Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Das Leben geht weiter, auch wenn gelegentlich dieHoffnungen größer sind als die Möglichkeiten. Aberdass nicht immer alles so gelingt, wie man sich das vor-genommen hat, wissen wir aus eigenen Erfahrungen.Trotz des Ergebnisses des gestrigen Abends habenwir allen Anlass, der deutschen Mannschaft für ein fa-moses Turnier zu danken. Im Übrigen können wir unsein bisschen darüber freuen, dass der Weltmeistertitelwieder mal in Europa bleibt.
Es gibt im Übrigen eine Reihe weiterer freudiger Er-eignisse. Der Kollege Dr. Peter Danckert feiert heuteseinen 70. Geburtstag.
Ich gratuliere ihm herzlich im Namen des ganzen Hau-ses. Ebenso herzlich gratuliere ich der Kollegin BeatrixPhilipp zu ihrem gestrigen 65. Geburtstag und der Kol-legin Gerda Hasselfeldt zu ihrem 60. Geburtstag. DieKollegin Petra Crone feierte diesen runden Geburtstagbereits am vergangenen Samstag.ZZRedet
Ihnen allen unsere geballten guten Wünsche für dienächsten Jahre und Jahrzehnte.Auf Vorschlag der FDP-Fraktion soll der KollegeJimmy Schulz anstelle des ausgeschiedenen KollegenHellmut Königshaus neues stellvertretendes Mitglied imKuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verantwor-tung und Zukunft“ werden. Eine Aussprache ist dazunicht vorgesehen. Sind Sie auch ohne Aussprache damiteinverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann istder Kollege Schulz gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, didene Tagesordnung um die in der Zusatzpungeführten Punkte zu erweitern:
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,Marieluise Beck , weiteren Abge-ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zu dem EFSF-Rahmenvertrag vom7. Juni 2010– Drucksache 17/2412 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionextb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenErnst-Reinhard Beck , PeterAltmaier, Michael Brand, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU sowieder Abgeordneten Elke Hoff, Rainer Erdel,Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDPVerbesserung der Regelungen zur Einsatz-versorgung– Drucksache 17/2433 –Überweisungsvorschlag:digungsausschuss
usschusshuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendaltsausschusse verbun-ktliste auf-VerteiInnenaAusscHaush
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-spracheErgänzung zu TOP 39a) Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-schusses nach Art. 77 des Grundgesetzes
zu dem … Gesetz
zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950,17/2402 –Berichterstattung:Abgeordneter Jörg van Essenb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenSylvia Kotting-Uhl, Priska Hinz ,Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEU-Forschungsetat auf Innovation undNachhaltigkeit für 2020 fokussieren – Rats-entscheidung ITER-Projekt nicht zustim-men– Drucksache 17/2440 –c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 117 zu Petitionen– Drucksache 17/2442 –d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 118 zu Petitionen– Drucksache 17/2443 –e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 119 zu Petitionen– Drucksache 17/2444 –f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 120 zu Petitionen– Drucksache 17/2445 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 121 zu Petitionen– Drucksache 17/2446 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 122 zu Petitionen– Drucksache 17/2447 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 123 zu Petitionen– Drucksache 17/2448 –ZZZZ
tionsausschusses
Sammelübersicht 124 zu Petitionen– Drucksache 17/2449 –k) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 125 zu Petitionen– Drucksache 17/2450 –l) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 126 zu Petitionen– Drucksache 17/2451 –m) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 127 zu Petitionen– Drucksache 17/2452 –n) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 128 zu Petitionen– Drucksache 17/2453 –P 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:Gesundheitspolitik ohne PerspektiveP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten OliverKrischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEU-Fördermittel aus dem Emissionshandelfür erneuerbare Energien und zur Verringe-rung prozessbedingter Emissionen– Drucksache 17/2430 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionP 6 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, ReinhardGrindel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUsowie der Abgeordneten Gisela Piltz, ManuelHöferlin, Dr. Stefan Ruppert, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDPDatenschutz bei der transatlantischen Zusam-menarbeit zur Bekämpfung des internationa-len Terrorismus– Drucksache 17/2431 –P 7 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Konstantin von Notz, Volker Beck ,Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENzu einem Vorschlag für einen Beschluss desRates über den Abschluss des Abkommens
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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zwischen der Europäischen Union und denVereinigten Staaten von Amerika über dieVerarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten undderen Übermittlung aus der EuropäischenUnion an die Vereinigten Staaten für die Zwe-cke des Programms zum Aufspüren der
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3des Grundgesetzes in Verbindung mit§ 9 EUZBBGFinanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Eu-ropas schützen – SWIFT ablehnen– Drucksache 17/2429 –Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Der Tagesordnungspunkt 10 wird abgesetzt. Dienachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitions-fraktionen rücken jeweils einen Platz vor.Schließlich sollen der Tagesordnungspunkt 11 a abge-setzt und der Tagesordnungspunkt 11 b ohne Debatteüberwiesen werden. Hierdurch rücken dann die nachfol-genden Tagesordnungspunkte der SPD-Fraktion entspre-chend vor. – Auch hierzu kann ich eine größere Unruhenicht erkennen, sodass ich davon ausgehe, dass wir daseinvernehmlich so vereinbaren können.Ich muss Sie darauf hinweisen, dass wir heute Mor-gen einen partiellen Stromausfall hatten.
– Mir wäre die umgekehrte Reihenfolge lieber gewesen,also dass die Uhren funktionieren würden und Sie füreine Weile nicht telefonieren könnten. Jetzt scheint eseher umgekehrt zu sein.Jetzt sehe ich, dass es anscheinend eine positiveRückkopplung zwischen den Telefonapparaten und denUhren gibt, was der Bundestagsverwaltung bis heuteMorgen nicht bewusst war. Wenn es nicht so funktio-niert, wie wir uns das vorstellen, stellen wir ein ambu-lantes Gerät zur Verfügung.
An den vereinbarten Redezeiten ändert sich dadurch je-denfalls nichts.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten VolkerKauder, Ute Granold, Erika Steinbach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Marina Schuster, PascalKober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDPReligionsfreiheit weltweit schützen– Drucksache 17/2334 –dszCHImldvsCruwSSbaDHLn
Beck , Tom Koenigs, Josef Philip Winkler,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENDas Menschenrecht auf Religions- und Glau-bensfreiheit stärken– Drucksache 17/2424 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Das ist offen-ichtlich einvernehmlich.Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortunächst dem Kollegen Volker Kauder für die CDU/SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren!Schutzlos ausgeliefert – Im ostindischen Bundes-staat Orissa werden Christen verfolgt und getötet.Die Täter sind Hindus. Und die Behörden schauenzu.n einem ganzseitigen Beitrag hat die Frankfurter Allge-eine Sonntagszeitung am letzten Wochenende ausführ-ich über das Thema berichtet, das heute Gegenstandieser Debatte ist und das uns in der Bundestagsfraktionon CDU/CSU und auch in der FDP immer wieder be-chäftigt: Verfolgung von Christen, Bedrängung vonhristen, Missachtung eines der zentralen Menschen-echte, nämlich das Recht, seinen Glauben frei zu lebennd ausüben zu können.
Orissa ist nur ein aktuelles Beispiel für das, was welt-eit geschieht. Deshalb haben wir heute Morgenchwester Justine Senapati und Vater Dr. Augustineingh aus Orissa eingeladen. Sie sitzen auf der Tribüne,
egleitet von den Vertretern der christlichen Kirchen hierm Sitz von Bundestag und Bundesregierung in Berlin.ie beiden waren beim Menschenrechtsrat in Genf.eute sind sie in Deutschland und werben dafür, dasos, das Schicksal bedrängter und verfolgter Christenicht zu vergessen.
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Volker Kauder
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Am Beispiel Orissa können wir sehen, wo die Pro-bleme liegen. Indien ist der Verfassung nach eine mo-derne Demokratie. Die Bundesregierung Indiens schütztdie Religionsausübung und die Religionsfreiheit und be-kennt sich immer wieder dazu, dass alle Menschen – inIndien geht es vor allem um Christen, Hindus und Mus-lime – ihre Religion frei ausüben können. Aber in deneinzelnen Bundesstaaten kann die Zentralregierung vie-les von dem nicht umsetzen. So kommt es zu brutalenÜbergriffen. Christen werden verfolgt, bedrängt und ver-trieben. Allein in der Region Orissa wurden in der letz-ten Zeit 60, 70 Kirchen und 4 000 Häuser angezündet.Es werden Christen getötet, vergewaltigt, und noch im-mer sind Zehntausende in Flüchtlingslagern unterge-bracht. Das ist keine Christenverfolgung durch denStaat. Aber wir erwarten schon, dass nicht das eintritt,was die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ge-schrieben hat, nämlich dass die Behörden zuschauen.Wir erwarten, dass die Behörden die Christen schützenund alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt.
Christen werden weltweit verfolgt. In über 60 Staatengibt es Verfolgung oder Bedrängung. Zwei Drittel derverfolgten Christen leben in diesen 60 Staaten. 200 Mil-lionen Christen sind von Bedrängung und Verfolgungbetroffen.Ich will kurz einige Beispiele ansprechen. Wir habenvor wenigen Wochen einen Besuch in die Türkei unter-nommen, um dort vor allem das bedrängte Kloster MorGabriel zu besuchen. Um es klar zu sagen: Es gibt in derTürkei keine Christenverfolgung durch den Staat. Aberes gibt Bedrängungen, die dazu führen, dass Christen ih-ren Glauben nicht leben können. Wir haben in der letztenLegislaturperiode hier im Deutschen Bundestag in einemAntrag die türkische Regierung aufgefordert, die Re-pressalien, das Drucksystem gegen das Kloster MorGabriel aufzuheben. Bis zum heutigen Tag ist nichts ge-schehen, und dies ist nicht hinzunehmen.
Wir eröffnen in den Beitrittsverhandlungen mit der Tür-kei Kapitel um Kapitel. Aber ein Land, das näher zu Eu-ropa will, muss den elementaren Menschenrechtsgrund-satz, dass Religionsfreiheit gelebt werden kann, erfüllen.Da gibt es kein Wenn und kein Aber.
Wir bzw. die Väter und Mütter unseres Grundgesetzeshaben im Grundgesetz die Konsequenzen aus unsererdramatischen jüngeren Geschichte gezogen. Christenwurden auch in unserem Land während der Terrorherr-schaft des Nationalsozialismus verfolgt. Deshalb ist dieReligionsfreiheit in unserem Grundgesetz ein zentralerArtikel. Er ist unmittelbar verbunden mit dem Kernsatz,der die Menschenrechte betrifft: „Die Würde des Men-sgulKfddALdlBdÜwfWLfAivgzsfedCilTidnagdRTsKeu
ber ich erwarte genau das Gleiche von allen anderenändern in der Welt. Ich erwarte, dass die Christen iner Türkei ihre Kirchen so bauen können wie die Mus-ime in Deutschland ihre Moscheen.
In vielen Ländern dieser Welt erleben wir eine subtileedrängung von Christen. Die Christen sind im Übrigenie am meisten verfolgte Gruppe in der ganzen Welt.bertritte von einer anderen Religion zum Christentumerden unter Strafe gestellt. Christen wird es untersagt,ür ihre Religion einzutreten, weil dies als unerlaubteerbung gilt. Es wird verboten, dass Christen in diesenändern die Ausbildung ihrer Pfarrer und Priester durch-ühren, und Christen wird ein besonderer Stempel in denusweis gedrückt, damit sie möglichst viele Problemem täglichen Leben haben. Ich weiß, dass die Verfolgungon Christen viele Ursachen hat. Auf der einen Seiteeht es darum, die eigene Religionsmehrheit zu schüt-en. Auf der anderen Seite sind nationale Themen ur-ächlich. In einigen Fällen sind die Radikalität der Ver-olgung und die emotionale Auseinandersetzung auchin Ergebnis der wirtschaftlichen Situation, der Armut iniesen Ländern.Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung das Themahristenverfolgung/Christenbedrängung in den Kataloghrer Arbeit aufgenommen hat. Wir fordern, dass die Re-igionsfreiheit im Bereich der Entwicklungshilfe alseil der Menschenrechtsdiskussion ein zentrales Themast. Ich bin Bundesaußenminister Guido Westerwelleankbar, dass er das Thema Christenverfolgung nichtur in seinen Katalog einer wertegeleiteten Außenpolitikufgenommen hat, sondern das Thema auch in Genf an-esprochen hat und dies heute vor dem Deutschen Bun-estag erläutern will.
Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin auf ihren vieleneisen nach China und in andere Länder der Welt dieseshema ebenfalls angesprochen hat. Ich finde, wir müs-en dieses wichtige Menschenrechtsthema mit allerraft ansprechen und dürfen nicht zurückweichen, wenns heißt: Wenn ihr dieses Thema ansprecht, könnte esnangenehme Konsequenzen haben. – Meine Erfahrung
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Volker Kauder
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ist: Wenn wir darauf hinweisen, in welchen Ländern Be-drängungen und Verfolgungen von Christen stattfinden,dann hat dies auch Wirkung. Denn dauerhaft will keinesdieser Länder am Pranger der Öffentlichkeit stehen. Siewollen nicht, dass man erkennt, wie man mit Menschenumgeht, die anderen Glaubens als die Mehrheit in dementsprechenden Land sind.
Deswegen macht es Sinn, dies anzusprechen.Wir verstehen diese Debatte nicht als eine Anklage,sondern als Aufforderung, dieses elementare Menschen-recht auch umzusetzen. Wir wollen, dass am BeispielEuropa auch andere Länder erkennen können, welchebeglückende Erfahrung im Zusammenleben der Men-schen es ist, wenn jeder seine Religion friedlich lebenund nach ihr friedlich sein Leben ausrichten kann. Reli-gion, der Glaube an etwas nach diesem Leben, die Über-zeugung, dass es da etwas anderes gibt, dass es etwasTranszendentales, dass es Gott gibt, diese glückliche Er-fahrung muss jeder in der Welt machen können. Solangedies nicht erreicht ist, werden wir nicht lockerlassen unddies regelmäßig zum Thema unserer politischen Diskus-sion hier in Deutschland und in der ganzen Welt machen.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberKollege Kauder, vieles von dem, was Sie gesagt haben,unterstreiche ich eins zu eins. Es ist nicht ganz dasThema, über das wir uns streiten sollten. Denn in derÜberschrift Ihres Antrags geht es nicht um Christenver-folgung, sondern um Religionsfreiheit weltweit. Das istein weiter gefasstes Thema als das, was Sie angespro-chen haben. Gleichwohl ist es wichtig.Zu einer Stelle – die mich ein klein wenig betroffengemacht hat – möchte ich eine Bemerkung machen. Siehaben hier vorgetragen, dass sich die CDU/CSU und dieFDP in diesem Hause für Religionsfreiheit und gegenChristenverfolgung aussprechen. Ich bitte Sie ganzernsthaft, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich nicht nurdie Fraktionen auf der rechten Seite des Hauses dafüraussprechen, sondern dass sich der gesamte DeutscheBundestag – auch SPD, Grüne und die Linkspartei – da-für einsetzt. Das ist völlig klar.
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Ich darf darauf hinweisen, dass wir im Deutschenundestag am 24. Mai 2007 gemeinsam – SPD undDU/CSU – mit großer Mehrheit einen Antrag mit derberschrift „Solidarität mit verfolgten Christen und ande-en verfolgten religiösen Minderheiten“ beschlossen ha-en. Wir haben noch vor wenigen Wochen in diesem Hausber Anträge, die dieses Thema betreffen, diskutiert. Da-über bin ich sehr froh. Ich teile nicht die Meinung desollegen Heinrich, der, als wir über Oppositionsanträgeum Thema „Folter und Todesstrafe“ nicht zum ersten,ondern zum zweiten und dritten Mal diskutierten, ge-agt hat, dass dies eine Art von Polemik sei und die Ar-eit behindere. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist derall. Gerade die Beispiele, die Sie, Herr Kauder, genanntaben, zeigen, dass es wichtig ist, sich immer und immerieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen, solanges in der Welt zu Verfolgungen aufgrund der religiö-en Zugehörigkeit kommt. Ich glaube, das sind einichtiger Beitrag und ein wichtiges Signal für die De-atte, die wir hier heute beginnen.
Ich möchte einige Punkte ansprechen, über die wir,ie ich glaube, dringend diskutieren müssen. Der An-rag, den Sie gestellt haben, enthält viele Punkte, die einsu eins dem entsprechen, was wir in der Großen Koali-ion beschlossen haben, und die in der Gesellschaft kon-ensfähig sind. Aber unter bestimmten Voraussetzungenpringt dieser Antrag an einigen Stellen zu kurz. Deshalböchte ich zwei Probleme ansprechen, die mir ganzichtig sind; diese haben nichts mit einer Relativierungon Christenverfolgung zu tun. Wir haben mit großerufmerksamkeit die Berichte von Frau Granold underrn Kober über ihre Reise nach Orissa verfolgt. Es istedrückend und beschämend, dass es nicht gelingt, dieenschen dort zu schützen.Wenn wir über Menschenrechtsverletzungen im Zu-ammenhang mit Religionsfreiheit reden – das sage ichit aller Klarheit –, dann darf und kann das jedoch nichtnter dem Aspekt der Quantität geschehen. Ja, es ist so:ie Christen sind in diesen Gesellschaften, um die eseht, wahrscheinlich die religiöse Minderheit, die ameisten verfolgt wird. Aber – darauf möchte ich ganzassiv hinweisen – wenn wir uns in unserer Politik aufiese Gruppe konzentrieren und andere am Rande las-en, sie allenfalls marginal erwähnen, dann ist das keineitrag zur Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechts-olitik.Sie haben zwei andere betroffene Gruppen am Randengesprochen: die Bahai und verfolgte Muslime in be-timmten Regionen dieser Welt. Da würde ich mir ein
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Christoph Strässer
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bisschen mehr Deutlichkeit wünschen. Wenn wir wis-sen, dass in diesen Zeiten fünf Führer der Bahai-Reli-gion – sie hat nicht viele Anhänger und gehört zu den ammeisten gefährdeten Religionen der Welt – aufgrund ih-rer Religionszugehörigkeit im Iran von der Todesstrafebedroht sind, dass es dort Verfahren gibt, dass aber indiesen Anträgen dazu nichts steht, dann können wir die-sen nicht zustimmen; denn das gehört in das Zentrumunserer Auseinandersetzung. Darüber müssen wir beidiesem Thema reden.
Es geht nicht darum, einen Katalog von Qualitätenund Quantitäten von verfolgten Minderheiten in der Weltaufzustellen.Wir haben in den letzten Jahren immer wieder einThema angesprochen. Es gibt eine große verfolgte Min-derheit in China: die Buddhisten in Tibet. Sie sind stän-dig in der Gefahr, von diesem Regime verfolgt zu wer-den, nicht nur aufgrund der Diskussionen über dieEigenständigkeit Tibets, sondern auch aufgrund ihrerkulturellen und religiösen Zugehörigkeit. Auch diesesThema gehört in die Anträge. Darüber müssen wir reden.Wenn wir das nicht tun, dann ist dieser Antrag an dieserStelle unvollständig. Wir können ihm in dieser Formnicht zustimmen.
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist der welt-weite Schutz der Religionsfreiheit. „Weltweit“ umfasst– das findet man leider nicht in Ihrem Antrag – natürlichauch unseren eigenen Kontinent. An der einen oder an-deren Stelle muss man darüber nachdenken, wie der Zu-stand der Religionsfreiheit in Europa ist. Dies mussman unter einem anderen Aspekt sehen; ich will das garnicht gleichstellen. In Europa gibt es in der Auseinander-setzung um Religionsfreiheit keine Verfolgung und Ge-fahr für Leib und Leben mehr. Aber wir haben natürlichauch Diskussionen, und die Religionsfreiheit ist vielfäl-tig. Ich wünsche mir, dass wir über Fragen wie die desBaus von Minaretten ganz offene Diskussionen führen.Dies betrifft auch die Frage: Wie ist es eigentlich um dieReligionsfreiheit bestellt, wenn wir – zu Recht – die Isla-mische Charta und die Beschlüsse des Menschenrechts-rates in Genf zur Islamophobie kritisieren und es inDeutschland noch immer einen § 166 des Strafgesetzbu-ches gibt?
Das sind Punkte, die wir nicht ignorieren dürfen. Wirmüssen über diese Themen reden. Ich denke, es wird unsin diesem Hohen Hause guttun, da ein Stück Selbstkritikzu üben.
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Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Herrundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-ärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Kolleginnen und Kollegen! Eine aktive Menschen-echtspolitik ist Markenzeichen deutscher Außenpolitik.er Einsatz für Religionsfreiheit ist Teil unserer aktivenenschenrechtspolitik. Ich habe um das Wort gebeten,eil ich nachdrücklich unterstreichen möchte, dass dasngagement der Antragsteller und, wie ich denke, desesamten Hohen Hauses für Religionsfreiheit, für Plura-ität und gegen Verfolgung und Unterdrückung aus reli-iösen Gründen nicht nur das Anliegen des Parlamentesst, sondern ausdrücklich auch ein zentrales Anliegen derundesregierung.
Wenn Millionen Christen in der Welt ihren Glaubenicht frei leben können, dann wollen wir nicht schwei-en. Es ist richtig, dass dies ein Anliegen ist, das unsber die Parteigrenzen hinweg verbindet. In vielen Län-ern darf die Bibel weder gekauft noch gelesen werden;ottesdienste werden behindert; Christen werden insefängnis geworfen oder kommen ins Arbeitslager.uch vor Angriffen auf Leib und Leben sind sie nichtefeit. Viele Staaten unterdrücken die freie Religions-usübung mit Verboten, Polizei und Strafen. Anderer-eits lassen sie ihre Bürger oft genug frei gewähren,enn sie Jagd auf Andersgläubige machen. Beides sindormen der Unterdrückung von Religionsausübung:ie staatliche Pression und Verfolgung, aber auch dasulassen von Verfolgung durch Mob und durch Kräfte,ie die Toleranz nicht akzeptieren wollen.
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Wir müssen zur Kenntnis nehmen – hier müssen wiruns auf Schätzungen verlassen –, dass Nichtregierungs-organisationen weltweit von mindestens 100 Millionenverfolgten Christen ausgehen. Uns geht es aber nicht nurum ein Engagement für den christlichen Glauben, diechristlichen Religionen. Vielmehr geht es hier um einegrundsätzliche Frage. Wir sind der Überzeugung: JederMensch muss den Glauben leben dürfen, den er für sichals wahr erkannt hat. Religionsfreiheit ist immer auchdie Freiheit, seine Religion ungehindert auszuüben oderzu wechseln. Auch gar keiner Religion anzugehören, istein Ausdruck von Religionsfreiheit. Das ist das pluraleVerständnis von Religionsfreiheit, das uns nicht nurüber das Grundgesetz, sondern auch in unserer täglichenPolitik hier verbindet.
Religionsfreiheit muss also für Angehörige christli-cher Minderheiten wie für Anhänger anderer Religionengelten. Wenn wir die Freiheit für Christen auf der ganzenWelt glaubhaft einfordern, dann heißt das natürlich auch,dass der Staat in Deutschland zuerst die Freiheit allerreligiösen Bekenntnisse bei uns zu Hause schützt. Ichunterstreiche nachdrücklich, was der Fraktionsvorsit-zende der CDU/CSU, Volker Kauder, hier dazu gesagthat: Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit – nichtnur weil wir von Verfassungs wegen dazu verpflichtetsind, sondern weil wir es in uns selbst fühlen und es an-streben –, dass wir, so wie wir in anderen Ländern aufReligionsfreiheit setzen, immer und immer wieder allesdafür tun werden – mit der gesamten staatlichen Gewaltund dem gesamten zivilen Engagement, das es bei unsgibt –, dass auch bei uns in vollem Umfang Religions-freiheit gewährt wird. Das ist mehr als nur eine Fragevon Gebäuden. In Wahrheit ist es auch eine Frage desgesellschaftlichen Klimas. Auch darum wollen wir unsgemeinsam bemühen.
