rente mit 67. Ich
erinnere daran, dass Sie sich nicht mehr daran erinnern
wollen, dass Sie die Sicherheitsstandards bei Atomkraft-
werken ausgesetzt haben. Heute erleben wir das bei den
Bemessungssätzen für die Hartz-IV-Empfänger.
So arbeiten wir als christlich-liberale Koalition nicht.
Wir stehen für Verlässlichkeit und den Mut, die Sozial-
systeme heute so zu gestalten, dass sie auch in Zukunft
leistungsfähig und bezahlbar sind, auch wenn das un-
populär ist.
Jetzt wird christlich-liberale Sozialpolitik gemacht. Un-
ser Alternativprogramm heißt: Hilfe, die bei den Kin-
dern ankommt, und Hilfe, die Ideen zur Umsetzung
Spielraum lässt. – Das ist ein Paradigmenwechsel zu-
gunsten der Kinder in unserem Land.
Am Anfang steht natürlich immer eine solide Ermitt-
lung der Berechnungsgrundlage. Dazu wurden ein
Jahr lang 60 000 Haushalte – jeder Haushalt ein Viertel-
jahr lang – begleitet. Die Zahlen sind sauber ermittelt
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Frau Kollegin Heil, kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben
ich komplett verrannt. Die Öffentlichkeit schüttelt den
opf über Sie. Es ist höchste Zeit, dass Sie sich wieder
uf Ihre Verantwortung für alle Teile der Gesellschaft
esinnen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelika Krüger-eißner von der SPD-Fraktion.
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6418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Anträge von meiner Fraktion und von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegen schon seit lan-
gem vor. Die Antragsteller hatten offensichtlich geahnt,
was uns am Wochenende von Frau von der Leyen prä-
sentiert wurde; denn das hat herzlich wenig mit den Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts zu tun. Wir haben
vom Bundesverfassungsgericht den ganz klaren Auf-
trag bekommen, die Regelsätze am Existenzminimum
orientiert, transparent und nachvollziehbar zu gestalten
sowie die Situation der Kinder zu verbessern, ihnen Bil-
dung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zuzusi-
chern.
Das, was uns nun nach acht Monaten angestrengter
Arbeit – wie gesagt wurde – vorliegt, spricht aber eine
andere Sprache. Zum einen sind die Regelsätze in Gänze
nicht nachvollziehbar. Sie erscheinen willkürlich. Zum
anderen liegt der Verdacht sehr nahe, dass sie nicht ver-
fassungskonform sind.
Im Ausschuss gab es gestern eine Vielzahl offener
Fragen, die nicht beantwortet werden konnten; es gab Ir-
ritationen und Wirrwarr bezüglich des Zahlenwerks. Wir
werden uns in den nächsten Wochen auf der Grundlage
der nachgeforderten Berechnungen noch lange mit den
Einzelheiten beschäftigen müssen. Hier scheint ganz of-
fensichtlich der Finanzminister die Hand von Frau von
der Leyen geführt zu haben: Der Regelsatz wurde zu-
sammengezimmert auf ein passendes Maß.
Die Menschen im Lande reden noch ganz anders da-
rüber. Monatelang hat die Ministerin bei den 6,8 Millio-
nen betroffenen Grundsicherungsempfängern hohe Er-
wartungen geweckt. Natürlich ist die Enttäuschung
angesichts dieses Ergebnisses groß. Man muss sich nicht
wundern, wenn Bürgermeister Buschkowsky sagt, die
Menschen fühlten sich verhohnepipelt.
Sie sagen, 5 Euro seien Almosen, Almosen für den klei-
nen Mann. Aber die Ministerin entgegnet: Mehr ist nicht
drin. Es muss ja auch bezahlt werden können. – Also
doch eine Entscheidung nach Kassenlage!
Frau von der Leyen appelliert an uns, man müsse
auch an die vielen denken, die wenig verdienen, so we-
nig wie beispielsweise eine Friseurin, die bei mir zu
Hause in Oranienburg 4,22 Euro verdient
und zusätzlich Hartz IV braucht, um am Existenzmini-
mum zu leben. Ja, natürlich hat die Ministerin recht: Wir
müssen an diese Leute denken. Ich könnte auch noch
viele andere Beispiele anführen. Aber die Ministerin
zieht die falschen Schlussfolgerungen. Der Hinweis auf
das Lohnabstandsgebot hilft hier nämlich überhaupt
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Die Ministerin drückt sich vor allen Dingen um eine
ufgabe herum, die sie als Arbeitsministerin hat. Es gibt
ur eine einzige Lösung, damit das Lohnabstandsgebot
ingehalten wird, nämlich, anstatt die Regelsätze niedrig
u halten, endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einzu-
hren.
as ist eine längst fällige Entscheidung. Um diese
rückt sich die Ministerin herum. Es führt aber kein Weg
aran vorbei. Auf diese Weise könnten Sie ernsthaft und
achhaltig bei den Ausgaben für die Grundsicherung
paren.
ie 50 Milliarden Euro für die 1,3 Millionen Aufstocker
ürden so nicht mehr fällig.
Viel schlimmer ist aber das Versagen bei der Erfül-
ng des zweiten Auftrags an uns, nämlich die Verbesse-
ng der Chancen für Kinder. Nach monatelangen An-
ündigungen, in den Medien hochgejubelt, und nach
ielen Versprechungen – ich denke nur an die Aussage:
as ist die große Chance für die Kinder, die heute viel zu
üh scheitern – liegt nun das Ergebnis vor: eine einzige
roße Enttäuschung.
h glaube, dass wir hier viel weiter denken müssen.
enn wir für alle Kinder eine echte Teilhabechance er-
ffnen wollen, kommen wir nicht drum herum, das Pro-
ramm zum Ausbau der Kindertagesstätten, das wir
egonnen haben, und das Ganztagsschulprogramm fort-
usetzen.
o kann man den Teufelskreis durchbrechen, von dem
rau von der Leyen spricht –
Frau Krüger-Leißner, kommen Sie bitte zum Schluss.
– ja –, und die Kinder aus der Armut herausführen.Staatssekretär Fuchtel, Sie müssen Frau von dereyen aus der heutigen Debatte vor allen Dingen mitge-en, dass wir ihre Worte sehr ernst nehmen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6419
Angelika Krüger-Leißner
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Wir werden sie daran messen, ob sie eine verantwor-tungsvolle Sozial- und Arbeitsministerin ist.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Vogel von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, es gäbe viel zu den Anträgen von SPD und Grü-
nen zu sagen.
– So viel Zeit habe ich nicht, aber zwei Bemerkungen
seien erlaubt, Herr Kollege Schaaf.
Ich finde es interessant, dass die SPD in ihrem Antrag
ein ganzes Konvolut an Maßnahmen zur Bekämpfung
der Armut vorschlägt, dass sie aber wenig zu den Ursa-
chen von Benachteiligungen sagt, die sie selbst durch
ungerechte Zuverdienstmöglichkeiten, durch man-
gelnde Bildungschancen für Kinder eingebaut hat. Dazu
sagen Sie in Ihrem Antrag erstaunlich wenig. Ich glaube,
das sagt viel aus.
Im Hinblick auf die Anträge der Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen finde ich es sehr bemerkens-
wert, dass sie von bedarfsgerechten Regelsätzen spre-
chen, aber den Bedarf noch gar nicht kennen.
Sie haben, wie Sie selber im Ausschuss zugegeben ha-
ben, eine Zahl in die Welt gesetzt, bevor eine Auswer-
tung der EVS vorlag.
Das kann man machen, aber bedarfsgerecht ist das si-
cherlich nicht, lieber Herr Kollege Kurth.
Da hier aber mehr über den Vorschlag der Regierung
als über Ihre eigenen Anträge geredet wurde, will ich
auch auf diesen eingehen. Lieber Herr Kurth, Sie haben
gesagt, die Regierung habe kleingerechnet und es wür-
den jetzt 15 Prozent und nicht mehr 20 Prozent der Ein-
kommen bei der Berechnung zugrunde gelegt. Das ist
eine Irreführung; denn Sie haben von den unteren
15 Prozent gesprochen. Das ist ja nicht wahr, Herr Kol-
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ir können gerne darüber diskutieren. Ich halte es fürgitim, dass Sie sagen, es muss mehr sein. Aber be-arfsgerecht ist es.Aber ich will nicht nur auf die Regelsätze eingehen.azu hat der Kollege Kober schon ausgeführt. Sie ste-
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6420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Johannes Vogel
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hen, und sie sind transparent und solide. Wichtig ist viel-mehr, dass wir darüber hinausgehen müssen. Es kannnicht nur um eine faire Grundsicherung gehen, sondernes muss auch um die Perspektiven der Menschen gehen,dort wieder herauszufinden. Wir brauchen eben aucheine trittfeste Leiter aus Hartz IV heraus. Insoweit wer-den jetzt zwei Ungerechtigkeiten endlich korrigiert.Sie haben bisher Kinderbildungsausgaben gar nichtberücksichtigt. Nun werden endlich faire Chancen fürdie Kinder geschaffen. Es ist eben nicht nur das Schul-starterpaket, das die Große Koalition schon eingeführthat. Darüber hinaus sind es eben Kosten für Vereinsmit-gliedschaften, aber nicht nur das. Es sind auch die Schul-ausflüge und das Mittagessen und die Kosten für Nach-hilfe für die Kinder, die sie benötigen.
Hier so zu tun, als sei es nur das, was die Große Koali-tion vorgelegt hat, hält der Überprüfung mit der Realitätnicht stand.
Wir werden ein Zweites tun, weil wir nicht nur dieBenachteiligung der kommenden Generationen und dortderjenigen, die die Unterstützung der Solidargemein-schaft brauchen, beheben wollen, sondern auch die Be-nachteiligung der Erwachsenen. Daher fragen wir: Wiekönnen wir das System so weiter umgestalten, dass mehrMenschen wieder herausfinden? Wie können wir denAufschwung auf dem Arbeitsmarkt – Sie alle habenheute wahrscheinlich wie ich die diesbezüglichen Zahlenverfolgt – dafür nutzen, dass auch mehr Langzeitarbeits-lose eine Chance haben? Diese Koalition wird sichnächstes Jahr nicht nur mit der Überprüfung der arbeits-marktpolitischen Maßnahmen darum kümmern, dass dieVermittlung vor Ort besser und schneller erfolgt, son-dern wir wollen auch die Zuverdienstmechanismenverbessern, damit wir eine trittfeste Leiter aus derGrundsicherung heraus haben. Alle Experten, zuletztwieder die OECD und das IAB, bestätigen uns doch:Derzeit lohnt es sich für viele nicht und es ist nicht aus-reichend Motivation vorhanden, sich Schritt für Schrittaus dem Transferbezug emporzuarbeiten, weil ebennach den ersten 100 Euro von jedem Euro nur 20 Centbehalten werden können. Das ist ungerecht, das ist un-fair, und das werden wir korrigieren. Dann ist es einPaket, das die Grundsicherung natürlich noch nichtperfekt macht – daran werden wir in den nächsten Jah-ren auch weiterarbeiten –, das aber das Sozialsystem inDeutschland erheblich fairer macht als das, was Sie unshinterlassen haben.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Frak-
tion Die Linke.
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as ist leider die Mehrzahl der Kinder. Sie bekommenmer noch kein Schulessen und auch nichts als Gut-chein zusätzlich zum Regelsatz. Sie gehen also weiterungrig in den Unterricht. Es interessiert Sie auch garicht, ob die Leistung wirklich bei den Kindern an-ommt oder nicht. Sie freuen sich eher noch – daschreiben Sie auch: Die Kosten hängen davon ab, inwie-eit die Angebote wirklich in Anspruch genommen undie Gutscheine eingelöst werden –, weil jedes nicht an-ebotene Schulessen ein bisschen im Haushaltssäckelpart.Aber es geht noch so weiter: Als Familienministerinat Frau von der Leyen noch medienwirksam an einerroß angelegten Vorlesekampagne teilgenommen. Wieber Familien, die von dem leben sollen, was Sie ihnentzt geben wollen, für 2,16 Euro im Monat ihrem Kind
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6421
Diana Golze
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ein Buch kaufen sollen, bleibt mir als Mutter von zweiKindern schleierhaft. Ganze 6,07 Euro sind im Monat fürWindeln vorgesehen. Halten Sie dies wirklich für realis-tisch? Davon bekommt man vielleicht, wenn man Glückhat, eine Packung Billigwindeln. Aber ich habe meinKind öfter als nur eine Woche im Monat gewickelt.Auch die Leistungen, die Sie in das sogenannte Bil-dungspaket packen, werden das, was im ganz normalenLeben zu finanzieren ist, nicht decken; denn auch hierbetreiben Sie Augenwischerei und schummeln die Zah-len groß.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kober?
Ja, gerne.
Bitte.
Frau Kollegin Golze, würden Sie mir recht geben,
dass es ein ziemlich dichtes, flächendeckendes Netz an
öffentlichen kostenlosen Stadtbibliotheken in Deutsch-
land gibt, die auch von Menschen, die im Arbeitslosen-
geld-II-Bezug sind, zu nutzen sind?
Wissen Sie, Herr Kober, ich bin auch kommunalpoli-tisch tätig; ich habe ein Mandat in einer Stadtverordne-tenversammlung. Ich weiß sehr wohl, wie es um die fi-nanzielle Situation der Kommunen bestellt ist, übrigensauch aufgrund von Regierungshandeln in den letztenJahren.
Ich weiß also, wie viele Bibliotheken in den letzten Jah-ren entweder geschlossen wurden oder nur noch ehren-amtlich betrieben werden. Zum Teil mussten auch dieGebühren angehoben werden. Insofern ist klar, dass von2,16 Euro eine Bildungsbeteiligung dieser Kinder nichtmöglich ist.
Zurück zum sogenannten Bildungspaket. Das Schul-bedarfspaket – das ist schon gesagt worden – gibt esschon seit mehr als einem Jahr; aber Sie feiern es jetzt,als hätte es das vorher nicht gegeben. Ihr angeblich sogroßes Bildungspaket verringert sich also weiter, undzwar um 120 Millionen Euro. Das gilt umso mehr, weilhdPDramPEn1stostutekKresnussRBddliangteJqntähAd
as heißt, die Kinder von Geringverdienern werden he-usgenommen; ihnen soll diese Leistung weggenom-en werden. Das hat das Arbeitsministerium in derresse bestätigt.
s wird also weiter geschummelt und von den Armenoch etwas weggenommen.Ich kann lesen, dass Sie Kindern nun monatlich0 Euro für Sport, Spiel, Kultur, Geselligkeit und außer-chulische Bildung zur Verfügung stellen wollen. Einelle Sache! Davon könnte ich nicht einmal die Musik-chule meiner Tochter bezahlen. Es ist gestern in der Ak-ellen Stunde schon viel dazu gesagt worden: Flötenun-rricht oder Reitunterricht
ann man wohl kaum mit 10 Euro monatlich bezahlen.Auch im Sportbereich – wir waren gerade bei denommunen – sind die Vereinsbeiträge in den letzten Jah-n angestiegen. Aber warum sollte sich ein Kind, dasich nicht einmal gesundes Essen leisten kann, auchoch im Sportverein bewegen und soziales Miteinandernd Fairness lernen! Das passt gar nicht zueinander. Sieollten den Experten, die dem Ministerium diese Rat-chläge gegeben haben, einen Bildungsgutschein fürealitätskunde geben. Das würde weiterhelfen.
Es müssen im Übrigen die gleichen realitätsfremdenerater gewesen sein, die Ihnen vorgeschlagen haben,ass zukünftig Fallmanager oder Familienlotsen die Bil-ungsberatung für fast 2 Millionen Kinder und Jugend-che übernehmen sollen. Sie bauen eine Parallelstrukturuf – neben den Ämtern, die das originär zu tun hätten,ämlich die Jugendämter; denn Sie wissen, dass die Ju-endämter auch aufgrund von Bundespolitik in den letz-n Jahren Personal abbauen mussten; nun soll das dasobcenter erledigen – mit Personal, das dafür gar nichtualifiziert ist und diese Aufgabe im Übrigen auch garicht übernehmen will. Auch das spricht für Ihre Reali-tsferne.Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Dieser Entwurfat mit „kindgerecht“ nichts zu tun. Er erfüllt nicht denuftrag des Bundesverfassungsgerichtes. Wir werdeneshalb weiter über diesen Gesetzentwurf streiten.Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Britta Haßelmann von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-nige der Beiträge von CDU/CSU und FDP zeigen ganzdeutlich, dass die Wortwahl von Diana Golze – sie hatvon Realitätsferne gesprochen – absolut zutreffend ist.Herr Kober, ich habe gerade nachgesehen: Sie kom-men aus Reutlingen. Vielleicht gibt es in Reutlingen eineStadtbibliothek, die noch kostenfrei ist. Ich habe mir ge-rade sagen lassen: Selbst in Baden-Württemberg ist esnicht so. Mein Gott, wo leben Sie denn?
In den meisten Städten und Gemeinden geht es darum:Können wir Stadtteilbibliotheken überhaupt noch offenhalten, oder müssen wir die Beiträge erhöhen, um nichtalle schließen zu müssen?
Ich finde, Ihre Äußerungen sind nur eine Bestätigung da-für, wie die Lebenswirklichkeit von Ihnen eigentlichwahrgenommen wird.
Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Sie werden bei al-ler Statistik, bei allen Zahlen, mit denen Sie hier aufwar-ten, nicht darum herumkommen, zur Kenntnis zu neh-men, dass es in der Bevölkerung – in den Kreisen, indenen Menschen Armut erleben oder mit Menschen kon-frontiert sind, die in Armut leben oder in Armut zu fallendrohen – als absolutes Gerechtigkeitsproblem empfun-den wird, dass Sie hier eine Erhöhung des Arbeits-losengeldes II um 5 Euro vorschlagen. Schauen Sie sichdoch einmal die Welt draußen an! Verfolgen Sie die De-batten in Kirche und Gesellschaft! Schauen Sie, was dalos ist! Kein Mensch versteht, dass ausgerechnet wirkluge Ratschläge bei der Frage geben, was in einen Re-gelsatz gehört und was nicht. Darüber sollten Sie we-nigstens einen Moment lang nachdenken.
Beim Bildungspaket steht die Antwort auf die großeFrage aus – da kneifen die Ministerin und auch Sie –:Gibt es hier einen individuellen Rechtsanspruch eines je-den Kindes, ja oder nein? Ich sende einen schönen Grußan die Haushälter: Wenn ein individueller Rechtsan-spruch besteht, dann müssen Sie auf die 620 MillionenEuro kräftig etwas drauflegen, dann werden Sie mit ei-ner Deckelung bei 620 Millionen Euro nicht hinkom-men.DskddkdhBwUatunfrSnIddngSddnDSuagmhLmmteesdteuWds
ie Antwort auf die große Frage bleibt offen; Sie habenie nicht beantwortet.Es wurde vieles zu den Regelsätzen gesagt. Ichomme jetzt zu den Kosten der Unterkunft. Wir habenie Sparbeschlüsse; wir haben den Referentenentwurf,er natürlich auch auf das Thema der Kosten der Unter-unft eingeht. Seit Januar, als es die schwarz-gelbe Bun-esratsinitiative gegeben hat, endlich die Angemessen-eit der Unterkunftskosten zu überprüfen und denundesanteil neu zu berechnen und zu erhöhen, hampelnir an der Frage der Kosten der Unterkunft herum.nd was machen Sie jetzt? Jetzt frieren Sie den Bundes-nteil der Kosten der Unterkunft ein. Das heißt in Rich-ng der Länder und der Städte und Gemeinden: Es wirdichts mit einer Erhöhung, der Bundesanteil wird einge-oren.
ie ziehen das Vermittlungsverfahren immer weiter hi-aus und kommen jetzt im Referentenentwurf auf dieee, den Bundesanteil schon einmal einzufrieren unden Kommunen mehr Rechte zu geben. Die dürfen dem-ächst per kommunaler Satzung entscheiden, was „An-emessenheit der Unterkunftskosten“ bedeutet. Wissenie eigentlich, was das für die Städte und Gemeinden be-eutet? 400 Landkreise und kreisfreie Städte entscheidenemnächst darüber, was angemessen ist, weil Sie dasicht zustande bringen.
as fördert doch die Klagen, meine Damen und Herren.
3,4 Milliarden Euro – darauf lassen Sie es beruhen.ie gehen auch nicht daran, dass Baden-Württembergnd Rheinland-Pfalz eine andere Zuweisung bekommenls die 14 anderen Länder. Ich habe mehrfach Anfragenestellt, warum das eigentlich so ist. Das kann mir nie-and erklären. Das sei damals im Bundesrat so ausge-andelt worden, heißt es. Ausgerechnet diese beidenänder bekommen ein paar Prozentpunkte mehr. Wennan fragt, wo die sachliche Grundlage dafür ist, erhältan keine Erklärung.Anstatt die Unterkunftskosten den tatsächlichen Kos-n entsprechend zu finanzieren und den Bundesanteilndlich zu erhöhen – so wie das nicht nur die Grünen,ondern auch die Städte und Gemeinden und der Bun-esrat fordern –, drücken Sie sich weg, frieren Ihren An-il ein, ziehen das Vermittlungsverfahren in die Längend kommunalisieren jetzt noch durch die Satzungen.as das für Auswirkungen auf die Betroffenen und aufie Debatten vor Ort hat, darauf können wir sehr ge-pannt sein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6423
Britta Haßelmann
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Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nach den lebhaften Ausführungen der Kolle-gin Haßelmann und auch der Vorredner von der SPDmuss man sich schon fragen, über was wir heute eigent-lich diskutieren. Wir diskutieren über ein Urteil des Bun-desverfassungsgerichts, das eine bis zum 9. Februar vondiesem Hause durchaus mitgetragene Regelung hinsicht-lich der Berechnung der Langzeitarbeitslosenbedarfs-sätze für verfassungswidrig erachtet hat. Um einer kol-lektiven Amnesie gerade der Gruppe in der Mitte diesesRaumes vorzubeugen, muss man mitteilen, wer Vaterund wer Mutter des entsprechenden Gesetzes war. Daswar Rot-Grün!
Gut, wir waren Taufpaten; wir haben mitgemacht.
– Damit habe ich kein Problem. Wissen Sie: Politik be-ginnt mit der Betrachtung der Realität. – Wie gesagt: DieSPD hat es damals auf den Weg gebracht. Daher würdees Ihnen im Interesse der Betroffenen gut anstehen, denheute Zuhörenden zu sagen: Wir arbeiten konstruktivmit.
Insofern sind Sie nämlich als Väter und Mütter diesesGesetzes weiterhin in der Verantwortung, Hartz IV alslernendes System weiterzuentwickeln. Ich appelliere anSie als ehemaligen Koalitionspartner, anders als die Kol-legin Kipping, die Sie aufhetzt und auffordert, im Bun-desrat nicht zuzustimmen: Wenn ihr in der SPD noch einbisschen Vernunft habt, dann stimmt im Bundesrat zuund hetzt eure Länder nicht auf!
Unser Problem ist, dass Teile dieses Hauses das Urteilim letzten halben Jahr schlicht missinterpretiert und derBevölkerung vorgegaukelt haben, im Urteil stünde etwasanderes, als tatsächlich drinsteht. Damit wurde natürlichdie Erwartung erweckt: Hartz IV muss steigen. Im Urteilsteht aber – mit Ihrer geschätzten Erlaubnis, Herr Präsi-dent, möchte ich im O-Ton aus dem Urteil zitieren –:Für den Betrag der Regelleistung von 345 Euronach § 20 Abs. 2 1. Halbsatz SGB II a.F. kann eineevidente Unterschreitung nicht festgestellt werden,weil die Regelleistung zur Sicherung der physi-schen Seite des Existenzminimums zumindest aus-reicht …Dmfa–DnSdmGreLdkSdmIcvsdbfelotadkdd
h möchte abermals mit der Mär aufräumen, dass deron Ihnen geforderte Mindestlohn – Ihre Forderungenind von 7,50 Euro schon auf 8,50 Euro gestiegen, an-ere verlangen 10 Euro; all das ist bekannt – geeignet ist,eispielsweise eine vierköpfige Familie aus dem Trans-rbezug herauszuholen. Sie bräuchten einen Mindest-hn in der Größenordnung von 11,80 Euro, wenn Sietsächlich eine Familie davon ernähren wollten. Auchas muss man den Menschen sagen.
Exemplarisch ist eine Aussage meines Lieblingslin-en Klaus Ernst – heute ist er nicht da, ich habe ihn iner Debatte vermisst –, des berühmtesten Aufstockerser Republik:Wenn der Regelsatz bei rund 370 Euro liegen soll,dann wird das Prinzip Armut per Gesetz fortge-schrieben.
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6424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Paul Lehrieder
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– Ich habe ihn doch nur als Nachbarn aus Schweinfurtvermisst. Ich bitte um Verständnis. Wir verstehen uns sogut.Die Tatsachen sind: Der Sozialhilfeempfänger desJahres 2004 bekam einen monatlichen Regelsatz vonrund 260 Euro. Heute erhält ein Alleinstehender nachSGB II einen monatlichen Regelsatz von 359 Euro bzw.in Zukunft, nach dem neuen Gesetz, von 364 Euro. Manmuss aber auch sagen, dass dazu noch die Wohnkostenkommen.Frau Kollegin Haßelmann hat darauf hingewiesen,dass die Höhe der Zuschüsse in Zukunft, den regionalenGegebenheiten entsprechend, von den Kommunen fest-gesetzt werden kann. Ich bitte um Verständnis, dass wirdie Kommunen ins Boot holen; denn sie müssen einenTeil der Chose mitbezahlen. Es ist doch nur legitim, dassder Landrat bzw. der Oberbürgermeister bei der Festset-zung der Wohn- bzw. Mietkosten mitreden darf. Das istunser Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung.
– Stellen Sie eine Frage, dann dauert es bei mir noch einwenig länger, Herr Kollege Kolb.
359 bzw. 364 Euro je Grundbedarf plus die Wohnkos-ten von derzeit rund 300 Euro, dann kommen noch Heiz-kosten, Sozialversicherung – ungefähr 165 Euro – hinzu.All dies zusammen muss jemand, der als Single selbst-ständig bzw. berufstätig ist, erst einmal erwirtschaften,bevor ich sagen kann: Er ist genauso gestellt wie einHartz-IV-Empfänger.
Herr Kollege Schaaf hat eine Zwischenfrage. Ichwäre bereit, sie zuzulassen.
Das Wort erteile ich.
Das weiß ich.
Aber Sie genehmigen das.
In vorauseilendem Gehorsam, selbstverständlich,
Herr Präsident.
Herr Schaaf, zu Ihrer Zwischenfrage, bitte.
Ich will nicht über die Urheberschaft mit Ihnen strei-
ten, aber eines ist völlig klar: Ich habe aus der Union und
auch aus der FDP keine Proteste gehört, was die Berech-
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s gab keinen Widerstand im Bundesrat, was die Frage
er Berechnungsgrundlage angeht. Es gab aber massiven
iderstand bei Union und FDP, was die Höhe angeht,
nd zwar dahin gehend, dass gesagt worden ist, dass das,
as von Rot-Grün gemacht wurde, viel zu hoch ange-
etzt ist. Das zur Klarstellung, bevor ich meine Frage
telle.
Herr Lehrieder, sind Sie mit mir nicht auch der Mei-
ung – vor dem Hintergrund, wie dieses Urteil aus-
estaltet ist, es geht nämlich ausschließlich darum, das
oziokulturelle bzw. das übliche Existenzminimum fest-
ulegen –, dass das Lohnabstandsgebot schlichtweg
ulverisiert worden ist? Sie argumentieren immer, dass
ie Hartz-IV-Empfänger nicht zu viel bekommen dürfen,
eil die unteren Lohngruppen nicht so viel bekommen.
as wollen Sie einfach nicht anerkennen. Das ist genau
er Haken an Ihrer Argumentation.
Lieber Herr Kollege Schaaf, zu dieser Auffassungönnen auch nur Sie und einige wenige andere in diesemaus gelangen. Der Punkt ist: Im Urteil steht genau, dassie wirtschaftliche Absicherung, aber natürlich auch dieugangsteilhabe gewährt werden. Das ergibt sich ausrt. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, der Garantie der Men-chenwürde, und dem Sozialstaatsprinzip. Genau das hatas Urteil umgesetzt. Es hat nicht vorgeschrieben, inelcher Form oder in welcher Höhe. Es wurde lediglichngemahnt: Rechnet sauber und transparent, macht eschlüssig und nachvollziehbar! Es hat der Koppelung anie Renten widersprochen, und auch die Pauschalierung,ie jetzt von manchen aus völlig unverständlichen Grün-en wieder gefordert wird, wurde abgelehnt. Es wurdeben nicht vorgeschrieben: Orientiert euch an irgendwel-hen Löhnen! Herr Kollege Schaaf, Sie sind Praktikernd lang genug im Geschäft, um zu wissen, dass die Be-itschaft, eine sozialversicherungspflichtige Beschäfti-ung anzunehmen, 40 Stunden die Woche zur Arbeit zuehen und jeden Morgen um halb acht aufzustehen,icht steigt, wenn die Sozialleistungen höher sind als dieöhne.
ie müssen mir den Menschen zeigen, der die Sozialleis-ngen unter diesen Umständen nicht in Anspruchimmt.
Eine aktuelle Emnid-Umfrage ergibt, dass der über-iegende Teil unserer Bevölkerung eine Erhöhung derartz-IV-Sätze nicht versteht. 56 Prozent sind das,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6425
Paul Lehrieder
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glaube ich. 42 Prozent halten die Regelsätze für ausrei-chend. Lediglich 36 Prozent halten einen Zuschlag fürerforderlich. Bei unserer Arbeit richten wir uns natürlichnicht nach Umfragen,
sondern danach, was die Menschen brauchen, und da-nach, was uns das Verfassungsgericht aufgegeben hat.Gleichwohl haben wir diese 5 Euro hinzugerechnet.Im Übrigen hätte diese Neuberechnung – es wurdebereits darauf hingewiesen – eigentlich zu einer gering-fügigen Senkung der Regelsätze für Kinder und Ju-gendliche geführt. Das haben wir selbstverständlichnicht gemacht; denn wir wollen die Kinder und die Ju-gendlichen in unserer Gesellschaft stärker unterstützen.Dementsprechend haben wir diese Sätze so belassen.
Aus Gründen des Vertrauensschutzes haben wir dieseLeistungen – –
Sie fordern die Zwischenfragen ja geradezu heraus,
Herr Kollege Lehrieder.
Ich habe mich schon gewundert, Herr Kollege
Birkwald.
– Wenn Sie so lange dableiben, Frau Künast.
Das ist aber die letzte Zwischenfrage, die ich während
Ihrer Rede zulasse, Herr Lehrieder. – Bitte schön.
Herr Kollege Lehrieder, Sie erwecken gerade den
Eindruck, dass Sie für die Bildungschancen von Kindern
alles tun wollen. Erklären Sie mir doch bitte einmal, wa-
rum den Kindern, die wegen des geringen Einkommens
der Eltern einen Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro er-
halten, nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers
von heute 100 Euro gestrichen werden sollen.
Das Bundesarbeitsministerium hat diese Kürzung einge-
räumt.
Meinen Sie nicht auch, dass man, wenn man so etwas
hört oder liest, zu der Ansicht kommen kann, dass das,
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Meine Damen und Herren, jeder Empfänger vonartz-IV-Leistungen hätte sich grundsätzlich über hö-ere Regelleistungen gefreut. Das ist kein Thema. Aberer Staat muss sich nicht nur ihnen gegenüber rechtferti-en, sondern auch gegenüber den Menschen mit niedri-em Einkommen. Darauf habe ich bereits hingewiesen.Im Übrigen halte ich das Kinderbedarfspaket fürine reelle Chance. Einige Kollegen von der SPD habenoniert, dass viele Schulen noch kein warmes Mittages-en anbieten. Versetzen Sie sich einmal in die Lage eineschulaufwandsträgers. Wenn er weiß, dass seine Klien-l ein warmes Mittagessen nachfragt, dann wird er einntsprechendes Angebot schaffen. Ich bin der Auffas-ung: mens sana in corpore sano. Es ist richtig, über einarmes Mittagessen, über die Beteiligung in Sportverei-en und Musikvereinen – ich selbst bin in einem Musik-erband organisiert – die Möglichkeiten der Kinder zureilhabe an Bildung und Gesellschaft zu verbessern. Dasn wir mit diesem Gesetz. Es ist ein gutes Gesetz. Jeder,er es mit den Langzeitarbeitslosen ernst meint, insbe-ondere die SPD und die Linke, müsste diesem Gesetzustimmen.Herzlichen Dank.
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6426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Ich habe jetzt über eine Stunde zugehört, wie Sie ver-zweifelt versucht haben, die intransparenten Regelsätzezu verteidigen.
Ich kann nicht sagen, dass sie für mich transparenter ge-worden sind, im Gegenteil. Strategien und Wege aus derArmut habe ich von den Rednern der Regierungskoali-tion überhaupt nicht gehört.
Gestern in der Aktuellen Stunde
habe ich das wahre Gesicht von Frau von der Leyen ken-nengelernt. Das war ein anderes Gesicht als in den letz-ten Jahren. Vergessen sind ihre Zeiten als Familienmi-nisterin. Damals – muss man sich erinnern – war es mituns, also mit der SPD, im Rücken für sie sehr leicht, dieKämpferin für die Familie herauszukehren. Damals ha-ben wir gemeinsam Wege aus der Armut beschritten.Wir haben mit dem Kinderzuschlag 300 000 Kinder ausder Armut geholt. Wir haben mit einem bedarfsgerech-ten Ausbau bei der Kinderbetreuung die Bildungsbeteili-gung für die Kinder verbessert. Mit unserem Mindest-elterngeld haben wir auch arbeitslose Eltern mit 300 Eurounterstützt. Schon damals war es der richtige Weg, zweiDinge zu tun, nämlich finanzielle Unterstützung zu ge-währen und Bildungsinfrastruktur auszubauen. Dassind die wahren Strategien, um Armut zu bekämpfen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich frage mich,was aus der Ministerin heute geworden ist, ohne die SPDim Rücken, aber mit Herrn Westerwelle und HerrnSeehofer im Nacken, so muss man ja schon sagen. Wäh-rend wir hier locker über die Agenda 5 Euro – so stand esheute in der Zeitung – diskutieren, schafft sie nämlichgleichzeitig ganz unsoziale Fakten. Sie nimmt den Ärms-ten der Armen die 300 Euro Elterngeld wieder weg. Siekürzt die Altersversorgung, weil sie Beiträge in die Ren-tenversicherung nicht mehr zahlt. Ferner streicht sie – esstand heute in der Zeitung; wir haben es gerade noch ein-mal gehört – den Kindern mit Kinderzuschlag die100 Euro für das Schulbedarfspaket. Damit verhöhnenSie genau die Menschen, die unverschuldet in Arbeitslo-sigkeit geraten; denn Elternarmut, Kinderarmut und vorallem Altersarmut sind mit Ihrer unsozialen Politik vor-programmiert.
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chauen Sie sich die Statistiken einmal genau an. In denändern, in denen es Mindestlöhne gibt, zum Beispiel inroßbritannien, liegt die Arbeitslosigkeit der Gering-ualifizierten bei 4,8 Prozent. In Deutschland beträgt sie0 Prozent. Das ist der Skandal, und das ist die Wahr-eit.
Punkt zwei, den ich erwähnen möchte, ist folgender:ute existenzsichernde Löhne sind das eine, aberchnelle Integration in den Arbeitsmarkt ist das andere.as war die Antwort von Frau von der Leyen gestern iner Aktuellen Stunde? Sie hat vehement vertreten, wirüssen dafür kämpfen, dass der SGB-II-Bezug so kurzie möglich ausfällt. Natürlich, Menschen schnell in Ar-eit zu bringen, ist unser oberstes Ziel. Aber was tunie? Es ist ja bei dieser Ministerin immer das Gleicheewesen: Zwischen dem Tun und dem Sagen liegt daseer. Sie kürzt nämlich gleichzeitig die aktiven Ar-eitsmarktmittel um 16 Milliarden Euro in den nächs-n 4 Jahren. Was das mit Armutsbekämpfung zutun hat,t mir schleierhaft.
Last, but not least – wir haben heute schon öfter da-ber diskutiert – verweist Frau von der Leyen stolz aufas Bildungspaketchen, auf das neue Bildungspaket. Da-it bin ich bei dem dritten und wichtigsten Punkt, demern des Themas einer nachhaltigen Armutsbekämp-ng. Echte Bildungsbeteiligung lässt sich nur mit gu-n Kitas und Ganztagsschulen vor Ort organisieren.
aher fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialde-okraten einen Rechtsanspruch auf Bildung, und zwarr alle Kinder. Das ist der richtige Weg aus der Armut.h fordere Sie auf: Starten Sie zusammen mit Ihrer Kol-gin Schavan – sie ist auch nicht mehr da; aber das istgal – eine nationale Bildungsoffensive, in der Bund,änder und Kommunen an einem Strang ziehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6427
Christel Humme
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Lassen Sie nicht wieder kostbare Zeit – wie in den letz-ten acht Monaten – ungenutzt verstreichen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das Euro-päische Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgren-zung. Was macht Frau Schröder als zuständige Ministerinfür Familie und Jugend? Sie ist anscheinend abgetaucht;sie ist auch gerade nicht anwesend. Es gibt hier wohl keineMinisterin, die sich für Strategien, aus der Armut zu kom-men, interessiert. Ich sage dieser Ministerin – das ist wei-terhin ein Auftrag; es geht nicht nur um Infrastruktur –:Schaffen Sie das unsinnige Betreuungsgeld ab.
Worin besteht die Bildungsbeteiligung, wenn man Elterneine Prämie dafür zahlt, dass ihre Kinder von der Bil-dung ferngehalten werden? Nehmen Sie die 1,5 Milliar-den Euro und bauen Sie Kitas und Ganztagsschulen aus.
Frau Kollegin Humme, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Wir reden hier über unseren Antrag. Dass Sie ihn
nicht gelesen haben, habe ich in der Debatte vorhin ganz
genau gemerkt.
Wir haben in unserem Antrag deutlich gemacht, wie Ar-
mutsbekämpfung aussehen muss. Lobbypolitik für Hote-
liers und Atomindustrie werden Sie dort genauso wenig
finden wie Haushaltssanierung auf Kosten der Schwächs-
ten in unserer Gesellschaft. Sie betreiben eine unsoziale
Politik, die die soziale Ausgrenzung und Spaltung in der
Gesellschaft verstärkt.
Das Wort hat die Kollegin Miriam Gruß von der FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich nenne drei gute Nachrichten von
dieser schwarz-gelben Bundesregierung: Erstens. Die
Wirtschaft boomt. Wir sind damit international spitze.
Zweitens. Die beste Nachricht kommt heute aus Nürn-
berg. Die Arbeitslosenquote ist weiter gesunken. Die
Zahl der Arbeitslosen liegt bei 3,3 Millionen. Ich erin-
nere: Während Rot-Grün lag sie bei 5 Millionen. Drit-
tens. Diese schwarz-gelbe Bundesregierung investiert in
einem Maß, wie es zuvor nicht der Fall war, in Bildung.
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Damit kann ich Ihnen ganz gelassen gegenüberstehen,
enn Sie uns vorwerfen, wir würden nichts für die Bil-
ungschancen der Kinder tun. Fehlanzeige! Was haben
ie denn getan? Sie haben null Komma null an Bildung
edacht, als Sie das rot-grüne Hartz-IV-Konzept aufge-
gt haben.
ir investieren zum ersten Mal direkt in die Bildung
on Kindern, in die Teilhabechancen von Kindern, und
war durch unser Bildungspaket, das ich von Ihnen nicht
ls „Bildungspäckchen“ verunglimpfen lassen möchte.
enn, wie gesagt, bei Ihnen war null Komma null in der
asche.
ir investieren in die Ermöglichung von Lernförderung.
ir investieren in ein warmes Mittagessen. Wir investie-
n in Teilhabe beispielsweise durch Sportvereine. Dabei
enkt hier keiner an Reitunterricht oder sonst etwas;
uch ein Fußballverein bietet eine Teilhabechance. Da
vestieren wir.
Frau Kollegin Gruß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
es Kollegen Birkwald von den Linken?
Ja.
Frau Kollegin Gruß, Sie haben sich eben dagegen ver-
ahrt, dass das Bildungspaket „Bildungspäckchen“ ge-
annt wird. Sie verweisen immer auf die 620 Millionen
uro. Wenn ich jetzt die 620 Millionen Euro nehme und
urch 1,7 Millionen arme Kinder teile, komme ich auf
en Wert von 1 Euro am Tag. Können Sie nachvollzie-
en, dass man angesichts dieser Größenordnung sehr
ohl von einem „Bildungspäckchen“ sprechen kann?
Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Denn vorher das habe ich gerade eben gesagt – gab es null Kommaull für Bildung oder Teilhabe. Deswegen lasse ich die-en Vorwurf an dieser Stelle nicht gelten.
och einmal: Wir nehmen doch keine Zahlen aus Wol-enkuckucksheim, sondern wir nehmen die Zahlen, dieon Familien aufgeschrieben worden sind. Wir nehmen
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6428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Miriam Gruß
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die Zahlen von Familien, die Kinder haben und die wol-len, dass ihre Kinder in Sportvereine gehen.
Diese Zahlen haben wir angeschaut und ausgewertet; siestehen jetzt zur Verfügung.
Frau Kollegin Gruß, erlauben Sie eine weitere Zwi-
schenfrage der Kollegin Mast?
Bitte schön.
Bitte schön. Das ist aber die letzte Zwischenfrage, die
ich jetzt zulasse.
Ja, aber ich bin ja gnädig.
Mit Gnädigkeit hat das nichts zu tun, Frau Kollegin
Gruß, wenn wir hier parlamentarische Gepflogenheiten
wahren.
Frau Kollegin Gruß, können Sie mir bestätigen, dass
in der Großen Koalition ein Schulbedarfspaket nur für
Schulmittelbedarf von 100 Euro eingeführt worden ist
und Sie jetzt einen Bedarf für Mittagessen, Nachhilfe,
kulturelle Teilhabe und Vereinsteilhabe von 120 Euro
pro Jahr definieren? Finden Sie das verhältnismäßig und
angemessen: 100 Euro für Schulbedarf und 120 Euro für
kulturelle und soziale Teilhabe und warmes Mittages-
sen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das davon be-
zahlen kann.
Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.
Ich stelle eine Frage zurück: Was haben denn Sie inIhrem Hartz-IV-Gesetz berücksichtigt? Wo war denn dasGeld, das Sie für Bildung und Teilhabe zur Verfügunggestellt haben?
as Schulstarterpaket, sehr geehrte Frau Kollegin, gibts seit gut einem Jahr. Es wurde nicht auf den Weg ge-racht, als Rot-Grün die Hartz-IV-Gesetze gemacht hat,ondern unter Schwarz-Rot; aber es gibt es zugegebener-aßen erst seit etwa einem Jahr.
nsere Anstrengungen für Bildung und Teilhabe kom-en nun hinzu. Ich sage nochmals: Wir definieren garichts, sondern wir setzen das um, was das Bundesver-ssungsgericht gefordert hat.
Wir investieren in Bildung und nehmen dafür ordent-ch Geld in die Hand. Natürlich ist wünschenswert, dassie Möglichkeiten in diesem Bereich ausgebaut werden.ber, meine Damen und Herren, wir alle sind in einemestimmten Bundesland zu Hause, und auch dort wirdgiert. Deswegen appelliere ich an Berlin und die ande-n Länder, zum Beispiel an NRW, wo Rot-Grün regiert:achen Sie in der Bildungspolitik Ihre Hausaufgaben!
chaffen Sie doch noch mehr Ganztagsschulen! Sorgenie für noch mehr Bildungschancen und Teilhabe!
den Ländern, in denen Sie regieren, häufen Sie aller-ings nur noch mehr Schulden an. Die Kinderarmut istotzdem erheblich gestiegen, siehe Berlin.
Meine Damen und Herren, in anderen Bundesländern,eispielsweise in Bayern, ist die Situation verhältnismä-ig gut. Warum? Ich sagte es ganz am Anfang: weil dortassiv in Arbeit und Wirtschaft investiert wird,
m dafür zu sorgen, dass die Familien eigenständig sind,in selbstständiges Einkommen haben und die Zukunftrer Kinder sichern können.
m diejenigen, die ihre Zukunft nicht aus eigener Kraftichern können, zu unterstützen, haben wir das Themaildung ganz explizit in die existenzfördernden Maß-ahmen aufgenommen. Deswegen kann ich Ihre Vor-ürfe an dieser Stelle nicht nachvollziehen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen erklären,as im Sommer dieses Jahres den Medien zu entnehmenar. Natürlich können wir uns vorstellen, dass die Bil-ungskarte, die als Vehikel bezeichnet wurde und aucho verstanden werden kann, ausgeweitet wird. Ich kann
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6429
Miriam Gruß
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mir auch sehr gut vorstellen, dass sich gerade die Fami-lien, deren Einkünfte nur knapp über Hartz-IV-Niveauliegen, denken: Warum sind wir die Gekniffenen?
Auch diese Familien sollen die Chance haben, ihrenKindern Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Die so-genannte Bildungskarte kann Bildung und Teilhabe ge-währleisten. Andere Länder, einzelne Kommunen undBundesländer machen uns das bereits vor. Das ist derHintergrund dieser Diskussion. Zum 1. Januar nächstenJahres setzen wir das Bundesverfassungsgerichtsurteilum, können uns allerdings sehr gut vorstellen, dass dieentsprechenden Regelungen insgesamt ausgeweitet wer-den.Jetzt noch kurz zum Kinderzuschlag. Informieren Siesich, wie die aktuelle Situation ist. Die Kinder bzw. Fa-milien, die den Kinderzuschlag bekommen, sind von denMaßnahmen nicht betroffen. Sie erhalten die Leistungen,die im Bildungspaket enthalten sind, nach wie vor.
Meine Damen und Herren, diese schwarz-gelbe Regie-rung
investiert tatsächlich in Bildung und Teilhabe. Von Ihnenlassen wir uns rein gar nichts vorwerfen.
Das Wort hat die Kollegin Heike Brehmer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Wenn man Sie, verehrte Opposition,
so reden hört, dann hat man den Eindruck, dass die
Hartz-IV-Reform als Waisenknabe auf die Welt gekom-
men ist.
Wenn Sie noch einen Funken politischen Anstands ha-
ben, erinnern Sie sich an ihre geistigen Eltern. Die dama-
lige rot-grüne Bundesregierung und Ihr Bundeskanzler
Schröder haben diese Reform als größte Sozialreform in
der Geschichte der Bundesrepublik propagiert.
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s wurde vielmehr Transparenz gefordert.
ie Höhe der Regelsätze wurde nicht beanstandet. Wä-
n die Regelsätze nicht beim Verfassungsgericht gelan-
et, dann hätten Sie die bisherige Regelung weiterhin für
ut befunden.
u Ihrer Zeit betrug der Regelsatz 345 Euro. Inzwischen
eträgt der Regelsatz 359 Euro. Künftig bekommen die
etroffenen 364 Euro. Diese Steigerung bedeutet allein
nächsten Jahr rund 400 Millionen Euro mehr Sozial-
usgaben. Dazu stehen wir trotz der Schuldenbremse.
Den Kindern wird die Teilhabe an Bildung ermög-
cht. Jetzt gibt es erstmals über 250 Euro pro Kind pro
ahr. Wieso haben Sie das über die ganzen Jahre hinweg
erschlafen? Endlich stehen die Belange der Kinder im
ittelpunkt.
ie Teilnahme an Wandertagen, an Schulausflügen, an
ußerschulischen Vereinsaktivitäten und nötigenfalls
osten für Nachhilfeunterricht sowie ein Zuschuss von
napp 2 Euro pro Mittagessen in Kindertagesstätten und
anztagsschulen – das ist unser neuer Weg.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage desollegen Birkwald?
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6430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Aber gerne, wenn es meine Redezeit verlängert.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Brehmer, Sie haben gesagt, die neuen
Regelsätze seien transparent hergeleitet worden. Können
Sie nachvollziehen, dass angesichts der Tatsache, dass
im Existenzminimumbericht vom 27. Oktober 2008 – es
war der siebte – wörtlich zu lesen ist: „Daher wird für
2010 ein Regelsatzniveau bei Alleinstehenden von
4.368 Euro und bei Ehepaaren von
7.860 Euro in Ansatz gebracht“, die
Annahme naheliegt, dass die 364 Euro schon seit zwei
Jahren politisch gewollt sind und man nicht zu der Ein-
schätzung kommt, dass die neuen Zahlen jetzt extra ge-
rechnet worden sind?
Mein lieber Kollege, Ihre Auffassung teile ich nicht.
Die Regelsätze sind transparent dargestellt worden. Je-
der Bürger hat erstmalig die Möglichkeit, das nachzu-
vollziehen. Schauen Sie auf die Homepage des Bundes-
ministeriums. Dort können Sie die Tabellen einsehen.
Wir haben umfangreiches Material zur Verfügung ge-
stellt bekommen. Deswegen kann ich Ihre Auffassung
nicht teilen.
Die christlich-liberale Koalition stellt die Kinder in
den Mittelpunkt. Wir haben diese Notwendigkeit er-
kannt; Sie haben sie leider verschlafen. Für diese Maß-
nahme werden insgesamt 620 Millionen Euro bereitge-
stellt. Hier wird in junge Menschen investiert, damit
ihnen von Kindesbeinen an aus der Hartz-IV-Szene ge-
holfen werden kann.
Herr Trittin ist leider nicht mehr da. In den Medien
konnten wir lesen, dass er die Pläne als „soziale Kälte
vom Schlimmsten“ bezeichnet hat. Frau Schwesig von
der SPD nannte es gestern sogar ein „unwürdiges
Schmierentheater auf Kosten der Ärmsten“.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, so nennen Sie
heute eine Reform, welche Sie damals, als Sie Regie-
rungsverantwortung trugen, auf den Weg gebracht und
als die größte Arbeitsmarktreform betitelt haben. Bei ei-
nem so ernsten Thema sollte man die Menschen nicht
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ie Forderung „Mehr Geld!“ allein reicht nicht.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Der Redakteur der
ild-Zeitung, Herr Nikolaus Blome, hat in dieser Woche
ommentiert – das konnten Sie alle nachlesen; ich zitiere
örtlich –:
Schrill, schriller, Hartz-IV: Opposition, Gewerk-
schaften und „Sozialverbände“ toben …
h zitiere wörtlich weiter:
Das ist unterste Schublade.
Genau. – Des Weiteren kritisiert er in seinem Artikel:
In Wahrheit ist Hartz IV viel besser als sein Ruf. …
SPD und Grüne wussten das einmal. Dass Sie jetzt
für ein bisschen billigen Applaus das Gegenteil be-
haupten, ist der wahre Hartz-Skandal.
Lassen Sie uns zur Sachlichkeit zurückkehren.
assen Sie uns gemeinsam das Verfassungsgerichtsurteil
Interesse der Betroffenen und vor allem der betroffe-
en Kinder umsetzen. Die christlich-liberale Koalition
t sich darüber einig, dass Hartz IV für den Betroffenen
ein Dauerzustand sein soll. Unser Ziel muss es sein – –
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Frau
chmidt würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es meine Redezeit weiterhin verlängert, gern.
Frau Brehmer, Sie sind ja ehemalige Landrätin desandkreises Aschersleben-Staßfurt. Wissen Sie, wie vieleld vom Bund für Ganztagsschulen geflossen ist? Ha-en Sie als Landrätin dieses Geld für Ihren Landkreisingesetzt, und wissen Sie, dass wir in diesem Zusam-enhang natürlich etwas für Kinder getan haben?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6431
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Als Landrätin habe ich die Mittel, die wir zur Verfü-
gung hatten, natürlich auch eingesetzt.
Zu meiner Zeit haben wir aber keine Ganztagsschulen
ausgebaut, die Programme waren damals erst auf dem
Weg.
Wir haben natürlich Wert darauf gelegt, dass das Geld
in die Umsetzung richtiger Konzepte und nicht einfach
pauschal geflossen ist und dass das auch mit Bildungsin-
halten unterlegt war. Ich möchte Ihnen das auch einmal
sagen: Vor Ort wird sehr viel getan. Man kann die Ver-
antwortung nicht dem Bund alleine auferlegen, sondern
auch die Länder und Kommunen sind in der Pflicht, et-
was für Bildung zu tun.
Die christlich-liberale Koalition ist sich darüber einig,
dass Hartz IV für die Betroffenen kein Dauerzustand
sein soll. Unser Ziel muss es sein, die Betroffenen besser
als bisher zu qualifizieren, sie umzuschulen und in Ar-
beit zu vermitteln. Das gilt besonders in einer Zeit rück-
gängiger Arbeitslosigkeit. Wir werden uns so gut wie
noch nie um die Langzeitarbeitslosen kümmern. Dafür
gibt es drei Schritte:
An dem ersten haben Sie von der SPD mitgewirkt,
nämlich an der Jobcenterreform.
Der zweite Schritt sind Maßnahmen wie die Umset-
zung der Bürgerarbeit bundesweit. Wir kümmern uns
künftig um die Alleinerziehenden und werden sie aus der
Hartz-IV-Isolierung herausholen.
Der dritte Schritt wurde heute schon mehrfach ge-
nannt: Wir werden die arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente wirksamer machen.
So werden wir in Deutschland eine neue Sozialpolitik
mit besserer Qualität umsetzen.
Wie Sie wissen, komme ich aus einem Bundesland
mit einer etwas höheren Arbeitslosigkeit. Von 1994 bis
2002 waren wir Opfer einer Tolerierung von Rot-Grün
durch die Linken. Ich erspare Ihnen, zu sagen, was dabei
herausgekommen ist, aber die Mitteldeutsche Zeitung in
Sachsen-Anhalt hat am Montag eine TED-Umfrage
durchgeführt. Die Frage lautete: Halten Sie eine Erhö-
hung der Hartz-IV-Regelsätze um 5 Euro für angemes-
sen?
58,81 Prozent stimmten mit Ja, und 41,19 Prozent
stimmten mit Nein. Ich finde, dadurch sollten Sie zum
Nachdenken angeregt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage dies sehr
rnst: Es macht keinen Sinn, Steuerzahler und Empfän-
er von Sozialleistungen gegeneinander auszuspielen.
akt ist: Was wir verteilen und an Sozialleistungen zur
erfügung stellen, muss durch den Steuerzahler hart er-
rbeitet werden.
Was denken Sie eigentlich, wie diese Debatte und
re Aussagen auf all die Betroffenen wirken? Wer ar-
eitet, muss mehr haben. Wir brauchen sozial gerechte
ösungen, und diese setzen wir in der christlich-libera-
n Koalition um.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-
öller für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Vielleicht geht es Ihnen soie mir: Ich bin bisher immer davon ausgegangen: Aucharlamentarier sind lernende Systeme. Im Verlauf dieserebatte sind mir allerdings erhebliche Zweifel gekom-en.
eshalb möchte ich, bevor ich zur Sache spreche, Fraueil, Herrn Lehrieder und Herrn Vogel ansprechen.Frau Heil, Sie haben ja die Vergesslichkeit erwähnt.h habe schwere Bedenken hinsichtlich Ihres Erinne-ngsvermögens. Ich bekenne mich dazu: Ich habe derusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfeamals zugestimmt.
h verstecke mich nicht hinter dieser Entscheidung.Seinerzeit saß eine prominente Sozialministerin aufer Bank der Bundesländer. Es gab keine Einrede. Sollh Ihnen sagen, wie sie hieß? Sie haben das vergessen.ie hieß Ursula von der Leyen. Insofern sage ich einmal:ei Vaterschaften, Mutterschaften oder aber Paten-chaftsverhältnissen, Herr Kollege Lehrieder, finde ich,ollten wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben.
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wurf war damals von Ihnen, Frau Lösekrug-Möller!)Herr Vogel, Sie haben dieses nette Bild einer trittfes-ten Leiter benutzt. Dafür danke ich Ihnen herzlich. Ichstelle mir diese trittfeste Leiter gerade vor, bezogen zumBeispiel auf die Frage warmes Mittagessen. Das ist jaein wichtiges Stichwort. Damit wärmt ja Ministerin vonder Leyen die ganze Welt. Wissen Sie, dieser Trittleiterfehlen im Grunde genommen immer vier Stufen, es istnur jede fünfte da.
Denn mehr Kinder haben überhaupt keinen Zugang zueinem warmen Essen in Einrichtungen. Insofern, findeich, ist es mit der trittfesten Leiter von da unten nach daoben nicht weit her.Ich bin gespannt, wie Sie die weiteren fehlenden Stu-fen jetzt ergänzen werden. Wir haben dazu Vorschläge.Deshalb komme ich zu unserem Antrag und zu demAntrag der Grünen, denn das ist heute Gegenstand derBeratung. Gestern hatten wir Gelegenheit, zu erleben,dass das durchaus enttäuschend und mutlos ist, was indem Gesetzentwurf steht, der gestern Anlass für die Ak-tuelle Stunde war. Wir haben heute bessere Vorschlägezu diskutieren.Ich habe gestern eine Ministerin und heute auch dieMehrheit in diesem Haus erlebt, die im Grunde genom-men eines nicht sind: Sie sind nicht Lobby kleiner Leute.Das ist mein großer Vorwurf an Frau von der Leyen undauch an Sie.
– Frau Connemann, das werden Sie auch nicht ändernkönnen. Ich sehe das schon. Ich begründe das jetzt auch.In dieser Diskussion über die Höhe der Regelsätze wer-den nämlich zwei bedürftige Gruppen in unserer Gesell-schaft gegeneinander ausgespielt.
Sorgen Sie für ein höheres Lohnniveau.
Dann haben wir auch die Chance, dass es endlich auf-hört, dass Umfragen dabei herauskommen, die die Men-schen, die wenig verdienen, Ja zu der Frage sagen las-sen, ob sie eine Erhöhung angemessen finden oder ob esmehr sein sollte. Dann sagen sie Nein, weil sie selberfleißig sind und viel arbeiten und trotzdem nicht genugnach Hause bringen. Das ist der eigentliche Skandal inunserer Gesellschaft.
Insofern sage ich, dieses Ministerium ist eineschlechte Lobby, und deshalb haben wir eine Debatte aufeinem anderen Level, nämlich auf dem Level einer hori-zsncdWNriLawdgwüWsBwgwdAsdDDaInliwdDludsSbgDBa
Ich will dazu sagen, dass ich leider nicht die Hoff-ung habe, dass sich das ändert. Denn in wenigen Wo-hen werden wir es erleben, dass wir hier über Hinzuver-ienst reden. Was ist das eigentlich wirklich? Inirklichkeit heißt das: Sie zementieren Bedürftigkeit.och mehr Menschen als jetzt werden über Nied-glöhne in prekärer Beschäftigung sein, abhängig voneistungen nach dem SGB II. Das, Herr Vogel, ist so,uch wenn Sie den Kopf schütteln.Wir werden unseren Protest deutlich machen. Dennir haben die Vorstellung, dass eine Art Reichtum ausieser prekären Situation herausführt, worüber hier nochar nicht gesprochen wurde. Wir plädieren dafür, dassir uns der Frage Bildungsreichtum stellen. Die kommtber Ihren Gesetzentwurf auch nicht daher.
ir setzen auf bessere Infrastruktur in der Bildung; wiretzen darauf, dass jedes Kind eine Chance bekommt.Ernsthaft: Die Formulierung in dem Gesetz für dieegründung der Nachhilferegelung ist nicht das Papierert, auf dem sie steht. Wir werden es erleben. Ichlaube nicht, dass es Kinder wirklich nach vorn bringenird.
Im Übrigen – das will ich Ihnen sagen – gibt uns auchie OECD recht mit unserem Ansatz, der sich in demntrag wiederfindet, über den wir hier reden. Die OECDagt, die Staaten, die den Sozialstaat nicht gegen Bil-ungsinvestitionen ausspielen, kommen gut nach vorn.afür gibt es Belege. So wollen wir das auch ineutschland – keine Selektion und kein Gegeneinander-usspielen von Armen und Chancenlosen.
sofern sagen wir: Es gehört deutlich mehr Mut hierher.Das Prinzip, das sich derzeit bei der Regierung wirk-ch Bahn bricht, ist ja: Wer hat, dem wird gegeben, under nichts hat, der hat eben Pech gehabt. So kann manas wohl am besten zusammenfassen.
eshalb möchte ich Ihnen abschließend eine Empfeh-ng geben. Sie appellieren an das Verantwortungsgefühler Sozialdemokraten, wenn es darum geht, dass die Ge-etzesvorlage ja den Bundesrat erreichen wird: Schauenie doch noch einmal in das hinein, was Sie gemacht ha-en! Geben Sie sich mal einen Ruck, zu sagen: Wir be-leiten das Ganze mit einem dicken Investitionspaket.as würde übrigens auch Landkreisen in den neuenundesländern sehr guttun, Frau Landrätin in Ruhe oder. D.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6433
Gabriele Lösekrug-Möller
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Insofern finde ich: Es ist noch nicht zu spät. Ichkomme auf den Beginn meiner Rede zurück: MeineZweifel allerdings, inwieweit wir es bei der Regierungbzw. der Mehrheit mit einem lernenden System zu tunhaben, haben heute kräftig Nahrung bekommen.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Michael Kretschmer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ZweiDinge sind auffällig in der Debatte.Das Erste ist: Die Linke versucht permanent, die Ver-antwortung der rot-grünen Regierung für die Hartz-IV-Gesetze zu leugnen.
Das ist nicht in Ordnung. Das lassen wir Ihnen nichtdurchgehen. Es war Ihr Bundeskanzler Schröder, der dengleichnamigen Spitzenmanager Hartz eingesetzt hat, derspäter wegen zu viel Rotlicht aus dem Amt gejagt wurdeund der an vielem schuld ist, was wir heute zu diskutie-ren haben. Wir legen transparente Berechnungsmetho-den vor, die nachvollziehbar sind. Das ist wichtig für densozialen Frieden in diesem Land. Es ist gut, dass wir dasjetzt endlich so machen.
Einfach über den rot-grünen Daumen zu peilen und zusagen: „Das ist der Bedarf für Kinder“, ist nicht in Ord-nung. Nein, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, siehaben einen eigenen Bedarf.Das Zweite ist: Es wird hier permanent der Eindruckerweckt, als könnte nur der Bund in der Frage der Bil-dung und auch der Grundsicherung richtig agieren. Auchdas ist falsch. Kommunen, Länder und der Bund tragengemeinsam Verantwortung. Ich kann nur vor Hochmutund davor warnen, meine Damen und Herren von derlinken Seite, hier den Eindruck zu erwecken, als würdensich die Länder, die Bürgermeister und auch die Landrä-tinnen und Landräte dieser Verantwortung nicht stellen.Das ist nicht redlich.
Ich finde es richtig, auch heute noch einmal den Grund-satz zu betonen und dazu zu stehen – ich glaube, dass dieMehrheit der Deutschen das ganz genauso sieht –, dass die-jenigen, die arbeiten, mehr haben müssen als diejenigen, dievon Sozialleistungen leben, die von denen erarbeitet wer-den, die die Steuern zahlen. Deswegen muss es das Lohn-abstandsgebot geben. Das halten wir ein, das ist gut so.
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Verantwortlich sind zunächst einmal die Eltern. Des-egen muss der Grundsatz auch bei dem neuen Projektuten, dass wir die Eltern nicht aus der Verantwortungntlassen dürfen. Im Gegenteil: Wir müssen sie stark mitinbeziehen. Verantwortung tragen auch die Länder undie Kommunen. Es gibt bereits eine ganze Reihe vonngeboten, die funktionieren und an die man anknüpfenuss. Ein weiterer Grundsatz ist folglich: Wir wollenorhandene Dinge nutzen, und wir wollen gemeinsamit den Trägern der Bildung Verantwortung tragen.Selbst wenn wir es wollten, könnten wir auch nur imnsatz all das gar nicht übernehmen, was schon heuteeleistet wird. Allein die Finanzierung des kostenlosenittagessens – bisher wird es von den Eltern finanzielletragen – hat ein Volumen von 5 Milliarden Euro.chon anhand dieser Zahl sieht man, dass es unmöglicht, dass der Bund dies übernimmt. Angesichts dessen sa-en wir jetzt: Wir wollen denjenigen helfen, die an die-er Stelle ein Problem haben. 620 Millionen Euro istine ganze Menge Geld. Mit diesem Geld kann man vieln, vor allen Dingen, wenn man es zielgenau einsetzt.as wollen wir jetzt durch die Sachleistungen tun.
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Michael Kretschmer
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Diese Bildungsdefizite sind auf ganz verschiedeneArt und Weise zu beheben. Ich glaube, es ist richtig, vorOrt subsidiär die richtigen Lösungen zu finden. Wichtigist, dass die Schule eine starke Rolle spielt; denn derLehrer weiß, welches Kind welche Defizite hat.Ich stehe auch dafür, dass wir die Ausgaben für dasMittagessen derjenigen subventionieren, die es in ihrerSchulkantine einnehmen wollen. Die eigentliche Diskri-minierung besteht ja darin, dass Kinder das, was ihnen zu-steht – ein Mittagessen –, nicht bekommen. Ich möchte,dass in diesem Land in Zukunft nicht mehr eine Diskus-sion darüber geführt wird, dass Kinder hungrig in derSchule sitzen. Dass das passiert, war schon vorher wedernotwendig noch richtig. Die Diskussion darüber ist jetztendgültig vorbei, und das ist eine wunderbare Sache.
Eltern tragen Verantwortung für ihre Kinder. Das warvor dieser Reform so, und es ist mit diesem klaren Be-kenntnis noch einmal festgestellt.Wichtig ist auch die Teilhabe. Ich glaube, man mussdie vorhandenen Angebote der Sportvereine, der kulturel-len Vereine, der Musikschulen nutzen. Schon heute bietenVereine in vielen Fällen denjenigen, die es schwerhaben,einen ermäßigten oder einen kostenlosen Mitgliedsbei-trag. Ich wünsche mir, dass wir hier zu einer Lösung kom-men, durch die dies weiter unterstützt wird.Insgesamt ist diese Reform eine wirkliche Neuaus-richtung der Grundsicherung, mit dem Ziel, Bildung zueinem Teil von Sozialpolitik zu machen. Bildung istnämlich von zentraler Bedeutung für Aufstieg und Zu-kunft. Jetzt sollten Sie sich nicht abseits stellen. Der eineoder andere hat in der Debatte heute gesagt: Dagegenwerden wir kämpfen, gegen die Sachleistungen, gegendie Grundsicherung, gegen den Bildungsanteil. Ich kannIhnen dazu nur sagen: Hören Sie auf damit! Die Men-schen wollen das nicht. Was wir vorhaben, ist für die Zu-kunft dieses Landes wichtig.
20 Prozent unserer jungen Leute haben Schwierigkeiten,einen vernünftigen Schulabschluss zu machen. Denenmüssen wir helfen. Beteiligen Sie sich daran und stellenSie sich nicht abseits!
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zu einigen Abstimmungen.Zunächst kommen wir zur Beschlussempfehlung desAusschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache17/2092. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe aseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion der SPD auf Drucksache 17/880 mit demTBvstumGFLfiFmudhabuBSGeue1ndtumgELwdgdZ
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zurÄnderung von Verbrauchsteuergesetzen– Drucksache 17/3025 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 19. März 2010 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Regierung von Anguilla über den steuerli-chen Informationsaustausch– Drucksache 17/3026 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Rechtsausschuss
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlei-hung der Rechtsfähigkeit an den Rat des An-passungsfonds– Drucksache 17/3027 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
RechtsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Erste Beratung des von den Abgeordneten KerstinAndreae, Volker Beck , Dr. Thomas Gambke,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines … Gesetzes zur Änderung des Aufent-haltsgesetzes– Drucksache 17/3039 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzunge) Beratung des Antrags der Abgeordneten ElviraDrobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDOffensive für einen wirksamen Schutz derKinder vor Gift in Spielzeug– Drucksache 17/2345 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitFederführung strittigZP 6a)Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinAndreae, Fritz Kuhn, Ingrid Nestle, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENEntflechtungsinstrument ins Wettbewerbsrechteinfügen– Drucksache 17/3062 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Krista Sager, Sylvia Kotting-Uhl, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENTechnikfolgenabschätzung im Bundestag undin der Gesellschaft stärken– Drucksache 17/3063 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieewsÜTvdgsTruVdEWdisFbsdisnraü
Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzungTechnikfolgenabschätzung
Technikfolgenabschätzung beim DeutschenBundestag – Eine Bilanz– Drucksache 17/3010 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
PetitionsausschussInnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussHierbei handelt es sich um Überweisungen im ver-infachten Verfahren ohne Debatte. Zunächst kommenir zu einer Überweisung, bei der die Federführungtrittig ist.Tagesordnungspunkt 30 e: Interfraktionell wird dieberweisung des Antrags der Fraktion der SPD mit demitel „Offensive für einen wirksamen Schutz der Kinderor Gift in Spielzeug“ auf Drucksache 17/2345 an die iner Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-en. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wün-chen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft undechnologie. Die Fraktion der SPD wünscht Federfüh-ng beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft underbraucherschutz.Wir stimmen zuerst über den Überweisungsvorschlager Fraktion der SPD – Federführung beim Ausschuss fürrnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – ab.er stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer istagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlagt damit abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derraktionen der CDU/CSU und der FDP – Federführungeim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – ab-timmen. Wer stimmt für diese Überweisung? – Wer istagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlagt damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ange-ommen. Damit wird der Antrag zur federführenden Be-tung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologieberwiesen.
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisun-gen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagenan die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 31 abis i. Dabei geht es um die Beschlussfassung zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Es sindim Wesentlichen Beschlussempfehlungen des Petitions-ausschusses.Tagesordnungspunkt 31 a:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 129 zu Petitionen– Drucksache 17/2951 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 129 ist mit den Stimmendes ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 31 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 130 zu Petitionen– Drucksache 17/2952 –Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-gen? – Auch diese Sammelübersicht ist mit den Stimmendes ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 31 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 131 zu Petitionen– Drucksache 17/2953 –Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 131 ist angenommen mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke undEnthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Tagesordnungspunkt 31 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 132 zu Petitionen– Drucksache 17/2954 –Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 132 ist damit angenommenmit den Stimmen des ganzen Hauses.Tagesordnungspunkt 31 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 133 zu Petitionen– Drucksache 17/2955 –gmFdgdtiggdgBgddEmuhSd1)
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Gibt es Ent-altungen? – Sammelübersicht 137 ist damit mit dentimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmener Oppositionsfraktionen angenommen.Anlage 2
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6437
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Nun kommen wir zu Zusatzpunkt 7:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPDHaltung der Bundesregierung zu Milliarden-garantien und Millionenboni bei der HREIch eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Dr. Carsten Sieling für dieSPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die HRE ist zu einem Symbol geworden, wiestark sich die Finanzbranche von der Gesellschaft ent-koppelt hat. Millionenboni trotz fehlendem Erfolg zuzahlen und quasi gleichzeitig neue Milliardengarantienzu beantragen, zeigt, dass hier einige die Bodenhaftungverloren haben.
Sie sind offensichtlich in ein Paralleluniversum ent-schwunden, und die Bundesregierung spielt den Kopilo-ten.
Dem muss Einhalt geboten werden,
auch um den Ruf und die Solidität der Finanzwelt wie-derherzustellen.
Ich will gleich hier am Anfang klarstellen: Die Ret-tung der HRE im Jahre 2008 war richtig und notwendig.
Ein „Lehman II“ hätte man sich damals angesichts derunabsehbaren Folgen überhaupt nicht erlauben können.
Und es war richtig, so zu handeln. Ich sage das deshalbso deutlich und gleich zu Anfang,
weil jetzt die Schlaumeier der Nation kommen, HerrKollege, die alles vergessen haben und den SchwarzenPeter uns zuzuspielen versuchen.
– Regen Sie sich nicht auf, meine Damen und Herrenvon der CDU/CSU. Ganz vorne steht die FDP.sDAshdSshIcüggvdgSbwzmnhjelasdMgAwunfrCBBJmKTdsg
ber trösten Sie sich: Die Töne werden wieder schiefein, wie es immer ist, wenn Sie hier antreten. In Ihrereutigen Fassung werden Sie uns wohl erzählen, dassie Verträge, die unter Federführung von Peerteinbrück erarbeitet worden sind und die wir abge-chlossen haben, die Bonizahlungen nicht verhindertätten.
h will Ihnen aber eines sagen: Ohne die SPD gäbe esberhaupt keine
esetzlichen Regelungen, die Vorstandsvergütungen be-renzen. Das ist der entscheidende Schritt gewesen. Be-or Sie, Herr Wissing, Ihre Argumentation entfalten,enken Sie daran: Die FDP hat damals gegen das Gesetzestimmt. Sie wollten eine Begrenzung überhaupt nicht.
ie wollten überhaupt keinen Rahmen, der der Finanz-ranche ethisches Verhalten auferlegt und Grenzen setzt.Im Übrigen gilt natürlich – ich hoffe, das gilt für alle,enn wir ehrlich sind –, dass niemand hier, der mit so-ialer Marktwirtschaft Vernunft, Verantwortung und Ge-einwohl verbindet, geglaubt oder erwartet hat, dass soassforsch gegen den Geist der Regulierung von über-öhten Gehältern vorgegangen wird und gewisse Leutede Möglichkeit ausnutzen, um sich Zulagen zahlen zussen, selbst wenn der Erfolg ausgeblieben ist. Das pas-iert zwar noch nicht flächendeckend, aber wir müssenas beobachten, da dies bei vielen Instituten der Fall ist.eine Damen und Herren, ich hoffe, dieses Haus tritteschlossen dagegen an.
ber dazu gehört auch, dass man die politische Verant-ortung übernimmt und darüber wacht, dass Normennd Werte durchgesetzt werden. Mit den Insiderkennt-issen, die die Regierung gehabt hat, hätte man demühzeitig entgegentreten müssen.Es gibt verschiedene Beispiele. Herr Wieandt hat alshef der HRE sehr früh signalisiert, dass für 2008 keineoni gezahlt werden. Da wusste man: Das Thema deroni ist virulent. Als er Ende des ersten Quartals diesesahres seinen Rücktritt eingereicht hat, hatte das auchit dieser Thematik zu tun. Man hat gewusst, dass dieultur bei der HRE in dieser Frage nicht in Ordnung ist.rotzdem hat man nicht reagiert. Man hat nicht versucht,em frühzeitig Einhalt zu gebieten. Somit muss man sichchlicht und einfach damit auseinandersetzen, dass nichtehandelt wurde, dass gerade innerhalb der letzten zwölf
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Dr. Carsten Sieling
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Monate die Entwicklung verschlafen wurde. Wenn ichmir die Erklärungen dafür anschaue, dann muss ich sa-gen: Sie alle überzeugen überhaupt nicht. Wie das immerso ist: Wenn etwas schiefläuft, werden neue Definitionenund Worte gefunden. Man spricht nun nicht mehr dasböse Wort „Boni“ aus, sondern es wird ordentlich ge-schwurbelt. Es geht um „Halteprämien“ und „Aus-gleichszahlungen“. Das alles hört sich nett an; aber inWirklichkeit ist hier etwas verschlafen worden.Schwarz-Gelb hat sich auch bei diesem Thema als hand-lungsunfähig und letztlich auch zerstritten gezeigt. Dasist die Wahrheit, und das ist der entscheidende Punkt.
Ich fordere Sie auf – wir sind anscheinend auf gutemWeg –: Legen Sie eine wasserdichte gesetzliche Rege-lung vor! Wir müssen allerdings sehen, dass MinisterSchäuble noch vor zwei Tagen erklärt hat, er sehe keinenrechtlichen Handlungsbedarf,
und hinzugefügt hat: Es wird keine gesetzliche Ände-rung oder Ergänzung geben. Wir werden die Entwick-lung aufmerksam beobachten. – Das ist das PrinzipHoffnung.
– Herr Kollege Fricke, wenn Sie hier das Wort ergreifen,dann denke ich an die Griechenlanddebatte und fragemich, welche Märchen und Geschichten dabei von Ihnenwieder kommen werden.Gestern kam es jedenfalls zu einer Veränderung. End-lich ist gesagt worden: Wir wollen zu gesetzlichen Rege-lungen kommen. – Ich begrüße das. Das ist die öffentli-che Debatte. Auch meine Partei hat an dieser StelleDruck gemacht. Wir brauchen jetzt endlich Verträge.Wir müssen eingreifen und dagegen vorgehen. Ich habewahrgenommen, dass dies in allen Fraktionen so gese-hen wird, und sage an dieser Stelle – auch das will ichhier deutlich machen –: Das Informationsfiasko der letz-ten Wochen darf sich ebenfalls nicht wiederholen. Ichfordere Sie auf: Nehmen Sie das Parlament ernst! Kon-trolle muss hier möglich sein, und dafür brauchen wirauch die entsprechenden Informationen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Ich darf mit Blick auf die weitere Debatte noch sagen:
Ich erwarte, dass jetzt der Kollege Dautzenberg nach
vorne tritt und mit großer moralischer Empörung erklärt,
die Wahrheit sei, dass wir Sozialdemokraten nur die Bü-
cher der HRE schließen wollen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6439
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tisieren wir, und wir können nur an unsere Vertreter derBundesregierung in den zuständigen Gremien appellie-ren, zukünftig eine größere Sensibilität beim ThemaBonizahlungen an den Tag zu legen.
Herr Sieling, es dürfte Ihnen aber nicht entgangensein, dass das Gesetz damals unter Federführung des Fi-nanzministers Steinbrück gemacht worden ist: Ich sagedas, weil Sie hier konstatieren, dass in diesem Gesetznicht alles enthalten war, was Vergütungsstrukturen an-belangt. Wir haben damals eine Deckelung der Vor-standsbezüge beschlossen. War es für Sie denn zum da-maligen Zeitpunkt schon erkennbar, dass man auch dieVergütungsstrukturen der Mitarbeiter und ihre rechtli-chen Ansprüche in einem Krisenfall hätte neu regelnmüssen? Dann hätte das gemacht werden müssen.
Damals haben wir auch gemeinsam Beschlüsse überVergütungsstrukturen für Vorstände bei Finanzinstitutengefasst.Die christlich-liberale Koalition hat Vergütungsstruk-turen für Mitarbeiter bei Finanzinstituten im Juli diesesJahres verabschiedet. Das alles sind natürlich Punkte, diefür die Betrachtung, die wir hier anzustellen haben, zuspät kamen. Wir haben bereits damals festgestellt, dassein Eingriff auch dann, wenn aufgrund von Vergütungs-strukturen bestimmte rechtliche Ansprüche bestehen, imKrisenfall, wenn die Bank in die Schieflage kommt, er-folgen können muss. Dieser Punkt, der bei Verabschie-dung des Gesetzes noch nicht geklärt werden konnte,muss jetzt vom Bundesjustizministerium geklärt werden.Wenn wir dort rechtlich saubere Anhaltspunkte bekom-men, dann werden wir das in das vorhandene Restruktu-rierungsgesetz ergänzend aufnehmen. Aber es mussrechtssicher sein, wenn man in bestehende Verträge undVergütungsstrukturen eingreifen will. Ich glaube, das istauch Konsens.
– Damit hätten Sie schon beginnen können. Es ist dochunbestritten, dass Sie zum Vergütungsstrukturgesetzdiese Anträge schon hätten stellen können, wenn Siediese Erkenntnis damals gehabt hätten.Dritter Punkt. Das ist das Dominierende, was Sie lei-der nicht angesprochen haben. Ich weiß auch, warum:weil Sie innerhalb der SPD-Fraktion nicht einig sind,wie es mit der HRE als Kernbank weitergehen soll.
Gilt das, was Herr Kollege Schneider nicht nur in demGremium, sondern auch öffentlich erklärt hat – er gebeder Kernbank für die Zukunft keine Chance; sie müsseabgewickelt werden –, oder gilt das, was wir gemeinsamvereinbart haben, nämlich die Ausgliederung? Es wareutrbSMkSCdBEDbdkaDk–tudsvkzSdsisSSVUBdsgEremD
it Ihrem Gerede werden Sie dazu beitragen, dass sieeine Zukunft hat, was zur Folge hat, dass dies für denteuerzahler sehr teuer wird.
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Roland
laus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nacher Hartz-IV-Debatte reden wir jetzt über Banken undoni – ein schöner Zufall. Die Münchener Hypo Realstate ist der größte Skandalfall in der Bankenkrise ineutschland. Die HRE nennt sich heute Deutsche Pfand-riefbank. Schon daran merkt man, dass wir in einer an-eren Zeitrechnung sind. Die Finanz- und Wirtschafts-rise erweist sich bei näherem Hinsehen mehr und mehrls eine Krise des gesellschaftlichen Systems.
iese Krise liegt nicht hinter uns. Richtig ist: Die Ban-en haben ihr Eigengeschäft wieder in Gang gesetztdas Kasino ist wieder offen –, aber ihrer Verantwor-ng für die Gesellschaft und die Wirtschaft, insbeson-ere für die kleinen und mittleren Unternehmen, werdenie in keiner Weise gerecht.
Weil all das so unglaublich ist und fast niemand mehrersteht, was hier vorgeht, will ich versuchen, mit einerleinen Chronik zur Aufklärung beizutragen. Genau vorwei Jahren, am 30. September 2008, kam Ministerteinbrück in alle Bundestagsfraktionen und warb fürie Rettungsaktion bei der HRE. Begleitet hat ihn Staats-ekretär Jörg Asmussen, der heute noch Staatssekretärt, und zwar bei Bundesfinanzminister Schäuble. Herrteinbrück hat damals gesagt, der Bund müsse für eineumme von 26 Milliarden Euro bürgen; eine teilweiseerstaatlichung von Banken wie in England und denSA sei in Deutschland ausgeschlossen. Die privatenanken bürgten für 8,5 Milliarden Euro. – Es sollte an-ers kommen. Im Frühjahr 2009 wurde ein parlamentari-cher Untersuchungsausschuss zur Rolle der Bundesre-ierung bei der HRE-Krise eingesetzt. Das ist einxtrakrimi; ich kann das hier nicht im Einzelnen ausfüh-n. Im Mai 2009 wurde der Rettungsschirm für Bankenit einem Volumen von 500 Milliarden Euro gespannt.er Hauptanteil davon entfiel auf die HRE, immer mit
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Roland Claus
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Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion, die inihrer Meinungsbildung selbstverständlich völlig frei ist,
aber im Moment in Sachen Wandlungsfähigkeit – dasmuss man einmal aussprechen – wirklich nicht zu toppenist.
Im August 2009 fragt mein Fraktionskollege AxelTroost öffentlich nach der Eignung des neuen Chefs derHRE, Axel Wieandt. Die Bankenaufsicht hat Zweifel ander Eignung, die Linke auch; aber Wieandt erhält500 000 Euro Sonderzahlung für 2009. Ende März 2010,einen Tag vor der Bilanzpressekonferenz der HRE, er-klärt Herr Wieandt seinen Rücktritt, weil er sich nichtmit dem SoFFin über sein Gehalt einig wurde: Es warihm zu wenig. Mit dem Rücktritt erwirbt er aber Be-triebsrentenansprüche in Höhe von 240 000 Euro jähr-lich, und das als Mittvierziger.
Jetzt das Verrückte: Nachdem die Münchener HRE überJahrzehnte ausschließlich eine Männerwirtschaft war,muss nun, nachdem die Bank so richtig gegen die Wandgefahren ist, mit Frau Better zum ersten Mal eine Frauan die Spitze gestellt werden. Auch das spricht für eineZeitenwende.
Im Juni 2010 steht die spannende Meldung im Netz:Seit 1. Juni 2010 arbeitet Axel Wieandt wieder im Vor-standsbereich der Deutschen Bank. Ende August 2010bewilligt die Bundesregierung über die bestehenden Ga-rantien in Höhe von 102 Milliarden Euro hinaus Garan-tien in Höhe von 40 Milliarden Euro für die HRE, amParlament vorbei, am geheim tagenden Parlamentsgre-mium zur Bankenrettung vorbei.
– Um Ihre Zwischenrufe etwas abzumildern: Das Parla-ment ist sauer, von der Linken bis zur CSU.
Mitte September 2010 wird bekannt, dass Boni inHöhe von 25 Millionen Euro an Bankmanager der staat-lichen HRE gezahlt wurden. Die Bundesregierung sitztmit zwei Abteilungsleitern aus dem Bundesfinanzminis-terium im Aufsichtsrat – ich dachte, sie seien schon alsAbteilungsleiter ausgelastet; aber es ist offenbar anders –,der dazu sagt: Das geht in Ordnung.Nun stellen Sie sich vor, all das hätte ich Ihnen vorvier Jahren erzählt. So eine Story wäre unglaublich ge-wsehddmfaw7d1A4w5s5sv„SsDeZdRmdregsmfüAh
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hang mit der Hypo Real Estate Vorwürfe erheben, ist anDreistigkeit nicht zu überbieten.
Ich weiß nicht, Herr Kollege Sieling, was man Ihnen undIhrer Fraktion erzählt hat. Ich weiß aber, was in der letz-ten Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag ge-laufen ist. Wir haben im Finanzausschuss erfahren, dassalles, was Sie heute hier lautstark kritisieren – sowohldie zusätzlichen Milliardensicherheiten als auch die Ver-gütungen, die Sie heftigst angehen –, nichts anderes istals die Konsequenz einer Verstaatlichungsentscheidung,die Sozialdemokraten vehement gefordert und vorange-trieben haben
und die Ihr Finanzminister Peer Steinbrück unbedingtwollte. Jetzt haben Sie, was Sie wollten, meine Damenund Herren!
Sie waren in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dassdiese Verstaatlichungsentscheidung, die wir heftigst kri-tisiert haben, vernünftig vonstattengeht, dass Gehalts-zahlungen ordentlich geregelt werden und dass genaudie Dinge nicht passieren, die Sie heute kritisieren.
Jetzt kann man sich natürlich bequem vom Acker ma-chen. Aber ich erinnere daran, dass wir in der letzten Le-gislaturperiode einen Untersuchungsausschuss einge-setzt hatten.
In diesem Untersuchungsausschuss haben wir gefordert,dass zu klären ist, ob bei der Verstaatlichungsentschei-dung alles richtig gemacht worden ist. Da haben die So-zialdemokraten gesagt: Das braucht man nicht zu klären;alles ist richtig gemacht worden. – Wenn Sie heute ein-sichtig sind und sehen, dass das nicht so toll war, wasPeer Steinbrück gemacht hat, dann ist das gut. Aber dannsollten Sie etwas demütiger in Ihren Reihen sitzen undnicht lautstark das Wort ergreifen und anderen Vorwürfemachen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,die HRE-Partei ist die SPD. Es war Ihr Wunsch, dieseBank nicht abzuwickeln, sondern zu verstaatlichen, HerrKollege Schneider.
ür den Steuerzahler in Deutschland faule Tomaten ein-ukaufen und hinterher, wenn es ein Problem gibt, zu sa-en, man könne sie doch wieder verkaufen, das zeugt,err Kollege Schneider, nicht von besonderem Sachver-tand. Weil ich weiß, dass Sie es besser wissen, finde ichs dreist, was Sie nun machen. Sie haben die Verstaatli-hung mit wehenden Fahnen gefordert. Sie waren be-eistert von der Verstaatlichung. Sie wollten es so, undie wollten auch die Gehaltsregelungen so. Jetzt habenie es so. Wir fanden es nicht gut; wir finden es aucheute nicht gut.
ber Sie können die Verantwortung für die Verstaatli-hung der Hypo Real Estate nicht mehr loswerden.Frau Kressl, Sie wollen damit heute nichts mehr zun haben. Sie wollen heute die treibende Kraft sein, dieafür sorgt, dass bei der HRE Gehaltsbegrenzungenommen. Warum haben Sie das denn damals nicht ge-acht? Wir haben damals gefordert: Lasst uns das über-rüfen; es stimmt nicht alles, was Peer Steinbrück ge-acht hat. – Darauf haben Sie gesagt: Das stimmt; dast perfekt. – Heute fällt es Ihnen vor die Füße. Wir alsoalition wollen uns jetzt nicht davonmachen. Wir woll-n nicht, dass es so weit kommt.
ber es ist nun unsere Aufgabe, den Schaden für denteuerzahler zu begrenzen.
ur dass sich diejenigen Sozialdemokraten, die gesagtaben, dass es so kommen muss, und die mit aller Kraftr die Verstaatlichung der Hypo Real Estate gekämpftaben, heute vom Acker machen und sich nicht an derchadensbegrenzung beteiligen, das finde ich unverfro-n.
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir hättens anders gemacht.
ir haben Ihnen damals gesagt: Wir sind gegen die Ver-taatlichung. Wir haben damals Ihre Begeisterung nichtilen können. Sie waren lautstark der Meinung: Wennan diese Bank verstaatlicht und die Eigentümer hinaus-rängt, dann macht man das Beste für den Steuerzahler. –chon damals haben wir daran erinnert, dass Sie demteuerzahler damit alle Risiken vor die Füße kippen. Dasollten Sie so. Jetzt haben wir es so.
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Dr. Volker Wissing
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Wir wollen eine Schadensbegrenzung. Wir wollen, dassdas, was Sie angerichtet haben, für den Steuerzahlernicht noch teurer wird.
– Was wir machen? Wir bzw. die Bundesregierung sor-gen beispielsweise dafür, dass innerhalb der HRE An-sprüche möglichst nicht gerichtlich geltend gemachtwerden, dass möglichst nicht noch höhere Zahlungen aufder Grundlage Ihrer Verstaatlichungsentscheidung gel-tend gemacht werden, damit der Schaden begrenzt wird.
Aber das können Sie der jetzigen Regierung nicht vor-werfen. Da müssen Sie mit sich selbst ins Gericht gehen.Ich bleibe dabei: Die Sozialdemokraten sind dieHRE-Partei. Die Sozialdemokraten sind die HRE-Ver-staatlichungspartei.
Die Sozialdemokraten sollten kleinlaut anerkennen, dassdiese Regierung – das hat man Ihnen im Finanzausschussbis ins Detail berichtet; Herr Rehm war anwesend – allestut, um verantwortungsvoll mit der Entscheidung derVergangenheit umzugehen. Dabei bleibt es auch. Es gibtkeinen Grund, mit dem Finger auf die christlich-liberaleKoalition zu zeigen. Alles, was Sie an der Verstaatli-chung zu kritisieren haben, können Sie mit PeerSteinbrück besprechen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Selbst wenn die Kritik, die wir in den letzten Tagen ge-hört haben, gerechtfertigt ist, kann man nicht alles, wasbei der Hypo Real Estate passiert ist, den Sozialdemo-kraten vor den Laden kippen. Es gibt noch andere Ver-antwortliche. Das muss man in aller Nüchternheit fest-stellen. In dieser Hinsicht haben Sie etwas übertrieben,Herr Wissing.
Ich finde aber, dass angesichts der Empörung aus denKoalitionsfraktionen der Blick zurück durchaus gerecht-fertigt ist. In der Debatte im Oktober 2008, als es um dieFinanzmarktstabilisierung ging, gab der damalige undhdswWgEHsvgüsdhHdAhmctrdsIcDShpleletum
s muss „eine gesunde Relation zwischen dem eigenenandeln und Einkommen“ geben,
o Herr Kauder. Das haben Sie damals den Menschenersprochen. Jetzt stellen wir fest, dass das nicht durch-esetzt wurde. Empören Sie sich doch bitte nicht nurber irgendjemanden in München, sondern fragen Sieich, warum das Versprechen Ihres Fraktionsvorsitzen-en nicht eingelöst wurde.
Das Gleiche gilt auch für die SPD. Herr Steinbrückat damals gesagt – ich zitiere seine Äußerungen zurSH Nordbank und zu den großzügigen Regelungenort –:Mir fehlt … jegliches Verständnis für die Landesre-gierungen in Kiel und Hamburg, die hier anschei-nend beide Augen zudrücken wollten.ber die Pensionszahlungen an Herrn Wieandt, die wireute kritisieren, sind nur möglich gewesen, weil der da-alige Finanzminister Steinbrück beide Augen zudrü-ken wollte. Er hat Garantien ausgereicht, ohne die Kon-olle übernehmen zu wollen. Das ist ein Fehler. Fehlerarf man auch als solche benennen. Dazu müssen Sietehen.
h würde mich freuen, wenn Herr Steinbrück in dieserebatte anwesend wäre.
tatt durch die Republik zu touren und eine Lesung zualten, könnte er uns hier erklären, warum seine Finanz-olitik unterm Strich ein Desaster war.
Angesichts der Pensionszahlung muss man feststel-n: Es ist eine Selbstbedienung zulasten des Steuerzah-rs, was hier passiert. Das Verhältnis zwischen der Leis-ng und dem, was man dafür bekommt, stimmt nichtehr, wenn jemand, der 19 Monate in einem Institut ar-
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Dr. Gerhard Schick
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beitet, nachher eine jährliche Rente von 240 000 Eurokassieren kann.
Nun ist es ja nicht so, dass es hier keine großkoali-tionäre Empörung gab. Davon konnte man in den letztenTagen einiges merken. Ich möchte Ihnen aber sagen:Dieses Haus ist kein Empörungstempel, sondern hiertagt eine gesetzgebende Versammlung. Deshalb erwar-ten wir, dass die Bundesregierung jetzt einen Gesetzent-wurf vorlegt und diese Zahlungen korrigiert, damit so et-was in den vom Staat geretteten Banken nicht mehrmöglich ist. Das ist unsere Forderung.
Ich möchte aber auch die Verantwortung jenseits derGesetze ansprechen. Ich glaube, dass ein Land, dessenwirtschaftliche Elite jeden Bezug zur Realität verlorenhat, keiner guten Zukunft entgegensieht. Deswegenmöchte ich von dieser Stelle aus als Volksvertreter ganzbewusst einen Appell an Herrn Dr. Wieandt richten– vielleicht können Sie sich diesem Appell an-schließen –: Ich fordere Sie, Herr Wieandt, auf, auf soeine Pensionszahlung zulasten der Steuerzahler, die nie-mand in diesem Land versteht, zu verzichten.
Es gibt eben beide Verantwortungen, und ich finde eswichtig, dass in dieser Debatte beide Verantwortungendeutlich werden. Es gibt auf der einen Seite die Verant-wortung des Gesetzgebers. Er darf sich nicht nur vor denFernsehkameras empört zeigen, sondern hat als Gesetz-geber und Kontrolleur der staatlichen Banken seine Ar-beit zu leisten. Diesbezüglich haben Sie bisher nicht ge-liefert. Auf der anderen Seite gibt es die Verantwortungder wirtschaftlichen Elite dieses Landes, soziale Markt-wirtschaft nicht nur in evangelischen Akademien zu pre-digen, sondern im täglichen Geschäft auch wirklich zuleben. Auch daran fehlt es in diesem Land.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich will noch einmal daran erinnern,dass diese Aktuelle Stunde von der SPD-Fraktion bean-tragt wurde. Eigentlich geht es um zwei Punkte, um dieGarantien für die HRE und um die Bonizahlungen.IcmgeasIctrPgFhwLIcrugbruggwsDbgezsvzgsdHvK
h meine, dass man diese zwei Bereiche zunächst ein-al auseinanderhalten und getrennt beleuchten muss.Ich komme zum ersten Punkt, zu den Garantien. Eseht um die HRE. Ich darf uns alle daran erinnern, dasss eine Zeit gab – das war noch zur Zeit der Großen Ko-lition –, in der wir hier gemeinsam beschlossen haben,ystemrelevante Banken vor der Insolvenz zu bewahren.h meine, das war ein kluger und weiser Beschluss, ge-agen von der Großen Koalition. Wir hatten damals dieleite der großen amerikanischen Bank Lehman vor Au-en. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie der damaligeinanzminister Peer Steinbrück uns allen klargemachtat, was eine solche Insolvenz für Deutschland bedeutenürde, indem er die Auswirkungen der Insolvenz derehman-Bank auf die HRE übertragen hat.
h erinnere mich sehr gut, welch schwerwiegende Stö-ngen nicht nur des Finanzkreislaufs, sondern unsereresamten Wirtschaft uns vor Augen geführt wurden –is hin zu der Feststellung, dass viele soziale Siche-ngssysteme damit ins Wanken geraten oder gar kaputt-ehen würden.
Ich weiß noch sehr gut, dass wir damals darüber nach-edacht haben, wie man das alles regeln kann. Dannurde das SoFFin-Gremium mit einem Leitungsaus-chuss eingerichtet.
as war eine kluge Entscheidung; denn dieses Gremiumegleitet die Stabilisierung der Finanzmärkte in einer an-emessenen Art und Weise.
Ich erinnere mich auch noch sehr gut, dass wir damalsine Auseinandersetzung darüber hatten, ob wir die HREu 100 Prozent übernehmen, also voll verstaatlichenollten. Das war die Forderung von Peer Steinbrück undon der SPD. Wir waren da ordnungspolitisch etwasurückhaltender. Uns hätte auch ein geringerer Anteilereicht; denn wir haben ein ordnungspolitisches Gewis-en. Wir wollen nicht alles verstaatlichen. Die Entschei-ung, die wir mitgetragen haben, lautete dann aber: DieRE wird zu 100 Prozent übernommen.Nun stelle ich fest, dass sich die SPD Stück für Stückon allen Entscheidungen, die in der Zeit der Großenoalition getroffen wurden, verabschiedet.
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Norbert Barthle
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Noch im Juli 2009 hat mein geschätzter Kollege CarstenSchneider die Rettung der HRE vor der Insolvenz hier,an diesem Rednerpult gerechtfertigt und gelobt. Ich habedas Protokoll dabei und kann das gerne vorlesen. Heutefordert er die sofortige Abwicklung dieser Bank. Ichhoffe, dass er, der nach mir redet, uns erklären wird, wiedas zusammengeht.
Wir als CDU/CSU-FDP-Koalition stehen zu der Ver-antwortung, die wir damals übernommen haben. Wirsprechen uns dafür aus, dass die HRE in einem kontrol-lierten Verfahren ordentlich restrukturiert wird. Zu die-sem kontrollierten Verfahren gehört auch, dass, wie ichder heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung ent-nehme, der ich auch Glauben schenke, noch heute Nachtder Knopf für die Auslagerung der toxischen Papiere ineine sogenannte Bad Bank gedrückt wird. Aber – das istdas Entscheidende – der Kernbereich der Bank bleibt er-halten. Das ist die Deutsche Pfandbriefbank. Meine Da-men und Herren, allein mit dieser Aktuellen Stunde be-schädigen Sie die Aussichten dieser Bank auf künftigemarktgerechte Geschäfte. Was Sie betreiben, ist für unsvolkswirtschaftlich von Schaden. Das muss man an derStelle einmal ganz deutlich sagen.
Ich wünschte mir, die Kollegen würden sich an derStelle vielleicht einmal Rat bei ihrem ParteifreundStaatssekretär Asmussen einholen. Der sieht das etwasanders.Lassen Sie mich jetzt noch zwei, drei Sätze zu denBonizahlungen sagen. Auch dies geht auf ein Gesetz zu-rück, das der Finanzminister Peer Steinbrück – in Klam-mern: SPD – erlassen hat.
Da ging es um Maßnahmen zur Begrenzung der Gehalts-zahlungen und um Rekapitalisierungsmaßnahmen. Über-sehen hat man damals die Tatsache, dass so etwas viel-leicht auch bei der Übernahme von großen Garantieninfrage kommen könnte oder sollte. Übersehen hat manauch, dass es nicht nur um die Vorstandsebene geht, son-dern dass es vielleicht auch um die zweite und dritteEbene gehen kann;
Es kann eigentlich nicht sein, dass jetzt in der Vorstands-ebene weniger verdient wird als in der zweiten oder drit-ten Ebene, weil dieses übersehen wurde.sAzkWgSuDaWWmFdEVuhsdw
Deshalb kann ich an der Stelle wiederum feststellen:as bleibt unter dem Strich?
ir als bürgerlich-christlich-liberale Koalition
üssen die Fehler wieder ausbügeln, die ein SPD-inanzminister gemacht hat.Danke.
Das Wort hat nun der Kollege Carsten Schneider für
ie SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist heute schon viel zitiert worden und auch auf dieergangenheit verwiesen worden. Ich kann Ihnen klippnd klar sagen, Herr Wissing: Wir als SPD-Fraktion ste-en zu dem, was wir in den vergangenen Jahren be-chlossen haben; ganz klar.
Mich hätte interessiert, was denn eigentlich damals iner Frage der Hypo Real Estate Ihre Alternative gewesenar.
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Carsten Schneider
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Wir sind uns in diesem Hause doch sicherlich einig, dasses eine systemrelevante Bank war.
Wir hatten Anhörungen im Haushaltsausschuss dazu. Dahaben der Bundesbankpräsident, aber auch der damaligeChef des SoFFin gesagt: Die Rettung der HRE muss ge-schehen. – Das war die damalige Sicht.
Natürlich weiß ich, dass es heute etwas anders ist – ichkomme noch darauf –, was die Weiterentwicklung derHRE betrifft. Aber aus der damaligen Sicht gab es zudieser Haltung und letztendlich zu der Verstaatlichungder HRE keine Alternative. Sie haben sich damals alsOpposition sehr schnell in die Büsche geschlagen undnichts Eigenes vorgeschlagen, meine Damen und Her-ren.
Dass Sie das jetzt alles Herrn Steinbrück und der SPDin die Schuhe schieben wollen, ist geschenkt. Es geht derFDP-Fraktion in anderen Punkten ja sowieso schlechtgenug; da habe ich kein Mitleid mehr.
Ich will Ihnen ganz klar sagen: Man muss sich nachzwei Jahren Finanzmarktgesetzgebung – Rettung und al-lem, was dann passiert ist – auch fragen: Ist das richtiggewesen? Gibt es Punkte, bei denen man Veränderungenvornehmen muss?
– Ja, Sie haben immer alles gewusst; klar. Das haben wirheute zur Kenntnis genommen.
Was die Frage der von uns allen sicherlich nicht ge-wollten – das ist ja so zum Ausdruck gebracht worden –Bonizahlungen bei der Hypo Real Estate angeht, so be-ruht ein Teil dieser Boni auf Altverträgen. Ein andererTeil geht klar auf Ihre Verantwortung zurück. 8 Millio-nen Euro sind zu Zeiten der neuen Regierung an neueKollegen in der HRE gezahlt worden. Dafür gab es keinevertragliche Grundlage. Das sind Halteprämien gewe-sen.
Das folgt der Logik des Marktes. Die HRE hat einenschlechten Ruf. Das ist ja so; das will keiner bestreiten.Wenn man da einen Guten halten will, dann muss manihm so viel zahlen wie bei der Deutschen Bank. Dasfolgt aber der Logik, dass man diese Bank weiter haltenund entwickeln will,uGkAEusdgliunuOgmnkgladeAnAezgsMufükNukb
nd das wollen Sie.Morgen gehen Sie einen weiteren Schritt mit derründung der AIDA, der Abwicklungsanstalt, in die Sienapp 200 Milliarden Euro auslagern wollen. Das ist einbwicklungsfall. Dann haben wir noch 150 Milliardenuro Bilanzsumme der HRE übrig. Darauf wollen Siend Ihre Regierung eine neue Bank gründen, die Deut-che Pfandbriefbank. Da stellt sich die Frage: Brauchter Markt diese Bank? Haben wir in Deutschland nichtenügend Staatsfinanzierer und gewerbliche Immobi-enfinanzierer, dass der Bund ins Risiko gehen mussnd diese Bank mit einer horrenden Bezahlung, miteuen Werbebroschüren, die gedruckt werden müssen,nd weiteren Implikationen entwickeln muss?
der ist für den Bund, den Steuerzahler etwas anderesünstiger? Das muss man sich überlegen, darüber mussan diskutieren. Wir sind doch hier ein Ort der Mei-ungsbildung und kein Ort, wo wir etwas vorgesetzt be-ommen und nichts dazu sagen.
Ist für den Bund also vielleicht etwas anderes günsti-er? Ich verweise auf die Kommunikation mit dem Par-ment. Die 40 Milliarden Euro an neuen Garantien fürie HRE wurden hier ja angesprochen. Das war wirklichine Sauerei; entschuldigen Sie, Frau Präsidentin, denusdruck. Es ist nicht zu akzeptieren, dass wir darübericht informiert werden.
ber dass es gegenüber dem Finanzmarkt nicht einmaline Information gab, ist der entscheidende Punkt undeigt mir, dass der Markt kein Vertrauen in die Bank hat.
Ich persönlich glaube, dass es für den Steuerzahlerünstiger ist, jetzt zu sagen: Wir ziehen einen Schluss-trich, wir beteiligen uns nicht mehr an der Logik desarktes
nd entwickeln keine neue Bank, die wir in vier odernf Jahren eventuell zu einem niedrigen Preis verkaufenönnen. In der Marktwirtschaft gibt es ja Angebot undachfrage. Es gibt von der WestLB über die Bayern LBnd Banken, die in England und Europa auf den Marktommen, kein Geschäftsmodell, das große Renditeringt.
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Carsten Schneider
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Das heißt, es wird keine Käufer geben, die einen Preiszahlen, der dem entspricht, was wir als Eigenkapital hin-einstecken.
Dann muss man sich doch die Frage stellen: Ist es viel-leicht nicht günstiger, die Bank generell abzuwickeln?Das muss man überlegen. Ich persönlich bin da festge-legt; in meiner Partei gibt es Meinungsbildung. Esstünde Ihnen gut an, das zu erwägen.Ich habe mir Ihren Gesetzentwurf angeschaut.
– Herr Dautzenberg, kennen Sie diesen Gesetzentwurf? –Mir liegt der Kabinettsbeschluss von vor zwei Tagenvor. Darin geht es um die SoFFin-Nachfolgeeinrichtung.Ich habe im Finanzmarktgremium – das kann ich sagen,das ist nicht geheim – vor einer Woche gefragt, ob dieBundesregierung darüber nachdenkt, die Möglichkeitender Garantien und der Rekapitalisierung auch vor demHintergrund der zusätzlichen Milliardengarantien an dieHRE zu verlängern.
Da hieß es Nein. Das war vor einer Woche. Jetzt schauich in diesen Gesetzentwurf und sehe: Für genau zweiBanken, WestLB und HRE, nämlich die, die AIDAs, dieAbwicklungsanstalten, gegründet haben, werden hierGarantien in Höhe von 300 Milliarden Euro neu ausge-bracht oder verlängert und 50 Milliarden Kapitalzu-schüsse. Dann frage ich mich: Wie kommt es zu diesemWechsel? Das ist noch nicht Ihr Beschluss, aber
ein Wechsel der Positionen. Es heißt nämlich, im Kernbehalten Sie sich vor, diese Möglichkeit ins Auge zu fas-sen.
Ich meine, wir sollten im Bundestag eine Entschei-dung treffen – nicht nur die Regierung –, die den Steuer-zahler so weit wie möglich schont.
Sie haben sich in der letzten Regierung gewehrt, als wirgesagt haben: Wenn es ein Minus aus dem Rettungs-fonds gibt, zahlen das die Banken. Dazu haben Sie Neingesagt. Wir sind dafür, dass die Banken das zahlen. Daswäre dann auch ein Nullsummenspiel für den Steuerzah-ler. Meine Damen und Herren, es liegt an Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für
ie FDP-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Vor knapp 2000 Jahren schrieb der be-annte römische Dichter Ovid sein Hauptwerk, dieetamorphosen. Im Jahr 2010 schreibt der bekannteädagoge aus Niedersachsen Sigmar Gabriel den zwei-n Teil der Metamorphosen, die Metamorphosen derPD.
er Unterschied ist: Ovid kam mit 15 Büchern aus, inenen rund 250 mythische Geschichten enthalten waren;ei Ihrer Entwicklung kommen Sie in absehbarer Zeitit 15 Büchern und 250 Mythen beileibe nicht über dieunden.
Sie verabschieden sich sozusagen im täglichenhythmus von bekannten Positionen Ihrer Regierungs-eit. Dies betrifft Hartz IV, die Rente mit 67 und jetzt dieRE. Es ist eigentlich keine Überraschung, wenn manieht, wie Sie sich in den letzten Monaten gewandelt ha-en.
h kann das verstehen. Sie scheinen sich für Ihre Regie-ngsarbeit zu schämen. Das ist Ihnen unangenehm; dasann ich nachvollziehen.
eswegen muss man, vielleicht auch im Kontext derinanzmarktstabilisierung, sagen: Die vermutlich größtebwicklungsanstalt Deutschlands heißt derzeit SPD.as stellen wir im Moment fest.
Die Bundesregierung zieht übrigens in diesem Herbst das wird hier im Bundestag beraten – entscheidendeonsequenzen aus dem Fall der Hypo Real Estate under staatlichen Reaktion auf die Finanzkrise.
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Wissing [FDP]: Immer mit der Ruhe da drü-ben! Ihr habt elf Jahre herumgegurkt!)Das Stichwort heißt „Restrukturierungsgesetz“.
Mit diesem Gesetz werden all die Instrumente, die derStaat vor zwei Jahren nicht zur Verfügung hatte
und die Sie bis letztes Jahr auch nicht schaffen konnten,weil Sie sich innerhalb der Großen Koalition uneinigwaren,
geschaffen. Das heißt mehr Prävention im Hinblick aufBankenkrisen, das heißt mehr Eingriffsbefugnisse für dieAufsicht in Fällen, in denen wirklich etwas schiefläuft,
und das heißt letzten Endes auch ein Auffangmodell, daserstens von den Banken bezahlt wird und zweitens dieHaftung von Eigentümern und Gläubigern wiederher-stellt. Diese Koalition handelt, und sie beseitigt viele derUrsachen, die zu dieser Krise geführt haben.
Ich finde es bemerkenswert, dass Sie mehr oder weni-ger offen einräumen, dass sich Peer Steinbrück an vielenStellen getäuscht hat.
Ich will zwei Punkte erwähnen, die heute noch nicht an-gesprochen worden sind. Es war Peer Steinbrück, der340 Millionen Euro gezahlt hat.
– Ich weiß, das trifft Sie, Kollege Poß; aber es ist dieWahrheit. – Sie haben 340 Millionen Euro aus Steuer-mitteln gezahlt bzw. Schulden aufgenommen, um Altak-tionäre auszuzahlen oder aus einer schon damals wertlo-sen Bank herauszukaufen. Das haben Sie gemacht.Damals flossen 340 Millionen Euro an Aktionäre – nichteinmal in die Bank, sondern an die Altaktionäre –, undzwar dafür, dass der Bund eine wertlose Bank überneh-men kann.
Das rechtfertigen Sie hier auch noch! Ich glaube, dassbei Ihnen wirklich einiges schiefgelaufen ist.–hsJtidmnkedBhimBvnhDzw–ismlidsdrerem
Das ist schon lange vorher passiert, Kollege Poß. Se-en Sie sich die zeitlichen Abläufe noch einmal an!
Auch ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert. Im Zu-ammenhang mit der Verstaatlichung der HRE imahr 2009 hat Peer Steinbrück im Bundestag mit drama-schen Worten gesagt, dass der Bund zu 100 Prozent aner HRE beteiligt sein muss, dass er also Alleineigentü-er werden muss. Dafür hat er auch einen Grund ge-annt. Peer Steinbrück hat immer wieder gesagt – dasann man anhand der Protokolle belegen –: Wir müssenine 100-prozentige Verstaatlichung durchführen, weilie HRE nur so an den Finanzierungskonditionen desundes teilhaben kann.Die Realität von heute ist jedoch, dass sich diese Vor-ersage nicht einmal im Ansatz erfüllt hat. Die HRE istmer noch weit von den Finanzierungskonditionen desundes entfernt. Der deutschen Öffentlichkeit wurdeon Peer Steinbrück unter Vorspiegelung falscher An-ahmen ein Gesetz präsentiert, in dessen Folge über-aupt nichts so gekommen ist, wie er es erwartet hat.
ie Folgen dieser Fehleinschätzungen haben wir heuteu tragen.
Es ist sicherlich richtig, dass die HRE systemrelevantar und ist.
Ich stelle nur fest, was in den letzten Jahren geschehent; jetzt komme ich zur Zukunft, Kollege Poß. – Wirüssen einen Weg finden, diese Bank nicht unkontrol-ert in die Insolvenz zu schicken, die Sie nie wollten undie für den Markt auch schädlich wäre. Wir müssen die-es Konstrukt Stück für Stück vom Markt nehmen,
ie Risiken für die Steuerzahler reduzieren und ihre Inte-ssen so weit wie möglich wahren. Wir müssen im Inte-sse der Steuerzahler das Beste aus dieser Entwicklungachen.
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Florian Toncar
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Es ist wichtig, festzustellen: Die Bilanzsumme derBank ist bereits geschrumpft. In dieser Woche werdenmehr als 60 Prozent des Volumens der Bank auf eineAbwicklungsanstalt übertragen; wenn diese Operationgelingt, wäre das ein beträchtlicher Erfolg,
weil die Refinanzierung dadurch nachhaltig stabilisiertwürde.
Die Kernbank, die übrig bleibt, wird nach ihren eigenenGeschäftsplänen weiter schrumpfen. Das heißt, ein gro-ßer Teil, ungefähr drei Viertel der Bank, wird entwederabgewickelt oder läuft aus, und Neugeschäft wird nurausgesprochen zurückhaltend betrieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, die sichjetzt stellt, lautet: Ist das Neugeschäft der Bank etwas,das wir wollen, weil es uns Chancen eröffnet, oder et-was, das wir nicht wollen? Diese Regierung sagt: Da wirdie Interessen des Steuerzahlers zu vertreten haben, müs-sen wir alles dafür tun, dass zumindest der gute, verwert-bare Teil der Bank eines Tages verkauft werden kann. –Ich warne Sie vor der Annahme – sie ist nämlich falsch –,dass eine komplette Abwicklung, die übrigens nicht rea-listisch ist, billiger wäre und man dem Steuerzahler da-mit irgendeinen Gefallen täte. Das Gegenteil ist der Fall.
Herr Kollege Schneider, weil Sie dieses Thema ange-sprochen haben, sage ich Ihnen: Es ist mitnichten so,dass man bei einer Abwicklung keine Mitarbeiter mehrbraucht. Gerade bei einer Abwicklung braucht man aus-gesprochen qualifizierte Mitarbeiter, die sich gut ausken-nen. Es macht nämlich einen Unterschied, ob der Scha-den bei einer Abwicklung groß, mittelgroß oder klein ist.Das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wer abwickeltund wie gut.
– Das haben Sie gesagt, Herr Kollege, nicht ich. MeineÄußerungen dazu haben Sie gelesen. Die Logik, dassman keine guten Mitarbeiter mehr braucht, wenn mandas Ganze abwickelt, ist schlicht und ergreifend falsch;das Gegenteil ist nämlich der Fall.
Achten Sie bitte auf die Redezeit, Herr Kollege.
Deswegen ist das, was diese Regierung tut, im Inte-
resse des Steuerzahlers. Das, was Sie tun, ist nur ein wei-
terer Akt in Ihren Metamorphosen.
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In Wahrheit reden wir über Steinbrück, weil er damalsehandelt hat. In Wahrheit reden wir heute nicht über dieegierungskoalition, weil sie eben nicht handelt. Herrissing hat das demonstriert.
r hat zwar ganz viel über die Vergangenheit geredet,ber keinen Ton dazu gesagt, was in dieser Lage konkretassieren soll. Er hat sogar gesagt, wir hätten uns in dieerstaatlichung verliebt – er hat das nicht wörtlich ge-agt –, aber gemeint, das sei unserer Meinung nach einlles Projekt von uns gewesen. Die Antwort ist ganz an-ers: Wir wollten nicht verstaatlichen, sondern wir woll-n retten.
etten ist etwas ganz anderes. Das Mittel die Verstaatli-hung kann das richtige Mittel sein.
Es ging darum, eine Systemkrise abzumildern, denfandbrief zu retten. Es ging auch um viele Kunden derank
darum geht es auch jetzt noch – und um das Wirt-chaftswachstum, von dem besonders ihr euren Stolz ab-itet. Das geht auf solche Maßnahmen zurück.Trotzdem muss man zugeben: Wir haben uns in einerestimmten Phase geirrt. Wir haben ein Gesetz gemacht, dem steht, dass wir Vorstandsgehälter kleiner gleich00 000 Euro festlegen wollen. Ganz ehrlich: Auch ichabe mich geirrt. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute,r die man das Gesetz macht, auf die Idee kommen, die-es Gesetz zu unterlaufen, indem in der zweiten Reihelötzlich Gehälter gezahlt werden, die höher sind als die,ie man für die erste Riege hat regeln wollen. Dasonnte ich mir nicht vorstellen; das muss ich ehrlich sa-en.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6449
Lothar Binding
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Daraus mache ich Peer Steinbrück keinen Vorwurf. Dasist eine Frage von Anstand, ob man ein Gesetz so oder sounterläuft.Jetzt wird natürlich gefordert, das alles zu regeln.Man kann alles regeln. Dann heißt es aber wieder, dieRegelungsdichte sei zu hoch und die Regelungswut seiüberbordend. Ich will ehrlich sagen: Wenn wir alles re-geln müssen, weil alles getan wird, was nicht verbotenwird, wenn alles erlaubt ist, was nicht explizit verbotenwird, dann werden wir eine Gesetzgebung haben, mit derniemand in dieser Gesellschaft mehr zurande kommt.Ich glaube, wir müssen den Bürgern und sogar Leuten,die in der Bank arbeiten, eine gewisse Eigenverantwor-tung zuschreiben, sonst funktioniert das gesamte Systemnicht.
In welcher Lage sind wir heute? Das haben wir schongehört. Die HRE überträgt 191 Milliarden Euro auf eineAbwicklungsbank, nämlich auf die Finanzmarktstabili-sierungsanstalt, die FMS Wertmanagement. Das ist einmutiger Begriff für das, was da passiert. Aber es deutetin die Richtung, in die wir gehen wollen.Eine Situation beschreibt ein bisschen das Verhältniszwischen Regierung und Parlament. Ich fand die Art,wie der Parlamentarische Staatssekretär Kampeter unsinformiert hat, sehr grenzwertig.
Er hat das in einer Weise getan, die uns vielleicht hintersLicht hätte führen sollen, wenn es nicht rechtzeitig auf-gefallen wäre. Ich glaube, da muss noch sehr viel mehrTransparenz hineinkommen.Welche Risiken gibt es in diesem Kontext noch? Wirhaben risikogewichtete Aktiva in Höhe von 191 Milliar-den Euro, die jetzt übertragen werden. Es gibt ein Kurs-schwankungsrisiko, das heute noch gar nicht abgeschätztwerden kann, in Bezug auf den US-Dollar und das engli-sche Pfund. Es gibt Staatsanleihen, die in besichertenRefinanzierungstransaktionen ausgegeben werden, dieunterlegt werden müssen. Die EZB-Offenmarktge-schäfte sind noch nicht in der notwendigen Weise refi-nanziert. Das ist ein erneutes Risiko. Ich beschreibe nurein bisschen die Innensicht der Bank.Die Frage ist auch: Wie verändert sich eigentlich dieBonität der Staatsanleihen? Denn bei einer Änderung derBonität der Staatsanleihen ändert sich auch der CreditSpread, der Diskontaufschlag. Das erhöht den Liquidi-tätsbedarf und bringt die Bank unter dramatischenDruck. Was machen verantwortliche Banker, die diesenDruck aus der Innensicht der Bank kennen, in dieserPhase? Sie erhöhen sich die Boni. Das Problem ist derWiderspruch im unterschiedlichen Umgang mit der Ver-antwortung für das Ganze und für das Eigene. Ichglaube, wer diesen Widerspruch nicht auflöst, hat zu-künftig ein großes Problem. Deshalb sehe ich auch einegroße Verantwortung für ein ordentliches Gesetz, mitdem dies überwunden wird. Deshalb meine ich: Die Re-gdwshdSshtadHintuVdzddDihhisdSzDDdw
Für die Bundesregierung hat das Wort Herr Parlamen-
rischer Staatssekretär Steffen Kampeter.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Politik hat viel mit Verantwortung zu tun. Wer der Politik tätig ist, der muss bereit sein, Verantwor-ng zu übernehmen. Regieren hat besonders viel miterantwortung zu tun. Wer allerdings nicht bereit ist, zuen von ihm verantworteten politischen Entscheidungenu stehen, der ist politik- und regierungsunfähig. Mit je-em Redebeitrag der Sozialdemokratischen Partei wurdeiese These hier heute nachhaltig belegt.
ass sich die Partei Die Linke, die das Bonusproblemres Parteivorsitzenden ja über Wochen diskutiert hat,ier auch noch zum moralischen Wächter aufschwingt,t ein nettes Aperçu in dieser Debatte.
Die Bundesregierung steht zu der Entscheidung, überie Stabilisierungsmaßnahmen bei der Hypo Real Estatechaden vom Finanzmarkt und Schaden von den Steuer-ahlerinnen und Steuerzahlern der Bundesrepublikeutschland abzuwenden.
ie Entscheidung war richtig, und sie war im Interessees Finanzplatzes Deutschland und zur Abwendung voneiteren Schäden nachhaltig verantwortbar.
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6450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Die Instrumente im Finanzmarktstabilisierungsgesetz,die wir dazu angewandt haben, sind im Konsens zwi-schen den damaligen Koalitionspartnern entwickelt wor-den. Ich möchte hiermit ausdrücklich meinen Respektgegenüber unserem neuen Koalitionspartner dafür aus-sprechen, dass er die damals getroffenen Entscheidungenmitträgt und auch bereit ist, Verantwortung für Dinge zuübernehmen, die er seinerzeit nicht ganz optimal gefun-den hat. Das ist verantwortungsvolle Politik.
Wo stehen wir heute? – Es ist bereits darauf hingewie-sen worden, dass durch diese Aktuelle Stunde offenkun-dig davon abgelenkt werden soll, dass in Kürze, wahr-scheinlich in dieser Nacht, eine der erfolgreichsten undnotwendigsten, aber auch kompliziertesten Transaktio-nen in der Finanzgeschichte der BundesrepublikDeutschland über die Bühne gehen wird. Alle Steuerzah-lerinnen und Steuerzahler in Deutschland müssen wis-sen: Der Erfolg dieser Transaktion ist wichtig, um Scha-den für die deutsche Politik und für die deutscheVolkswirtschaft abzuwenden.
Wenn man 192 Milliarden Euro in einen Hochsicher-heitstrakt für Finanzmüll überführt, dann ist das keinesimple, sondern eine hochkomplexe Leistung.
Was dort in den letzten Monaten vorbereitet worden ist,ist trotz der schwierigen Ertragssituation eine wichtigeLeistung, die wir nicht mit einer Art von Populismus undOpportunismus begleiten sollten, wie wir es von Teilendieses Hauses hören, sondern mit Respekt und mit einerHoffnung auf deren Erfolg. Wir als Bundesregierungund als Deutscher Bundestag haben ein existenzielles In-teresse an dem Erfolg der Stabilisierung der Hypo RealEstate.
Ich will auch überhaupt gar keinen Zweifel daran las-sen, dass es richtig war, die Bank nicht abzuwickeln. Eswar damals in der Großen Koalition unsere Auffassung,dass das für den Steuerzahler die nachhaltig teurere Lö-sung wäre, und wir haben keinen Anlass, von dieser Be-urteilung heute abzurücken. Wir handeln so im Interessedes Bundeshaushalts und im Interesse unserer Volkswirt-schaft.
Ich möchte meinen Respekt all denjenigen zollen, diediese Finanzmarktstabilisierung in den vergangenenzwei Jahren zu einem Erfolg geführt haben,
binwgsgsräfümhtusgAduseginu–hSSMdBsWDteÖ
Ich glaube, dass die Sozialdemokraten vergessenaben, was die Grundlagen für die derzeitigen Vergü-ngsregelungen sind. Wir haben im Finanzmarktstabili-ierungsgesetz eine bewusste Entscheidung für die Be-renzung der Vergütungen auf Vorstandsebene getroffen.llen, die daran beteiligt waren, war klar, dass dies fürie erste Ebene gilt, weil wir zu diesem Zeitpunkt nichtmfassend in Vertragsfreiheit und in Vertragsbestands-chutz eingreifen wollten.Dem Kollegen von der SPD-Fraktion, der hier heuterklärt hat, er habe es nicht gewusst, muss ich ehrlich sa-en: Dann hat er seine Aufgabe im Haushaltsausschuss der vergangenen Legislaturperiode wohl nicht voll-mfänglich und verantwortlich wahrgenommen.
Lieber Herr Kollege Poß, was wir damals beschlossenaben, war Ihnen in den Konsequenzen genauso klar.
ie sollten bitte an dieser Stelle nicht vergessen, dass derchutzpatron der Bonuszahlungen der Hypo Real Estateitglied Ihrer Bundestagsfraktion ist.
Im August 2009 – dies stammt aus einer ddp-Mel-ung – hat der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück dieonuszahlungen in Höhe von 500 000 Euro an den Vor-tandschef der Hypo Real Estate, Axel Wieandt, mit denorten verteidigt:Herr Wieandt ist der Feuerwehrmann, der bei derHypo Real Estate einen überaus schwierigen Jobmacht – und ich bin froh, dass er da ist.
Sie verhalten sich wie der beim Einbruch erwischteieb, der dann ruft: Haltet den Dieb! Meine sehr verehr-n Damen und Herren, so kann man mit der deutschenffentlichkeit allen Ernstes wirklich nicht umgehen.
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Was hat sich mit dieser neuen Bundesregierung anden Vergütungsstrukturen
in dem von uns stabilisierten Bereich geändert?
Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass der Ver-treter des Bundes im Aufsichtsrat der Hypo Real EstateEnde des vergangenen Jahres gefordert hat, die Einmal-zahlungen, die bei der Hypo Real Estate aufgrund vonAltverträgen vor Einstieg des Bundes geleistet werdenmüssten, einer Überprüfung zuzuführen. Am Ende die-ser Überprüfung steht ein anderes Vergütungssystem,das sich an den drei Kriterien, die wir im DeutschenBundestag festgelegt haben, orientiert: Transparenz,Nachhaltigkeit und Angemessenheit.Es war im Übrigen auch die letzte Bundesregierung,die im Rahmen des SoFFin erstmals für das Finanzwe-sen Vergütungsstrukturen festgelegt hat; sie sind dannvon der BaFin aufgegriffen worden, und internationalhaben sie Eingang in den Financial Stability Report ge-funden. Wir strukturieren die Vergütungen in der HREgrundlegend um. Dies geschieht nicht schon seit derletzten Legislaturperiode, sondern es war WolfgangSchäuble, der diese Maßnahmen wenige Wochen nachseinem Amtsbeginn eingeleitet hat. Entsprechend kön-nen wir hier jetzt sehr selbstbewusst feststellen: In derletzten Legislaturperiode war kein politischer Wille vor-handen, mehr zu machen. In dieser Legislaturperiodehingegen ist der politische Wille in Handeln umgewan-delt worden. Das ist die Tatsache, über die hier in dieserArt und Weise zu berichten ist.
Ich gehe davon aus, dass es in diesem Bereich, wennwir zukünftige Verträge nach diesen Prinzipien regulie-ren werden, zu verantwortbaren und kommunikationsfä-higen Entscheidungen kommen wird.Wir sind offen für mitnichten die Vertragsfreiheit aus-hebelnde oder den Bestandsschutz von Verträgen über-flüssig machende Regelungen. Wir sind offen dafür, diesauch im Bereich des Restrukturierungsgesetzes zu ma-chen. Aber ich finde es unangemessen, in populistischerund opportunistischer Art und Weise die in der Vergan-genheit getroffenen Entscheidungen so darzustellen, alsob man an ihnen nicht beteiligt gewesen wäre. Ichglaube nämlich, dass in einem Punkt die SPD, die So-zialdemokraten, Farbe bekennen müssen: Sind Sie fürvariable Vergütungen, wie Peer Steinbrück sie hier ver-treten hat, ja oder nein? Sind das nachhaltige Bereiche?Darüber werden wir in den nächsten Wochen und Mona-ten streiten müssen.Zum Schluss will ich sagen, dass ich Ihnen, HerrSchick, in einem Punkt meinen Respekt zolle. Ich findees richtig und unterstütze Sie – das nicht als Mitglied derBundesregierung, sondern als Abgeordneter –: Nebender gesetzlichen Verantwortung haben alle diejenigen,dapnmzSKemhbEBuFPdbeshgnmhkgawtu–ShEB
s gab schwindelerregende Gehälter, es gab exzessiveoni,
nd sie waren mit dafür verantwortlich, dass es zu dieserinanzkrise in diesem Umfang kommen konnte. Dierinzipien guter Unternehmensführung – auf Neu-eutsch: Corporate Governance – sind in der Finanz-ranche auf ganzer Linie missachtet worden. Dies hatine Expertenkommission der EU festgestellt. Nun be-chäftigen wir uns heute mit der HRE. Das, was wir ge-ört haben, hat eines deutlich gemacht: Die HRE ist einanz besonderes Biotop. Ihr Management hat das Unter-ehmen grandios in die Pleite gewirtschaftet. Der Staatusste als Retter einspringen. Über die Garantierahmenaben wir einiges gehört. Überlegen wir doch einmalurz, was passiert wäre, wenn der Steuerzahler nicht ein-esprungen wäre. Die Bank wäre nicht mehr existent,lle arbeitsrechtlichen Verträge wären hinfällig, es gäbeeder Gehalts- noch Bonizahlungen. Das wäre die Si-ation.
Das ist völlig richtig. – Ich unterstreiche, dass Peerteinbrück in der Großen Koalition richtig gehandeltat.
r hat zu Recht gesagt: Es ging nicht nur darum, eineank zu retten, sondern es ging darum, insgesamt den
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Manfred Zöllmer
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Kollaps des Finanzsystems in Deutschland mit weitrei-chenden Konsequenzen zu verhindern. – Das ist gesche-hen.
Ich frage mich: Wo würden wir heute eigentlich stehen,wenn wir den Vorschlägen der FDP gefolgt wären? Daswill ich mir überhaupt nicht ausmalen.
Mit der Verstaatlichung der HRE wurden eine Kern-schmelze und ein Kollaps des Finanzsystems verhindert.Aber wir müssen feststellen, dass bereits damals durchdie Informationspolitik des Managements das wahreAusmaß der Katastrophe nur scheibchenweise an die Öf-fentlichkeit kam und das wahre Ausmaß des ökonomi-schen Destasters erst nach und nach publik wurde.
– Das ist jetzt ein bisschen zu blöd, sorry. –
Das Ganze war ein unglaublicher Skandal aufgrundökonomischer Unfähigkeit von Bankern, die sich selbstfür unverwundbar hielten und als sogenannte Master ofthe Universe in der Realität die größten Versager waren,die man sich vorstellen kann. Zu Recht wurden die Vor-standsgehälter bei 500 000 Euro gedeckelt. Man musssich vorstellen, dass das Durchschnittsgehalt eines Vor-stands einer großen deutschen Bank bei 2,2 MillionenEuro pro Jahr lag. Die Deckelung war richtig. Ich kanndas, was mein Kollege hier eben gesagt hat, nur unter-streichen. Meine Fantasie jedenfalls hätte nicht ausge-reicht, sich vorzustellen, dass in einer Bank, die nur nochmit Hilfe des Steuerzahlers existiert, diese Boni-Exzessein der zweiten und dritten Reihe wieder an der Tagesord-nung sind.
Besonders dreist finde ich es, wenn ein Sprecher derHypo Real Estate laut einer Meldung der Tagesschaudieses mit dem Hinweis rechtfertigt, die Bonuszahlun-gen seien nun deutlich geringer als vor der Krise. Dasmuss man sich einmal vorstellen. In anderen Unterneh-men müssen die Beschäftigten in der Krise Gehaltsver-zicht üben.
Lieber Herr Kollege Kampeter, 7 Millionen Euro die-ser Bonizahlungen gehen allein auf Ihr Konto.
– Das ist klar. Das kann er nicht. Das haben wir ebenfestgestellt. ––gddfisdletidmliSDRsrusnmdeSjeSbhJafüDwtr
Genau so ist es.Die Frage nach der Zukunft der HRE wird zu Rechtestellt. Wir müssen in der Tat die Frage beantworten, obie Kernbank nach Übertragung eines Teilportfolios inie Abwicklungsanstalt zukünftig lebensfähig ist. Ichnde es richtig, dass der Kollege Schneider diese Frageo offensiv stellt;
enn wir können den Steuerzahlerinnen und Steuerzah-rn in Deutschland auf Dauer nicht immer neue Garan-en abverlangen. Das wird nicht möglich sein.Schaut man sich jetzt die politischen Reaktionen an,ann stellt man fest: Die Bundesregierung war infor-iert, sie war involviert, sie war im Aufsichtsrat betei-gt. Auf der anderen Seite hat es jede Menge kritischetimmen aus der CDU und der FDP gegeben. Herrautzenberg hielt die Vorgänge für nicht akzeptabel.ichtig! Dann haben Sie darauf hingewiesen, die Vor-tände hätten schon zum damaligen Zeitpunkt mit Ände-ngskündigungen arbeiten können, um überhöhte An-prüche zu begrenzen. Diesen Vorschlag habe ich dannicht wieder von Ihnen gehört. Schade! Das Ganze hättean wirklich einmal ausloten können.
Insgesamt zeigt sich: Koalitionsfraktionen und Bun-esregierung sind sich in der Bewertung der Sache nichtinig. Das ist bei dieser Bundesregierung nicht neu. Dertreit sollte aber bald beendet werden; denn wir müssentzt gemeinsam die richtigen Konsequenzen aus dieserituation ziehen. Joachim Poß hat es auf den Punkt ge-racht. Er hat gesagt: Da, wo sich der Staat engagiert,aben Boni nichts zu suchen.
etzt ist die Regierung gefordert, zu handeln. Wir wartenuf Ihre Vorschläge.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb
r die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Ich frage mich schon die ganze Zeit,arum die SPD für heute diese Aktuelle Stunde bean-agt hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6453
Bartholomäus Kalb
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Eigentlich müssten Sie zu dem Ergebnis kommen, dasses für Sie bisher nicht sehr gut gelaufen ist.
Sie sind daran erinnert worden, dass all die Maßnahmen,die wir im Zusammenhang mit der HRE hier beschlos-sen haben, unter der Federführung des von Ihnen gestell-ten, von mir hoch geschätzten Finanzministers PeerSteinbrück vorgenommen worden sind und dass wir aufdringendes Anraten und auf dringende Empfehlung vonihm all die Maßnahmen zur Rettung der HRE – bis hinzur Verstaatlichung – beschlossen haben.Kollege Dautzenberg hat darauf hingewiesen, dasswir es uns sehr lange überlegt haben, ob wir all dieseSchritte mitgehen können und mitgehen müssen. Heutemüssen wir feststellen: Diese Schritte waren unvermeid-bar. Sie sind auch nach heutiger Beurteilung demGrunde nach richtig und nicht zu beanstanden. Dass esdabei auch Aspekte gibt, die man vorher nicht richtig ge-sehen hat, nicht richtig einordnen konnte, war uns auchdamals bewusst. Man bedenke die Geschwindigkeit, mitder wir die Entscheidungen in diesem Zusammenhangzu treffen hatten.Die Frage, warum die SPD heute diese AktuelleStunde beantragt hat, kann ich mir nur damit erklären,dass sie konsequent ihren neuen Weg verfolgt, nämlichdie Flucht aus der Verantwortung.
– Doch, doch. – Sie wollen sich von Ihrem früheren Re-gierungshandeln verabschieden. Sie wollen Spuren ver-wischen. Sie wollen mit dem, was Sie früher einmal ver-antwortet haben, nichts mehr zu tun haben.
Das gilt für die Rentenpolitik, das gilt für die Steuerpoli-tik, das gilt für die Sozialpolitik, und das gilt auch in die-sem Punkt. Ihre Parole heißt „Zurück, marsch, marsch! –Spuren verwischen“. Ich sage Ihnen aber: Das Ansehenvon Politikern und das Ansehen einer Partei steigen mitSicherheit nicht, wenn man sich zum eigenen Handelnund zur eigenen Verantwortung nicht mehr bekennt. Dasist der konsequente Weg in die organisierte Verantwor-tungslosigkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es stellt sichdie nächste Frage: Warum beantragt die SPD diese Aktu-elle Stunde genau in dieser Woche? Von anderen Rednernun
Rede von: Unbekanntinfo_outline
die gesamte Umstrukturierung.Eigentlich sollte es, unserer Verantwortung entsprechend,sremwhmlecanrepusfüsgsmwhsinSsleehcgFRtrlimnwIcdUnsra
Ich habe den Eindruck, Sie wollen aus der öffentli-hen Empörung Honig saugen. Es gibt Vorurteile ganzllgemeiner Art in Sachen HRE. Ein besonderes Ärger-is sind die aktuellen Vorgänge.Wir haben aber die HRE gemeinsam gerettet im Inte-sse der Stabilität des Bankensektors in der Bundesre-ublik Deutschland,
m zu vermeiden, dass Werte vernichtet werden, und umicherzustellen – der Herr Staatssekretär hat es ausge-hrt –, dass andere Institutionen wie zum Beispiel dieozialen Sicherungssysteme und kommunale Einrichtun-en nicht noch mehr Schaden nehmen. Wir habenchnell gehandelt. Deswegen muss man natürlich auchit gewissen Ungenauigkeiten rechnen.Es gibt ein Arbeitsrecht und ein Vertragsrecht. Wirissen, dass Arbeitsrechtsprozesse und Ähnliches an-ängig sind. Das ist das eine. Auf der anderen Seite stelltich die Frage, die sich immer stellt, wenn Unternehmen Schwierigkeiten sind: Welcher Beitrag muss von derpitze bis zu jedem Mitarbeiter geleistet werden?Gleichwohl sind wir in der Lage, objektiv zu unter-cheiden zwischen Bonizahlungen einerseits und variab-n Gehaltsbestandteilen andererseits. Auch das muss ininer solchen Debatte zumindest angemerkt werden.Insgesamt gesehen geht es aber darum, dass alle mit-elfen müssen, und zwar unabhängig von ihren Ansprü-hen, die sie geltend machen können oder wollen. Eseht darum, dass das Unternehmen wieder in ruhigesahrwasser gelangt, sodass es wieder Erfolg haben kann.In diesem Zusammenhang will ich meinen großenespekt zum Ausdruck bringen gegenüber vielen Be-iebsräten, die in ihren Unternehmen, die in der zurück-egenden Zeit in Schwierigkeiten waren, gemeinsamit der Belegschaft dazu beigetragen haben, dass Unter-ehmen konsolidiert werden konnten, dass Unternehmenieder auf einen guten Weg gekommen sind.
h sage das voller Anerkennung und voller Respekt voriesen Leuten, die sich dafür bei den eigenen Leuten imnternehmen stark gemacht haben. Damit haben sie ei-en wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir jetztchneller als viele andere in Europa aus der Krise he-usgekommen sind und wieder eine hervorragende
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6454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Bartholomäus Kalb
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wirtschaftliche Entwicklung verzeichnen können. Auchdas sollten wir hier erwähnen.
Ich sage auch im Hinblick auf den Bankensektor: Esmüssen sich alle darüber im Klaren sein, welche Verant-wortung sie zu tragen und zu übernehmen haben.Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-finden uns am Ende einer emotionalen Debatte. Ichglaube, dass in dieser Debatte durchaus das aufgegriffenworden ist, was in der Bevölkerung zu diesem Themagedacht wird, was in Stammtischrunden und in den Fa-milien diskutiert wird. Deswegen ist es gut und richtig,dass wir an dieser Stelle darüber sprechen. Hier ist auchder Platz, um darüber zu sprechen.Zum Schluss der Debatte möchte ich diesen Komplexaus einem ganz anderen Blickwinkel heraus beleuchten,weil ich fest davon überzeugt bin, dass es nicht nur Auf-gabe der Politik ist, sich zu empören und zu kritisieren,sondern auch schwierige Sachverhalte zu erklären undden Menschen näherzubringen.Was sind die Fakten, meine Damen und Herren? DieFakten sind, dass wir im Herbst 2008 die Entscheidunggetroffen haben, die HRE nicht in die Insolvenz gehenzu lassen. Wir wissen, dass dies in der Folge dem Steuer-zahler verdammt teuer zu stehen kommen wird.
Wir wissen auch, dass wir – ob Abwicklung oder nicht –aus dieser Nummer nicht mehr herauskommen.Wir haben dem HRE-Rettungsprozess als Parlamenteinen Rahmen gesetzt. Wir haben uns zum Ziel gesetzt– ich glaube, dem fühlen wir uns alle noch verpflichtet –,den Schaden für den Steuerzahler möglichst zu be-grenzen. Wir haben damals auch einen Weg vorgegeben,Herr Kollege Schneider. Der Weg war, dass wir die ge-fährdeten Teile in eine Abwicklungsbank bringen undden Rest – damals und vielleicht auch heute noch mit Er-folgsaussichten – auf den Markt bringen und verkaufen.In dem Wissen, dass wir als Parlamentarier nicht alleskönnen, haben wir die Bundesregierung beauftragt, die-sen Prozess zu begleiten. Wir haben eine Finanzmarkt-stabilisierungsanstalt gegründet und mit Bankenexpertenbesetzt. Außerdem – und das ist ganz entscheidend – ha-ben wir dafür gesorgt,
ass dieser Prozess von den Mitarbeiterinnen und Mitar-eitern sowie vom Management der HRE selbst abge-ickelt wird, weil letztlich nur sie wissen, was in denepots und in den Büchern dieses Instituts steht. Daseißt, wir haben Verantwortung übertragen, und wir ha-en den Beteiligten Freiheit gegeben, die Freiheit, Situa-onen zu bewerten und zu entscheiden. Das war unserentscheidung.Genau diese Freiheit ist auch genutzt worden. Derorstand der HRE hat Entscheidungen getroffen. Er hatielleicht Entscheidungen getroffen, die zu kritisierenind. Er hat die Entscheidung getroffen, dass Mitarbeiterinen Rechtsanspruch auf variable Gehaltsbestandteileaben und dass dieser Rechtsanspruch umzusetzen ist.r hat auch die Entscheidung getroffen, dass man wich-ge Mitarbeiter gerne halten möchte, weil man genaueute, am 30. September, die anspruchsvollste Transak-on in der Finanzgeschichte über den Tisch bringenuss. Heute muss man Wertpapiere im Wert von über00 Milliarden Euro von über 4 000 Vertragspartnern in0 verschiedenen Rechtssystemen übertragen. Das istchwierig genug.Der Vorstand der HRE hat auch die Entscheidung ge-offen, um weitere Garantien zu bitten, damit eben nichter Fall der Insolvenz, den wir ja alle vermeiden wollen,intritt.
Noch einmal: Wir haben dem Vorstand der HRE unden Mitarbeitern die Freiheit gegeben, diese Entschei-ungen zu treffen. Damit sind wir auch das Risiko einge-angen, dass falsche Entscheidungen getroffen werden.ber wenn wir nicht ein Minimum an Vertrauen in dieandelnden Personen haben, wenn wir als Parlamenticht den Mut haben, gegebenenfalls auch Fehlentschei-ungen zu ertragen, dann stellt sich die Frage: Wie soller ganze Prozess denn laufen? Vielleicht können Vor-tand, Mitarbeiter und Anstalt auch vom Parlament ver-ngen, dass es Stehvermögen zeigt und diese Entschei-ungen in kritischen Situationen auch mitträgt,nbeschadet des Rechts des Parlamentes, diese zu kriti-ieren. Ganz sicher, meine Damen und Herren, könnenorstand und Mitarbeiter erwarten, dass das Parlamenterlässlich ist und den gemeinsam eingeschlagenen Weginhält.Der gemeinsam eingeschlagene Weg besteht bis heute Erhalt und Verkauf einer Restbank. Diesen Weg kannan als Parlamentarier infrage stellen, aber bitte nachenauer Prüfung, nach genauer Abwägung in den ent-prechenden Gremien und nicht im Vorbeigehen bei ir-endwelchen Interviews.
Meine Damen und Herren, wir haben Verantwortungbertragen. Das heißt auch, dass wir einen Vertrauens-orschuss gegeben haben: einen Vertrauensvorschuss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6455
Ralph Brinkhaus
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gegenüber der Anstalt, gegenüber der Bundesregierungund insbesondere gegenüber den Mitarbeitern und demManagement der HRE. Wir erwarten auch, dass dieserVertrauensvorschuss zurückgezahlt wird. Parlament undÖffentlichkeit sind zu informieren – rechtzeitig zu infor-mieren, schwierige Sachverhalte sind zu erklären –rechtzeitig zu erklären. Ich habe nicht das Gefühl, dassdas alle Beteiligten verstanden haben.Ich habe auch nicht das Gefühl, dass alle Beteiligtenbereit sind, Verantwortung für ihre Entscheidungen zuübernehmen. Da wird mir, ehrlich gesagt, im Momentviel zu viel hin und her geschoben. Wenn aber jemandVerantwortung übernimmt, dann müssen wir als Parla-ment und Öffentlichkeit auch damit umgehen können.Ich glaube, dass wir das können, haben wir in der Ver-gangenheit und leider auch in der heutigen Debatte nichtimmer gezeigt. Manchmal denke ich: Wir lauern hier aufjeden Fehler und jede missverständliche Information;wir skandalisieren lieber, anstatt zu ergründen und zu er-klären. Dabei sitzen wir alle in einem Boot: Ministeriumund Management, Regierung und Opposition, wir allesind darauf angewiesen, dass das Projekt HRE in der vonuns angedachten Form funktioniert. Im Übrigen weiseich darauf hin: Dieses Projekt ist auf eine so lange Zeitangelegt, dass eine gewisse Restwahrscheinlichkeit daist, Herr Schneider, dass auch Sie dieses Projekt als Re-gierungsverantwortlicher irgendwann mit zu Ende füh-ren müssen.Ich empfehle daher dringend: Lassen Sie uns die HREaus dem parteipolitischen Geplänkel herausnehmen!Lassen Sie uns trotz allem sehr verständlichen Ärgerlangfristig denken! Ich denke einmal – das richtet sichbewusst an die Opposition –: Morgen ist dafür eine sehrgute Gelegenheit. Morgen werden wir das Gesetz zurRestrukturierung von Banken mit auf den Weg bringen.Wenn Sie entsprechende Anregungen haben, das eineoder andere noch zu ändern oder besser zu machen, sindSie herzlich willkommen.Ich möchte meine Rede damit schließen, dass ich denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern der HRE für den heu-tigen Prozess in unser aller Interesse alles Gute und eineglückliche Hand wünsche, damit der Schaden, der durchdieses Projekt entstanden ist, möglichst gering bleibenwird.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewo-
genen Finanzierung der Gesetzlichen Kran-
– Drucksache 17/3040 –
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er Gesetzentwurf, den die CDU/CSU- und die FDP-raktion heute vorlegen, hat wie die meisten unserer Ge-etze zwei Komponenten.
rstens trägt er ebenso wie das AMNOG dazu bei, Aus-aben zu begrenzen und das Defizit von rund 11 Milliar-en Euro, welches sich aufgrund der Unterfinanzierunges Gesundheitsfonds aus der Regierungszeit Ullachmidts aufgebaut hat, zu verringern. Zweitens hat ertarke strukturelle Elemente zur Sicherung der Nachhal-gkeit des Systems.Dies ist – das will ich an dieser Stelle betonen – nururch eine gemeinsame und solidarische Kraftanstren-ung aller Akteure im Gesundheitswesen möglich.
rankenkassen, Krankenhäuser, Ärzte, Arbeitgeber undrbeitnehmer werden an den Kosten beteiligt. Die Apo-eken, der Großhandel und die Pharmaindustrie wurdenereits im AMNOG erfasst.Es ist kein Wunder – das will ich an dieser Stelle auchehr deutlich sagen –, dass dies keine Jubelstürme aus-st. Das erstaunt keinen hier in diesem Hause. Niemandahlt gern mehr oder verzichtet auf Zuwächse.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,ie Alternative wäre, nach dem, was Sie uns hinterlassenaben, ein Streichen der Leistungen in der gesetzlichenrankenversicherung. Wer will das denn?
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6456 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Ulrike Flach
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Wenn man mit der Sanierung eines maroden Hausesbeginnt – das war unsere Aufgabe –, dann sichert manim Allgemeinen zunächst das Dach gegen Regen, umden Verfall zu stoppen, und erst dann beginnt die Innen-sanierung.
So ist es auch hier. Mit den Einsparungen stabilisierenwir die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversiche-rung, die darüber übrigens erheblich glücklicher ist, alsso manche Pressemeldung in diesen Tagen vermutenlässt.
Gleichzeitig entkoppeln wir die Gesundheits- von denArbeitskosten. Das ist – das will ich an dieser Stelle sa-gen – kein unsolidarischer Akt, sondern das sichert zumeinen Arbeitsplätze – dafür ist diese Koalition angetreten –,
weil die Lohnzusatzkosten bei steigenden Krankenkas-senbeiträgen nicht automatisch mit anwachsen, und zumanderen kommt es bei schlechter Konjunktur und stei-gender Arbeitslosigkeit nicht mehr zu Einnahmeausfäl-len. Das ist doch genau das, was wir erlebt haben. Dashat uns angetrieben, und damit müssen wir jetzt kämp-fen.
Die Stabilisierung der Einnahmebasis der GKV ist na-türlich – das sollte man bei dieser sehr emotionalen Dis-kussion nicht vergessen – für diejenigen, die die Leistun-gen beziehen wollen, besonders wichtig. Wenn uns dasnicht gelingt, dann müssen die Menschen draußen imLande dafür bezahlen, und zwar mit ihrer Gesundheit,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Strukturell kehren wir durch die Einführung einkom-mensunabhängiger Zusatzbeiträge, die sozial ausgegli-chen werden, zur Beitragsautonomie der Krankenkassenzurück. Das steigert den Wettbewerb – so hat es unserKoalitionsvertrag vorgesehen – und wird, anders als beider SPD, für Menschen, die wenig verdienen, einen ziel-genauen und unbürokratischen Sozialausgleich vorse-hen.
Man muss in diesem Hause ja immer mit der zuneh-menden politischen Vergesslichkeit unserer Oppositionrechnen.
Daher noch einmal zur Erinnerung: Für den Erhalt desSozialausgleichs nach der alten Regelung musste man,wAmAWBdWwsDmDSdimadÄhStudgkvhwamwBhjesmsz
ußerdem: Wer hat denn die Leute auf diese Art undeise, dadurch, dass sie Anträge ausfüllen müssen, zuittstellern gemacht? Frau Ulla Schmidt war diejenige,ie an dieser Stelle das bürokratische Monstrum auf deneg gebracht hat.
Und da Steuern auf alle Einkommensarten erhobenerden, beziehen wir damit erstmals alle Einkommenolidarisch in die Finanzierung ein. Das ist neu, meineamen und Herren, und es ist etwas, was die FDP im-er versprochen hat.
ie Umverteilung zwischen Arm und Reich gehört insteuersystem, und genau dort siedeln wir es an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bild des maro-en Dachs, das geflickt werden muss, bevor Sanierungen Innenraum vorgenommen werden, passt natürlichuch in anderer Hinsicht gut. Ich habe Verständnis fürie Proteste von Leistungsträgern, zum Beispiel vonrzten, bei denen die Honorarreformen der Vergangen-eit zu Verwerfungen geführt haben und die mit einemystem leben müssen, das weder transparent noch leis-ngsgerecht ist.
Ich sage Ihnen: Diese Reform ist natürlich auch füriese Gruppen; denn wir können nicht durch ein löchri-es Dach immer mehr Geld hineinschütten, von demaum etwas unten ankommt. Wir werden, genau wieersprochen, die Honorarreform im nächsten Jahr ange-en. Aber solange die Finanzen nicht solide sind, hättenir natürlich keine nachhaltige Basis, um Leistungenuch nur in etwa gerecht zu entlohnen.Gleiches gilt übrigens für die Hausärzte. Hier wird nie-andem etwas weggenommen, sondern es werden Zu-ächse begrenzt. Für bestehende Hausarztverträge giltestandsschutz. Selbstverständlich können auch künftigöhere Vergütungen vereinbart werden, wenn – das isttzt wichtig – diese über Effizienzsteigerungen und Ein-parungen an anderer Stelle kompensiert werden. Dasuss bei all der Propaganda, die jeden Tag über uns er-cheint, klar und deutlich gesagt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michum Schluss noch etwas zur Debatte an sich sagen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6457
Ulrike Flach
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In der letzten Sitzungswoche überbot sich die Opposi-tion mit Vorwürfen, diese Koalition sei der Erfüllungs-gehilfe einmal der Pharma-, einmal der PKV- und einmalder Apothekenlobby.
– Wie ich höre, wird uns Frau Ferner das sicher auchgleich sagen.Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diesUnfug ist. Sie wissen auch, dass kein Gesetz den Bun-destag so verlässt, wie es hineingegangen ist.
Diesen Vorgang haben wir übrigens mit dem Namen Ih-res ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Struck so schönzum Struck’schen Gesetz verbunden. Vielleicht lesen Sieauch einmal sein neues Buch – es lohnt sich –, vielleichtauch die Passage, in der er die Chaosmonate der erstenrot-grünen Regierung beschreibt.
Dagegen ist der Streit, der manchmal in dieser Koalitionaufkommt,
weil wir eben engagiert miteinander reden, ungefähr wieeine Diskussion in einer Waldorfschule.
Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an die Gesund-heitsreform 2000 und den rot-grünen Versuch, Global-budgets zu verankern. Damals gab es massive Vorwürfe,die Zustimmung der Ostländer sei mit Milliardenhilfenan die Ost-AOKs erkauft worden. War das eigentlichLobbyismus für die AOK? Als Ulla Schmidt kam, liefendie Arzneimittelausgaben aus dem Ruder; das GKV-De-fizit im Jahr 2001 betrug 5 Milliarden Euro. Rot-Grünplante eine Erhöhung des Zwangsrabattes.
Stattdessen – jetzt bitte aufpassen – ergab die berühmteBordeaux-Runde im Kanzleramt einen einmaligen Soli-darbeitrag der Pharmaindustrie von 200 Millionen Euro.Damals konnte man den Vorwurf hören, die Regierungsei von der Pharmaindustrie gekauft worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle tun uns mitsolchen Vorwürfen keinen Gefallen. Jeder von uns – dassage ich jetzt ganz ausdrücklich für diese Koalition –nsutereshUtiHshwGpA1peimDFcdNrigge–Emmfü
nd zwar für das gesamte Land und nicht für einzelne In-ressengruppen. Unser Ziel ist ein Gesetz für ein ge-chtes, nachhaltiges und wettbewerbsfreundliches Ge-undheitssystem. Den Entwurf dazu legen wir Ihneneute vor, und wir erwarten auch von Ihnen einen fairenmgang mit uns.
Die Kollegin Elke Ferner hat jetzt für die SPD-Frak-
on das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Minister Rösler, Sie haben jetzt ein Jahr lang ver-ucht, die Probleme wegzulächeln, die wir im Gesund-eitswesen haben. Mit dem nun vorgelegten Gesetzent-urf ist die Maske gefallen; es erscheint das hässlicheesicht derer, die den Sozialstaat mit der Abrissbirne ka-uttmachen wollen. So sieht es aus!
Was bringt diese schwarz-gelbe Gesundheitsreform?ls Erstes bringt sie eine Beitragsanhebung zum. Januar des kommenden Jahres um 0,3 Beitragssatz-unkte. Das hört sich noch relativ harmlos an; aber beiinem Einkommen von 1 000 Euro sind es 36 Euro mehr Jahr, bei 2 000 Euro sind es 72 Euro mehr im Jahr.as ist schon ganz nett.
ür die Rentner und Rentnerinnen heißt das, was Sie ma-hen, schlicht Rentenkürzung.Aber wer glaubt, dass dies die schlechte Nachricht sei,er irrt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist die guteachricht in diesem Gesetzentwurf. Die schlechte Nach-cht heißt, die Arbeitgeberbeiträge werden dauerhaft ein-efroren. Das bedeutet, dass die Versicherten in Zukunftanz alleine alle Kostensteigerungen tragen müssen, dies in diesem Gesundheitswesen geben wird.
Jeder muss erst einmal mindestens 2 Prozent seinesinkommens drauflegen. Um noch einmal das Beispielit den 1 000 Euro zu nehmen: Das heißt für jemandenit 1 000 Euro Einkommen mindestens 20 Euro Monatr Monat, die von vornherein weg sind.
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6458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Elke Ferner
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– Mindestens, weil der Zusatzbeitrag bzw. die Kopfpau-schale nicht in der Höhe gedeckelt ist.
Das wissen Sie auch. Sie sollten nicht solche dümmli-chen Zwischenrufe machen, wenn Sie es eigentlich bes-ser wissen.
Bei jemanden, der ein Einkommen von 2 000 Euro mo-natlich hat, sind es monatlich 40 Euro netto weniger. Dafrage ich mich: Was ist denn aus dem Spruch „MehrNetto vom Brutto“ geworden, Herr Westerwelle?
Es bleibt weniger Netto vom Brutto. Je höher die Kopf-pauschale steigt, um so weniger Netto vom Brutto wirdes mit dieser Koalition geben.
Ich möchte es vielleicht zwei oder drei Jahre weiter-denken: Die Kopfpauschale steigt und steigt und erreichtschließlich einen Betrag von 30 Euro. Das heißt dann:Alle, die im Monat weniger als 1 500 Euro brutto verdie-nen – wir reden immer vom Bruttoeinkommen –, werdenauf einen sogenannten Sozialausgleich angewiesen sein.
– Herr Lanfermann, wissen Sie eigentlich, wie vieleMenschen das sind? Das sind mehr als 50 Prozent allergesetzlich Krankenversicherten, mehr als Dreiviertel al-ler gesetzlich versicherten Rentnerinnen und Rentner.Sie nehmen sie dann aus wie eine Weihnachtsgans, nurum die Arbeitgeber davon zu entlasten, sich weiterhinparitätisch an den Kosten des Gesundheitssystems zu be-teiligen.
Die öffentliche Hand wird nach Ihren eigenen Anga-ben mit mehr als 1 Milliarde Euro zusätzlich belastet,einmal weil sie selber Arbeitgeber ist, zum Zweiten weiles aufgrund der steuerlichen Absetzbarkeit der Kranken-versicherungsbeiträge zu Mindereinnahmen kommenwird.
Wir kommen jetzt zu dem komischen Sozialausgleich.Der Sozialausgleich ist in Wahrheit gar kein Sozialaus-gleich, sondern eine Wechselprämie.
Sie sagen, bis 2015 würden dafür keine Steuermittel auf-gewendet. Das heißt, die Beitragsmittel werden irgend-wSbEfukdkmjegn–gSh6w–d–mgjeüEtrsWdDnnFaKnte
Man muss sich einmal anschauen, mit welchem Büro-ratieaufwand das verbunden ist. Niemand zu Hause anen Bildschirmen kann sich das vorstellen: Die Kranken-assen sollen dem Arbeitgeber eine Nachricht dazu über-itteln, ob ein Sozialausgleich stattfindet. Also muss vondem Arbeitgeber Monat für Monat eine Meldung vor-enommen werden, und zwar für jeden einzelnen Arbeit-ehmer und jede einzelne Arbeitnehmerin.
Nein, Frau Flach, das gibt es noch nicht; im Momentibt es hier ein System der Summenbildung. Das, wasie vorhaben, ist im Moment in keinem Lohn- und Ge-altsprogramm vorgesehen. Es wird Jahr für Jahr zu00 Millionen Meldungen kommen. Das nenne ich einirklich gelungenes Beispiel für Bürokratieabbau.
Ja, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lanfermann, weiß ichas.
Nein, das ist eben nicht ganz so leicht; glauben Sie esir.Der Punkt ist: In der Gruppe derjenigen, die einen so-enannten Sozialausgleich erhalten sollen, sind auch die-nigen, die Mitglied einer Krankenversicherung sind, dieberhaupt keine Kopfpauschale erhebt. Bei den SGB-II-mpfängern wird es noch doller: Der Grundsicherungs-äger überweist der Krankenkasse auch dann den durch-chnittlichen Beitrag, wenn sie ihn gar nicht braucht.
as ist aber mit der Krankenkasse, die mehr als denurchschnittlichen Beitrag braucht? Wo bekommt sie dieifferenz erstattet?Alles, was Sie da machen, ist Murks hoch drei. Dereue Renner ist jetzt die Kostenerstattung. Ich kann Ih-en nur eines sagen: Für die Versicherten ist das einealle, weil sie auf den Kosten hängen bleiben. Mit Blickuf die Ärzteschaft will ich sagen: Wenn die Ärzte aufostenerstattung setzen, haben sie das Geld noch langeicht; denn das Geld geht erst von der Kasse zum Patien-n und erst dann zum Arzt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6459
Elke Ferner
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Letzter Punkt: PKV. Hier haben wir es mit Klientel-politik pur zu tun. Der PKV wird eine Frischzellenkurverpasst. Das ist im Übrigen der einzige Punkt im gan-zen Gesetzentwurf, der schon Ende dieses Jahres inKraft tritt, damit möglichst viele schon zu Beginn desnächsten Jahres von der solidarisch finanzierten gesetzli-chen Krankenversicherung in die PKV wechseln kön-nen. Ihr Gesetz sorgt für ein Exklusivgeschäft der PKVbei den sogenannten Zusatzversicherungen.Herr Rösler sprach in der Financial Times Deutsch-land von einer „Zusammenarbeit“. Wie sieht denn dieZusammenarbeit aus? Die GKV schafft der PKV dieKunden bei. Die GKV muss schauen, dass sie alle Kran-ken und Beladenen versorgt; die PKV darf sich die Rosi-nen heraussuchen.