Wenn sich Christen nur um die Freiheit von Christenkümmern, Hindus nur um die Freiheit von Hindus, Mus-lime nur um die Freiheit von Muslimen, dann ist dasnicht das Miteinander von Religionen, das wir meinen.Das Zusammenleben unterschiedlicher Religionengelingt nur mit Respekt und Dialog. Wir wollen uns da-bei nicht selber etwas vormachen. Es hat auch bei unsJahrhunderte gedauert – ich rede nicht vom Mittelalter –,bis sich in Europa ein Wertekanon entwickelt hat, indessen Mittelpunkt der Mensch steht, einschließlich derfreien Ausübung der Religion.Wir sollten uns als Deutsche auch daran erinnern,dass Religionsausübung in Deutschland noch im letztenJahrhundert alles andere als selbstverständlich war. Mil-lionenfacher Mord, auch auf religiöser Zugehörigkeitbegründet, hat auf deutschem Boden stattgefunden. Des-wegen ist es nicht belehrend, gegenüber anderen Län-dLrDwfssAtomEtdvDgfgssnDdenkzkPBngssgzrINdCBgl
ie Würde des Menschen, die Freiheit, die Eigenverant-ortung, das ist unser Fundament; das ist auch ein Er-olg der europäischen Aufklärung. Für dieses Staatsver-tändnis stehen wir, und für dieses Staatsverständnisetzen wir uns weltweit ein.Wir müssen aber allen Versuchen entgegentreten, diechtung der Menschenrechte unter den Vorbehalt kul-ureller Eigenheiten zu stellen. Sehr oft hört man: Diesesder jenes müsse man verstehen; denn es sei gewisser-aßen das Ergebnis kultureller Herkunft und kulturellerigenheit. Das ist eine Form der Relativierung von Wer-en, die wir nicht akzeptieren können. Religionsunter-rückung ist nicht Ausdruck von Kultur, es ist Ausdruckon Unkultur.
as vertreten wir auch in unserer Politik, und dafür en-agieren wir uns auch gemeinsam.Oft genug wird aus Religionsfreiheit und Meinungs-reiheit ein Gegensatz konstruiert. Es ist uns ein wichti-es Anliegen, immer und immer wieder darauf aufmerk-am zu machen: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheitind gewissermaßen zwei Früchte vom selben Baum,ämlich vom großen, wunderschönen Baum der Freiheit.arum geht es. Auch wenn man als jemand, der religiösenkt, lebt, erzogen worden ist, das Gefühl hat, dass derigene Glaube, vielleicht durch Karikaturen oder Mei-ungsäußerungen, beeinträchtigt wird, gibt es dennocheine Rechtfertigung, gegen irgendjemanden gewalttätigu werden. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit sindeine Gegensätze. Sie sind in Wahrheit ein wunderbaresaar, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich möchte für die Bundesregierung mit einem klarenekenntnis schließen. Wer Hass zwischen den Religio-en schürt, verfolgt vor allem politische Ziele, keine reli-iösen. Religion darf nie Vorwand für Hass, nie Ent-chuldigung für Gewalt und Krieg sein. Deswegen wirdich die Bundesregierung im, wie ich denke, Namen desanzen Hohen Hauses auch international dafür einset-en, indem ein Kernbestandteil unserer Menschen-echtspolitik das Bekenntnis zur Religionsfreiheit ist.ch selbst habe beim Menschenrechtsrat der Vereintenationen in Genf ziemlich am Anfang meiner Amtszeitie Religionsfreiheit, ausdrücklich auch die Freiheit derhristen im Hinblick auf ihre Religion und ihr religiösesekenntnis, in den Mittelpunkt meiner Ausführungenestellt, weil ich den Eindruck habe, dass wir nicht zu-assen dürfen, dass dies ignoriert wird.
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Mit Professor Bielefeldt ist vor wenigen Wochenein Deutscher zum UNO-Sonderberichterstatter für Re-ligions- und Glaubensfreiheit ernannt worden. Wirwünschen ihm für seine Arbeit eine glückliche Hand undviel Erfolg. Sein Anliegen ist das Anliegen der Bundes-regierung, und ich bin sicher, es ist das Anliegen desganzen Hohen Hauses.Wenn die Öffentlichkeit sieht, dass wir bei diesen fun-damentalen Wertefragen übereinstimmen, dann, so denkeich, ist das ein gutes Zeichen. Man kann das – wenn Siemir erlauben, dies als Abgeordneter am Schluss meinerRede zu sagen – auch durch gemeinsame Beschlussfas-sungen dokumentieren.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Raju Sharma für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihremAntrag fordern die Koalitionsfraktionen, Religionsfrei-heit weltweit zu schützen. Wir als Linke können das nurunterstützen. Denn natürlich schätzen und achten wir dieFreiheit jedes Menschen, seinen Glauben frei von Unter-drückung und Verfolgung zu leben,
genauso wie wir die Freiheit grundsätzlich achten; denntatsächlich ist die Linke die Partei der Freiheit.
Hören Sie ruhig zu! Das mag einige von Ihnen überra-schen,
weil wir die Rechtsnachfolgerin der SED sind, die be-kanntermaßen die Freiheit nicht geschätzt und geachtethat, anders als wir Linke heute. Wir stehen zu dieser Ver-gangenheit, wir stellen uns ihr, und wir haben aus ihr ge-lernt.
Heute ist die Linke diejenige unter allen demokratischenParteien, die im innerparteilichen Diskurs die Meinungs-vielfalt nicht nur toleriert, sondern als Reichtum begreiftund deshalb unterstützt und fördert.
Warten Sie es ab, Herr Kauder. – Auch in unserer Pro-rammdebatte wird der Begriff der Freiheit einen wichti-en Platz einnehmen; denn anders als die FDP haben wirie Freiheit nicht als Statue, sondern als Statut.
Auch das hat in der Linken Tradition: Freiheit undleichheit begreifen wir nicht als Gegensatz, sondernls sich ergänzende und sich bedingende Elemente deremokratie, ohne dass eines von beiden größer ge-chrieben würde.
eshalb nimmt es auch nicht wunder, dass das bekann-este Zitat zur Freiheit von einer Sozialistin stammt. Dasilt ganz besonders für den Bereich, der den Menschenief berührt und sein Selbstverständnis betrifft; somit istuch ganz klar: Freiheit ist immer auch die Freiheit desndersgläubigen.
Wir verurteilen es natürlich, wenn in vielen Ländernieser Welt Religionsfreiheit noch keine Selbstverständ-ichkeit ist. Ein Beispiel ist Tibet, das im Antrag vonDU/CSU und FDP leider gar nicht erwähnt wird. Völ-ig zu Recht hat der Dalai Lama den Friedensnobelpreisrhalten. In seinen Bemühungen um die Tibeter verdientr aus meiner Sicht unsere volle Unterstützung,
enauso wie alle anderen Menschen, die sich weltweitür das Menschenrecht auf Religionsfreiheit starkma-hen und dafür eintreten, dass sich Rechtslage undechtspraxis in ihrem Land so entwickeln, dass das öf-entliche Bekennen der eigenen Religion gewährleistett.Der Antrag der Koalitionsfraktionen findet insofernbenso grundsätzlich meine Zustimmung wie der vonen Grünen. Allerdings bin ich der Meinung, dass sichDU/CSU und FDP um etwas mehr Ausgewogenheitätten bemühen können. Ihr Antrag konzentriert sichorwiegend – das ist schon gesagt worden – auf diehristlichen Minderheiten, was das im Antrag enthalteneslam-Bashing noch verstärkt und die verschiedenen Re-igionen unnötig gegeneinander in Stellung bringt.Zudem erweist sich die Haltung der Koalition nichtirklich als konsequent; denn wer die UN-Resolutionegen die Diffamierung von Religionen – sicher richti-erweise – ablehnt und darin einen Beweis für die Unter-rückung der Meinungsfreiheit im Islam sieht, der sollteuch einen Blick in das deutsche Strafgesetzbuch werfen auch das ist schon gesagt worden –: Zumindest in derraktischen Handhabung ist das in § 166 des Strafge-etzbuches enthaltene Verbot einer Beschimpfung voneligionsgesellschaften nicht allzu weit von der geschol-enen Resolution entfernt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5591
Raju Sharma
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Ich meine, wir sollten alle Religionen mit demselbenRespekt behandeln.
Außerdem stünde es der Regierung nicht schlecht an,ein Urbi et Orbi auch für sich zu beherzigen. In SachenReligionsfreiheit lohnt sich nämlich nicht nur der Blickin die Welt, sondern auch ins eigene Land. Eine staatli-che Unterdrückung oder Verfolgung einzelner Religions-gemeinschaften ist hier zwar nicht zu beklagen, aber be-dingungslose Religionsfreiheit ohne jede Einschränkungfindet man auch bei uns nicht, jedenfalls dann nicht,wenn man auch die konsequente Gleichbehandlung al-ler Glaubensgemeinschaften darunter versteht.
Wenn nämlich ein Muslim zu häufig sein Gotteshausbesucht, dann kann es schon passieren, dass er als poten-ziell Verdächtiger in der Antiterrordatei landet.
Ein eifriger Kirchgänger muss das nicht befürchten.Wenn deutsche Behörden Fluggastdaten an die USAübermitteln, die nicht nur Angaben über die Mitglied-schaft in Gewerkschaften enthalten, sondern auch solcheüber Essgewohnheiten oder die Religionszugehörigkeit,dann geschieht das bekanntermaßen nicht, um den Bord-service für die Passagiere zu optimieren.
Auch in manch anderer Hinsicht findet staatliche Un-gleichbehandlung statt. Noch immer werden die evange-lische und die katholische Kirche gegenüber anderen Re-ligionsgemeinschaften bevorzugt. Eine konsequenteTrennung von Staat und Religion ist in Deutschlandnoch längst nicht Wirklichkeit. Ich sage nur: Staatsleis-tungen, Kirchensteuer, Religionsunterricht. Hier könntenwir von unseren Nachbarn lernen: In Frankreich ist derLaizismus als Grundsatz in der Verfassung festgeschrie-ben – wir haben Gott in der Präambel des Grundgeset-zes.
Immerhin bekennt sich die Koalition in ihrem Antragauch zur Freiheit der Nichtgläubigen, die anerkanntund geschützt werden soll. Es besteht also ein breiterKonsens darüber, dass die Zeit des Missionierens end-gültig vorbei ist. Wenn Menschen zum Glauben finden,dann sollten sie das in Freiheit tun: hier und im Rest derWelt.Vielen Dank.
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Herr Sharma, Sie haben hier das Religionsverfas-ungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kriti-iert. Das Entscheidende ist, dass wir alle Glaubensge-einschaften und weltanschaulichen Haltungen gleichehandeln. Es gibt unterschiedliche Rechtstraditionen:rankreich und die Türkei haben einen eher laizistischennsatz, und in der Türkei existiert außerdem die Beson-erheit der Privilegierung des sunnitischen Islam. Ineutschland besteht die „hinkende“ Trennung von Staatnd Kirche. Das Entscheidende, das wir hier in Deutsch-and tun müssen, ist, dass wir alle Religionen gleich be-andeln. Das heißt aber nicht zwingend, dass wir dierundsätze unseres Religionsverfassungsrechtes deshalbufgeben müssten.
Meine Damen und Herren, ich nehme wohl wahr,ass diese Debatte heute hier anders verläuft als in derergangenheit. Trotzdem erfolgte in Ihrem Beitrag, Herrauder, und auch in Ihrem Antrag eine zu einseitigeentrierung auf die Verfolgung der Christen. Ich denke,ir erweisen den Christen, die in anderen Ländern ver-olgt werden, einen Bärendienst, wenn wir nicht um dasecht der Religionsfreiheit streiten, sondern uns einsei-ig auf „unsere“ Leute fokussieren, die woanders ver-olgt werden. Das ist die falsche Perspektive. Es mussm das Prinzip der individuellen, der kollektiven unduch der negativen Glaubensfreiheit gehen. Wenn wirm das Prinzip streiten, dann können wir weltweit auchiel für die verfolgten Christen tun.
Nicht nur Christen aus Orissa haben auf der Tribühnelatz genommen, sondern auch ein Vertreter des Natio-alen Geistigen Rats der Bahai, einer kleinen Weltreli-ion mit 300 000 Gläubigen im Iran. Was wird aber da-urch ausgesagt, dass zahlenmäßig weniger Bahai alshristen verfolgt werden, weil es nun einmal wenigerahai als Christen gibt? Gerade für diese religiöse Min-erheit ist die Situation im Iran dramatisch, weil die ira-ischen Muslime nicht akzeptieren, dass es nachohammed einen neuen Offenbarer gab, der für sich in
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5592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Volker Beck
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Anspruch genommen hat, eine neue Religion zu begrün-den. Das ist aber kein Argument, mit dem man Glau-bensfreiheit ausschalten kann, sondern wir müssen dieVerfolgung der Bahai im Iran massiv kritisieren.
Seit 2004 wurden 313 Bahai festgenommen. Am22. Juni 2010, also vor wenigen Wochen, wurden 50 Häu-ser von Bahai im Iran zerstört. Der Prozess gegen diezwei Frauen und fünf Männer des Nationalen GeistigenRats der Bahai läuft. Sie sitzen ein, und zwar nur dafür,dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören, diedem iranischen Regime nicht passt, weil sie nach ihrerAnsicht mit dem Islam nicht konform zu bringen ist.Vieles aus der Liste der Diskriminierungen und der Ver-folgung der Bahai im Iran erinnert daran, wie in den ers-ten Jahren des Dritten Reiches gegen die Juden vorge-gangen wurde. Kein bürgerliches Recht auf Erbe, aufBesitz, auf Schulbesuch, auf Freiheit und auf den Schutzvon Leib und Leben ist für die Bahai im Iran garantiert.Deshalb sollten wir hier keinen Wettbewerb zwischenden verschiedenen Verfolgtengruppen in diesem Bereichanfangen, sondern massiv da einschreiten, wo eineGruppe von Menschen oder Einzelne verfolgt werden,weil sie einen anderen Glauben haben als die Mehrheitoder das Regime eines Landes. Darum geht es, wenn wirüber die Religionsfreiheit streiten, und es geht auch da-rum, dass wir das, was wir von anderen Ländern verlan-gen, auch im eigenen Land konsequent umsetzen, ob-wohl es bei uns natürlich keine religiöse Verfolgunggibt. Deshalb verlangen wir in unserem Antrag, auch da-rüber zu reden, ob der § 166 Strafgesetzbuch zur Be-schimpfung von religiösen Bekenntnissen mit der vonuns hier gemeinsam geübten Kritik an der Resolutiondes UN-Menschenrechtsrats gegen die Diffamierungvon Religionen noch zusammenpasst, also ob wir unshier nicht auch an die eigene Nase fassen müssen.Gleichstellung der Religionen und diskriminierungs-freie Garantie der Glaubensfreiheit – Herr Bielefeldt hatin einer Schrift der Kommission Justitia et Pax ausge-führt, dass es darum geht, für das Recht der Religions-freiheit universell und diskriminierungsfrei einzutreten –bringt für uns als Bundestag gemeinsam mit den Län-dern die große Aufgabe mit sich, endlich die Weltreli-gion des Islam in Form von anerkannten islamischenReligionsgemeinschaften innerhalb des deutschen Reli-gionsverfassungsrechtes gleichzustellen. So können wirdiesen die Rechte geben, die unser Religionsverfas-sungsrecht beim Religionsunterricht und bei der Ausbil-dung von Geistlichen gewährt, und diese Religionsge-meinschaft auch mit Blick auf andere rechtlicheKonsequenzen, die sich aus der Anerkennung ergeben,gleichstellen. Denn nach dem Christentum ist der Islamin Deutschland die zweitgrößte religiöse Gruppe. Eskann nicht sein, dass eine so große Zahl von Menschenbei der Inanspruchnahme ihrer Grund- und Menschen-rechte letztendlich nicht gleichgestellt ist.Ich hoffe, dass es bei den Beratungen dazu kommt,dass unser Antrag und der Antrag der Koalition zu einemgemeinsamen Beschluss zusammengeführt werden.DTsmsCrdelEsKsAhekcsADDcBVsdkeDPgKssmEng
Nun erhält Johannes Singhammer das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Wir in Deutschland wissen vom Wert der Freiheites Glaubens. Ohne Religionsfreiheit gibt es keinen dau-rhaften inneren Frieden. Im kollektiven Gedächtnis vie-er Menschen bei uns, aber auch in Europa, sind dierfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, dieseschrecklichen Krieges, fest eingebrannt. Drei Jahrzehnterieg, Morde und Verwüstung haben – neben dynasti-chen und hegemonialen Gründen – vor allem auch dieuseinandersetzung um Religionsfreiheit zum Kern ge-abt. Während dieses bitteren Dreißigjährigen Kriegesrkannte man, dass kein Fürst, kein Staat, keine Obrig-eit, kein Mob dem einzelnen Menschen sein persönli-hes Verhältnis zu Gott vorschreiben kann. Als eine ge-chichtliche Erfahrung stellt unser Grundgesetz in Art. 4bs. 1 und 2 unmissverständlich fest:Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und dieFreiheit des religiösen und weltanschaulichen Be-kenntnisses sind unverletzlich.Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleis-tet.as gilt für alle. Das gilt auch für Menschen, die nacheutschland zugewandert sind und nicht einem derhristlichen Bekenntnisse angehören. Deshalb ist derau von Gebetshäusern und Moscheen durch unsereerfassung garantiert.Wir sagen allerdings auch denjenigen Staaten, dieich für in Deutschland lebende Landsleute einsetzen,amit diese ihre Religion zu Recht ungestört ausübenönnen, dass sie dabei die christlichen Minderheiten imigenen Land nicht aus dem Blick verlieren sollen.
abei genügt nicht die formale Gleichstellung auf demapier, sondern sie muss in der wirklichen Praxis erfol-en.Vor wenigen Tagen habe ich gemeinsam mit einemollegen und mit führenden Repräsentanten der katholi-chen und der evangelischen Kirche und der Evangeli-chen Allianz Christen in der Türkei besucht. Wasan gesehen hat, muss man auch ansprechen. Unserindruck war: Viele christliche Minderheiten spüren ei-en Mangel an Religionsfreiheit und Toleranz, weshalberade viele jüngere Christen für sich keine Perspektive
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5593
Johannes Singhammer
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mehr sehen und das Land verlassen. Den christlichenKirchen droht dort die Gefahr der Marginalisierung. Esleben zum Teil nur noch ein paar Familien in Dörfern,die früher mehrheitlich von Christen bewohnt waren.Kirchen und Klöster in Anatolien sind aber nichtnur uralte, ehrwürdige Bauwerke, die es aus touristi-schen Gründen zu erhalten gilt, sondern es muss Kirchenund Klöstern auch gestattet sein, christliches Leben zuentfalten. Deshalb erfüllt es mich mit Sorge, wenn bei-spielsweise jetzt in Deutschland mehr Mitglieder der sy-risch-orthodoxen Kirche leben als in ihrer angestammtenHeimat, der Provinz Mardin.Die seit 1971 unterbundene Priesterausbildungmuss, gerade für die orthodoxe Kirche, wieder möglichsein, und die theologische Ausbildung, die eigenverant-wortlich zu organisieren ist, ist notwendig, um eineschleichende Austrocknung des kirchlichen Lebens zuverhindern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Religions-freiheit wird nicht durch klare und eindeutige Rechts-sätze gewährleistet. Darin sind wir uns einig. Religions-freiheit wird vor allem auch durch den tagtäglichenUmgang von Verwaltung, Administration und Gerichtenmit christlichen Minderheiten oder auch anderen religiö-sen Minderheiten gewährleistet oder auch verhindert.Festzustellen ist aber auch: Religionsfreiheit heißtnicht Wertneutralität. Wir in Deutschland haben in ei-nem langen und schmerzhaften Prozess über Jahrhun-derte hinweg eine religiöse bzw. weltanschaulicheNeutralität des Staates verwirklicht, die aber keines-wegs eine vollständige Wertneutralität der staatlichenOrdnung bedeutet. Die Zwei-Schwerter-Lehre und derInvestiturstreit im Mittelalter haben letztlich zu Art. 140unseres Grundgesetzes geführt, in dem unter anderemgeregelt ist:Es besteht keine Staatskirche.Bei den Gründervätern der Bundesrepublik Deutsch-land herrschte die Überzeugung vor, dass erst der Abfallvon Gott den Weg freigemacht hatte für das schranken-lose Machtsystem tiefster menschlicher Erniedrigungdes Nationalsozialismus. Auf dieser Grundlage unsererVerfassung haben wir die Religionsfreiheit definiert undgarantiert. Wir wollen diese Erfahrungen nicht besser-wisserisch anderen aufdrängen, aber es ist uns von derUnion wie auch, glaube ich, allen Mitgliedern diesesHauses wichtig, dass die Religionsfreiheit als Men-schenrecht über nationale Grenzen hinweg verwirklichtwird. Deshalb werden wir darauf achten, dass die Frei-heit des Gewissens und Glaubens bei unseren Partnernund den Mitgliedern der internationalen Völkergemein-schaft gewährleistet wird, und wir werden diese aucheinfordern.Ein wichtiger Schutzschirm für verfolgte und be-drohte Minderheiten, insbesondere Christen, ist die Her-stellung der Öffentlichkeit bei uns und weltweit. Des-hMdBdgßGmgGgRbdgRadttWsZisdHzDnbDdGqzvwoAtw
Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für
ie SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Eine ganze Reihe Kollegen, darunter der Herr Au-enminister und auch Sie, Herr Singhammer, hat auf dieeschichte der Religionsfreiheit hingewiesen. Ichöchte noch ein Puzzlestück hinzufügen. Der Augsbur-er Religionsfriede vom September 1555, in dem derrundsatz „cuius regio, eius religio“ festgelegt wurde,ilt als weltpolitisches Ereignis und läutete nach deneformationskriegen quasi die offiziell festgeschrie-ene Koexistenz beider christlichen Konfessionen undamit die Neuzeit in den Kirchen ein. Den Dreißigjähri-en Krieg hat er allerdings nicht verhindern können.eligionsfreiheit im heutigen Sinne war das damals nurnsatzweise, ging es doch bei dieser Regelung darum,ass die Untertanen der Herrscher der jeweiligen Fürs-en- und Königshäuser der Konfession ihres Landesfürs-en folgen mussten, was bedeutete, dass sie bei einemechsel des Herrscherhauses auch immer ihre Konfes-ion wechseln mussten.Tatsächliche Religionsfreiheit ist ganz eindeutig eineichen der Moderne, auch weil sie in der heutigen Zeitndividuelle Freiheit ausdrückt. Der von mir sehr ge-chätzte und schon mehrfach angesprochene UN-Son-erberichterstatter für Religions- und Glaubensfragen,einer Bielefeldt, sagte neulich in einem Interview – ichitiere –:Die Religionsfreiheit ist ein individuelles Freiheits-recht, wie die Meinungsfreiheit auch. Es geht umdie Freiheit, sich zu einem Glauben zu bekennenoder auch nicht.as heißt, man darf nicht dazu gezwungen werden, sei-en Glauben zu verbergen, aber auch nicht, ihn zu offen-aren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Möglichkeit, imeutschen Bundestag zum Beispiel bei der Eidesformelen letzten Satz wegzulassen.Religionsfreiheit bedeutet auch die Freiheit, denlauben ohne Druck und Zwang, aber auch ohne Konse-uenz für Leib und Leben oder die berufliche Existenzu wechseln oder zu behalten. Dies ist in einer Vielzahlon Ländern – das ist schon mehrfach angesprochenorden – nicht möglich. Beispiele dafür sind der Irander Saudi-Arabien. Dort steht auf Apostasie, also denbfall vom Islam, die Todesstrafe, ebenso wie in Pakis-an auf die Beleidigung des Propheten Mohammed. Dortie in vielen anderen Ländern darf nicht für einen Reli-
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5594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Angelika Graf
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gionswechsel, zum Beispiel hin zum Christentum, ge-worben werden.Volker Beck hat schon sehr eindrucksvoll die Lageder Bahai im Iran geschildert. Christen und Angehörigeanderer Religionen, zum Beispiel die Jesiden, die Juden,die Hindus, erleben in vielen Ländern und RegionenVerfolgung. Nicht zu vergessen – Herr Singhammer hatdas angesprochen – ist die Situation der syrisch-orthodo-xen Christen in Mor Gabriel im Südosten der Türkei.Ich selbst war in diesem Kloster und konnte mich vonder schlimmen Lebenssituation der Menschen dort über-zeugen.Die Menschenrechtspolitiker dieses Hauses habenüber alle Fraktionsgrenzen hinweg schon in der Vergan-genheit bei Besuchen in den jeweiligen Ländern gegen-über den politisch Verantwortlichen immer deutlich ge-macht, dass die Religionsfreiheit und damit auch derWechsel der Religion zu den Grundfreiheiten des Men-schen gehört, wobei ich allerdings nicht verschweigenmöchte, dass manche Gruppierung absolut inakzeptableWerbemaßnahmen einsetzt. So bietet zum Beispiel einekoreanische Organisation Opfern von Unwetter undÜberschwemmung – das habe ich in Kambodscha selbsterlebt – nur dann ein festes Dach über dem Kopf oderBildung für die Kinder an, wenn der Übertritt zumchristlichen Glauben erfolgt. Ich denke, das tut der Sa-che des Christentums keinen guten Dienst.