So sieht Ihre Gesundheitspolitik aus.Das ist heute ein schwarzer Tag für das deutsche Ge-sundheitswesen. Ich verspreche Ihnen: Wir werden alldiesen Murks 2013 wieder rückgängig machen.Schönen Dank.
Johannes Singhammer hat das Wort für die Fraktion
der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wer in Deutschland krank werden sollte, der er-hält auch im kommenden Jahr eine bessere Versorgungals in den meisten unserer Nachbarstaaten. Wer einenArzt aufsuchen oder in ein Krankenhaus eingewiesenwerden muss, der kann sich auch im kommenden Jahrdarauf verlassen, dass alle Rechnungen von der gesetzli-chen Krankenversicherung bezahlt werden, weil Einnah-men und Ausgaben im Gleichgewicht sind und weil dervon einigen von Ihnen vor wenigen Monaten noch vor-hergesagte Kollaps des Systems der gesetzlichen Kran-kenversicherung nicht stattfindet. Wer Beiträge zahlt,der kann sich auch im kommenden Jahr darauf verlas-sen, dass mit seinem Geld sorgfältig umgegangen unddass effizient eingespart wird.2 Milliarden Euro niedrigere Zahlungen an die Phar-maindustrie
und noch einmal 400 Millionen Euro Einsparung bei denImpfstoffen – das ist ein historisch einzigartiger Spar-erfolg.
– Frau Ferner, warum man nun ausgerechnet diesen An-satz mit Lobbyismus in Verbindung bringt, weiß nie-mand. Denn die Rechnung, die Sie aufstellen, lautet ja:JfodicdicVwraKdÜliwcmsvbKmseueLdnwbfüskAbwimhehzdSPddlileKacteknww
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6460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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in den Krankenhäusern von den Ärzten und vom Pflege-personal erbracht wird. Wir wollen ihren verantwor-tungsvollen Dienst an den Patienten würdigen.
Mit Zusatzbeiträgen und Sozialausgleich schaffen wirein neues Element des Wettbewerbs zwischen den Kran-kenkassen, und das ist dringend nötig. Die Lohnkostenwerden von den steigenden Gesundheitsaufwendungenabgekoppelt. Das ist gerecht, Frau Ferner,
weil damit die Arbeitsplätze sicherer werden und wiedermehr Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Beschäfti-gung kommen.
Bevor Sie so dazwischenschreien:
Die Auflösung der Parität ist keine Erfindung dieses Ge-setzgebungsvorgangs, sondern die Auflösung der Paritätist maßgeblich unter Mitwirkung und Verantwortung derSozialdemokraten zustande gekommen. Mit der Einfüh-rung der Zusatzbeiträge, so wie sie jetzt gelten, und mitder Schaffung der Sonderbeiträge ist schon vor Jahrendie Parität eindeutig verändert worden.
Damals haben Sie noch verantwortungsbewusst gehan-delt und mitentschieden.
Jetzt wird die Änderung der Parität bei der gesetzlichenKrankenversicherung als Teufelszeug bekämpft.
Weil wir uns in einer Gesundheitsdebatte befinden, rateich Ihnen dringend: Besuchen Sie Ihren Hausarzt. Las-sen Sie sich auf politische Amnesie – auf gut Deutsch:Gedächtnisverlust –
untersuchen und erinnern Sie sich daran, welche Ent-scheidungen Sie mitgetragen haben.
Noch schlimmer machen Sie es dadurch, dass Sie indieser Frage den Schulterschluss mit der Linkspartei su-chen.
Die Erfolge der Linkspartei bei der Sicherung von Ar-beitsplätzen – das ist der Hintergrund dieser neuen Rege-lung – sind, freundlich und höflich ausgedrückt, sehrmüAd4laDhdLbakteKzDKshIchBSliferukKlaPAdkwadgs
as zeigt, dass der Weg der Abkoppelung der Gesund-eitskosten von den Arbeitskosten erfolgreich ist, dassieser Weg weiter beschritten werden muss und dass dieohnnebenkosten gesenkt werden sollten.
Wir werden darauf achten, dass die neuen Verfahrenei der Ausgestaltung der Zusatzbeiträge und des Sozial-usgleichs bürokratiearm geregelt werden. Dabei wird eseine Kopfpauschale geben, wie Sie es immer behaup-n.
opfpauschale heißt: Pro Kopf muss eine Pauschale ge-ahlt werden.
ie beitragsfreie Mitversicherung der Ehepartner undinder – allein dieses Argument müsste Sie überzeugen –teht nicht in Frage. Es gibt keine Kopfpauschale. Des-alb sind Ihre Vorwürfe schlicht falsch.
h weise an dieser Stelle darauf hin, dass wir keine Ein-eitsversicherung, die Sie immer mit dem Begriff derürgerversicherung umschreiben, wollen; denn das, wasie mit der Bürgerversicherung anstreben, ist letztend-ch eine Rolle rückwärts.Sie wollen die private Krankenversicherung abschaf-n, um an die Rücklagen der privaten Krankenversiche-ng in Höhe von über 100 Milliarden Euro heranzu-ommen. Nun frage ich Sie: Was gibt es imrankenversicherungssystem Nachhaltigeres, als Rück-gen für das Alter zu bilden? Das ist zukunftsgewandteolitik.
n diese Rücklagen wollen Sie ran. Deshalb wollen Sieie private Krankenversicherung mit ihren auf die Zu-unft ausgerichteten Instrumenten schleifen. Das wollenir nicht. Wir wollen auch keine Politik des Neids. Werus Neid die Nachhaltigkeit in der Versicherung zerstört,er schafft nicht mehr Gerechtigkeit, sondern mehr Un-erechtigkeit.
Herr Kollege Singhammer, wollen Sie eine Zwi-chenfrage der Kollegin Bender zulassen?
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Noch einen Gedanken, dann kommt die Kollegin
dran.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch Folgendes sa-
gen: Wir wollen keine andere Form der Einheitsver-
sicherung, und wir wollen auch keine Privatisierung der
gesetzlichen Krankenversicherung.
Das wollen wir nicht. Deswegen wird es auch keine so-
genannte Vorkasse als Pflichtveranstaltung geben. Das
wird es nicht geben. Das will ich hier klar sagen. – So,
jetzt die Zwischenfrage, bitte.
Frau Bender, bitte.
Herr Kollege Singhammer, Sie haben gerade die Al-
tersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung
ausdrücklich gelobt. Können Sie uns bitte erklären, wie
es kommt, dass privat Krankenversicherte, die schon
länger Mitglied dieser Versicherung sind, ihre Versiche-
rung nicht wechseln können, weil sie die Altersrückstel-
lungen nicht mitnehmen können, die Altersrückstellung
also im Wesentlichen zur Folge hat, dass es in der priva-
ten Krankenversicherung keinerlei Wettbewerb gibt?
Was soll daran eigentlich schön sein?
Frau Kollegin Bender, Sie wissen sicher ebenso wie
ich, dass die Koalition in der zurückliegenden Legisla-
turperiode genau diese Frage geklärt hat. Wir haben die
Mitnahme der Altersrücklage ermöglicht und damit das
Wechseln erleichtert.
– Das ist so, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. – Sie kön-
nen sich wieder setzen, Frau Bender.
– Die Antwort war klar.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Gedan-
ken zu sprechen kommen. Die Solidargemeinschaft der
Steuerzahler beteiligt sich im kommenden Jahr mit
15,1 Milliarden Euro an den Kosten der gesetzlichen
Krankenversicherung. Damit wird entsprechend der
Leistungskraft des jeweiligen Steuerzahlers ein Solidar-
beitrag geleistet.
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Die Kollegin Dr. Martina Bunge hat das Wort für die
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!err Minister, werte Kolleginnen und Kollegen der Ko-lition, mit Ihrem Gesetzentwurf soll die Solidarität end-ültig zu Grabe getragen werden.
Einige Belege dafür: Sie geben vor, mit einer einkom-ensunabhängigen Beitragserhebung und dem soge-annten Sozialausgleich mehr Gerechtigkeit schaffen zuollen und über Steuern die Belastung auf mehr Schul-rn zu verteilen. Tatsächlich belasten Sie die Versicher-n drei- bis viermal so stark: erstens mit der generelleneitragssatzerhöhung auf 8,2 Prozent für die Versicher-n,
weitens mit dem Zusatzbeitrag – bis zu 2 Prozent desruttoeinkommens – und drittens mit den Steuern füren Sozialausgleich;
enn Mehrwertsteuer und andere Verbrauchssteuern zah-n auch die Bezieher kleiner Einkommen. Das alles istngerecht.
Sie behaupten, wir bräuchten eine Entkoppelung dereiträge von den Arbeitskosten, um Wirtschaftswachs-m und Arbeitsplätze auch künftig zu sichern.
atsächlich wälzen Sie mit dem Einfrieren der Arbeitge-erbeiträge bei 7,3 Prozent alle künftigen Ausgabenstei-erungen im Gesundheitssystem allein auf die Versicher-n ab.
as ist unsozial.
Sie geben vor, damit die Finanzierung der gesetzli-hen Krankenversicherung für die Zukunft zu stabilisie-n. Tatsächlich wissen Sie heute noch nicht, woher dieteuern für den in wenigen Jahren garantiert rasch wach-enden Sozialausgleich kommen sollen. Dieser Gesetz-
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Dr. Martina Bunge
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entwurf ist untauglich für die Zukunft. Sie wollen dieKopfpauschale durch die Hintertür zugunsten der Best-verdienenden und der Arbeitgeber. Das ist des PudelsKern.Übrigens, das Grab für die Solidarität haben vieleüber viele Jahre geschaufelt. Den ersten Spatenstich hatBundesgesundheitsminister Seehofer, CSU, mit dem Ge-sundheitsstrukturgesetz gesetzt. 1993, als der Wettbe-werb in der Krankenversicherung eingeführt wurde, ginges los mit dem Wettbewerb um gute Risiken, um die ge-sunden Versicherten. Seither finden immer mehr die Ka-tegorien „Gesundheitsmarkt“ und „Kunde statt Patient“Einzug in die gesetzliche Krankenversicherung. DieLinke sagt, Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit istDaseinsvorsorge.
Also Vorsicht, wenn sich Ministerpräsident Seehoferheutzutage als Gralshüter sozialer Gerechtigkeit gebär-det.Aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonder SPD, haben an diesem Grab für die Solidarität mit-geschaufelt, zuletzt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt,die die Stellschraube „Zusatzbeiträge“ am Gesundheits-fonds angebracht hat. Die Rösler-Reform ist nun nichtetwa nur eine etwas andere Art der Finanzierung des Ge-sundheitssystems. Sie ist der dritte große Angriff auf dasSozialsystem. Nach Hartz IV, nach der Zerstörung derRentenformel ist jetzt die Gesundheit dran. Das ist einSkandal.
Gott sei Dank lassen Ihnen das die Bürgerinnen undBürger nicht so einfach durchgehen. Außerparlamentari-sche Kräfte, also Gewerkschaften, Sozialverbände, Ini-tiativen, Einzelne, sind in diesem Herbst auf der Straße.Ich gebe zu: Ich bin froh, dass die drei Oppositionsfrak-tionen bzw. -parteien dabei sind und auch mehr undmehr gemeinsam machen. Ich billige der SPD ja Lernfä-higkeit zu. Sigmar Gabriel, SPD, Claudia Roth, Grüne,Gesine Lötzsch, unsere Parteivorsitzende, zeigten vor-gestern gemeinsam mit dem DGB-Vorsitzenden Sommerihre Köpfe gegen die Kopfpauschale.
Übrigens, auch im Bundesrat sind nach dem Wahlaus-gang in Nordrhein-Westfalen die Karten neu gemischt.Ich bin sicher, dass das Gesetz auch dort nicht einfachnur so durchgewunken wird, und das zu Recht. BesinnenSie sich und ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück,meine Damen und Herren. Der Gesetzentwurf löst keinProblem, er schafft nur neue.
Nun wollen Sie – wie wir gestern und heute erfahrendurften – über Änderungsanträge auch noch das Prinzipder Kostenerstattung ganz schnell im Gesetz etablieren.Ich habe mir schon einen Kopf gemacht, wie ich dieseGefahr den Bürgerinnen und Bürgern erläutern soll.TdsAWgDEdZ–legszhledWreshvhinwwcfrdgn
Doch heute früh hat mich in gewissem Sinne meinaxifahrer beruhigt. Als im Radio die Meldung kam,ass hier heute diese Debatte geführt wird, sagte er: Nunollen wir alle auch noch die Rechnungen vorher beimrzt bezahlen.
o lebt dieser Minister denn? Der ist doch total durch-eknallt. –
as sollte ich Ihnen sagen. Das ist Volkes Stimme.Hören Sie auf mit ihrer Lobby- und Klientelpolitik.ine für alle, die Bürgerinnen- und Bürgerversicherung,ie die Mehrheit der Bevölkerung will, muss her. Das hatukunft. So sieht Solidarität aus.
Dann fahren Sie einmal mit ihnen.
Fritz Kuhn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-gen! Ich bin der Meinung, wenn man über grundle-ende Gesundheitsreformen spricht, müsste man in die-em Haus eigentlich auch mit einer Debatte über dieugrundeliegenden Werte beginnen. Denn eine Gesund-eitsreform kann nicht nur Technik sein – das ist sie viel-icht teilweise in den Einzelheiten der Gesetze –, son-ern muss aus Werten abgeleitet und begründet sein.ir, die wir Freiheit zu Recht als großartigen Wert unse-r Verfassung ansehen, wissen alle – das Bundesverfas-ungsgericht erinnert uns gelegentlich daran –, dass Frei-eit nur von jedem Einzelnen in Selbstbestimmungerwirklicht werden kann, wenn es ein Netz von Sicher-eiten gibt, die es jedem Einzelnen ermöglichen, Freiheit Anspruch zu nehmen.
Dies sind Sicherheiten des Rechtsstaats gegen Ge-alt, aber es sind auch soziale Sicherheiten. Das habenir jetzt ja beim Hartz-Urteil gehört. Es sind auch Si-herheiten wie der Schutz vor Krankheiten. Zu einemeien selbsttätigen Leben gehört in unserer Demokratie,ass alle, wenn sie krank werden, zu fairen Bedingungeneschützt sind und medizinische Leistungen in Anspruchehmen können.)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6463
Fritz Kuhn
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– Ich freue mich über die Einigkeit an dieser Stelle.Wir haben unterschiedliche Einkommensverteilungenin Deutschland. Es wird also Personen geben, die in derLage sind, für sich diesen Schutz leicht selber zu finan-zieren, allein oder in Verbindung mit dem Versiche-rungssystem. Jetzt kommt aber der wichtige Punkt: Weiles viele Menschen gibt, die dieses Einkommen nicht ha-ben, sind sie auf eine funktionierende Solidarität zurHerstellung dieser Sicherheit angewiesen.
– Da gehen Sie auch noch mit.
Sehen Sie, man kann mit einer Ableitung aus Werten inDeutschland noch etwas erreichen.Jetzt kommt der Dissens:
Wenn Sie hierbei mitgehen, warum legen Sie heute einenGesetzentwurf vor, der systematisch, Schritt für Schritt,diese Solidarität infrage stellt und abbaut?
Das ist der Kernpunkt unseres Streits. Ich will es Ihnenan drei Beispielen darstellen. Warum greifen Sie einKernelement der Solidarität – seit Bismarck, auf jedenFall in der sozialen Marktwirtschaft verwirklicht –, näm-lich dass die Sicherheit des Einzelnen im Schutz vorKrankheit in Deutschland eine gemeinsame Sache vonArbeitgebern und Arbeitnehmern ist, an, indem Sie denArbeitgeberbeitrag einfrieren wollen, wie es in dem Ge-setzentwurf, den Sie heute vorlegen, steht?
Das war ja nicht einfach irgendetwas, etwa nach demMotto: „Gesundheit hat auch etwas mit Arbeit zu tun“,sondern es war ein Kernelement der sozialen Marktwirt-schaft, dass sich alle darum kümmern müssen – auch dieArbeitgeber –, dass die Leute geschützt sind. Es hatte diewichtige Auswirkung, dass die Arbeitgeber und ihreVerbände bei der Kostenentwicklung immer mitdisku-tiert haben und im Hinblick auf die Lohnnebenkostendarauf geschaut haben, dass es nicht ins Uferlose wächst.Von dieser Verpflichtung werden Sie die Arbeitgeber mitIhrem Gesetzentwurf entbinden, übrigens zum Schadenvon denjenigen, die auf Kostensenkung und Kostenbe-wisKnzteSmdDpDvhRmfüBnnnIcFdJDDnEhD
Ein weiterer Punkt betrifft den Zusatzbeitrag bzw. dieopfpauschale. Vom Begriff her ist das natürlich nochicht die Kopfpauschale, aber es ist aufgrund der 2-Pro-ent-Grenze und der Möglichkeit, an der Finanzierungs-chnik immer wieder zu drehen, eine hervorragendetrategie des Einstiegs in die Kopfpauschale. Die Sum-en sind jetzt für alle möglich; Sie haben den Deckel,en es bisher gegeben hat, jetzt entfernt.
eswegen wird dies eine Einstiegsstrategie in die Kopf-auschale sein.Das ist eine soziale Belastung für viele Menschen.as wurde vorher angesprochen: Wer 1 000 Euro bruttoerdient, wird höchstens 20 Euro monatlich zu zahlenaben. Das sind 240 Euro im Jahr. Fragen Sie einmal dieentnerinnen und Rentner oder die Geringverdiener, dieit so wenig Geld auskommen müssen, was 240 Euror sie im Jahr bedeuten! Das ist eine zusätzliche sozialeelastung. Wenn Sie sich christlich-soziale Union nen-en, wenn Sie etwas von sozial verstehen, können Sieicht einfach sagen, 240 Euro würden bei kleinen Leutenichts ausmachen.h sage Ihnen: Das ist eine Belastung.
rüher galt das Prinzip: Wer mehr hat, trägt mehr. Anieses Prinzip halten Sie sich nicht mehr.
etzt müssen die Leute Leistungen individuell bezahlen.eswegen ist das, was Sie da machen, nicht in Ordnung.as ist der Einstieg in die Entsolidarisierung.
Die großen Sprüche von Minister Rösler haben Sieicht verwirklicht.
ine Finanzierung aus Steuermitteln sei viel gerechter,aben wir immer wieder gehört. Darüber haben wir vieleebatten geführt.
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6464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Fritz Kuhn
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Aber tatsächlich nehmen Sie das benötigte Geld aus demFonds.
Sie nehmen die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfondsbis 2015 in Anspruch.
Etwas anderes werden Sie nicht tun. Steuerfinanzierungist das, was Sie hier machen, nicht.
Zum nächsten Punkt, den ich ansprechen will. Natür-lich machen Sie Lobbypolitik, und zwar im Interesse derPKVs.
Herr Minister, Ihr gestern in der Financial Times er-schienenes Interview war interessant. Sie sprachen voneiner Angleichung der Systeme. Herr Singhammer, inte-ressant ist, festzuhalten, dass die PKVs mit ihrer Finan-zierungstechnik und den Altersrückstellungen nicht zu-kunftsfähig sind. Die Beiträge werden Jahr für Jahrsteigen,
weil die Grundbedingung für die Finanzierung vonPKVs – dass sie Jahr für Jahr einen möglichst wachsen-den Anteil junger, gesunder Mitglieder gewinnen, dienur geringe Kosten verursachen – aufgrund der demo-grafischen Entwicklung und vieler anderer Punkteschwindet. Nur wenn diese Bedingung erfüllt wäre, stün-den sie auf einem sicheren finanziellen Fundament. Dasheißt, die finanzielle Basis der PKVs ist ausgehöhlt. DasPKV-Modell ist nicht zukunftsträchtig und zukunftssi-cher.
Herr Minister, Sie gehen einen anderen Weg, nämlichdie GKVs neuen Belastungen auszusetzen oder jungenLeuten schneller das Verlassen der GKVs zu ermögli-chen. Das ist kein zukunftssicherer Weg.
Ich glaube, dass man mit einer solidarischen Bürgerver-sicherung,dsvZbmnAHd
ie keine Einheitsversicherung ist, den Weg der Stabili-ierung beider Systeme gehen kann, –
Herr Kollege.
– der gesetzlichen Krankenversicherung und der pri-
aten Krankenversicherung, und das in Solidarität.
Frau Präsidentin, wollten Sie mich fragen, ob ich eine
wischenfrage zulasse?
Nein. Ich wollte deutlich machen, dass Ihre Redezeit
ereits abgelaufen ist.
Okay. – Ich komme zum Schluss. Einen kurzen Punkt
öchte ich noch ansprechen.
Nein, keinen Punkt mehr; einen halben Satz vielleicht
och.
Ein Semikolon sozusagen.
m 1. Februar 2010 hat der Minister im Fernsehen bei
errn Beckmann gesagt – –
Herr Kollege!
Aber es wollen doch alle wissen, was er gesagt hat.
Ich fürchte, dem ist nicht so. Wenn Sie jetzt weiterre-en, geht das von der Redezeit Ihrer Kollegin ab.
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Ich muss mich der höheren Gewalt beugen
und danke für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Bundesminister Philipp Rösler hat jetzt
das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Kollege
Kuhn, darf ich Ihnen sagen, was ich ganz persönlich für
ungerecht halte? Ich halte es für ungerecht, wenn man,
wie Sie von Grün und Rot, elf Jahre lang Verantwortung
für ein Gesundheitssystem hatte und den Menschen am
Ende ein Milliardendefizit hinterlässt und sie damit al-
leine lässt. Das ist ungerecht.
Was bedeutet es eigentlich, dass man ein Milliarden-
defizit zu erwarten hat, wenn man im deutschen Gesund-
heitssystem nichts tut? Wenn wir hören, dass wir von ei-
nem zweistelligen Milliardendefizit ausgehen müssen,
handelt es sich nicht nur um eine banale Zahl, sondern
das bedeutet ganz konkret: Wir müssten jedes fünfte
oder sechste Krankenhaus schließen, womöglich auch
jede dritte Arztpraxis – übrigens egal ob Hausarzt, Fach-
arzt oder Kinderarzt –, und wir könnten jedes dritte Me-
dikament nicht mehr bezahlen.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, wären
zu Leistungseinschränkungen bereit; das ist uns allen
klar.
Aber diese christlich-liberale Regierungskoalition hat
ein anderes politisches Ziel. Wir nehmen beim Aus-
gleich des Defizits jeden in die Verantwortung, Arbeit-
geber, Arbeitnehmer, und zwar durch die Rückführung
des Krankenversicherungsbeitragssatzes auf seinen ur-
sprünglichen Wert, den Sie vor der Krise eingeführt ha-
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Die Leistungserbringer werden genauso in Verant-
ortung genommen: Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Kran-
enhäuser, Krankenkassen und natürlich auch die Phar-
aindustrie. Damit können wir eines sicherstellen: Es
uss im nächsten Jahr kein durchschnittlicher Zusatz-
eitrag erhoben werden; der Wert wäre null.
amit ist eines klar: All die Menschen, die nächstes Jahr
eistungen in Anspruch nehmen wollen, haben die Ga-
ntie, dass sie weiterhin Zugang zur bestmöglichen me-
izinischen Versorgung haben, die man sich vorstellen
ann, nämlich zum exzellenten deutschen Gesundheits-
ystem.
Nicht nur die kurzfristigen Probleme des Jahres 2011
ind angegangen worden, sondern wir wagen auch den
instieg in eine langfristig andere Finanzierung
er gesetzlichen Krankenversicherungen für die weitere
ukunft. Ich weiß, dass Sie kritisieren, dass wir bei-
pielsweise den Arbeitgeberbeitrag festschreiben wol-
n. Zugegebenermaßen ist das keine angenehme
ntwort auf die Frage, wie man die gesetzliche Kran-
enversicherung zukünftig finanzieren kann. Aber offen-
ichtlich beantworten Sie Fragen nur nach der Annehm-
chkeit, ob die Antworten Ihnen genehm sind oder nicht,
b sie leicht zu transportieren sind oder nicht. Wir hinge-
en beantworten Fragen danach, ob die Antworten rich-
g sind oder nicht.
h sage Ihnen: Es ist richtig, den Krankenversiche-
ngsbeitrag festzuschreiben, um zu einer stärkeren Ent-
oppelung der Krankenversicherungskosten von den
ohnzusatzkosten zu kommen, um die Krisenanfällig-
eit zu beseitigen und um endlich den Teufelskreis zu
urchbrechen, der da lautet: Mehr Gesundheit bedeutet
eniger Beschäftigung. – Dies ist ein wesentlicher Bei-
ag für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland
sgesamt.
atürlich wird es einen Sozialausgleich geben.
Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage vonrau Vogler zulassen?
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6466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gerne.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wie
erklären Sie sich, dass die Bundesregierung in einer Ant-
wort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zugibt,
dass der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der
geplanten Änderungen schon im nächsten Jahr vermut-
lich 40 000 junge, gesunde, gut verdienende Mitglieder
verloren gehen werden? In welcher Art und Weise stel-
len Sie sich vor, dass man den Einnahmeverlust bei der
gesetzlichen Krankenversicherung durch einen Zusatz-
beitrag kompensieren kann – vielleicht noch nicht im
nächsten, aber im übernächsten Jahr –, den alle bezahlen
müssen? Mit diesem Gesetz machen Sie die Scheunen-
tore auf, damit junge, gesunde Menschen die gesetzliche
Krankenversicherung verlassen. Sie beschädigen die
Nachhaltigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung
zugunsten der Privatversicherung. Das geben Sie selber
in der Antwort auf diese Kleine Anfrage zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Kollegin Vogler, ich kann Ihnen einbisschen die Angst nehmen. Zunächst einmal wird in derTat die Wechselfrist wieder auf das ursprüngliche eineJahr zurückgeführt, wie es über die größte Zeit der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland hinweg derFall gewesen ist. Die Versicherungspflichtgrenze bleibtaber erhalten.
Das heißt, nur oberhalb der Versicherungspflichtgrenzewird sich überhaupt ein Wettbewerb abspielen.Eines möchte ich hier noch einmal festhalten – ichhatte es schon in der Haushaltsdebatte gesagt –: DieAussage, dass diese Regierungskoalition für mehr als80 Millionen Menschen verantwortlich ist, bedeutetauch, dass sie für die 70 Millionen gesetzlich versicher-ten, aber natürlich genauso für die mehr als 8,6 Millio-nen privat versicherten Menschen Verantwortung trägt.Wir machen da keinen ideologischen Unterschied wieSie.
Deswegen ist es richtig, dass wir den Wettbewerb zwi-schen diesen beiden Systemen stärken und nicht schwä-chen, wie das bei Ihnen der Fall gewesen ist.
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eil sich die Steuerzahler, also die Menschen mit allenren Einkunftsarten, übrigens auch privat Versicherte,ünftig an einem Sozialausgleich zwischen Arm undeich beteiligen. Ich halte das für wesentlich solidari-cher als nur einen Ausgleich innerhalb der gesetzlichenrankenversicherung.
er Ausgleich erfolgt automatisch. „Automatisch“eißt: Man muss selbst nicht mehr prüfen, ob man an derrenze ist. Wenn man an der Grenze ist, muss man denusgleich nicht beantragen. Das ist heute übrigens an-ers, nicht dass das vergessen wird. Wer heute an derrenze ist, das selbst feststellt und einen Ausgleich ha-en will, der muss einen Antrag stellen.
ie machen die Menschen zu Bittstellern und nicht wir.ir sorgen vielmehr dafür, dass es technisch vernünftigusgeführt wird.
Der Einnahmereform werden weitere Reformen fol-en müssen, weil wir uns nicht damit zufrieden geben,ass die Schere zwischen den Einnahmen und den Aus-aben des Fonds immer weiter auseinandergeht. Selbst-erständlich muss das System effizienter werden, zumeispiel durch eine faire und gerechte Honorarreform,urch eine vernünftige Kostenerstattung und durch Stär-ung von Prävention.
m Ende muss das eingezahlte Geld den Menschen füreistungen zur Verfügung stehen. Jeder Euro muss amnde bei den Menschen für Vorsorge und Versorgungnkommen. Das bietet das bisherige System nicht. Dasaben Sie uns hinterlassen. Es ist richtig, dass wir ange-eten sind, neben der Finanzierungsfrage auch die Re-rmen im System mit anzugehen.Sie werfen uns immer vor, wir würden der einen odernderen Interessengruppe nachgeben. Das ist hier keineloße Diskussion und kein bloßer Austausch von Argu-enten, sondern – wie heißt es so schön –: An den Tatenollt ihr sie messen. – Gucken Sie sich die Zahlen ein-ch an: 11 Milliarden Euro bekommen die gesetzlichenrankenversicherungen im nächsten Jahr, um ein Defizit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6467
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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auszugleichen. Gleichzeitig nehmen wir der Pharmain-dustrie 2 Milliarden Euro.
Einen besseren Beweis für den Irrsinn und den Unfug,die Sie mit Ihren Argumenten betreiben, hätte es an die-ser Stelle gar nicht geben können. Hier sind die Zahlenbesser als all Ihre ständig wiederkehrenden Argumente.
Ich freue mich, dass sich die Linksfront wieder zu-sammengefunden hat. Ich will das hier ganz offen an-sprechen.
Sie dürfen sich am Ende nur nicht darüber wundern, dassSie gemeinsam mit den Linken untergehen werden,wenn Sie sich mit den Linken in ein Boot setzen.
Ich sage Ihnen für den kommenden Herbst: Sie dürfennicht glauben, dass Sie plötzlich Vorkämpfer für ein ge-rechtes und solidarisches Gesundheitssystem sind, nurweil Sie sich zu den Demonstranten stellen. Wenn über-haupt, dann sind Sie nur schlechte Nachläufer. Mit poli-tischer Führung hat das am Ende nichts, aber auch garnichts zu tun.
– Frau Ferner, wer dem Gegenwind den Rücken zudreht,wie Sie das tun, und glaubt, er habe dann Rückenwind,der irrt sich.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf der einenSeite die Grundlage für eine solide Finanzierung der ge-setzlichen Krankenversicherung geschaffen haben undauf der anderen Seite die kurzfristigen Probleme für2011 gelöst haben werden. Ich freue mich auf eine ange-regte Diskussion.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Kollege Dr. Karl Lauterbach, der bereits hier
vorne ist, hat das Wort.
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ie können nicht die eigene, jetzt misslungene Reformit einem Defizit begründen, welches Sie selbst verur-acht haben, sehr verehrter Herr Minister.
85 Prozent der Menschen in Deutschland lehnen dieseesundheitsreform ab, und nur 5 Prozent glauben, dieseeform führe zu einer nachhaltigen Finanzierung desystems. Sind alle diese Menschen dumm? Verstehen sieie Geschenke des Ministers nicht? Verstehen sie nichtie dahinterstehende Brillanz der Reform? Ich sage Ih-en: Hier gibt es nichts zu verstehen.
Bei der Reform läuft es doch darauf hinaus: Der Kol-ge Singhammer sagt, wir müssen die Lohnnebenkostenenken, damit Arbeitsplätze entstehen. Das Erste, wasie mit der Reform aber machen, ist: Sie erhöhen dieohnnebenkosten. Sie verstehen Ihre eigene Reformicht.
eshalb haben Sie es denn dann zu dem Defizit kom-en lassen, das jetzt dazu führt, dass die Lohnnebenkos-n steigen, Herr Singhammer?
Genauso loben Sie die eigene Reform und sagen, esomme zu einer verbesserten Versorgung. Gestern habenir gehört: Der Präsident der Arzneimittelkommissioner deutschen Ärzteschaft, des obersten Kontrollgre-iums der deutschen Ärzteschaft für die Arzneimittel-ersorgung, sagt, die Versorgung würde durch Ihre Re-rm schlechter werden. Gibt Ihnen das denn nicht zuenken?
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschus-es macht sich Sorgen darüber, dass die Versorgungsqua-tät bei Arzneimitteln schlechter wird.
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6468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Karl Lauterbach
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Besorgt Sie das nicht? Besorgt es Sie nicht, dass dieseReform nicht nur von der Bevölkerung, sondern auchvon den Experten abgelehnt wird?
Ich sage Ihnen: Es ist nicht so, dass die Reform gut istund die Bevölkerung denkt, die Reform sei schlecht,sondern die Reform ist schlecht.
Sie argumentieren, die Reform sei sozial ausgewogen.Ich frage Sie hier ganz offen – auch die Kollegen von derCDU –: Was ist denn sozial ausgewogen an einem Gesetz,durch welches die Kosten des zukünftigen technischenFortschritts und aufgrund der demografischen Herausfor-derung in der Gesellschaft allein bei den Arbeitnehmernabgeladen werden, während die Arbeitgeber davon kom-plett entlastet werden? Was ist daran sozial ausgewogen?
Fritz Kuhn hat es zu Recht gesagt: Das ist eine Stö-rung des sozialen Friedens und eine so weitgreifendeVeränderung unseres Solidarempfindens, dass die Be-völkerung dies in der Masse ablehnt, und zwar zu Recht.
Es bedeutet eine einseitige Belastung der Arbeitnehmerüber Jahrzehnte hinweg, wenn das nicht geändert wird,weil die Arbeitnehmer den technischen Fortschritt unddie Kosten aufgrund der demografischen Entwicklungalleine bezahlen sollen; das ist die Wahrheit.
Es gibt nur eine Gruppe, die hier ausgenommen wird:die Privatversicherten. Jetzt wundern Sie sich darüber,dass wir das zum Thema machen. Ja, ist es denn gerecht,
dass ausgerechnet derjenige mit einem sicheren Arbeits-platz und mit hohen Einkünften an der zukünftigen Finan-zierung des Systems nicht beteiligt wird? Diese Reformist doch eine Lobbypolitik für die Arbeitgeberverbändeund für die private Assekuranz. Mehr haben wir hier dochnicht.
Es ist eine Reform gegen die Leistungserbringer.Schauen Sie doch, was hier passiert! Die Leistungser-bringer, die Bezieher von mittleren Einkommen, müssensich auf Zusatzbeiträge, kleine Kopfpauschalen einstel-len, sie müssen Mehrkosten bei den Arzneimitteln be-zhwmroSletiDreeshBnmeuudtemgmAdaEmWSw
enn sie schnell einen Termin haben wollen. Sie bekom-en keine Strukturreform. Es gibt eine zusätzliche Bü-kratie: Wenn jemand mit 800 Euro Einkommen 4 Euroozialausgleich haben will, muss er dafür Anträge stel-n. Für lumpige 4 Euro bauen Sie eine riesige Bürokra-e auf.
as ist die Qualität Ihrer Reform: Bürokratie, unge-chte Belastung und keine Strukturreform,
ine Strukturreform, zu der Sie nicht in der Lage waren,ehr verehrter Herr Minister Rösler. Das ist die Wahr-eit.
In der Summe ist es so: Diese Reform wird zu mehrürokratie führen, zu weniger Netto vom Brutto, zu kei-er besseren Versorgung. Wir werden eine Dreiklassen-edizin bekommen. Der Privatversicherte ist der Patientrster Klasse; derjenige, der sich Zusatzversicherungennd Vorkasse leisten kann, ist der Patient zweiter Klasse,nd derjenige, der das alles nicht bezahlt, ist der Patienter Holzklasse. Das ist die Reform, die Sie hier einlei-n; das ist der Einstieg in die Dreiklassenmedizin,eine sehr verehrten Damen und Herren.
Herr Lauterbach, der Kollege Lotter würde Ihnen
ern eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gern, ja.
Sehr verehrter Herr Professor Lauterbach, ich habe
it Interesse Ihre Kritikpunkte zur Kenntnis genommen.
ber was hätten Sie denn unternommen, um ein milliar-
enschweres Defizit in diesem Jahr und im nächsten Jahr
uszugleichen?
Das kann ich Ihnen ganz genau sagen:
s wäre zu unserer Zeit gar nicht zu dem Defizit gekom-en.
ir hatten ja noch einen Überschuss. Wir hätten einetrukturreform gemacht – zu der Sie nicht in der Lagearen –, wir hätten die Arbeitgeber und die Gutverdie-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6469
Dr. Karl Lauterbach
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ner in der Gesellschaft an den Kosten beteiligt und sienicht entlastet. Wir hätten das Gegenteil dessen getan,was Sie getan haben.
Ich komme zum Abschluss. Ich bitte Sie, sich zu erin-nern: Ich habe an dieser Stelle vor der Nordrhein-Westfa-len-Wahl gesagt: Für die Gesundheitsreform, die Sie pla-nen, wird Ministerpräsident Rüttgers bezahlen; er wirdseinen Schreibtisch räumen müssen. – Das ist das, wasjetzt Herrn Mappus erwartet. Sie werden für diese Re-form bei der nächsten Landtagswahl büßen.
Wir werden in Baden-Württemberg flächendeckend Ge-sundheit 21 zum Thema machen,
sodass auch dort der Regierungswechsel erfolgen kann,den dieses Land unbedingt braucht.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Jens Spahn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Lauterbach, Sie sind ja, glaube ich, schonein paar Jahre länger hier im Parlament. Bei Ihrer Frage„Woher kommen eigentlich diese bis zu 11 MilliardenEuro Defizit?“ mussten ja gerade selbst Ihre Kollegendas Lachen verstecken.
Sie wissen ganz genau, dass das maßgeblich mit Ent-scheidungen der Großen Koalition zu tun hat, Entschei-dungen, die wir bewusst getroffen haben, weil wir woll-ten, dass Ärzte in Ostdeutschland, die bisher auf einemniedrigeren Niveau der Entlohnung waren und in einemsehr dünn besiedelten Gebiet einen schwierigen Job tun,mehr Geld bekommen,
weil wir im Krankenhausbereich wollten, dass die Tarif-steigerungen für die Pflegekräfte, für die Ärzte vernünf-tig finanziert werden können; denn gerade die Pflege-kräfte verrichten einen harten, aufopferungsvollen Job,der oft nicht gut bezahlt wird. Dafür ist das Geld bereit-gestellt worden. Wenn Sie das hier jetzt kritisieren, dannmüssen Sie das auch den Pflegekräften sagen und deut-lich machen, welche Konsequenz es denn gehabt hätte,wbnOtiGteDaasnaszSgsnBeushdwssufiGGzzbleDdWs
nd wir haben ihn auch gemeinsam auf 14,9 Prozent ge-enkt, weil wir in der Krise die Lohnnebenkosten stabilalten wollten. Die Krise ist nun offensichtlich vorbei,
ie Arbeitslosigkeit sinkt – das haben wir gerade heuteieder gehört –, die wirtschaftlichen Daten verbessernich. Deshalb ist es richtig, wieder zum alten Beitrags-atz von 15,5 Prozent zurückzukehren und Arbeitnehmernd Arbeitgeber gemeinsam an der Bewältigung des De-zits zu beteiligen.Aber wir machen nicht nur das. Wir sagen: Es ist eineemeinschaftsaufgabe, mit diesem größten Defizit in dereschichte der gesetzlichen Krankenversicherung klar-ukommen. Deswegen kehren wir zum alten Beitragssatzurück. Deswegen müssen aber auch alle Leistungser-ringer, alle im Gesundheitswesen Tätigen einen Beitragisten.
eswegen werden wir bei den Krankenhäusern und beien Ärzten weniger Zuwachs haben.
ir werden bei den Apotheken und beim Großhandelparen,
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6470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Jens Spahn
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aber auch bei den Verwaltungskosten der Krankenkassenund im Übrigen auch bei der Pharmaindustrie. Wir ha-ben mit dem 10-prozentigen Herstellerabschlag, der imnächsten Jahr wirksam wird, eins zu eins das umgesetzt– nicht auf Ihren Vorschlag hin; auf diese Idee sind wirselber gekommen –, was auch Sie in Ihren eigenen An-trag hineingeschrieben haben. Sie haben gefordert, denHerstellerabschlag auf 10 Prozent zu erhöhen, nachdemwir bereits angekündigt hatten, dass wir es tun. An dieserStelle müssten Sie eigentlich mit uns übereinstimmenund sagen, dass es richtig ist, dass wir die Pharmaindus-trie nächstes Jahr mit über 1 Milliarde Euro beteiligen.Ein, zwei Worte der Anerkennung für etwas, das Sieselbst gefordert haben und das gut läuft, wären auch vonder Opposition zu erwarten.Wie ist es denn heute? Sie sprechen immer von An-tragstellung, Bittstellern und Ungerechtigkeit. Wie istdie Situation heute, die wir gemeinsam herbeigeführt ha-ben? Sie wollten die 8-Euro-Regelung und die Decke-lung auf 1 Prozent.
Frau Ulla Schmidt, die damalige Gesundheitsministerin,hat die Regelung eingeführt, dass eine Zuzahlung vonbis zu 8 Euro erhoben werden kann, ohne dass überprüftwird, ob eine Überforderung des Versicherten gegebenist.
Das führt dazu, dass bis zu einem Betrag von 800 Euroüberhaupt nicht geprüft wird, ob jemand überfordert ist.
Wenn sich jemand finanziell überfordert fühlt, wird dasnur auf Antrag überhaupt berücksichtigt.
Dann muss in einem komplizierten Verfahren das Ein-kommen geprüft werden. Sie sind die Letzten, die be-haupten können, wir würden etwas einführen, was unso-lidarisch sei oder dazu führen würde, dass die MenschenBittsteller würden. Sie schlagen sich in die Büsche undwollen nicht mehr wahrhaben, was Sie selbst einmal ent-schieden haben.
Sie können vor allem nicht verkraften, dass wir es jetztsind, die das Ganze gerechter ausgestalten, als es heuteist.
Wir entwickeln die Systematik des Zusatzbeitrags mit ei-nem Sozialausgleich, der ab einer Belastung von 2 Pro-zzDzsBimddtefiwHRssgtaBuSabsnG4Jeriwwgg
er entscheidende neue Gesichtspunkt ist, dass der So-ialausgleich steuerfinanziert ist. Der ist übrigens jetztchon steuerfinanziert, Herr Kuhn. Den zusätzlichenundeszuschuss in Höhe von 2 Milliarden Euro, den es nächsten Jahr gibt, stecken wir nämlich in die Liqui-itätsreserve der gesetzlichen Krankenversicherung, inen Gesundheitsfonds. Somit wird bereits ab dem nächs-n Jahr der Sozialausgleich bis 2014 aus Steuermittelnnanziert. Dieser Sozialausgleich ist gerechter als das,as wir heute haben.
eute findet der Sozialausgleich ausschließlich auf demücken der 28 Millionen abhängig Beschäftigten in die-em Land statt, und zwar nur bis zur Beitragsbemes-ungsgrenze von rund 3 700 Euro. In Zukunft sind we-en der Finanzierung über die Steuern alle nach dertsächlichen Leistungsfähigkeit beteiligt.
erücksichtigt werden Mieteinkünfte, Kapitaleinkünftend selbst Unternehmensgewinne.
ie müssen mir schon sagen, wie man es noch gerechterusgestalten kann. Wir verteilen die Lasten auf mehr undreitere Schultern. Das ist gerechter, das ist fairer. Dasollten Sie in einer solchen Debatte auch anerkennen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Spahn, die Kollegin Klein-Schmeink würde Ih-
en gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Spahn, ist es richtig, dass im nächsten Jahr
00 Millionen Euro Steuermittel weniger als in diesem
ahr in den Gesundheitsfonds fließen und dass der steu-
rliche Ausgleich damit nicht höher, sondern sogar nied-
ger ist?
Liebe Frau Kollegin Klein-Schmeink, Sie wissen ja,ie sich die unterschiedlichen Steuerzuschüsse ent-ickeln. Das eine ist der Steuerzuschuss für gesamt-esellschaftliche Aufgaben – den haben wir übrigensemeinsam beschlossen –, der schrittweise auf 14 Mil-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6471
Jens Spahn
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liarden Euro anwächst. Das andere sind zusätzliche Mit-tel, die in der Krise zur Stabilisierung der gesetzlichenKrankenversicherung gegeben wurden, nicht zuletztweil wir den Beitragssatz gesenkt haben.
Der Umfang dieser Mittel wird jetzt reduziert. Um densteuerfinanzierten Sozialausgleich zu gewährleisten, ge-ben wir aber gleichzeitig 2 Milliarden Euro in die Liqui-ditätsreserve.Ich gebe zu: Man muss hier einige Finanzströme aus-einanderhalten. Ich glaube, im Hinblick auf die Ge-samtübersicht kann man das tun. Entscheidend ist dieBotschaft – unser Versprechen wird eingehalten –: Wirschaffen einen Ausgleich, der gerechter ist als der heu-tige,
weil wir für eine Steuerfinanzierung sorgen und dieFinanzierung damit auf breitere Schultern stellen.
Da wir gerade bei den Alternativen sind: HerrLauterbach, man hätte sich gewünscht, dass Sie einmalein oder zwei Sätze zu der Frage sagen, wie eine Bürger-versicherung unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“aussehen soll.
Würde man Ihrem Vorschlag folgen, würde das dazuführen, dass Mieten, Kapitaleinkünfte und andere Ein-künfte verbeitragt werden müssen
und dass Krankenkassen auf einmal Einkommensprü-fungen in großem Maße vornehmen müssen. Wenn SieKrankenkassen zu zweiten Finanzämtern machen wol-len, dann müssen Sie mir einmal erzählen, inwiefern IhrWeg unbürokratischer ist als das, was wir heute haben,nämlich eine für den Versicherten einfache Lösung: DerSozialausgleich findet ohne Antragstellung automatischbei der Renten- und der Lohnauszahlung statt.
Herr Spahn, geben Sie Herrn Lauterbach die Gelegen-
heit zur Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte schön.
Herr Spahn, ich verstehe, ehrlich gesagt, die Logik Ih-
res Vortrages nicht. Sie sagen, dass wir kein Konzept ei-
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ie sollten den Menschen auch sagen, dass die Umset-ung Ihres Konzeptes insbesondere für Facharbeiter undie Mittelschicht in Deutschland zusätzliche Belastun-en bedeuten würde, weil diejenigen, die kleine Erspar-isse haben, und diejenigen, die zusätzlich kleine Miet-inkünfte haben, besonders getroffen würden, währendlle diejenigen, die ein großes Vermögen haben, wegener Beitragsbemessungsgrenze nicht getroffen würden.enau diese Gruppe belasten wir aber mit unserem Mo-ell der Steuerfinanzierung.Wir warten auf ein paar konkrete Aussagen von Ih-en. Sie versprechen sie uns seit 2003. Noch im vergan-enen Dezember haben Sie gesagt, wir könnten bald mitinem Konzept rechnen. Es ist immer noch keines zu se-en. Sie wissen genau, warum Sie keines vorlegen: Diechöne Überschrift „Bürgerversicherung“ würde bei denenschen ganz anders ankommen; denn sie würdenerken, was dahintersteckt, nämlich dass Sie vor allemie Mittelschicht, die Facharbeiter treffen wollen. Dasollen Sie ihnen nicht ehrlich sagen, und das ist das Pro-lem, lieber Kollege Lauterbach.
Lieber Herr Kuhn, Sie sind grundsätzlich geworden.an munkelt, Sie wollten der nächste Bundesgesund-eitsminister werden.
sofern war Ihre Rede so etwas wie eine Bewerbungs-de. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Sozialver-icherung seit Bismarck paritätisch finanziert wird.enn ich mich richtig erinnere, war es eine rot-grüneundesregierung, die die paritätische Finanzierung iner gesetzlichen Krankenversicherung als erste Regie-ng verlassen hat, indem sie gesagt hat, die Arbeitneh-er müssten 0,9 Prozentpunkte mehr zahlen.
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6472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Jens Spahn
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Wenn ich mich richtig erinnere, war es eine rot-grüneBundesregierung, die Steuerzuschüsse in massivem Um-fang zusätzlich in die sozialen Sicherungssysteme gege-ben hat, weil sie der Meinung war: Diese Finanzierungist am Ende gerechter, als wenn nur die abhängig Be-schäftigten getroffen würden. Wenn ich mich richtig er-innere, war es eine rot-grüne Bundesregierung, die dieRiester-Rente eingeführt hat, also eine kapitalgedeckteZusatzprivatvorsorge, die der Einzelne alleine tragenmuss, weil man die Lohnnebenkosten nicht zusätzlichbelasten wollte.
Wenn das alles so ist – ich finde übrigens richtig, wasSie damals gemacht haben –, wie können Sie sich dannheute hierhin stellen und kritisieren, dass irgendjemanddas Bismarck’sche System verlasse?
Sie haben zu Recht damit begonnen, dieses System zuverlassen.
Aber das war etwas wohlfeile Kritik.
Sie haben recht – insofern war ich dankbar, dass Siedarauf hingewiesen haben –: Man muss einmal darüberreden, was eigentlich die Grundsätze sind. Wir braucheneine langfristige Antwort auf den Umstand, dass die Ge-sundheitskosten steigen. Das ist übrigens die Botschaft,um die Sie von der SPD sich immer herumdrücken: denMenschen ehrlich zu sagen, dass man in einem Land, indem die Menschen – Gott sei Dank bei besserer Gesund-heit als früher – immer älter werden, in einem Land, dasmedizinischen Fortschritt will, wobei die Kosten nichtwegen Grippemedikamenten oder Hustensaft steigen,sondern aufgrund von Krebsbehandlungen, von neuenDiagnosemöglichkeiten, mit denen viele Hoffnungen fürdie Patienten verbunden sind, in der Situation steigenderGesundheitskosten eine andere Antwort auf die Frageder Finanzierung dieser Kosten braucht als nur die Be-lastung von Lohnnebenkosten – in einer Gesellschaft imÜbrigen, in der die durchgängige abhängige Beschäfti-gung bei einem Arbeitgeber über 30 oder 40 Jahre hin-weg nicht mehr der Regelfall ist. Deshalb sind andereGrundlagen der Finanzierung eines solchen elementarensozialen Sicherungssystems erforderlich. Genau dieseneue Grundlage wollen wir schaffen. Insofern haben Sierecht, dass wir grundsätzlich darüber diskutieren müs-sen. Dann sollten Sie aber auch ein paar Antworten lie-fern, die Sie unserem Konzept gegenüberstellen; dennunser Konzept weist in die richtige Richtung, liebe Kol-leginnen und Kollegen.
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Herr Spahn, ich möchte Sie fragen, ob Sie mir recht
eben, dass da ein Unterschied ist. Wir haben damals zur
ntlastung des Systems von versicherungsfremden Leis-
ngen zusätzlich Steuermittel ins System gegeben.
urch Ihre neue Finanzierung fließen nicht mehr Mittel
s System; es wird nur anders umverteilt. Sie bringen
icht einen Euro mehr hinein, sondern entlasten nur die-
nigen, die den Zusatzbeitrag nicht selbst aufbringen
önnen. Dafür verwenden Sie die Steuermittel. Es fließt
ber nicht mehr Geld ins System.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass die bisherigeteuerfinanzierung insbesondere zur Erfüllung gesamt-esellschaftlicher Aufgaben erfolgt ist. Dies gilt etwa fürie beitragsfreie Mitfinanzierung von Kindern.Wenn steigende Kosten über Zusatzbeiträge lohnun-bhängig finanziert werden und ein steuerfinanzierterozialausgleich erfolgt, indem der Anteil für diejenigen,ie den Zusatzbeitrag nicht tragen können, weil er sieberfordert, weil man mit 400 Euro Rente nicht 20 Eurousatzbeitrag zahlen kann, über Steuermittel zusätzlichs System gegeben wird, dann fließt zusätzliches Gelds System. Das ist gerechter, weil es im bestehendenystem nur die rund 28 Millionen abhängig Beschäftig-n und deren Arbeitgeber wären, die das Ganze finan-ieren müssten. Durch eine Steuerfinanzierung wird dasdoch auf wesentlich breitere Schultern verteilt. Jederuss dann nach seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeiteinen Beitrag leisten, auch mit seinen zusätzlichen Ein-ünften. Dabei werden auch Einkommen oberhalb dereitragsbemessungsgrenze sowie Einkünfte von Privat-ersicherten berücksichtigt. Selbst Unternehmensge-inne werden berücksichtigt und mit zur Finanzierungeitragen. Insofern gibt es zusätzliches Geld.
it diesem zusätzlichen Geld wird das System sogar ge-chter als heute, und das ist eine gute Lösung, lieberau Kollegin.
Im Übrigen trägt dies – es ist die Frage nach derrundsätzlichen Richtung gestellt worden – auch zuehr Wettbewerb bei. Sie müssen schauen, welchereissignalwirkung dieser Zusatzbeitrag hat. Früher, vorut zwei Jahren, hatte die eine Krankenkasse einen Bei-agssatz von 16,7 Prozent, während die andere Kran-enkasse einen Beitragssatz von 13,5 Prozent hatte. Beiinem Monatseinkommen von 1 000 Euro brutto macht
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6473
Jens Spahn
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dies einen Unterschied von 32 Euro pro Monat aus. Bei3 000 Euro Bruttoeinkommen sind dies 96 Euro pro Mo-nat. Das heißt, es hat einen Unterschied von 96 Euro– aufgeteilt auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer – ausge-macht, ob man bei der einen oder bei der anderen Kasseversichert war. Heute haben wir einen Zusatzbeitrag derKassen, der bei etwa 8 Euro liegt; in Zukunft wird sichdas weiterentwickeln. Früher hat aber niemand so richtigden Beitragsunterschied zwischen der einen und der an-deren Kasse gemerkt, weil man schon den Dreisatz be-herrschen musste, da die Beiträge automatisch vomLohn abgezogen wurden. Deshalb war dem Einzelnengar nicht so richtig bewusst, wie teuer seine Kasse ei-gentlich ist.In Zukunft haben wir durch den Zusatzbeitrag eineganz andere Preissignalwirkung. Ich kann ganz andersvergleichen, ob ich für das, was meine Kasse durch Zu-satzbeitrag teurer ist – 5 Euro, 8 Euro, 10 Euro, 12 Euro –,tatsächlich auch das Mehr an Leistungen bekomme.Wenn das nicht der Fall ist, wird sich eine ganz andereWechselbereitwilligkeit ergeben, wie wir schon imLaufe dieses Jahres gesehen haben.Das führt uns abschließend zum nächsten Schritt. Esreicht eben nicht – das ist uns sehr bewusst –, nur eineFinanzierungsreform zu machen. Wir wollen im Weite-ren, also im Laufe des nächsten Jahres, auch über dieStrukturfragen reden,
also über die Fragen: Wie wird denn eigentlich Versor-gung organisiert? Welchen Anreiz gibt es für die Kran-kenkassen, sich mit einem vernünftigen Versorgungs-management um die chronisch Kranken zu kümmern?Wer wird eigentlich wofür und wie in diesem Systemhonoriert? Wie sieht es mit der Schnittstelle ambulant-stationär aus? Müssen wir hier zu besserer und mehrZusammenarbeit kommen? Wie kommen eigentlichArzneimittel neu in den Markt, und wie werden sie an-gewandt?
Das heißt, die Finanzierungsreform ist die notwendigeVorstufe, um anschließend Strukturreformen angehen zukönnen,
damit die Krankenkassen im Wettbewerb auch dieChance haben, sich in der Qualität ihres Versorgungsma-nagements, in der Qualität der Verträge, die sie abschlie-ßen,
ininsdaliBFnHgaeäeleBuIcSsKsEEgDle
Kathrin Senger-Schäfer hat jetzt das Wort für die
raktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Rösler!err Professor Lauterbach hat gerade den schönen Be-riff „Gesundheit 21“ geprägt. Lassen Sie mich bitte ausktuellem Anlass kurz auf Stuttgart 21 eingehen. Michrreicht gerade die Nachricht, dass die Polizei in einemußerst aggressiven Einsatz in eine Kinderdemonstrationingegriffen hat, in deren Verlauf viele, viele Kinder ver-tzt wurden. Für mich ist das ein Zeichen, wie Sie mitürgerinnen und Bürgern und Kindern in diesem Landmgehen.
h fordere Sie auf: Greifen Sie sofort ein und stoppenie diese Veranstaltung!
Herr Minister Rösler, Ihr Gesetz zur nachhaltigen undozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichenrankenversicherung ist mit drei Worten kurz zu be-chreiben:
s ist weder sozial noch ausgewogen noch nachhaltig.s ist vielmehr unüberlegt, unehrlich und ungerecht.
Hartz IV, Rente mit 67, das Sparpaket –
eplündert werden immer nur die schmalen Geldbeutel.ie Bundesregierung gefährdet damit massiv den sozia-n Frieden in diesem Land.
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6474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Kathrin Senger-Schäfer
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Das ist eine Schande.
Die Regierungskoalition beteuert zwar, die Problemeder gesetzlichen Krankenversicherung auf Dauer lösenzu wollen, doch scheint es hier einen anderen Master-plan zu geben: Die Kleinen zahlen, die Großen lässt manlaufen, und zwar zur privaten Krankenversicherung.
Sie wollen, dass es den Besserverdienenden bereits nacheinem Jahr möglich ist, die Solidargemeinschaft dergesetzlichen Krankenversicherung zu verlassen. Ver-wundern tut das nicht, sitzt doch der Cheflobbyist derprivaten Krankenversicherung, seit Herr Rösler das Ge-sundheitsministerium übernommen hat, dort an entschei-dender Stelle. Was für ein Schachzug!Auch die Wirtschaftsverbände sollten zufrieden sein.Ihre Lobbyisten haben ganze Arbeit geleistet, bereitetdie kleine Kopfpauschale doch den Weg für eine kom-plette Abwicklung der gesetzlichen Krankenversiche-rung. Ein über 120 Jahre altes Erfolgsmodell mit dengewachsenen Grundfesten von Solidarität und Paritätwird von dieser Bundesregierung in wenigen Monatendemontiert. Bravo, gut gemacht! Die Lohnquote inDeutschland sinkt seit Jahren. Gleichzeitig steigt dieZahl der Einkommens- und Vermögensmillionäre.Durch das Einfrieren des Arbeitgeberanteils wird dieserTrend verstärkt; dadurch werden die abhängig Beschäf-tigten überproportional belastet.
Außerdem werden die Arbeitgeber aus der Beteiligungund dem Interesse an der künftigen Kostenentwicklungentlassen. Also auch hier von Nachhaltigkeit keine Spur.Soziale Ausgewogenheit ist nicht erkennbar; denn dieKopfpauschale wird in Euro und Cent gerechnet, mitdem Argument, der Millionär wäre genauso krank wiedie Briefzustellerin. Ihre Argumente haben mit dem rea-len Leben nichts zu tun; denn auch noch heute gilt: Werarm ist, wird häufiger krank und stirbt in der Folge frü-her. Erschreckend dabei ist, dass diese soziale Ungleich-heit zunimmt. Die Schere der Lebenserwartung geht vonTag zu Tag weiter auseinander.Es ist eine Tatsache, dass das untere Fünftel der Be-völkerung in jedem Alter ein doppelt so hohes Risikoträgt, schwer zu erkranken oder zu sterben, als das obereFünftel. Das ist unsolidarisch, und das ist unchristlich.
Wo sind die Zweifler der CSU, Herr Singhammer? Woist das Gewissen einer angeblichen Volkspartei, die nochvsDgdasnnSsuginswDrewBGulinIctazpashsEa2kG
ie Linke lehnt Ihre Pläne zu einer Kopfpauschalerundsätzlich ab und steht damit im Schulterschluss miten Sozialverbänden und den Gewerkschaften und vorllem mit der Mehrheit der Menschen in unserem Land.
Grundsätzlich brauchen wir für ein echtes solidari-ches Gesundheitssystem eine stabile und gerechte Fi-anzierungslage. Dafür steht die solidarische Bürgerin-en- und Bürgerversicherung der Linken.
chwarz-Gelb will ein rund 120-jähriges Gesundheits-ystem, das im Grundsatz gut funktioniert und um dasns viele in der Welt beneiden, angeblich alternativlosegen die Wand fahren. Sie werden damit als diejenigen die Geschichtsbücher eingehen, welche die Mehrklas-enmedizin eingeführt haben. Die kleine Kopfpauschaleird ihre volle Wirkung aber erst 2011/2012 entfalten.ie Wählerinnen und Wähler werden Ihnen diese Unge-chtigkeit bei den nächsten Landtags- und Bundestags-ahlen nicht durchgehen lassen.
Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat jetzt füründnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnennd Kollegen! Ich will meine Rede weniger grundsätz-ch anlegen, als dies meine Vorredner und Vorrednerin-en getan haben.
h glaube nicht, dass Sie mit dieser Gesundheitsreformtsächlich in die Geschichte eingehen werden. Ich be-weifle das sogar sehr. Ihr Paket besteht aus einem Spar-aket, das nicht sonderlich fantasievoll und auch nichtußergewöhnlich ist, und aus einem zweiten Teil, der tat-ächliche Geschichte machte, würde er umgesetzt. Ichoffe aber, dass wir Wahlentscheidungen haben, die die-en zweiten Schritt verhindern werden. Ein zentraleslement Ihres Vorschlags ist ja ein Sozialausgleich, derber wahrscheinlich erst – so vermuten Sie jedenfalls –014, nach der nächsten Bundestagswahl, zum Tragenommen muss. Von daher hoffe ich, dass dieser Teil dereschichte ausfallen kann.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6475
Maria Anna Klein-Schmeink
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Ansonsten haben sich die Vorredner und Vorrednerin-nen der Regierungskoalition sehr bemüht, so zu tun, alssei der Vorschlag alternativlos, als lägen keine anderendurchgerechneten Vorschläge vor und als handele es sichum einen sozial gerechten Vorschlag. Alle Unterstellun-gen kann man abweisen.Erstens wird gesagt, der Vorschlag sei alternativlos.Natürlich haben wir Alternativen. Man hat in der langenDebatte um die Gesundheitsreform gesehen, dass auchSie Alternativen erwogen haben. Ich denke dabei nur anHerrn Rösler, der noch vor der Sommerpause den Vor-schlag in die Debatte eingebracht hat, die Beitragsbe-messungsgrenze hochzusetzen. Es gibt also schon ver-schiedene Möglichkeiten, etwas zu tun. Wir jedenfallsschlagen vor, dass man die Bemessungsgrundlage insge-samt erweitert und dafür sorgt, dass nicht nur diese Ge-hälter und Löhne als Grundlage genommen werden, son-dern auch andere Einnahmen, auch Einnahmen, die sonstin die PKV abwandern.
Alternativlos ist der Vorschlag also nicht, und die Alter-native wäre auch sofort umzusetzen.Zweitens haben Sie gesagt, der Vorschlag sei sozialausgewogen. Die FDP versucht immer gern zu sagen,dass dieses Sparpaket zu einer Anhebung führt, die ver-tretbar sei. 0,3 Beitragspunkte seien bei 2 000 Euro Brut-togehalt nicht mehr als die Pizza im Monat.
– Herr Bahr, das haben wir bereits letztens in einem Ge-spräch miteinander diskutiert. – Sie tun so, als sei diesePizza eine Kleinigkeit, eine Bagatelle; aber Sie unter-schlagen natürlich, dass die Zusatzbeiträge zu massivenzusätzlichen Belastungen führen werden. Das wissen Sieauch ganz genau. Deshalb haben Sie die Einführung aufdie Zeit nach den nächsten Wahlen geschoben, und da-mit sind Sie da wohl auch eher im Sicheren. Außerdemhaben Sie die Steuerfinanzierung für genau diesen So-zialausgleich noch in keiner Weise geregelt. Auch das istIhnen klar. Wir meinen, diese Mogelpackung wird Ihnendie Bevölkerung nicht abkaufen.
Dann verweisen Sie gern darauf, dass Sie strukturelleMaßnahmen als zweiten Schritt in Angriff nehmen wol-len. Sie hätten diese strukturellen Maßnahmen natürlichschon in diesem Jahr beginnen können und müssen. Icherinnere hier nur an die Honorarreform sowie daran, wieman die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellenwill. All diese Themen haben Sie auf die lange Bankschieben müssen, weil Sie mit sich beschäftigt waren,weil Sie damit beschäftigt waren, eine verkorkste Ge-sundheitsreform und eine verkorkste Finanzierungsre-form auf den Weg zu bringen. Das ist doch die eigentli-che Wahrheit, die wir hier zur Kenntnis nehmen müssen.
–SaKhtiAbgsEmebruvGdum–GBskC
ie haben eine Honorarreform angekündigt, aber nichtuf den Weg gebracht. Sie haben es nicht geschafft, einonzept für die ländliche Versorgung vorzulegen. Sieaben es nicht geschafft, ein Konzept für eine Präven-onsstrategie vorzulegen.
ll diese Dinge haben Sie in die nächsten Jahre verscho-en, weil Sie mit sich beschäftigt gewesen sind.
Nun kommen wir noch einmal zur sozialen Ausgewo-enheit und zu dem, was Fritz Kuhn zu Recht eben ange-prochen hat: Natürlich geht es hier um eine Wertefrage.s geht darum, ob wir den Ausstieg aus der Solidaritätit diesem Gesetz festschreiben oder nicht. Er soll zwarrst ein bisschen verlagert kommen; aber im Grunde ha-en Sie festgeschrieben, dass sämtliche Kostensteige-ngen im System in Zukunft alleine und ausschließlichon den Versicherten zu tragen sind.
Frau Kollegin!
Sie alle wissen,
ass das zu stark erhöhten Zusatzbeiträgen führen wird
nd es zu massiven Belastungen der Versicherten kom-
en wird.
Nein, Sie wissen das sehr genau.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Das weiß auch die Bevölkerung sehr genau. Auch die
evölkerung kann rechnen und weiß, dass man Ihren
chönen Worten in dieser Form in keiner Weise glauben
ann.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Koschorrek für dieDU/CSU-Fraktion.
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6476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann es mir nicht verkneifen, gegen diese Stutt-
gart-21-Nummer einen Satz zu sagen. Ich halte es für eine
Katastrophe, was dort vorgefallen ist; ich habe das im
Internet nachgelesen. Da wurden Schüler und kleine
Kinder instrumentalisiert und einer wirklich militanten
Demonstration vorangetrieben. Das ist ein Zustand, der
wirklich nicht hinzunehmen ist.
Aber heute geht es hier um die Gesundheitsreform.
Frau Klein-Schmeink, Sie sagten eben, dass wir die
strukturellen Veränderungen, die wir im Koalitionsver-
trag vorgesehen haben, noch nicht umgesetzt hätten. Wir
gehen da relativ systematisch vor, um es ganz klar zu sa-
gen. Wir haben ein Finanzdefizit in der gesetzlichen
Krankenversicherung zur Kenntnis zu nehmen, ob wir es
wollen oder nicht und wer auch immer es verschuldet
hat; das ist ja alles schon gesagt. Dieses Defizit haben
wir in jedem Falle zuerst zu regeln. Bevor wir die Finan-
zen der GKV nicht auf ein vernünftiges Maß gebracht
haben, ist es einfach unredlich, über Strukturen zu reden
und Strukturentscheidungen voranzustellen. Wir haben
uns jetzt in mehreren Gesetzesvorhaben mit der Finan-
zierung befasst und schon einiges auf den Weg gebracht.
Das größte Paket liegt heute zum ersten Mal hier im Par-
lament zur Diskussion vor.
Herr Kollege, der Kollege Kuhn würde Ihnen gern
eine Zwischenfrage stellen.
Nein, brauche ich nicht.
Zur Finanzierung des Systems ist heute so ziemlichalles gesagt worden. Aber wir haben im zweiten Teil desReformgesetzes auf Ausgabenbeschränkungen gesetzt.Wir legen großen Wert darauf, dass wir nicht in die ein-zelnen Leistungsbereiche hineingehen und die Kürzun-gen mit dem Rasenmäher vornehmen. Vielmehr habenwir uns ganz klar darauf konzentriert, für die zukünfti-gen Jahre die Ausgabenzuwächse zu beschränken. Ichglaube, das ist der richtige Weg.Auch das geht natürlich nicht ohne Kritik einher. Wirhaben allen im System einiges abverlangt, was sie in dennächsten Jahren zur Sanierung und Stabilisierung der Fi-nanzen im Gesundheitswesen beizutragen haben. Das,wcVblegdhuudKdBDamdsdudsskDwjüdteIcJgTWnwg
Für den Bereich der Ärzteschaft bedeutet dies, dassnter anderem die Verträge zwischen Krankenkassennd Hausärzten auf ein vernünftiges Maß begrenzt wer-en. Wir bleiben dem Grundsatz einer Begrenzung desostenanstieges auch bei der überfälligen Angleichunger Zahnarzthonorare in den neuen Bundesländern underlin absolut treu.
a hätten wir uns das eine oder andere mehr gewünscht;ber das ist in der heutigen finanziellen Situation nichtöglich. Bei der Ost-West-Angleichung der Honorare iniesem Bereich – der letzte, der noch verblieben ist –ind wir auf einem richtigen Weg; wir werden dort eineneutlichen Schritt zur Angleichung vornehmen.
Trotz des großen und – das kann niemand bestreiten –nabwendbaren Reformbedarfs nehmen wir keinen Ra-ikalumbau im Gesundheitswesen vor. Wir werden mitchrittweisen Reformen dafür sorgen, dass unser Ge-undheitswesen nach wie vor demografiefest und zu-unftstauglich ist.
ie demografische Entwicklung ist, wie sie ist: Die ältererdende Gesellschaft und das Geburtendefizit bei denngeren Jahrgängen zwingen uns zu Maßnahmen, vonenen durchaus nicht alle populär sind; sie sind aber al-rnativlos.Das ist aber bestimmt nicht das Ende unserer Arbeit.
h erinnere daran, dass eine Legislaturperiode vierahre dauert und es keinesfalls darum geht, dass eine Re-ierung schon im ersten Jahr alle Vorhaben in trockenenüchern hat.
ir haben in den nächsten Monaten und Jahren noch ei-ige große Dinge vor uns. Wir werden das machen: Wirerden in einer Art und Weise an die Strukturen heran-ehen,
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Dr. Rolf Koschorrek
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die deutlich über das hinausgeht, was in den letzten Jah-ren gemacht worden ist.Wir haben heute Bereiche, die nicht mehr transparentsind: In der Selbstverwaltung haben sich Strukturen eta-bliert, die es uns unmöglich machen, die Dinge, die dortablaufen, politisch beurteilen zu können. Wir müssenuns zwar politisch dafür gerademachen – wir werden fürdas, was da gemacht wird, beschimpft –; aber wenn manin eine Diskussion darüber einsteigt und die Selbstver-waltungsstrukturen hinterfragt – das haben wir gestern inder Anhörung plastisch erleben dürfen –,
dann wird geblockt und gemauert. Wir sind nicht bereit,das länger hinzunehmen.
Wir gehen bei der nächsten gesetzgeberischen Anstren-gung sicherlich daran, dort für erheblich mehr Transpa-renz zu sorgen.Gestatten Sie mir einige Sätze zum Thema Kostener-stattung. Dazu standen heute abenteuerliche Dinge in derPresse. Es geht uns wirklich nicht darum, hier einenPrinzipienwechsel zu erreichen.
Es geht nicht darum, vom Sachleistungs- zum Kostener-stattungsprinzip zu wechseln, auch nicht morgen. Wirmüssen aber zur Kenntnis nehmen, dass ein großer Teilder Versicherten eine Transparenz der Kosten wünscht.Wir wollen es ihnen ermöglichen, in ein Kostenerstat-tungssystem einzusteigen, ohne dass sie dafür Strafezahlen müssen. Wir wollen die Strafbewehrung der Kos-tenerstattungstarife, die heute vorgesehen ist, beseitigen.
Wir wollen dort zu Strukturen kommen, die eine transpa-rente Kostenerstattung ermöglichen, ohne dass Versi-cherte und Patienten übervorteilt werden. Wir wolleneine Möglichkeit zur Eigenbeteiligung schaffen, damitEigenverantwortung – wir alle reden irgendwie immerdavon – wirklich gelebt werden kann. Ich glaube, das istein richtiger Ansatz.Ich fordere Sie auf, nicht nur mit Überschriften undKampfparolen zu arbeiten, sondern in den konstruktivenDialog mit uns einzusteigen: Wie kann dort ein vernünf-tiges System etabliert werden, das niemanden übervor-teilt? Bei dieser Frage sollten Sie mitarbeiten; darübersollten wir diskutieren. Ich denke, da haben wir einigesvor. Ich freue mich auf den Dialog.Danke schön.tiZzsgnIcbMreSdSreadhkdsdusDHeHMdgdP
h denke, die Verantwortung für diese Einsätze liegteim baden-württembergischen Ministerpräsidentenappus.Zudem möchte ich einige Sätze zum Thema Transpa-nz sagen. Es ist schon heute möglich – das wissenie –, eine Patientenquittung ausstellen zu lassen. Jeder,er sie haben möchte, kann sie haben.
ie wird leider viel zu wenig beantragt.Aber ich denke, sie könnte zur notwendigen Transpa-nz beitragen Mit meinem Redebeitrag wollte ich michls bayerische Abgeordnete aber eigentlich mit der Rolleer CSU in diesem ganzen Spiel beschäftigen. Die CSUat vor der Bundestagswahl zugesichert, dass es mit ihreine Kopfpauschale geben wird und
ass dieses unsoziale Konzept tot wäre. Dann hat die-elbe Partei, Herr Singhammer, dem Koalitionsvertrag,er die Kopfpauschale euphemistisch als einkommens-nabhängige Arbeitnehmerbeiträge bezeichnet, zuge-timmt.
amit startete erst eine Posse, die ihren vorläufig letztenöhepunkt in der heutigen Debatte hat. Lassen Sie unstwa ein Jahr zurückschauen. Im November 2009 erklärtorst Seehofer die Kopfpauschale, die eigentlich einigeonate zuvor schon für tot erklärt worden war, für beer-igt. Im Februar 2010 legt Horst Seehofer sein Veto ge-en die eigentlich schon lange tote und auch schon beer-igte Kopfpauschale ein. Ich zitiere aus der Rheinischenost:Eine Umstellung der bestehenden, am Lohn orien-tierten … Arbeitnehmerbeiträge auf eine Pauschalewird es mit mir nicht geben.
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Angelika Graf
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Im Juni 2010 verkündet Herr Dobrindt, dass die eigent-lich schon sehr lange tote und beerdigte Kopfpauschale,gegen die Herr Seehofer sein Veto eingelegt hatte, nunwirklich endgültig vom Tisch sei. Im Juli 2010 stimmtdie CSU den Eckpunkten der Gesundheitsreform und da-mit einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen– also Kopfpauschalen – zu.
Denn was ist es denn anderes, wenn ich eine Pauschaleerhebe, die pro Kopf berechnet wird? Das ist doch eineKopfpauschale.
– Selbstverständlich.Wenn ich Herrn Rösler heute und auch in der Vergan-genheit richtig verstanden habe, dann will er diese ein-kommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträge auchnoch weiterentwickeln. Das heißt, wir können abwarten,wie sich das einmal so darstellen wird. Glaubwürdigkeitsieht, denke ich, anders aus. Als bayerische SPD-Abge-ordnete und auch als Landesvorsitzende unserer Senio-renarbeitsgemeinschaft hätte ich mich wirklich darübergefreut, wenn die Ankündigungen und Versprechungender CSU ernst gemeint gewesen wären.
Aber leider war es, wie ich denke, ein ziemlich erbärmli-ches Theater, das Sie aufgeführt haben.Die Umsetzung Ihrer Pläne würde dramatische Aus-wirkungen vor allen Dingen auf die Rentnerinnen undRentner haben. Ich weiß nicht, ob Sie sich deren Situa-tion wirklich vorstellen können.
Ich habe den Eindruck: eher nicht. Ich frage Sie: Wiesollen die Rentnerinnen und Rentner nach diversen Null-runden bzw. kaum steigenden Renten die nun unbe-grenzt wachsenden Kopfpauschalen bezahlen?
Man rechnet im Jahre 2014 mit 16 Euro im Monat; dasmacht knapp 200 Euro im Jahr. Es klingt ein bisschenflapsig, aber ich sage Ihnen: Dafür muss eine alte Frauganz schön lange stricken.Woher sollen die Rentnerinnen und Rentner mit klei-nen Einkommen das Geld nehmen? Es ist doch jetztschon absehbar, dass die Kosten für die Versichertenkünftig in doppeltem Tempo steigen, weil Sie die Arbeit-geber aus der Solidarität entlassen. Die Folge wird sein,dass keine Steuerungswirkung mehr da ist. Ganz abgese-hen davon halte ich persönlich Arbeitgeberbeiträgeschon allein deshalb für wichtig, weil durch die Beschäf-tigung der Arbeitgeber mit der Situation der Arbeitneh-mnbkdPSdwFawdGewdmtiKridhddpghdsV
Frau Graf, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme zum Ende. – Wenn Sie die viele Kritik,
ie aus den verschiedenen Bereichen bezüglich dieses
KV-Finanzierungsgesetzes vorgetragen wurde, nicht
rnst nehmen, dann müssen Sie sich fragen lassen, für
en Sie eigentlich Politik machen. Ich denke, Sie wer-
en die Quittung für das, was Sie hier tun, auch bekom-
en.
Das Wort hat Rudolf Henke für die CDU/CSU-Frak-
on.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit Ihrem Be-cht aus dem Taxi anfangen, Frau Bunge. Sie waren iner letzten Legislaturperiode Vorsitzende des Gesund-eitsausschusses. Sie sind Ministerin eines Bundeslan-es gewesen. Sie haben uns hier gesagt, Sie machen sicharüber Sorgen, wie Sie die Kritik an der Gesundheits-olitik der Koalition unter die Leute bringen. Sie habenesagt: Seit dem, was ich heute Morgen im Taxi gehörtabe, mache ich mir keine großen Sorgen mehr;
enn der Taxifahrer hat es begriffen, so haben Sie ge-agt, und äußerte, dass wir nun alle die Arztrechnung imoraus bezahlen sollen.
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Rudolf Henke
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Verehrte Frau Bunge, ich weiß, dass wir politischkomplett unterschiedliche Ausgangspositionen haben.Wir haben eine komplett unterschiedliche Geschichte.Ein Teil dieser Geschichte ist heute Morgen Gegenstandder Debatte zu 20 Jahren deutsche Einheit gewesen.Aber ich erwarte von einer ehemaligen Vorsitzenden desGesundheitsausschusses und von einer ehemaligen Lan-desministerin – auch wenn sie in einer anderen Partei ist –,dass sie diese falsche Aussage richtigstellt;
denn es hat überhaupt keine Ankündigung gegeben, dassdie Kostenerstattung pflichtweise eingeführt wird. Eswurde lediglich angekündigt, dass es eine Debatte da-rüber geben wird, ob eine Kostenerstattung als Optiongestärkt wird gegenüber dem, was jetzt Praxis ist. Mehrist nicht angekündigt worden.
Deswegen ist das, was Sie in dieser Debatte vortragen,ein Beleg für die Art – Herr Lauterbach gehört auch zudenen, die gesagt haben: Die Versicherten müssen dem-nächst in Vorkasse gehen –, wie Sie die Auseinanderset-zung mit der Gesundheitspolitik der Koalition betreiben.Sie versuchen jedes Verhetzungspotenzial zu nutzen.Dabei schrecken Sie nicht davor zurück, Richtigstellun-gen zu unterlassen, die im parlamentarischen Umgangder Fairness halber geboten wären.
Herr Kollege, es gibt mehrere Wünsche nach Zwi-
schenfragen, und zwar seitens der Kollegin Bunge, der
Kollegin Bender und des Kollegen Lauterbach. Ich
würde sie alle nacheinander zulassen, aber in gebotener
Kürze.
Aber ich habe hinterher noch drei Minuten vierzig?
Kollege Henke, können Sie mir zustimmen, dass der
Begriff „Kostenerstattung“ sehr sperrig ist? Ich habe mir
einen Kopf gemacht: Wie willst du den Bürgerinnen und
Bürgern erläutern, was dahintersteckt, welche Gefahren
sich ergeben, dass sie erst bezahlen müssen? Ich war
überrascht, dass heute früh der Taxifahrer gleich das We-
sentliche begriffen hatte und mir das kurz vor dem Aus-
steigen erzählte. Ich habe den Änderungsantrag, den der
Minister gestern in den Medien angekündigt hat, noch
nicht vorliegen. Ich konnte also erstens zeitlich und
zweitens inhaltlich keine große Aufklärung betreiben,
aber das Prinzip der Kostenerstattung hat er doch wohl
richtig erkannt.
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Frau Bender möchte doch keine Zwischenfrage stel-
n. Dann erteile ich das Wort Herrn Lauterbach.
Sollen wir nicht erst einmal die gestellte Frage behan-
eln?