Religionswechsel geschehen bei uns aus sehr unter-schiedlichen Beweggründen. Viele Menschen haben auf-grund bestimmter Lebensumstände aus eigenem Willenin einem anderen Glauben oder in einer anderen Konfes-sion eine neue Heimat gefunden. Aber wir sollten auchnicht vergessen: Es ist noch nicht so lange her, dassMenschen in Deutschland wegen einer sogenanntenMischehe, also der Ehe zwischen einem evangelischenund einem katholischen Christen, aus der Kirche ausge-schlossen wurden. Erst die Ökumene hat hier einen gu-ten Weg geebnet.Religionsfreiheit ist ausgesprochen modern und zeit-gemäß. Ich frage mich oft: Gilt das auch für das Gottes-bild, welches Christen wie Muslime haben? WelchenSinn, so wurde vor wenigen Tagen in einem Artikel inder Zeit gefragt, hat es, wenn wir zu Gott flehen, um un-serem Fußballverein zum Sieg zu verhelfen? Bestehtnicht auch der gegnerische Verein aus Kindern Gottes?Erschreckt hat mich das Minarettverbot in derSchweiz, womit die Errichtung des Wahrzeichens eineranderen Religion in einer mitteleuropäischen Stadt un-möglich gemacht werden sollte. Ich danke Ihnen, HerrKauder, ganz ausdrücklich, dass Sie deutlich gemachthaben, dass das in Deutschland nicht infrage kommt.
Ich begrüße deshalb sehr, dass der Hamburger Weihbi-schof Hans-Jochen Jaschke unmissverständlich klarge-macht hat, dass ein Minarett zur Moschee gehört wiedMsAwwsIufReRPrkdkünlgGdnKsngtsGsBmwjesawv
Ich komme zurück zu Heiner Bielefeldt. Die Religions-reiheit dürfe, so sagt er, nicht dazu missbraucht werden,eligionen gegen jede Kritik oder gesellschaftliche Aus-inandersetzung zu immunisieren. – Bielefeldt hat recht.eligionen müssen als Teil unserer gesellschaftlichenrozesse heute mehr denn je miteinander kommunizie-en und sich und ihr Auftreten immer wieder neu selbst-ritisch unter die Lupe nehmen. Das macht die Vielzahler Kirchenaustritte rund um die Missbrauchsfälle in deratholischen Kirche und den Skandal um Bischof Mixaberdeutlich. Dort hat die Kirche deutliche Versäum-isse gezeigt.Ich weiß, dass die ganz große Mehrheit der in Deutsch-and lebenden Muslime fundamentalistische Gruppierun-en ablehnt. Ich sehe aber auch, dass unsere offeneesellschaft sich verändert, weil sie sich von diesen fun-amentalistischen Strömungen bedroht fühlt. Das Mi-arettverbot in der Schweiz macht deutlich, dass in letzteronsequenz auf Dauer die Religionsfreiheit gefährdetein könnte.
Sorgen mache ich mir auch um die jungen Muslimin-en und Muslime, die die Tendenzen in der Mehrheits-esellschaft natürlich spüren. Wir müssen daran arbei-en, sie vor fundamentalistischen Gegenströmungen zuchützen. Wir müssen ihnen die Werte unserer offenenesellschaft besser vermitteln. Deswegen plädiere ichehr für einen staatlichen Islamunterricht in jedemundesland. Wir müssen auf die Länder einwirken, da-it so etwas endlich realisiert werden kann; denn diesäre eine Möglichkeit, die Fragen und Bedürfnisse derungen Musliminnen und Muslime aufzunehmen, undin wichtiger Teil des Weges, den junge Menschen in un-erem Staat finden müssen.
Religionsfreiheit bedeutet den Schutz und die Freiheitller Glaubensrichtungen – auch in Deutschland. Daserden wir in unserem Antrag, den wir Ihnen in Kürzeorlegen werden, auch deutlich machen.Vielen herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5595
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Pascal Kober erhält nun das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sehnsucht nach Freiheit, die Sehnsucht nach Freiheit der
innersten Bindungen und der innersten Grundüberzeu-
gungen von äußerem Zwang – wir würden heute sagen:
die Sehnsucht nach der Freiheit des Gewissens, die
Glaubens- und Religionsfreiheit – ist geradezu der Aus-
gangsimpuls für die gesellschaftliche Freiheitsbewe-
gung, in deren Folge sich die freiheitlichen Demokratien
auf dem Boden unveräußerlicher Grundrechte ausgebil-
det haben.
Es ist kein Widerspruch, dass wiederum der Grund-
wert der Glaubens- und Gewissensfreiheit in unserer
Geistesgeschichte seinen Ausgangspunkt in der jüdisch-
christlichen Tradition hat, nach Jahrhunderten der Ver-
dunklung durch theologische Missinterpretation wieder-
entdeckt und aufgedeckt in der Reformation und säkular-
politisch durchdacht, ausformuliert und erkämpft in der
Freiheitsbewegung der Aufklärung.
Jüdisch-christliche Tradition, Reformation und Auf-
klärung – wir wären uns selbst nicht treu, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sondern geradezu selbstvergessen,
würden nicht gerade wir als christlich-liberale Koalition
für das unveräußerliche Recht auf Glaubens- und Gewis-
sensfreiheit, auf Religionsfreiheit weltweit entschieden
eintreten.
Was die Religionsfreiheit, für die die christlich-libe-
rale Koalition weltweit im Rahmen ihrer kohärenten und
wertegeleiteten Außenpolitik eintritt, aber nicht meint,
und was die Toleranz unter den Religionen und Weltan-
schauungen, die wir einfordern, nicht meint, ist eine rela-
tivistische Toleranz oder Religionsfreiheit, die der Frage
nach der Gültigkeit von Werten, die, wenn man so will,
der Wahrheitsfrage ausweicht.
Denn wem alles gleich gültig ist, dem ist auch alles
gleichgültig. Das ist das genaue Gegenteil einer wertege-
bundenen und wertegeleiteten Außenpolitik
und das genaue Gegenteil der Idee universell gültiger
unveräußerlicher Menschenrechte.
Das Konzept der Religionsfreiheit, für das wir als
christlich-liberale Koalition weltweit eintreten, ist das
Konzept einer Toleranz, die nicht alles für richtig hält
und auch nicht jedem recht gibt. Wer beispielsweise un-
ter dem Deckmantel der Religionsfreiheit anderen an-
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ber auch in Deutschland versuchen Bürgerinitiativenäufig, den Bau von Moscheen zu verhindern. So wirdie Religionsfreiheit behindert.
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5596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Annette Groth
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Seit einiger Zeit beobachte ich mit großer Sorge, dassin Deutschland, aber auch in anderen EU-Staaten mitBegriffen wie „islamistisch“ eine ganze Religion diskre-ditiert wird. Eine solche Kategorisierung trägt dazu bei,dass bei der Mehrheitsgesellschaft Ressentiments gegenMuslime geschürt werden. Als Reaktion auf diese Dis-kriminierung und Stigmatisierung könnten Muslime indie Arme von Extremisten getrieben werden. Deshalbhat sich die US-Regierung kürzlich von Begriffen wie„radikaler Islam“ und „islamistischer Terror“ ganz ver-abschiedet.Verehrte Damen und Herren, zu einer fortschrittlichenMenschenrechtspolitik gehört die Analyse der tieferenUrsachen von religiösen Konflikten. Oft zeigt sich,dass Diskriminierungen oder Gewaltakte gegen eine be-stimmte Religion der Katalysator für soziale und ökono-mische Konflikte sind. Wenn Angehörige einer Religionvon der Politik bevorzugt werden, werden bei anderenReligionsgemeinschaften Ressentiments geschürt. Dannwird Religion als Machtinstrument missbraucht.Herr Kauder sowie andere Rednerinnen und Rednerhaben den Fall Orissa bereits erwähnt. An den Überfällenwaren Mitglieder der Lokalregierung und der indischenVolkspartei BJP, deren Mitglieder nationalistische Hin-dus sind, beteiligt. Ein Grund für diese gewaltigen Aus-schreitungen sind die große Armut und der seit Jahren ge-schürte Hass auf Andersgläubige. Viele der 35 MillionenEinwohnerinnen und Einwohner Orissas leben in großerArmut. Diese sozialen Verhältnisse machen es religiösenHasspredigern leicht, die Frustration über die sozialenUngerechtigkeiten auf andere zu lenken.Im Bundesstaat Karnataka hat die regierende BJPkürzlich ein Gesetz verabschiedet, das den Religions-wechsel weg vom Hinduismus verhindern soll. DiesesGesetz stellt „unredliche Bekehrung“ unter Strafe undlegt fest, dass jeder Übertritt zum Christentum den Be-hörden gemeldet werden muss. Mit der toleranten indi-schen Verfassung ist dieses Gesetz eigentlich nicht ver-einbar. Wir fordern von der Bundesregierung, dass siesolche Diskriminierungen, ganz gleich, ob sie Muslime,Christen oder andere Religionsgemeinschaften betreffen,in ihren Gesprächen mit Indien deutlich verurteilt.
Verehrte Damen und Herren, die Regierung in Orissahat auf die Armut mit einer zerstörerischen Industriali-sierung reagiert. Durch die Ansiedlung eines Stahlwerksmit 4 Milliarden Euro Umsatz wurde eine fundamentaleVeränderung der betroffenen Region eingeleitet. DasStahlwerk verbraucht riesige Wassermengen und zerstörtdie Lebensgrundlage von vielen Bäuerinnen und Bauern.Dadurch wird die Wut vieler Betroffener noch mehr ge-steigert.Es gibt in vielen Ländern ähnliche Auseinanderset-zungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Religio-nen. Ich habe Orissa als Beispiel gewählt, weil hier ex-emplarisch der Zusammenhang zwischen Armut undreligiösem Fanatismus aufgezeigt wird. Wenn durch dasgeplante Freihandelsabkommen der EU mit IndienvtbbuwgsdhFHvLfEguFdcDDSzmSvwnenDddFmssgwg
Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Antrag der Regierungsfraktionen behandeltor allem die Verletzung der Religionsfreiheit in fernenändern. Das ist aber nicht genug. Wer die Religions-reiheit beschneidet oder missachtet, der missachtet auchuropa; denn Europa ist ein politisches Projekt der bür-erlichen Freiheiten einschließlich der Religionsfreiheitnd gerade der Religionsfreiheit. Diese grundlegendenreiheitsrechte sind im Grad ihrer Durchsetzung und iner Entwicklung ihres Instrumentariums ein Markenzei-hen Europas und nicht nur, Herr Bundesaußenminister,eutschlands.