Nein. Ich hatte gesagt, alle drei nacheinander. Ich
ehe davon aus, dass Sie ein gutes Gedächtnis haben,
ass Sie sich das merken können. – Frau Bender zieht
re Zwischenfrage doch nicht zurück.
Herr Kollege Henke, kann es sein, dass Ihnen entgan-
en ist, dass der von Ihnen politisch unterstützte Bundes-
inister für Gesundheit gestern in einem Interview
undgetan hat, er strebe eine Systemangleichung von
KV und GKV an? Es sei langfristiges Ziel, die Kosten-
rstattung für alle zur Regel zu machen. Stimmen Sie
ir deswegen zu, dass die Lektüre des Pressespiegels
anchmal der politischen Einsichtsfähigkeit dienlich
ein kann?
Wer ist der dritte Fragesteller?
Der dritte Fragesteller ist uns abhanden gekommen.
Vielen Dank. – Auch die Stimme nicht.Verehrte Frau Bunge, ich glaube, der Terminus „Vor-asse“ ist gestern in dem ministeriellen Interview gefal-n. Jedenfalls ist das dem Pressespiegel von heute zuntnehmen. Er hat sich offensichtlich bemüht, den sper-gen Begriff „Kostenerstattung“ durch den BegriffVorkasse“ zu ersetzen.Für die Union kann ich Ihnen sagen, dass wir eine ob-gate, pflichtweise Einführung der Vorkasse als generel-s System, das für alle gilt, für das man sich nicht optio-al entscheiden kann, nicht anstreben. Wir wollen dasicht.
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6480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Rudolf Henke
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Das hat der Kollege Singhammer eben deutlich gemacht.Da sind auch die Ausführungen des Ministers sehr klargewesen. Das wird es vielleicht als Teil der reinen Lehreder FDP geben. Das weiß ich noch nicht so genau, da-rüber müssen wir noch einmal debattieren. Jedenfalls istnicht das Ziel der Politik dieser Bundesregierung, auchnicht der Politik dieser christlich-liberalen Koalition,eine Vorkasse für alle – das ist Ihr Vorwurf – einzufüh-ren. Als Wahlrecht ist das etwas anderes.
Ich bin mit der Antwort auf die Frage von Frau Bungefertig. Daher könnte sich Frau Bunge jetzt eigentlich set-zen.
Frau Bunge entscheidet das sicher selbst.
Das entscheidet sie selbst?
Wenn Sie ihre Frage zu Ende beantwortet haben.
Ja, damit bin ich fertig.
Zur zweiten Frage. Ich bin natürlich der Meinung,
dass man die Presse immer aufmerksam studieren sollte.
Ich glaube, dass ich, was die Systemangleichung von
PKV und GKV angeht, à jour bin. Wenn Sie die System-
angleichung von PKV und GKV als Ziel dieses Gesetz-
entwurfs bezeichnen, dann verstehe ich überhaupt nicht
mehr, wieso Sie sich über Ungleichbehandlungen und
Unterschiede zwischen PKV und GKV so aufregen.
Dann müssten wir auf einem Weg sein, die Unebenhei-
ten zu beseitigen. Das ist aber nicht das, was Sie sonst
kritisieren. Insofern antworte ich mit einer Gegenfrage:
Glauben Sie nicht auch, dass man manchmal etwas wi-
derspruchsfreier argumentieren sollte?
Es gibt keine nachklappenden Zwischenfragen zu
Zwischenfragen. Jetzt, Herr Kollege, geht es weiter mit
Ihrer Rede. Sie haben noch drei Minuten zweiunddrei-
ßig.
Meiner Ansicht nach ist Ihre Darstellung angesichtsder bestehenden Probleme ein bisschen zu kleines Karo.Kern dieser Probleme sind der demografische Wandel,eine veränderte Altersschichtung in der Bevölkerungund ein Zuwachs an Herausforderungen, die wiederummit den Krankheitsentwicklungen, die sich aus der ver-äzhInddnrowmDIcssleisDdtrdAuwlipglewFinKgssssgdb2fücGliDtukhd
Die Frage ist: Wie setzen Sie sich damit auseinander?h finde, Sie starten mit einer falschen Analyse. Sie ver-uchen, die Menschen möglichst bange zu machen. Sieagen: Die Kopfpauschale steigt und steigt und wird al-in bei den Arbeitnehmern abgeladen. Aber genau dast nicht der Fall; denn es gibt eine Belastungsgrenze.iese Belastungsgrenze führt dazu, dass der Steuerstaatort einspringt, wo bisher der Beitragszahler bis zur Bei-agsbemessungsgrenze belastet wurde. Das bedeutet,ass das Spektrum derer, die sich an dem solidarischenusgleich, an diesem Zusatzbeitrag beteiligen, zunimmtnd nicht abnimmt. Deswegen, auch wenn Sie immerieder das Gegenteil behaupten, ist dies eine größere so-darische Leistung des Steuerstaates als das, was Sielanen.
Ich glaube auch, dass Sie mit falschen Ankündigun-en operieren. Frau Ferner, Sie haben gesagt – das wol-n wir einmal festhalten –: Wir werden das 2013 allesieder rückgängig machen.Ich erinnere an die Einführung des demografischenaktors in der Rentenversicherung durch Norbert Blüm der bis 1998 amtierenden Regierung unter Helmutohl. Sie haben einen Wahlkampf mit dem Versprechenemacht, den demografischen Faktor, den wir durchge-etzt hatten, wieder abzuschaffen. Sie haben dieses Ver-prechen 1999 gehalten und haben diesen demografi-chen Faktor 1999 wieder abgeschafft.Dann hat sich die Finanzlage der Rentenkasse ver-chlechtert, und die Rentenkasse ist in Schwierigkeitenekommen. Dann hat die rot-grüne Schröder-Regierungen Nachhaltigkeitsfaktor, der nichts anderes war als dieekehrte rot-grüne Variante des demografischen Faktors,004 mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz wieder einge-hrt. Das ist davon zu halten, wenn Sie sagen, wir ma-hen das rückgängig. Das, was wir hier leisten, ist imrunde ein Stück demografischer Faktor für die Verläss-chkeit der Krankenkasse.
as brauchen wir, damit wir ein zuverlässiges Leis-ngsversprechen der gesetzlichen Krankenkasse gebenönnen.Übrigens, ein Jahr vor Verabschiedung des RV-Nach-altigkeitsgesetzes war es die rot-grüne Regierung, dieen Satz von 7,9 Prozent für die Arbeitnehmer und von
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6481
Rudolf Henke
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7,0 Prozent für die Arbeitgeber eingeführt hat. Sie habendamals die Parität verlassen. Das war nicht die Entschei-dung einer Merkel-Regierung, sondern es war die rot-grüne Schröder-Regierung, die die Parität aufgegebenhat.Letzter Punkt: Ich glaube, dass Sie in der Tat eine feh-lende Alternative auszeichnet. Das, was Sie immer wie-der als Bürgerversicherung ankündigen, werde ich bisauf Weiteres als Schildbürgerversicherung bezeichnen;denn mir bleibt völlig rätselhaft, wie Sie dabei dieFinanzmittel verfassungskonform aufbringen wollen, dieSie brauchen, um all das zu vermeiden, was Sie bei unskritisieren und was Sie nicht haben wollen.Meine Bilanz ist also: falsche Analyse, falsche An-kündigungen, fehlende Alternative. Mein Prädikat: flaueArbeitsleistung bei der Opposition.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Dr. Carola Reimann hat jetzt für die
SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das vorliegende GKV-Finanzierungsgesetzträgt auf den ersten Blick einen passenden Namen; dennes befasst sich nur mit Finanzierungsfragen. Es geht Ih-nen allein um das Stopfen von Finanzlöchern durch einhalbherziges Sparpaket auf der einen und ein doppeltesAbkassieren der Versicherten auf der anderen Seite.Es ist wirklich bemerkenswert: Uns liegt eine Ge-sundheitsreform vor, die kein einziges Strukturproblemin unserem Gesundheitswesen anpackt. Dabei hat derKollege Koschorrek – er schwätzt zwar gerade – gesagt,das sei das größte Paket der Reform. Fast 70 Seiten, aberkein Wort von Ärztemangel im ländlichen Raum, keinWort zu den Schnittstellenproblematiken zwischen am-bulanter und stationärer Behandlung, kein Wort zu War-tezeiten in Arztpraxen, kein Wort zu dem Hauptproblemin unserem Gesundheitswesen, nämlich der widersinni-gen Ungleichbehandlung gesetzlicher und privater Kran-kenversicherungen.
Herr Minister Rösler, mit dieser Reform lösen Siekein einziges der Probleme in unserem Land. Diese Re-form bringt uns keinen Schritt weiter.
Sie ist in Wahrheit ein Rückschritt; denn das Wenige, dasSie regeln wollen, geht in eine völlig falsche Richtungund ist obendrein noch handwerklich schlecht gemacht.So gesehen, Herr Minister, ist der ausführliche Titel Ih-res „Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenenFinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“eerewkligebsdtrFhKdIseVwdmsaWsKladSWRasbdtetewA
Das, was Sie den gesetzlich Versicherten zumuten, isteder nachhaltig noch sozial ausgewogen, sondern dasomplette Gegenteil. Das schätzt die Bevölkerung ähn-ch ein. Nach der aktuellen Politbarometererhebunglauben 5 Prozent der Bevölkerung – das ist hier schoninmal gesagt worden –, dass damit Finanzierungspro-leme gelöst werden. 95 Prozent der Bevölkerung fragenich zu Recht, was eine Reform bringt, die sich nicht miter Lösung von Strukturproblemen befasst.
Wenn man daran nichts ändert, ist die nächste Bei-agssatzerhöhung vorprogrammiert. Das heißt in diesemall: massiv steigende Zusatzbeiträge.Damit sind wir beim Punkt der sozialen Ausgewogen-eit. Ist es denn sozial ausgewogen, wenn künftig alleostensteigerungen auf die Versicherten abgewälzt wer-en?
t es sozial ausgewogen, wenn diese Steigerung in Forminer stetig anwachsenden Kopfpauschale allein von denersicherten erhoben wird? Ist es sozial ausgewogen,enn der sogenannte Sozialausgleich erst bei 2 Prozentes Bruttoeinkommens einsetzt? Wohl nicht, meine Da-en und Herren.Auch mit der Bezeichnung „Sozialausgleich“ müssteich Frau Aigner beschäftigen; denn er ist nichts anderesls Etikettenschwindel.
as ist denn mit dem Sozialausgleich, wenn der durch-chnittliche Zusatzbeitrag bei null liegt, die jeweiligeasse trotzdem einen kassenindividuellen Beitrag ver-ngt? Was ist denn, wenn dieser Beitrag höher ist als derurchschnittliche Zusatzbeitrag? Dann gibt es keinenozialausgleich. Dieser Pseudo-Sozialausgleich dient inahrheit nur dazu, die sozialpolitische Schieflage Ihrereform zu kaschieren. Sie können den Begriff „Sozial-usgleich“ natürlich mit blumigen Worten – das ist hierchon versucht worden – noch tausendmal erklären. Esleibt dabei: Diese Reform ist der Ausstieg aus dem soli-arischen System und komplett unsozial.
Die Reform ist auch unsozial, weil Sie die Versicher-n reichlich zur Kasse bitten, während sich andere Ak-ure die Hände reiben können. Von der Pharmalobbyill ich heute gar nicht sprechen; sie ist mit demMNOG bereits bedient.
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6482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Carola Reimann
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Über das GKV-Finanzierungsgesetz hingegen könnensich besonders die privaten Krankenversicherungsunter-nehmen freuen. Schwarz-Gelb macht es nämlich mög-lich, dass die PKV demnächst dank Fristverkürzung einestolze Zahl an gut verdienenden Neukunden begrüßendarf. Dieses „PKV-Neukunden-Akquise-Gesetz“ kostetdie gesetzliche Krankenversicherung schlappe 500 Mil-lionen Euro.
Das ist aber erst der Anfang. Demnächst werden auchnoch die Wahltarife in der GKV verboten und privateZusatzversicherungen in der Pflege eingeführt. Undschon hat die PKV zwei weitere lukrative Geschäftsfel-der.
In diesem Zusammenhang hat der Minister den Be-griff „Wettbewerb“ benutzt. Hier kommt wieder einmalIhr absurder Wettbewerbsbegriff zum Vorschein. Dort,wo der Wettbewerb Ihrer Klientel – das sind die Gutver-dienenden – dient, da wird er forciert, und dort, wo dieLobby Einbußen erwartet, da werden Schutzzäune er-richtet. Die Folge sind weitere Wettbewerbsverzerrun-gen und zusätzliche Ineffizienzen im System.
Dieses Gesetz löst keine Probleme, es schafft zusätz-liche. Der gravierendste Fehler aber ist, dass das Gesetzdie Solidarität, einen der Hauptpfeiler unserer gesetzli-chen Krankenversicherung, untergräbt. Sie werden die-ses Gesetz durchdrücken, schon allein deswegen, um IhrGesicht zu wahren.
Aber spätestens 2013 wird auch über dieses Gesetz ab-gestimmt, und dann wählt nicht die Lobby, sondern dannwählen die Bürgerinnen und Bürger. Spätestens dannwird es Geschichte sein.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/3040 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu
gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Sie sind also
einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Harald Koch, Dr. Axel Troost, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Zinssätze für Dispositions- und Überziehungs-
kredite verbrauchergerecht deckeln
– Drucksache 17/2913 –
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Maisch, Dr. Gerhard Schick, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Verbraucherinnen und Verbraucher vor über-
höhten Überziehungszinsen schützen
– Drucksache 17/3059 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Federführung strittig
Hierzu ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debat-
eren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
ann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Caren Lay für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Viele Menschen in diesem Land ärgern sichber hohe Dispozinsen. Jeder Sechste steckt in den Mie-en. Ich nehme an, auch Sie haben die ganz aktuellenahlen zur Kenntnis genommen, die belegen, dass dieahl der Verbraucherinsolvenzen in einem Jahr über0 Prozent gestiegen ist. Im letzten Halbjahr war der An-tieg sogar noch stärker. Das heißt, auch dieses Themaird an Bedeutung zunehmen.Auch andere aktuelle Zahlen sprechen für sich.77 Millionen Euro haben die Bankkunden allein in ei-em guten Jahr durch überhöhte Dispozinsen, durch Dis-oabzocke, verloren. Denn die Banken geben die niedri-en Leitzinsen, zu denen sie sich selbst Geld leihenönnen, nicht an ihre Kunden weiter. Sie alle wissen,ass die Europäische Zentralbank im Zuge der Finanz-rise den Leitzins deutlich gesenkt hat. Während dieanken sich Geld also für nur 1 Prozent leihen können,
erlangen sie von ihren Kunden durchschnittlich über2 Prozent, wenn sie ihren Dispo nutzen. Einige Bankenerlangen von ihren Kunden sogar fast 17 Prozent, wennie ihren Dispo nutzen. Wir als Linke finden das unver-chämt. Wir wollen diese Dispoabzocke beenden.
Das Problem verschärft sich dadurch, dass die Betrof-nen vor allem Erwerbslose und Geringverdiener underingverdienerinnen sind; denn diese haben keineücklagen. Der Dispo ist für sie häufig die einzige Mög-chkeit, an Geld zu kommen. Hinzu kommt, dass viele
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Caren Lay
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Menschen die finanzielle Notlage, in die sie durch dieFinanz- und Wirtschaftskrise geraten sind, durch denDispo zu überbrücken versuchen. Das heißt im Um-kehrschluss, dass sich die Banken zum Teil auf Kostenvon Erwerbslosen und Geringverdienern sanieren. Dashalten wir als Linke wirklich für skandalös.
Meine Damen und Herren, warum gehören denn dieDispokredite – übrigens nicht erst seit der Finanzkrise –zu den teuersten Krediten? Erstens ist das deshalb so,weil davon, wie gesagt, vor allen Dingen Menschen be-troffen sind, die den Banken ausgeliefert sind, die keineLobby haben – in den letzten Wochen und Monaten ha-ben wir ja sehr deutlich gesehen und gelernt, dass beiSchwarz-Gelb vor allen Dingen die Lobby zählt –,
zweitens, weil die Banken ihre Allmacht ausnutzen, unddrittens, weil es Schwarz-Gelb bislang versäumt hat,dem Wucher beim Dispo ein Ende zu bereiten.Die Fraktion Die Linke hat erneut einen Antrag ein-gebracht, mit dem wir die Zinssätze für Dispokredite be-grenzen wollen. „Erneut“ sage ich: Wir haben diesesProblem schon in der letzten Legislaturperiode themati-siert. Wir fordern, die Zinsen für Dispo- und Überzie-hungskredite zu deckeln. Wir haben uns dabei für dasModell entschieden, das die Verbraucherzentrale Bre-men vorgeschlagen hat, ein Modell, das schon heute beiZahlungsverzug gilt. Wenn es nach uns ginge, dann lägeder maximale Zinssatz für den Dispo derzeit bei 5,12 Pro-zent
und die Überziehungszinsen, die dann anfallen, wenn einKonto überzogen wird, ohne dass ein Dispo eingeräumtwar, bei maximal 8,12 Prozent.
Meine Damen und Herren, Zinsen müssen angemes-sen sein. Zinsexzesse auf Verbraucherkosten darf esnach Auffassung der Linken nicht geben. Deswegenmüssen wir der Dispoabzocke ein Ende machen. Es wäreschön, wenn sich die Koalition dieser Argumentation an-schließen würde.
Nach unserer Auffassung sind die überhöhten Dispozin-sen in keiner Weise zu rechtfertigen. Die Argumentationder Kreditinstitute halte ich für nicht zielführend; da-rüber können wir diskutieren.Das Problem ist vielmehr die mangelhafte Regulie-rung. Das sehen auch Vertreterinnen und Vertreter derRegierungskoalition so. Frau Aigner, die Verbraucher-ministerin, hat im Handelsblatt vom 15. September die-ses Jahres mitgeteilt, es könne nicht sein, dass sich Ban-ken auf Kosten der Verbraucher sanieren; das sagen auchwir. Ich habe auch Sie, Herr Professor Schweickert vonder FDP, so im Ohr, dass Sie in der letzten Debatte eineähnliche Argumentation vorgetragen haben. Auch hiergddsLdmdkmratebdruMTScAtamgdlenbin1aroannSÜEnPnhtuk
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Dispokredite – das sollten wir uns an dieser Stelle vorAugen führen – sind ihrem Wesen nach kurzfristig nutz-bare Angebote zur Steigerung der finanziellen Flexibili-tät; so sind sie gedacht. Der Verbraucher kann sich jeder-zeit sehr schnell innerhalb eines vorab eingeräumtenLimits mit Geld versorgen. Er kann eine Kreditsumme inAnspruch nehmen, ohne sich einer nochmaligen Risiko-prüfung zu unterziehen und ohne zusätzliche Sicherhei-ten stellen zu müssen.
Diese Flexibilität, sowohl im Hinblick auf den Zeitpunktder Inanspruchnahme und auf die tatsächliche Kredit-höhe innerhalb des Limits als auch der, anders als bei ei-nem Ratenkredit, unbestimmte Zeitpunkt der Rückfüh-rung, ist eine Summe von zusätzlichen Risikofaktorenfür die Bank, und diese fließen in die Gestaltung derKonditionen ein. Folglich sind Dispozinssätze höher alsZinssätze bei anderen Kreditarten, die beispielsweise be-sichert sind.Die bloße Bereitstellung eines Dispokredits bindetunabhängig von seiner Inanspruchnahme Eigenkapitalder Bank, das nicht anderweitig gewinnbringend ver-wendet werden kann. Diese bloße Bereitstellung kostetden Verbraucher überhaupt nichts. Deswegen sind dieDisporahmen üblicherweise eher gering gehalten. Siesind nach meinem Kenntnisstand in letzter Zeit ehernach unten korrigiert worden.Darüber hinaus sind Dispokredite im Gegensatz zubeispielsweise lang laufenden Immobilienkreditengrundsätzlich unbesichert und erhöhen das Ausfallrisikoder Bank. Zehnjährige Immobiliendarlehen gibt es inDeutschland bei der Mehrzahl der Banken aktuell für un-ter 4 Prozent inklusive der Zinsbindung über die ge-samte Laufzeit.Der Dispokredit ist also aus all den genannten Grün-den der teuerste unter den Krediten. Hohe Flexibilität hateinen höheren Preis.
Die Inanspruchnahme von Dispokrediten soll eben nichtzum Dauerzustand werden; so ist der Dispo nicht ange-legt. Wer längerfristigen oder größeren Geldbedarf hat,sollte einen Ratenkredit oder einen anderweitigen regu-lären Kredit mit seiner Bank vereinbaren; denn dieseweisen deutlich niedrigere Zinssätze auf.Die Stiftung Warentest hat aufgezeigt, dass dieSpanne sehr groß ist, nämlich zwischen 7 und17 Prozent. Das fordern die Banken aktuell. Wie es zueinem solchen Auseinanderklaffen kommt, ist in der Tatsehr schwer nachvollziehbar. Ein Argument, das ange-führt wird, ist, dass die Direktbanken die niedrigstenZinsen haben und dass das etwas mit dem nicht vorhan-denen Filialnetz zu tun hat. Das kann bis zu einem ge-wissen Punkt überzeugen. Es gibt aber beispielsweise ei-nige Sparkassen, die sich im Bereich von 9 Prozentbewegen. Sie haben üblicherweise ein großes Filialnetz.Es muss also mehr dahinter sein. Ich glaube, es ist unteraRzksLvFSssPztiIlnkDwdnddwtelaDtemfaMRgzgsstrbIcMkpBajelePgAbdvm
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Das Wort hat nun Kerstin Tack für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Ichglaube, die derzeit absolut überzogenen Zinsen für dieDispo- und Überziehungskredite finden wir über alleFraktionen hinweg nicht in Ordnung. Ich glaube, dieseFeststellung können wir hier im Parlament für alle ge-meinsam treffen.
Nur bei der Antwort auf die Frage, was aus dieser Er-kenntnis folgt, wird unsere Bewertung sicherlich sehrunterschiedlich sein.Dass die Banken derzeit Geld zu einem Zinssatz vonlediglich 1 Prozent bekommen, wenn sie es sich leihen,während sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern,die ihr Konto überzogen haben, im Gegenzug Zinssätzevon 6 bis 17 Prozent in Rechnung stellen, ist nicht inOrdnung. Jeder sechste Bankkunde steht mit seinemKonto in den Miesen. Die Europäische Zentralbank hatdie Leitzinssätze von 4,25 Prozent im Oktober 2008 auf1 Prozent – ich habe es gerade erwähnt – im Mai 2009gesenkt, und dort steht dieser Leitzins heute noch immer.An die Verbraucherinnen und Verbraucher werdenniedrige Guthabenzinsen weitergereicht, gleichzeitigwerden von ihnen hohe Überziehungszinsen verlangt.Beides ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher eindeutlicher Nachteil; das müssen wir so sagen.
Es hat den Anschein, als würden die Banken die ho-hen Dispozinsen zum Gegenstand des Sanierungspro-gramms erklären, um den Verlust, den sie aus der Kriseerlitten haben, wieder auszugleichen. So geht es abernicht. Das können und sollten wir auf keinen Fall zulas-sen.
– Ich nehme zur Kenntnis, dass auch Sie von der Koali-tion mir hierin zustimmen.Jeder Prozentpunkt, um den der Zinssatz für Dispo-und Überziehungszinsen nicht gesenkt wird, kostet dieVerbraucherinnen und Verbraucher 416 Millionen Euroim Jahr, so die Stiftung Warentest. 416 Millionen Euroim Jahr, bezogen auf das aktuelle Kreditvolumen, daslaut der Bundesbank mit 41,6 Milliarden Euro – der Kol-lege hat es gesagt – ausgewiesen ist.Der Zentrale Kreditausschuss verteidigt selbstver-ständlich die hohen Zinsen und sagt, das sei mit dem fle-xiblen Kreditrahmen und mit der Notwendigkeit der Ei-genkapitalbildung zu begründen. Aber, liebe Kollegin-nen und Kollegen, wenn das zur Begründung herhaltenssdwtegMübzdgSdÜkAkddcfümüSztehsgläswsdmstehaVdksEisLcliZtenJ
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Land gehen zu lassen, bis wir wissen, dass es hier einenHandlungsbedarf gibt und wie sich das alles entwickelthat. Deshalb sagen wir: Ran, entscheiden, vorlegen!Die Frage, ob geltendes Recht reicht oder nicht – daswill ich noch zum Schluss sagen –, soll auch Teil derjetzt vorzulegenden ausführlichen Studie sein. Dazumuss man sagen: Ob das geltende Recht das abdecktoder nicht, dazu brauchen wir keine mehrmonatige Erar-beitung einer Studie. Das müssen die Juristen aus einemMinisterium einem in wenigen Stunden sagen können.Diese Erwartungshaltung an gutbezahlte Juristen kannman haben. Das können die auch, wir brauchen alsokeine Zeit zu vergeuden.Wir haben Grund genug, die Verbraucherinnen undVerbraucher nicht länger wegen Nichthandeln Kostentragen zu lassen. – Frau Präsidentin, ich weiß, ich habemeine Redezeit überzogen. – Deswegen unterstützen wirdas Ansinnen der beiden antragstellenden Fraktionen.Ich sage noch einmal deutlich: Es gibt einen Handlungs-bedarf und kein Erkenntnisdefizit.
Das Wort hat nun der Kollege Erik Schweickert für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es geht um das Überziehennicht nur der Zeit, sondern auch der Konten. Nicht nurder Staat hat die letzten Jahre deutlich über seine Ver-hältnisse gelebt, was übrigens jetzt die christlich-liberaleKoalition beenden wird, nein, auch viele Bürgerinnenund Bürger haben mehr ausgegeben, als sie eingenom-men haben. Oftmals hat dieses Schuldenmachen damitbegonnen, dass das Konto überzogen worden ist. Es istaber auch klar: Dispo- und Überziehungszinsen sind derPreis für Flexibilität – wir haben es schon gehört –, unddie Möglichkeit der Überziehung bedeutet einen Notpuf-fer. Allerdings wird dieser Notpuffer von vielen Ver-brauchern heute so genutzt, als ob es sich dabei um einGuthaben handele. Ob das so ist, weil sich der Bürgerdazu gezwungen sieht oder weil er sich keine Gedankenmacht, sei dahingestellt. Aus diesem Grund sollten wirdie Diskussion nicht so aufgeregt führen, wie es bishergeschehen ist.Ich halte es für gerechtfertigt, dass die Banken für ei-nen Dispositionskredit höhere Zinsen veranschlagen, dafür diesen ein höheres Ausfallrisiko besteht. Man könntenämlich sagen: Es gibt kein Recht auf billige Schulden.Jeder Verbraucher hat die Verantwortung, darauf zu ach-ten, dass er sein Konto nicht überzieht. Man kann einKonto so einrichten, dass man es nicht überziehen kann.Die Frage ist, ob das sinnvoll ist. Man hat auch die Mög-lichkeit, beispielsweise einen Ratenkredit in Anspruchzu nehmen. Dann hat man klare Verhältnisse.–bzwvEL1DGAhL1ÜzgahswwDzDricddWTnGmSnetr
Frau Lay, ich komme gleich dazu. – Grundsätzlich ha-en wir als Verbraucher auch die Möglichkeit, die Banku wechseln. Daher sehe ich schon eine große Verant-ortung des Bankkunden. Jeder ist für seine Kassenlageerantwortlich.
Die Sache hat natürlich einen Haken; denn einigentwicklungen erscheinen mir etwas problematisch. Dereitzins der Europäischen Zentralbank liegt derzeit beiProzent und damit auf einem historischen Tiefstand.as dient den Banken als Rechtfertigung, dass sie füruthaben und Festgeld so gut wie keine Zinsen zahlen.uf der anderen Seite werden für Dispo- und Überzie-ungskredite sehr hohe Zinsen verlangt. Während dereitzins von 4,25 Prozent im Oktober 2008 auf derzeitProzent gesunken ist, sind die Zinsen für Dispo- undberziehungskredite im Durchschnitt nur unwesentlichurückgegangen. Die Banken können sich also sehrünstig Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen,ber dem verschuldeten Verbraucher stellen sie über-öhte Zinsen in Rechnung. Wir dürfen nicht tatenlos zu-ehen,
enn die Banken die Schuldenspirale der Verbrauchereiterdrehen. Ich sage Ihnen ganz offen: Zinsen fürispo- bzw. Überziehungskredite in Höhe von 16,99 Pro-ent grenzen fast schon an Wucher.
ie Verbraucherzentralen überprüfen das, und die Ge-chte werden entscheiden, ob der Tatbestand des Wu-hers erfüllt ist.Eines erscheint mir noch wichtiger – das kommt iner Diskussion viel zu kurz, und ich hätte gedacht, dassieser Punkt insbesondere von Ihnen vorgebracht wird –:as ich noch kritischer als die hohen Zinsen sehe, ist dieatsache, dass es Banken gibt, die über die Zinsen für ei-en Dispo- oder Überziehungskredit hinaus noch eineebühr pro Abhebung berechnen, also on top. Da mussan den Banken sagen: Irgendwann ist auch malchluss.
Jetzt ist die Frage, wie sich das Ganze darstellt; dennicht nur einzelne Banken machen das, sondern das istin weit verbreitetes Phänomen. Die Verbraucherzen-ale Bremen hat die entsprechenden Daten erhoben.
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Dr. Erik Schweickert
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– Die Maßnahmen kommen jetzt. Herr Heil, Sie sinddoch sonst nicht so ungeduldig. – Der Bundesgerichts-hof hat festgestellt, dass die Dispozinsen durch verbrau-cherfeindliche Klauseln in den AGBs zu Recht unzuläs-sig sind. Wörtlich heißt es:Danach muss eine Zinsänderungsklausel das Äqui-valenzprinzip beachten und darf die Bank nicht ein-seitig begünstigen.Allerdings ist es in der Realität etwas anders. Deswe-gen habe ich das Bundeskartellamt letzte Woche aufge-fordert, die Geschäftspraxis der Banken einer wettbe-werblichen Prüfung zu unterziehen, und zwar deshalb,weil diese Überziehungszinsen insbesondere in räumli-chen Clustern genommen werden. Wie interpretiere ichsonst, dass dies insbesondere in Bremen und zwei ande-ren Clustern geschieht? Also, wir wollen kein Konjunk-turprogramm für Peter Zwegat, sondern einen effizientenVerbraucherschutz, und deshalb wollen wir eine Über-prüfung.
Darum ist auch die Regelung zum Referenzzinssatzzu hinterfragen, nach der die Banken einen überprüfba-ren Referenzzinssatz benennen müssen, an dem sie ihreZinsentwicklung anpassen. Denn natürlich werden dieBanken den derzeit niedrigen Leitzins als Referenz an-geben. Steigt der Leitzins, werden die Banken die Mög-lichkeit haben, auch die Dispo- und Überziehungszinsenweiter zu erhöhen und dies anhand des steigenden Refe-renzzinses zu rechtfertigen. Das darf natürlich nicht sein.Deswegen muss dieses Thema im Ausschuss angespro-chen werden.Für mich ist eins deutlich: Die Commerzbank ist beidieser Sache mit dabei.
Frau Kollegin Tack, ich habe es in der letzten Sitzungs-woche angesprochen, und ich bleibe bei meiner Mei-nung: Der Staat ist nicht der bessere Banker.
Wenn die Commerzbank einen Zinssatz von 13,24 Pro-zent im Dispobereich verlangt, dann komme ich zu demSchluss: Der Staat ist gefordert, sich aus seiner Zustän-digkeit für die Commerzbank schnellstmöglich zurück-zuziehen.
Was da stattfindet, bringt dem Verbraucher nichts.Heute, kurz vor dem 20. Jahrestag der deutschen Einheit,möchte ich wiederholen: Der Staat ist nicht der bessereBanker.Meine Damen und Herren, Sie haben mich auf IhrerSeite, wenn es darum geht, dem Verbraucherschutz inder Finanzaufsicht zu mehr Durchschlagskraft zu verhel-fen.DshddDtrümBAcDvRsdDnZwlemhhßinWswbranÜh2leK
as Ganze gehört, da es um Verbraucherschutz geht, in-titutionell in die Finanzaufsicht. Wir werden unser Vor-aben umsetzen, spätestens bei der Zusammenführunger Bankenaufsicht unter dem Dach der Deutschen Bun-esbank.
as macht die von Bündnis 90/Die Grünen in ihrem An-ag angeregte Marktwächterfunktion in diesem Bereichberflüssig, übrigens so überflüssig wie im Momentanche Bank aufgrund ihres Geschäftsgebarens.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Nicole Maisch für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diektienmärkte haben sich beruhigt, aber für die Verbrau-herinnen und Verbraucher geht die Finanzkrise weiter.iese Krise ist für die Kundinnen und Kunden natürlichor allem eine Krise des Vertrauens in die Banken. Dieeferenzzinsen, die wir zur Verfügung haben – zum Bei-piel den EZB-Leitzins oder den Drei-Monats-Euribor;as sind übliche Referenzzinsen –, liegen um 1 Prozent.ie Banken und Sparkassen geben den Sparern dieseiedrigen Zinssätze weiter; gleichzeitig senken sie dieinssätze für den Dispo aber nicht. Angesichts desseneiß man, woher diese Vertrauenskrise kommt. Die An-gerinnen und Anleger, die Bankkunden glauben nichtehr daran, dass sie von den Banken fair und ehrlich be-andelt werden.Herr Wanderwitz, Sie haben gesagt: Wir als Politikeraben die Aufgabe, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gie-en. Ich glaube, dass durch solches Geschäftsgebaren Öls Feuer gegossen wird. Eine Studie, die die Stiftungarentest durchgeführt hat, zeigt: Durch solches Ge-chäftsgebaren wird Öl ins Feuer gegossen; dadurchird Vertrauen auf den Finanzmärkten zerstört.
Es gibt unterschiedliche Erhebungen. Wir Grünen ha-en im Sommer selber eine durchgeführt. Dabei ist he-usgekommen: Zinssätze von 13 oder 14 Prozent – nurominal; effektiv sind sie höher – und für eine geduldeteberziehung von bis zu 20 Prozent sind keine Selten-eit. Der Kollege Schweickert hat es gesagt: Wenn man0 Prozent Zinsen für eine geduldete Überziehung zah-n muss, dann ist das hart am Wucher.Herr Wanderwitz, Sie haben argumentiert, dass eineopplung an einen Leitzins nicht sachgerecht sei, weil
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Nicole Maisch
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die Beschaffungskosten für Geld nur ein Element derKosten des Dispos seien. Da stimme ich Ihnen zu. Trotz-dem gibt es Banken, die einen Referenzzins gewählt ha-ben, an den sie ihre Dispozinssätze koppeln. Da gibt esunterschiedliche Modelle, entweder den EZB-Leitzinsoder den Euribor. Das Problem ist nur, dass die Bankendabei einen Zeitpunkt in der Finanzkrise herangezogenhaben, sodass aufgrund der Koppelung die Zinssätze fürdie Verbraucher noch weiter nach oben gehen. Das zer-stört weiter Vertrauen auf den Finanzmärkten.Ich möchte kurz noch etwas zum Dispo sagen. Esstellt sich ja die Frage, ob alle, die einen solchen Kreditin Anspruch nehmen, über ihre Verhältnisse leben. Klarist: Natürlich soll man den Dispo nicht jeden Monat alserweitertes Einkommen benutzen; das weiß jedes Kind.Es gibt aber auch Menschen, die unverschuldet in finan-zielle Notlagen geraten. Wir hatten während der Wirt-schaftskrise eine ganze Menge Kurzarbeiter. Das sindPersonen, die nicht über ihre Verhältnisse gelebt und un-verantwortlich gehandelt haben; vielmehr blieb vielenvon ihnen keine andere Möglichkeit, als ihr Konto zuüberziehen.Ich glaube, dass wir es im Dispobereich mit einemMarktversagen zu tun haben. Das ist übrigens nicht nurregional so. Ich habe eine ähnliche Erhebung für Hessenwie die für Bremen gemacht. Ich habe einfach einmaldie Banken angerufen und dabei festgestellt, dass dieZinssätze ähnlich sind: 18 Prozent oder 19 Prozent füreine geduldete Überziehung findet man überall.Die Vielfalt des deutschen Bankensystems ist dabeikeine Hilfe. Wir haben kleine Sparkassen, große interna-tionale Player wie Santander oder Targobank, großeSparkassen und Genossenschaftsbanken. Diese gebensich alle nichts. Es sind teure und billige dabei. Dasheißt, wir haben es sowohl quer durch die Regionen alsauch quer durch die unterschiedlichen Sektoren mit sol-chen überhöhten Zinsen zu tun.Deshalb haben wir Ihnen einen Antrag zur Debattevorgelegt. Wir fordern einen gesetzlichen Referenzzins-satz, an dem sich die Banken orientieren sollen. Diesersollte möglichst einheitlich sein, damit es für die Kundentransparent ist.
– Es wäre aber schön, wenn man sich auf einen einigenkönnte, entweder auf den Euribor oder den EZB-Leit-zins. Im Moment wählen die Akteure im Markt unter-schiedliche Referenzzinssätze. Die Commerzbank hateinen anderen Referenzzinssatz als bestimmte Sparkas-sen. Ich finde, Einheitlichkeit würde für mehr Transpa-renz sorgen.Wir fordern außerdem eine gesetzliche Obergrenze,einen Korridor oberhalb dieses Zinssatzes. Wie breit die-ser Korridor ist, darüber muss man diskutieren. An die-ser Stelle eröffnet sich der Spielraum für die betriebs-wirtschaftlichen Erwägungen der einzelnen Banken. Wirfinden, wenn man solche fairen Leitplanken für Wettbe-werb setzt, dann passt das zu einer sozialen Marktwirt-schaft.IcwdAdmgridbggkdcsaqteUwmddsaPNnBdmgsBan
Wir fordern, dass die Finanzaufsicht verbessert wird.h denke, wenn solches Marktversagen möglich ist,enn solche Wucherzinsen möglich sind, dann zeigt das,ass hier noch einiges im Argen liegt.Wir haben Vorschläge von Herrn Schweickert undnkündigungen von Frau Aigner gehört. Wir hoffen,ass Sie als schwarz-gelbe Regierung irgendwann ein-al auch das machen, wozu Sie da sind, nämlich zu re-ieren und Handlungen folgen zu lassen.
Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretä-
n Julia Klöckner.
Ju
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-en! Auch ich habe mich geärgert. Ich habe mich richtigeärgert, als wir die Ergebnisse von „Finanztest“ lesenonnten.Ich bin übrigens der Stiftung Warentest sehr dankbarafür. Deshalb haben wir als Koalition sie mit zusätzli-hen Mitteln ausgestattet. Ich bin ihr sehr dankbar, dassie genau die aktuellen Themen, die uns beschäftigen,ufgreift. Das tut manch einem weh. Das ist oft unbe-uem. Wir halten es für richtig, dass die Stiftung Waren-st genau aus diesem Grund Schritt für Schritt in dienabhängigkeit entlassen wird, damit sie etwas anpackt,as vielen anderen eben nicht passt. Deshalb noch ein-al: Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dieas Thema der Banken seit Wochen und Monaten aufer Tagesordnung haben. Ich wünsche mir, dass sie die-es Thema auch in Zukunft weiter so im Blick haben,uch wenn es um die Beratungsprotokolle und um dieroduktinformationsblätter geht.
Ich stimme Frau Kollegin Maisch zu. Ganz klar:icht jeder, der sein Konto überzieht, ist jemand, dericht mit Geld umgehen kann. Ansonsten könnten dieanken auch nicht mit Geld umgehen, weil sie sich beien Bürgerinnen und Bürgern Geld leihen. Die Asym-etrie, dass auf der einen Seite die Bürger den Bankenerne Geld leihen, aber nicht zu zweistelligen Prozent-ätzen, und dass auf der anderen Seite Bürgerinnen undürger mitunter 17 Prozent oder gar 20 Prozent Zinsenn die Banken zahlen müssen, halte ich für unanständig.
Das halte ich deshalb für unanständig, weil das immerur in eine Richtung geht. Viele Banken kennen immer
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Parl. Staatssekretärin Julia Klöckner
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nur eine Richtung. Wenn die Refinanzierungskostenhoch sind, dann geben sie diese hohen Kosten weiter.Das ist schnell zu erläutern. Man bekommt aber selteneinen freundlichen Brief mit dem Hinweis, dass die Re-finanzierungskosten günstiger geworden sind und dasses deshalb für den Kunden günstiger wird.Das ärgert uns alle, ganz gleich, welcher Fraktion wirangehören, welcher Partei wir angehören. Auf der einenSeite wird versucht, richtig Kasse zu machen. Auf deranderen Seite, wenn etwas nicht funktioniert, soll derStaat einspringen – das sind übrigens auch die Kunden,nämlich die Steuerzahler –, dann wiederum zeigt sichein demütiges Verhalten. Ich denke, das wird auf Dauernicht funktionieren. Deshalb müssen wir hier auch ganzklare Worte finden.Jetzt geht es natürlich darum, liebe Kolleginnen undKollegen, eine Lösung zu finden. Dazu gibt es in denheute vorliegenden Anträgen verschiedene Vorschläge.Man kann es sich einfach machen, indem man banal for-dert, eine Obergrenze festzusetzen. Ich halte diesen Vor-schlag, mit Verlaub, für sehr schlecht. Eine Obergrenzeeinzuziehen, ist meiner Meinung nach auch falsch, weildas der marktwirtschaftlichen Realität und der Vielfaltder angebotenen Preismodelle bei Girokonten nicht ge-recht wird. Dass die Linken da zusammenzucken, istklar, da sie mit Marktwirtschaft nicht so viel am Hut ha-ben.Die Zinssätze im Test variieren zwischen 6 und17 Prozent. Da muss man genau hinschauen, damit wirden Verbrauchern nicht einen Bärendienst erweisen. DerKollege Wanderwitz hat eben erläutert, wie unterschied-lich die Berechnungsgrundlagen sind. Bei dem einenGirokonto ist die Kontoführung kostenlos, was vieleschätzen; vielleicht kostet dafür aber eine beleggebun-dene Überweisung etwas mehr, oder der Dispozins liegtetwas höher. Bei einem anderen Girokonto wird dagegeneine Kontoführungsgebühr erhoben; vielleicht liegt da-für aber der Dispozins etwas niedriger.Natürlich wird die Gebührenhöhe auch davon beein-flusst, wie engmaschig das Filialnetz ist. Ich selbstkomme aus Rheinland-Pfalz, einem ländlich geprägtenRaum. In vielen Regionen sind wir dankbar dafür, dassdort einige Banken noch Filialen haben, während andereBanken sich schon zurückgezogen haben. Ein Filialnetzkostet Geld.
Das muss natürlich, sozial gerecht, mischfinanziert wer-den, also nicht nur von denen, die ein kleines Portemon-naie haben. All das muss in die Überlegung einfließen,ob wir nicht, wie ich vorhin sagte, dem Verbraucher ei-nen Bärendienst erweisen, wenn wir eine starre Ober-grenze einziehen. Ich glaube, dass diese Lösung demGesamtkomplex nicht gerecht wird und zur Folge habenwürde, dass einige kleinere Banken nicht mehr im länd-lichen Raum vertreten wären.
MriZavHinbddsueszEDShndnSrigvfesgKwebaabVnlihtiJs
s hilft doch keinem Bürger, wenn er sich eine weitererucksache anschauen kann – das macht ja nur bedingtpaß –, sondern dem Verbraucher hilft es, wenn die vor-andenen gesetzlichen Regelungen auch effektiv undachhaltig durchgesetzt werden. Es gibt zum Beispielas Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtli-ie, gemäß dem die Art und Weise der Anpassung desollzinssatzes im Kreditvertrag anzugeben ist. Hierchte ich meine Aufforderung an die Finanzaufsicht, ge-en vielfache Rechtsverstöße und Missverständnisseorzugehen, und an die Kartellbehörden, genau zu prü-n.Abschließend möchte ich sagen: Es liegen einige Lö-ungsvorschläge vor. Wir haben eine Studie in Auftragegeben haben, die untersuchen soll, wie sich die mit derontoführung verbundenen Kosten flächendeckend ent-ickeln, damit wir eine solide Basis für unser Handelnrhalten, statt – davor warne ich noch einmal – dem Ver-raucher einen Bärendienst zu erweisen. Wir werdenlso das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondernls Verbraucherministerium weiter am Thema dranblei-en und dafür sorgen, dass die Verbraucherinnen underbraucher nach wie vor ein flächendeckendes Filial-etz vorfinden und die Zinssätze so verbraucherfreund-ch wie möglich gestaltet werden. Andere Regierungenaben hier ja, als sie etwas zu sagen hatten, nichts getan.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Carsten Sieling für die SPD-Frak-
on.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!etzt haben wir also gehört, was sich die Regierung vor-tellt. Die Staatssekretärin hat gesagt, dass sie sich ärgert
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6490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Carsten Sieling
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und dass alles, was wir diesbezüglich vorfinden, unan-ständig ist. Dann hat sie über Lösungen gesprochen.Aber ich habe hier nichts anderes gehört, als dass alleLösungen, die in der Diskussion sind, infrage gestelltwerden und dass die kritischen Punkte und die Problem-lagen beschrieben werden. Ich erwarte etwas anderes. Esreicht nicht, eine Studie in Auftrag zu geben. Das Pro-blem ist schließlich seit längerem bekannt. Das Ministe-rium muss zügig eine Lösung vorlegen und darlegen, inwelche Richtung es gehen soll; darum geht es.
Ansonsten – wenn ich mir diese Bemerkung erlaubendarf, Frau Staatssekretärin – reicht Ihre Darbietung zunicht viel mehr als vielleicht dazu, irgendwann einmaldie Oppositionsführerin in Rheinland-Pfalz zu werden.Das kann es aber nicht sein.
– Dass es so kommen wird, wissen wir alle. Von daherbrauchen wir uns darüber jetzt nicht aufzuregen.Ich möchte darauf eingehen, in welche Richtung dasKonzept gehen muss. Wir werden darüber reden müssen,wie man ein entsprechendes Konzept verbindlich ma-chen kann und welche nachvollziehbaren und umsetzba-ren Regeln es geben soll.
Gerade wenn man die Entgleisungen in den letzten Mo-naten sieht, ist es natürlich vom Grundsatz her richtig,einen Referenzzinssatz zu nehmen, auf den man einenKorridor setzt. Die Kritik an einem solchen Vorschlag,d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Banken haben unterschiedliche Geschäftsmo-
delle. – Natürlich muss der Korridor so beschaffen sein,
dass keine Bank gezwungen ist, ihn voll auszunutzen.
Vielmehr müssen sich andere Kostenpositionen kalkula-
torisch wiederfinden. Wenn eine Bank Girokonten führt,
muss man berücksichtigen, welche Fixkosten und wel-
che variablen Kosten – zum Beispiel für Überweisungen –
damit einhergehen. Wir brauchen einen Rahmen, der
marktwirtschaftlichen Wettbewerb der Banken um un-
terschiedliche Dinge ermöglicht. Dieser fehlt bislang.
Ich weiß gar nicht, warum man die Korridoridee kleinre-
det und auf die unterschiedlichen Geschäftsmodelle ver-
weist. Vielmehr ist ein ordentlicher Rahmen erforder-
lich, in dem sich die unterschiedlichen Geschäftsmodelle
wiederfinden. Dann konkurrieren die Finanzinstitute
endlich miteinander. Sie tun das bislang nicht und erhö-
hen nur die Dispozinsen. Das ist wirklich unanständig.
Darin gebe ich Ihnen recht.
In diese Richtung muss es also gehen.
Ich möchte nun noch ein Argument aufnehmen, das in
der Debatte von Ihnen, Herr Kollege Schweickert, ge-
nannt worden ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass die
Dispozinsen einen Bezug zum vorhandenen Ausfall-
risiko haben müssen. Es ist völlig richtig, dass ein sol-
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Er darf auch immer höher sein. – Es darf aber nicht
ein, dass man, wenn man noch im Disporahmen ist,
7 Prozent und, wenn man den Disporahmen überschrei-
t – das ist noch schlimmer –, sogar bis zu 25 Prozent
insen zahlen muss. Da besteht kein Bezug mehr zum
usfallrisiko. Deshalb muss man an dieser Stelle ein-
chreiten.
Es ist richtig und notwendig, hier das Kartellamt ins
piel zu bringen. Jeder, der das fordert – auch Sie haben
as getan –, ist auf dem richtigen Weg. Aber man kann
och weitergehen. – Wie ich sehe, ist der Staatssekretär
ampeter, der ebenfalls damit befasst ist, wieder anwe-
end. Da die Entwicklung im Bankensektor, die zu einer
ölligen Entkoppelung von den Realitäten geführt hat, in
en Zuständigkeitsbereich der Finanzaufsicht fällt, stellt
ich die Frage, warum nicht auch die BaFin für diese
erbraucherfragen zuständig ist. Herr Staatssekretär
ampeter, wie ich in der Zeitung gelesen habe, geben
ie als Amtsvertreter von Herrn Schäuble Ihren Mitar-
eiterinnen und Mitarbeitern sowie auch Ihren Staatsse-
retärskollegen gern einmal ein paar Hinweise und An-
eisungen.
achen Sie das an dieser Stelle! Sorgen Sie dafür, dass
ie Dispozinsen endlich begrenzt werden! Seien Sie eine
egierung der Tat! Darauf warten wir. Tun Sie etwas!
as brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Norbert Schindler für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Gäste auf den Tribünen! Meineamen und Herren hier im Plenum! Es ist gut, dass wirber dieses Thema reden. Es grenzt schon an Unver-chämtheit, was sich manche Bankenvorstände erlauben.arin sind wir uns alle in diesem Saal mit Sicherheit ei-ig.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6491
Norbert Schindler
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Es kann nicht sein, dass zwischen 8 und 17 ProzentÜberziehungszinsen beim Dispo berechnet werden.Kommt dann noch ein Zuschlag von 4 Prozent oben-drauf, sind es 20 oder 21 Prozent.Nun ist aber die Frage, was wir in diesem Staat nochalles reglementieren sollen. Ich komme aus dem Spar-kassenbereich Rhein-Haardt. Wenn Sie in den Test derStiftung Warentest schauen, stellen Sie fest, dass diezweitbeste Sparkasse mit 8 Prozent meine Sparkasse ist.
Ich weise nur darauf hin, dass man auch als Verwal-tungsratsmitglied auf die Geschäftspolitik der Vorständeeinwirken kann. Dies kann man auch im Genossen-schaftsbereich tun. Aber wie „Warentest“ mit Unterstüt-zung des Bundes, also des Steuerzahlers, völlig zu Rechtsolche Vergleiche anstellt und so den Markt anschiebt,das war eine gute Berichterstattung. Nur muss der Ge-setzgeber in all diesen Bereichen fragen, worin ein Kor-ridor bestehen könnte: Sind es 3 oder 5 Prozent überdem Referenzzins der Europäischen Zentralbank? Der-zeit liegt er bei zweijährigen Kreditaufnahmen der Ban-ken bei 1,32 Prozent. Bei zehnjährigen Kreditaufnahmen– der Fachbegriff ist DGZF – liegt der Zins bei2,7 Prozent. Daraus wäre zu entwickeln, was die Bankendarüber hinaus nehmen dürfen.Auf der anderen Seite reden wir vom vollständig ge-schäftsfähigen, mündigen Bürger. Wem die Abrechnungnicht passt, wer mit Ärger feststellt, dass 15 Prozent Zin-sen genommen werden, zu denen vielleicht noch Einzel-abrechnungen in Höhe von 4 Cent bis zu 20 Cent proÜberweisung und Kosten für die Kontoführung pro Mo-nat kommen, der sollte sich die schwäbische Hausfrauzum Vorbild nehmen. Sie bemüht sich, von den in Redestehenden 41 Milliarden Euro nichts in Anspruch zunehmen. Das wäre doch die Konsequenz. Im Schnittnehmen 25 Prozent der Bankkunden in der Bundesrepu-blik Deutschland Überziehungskredite in Anspruch, undzwar in Höhe von einem bis drei Monatseinkommen. Damuss man jeden Kreditnehmer einmal an die Kandarenehmen und ihn fragen: Warum dulden Sie das so? Kön-nen Sie nicht einmal fünf, sechs Monate etwas wenigerausgeben, um sich selbst aus der Zwangsjacke „Konto-überziehung“ zu befreien und beim laufenden Kontonicht mehr im Minus zu stehen? Diese Chance haben derselbstständig-mündige Bürger und natürlich auch dieBürgerin.Vor diesem Hintergrund appelliere ich an uns alle,wenn wir eine solche Diskussion führen, zwar daraufhinzuweisen, mit welcher Unverschämtheit mancheBanker dabei vorgehen, aber auch deutlich zu machen,dass jeder das Recht hat, selbst solche Zinssätze abzu-wehren. Dann soll er die Bank wechseln; dann soll er einernstes Gespräch führen. Das ist auch möglich, indemman solche Banker in der eigenen Region vorführt undihnen klar sagt, dass man so miteinander nicht umgeht.Wenn man immer nur hilflos nach dem Gesetzgeberruft und ihn auffordert, diese oder jene Latte anzulegen,dann führt dies zu Zwangswirtschaft. Lieber HerrTsuWkcfrBhhssmnicuddaSvKlame–ntevazsrüLnwzm
Ich wollte nur feststellen, dass es zwischen den einzel-en Bereichen Unterschiede geben kann.Jeder, der die Unterschiede kennt, kann doch ein erns-s Gespräch mit der Bank führen oder einen Wechselornehmen. Ich mache das; Sie selbst machen das dochuch. Ich akzeptiere keinen Zinssatz von 12 oder 15 Pro-ent. Es steht doch jedem frei, ein solches ernstes Ge-präch zu führen. Jeder hat zudem die Freiheit, sich zu-ckzunehmen und das Auto ein Jahr später zu kaufen.eute, so ist es doch! Manche sind offenbar der Mei-ung: Das Konto zu überziehen, ist sportlich; das tunir. Die Konsumgesellschaft ist angesagt. – Darauf be-iehe ich mich in meiner Rede.Nun möchte ich auf etwas anderes zu sprechen kom-en; denn es geht nicht nur um die eigene Verantwor-
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Norbert Schindler
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tung. Der Euribor-Zinssatz betrug am 1. April 20014,56 Prozent, am 1. April 2004 2,07 Prozent, am 1. Juni2008 4,86 Prozent, am 1. Oktober 2009 0,75 Prozentund am 1. August 2010 0,9 Prozent. Obwohl die Zins-sätze um fast 4 Prozentpunkte variieren, hat es bei denZinsen, die in den zehn Jahren draußen berechnet wur-den, keine gravierenden Veränderungen gegeben. Es istschon eine Unverschämtheit, wie sich da Banken berei-chert haben. Der Geschäftspartner, der Kunde kann aberprobieren, seine Macht auszuspielen; das ist nicht immernur dem Gesetzgeber zu überlassen.
– Herr Kollege, sind wir nicht volljährig, selbstständigund mündig genug? Alle rufen nach dem Gesetzgeber,und nur wenig später reden wir über zu viel Bürokratie.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? – Dann ver-
längern Sie Ihre Redezeit, Herr Kollege Schindler.
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben gesagt, man müsse nicht al-
les per Gesetz regeln. Wir haben nichts anderes vorge-
schlagen, als die Regelungen, die es für den Zahlungs-
verzug längst gibt, jetzt auch auf Dispokredite
anzuwenden. Wie können Sie dann Ihre Argumentation
aufrechterhalten, dass dies zu einer Überregulierung des
Marktes führen würde? Wir wollen nur, dass bestehende
Gesetze, die in anderen Fällen offensichtlich auch von
der Koalition akzeptiert werden, auf einen Bereich aus-
geweitet werden, in dem es keine Regulierung gibt. Wa-
rum kann das, was in anderen Bereichen längst Stand der
Gesetzgebung ist, nicht auch für Dispokredite gelten?
Ich kann nur an die Worte der Staatssekretärin
Klöckner erinnern. Sie sagte zu der Frage, ob wir ein Ge-
setzes- oder ein Vollzugsdefizit haben, dass wir hier ein
Vollzugsdefizit mehr haben. Die Überregulierung in die-
sem Staat wird in anderen Debatten in diesem Haus bis
zum Exzess gegeißelt. In der angesprochenen Frage ist
Selbstverantwortung in der Geschäftspartnerschaft ange-
sagt, auch vonseiten der Bankkunden. Wir beklagen
doch zu Recht, dass die Kunden ihre Konten überziehen.
Wenn wir das alles in Gesetzesform gießen, lassen die
nächsten Änderungen nicht lange auf sich warten.
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-tarischen Staatssekretär Steffen Kampeter für die Bun-desregierung das Wort.S
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Was mit dem Titel „Haushaltsbegleitgesetz2011“ so technisch daherkommt, ist eigentlich Bestand-teil eines wirklich fundamentalen Wechsels in der Haus-halts- und Finanzpolitik. Die alte Haushalts- und Finanz-politik, insbesondere die der letzten zwei Jahre, basierteauf der Grundlage „Wachstum durch Schulden“. Wir er-kennen jetzt, dass diese These zumindest in Zukunftnicht weiter tragfähig ist. Schuldenwachstum hat nichtzu mehr wirtschaftlichem Wachstum geführt. Vielmehrerkennen wir in diesen Tagen, dass diejenigen Staaten,die konsolidieren, sehr viel schneller, sehr viel nachhalti-ger und sehr viel überzeugender aus der Krise herausge-kommen sind.Aus diesem Grund haben wir uns, beginnend mit derKabinettsklausur und der Auflegung des Zukunftspro-gramms im Juni, entschlossen, unsere Haushalts- und Fi-nanzpolitik unter den Oberbegriff „Wachstum durchKonsolidierung und Reform“ zu stellen. Wir glauben,dass dies für die Bewältigung der Herausforderungendes 21. Jahrhunderts, für die Gestaltung der Phase nachder Krise eine zukunftsfähige Konzeption ist. Die erstenErfolge, die ersten Früchte dieser Politik können wir ander erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung diesesJahres ablesen. Dies ist eine Gemeinschaftsleistung der-jenigen, die in der Krise die Ärmel hochgekrempelt ha-ben – beispielsweise die Tarifvertragsparteien –, aber esist auch eine Leistung kluger Politik, wie sie zum Bei-spiel bei der Kurzarbeiterregelung betrieben wurde, diesich als erfolgreich erwiesen hat.Es ist aber auch festzuhalten, dass wir angesichts derguten wirtschaftlichen Entwicklung einen Grundsach-verhalt nicht vergessen dürfen. Die Wirtschaftslage istdeutlich besser als die Haushaltslage.
Der Bundeshaushalt, über den wir in der vorvergange-nen Woche diskutiert haben, weist mit fast 60 MilliardenEuro noch immer eine der höchsten Nettokreditaufnah-men in der Finanzgeschichte auf. Deswegen ist wachs-tumsfreundliche Konsolidierung das Gebot der Stunde.Das Zukunftspaket, der Bundeshaushalt und das Haus-haltsbegleitgesetz 2011 sind die Bausteine dieser wachs-tumsfreundlichen Konsolidierung. Die Ausgaben wer-den gesenkt. Die Schulden und die Nettokreditaufnahmewerden gesenkt. Die strukturellen Defizite der öffentli-chen Haushalte werden gesenkt. Zugleich halten wir dieInvestitionen stabil und stärken Bildung und Forschung.Das sind die konkreten Bausteine, mit denen wir Zu-kunft gestalten. Das sind die konkreten Bausteine füreliluvutuanDdleinnWcwmdLrishasbsVddneSlesSgspteKinsgpDp
Mit dem Zukunftspaket und dem Haushaltsbegleitge-etz gehen bestimmte sozialpolitische Maßnahmen ein-er. Der Bundeshaushalt besteht zu weit über 50 Prozentus Sozialausgaben. Unsere Konsolidierungsstrategieetzt nicht auf Steuererhöhungen, sondern auf Ausga-ensenkung und fördert damit das Wachstum. Wir müs-en uns daher auch mit den Sozialausgaben befassen.
iele in diesem Hause unterliegen dem Missverständnis,ass viel Geld für Soziales viel soziale Gerechtigkeit be-eutet. Das Gegenteil ist der Fall: Ein Sozialstaat, dericht treffsicher agiert und die Ziele, die er vorgibt, nichtrreicht, wird von den Menschen nicht akzeptiert. Einozialstaat, der viel Geld ausgibt und wenig erreicht, de-gitimiert sich in seinem Kern. Einen solchen Sozial-taat wollen wir nicht. Wir wollen einen treffsicherenozialstaat, der in den Bereichen, in denen er Geld aus-ibt, die Ziele erreicht, die er ankündigt.Ich will einige Beispiele für die Steigerung von Treff-icherheit und mehr Fairness bei staatlicher Ausgaben-olitik aus unserem Zukunftspaket nennen. Beispiel El-rngeld. Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung.ünftig wird jeder Anspruch auf Elterngeld haben, der der entsprechenden Situation ist. Es wird nur in be-timmten Bereichen auf andere Lohnersatzleistungen an-erechnet, weil wir vermeiden wollen, dass es eine Dop-elauszahlung von Lohnersatzleistungen gibt.
as ist fair, insbesondere dann, wenn man unter dem As-ekt der sozialen Gerechtigkeit nicht ausschließlich die-
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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jenigen betrachtet, die Leistungen empfangen, sondernauch diejenigen einbezieht, die die Leistungen zu finan-zieren haben.
Soziale Gerechtigkeit definiert sich auch über die sozial-versicherungspflichtige Beschäftigung. Deshalb ist esrichtig und bedeutet es mehr soziale Gerechtigkeit, wennwir Doppelforderungen ausschließen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Kressl?
S
Aber selbstverständlich, Frau Kollegin Kressl.
Herr Kollege Kampeter, wären Sie so freundlich, uns
zu erklären, warum im Haushaltsbegleitgesetz vorgese-
hen ist, dass die Frau eines sehr vermögenden Partners,
die zehn Jahre nicht gearbeitet hat, weiterhin Elterngeld
bekommen wird, obwohl das Elterngeld eine Lohn-
ersatzleistung ist, wie Sie eben behauptet haben. Das hat
doch mit Lohnersatzleistung nichts zu tun.
Ihrem Gesetz fehlt völlig die Logik.
S
Frau Kollegin Kressl, das ist ein völlig anderer Sach-verhalt, den Sie hier vortragen. Es entspricht der konti-nuierlichen Diskriminierung der Erziehungsleistung inder Familie, dass Sie diesen Sachverhalt als Beispielnennen. Jener Bevölkerungskreis, der eine Lohnersatz-leistung – wir werden im Oktober noch über das ThemaHartz-IV-Leistungen sprechen – und damit eine umfas-sende existenzsichernde Leistung inklusive der für Kin-der bekommt, würde doppelt gefördert, wenn wir ihm mitsteuerlichen Mitteln finanzierte zusätzliche Lohnersatz-leistungen geben. Zum einen wäre das nicht angemessen.Zum anderen wäre das im Hinblick auf die sozialversi-cherungspflichtig Beschäftigten und das Lohnabstands-gebot ein Fehlanreiz; das wäre unfair. Durch unsere Poli-tik hingegen sorgen wir für mehr soziale Gerechtigkeit.
Das gilt im Übrigen auch für die Veränderungen, diewir beim Heizkostenzuschlag vornehmen. Dieser Heiz-kostenzuschlag geht zurück auf eine Explosion der Heiz-kosten. Dieser Zustand ist nicht mehr existent. DieRücknahme dieses Heizkostenzuschlags ist daher nichtsanderes als eine Anpassung an die realen Verhältnisse.Es wäre unfair und sozial ungerecht, ihn beizubehalten.gwbssLBndhdaimhGddwndamKVdMSesfüwurugDfeTdszmuddlitenWruepde
Jetzt geht es darum, durch unsere Haushaltspolitik da-r zu sorgen, dass es als legitim angesehen wird, wennir von anderen Staaten verlangen, im Gleichschritt mitns zu einem Mehr an haushaltspolitischer Konsolidie-ng und zu einem Mehr an fiskalpolitischer Stabilität zuelangen. Was wir angestoßen haben, wird jetzt konkret.ie Van-Rompuy-Gruppe wird Ende Oktober ihre Emp-hlungen vorlegen. Die Kommission hat am gestrigenag mit sechs Gesetzespaketen ihren Beitrag zur Wie-ererstarkung des 2004/2005 geschwächten europäi-chen Stabilitäts- und Wachstumspaktes geleistet. Dieseigt, dass unser Vorbild auf Europa ausstrahlt und esit gemeinsamem Wirken gelingen wird, die Finanz-nd Haushaltspolitik wieder auf einen Kurs zu bringen,er nicht nur die Stabilität der Haushalte, sondern auchie Stabilität unserer gemeinsamen Währung garantiert.Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich deut-ch machen: Konsolidierung ist nicht allein zu betrach-n. Nur mit Sparen oder Konsolidieren werden wirachhaltiges Wachstum und Stabilität nicht erreichen.ir müssen diese wachstumsfreundliche Konsolidie-ng durch eine Reformstrategie begleiten. Deswegen ists richtig, dass wir beispielsweise in der Gesundheits-olitik bei den Reformen wieder Tempo aufnehmen under Gesundheitsminister Rösler heute hier im Parlamentngagiert Stellung bezogen hat.
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Auch das ist ein Beleg dafür, dass unsere Konsolidierungs-strategie begleitet wird durch glaubwürdige Reform-elemente in anderen Bereichen. So entsteht ein Gesamtbild:Konsolidierung plus Reform. Das ist der Markenkernvon wachstumsfreundlicher Konsolidierung. Das ist zu-kunftsgerichtete Politik. Das ist christlich-liberale Ver-antwortung.
Das Wort hat nun Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Was jetzt deutlich wird, ist das Bild von Schwarz-Gelb. Bisher haben Sie sich hinter Ihrem Nichtstun ver-steckt. Herr Kampeter, die Schulden, die Sie eben ge-nannt haben, haben Sie in den vergangenen Jahren mitverursacht. Es gibt einen guten Grund für diese Schul-den. Hätten wir die Konjunkturprogramme nicht aufge-legt, wäre die Situation in diesem Land jetzt noch vielschlimmer. Dann hätten wir nicht nur 3 Millionen Ar-beitslose. Das vergessen Sie gerne.
Das Bild, das Sie von der Zukunft in diesem Land ge-zeichnet haben, dass Sie von Freiheit und Verantwortunggezeichnet haben, zeigt, was uns in diesem Land erwar-tet. Ich habe den Eindruck, dass es bei Ihnen um Freiheitvon Verantwortung geht, insbesondere bei denen, die essich eigentlich leisten könnten, Verantwortung zu über-nehmen.
Ich will einmal aufzeigen, welche Auswirkungen die-ses Gesetz, das aus 23 Artikeln besteht, im Sommer2011 haben wird. Im Sommer 2011 wird es zwei Lagerin diesem Land geben. Da wird es die Familie geben, diemit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen will. Das wirdteurer für sie, weil Sie eine neue Steuer auf Flüge einfüh-ren.
– Herr Fricke!
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ie haben gesagt, dass Sie kein Gesetz unterschreiben, inem nicht Steuersenkungen drin sind. Sie wollen keineteuererhöhung.
Jetzt tun Sie das Gegenteil dessen, Herr Fricke. Siehren eine neue Steuer ein.
Zu denjenigen, die wenig verdienen. Ich habe heute iner Post den Brief einer Rentnerin gehabt. Herrampeter, Sie haben das mit dem Wohngeld gerade an-esprochen. Wir haben in der letzten Legislaturperiodeas Wohngeld erhöht. Wir haben für diejenigen, die ge-de so viel verdienen, dass sie nicht Hartz-IV-Empfän-er sind, und die Rentner, die eine relativ niedrige Renteaben und daher Wohngeld erhalten, den Heizkostenzu-chuss eingeführt. Da haben Sie mit zugestimmt. Die da-alige Begründung waren nicht die hohen Preise, son-ern es waren vor allem die niedrigen Löhne undenten, die wir stützen wollten.Ich kann Ihnen also von einer Bürgerin aus meinemahlkreis berichten, die mir vorgerechnet hat, wie vielie im Monat hat: Nettorente 588 Euro, Wohngeld0 Euro, Heizgeld 24 Euro. Das heißt, sie verliert in ei-em Jahr Monat für Monat die 24 Euro. Sie sagt, sieabe nicht einmal mehr Geld, um die GEZ-Gebühren füren Fernseher zu bezahlen. Das sind Leute, die an demetzten knabbern, was sie haben. Diese Menschen blu-n in diesem Land für Ihre Politik.
Es geht weiter mit denen, die Sie eigentlich entlastenollten, nämlich den Arbeitnehmerhaushalten. Dieseerden belastet. Sie werden belastet durch höhere So-ialabgaben – höhere Sozialabgaben sind eine Belastung –,uch bei der Krankenversicherung, weil es Ihnen nichtelingt, die Kosten in den Griff zu bekommen. Im Ge-enteil, die private Krankenversicherung wird mitMilliarde Euro aus dem Bundeshaushalt zulasten deresetzlichen Krankenversicherung gestützt.Es geht weiter mit der Pharmaindustrie, die Ihnen dieesetze diktiert, was dazu führt, dass Mehrausgaben inilliardenhöhe entstehen. Die Bürgerinnen und Bürger diesem Land, die jeden Tag arbeiten gehen, werdenas bezahlen. Das heißt, weniger Netto vom Brutto. Dast das Gegenteil dessen, was wir bräuchten, und auchas Gegenteil dessen, was Sie versprochen haben.Dazu kommen die Kürzungen im Bereich des Ar-eitslosengeldes. Der Zuschlag für diejenigen, die Ar-eitslosengeld I erhalten haben und dann Arbeitslosen-eld II bekommen, wird komplett gestrichen. Das fehltei der Binnennachfrage, und es fehlt natürlich denenschen mit den geringsten Einkommen.
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6496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Carsten Schneider
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Ich glaube, sie hätten sogar Verständnis dafür, dass sieetwas geben sollen; denn sie wissen: Die Situation istkritisch. – Aber wenn man einmal den Blick auf Europawirft und sich die Proteste gestern in Spanien ansieht,dann muss man eines festhalten: Sie werden eine Konso-lidierungsstrategie, einen Ausgleich des Staatshaushaltsnur hinbekommen, wenn Sie die Bürgerinnen und Bür-ger mitnehmen, wenn es sozial gerecht zugeht. Das Ur-teil über dieses Gesetz ist ganz eindeutig: Es ist nicht so-zial gerecht und nicht ausgewogen. Im Gegenteil, es istsozial ungerecht, weil die FDP sich zu 100 Prozentdurchgesetzt hat.
Vermögende in diesem Land werden nicht herangezo-gen. Auch eine Finanztransaktionsteuer gibt es nicht.
Herr Schäuble hat vorige Woche in einem Hintergrund-kreis des Wirtschaftsrates – so heißt das, glaube ich, beider CDU – gesagt, er sei kein Freund der Finanztrans-aktionsteuer. Die Krise auch der öffentlichen Haushaltehaben wir nur, weil sich an den Finanzmärkten Men-schen mit sehr viel Geld verspekuliert haben.
– Herr Kampeter, Sie haben die Finanztransaktionsteuerin Ihre mittelfristige Finanzplanung geschrieben. 2 Mil-liarden Euro wollen Sie darüber ab 2012 jedes Jahr ein-nehmen. Herr Schäuble aber hat erklärt, er sei keinFreund davon. Er wird sie in Europa auch nicht durch-setzen. Das ist doch der Punkt. Er hat uns hier etwas vor-gemacht. Ihnen geht es nur darum, die Armen zu schröp-fen und die Reichen zu schonen, meine Damen undHerren. So bitter ist das.
– Tut mir leid. Ich kann nur das bewerten, was hier vor-liegt und was Sie bisher beschlossen haben.Ich will Ihnen auch sagen, was unsere Gegenvor-schläge wären. Es geht auch gerecht. Nehmen Sie daszum 1. Januar 2010 – man kann es nicht oft genug sagen –in Kraft getretene Gesetz, das den Hoteliers 1 MilliardeEuro einbringt, zurück!
Nehmen Sie noch die Geschenke für die Unterneh-men und die reichen Erben dazu! Dann sind wir bei3 Milliarden Euro. Erhöhen Sie, wie es ursprünglichauch in der CDU, als sie – zumindest inhaltlich – nochVolkspartei war, Konsens war, den Spitzensteuersatz inDeutschland! Die Leute sind bereit, ein Stück weit zu-rückzugeben, damit in diesem Land sozialer Friedenherrscht.DdkMbünswSjemDmmGkrecSaraZleDvnmbhle–ninkk
as tun Sie aber nicht; im Gegenteil.Als Letztes wollen Sie das Lohnabstandsgebot da-urch erreichen, dass Sie bei den Hartz-IV-Empfängernürzen.
Herr Kampeter, eine Frau, die von Hartz IV lebt undutter wird, hat bisher Elterngeld in Höhe von 300 Euroekommen. Es nutzt dieser Frau – und dem Kind – nunberhaupt nichts, wenn Sie sagen, das sei systemischicht gerecht. Genau das hat der Bundestag hier be-chlossen. Wir haben es guten Gewissens getan, weil wirollten, dass sie diese zusätzlichen 300 Euro bekommt.ie braucht sie nämlich. Es handelt sich hierbei um die-nigen, die am wenigsten haben und das Geld daher ameisten brauchen. Sie kürzen an dieser Stelle radikal.as ist das Gesicht von Schwarz-Gelb. Mit Verlaub: Sieachen Politik für die Atomkonzerne und für die Phar-alobby. Bei den Armen aber kürzen Sie. Das ist dasesicht von Schwarz-Gelb. Das ist ziemlich bitter undalt.
Das Wort hat nun Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Herr Schneider, es ist schon bemerkenswert, wel-hes Bild von diesem Land Sie zu erzeugen versuchen.ie mögen weiterhin Ihre Vorurteile haben. Sie werdenber bemerken, dass es Ihnen am Ende nichts nutzt. Ge-de als Haushälter müssten Sie doch eigentlich vonahlen reden und nicht nur von Gefühlen und Vorurtei-n.
as passt gar nicht zu Ihnen. Sie sind in der Sache dochiel besser.Ich sage Ihnen einmal, was Sie hätten erwähnen kön-en. Sie hätten es am liebsten getan, haben es aber ver-ieden. Sie hätten fragen können: Wie hoch war die Ar-eitslosenquote vor einem Jahr, und wie hoch ist sieeute? Wie viele Hunderttausend Leute mehr sind mitt-rweile in Arbeit, weil die Politik des letzten Jahresbei aller Kritik – so gut funktioniert hat? Ich kann Ih-en eines sagen: Diese 300 000 Leute, die nun weniger Arbeitslosigkeit sind, sind es, worauf es uns an-ommt. Für Sie kommt es auf Vorurteile an. Für unsommt es auf Arbeitsplätze an. Darum muss es gehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6497
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willig in die Opposition gehen! – HubertusHeil [Peine] [SPD]: Sie haben gegen jedeMaßnahme gestimmt, die uns durch die Krisegebracht hat!)Herr Kollege Schneider, ich hätte von Ihnen erwartet,dass Sie in Bezug auf das Thema Sparen einmal überle-gen, wie man es dem Bürger sagt. Man müsste docherklären: Ja, es ist in den letzten Jahren in der Tat eineVerschuldung aufgebaut worden. Ja, wir haben eine Re-kordverschuldung. Bürger, bitte verstehe: Es ist beimStaat wie bei dir auch. Wenn du zu viele Schulden hast,dann musst du irgendwann auch an deine Ausgaben he-rangehen. – Diese Ehrlichkeit vermissen wir als Koali-tion bei Ihnen. Diese Art von Ehrlichkeit wurde dochbisher von Ihnen immer unterstützt.
Man kann nicht jahrelang immer nur mehr fordern,wenn man am Ende der Krise nicht bereit ist, zu sagen:Wir müssen in der Zeit sparen, um in der Not zu haben. –Diese Koalition spart,
wissend, dass es nicht einfach ist, dies zu erklären. Es istimmer der einfache Weg, wenn man sagt: Wir gebenmehr.
Sie gehen den einfachen Weg. Sie haben an keinerStelle gesagt, dass Sie unangenehme Sachen machenwollen.
Ich möchte den Bürgerinnen und Bürgern einmal sa-gen: Sicherlich kann man diese Politik fahren. Natürlichhört es sich im ersten Moment gut an, wenn ein Politikersagt: Du kriegst das. Das ist gerechter. Das ist sozialer.
Sie vergessen aber völlig, was am Ende dabei heraus-kommt. Und das ist spätestens nach einer Legislatur-periode der Fall. Das wäre auch der Fall, wenn Sie wie-der an die Macht kämen. Sie würden als Nächstes nichtnur die angebliche Reichensteuer erhöhen. Sie würdenmachen, was Sie in der Vergangenheit auch gemacht ha-ben: Sie würden die Mehrwertsteuer erhöhen. Nichts an-deres würden Sie machen. Und wer würde leiden? Dievon Ihnen genannte Dame aus Ihrem Wahlkreis würdeleiden. Der Rentner würde leiden. Der Hartz-IV-Emp-fänger würde leiden.
DsuWDzFSdsSzFIszRdgk–HWrein–hDIcLteDhre
t denn das, was die Koalition im nächsten Jahr für So-iales ausgibt, prozentual weniger als das, was Sie unterot-Grün ausgegeben haben? Nein, auch das ist nichter Fall. Das ist auch keine Trickserei. Wissen Sie, derroße Vorteil ist: Zahlen lügen nicht, und gegen Zahlenann man nicht allein mit Emotionen ankommen.
Sehen Sie, das ist Ihre Reaktion. Für die linke Seite desauses ist es so, dass sogar Zahlen lügen.
er so Haushaltspolitik macht und so über die Zukunftdet, der kann zukünftigen Generationen nicht ehrlich die Augen schauen. Das sollten Sie sich merken.
Entschuldigung, es war doch gerade so, dass ich gesagtabe: Zahlen lügen nicht. – Dann haben Sie gesagt:och, natürlich; das können sie.
h muss sagen: Wenn das so ist, haben Sie in den letztenegislaturperioden, zumindest unter Ihren Finanzminis-rn, ein wirklich interessantes Bild abgeliefert, meineamen und Herren.
Ich will noch auf das Thema Soziales eingehen. Esieß, soziale Maßnahmen seien nicht vorgesehen. Unse-n Bürgerinnen und Bürgern sage ich: Diese Koalition
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6498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Otto Fricke
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stellt im Bereich Soziales für die gesetzliche Kranken-versicherung 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfü-gung.
– Nein, lieber Kollege Schneider,
dieses Geld ist nicht für die private Krankenversiche-rung.
Lieber Kollege Schneider, Sie wissen ganz genau, dassdiese 2 Milliarden Euro für die gesetzliche Krankenver-sicherung bereitgestellt werden.
Es geht um die Frage, ob Sie sich diesen Zahlen verwei-gern oder ob Sie diese Zahlen zur Kenntnis nehmen undanerkennen – das ist gerade schon dargelegt worden –,dass im nächsten Jahr aufgrund unserer guten Politik vonden gesetzlichen Krankenkassen keine Zusatzbeiträgeerhoben werden müssen. Auch dies verschweigen Sie.Meine Damen und Herren, zum Schluss. Es werdennoch umfangreiche Beratungen dieses Haushaltsbegleit-gesetzes, das sich technisch anhört, stattfinden.
Es kann sicherlich auch noch Verbesserungen geben.Aber eines steht für diese Koalition fest: Die Verbesse-rungen müssen sich erstens im Rahmen der Verfassungbzw. der Schuldenbremse bewegen, die Sie völlig igno-rieren.
Zweitens müssen diese Verbesserungen konkret, belast-bar und geeignet sein. Ich bin sehr gespannt, welchenBeitrag Sie dazu liefern werden, außer der WiederholungIhrer Vorurteile, außer dem Verneinen von Zahlen undaußer der Verkennung der Verantwortung gegenüber zu-künftigen Generationen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-statten Sie mir zu Beginn, beste Genesungswünsche anddUbgfugFdIcwFlis6uinwbwredHnjeMDSASHkHAÄd5
Ich will zunächst darauf eingehen, dass von einemndamentalen Wechsel die Rede war. Im Haushaltsbe-leitgesetz steht, dass eine Wende in der Haushalts- undinanzpolitik vollzogen wird und dass es zur Einleitunger Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kommt.
h muss schlicht und einfach feststellen, dass das nichtahr ist. Es gibt keine Wende in der Haushalts- undinanzpolitik des Bundes, und die Einleitung der Konso-dierung der öffentlichen Haushalte findet nicht statt.
Eben wurde gesagt: Zahlen lügen nicht. – Hören Sieich die Zahlen an: Im nächsten Jahr machen wir rund0 Milliarden Euro neue Schulden,
nd die Koalition sagt, dass in dieser Legislaturperiodesgesamt 200 Milliarden Euro neue Schulden gemachterden. Das ist die Realität.Das Markenzeichen Ihrer Koalition sind Kürzungenei den Ärmsten der Gesellschaft. Das ist die Realität.Ich höre immer wieder, dass Sie treffsicher vorgehenollen. Lassen Sie uns doch einmal über das Elterngeldden. Wie ist denn da die Praxis? Bei wem kürzen Sieas Elterngeld? Sie kürzen es ausschließlich bei denartz-IV-Empfängern. Eine Millionärsgattin bekommtatürlich den bisherigen Betrag auch weiterhin. Selbstmand, der nicht gearbeitet hat, bekommt 300 Euro proonat. Aber bei den Ärmsten streichen Sie.
aran ist nur eines treffsicher: eine Kürzung bei denchwächsten der Gesellschaft.Ein anderes Beispiel ist der Übergang vomrbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II. Hier kürzenie. Warum an dieser Stelle? Warum streichen Sie deneizkostenzuschuss? Sie sagen, die Preise seien gesun-en. Einverstanden! Angesichts dessen hätten Sie deneizkostenzuschuss vielleicht etwas kürzen können.ber Sie streichen ihn komplett. Auch das trifft diermsten der Gesellschaft.Zu diesem Thema gehört auch – das ist die Kehrseiteer Medaille –, dass Sie den Banken inzwischen0 Milliarden Euro direkte Kapitalhilfen gegeben haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6499
Dr. Dietmar Bartsch
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Das ist die Wahrheit. Die Garantieübernahmen haben in-zwischen eine Größenordnung von 200 Milliarden Euro,
und niemand weiß, was uns HRE und andere Banken inden nächsten Tagen kosten werden. Das alles gehört mitzur Wahrheit.
Ja, die Bundesregierung hat gespart. Sie hat wiedereinmal an sozialer Gerechtigkeit gespart, das allerdingssehr heftig.
Natürlich muss ich noch kurz auf die Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regel-sätzen eingehen. Dazu kann ich nur sagen: Der Bergkreißte und gebar letztlich ein Mäuschen. – Warum aus-gerechnet diese neue Schikane der von Hartz IV Betrof-fenen, wie die Kanzlerin gesagt hat, ein sehr großerSchritt für die Menschen sein soll, um aus Hartz IV he-rauszukommen, können Sie niemandem erklären. Es istein Hohn, diese Regelsätze willkürlich und nach Kassen-lage festzulegen. Aber das Entscheidende ist: Mit dieserRegelung finden Sie sich damit ab, dass Menschen inArmut leben. Das ist schlicht eine Tatsache.
Die Regierung hat keinerlei Kenntnis und Einfühlungs-vermögen, was die Lage derjenigen Menschen angeht,die wirklich am Existenzminimum leben müssen.
Im Übrigen – das möchte ich noch ergänzen; dasmuss man festhalten – hat die Sozialdemokratie sehr lautdazu geschrien; wie ich finde, zu Recht. Sie hat aber of-fensichtlich vergessen, dass der Regelsatz, der davorgalt, in sozialdemokratischer Verantwortung eingeführtworden ist. Ich hoffe nur, dass Sie im Bundesrat einStück weit Wiedergutmachung leisten, wenn Sie dieserSache in Konsequenz nicht zustimmen, und dass Sienicht irgendwelche Kompromisse machen, die nicht ak-zeptabel sind.
dgsESAbKdn––ZIsisvEVnbuSHnMnrudgafiwloÄkwd
t die Luftverkehrsabgabe eine Steuererhöhung? Ja, siet eine Steuererhöhung. Das widerspricht doch Ihrenor der Wahl gemachten Versprechungen, Herr Fricke.
s bleibt dabei: „Einfach, niedrig und gerecht“ war Ihrersprechen. Richtig ist: Die Umfragen sind einfach,iedrig und gerecht, und das ist auch gut so.
Ihre Politik, die in dem Haushaltsbegleitgesetz sicht-ar wird, ist falsch. Sie ist ungerecht, sie ist unsolide,nd sie ist auch unsozial. Sie kürzen bei Investitionen,tichwort „Stadtumbauprogramm“.
err Kampeter, Sie sagen, Sie würden da kürzen, wo esotwendig sei. Warum tun Sie das dann? Selbst derinister ist dagegen. Das ist eine völlig falsche Maß-ahme. Bei der Gebäudesanierung ist es genauso. Wa-m kürzen Sie genau dort, wo wirklich Investitionen fürie Zukunft geleistet werden müssen? Das alles ist einerundsätzlich falsche Politik. Die Linke wird dies nichtkzeptieren.Ich kann nur hoffen, dass in den Beratungen, die statt-nden werden, auch unsere Vorschläge ernsthaft geprüfterden; denn dieser neoliberale Kurs ist nicht alternativ-s. Es muss Schluss sein mit dem Abkassieren bei denrmsten der Armen. Steuerpolitische Handlungsfähig-eit für Bund, Länder und Kommunen muss hergestellterden.Da Sie unsere Vorschläge vielleicht nicht so gut fin-en, will ich einen Saarländer zitieren,
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6500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Dietmar Bartsch
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nämlich den Ministerpräsidenten des Landes Saarland,Herrn Müller. Er sagt: Unsere Steuerquote ist die nied-rigste in Europa. Da sehe ich Spielraum. – Der Mann hatrecht.
Deswegen sage ich Ihnen: Warum machen Sie in dieserSituation keine Millionärsteuer?
Warum kassieren Sie nicht bei denjenigen, die extremviel haben? Die Zahl steigt; wir bewegen uns auf die900 000 zu. Eine bescheidende Millionärsteuer bei ei-nem Freibetrag von 1 Million Euro würde wirklich nie-manden in Armut stürzen.
Warum denken Sie nicht über die Erbschaftsteuer nach?Das ist eine Reform, die wirklich nur die privaten Geld-vermögen, nur das Immobilienvermögen betrifft. Auchdas würde Milliarden in die Haushalte spülen.
– Bitte?
– Das bekommen die Länder.
– Ich habe von der Haushaltslage des Bundes, der Län-der und der Kommunen gesprochen. Sagen Sie etwa,dass es den Ländern gut geht, Herr Fricke? Selbst in denLändern, in denen Sie regieren, ist das nicht der Fall.Warum denken Sie in dieser Situation nicht über Ein-nahmeerhöhungen über den Spitzensteuersatz nach?Was ist denn so absurd, ihn angesichts dieser Krise wie-der in Richtung 50 Prozent anzuheben?
Warum kommt man nicht darauf? Auch Menschen in Ih-rer Partei sagen, man sollte ihn wieder anheben. Siemüssen in dieser Situation über Einnahmeerhöhungennachdenken; denn Sparen bei den Ärmsten ist der fal-sche Weg.
Eine wirkliche Wende hin zu Gerechtigkeit steht aufder Agenda. Wir haben heute früh über 20 Jahre deut-sche Einheit diskutiert. Haben Sie den Mut, in dieserschwierigen Situation Entscheidungen zu treffen, die inKonsequenz eingreifen! Nehmen Sie die Vorschläge derOpposition ernst, damit Deutschland gerechter wird!
Das Wort hat nun Alexander Bonde für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er-uben Sie mir, am Anfang zu sagen, dass es mir als Ba-en-Württemberger schwerfällt, nach den Vorfällen, dieich gerade in Stuttgart abspielen, heute Abend hier ininer ruhigen Parlamentsdebatte zu sitzen. Dort ist näm-ch, ausgehend von den Verantwortlichen, eine unver-ntwortbare Brutalität eskaliert.
zwischen sind tausend Bürgerinnen und Bürger mitugenverletzungen – durch Reizgas verursacht, das voner Polizei eingesetzt wurde – in den Krankenhäusern.ort wurde eine Prügelattacke gegen 14-jährige Schüle-nnen und Schüler für ein milliardenschweres Großpro-kt durchgezogen, das Sie durchsetzen.
Ich finde, eine Fraktion, die sich christlich nennt, sollteich solche Zwischenrufe wirklich schenken, Herrichelbach.
s ist eine Schande, dass in diesem Parlament ein Poli-eieinsatz dieser Brutalität auch noch per Zwischenrufgitimiert wird. Ich schäme mich wirklich dafür, dass iniesem Land Vorgänge, wie wir sie heute in Stuttgart er-bt haben, möglich sind. Das muss ich an dieser Stelleirklich deutlich sagen.
Was wir in Stuttgart erleben, hat nur mittelbar etwasit dem Bundeshaushalt zu tun, über den wir hier auchiskutieren. Was haben wir in den letzten zwei Wochen,lso zwischen der ersten Lesung des Bundeshaushaltsnd der heutigen ersten Lesung des Entwurfs des Haus-altsbegleitgesetzes 2011, erlebt? Der Gesetzentwurf hatich verändert. Vor zwei Wochen waren noch Elemententhalten, durch die in geringem Maße auch Unterneh-en an den notwendigen Konsolidierungen im Bundes-aushalt beteiligt würden.Was war inzwischen? – Die Kanzlerin war beim BDI,em Bundesverband der Deutschen Industrie. Sie hatort nicht die Rede gehalten, die sie einmal angekündigtat und bei der es um die offensive ökologische Neuaus-chtung auch bei der Besteuerung gehen sollte. Sie hatort auch nicht darüber gesprochen, was sie hier ver-prochen hat, dass nämlich die Ausnahmen bei der Öko-
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Alexander Bonde
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steuer wenigstens im kleinen Maße bereinigt werden, in-dem Mitnahmeeffekte ausgeschlossen werden. Das wardie Ansage, mit der die Kanzlerin hier in die Diskussionüber den Bundeshaushalt hereinmarschiert ist. Der Ab-bau dieser Mitnahmeeffekte hat nicht mal einen Auftrittbeim BDI überlebt. Hieran sieht man wieder, wieSchwarz-Gelb am Gängelband der Lobbyisten hängt
und dass Sie es nicht einmal schaffen, diese Mitnahme-effekte, die ökologisch auch noch doppelt falsch sind,tatsächlich abzuschaffen. Was in den letzten zwei Wo-chen hier passiert ist, ist auch ordnungspolitisch ein Ar-mutszeugnis.
Das bedeutet 1 Milliarde Euro mehr für den BDI,1 Milliarde Euro gegen die ökologische Modernisierungin diesem Land.Auf der anderen Seite des Konsolidierungspaketespassiert nichts. Dort sind weiter 2 Milliarden Euro weni-ger für die Rentenversicherung für Arbeitslose vorgese-hen.
Herr Kollege Bonde, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Fricke?
Aber immer.
Erstens. Herr Kollege Bonde, auch wenn ich Ihre
Aufregung emotional nachvollziehen kann, möchte ich,
damit das hier nicht so stehen bleibt, schon noch feststel-
len: Es ist für jeden in diesem Parlament ein unangeneh-
mes Gefühl, wenn jemand im Rahmen einer Demonstra-
tion verletzt wird. Ich glaube, Unterstellungen, dass das
der einen oder anderen Seite egal ist, passen nicht. Ich
gehe aber auch davon aus, dass Sie das nicht so gemeint
haben.
Zweitens. Sie behaupten hier jetzt, dass die Strom-
steuer und die möglichen Änderungen im Rahmen der
Verfassung unter gleichzeitiger Deckung, wie es die
Bundeskanzlerin gesagt hat, angeblich nicht in dem Ge-
setzentwurf stehen. Das klang so heraus. Könnten Sie
wenigstens kurz bestätigen, dass das nicht der Fall ist,
sondern dass das weiterhin hier in dem Gesetzentwurf
steht, den wir heute hier beraten, dass das Teil der Bera-
tungsgrundlage ist und dass da nichts herausgenommen
worden ist?
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Zum Subventionsabbau: Das bisschen, was Sie da an-ekündigt haben, soll ja hier schon kassiert werden. Dieüddeutsche Zeitung hat es heute im Kommentar sehrchön auf den Punkt gebracht: „Das war’s mit dem Sub-entionsabbau“, schreibt sie. Ich finde, den denkwürdi-en Satz zum Schluss sollten Sie sich ins Stammbuchchreiben. Die Süddeutsche Zeitung schreibt:In einem CDU-Wahlprogramm jedenfalls sollte derbeliebte Begriff „Subventionsabbau“ nie wiederauftauchen.as ist die adäquate Zusammenfassung der Vorgänge inen letzten zwei Wochen.
Sie zementieren die ökologische Schieflage. Die öko-gische Verschuldung wird dadurch größer, dass Sieier selbst die kleinsten Teile einer sinnvollen Strategie Subventionsabbau zurückziehen. Beim Luftverkehrassiert das Gleiche. Diese Branche wird jährlich mit
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Alexander Bonde
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rund 11,5 Milliarden Euro subventioniert: circa 7,2 Mil-liarden Euro durch Energiesteuerbefreiung des Kerosins,circa 4,2 Milliarden Euro durch die Mehrwertsteuerbe-freiung für internationale Flüge. – Das sind alles keineZahlen von mir, sondern Zahlen vom Umweltbundes-amt.
Jetzt haben Sie sich endlich dazu durchgerungen,Kollege Fricke, sich in Form der „Flugticketabgabe“oder – seien wir mal ehrlich und nennen es so – der Be-steuerung von Flugtickets hier mal so ein bisschen he-ranzurobben. Dies ist zwar nur ein Bruchteil der falschenSubventionen, aber Sie haben sich wenigstens mal he-rangewagt. Ich als Grüner bin dafür und sage: MachenSie das!Nur, der entscheidende Punkt ist: Selbst an der Stellesind Sie nicht in der Lage, es wirklich durchzuhalten. Siehaben keinen Plan zur Ökologisierung des Verkehrs mitklaren Lenkungseffekten. Stattdessen machen Sie wiedereinen Wirrwarr an Einzelausnahmen, Sonderbegünsti-gungen und Ähnlichem. Auch da wieder belegt das, wasSie als Haushaltsbegleitgesetz auf den Tisch gelegt ha-ben, Ihr völliges ordnungspolitisches Versagen.
Die soziale Verschuldung steigt. In den letzten Wo-chen haben wir nun weiß Gott genug Gründe dafür aufden Tisch gepackt, weshalb wir meinen, dass Sie hin-sichtlich der Rentenbeiträge für Bezieher von Arbeitslo-sengeld II auf einem völlig falschen Gleis sind. Davorgibt es bundesweit Warnungen von Ihren kommunalenVerantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern,von der Rentenversicherung und von Betroffenen. Nur,interessanterweise bewegt sich da bei dieser Koalitionnichts. Millionen Betroffene, Tausende betroffene Kom-munen sind nichts wert. Ich frage mich dann schon: Je-der Pfiff des Lobbyisten bringt Bewegung in diese Ko-alition, und dort, wo es um echte Betroffenheit geht,dort, wo es um die Zukunft der Rentenversicherung geht,dort, wo es um die kommunale Handlungsfähigkeit, umdie Zukunft bei den Kommunalfinanzen geht, da bewegtsich diese Koalition nicht.Man hat schon langsam den Eindruck, Sie sind wirk-lich in sozialpolitischen Autismus verfallen, sehr geehrteDamen und Herren von CDU und FDP.
Die Schieflage beim Elterngeld wurde bereits be-nannt. Auch da ist die Logik klar: Wer viel verdient,wird nicht belastet, wer durchschnittlich verdient, wirdein wenig belastet, und bei den Schwachen nimmt manalles. Das ist die Logik, die sich quer durch dieses Haus-haltsbegleitgesetz zieht. Ich weiß nicht, was Sie damitbegleiten, aber eine sinnvolle Haushaltskonsolidierungist es sicherlich nicht.
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Das Wort hat nun Kollege Hans Michelbach für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diechwerste Finanz- und Wirtschaftskrise hat eine histo-sch hohe Staatsverschuldung und einen makroökono-ischen Wohlstandsverlust allein in Deutschland inner-alb von zwei Jahren in Höhe von 170 Milliarden Eurour Folge gehabt. Aber: Die teuren Rettungsschirme wa-n notwendig, und das antizyklische Vorgehen war auseutiger Sicht richtig.
as zeigen die erfolgreiche Krisenbewältigung und dieonjunkturerholung. Das Wachstum hat für neue Ar-eitsplätze und Mehreinnahmen der Kommunen und desundes gesorgt. Das hohe Haushaltsdefizit war also zu-ächst unvermeidlich, um mit zielgerichteten Wachs-msimpulsen den Weg aus der Krise zu ebnen. Nun, das wirtschaftlich wieder spürbar bergauf geht, müssenir natürlich umsteuern, müssen wir zügig mit dem Ab-au der nicht dauerhaft akzeptablen Schuldenquote be-innen. Wir leiten heute die Konsolidierung der öffent-chen Haushalte mit diesem Haushaltsbegleitgesetzonsequent ein.
ie Ausgabenreduzierungen, die unausweichlich sind,ind ausgewogen, maßvoll und vor allem auch konjunk-rschonend und geben damit den Menschen in unseremand neue Chancen. Darauf kommt es an.
Wir sichern damit auch mit Blick auf die nachfolgen-en Generationen die Zukunftsfähigkeit unseres Staates.as ist eine Herkulesaufgabe, der wir uns verantwor-ngsbewusst stellen müssen. Wir haben Grund zur Zu-
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Dr. h. c. Hans Michelbach
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versicht, dass wir die Konsolidierung in der Zukunftschaffen. Wir nehmen hier zur Kenntnis, dass Sie vonder Opposition jede Einsparung und jeden Vorschlag zurKonsolidierung ablehnen.
Sie machen Politik nach dem Prinzip: Freibier für alle,Transferleistungen für alle. Sie sagen aber nicht, woherdie Mittel dafür kommen sollen.
Nur draufsatteln, neue Forderungen stellen und neueVersprechungen machen, das ist keine verantwortungs-volle Politik.
Sie müssen doch sehen, dass wir nicht alleine in dieserSituation sind. Sie schlagen sich in die Büsche. Alle an-deren Länder in der EU und in der Welt, die großen In-dustriestaaten haben Sparpakete auf den Weg gebracht.Sie von der Opposition stehen mit Ihrer Ausgaben- undSchuldenpolitik völlig alleine in dieser Welt. Alle müs-sen konsolidieren und werden zum Erhalt der Währungs-sicherheit und der Sicherheit der Weltwirtschaft diesenWeg beschreiten müssen. Wir stehen von allen großenIndustriestaaten Gott sei Dank immer noch am bestenda. Mit einem Staatsdefizit von 3,3 Prozent in diesemJahr liegt die Bundesrepublik Deutschland von den27 Staaten der Europäischen Union unter den erstenfünf. Im Vergleich mit den Industriestaaten stehen wirganz vorne. Wir sind Wachstumslokomotive – das ist un-ser Anspruch – und nicht Schlusslicht, das wir wären,wenn wir Ihre Vorschläge befolgen würden.Sie beklagen unter anderem den Rettungsschirm fürdie Banken. Sie müssen aber einmal anerkennen: Dashaben wir doch nicht für uns getan, sondern das habenwir zur Rettung der Sparkonten und zur Sicherung derArbeitsplätze getan. Das ist die Situation.
Sie werfen uns vor, dass wir im Sozialbereich kürzen.
Wir verlangen von den Menschen keine Opfer, sondernwir sichern ihre Sozialversicherungssysteme. So wirdein Schuh daraus. Das ist das Prinzip.
Im Bereich des Sozialetats müssen Opfer gebracht wer-den, weil dieser einen Anteil von 54 Prozent am Bundes-haushalt hat. Man kommt angesichts dieser Zahlen umeine ausgewogene und vernünftige Einsparung gar nichtumhin.
Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir diese Maßnah-men ergreifen.npvnDWtewüdzdsmtueetiredsvwteeingimhdSnkKSdas
as ist der richtige Ansatz, um auch in der Zukunftachstum zu erzielen. Es gibt einen entscheidenden Un-rschied zwischen dem, was Sie fordern, und dem, wasir tun. Sie fordern Steuererhöhungen, unter anderember eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Dafür wür-en die Bezieher der mittleren Einkommen die Zecheahlen. Wir wollen, dass mehr Menschen arbeiten undass Arbeit sich lohnt. Leistung darf nicht dadurch be-traft werden, dass der Staat den Ertrag der Arbeit über-äßig besteuert. Mit unserer Politik werden wir Wachs-m erzielen. Arbeitswillige werden so immer wiederinen Arbeitsplatz und eine neue Chance in Deutschlandrhalten.Danke schön.
Das Wort hat nun Hubertus Heil für die SPD-Frak-
on.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Herr Michelbach, Sie haben in Ihrer Analyse, wie esazu kam, dass wir jetzt in Deutschland eine gesamt-taatliche Haushaltskonsolidierung vornehmen können,ollkommen recht. Wir können miteinander feststellen,ie Deutschland im Jahr 2008 dastand. Im Jahr 2008 un-r der Ägide von Finanzminister Peer Steinbrück gabs, gesamtstaatlich gesprochen, ausgeglichene Haushalte Deutschland. Herr Kampeter, unter der Ägide des Vor-ängers von Herrn Schäuble hätten wir ohne Finanzkrise Jahre 2010/2011 einen ausgeglichenen Bundeshaus-alt. Ich will das an dieser Stelle einmal sagen. Es gehtarum, klarzustellen, was uns eingebrockt hat, dass dertaat Konjunkturprogramme auflegen musste und Ein-ahmeausfälle hatte: Es ist einzig und allein die Finanz-rise.
Wir kommen deshalb nicht umhin, zu sagen, Herrollege Fricke: Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie denektor, der am Entstehen dieser Krise beteiligt war, beier Bemühung um Haushaltskonsolidierung vollständigußer Acht lassen. Ich wiederhole: Sie lassen ihn voll-tändig außer Acht.
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Hubertus Heil
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Nicht eine Maßnahme in diesem Haushaltsbegleitgesetzbezieht diejenigen mit ein, die diese Krise verursacht ha-ben. Im Gegenteil: Sie halten sich schadlos an denjeni-gen, die zum Entstehen dieser Krise nichts beigetragenhaben: Sie sparen bei Rentnern, Sie sparen bei Alleiner-ziehenden, Sie sparen bei Langzeitarbeitslosen. Dass dasMenschen in diesem Land als ungerecht empfinden, daskönnen Sie doch nicht leugnen.
Herr Fricke, ich habe Ihrer Rede und der von HerrnKampeter aufmerksam zugehört. Das Lieblingswort – fastein Gummiwort im parlamentarischen Betrieb; das mussman leider sagen – ist der Begriff der Nachhaltigkeit.
– Herr Fricke, wenn Sie sich ein wenig später melden,beantworte ich Ihre Zwischenfrage gerne. Einen kleinenMoment noch! – Nachhaltigkeit ist, wie ich schon sagte,zu einem Gummiwort geworden. Alles ist nachhaltiggeworden. In der Werbung gibt es schon nachhaltigenJoghurt. Fragen wir einmal, was der Begriff „nachhaltig“meint. Dieses Wort kommt aus der Forstwirtschaft, undes bedeutet: Man sollte nicht mehr aus dem Wald aus-schlagen, als nachwachsen kann.
Gerade deshalb stellt sich die Frage, warum Sie in die-sem Haushaltsbegleitgesetz genau da die Axt ansetzen,wo es um Investitionen der öffentlichen Hand und derprivaten Wirtschaft geht. Beispiele lassen sich nennen.Wenn wir den Weg der Haushaltskonsolidierung be-schreiten wollen, Herr Kollege Kampeter, dann werdenwir uns um Ausgabendisziplin kümmern müssen – garkeine Frage –, dann werden wir uns um die Einnahmeba-sis der öffentlichen Hand kümmern müssen – keineFrage –; aber wir werden das Ganze nicht ohne ein nach-haltiges Wirtschaftswachstum schaffen. Wenn wir unsdie Ökonomie in diesem Land anschauen, dann erken-nen wir, dass wir Probleme haben, was die Investitions-quoten der öffentlichen Hand und der privaten Wirt-schaft betrifft.
All das, was wir in der Vergangenheit getan haben,um in diesem Bereich zu mehr Investitionen zu kom-men, beschneiden Sie in diesem Gesetzentwurf.
Ein Stichwort ist „Städtebau“. Sie streichen bei der ener-getischen Gebäudesanierung, obwohl Sie sie für Ihr Kli-mapaket brauchen. Das Achtfache dessen, was die öf-fentliche Hand dort einsetzt, wird in der privatenWirtschaft für Investitionen mobilisiert. Sie streichenbeim Marktanreizprogramm, und Sie verzichten voll-ständig auf das, was Sie noch im Koalitionsvertrag voll-mFtamgsSdSegeszzNicmÖgegdGeLgmWF–d
Es gibt Alternativen. Herr Kollege Fricke, Sie stellenich hierhin und erklären Sozialdemokraten, die mit Peerteinbrück und anderen den Weg zur Haushaltskonsoli-ierung in diesem Land geebnet haben, dass sie dietaatsfinanzen nicht in Ordnung bringen wollen. Was fürin Popanz! Es war doch diese schwarz-gelbe Bundesre-ierung, die kurz nach der Bundestagswahl 2009 erstinmal nichts Besseres zu tun hatte, als Klientelge-chenke, etwa die Hotelsteuer, an die eigene Klientel,um Beispiel an die reichen Erben und die großen Kon-erne, auszureichen.
ichts anderes haben Sie an dieser Stelle gemacht.Wenn Sie das als falsch erkannt haben – Herr Fricke,h weiß, in Ihrem Herzen finden Sie diese Hotelnum-er doch genauso peinlich wie der Rest der deutschenffentlichkeit –, dann hätten Sie bei diesen Sparanstren-ungen den Mut haben müssen, diese Geschenke wiederinzusammeln, bevor Sie sich an den Schwächsten ver-reifen.
Herr Kollege, gestatten Sie denn jetzt die angekün-
igte Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Gerne.
Also, bitte schön.
Herr Kollege Heil, erstens wollen Sie, dass wir dasesetz zurücknehmen. Dann sollten Sie aber auch sohrlich sein und der Öffentlichkeit sagen, dass Sie deneuten mit der Zurücknahme des Wachstumsbeschleuni-ungsgesetzes auch die Kindergelderhöhung wegneh-en wollen.
enn Sie das wollen, ist das in Ordnung. So weit zureststellung.
Er hat gesagt, das Gesetz solle zurückgenommen wer-en. Damit müssen Sie leben. Er hat es gesagt.
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Nein!
Zweitens. Herr Kollege Heil, Sie haben gerade ge-
sagt, dass wir mit dem Haushaltsbegleitgesetz den Rent-
nern etwas wegnehmen würden. Ich frage Sie in aller
Ernsthaftigkeit: Bleiben Sie bei der Aussage, dass wir
mit dem Haushaltsbegleitgesetz den heutigen Rentnern
Geld wegnehmen?
Herr Kollege Fricke, ich bin Ihnen für beide Fragensehr dankbar. Wenn Sie das im Protokoll nachlesen soll-ten, werden Sie feststellen, dass ich mich auf die TeileIhres sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzesbezogen habe,
die Ihre Klientel bessergestellt haben.
– Die Binnenkaufkraft wird nicht durch die Hotelierge-schenke gestärkt, die Sie gemacht haben. Das ist dochQuatsch mit Soße. Genau darauf habe ich mich bezogen.
Herr Kollege Fricke, Sie haben ein ohnehin sehr un-durchsichtiges Ausnahmesystem bei der Mehrwertsteuernoch undurchsichtiger gemacht, das wir übrigens imJahr 2002 gegen Ihren Widerstand versucht haben zu re-formieren.
Ich sage noch einmal: Wir haben im Jahr 2002, alsHans Eichel Finanzminister war, Vorschläge gemacht,um diese undurchsichtigen und widersinnigen Dinge, diewir im Mehrwertsteuerrecht haben, zu beseitigen. Da-raufhin haben Sie das Land mit populistischen Kampag-nen überzogen.Jetzt haben Sie diesen Zustand noch verschlimmertund Ihre Klientel bessergestellt. Ihr Herr Burgbacher imBundeswirtschaftsministerium hat sich an dieser Stelleals Hotellobbyist betätigt. Das kostet die öffentlicheHand über 1 Milliarde Euro. Ich habe nichts anderes ge-sagt als: Wenn Sie sparen müssen – und der Staat musssparen –, dann fangen Sie doch bei denen an, denen Siees hinten reingesteckt haben, um es norddeutsch zu sa-gen, bevor Sie sich an den Schwächsten vergreifen.
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Natürlich. Das trifft Menschen, die trotz Arbeitslosig-eit höhere Rentenversicherungsansprüche hätten, dieie in die Grundsicherung jagen. Am Ende des Tagesippen Sie den Kommunen das Ganze vor die Tür. Dast der Verschiebebahnhof auf der langen Strecke, undas ist auch Teil Ihres Pakets. Das werden Sie sich sagenssen müssen. Das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun.
Nachhaltigkeit ist die Verbindung von wirtschaftli-her Vernunft, sozialem Fortschritt und ökologischenotwendigkeiten. Wenn man sich dieses Paket anschaut,ann stellt man fest, dass es nicht im Sinne wirtschaftlicherernunft eines selbsttragenden langfristigen Aufschwungst, wenn Sie Investitionen in wichtigen Bereichen der Zu-unft kürzen. Wenn man bei der energetischen Gebäude-anierung oder beim Marktanreizprogramm kürzt, wirdas ökologische und ökonomische Folgen haben. Wasie machen, ist nicht sozial gerecht. Lassen Sie sich dasagen.Herr Michelbach, an dieser Stelle zitiere ich jeman-en aus Ihren Reihen, und zwar Herrn Lauk. Das ist derorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats. Dieser hat Ihnens Stammbuch geschrieben, eine Volkspartei wie CDUnd CSU würde sich im Hinblick auf die Akzeptanz vononsolidierungspolitik keinen Zacken aus der Kronerechen, wenn man den Spitzensteuersatz anhebenürde. Wie gesagt, Herr Lauk ist einer von Ihnen undnverdächtig, irgendein böser Sozialist zu sein. Das wer-en Sie bestätigen. Ich finde, dieser Mann hat vollkom-en recht. Wir schlagen Ihnen vor, das gemeinsam mit-inander hinzubekommen.Ich bin der Meinung, dass der Spitzensteuersatz ruhigrst bei einem höheren Jahreseinkommen als 53 000 Euroreifen kann. Ein Lediger, der 53 000 Euro verdient, ist diesem Land ein Gutverdiener, aber kein reicherensch.Ich fände es aber im Sinne der Hygiene in unseremand richtig, bevor man bei den Ärmsten der Armenürzt, zunächst die Solidarität derjenigen in Anspruch zuehmen, die gerne bereit sind, ihre patriotische Pflicht zurfüllen und einen Beitrag zu einem gesunden Gemein-esen zu leisten. Deshalb ist es nicht unanständig, son-ern ein Gebot der Vernunft und der Fairness, dafür zuorgen, dass auch Spitzenverdiener in diesem Land ei-en Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Keinpitzenverdiener in diesem Land ist von den Maßnah-en betroffen, die Sie beschlossen haben.
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Hubertus Heil
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Kein Spitzenverdiener leistet an dieser Stelle einen Bei-trag. Herr Michelbach, was ist eigentlich Ihr Beitrag undmein persönlicher Beitrag zur Haushaltskonsolidierung?Diesen erkenne ich an dieser Stelle gar nicht. Sie kürzendas Elterngeld von Langzeitarbeitslosen und Alleinerzie-henden, lassen es aber den Millionärsgattinnen. Auchdas ist ein Beispiel von Schieflage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Bitte schön, Kol-
lege Michelbach.
Herr Kollege Heil, würden Sie zur Kenntnis nehmen,
dass die oberen 50 Prozent der Steuerzahler in Deutsch-
land 95 Prozent des Aufkommens der Einkommensteuer
leisten?
Warum wollen Sie die Leute, die durch einen höheren
Spitzensteuersatz einen steileren Tarif bekommen wür-
den und durch die Progression stärker belastet würden,
noch zusätzlich über diese 95 Prozent hinaus zur Kasse
bitten? Ist es nicht notwendig, dass die Leistung, die
diese Leute für das Gemeinwohl und für die Sozialtrans-
ferleistungen erbringen, auch honoriert wird?
Herr Michelbach, ich bin Ihnen außerordentlich dank-bar für diese Frage. Damit kann ich an dieser Stelle eini-ges aufklären. Ich habe vorhin gesagt: Wir sind nicht da-für, die Progressionskurve steiler zu machen. Wir könnenauch darüber reden, dass der Spitzensteuersatz nichtschon bei einem Einkommen in Höhe von 53 000 Eurogreift; dann sollte er aber auch ein Stück höher sein.Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir damit nicht dafürsorgen, dass die Progressionskurve für die mittlerenSteuerzahler steiler wird.In Ihrer Darstellung lassen Sie aber ein, zwei Dingeaußer Betracht. Wenn Sie davon reden, dass die oberen50 Prozent der Steuerzahler 95 Prozent der Steuerlastentragen, unterschlagen Sie damit zugleich den Beitragderjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dieSozialversicherungsleistungen und Abgaben für den So-zialstaat entrichten.
Wenn wir den Blick nun auf das gesamte Steuer- undAbgabensystem richten, dann ergibt sich folgende Situa-tion: Die Bezieher unterer und mittlerer Einkommenleisten den wesentlichen Beitrag zur Finanzierung diesesGemeinwesens, Spitzenverdiener einen zu geringen.LinkisnaVfüinnbdnwspsDvMreDWdKslazSSdfä8MdSktruleakDMfüdsd
In Zeiten der Haushaltskonsolidierung müssen dieasten fair verteilt werden. Ja, es ist nicht so, dass man solchen Zeiten nur Populäres fordern und durchsetzenann. Wir haben unsere Erfahrungen damit gemacht. Est aber eine Frage von Fairness, auch diejenigen, dieicht überproportional belastet würden, wenn sie einenngemessenen Beitrag leisten müssten, stärker in dieerantwortung zu nehmen.Ich will Ihnen sagen, warum ich das auch ökonomischr richtig halte, Herr Kollege Michelbach. Wir können diesem Land eine erfreuliche Entwicklung verzeich-en, weil wir einen exportgetriebenen Aufschwung ha-en. Wir haben in der Großen Koalition gemeinsamafür gesorgt, dass Deutschland besser durch diese Fi-anzkrise gekommen ist, als es zu erwarten gewesenäre. Jetzt wächst die Wirtschaft wieder. Das ist im We-entlichen der Tatsache geschuldet, dass wir stark im Ex-ort sind, dass wir, wenn Sie so wollen, starke Auswärts-piele haben. Aber wir haben Probleme beim Heimspiel.ie Binnennachfrage ist zwar durch Kurzarbeit undiele andere Maßnahmen, die dafür gesorgt haben, dassenschen nicht in Arbeitslosigkeit abgerutscht sind,cht stabil geblieben, aber sie liegt chronisch zu niedrig.ie Investitionen der öffentlichen Hand und der privatenirtschaft sind zu niedrig. Wir müssen also etwas fürie Binnennachfrage in diesem Land tun. Das betrifftaufkraft, öffentliche und private Investitionen. An die-er Stelle ist es sinnvoller, eine Perspektive für die Ent-stung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommenu schaffen als für die von Spitzenverdienern.
Es ist ganz klar, Herr Michelbach, wen Sie an diesertelle im Blick haben:
ie glauben nicht, dass Normalverdiener Leistungsträgerieses Landes sind. Ihr Begriff von Leistungsträgernngt wahrscheinlich erst bei Menschen an, die0 000 oder 100 000 Euro verdienen. Das ist nicht dieehrheit der Menschen in diesem Lande. Die Mehrheiter Menschen in diesem Lande verdient ein ganzestück weniger, ist aber durch Steuern und Abgaben stär-er belastet als diejenigen, bei denen aufgrund der Bei-agsbemessungsgrenze die Belastung abgeriegelt wirdnd die derzeit keinen höheren Spitzensteuersatz zu zah-n haben. Das ist der Zusammenhang.Deshalb noch einmal, Herr Michelbach: Wir könnenuflisten, wen Sie durch Ihre Maßnahmen belasten. Wirönnen aber auch auflisten, wen Sie nicht belasten.
as weiß die deutsche Öffentlichkeit ganz genau, Herrichelbach. Das ist möglicherweise auch ein Grund da-r, dass das Vertrauen in eine Volkspartei in Bayern, dieas „S“ im Namen führt, nämlich CSU, und die frühertark war, schwindet; die Menschen spüren nämlich,ass sie nicht mehr Politik für die Mehrheit macht, son-
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Hubertus Heil
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dern Politik für wenige zulasten der Mehrheit – ob in derGesundheitspolitik, in der Energiepolitik, bei den Hotel-steuern oder anderswo.
Sie machen Politik gegen das Gemeinwohl. Das schadetdem Ansehen aller demokratischen Parteien, leider nichtnur den schwarz-gelben Koalitionsparteien.Wir aber werden Alternativen auf den Tisch legen.
Konsolidierung geht gerechter, und Konsolidierung gehtintelligenter, als es Schwarz-Gelb derzeit macht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Redner der Opposition haben in dieser De-
batte zum Haushaltsbegleitgesetz und in den Debatten
zum Haushalt 2011 ein völlig düsteres Bild gezeichnet.
Es war von sozialem Kahlschlag, von Unausgewogen-
heit die Rede.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition,
lieber Herr Schneider, diese Vorwürfe sind haltlos, ja un-
seriös. Gemessen am Anteil der Sozialausgaben am
Haushalt kann von sozialem Kahlschlag überhaupt keine
Rede sein. Auch Herr Heil sollte dies zur Kenntnis neh-
men.
Die öffentliche Verschuldung in Deutschland beträgt
unvorstellbare 1,7 Billionen Euro.
Das heißt, jeder Bürger, vom Baby bis zum Greis, steht
mit über 20 000 Euro in der Kreide. Wenn wir so weiter-
machen, haben wir keinen Handlungsspielraum für die
Zukunft, und das ist unfair gegenüber der jungen Gene-
ration.
Allein der Bund zahlt in diesem Jahr über 36 Milliar-
den Euro an Zinsen. Das ist Geld, das wir an anderer
Stelle wesentlich besser gebrauchen könnten.
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as Sparpaket macht deutlich, dass jeder seinen Beitrag
ur Sanierung der Finanzen zu leisten hat, der Staat, die
irtschaft und der Bürger. So sparen wir im staatlichen
ereich etwa bei der Verwaltung, bei den Subventionen
der bei den Verteidigungsausgaben. Über die Kern-
rennstoffsteuer, die Streichung von Steuervergünsti-
ungen und die Luftverkehrsabgabe beteiligen wir natür-
ch auch die Wirtschaft an den Sparmaßnahmen, und
uch der Sozialbereich muss einen angemessenen Bei-
ag leisten. Uns deswegen sozialen Kahlschlag vorzu-
erfen, ist falsch; denn auch 2011 fließen weiterhin
58,8 Milliarden Euro, nämlich 51,7 Prozent des gesam-
n Bundeshaushalts, also mehr als die Hälfte aller Aus-
aben des Staates, in den sozialen Bereich.
Wichtig ist uns, dass mehr Menschen unabhängig von
ozialen Leistungen leben können. Der bislang gezahlte
uschlag beim Übergang vom Bezug des Arbeitslosen-
eldes I zum Bezug des Arbeitslosengeldes II hat hierbei
lsche Anreize gesetzt. Dewegen wird er auch gestri-
hen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von
er SPD-Fraktion?
Nein, ich möchte gern fortfahren.
ir gehen die notwendigen Kürzungen maßvoll undielgenau an. Das ist schon gesagt worden. Dessen kön-en Sie sicher sein, Herr Schneider.
Ich möchte dazu ein weiteres Beispiel herausgreifen:ür Bezieher des Arbeitslosengeldes II werden künftigeine Rentenbeiträge mehr gezahlt.
uch das ist schon gesagt worden. Dem einzelnen Ar-eitslosen schadet diese Maßnahme allerdings kaum. Ererliert einen zusätzlichen Rentenanspruch von geradeinmal 2 Euro, Herr Heil. Der Bund spart dadurch aberhrlich 1,8 Milliarden Euro ein. Das ist eine stattlicheumme, mit der man viel Gutes tun kann.
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6508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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beiträge erhöht werden, aber das ist Ihnen jawurscht!)Diese Beispiele zeigen auf: Wir steigern die Effizienzdes Sozialstaates und stellen ihn auf eine solide finan-zielle Grundlage.
Die Sicherung unserer Sozialsysteme ist genausowichtig wie die Schaffung von Wirtschaftswachstumund mehr Arbeitsplätzen.
Diesem Ziel werden wir gerecht, weil wir im Haushalt2011 und auch in den Folgejahren viel Geld in Zukunfts-bereiche wie Forschung, Bildung und erneuerbare Ener-gien investieren.
Wir müssen im Haushalt die richtigen Prioritäten set-zen
und wollen deshalb natürlich auch die Investitionen stei-gern. Daher wird in den Bereichen Forschung und Bil-dung auch keine Kürzung vorgenommen, sondern eswerden 12 Milliarden Euro draufgesattelt. Auch im Ver-kehrsbereich investieren wir mehr als vor der Krise. Dasmüssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Unser Sparkurs ist richtig, damit unser Staat auch inZukunft die Schwachen und Bedürftigen in unserer Ge-sellschaft unterstützen kann.
Nur ein finanziell solider Staat ist ein starker Staat. Sie,meine Damen und Herren von der Opposition, schürenhingegen aus durchsichtigen Gründen die Angst derMenschen und betreiben Panikmache gegen die Politikder Regierung. An konstruktiven Vorschlägen fehlt esbei Ihnen völlig.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen!
Sie machen das nach dem Motto: Freiheit von Verant-
wortung. Das scheint eher Ihre Devise zu sein.
Vielen Dank.
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h habe mich bei den Polizeibehörden kundig gemacht.
atsache ist: Es handelt sich um eine Schülerdemo.
iese Schülerdemo war für die Lautenschlagerstraße ge-
ehmigt. Von den Stuttgart-21-Gegnern wurde diese De-
onstration in den Bereich des Schlossgartens umge-
nkt; dort sollten die laufenden Bauarbeiten gestört
erden. Wenn es dann im Rahmen dieser nicht geneh-
igten Demo zu Verletzungen kommt, dann muss ich
en Gegnern von Stuttgart 21 den Vorwurf machen, dass
ie so etwas billigend in Kauf nehmen.
ies halte ich für nicht in Ordnung. Wenn die Ordnungs-
räfte des Staates die öffentliche Ordnung herstellen
nd es dabei Verletzungen gibt, dann ist es nicht in Ord-
ung, dies einseitig denjenigen in die Schuhe zu schie-
en, die dafür sorgen, dass dieses Projekt gebaut wird.
as muss ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit sagen.
Kollege Barthle, gestatten Sie gleich zwei Zwischen-
agen? Ich vermute, sie sind zum selben Thema.
Ja, gerne, da können wir gerne noch ein Disput füh-
n.
Herr Kollege Bonde, und danach der Kollege von derinksfraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6509
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Herr Kollege Barthle, ich habe heute Nachmittag ei-
nen Anruf einer ehemaligen Nachbarin bekommen, de-
ren 14-jährige Tochter auf dieser Demonstration war.
Halten Sie es für einen verhältnismäßigen Polizeieinsatz,
wenn ein 14-jähriges Mädchen bei einer friedlichen De-
monstration von Knüppeln der Polizei getroffen wird?
Herr Kollege Barthle, es gibt Meldungen der Nachrich-
tenagentur DAPD, in denen von 1 000 Menschen ge-
sprochen wird, die durch Einsatz von Reizgas verletzt
worden sind und in Stuttgarter Kliniken behandelt wer-
den; entsprechende Bilder veröffentlicht dpa dazu. Hal-
ten Sie dies für einen verhältnismäßigen Einsatz, und
wären Sie bereit, den Versuch, diese Bewegung zu kri-
minalisieren und auch noch jemandem in die Schuhe zu
schieben, ein für alle Mal zu beenden?
Herr Kollege Barthle, lassen Sie noch eine zweite
Zwischenfrage des Kollegen Lutze zum selben Sachver-
halt zu?
Aber gerne.
Bitte sehr.
Herr Kollege Barthle, vorhin hat der Kollege
Koschorrek aus Ihrer Fraktion schon einmal zu diesem
Thema interveniert. Als er über die Schülerdemo und
den Polizeieinsatz sprach, redete er nicht von Schülern,
sondern von militanten Autonomen. Haben Sie diese
Sprachregelung Ihres Fraktionskollegen zur Kenntnis
genommen?
Herr Kollege Bonde, Herr Kollege Lutze, ich kann
einzelne Vorkommnisse dieser Demo nicht kommentie-
ren. Das will ich auch nicht tun, weil ich die Zusammen-
hänge nicht kenne. Ich wiederhole aber: Wenn 14-jäh-
rige Schüler, wie ich von Ihnen höre, von einer geneh-
migten Demonstrationsroute auf eine nicht genehmigte
umgelenkt werden, dann halte ich dies für nicht in Ord-
nung; denn bei diesen Jugendlichen, die den Unterschied
wahrscheinlich nicht so genau kennen und nicht wissen,
welche Konsequenzen daraus erwachsen, nimmt man
billigend in Kauf, dass genau solche Ergebnisse eintre-
ten. Das geht so nicht. Demonstrationen sind in Ord-
nung, wenn sie genehmigt sind. Dann ist alles okay,
dann hat kein Mensch etwas dagegen.
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Auch Sie wissen, dass Demonstrationen bei den Ord-ungsämtern angemeldet werden müssen.
Im normalen Sprachgebrauch ist das mit einer Geneh-igung gleichbedeutend.
Ich habe es so gemeint; ich bitte, das zur Kenntnis zuehmen.Jetzt kommen wir zu unserem eigentlichen Thema:em Haushaltsbegleitgesetz. Ich will auf die Diskussioningehen, die wir jetzt wieder erlebt haben, ausgehendon allen Fraktionen auf der linken Seite dieses Hauses,llen voran Herr Heil mit seiner unsäglichen Rede.
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6510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Norbert Barthle
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Dabei wird immer wieder hervorgehoben, die Sparbe-schlüsse seien unsozial und wir müssten an die Verursa-cher der Krise herangehen. Herr Heil, es dürfte auch zuIhnen durchgedrungen sein, dass diese Krise ihre Ursa-che in den Börsen von New York und Chicago gefundenhat.Sie reden nie über die Auswirkungen. Ich glaube,man sollte einen Moment darüber nachdenken, wer dennvon dieser Finanzkrise und der damit einhergehendengrößten Wirtschaftskrise unserer Geschichte betroffenwar. Betroffen waren nicht diejenigen, die Sie permanentanführen. Diejenigen, die von sozialen Transferleistun-gen leben, waren von dieser Krise überhaupt nicht be-troffen.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir die Renten-bezüge gekürzt hätten. Ich kann mich auch nicht daranerinnern, dass wir die Hartz-IV-Sätze gekürzt hätten. Ichkann mich nicht daran erinnern, dass wir irgendjeman-den, der von sozialen Transferleistungen lebt, in die Si-tuation gebracht hätten, von dieser Wirtschaftskrise be-troffen zu sein.
Betroffen waren aber diejenigen, die Unternehmenhaben, die Handwerksbetriebe haben, die Umsatzeinbrü-che von 70, 80 oder 90 Prozent hinnehmen mussten. Ichkann Ihnen in meinem Wahlkreis kleine Betriebe mit20 Beschäftigten zeigen – Automobilzulieferer –, dieplötzlich nur noch Arbeit für zwei hatten, alle anderenmussten sie in die Kurzarbeit schicken.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Kurzarbeitsrege-lung möglich wurde,
sodass weitestgehend niemand entlassen werden musste.Wir haben dafür gesorgt, dass ein Großteil unserer Be-völkerung von dieser Wirtschaftskrise so wenig wiemöglich betroffen war. Wenn wir jetzt aber daran gehen,uns der Auswirkungen dessen, was wir beschlossen ha-ben – Konjunkturprogramme, Abwrackprämie, Wirken-lassen der automatischen Stabilisatoren, was nichts an-deres als eine Erhöhung der Nettokreditaufnahmebedeutet –, Stück für Stück, Zug um Zug anzunehmen,müssen wir die gesamte Gesellschaft daran beteiligen;das geht nicht anders. Genau dies tun wir, und zwar ineinem ausgewogenen Verhältnis.
frbsSeUgntrdsSHbIcgvdArüW–SIcddhalawIcnIcS
Wo wir gerade dabei sind, hätte ich noch eine Frage.
h war auf dem BDI-Kongress, bei dem die Kanzlerin
esagt hat: Das mit der Ökosteuer für die energieintensi-
en Unternehmen würde schon nicht so schlimm wer-
en; sie habe es zwar als Kanzlerin beschlossen, aber als
bgeordnete würde sie das wieder ändern. Ich bin da-
ber gar nicht so unglücklich; ich möchte nur wissen:
as machen Sie stattdessen?
Nicht ändern? Sie lassen es also so, wie es ist? Können
ie das aufklären? Dazu besteht hier Gelegenheit.
Herr Heil, ich bin froh, dass Sie mich gefragt haben.h antworte Ihnen gerne. – Ich komme zu den Aussagener Kanzlerin beim BDI-Kongress. Es ist unbestritten,ass das Stromsteuergesetz Bestandteil unseres Haus-altsbegleitgesetzes ist. Es ist unbestritten, dass wir unslle Bestandteile dieses Haushaltsbegleitgesetzes im par-mentarischen Beratungsverfahren genau anschauenerden, unter anderem auch das Stromsteuergesetz.
h will nicht ausschließen, dass wir an dieser Stelleoch Korrekturen vornehmen.
h will nicht ausschließen, dass wir ausgerechnet beimtromsteuergesetz Korrekturen vornehmen. Aber es ist
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6511
Norbert Barthle
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noch lange nicht entschieden, ob wir dafür eine andereSteuer in den Blick nehmen oder sonst etwas machen.
Tatsache ist, dass wir die Beträge, die im Haushaltsbe-gleitgesetz stehen, innerhalb unseres Sparpaketes aucherreichen. Herr Heil, insofern müssen Sie ganz einfachwarten, bis die parlamentarischen Beratungen zu Endesind. Wenden Sie sich an Ihre Kollegen im Haushalts-ausschuss. Die können Ihnen immer berichten, wie deraktuelle Stand ist. Spätestens nach der Bereinigungssit-zung wissen Sie es. So lange müssen Sie sich gedulden.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: DasPaket, das wir vorlegen, ist ausgewogen,
weil wir ein Drittel im Unternehmensbereich, ein Drittelin unserem eigenen Bereich und nur ein Drittel im sozia-len Bereich festmachen. Es wurde schon zum Ausdruckgebracht, dass der soziale Bereich innerhalb unseresBundeshaushaltes 54 Prozent der Ausgaben ausmacht.Wer den Haushalt konsolidieren will – und dies anders,als es in früheren Jahren geschah, und anders, Herr Heil,als es in NRW geschieht –, kommt nicht darum herum,den gesamten Haushalt in den Blick zu nehmen. Dazumuss ich Ihnen schon einmal sagen, dass ich Ihnen ratenwürde, Ihre Hetzreden in Nordrhein-Westfalen zu halten.
Denn dort hat man ganz offensichtlich alle Vernunft überBord geworfen; dort hat man ganz offensichtlich dieSchuldenregel überhaupt nicht zur Kenntnis genommen;dort hat man ganz offensichtlich alles über Bord gewor-fen, was zu einer Konsolidierung des Haushaltes bei-trägt.
– Verehrter Herr Kollege, das ist keine Aufgabe, die wirhier in diesem Hause alleine stemmen können. Wenn esdarum geht, den Bundeshaushalt, den gesamtstaatlichenHaushalt, zu konsolidieren und langfristig auf gesundeBeine zu stellen, dann brauchen wir die Zusammenarbeitmit den Ländern und die Bereitschaft der Länder, an die-sem Ziel, das für uns und für die nachkommenden Gene-rationen so bedeutsam ist, ein Stück weit mitzuwirken.Aber hierzu beobachte ich leider keinerlei Bereitschaft.Aus diesem Grund sage ich nochmals: Wir haben mitdiesem Gesetzentwurf ein Konzept vorgelegt, das denWeg in die kommenden Jahre hinein vorzeichnet – nichtnur für das Haushaltsjahr 2011, sondern weit darüber hi-naus. Wenn ich dann noch den Zusammenhang zumEnergiekonzept herstelle, das in diesen Tagen hier schonbwJIhOgsJdgßhZgwnaaSÜAdfaKKbteVSG
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6512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Claudia Bögel
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dieses Vorgehen durch Sie beschlossen, seit Januar 2010per Gesetz angewandt, und nun soll es Ihrem Wunschnach wieder ausgesetzt werden.
Sie sehen mich verwundert.Am 16. August 2002 legte die von der damaligenBundesregierung eingesetzte sogenannte Hartz-IV-Kom-mission ihren Bericht zum Abbau der Arbeitslosigkeitund zur Umstrukturierung der Bundesagentur für Arbeitvor. Unter anderem sah dieser Bericht die Entwicklungeiner Versicherungskarte als Signatur- und Schlüssel-karte vor. Diese sollte für den Abruf von diversen Be-scheinigungen zur Verfügung stehen. Das war die Idee.Am 21. August 2002 stimmte die damalige Bundesregie-rung, an der Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen vonBündnis 90/Die Grünen beteiligt waren, zu.
Die Einführung der sogenannten Jobcard war damit be-schlossen. Ich fasse noch einmal diesen kleinen Exkursin die Vergangenheit zusammen: ELENA war ein rot-grünes Projekt, ein Ausfluss der Hartz-IV-Reform, in derletzten Legislaturperiode verabschiedet.
Nun zurück in die Gegenwart. Ihr vorliegender An-trag fordert nun die Aussetzung dieses Verfahrens. UnsLiberalen ist die Kritik an dem Projekt hinsichtlich derKosten und des übermittelten Datensatzumfangs be-wusst. Der Nationale Normenkontrollrat hat auf Bittender beteiligten Ressorts ein Gutachten zu dem Verfahrenerstellt. Es wurde am 13. September 2010 vorgelegt. DasErgebnis ist bisher nicht zufriedenstellend. Eine Verbes-serung im Kosten-Nutzen-Verhältnis für alle Beteiligtenwie Bürger, Unternehmen und Verwaltung muss ange-strebt werden.
Das ist richtig. Natürlich darf die Belastung der öffentli-chen Haushalte nicht ins Unermessliche steigen.
Besonders ernst nehme ich vor allem auch die Kritikdes Mittelstandes.
Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass dieser tat-sächlich eine Erleichterung und eine Entbürokratisierungdurch das Verfahren erfährt. Der Mittelstand darf nichtdurch immer mehr bürokratische Hürden gehemmt wer-den.
Zum Beispiel kann man die Effizienz des ELENA-Ver-fahrens in wesentlichen Punkten erhöhen. In puncto Da-tedgswadreddsüwzsLfuleriIhtiDDrügmwvaDvogfoKdEmfü
Eines ist klar: Das von Ihnen in der Vergangenheit alseutsches Vorzeigeprojekt zum Bürokratieabbau darge-tellte ELENA-Verfahren haben wir mit großen Mängelnbernehmen müssen. Die Inhalte der Datenübermittlungurden durch Sie im Leistungsgesetz verankert. Jetzt sou tun, als ob man nicht beteiligt gewesen sei, ist dochchon fast bigott.
amentieren und Forderungen nach schlichter Abschaf-ng helfen hier nicht weiter.ELENA kann einen Beitrag zur Entbürokratisierungisten. Das ist richtig. Wir werden ELENA prüfen, kor-gieren und hübsch schlank auf den Laufsteg schicken.ren Antrag lehnen wir ab.
Die Kollegin Doris Barnett hat nun für die SPD-Frak-
on das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er Antrag der Grünen ist eigentlich längst überholt.as wissen Sie, und es ist schade, dass Sie ihn nicht zu-cknehmen. Der Antrag ist wahrscheinlich dem Hypeeschuldet, den die Datensammelwut, die im Zusam-enhang mit der Telefonüberwachung zu beobachtenar, verursacht hat. Nach dem Beschluss des Bundes-erfassungsgerichts dachte man: ELENA sammelt jauch. Was liegt da näher, als es gleich mitzukassieren.abei ist ELENA die Fortsetzung eines Datensammel-erfahrens der Datenerfassungs- und -übermittlungsver-rdnung aus dem Jahr 1998/99, an dem Sie von der jetzi-en Regierung sogar beteiligt waren. Es wurde nurrtgesetzt, weil man auf die Daten, die man für dierankenversicherung, für die Rentenversicherung undie Finanzverwaltung braucht, aufbaute. Man hatLENA genommen; denn man braucht ein paar Datenehr, um Arbeitsbescheinigungen oder auch Nachweiser das Wohngeld oder für das Kindergeld zu erstellen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6513
Doris Barnett
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Auch der Vorwurf der FDP, dass von diesem Verfah-ren vor allem die kleinen Unternehmen betroffen sind,zieht nicht; denn schon seit dem 1. Januar 2006 müssen,wie Sie, Frau Bögel, eben zu Recht gesagt haben, alleBetriebe die Daten ihrer Mitarbeiter melden, auch diekleinen Unternehmen, zum Beispiel die Gaststätten, dienur einen Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis beschäftigen.Jetzt wird im Zusammenhang mit ELENA verlangt, dasszusätzlich ein paar spezielle Daten gemeldet werden,aber nicht an die Krankenversicherung, sondern an eineseparate Stelle, bei der die Daten getrennt zu erfassensind.Bei den Krankenversicherungen ist es bisher übrigensnicht zu Verstößen gegen das Datenschutzgesetz gekom-men. Millionen und Abermillionen Daten werden dortseit Jahren gesammelt. Trotzdem kam es noch nie zu ei-nem Verstoß gegen das Datenschutzgesetz oder einemsonstigen relevanten Vorfall im IT-Sicherheitsnetz.Wenn der Datenschutzstandard und der IT-Sicherheits-standard sehr hoch ist, warum glauben trotzdem ausge-rechnet die Grünen, dass im Zusammenhang mitELENA jetzt plötzlich ein Problem auftritt? Wo soll dasProblem denn herkommen? Glauben Sie, dass man beiELENA andere, weniger gute Sicherheitsstandards ein-setzen wird?ELENA darf nicht einfach auf den bestehenden Da-tenspeicher bei der Krankenversicherung zugreifen, son-dern braucht – das habe ich schon gesagt – einen ge-trennten Datenspeicher, die zentrale Speicherstelle, diejetzt aufgebaut wird. ELENA basiert auf den Datensät-zen für die Rentenversicherung, braucht aber ein paarzusätzliche Daten.Sie von den Grünen sagen, dass dort ein Übermaß anDaten vorliegt und dieses begrenzt werden solle. Ichweiß bis heute nicht, wo Sie das Übermaß sehen und wasbegrenzt werden soll. Anfang des Jahres haben Sie ge-sagt, dass Daten zu Streikzeiten und Parteizugehörigkeitgesammelt würden. Solche Aussagen schwirren dadurch die Luft. Angeblich würde auch die Gewerk-schaftszugehörigkeit notiert. Wenn Sie sich das genauanschauen, werden Sie feststellen, dass das alles Unsinnist. Die Streikdaten sind raus. Es wird nicht notiert, objemand gestreikt hat. Das wissen Sie auch. Notiert wirddie Zeit, in der kein Geld fließt. Der Grund dafür kannnatürlich in der Tat ein Arbeitskampf sein. Das kannaber genauso gut ein unbezahlter Urlaub sein. Die Ar-beitsverwaltung muss solche Daten aber wissen, wennsie auf Basis dieses Datensatzes später zum Beispiel dasArbeitslosengeld berechnen soll.
Diese Daten muss sie auch heute schon kennen.Nebenbei bemerkt, damit wir uns recht verstehen:Nach wie vor sind zusammen mit dem Datensatz, der andie gesetzliche Krankenkasse zu übermitteln ist, Arbeits-kampfzeiten von mehr als einem Monat zu melden.Diese Vorgabe ist bisher nicht entfernt worden. Das stehtda noch. Bei ELENA hingegen hat man das bereinigt.DDIhwDfrdoShdSevmSsredmgdicgdwsbnihmCesteZwdhwzvDWDgbkSwwisD
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6514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Das entspricht ungefähr 70 Prozent der Sollmenge. Diemeisten kleinen Betriebe machen mit. Nur die großenmachen seltsamerweise Probleme. Da es ein vernünfti-ges Verfahren ist und es hilft, Bürokratie einzusparen,kann ich Sie nur nochmals auffordern: Überlegen Siesich, ob die Forderungen Ihres Antrages nicht längst er-füllt sind, Ihr Antrag also überholt ist und Sie ihn deswe-gen zurücknehmen sollten.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wenn man zu so später Stunde über ELENAspricht, hat man sicherlich eine andere Vorstellung, alssich um trockenen Datentransfer kümmern zu müssen.Das primäre Ziel von ELENA – das haben wir heuteschon mehrfach gehört – ist ja, Wirtschaft, Bürger undletztlich auch die Verwaltung von bürokratischen und fi-nanziellen Belastungen zu befreien. Es geht darum, Pa-pier einzusparen, das heißt, eine papierlose Verwaltungeinzuführen.Am 1. Januar dieses Jahres wurde das Projekt gestar-tet. Die Grünen fanden das wahrscheinlich sehr aufre-gend; denn sie haben bereits am 9. Februar, also nichteinmal sechs Wochen nach Einführung des Projektes, ei-nen Antrag darauf gestellt, das Projekt auszusetzen.Meine Damen und Herren, warum brauchen wir ei-gentlich ELENA? Man muss sich die Zahlen noch ein-mal vergegenwärtigen. Nach Schätzungen werden imJahr ungefähr 60 Millionen papierene Bescheinigungenausgestellt. Das ist eine gewaltige Zahl. Angesichts die-ses Wusts an Papieren geht es darum, erstens die Erstel-lung und zweitens auch die Ausstellung der Bescheini-gungen deutlich zu vereinfachen.Zwischen der elektronischen Personalverwaltung, dieheute in der Wirtschaft eigentlich gang und gäbe ist, undder elektronischen Sachbearbeitung bei den Behördenklafft einfach eine Lücke; da wird noch Papier beschrie-ben.Neben der grundsätzlichen Zustimmung zumELENA-Projekt seitens der großen Wirtschaftsverbände– DIHK, ZDH, ZKA und BDA – und größtenteils auchder Wirtschaft selbst ist das ELENA-Verfahren seit In-krafttreten in der Öffentlichkeit auch kritisiert worden,und das am Anfang sicherlich auch zu Recht. Der Deut-sche Gewerkschaftsbund, der DGB, hat sich über Dingeaufgeregt, die der damalige Arbeitsminister Scholz indas ELENA-Verfahren eingebracht hat und die niemandwirklich wollte. Auch vom Bund der Steuerzahler undvon der Bundessteuerberaterkammer gab es immer wie-der Hinweise zu dem Verfahren. Die Hauptkritikpunktewaren erstens die Verfassungsmäßigkeit, zweitens diemangelnde Verbreitung der sogenannten Signaturkarten,drittens die nicht ausreichende Verfügbarkeit entspre-chender Lesegeräte, viertens der Umfang des zu über-msluwridensetugBdsDwuretüDMJdHdnAimriwwfareumfüisDBNsliTlehusZggw
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6515
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nehmen haben es daher bisher gar nicht gespürt. Von ei-nem Unternehmen mit knapp 800 Mitarbeitern wurde ge-sagt: Die ganze Sache hat uns große Mühe gemacht, weilschon die Implementierung der EDV aufwendig ist. – Wirwissen auch, dass die ersten Versionen der Softwarenicht so gut waren und nicht so gut funktioniert haben.Hinzu kommt, dass die Datensätze auch erst einmal ein-gegeben werden müssen.Als ich bei der Kammer und bei einem Wohnungsun-ternehmen angerufen habe, sagte man mir: Ja, es gabAufwendungen. – Die Kosten der Implementierung derSoftware betrugen 10 000 bis 15 000 Euro. Aber mittler-weile ist das Verfahren in Gang gekommen.Zum Antrag der Grünen kann man nur sagen: Er istvölliger Quark, weil er sehr veraltet ist. Er stammt vomMärz dieses Jahres. Die Welt hat sich mittlerweile wei-tergedreht. Wir sagen ganz klar: Kein Aussetzen vonELENA. Das fordern auch die Unternehmer. Sie fragenuns: Was soll denn das? Wenn ihr ELENA jetzt aussetzt,bleiben wir auf allem sitzen; das Verfahren läuft nichtweiter, und der ganze Aufwand war umsonst. Wir brau-chen Planungssicherheit und Verlässlichkeit politischerEntscheidungen.Die Softwareprobleme müssen zügig beseitigt wer-den; das ist ganz wichtig, um die Akzeptanz zu erhöhen.Außerdem müssen wir die Datensätze daraufhin durch-forsten, ob alle derzeit vorhandenen Daten tatsächlichnotwendig sind.Ich fasse zusammen: Die wichtigsten Punkte im An-trag der Grünen sind schon lange erledigt. Insofern kannich Ihnen nur empfehlen, Ihren Antrag zurückzuziehen.Ansonsten müssten wir ihn leider ablehnen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-
lege Jan Korte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Da heute recht viele Innenpolitiker anwesend sind, willich folgende Bemerkung machen: Das, was heute inStuttgart abgelaufen ist, ist dermaßen unglaublich, dasswir als Linksfraktion soeben für morgen früh eine Son-dersitzung des Innenausschusses beantragt haben. Es istnotwendig, dass diesem Antrag alle Fraktionen zustim-men.
Ich hoffe, dass Sie das tun werden. Nach Agenturmel-dungen war übrigens auch die Bundespolizei in die Ge-schehnisse verwickelt.WmpdgEdruddnwcPGjegenteghwdasdsdnbggrunpgddEsA
enn man sich die entsprechenden Bilder ansieht, mussan sagen: Da es sich bei Stuttgart 21 um ein Bundes-rojekt handelt, ist es in der Tat dringend notwendig,ass wir uns morgen damit befassen, was heute in Stutt-art abgelaufen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum ThemaLENA. Wir haben vor einigen Monaten über das Urteiles Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeiche-ng gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht hat unsen Auftrag gegeben, in uns zu gehen und uns eine an-ere Lösung zu überlegen, weil man es so wie bishericht machen kann. Heute diskutieren wir über ELENA,as nichts anderes ist als eine gigantische Vorratsspei-herung sensibelster Sozialdaten. Das ist im Kern dasroblem, um das es geht. Deswegen ist der Antrag derrünen mitnichten veraltet, sondern er ist aktueller denn, insbesondere im Hinblick auf Hartz IV.
Das Hauptproblem ist, dass sensibelste Daten zentralespeichert werden. Das ist unverhältnismäßig und stelltine große Gefahr für die Rechte von Arbeitnehmerin-en und Arbeitnehmern dar. Zuerst wird gesagt: Die Da-n werden nur zum Zwecke der Leistungsberechnungespeichert. – Diese Argumentation kennen wir. Spätereißt es dann: Wenn wir die Daten schon haben, könnenir sie auch für die Strafverfolgung, für die Steuerfahn-ung etc. etc. zur Verfügung stellen. – So fängt es immern. Das Kernproblem ist: Wenn diese Daten zentral ge-peichert sind, werden Begehrlichkeiten geweckt, wer-en Persönlichkeitsprofile entwickelt. Das darf nichtein, nicht bei solch sensiblen Daten.
Zum zweiten Punkt, den ich ansprechen will. Überas Kernproblem der ganzen Debatte haben wir bisheroch zu wenig diskutiert. Es geht um die Frage: Warumrauchen wir, wenn es um die Berechnung von Leistun-en geht, die den Bürgerinnen und Bürgern zustehen, ei-entlich diese immense Zahl hochsensibler Daten? Wa-m müssen wir all diese Daten erheben? Hartz IV isticht nur Armut per Gesetz, sondern auch Demütigunger Gesetz, weil die Betroffenen all diese Daten offenle-en müssen. Wir brauchen eine Reduzierung der Sozial-aten und keine zentrale Speicherung.
Interessant ist auch, was für ein Kuddelmuddel beier FDP herrscht. Herr Brüderle sagt auf einmal:LENA ist zu teuer und bringt zu viel Bürokratie mitich, und man sollte es vielleicht aussetzen.
ußerdem habe ich gehört, dass Frau Merkel,
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Jan Korte
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die sich nach fünf Jahren endlich entschieden hat, jetztentscheiden zu wollen, gesagt hat: Vielleicht brauchtman ein Moratorium für ELENA. Weil die WirtschaftÄrger macht und weil die Datenschützer Ärger machen,sollte man darüber einmal nachdenken.Wenn sie tatsächlich eine Entscheidung treffen wollte,dann müsste sie entscheiden, dass ihre Fraktion dem An-trag der Grünen zustimmt. Der Antrag ist nämlich rich-tig. Außerdem wäre das eine wirkliche Entscheidung.Ich würde sogar sagen: Man muss darüber hinausgehen.Wir brauchen nicht nur ein Moratorium für ELENA,sondern wir brauchen auch ein Moratorium für sämtlichedatenschutzrelevanten elektronischen Großprojekte, dienoch auf Eis liegen oder in Arbeit sind. Es ist Zeit dafür.
Ich komme zum Schluss. Ich habe schon darauf hin-gewiesen, dass die Kernfrage lautet: Wofür brauchen wirdiese Daten eigentlich? Der Antrag der Grünen ist, wiegesagt, richtig. Er wurde gerade noch rechtzeitig vorge-legt. Wir sollten ELENA jetzt stoppen. Es wäre auch auswirtschaftlichen Erwägungen – ich dachte immer, diessei ein Hauptthema der FDP; ein anderes haben Sie janicht mehr –, und zwar gerade für die kleinen und mittel-ständischen Unternehmen, von enormem Vorteil, wennwir das gesamte Projekt aussetzen würden, und zwar so-wohl aus Datenschutz- als auch aus Wirtschaftlichkeits-erwägungen. Deswegen sollten wir ELENA ohne Wennund Aber stoppen und in Zukunft – wir sind gerade inden Haushaltsberatungen – keine Gelder für einenQuatsch versenken, den kein Mensch braucht, der in dieGrundrechte eingreift und der nach dem Urteil des Bun-desverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung alldas, was uns aufgetragen wurde, schlicht nicht beachtet.Deswegen stimmt die Linke dem Antrag selbstverständ-lich zu.Schönen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der KollegeKonstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist eine fröhliche Debatte – wenn ich das ein-mal so sagen darf –, wenn ich den Kolleginnen und Kol-legen von SPD, CDU/CSU und FDP sagen kann: Eslohnt sich, den Antrag einmal zu lesen, anschließend, dadie Debatte zum ersten Mal im März erfolgt ist, einmalzu gucken, was über das Jahr hinweg eigentlich passiertist, und dann, wenn die Debatte noch einmal ansteht, dieRede tatsächlich neu zu schreiben. Das hilft. Sonst er-zählt man nämlich das, was man schon vor Monaten er-zissdliE–gSdmBasdgabswCtemInAvsEFS–bnKmBtiGsKhsü
Genau, weil es ehrbaren Zielen dienen sollte. – Aberute Ideen kann man auch schlecht machen. Das habenie in der Großen Koalition – bedauerlicherweise ist voner SPD kaum jemand mehr da – leider schlecht ge-acht.
ELENA ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Trotz alleredenken ist die entsprechende gesetzliche Grundlagem 1. Januar in Kraft getreten. Seither hat die Kritiktark zugenommen. Wir müssen ELENA aus Gründenes Datenschutzes, der Mittelstandsentlastung und auf-rund der enormen Kosten für die Verwaltung sofortussetzen.
Als wir hier den Antrag meiner Fraktion aus dem Fe-ruar, also vor der Entscheidung des Bundesverfas-ungsgerichts, zum ersten Mal debattiert haben, gab esie heute Befürworter aus den Fraktionen der CDU/SU, der FDP und der SPD. Sie haben wie heute das Da-nsammeln, Speichern und Verwalten via ELENA vehe-ent gelobt. Es war zu hören: ELENA ist ein Signal fürnovationen und erfüllt höchste Sicherheitsstandards. –ber inzwischen gab es die Entscheidung des Bundes-erfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung. Seitherind bis zu diesem Tage eigentlich nur Kritiker vonLENA unterwegs gewesen, übrigens auch aus Ihrenraktionen. Jetzt ist leider auch Frau Piltz nicht mehr da.ie gehört auch dazu.
Ich habe Sie übersehen. Verzeihung!Ich nenne sie Ihnen einmal: den Bundesdatenschutz-eauftragten Peter Schaar, den ehemaligen Bundesin-enminister Baum, die Kolleginnen und Kollegen deroalition Piltz, Ahrendt und Philipp, die Bundesjustiz-inisterin, den Bundeswirtschaftsminister und selbst dieundeskanzlerin – sie alle haben sich öffentlich sehr kri-sch zu ELENA geäußert und ein Moratorium gefordert.enau dieses Moratorium beantragen und fordern wireit Februar. Es liegt Ihnen heute zur Abstimmung vor.Stellvertretend für alle Kritiker möchte ich hier denollegen Hans-Peter Uhl zitieren, der im April erklärtat – er ist leider nicht hier –, bei ELENA handele esich um eine Art der Vorratsdatenspeicherung, die weitber die nicht minder umkämpfte verdachtsunabhängige
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6517
Dr. Konstantin von Notz
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Protokollierung von Telekommunikationsdaten hinaus-gehe.
– Da hat der Kollege Uhl einen lichten Moment ge-habt. – Er ergänzt noch, es liege ihm am Herzen, auf ei-nen „Wertungswiderspruch“ hinzuweisen. So habe dasBundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdaten-speicherung im Telekommunikationssektor gekippt, ob-wohl es dort „um vergleichsweise harmlose Daten“gehe. Demgegenüber würden bei ELENA „deutlich sen-siblere“ Informationen etwa über Einkommen, Fehlzei-ten oder Kündigungen gesammelt, und dies zum Zweckdes Bürokratieabbaus, der ein minderes Rechtsziel dar-stelle. – Das sind wahre Worte, gelassen ausgesprochenvom Kollegen Uhl. Da dürfen Sie ruhig klatschen, er istnämlich ein Fraktionskollege.
In der Tat stellt sich die Frage – um auf die Äußerun-gen der Kollegin Barnett einzugehen, die auch nichtmehr da ist –, ob eine anlasslose, zentrale und massen-hafte Speicherung von sensibelsten Daten zum Zweckdes Bürokratieabbaus legitim sein kann, wenn das Ver-fassungsgericht eine solche Datensammlung selbst fürhöchste Rechtsgüter wie den Schutz von Leib und Lebenfür verfassungswidrig erklärt hat.Zum Bürokratieabbau, dem Sie hier Lobgesänge wid-men, kommt es eben nicht. Nach einem Gutachten desNationalen Normenkontrollrates sind bei der Umsetzungvon ELENA für die öffentliche Hand bis zu achtmal hö-here Kosten als geplant zu erwarten. Auch für kleine undmittlere Betriebe gibt es erhebliche Mehrkosten, die sonicht eingeplant waren.Hinzu kommt noch, dass ELENA gegen fundamen-tale Datenschutzgesetze verstößt. Bezüglich der über-mittelten Daten, die alle seit dem 1. Januar 2010 an dieZentrale Sammelstelle gesandt werden, gibt es bis 2012keinen Auskunftsanspruch. Bis 2012 können Sie alsonicht erfahren, was Ihr Arbeitgeber dahin übermittelt.Das ist ein klarer Verstoß gegen das Bundesdatenschutz-gesetz und das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Sehr gerne. – Ich komme zum Schluss. Manchmal
oll es Regierungsfraktionen ja schwerfallen, aus Grün-
en der Fraktions- oder Regierungsdisziplin sinnhaften
nträgen der Opposition nicht zustimmen zu können.
arum geht es heute aber nicht. Heute geht es darum,
ass Ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als zuzustim-
en, wollen Sie nicht sich selbst, Ihre Ministerinnen und
inister und Ihre Kanzlerin im Bereich des Datenschut-
es der totalen Lächerlichkeit preisgeben. Wir werden
as Abstimmungsverhalten genau verfolgen.
Ganz herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-chlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft undechnologie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Dierünen mit dem Titel: „ELENA aussetzen und Daten-bermittlung strikt begrenzen“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/1553, den Antrag der Fraktionündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/658 abzuleh-en. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-mpfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitions-aktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/ie Grünen und der Fraktion Die Linke und bei Enthal-ng der SPD-Fraktion angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung des Schutzes von Vertrauensverhältnis-sen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht– Drucksache 17/2637 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,amit sind Sie einverstanden. Dann können wir so ver-hren.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner haterr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Max Stadlerr die Bundesregierung das Wort.
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6518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Folgender Fall hat sich tatsächlich zugetragen:
Das Opfer einer schweren Straftat, nämlich einer Entfüh-
rung, hat einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner In-
teressen beauftragt. Daraufhin sind die Telefone dieses
Anwalts – sowohl die in der Kanzlei als auch das Mobil-
telefon – durch gerichtlichen Beschluss überwacht wor-
den.
Erst das Bundesverfassungsgericht hat diese Überwa-
chungsmaßnahme aufgehoben.
Immerhin wurde den Karlsruher Richtern durch die-
sen unglaublichen Vorgang die Gelegenheit geboten, in
dem Beschluss vom 30. April 2007 – ich zitiere – „die
herausgehobene Bedeutung einer nicht-kontrollierten
Berufsausübung eines Rechtsanwalts zum Schutz des
Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant“
hervorzuheben.
Meine Damen und Herren, über diese Bedeutung des
Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant
und Anwalt sind wir uns alle hier im Hohen Haus sicher
einig. Es war ja auch mit § 160 a Abs. 1 StPO der Ver-
such unternommen worden, dieses Vertrauensverhältnis
vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Aber die bishe-
rige Regelung ist nach unserer Auffassung unzurei-
chend. Das korrigieren wir jetzt. Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf unternehmen wir einen wichtigen Schritt
zur Stärkung der Bürgerrechte.
Wir sorgen dafür, dass in Zukunft wieder alle Rechts-
anwälte und nicht alleine die Strafverteidiger glei-
chermaßen vor heimlichen Ermittlungsmaßnahmen des
Staates geschützt werden. Damit stärken wir das Ver-
trauensverhältnis zwischen Mandanten und Anwälten,
und wir stärken zugleich das Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger in den freiheitlichen Rechtsstaat.
Die Koalition setzt damit ein wichtiges Vorhaben aus
ihrem Regierungsprogramm um. Für mich ist das prakti-
zierte Bürgerrechtspolitik. Wir erfüllen damit das Ver-
sprechen, das ungestörte Vertrauensverhältnis zwischen
Anwälten und Mandanten als das Fundament jeder an-
waltlichen Tätigkeit besonders anzuerkennen.
Was war unzureichend am bisherigen § 160 a StPO?
Er erstreckte diesen Schutz nur auf das Verhältnis von
Mandanten zu Strafverteidigern. Es ist aber nicht einzu-
sehen, dass dieser Schutz nicht gleichermaßen für das
Vertrauensverhältnis der Bürger zu einem Anwalt gelten
soll, den sie beispielsweise mit der Wahrnehmung zivil-
rechtlicher Aufgaben oder in sozialrechtlichen Fällen
oder verwaltungsrechtlichen Fällen oder womit auch im-
mer betrauen.
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Sofern also nicht gegen Anwälte wegen eines Tatver-
achts selbst ermittelt wird, dürfen Angehörige der An-
altschaft und der anderen genannten Berufsgruppen
icht zum Objekt strafrechtlicher Ermittlungen werden,
enn dadurch Informationen erlangt würden, die von ih-
m Zeugnisverweigerungsrecht umfasst sind.
Eine Telefonüberwachung, wie ich sie in dem Ein-
angsbeispiel geschildert habe, oder eine längerfristige
bservation – um nur zwei Beispiele zu nennen – sind in
ukunft in diesen Fällen nicht mehr zulässig.
Die bisherige Regelung, die wir vorgefunden haben,
ar auch völlig praxisfremd. Denn es ist in der Praxis
eine Seltenheit, dass andere Rechtsgebiete immer wie-
er mit strafrechtlichen Fragen in einem Zusammenhang
tehen. So kann eine Beratung, die ein Anwalt in einer
ivilrechtlichen oder einer steuerrechtlichen Angelegen-
eit durchführt, durchaus ergeben, dass auch eine Straf-
erteidigung nötig wird. Aus diesem Grund hat die bis-
erige Regelung auch aus Praktikabilitätserwägungen zu
echt die Kritik der Anwaltschaft gefunden.