Wenn ich mich in Europa umsehe, dann sehe ich aberebatten, die an diesem Fundament des europäischenelbstverständnisses rütteln. Die Mehrheit der Schwei-er ist gegen Minarette. Italienische und spanische Kom-unen stellen die Vollverschleierung der Frau untertrafe. In Belgien und Frankreich strebt man ein Verboton Burka und Niqab an. Über ein Verbot der Burkaurde erst vorgestern wieder in der französischen Natio-alversammlung beraten. Immer haben diese Debattenine deutlich fremden- und freiheitsfeindliche, eine natio-alistische und vor allem antieuropäische Konnotation.
arauf müssen wir achten; denn das sind Diskussionen,ie auch zu uns nach Deutschland kommen werden, undabei geht es um den Kern unserer Freiheitsrechte, derreiheitsrechte von Deutschland und von Europa.Den freiheitsfeindlichen und reaktionären Tendenzenüssen wir eine sachliche Erwägung dessen entgegen-etzen, was Menschenrechte und Freiheiten sind und woie durch Menschenrechte und Freiheiten anderer be-renzt werden. Sie dürfen nur dann begrenzt werden,enn sie Freiheiten und Menschenrechten anderer ent-egenstehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5597
Tom Koenigs
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Europa steht dafür, dass das einzelne, schwache Indi-viduum vor Begehrlichkeiten von starken, überindividu-ellen Institutionen geschützt wird, auch vor Staaten oderSchulen, selbst vor Religionsgemeinschaften, egal wiehoheitlich, traditionsreich oder hochwürdig sie daher-kommen mögen. Wenn wir Abstriche am Schutz dieserMenschenrechte zulassen, dann gefährden wir das politi-sche Projekt Europa.
Deshalb sollten wir uns davor hüten, nicht Stellung zubeziehen oder wegzuschauen, wenn wir dergleichen se-hen können.Leute wie Sarkozy oder Wilders sagen es nicht sodeutlich, aber im Hintergrund der Debatten um Burkaund Minarette steht immer noch die Vorstellung von ei-nem christlichen Abendland. Sie sagen in etwa: Europaist da, wo die Burka nicht ist, und dass manche Religio-nen mit unseren Werten weniger zusammenpassen alsandere. Europa ist aber mehr als das christliche Abend-land. Europa ist nicht das Projekt einer Religion, sonderndas von vielen Gläubigen und Ungläubigen, Religionenund Religionsgemeinschaften sowie Areligiösen.
Noch ist die Religionsfreiheit in Europa besser umge-setzt als in vielen anderen Teilen der Welt – und zwarnicht nur in den Gesetzestexten, sondern auch im gesell-schaftlichen Miteinander. Religionsfreiheit weltweit zuschützen heißt aber auch, weltweit und in Europa einenFundamentalismus zu bekämpfen, der nicht nur unterMuslimen, sondern auch unter Christen, Juden, Orthodo-xen und Ungläubigen zurzeit immer stärker wird.Religionsfreiheit und Liberalität sind Identitätszei-chen Europas. Für viele in der Welt ist Europa geradewegen dieser Freiheit so attraktiv. Wenn wir auf Europastolz sein wollen, dann sollten wir das gerade deswegensein. Die Idee Europa braucht Religionsfreiheit. Wirsollten sie mit allem Nachdruck vor jeder Relativierungschützen.Vielen Dank.
Das Wort erhält jetzt die Kollegin Erika Steinbach für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Wenn weltweit so viel Religionsfreiheit herrschenwürde wie in der Europäischen Union, dann müssten wiruns heute manche Gedanken nicht machen. Das mussich einmal deutlich feststellen.
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5598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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2009 rund 50 000 Christen vertrieben, ermordet odervergewaltigt. Ich freue mich sehr, dass heute Vertreterder christlichen Minderheit hier sind. Bitte nehmen Siefolgende Botschaft mit zu Ihren Glaubensgeschwistern:Wir stehen an Ihrer Seite. Wir haben Sie nicht vergessen.Wir unterstützen Sie.
Lassen Sie mich weitere Beispiele nennen: Im Irakleiden rund 385 000 Christen unter Verfolgung. Wirmüssen feststellen: 80 Prozent aller aus religiösen Grün-den verfolgten Menschen sind Christen. Man geht welt-weit von mindestens 200 Millionen verfolgten Christenaus. Das größte Ausmaß nimmt die Diskriminierung undUnterdrückung leider in mehrheitlich muslimisch ge-prägten Ländern an.Selbst in der Türkei – das halte ich für besonders be-denklich –, die ihren Blick bekanntermaßen in RichtungEuropa gelenkt hat, leben Christen nicht ungefährdet.Die Religionsfreiheit steht im Grunde genommen nurauf dem Papier. Der Bau von Kirchen ist nicht möglich,theoretisch wohl, aber in der Praxis lässt es sich fastnicht umsetzen. Christliche Geistliche schweben in Le-bensgefahr, etliche sind schon umgebracht worden. Mis-sion, ein Teil der christlichen Religion, ist unmöglich.Predigten dürfen nur an bestimmten Tagen abgehaltenwerden. Eine Zahl spricht Bände: Vor 60 Jahren betrugder Anteil der Christen in der Türkei 20 Prozent. Derzeitbeträgt der Anteil an Christen in der Türkei nur noch0,15 Prozent. Diese wenigen werden trotz der Beitritts-verhandlungen gezielt unterschwellig unterdrückt. InAnkara hören Sie nur Stimmen der Unterstützung unddes Verständnisses, aber vor Ort sieht die Welt völlig an-ders aus.
Erst kürzlich hat mir ein Pastor aus Izmir, dessen Na-men ich nicht nennen will, von seinen Ängsten und vonseiner Drangsal berichtet. Diese ungute Entwicklungmuss uns alle hier im Hause zutiefst beunruhigen. Nichtnur in Deutschland, sondern auch weltweit brauchen wirein friedliches Miteinander der Religionen. Herr KollegeKoenigs, Sie haben ausgeführt, dass es eigentlich keinchristliches Abendland gibt. Ich sage Ihnen: Wir lebenauf dem Fundament eines christlich geprägten Abend-landes, und das lasse ich mir auch nicht ausreden.
Als Christin füge ich auch hinzu: Selbstverständlichstehe ich solidarisch an der Seite anderer Christen. HerrBeck, Sie wissen doch selber, wo Sie solidarisch stehen.Ich als Christin stehe solidarisch an der Seite verfolgterChristen auf dieser Welt.
Nein, nicht nur, das habe ich eben deutlich gemacht.
issverstehen Sie die Dinge doch nicht so, wie Sie esollen.Ich glaube, es war gut und richtig, dass Deutschlandeinerzeit verfolgte christliche Iraker aus Syrien und Jor-anien aufgenommen hat. Es ist gut, dass wir uns imeutschen Bundestag in einer Kernzeitdebatte dafür aus-prechen, dass kein Mensch auf diesem Erdball wegener Ausübung seiner Religion und seiner Religionszuge-örigkeit verfolgt wird.Herr Außenminister, ich bedanke mich bei der Bun-esregierung dafür, dass Sie bei Ihren Gesprächen mithren Auslandskontakten immer wieder darauf hinwei-en, dass die Religionsfreiheit für uns ein hohes Gut istnd dass wir von unseren Gesprächspartnern durchausrwarten, dass sie das auch ernst nehmen.Ich bedanke mich.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Volker
eck das Wort.
Ich will es ganz kurz machen. Das ist keine persönli-
he Bemerkung, Herr Kauder, sondern eine Kurzinter-
ention. Eigentlich wollte ich eine Zwischenfrage an
rau Steinbach stellen.
Von Christ zu Christin: Sehen wir uns nur an der Seite
nderer Christen, oder sehen wir uns an der Seite von
erfolgten? Das halte ich für die christliche Haltung.
Können wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass
ir das Aggiornamento des II. Vatikanums zugrunde le-
en, obwohl Sie keine Katholikin sind? Wir können
ott, den Vater aller Menschen, nicht anrufen, wenn wir
rgendwelchen Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes
eschaffen sind, die brüderliche Haltung verwehren. Das
st vielleicht eine gute gemeinsame Grundlage. Da geht
s nicht um Christen oder Nichtchristen, sondern um
enschen.
Herr Kollege Beck, wer durch des Argwohns Brillechaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5599
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Siegmund Ehrmann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach ange-
sprochen worden: Europa und Deutschland sind durch
fürchterliche Epochen gegangen. Das, was wir als unteil-
bare Menschenrechte verstehen, ist auch in unserem
Land nicht vom Himmel gefallen.
Die Freiheit des Glaubens und die Freiheit des religiö-
sen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind Rechte des
Einzelnen. Wir messen ihnen in unserer Verfassung den
höchsten Rang zu. Ob Christ, Jude, Muslim, Buddhist,
Hindu oder Mitglied einer anderen Glaubensgemein-
schaft, alle haben das Recht, ihren Glauben zu leben, zu
predigen, nach außen zu tragen. Das zeigt sich zum Bei-
spiel an den Moscheen und Gotteshäusern, im Tragen
des Kreuzes oder im Verzehr koscheren Essens.
Doch nicht nur Art. 4 des Grundgesetzes schützt die
Mitglieder von Glaubens- und Religionsgemeinschaften.
Das Grundgesetz gibt uns außerdem auf, dafür Sorge zu
tragen, dass keiner aufgrund seines Glaubens benachtei-
ligt wird. Gläubige, die offen zu ihrer Religion stehen,
müssen nicht fürchten, deswegen diskriminiert zu wer-
den. Religionsfreiheit schließt allerdings auch ein, sich
nicht religiös zu bekennen.
Das ist der Verfassungsrahmen in unserem Land. Die
Realität zeigt jedoch, dass es auch hier immer wieder zu
Konflikten kommt, bei denen die Religionsfreiheit auf
dem Prüfstand steht. Ich erinnere an die Debatten über
die Ladenschlusszeiten, die Kopftücher oder die Mo-
scheebauten. Die Bedeutung der werteprägenden Kraft
von Religion und Glauben für das soziale Miteinander
hebt Böckenförde in der oftmals zitierten Aussage her-
vor:
Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Vo-
raussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.
Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit
willen, eingegangen ist.
Diese Voraussetzungen liegen eben auch in einer
Werteorientierung, die von Religion und Glauben ge-
prägt sind. Unser demokratisches Gemeinwesen nimmt
Religions- und Glaubensgemeinschaften nicht etwa billi-
gend in Kauf. Sie sind vielmehr eine Voraussetzung für
das Zusammenleben. So weit der Blick auf unser Land.
Die Topografie der Verfolgung religiöser Minder-
heiten ist hier an vielen Beispielen aus der Welt konkre-
tisiert worden. Ich möchte zwei Beispiele anfügen:
Kürzlich bin ich darauf aufmerksam gemacht worden,
dass insbesondere in Belarus aufgrund der Sonderstel-
lung der russisch-orthodoxen Kirchen andere Religions-
gemeinschaften durch eine repressive Politik und ent-
sprechende Maßnahmen kriminalisiert und in die
Defensive getrieben werden.
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Noch etwas möchte ich ausdrücklich ansprechen: Na-
ürlich ist die Religionsfreiheit im positiven Sinne ein
ostbares Gut. Aber dazu gehört auch die Freiheit, die
eligion zu wechseln sowie keiner anzugehören. Es ist
amit aber auch die Freiheit verbunden, sich kritisch zu
esonderen religiösen Auffassungen zu äußern; denn
icht nur Gläubige werden in manchen Ländern erpresst,
elästigt und bedroht. Gleiches gilt für Atheisten und
ritiker. Es gibt Länder, in denen nicht nur Andersgläu-
ige, sondern eben auch Kritiker und Atheisten bedroht
ind. Da wird das Spannungsverhältnis zwischen positi-
er Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit deutlich.
Wir werden uns – das sage ich abschließend – in den
usschüssen mit den Anträgen auseinandersetzen.
eine Fraktion wird sich mit einem eigenen Antrag an
ieser Debatte beteiligen. Ich möchte an einen Gedanken
rinnern, den Hans Küng in seinen Ausdeutungen des
eltethos formuliert hat: Was sind die Bedingungen für
en Frieden? Kurz zusammengefasst stellt er fest: Die
edingungen für den Frieden setzen einen Dialog der
ulturen voraus. Ein Dialog der Kulturen ist nur mög-
ich, wenn es auch zu einem Dialog der Religionen
ommt. Dieser Dialog – wie auch der Dialog der Reli-
ionen – setzt den Respekt vor den Überzeugungen der
nderen voraus.
Herzlichen Dank.
Dr. Stefan Ruppert erhält das Wort für die FDP-Frak-ion.
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5600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich freue mich, dass wir an so prominenter Stelle
ein so wichtiges Thema wie die Religionsfreiheit, die
wir weltweit schützen wollen, behandeln. Ich glaube, der
Erfolg deutscher Außenpolitik wird davon abhängen,
dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen. Die Ge-
schichte von der linearen Säkularisierung in Deutsch-
land und weltweit – dabei geht es um den Bedeutungs-
verlust der Religionen –, die bisweilen erzählt wird, ist
meiner Meinung nach so nicht richtig.
Immer noch – als protestantischer Christ sage ich:
zum Glück – bewegt Religion viele Menschen. Religion
ist in der Lage, Emotionalität und Verhalten entschei-
dend zu beeinflussen. Deswegen ist die Globalisierung
kein rein ökonomischer Prozess, sondern der Erfolg der
Globalisierung wird auch davon abhängen, welchen
Respekt wir Religionen bzw. religiösen Überzeugungen
und dem religiösen Miteinander weltweit zollen.
Meine Oma, die ich sehr schätze, sagt häufig – – Viel-
leicht sieht sie mich an dieser Stelle.
Ich will sie jetzt nicht grüßen. Aber sie sagt häufig – –
Aber Sie hätten doch sicher keine Einwände, wenn
ich im Namen des Deutschen Bundestages herzliche
Grüße übermitteln würde.
Ich danke dem Präsidenten. – Meine Großmutter – sie
ist eine tolerante und weltoffene Frau, deshalb meint sie
es eigentlich nicht so, wie sie es sagt – sagt als über-
zeugte Lutheranerin aus Frankfurt: Der guckt schon so
katholisch. An diesem Sprachgebrauch sieht man, dass
das Gegeneinander von Konfessionen bisweilen bis weit
in das letzte Jahrhundert hinein sehr wirksam war. Wir
müssen den religiösen Dialog, den Respekt und die Tole-
ranz in Deutschland und weltweit pflegen. Das ist eine
Arbeit, die jeden Tag geleistet werden muss.
Ich glaube auch nicht, dass es das Gegeneinander,
das hier bisweilen im Raum stand, gibt. Es ist kein Ge-
gensatz, auf der einen Seite auf die Situation von ver-
folgten Christen weltweit aufmerksam zu machen und
auf der anderen Seite religiöse Toleranz gegenüber allen
Religionen und religiöse Toleranz, auch nichts zu glau-
ben, zu fordern. Dieser Gegensatz wurde hier bisweilen
konstruiert. Wir weisen auf die Verfolgung der Christen
hin und sagen, dass viele Hundert Millionen Menschen
weltweit bedroht sind. Wir kämpfen aber auch für Welt-
offenheit und Toleranz gegenüber allen Religionen.
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Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
st die Kollegin Ute Granold für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Amnde dieser Debatte brauche ich vieles von dem, das ichier sagen wollte, gar nicht mehr zu erwähnen, da es be-eits besprochen wurde. Lassen Sie mich ganz kurz aufinige Punkte eingehen. In einer Presseerklärung steht,ass der Menschenrechtsbeauftragte von missio Deutsch-nd, Dr. Oehring – er ist heute auch anwesend –, gesagtat, er finde es sehr gut, dass zu prominenter Zeit eineebatte über die Religionsfreiheit weltweit stattfindet,ei der wahrscheinlich wortgewaltige Reden gehaltenerden. Aber was kommt danach? Den Worten müssenaten folgen.Ich denke, als ein Land, in dem Religionsfreiheit be-teht, haben wir den Auftrag, den Menschen in Not, undwar unabhängig davon, welcher Religion sie angehö-en, zu helfen. Diesem Auftrag sind wir auch bislangachgekommen. Wir haben – Kollege Strässer und auchndere haben es vorhin angedeutet – im Jahr 1999 überine Große Anfrage der Union zur Religionsfreiheit, zuen christlichen Minderheiten, zur Christenverfolgungebattiert. Wir haben dann in der Großen Koalition einenemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht. Nun liegter Antrag der christlich-liberalen Koalition vor. Mittler-eile haben wir schon einiges umgesetzt.Wenn Sie, Herr Kollege Koenigs und Herr Beck, im-er wieder auf Deutschland und Europa zurückkommennd da die großen Probleme sehen – zum Beispiel christ-iche Fundamentalisten? – dann haben Sie ein etwas ver-ischtes Bild. Ich finde das sehr bedauerlich.
ir leben hier auf der Basis der Werte des christlichenbendlandes. Ich nehme mir sehr wohl das Recht he-aus, als Katholikin – gerade wurden die Protestantenenannt – dort in der Welt, wo die Christen unterdrückterden, den Finger in die Wunde zu legen. Eine Reli-ion wie zum Beispiel der Islam muss sich auch daranessen lassen, wie sie sich da verhält, wo sie eine Min-erheit ist, beispielsweise in Europa, in Deutschland,nd wie sie sich da verhält, wo sie in der Mehrheit ist;ch denke hier zum Beispiel an die Türkei oder den Iran.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5601
Ute Granold
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Wir haben in unserem Antrag natürlich die Bahai unddie Muslime angesprochen. Ich würde Sie bitten, dassSie den Antrag noch einmal lesen.
Es geht auch nicht darum, dass wir irgendeine Religionbevorzugt herausheben oder überhaupt nicht erwähnen,
sondern es geht darum, dass wir jedem seine Religion in-dividuell lassen, dass jeder die Möglichkeit hat, seineReligion in der Gemeinschaft zu leben. Die Freiheit,keine Religion zu haben, oder auch die Möglichkeit, eineReligion zu wechseln, sind vielerorts nicht gegeben.Denken wir an Ägypten, den Iran und viele andere mehr.Selbstverständlich kümmern wir uns auch um all dies.Dieses Kümmern möchte ich ansprechen. Welche Mög-lichkeiten haben wir, unseren bedrängten christlichenGlaubensbrüdern und -schwestern, aber auch anderen invielen Regionen dieser Welt zu helfen? Orissa in Indienwurde angesprochen. Wir haben Gäste aus Orissa, undder Kollege Kober und ich waren vor Ort. Dort sind dieChristen massiv verfolgt worden; auch heute noch be-steht eine ganz furchtbare Situation. Der Bundesstaatkommt nicht in die Gänge, um die schlimmen Verbre-chen aufzuarbeiten, die 2008 geschehen sind. Heute sindnoch viele unter prekären Verhältnissen auf der Flucht.Wir haben mit den Christen dort gesprochen. Sie warenso froh, dass es eine Solidarität im Glauben gibt, dasswir aus dem fernen Europa gekommen sind, um gemein-sam Gottesdienst zu feiern und Solidarität zu zeigen. Esist den Menschen sehr viel wert, Öffentlichkeit zu schaf-fen. Wir haben es versprochen und dann im Ausschussberaten. Wir haben mit den Botschaftern gesprochen.Ich möchte aber auch erwähnen, dass wir in Gujaratwaren. Das liegt in Westindien und ist einer der reichstenBundesstaaten Indiens. Dort wurden 2 000 Muslime um-gebracht. Die dortige Regierung war in dieses Massakerinvolviert. Auch das muss aufgearbeitet werden.Wir kümmern uns im Besonderen um die Christen –das stimmt. Ich denke an die Aktion damals, als wir denFlüchtlingen aus dem Irak helfen wollten, die zum größ-ten Teil nach Syrien oder Jordanien geflüchtet waren undmeist keine Möglichkeit hatten, in den Irak zurückzu-kehren. Diese Flüchtlinge sagten: Wir rennen um unserLeben. Davon hat uns etwa eine junge Mutter berichtet,die sagte: Wir möchten irgendwohin, nur nicht zurück inden Irak, weil wir nicht wissen, ob wir da am Leben blei-ben werden.Wir richten hier einen Fokus auf die Christen, weil An-gehörige anderer Religionen, die verfolgt werden – auchMuslime –, Rückzugsmöglichkeiten im arabischen Raumhaben, die Christen aber nicht. Deshalb galt unser Au-genmerk auch im Zusammenhang mit dem Irak denchristlichen Religionsgemeinschaften. Bis zum heutigenTage konnten 1 569 Angehörige religiöser Minderheitenvon den 2 500 irakischen Flüchtlingen nach Deutschlandkommen. Ich denke, das ist eine gute Sache; hier warDFmdmrnstGedrdmUegdwzdDOawkMSPfsssndgSF4
Kelber, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDBrennelementesteuer – Windfall Profits derAtomwirtschaft abschöpfen– Drucksache 17/2410 –
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5602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SylviaKotting-Uhl, Lisa Paus, Bärbel Höhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAtomkosten anlasten – Brennelementesteuerjetzt einführen– Drucksache 17/2425 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstdie Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! 2009 hat der damalige BundesumweltministerGabriel das erste Mal von einer Brennelementesteuer ge-sprochen, in dem Ansinnen, auch die Energieversorger,die Atommeiler betreiben, an den Kosten, die die Atom-energie verursacht, zu beteiligen. Gestern ist das WortBrennelementesteuer im schwarz-gelben Kabinett ange-kommen.
Die Steuer ist im Rahmen des Sparpaketes als Erbringervon 2,3 Milliarden Euro pro Jahr angelegt. Leider gibt eswenig Inhaltliches zu vermelden. Ich habe das Gefühl,dass kein Konzept hinterlegt ist. Deswegen möchten wirmit unserem Antrag das Wort ein wenig mit Inhalt fül-len. Wir wären froh und dankbar, wenn Sie zu unser allerNutzen die Inhalte übernehmen würden.
Im Jahre 2000 wurde der Atomausstieg vereinbart,der im Jahr 2021 abgeschlossen sein wird. Seit 2000 hatsich die Energieversorgung in unserem Land allerdingsgravierend geändert. Die Kosten für die sichere Lage-rung radioaktiver Abfälle und die Sanierungskosten ha-ben sich seither vervielfacht. Wir alle wissen nicht, obdie Rückstellungen, die von den Atomkraftwerksbetrei-bern gebildet werden, ausreichen werden. Kosten, dienicht von den Verursachern getragen werden, muss derSteuerzahler tragen. Das Bundesumweltministeriumrechnet alleine für die Sanierung von Asse II und Mors-leben mit Kosten in Höhe von 7,7 Milliarden Euro.Die Atomenergiewirtschaft ist begünstigt, da sie keineCO2-Zertifikate kaufen muss. Da sie keine CO2-Schad-stoffe ausstößt – in der Wertschöpfungskette schon, aberngseeeeJ1–Me1ddbfGbpsblmbfIJnLbgsdDcb
Eine derartige Steuer wird keine Auswirkungen aufen Strompreis haben. Denn er entsteht an der Strom-örse und richtet sich nach den Grenzkosten des letztenossilen Kraftwerkes. Die Atomenergie ist für denrundlaststrom zuständig. Das heißt, sie ist davon nichtetroffen.Wir haben im Hinblick auf die Höhe der von uns ge-lanten Steuer aus den Zertifikatspreisen eine Preis-panne errechnet. Sie soll 2,5 Cent pro Kilowattstundeetragen. Wir brauchen allerdings noch 0,6 Cent pro Ki-owattstunde für die Altlasten, die wir auch finanzierenüssen.Die Brennelementesteuer ist eine Steuer auf den Ver-rauch von Brennelementen. Sie ist europarechtskon-orm.
n Schweden gibt es sie in ähnlicher Form seit den 80er-ahren. Daran hat sich nie jemand gestört. Es hat auchie jemand ihre Abschaffung verlangt.Die Brennelementesteuer ist unabhängig von eineraufzeitverlängerung – im Gegenteil. Sie wurde im Hin-lick auf Laufzeiten bis 2021 berechnet. Ich denke, län-er müssen die Laufzeiten der Atomkraftwerke in die-em Land auch nicht sein. Wir dürfen diesem Landurch alte Reaktoren nicht noch mehr Risiken zumuten.
as würde in der Konsequenz übrigens eine beträchtli-he Erhöhung der Steuer nach sich ziehen.Wir fordern die Bundesregierung zu Folgendem auf:Erstens. An den Laufzeiten, die im Jahr 2000 verein-art wurden, muss festgehalten werden.