Dass diese Kritik heutzutage weitverbreitet ist, zeigte
brigens jüngst eine Entschließung des Bundesrats. Der
undesrat hat nämlich zu § 20 u des BKA-Gesetzes, des
esetzes über das Bundeskriminalamt, festgestellt, dass
uch dort dieselbe nicht nachvollziehbare Unterschei-
ung wie in der bisherigen Vorschrift des § 160 a StPO
nthalten sei, und hat uns aufgefordert, diese Unterschei-
ung auch dort zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, wir sind bereit, diesen
orschlag des Bundesrats zu prüfen, genauso wie wir
uch prüfen wollen, ob nicht weitere Berufsgeheimnis-
äger, die bislang nur einen relativen Schutz genießen,
§ 160 a StPO besser geschützt werden sollen, zum
eispiel Steuerberater, Notare oder Ärzte.
Ich freue mich, dass es mit dem heutigen Gesetzent-
urf möglich ist, eine Vereinbarung, die CDU/CSU und
DP im Koalitionsvertrag getroffen haben, umzusetzen.
ies ist ein Projekt zum besseren Schutz der Bürger-
chte. Ich hoffe darauf, dass wir dafür die breite Unter-
tützung des Hauses finden.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
r. Peter Danckert.
Nicht zu viel Beifall. – Frau Präsidentin! Meine Da-en und Herren Kolleginnen und Kollegen! Man musser FDP gratulieren. Sie haben sich in dem Koalitions-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6519
Dr. Peter Danckert
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vertrag in dieser jetzt hier zu behandelnden Materiedurchgesetzt und ein Versprechen eingelöst, mit dem Siein der Anwaltschaft kräftig geworben haben. Ich sagedas ohne jeden Neid. Ich erinnere mich nur – HerrnKauder wird es genauso gehen – an die Anhörungen imSeptember 2007 zum Telekommunikationsgesetz und andie Beratungen im Parlament im November 2007, diedann zu dem § 160 a StPO geführt haben. Ich weiß nicht,ob der Kollege Sensburg auf das eingehen wird, wasseine Fraktion veranlasst hat, auf die Vorschläge derFDP einzugehen.
Wenn wir uns die Entwicklung in dieser Zeit ansehen,dann stellen wir fest, dass es damals eine heiße Debatteüber die Frage gab, wie weit der Geheimnisschutz gehensoll und welche Personen betroffen sein sollen. Ur-sprünglich war der § 53 a der StPO einschlägig, derdurch einen Änderungsantrag in den § 160 a übergegan-gen ist. Das war richtig, weil das der eigentliche Ort war,um die gesetzlichen Regelungen zu treffen. Herr Kauderund ich – das gilt auch für unsere Fraktionen – warenuns einig, wenn ich mich recht entsinne, dass der Schutz,wie wir ihn in § 160 a Abs. 1 festgelegt hatten, ausrei-chend sein würde. Als überzeugter Anwalt, der jetzt über40 Jahre auf dem Buckel hat, muss ich sagen, dass es andieser Stelle problematisch ist, zwischen Strafverteidi-gern einerseits und Rechtsanwälten andererseits zu un-terscheiden. Herr Stadler hat schon ein Beispiel gegeben.Man kann sich lebhaft vorstellen, dass in der Praxis einGespräch mit einem normalen Rechtsanwalt, der Zivil-sachen für einen Mandanten bearbeitet, unversehens inein Gespräch über einen strafrechtlichen Vorwurf mün-den kann. Dann wird die Sache sehr problematisch, weilder Zivilanwalt nicht der Strafverteidiger ist und durch-aus Probleme entstehen könnten, die wir nur dadurch lö-sen können – das ist auch die Auffassung meiner Frak-tion –, dass wir eine Gleichstellung vornehmen und nichtzwischen Strafverteidiger einerseits und Rechtsanwaltandererseits unterscheiden.Insofern trage ich als Anwalt aus Überzeugung, abernach intensiver Beratung auch meine Fraktion, diese Re-gelung mit. Ich glaube, wir tun damit nicht nur derRechtsanwaltschaft insgesamt einen Gefallen, sondernwir nivellieren einen Unterschied, der in der Praxis sehrproblematisch war. Wir dürfen aber nicht übersehen,dass an dieser Stelle – wir werden sehen, wie sich dieDinge entwickeln – auch der Grundsatz der effektivenStrafverfolgung, der sich ebenfalls aus der Verfassungableiten lässt, unter Umständen berührt sein kann. Daswaren damals auch unsere Überlegungen. Wir werdendas sehr aufmerksam verfolgen.Ich will die mir zustehende Redezeit nicht weiter aus-nutzen, weil ich glaube, dass das Haus in dieser Thema-tik wahrscheinlich einheitlich votieren wird. Auch dieBeratungen in den Ausschüssen werden daran nichts än-dern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit undlasse mir für das nächste Mal drei Minuten gutschreiben.
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So einfach ist das dann doch wieder nicht.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Patrick Sensburg
r die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Meine Damen und Herren! Das mit demutschreiben hätte mich mit meinen zwölf Minuten Re-ezeit auch interessiert, aber ich habe gelernt, dass dasicht so einfach ist.Es geht in dem vorliegenden Gesetzentwurf um dietärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zuechtsanwälten in der Strafprozessordnung und damitm die Erweiterung des Schutzes in einem besonderenereich der Berufsgeheimnisträger. Es handelt sich zwarm einen nicht sehr groß gefassten Bereich, wie ichleich aufzeigen werde, aber um einen Bereich, dessenrgänzung sinnvoll ist. Es geht darum, den Unterschiedwischen Verteidiger und Rechtsanwalt in § 160 a dertPO abzuschaffen.In der letzten Legislaturperiode haben wir mit dem160 a StPO den Unterschied dahin gehend ausgestal-t, dass wir ein absolutes Erhebungs- und Verwertungs-erbot unter anderem für den Bereich der Strafverteidi-er und ein relatives Verbot von Maßnahmen gegenüberechtsanwälten geregelt haben. Für Letztere greift160 a Abs. 2 StPO und damit ein Erhebungs- und Ver-ertungsverbot nach Maßgabe des Verhältnismäßig-eitsgrundsatzes im Einzelfall. Es besteht also bereitstzt ein Schutz für alle Berufsgeheimnisträger, nur eben abgestufter Weise. Auf der einen Seite besteht er füreistliche, wenn sie in der Seelsorge tätig sind, für Ver-idiger und Abgeordnete; da gilt insoweit das absoluterhebungs- und Verwertungsverbot. Auf der andereneite gilt für alle anderen Berufsgeheimnisträger derirksame, aber relative Schutz. Es handelt sich folglichm einen abgestuften Schutz der Vertrauensverhältnisse anwaltlichen Bereich.Es ist wohl schwerlich zu übersehen, dass man beitrafverteidigern, die in der Beratung mit dem Mandan-n strafrechtsrelevante Sachverhalte besprechen, einendere Interessenlage hat als bei einem Rechtsanwalt,er zum Beispiel auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtsit seinem Mandanten diskutiert. Ich glaube, es ist klaru erkennen, dass das der Grund der Differenzierung ge-esen ist. Das ist auch nachvollziehbar. Der Übergangom Anwalts- zum Verteidigermandat ist in der Praxisber oft fließend. Darum wollen wir eine Gleichstellung.larheit und auch Sicherheit schaffen wir insoweit fürie Rechtsanwälte. Aber das ist nicht nur für die Rechts-nwälte wichtig, sondern auch für die Mandanten, dieen feinen Unterschied des Übergangs vom Rechtsan-
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Dr. Patrick Sensburg
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waltsmandat zum Strafverteidigermandat nicht erkennenkönnen. Durch den Wegfall dieser Unterscheidungschaffen wir Klarheit sowohl für die Anwaltschaft alsauch für die Mandanten, die sich dann keine Sorge ma-chen müssen, ob sie sich im Bereich der strafrechtlichenBeratung oder im Bereich von anderen Beratungstätig-keiten bewegen.
Aus derAnwaltschaft wird über die Verunsicherung von Man-danten berichtet. Da schaffen wir jetzt Klarheit.Anwälte sind als unabhängige Organe der Rechts-pflege unverzichtbar für einen funktionierenden Rechts-staat. Die unbehelligte Arbeit der Anwälte und ihrSchutz vor Ermittlungsmaßnahmen sind daher ein hohesGut. Ganz konkret ist es für das Mandantenverhältnisvon großer Bedeutung, dass eine ungestörte Kommuni-kation zwischen Anwalt und Mandant stattfinden kann.Die Besorgnis, ein Anwalt könne im Rahmen seinerMandatsausübung abgehört werden, würde diesem Ver-trauensverhältnis Schaden zufügen, und deswegen än-dern wir auch § 160 a StPO.Gerade mit Blick auf die Debatten aus dem Jahre2007 – der Kollege Danckert hat es gerade angesprochen –halte ich es für wichtig, § 160 a StPO einmal in den Ge-samtkontext der Schutznormen einzuordnen und zu zei-gen, wo die einzelnen Schutzbereiche in diesem The-mengebiet liegen. Bei der Beschlagnahme vonSchriftstücken gilt bereits jetzt § 97 StPO für alle An-wälte und damit im Bereich ihres Mandantenverhältnis-ses. Auch der Bereich der akustischen Wohnraumüber-wachung, also das Abhören und Aufzeichnen imWohnraum ohne Wissen des Betroffenen, ist für Anwältebereits jetzt geregelt, nämlich in § 100 c Abs. 6 StPO.Damit haben wir auch hier einen Schutz für alle Rechts-anwälte.Mit der Erweiterung von § 160 a StPO soll nun derSchutz vor allen anderen Ermittlungsmaßnahmen gegenRechtsanwälte ausgedehnt werden. Das ist richtig. Wirhaben gerade gehört, welche Bereiche das umfassenkann. Insbesondere sind es die Telekommunikations-überwachungen, also die sogenannten TKÜ, auch dielängerfristige Observation, die Staatssekretär Stadler ge-rade dargestellt hat; das findet in der Praxis aber eherweniger statt. Es sind in der Regel die TKÜ, also die Te-lekommunikationsüberwachungen, die hier relevantsind. Konkret handelt es sich dabei um das Abhören vonTelefongesprächen, das Mitlesen von E-Mails oder dasMitlesen von sogenannten Kurzmitteilungen wie SMSoder Telefax, wobei die Anzahl der Telefaxe in der Pra-xis im Verhältnis Mandat zu Rechtsanwalt wohl etwaskleiner wird.Bisher hat es für diese Varianten nach dem aktuellgültigen § 160 a StPO nur sehr selten Maßnahmen zulas-ten von Rechtsanwälten gegeben. Die Zahl, die uns ausder Anwaltschaft genannt wird, liegt im laufenden Jahrbei unter zehn Fällen von Telekommunikationsüberwa-chung zulasten von Rechtsanwälten. Man kann daherfeststellen, dass wir mit der bisherigen Regelung imGrugvkadusmdMgfüealeEesRsPdEwdteddteoIcSwdwunbdfeFdWdmsd
h sehe hier keine Anwendungsfälle, die den absolutenchutz erfordern. Schauen wir einmal, wie wenig An-endungsfälle wir im Bereich der Rechtsanwälte haben,ann frage ich mich im Umkehrschluss: Wie viele An-endungsfälle sollen es dann im Bereich der Buchprüfernd Steuerberater sein? Stellen Sie sich einmal vor, in ei-er gemeinsamen Sozietät würde ein Mandant nicht deneratenden Rechtsanwalt, sondern den Buchprüfer oderen Steuerberater der Sozietät anrufen. Das ist praxis-rn. Lassen Sie uns doch beobachten, ob es tatsächlichälle in der Praxis gibt und weitere Berufsgruppen inen Schutz genommen werden müssen.
enn wir feststellen, dass es Anwendungsfälle gibt,ann können wir eine Nachregelung des § 160 a vorneh-en. Wenn es aber keine Fälle gibt, dann gilt das verfas-ungsrechtliche Gebot, den Schutz nicht weiter auszu-ehnen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6521
Dr. Patrick Sensburg
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Gerade der Fall Gnjidic/el-Masri zeigt beispielhaftdas Spannungsverhältnis zwischen dem Strafverfol-gungsinteresse des Staates und dem Schutz von Berufs-geheimnisträgern auf. Zum einen muss deutlich gemachtwerden, dass § 160 a in der alten wie in der geplantenneuen Fassung schon seinem Wortlaut nach nicht aufselbst beschuldigte Zeugnisverweigerungsberechtigteangewendet werden kann. In den Fällen also, bei denenBerufsgeheimnisträger selber als schwarze Schafe in Er-mittlungsmaßnahmen involviert sind, bietet § 160 a na-türlich keinen Schutz, und das ist meines Erachtens auchselbstverständlich.Die neue Regelung trägt aber auch dem Rechnung,dass es ein Spannungsverhältnis bei der Abwägung zwi-schen den berechtigten Interessen der Berufsgeheimnis-träger und den notwendigen Strafverfolgungsinteressengibt. Bei dieser Abwägung sagt uns das Bundesverfas-sungsgericht ganz deutlich Folgendes – ich zitiere –:Angesichts des rechtsstaatlichen Postulats der Auf-rechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechts-pflege bedarf die Einräumung von Aussageverwei-gerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen stetseiner besonderen Legitimation, um vor der Verfas-sung Bestand zu haben.Wir brauchen also die besondere Legitimation und kön-nen nicht ohne Grund Berufsgruppen hinzunehmen.Ich glaube, das sind zwei Seiten derselben Medaille,die wir in einem Abwägungsprozess berücksichtigenmüssen. Gerade die Einzelfälle, die wir in der Praxis inden vergangenen Jahren erlebt haben, bringen uns dazu,§ 160 a neu zu regeln. Lassen Sie uns doch einmalschauen, ob eine Ausdehnung auf weitere Berufsgrup-pen überhaupt praxisrelevant ist. Wenn ja, dann kannman auch darüber diskutieren.
Wenn ich mir die Debatte um den Haushalt des Justiz-ministeriums vom 16. September 2010 vor Augen halte,in der uns die Fraktion Die Linke vorgeworfen hat, wirseien Sicherheitsfanatiker,
dann kann ich nur sagen, dass sie ein Problem mit demRechtsstaat hat. Diese Abwägung findet bei Ihnen näm-lich nicht statt. Sie sehen die eine Seite. Sie sehen abernicht das Strafverfolgungsinteresse des Staates. Mirscheint manchmal, Sie haben ein Problem mit dem Straf-verfolgungsinteresse des Staates.
– Ich kann Ihnen gleich gerne auch noch etwas zur Bun-despolizei sagen. Wir haben schon im Zusammenhangmit § 20 u BKAG darüber diskutiert, ob wir Rechte derBerufsgeheimnisträger einschränken. An dieser Stellebringe ich ein Zitat von Ihnen: Bereits im Vorfeld vonBerichterstattungen wird versucht, den Journalisten ei-nen Maulkorb zu verpassen. – So der Wortlaut einerPwMabtewkkgAweagrehwsdHarezDDdwtußSR
an muss schon beide Seiten der Medaille sehen unduch berücksichtigen, dass viele Demonstranten gut vor-ereitet waren und Aggressionen von den Demonstran-n ausgegangen sind. Außerdem sind Steine geworfenorden. Das war das, was man gerade im Ticker lesenonnte und was man auch auf Bildern im Internet sehenonnte.Meine Damen und Herren, ich glaube, der vorlie-ende Gesetzentwurf schafft Klarheit im Verhältnis vonnwälten und Strafverteidigern – das ist uns wichtig ge-esen –,
r trägt aber auch dem verfassungsrechtlichen Gebot desbgestuften Schutzes der einzelnen Berufsgeheimnisträ-er Rechnung, und es gelingt, das Strafverfolgungsinte-sse des Staates hinreichend zu berücksichtigen. Esandelt sich also um einen ausgewogenen Gesetzent-urf. Ich würde mich daher freuen, wenn auch Sie die-em Gesetzentwurf zustimmen könnten.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Nun hat das Wort die Kollegin Halina Wawzyniak für
ie Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Herr Sensburg, ehrlich gesagt, finde ich es nichtngemessen, um mich jetzt zurückzuhalten, demonstrie-nde Schülerinnen und Schüler mit Leuten gleichzuset-en, die, wie Sie unterstellen, gewalttätige Aktionen aufemonstrationen durchführen.
as ist keine vernünftige Einstellung zur Zivilcourage.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Stärkunges Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsan-älten im Strafprozessrecht geht in die richtige Rich-ng, greift aber zu kurz. Es ist grundsätzlich zu begrü-en, dass die bisherigen Differenzierungen zwischentrafverteidigerinnen und -verteidigern und sonstigenechtsanwälten, wie sie bislang in § 160 a vorgesehen
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6522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Halina Wawzyniak
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war, aufgehoben wird. Die Mandantin bzw. der Mandatkann nunmehr alle Informationen, die zu einer effekti-ven Rechtsvertretung notwendig sind, offenbaren. DieLinke ist aber der Auffassung, dass auch Ärztinnen undÄrzte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Journalis-tinnen und Journalisten, aber auch Wirtschaftsprüferin-nen und -prüfer und Steuerberaterinnen und -berater demgleichen absoluten Schutz unterliegen müssen wie Straf-verteidigerinnen und -verteidiger, Abgeordnete undGeistliche und nunmehr auch Rechtsanwälte.Der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen, dassein Vorschlag des Bundesrates vorliegt, der geprüft wer-den soll. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Nach den Aus-führungen von Herrn Sensburg sehe ich noch nicht, dassSie sich durchsetzen können – aber trotzdem viel Erfolg.Auch auf die Berufsgruppen, die ich eben genannthabe, ist das Erhebungs- und Verwertungsverbot hin-sichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen auszuweiten. Ins-besondere psychologische Therapeutinnen und Thera-peuten sowie Ärztinnen und Ärzte können ihre Tätigkeitnur dann richtig wahrnehmen, wenn sie ihren Patientin-nen und Patienten die Gewähr geben können, dass das,was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertrautoder bekannt gegeben worden ist, nicht gerichtlich ab-rufbar bzw. verwertbar ist. Menschen, die medizinischeund therapeutische Hilfe und Sachkunde in Anspruchnehmen wollen oder auch müssen, setzen ein großesVertrauen in die Personen, denen sie sich offenbaren, de-nen sie ihr Intimstes verraten. Hier muss die Regierungschnellstens nachbessern.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig,dass das, was einem Geistlichen in seiner Funktion alsSeelsorger anvertraut wird, den absoluten Schutz des§ 160 a Abs. 1 genießt. Mir ist aber nicht plausibel, wa-rum dies für Therapeutinnen und Therapeuten sowieÄrztinnen und Ärzte in ihrem Verhältnis zu Patientinnenund Patienten nicht gelten soll. Warum sollen Menschen,die sich einem Geistlichen anvertrauen, weniger Angstdavor haben müssen, dass das Gesagte öffentlich wird,als die, die sich einer Therapeutin oder einem Therapeu-ten offenbaren?
Die Vorschrift, um die es hier geht, nämlich § 160 a,ist folgendermaßen konstruiert: In Abs. 1 werden dieje-nigen Berufsgruppen genannt, die absoluten Schutz vorErmittlungsmaßnahmen genießen, in Abs. 2 die Berufs-gruppen, die zumindest einen relativen Schutz habensollen. Wie soll das aber in die Praxis umgesetzt wer-den? Wie soll denn die Feststellung getroffen werden, obeine Information kernbereichsrelevant ist oder nicht?Dazu müssen die Beratungsinhalte doch erst einmal of-fenbart werden. Danach müsste geprüft werden, ob dieseInhalte nun kernbereichsrelevant sind oder nicht. DieseFeststellung ist aber an keinerlei objektive Maßstäbe ge-bunden. In einem Rechtsstaat muss aber für alle Betei-ligten klar sein, welche Informationen geschützt sindund welche nicht. Deshalb ist eine derart unbestimmteAbwägungsklausel wie in § 160 a Abs. 2 rechtsstaatlichbedenklich.SWgüntiBmDlebLWBDdvedinGWsmtenmDSRuwRSbbehüthDbA–w
Als Zeugen, selbstverständlich, nach § 53 StPO. So-eit ihr Aussageverweigerungsrecht greift, ist das so.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6523
Jerzy Montag
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Jetzt ist es unlogisch und schon immer falsch gewe-sen, dass es bei diesen Ersatzmaßnahmen zur Erlangungvon Erkenntnissen von Zeugen einen abgestuften Schutzgibt.
Wenn man einen Arzt als Zeugen fragt, dann darf er sa-gen: Ich sage nichts. – Aber wenn man sein Telefon ab-hört, um herauszubekommen, was er sagen könnte,wenn man ihn fragen würde, dann sagen Sie, dieses Ab-hören sei nicht absolut verboten, sondern nur relativ. Dasist unlogisch. Das war schon immer unlogisch. Deswe-gen ist es völlig klar: So weit, wie der Schutz nach § 53StPO für die Aussagen von Zeugen geht, muss natürlichnach § 160 a auch der Schutz bei Ersatzmaßnahmen zurErlangung dieses Wissens von diesen Zeugen gehen.
Die Bundesregierung weiß das; denn sie schreibt inder Begründung zu ihrem Gesetzentwurf, dass die bishe-rige Differenzierung unbefriedigend sei. Ich zitiere wort-wörtlich: „unbefriedigend“. Sie möchte gerne ein befrie-digendes Ergebnis erreichen. Dazu schreibt sie in ihrerBegründung, sie mache erst eine vorsichtige Auswei-tung. – Sie ist nicht vorsichtig, sie ist ängstlich und un-systematisch und insofern zu kritisieren.
Die Ärzte, Psychiater und Journalisten sind empört überdiese Ungleichbehandlung, und sie bleiben so lange em-pört, bis man sie, wie ich es ausgeführt habe, in diesenRechten gleichsetzt.Lieber Kollege Stadler, Sie haben zu Beginn IhrerAusführungen einen Fall geschildert. Diesen Fall könnteman für einen Arzt, für einen Journalisten, für einen Psy-chiater und für einen Psychologen genauso konstruieren.Genau das ist das Problem. Wir werden so lange bohren,bis Sie uns zu diesem Gesetz auch die anderen Gesetzevorlegen werden, die Sie so vorsichtig zwischen denZeilen angekündigt haben. Da bleiben wir miteinanderim Gespräch.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/2637 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Barthel, Garrelt Duin, Hubertus Heil
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, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
ichtig ist auch: Wer eine Lizenz haben will, muss zu-erlässig sein, muss ein sauberes polizeiliches Führungs-eugnis vorweisen und steuerliche Unbedenklichkeitsbe-cheinigungen der Finanzämter vorlegen können. Es istst so etwas wie eine Ironie der Geschichte, dass an die-en Voraussetzungen ausgerechnet ein früherer Vor-tandsvorsitzender der Deutschen Post scheitern würde,ürde er heute einen Antrag auf Lizenzerteilung stellen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sieollten endlich aufhören, ein Zerrbild vom Briefmarkt zu
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6524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
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zeichnen. Freuen Sie sich lieber mit uns über rund 850am Markt aktiv tätige und vorwiegend kleine und mitt-lere Unternehmen sowie über die 31 400 Beschäfti-gungsverhältnisse, die hier entstanden sind. Man musssagen, es könnten noch viel mehr sein, wären privateAnbieter nicht durch Mindestlohnvorschriften und dieUmsatzsteuerbefreiung für den Hauptkonkurrenten indie Insolvenz getrieben worden. Zu Zeiten des Mindest-lohns sind zwischen 2007 und 2009 17 000 Arbeits-plätze vernichtet worden. Dies entnehme ich jedenfallsder Antwort auf Ihre Frage 2.Wenn wir jetzt vergleichen, kann man feststellen:Tendenziell problematische Beschäftigungsverhältnissegibt es auch bei der Deutschen Post. Von den rund12 000 Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen, die Ende2008 im Briefmarkt tätig waren, entfielen rund 10 000auf die Deutsche Post AG. Dazu kommen noch die Bil-ligtöchter der Deutschen Post, die Stundenlöhne zahlen,die weit unter Tarifvertrag liegen,
und dies, Herr Barthle, auch noch mit gewerkschaftli-cher Unterstützung.
Ich glaube, man muss jetzt einfach den Blick nachvorne richten. Eines muss man bei einer realistischenBetrachtung sehr deutlich sagen: Einen Postmindestlohn2.0 wird es nicht geben. Wir haben uns mit unserem Ko-alitionspartner verständigt; das wissen Sie sicherlich,weil Sie unseren Koalitionsvertrag diesbezüglich stu-diert haben. Nachdem der Postdienstleistungsbereichnoch zu Zeiten der Großen Koalition in das Arbeitneh-mer-Entsendegesetz aufgenommen worden ist, würdebei einem zweiten Anlauf das in der Koalition verein-barte Verfahren mit den entsprechenden Vorgaben fürMindestlöhne gelten. Das Verfahren hat sich in anderenBereichen bereits bewährt. Kollege Barthel, daran sehenSie, dass wir das ganz undogmatisch sehen.Ein neuer Branchenmindestlohn bedarf nach unsererVereinbarung des einstimmigen Beschlusses durch denTarifausschuss zudem einer einvernehmlichen Regelungim Bundeskabinett. Das hat dazu geführt, dass in der Ab-fallwirtschaft, der Gebäudereinigung und im Dachde-ckergewerbe Mindestlohnverordnungen erlassen wordensind. In anderen Bereichen, etwa beim Wach- und Si-cherheitsgewerbe und bei den Aus- und Weiterbildungs-dienstleistungen, ist dies mangels ausreichender Mehr-heit im Tarifausschuss nicht geschehen. Ich glaube, mankann feststellen, dass ein neuer Anlauf beim Postmin-destlohn am absehbaren Veto der Arbeitgeber im Tarif-ausschuss scheitern würde.
Ich muss für meine Fraktion sagen: Wir können mit die-sem Ergebnis sehr gut leben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6525
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Heute stellen wir fest – wir haben es gerade gehört –:Die schwarz-gelbe Bundesregierung des Jahres 2010kündigt den damaligen Konsens faktisch auf.
Anders kann man die Antwort auf unsere Große Anfragenämlich nicht verstehen. Sie haben vier Monate ge-braucht, um uns mitzuteilen, dass Sie in bester TraditionIhrer einjährigen Regierungszeit nichts tun wollen, umdem Recht zur Geltung zu verhelfen.Die Bundesregierung duldet bewusst und gezielt Be-hördenversagen. Die Bundesregierung lässt unter ande-rem zu, dass sich eine Bundesoberbehörde weigert,„branchenübliche Arbeitsbedingungen“, wie es im Ge-setz heißt, als Maßstab für die Lizenzerteilung überhauptfestzustellen, damit sich Lizenznehmer daran orientierenkönnen. Sie lässt es zu, dass eine Bundesoberbehörde esin Zukunft wieder ablehnt, Vollerhebungen wie 2007und 2009 zu den Arbeitsbedingungen überhaupt festzu-stellen, dass sich diese Behörde weigert, gegen massen-hafte und gravierende Unterschreitung dieser Arbeitsbe-dingungen vorzugehen, und dass bis heute eigentlichniemand so genau weiß, wie viele Menschen bei all denSubunternehmen, bei den Erfüllungsgehilfen, von denenSie hier gerade geredet haben, überhaupt arbeiten undwie es denen eigentlich geht, obwohl Gerichtsurteileganz klar sagen, dass auch die zu erfassen sind.Die Kanzlerin – das finde ich in unserem Rechtsstaatspannend – hat neulich in anderem Zusammenhang er-klärt, Sie werde keine rechtsfreien Räume zulassen. ImBriefsektor wäre es ganz einfach, aufzuräumen: Ein Ge-setz ist da; eine zuständige Behörde ist da; die Datenba-sis dafür könnte da sein. Doch das Ergebnis – insofernmüssen wir einfach einmal genauer hinschauen – diesesrechtsfreien Raumes ist, dass der Briefsektor immermehr zum Niedriglohnsektor übelster Art verkommt.Der Durchschnittslohn bei den Wettbewerbern derDeutschen Post AG liegt 2009 sogar nach den nichtüberprüfbaren Angaben der Wettbewerber selbst ummehr als ein Drittel unter dem der Deutschen Post AG.2007 waren es noch rund 40 Prozent, und jetzt, als dieRegelungen über den Postmindestlohn ausgelaufen ist,geht die Tendenz wieder weiter nach unten. Die alsDurchschnitt der Wettbewerber ermittelten Löhne ver-schleiern außerdem die Realität mehr, als dass sie sie ab-bilden, weil einige Wettbewerber tatsächlich höhereLöhne bezahlen und auch Führungskräfte mitgerechnetwerden. In zwei Bundesländern haben wir sogar Durch-schnittslöhne von unter 6 Euro, und ein global agieren-der Postkonzern aus den Niederlanden brüstet sich in al-ler Öffentlichkeit damit, seinen Zustellern zwischen6,75 Euro und 7,60 Euro zu zahlen.Bei öffentlichen Ausschreibungen von Behörden wieKommunen, der Bundesagentur für Arbeit, Landes-ministerien oder der Justiz bekommen die Billiganbieterden Zuschlag für die Zustellung von Behördenpost, weilder preisgünstigste Bewerber genommen wird. Die Zu-steller, die dort arbeiten, kommen dann wieder zu eben-diesen Behörden – zum Staat –, um die Aufstockung ih-regdeSdwfümswdruadtehtrdwssddbKPgszaAhDwkwJlowVdfowDSDwtrd
er Mindestlohn für die Briefbranche und sein Erfolgiderlegt aber auch die Behauptung vonseiten der Lin-en, wir als SPD würden heute etwas beklagen, wogegenir selber nichts getan haben.
etzt stehen wir vor der Situation, dass der Postmindest-hn aus formalen Gründen aufgehoben ist und die Ge-erkschaften heute keinen Arbeitgeber, keinen neuenerband mehr finden, um einen neuen Antrag zu stellen.Der Mindestlohn ist weg, und die Löhne sinken wie-er. Das ist die Bilanz, die wir nach 15 Jahren Postre-rm ziehen müssen. Der Wettbewerb funktioniert nachie vor nicht. Der Markt schrumpft unaufhaltsam. Dieienstleistungsqualität verschlechtert sich an vielentellen. Arbeitsplätze und Einkommen verschwinden.as ist genau das Gegenteil all der Verheißungen, dieir seit 20 Jahren hören. Damit ist der Postsektor zumaurigen Symbol einer gesellschaftlichen Entwicklunger letzten 20 Jahre geworden, nämlich des ökonomisch
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6526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Klaus Barthel
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und politisch erzwungenen Abstiegs der gesellschaftli-chen Mitte.Der Postbote, der Paketfahrer, der Schalterbeamte– das waren bis in die 90er-Jahre anerkannte gesell-schaftliche – man muss fast sagen – Institutionen. EinZusteller bekam 1997 im Schnitt 28 Mark Stundenlohnund eine anständige Altersversorgung. Das wären heutegut 14 Euro in der Stunde. Aber selbst der Zusteller beider Post AG erleidet heute trotz enorm gestiegener Ar-beitsbelastung einen Realeinkommensverlust. Von ei-nem Renteneintritt mit 65 kann er angesichts eines Wir-belsäulenschadens nur träumen; die neuen Beschäftigtenin der Briefbranche können das ganz vergessen. Hiersinkt ein ganzer Berufsstand in den unteren Einkom-mensbereich ab und verliert mindestens die Hälfte seinesEinkommens.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Sofort. – Ohne Mindestlohn – das belegen die Zahlen
der Bundesnetzagentur, die zum Teil in der Antwort vor-
kommen – bekommt der durchschnittliche Zusteller bei
den Wettbewerbern heute einen Stundenlohn, der ihn
selbst bei Vollzeit zum Aufstocker degradiert, von den
Minijobbern und den anderen ganz zu schweigen. Das
ist eines der Beispiele dafür, wie neoliberale Politik
Leistungsträger zu Leistungsempfängern macht. Das ist
nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des Anse-
hens und des Selbstwertgefühls. Es ist eine Frage des
Vertrauens in die Politik, in den Rechtsstaat und seine
Institutionen. Sie sollten noch einmal genauer darüber
nachdenken, ob Sie dieser Entwicklung weiter zu-
schauen wollen.
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Barthel, ich weiß nicht, wer Ihnen die Redeaufgeschrieben hat; der Redenschreiber scheint mir nichtbesonders sachkundig gewesen zu sein.
Es ist festzuhalten, dass der Wettbewerb im Gegen-satz zu dem, was Sie ausgeführt haben, funktioniert;denn wenn der Wettbewerb nicht funktionieren würde,dann gäbe es nicht 857 Lizenznehmer, nur einer davonist die Deutsche Post. Herr Barthel, Sie haben die Zahlvon 12 000 Erfüllungsgehilfen genannt. Sie müssen aberdazu sagen, dass von den 12 000 Erfüllungsgehilfen al-lein die Post 10 000 Erfüllungsgehilfen beschäftigt.M1DBwFledwmdwbJHJSisdrüEzwDhPdDMDMsDdmhms
an muss sich fragen, Herr Barthel, was mit den0 000 Erfüllungsgehilfen ist, die die Post beschäftigt.
arauf komme ich gleich noch zu sprechen.Wenn man sich mit dem Thema Bezahlung auf demriefmarkt befasst, dann muss man die gesamte Wettbe-erbssituation betrachten. Schrumpfender Markt alsolge des Wettbewerbs, es ist gruselig, was Sie da erzäh-n. Der schrumpfende Markt ist nur deswegen entstan-en, weil die Zahl der Postsendungen enorm zurückgeht,eil es – vielleicht ist es bei Ihnen noch nicht angekom-en – elektronische Wege gibt. Es gibt heute ganz an-ere Möglichkeiten, in Kommunikation zu treten. Icheiß nicht, wann Sie den letzten Brief geschrieben ha-en. Wenn ich allein überlege, wie viele Briefe ich alsugendlicher an meine Freundinnen geschrieben habe.eute rufe ich meine Frau an; ich habe bloß noch eine.
eder muss sich einfach einmal klarmachen, dass dieumme der Postdienstleistungen stark zurückgegangent. Wenn die Bevölkerungszahl sinkt, dann geht auchie Zahl der Dienstleistungen auf dem Briefmarkt zu-ck.
s ist doch völliger Unsinn, diesen Zusammenhang her-ustellen.
Sie haben den Mindestlohn bei der Post gelobt. Dasar das größte Eigentor, das die Post je geschossen hat.as wissen Sie ganz genau, Herr Barthel. Das, was Sieier erzählt haben, ist einfach falsch. Die Deutscheost AG kann den Mindestlohn, den sie selbst ausgehan-elt hat, nicht mehr bezahlen.
eshalb hat sie eine Tochterfirma gegründet, die Firstail.
ie Post schiebt ihre Mitarbeiter, denen sie den altenindestlohn nicht mehr zahlen kann, zur First Mail, umie zu den Bedingungen der Wettbewerber zu bezahlen.
as sind die Folgen des Mindestlohns. Das ist ganz ein-eutig. Sie wissen ganz genau, dass die Post trotzdemit ihrem Geld nicht auskommt und wir im Zusammen-ang mit dem Postgesetz über verschiedene Dinge redenüssen.Dadurch, dass der Mindestlohn, der von der Deut-chen Post eingeführt wurde, durch das Verwaltungsge-
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Andreas G. Lämmel
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richt – nicht durch die Politik – zum Glück aufgehobenworden ist, wurden die Voraussetzungen für einen Wett-bewerb geschaffen.
– Es geht jetzt nicht um die Menschen. Es ging um denFakt, dass Herr Barthel gesagt hat, der Mindestlohn warein Erfolg. Er war genau das Gegenteil davon. Wenn Siemit den Postleuten reden, werden Sie merken, dass siedas ganz genau wissen.
Herr Kollege Lämmel, darf ich Sie unterbrechen? –
Der Herr Kollege Barthel würde gerne eine Zwischen-
frage stellen.
Ja, natürlich. – Bitte schön, Herr Barthel.
Bitte.
Herr Lämmel, woher nehmen Sie eigentlich Ihre
Kenntnis, dass bei der First Mail, dem Tochterunterneh-
men der Deutschen Post, der Mindestlohn nicht gezahlt
wird? Die Fragen, die sich, selbst wenn er nicht gezahlt
würde, daran anschließen: Warum finden Sie es eigent-
lich gut, dass inzwischen auch bei der Post AG Bedin-
gungen wie bei den ganzen Dumpingwettbewerbern
herrschen? Warum finden Sie es gut, dass sich die Spi-
rale weiter nach unten dreht, weil der Mindestlohn weg
ist? Ich verstehe Ihre Logik nicht ganz.
Herr Barthel, ich habe mit keinem Wort gesagt, dassich das gut finde. Ich habe lediglich den Fakt erwähnt,dass die Deutsche Post ihren Leuten den Mindestlohnnicht mehr zahlen kann, und sie deswegen eine Tochter-firma gegründet hat, um diese Löhne nicht länger zahlenzu müssen. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ichdas gut finde.Zum Zweiten kann ich sagen: Die Behauptung, dassdie Wettbewerber ausschließlich Dumpinglöhne zahlen,wurde von Ihnen in den Raum gestellt. Löhne bildensich am Markt. Das wissen Sie ganz genau. Da die Wett-bewerber für ihre Dienstleistung keinen höheren Erlöserzielen können, weil sie bei ihrem Vorhaben, ein neuesGeschäft aufzubauen, einem Monopolisten gegenüber-stehen, kann das Lohnniveau bei ihnen – Sie können einsund eins zusammenrechnen – nicht so hoch sein wie beider Post, die aus einem staatlichen Unternehmen, quasiaus dem Beamtenapparat heraus entstanden ist.Sie haben die Tarifverträge angesprochen. HerrBarthel, uns wäre es hundertmal lieber, wenn es im Be-reich der Briefpost einen Tarifvertrag gäbe. Für den Ab-schluss eines Tarifvertrages ist es aber notwendig – dasist eine Grundvoraussetzung; das wissen Sie genau –,dass die Mehrheit der Branche erfasst ist. Die Gewerk-ssTtüfo–avlizDwWisDbDgbdvbkHagksdNfrgudDsv–Ed
Warten Sie doch einmal! – Wenn die Gewerkschaftenber solche Löhne aushandeln wie Verdi in Sachsen fürerschiedene Handwerksberufe, dann ist das der eigent-che Skandal. Der Skandal ist nicht, dass zu wenig be-ahlt wird, sondern, dass das tariflich vereinbart wurde. –as dazu.
Zur Rolle der Bundesnetzagentur. Herr Barthel, Sieissen ganz genau, dass die Bundesnetzagentur denettbewerb überwachen soll und keine Sozialagenturt.
as heißt, sie überprüft das. Mit keinem einzigen Worteschreibt sie die Arbeitsbedingungen von heute.
ie von der Deutschen Post definierten Arbeitsbedin-ungen entsprechen nicht den durchschnittlichen Ar-eitsbedingungen im Bereich des Briefverkehrs. Genauas ist das Problem, Herr Barthel. Wenn es einen Tarif-ertrag gäbe, dann hätte man durchschnittliche Arbeits-edingungen. Dann hätte man die Möglichkeit, bei star-en Abweichungen die Sozialklausel greifen zu lassen.Aber die Deutsche Post hat es vorgezogen, einenaustarifvertrag abzuschließen. Sie hat ihn sozusagenls allgemein definiert. Sie hat ihn zum Mindestlohn an-emeldet und hat gedacht, das Problem damit lösen zuönnen. Sie wissen ganz genau, dass das ein Weg gewe-en ist, der völlig in die Irre geführt hat, und dass da-urch insgesamt mehr Schaden entstanden ist, als es anutzen gebracht hat.Zusammenfassend ist festzustellen: Die Große An-age hat noch einmal ein paar wichtige Zahlen deutlichemacht. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass fürns, für den Gesetzgeber im Moment kein Handlungsbe-arf besteht.
enn jetzt ist die Branche ganz einfach aufgefordert,ich zu finden, sich zu organisieren und in Tarifvertrags-erhandlungen einzutreten.
Dann muss ein Arbeitgeberverband gegründet werden.s ist doch auch in anderen Branchen nicht unüblich,ass man einen Arbeitgeberverband gründet.
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Andreas G. Lämmel
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Herr Barthel, zusammenfassend kann man sagen: Sa-gen Sie Ihrem Redenschreiber noch einmal Bescheid, ersoll wenigstens die Sachverhalte richtig darstellen, bevorSie hier ans Pult treten. Ich denke, wir werden auch inanderem Rahmen über das Thema weiter sprechen müs-sen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Michael Schlecht.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich noch einmal kurz
auf das eingehen, was hier an abenteuerlichen, weltfrem-
den Formulierungen geliefert worden ist.
Die Postbranche ist ein Beispiel dafür, wohin es führt,
wenn auf Teufel komm raus privatisiert und dereguliert
wird. Es gibt menschenunwürdige Arbeitsbedingungen
und einen immer größer werdenden Druck auf die
Löhne, so wie wir in den letzten 10, 15 oder 20 Jahren in
vielen anderen Bereichen eine massive Politik gegen die
Beschäftigten, gegen das Volk vorgefunden haben.
Heute ist im Übrigen ein Tag, an dem diese Politik
eine neue Etappe eingeleitet hat; denn seit heute wird
Politik gegen das Volk nicht nur durch Gesetze gemacht,
sondern seit heute wird Politik gegen das Volk durch den
Einsatz von Bundespolizei gemacht, die Bürgerinnen
und Bürger niedergeknüppelt, so wie heute in Stuttgart.
– Seien Sie ruhig, ich bin jetzt dran! – In Stuttgart sind
heute von Ihrer Bundespolizei bis zur Stunde über
300 Leute niedergeknüppelt und krankenhausreif ge-
schlagen worden, sie sind verletzt worden.
Es ist eine vollkommen neue Qualität, dass hier in auto-
ritärer Weise vonseiten der Politik, von Ihren Partei-
freunden in einer hochaggressiven Weise gegen die
Stuttgarter Bevölkerung vorgegangen wird. Sie werden
aber über kurz oder lang noch zur Rechenschaft gezo-
gen; das sage ich Ihnen.
In der Post gibt es mittlerweile die Situation, dass
Briefträgerinnen und Briefträger immer größere Mengen
zustellen müssen, und zwar nicht nur bei den Privaten,
sondern auch bei der Post AG. In Hamburg müssen die
Briefträger – ich habe gestern noch mit Kollegen telefo-
niert, die dort tätig sind – mittlerweile am Samstag zu-
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So ist es mir gesagt worden.Das Wort hat nun die Kollegin Beate Müller-Gem-eke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Ich begrüße es, dass die SPD die un-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6529
Beate Müller-Gemmeke
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fairen Arbeitsbedingungen auf dem Briefmarkt hier imDeutschen Bundestag zum Thema macht. Die SPD stelltin ihrer Anfrage die richtigen Fragen. Die Antwortenzeigen auch, welche Probleme die Liberalisierung hin-terlassen hat.Herr Kolb, Sie malen wieder einmal ein wunderschö-nes Bild.
Ich habe aber auch nichts anderes von Ihnen erwartet.Die Realität zeigt jedenfalls, dass die Liberalisierung desBriefmarktes zu erheblichen sozialen Verwerfungen ge-führt hat. Noch deutlicher wird dies, wenn man die vomKollegen Barthel als Beiratsmitglied in der Bundesnetz-agentur gestellten Fragen und die Antworten in Bezugauf die durchschnittlichen Stundenlöhne liest. Bei derDeutschen Post AG bewegt sich die Spreizung der Stun-denlöhne für Zusteller, Sortierer und Fahrer zwischen9,80 und 13 Euro. Bei den Wettbewerbern liegen dieoberen Stundenlöhne zwar auch bei 13 Euro. Die unte-ren hingegen liegen bei 6 Euro. Das zeigt, dass dieLöhne durch die Wettbewerber beträchtlich nach untenausfransen.Ich frage die Regierungsfraktionen: Können Men-schen von einem Stundenlohn von weniger als 6 Euro le-ben? Natürlich nicht.
Diese Menschen müssen hart arbeiten, und zwar auch zunicht immer angenehmen Arbeitszeiten. Dennoch müs-sen sie Arbeitslosengeld II beantragen. Warum tun Sienichts dagegen? Warum handeln Sie nicht?
Sie sagen doch immer: Leistung muss sich lohnen. Wirkönnen und wollen diesen Zustand nicht einfach ignorie-ren, zumal der Wettlauf um die niedrigsten Löhne nichtnur auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.Letztlich müssen alle Steuer- und Beitragszahler für auf-stockende Transferleistungen und klamme Sozialversi-cherungskassen zahlen. Wir brauchen also baldmög-lichst einen neuen Postmindestlohn, von dem dieMenschen auch leben können.
Ich weiß, dazu muss der Postmindestlohn beantragtwerden; Herr Kollege Barthel hat die momentane Situa-tion soeben ausgeführt. Ich weiß aber auch, dass fürsolch einen Antrag zurzeit ein ungebrochener Optimis-mus notwendig ist. Denn Wirtschaftsminister Brüderleund die FDP lassen keine Gelegenheit aus, die Mindest-löhne zu blockieren. In diesem Zusammenhang habe iches mir angetan, den FDP-Antrag aus dem Jahr 2008 zulesen, auf den die Große Anfrage Bezug nimmt. IchmsasDshwBmsereAAnghetiksLWDsnL–w
Wenn es nach Ihnen von der FDP ginge, würden Sielle Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen ab-chaffen.
ie FDP interessiert sich schlichtweg nicht für die Men-chen in den unteren Lohngruppen.
Beim Lesen konnte ich mir bildhaft vorstellen, wie esinter den Kulissen der Regierung teilweise zugeht,enn es um dieses Thema geht. Ich muss ehrlich sagen:eim Lesen hatte ich für einen kurzen Moment Mitleidit der CDU/CSU-Fraktion, aber natürlich nur bei die-em Thema. Ich bleibe dabei: Wir brauchen unbedingtinen Postmindestlohn.Die Antworten auf die Große Anfrage zeigen weite-n Korrekturbedarf. Es reicht nicht aus, dass wir nur dierbeitsbedingungen bei den Postdienstleistern, die einernzeige- und Lizenzpflicht unterliegen, in den Blickehmen. Auch der Wildwuchs bei den Arbeitsbedingun-en und Löhnen der Subunternehmer und Erfüllungsge-ilfen muss abgestellt werden. Hierzu gibt es noch nichtinmal belastbare Daten. Ich finde, das ist ein Skandal.Wieder einmal appelliere ich an die Regierungsfrak-onen: Tun Sie etwas, damit nicht auch der Briefmarktomplett zum Niedriglohnbereich wird! Kümmern Sieich endlich auch um die Menschen in den unterenohngruppen! Denn sie arbeiten hart und haben dieseertschätzung verdient.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
r. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Estimmt, der Briefmarkt schrumpft. Aber er schrumpfticht etwa deshalb, weil der Kollege Lämmel wenigeriebesbriefe als früher verschickt
er hat sich ja selber in dieser Weise eingelassen – odereil wir jetzt so etwas wie Wettbewerb haben, sondern
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6530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dr. Georg Nüßlein
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er schrumpft aus technologischen Gründen, wie schondargestellt wurde.Es ist natürlich schwierig, in einem schrumpfendenMarkt einen Wechsel vom staatlichen Monopol hin zuWettbewerb zu vollziehen. Insofern, Herr KollegeBarthel, räume ich ein: Es ist wichtig, dass wir Parla-mentarier die Frage im Blick haben: Was passiert im so-zialen Bereich, was passiert mit den Mitarbeitern? Dasmöchte ich in aller Deutlichkeit unterstreichen.
Unter diesem Gesichtspunkt muss man sich überle-gen: Welche Voraussetzungen haben wir der Regulie-rungsbehörde an die Hand gegeben? Ich weise daraufhin, dass in § 6 Abs. 3 Nr. 3 des Postgesetzes, der im Üb-rigen in Einklang mit der dritten EU-Postdiensterichtli-nie steht, geregelt ist, dass die Regulierungsbehördekeine Lizenz an Briefdienstleister erteilen darf oder An-bietern diese Lizenz entziehen muss, wenn diese die we-sentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Be-reich üblich sind, erheblich unterschreiten. Wir alsGesetzgeber haben also die notwendigen Voraussetzun-gen dafür geschaffen, dass die Behörde handeln kann.Ihrer Großen Anfrage entnehmen wir, dass die Be-hörde bis dato an einem Punkt angelangt ist, an dem siegesagt hat: Hier sind die Voraussetzungen offenkundignicht erfüllt. – Natürlich will ich keinem deutschen Be-amten Untätigkeit unterstellen, einer so renommiertenBehörde wie der Regulierungsbehörde auch nicht.
Darf ich Sie unterbrechen, Herr Kollege Nüßlein? –
Der Herr Barthel möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Bitte.
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben sich dem Kern des
Problems gerade schon sehr genähert. Deswegen möchte
ich Ihnen eine Frage stellen. Die üblichen Arbeitsbedin-
gungen sind seit mittlerweile 13 Jahren im Gesetz gere-
gelt. Wie kann eine Bundesregierung dabei zuschauen,
dass dann, wenn es keinen Mindestlohn gibt, die übli-
chen Arbeitsbedingungen nicht einmal festgestellt wer-
den, damit man Lizenznehmer, die gar nicht wissen, wo-
ran sie sich zu orientieren haben, darauf hinweisen kann,
welche Arbeitsbedingungen sie einzuhalten haben?
Ich habe Ihrer Großen Anfrage entnommen, dass die
Behörde keinen Anhaltspunkt gesehen hat, an dieser
Stelle einzugreifen. Ich wäre jetzt auf einen Punkt zu
sprechen gekommen, der vielleicht auch für Sie ein biss-
chen versöhnlich ist. Wir müssen uns aus meiner Sicht
noch einmal mit der Rolle der Regulierungsbehörde be-
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Sie haben mich gefragt, und ich würde Ihnen an diesertelle durchaus zustimmen.
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Dr. Georg Nüßlein
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Ich bin der Auffassung, dass wir uns mit diesemThema noch sehr präzise auseinandersetzen müssen;denn ich kann mir vorstellen, dass insbesondere diejeni-gen, die der Deutschen Post schon länger angehören, eingewisses Problem mit dem haben, was sich letztendlichentwickelt. Ich sage auch dazu: Auf das allein kann esnicht ankommen. Dass sich in diesem Bereich so etwaswie ein Niedriglohnthema entwickelt, ein Thema, beidem Qualifikation und Entlohnung in einem gewissenVerhältnis zueinander stehen, ist nicht immer nur zu be-anstanden. Vielmehr muss man auch berücksichtigen,dass es eine ganze Menge an Arbeitnehmern gibt, dieaufgrund ihrer Leistungsfähigkeit in bestimmte Arbeits-verhältnisse müssen, in denen sie adäquat entlohnt wer-den können. Das darf aber nicht zu Lohndumping füh-ren. Wir wollen einen ordentlichen Wettbewerb überQualität und Innovation und keinen Wettbewerb, derdazu führt, dass sich letztendlich die Löhne nur nach un-ten entwickeln.
Ich unterstreiche ganz deutlich: Man muss sich da-rüber im Klaren sein, dass wir in einer Situation desschrumpfenden Wettbewerbs sind. Wenn man sich an-schaut, dass hier etwa 10 Prozent Marktanteil bei derKonkurrenz liegen und rund 31 000 Arbeitsplätze beidieser Konkurrenz entstanden sind, dann muss man fest-stellen, dass wir am Anfang einer solchen Entwicklungsind. Wir müssen aufpassen – das zum Thema Mindest-lohn –, dass wir über solche Ideen am Schluss nicht aneinen Punkt kommen, wo nur Hürden aufgebaut werden,sodass sich der Wettbewerb nicht weiterentwickelnkann. Es ist wohl unstrittig, dass die Intention der Deut-schen Post AG bei der letzten Thematik genau in dieseRichtung gegangen ist, nämlich den Versuch zu unter-nehmen, eine Hürde aufzubauen, um Dritte nicht mehrzuzulassen. Das hat uns natürlich geärgert, weil wirschon erwarten, dass die Deutsche Post an diesemThema entsprechend mitwirkt.Das, meine ich, kann man zu diesem schwierigenThema sagen. Ich bin der Ansicht, dass wir das Themaim Auge behalten müssen. Ich kann zwar momentannicht erkennen, wo der Gesetzgeber gefragt ist. Aber ichtrete gerne mit Ihnen in einen Dialog darüber ein, ob dieRegulierungsbehörde an dieser Stelle richtig gearbeitethat. Ich führe auch gerne den Dialog darüber, ob mandas mit der Unabhängigkeit der Behörde so belassenkann oder ob das Primat der Politik nicht entsprechendhöher gehängt werden muss und man hier eine entspre-chende Möglichkeit der Einflussnahme hat. Das würdeich mir wünschen, meine Damen und Herren.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
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zu jung und zu unerfahren, um einen Pkw zu fahren. DerHauptkritikpunkt war aber die Gefahr von signifikantemMissbrauch. Als Beispiel diente der betrunkene Vater,der von dem jungen Fahrer nachts gegen 23 Uhr aus derKneipe abgeholt wird, und dieser Betrunkene stellte denbegleitenden Fahrer dar.
Das alles galt es zu widerlegen.Die reale Entwicklung hatte mit dieser anfänglichenKritik überhaupt nichts zu tun. Vielmehr bewahrheitetesich erneut: Wer Neues probiert und innovative Kon-zepte entwickelt, der stößt – geradezu im Reflex – aufWiderstände. Doch die Zahlen sprechen eine deutlicheSprache: Das begleitete Fahren ist die Erfolgsgeschichteder Verkehrssicherheitspolitik der letzten Jahre.Diese jungen Fahrer sammeln durchschnittlich achtMonate lang Fahrerfahrung in Begleitung. Sie legen imDurchschnitt über 2 400 Kilometer zurück und nehmensomit als Autofahrer aktiv am Verkehrsgeschehen teil.Aufgrund dieser beeindruckenden Zahlen sind dannauch die Kritiker verstummt. Deshalb bekommen wirheute sicherlich auch eine große Zustimmung zu diesemGesetzentwurf der Bundesregierung.Die Zahl der Toten und Verletzten im Straßenverkehrist in den letzten Jahren zurückgegangen. Dies gilt insbe-sondere für die Zielgruppe der 18- bis 24-Jährigen, inder die Zahl der Verkehrstoten um 10 Prozent zurückge-gangen ist. Durch diese Zahlen wird belegt, dass wir aufdem richtigen Weg sind. Die Verkehrssicherheitspolitikin Deutschland ist auch im Vergleich zu der in anderenLändern in Europa erfolgreich.Maßnahmen wie das Alkoholverbot für Fahranfänger,die Verkehrserziehung in den Schulen und auch das be-gleitete Fahren mit 17 sind Maßnahmen für mehr Ver-kehrssicherheit. Diesen Weg zur Erhöhung der Verkehrs-sicherheit sollten wir weiter gemeinsam beschreiten. Ichbin zuversichtlich, dass uns das auch gelingt.Der Gesetzentwurf beinhaltet noch eine weitere Re-gelung. Die 3. EG-Führerscheinrichtlinie schreibt vor,dass alle Führerscheindokumente zukünftig nur noch15 Jahre Gültigkeit besitzen. Alle bisher ausgestelltenFührerscheine sind bis zum Jahre 2033 zu befristen. Dasist für einige wenige hier im Haus recht bitter, aber ichfinde, das Ganze ist zeitgemäß. Diese Vorgaben setzenwir mit dem Gesetzentwurf um.Lassen Sie mich noch auf einen Änderungsantrag desBundesrates eingehen. Der Bundesrat fordert in seinerMehrheit die Möglichkeit, besondere Stellplätze im öf-fentlichen Verkehrsraum ausdrücklich für Elektrofahr-zeuge einzurichten. Dabei verkennt der Bundesrat aber,dass die Straßenverkehrs-Ordnung es bereits heute zu-lässt, besondere Parkplätze für verschiedene Fahrzeug-arten einzurichten. Dies können beispielsweise auchElektrofahrzeuge sein.
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eshalb lehnen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktionen Vorschlag des Bundesrates ab.Unser Ziel ist es, die Ausschussberatungen zügig zumbschluss zu bringen und das Modellprojekt „Begleite-s Fahren mit 17“ zum 1. Januar 2011 in den Regelbe-ieb zu überführen.
Das Wort hat nun Kirsten Lühmann für die SPD-Frak-
on.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!ir beraten hier heute einen Gesetzentwurf, der das um-etzt, was Pädagogen eigentlich schon lange fordern,ämlich die langsame, stufenweise und begleitete Über-ahme von Verantwortung – in unserem Fall beim Pkw-ahren.Für Jugendliche steht der Erwerb einer Fahrerlaubnisuf der Wunschliste immer ganz oben – das ist klar –,edeutet er doch mehr Selbstständigkeit. Aber wir wis-en auch – Sie haben es eben angesprochen, Herrtorjohann –, es ist immer noch so: Keine Altersgruppeat ein so hohes Risiko, in einen Verkehrsunfall verwi-kelt zu werden, wie junge Fahranfangende. Das Risikot immer noch dreimal höher als in jeder anderen Alters-ruppe. Ich finde, damit dürfen wir uns nicht abfinden.Dieser Modellversuch „Begleitetes Fahren mit 17“estätigt die Forderung der Unfallforschung, dass manor dem ersten selbstständigen Fahren die Möglichkeitaben muss, Fahrerfahrung zu sammeln. Dass die Bun-esregierung das jetzt in Dauerrecht überführt, findenir richtig und wichtig.Junge Menschen, die an diesem Modellversuch teil-enommen haben, verursachen in der Anfangsphase,enn sie dann selbstständig fahren, 22 Prozent wenigernfälle als die Jugendlichen in der Vergleichsgruppe,nd sie begehen auch 20 Prozent weniger Verkehrsver-töße.Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, damit solltenir uns nicht zufriedengeben; denn in zwei wesentlichenunkten geht dieser Gesetzentwurf nicht weit genug. Eseht um die Gruppe der Jugendlichen, die an diesem be-leiteten Fahren nicht teilnehmen wollen oder die esicht können, weil sie keine Person haben, die sie beglei-t.Die zweite Gruppe, die ich anspreche, sind die jungenenschen, die auffällig werden. Was machen wir mitenen? Ich möchte, dass diese dazu verpflichtet werden,n speziellen Fahrsicherheitstrainings teilzunehmen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6533
Kirsten Lühmann
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Dazu gehört auch, dass sie Fahrübungen machen, die ih-nen zeigen, welche Risiken das Fahren zum Beispiel beistarkem Regen oder bei Schnee mit sich bringt.Wenn Sie sagen: „Wir haben doch schon Nachschu-lungen von Heranwachsenden, die eine Fahrerlaubnisauf Probe haben“, dann sage ich Ihnen: Das sind reinePlacebos; sie sind weder dazu geeignet, eine dauerhafteBewusstseinsveränderung hervorzurufen, noch eignensie sich dazu, dass diese jungen Menschen, die auffälliggeworden sind, bessere Fahrpraxis bekommen.Namhafte Experten unterstützen uns in dieser Forde-rung nach einem verpflichtenden Mehrphasenmodell,und wir sollten uns diesen Forderungen nicht verschlie-ßen.Es gibt in dem angesprochenen Gesetzentwurf auchminimale Änderungen, die das Thema Anforderungenan Fahrprüfer und Fahrprüferinnen beinhalten. Ichdenke, wir sollten uns diesem Thema weiterhin widmen;denn in einer Veranstaltung des ADAC, die dieser kürz-lich zu dem Thema junge Fahranfangende durchgeführthat, wurde festgestellt, dass die Fahrlehrenden inDeutschland zwar über hervorragende theoretischeKenntnisse verfügen, aber dass bei der Beantwortungder Frage: „Wie bringe ich dieses Wissen an den Mannoder an die Frau bzw. wie erreiche ich mein jugendlichesGegenüber?“, noch erhebliche Defizite bestehen.Ich denke, diesem Thema müssen wir uns stellen,wenn wir die Verkehrssicherheitsarbeit ernst nehmen.Durch zahlreiche Maßnahmen des letzten Jahres ha-ben wir dafür gesorgt, dass unsere Straßen sicherer wer-den, nicht zuletzt durch das von der rot-grünen Bundes-regierung 2001 eingeführte Programm für mehr Sicher-heit im Straßenverkehr, das dazu geführt hat, dass in Zu-sammenarbeit mit der Deutschen Verkehrswacht unddem Deutschen Verkehrssicherheitsrat in den letztenJahren hervorragende Arbeit geleistet wurde. Noch niesind auf Deutschlands Straßen so wenig Menschen getö-tet worden. Diese positive Entwicklung haben wir auchdem Deutschen Verkehrssicherheitsrat und der Deut-schen Verkehrswacht zu verdanken.So gut und so wichtig der Gesetzentwurf der Bundes-regierung zum begleiteten Fahren mit 17 für mehr Si-cherheit im Straßenverkehr auch ist, so unverständlichist unter Berücksichtigung des von mir eben Genanntender Beschluss des Bundeskabinetts, im Haushalt 2011die Mittel für Verkehrssicherheitsarbeit von 10 Millio-nen Euro auf 5 Millionen Euro jährlich zu kürzen. Wirhaben gestern im Verkehrsausschuss die Auskunft vonStaatssekretär Scheuer erhalten, dass sich die Bundesre-gierung aufgrund des massiven Protestes gegen diesePläne bewegen will. Ich halte das für sehr wichtig, insbe-sondere wenn wir uns überlegen, dass die EuropäischeUnion gerade ein europäisches Verkehrssicherheitspro-gramm auflegen will und dass auch die Bundesregierungangekündigt hat, dass sie das nationale Verkehrssicher-heitsprogramm überarbeiten will.Ich sage Ihnen ehrlich: Es kommen mir natürlichZweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer Initiative zur Ver-kehrssicherheit auf, sollte es bei diesen geplanten Kür-zwkfanDsfaKEksinIcazdrimHscgwhfofrss–dwdrudPWruF
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6534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Ich freue mich auch darüber, dass die Bundesregie-rung von der Möglichkeit, die die Richtlinie zugelassenhat, keinen Gebrauch macht, nämlich bei dieser Neuaus-stellung auch die körperliche und geistige Tauglichkeitzu überprüfen. Nichtsdestotrotz möchten wir, dass dasauf freiwilliger Basis geschieht, indem wir Anreize ge-ben. Wir sind schon der Meinung, dass es im Interesseder betroffenen Autofahrenden ist, regelmäßig ihre Ge-sundheit überprüfen zu lassen. Wir könnten uns vorstel-len, das über Versicherungsrabatte zu realisieren, undwollen erst einmal die freiwillige Lösung probieren. Herr Storjohann, Sie haben zwei weitere Punkte nichtangesprochen.Das eine ist die Verbesserung im Datenschutz desKBA. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich war bisjetzt der Meinung, dass im KBA genauso wie in denmeisten anderen Behörden schon seit Jahren Protokoll-datenspeicherungen normal sind. Ich musste jetzt fest-stellen, dass das nicht so ist. Ich freue mich, dass wirdiese Lücke jetzt endlich schließen.Wir haben eine weitere Rechtsumsetzung zu vollzie-hen; es geht um die Zulassung von Gutachtern zur MPU.Ich denke, das wird im Fachausschuss unstrittig sein.Zum Schluss komme ich kurz auf die von Ihnen ange-sprochene Initiative des Bundesrates zurück. Ich halte esfür sehr sinnvoll, dass wir durch solche Regelungen dieAttraktivität von Elektromobilität steigern und notwen-dige Infrastrukturen aufbauen. Sie haben recht: Ob esunbedingt eine Änderung des Gesetzes sein muss oderob man das mit anderen Kennzeichnungsregelungen ge-nauso gut zustande bringt, darüber wie auch über einigeandere Punkte, die ich hier angesprochen habe, solltenwir im Ausschuss noch einmal eingehend beraten.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Oliver Luksic für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir beschäftigen uns heute mit dem Entwurf einesGesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.Dabei geht es zum einen um die bereits vor der Sommer-pause debattierten Übertragungen des Modellversuchs„BF 17“, „Begleitetes Fahren ab 17“, in Dauerrecht.Zum anderen geht es um eine wichtige Änderung, die imRahmen der Umsetzung der 3. EG-Führerscheinrichtli-nie notwendig geworden ist. Hierbei geht es um die Be-fristung von Führerscheinen und um Neuerungen beimDatenschutz in der Zuständigkeit des KBA, des Kraft-fahrt-Bundesamtes.Lassen Sie mich beim letzten Punkt beginnen – eswurde eben zu Recht angesprochen –: Die Bundesregie-rung strebt mit diesem Gesetzentwurf VerbesserungenbahpcDvDTbasfrBgSafüwgcnimddtabAWavliV2kbEtrIcImdbhra-bobeugu
Mit in diesen Gesetzentwurf aufgenommen ist einhema, das die Gemüter in der Sommerpause teilweiseewegt hat: die anstehende Befristung der Führerscheineuf 15 Jahre. Notwendig geworden ist sie durch die Um-etzung der 3. EG-Führerscheinrichtlinie, da von der Be-istung an sich nicht mehr abgewichen werden darf. Dieundesregierung ist bemüht, den Aufwand für die Bür-er so gering wie möglich zu halten, da der maximalepielraum von 15 Jahren, den diese Richtlinie vorsieht,usgereizt wird. Ich darf darauf hinweisen, dass es auchr andere amtliche Dokumente wie den Personalaus-eis üblich ist, dass sie nicht ewig gelten. Ich glaube,erade im Zuge einer europaweiten Verbesserung der Si-herheitsstandards ist es sinnvoll, Führerscheine auf demeuesten Stand der Technik zu halten, gerade weil wirmer mehr Fälschungen haben.Es ist aber auch wichtig, in diesem Zusammenhangarauf hinzuweisen – das geistert nämlich immer wiederurch die Gazetten –, dass es beim Führerscheinum-usch eben nicht zu einer Diskriminierung älterer Mit-ürger kommen soll. Mobilität muss und soll auch imlter möglich sein, gerade in Zeiten des demografischenandels.
Lassen Sie mich zum Thema „Begleitetes Fahrenb 17“ kommen. In der Tat, die Evaluation des Modell-ersuchs war hervorragend. Die Bereitschaft der Jugend-chen zur Teilnahme war gut. Da gibt es durchaus nocherbesserungsbedarf. Die Ergebnisse haben gezeigt:2 Prozent weniger Unfälle, 20 Prozent weniger Ver-ehrsverstöße. Das sind dauerhaft positive Effekte. Dasegleitete Fahren ab 17 führt also nachweislich zu einerrhöhung der Verkehrssicherheit durch die frühe und be-eute Heranführung von Fahranfängern an den Verkehr.h freue mich, dass auch der Bundesrat der dauerhaftenplementierung von „BF 17“ zugestimmt hat und sichie Fraktionen hier im Haus über die Grenzen hinwegei diesem Thema einig sind.Nichtsdestotrotz meine ich, dass die Verkehrssicher-eit bei diesem Punkt nicht stoppen sollte. Das gilt ge-de für den Bereich der Fahranfängerausbildung undetreuung. Wir müssen uns darüber Gedanken machen,b der Erwerb des Führerscheins das Ende der Fahraus-ildung, wie es im Moment der Fall ist, oder vielmehrin Zwischenschritt im Erlernen der sicheren Fahrweisend der Beherrschung neuer Technik sein sollte. Was die Verbesserung der Fahrausbildung angeht,ibt es in der Tat andere Modelle im Ausland, die wirns anschauen sollten. In Österreich beispielsweise gibt
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Oliver Luksic
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es eine zweite Stufe der Fahrausbildung. Dies ist einModell, das Feedback-Fahrten mit einem Fahrlehrer imeigenen Wagen sowie Fahrsicherheitstrainings vorsieht.Das hat zu einer deutlichen Verringerung der Unfallzah-len geführt. Unter der Prämisse, dass der Führerscheiner-werb dadurch nicht deutlich teurer wird – wir wollenschließlich alle, dass Individualmobilität erschwinglichbleibt und dass es keinen sozialen Ausschluss gibt –,sollten wir uns dieses Modell anschauen. Ich glaube, wirkönnen von anderen lernen, wie wir die Verkehrssicher-heit noch weiter verbessern können.
Wir sind gerade bei den Haushaltsberatungen. FrauKollegin Lühmann hat vorhin den Etattitel für die Ver-kehrssicherheit angesprochen. Selbstverständlich müs-sen alle Ressorts ihren Beitrag zum richtigen und not-wendigen Sparpaket leisten, auch der Einzelplan 12.Anfangs gab es Überlegungen, die Mittel des Etattitelsfür Maßnahmen zur Verkehrserziehung zu halbieren. Ichfreue mich – Kollege Scheuer hat das vorhin zu Rechtbestätigt –, dass es in Zusammenarbeit der Fachpolitikermit den Haushaltspolitikern und der Hausspitze gelun-gen ist, zu verhindern, dass es zur Halbierung der Mitteldieses Etattitels kommt. Das ist ein erfreulicher Erfolgfür die Verkehrssicherheitspolitik dieser Koalition.
Auch vor diesem Hintergrund möchte ich abschlie-ßend sagen: Wir freuen uns auf weitere konstruktiveDebatten, damit wir den hohen Standard, den wir inDeutschland bei der Verkehrssicherheit haben, weiterverbessern. Ich glaube, mit dem vorliegenden Gesetzent-wurf gehen wir einen Schritt in die richtige Richtung.Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit herzlich be-danken. Vielen Dank.
Das Wort hat nun Thomas Lutze für die Fraktion Die
Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Auch als Verkehrspolitiker fällt es mir vordem Hintergrund dessen, was heute in Stuttgart passiertist, sehr schwer, zur Tagesordnung überzugehen. Ichdenke, da sind Sachen passiert, da sollte auch diesesHohe Haus sich den Luxus gönnen, an der Aufklärungund an der Aufarbeitung mitzuarbeiten, und für die mor-gige Tagesordnung die entsprechenden Konsequenzenziehen.
Als es heute Morgen am Beginn der Tagesordnung umdie deutsche Einheit ging, ist ein wichtiger Ruf zitiertworden: Keine Gewalt! – Ich glaube, was heute in Stutt-gart passiert ist, wird dem nicht gerecht.ThsuEfäVahhAtiMHteInhneIdupmuFaBzdinzkAhsMsaLmgteDgintrdNGjue
enau auf diese Leistungen der Gesellschaft sind geradenge Menschen angewiesen.Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie attraktiv es fürine finanziell gebeutelte Kommune ist, mit jedem Jahr-
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6536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Thomas Lutze
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gang, der seinen Führerschein ein Jahr früher macht, bei-spielsweise bei den Schulbussen zu sparen. Auch vordiesem Hintergrund sind die Pläne der Regierung zurReduzierung des Einstiegsalters beim Mopedführer-schein kritisch zu sehen.Der vorliegende Gesetzentwurf findet dennoch unsereZustimmung.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Anton Hofreiter für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten über zwei sehr unterschiedliche
Bereiche: auf der einen Seite über ein Thema der Ver-
kehrssicherheit und auf der anderen Seite über ein
Thema aus dem Bereich Elektromobilität.
Zur Verkehrssicherheit gibt es hier als Positives zu
vermelden, dass wir uns einig sind. Begleitetes Fahren
mit 17 ist ein Erfolgsprojekt. Wir sind uns alle darin ei-
nig, dass hierfür eine entsprechende Regelung gefunden
werden sollte. Noch schöner würde ich es finden, wenn
wir uns bei dem ganz entscheidenden Thema Verkehrssi-
cherheit insgesamt einiger wären. Obwohl wir in der
Vergangenheit sehr große Erfolge hatten – die Zahl der
Verkehrstoten ist massiv zurückgegangen, genauso wie
die der Schwerverletzten; aber da schaut es noch lange
nicht so gut aus –, darf man nicht vergessen, dass die
Zahlen noch immer sehr hoch sind. Deshalb wünsche ich
mir, dass wir uns auch in weiteren Fragen der Verkehrs-
sicherheit einig sind.
Nach dem Berichterstattergespräch ist der Haushalts-
ansatz zum Glück gehalten worden. Wir hoffen sehr,
dass es auch am Ende der Haushaltsberatungen noch so
ist. Es gibt aber eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen,
die ganz entscheidend für die Verkehrssicherheit sind.
Hier hört die Einigkeit in diesem Haus leider auf. Den-
ken wir bloß einmal an Maßnahmen wie Geschwindig-
keitsbegrenzungen! Bei der Einführung eines Tempoli-
mits auf Autobahnen ist es mit der Einigkeit schnell
vorbei. Da heißt es plötzlich, das sei eine ideologische
Frage. Dabei zeigen alle Untersuchungen, dass über-
höhte Geschwindigkeit die Hauptunfallursache ist. Wir
wissen auch, dass die Erlaubnis, in bestimmten Straßen-
abschnitten so schnell zu fahren, wie man will, dazu
führt, dass man sich in anderen Straßenabschnitten weni-
ger an Tempobegrenzungen hält. Ich wünsche mir mehr
Einigkeit bei dem wichtigen Thema Verkehrssicherheit.
Nun zu Ihren Ausführungen, lieber Kollege Luksic.
Sie haben im Zusammenhang mit dem Führerschein ge-
sagt, dass es nicht dazu kommen darf, dass Autobesitz
und individuelle Mobilität zu einer sozialen Frage wer-
den. Hier stellt sich zunächst einmal die Frage nach der
Klientel. Für die Menschen, die ich kenne, ist das längst
eine soziale Frage.
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s gibt sehr viele Menschen, die sich schon derzeit kein
uto leisten können. 50 Prozent der Bevölkerung kön-
en nicht täglich über ein Auto verfügen.
iese Menschen brauchen eine vernünftige Alternative.
ier kommt es darauf an, dass der ÖPNV ausgebaut
ird, dass vernünftige Bahnpolitik betrieben wird, dass
ntsprechende Nahverkehrsangebote bestehen und dass
tädte so gestaltet werden, dass die Leute nicht zur Be-
utzung eines Autos geradezu gezwungen werden.
Nun zu einem weiteren Punkt, zur Elektromobilität.
s gibt tolle Elektromobilitätsgipfel. Dabei weiß man
anz genau: Um einer neuen Technik zum Durchbruch
u verhelfen, kommt es darauf an, sinnvolle gesetzliche
egelungen und Standards einzuführen. Was passiert
ier? Hier passiert nichts. Elektromobilitätsgipfel vor
ameras abhalten, aber die entsprechenden gesetzlichen
egelungen nicht durchsetzen und sich dann vielleicht
uch noch selber Klimakanzlerin nennen – das ist be-
chämend. Noch nicht einmal so kleine Maßnahmen ge-
ngen.
Wir brauchen eine vernünftige Bahnpolitik. Ich habe
ir vor kurzem in mehreren Videos angeschaut, was in
tuttgart passiert. Wir sind der Verkehrsausschuss.
etztlich wird hier im Namen des zu 100 Prozent in un-
erem Besitz befindlichen Unternehmens mit extremer
rutalität geräumt. Ich habe so etwas bei Wackersdorf
nd in anderen Auseinandersetzungen erlebt. Ich finde,
ir sollten im Verkehrsausschuss dringend darüber re-
en, ob es sinnvoll ist, ein Verkehrsprojekt mit einer sol-
hen Brutalität durchzusetzen.
ie gesagt, es handelt sich um ein zu 100 Prozent in
undesbesitz befindliches Unternehmen.
Danke.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Volkmar Vogelas Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Tagesordnung sieht, kann man sich zu-
nächst nicht richtig vorstellen, worüber wir hier reden.
Einem Außenstehenden kommt es sehr bürokratisch vor.
Teilweise sind es bürokratische Regelungen, die wir hier
treffen müssen, gerade wenn es um den Datenschutz
beim KBA oder den Führerschein geht.
Beim Führerschein setzen wir eine EU-Richtlinie um.
Diese Eins-zu-eins-Umsetzung überfordert die Führer-
scheinbesitzer nicht. Ich habe mit 15 Jahren meinen Mo-
pedführerschein gemacht. Als ich im vergangenen Jahr
50 wurde, musste ich meinen Führerschein verlängern
lassen – mittlerweile kann ich auch Lkw fahren – und
war sehr erstaunt, wie mein alter Führerschein aussah
und wer ihn damals abgestempelt hatte. Wir müssen je-
denfalls darauf achten – auch in der Diskussion im Aus-
schuss –, dass zum einen die Kosten für jene, die ihn
umtauschen müssen, in vertretbarem Rahmen bleiben
und dass zum anderen der zeitliche Aufwand, der damit
verbunden ist, nicht so ausufert, dass man das im Alltag
nicht mehr schnell nebenbei erledigen kann.
Als ich mit 15 meinen Mopedführerschein machte,
gehörte ich natürlich zu der Risikogruppe der jungen
Leute. Ein wesentlicher Punkt des Gesetzes zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes und des Kraftfahr-
sachverständigengesetzes ist – meine Vorredner haben
das bereits angesprochen – das begleitete Fahren ab 17.
In allen Modellregionen, in denen es praktiziert wird, hat
es dazu geführt, dass die Fahranfänger eine hohe Fahr-
kompetenz nachweisen können. Das hat auch die Bun-
desanstalt für Straßenwesen in ihrem Fortschrittsbericht
festgestellt. Fast 25 Prozent weniger Unfälle und eine
fast 30 Prozent geringere Beteiligung junger Leute an
Unfällen – das ist ein Ergebnis, das sich sehen lassen
kann. Neben dem vorrangigen Ziel dieser Maßnahme,
Personenschäden und damit unendliches menschliches
Leid zu verhindern, ist zu erwähnen, dass es aufgrund
der besseren Fahrpraxis und der Betreuung durch einen
Begleiter vielfach auch nicht zu Sachschäden kommt.
Für mich ist ganz wichtig, dass das begleitete Fahren
mit 17 seine Praxistauglichkeit bewiesen hat und dass es
einfach handhabbar ist. Jeder weiß inzwischen, dass der
Begleiter mindestens 30 Jahre alt sein muss, dass er
nicht mehr als drei Punkte in Flensburg haben darf, dass
er mindestens fünf Jahre ununterbrochen im Besitz der
Fahrerlaubnis sein muss, dass er selbstverständlich die
Promillegrenze einhalten und seinen Führerschein mit-
führen muss.
Wir bringen den jungen Leuten mit der Möglichkeit
des begleiteten Fahrens ab 17 sehr großes Vertrauen ent-
gegen. Allerdings kann und muss missbrauchtes oder
enttäuschtes Vertrauen natürlich auch geahndet werden.
Die jungen Fahrer erhalten – genauso wie alle anderen –
ihre Fahrerlaubnis zunächst nur auf Probe, und damit
gelten auch die bestehenden verkehrsrechtlichen Rege-
lungen der Probezeit.
Die Kernpunkte der Gesetzesänderung, die wir in den
Ausschüssen behandeln und dann hoffentlich auch zügig
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richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz zudem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula,Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDObligatorische Prüf- und Zulassungsverfah-ren für Haltungseinrichtungen für Nutztiere –Tierschutz-TÜV zügig einführen– Drucksachen 17/2143, 17/2912 –
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Berichterstattung:Abgeordnete Dieter StierHeinz PaulaDr. Christel Happach-KasanAlexander SüßmairFriedrich Ostendorffb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz
– zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula,Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDBessere Haltung für Kaninchen zu Erwerbs-zwecken – Konkrete Haltungsbedingungenin die Tierschutz-Nutztierhaltungsverord-nung aufnehmen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. KirstenTackmann, Karin Binder, Alexander Süßmair,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEDie Haltung von Mast- und Zuchtkaninchenin Deutschland und der Europäischen Uniontiergerechter regeln – Mindestanforderun-gen unverzüglich auf den Weg bringen– zu dem Antrag der Abgeordneten FriedrichOstendorff, Undine Kurth ,Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDie gewerbliche Haltung von Mast- undZuchtkaninchen in Deutschland und der Eu-ropäischen Union deutlich verbessern– Drucksachen 17/2017, 17/1601, 17/2006,17/2962 –Berichterstattung:Abgeordnete Dieter StierHeinz PaulaDr. Christel Happach-KasanAlexander SüßmairFriedrich OstendorffNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höredazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Damit eröffne ich die Aussprache und erteile demKollegen Dieter Stier für die CDU/CSU-Fraktion dasWort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Im Juni des vergange-nen Jahres hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmender damaligen Großen Koalition das Zweite Gesetz zurÄnderung des Tierschutzgesetzes beschlossen. Mit die-ser Neuregelung wurde die Voraussetzung geschaffen,dass künftig nur noch serienmäßig hergestellte Stallein-richtungen verwendet werden dürfen, wenn sie vorheraPtodtuhstadvgmzeetusWHfovZsneNhNreeisaaBhdVSndfüdutaggins–BAnm
Frau Wolff, lassen Sie mich bitte ausreden. – In derundesratssitzung am vergangenen Freitag stand einntrag von Rheinland-Pfalz mit der Forderung nach ei-em Verbot des Schenkelbrandes als Kennzeichnungs-ethode bei Pferden auf der Tagesordnung,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6539
Dieter Stier
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ein Antrag, welcher für mich nicht nur populistisch, son-dern auch wirtschaftsschädlich für die deutsche Pferde-zucht ist. Deutschland ist weltweit die größte und erfolg-reichste Nation im Pferdesport und in der Pferdezucht.Die 300 000 Arbeitsplätze in dieser Branche mit einenGesamtumsatz von über 5 Milliarden Euro werden,glaube ich, durch solche Anträge in Gefahr gebracht.Ich bin selber Pferdezüchter; ich kenne mich da aus.Liebe Frau Wolff, nach meiner eigenen Erfahrung – ichhabe Fohlen dabei festgehalten – verursacht die vorge-schriebene Injektion des sogenannten Chips beim Fohlendeutlich mehr Aufregung als das Setzen des Schenkel-brands.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Priesmeier von der SPD?
Sehr gerne.
Herr Kollege Stier, können Sie vielleicht bestätigen,
dass der Einstich mit einer Kanüle nicht so viele
Schmerzen hervorruft wie das Verbrennen der Haut?
Das, was nach dem Schenkelbrand zurückbleibt, ist eine
gebrannte Narbe; sie wird mit einem heißen Eisen ge-
brannt. Insofern halte ich diese Methode wegen der da-
bei auftretenden Schmerzen für grob tierschutzwidrig.
Es gibt Alternativen; es gibt andere Methoden. Das, was
Sie vertreten, ist bar jeder wissenschaftlichen Erkennt-
nis.
Lieber Kollege Priesmeier, Sie möchten sicherlicheine ehrliche Antwort. Ich habe Ihnen gerade gesagt,dass ich sehr oft bei solchen Vorgängen dabei war. Ichkann aber nicht bestätigen, dass der Schenkelbrand fürdas Fohlen deutlich schmerzhafter ist.
– Liebe Frau Wolff, ich antworte erst einmal Ihrem Kol-legen Priesmeier. – Es gibt Gutachten, die das Gegenteilbeweisen sollen. Heute ist aber nicht die Zeit für eineDebatte darüber; wir sollten an anderer Stelle darüberdiskutieren. Ich habe jedenfalls aus eigener Erfahrungwahrgenommen, dass es nicht schmerzhafter ist.
Ich bin bei diesem Thema wirklich Fachmann; wir kön-nen darüber gern noch diskutieren.HJishwihssuntemdbraslissuemmtenhreinzWnDsZpzssdbM
nd wir hinterher oftmals Folgekosten im solidarisch fi-anzierten Gesundheitswesen zu tragen haben, dann in-ressiert uns das hier zumeist wenig. Das macht michittlerweile sehr betroffen.
Ich weise an dieser Stelle erneut darauf hin, dass wirie Frage, was art- und tiergerecht ist, nicht ideologischeantworten sollten, sondern dass wir die Antwort da-uf den Experten der Landwirtschaft und auch der Wis-enschaft ganz unaufgeregt überlassen sollten.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine grundsätz-che Anmerkung zum Spannungsfeld zwischen Tier-chutz und Wirtschaftlichkeit machen. Bei allen tier-chutzrechtlichen Fragen, die durchaus berechtigt sindnd die von der christlich-liberalen Koalition auch sehrrnst genommen werden, müssen wir jedoch Kompro-isse zwischen Tierschützern und Tierhaltern und da-it auch der Wirtschaft erreichen. Das ist für beide Sei-n nicht immer leicht zu ertragen. Wir könntenatürlich – darin gebe ich Ihnen recht – die Legehennen-altung in Ställen generell verbieten und durch artge-chte Freilandhaltung ersetzen. Aber diese Eier würde Deutschland niemand mehr kaufen, weil sie einfachu teuer sind. Zum Teil ist das auch schon der Fall.
as noch viel schlimmer ist: Die nicht tiergerechte Hüh-erhaltung würde ins Ausland verlagert und sich dort aufauer etablieren. Ich glaube, dass wir damit dem Tier-chutz insgesamt einen Bärendienst erweisen würden.udem würden in Deutschland Tausende von Arbeits-lätzen vernichtet.
Gleichzeitig dürfen wir die Unternehmen nicht durchusätzliche Bürokratie überfordern und in ihrer wirt-chaftlichen Freiheit einschränken. Bevor wir neue Ge-etze und Verordnungen erlassen, sollten wir prüfen, obie bestehenden Anforderungen das nicht schon herge-en. Die Veterinärämter vor Ort haben heute schon dieöglichkeit, bei Verstößen einzugreifen. Zumindest ich
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6540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Dieter Stier
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will nicht, dass der Landwirt mehr am Schreibtisch sitzt,als sich seinen Tieren zu widmen oder auf dem Traktorzu sitzen. Wir sollten uns als Agrarpolitiker immer kri-tisch fragen, wie viel Regelungswut wir uns im Tier-schutz auf dem Rücken der landwirtschaftlichen Be-triebe noch leisten können.Mein Fazit lautet: Für uns hat der Tierschutz – unddas haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart –eine zentrale Bedeutung; das wird auch so bleiben. Diedeutschen Tierhalter haben in den vergangenen Jahrenmit sehr viel Engagement und wirtschaftlichem Auf-wand den Tierschutz in den Ställen weiterentwickelt undverbessert.
Man muss aber auch anerkennen, dass bei der Nutztier-haltung der Verkauf der Produkte vom internationalenWettbewerb geprägt ist.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Trotzdem
leisten wir uns mit den bestehenden Regelungen in
Deutschland, in der EU und weltweit schon jetzt die bes-
ten Bedingungen für den Tierschutz auf allerhöchstem
Niveau. Damit haben wir eine Vorreiterrolle.
Herr Kollege!
Jawohl, Herr Präsident. – Über diese Vorreiterrolle
sind wir froh und lehnen aus diesem Grund noch weiter-
gehende Regelungen ab.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Heinz Paula für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! KollegeStier,
ich habe den Eindruck, dass Sie an der Realität, an denTatsachen schlicht und ergreifend vorbeischrammen.Bei mir ist es so – und bei Ihnen, Kolleginnen und Kol-legen, mit Sicherheit auch –, dass tagtäglich Briefe undE-Mails eintreffen, die auf Missstände hinweisen undbestimmte Sachverhalte zu Recht kritisieren: Fehler beider Tierhaltung, Fehler beim Tiertransport, die Situationin Schlachthöfen. Kurz und gut: Diese Bürgerinnen undBürger halten genauso wie ich den Umgang mit Tierenin unserem Land für oft nicht hinnehmbar.DIcmßEdcdgnTnzszmüdNDhssDleBsweInDs –mabdbshhdBreüinh
iese Bürgerinnen und Bürger haben vollkommen recht.h bedanke mich sehr herzlich bei ihnen für ihr Engage-ent, genauso wie bei allen anderen, die sich mit gro-em Nachdruck für die Belange unserer Tiere einsetzen.in Dankeschön auch an alle Medien, die immer wiederie Lampe in diesen Bereich hineinhalten und versu-hen, Missstände zu thematisieren. Wer die entsprechen-en Berichte gesehen hat – Kollege Stier, ich stelle Ihnenerne einmal eine Auswahl zur Verfügung –, dem bleibtichts anderes übrig, als zu handeln; denn die gezeigteniere erleiden teilweise unvorstellbare Qualen. Das hatichts mit Ideologie zu tun, wie Sie versuchen, groß aus-uführen. Das sind reale Schmerzen, Herr Kollege. Manollte höllisch Obacht geben, keine faulen Kompromisseu schließen. Es gibt nur ein Ja zum Tierschutz. Fürich steht schlicht und ergreifend das Wohl des Tieresber allem.Sie kennen unser Tierschutzgesetz. Ich rate Ihnenringend, einen Blick in das Grundgesetz zu werfen.ach Art. 20 a GG hat der Staat die Tiere zu schützen.avon sind sie meilenweit entfernt.
Meine Fraktion hat im Gegensatz dazu gehandelt. Wiraben einen Antrag auf Einführung eines obligatori-chen Prüf- und Zulassungsverfahrens für Tierhaltungs-ysteme eingebracht. Wir wollen, dass sich etwas ändert.eswegen haben wir – jetzt wird es spannend, Herr Kol-ge Stier; zu diesem Zeitpunkt waren Sie noch nicht imundestag – zur Zeit der Großen Koalition das Tier-chutzgesetz geändert; sie haben zu Recht darauf hinge-iesen. Auf dieser Rechtsgrundlage muss allerdingsndlich eine entsprechende Verordnung erlassen werden. diesem Bereich hapert es bei Ihnen ganz gewaltig.em Kollegen Beck die Verzögerung in die Schuhe zuchieben
Entschuldigung, ich habe bisher viele schwache Argu-ente gehört –, schlägt wirklich alles, Herr Kollege.
Wir fordern die Bundesregierung in aller Deutlichkeituf, endlich zu handeln. Kollege Staatssekretär Müller,ringen Sie endlich eine entsprechende Verordnung aufen Weg! Dann können wir das große Elend der Tiereeenden. Wir fordern einen TÜV für Stallungen und ent-prechende Vorschriften für die Transportwege. Darüberinaus fordern wir einen Tierschutz-TÜV für Schlacht-öfe. Als die Tagesthemen vor kurzem die Situation inen Schlachthöfen darstellten, wurde deutlich, dass dieetäubung aufgrund mangelhafter Arbeit oft nicht aus-ichend ist. Jährlich – man stelle sich das vor – gerätber eine halbe Million Tiere ohne wirksame Betäubung die Brühkessel. Das ist schlicht und ergreifend uner-ört!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6541
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Da gibt es auch keine Kompromisse, Herr Kollege Stier.Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie Ihr Papier! Sie habendas wunderbare Papier „Die CDU fühlt sich dem Staats-ziel Tierschutz verpflichtet“ erstellt. Dort heißt es völligzu Recht: „Der Tierschutz-TÜV kommt.“ Die span-nende Frage lautet allerdings: Wann kommt er? Ichkann Ihnen nur dringend raten, das aufzugreifen, wasbereits vorliegt, zum Beispiel die Beschlussfassung desBundesrates vom 7. April 2006, das Eckpunktepapiereiner hochkarätigen Fachkommission zur Einführung ei-nes obligatorischen Prüf- und Zulassungsverfahrens vom12. Dezember 2007 oder unseren Antrag. KollegeStaatssekretär, handeln Sie! Dann sind Sie unser Mann.Das wäre hervorragend.
– Stimmt, er muss noch etwas mehr tun, aber es wäre einwesentlicher Pluspunkt für den Kollegen Müller.Lassen Sie mich kurz auf die Haltung von Kanincheneingehen. Herr Stier ist darauf interessanterweise nichteingegangen. Das spricht für sich. Meine Fraktion stellteinen Antrag, die Linke stellt einen Antrag, und die Kol-legen der Grünen stellen einen Antrag.
Nun stellt sich die spannende Frage: Wo ist Ihre Initia-tive, Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU undFDP? Wo bleibt die Initiative der Bundesregierung? Wasist bisher geschehen? Nichts!
Dabei wissen wir alle ganz genau, dass die Haltungsbe-dingungen für Kaninchen teilweise katastrophal sind.Drahtgitterböden führen zu massiven Wunden. Für un-sere Zuhörer nenne ich ein kurzes Beispiel. Können Siesich allen Ernstes vorstellen, dass ein Kaninchen in ei-nem Käfig, der kleiner als ein halbes DIN-A-4-Blatt ist,zu vegetieren – von „leben“ kann man nicht sprechen –hat? Das ist leider teilweise Tatsache. Das mussschnellstens beendet werden. Das ist ein klarer Verstoßgegen das Tierschutzgesetz.
Leider gibt es auch auf EU-Ebene bisher keine Rege-lung. Deswegen verlangen wir in unserem Antrag, dassauf dieser Ebene ebenfalls entsprechende Initiativen ge-fördert werden. Wir verlangen klipp und klar, Kaninchenin die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufzuneh-men.
In einem Punkt sind wir uns einig – auch mit den Kol-leginnen und Kollegen der FDP und der CDU/CSU –:Wir brauchen weitere Forschungstätigkeit in diesem Be-reich. Das ist absolut richtig. Aber es kann nicht ange-hen, dass Sie mit Hinweis auf die Notwendigkeit weite-rer Forschungsergebnisse Ihre Hände in den SchoßlemSsdRusgssmleAwTIcsFbuimdfügnsuvgnWdbinesTehre
Das Wort hat nun Kollege Hans-Michael Goldmann
r die FDP-Fraktion.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-en! Es ist überhaupt keine Frage, dass Tierschutz nichtur für die Arbeit im Ausschuss, sondern für unsere Ge-ellschaft insgesamt ein Schlüsselthema ist,
nd das nicht nur, weil der Tierschutz im Grundgesetzerankert ist. Nebenbei bemerkt: Das war eine hervorra-ende Leistung des Parlaments, zu der die Liberalen ei-en Anstoß gegeben haben.
ir sagen ganz klar: Tiere sind keine Sache. Das hat deramalige Bundesjustizminister Engelhard, auch ein Li-eraler, auf den Weg gebracht. Im Koalitionsvertrag und unserer Ausschussarbeit ist das, wie ich schon sagte,in zentrales Thema.Egal wer Ausschussvorsitzender oder Ausschussvor-itzende war, sind wir immer gut damit gefahren, diehemen gemeinsam anzugehen. Deswegen haben wirin Handelsverbot für Robbenerzeugnisse erreicht. Wiraben ein Importverbot für Katzen- und Hundefelle er-icht. Wir haben nicht alles, aber doch ein bisschen
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Hans-Michael Goldmann
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beim Walschutz erreicht, bei den Wildvögeln und auchbei den Tierversuchen.Jetzt wollen wir etwas bei der Mast und der Zucht vonKaninchen erreichen, aber sicherlich auch bei den Wild-tieren in den Zirkussen. Aber, Kollege Paula, liebe Kol-leginnen und Kollegen, ich bin sehr dafür, dass man einsolches Thema auch mit Emotionalität angeht. Ichglaube, jeder, der zu Hause ein Tier hat, der Kinder hat,die Tiere haben, begegnet den Herausforderungen desTierschutzes mit dem Herzen. Wir brauchen aber auchdie Basis kluger, substanzieller Fachlichkeit.
Das Kindchenschema reicht nicht. Das Tier ist keinMensch. Wir müssen klar sagen: Wir haben das Nut-zungsrecht für Tiere, aber es ist gekoppelt an die Tier-schutzverpflichtung. Das ist ganz eindeutig. Wir müssenuns über Begrifflichkeiten inhaltlich klar werden. Wirmüssen zum Beispiel wissen: Was ist ein eigentlich einWildtier? Was ist eigentlich ein Haustier?Wenn wir das aufarbeiten, dann brauchen wir als Ers-tes Tierschutzbildung. Bei den Haltern ist sie sehr starkausgeprägt.
Auch bei den Landwirten ist sie in großem Maße vor-handen.
Bei den Tierärzten gibt es an der einen oder anderenStelle sicherlich noch Verbesserungsbedarf. Es geht da-rum, dass wir das Wissen, das wir haben, einsetzen, umdie Bedingungen für die Haltung und Nutzung der Tiereso auszugestalten, dass der Tierschutzgedanke und dieTierschutzverpflichtung zum Tragen kommen.
Es geht um Verantwortlichkeit. Wir haben nie etwasvom Tierschutz-TÜV gehalten. Ich halte aber zum Bei-spiel etwas davon, dass man als Halter von Schweinendie Schweinehaltungshygieneverordnung einhält, weil mandavon überzeugt ist, dass sie gut ist. Ich halte etwas da-von, dass man im QS-System besondere Anstrengungenunternimmt, um bei der Haltung den Bedürfnissen derTiere gerecht zu werden.Lieber Herr Kollege Paula, Sie versuchen, für dieMastkaninchen holterdiepolter etwas auf den Weg zubringen. Das ist der falsche Ansatz. Wir haben ein For-schungsprojekt auf den Weg gebracht. Dieses müssenwir auswerten. Wir müssen uns abstimmen und Leitli-nien entwickeln. Wir können nicht einfach sagen: Wirnehmen die Kaninchen in die Nutztierhaltungsverord-nung auf. – Wir müssen erst einmal wissen, was wir auf-nehmen wollen. Dafür brauchen wir wissenschaftliche,fachliche Grundlagen.kcwddjegdtucggmSßlidhKskdPVdzti–kvgefüedaskdlis
as Thema zu vertagen, es abzuarbeiten und hundertpro-entig konsequent zu einer guten Lösung für die Wild-ere in Zirkussen zu kommen.
Ja, wir können auch gerne zu einer zügigen Lösungommen. Aber wir müssen mit den Botschaften, die daermittelt werden, auch ein bisschen vorsichtig sein. Einroßer deutscher Zirkus ist verurteilt worden, weil er aninem Tag kein frisches Blattwerk für Elefanten zur Ver-gung hatte. Ich finde, da gehen die Dinge dann auchin bisschen zu weit.Was das Beispiel Österreich angeht, so ist es richtig,ass in Österreich keine Zirkusse mit Wildtieren mehruftreten können. Aber es ist paradox, dass österreichi-che Zirkusse mit Wildtieren in Deutschland auftretenönnen. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich ein-eutig europäische Lösungen.
Ich sage ganz klar: Tierschutz, ja bitte, aber bitte fach-ch begründet und nicht so, dass irgendwelche Bot-chaften in den Raum gestellt werden, die im Grunde
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Hans-Michael Goldmann
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genommen dem wahren Tierschutzgedanken nicht Rech-nung tragen.Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit beidiesen Themen im Ausschuss. Ich bin ziemlich sicher,dass wir zu guten Ergebnissen kommen werden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kirsten Tackmann für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! LiebeKolleginnen und Kollegen! Am 1. August 2002 wurdeder Tierschutz in Art. 20 a des Grundgesetzes verankert,der entsprechend ergänzt wurde. Damit hat der Tier-schutz Verfassungsrang; das ist hier schon gesagt wor-den. Trotzdem stehen uns heute wieder nur 30 Minutenzu später Stunde zur Verfügung, um über zwei wichtigetierschutzpolitische Entscheidungen zu diskutieren. Si-cher, wir haben schon im Ausschuss über Anträge disku-tiert. Dennoch wäre es dringend notwendig und aus mei-ner Sicht auch richtig, hier im Plenum einmal etwasausführlicher zu diskutieren, und zwar auch zu publi-kumsfreundlichen Zeiten.
Über den Tierschutz-TÜV diskutieren wir unter Fach-politikerinnen und Fachpolitikern ja schon eine ganzeWeile. Natürlich hat die Linke nicht die Illusion, dasswir damit alle Probleme in der Nutztierhaltung lösenkönnen. Aber wir leben in einem Land, in dem obligato-rische Prüf- und Zulassungsverfahren für technische undbauliche Anlagen allgegenwärtig sind.
Wenn Probleme auftreten, sind wir froh, wenn wir da-rauf verweisen können, dass wir genau diese Vorschrif-ten eingehalten haben. Deshalb stelle ich mir oder auchder CDU/CSU und der FDP schon die Frage, warum dasausgerechnet bei Stallanlagen für Nutztiere nicht so seinsoll. Das ist doch nicht nachvollziehbar.Klar ist auch, dass jede Tierhaltung, wenn Tiere inMenschenobhut gehalten werden, ein Kompromiss ist.Auf der einen Seite der Waagschale liegt das, was objek-tiv tier- oder artgerecht wäre; darauf hat KollegeGoldmann schon hingewiesen. Auf der anderen Seite istdas, was von der Gesellschaft unter ethischen Aspektenakzeptiert wird.Hinzu kommt aber schon ein wirtschaftlicher Druck.Der ist in Zeiten eines hochspekulativen Agrarmarktes,der nur billige Produkte fordert, schon stark gewachsen.Damit werden natürlich die wirtschaftlichen Spielräumefür die Betriebe kleiner, sowohl für soziale und ökologi-sche Leistungen als auch für den Tierschutz. Es ist natür-lich schlichtweg teurer, wenn man Hühner im AuslaufhkreDsgrüwnaktraPNfoeaznaVacsDwgaliinAeDnwtuuD
Kommen wir zu den Kaninchen. Die Haltungsbedin-ungen für Kaninchen sind besonders problematisch; da-ber sind wir uns hoffentlich wirklich einig. Das liegtahrscheinlich daran, dass der Schutz von Kaninchenicht in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ver-nkert ist. Die Linke hat daher im Frühjahr 2010 die Dis-ussion, die in der Öffentlichkeit läuft, durch ihren An-ag ins Parlament zurückgeholt. Dieser konzentriert sichuf den Regelungsbedarf und umfasst sechs wichtigeunkte:Erstens. Aufnahme der Kaninchen in die Tierschutz-utztierhaltungsverordnung. Das hat die SPD auch ge-rdert.Zweitens. EU-weite Mindestforderungen. Es ist nichtinzusehen, dass das bei uns anders geregelt wird als innderen EU-Ländern.Drittens. EU-weite Haltungs- und Herkunftskenn-eichnung für importiertes Kaninchenfleisch. Es ist nichtachvollziehbar, dass hier andere Bedingungen geltenls für andere importierte Fleischsorten.Viertens. Datenerfassung in Bezug auf Haltung underbrauch. Auch darüber wissen wir viel zu wenig.Fünftens. Förderung artgerechter Tierhaltung. Auchn dieser Stelle muss man die Betriebe unterstützen.Sechstens. Forschungsprojekte zur besseren Kanin-henhaltung. In der Tat gibt es in diesem Bereich Wis-ensdefizite, die wir beheben müssen.
as heißt aber nicht, dass man nicht handeln kann. Icheiß ehrlich gesagt nicht, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Koalition, warum man einen solchen Antragblehnen kann.Wir sehen die Probleme aber nicht nur in der gewerb-chen Kaninchenhaltung. Wir sehen sie durchaus auch der Heimtierhaltung. Die Grünen fordern nun in ihremntrag, auch dies zu regeln. Das bedeutet für mich aberine kaninchenrechtliche Kontrolle in Kinderzimmern.as hört sich für mich dann doch eher nach Orwell alsach Tierschutz an. Deswegen sagen wir als Linke: Ja,ir möchten auch für die Kaninchen in der Hobbyhal-ng mehr tun.
Das sollten wir aber eher über eine Sensibilisierungnd Überzeugung von Kindern und Eltern erreichen.iese haben nämlich keinen ökonomischen Zwang und
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Dr. Kirsten Tackmann
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können durchaus in einem breiteren Spektrum entschei-den.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: Eine Zivilisationkann man danach beurteilen, wie sie ihre Tiere behan-delt. – Wir befinden uns aus meiner Sicht also gegenwär-tig in einem sehr unvollkommen zivilisierten Status derTierhaltung. Es wäre aus meiner Sicht und aus Sicht derLinken ein großer Schritt, wenn Sie sich überwindenkönnten, den vernünftigen Anträgen, die hier vorliegen,endlich zuzustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Glückli-che Kühe,
Hühner auf grünen Weiden, Schweine im Stroh, maleri-sche Fachwerkbauernhöfe – immer noch haben Verbrau-cherinnen und Verbraucher dieses Bild vor Augen, wennsie an der Fleischtheke zum Kotelett greifen. Keine Wer-bung ohne diese Bilder!
Leider sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Außer beiNEULAND und der Biolandwirtschaft hat die Realität inden Ställen wenig mit der Schönmalerei auf den Verpa-ckungen zu tun.
Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Deshalb wollen auch wir Grüne den Tierschutz-TÜVfür Stalleinrichtungen, für Betäubungsgeräte und fürHeimtierunterkünfte. Aber damit der Tierschutz-TÜVernsthaft Wirkung zeigt, müssen die Zertifizierungskrite-rien höher sein als die gesetzlichen Standards. Unabhän-gige Prüfverfahren mit unabhängigen Prüfern aus Tier-schutzorganisationen sind unerlässlich. Das sehen dieKoalitionsfraktionen bisher leider anders.
Der Tierschutz-TÜV ist ein wichtiger Schritt. Wirmüssen uns aber über die Grenzen einer solchen Maß-nahme immer im Klaren sein. Wesentliche Fragen blei-bTwreWsgbpkninimlesgimdMdzddtefea–dMfüB–saHheoDte
Der bundesweite, ständig wachsende Protest der Bür-erinitiativen gegen die Massentierhaltung zeigt, dassmer mehr Menschen diese unwürdigen Haltungsbe-ingungen ablehnen.
eine Damen und Herren, nicht die Tiere müssen sichen Haltungssystemen anpassen, wie wir es heute prakti-ieren, sondern die Haltungssysteme den Bedürfnissener Tiere. Das ist das Gebot der Zukunft.
Orientierung für eine artgerechte Tierhaltung bietetas NEULAND-Leitbild. Dieses Leitbild legt klare Kri-rien für die Haltung und die Fütterung von Nutztierenst. Gerade in Richtung der Kolleginnen und Kollegenus den Fraktionen mit dem „C“ im Namen sage ichSie sind ja in Ihrem schwarz-gelben Herbst gerade aufer Suche nach Ihrem Wertekern –: Auch Nutztiere sinditgeschöpfe,
r die wir alle Verantwortung tragen. Das steht in deribel, aber auch im Grundgesetz.
Ja, das sollten Sie nachlesen.Die Menschen sind bereit, für Produkte mit Tier-chutzlabel tiefer in die Tasche zu greifen; das belegtuch die aktuelle Studie des BMELV. Das ist ein klarerandlungsauftrag für die Politik. Wir müssen die Tier-altung endlich so verbessern, wie es unsere Mitbürgerrwarten, Herr Staatssekretär, statt die Welt mit billigem,ft nicht artgerecht erzeugtem Fleisch zu beglücken.
ieser Maßstab muss für jedes uns anvertraute Tier gel-n, egal ob es Tiere in der Landwirtschaft, Heimtiere
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Friedrich Ostendorff
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oder nicht frei lebende Wildtiere im Zirkus oder im Zoosind.Das Leitbild des Mitgeschöpfs Tier prägt auch unse-ren Antrag, mit dem wir die Haltungsbedingungen fürZucht- und Mastkaninchen deutlich verbessern wollen.Frau Aigner hat uns vor wenigen Monaten versprochen,im Herbst 2010 die Vorstellungen des Ministeriums vor-zulegen. Wir warten darauf leider bis heute.
– Doch. Sie hat von diesem Jahr gesprochen. – Sie allehaben jetzt die Gelegenheit, unseren Antrag zu unterstüt-zen. Wir sind ja gerne behilflich.
Wir begrüßen die Bereitschaft der anderen Fraktio-nen, bei der Haltung von Wildtieren im Zirkus eine Lö-sung im Konsens zu finden; der Ausschussvorsitzende,Herr Goldmann, hat dankenswerterweise schon daraufhingewiesen. Ihm ist ausdrücklich dafür zu danken, dassauch er versucht hat, in dieser Frage einen Konsens zuerzielen.
Doch auch hier gilt: Wir werden keinem Kompromisszustimmen, der der Verantwortung gegenüber dem Mit-geschöpf Tier nicht gerecht wird, Herr Bleser.
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Kollegin Carola Stauche für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meinen Aus-führungen beginne, möchte ich an dieser Stelle aus-drücklich darauf hinweisen, dass die christlich-liberaleKoalition den Tierschutz für besonders wichtig hält.
Wir als Koalition aus CDU, CSU und FDP setzen unsfür den Tierschutz und gute Bedingungen für Tiere ein.
Wir nehmen dieses Thema sehr ernst und werden unsauch weiterhin für eine Verbesserung der Tierhaltungeinsetzen, wie es die Union bereits in früheren Jahrengetan hat. CDU und CSU sind Vorreiter beim Tierschutz.OkDruliDimdztedeZfochWwwwdvngRtevvkgLnreIcsss
hne uns wäre der Tierschutz nicht ins Grundgesetz ge-ommen.
as heute geltende Tierschutzrecht wurde in der Regie-ngszeit der Union konzipiert und seitdem kontinuier-ch weiterentwickelt.
eshalb sind wir auch bereit, sinnvolle Veränderungen Tierschutzrecht mitzutragen.Den heute zur Abstimmung stehenden Anträgen wer-en die Abgeordneten von CDU und CSU jedoch nichtustimmen. Alle von den Oppositionsfraktionen gestell-n Anträge hätten nur wenige Verbesserungen der Be-ingungen für die Tiere zur Folge, würden aber zu einemnormen Ausbau der Bürokratie führen.
Nehmen wir die Anträge zur Haltung von Mast- unduchtkaninchen, die sich durchaus ähnlich sind! Darinrdern Sie unter anderem eine Erfassung des Kanin-henbestands. Ich frage mich: Wie soll das vonstattenge-en?
ollen wir bei Kaninchen Chips oder Ohrmarken ver-enden? Als wir das in Thüringen bei Ziegen machenollten, hatten wir Riesenprobleme. In großen Betriebenird es sicherlich weniger Probleme geben. So geht auser Fleischuntersuchungsstatistik des Jahres 2009 her-or, dass im letzten Jahr an etwa einer Viertelmillion Ka-inchen inländischer Herkunft Schlachttieruntersuchun-en durchgeführt wurden. Daraus kann man eventuellückschlüsse auf den Umfang des Tierbestandes ziehen.Aber was machen wir mit den unzähligen Hobbyhal-rn – Sie haben es vorhin angesprochen –, die sich pri-at ein paar Kaninchen halten? Die Tiere werden selbsterzehrt oder zum Teil innerhalb des Freundes- und Be-anntenkreises verkauft. Streng genommen ist das ei-entlich schon gewerbliche Haltung. Wer soll über dasand fahren und die Kaninchen zählen, die Kreisveteri-äre, während sie noch überprüfen, ob das Tier artge-cht gehalten wird?
h glaube nicht, dass das funktioniert.
Die bereits geltenden Regelungen des Tierschutzge-etzes und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnungind sicherlich an der einen oder anderen Stelle verbes-erungswürdig. Aus diesem Grund initiierte und förderte
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Carola Stauche
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das BMELV das Projekt „Untersuchungen zur Gruppen-größe und zum Flächenbedarf in der Mastkaninchenhal-tung“. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse und weite-res wissenschaftliches Material werden gerade mitStellungnahmen von Verbänden im Ministerium zur Vor-bereitung eines weitreichenden Verordnungsentwurfsgenutzt. Hier haben wir die Lösung; Sie haben sie vorhinvon uns gefordert.
Es ist mir wichtig, hier auf den Umstand hinzuweisen,dass die Kaninchenproduktion für Deutschland haupt-sächlich im Ausland stattfindet
und deshalb eine europäische Regelung den Tierschutzverbessern würde. Aber das ist schwierig; das wissenSie. Gerade die Gespräche mit den Haupterzeugerlän-dern wie Frankreich, Spanien und Italien gestalten sichsehr schwierig.
Lassen Sie mich an dieser Stelle die Frage stellen, wa-rum gerade Deutschland immer wieder ohne Not die Si-tuation der heimischen Tierschützer und Tierbauern ver-schlechtern soll? Warum soll Deutschland immervorpreschen und ohne Not eine neue Tierschutzverord-nung einführen, über die auf europäischer Ebene nichteinmal nachgedacht wird?
Ich möchte auch noch ein paar Worte zum Tierschutz-TÜV verlieren, obwohl Kollege Stier dazu schon vielWichtiges und auch Richtiges angebracht hat. Ob manbei der Nutzung des Namens Probleme mit dem techni-schen TÜV bekommt, kann ich hier nicht einschätzen.Lassen Sie uns doch erst einmal das Normenkontrollver-fahren abwarten, das durch die rheinland-pfälzischeLandesregierung beim Bundesverfassungsgericht anhän-gig ist.
Die Union hat, wie auch das BMELV, immer die Auffas-sung vertreten, dass ein Prüfungs- und Zulassungsver-fahren für Stalleinrichtungen als Erstes im Legehennen-bereich von Vorteil ist. Natürlich befürworten wir dasZiel, dass Landwirte und Tierhalter nicht nur technischsichere, sondern auch im Sinne des Tierschutzes ge-prüfte Einrichtungen erhalten, wenn sie ihre Ställe mo-dernisieren oder neue Ställe bauen.Auch wenn wir das Thema der Wildtierhaltung imZirkus aufgrund der Rücknahme des Antrags der Grünennicht mehr auf der Tagesordnung haben, möchte ichnoch ganz kurz ein paar Worte dazu sagen. Lassen Sieuns doch erst einmal die Erfahrungen mit dem Zirkus-zentralregister evaluieren. Dann sehen wir, was dabeiherauskommt. Darüber, was als Wildtier angesehen wer-dZtemsdtekAdlisgoscTHzsdnsfetinscBF„KtidEmdm
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließendöchte ich mit Deutlichkeit darauf hinweisen: Der Tier-chutz in Deutschland ist aus Sicht der CDU/CSU-Bun-estagsfraktion ordentlich geregelt. In Deutschland gel-n gute und strenge Vorschriften. Dass es zu Verstößenommt, kann man natürlich nicht immer verhindern.
ber Tierquälerei, teilweise mit krimineller Energie,urch mehr Bürokratie zu bekämpfen, halte ich persön-ch für wenig hilfreich.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollegin Stauche, dies war Ihre erste Rede im Deut-chen Bundestag. Unsere herzliche Gratulation und alleuten Wünsche für Ihre Arbeit in diesem Hause!
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-rdnungspunkt.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-herschutz zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit demitel „Obligatorische Prüf- und Zulassungsverfahren füraltungseinrichtungen für Nutztiere – Tierschutz-TÜVügig einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 17/2912, den Antrager Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2143 abzuleh-en. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-hlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfrak-onen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktio-en angenommen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-herschutz auf Drucksache 17/2962.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinereschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derraktion der SPD auf Drucksache 17/2017 mit dem TitelBessere Haltung für Kaninchen zu Erwerbszwecken –onkrete Haltungsbedingungen in die Tierschutz-Nutz-erhaltungsverordnung aufnehmen“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –nthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist wiederumit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegenie Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenom-en.
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke aufDrucksache 17/1601 mit dem Titel „Die Haltung vonMast- und Zuchtkaninchen in Deutschland und der Euro-päischen Union tiergerechter regeln – Mindestanforde-rungen unverzüglich auf den Weg bringen“. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion an-genommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desAntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 17/2006 mit dem Titel: „Die gewerblicheHaltung von Mast- und Zuchtkaninchen in Deutschlandund der Europäischen Union deutlich verbessern“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen dieStimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf:Vereinbarte DebatteBilanz und Zukunftsperspektiven der wissen-schaftlichen Politikberatung „Technikfolgen-abschätzung“Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höredazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenThomas Feist für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist besser, alle Zeit in Gottesfurcht zu leben, alsdaß man sich abquält in Furcht mit den zukünftigenDingen.So hat es Luther einst formuliert.
In Zeiten, in denen dieses Gottvertrauen in die Kircheund die Religion im Allgemeinen verloren gegangen ist,muss jemand anderes kommen, der dafür garantiert, unddas ist die Wissenschaft.
Nun hatten wir ein Zeitalter der Technikgläubigkeitund danach eine ganz lange Periode der Technikskepsis.Furcht entsteht immer nur dort, wo die Erkenntnis fehlt.Insofern versucht man mit der Technikfolgenabschät-zung – das kann man durchaus etwas missverstehen –von Anfang an vor allen Dingen auch, die Chancen un-serer Technologien zu erkennen.J–stedamTmNEtiaTEeBQraksSgloimmsrendteRmnFwgZgb„fo
ja, wo ist er? Er ist immer bei uns –: Technikfolgenab-chätzung wird keine Verhinderung von Technik bedeu-n, durch sie wird Technik erst ermöglicht. – Genauiesem Leitspruch hat sich das Büro für Technikfolgen-bschätzung, das ich im Folgenden kurz „TAB“ nennenöchte, gewidmet.1973 begannen die Diskussionen darüber, wie eineechnikfolgenabschätzung zur Unterstützung des Parla-ents aussehen könnte.
ur 16 Jahre später traf der Bundestag im Jahr 1989 dientscheidung, die Technikfolgenabschätzung zu institu-onalisieren.Nach nun 20 Jahren Technikfolgenabschätzung ist esuch einmal an der Zeit, Danke zu sagen. Danke demAB und seinen Mitarbeitern, danke auch für die weisentscheidung des Parlamentes, genau diese Institutioninzurichten, und auch danke für den Umstand, dass dasüro für Technikfolgenabschätzung seit 20 Jahren guteualität zum gleichen Preis bietet.
Die Institutionalisierung wissenschaftlicher Politikbe-tung hat für mich vor allem folgenden Mehrwert: Derontinuierliche Dialog zwischen Politik und Wissen-chaft wird gefördert. Das Büro ist keiner von beideneiten verpflichtet, sondern muss beide Interessen aus-leichen. – Dieser Dialog verläuft nicht immer reibungs-s, aber – ich denke, so kann ich für uns alle sprechen –mer erkenntnisfördernd für beide Seiten.Eine wissenschaftliche Einrichtung, die vom Parla-ent beauftragt wird und dann unabhängig eine wissen-chaftliche Expertise erstellt, ist etwas Besonderes undagiert in besonderer Weise auf die Informationsbedürf-isse des Parlaments.
Das, was wir vor allen Dingen in der Zukunft beson-ers berücksichtigen müssen, ist der ethische Aspekt deschnologischen Fortschritts. Auch dazu hat Heinziesenhuber, unser großer Mann der Wissenschaft, ein-al gesagt: Weil uns mit den neuen Techniken aucheue Chancen erwachsen, weil mit neuen Chancen neuereiheit entsteht, muss aus dieser Freiheit neue Verant-ortung wachsen, wenn wir gestalten wollen, was wirestalten können. – Das kann man sich mal auf derunge zergehen lassen. Aus meiner Sicht hat er das sehrut zusammengefasst.Ich möchte jetzt noch einen persönlichen Aspekt ein-ringen. Wir hatten hier ja gestern die Festveranstaltung20 Jahre wissenschaftliche Politikberatung – Technik-lgenabschätzung beim Deutschen Bundestag“, und da
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Dr. Thomas Feist
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brachte mich meine Kollegin Dr. Sitte von der Linkspar-tei darauf, dass ja nun zwei Jubiläen quasi neben- oderübereinander liegen, nämlich zum einen 20 Jahre Tech-nikfolgenabschätzung und zum anderen 20 Jahre deut-sche Einheit.Für jemanden, der in Leipzig aufgewachsen ist – fürdie, die nicht genau wissen, wo Leipzig liegt, sage ich:Es liegt so zwischen Bitterfeld, Leuna und Espenhain,also zwischen den größten Dreckschleudern, die wir imOsten hatten –, ist es besonders wichtig, dass vor20 Jahren die Technikfolgenabschätzung beim Deut-schen Bundestag verankert wurde.
Nebenbei gesagt, ich bin als Leipziger auch ein wenigstolz darauf, dass wir durch unsere friedliche Revolutioneinen großen Beitrag zur deutschen Einheit, deren Jubi-läum wir in wenigen Tagen begehen können, geleistethaben.
Angesichts dessen erkenne ich umso mehr den Wertkontinuierlicher wissenschaftlicher Beratung des Parla-ments. Dies will ich Ihnen einmal verdeutlichen. Verset-zen Sie sich doch einmal 20 Jahre zurück in den OstenDeutschlands. Da hätten wir eventuell unter anderem soetwas hören können: Liebe Genossinnen und Genossen,
ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der ausdem Westen kommt, kopieren müssen? Auch wenn sichder Klassenfeind von nun an mit Technikfolgenabschät-zung beschäftigt, kann ich nur sagen: Unsere Betriebebrauchen so etwas nicht. Denn sozialistische Technik hatkeine schädlichen Folgen. Sie dient allein dem Wohl deswerktätigen Volkes.
Ich bin froh, dass uns dieses Szenario erspart geblie-ben ist.
Da ich in einem Land aufgewachsen bin, das weder aufseine Ressourcen geachtet hat noch auf die Umwelt oderseine Bevölkerung, ist es mir umso wichtiger, dass wiruns im Parlament anhand des Instruments der Technik-folgenabschätzung verantwortlich mit diesen Fragen be-schäftigen, und ich bin dankbar, dass mit der deutschenEinheit die erzielten Ergebnisse auch dem gesamtendeutschen Volk zugute kommen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion Kollege René
Röspel.
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Ich bin davon eher nicht überzeugt. Wenn es umlaubwürdigkeit geht, sollten wir entweder den Punkt Cemnächst mit Alternativen ausfüllen – denn die gibt esmer; jedem Handeln steht ein Unterlassen gegenübernd umgekehrt, und beides hat natürlich Folgen – oderiesen Punkt einfachen streichen. Das wäre vielleichtenauso glaubwürdig. Ebenso sollten wir als Politikeräufiger sagen, dass wir nicht die allumfassenden Lö-ungen anbieten können, dass wir immer wieder fragen,elcher Weg eigentlich der richtige ist, und dass wir aufer Suche sind, wenn wir ein Gesetz machen.Gigerenzer sagte auch, dass wir in einer Zeit rasanterechnologieentwicklung leben und dass das Verständniser Menschen von Technologie immer weniger mit die-en neuen Technologien Schritt halten kann. Und: Risi-en sind immer vorhanden. Wir müssen nur lernen – undas frühzeitig –, mit Risiken vernünftig umzugehen undie abzuwägen. Ich bin überzeugt: Wer Risiken ver-chweigt, wird gerade nicht Vertrauen erzeugen, sondern
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René Röspel
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Misstrauen und Vorurteile hervorrufen. Albert Einsteinhat zu Recht gesagt, dass es viel einfacher ist, einenAtomkern zu zertrümmern als ein Vorurteil. Das solltenwir uns manchmal in Erinnerung rufen.
Richtig ist deswegen: Wir müssen Risiken benennen,transparent machen und wirkliche Alternativen – alsoPunkt C – suchen, und dazu braucht das Parlament einegute Beratung. Ich bin sehr froh, dass vor mehr als20 Jahren vorausschauende Kollegen wie JürgenRüttgers aus der CDU/CSU-Fraktion, EdelgardBulmahn und Wolf-Michael Catenhusen und seitdem dieals Motor fungierende, aber jetzt leider abwesende UllaBurchardt diesen Prozess verfolgt und das Büro fürTechnikfolgenabschätzung ins Leben gerufen haben. Da-mit hat nämlich der Bundestag eine unabhängige, freivon äußeren Einflüssen handelnde und Vorschläge ma-chende politische und wissenschaftliche Politikberatungbekommen, die im Auftrag des Bundestages handelt.Das war ein Glücksgriff und eine Glanztat. Danke an dievielen Kolleginnen und Kollegen, die das vor 30 Jahrenangestoßen und seit dieser Zeit kontinuierlich verfolgthaben.
Dabei wird eines deutlich: Wissenschaft ist nicht poli-tikfrei. Spätestens seit der Göttinger Erklärung vor übereinem halben Jahrhundert wissen wir das. Politik istauch nicht unwissenschaftlich und darf nicht unwissen-schaftlich sein. Zentral dabei scheint mir, dass die wis-senschaftliche Politikberatung an das Parlament ange-koppelt ist. Es gibt eine Berichterstattergruppe imAusschuss für Technikfolgenabschätzung, die einstim-mig im Konsens entscheidet. Auch das findet man nichtimmer im Bundestag. 144 Berichte ganz unterschied-licher Art sind in den letzten 20 Jahren vom Büro fürTechnikfolgenabschätzung vorgelegt worden. Es warenBerichte zur Bio- und Gentechnologie, zur Kommunika-tionstechnologie, zu den Auswirkungen und Folgen vonMobilfunk, zur Innovationspolitik, zu ganz vielen unter-schiedlichen Fragen zur Nahrungsmittelqualität. DieseBerichte haben nicht nur dem Parlament als Beratungs-grundlage gedient, sondern sie haben sehr häufig auchöffentliche Resonanz hervorgerufen und dienen auchheute noch als gute wissenschaftliche Grundlage fürviele Beratungen und Diskussionen.Aufgabe solcher Berichte ist es, zu Themen, über diewir manchmal noch gar nicht viel wissen, den Stand derWissenschaft und der Forschung, Perspektiven, mögli-che Entwicklungen und – sofern das möglich ist – Hand-lungsoptionen, also unterschiedliche Wege aufzuzeigen,die wir als politisch Entscheidende gehen können. Damitsind wir wieder bei Punkt „C. Alternativen“. Uns wer-den also auch Alternativen aufgezeigt. Das TAB ist so-zusagen ein Radar für neue technologische Entwicklun-gen, die stattfinden, und zeigt uns mitunter Untiefen, dievor uns liegen. Die Politik ist der Kapitän, der entschei-den und den Kurs festlegen muss. Das geht auch nichtasuJGnlisafrRlihpleuüwteuPAFvlidzwdkosinflwwscgwBLkragDSaTwd
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Das Wort hat jetzt Sylvia Canel für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Deutschlands Ruf in der Welt eilen nichtimmer nur große Erfindungen voraus, sondern mankennt auch das Wort von der „German Angst“. Aber:„Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man mussnur alles verstehen.“ Wissenszuwachs und die Reduzie-rung von Vorurteilen mindern Angst; denn nur so kön-nen wir Vorgänge und Sachverhalte verstehen, angemes-sen bewerten und Handlungen ableiten.Ziehen wir heute Bilanz der 20-jährigen Arbeit desTAB, dann zeigt sich: Die von mir eingangs zitiertenWorte der Physikerin Marie Curie sind richtungswei-send. Wissenschaftliche Entwicklungen und deren politi-sche Begleitung durch das Parlament, zum Beispieldurch Forschungsförderungsprogramme, durch Techno-logieprogramme, durch Bildungsprogramme, verlangenimmer mehr nach einer fundierten und belastbaren Wis-sensbasis. Eine permanente und fest verankerte Technik-folgenabschätzung in Form des TAB ist Ausdruck einerlebendigen Politikberatung des Parlaments auf wissen-schaftlicher Basis. Eine zu frühe Festlegung auf Positio-nen in dieser Auseinandersetzung dient keiner ergebnis-offenen Diskussion. Ausgewogene, unabhängige undzuverlässige Informationen zu wissenschaftlichen, tech-nischen und ethischen Fragen sind die Voraussetzung,um das Wissen und die Entscheidungsfindung zu unter-stützen. Zuerst muss die entsprechende Expertise zurVerfügung stehen. Erst dann kann auf einer wissen-schaftlichen Basis politisch diskutiert und können Ent-scheidungen verantwortlich getroffen werden. Wir kön-nen uns beraten lassen; aber die Verantwortung tragendie Mitglieder des Parlaments schon selber.
Gerade der empfundene Mangel an ausgewogenen In-formationen und Beratung auf dem Feld von Wissen-schaft und Technologie war es, der zur Einrichtung desTAB führte. Ohne wissenschaftliche Expertise ist esschwer möglich, die Chancen technischer Innovationenzu erkennen und dabei gleichzeitig die ökonomischen,ökologischen und sozialen Fragen und Risiken objektivzu betrachten. Ohne wissenschaftliche Expertise kannkeine fundierte politische Diskussion darüber stattfin-den, wie Innovationen am besten gefördert und unter-stützt werden.Durch Technikfolgenabschätzung wird der zentraleAuftrag des Parlaments, die Diskussion und Erörterungpolitischer Felder, maßgeblich unterstützt. KomplexeSachverhalte zu analysieren und eine transparente undverständliche Vermittlung der Arbeitsergebnisse zu lie-fern, zeichnet die Tätigkeit des TAB aus. Durch die Ar-beit des TAB wird ein Gegenstand aus verschiedenenPerspektiven betrachtet und das Spektrum der gesamtengesellschaftlichen Meinungsbilder nutzbar gemacht. Andieser Stelle hervorzuheben, ist der inhaltliche ReichtumdQgbdhisFddRddfüefaszvsdmseaszgueTcstingdswfetiBtefocRtefeInz
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6551
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wicklungen. Das TAB hat sich als ein sehr wirkungsvol-les Instrument der wissenschaftlichen Politikberatungerwiesen. Darüber hinaus finden sich weitere gute In-strumente auch in den Serviceeinrichtungen der Wissen-schaftsgemeinschaften und -gesellschaften. Eine wissen-schaftliche Politikberatung dieser Art und Weise istweiterhin unerlässlich.Ich danke Herrn Professor Dr. Grunwald als Leiter desTAB, seinem Vorgänger, Herrn Professor Dr. Paschen,Herrn Dr. Petermann, Herrn Zoche sowie allen Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern des TAB für ihre über dieJahre geleistete exzellente Arbeit und freue mich, diesein den kommenden Jahren weiter nutzen zu dürfen.
Die nächste Rednerin, Kollegin Petra Sitte von der
Linksfraktion, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1)
Deswegen erteile ich jetzt Kollegen Hans-Josef Fell von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Feist, Sie haben das richtig darge-stellt: In der DDR gab es in der Tat große Defizite beider Technikfolgenabschätzung. Wir sollten uns abernicht täuschen. Die gleiche Situation gab es auch imWesten. Wie viele Menschen haben darunter gelitten,dass ohne Technikfolgenabschätzung Holzschutzmittelauf sie losgelassen wurden, die große Probleme hervor-gerufen und Krankheiten verursacht haben! Wie vieleMenschen haben sich darüber geärgert, dass es Chemie-fabriken gibt, die ungeklärte Abwässer in die Flüsse ge-lassen und Abgase in die Luft geblasen haben! Wie vieleMenschen haben sich darüber geärgert, dass Atomkraft-werke gebaut wurden, wobei wir bis heute noch nichteinmal wissen, wohin wir mit dem Atommüll sollen!
Hier hat man in den 50er-Jahren Chancen vertan. Manhätte damals schon Technikfolgenabschätzung betreibensollen.Es hat in der Tat auch viel zu lange gedauert, bis derDeutsche Bundestag ein entsprechendes Büro eingerich-tet hat. Viele sind ungeduldig geworden und haben des-halb eine grüne Partei gegründet. Sie ist ein Ausfluss ge-nau dessen, dass in unserer Gesellschaft nicht inausreichendem Maße Technikfolgenabschätzung betrie-ben wurde.
Diese Partei glich ein Stück weit dieses Defizit aus.Meine Damen und Herren, jetzt haben wir das Bürofür Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag.EgpvTdhfoesDkBTvPovtugnötaliAFsuhfüdfofüfutrbwarueTdEaouw1) Anlage 3
ies ist notwendig, nachdem es in den letzten 20 Jahreneine Aufstockung gegeben hat.Diese Investition wird sich lohnen. Ein berühmteseispiel ist das Raumschiff „Sänger II“. Nachdem vomAB dargestellt wurde, dass das nicht sinnvoll ist, wurdeermieden, dass die Politik Milliardenbeträge für diesesrojekt in die Hand nimmt.Es geht aber nicht nur darum, rückblickend zu fragen,b die Technikfolgenabschätzungsberatung wirklich sinn-oll war. Wir müssen schauen, ob die Beratungen zu ak-ellen Projekten sinnvoll sind, und entsprechende Er-ebnisse auch in der Politik ernst nehmen. Es geht nichtur um ökologische Fragen – natürlich geht es auch umkologische Fragen –, es geht auch um soziale Akzep-nz, um Verbraucher- und Datenschutz, um gesundheit-che Auswirkungen oder Gender- und Friedenspolitik.lles muss bei der Technikfolgenabschätzung mit in denokus genommen werden, wenn sie sinnvoll sein soll.
Wir brauchen generell eine unabhängige Begleitfor-chung als festen Bestandteil jeder Forschung, bei der esm technische und gesellschaftliche Fragen geht. Des-alb sollten insgesamt 5 Prozent der Forschungsgelderr Technikfolgenabschätzung ausgegeben werden.Wir müssen uns in der Politik aber auch immer wie-er fragen, ob wir genügend Rücksicht auf die Technik-lgenabschätzung nehmen. Im Jahre 2002 hat das Büror Technikfolgenabschätzung einen Bericht über Kern-sion abgegeben und damit uns im Bundestag den Auf-ag gegeben, endlich einmal innezuhalten und eine Neu-ewertung der Kernfusion vorzunehmen. Nichts davonurde umgesetzt. Heute gibt es nun das Finanzdesasteruf EU-Ebene. Man weiß nicht mehr, wie die Finanzie-ng für ITER gelingen soll. Auch hier mangelte es anntsprechenden Entscheidungen der Politik im Zuge vonechnikfolgenabschätzung.
Es geht aber nicht nur darum, in unserer Gesellschaftie Folgen, die problematisch sein können, zu beachten.s geht auch darum, die Ergebnisse der Technikfolgen-bschätzung als Chancen zu begreifen. Diese Chancen-rientierung muss in den Mittelpunkt gestellt werden,nd auf dieser Basis müssen Konsequenzen gezogenerden. So hat das TAB vor wenigen Jahren einen tollen
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6552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Hans-Josef Fell
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Bericht über geothermische Stromerzeugung erstellt:Hier gibt es riesige Potenziale, die man nutzen könnte,um die Grundlast bei der Stromerzeugung sicherzustel-len und somit Atom- und Kohlekraftwerke zu ersetzen.Nur, wie sieht die Politik von Union und FDP aus? Imaktuellen Energiekonzept finden wir nichts davon.
In den nächsten 50 Jahren soll die geothermische Strom-erzeugung ein Nischendasein fristen. Das ist ein Beispielfür fehlende Akzeptanz von Technikfolgenabschätzung.Hier sollten wir die sich bietenden Chancen ergreifenund energischer umsetzen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das TAB bieteteine Fülle wertvoller Politikberatung; das wissen wir.Wir sollten aber in allen Fraktionen mehr noch als bisherdie Empfehlungen des TAB in den politischen Entschei-dungen auch wirklich berücksichtigen.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen
Axel Knoerig das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Das Leben wird immer komplexer.Wir leben heute in einer Welt, in welcher der Einzelnekaum mehr alle Lebensbereiche im Blick haben kann.Unverändert hält der Trend zur weiteren Spezialisierungan. Wir wissen von immer weniger immer mehr. Gleich-zeitig lässt die zunehmende Informationsflut oft die Be-rücksichtigung vieler wichtiger Details nicht mehr zu.Umso bedeutsamer ist die Vermittlung inhaltlicherEinzelheiten durch Wissenschaftler an Politiker. Heuteist es für politische Entscheidungsträger unerlässlich, zu-verlässige Informationen über die Wirkungen von Geset-zen, Entwicklungen und Innovationen auf unsere Gesell-schaft zu erhalten.20 Jahre Büro für Technikfolgenabschätzung beimDeutschen Bundestag – ich nenne es in meiner Redeauch kurz „TAB“ – sind daher ein Grund, an dieserStelle einmal laut und deutlich Danke zu sagen und dieseInstitution entsprechend zu würdigen.
Der Dank der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gilt ins-besondere dem Leiter des TAB, Herrn ProfessorDr. Armin Grunwald, und seinem Team für deren Leis-tung. Politikberatung durch unabhängige Wissenschaft-ler ist wenig öffentlichkeitswirksam und für den Bürgerim politischen Alltag kaum wahrnehmbar. Ich möchte andieser Stelle eine Lanze für diesen wichtigen wissen-ssluwFsuMriWguFTSimjemzgkhVRgsraubfoinUbPsWredfrhAInWbwrem2
sofern ist der wissenschaftliche und gesellschaftlicheert der TAB-Analysen beträchtlich.Nach 20 Jahren Büro für Technikfolgenabschätzungeim Deutschen Bundestag steht fest: Das Konzept derissenschaftlichen Beratung des Parlaments ist erfolg-ich und erhöht unsere Entscheidungskompetenz. Das,eine Damen und Herren, ist eine gute Bilanz, die zum0-jährigen Gründungstag zum Feiern einlädt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zu dem Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE
Wohnungslosigkeit in Deutschland – Einfüh-
rung einer Bundesstatistik
– Drucksachen 17/2434, 17/3084 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Müller
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Als Erstem gebe ich dem Kollegen Gero Storjohann
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Fraktion Die Linke fordert mit ihrem Antrag
eine amtliche Statistik der Obdach- und Wohnungslosig-
keit in Deutschland. Es ist richtig, dass die Bundesregie-
rung keine eigenen Erhebungen zur Entwicklung der
Obdach- und Wohnungslosigkeit durchführt.
Auch in den Bundesländern existieren keine flächende-
ckenden Daten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass uns
keine Zahlen vorlägen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe veröffentlicht jährlich Schätzzah-
len. Demnach ist seit 1998 die Zahl der Wohnungslosen
in Deutschland kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2008
ging man von 227 000 Menschen aus, die in Deutsch-
land wohnungslos sind. Das waren 6 Prozent weniger als
ein Jahr zuvor. 20 000 Menschen davon lebten ohne jeg-
liche Unterkunft auf der Straße. Das sind immer noch
20 000 zu viel; aber es sind auch 1 000 weniger als noch
im Jahre 2007.
Die CDU/CSU-Fraktion tut alles, um Wohnungs- und
Obdachlosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. In den
letzten Jahren wurde viel erreicht. Eine weitere Statistik
löst die Probleme der Wohnungs- und Obdachlosen na-
türlich nicht. Aber die Frage ist, ob eine Statistik viel-
leicht eine Hilfe ist, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit
zu vermeiden oder zu verhindern. Wir als Union meinen,
dass die Statistik eine Scheinlösung eines realen Pro-
blems wäre; denn Obdachlose brauchen konkrete Hilfen.
Diese Unterstützung bietet unser Sozialstaat längst an.
Das SGB II garantiert jedem erwerbsfähigen Hilfsbe-
dürftigen die finanziellen Mittel für eine angemessen
ausgestattete Wohnung. Die Kosten für Unterkunft und
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Die CDU/CSU steht für gute Sozialpolitik. Wir helfen
en Wohnungs- und Obdachlosen, indem wir versuchen,
ie in ihrer Notlage aufzufangen. Dazu gehören finan-
ielle Hilfen sowie karitative Einrichtungen. Wir werden
ber keine Statistik auf den Weg bringen, deren Aussa-
ekraft nicht über die einer Schätzung hinausgehen
ürde. Deshalb lehnen wir den Antrag der Linken ab.
Der Kollege Sören Bartol spricht für die Fraktion derPD.
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6554 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade inGroßstädten wie Berlin sehen wir immer wieder Men-schen, die augenscheinlich kein Zuhause haben: Leute,die nach Kleingeld fragen, eine Straßenzeitung verkau-fen, in Notquartieren übernachten oder gar ohne jedesObdach sind. Das ist der für uns alle sichtbare Teil desProblems der Wohnungslosigkeit. Er ist zwar sichtbar,aber statistisch nicht leicht zu erfassen; darauf kommeich noch zu sprechen.Wohnungslosigkeit betrifft noch viel mehr Menschen,die aber im Alltag unsichtbar bleiben. Dabei handelt essich um solche, die bei Freunden oder Verwandten über-nachten, in selbstbezahlten Billigpensionen wohnen oderin Unterkünften verschiedenster Träger untergebrachtsind.Etwas weiter gedacht, muss man in diesem Zusam-menhang auch die Menschen betrachten, die konkretvom Verlust ihrer Wohnung bedroht sind, weil zum Bei-spiel ihr Vermieter oder ihre Vermieterin versucht, sieherauszuklagen. Es müssen auch die Menschen Beach-tung finden, die unter unzumutbaren Umständen leben:in viel zu kleinen Wohnungen mit viel zu vielen Perso-nen oder aber zu Mieten, die ihre finanziellen Verhält-nisse bei weitem übersteigen. Diese Menschen habenkeine angemessene Wohnung, finden aber offensichtlichkeine bessere, die für sie infrage kommt.Es gibt viele verschiedene Gründe, eine Wohnung zuverlieren bzw. keine angemessene Bleibe zu finden. Dasreicht von finanziellen Ursachen bis hin zum grundsätz-lichen Unvermögen, sich um sich selbst zu kümmern, seies aufgrund von Krankheit, Sucht oder traumatischenEreignissen wie Arbeitsplatzverlust, Trennung oder Todvon Angehörigen.Mit dieser Aufzählung habe ich versucht, die Viel-schichtigkeit des Themas Wohnungslosigkeit zu ver-deutlichen. In Deutschland gab es 2008 ungefähr230 000 Wohnungslose und circa 100 000 von Woh-nungslosigkeit Bedrohte, zusammen also, wie es heißt,etwa 330 000 Wohnungsnotfälle. Dies sind Schätzungender Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe;denn eine offizielle Statistik gibt es in der Tat nicht. Dashat die Linksfraktion gut erkannt.Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat das erkannt,und zwar schon 1993. Damals hat die SPD im Bauaus-schuss eine bundesweite Statistik über Wohnungslosig-keit gefordert. Dieses Anliegen wurde vom Ausschusssogar in einen gemeinsamen Antrag übernommen, derauch im Plenum verabschiedet wurde. Daraufhin hat dieBundesregierung beim Statistischen Bundesamt eineMachbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Diese lag imJahr 1998 vor. Daraufhin hat sich der Bauausschuss er-neut mit der Thematik befasst. Letztlich wurden die Er-gebnisse der Machbarkeitsstudie einem Praxistest durchdas nordrhein-westfälische Landesamt für Statistik un-terzogen. Das geschah bis 2002.Es hat sich gezeigt, dass es viele methodischeSchwierigkeiten gibt, wenn man versucht, möglichst alleWPsnsaaNtrBdkssAwwlosMvBbwBisSnlasemvsliBdradzSdfiddhsBkgdS
Selbst die CDU/CSU-Fraktion ist Ihnen entgegenge-ommen und hat im Ausschuss Gesprächsbereitschaft si-nalisiert. Aber Sie peitschen diesen Antrag heute lieberurchs Parlament, ohne auf die Chancen zu achten, dieie damit in meinen Augen völlig zerstören! Es besteht
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6555
Sören Bartol
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noch Beratungs- und Informationsbedarf, bevor ich michund bevor sich meine Fraktion eindeutig für eine Bun-desstatistik aussprechen kann. Das geht auch anderenKollegen im Ausschuss so. Hat sich die Datenlage seitder letzten Machbarkeitsstudie geändert? Gibt es viel-leicht neue methodische oder technische Möglichkeiten?Welche aktuellen Erkenntnisse haben eigentlich Soziolo-gie und Sozialarbeit? All diesen Fragen konnten wir jetztnicht mehr nachgehen, da Sie einer Vertagung leidernicht zugestimmt haben. In meinen Augen haben Sie derSache einen echten Bärendienst erwiesen. Ich hoffe, dasswir trotzdem bald erneut über das Thema Wohnungslo-sigkeit sprechen können – dann aber in der angemesse-nen Gründlichkeit und ohne künstlichen Termindruck.Eines muss ich noch sagen, um nicht nur der Links-partei etwas mit auf den Weg zu geben. Erlauben Sie mirdeshalb abschließend noch ein Wort zur Bundesregie-rung. Schwarz-Gelb hat nämlich vor, den Schutz vonMietern zu senken. So sollen die Kündigungsfristen fürVermieter und Mieter „einheitlich“ sein; das ist ein Zitataus dem Koalitionsvertrag von 2009. Das bedeutet dieGleichberechtigung von ungleichen Partnern. Geradediejenigen Mieter, die nicht gut aufgestellt sind – sei esfinanziell oder von ihrer Fähigkeit her, sich um sichselbst zu kümmern –, brauchen Schutz.
Unser aktuelles Mietrecht hat sich bewährt; es hat zueinem insgesamt sehr ausgeglichenen Wohnungsmarktgeführt. Ich finde, daran sollten wir nicht rütteln – im In-teresse von Menschen, die sonst Gefahr laufen, woh-nungslos zu werden, aber auch im Interesse von anderenMietern, die einfach in Ruhe leben möchten, also ohnedie ständige Bedrohung, in einem Vierteljahr umziehenzu müssen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich wünscheIhnen noch einen schönen Abend.
Erst einmal noch einen schönen Abend hier im Ple-
num! Nicht dass jetzt alle gehen!
Ich gebe das Wort der Kollegin Petra Müller für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für Sie und für mich gehört es zu den Selbstverständ-lichkeiten, ein Dach über dem Kopf zu haben – einDach, das uns nicht nur vor Regen und Wetter schützt,sondern das auch Geborgenheit, Rückzugsmöglichkeitund Privatheit bedeutet. Es gibt jedoch genügend Men-schen in diesem Land, die über keine Wohnung verfü-gen. Sie können nicht so nach Hause gehen wie wir alle.SdbnbgASSJeWBszmdgKdOnpdsstuLlaPfütucs–wte–dmuddgßdg
b Energiewirtschaft, ob Herr Sarrazin, unsere Soldatin-en und Soldaten im UN-Einsatz, ob der Außenministerersönlich, indem er ein paar Infobroschüren wenigerrucken lässt – alle sollen zahlen, der Sozialstaat wird eschon richten. Wohltätigkeit kann aber nicht so einfachein, jedenfalls nicht, wenn man Regierungsverantwor-ng trägt.Das Problem ist viel komplexer und viel ernster. Wiriberale sagen: Der Sozialstaat soll niemanden alleinessen, der in Not geraten ist. Es ist unsere ethischeflicht und moralische Verantwortung, Notanker zu seinr alle, die sich selbst nicht mehr helfen können. Ja, wirn das mit dem gesamten Spektrum des sozialstaatli-hen Leistungspakets, mit konkreter öffentlicher Für-orge. Nein, wir tun das nicht mit einer Statistik.
Danke schön. Nein, ich glaube nicht, dass ein Zahlen-erk hilft, mehr Menschen Obdach zu geben. Im Gegen-il: Die Machbarkeitsstudie und der Praxistest in NRW der Kollege hat es eben ausgeführt – haben gezeigt,ass erstens nur eine Teilerfassung von Wohnungslosenöglich ist und zweitens der bürokratische Aufwandnd die Kosten dafür absolut zu hoch sind.Wir dürfen das Problem nicht bürokratisch behan-eln, sondern wir müssen es an der Wurzel packen. Ja,er Weg aus der Wohnungslosigkeit geht über Chancen-erechtigkeit, die Chance, selbst wieder auf eigenen Fü-en zu stehen und in den Arbeitsmarkt zu kommen. Ja,er Weg aus der Wohnungslosigkeit geht über einen aus-eglichenen Wohnungsmarkt und nicht über massive
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6556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Petra Müller
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Kürzungen beim sozialen Wohnungsbau, wie es die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW plant.
– Ja, ja! Drittens. Der Weg aus der Wohnungslosigkeitgeht über staatliche Unterstützung, Stichwort: Wohn-geld.So konkret kann Politik sein, dann hilft sie. Um dieWohnungslosigkeit in Deutschland weiter zu minimie-ren, müssen wir, die christlich-liberale Koalition, dieMenschen befähigen, ihr Leben selbst zu gestalten undaus eigener Kraft Chancen zu nutzen. Der vorliegendeAntrag hilft nicht. Deshalb sagen wir Nein zu diesemAntrag.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Heidrun Bluhm hat nun das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Wissen Sie eigentlich, wie viele Bleistifte und
Zahnbürsten ein Bürger unserer Republik pro Jahr im
Durchschnitt verbraucht? Wissen Sie, wie viele Eier er
isst? Wissen Sie, wie oft er Lotto spielt oder wie oft er
seine Hemden wechselt? Das wissen Sie nicht? Das
macht nichts. Sie können es im Statistischen Jahrbuch
des Statistischen Bundesamtes nachlesen.
Sie wissen auch nicht – Sie können es auch nicht in
Erfahrung bringen –, wie viele wohnungslose Menschen
wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, wie viele
Männer, Frauen und Kinder von Wohnungslosigkeit be-
troffen sind, wie viele davon in Ihrem Wahlkreis leben.
Darüber gibt es keine Zahlen, nirgendwo. Wir verlassen
uns auf die Zahlen, die die BAG Wohnungslosenhilfe
schätzt. Damit gehen wir um.
Ich finde die Debatte, die vor allem meine Kollegin-
nen und Kollegen aus der Koalition geführt haben,
scheinheilig; denn sie wollen gar nicht wissen, sie wol-
len sich nicht vor Augen führen lassen, wie groß die
Zahlen tatsächlich sind. Sie führen Schwierigkeiten an
und weisen darauf hin, wie schwer das alles ist. Natür-
lich ist das schwierig. Natürlich sind die Umstände nicht
leicht. Aber Sie versuchen es ja nicht einmal.
Ein Punkt, der Ihre Scheinheiligkeit zeigt: Frau
Müller, ich bin auf dem Alexanderplatz gewesen, Kolle-
ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen auch.
Sie sagen, Sie waren nicht eingeladen. Das kann ich
nicht beurteilen. Von allen anwesenden Kolleginnen und
Kollegen, auch von denen aus Ihrer Fraktion, ist der
Wunsch der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslo-
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ann lassen Sie es eben, und damit ist das Problem vom
isch. Das ist die dritte Scheinheiligkeit. Weil es keine
ahlen gibt, fehlt der Beweis dafür, dass es das Problem
ibt. Wohnungslosigkeit gibt es also nicht.
Ich habe Sie nicht persönlich gemeint, Frau Müller.
ier ist eben gesagt worden, dass Menschen freiwillig
nter der Brücke schlafen. Es ist gesagt worden, dass es
enügend Wohnraum gibt. Jeder kann die Hilfe in An-
pruch nehmen, ist hier gesagt worden.
Schließlich stellen wir fest, dass zu dieser Frage im
oalitionsvertrag nichts, aber auch gar nichts steht.
elbst im Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesre-
ierung steht nichts dazu. Wir blenden auch dieses Pro-
lem aus und überlassen es denjenigen, die davon be-
offen sind.
Ich denke, ich muss meine Redezeit nicht unnötig
erlängern. Unser Antrag ist klar. Er ist weder populis-
sch noch ideologisch. Er ist auch nicht links; auch das
ill ich hier deutlich sagen. Er ist einfach notwendig.
assen Sie es uns einfach tun. Lassen Sie uns beschlie-
en, die Daten für die Statistik zu erheben. Danach wer-
en wir weiter an den Inhalten arbeiten müssen. Ich kann
nen versprechen – Herr Bartol, auch Ihnen –: Wir wer-
en nicht aufgeben, auch wenn der Antrag heute nicht
ngenommen wird. Wir werden in Kürze einen weiteren
ntrag einbringen und Sie dann beim Wort nehmen.
Danke schön.
Daniela Wagner hat das Wort für Bündnis 90/Die
rünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Wir widmen uns zu ziemlichpäter Stunde
inem Teil unserer Gesellschaft, der oft vergessen, mit-in als lästig empfunden wird: den Obdachlosen. Manegegnet ihnen bisweilen an den einschlägigen Stellen,ier in Berlin an der U-Bahn. Wenn wir vorbeigehen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6557
Daniela Wagner
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wissen wir, dass wir nicht jedem dieser Menschen helfenkönnen. Wir können auch nicht verhindern, dass sie dieAnonymität der Straßen in den Großstädten suchen.Aber wir können natürlich versuchen, die Ursache fürWohnungs- und Obdachlosigkeit zu bekämpfen. LiebeKolleginnen und Kollegen, egal welcher Fraktion manangehört, dürfte eines klar sein: Ein Leben ohne festenWohnsitz, ohne den Schutz einer Wohnung und einerHaustür, die man abends zumachen kann, wünschen wiralle niemandem.Das Problem der Wohnungslosigkeit beginnt aller-dings bereits vor dem Verlust der festen Unterkunft. DieBundesarbeitsgemeinschaft hat zu Recht darauf hinge-wiesen, dass drei Gruppen unterschieden werden müs-sen: Wohnungslose, von Wohnungslosigkeit Bedrohteund Menschen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissenleben. Deswegen müssen Hilfsangebote jedweder Artzielgruppen- und geschlechtsspezifisch ausgerichtetwerden. Genau dafür brauchen die Praktikerinnen undPraktiker vor Ort ausdifferenzierte Kenntnisse, die übereine Bundesstatistik zentral gewonnen werden könnten.Bei aller Einsicht hinsichtlich der operativen Pro-bleme, die das bereitet, sind wir der Auffassung, dassman dem Antrag der Fraktion der Linken zustimmenkann und die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab-lehnen muss.Aber machen wir den zweiten Schritt nicht vor demersten. Wir müssen verhindern, dass Menschen woh-nungslos werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leis-ten können. Das betrifft vor allem die Menschen in denGroßstädten und den Ballungsräumen mit ihrer relativenAnonymität. Dort leben häufig Menschen in prekärensozialen Lebenslagen. In diesem Zusammenhang istfestzustellen: Wegen der derzeit angekündigten mieter-feindlichen Politik der Bundesregierung ist davon auszu-gehen, dass die in der Tat zurückgegangene Zahl derWohnungslosen in den kommenden Jahren wieder deut-lich ansteigen wird.
Wir wissen natürlich, dass die Wohnungslosigkeit durch-aus mit der Situation auf dem Wohnungsmarkt und mitden Mietpreisen korreliert.Es kommt noch etwas hinzu: Wenn Sie zum Beispieldie Kosten der Unterkunft pauschalieren, wird auch dasnatürlich in erhöhtem Maße Wohnungslosigkeit produ-zieren.Meine Damen und Herren, gerade wir als Grüne wis-sen natürlich – das findet auch unsere Zustimmung –,dass der Wohnungsmarkt umfassend energetisch saniertwerden muss.
Aber – es ist ganz wichtig, das hier festzustellen – wirdürfen und können das nicht vorwiegend auf dem Rü-cken der Mieterinnen und Mietern abladen, wie Sie esanscheinend vorhaben.MSgsDsodkddhluAsDWDmvbnghspwnDMtimIhwuddlo
Schon jetzt ist es so, dass eine umfassende energeti-che Sanierung Mietsteigerungen von bis zu 200, 300der 400 Euro zur Folge haben kann. Sie werden sehen,ass sich das natürlich auch beim Thema Obdachlosig-eit auswirken wird.
Deswegen sagen wir: Wir wollen uns hier nicht auser Verantwortung stehlen. Der Antrag der Linken isturchaus mitzutragen. Wir wollen eine Datengrundlageaben, die es ermöglicht, tatsächlich wirksame Hand-ngsansätze zu entwickeln. Deswegen werden wir demntrag zustimmen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-che einen guten Nachhauseweg.
So weit sind wir noch nicht. Es bleiben alle hier. –
aniela Raab hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit ist nicht nur ineutschland, sondern weltweit ein Zustand, in dem im-er noch – das bestreitet hier sicherlich keiner – viel zuiele Menschen leben. Es stimmt natürlich, dass es keineundeseinheitliche Datenerfassung gibt. Ich möchte hiericht allzu viel von dem wiederholen, was meine Kolle-innen und Kollegen richtigerweise schon ausgeführtaben. Ich glaube schon, dass der Vorschlag vom Grund-atz her richtig ist. Aber ich sehe noch nicht, wie wir ihnraktikabel umsetzen können.Deswegen möchte ich gleich zu Anfang sagen: Miräre es sehr recht gewesen, wenn Sie selber Ihren eige-en Antrag so ernst genommen hätten, dass Sie ihn einerebatte zugeführt hätten, und zwar nicht nur einer Zehn-inuten-Debatte im Ausschuss und heute einer zu rela-v später Stunde, und wenn Sie das Angebot angenom-en hätten und über die Brücke gegangen wären, die wirnen gestern im Ausschuss gerne gebaut hätten, indemir sagen: Wir setzen uns einmal zusammen, schauenns das Thema an und versuchen zu ergründen, ob wiras bundesweit tatsächlich so erfassen können, dass esenen hilft, denen es helfen soll, nämlich den Obdach-sen, oder ob es wieder nur denjenigen hilft, die eine
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6558 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Daniela Raab
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)Statistik aufstellen, die dann wiederum keinen interes-siert, weil man mit ihr nichts anfangen kann, weil sienicht aussagekräftig ist. Das ist der Grund, weshalb wiruns hier sperren.
Um auch das gleich vorwegzunehmen: Ich muss ausIhrem Verhalten, über die von uns angebotene Brückenicht zu gehen, schließen, es ginge Ihnen darum, hiereinmal ein Ballyhoo zu diesem Thema zu machen unddann zu sagen: Hier sitzen ein paar ganz Böse, die sichmit dem Thema nicht auseinandersetzen wollen und unsdann überstimmen. – Ich muss ganz einfach sagen, dahaben Sie ganz offensichtlich ein sehr sensibles, sehrernstes und sehr wichtiges Thema einfach nur der Partei-taktik geopfert. Das kann ich so nicht gut finden.
Wir haben natürlich auch schon gehört, wie vielfältigdie Gründe dafür sein können, ohne Wohnung, ohne Ob-dach zu leben. Ich möchte sie hier nicht wiederholen. Essind vielfach menschliche Schicksale, die wir alle Gottsei Dank nicht teilen müssen und hoffentlich nie teilenwerden. Ich glaube – da stimme ich meinem KollegenStorjohann, aber ganz ausdrücklich auch Ihnen, HerrBartol, zu –, wichtig ist schon, was wir vor Ort machenund was wir den Menschen vor Ort anbieten; denn – ichsage es noch einmal – mit einer Statistik, in der vielleichtnur die Hälfte derer erfasst ist, die betroffen sind, helfenwir den Betroffenen nicht. Wir helfen ihnen eigentlichnur mit konkreten Angeboten.Natürlich sind die Länder hierfür zuständig. So ist esnun einmal. Es hat aber auch schon vonseiten des Bun-des Initiativen gegeben. Der Bund hat diese Zielgruppezum Beispiel in das Wohnraumförderungsgesetz aufge-nommen und schon im Vorfeld in den Verwaltungsver-einbarungen zwischen Bund und Ländern festgelegt,dass der Versorgungsauftrag des sozialen Wohnungsbausdie Wohnungslosen einschließt und sie zu den vordring-lich zu behandelnden Gruppen zählt. Das zumindestkann der Bund mit den Ländern vereinbaren. Das hat erauch gemacht.Ich nehme einmal mein Bundesland Bayern als Bei-spiel und frage: Was wird dort für die Wohnungslosengetan? Jeder Kollege kann auf diese Frage hin zahlreichepraktische und konkrete Hilfsangebote aufzählen. Esgibt bei uns die Konferenz der Wohnungslosenhilfe. Dasist ein Gremium, in dem sich ambulante Dienste und sta-tionäre Einrichtungen zusammengeschlossen haben, umgemeinsam die Belange wohnungsloser Menschen zubehandeln.
– Nein. Bitte keine Zwischenfragen mehr. Sie hattengestern ausführlich Zeit. Sie hatten vorher auch Rede-zeit.
Ich sage Ihnen auch, Frau Bluhm: Wenn Sie sich ernst-haft mit uns hätten unterhalten wollen, dann hätten SiegtefaWdfrwsfesrüavvBIc–dtimunnbcNfidhfäeSmfüluDsmluDB
Des Weiteren gibt es in Bayern den Fachausschussohnungslosenhilfe. Das ist die Wohnungslosenhilfeer Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen undeien Wohlfahrtspflege. Es sind also alle dabei, die mitohnungslosen Menschen zu tun haben. Sie wissen, woie sich aufhalten, und vielleicht auch, wie sie ihnen hel-n können. Darüber hätten wir uns wunderbar austau-chen können. Aber nicht nur das: Wir hätten auch da-ber reden können, wie konkret die Angebote in dennderen Bundesländern tatsächlich sind, und was wiron der Bundesseite noch tun können. Dann wären wirielleicht zu einem Ergebnis bei der Frage gekommen:rauchen wir die Statistik, oder brauchen wir sie nicht?h weiß es nicht.
Ich rede jetzt nicht für meinen Koalitionspartner, son-ern, wie gestern im Ausschuss auch, für meine Frak-on. Da sind wir uns einig. Ich sage es Ihnen noch ein-al: Das ist nur parteipolitisches Geplärr. Das ist einzignd allein eine Debatte, um uns vorzuführen. Das ist Ih-en aber Gott sei Dank nicht gelungen. Wir setzen unsämlich inhaltlich mit dem Thema auseinander; das ha-en Sie leider nicht so getan. Nur: Das wird nicht rei-hen, und das lasse ich mir hier nicht gefallen.
Wer ernst gemeinte Angebote abschlägt, darf sich imachhinein nicht wundern, wenn er keine Mehrheitenndet. Vielleicht machen Sie es beim nächsten Mal an-ers. Wir wollen uns diesem Thema gerne weiterhin nä-ern. Ich glaube, die Angebote waren deutlich und viel-ltig. Damit darf ich diese Debatte abschließen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-mpfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau undtadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linkeit dem Titel „Wohnungslosigkeit in Deutschland – Ein-hrung einer Bundesstatistik“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/3084, den Antrag der Fraktionie Linke auf Drucksache 17/2434 abzulehnen. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-en? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-ng bei Zustimmung durch die Koalition angenommen.ie SPD-Fraktion hat sich enthalten. Dagegen habenündnis 90/Die Grünen und die Linke gestimmt.
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Tagesordnungspunkt 15:Beratung des Antrags der Abgeordneten MarleneMortler, Klaus Brähmig, Josef Göppel, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-wie der Abgeordneten Horst Meierhofer, JensAckermann, Angelika Brunkhorst, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDPTourismus und Landschaftspflege verknüpfen –Gemeinsam die Entwicklung ländlicherRäume stärken– Drucksache 17/2478 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussIhre Reden bereits zu Protokoll gegeben haben dieKolleginnen und Kollegen Marlene Mortler, KlausBrähmig, Heinz Paula, Jens Ackermann, KorneliaMöller, Markus Tressel und der Parlamentarische Staats-sekretär Ernst Burgbacher.1)Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/2478 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-verstanden. Dann ist das so beschlossen.Tagesordnungspunkt 16:Beratung des Antrags der Abgeordneten WinfriedHermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENBürgerfreundlichen Ausbau der Rheintalbahnauf der Basis des Prognosehorizontes 2025 pla-nen– Drucksache 17/2488 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
FinanzausschussAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussIhre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-ginnen und Kollegen Steffen Bilger, Ulrich Lange, UteKumpf, Sibylle Laurischk, Sabine Leidig und KerstinAndreae.2)Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/2488 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch damit sindSie einverstanden. Dann ist es so beschlossen.Tagesordnungspunkt 17:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur ModernisierungGHSwvsRKFNdmnC2deaüssswsteInEladdsinD1) Anlage 42) Anlage 5 3)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-urfes auf Drucksache 17/2583 an den Rechtsausschussorgeschlagen. – Dazu gibt es keine weiteren Vor-chläge. Dann ist das so beschlossen.Tagesordnungspunkt 18:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Zweiten E-Geld-Richtlinie– Drucksache 17/3023 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieeden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieolleginnen und Kollegen Peter Aumer, Martin Gerster,rank Schäffler, Dr. Axel Troost und Dr. Konstantin vonotz.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bun-
esregierung die Richtlinie des Europäischen Parla-
ents und des Rates vom 16. September 2009 in natio-
ales Recht um. Der damalige Binnenmarkt-Kommissar
harlie McCreevy bewerte die Richtlinie im Januar
010 folgendermaßen: „Diese Richtlinie wird nicht nur
as Zahlungssystem in der EU verbessern, sondern
benfalls den Weg für konkrete Vorteile der Verbraucher
us der Integration der Finanzmärkte ebnen.”
Die Zweite E-Geld-Richtlinie über die Aufnahme, Aus-
bung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-In-
tituten wird fristgerecht bis zum 30. April 2011 in deut-
ches Recht umgesetzt. Von den Änderungen betroffen
ind das Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz, das Geld-
äschegesetz, das Handelsgesetzbuch und das Unterlas-
ungsklagengesetz. Die aufsichtsrechtlichen Vorschrif-
n der Zweiten E-Geld-Richtlinie sehen für die neue
stitutskategorie der E-Geld-Institute ein spezifisches
rlaubnisverfahren und besondere Regelungen für die
ufende Aufsicht vor. Diese werden in das Zahlungs-
iensteaufsichtsgesetz aufgenommen, und im Gegenzug
azu werden E-Geld-Institute aus dem Kreditwesenge-
etz herausgelöst.
Im Zuge der Umsetzung werden weitere Änderungen
den genannten Aufsichtsgesetzen vorgenommen, die
efizite bei den geldwäscherechtlichen Normen beseiti-
Anlage 6
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gen sollen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland
wirksamer vor einem Missbrauch durch Geldwäsche
und Terrorismusfinanzierung zu schützen.
Die Umsetzung der Zweiten E-Geld-Richtlinie in den
Vertragsstaaten der EU bringt wesentliche Vorteile für
unseren Wirtschaftsraum:
Erstens. Sie schafft einen modernen und rechtlich ko-
härenten Zahlungsverkehrsraum für die Ausgabe von
elektronischem Geld im Europäischen Binnenmarkt. Auf
diese Weise wird der Weg für neue innovative und si-
chere E-Geld-Dienstleistungen geebnet.
Zweitens. Sie fördert faire Wettbewerbsbedingungen
und setzt gleiche Marktzugangskriterien für alle Zah-
lungsdiensteanbieter einschließlich der E-Geld-Insti-
tute.
Drittens. Sie initiiert einen echten und wirkungsvol-
len Wettbewerb.
Viertens. Sie schafft einen einheitlichen aufsichts-
rechtlichen Rahmen.
Wie sehen die Änderungen konkret aus? Nach der
Zweiten E-Geld-Richtlinie ist die Kreditinstitutseigen-
schaft nun nicht mehr zwingende Voraussetzung für das
Betreiben des E-Geld-Geschäfts. Mit der Durchsetzung
des Erlaubnisvorbehaltes, der Zulassung und der lau-
fenden Aufsicht über die E-Geld-Institute wird die Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
beauftragt werden. Durch die Modifizierung der be-
stehenden Regelungen soll bewirkt werden, dass in
Deutschland die Nachfrage an E-Geld-Lizenzen erhöht
wird und sich auch deutsche E-Geld-Institute auf dem
europäischen Markt etablieren können. Entscheidend ist
hier auch, dass diese nun ein erweitertes Tätigkeitsfeld
haben sollen und zusätzliche Dienstleistungen anbieten
dürfen. Zukünftig sollen Internetzahlungen verstärkt
auch mit E-Geld möglich werden. In dieses Marktseg-
ment sind bereits ausländische Anbieter wie PayPal vor-
gestoßen. Die Gesetzesänderung soll nun auch inländi-
schen Unternehmen diesen Markt eröffnen.
Zudem soll die „Geldkarten“-Funktion, über welche
viele inländische EC-Karten-Besitzer die Möglichkeit
besitzen, ihre Karte an SB-Terminals mit E-Geld aufzu-
laden, erweitert werden. Damit soll die Handhabung
benutzerfreundlicher gestaltet und auch der Einsatz von
E-Geld vielseitiger und attraktiver gemacht werden.
Überdies beseitigt die Richtlinie Defizite im deut-
schen Rechtssystem, die die Financial Action Task Force
on Money Laundering im Deutschland-Bericht
vom 18. Februar bei der Bekämpfung von Geldwäsche
und Terrorismusfinanzierung feststellte. Gerade in
Deutschland ist die Umsetzung der Richtlinie und die
Beseitigung der angesprochenen Defizite besonders
wichtig. Im europäischen Vergleich ist das Angebot qua-
litativ hochwertiger Finanzdienstleistungen bei uns be-
sonders hoch. Hinzu kommen die zentrale geografische
Lage Deutschlands, die engen wirtschaftlichen Bezie-
hungen und die internationale Vernetzung der deutschen
Wirtschaft, die eine lückenlose, genaue und effiziente
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Zu Protokoll ge
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Wie dem auch sei: Im Ansatz positiv ist der Versuch zuwerten, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auch beste-hende Defizite anzugehen, die in Deutschland bei derBekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierungbestehen. So beinhaltet der Gesetzentwurf auch die Ziel-setzung, die deutliche Kritik aufzugreifen, welche die Fi-nancial Action Task Force, FATF, in ihrem Deutschland-bericht vom Februar 2010 formuliert hat. Seit 1989widmet sich dieses OECD-Gremium dem Kampf gegenGeldwäsche und die Finanzierung des internationalenTerrors. 49 Kriterien umfasst der Kriterienkatalog, an-hand derer die Antigeldwäschepolitik der Bundesrepu-blik durch die Organisation bewertet wurde. Von diesenerfüllte Deutschland zum Untersuchungszeitpunkt 29 –zumindest weitgehend. 15-mal wurde die lediglich teil-weise Umsetzung der Empfehlungen moniert, fünfmaldiagnostizierten die FATF-Prüfer, die zentralen Umset-zungskriterien seien mehrheitlich nicht erfüllt. Um einHaar wäre Deutschland auf der schwarzen Liste derFATF gelandet, wie das „Handelsblatt“ seinerzeit be-richtete. Ein deutliches Zeichen für vielfachen unddringlichen Handlungsbedarf.Tatsächlich nimmt der Gesetzentwurf an mehrerenPunkten Bezug auf die Empfehlungen der FATF und ver-sucht, aufsichtsrechtliche Lücken bei der Behandlungvon Kreditinstituten und Finanzdienstleistern sowie imBereich der Versicherungsunternehmen zu schließen. Soweit, so gut. Interessant wird es jedoch, wenn man einengenauen Blick darauf wirft, welche der 49 geprüftenKriterien mit dem vorliegenden Gesetzentwurf angegan-gen werden. Denn schnell wird deutlich: Ein nicht unwe-sentlicher Teil der Regelungen, in denen der Gesetzent-wurf die FATF-Kritik aufgreift, betrifft Empfehlungen,die seitens der Prüfer ohnehin als eher weniger proble-matisch eingeschätzt werden. Zentrale Punkte derFATF-Kritik bleiben hingegen völlig unberührt. So mo-niert die Organisation die strafrechtliche Behandlungvon Insiderhandel und Marktmanipulationen, die inDeutschland nicht als Vortaten zur Geldwäsche angese-hen werden. Auch wird kritisiert, dass bei der Verfol-gung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung beispiels-weise Kasinobetrieben, dem Handel mit Edelsteinen undEdelmetallen oder der Immobilienmaklerbranche nachwie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, unddas, obwohl diese Berufsfelder – ebenso wie bestimmtegeschützte Berufsgruppen – besonders interessant fürdie entsprechenden Kriminalitätsformen sein dürften.So richtig die Ansätze des hier zur Beratung anste-henden Gesetzentwurfes im Prinzip auch sein mögen: Eskann keinesfalls die Rede davon sein, dass damit diesubstanziellen Kritikpunkte der FATF aus der Welt wä-ren. Im Gegenteil: Auf diesem Feld bleibt noch viel zutun.Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung ihren in derBegründung des Gesetzentwurfes nachdrücklich doku-mentierten Willen auch in der weiteren gesetzgeberi-schen Praxis zeigen wird. Seitens der FATF steht dienächste Bewertung Deutschlands 2012 an. Wir werdensehr genau im Auge behalten, welche Schritte die Bun-desregierung bis dahin ergreifen wird, um die nach wievor bestehenden Schwächen im Kampf gegen Geldwä-savsimemtreSimKwluWzginEewSsGetusotibs3VwwMowerdpluG
em Gesetzentwurf zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-ichtlinie nun ändern. Hierdurch sollen gleiche Wettbe-erbs- und Marktzugangsbedingungen für alle Zah-ngsdienstanbieter, einschließlich der E-Geld-Institute,eschaffen werden. Allerdings birgt der neue rechtliche
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6561
Martin Gerstergebene Reden
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Rahmen erhebliche Risiken für Verbraucherinnen undVerbraucher. Zum anderen bleibt einiges im Argen, ge-rade was das Aufsichtsrecht in Zusammenhang mit derBekämpfung von Geldwäsche betrifft.Durch den Gesetzesentwurf wird der Komplex E-Geld,bislang im Kreditwesengesetz, KWG, geregelt, nun indas weitaus laxere Regularium des Zahlungsdiensteauf-sichtsgesetz überführt, ZAG. Bereits das im Juni 2009geschaffene ZAG wurde von unserer Fraktion abgelehnt,da hierdurch dubiose Kreditkartengeschäfte erleichtertwerden. Mit der nun erfolgten Ausweitung des ZAG aufden Bereich des E-Geldes wird ein weiterer Bereich desRetail-Bankings, das heißt des End- bzw. Einzelkunden-geschäfts, einem geringeren Regulierungs- und Beauf-sichtigungsniveau unterworfen, als es unter dem KWGder Fall wäre. Aus Verbrauchersicht stört, dass derRücktausch von E-Geld in hartes Geld nicht jederzeitgebührenfrei möglich ist. Was hingegen ein angemesse-nes Entgelt ist, weiß kaum jemand. Das Entgelt muss le-diglich „in einem angemessenen Verhältnis zu den tat-sächlich entstandenen Kosten des E-Geld-Emittentenstehen“, heißt es in den entsprechenden Passagen des§ 23 des ZAG lapidar.Weiterer Risikofaktor ist die Herabsetzung des An-fangskapitals von derzeit 1 Million Euro auf 350 000 Euro.Welche Betrügereien möglich sein werden, wenn nur350 000 Euro und 2 Prozent unterlegt sein müssen, kannman zwar heute noch nicht sagen. Doch würde man sichgerade auch als Instrument eines vorausschauendenMonitoring einen Erfahrungsbericht nach zwei Jahrengewünscht haben.Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird darüberhinaus zu prüfen sein, ob die bekannten Mängel bei derGeldwäschebekämpfung mit diesem Gesetzesentwurftatsächlich hinreichend abgestellt werden. So wurdenvon der Financial Action Task Force on Money Launde-ring, FATF, im Deutschland-Bericht vom 18. Februar2010 diesbezüglich Defizite im deutschen Rechtssystemidentifiziert, die zum Teil auch das Aufsichtsrecht betref-fen. Insbesondere die landeseigenen Spielbanken stehenim Verdacht, eigenen monetären Interessen zu unterlie-gen und den Meldepflichten nicht nachzukommen. DieBundesregierung tut folglich gut daran, hierzu Sachver-ständige der FATF sowie des BKA anzuhören und denEntwurf samt Integration in das ZAG-Regelwerk ent-sprechend zu überdenken. Die Fraktion Die Linke wirddem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Nach Ansicht der Kommission gibt es bislang keinenfunktionierenden Binnenmarkt bei Dienstleistungen imZusammenhang mit E-Geld in Europa. Aus diesemGrund hat die Kommission beschlossen, die diesbezügli-che Richtlinie aus dem Jahr 2000 aufzuheben und diesedurch eine neue, zweite Richtlinie zu ersetzen. Mit ihrerHilfe sollen bestehende Marktzutrittsbeschränkungenbeseitigt, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Zah-lungsdienstleister erreicht und ein einheitlicher auf-sfeweEngvEHabsdZzmbzkreddInwpoteggbghsimvswdtufizüdwaleUGsüdwGjeZu Protokoll ge
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6562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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fährige Ausgestaltung des Aufsichtsregimes zu für dieVerbraucherinnen und Verbraucher nicht hinnehmba-ren Risiken kommt und dem mit dem GeschäftsmodellE-Geld verbundenen, spezifischen Risiken, vor allem imBereich des Datenschutzes und des Schutzes des Rechtsauf informationelle Selbstbestimmung, nicht in adäqua-ter Art und Weise Rechnung getragen wird. Die neuen,in vielerlei Hinsicht erleichterten Bestimmungen für dieGründung von E-Kreditinstituten und eine damit einher-gehende anzunehmende Neugründungswelle, die zwei-fellos für die europäischen Binnenwirtschaft von Nutzensein könnte, dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass esdurch eine zu hohe Arbeitsbelastung für die Aufsichtsbe-hörden zu einer qualitativen Absenkung der aufsichts-rechtlichen Kontrollen kommt.Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt anspre-chen: Das in der nun vorgelegten Richtlinie der EU er-wähnte „E-Geld“ tritt heute vor allem in zwei Formenauf. Erstens als ein auf einer Bankkarte mithilfe einesChips gespeicherter Betrag zur Begleichung von Klein-beträgen. Diese Funktion findet sich heute auf praktischjeder Geldkarte, zweitens im Verkehr über die eben be-reits beschriebenen E-Geld-Institute. Laut Richtlinien-definition ist es deren Aufgabe als Zahlungsdienstleistergeldwerte Einheiten gegen Vorauszahlung bereitzustel-len, welche dann später wiederum für Zahlungen ver-wendet werden können, weil sie von Dritten akzeptiertwerden. Statt einer direkten Überweisung von einemKunden zu einem Händler geschieht die Transaktionalso zwischen „Plattform-Händlern“. Da dies für Kun-den zweifellos viele Vorteile bietet, zum Beispiel den,dass ein grenzüberschreitender Handel erleichtert wird,ist diese Form der Bezahlung bereits heute weit verbrei-tet.Im Grunde genommen handelt es sich hier um nichtsanderes als um ein auf Vertrauen basierendes Gut-scheinsystem für die digitale Welt. Die Zusicherung desVertrauens wiederum – sowohl das zwischen den einzel-nen Plattformen untereinander, als auch das zwischenVerbraucher und Plattform – wird durch Verträge zuge-sichert. Ein solcher Vertragsabschluss kann, muss abernicht rechtlich unausweichlich sein.Während wir bei der Bezahlung mit Geld, aber ebenauch mit E-Geld in der realen Welt durchaus anonym be-zahlen können, ist dies bislang beim Bezahlen im Netznicht möglich. Warum eigentlich nicht?Meines Erachtens nach müssen wir auch verstärktdarüber nachdenken, wie wir im Netz überall dort, wo esnicht zwingend erforderlich ist, den jeweiligen Vertrags-partner zu identifizieren, Angebote schaffen, um zukünf-tig auch ein anonymisiertes Bezahlen im Netz zu ermög-lichen. Im Übrigen fordert uns die derzeit bestehendeGesetzeslage ausdrücklich auf, beispielsweise durcheine Rechtspflicht zur Anonymisierung bzw. Pseudony-misierung bei der Ausgestaltung von Verfahren wie sieim § 3 a des Bundesdatenschutzgesetzes vorgesehen ist.Es ist daher nur folgerichtig, auch im Bereich desE-Geldes im Sinne einer erhöhten Datensparsamkeitund der Ermöglichung des Selbstdatenschutzes durchdie Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt Techni-ken der Anonymisierung zu fördern. So würde es unsezdDfüwHuHnAaDetiBL1)
Wir kommen zur Abstimmung.Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäreilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung bzw. sei-em Bericht auf Drucksachen 17/3085 und 17/3108, denntrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1049bzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –agegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-mpfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Koali-onsfraktionen. Dagegen haben die SPD-Fraktion undündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Fraktion Dieinke hat sich enthalten.Tagesordnungspunkt 20:– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbe-soldungs- und -versorgungsanpassungsgeset-zes 2010/2011
– Drucksachen 17/1878, 17/2066 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 17/3086 –Berichterstattung:Abgeordnete Armin Schuster
Michael Hartmann
Dr. Stefan RuppertFrank TempelDr. Konstantin von NotzAnlage 7
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6564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 17/3087 –Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen HerrmannDr. Peter DanckertFlorian ToncarSteffen BockhahnStephan KühnZu Protokoll gegeben haben ihre Reden ArminSchuster, Michael Hartmann, Dr. Stefan Ruppert, FrankTempel und Dr. Konstantin von Notz.1)Wir kommen zur Abstimmung.Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 17/3086, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/1878 und17/2066 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-wurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch dieKoalitionsfraktionen angenommen. Dagegen haben SPDund Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Fraktion DieLinke hat sich enthalten.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, mögesich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Da-mit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung undSchlussabstimmung beim gleichen Stimmverhältnis wievorher angenommen.Tagesordnungspunkt 21:Beratung des Antrags der Abgeordneten AnnetteGroth, Ulla Lötzer, Jan van Aken, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEEU-Freihandelsabkommen mit Indien stoppen –Verhandlungsmandat in demokratischem Pro-zess neu festlegen– Drucksache 17/2420 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger AusschussFinanzausschussAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHier haben ihre Reden bereits zu Protokoll gegeben:Erich G. Fritz, Rolf Hempelmann, Dr. Martin Lindner,Annette Groth und Uwe Kekeritz.
Partnerschaften der Europäischen Union mit wichti-gen Akteuren in der Welt bilden ein nützliches Instru-ment für die Verfolgung der politischen Ziele der UnionudbhswLwpFlikesInkdzaSfrvtertegtesdwhstewutrsadzblihdbehbehtesktereÜßK1) Anlage 8
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Ausschuss fortlaufend unterrichten, so wie sie dies be-reits in der Vergangenheit immer getan hat. Darumbraucht man sich in der Linksfraktion nun wirklich nichtzu sorgen.Die neuen Zuständigkeiten des Europäischen Parla-mentes in der Gemeinsamen Europäischen Handelspoli-tik sollten von der Linken im Übrigen auch zur Kenntnisgenommen werden. Sie ermöglichen eine breite Behand-lung aller Fragen in der Öffentlichkeit, wie das bisherbei Handelsabkommen auf europäischer Ebene nichtder Fall gewesen ist. Ich bezeichne das als demokrati-schen Fortschritt. Dass dabei nicht alle Forderungen,die das Europäische Parlament an zukünftige Abkom-men stellt, zum Beispiel was Standards angeht, von derindischen Seite sofort als ihren Interessen dienlich ange-sehen wird, ist weder überraschend noch ein wirklichesHindernis für einen Abschluss. Es ist ein großer Schrittin der europäisch-indischen Zusammenarbeit, dassheute über Fragen gesprochen und diskutiert wird, dienoch vor wenigen Jahren von Anfang an hätten ausge-schlossen werden müssen.Auch die Argumentation der Linksfraktion, Indienhätte kein Interesse an einem Freihandelsabkommen,weil Indiens staatlich regulierte Volkswirtschaft sich we-niger krisenanfällig zeigte, ist nicht nachvollziehbar. Esist richtig, dass kaum ein Land die weltweite Finanz-und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 so glimpflichüberstanden hat wie Indien. Dennoch war es aber dochstärker von der Krise betroffen als ursprünglich erwar-tet. Das Wirtschaftswachstum ging auf 6 bis 7 Prozentzurück, aber es brach glücklicherweise nicht ein. Grunddafür waren sicherlich auch die von der Regierung be-schlossenen drei Konjunkturprogramme, die ein Volu-men von 28 Milliarden Euro umfassten. Außerdem ist In-dien noch immer ein Land, das wenige Industriegüterausführt und das deshalb weniger betroffen war. Fürdieses Jahr erwartet Indien bereits wieder einen Anstiegdes Bruttoinlandsproduktes und Prognosen für 2009/2010, die inzwischen auf 7,4 Prozent angehoben wur-den, bestätigen die Rückkehr der Wirtschaftsaktivität.Die Krisenresistenz erklärt sich nicht hauptsächlichaus der vom Staat stärker regulierten Volkswirtschaft In-diens, sondern vielmehr aus Indiens geringer Abhängig-keit vom Außenhandel. Die neue Stärke der indischenWirtschaft wird nicht nur von internationalen Beobach-tern, sondern auch von indischen Wissenschaftlern undwirtschaftlichen und politischen Akteuren sogar geradeder Öffnungspolitik seit 1991 und nicht den noch immersehr bürokratisch in die Wirtschaft eingreifenden staat-lichen Strukturen zugeschrieben. Die Wachstumsdyna-mik speist sich vordergründig aus der Binnennachfrage.In Indien, wo rund 1,1 Milliarden Menschen leben,wächst eine gut ausgebildete Mittelschicht heran, diedie Konsumgüternachfrage positiv anregt. In einer Stu-die zählt die asiatische Entwicklungsbank, ADB,260 Millionen Inder zur Mittelschicht, für die ein Mobil-telefon, ein Fernseher und immer öfter auch ein Auto,denken Sie beispielsweise an das zuerst belächelte bil-lige Auto „Nano“, das jetzt in Serie vom Band rollt unddurch Tata Motors zu einem ernsthaften KonkurrentengteWbtuenIcdduhDanWdAWWsfäSascdatinrzlitedCseL2sdtieDdmgvusdseBgZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6565
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Verwaltung und in dem komplizierten Arbeits- und Steu-errecht. Dies spiegelt sich auch im Doing-Business-In-dex der Weltbank wieder, in dem Indien hinter Tansaniaund Malawi einen schlechten 133. Platz belegt. Wenndie Wirtschaft weiter Stück für Stück liberalisiert wird,dürfte sich dieser Befund aber schnell bessern.Gleichzeitig zeigen alle Gespräch mit indischen Poli-tikern und Wirtschaftsvertretern, dass Indien auch eingroßes Interesse an Energieeffizienz, alternativer Ener-gieerzeugung, Verbesserung der Infrastruktur, am Aus-bau des Bildungswesens und anderer Felder aussichts-reicher Zusammenarbeit hat und sich auch auf diesenFeldern durch das Freihandelsabkommen gegenseitigeVorteile verspricht.Durch eine solide Wirtschaft und einen festen innerenZusammenhalt wird die Fähigkeit der EuropäischenUnion und der Bundesrepublik gestärkt, ihren Einflussin der Welt geltend zu machen. Wir in der Union beken-nen uns dabei zu einem wirksamen Multilateralismus.Geben wir Indien als einem der Hauptakteure in derDoha-Runde die Möglichkeit, sein Blockadeimage, dases in den WTO-Verhandlungen zutage gelegt hat, abzu-schütteln und wenigstens mit einem für beide Seiten aus-gewogenen Freihandelsabkommen zum Deal Makerstatt Deal Breaker zu werden.Jedenfalls hat der Deutsche Bundestag keinen An-lass, sich in diesen Verhandlungen zur Zensurstelle fürindische Interessen aufzuschwingen und diesem großenLand Vorschriften machen zu wollen. Der Antrag derFraktion Die Linke „EU-Freihandelsabkommen mit In-dien stoppen“ ist aus den dargelegten Gründen abzuleh-nen.
Ich denke, die meisten von Ihnen stimmen mit mirdarin überein, dass die Ausweitung eines fairen multila-teralen Freihandels der Europäischen Union mit ver-schiedenen Partnern nicht nur eine Säule der wirtschaft-lichen und gesellschaftlichen Entwicklung in denjeweiligen Ländern ist, sondern gleichzeitig dazu bei-trägt, auch den Wohlstand in Europa und Deutschlandzu wahren und zu mehren. Ergänzend hierzu könnenauch einzelne Freihandelsabkommen eine sinnvolle Er-gänzung sein.Selbstverständlich muss auch aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion in Verhandlungen über Freihandels-abkommen, wie sie derzeit zwischen der EuropäischenUnion und Indien stattfinden, neben ökonomischen auchpolitischen, sozialen und menschenrechtlichen AspektenRechnung getragen werden. Dennoch werden wir demheute zu diskutierenden Antrag der Linksfraktion in dervorliegenden Form aus verschiedenen Gründen nichtzustimmen. Zum einen, weil Sie die wichtige Frage derAusgestaltung eines Freihandelsabkommens dazu nut-zen, wieder einmal grundsätzliche Systemkritik hinsicht-lich der europäischen Marktwirtschaft zu üben. Dochdarüber können wir gern an anderer Stelle diskutieren.Hier und heute geht es konkret darum, wie die Europäi-sche Union den Handel mit Indien intensivieren kann,ohne die im Land vorhandenen ökonomischen und sozia-lehtiLGsbsdfüMmfropdTEdGdtohzhgInhtesKEdanbBAgimmPVDvGsdgSFdtitrwnsdZu Protokoll ge
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6566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Der Abschluss des Freihandelsabkommens EU – In-
dien ist eine gute Nachricht. Die Wirtschaftsbeziehun-
gen der EU zu Indien haben in den letzten Jahren deut-
lich an Dynamik und Intensität gewonnen, zumal sich
Deutschland als Indiens wichtigster Handelspartner in-
nerhalb der EU darstellt. Beide Seiten sind sich einig,
dass ein Handels- und Investitionsabkommen mit einer
breiten Basis im gemeinsamen Interesse liegt. Indien
schickt sich an, eine Führungsrolle an der geopoliti-
schen Schnittstelle zwischen dem „boomenden“ Fernen
Osten und dem an Energiequellen reichen Nahen Osten
und Zentralasien zu übernehmen. Es ist an der Zeit, die
enormen wirtschaftlichen und politischen Potenziale
von Indien für uns zu nutzen. Wir dürfen den Markt nicht
dem schon starken wirtschaftlichen Einfluss Amerikas
oder Chinas überlassen.
Unsere Außenwirtschaftspolitik ist freiheitlich, orien-
tiert an Marktwirtschaft, Freihandel und Hilfe zur
Selbsthilfe. Sie setzt auf Vertrauen, auf Bündnisse und
auf den Multilateralismus – anstelle nationaler Allein-
gänge, wie von den Linken gefordert. Die Liberalisie-
rung der Märkte muss konsequent fortgeführt werden.
Denn durch die weiteren wirtschaftlichen Fortschritte in
Indien, die das Abkommen mit sich bringen wird, wird
auch der politische Prozess der Öffnung des Landes un-
terstützt. Nach außen ist eine Öffnung der Märkte für
eine höhere Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich. Die EU
muss andere Staaten wie Indien von den Vorteilen freier
Märkte überzeugen. Daran kann auch der Appell der
Fraktion Die Linke, Importzölle auf indische Landwirt-
schaftsprodukte zu erheben und weiterhin auf Export-
zölle in anderen Bereichen zu bestehen, nichts ändern.
Die protektionistischen Forderungen nach der Einfüh-
rung von Exportzöllen und Verhinderung von transpa-
renten Strukturen zur Offenlegung im öffentlichen Auf-
tragswesen in Indien zeigt nur die Antiquiertheit der
linken Anschauungen.
Dies zeigt sich auch bei der Forderung nach einem
Verzicht auf einen effektiven Patentschutz nach europäi-
schem Vorbild. Nur ein auch über die europäischen
Grenzen wirksamer Patentschutz garantiert, dass die
mit einem Patent einhergehende Offenlegung der Inno-
vation kein unzumutbares Wagnis ist. Das Ablehnen der
längeren Patentlaufzeiten durch die Fraktion Die Linke
und der Verzicht auf Datenexklusivität würde dies be-
deuten und ist damit unbedingt zurückzuweisen.
Die Koalition setzt sich für eine Fokussierung der
Entwicklungszusammenarbeit auf die schwächsten und
ärmsten Länder ein, während die Zusammenarbeit mit
Schwellenländern auf eine grundsätzlich neue Grundlage
gestellt werden muss. Statt klassischer Entwicklungszu-
sammenarbeit mit den Schwellenländern brauchen wir
eine Partnerschaft in den Bereichen Rechtsstaats- und
Demokratieförderung, Umwelt- und Klimapolitik, Wis-
senschaft und Forschung.
In dem Zeitalter offener Märkte und globaler Vernet-
zung der Handelsbeziehungen sind Forderungen nach
Aufrechterhalten von Exportzöllen lächerlich. Nationale
Alleingänge gegen gemeinsame europäische Interessen
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Zu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6567
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Der öffentliche Beschaffungsmarkt in Indien ist eben-falls noch stark reguliert – bis jetzt noch ein wichtigesentwicklungspolitisches Instrument der öffentlichenHand, zugleich jedoch ein gewaltiger Markt, an dem dieeuropäischen Konzerne interessiert sind. Im Gleich-klang fordern deshalb BDI, EU-Kommission und Wirt-schaftsministerium, genau an diesem Punkt in den Ver-handlungen nicht nachzugeben.Was steht für die Menschen in Indien auf dem Spiel?Kleine und mittlere Unternehmen in Indien, die öffentli-che Aufträge wahrnehmen, müssten sich auf den Ver-drängungswettbewerb europäischer Versorgungskon-zerne gefasst machen. Kleine Kreditnehmer hätten nochweniger Zugang zu Bankdienstleistungen. Für Kranke,nicht nur in Indien, sondern in vielen Ländern des Sü-dens, könnte sich der Zugang zu preiswerten Medika-menten erheblich erschweren, weil die Generikaproduk-tion verteuert und verlangsamt wird, wenn sich diePharmaindustrie mit ihrer Forderung nach Datenexklu-sivität und Patentlaufzeitverlängerung durchsetzt.Kleinbauern fürchten die Konkurrenz des europäischenAgrarbusiness. Unverantwortlich wäre die von der EUgeforderte Öffnung des Marktes für Milchprodukte, andem in Indien 90 Millionen Arbeitsplätze hängen. Allediese Menschen finden in den Verhandlungen kaum Ge-hör. Konzernlobbyisten dagegen sind informiert, neh-men Einfluss auf die Verhandlungsführung der Kommis-sion und die Agenda der Verhandlungen.Übrigens winkt in Indien auch ein riesiger Rüstungs-markt: Als Wirtschaftsminister Brüderle kürzlich mit80 Unternehmern Indien besuchte, war die Rüstungsin-dustrie in der Delegation stark vertreten, wie man lesenkonnte. Indien vergibt riesige Rüstungsaufträge –EADS, ThyssenKrupp und Krauss-Maffei hoffen auf denZuschlag. Ich kann nur hoffen, dass es hier zu keinenGeschäftsabschlüssen kommt. Indien ist umgeben vonKrisenregionen – von Afghanistan über Pakistan bis SriLanka – und hat einen Gewaltkonflikt im eigenen Land,in Kaschmir.Gemeinsam mit vielen sozialen Organisationen inEuropa und Indien und gemeinsam mit indischen Parla-mentarierinnen und Parlamentariern fordert Die Linke,dass die Verhandlungen über das Freihandelsabkommengestoppt werden. Bevor weiter verhandelt werden kann,müssen die Entwürfe und gegenseitigen Forderungen of-fengelegt und die Organisationen der Betroffenen gehörtwerden.Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäi-schen Union und Indien wird in Indien zu mehr Armutführen und die soziale Ungleichheit noch vergrößern,aber auch in Europa soziale Standards in Gefahr brin-gen. Die EU muss von ihrer unverantwortlichen Frei-handelspolitik abrücken. Wir brauchen ein neuesVerhandlungsmandat für die Kommission, in dessenZentrum nicht die Interessen der Konzerne, sondern dieErmöglichung einer sozial und ökologisch nachhaltigenEntwicklung in Indien und Europa steht.
Das geplante EU-Indien-Freihandelsabkommen istdas fragwürdige Resultat der aggressiven Handelspoli-tiE2tiuepdPnidüuszmsemsdbdsuöAninuZuvhletiFggüaräBstesDbzteBmddZu Protokoll ge
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6568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6569
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mission aufgefordert hat, sich dafür einzusetzen, dassdie Regelungen zu geistigen Eigentumsrechten im EU-Indien-Freihandelsabkommen dem Standard von TRIPSentsprechen und Patentlaufzeiten nicht über 20 Jahre hi-naus anzuheben.Ich teile die Ansicht der Linken, bezüglich eines ent-wicklungsförderlichen Verhandlungsmandats das Men-schenrecht auf bestmögliche medizinische Versorgungnicht mit überzogenem Patentschutz zu konterkarieren.Auch teile ich den Wunsch, das Abkommen – so denn essich um ein gemischtes Abkommen handelt – hier imBundestag zur Abstimmung zu bringen. Zunächst gilt esallerdings zu klären, ob es sich tatsächlich um ein ge-mischtes Abkommen handelt und damit nicht in der al-leinigen Kompetenz der EU liegt. Sollte es in der alleini-gen Kompetenz der EU liegen, muss sichergestelltwerden, dass das Abkommen effizient und effektiv dieStärkung der Menschenrechte gewährleistet.Die Bundesregierung ist aufgefordert, die rechtlichbindenden Bestimmungen zu beachten und im Falle ei-nes „Gemischten Abkommens“ das Freihandelsabkom-men dem Bundestag zur Entscheidung vorzulegen. Zukritisieren bleibt, dass die bisher erzielten Vereinbarun-gen nicht rechtzeitig und vollständig den zuständigenAusschüssen vorgelegt wurden. Bis zur Klärung der of-fenen Fragen enthalten wir uns der Zustimmung.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/2420 an die Ausschüsse vorgeschlagen,die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sieeinverstanden. Dann ist das so beschlossen.Tagesordnungspunkt 22:– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Fe-bruar 2010 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Arabischen RepublikSyrien zur Vermeidung der Doppelbesteue-rung und Verhinderung der Steuerverkürzungauf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen– Drucksache 17/2251 –– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Fe-bruar 2010 zwischen der BundesrepublikDeutschland und Malaysia zur Vermeidungder Doppelbesteuerung und zur Verhinderungder Steuerverkürzung auf dem Gebiet derSteuern vom Einkommen– Drucksache 17/2252 –– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zum Abkommen vom 25. Ja-nuar 2010 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Bulgarien zurVermeidung der Doppelbesteuerung und derMDdkmSknG2egbnsg1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab-ommen mit der Arabischen Republik Syrien zur Ver-eidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung derteuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-ommen.Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-er Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2571, denesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/251 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-ntwurf zustimmen wollen, sich gleich zu erheben. – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP und SPD ange-ommen. Dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen ge-timmt. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten.Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-ebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit Ma-Anlage 9
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6570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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laysia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zurVerhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet derSteuern vom Einkommen. Der Finanzausschuss emp-fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 17/2571, den Gesetzentwurf der Bundesre-gierung auf Drucksache 17/2252 anzunehmen. Diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögensich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Auch dieser Gesetzentwurf ist angenommen mit demgleichen Stimmenverhältnis wie der vorherige.Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-gebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit derRepublik Bulgarien zur Vermeidung der Doppelbesteue-rung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung aufdem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Ver-mögen. Der Finanzausschuss empfiehlt unterBuchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/2571, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 17/2253 anzunehmen. Wer zustimmenwill, möge sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustim-mung durch CDU/CSU, FDP und SPD. Niemand hat da-gegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen und die Linkehaben sich enthalten.Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-gebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit demVereinigten Königreich Großbritannien und Nordirlandzur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin-derung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steu-ern vom Einkommen und vom Vermögen. Der Finanz-ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 17/2571, auchdiesen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-che 17/2254 anzunehmen. Wer möchte zustimmen und er-hebt sich deswegen? – Wer möchte dagegen stimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen beiZustimmung durch CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/DieGrünen und SPD. Dagegen hat niemand gestimmt. DieFraktion Die Linke hat sich enthalten.Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-gebrachten Gesetzentwurf zum Änderungsprotokoll zumAbkommen mit dem Königreich Belgien zur Vermei-dung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschie-dener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vomEinkommen und vom Vermögen einschließlich der Ge-werbesteuer und der Grundsteuern sowie des dazuge-hörigen Schlussprotokolls in der Fassung des Zusatz-abkommens. Der Finanzausschuss empfiehlt unterBuchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/2571, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 17/2255 anzunehmen. Ich bitte diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zuerheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist angenommen bei Zustimmung durch dieFraktionen CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/DieGrünen. Dagegen hat niemand gestimmt. Die FraktionDie Linke hat sich enthalten.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 bauf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten NicoleMaisch, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weitererDDKlabKrwrstobuEbWdbmdFtecVsgDretid
Lay, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEUnlautere Telefonwerbung effektiv verhindern– Drucksache 17/3041 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesFederführung strittigWir haben zu Protokoll genommen die Reden vonr. Patrick Sensburg, Peter Bleser, Marianne Schieder,r. Erik Schweickert, Caren Lay und Nicole Maisch.
Am 4. August 2009 ist das von der damaligen Großenoalition verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung uner-ubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Ver-raucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen inraft getreten. Nötig geworden war diese Gesetzesände-ung, weil ein hoher Anstieg an unerwünschter Telefon-erbung, insbesondere im Bereich der Wett- und Lotte-iedienstleistungen, bei Zeitungen und Zeitschriftenowie bei Dienstleistungen im Telekommunikationssek-r zu verzeichnen war. Die Verbraucherinnen und Ver-raucher sahen sich immer stärker durch Werbeanrufenseriöser Anbieter belästigt. Dies hat zu einem hoheningang an telefonischen und schriftlichen Beschwerdenei den Verbraucherzentralen geführt. Telefonanrufe zuerbezwecken, die ohne vorhergehende Einwilligunger Verbraucherinnen und Verbraucher erfolgten, sindereits seit 2004 gesetzlich verboten. In der Praxisusste man jedoch feststellen, dass die Durchsetzunges bereits geltenden Rechts nicht in der gewünschtenorm zu gewährleisten war. Das Ziel unseriöser Anbie-r ist es ja grade, die Verbraucherinnen und Verbrau-her mit ihren Anrufen zu überrumpeln und ihnen einenertrag aufzuschwatzen. Oft wird sogar ein Vertragsab-chluss vorgetäuscht, in dem eine „Auftragsbestäti-ung“ nach dem Telefonat per Post zugesendet wird.em Verbraucher wird hier ein oft teures Geschäft regel-cht „untergeschoben“. Die unlauteren Geschäftsprak-ken der unseriösen Anbieter waren also bekannt.Angesichts der geschilderten Problematik sah sichie damalige Regierungskoalition daher veranlasst, eine
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gesetzliche Regelung zu treffen, die einen hohen Schutzder Verbraucherinnen und Verbraucher vor Abzocke amTelefon durch windige Anbieter gewährleistet. DiesesZiel wurde durch entsprechende Änderungen im Bürger-lichen Gesetzbuch, BGB, im Gesetz gegen den unlaute-ren Wettbewerb, UWG, sowie durch Änderungen imTelekommunikationsgesetz, TKG, und der BGB-Informa-tionspflichten-Verordnung, BGB-InfoV, weitestgehenderreicht. Die Verbraucherinnen und Verbraucher habenseit Inkrafttreten des Gesetzes im August 2009 die Mög-lichkeit, von jedem per Telefon oder im Internet in denaufgeführten Bereichen abgeschlossenen Vertrag inner-halb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zurückzu-treten. Darüber hinaus können die Verbraucherinnenund Verbraucher noch bis zur vollständigen Vertragser-füllung durch beide Vertragsparteien vom abgeschlosse-nen Vertrag zurücktreten, wenn sie vorher nicht ord-nungsgemäß über ihr Widerrufsrecht aufgeklärt wordensind. Diese Regelung wurde extra für Fernabsatzver-träge eingeführt und gilt nicht für Dienstleistungen, dieauf Wunsch oder ausdrückliche Zustimmung der Ver-braucherin oder des Verbrauchers vorzeitig geleistetwerden. Folge aus dieser Regelung ist, dass Unterneh-men auf eigene Rechnung leisten, solange der Vertragnoch nicht von beiden Seiten vollständig erfüllt ist. Un-ternehmen, die den Verbraucherinnen und VerbrauchernGeschäftsabschlüsse „unterschieben“, müssen also da-mit rechnen, dass sie auf den Kosten für bereits er-brachte Leistungen sitzenbleiben. Diese Lösung wurdevon der damaligen Regierung als ausreichende Sanktionfür Unternehmen gesehen, die sich unlauterer Ge-schäftsmethoden bedienen.Bis zur Gesetzesänderung 2009 war es auch nochmöglich, ein bestehendes Dauerschuldverhältnis durchEingehen eines ersetzenden Dauerschuldverhältnisseszu kündigen. Es konnte also passieren, dass man als Ver-braucher oder Verbraucherin einen neuen Telefonver-trag unbewusst abschließt, der den bestehenden Vertragauflöst und dann am Ende auch noch teurer wird. Diesist nicht mehr möglich. Ein Vertragsabschluss, der einDauerschuldverhältnis ersetzt, muss seit August 2009 inSchriftform bestätigt werden. Auch hier wurde also einegroße Verbesserung des Verbraucherschutzes erzielt.Wir haben also schon viel erreicht, und ich würde mirwünschen, dass die Opposition dies einmal anerkennt.Seit August 2009 ist zudem das Durchführen uner-laubter Telefonwerbung ein Bußgeldtatbestand, der mitbis zu 50 000 Euro geahndet werden kann. Gleichzeitigwurde das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
konkreter gefasst, in dem explizit gefordert wird,
dass der Verbraucher oder die Verbraucherin vorher inden Werbeanruf einwilligen muss und eine Einwilligungnicht mehr aus dem Verhalten des Angerufenen gefolgertwerden kann. Ein Bußgeld von bis zu 10 000 Euro kannfällig werden, wenn die Unternehmen ihre Rufnummerbei Werbeanrufen unterdrücken und somit für den Ver-braucher nicht erkenntlich ist, wer ihn oder sie anruft.Auch hier wurde also eine deutliche Verbesserung derStellung der Verbraucherinnen und Verbraucher erzielt,und gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Missbrauch mitschmerzhaften Bußgeldern zu bestrafen.CEZ2trktr2sdczGwdmNcocbAreBbtrrodVepluG–ksTBBwAIhZndMeluegdzdErJsZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6571
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Verbraucherzentrale weisen ja schon jetzt darauf hin,dass aller Voraussicht nach weiterer Handlungsbedarfbesteht. Warum arbeiten Sie nicht mit uns zusammen,sondern versteifen sich auf Stimmungsmache? Anhandder gewonnen Erkenntnisse werden wir dann eine ange-messene Überarbeitung des Gesetzes zur Bekämpfungunerlaubter Telefonwerbung erarbeiten und dem Parla-ment vorlegen. Sollte das Ergebnis der Evaluation ähn-lich ausfallen wie die Studie der Verbraucherzentrale,werden wir natürlich auch die Bestätigungslösung inBetracht ziehen. Nur wenn wir wie beschrieben vorge-hen und die Evaluation des BMJ abwarten, ist gewähr-leistet, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher zu-verlässig und nachhaltig vor Telefonabzocke und vorBelästigung durch automatische Anwählcomputer ge-schützt werden. Eine vorschnelle Reform wäre purer Ak-tionismus und nicht zielführend. Der Antrag von Bünd-nis 90/Die Grünen und den Linken ist daher abzulehnen.Auf Grundlage der Zahlen, die wir demnächst erwarten,werden wir so schnell wie möglich seriös entscheiden.
Dreist, nervig und teuer – mit diesen Worten lässt sichdas Verbreiten von Telefon-Spam umschreiben. Jederkennt das Phänomen, und fast jeder ist genervt davon:Anrufe beim Mittagessen oder am Abend von einem Call-centermitarbeiter, der besonders vorteilhafte Telefonta-rife, gewinnträchtige Lotterielose oder günstige Abonne-ments anzubieten hat, sind allzu oft Alltag in deutschenHaushalten. Auch teure Mehrwertdienste-Rufnummern,automatische Anwählcomputer oder dubiose Premium-SMS auf dem Handy häufen sich.Die Abzockmethoden auf dem Telekommunikations-markt machen deutlich: Die Rechte des Verbrauchers imBereich Telekommunikation sind immer noch nicht aus-reichend geschützt. Allzu oft tummeln sich hier eineMenge von Trickbetrügern und Kriminellen. Die Tele-fonrechnung wird immer häufiger zum Inkassoinstru-ment für Anbieter von Mehrwertdiensten. Das werdenwir stoppen! Für die Unions-Verbraucherpolitiker stehtfest: Wir brauchen ein sauberes Telefon.Trotz einiger Erfolge in der vergangenen Legislatur-periode: Die bestehenden Gesetze reichen nicht aus, umVerbraucher auf Augenhöhe mit Unternehmen und An-bietern zu bringen. Mit der Verschärfung des Gesetzeszur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung haben wirzwar Ende der vergangenen Legislaturperiode erste Er-leichterungen für die Verbraucher erreicht: Durch eindeutlich höheres Bußgeld, dem Verbot der Rufnummern-unterdrückung und der Erweiterung des Widerrufsrechtsauf Lotterie-, Abo- und Gewinnspiele werden unlautereAnrufe seitdem strenger geahndet. Auch ein Anbieter-wechsel oder eine Änderung eines Vertrages ist nur nochmit einer schriftlichen Bestätigung bzw. einer Widerrufs-möglichkeit des Kunden erlaubt. Dennoch ist die Plageimmer noch Realität: Die Versuche von dubiosen Unter-nehmen, Verbrauchern Verträge unterzuschieben, oft-mals ältere Menschen mit Inkassodrohungen einzu-schüchtern oder mit angeblichen Gewinnversprechen zulocken, sind nicht schönzureden.hbwFdEvcsstegGgdlevdsdsJg6edvdD2RteisnSEscdOVsShSLsuDgnegTZu Protokoll ge
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6572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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mehr Rechte im ganzen Telekommunikationsbereich ein-räumen. Der Referentenentwurf zum Telekommunika-tionsgesetz liegt nun vor und enthält eine Fülle vonRegelungen im Sinne des Verbrauchers. Nur einige Bei-spiele:Kosten für Warteschleifen von Servicehotlines wer-den bald der Vergangenheit angehören. Der Kunde wirdkünftig erst von dem Moment zahlen, in dem er tatsäch-lich eine Gegenleistung erhält.Preisansagepflichten werden für alle Servicenum-mern gelten, nicht nur für 0900er-Nummern oder anderebestimmte Gassen.Der Wechsel des Telefon- oder Internetanbieters musskünftig innerhalb von 24 Stunden vollzogen werden.Mobilfunkkunden werden ihre Rufnummer unabhän-gig von der konkreten Vertragslaufzeit zu einem neuenAnbieter mitnehmen können.Die bestehenden Widerrufsrechte für das Festnetzwerden auf den Mobilfunkbereich ausgeweitet. Damiterhalten Kunden bei der Nutzung per Handy eine Wider-spruchsmöglichkeit gegen einzelne Rechnungsposten.Telefon- und Internetfirmen müssen künftig ein Ver-tragsmodell mit einer Höchstlaufzeit von unter einemJahr anbieten.Kurzum: Die Union hält, was sie verspricht: MehrRechte, mehr Kompetenzen und mehr Schutz im Tele-kommunikationsdschungel – ein Punktsieg für den Ver-braucher. Der Weg hin zu einem „sauberen“ Telefon istdamit frei.Eines muss uns aber auch bewusst sein: Solange derVerbraucher nicht juristisch alle Möglichkeiten erhält,sich gegen Übervorteilung zu wehren, werden wir immerweiter mit Abzocke und Telefon-Spam zu kämpfen ha-ben. Wirkliche Hilfe erreichen wir nur durch die Beweis-lastumkehr zugunsten des Kunden. Wer eine Leistung er-bringt, muss auch belegen, dass diese erfüllt wurde.Damit fällt der wirtschaftliche Anreiz für dubiose Unter-nehmen weg. Nur so können wir sicherstellen, dass derVerbraucher auch bei kleineren Beträgen, wo sich derRechtsschutz schon aus Gründen der Verhältnismäßig-keit für den einzelnen Verbraucher nicht realisierenlässt, wieder auf Augenhöhe mit den Anbietern amMarkt gebracht wird. Deshalb plädiere ich dafür, Rech-nungsposten von Drittanbietern in der Rechnung geson-dert auszuweisen und die Beweislast für die tatsächlicherbrachte Leistung bei dem Drittanbieter einzufordern.Die Beweislastumkehr ist und bleibt das schärfsteSchwert, um im Telekommunikationssektor die Abzock-methoden einzudämmen.Das sind viele Ziele, die wir in den kommenden Mo-naten Schritt für Schritt gemeinsam mit unserem Koali-tionspartner beraten und umsetzen werden.
Im letzten Jahr, am 26. März 2009, hat der DeutscheBundestag nach langen und intensiven Diskussionen dasGesetz zur Bekämpfung unerlaubter TelefonwerbungusdFKcüuwBgddtrdVbvehdteuA–dktrzbgbbdkdGvkPbarwRVdVwzZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010 6573
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lungsaufforderungen und Mahnschreiben einschüchternlassen, mit denen dann die schnelle schriftliche Einwilli-gung erzwungen werden soll, unabhängig davon, obüberhaupt eine Vertragserklärung abgegeben wurdeoder ob diese mangels nachträglicher Bestätigung inTextform unwirksam ist.Auch ich kann mir hier gut vorstellen, dass sich die-selben Jugendlichen und Senioren, denen ein Vertragper Telefon untergeschoben wurde, durch weitere Anrufemit dem Ziel der schriftlichen Bestätigung des Vertrags,dem sie dann aber nicht mehr entkommen können, genö-tigt fühlen oder durch zahlreiche Mahnschreiben verun-sichert werden.In diesem Zusammenhang halte ich es ebenso wie dieBayerische Staatsregierung für überlegenswert, nachWegen zu suchen, wie Inkassounternehmen und mit In-kassotätigkeiten beauftragte Rechtsanwälte stärker zurPrüfung der bei ihnen geltend gemachten Forderungenverpflichtet werden können.Zusätzlich könnte das Gesetz besser umgesetzt wer-den, wenn in den Ländern Schwerpunktstaatsanwalt-schaften zur Verfügung stünden, damit wesentlich mehrFälle zur Anklage gebracht, sich der Abschreckungsef-fekt erhöhen und das mögliche Bußgeld auch verhängtwürden. Somit könnte eine effizientere Strafverfolgunggewährleistet werden. Darum appelliere ich an die Län-der, es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen zu belas-sen, sondern solche Schwerpunktstaatsanwaltschaftenzu bilden.Ganz bewusst wurde auf Drängen der SPD im Ge-setzgebungsverfahren dessen Evaluierung verlangt, umdie Wirksamkeit genau zu untersuchen und eventuelleSchwächen aufzudecken.Der Zeitraum dafür wurde auf bis zu drei Jahre fest-gelegt, wovon erst eines vergangen ist.Auch wenn eine erste Zwischenbilanz der Verbrau-cherzentralen auf ein weiterhin hohes Niveau an Be-schwerden hinweist, rate ich dennoch einen kühlen Kopfzu bewahren und die Evaluierung durch die Bundesre-gierung abzuwarten.Erfreulicherweise wird diese vorgezogen und bereitsdurch das Justizministerium vorbereitet. Dadurch wer-den wir hoffentlich bis Ende des Jahres genauere Er-kenntnisse erlangen, in welchen Bereichen nachgebes-sert werden muss.Nicht umsonst haben die Ausschüsse des Bundesratesdas ganze Thema vorerst vertagt, bis die Ergebnisse derEvaluierung vorliegen.In diesem Sinne kann ich mich nur der Protokoller-klärung Bayerns und Schleswig-Holsteins zum Be-schluss der Verbraucherministerkonferenz anschließen:Die Bestätigungslösung ist eine denkbare Lösung zurBekämpfung der unlauteren Telefonwerbung. Dies lässtsich jedoch erst nach Vorliegen der Evaluationsergeb-nisse abschließend beurteilen.Wir werden die Anträge eingehend in den Ausschüs-sen beraten. Gleichwohl möchte ich schon jetzt einenPucvehgtesn0laWbfonsfocNgdHnwKwglasbVfoecdnKnhnadkVfehdliTtedsZu Protokoll ge
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6574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. September 2010
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Nach der erfolgten Evaluierung werden wir alschristlich-liberale Koalition auf Basis der dann vorlie-genden Ergebnisse handeln und der Abzocke einen wirk-samen Riegel vorschieben. Denn unsere Klientel istnicht die Werbewirtschaft, sondern sind die Verbrau-cher. Sollte die vorgezogene Evaluierung durch das Bun-desministerium der Justiz die von der Verbraucherzen-trale und der Bundesnetzagentur aufgezeigte Faktenlagebestätigen, wollen wir das Gesetz anpassen und eineschriftliche Bestätigung durch Unterschrift des Kundeneinfordern für solche telefonischen Vertragsschlüsse, beidenen der Verbraucher angerufen worden ist. Dannkann der Verbraucher die Details eines Vertrags erstnoch einmal in Ruhe durchlesen und läuft weniger Ge-fahr, ungewollt einen Vertrag abzuschließen oder durchfehlende Informationen oder falsche Versprechen am Te-lefon einen ungewollten Vertrag abzuschließen. Erst mitder Unterschrift des Verbrauchers wird dann ein am Te-lefon geschlossener Vertrag auch rechtsverbindlich. Da-mit wird der Verbraucher effizienter geschützt.Wir wollen aber nicht bei jedem Vertragsabschlussam Telefon eine schriftliche Bestätigung des Vertrags-schlusses vorschreiben. Dies wäre für den Verbraucherwenig effizient. Wenn ein Verbraucher selbst bei einemVertragspartner anruft und einen Vertrag abschließt,soll weiterhin der alleinige Vertragsschluss ohne nach-trägliche schriftliche Bestätigung am Telefon erfolgenkönnen. Alles andere würde nur unnötige Bürokratieschaffen und schnelle, auch für den Verbraucher häufigeinfache und gewünschte Vertragsschlüsse unterbinden.Der Bestellung des Handys für die Ehefrau kurz vorWeihnachten bleibt also weiterhin möglich, wie auch dieanderen Abschlüsse per Telefon, die man bei seinenlangjährigen Lieferanten- bzw. Vertragspartnern tätigt.Wir schwingen aber nicht nur die Gesetzeskeule, son-dern setzen zudem auf eine wirksamere Strafverfolgungund mehr Transparenz bei den allgemeinen Geschäftsbe-dingungen. Die Bundesnetzagentur unternimmt bereitsheute viel, um dem Problem der unerlaubten Telefonwer-bung habhaft zu werden. Betrügerisch eingesetzte Ruf-nummern werden schnell abgeschaltet, sodass die Abzo-cker nicht weiter ihr Unwesen treiben können. Auchwerden in solchen Fällen Rechnungslegungs- und Inkas-soverbote verhängt, sodass betrogene Verbraucher vorfinanziellem Schaden bewahrt werden. Zudem kann dieBundesnetzagentur einen Antrag auf Zuteilung einerRufnummer ablehnen, wenn der Antragsteller in der Ver-gangenheit bereits wegen Verstößen gegen das Telekom-munikationsgesetz aufgefallen ist.Nur reichen diese Möglichkeiten bislang nicht aus. Inmeinem Gespräch mit dem Präsidenten der Bundesnetz-agentur wurde deutlich, dass die Handlungsmöglichkei-ten der Bundesnetzagentur durch die Grenzen ihrerZuständigkeit eingeschränkt sind. Da die Bundesnetz-agentur eine missbräuchliche Nutzung von Rufnummernnicht bereits im Vorfeld erahnen kann, kommt der Straf-verfolgung eine wichtige Bedeutung bei der Eindäm-mung der unerlaubten Telefonwerbung zu. Hier mangeltes aber oft an der ausreichenden Problemwahrnehmungdurch die Ermittlungsbehörden. Bislang arbeiten dieStrafverfolgungsbehörden weitgehend unkoordiniertuwoNddninngmEvimnddSneblesnnddvnnuewrVdnVhcgcs„isKbcInsdaVsZu Protokoll ge
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Daher hat die Linke einen eigenen Antrag mit Lösungs-vorschlägen eingebracht.Darin fordern wir unter anderem, dass telefonischvereinbarte Verträge erst durch die schriftliche Bestäti-gung des Kunden wirksam werden. Eine solche Bestäti-gungslösung ist ein zentraler Baustein, um unerlaubteTelefonwerbung einzudämmen. Deshalb hat die Linkebereits bei der Verabschiedung des bisherigen Gesetzesim März 2009 einen entsprechenden Änderungsantragvorgelegt, Bundestagsdrucksache 16/12426. Leider hat-ten die Koalition aus CDU/CSU und SPD sowie dieFDP den Antrag abgelehnt.Außerdem ist gesetzlich klarzustellen, dass Verbrau-cherinnen und Verbraucher nicht blindlings über die all-gemeinen Geschäftsbedingungen in Telefonwerbungeinwilligen. Viele Firmen behaupten mit Verweis aufihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass eine Ein-verständniserklärung zu Werbeanrufen vorläge. DieLinke fordert stattdessen, ein Opt-in-Verfahren einzufüh-ren: Dabei müssen Verbraucherinnen und Verbraucheraktiv in die Nutzung ihrer Daten für Werbezwecke ein-willigen oder eben nicht.Weiter setzt die Linke sich für präventive Maßnahmenein. Bisher reagiert die Bundesnetzagentur als zustän-dige Regulierungsbehörde zumeist erst, wenn Menschenschon geschädigt wurden. Das bestätigt auch die Ant-wort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke,Bundestagsdrucksache 17/2694. Deshalb fordert dieLinke, dass die Bundesnetzagentur vor der Vergabe vonRufnummern die Geschäftsmodelle der Unternehmenprüft.Schließlich müssen Geldbußen gegen Gesetzesver-stöße hoch genug sein, um Wirkung zu sein. Denn ange-sichts hoher Gewinnmöglichkeiten für die Unternehmenverpuffen vergleichsweise geringe Bußgelder. Die Linkefordert eine Erhöhung auf 250 000 Euro. Verbotene Te-lefonwerbung darf sich nicht länger lohnen. Die Bußgel-der und unlauteren Gewinne müssen nach dem Verursa-cherprinzip den Verbraucherverbänden zufließen.Insbesondere ist zu gewährleisten, dass Arbeitsagen-turen und Grundsicherungsträger Erwerbslose nicht inunseriöse Callcenter vermitteln, die illegale Telefonwer-bung betreiben. Hierzu müsste die Bundesagentur fürArbeit vor Einstellen eines Stellenangebotes über dieBundesnetzagentur prüfen, ob die Firma negativ be-kannt ist. Das ist ohne nennenswerten Aufwand möglich.Skandalös ist hingegen, Menschen zur Aufnahme illega-ler Tätigkeiten zu zwingen. Ebenfalls unzumutbar ist,den Nachweis der Illegalität eines Unternehmens auf dieErwerbslosen abzuwälzen.Die Linke begrüßt ausdrücklich die Entscheidung derVerbraucherschutzministerkonferenz vom 15./16. Sep-tember 2010. Die Forderungen der Verbraucherschutz-ministerkonferenz decken sich im Wesentlichen mit unse-ren. Die Bundesregierung muss endlich aktiv werden!
Gegen das Verbot von Telefonwerbung wird nach wievor massenhaft verstoßen, trotz Ihres Gesetzes aus demJusdinsendwsuedsre2TKnnAbddrcadSfuVleggvbShGsuwstefowcRcbbgsTZu Protokoll ge
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mit Know-how und Koordinierung zur Seite steht. DieVerbraucherminister der Länder haben Ihnen bei derletzten Verbraucherministerkonferenz am 17. Septemberebenfalls diesen Handlungsauftrag erteilt. Auch sie for-dern die Einführung der schriftlichen Bestätigung sowieschärfere Sanktionen gegen Verstöße und die Erleichte-rung des Widerrufs.Ich bin der Meinung, wir dürfen es den Verbrauche-rinnen und Verbrauchern nicht länger zumuten, dass sieweiterhin massenhaft durch unerlaubte Telefonanrufebelästigt und abgezockt werden. Deshalb fordere ich Sieauf, sofort zu handeln und das Gesetz entsprechend un-serer Forderungen zu verschärfen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3060
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Fe-
derführung beim Rechtsausschuss, Bündnis 90/Die Grü-
nen beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz.
Zunächst lasse ich über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung
beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz, abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Vorschlag abgelehnt. Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Die übri-
gen Fraktionen haben dagegengestimmt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Federführung
beim Rechtsausschuss, abstimmen. Wer ist dafür? – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvor-
schlag ist damit angenommen. CDU/CSU, FDP und
SPD haben dafür gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke dagegen.
Tagesordnungspunkt 23 b. Der Antrag der Fraktion
Die Linke zu unlauterer Telefonwerbung auf Drucksache
17/3041 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überwiesen werden. Auch hier ist die Feder-
führung strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen wiederum Federführung beim Rechts-
ausschuss, die Fraktion Die Linke beim Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst über den Antrag der Fraktion Die
Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvor-
schlag ist abgelehnt gegen die Stimmen der Linken und
von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der restli-
chen Fraktionen.
Wir kommen zum Überweisungsvorschlag der Frak-
tionen CDU/CSU und der FDP, also Federführung beim
Rechtsausschuss. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? –
Damit ist der Überweisungsvorschlag angenommen.
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neu fällig wird und die Verjährungsfrist erneut anläuft.
Zudem sind wir der Auffassung, dass unabhängig davon,
ob Betroffene ihre Ansprüche gegenüber den Arbeitge-
bern geltend machen oder nicht, die Sozialversiche-
rungsbeiträge abzuführen sind.
Ich möchte in der Diskussion aber noch ein paar
Worte zur Zeitarbeit selbst sagen, die im Antrag der Lin-
ken klar zu kurz kommen.
Das Instrument der Zeitarbeit sollte den Unterneh-
men Möglichkeiten zur flexiblen personellen Ausgestal-
tung ihrer Produktionsspitzen geben. Das ist die Grund-
idee der Arbeitnehmerüberlassung, die uns im globalen
Wettbewerb Vorteile verschafft, da Betriebe so kurzfris-
tig ihre erhöhte Arbeitskräftenachfrage befrieden kön-
nen.
Allerdings darf Leiharbeit nicht missbraucht werden,
um Tarifverträge zu unterlaufen oder sich wirtschaftli-
che Vorteile aufgrund menschlicher Notlagen zu ver-
schaffen. Die Erfahrungen, die ich in Gesprächen mit
Betriebsräten und Mitarbeitern in Unternehmen sam-
meln konnte, bestätigen, dass Abweichungen von der
Entlohnung zur Stammbelegschaft in der Praxis nicht
unbedingt die Ausnahme darstellen. Das Problem sind
aber dabei oftmals nicht die entleihenden Betriebe. Sie
haben in der Regel ein Interesse daran, auch den Zeitar-
beitnehmern einen fairen Lohn zu zahlen. Problematisch
sind die Zeitarbeitsunternehmen, die ihren Angestellten
nur einen Bruchteil des Lohnes weitergeben, den der
entleihende Betrieb gezahlt hat.
Menschen müssen aber für ihre Arbeit fair entlohnt
werden. Der Mensch darf auf dem Arbeitsmarkt nicht
schutzlos dem Spiel von Angebot und Nachfrage ausge-
setzt werden, denn er ist wichtiger als der Markt.
Schließlich dient ein anständiger Lohn der Motivation
und Anerkennung der menschlichen Arbeitskraft. Einem
Wettbewerb um die billigsten Arbeitskräfte und Miss-
brauchstendenzen in der Zeitarbeit müssen wir deshalb
entschieden entgegentreten.
Die christlich-liberale Koalition wird daher – vor al-
lem im Zuge der weiteren Ausdehnung der Arbeitneh-
merfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 – alles daran setzen,
dem missbräuchlichen Einsatz von Leiharbeit entgegen-
zutreten. Hierfür werden wir noch in den nächsten Wo-
chen einen Gesetzentwurf zur Verhinderung von Miss-
brauch der Arbeitnehmerüberlassung vorlegen. Mit
diesem werden wir unter anderem sicherstellen, dass
auch zuvor arbeitslose Leiharbeiter vom Grundsatz der
Gleichstellung beim Nettoarbeitsentgelt nicht länger
ausgenommen werden dürfen.
Mit ihrem Antrag zur infrage stehenden Tariffähigkeitder Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaftensprechen die Kollegen von den Linken einen diffizilenSachverhalt an. Entscheidet das Bundesarbeitsgerichtim Dezember gegen die Christlichen Gewerkschaften,wären unter Umständen hohe Nachzahlungen an die So-zialkassen fällig. Auch meine Fraktion sieht die Proble-matik, die sich aus diesem möglichen Ausgang ergibt.EfüvKsnferUzeSzvmgczdZtrrdveaGasejakläwscTluliCdVzgBsgsszLfuksgcZu Protokoll ge
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könnten. Wie schon gesagt und wie auch von der Bun-desregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der Lin-ken ausgeführt, dürfen die Prüfdienste der Rentenversi-cherungsträger keine Beitragsbescheide erlassen, bevordas BAG zur Frage der Tariffähigkeit der ChristlichenGewerkschaften abschließend entschieden hat.Die Rentenversicherungsträger handeln deshalbrechtmäßig, wenn sie derzeit keine die Verjährung hem-menden Beitragsforderungen erheben und zunächst dieEntscheidung des Bundesarbeitsgerichts abwarten. Einauf den Eintritt der Verjährung gestützter Schadener-satzanspruch der übrigen Zweige der Sozialversiche-rung gegen die Rentenversicherungsträger scheidet des-wegen mangels pflichtwidrigen Verhaltens vonvornherein aus.Sie sehen: Es ist in dieser heiklen Problematik unbe-dingt notwendig, die Entscheidung des zuständigen Ge-richts abzuwarten und erst dann zu handeln.
Unsere soziale Marktwirtschaft braucht gute Löhneund faire Arbeitsbedingungen. Denn soziale Sicherheit– also Sicherheit vor Arbeitslosigkeit, vor Altersarmut,vor Erwerbsunfähigkeit, vor Berufsunfällen und vielemmehr – hängt davon ab, wie viele Beiträge jeder von unsin die Sozialkassen einzahlen kann. Damit erwirbt jeder,zumindest in der Renten- und Arbeitslosenversicherung,individuelle Ansprüche unterschiedlicher Höhe. Gleich-zeitig ist es so, dass gerade in der Kranken- und Pflege-versicherung über die Höhe der Sozialabgaben Solidari-tät in unsere Gesellschaft organisiert wird. Wer alsoniedrige Löhne in Deutschland duldet, legt die Axt anunseren Sozialstaat an. Deshalb ist für mich klar – undübrigens auch für die gesamte SPD-Bundestagsfraktion:Wir brauchen eine Politik, die existenzsichernde Löhnegarantiert. Das Instrument hierfür ist der flächende-ckende gesetzliche Mindestlohn. Doch Sie, Frau von derLeyen, sind mit Ihrer christlich-liberalen Koalition nichtbereit, für die kleinen Leute Politik zu machen. Sie ver-weigern sich einer echten Lohnuntergrenze und akzep-tieren damit, dass Menschen trotz Arbeit arm sind.Das wurde gerade diese Woche noch einmal deutlich,wo Sie bei jedem Interview zum Thema Regelsätze fürArbeitslosengeld-II-Empfänger die kleinen Leute gegen-einander ausgespielt haben. Sie argumentieren nämlichso, dass Sie sagen: Ich kann das Arbeitslosengeld II nurum 5 Euro erhöhen, weil sonst der Lohnabstand zumVerkäufer und der Friseurin nicht mehr stimmt. Das istdoch paradox. Als Arbeits- und Sozialministerin könnenSie auch dem Verkäufer und der Friseurin helfen. Stop-pen Sie die Lohnspirale nach unten und sorgen Sie füreinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. IhrePolitik des Spaltens der kleinen Leute, also das Gegen-einanderausspielen von Geringverdienern und Arbeits-losen, ist einer Sozialministerin nicht würdig. Sie habendie Instrumente in der Hand, beiden zu helfen. So vielzum Allgemeinen.Doch hier geht es jetzt um einen konkreten Antragzum Thema „Beitragssicherheit in den Sozialkassen“,weil zum Ende des Jahres sonst eine Verjährung fürRsuSgevnfüdmuindCBkrhvdmzsdAdPgwkzMsüLLwzhsMzEw„istrnzKkdMkcZu Protokoll ge
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Das gilt heute in der Debatte, und das gilt auch Freitagin der Debatte. Deutschland ist in ganz Europa Schluss-licht in Sachen Mindestlohn. Einzig Zypern und Deutsch-land haben keine Lohnuntergrenze in der EuropäischenUnion. Auch hier könnten wir von Großbritannien,Frankreich, Schweden und all den anderen Ländern inEuropa lernen.Frau von der Leyen, Sie können handeln. Sie könnenSolidarität organisieren. Sie können den Menschenmehr netto vom Brutto geben, indem Sie dafür sorgen,dass sie genug verdienen. Hören Sie auf, rhetorisch diekleinen Leute gegeneinander auszuspielen. Fangen Sieendlich an, Sozialministerin zu werden. Führen Sie eineLohnuntergrenze ein – am besten einen flächendecken-den Mindestlohn. Dann müssten wir uns nicht mehr überTarifverträge mit Löhnen unter 5 Euro streiten. Sie ha-ben die Instrumente in der Hand. Und vergessen Sienicht – gleiches Geld für gleiche Arbeit.
Zuallererst möchte ich feststellen, dass es keineswegs
verwundert, dass die Deutsche Rentenversicherung
Bund abwartet, bis der Rechtsweg vollends ausge-
schöpft ist; so verhält es sich nun einmal in einem
Rechtsstaat.
Sie fordern in Ihrem Antrag, Beitragsforderungen aus
Entgelten, die auf den Tarifverträgen der Christlichen
Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-
agenturen, also der CGZP, beruhen, in ihrer Höhe kon-
kret festsetzen zu lassen und so möglicherweise rückwir-
kend fällig werdende Beitragseinnahmen vor der
gesetzlichen Verjährung zu schützen. Schwerlich werden
wir uns hier ohne jede weitere Begründung Spekulatio-
nen hingeben können.
In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass es erhebliche
Zweifel an der Tariffähigkeit der CGZP gebe. Dies ist in-
sofern richtig, als dass die Verträge nach einer Klage
von Verdi in zwei Gerichtsinstanzen für ungültig erklärt
wurden. Die CGZP selbst wurde hier für tarifunfähig er-
klärt. Es ist ja richtig: Zuerst hat das Arbeitsgericht Ber-
lin die Tariffähigkeit der CGZP bestritten, dann hat das
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg diese Ent-
scheidung bestätigt. Aber noch einmal: Solange der
Rechtsweg nicht ausgeschöpft, ist die Frage nach der
Tariffähigkeit nicht abschließend beantwortet und so
lange ist die CGZP auch noch als tariffähig anzusehen.
So sieht es offenbar die Deutsche Rentenversicherung,
und so sehe ich das auch. Warten wir also auf die end-
gültige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die ja
voraussichtlich im Dezember 2010 fallen wird, und dann
sehen wir weiter.
Ich möchte es hier ganz deutlich sagen: Sozialkassen
bewahrt man nicht durch Ihre Rezepte vor Beitragsver-
lusten, sondern indem man wirksam die Arbeitslosigkeit
bekämpft und unsere Sozialversicherungssysteme zu-
kunftssicher macht. Die christlich-liberale Koalition hat
in dieser Hinsicht schon viel bewegt, und die Arbeitslo-
senzahlen vom heutigen Donnerstag bestärken uns in
unserem Tun. Auf ihrer monatlichen Pressekonferenz hat
die Bundesagentur für Arbeit heute die Zahlen für den
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christlichen Löhnen nur noch die Hoffnung auf ein bes-seres Leben nach dem Tod.Ich möchte daran erinnern, dass es das Land Berlinzusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdiwar, die gegen die CGZP gerichtlich vorgegangen sind.Am 7. Dezember letzten Jahres hat das Landesarbeitsge-richt Berlin entschieden, dass die CGZP als Dachver-band weiterhin nicht tariffähig ist. Damit wurde festge-stellt, dass die CGZP keine Zeitarbeitstarifverträgeabschließen darf und bereits abgeschlossene Tarifver-träge unwirksam sind. Inhaltlich begründet wird dieEntscheidung damit, dass es an der Tarifzuständigkeitzum Abschluss dieser Vereinbarungen fehle. Damit be-stätigte das Landesarbeitsgericht die gleichlautendeEntscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. April2009. Weil das LAG Rechtsbeschwerde zugelassen hat,ist mit einem endgültigen Urteil des Bundesarbeitsge-richts erst am 14. Dezember zu rechnen.Egal wie der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht aus-geht, er hätte weitreichende Folgen: Gewinnt die CGZP,erhält eine systematische Praxis des Lohndumpings grü-nes Licht. Verliert die CGZP, sind ihre Tarifverträgerückwirkend unwirksam, und es greift der Equal-Pay-Grundsatz. Somit können alle Leiharbeitnehmer, die un-ter CGZP-Verträgen gearbeitet haben, die Differenz derLohnsummen gegenüber den Stammbelegschaften nach-fordern. Gleichzeitig müssten die Entleihbetriebe dieentsprechenden Sozialversicherungsbeiträge abführen.Die Beitragsnachforderungen aus den Jahren 2004und 2005 sind bereits unwiederbringlich verloren, weildiese einer vierjährigen Verjährungsfrist unterliegen.Bisher sehen sich aber weder die Sozialversicherungs-träger noch die Bundesregierung in der Lage, wenigstendie Sozialversicherungsbeiträge vor Gericht feststellenzu lassen. Damit verzichtet allein die Rentenversiche-rung auf die größte Beitragseinnahme seit Jahren. Argu-mentiert wird, dass sich die Sozialversicherungsträgersolange bis das letztinstanzliche Urteil vorliegt, neutralzu verhalten hätten. In das gleiche Horn stößt die Bun-desregierung. Tatsächlich könnte die Deutsche Renten-versicherung Bund als zuständige Institution schon jetztÄnderungsbescheide erlassen. Eine kleine Anfrage un-serer Fraktion „Konsequenzen aus einer vorläufigen Ta-rifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft der ChristlichenGewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagentu-ren“, Bundestagsdrucksache 17/1121, hat zudem erge-ben, dass mindestens 122 Firmen und Verbänden, dienamentlich bekannt sind, Tarifverträge mit der umstrit-tenen CGZP abgeschlossen haben. Die könnten sich diePrüfer der Rentenversicherung ganz unkompliziert zu-erst vornehmen.Angesichts des schmalen Zeitkorridors muss die Ren-tenversicherung jetzt handeln, wenn sie weitere Verlusteaufgrund der Verjährungsregelung vermeiden will. Aberdas glatte Gegenteil ist der Fall: Da werden Hundert-tausende von Beschäftigten in der Leiharbeit aufgrundvon Gefälligkeitstarifverträgen mit pseudochristlichenGewerkschaften um ihre Ansprüche gebracht und dieBundesregierung sowie die Sozialversicherungsträgerhaben nichts anders zu tun, als die Hände in die Hosen-taSsBLteJeojetrliwvamtiKle„strfekMaNfübbLeCwrdCmdkawadliacBRtrrtitrZu Protokoll ge
Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaftenr Zeitarbeit und Personalserviceagenturen istekannt dafür, Gefälligkeitstarifverträge mit Arbeitge-ern abzuschließen, durch die Beschäftigte niedrigeöhne hinnehmen müssen. Das ist uns schon seit langemin Dorn im Auge. Deswegen begrüße ich auch, dass derGZP in zwei Instanzen die Tariffähigkeit aberkannturde. Im Dezember wird das Bundesarbeitsgericht vo-aussichtlich endgültig darüber urteilen. Ich hoffe, dassie Urteile der Vorinstanzen bestätigt werden und derGZP endgültig die Tariffähigkeit aberkannt wird. Da-it wäre endlich Schluss mit Billigtarifverträgen, unterenen die Beschäftigten zu leiden haben.Jetzt stellt sich die Frage, welche Folgen eine Aber-ennung der Tariffähigkeit der CGZP durch das Bundes-rbeitsgericht hat. Einerseits könnten diese Pseudoge-erkschaften in Zukunft keine Tarifverträge mehrbschließen. Andererseits erhielten die Beschäftigten,ie bisher die Leidtragenden dieser Tarife waren, erheb-che Rückzahlungen, sofern sie gerichtlich ihre Löhnenfechten. Sie hätten aber auch erhebliche Sozialversi-herungsansprüche. Letztere müssten aber nicht von deneschäftigten selbst eingeklagt werden. Die Deutscheentenversicherung könnte selbst tätig werden und Bei-äge nacherheben, ohne dass die Beschäftigten vor Ge-icht gehen müssen.Entscheidend ist dabei insbesondere für die Beschäf-gten, für wie viele Jahre die Sozialversicherungsbei-äge nachträglich erhoben werden können und ebenso,
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Klaus Ernstgebene Reden
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Beate Müller-Gemmeke
(C)
(B)
ob die Deutsche Rentenversicherung in der Lage ist, eineVerjährung der Ansprüche aufzuhalten. Ich bin – wie dieFraktion Die Linke – der Auffassung, dass die DeutscheRentenversicherung diese Verjährung stoppen kann.Deswegen begrüße und unterstütze ich den Antragder Fraktion Die Linke. Die Deutsche Rentenversiche-rung Bund muss schnellstmöglich handeln und vorsorg-lich Beitragsforderungen aus Entgelten basierend aufTarifverträgen mit der CGZP durch Betriebsprüfungenfeststellen, um rückwirkend fällige Beitragseinnahmenvor der Verjährung zu schützen. Die Bundesregierungmuss endlich tätig werden und die Deutsche Rentenver-sicherung Bund zum Handeln auffordern.Meines Erachtens hat die Deutsche Rentenversiche-rung Bund die Pflicht, tätig zu werden und die Versicher-tengemeinschaft vor Beitragseinbußen zu schützen.Auch die circa 200 000 betroffenen Leiharbeitnehmerin-nen und Leiharbeitnehmer könnten so vor erheblichenNachteilen geschützt werden. Bleibt die Deutsche Ren-tenversicherung Bund weiter untätig, müssten sie Einbu-ßen bei ihren Rentenversicherungsansprüchen hinneh-men. Und das wäre ein Skandal.Wir können es nicht akzeptieren, dass sich die Bun-desregierung hinter den Gerichten versteckt und abwar-tet, bis das Bundesarbeitsgericht den CGZP die Tarif-fähigkeit aberkennt – zumal zwei Instanzen schoneindeutige Urteile gesprochen haben. Bundesministerinvon der Leyen muss endlich dafür sorgen, dass die Deut-sche Rentenversicherung Bund ihrer Pflicht gerechtwird. Sie hat die Rechtsaufsicht über die Deutsche Ren-tenversicherung und kann handeln, sofern der politischeWille vorhanden ist.Die Ministerin muss im Sinne der Beitragszahlendenhandeln, und ebenso haben die Beschäftigten das Recht,von der Bunderegierung vor der Verjährung ihrerschwer verdienten Sozialversicherungsansprüche ge-schützt zu werden.
Die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/3042
an den Ausschuss für Arbeit und Soziales wird vorge-
schlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das
so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung, was sehr schade ist.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 1. Oktober 2010,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonne-
nen Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.