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Ingrid Arndt-Brauer
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Zweitens. Eine Verbrauchsteuer auf die Spaltung vonKernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung vonElektrizität, also eine Brennelementesteuer, muss einge-führt werden.Drittens. Der Tarif der Brennelementesteuer wird an-fänglich, umgerechnet auf die erzeugte Elektrizitäts-menge, 3,1 Cent je Kilowattstunde betragen.Viertens. Alle zwei Jahre fordern wir von der Bundes-regierung einen Bericht über die Entwicklung der Kos-ten der Kernenergie bzw. über die Auswirkungen, die dieErhebung der Brennelementesteuer auf die Ertragsteuer-einnahmen der Gebietskörperschaften hat. Es muss na-türlich einen fairen Bund-Länder-Ausgleich geben. Eskann nicht sein, dass die Gewinne der Atommeiler durchdiese Steuer verringert werden, wodurch in den Ländernweniger Steuereinnahmen anfallen würden. Hier musses, wie gesagt, einen Ausgleich geben. Das ist allerdingszu machen.Fünftens bitten wir die Bundesregierung, auf europäi-scher Ebene einen Anstoß zu geben und auch die Betrei-ber von Atomkraftwerken im restlichen Europa zurFinanzierung der Kosten der Atomenergienutzung he-ranzuziehen, damit wir bei der Energiebesteuerung inEuropa eine Harmonisierung hinbekommen.Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, dieses Vorhabenzu unterstützen, diese Steuer einzuführen und im Sinneder zukünftigen Generationen eine verantwortungsvollePolitik zu machen. Sie sprechen ja immer von nachhalti-gem Wachstum. Ich sage Ihnen: Wachsende Nachhaltig-keit sollte die Maxime sein. Dazu möchte ich Sie auffor-dern.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie habenvöllig recht: Die Bundesregierung hat gestern beschlos-sen, dass ab dem 1. Januar 2011 für die Betreiber vonKernkraftwerken in Deutschland eine Steuer auf den Ver-brauch von Brennstäben eingeführt wird. Diese Brenn-elementesteuer bringt dem Bund jährlich 2,3 MilliardenEuro Steuereinnahmen und wird für den Schuldenabbauim Rahmen des Sparpakets genutzt. Wir halten dieseSteuer aus ökologischen und ökonomischen Gründen fürrichtig und zielführend.
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Ihnen steckt die Niederlage beim Fußball noch in dennochen. Bleiben Sie gelassen! Lassen Sie uns dashema sehr präzise diskutieren.Sie hatten unter Rot-Grün sieben Jahre dazu Zeit.undesumweltminister Trittin hatte erst mit Herrnafontaine und dann mit Herrn Eichel als Finanzministereit, das Thema anzustoßen, möglicherweise sogar imahmen der Laufzeitverkürzung festzulegen, die Sie000 beschlossen haben. Dann hatten Sie in der Großenoalition beide Ressorts. Herr Gabriel, Ihr Parteivorsit-ender, der jetzt schlaue Vorschläge macht, hatte mit Fi-anzminister Steinbrück vier Jahre Zeit, das Thema zuiskutieren und voranzubringen. Sie haben es nicht ge-an. Heute machen Sie schlaue Vorschläge. Das geht freiach Goethe: Man spürt die Absicht. Man ist verstimmt.
Wir halten es für richtig, diese Brennelementesteuerinzuführen, denn die Kernenergie ist eben nicht vomO2-Emissionshandel betroffen und somit gegenüber an-eren Energieträgern bevorzugt. Wir halten das auch fürichtig, weil gerade die Kosten für Endlagerung und füren Rückbau der Kernkraftwerke im Wesentlichen vomteuerzahler in Deutschland getragen werden. Wir haltenas für richtig, weil der Strommarkt mehr Chancen-leichheit braucht und gerade die großen vier nationalentromversorger hier einen Wettbewerbsvorteil gegenüberielen kleinen und mittelständischen Stromanbietern ha-en. Auch hier wollen wir Chancengerechtigkeit undehr Wettbewerb.Wir halten es für richtig, weil der Begriff „Steuer“ ir-eführend ist. Es handelt sich im Wesentlichen nämlichicht um eine Steuer, sondern um einen Subventionsab-au. Auch das ist Teil des Sparpakets. Deshalb sagenir: Es werden die wirtschaftlichen Vorteile der Kern-nergie reduziert und zusätzliche Anreize für regenera-ive Energien geschaffen. Das ist in den kommendenahren der richtige Weg.
Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke hängtatürlich politisch mit diesem Thema zusammen; dasissen wir alle. Aber formal sagen wir sehr klar, dass dieinführung der Brennelementesteuer im Rahmen desparpakets damit nicht direkt im Zusammenhang steht.ie Bundesregierung wird zu dem Gesamtthema imerbst ein Energiekonzept vorlegen. Dabei geht es im
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5604 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Frank Steffel
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Wesentlichen um das Ziel, unseren Energiebedarf aus re-generativen Energien zu decken, und um die Frage, wielange wir die Kernkraft als Brückentechnologie noch be-nötigen, nicht mehr und nicht weniger.Das Ziel ist es, den Energiebedarf der Deutschen soschnell wie möglich aus regenerativen Energien zu ak-zeptablen Preisen zu decken. Wir werden mit einem ge-schlossenen Energiekonzept das Zeitalter der regenera-tiven Energien vorbereiten. Deshalb freut es uns, dassuns die Opposition, sowohl die Grünen als auch die So-zialdemokraten, in ihren Anträgen grundsätzlich zu-stimmt und wir die Details in den Beratungen im Herbstsicherlich gemeinsam erarbeiten werden.Die heutige Debatte zeigt aber auch etwas anderes. Dieheutige Debatte zeigt, dass die bürgerlich-liberale Bun-desregierung mit dem Sparpaket die richtigen Schwer-punkte setzt. Wir werden innerhalb von nur zwei Jahrendie Ausgaben von 319 Milliarden Euro auf 301 Milliar-den Euro senken und die Vorgaben der Schuldenbremsedes Grundgesetzes einhalten. Das ist wirklich eine großepolitische Leistung in schwierigen Zeiten.
Wir werden – auch dazu bekennen wir uns – Subven-tionen abbauen. So wie wir das beim heutigen Thematun, werden wir das auch in anderen Bereichen tun.Gleichzeitig werden wir den Staat durch Stellenabbaudauerhaft effizienter und schlanker machen. Auch das istdie erklärte Politik und richtige Prioritätensetzung dieserbürgerlich-liberalen Bundesregierung.Wir werden keine Steuern erhöhen, während sich ei-nige jeden Tag mit immer wieder neuen Vorschlägenselbst übertreffen. Wir sind der Auffassung, dass sichArbeit und Leistungsbereitschaft gerade für die Bezieherkleiner und mittlerer Einkommen in Deutschland weiter-hin lohnen müssen.
Wir werden das alles tun und die im Grundgesetz ver-ankerte Schuldenbremse einhalten, und trotzdem werdenwir in den kommenden Jahren 12 Milliarden Euro mehrfür Bildung und Forschung ausgeben. Auch das ist einerichtige Schwerpunktsetzung für die Zukunft unseresLandes und insbesondere für die Zukunft unserer Kin-der.
Insofern zeigen die heutige Debatte und die Debatten derletzten Wochen, dass wir mit dem Sparpaket der Bundes-regierung zum einen verantwortungsvoll mit der Zukunftunserer Kinder und zum anderen verantwortungsvoll mitunseren Ressourcen umgehen.Mein Eindruck ist, dass wir uns in der heutigen De-batte in sehr vielen Punkten einig sind. Einigen Detailsin Ihren Anträgen können wir nicht zustimmen, weil wirsie auch für übereilt halten, beispielsweise die Fixierungauf einen konkreten Centbetrag zum gegenwärtigenZeitpunkt, da die Ausarbeitung in den zuständigenMinisterien noch vor uns liegt.–lhguuWruDnüElzAGtSZrddzsEgKbdkesWSl
Es ist ja gut, dass Sie immer dazwischenrufen, aberassen Sie mich meine Gedanken vortragen. Sie habeneute viel Redezeit beantragt: Nutzen Sie sie!Wir sind uns darin einig, dass die direkte Bevorzu-ung der Kernenergiewirtschaft beendet werden solltend die beantragte Brennelementesteuer ein richtigernd wichtiger Weg dafür ist.
ir sind uns einig, dass die Brennelementesteuer zielge-ichtet und ein wirksames Instrument ist, und wir sindns einig, dass wir bei den Beratungen im Herbst alleetails in Ruhe besprechen sollten. Denn es geht um ei-en wichtigen Wirtschaftsbereich in Deutschland undbrigens auch um die Frage, wie sich die Strom- undnergiepreise in Deutschland aufgrund des internationa-en Wettbewerbs in den kommenden Jahren und Jahr-ehnten entwickeln werden.Insofern freuen wir uns, dass Sie uns heute mit Ihrennträgen die Gelegenheit geben, noch einmal auf diesenesamtzusammenhang hinzuweisen. Für uns ist es wich-ig, dass die Menschen in Deutschland wissen: Mit demparpaket setzen wir die richtigen Schwerpunkte für dieukunft. In der Energiepolitik wollen wir in ein Zeitalteregenerativer Energien eintreten. – Wir wissen aller-ings, dass die Kernenergie als Brückentechnologie inen kommenden Jahren unverzichtbar dafür ist. Auch dasu sagen gehört zur Wahrheit, gehört zum Wirtschafts-tandort Deutschland, und vor allen Dingen gehört es zurhrlichkeit in der Politik, die ich uns allen in diesen Ta-en empfehle.Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Ulrich
elber das Wort.
Ich freue mich auf die Zwischenrufe, die ich zu hörenekommen werde, Herr Kollege.Herr Steffel, der Versuch der Geschichtsklitterung,en Sie gemacht haben, kann nicht eine Stunde lang un-ommentiert bleiben.Sie haben uns als Sozialdemokraten gefragt, warums noch keine Brennelementesteuer gibt. Sie sind ja ersteit Oktober letzten Jahres Kollege in diesem Haus.ahrscheinlich ist Ihnen deswegen entgangen, dass diePD in der Koalition von CDU/CSU und SPD in deretzten Legislaturperiode den Vorschlag einer Brennele-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5605
Ulrich Kelber
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mentesteuer gemacht hat, den die Mitglieder Ihrer Frak-tion in der Bundesregierung abgelehnt haben.Das war der erste Teil der Antwort.
Der zweite Teil. Sie haben mich gefragt, warum in derZeit von Rot-Grün keine Brennelementesteuer einge-führt wurde. Die Antwort haben Sie sich eigentlich sel-ber gegeben, ohne es zu bemerken. Sie haben gesagt, Siewollen, wie wir, die Zusatzgewinne der Atomwirtschaftaus dem Emissionshandel mit einer Brennelemente-steuer abschöpfen. Die rot-grüne Koalition hat bis 2005regiert. Erst seit diesem Jahr gibt es den Emissionshan-del.Bitte lassen Sie die Geschichtsklitterung und infor-mieren Sie sich vorher.
Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke ist
die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Durch eine leere Haushaltskasse werden manchmalWunder bewirkt. Es wurde anscheinend nämlich das er-reicht, was die Bundesregierung und auch die vorherigenRegierungen stets abgewiesen haben: die Einführung ei-ner Brennelementesteuer zur Abschöpfung der Extrage-winne der Atomwirtschaft aus dem Emissionshandel.Wir, die Linke, haben das in jeder Haushaltsberatung ge-fordert. Das wurde aber immer abgewiesen. Jetzt liegenentsprechende Anträge von SPD und Grünen vor, undauch die Bundesregierung wünscht sich das. Aber lieberjetzt als nie. Schließlich wird mit einer Brennelemente-steuer ein unhaltbarer Zustand beendet, nämlich der,dass die Atomindustrie zusätzlich subventioniert wird,und zwar seit 2005 irrwitzigerweise durch ein vermeint-lich umweltpolitisches Instrument, den Emissionshan-del.Wie funktioniert das? Wir wissen, Unternehmen er-halten CO2-Zertifikate zum großen Teil kostenlos, einTeil wird gehandelt. Durch den Emissionshandel steigtder Großhandelspreis an der Strombörse; denn die Be-treiber von Kohlekraftwerken schlagen den Handelspreisder CO2-Zertifikate auf den Strompreis auf. Dass sie dieZertifikate bislang geschenkt bekommen haben und soMilliarden an Extraprofiten einfahren, halte ich für einengroßen Skandal.
Wenigstens ab 2013 müssen die Kohlekraftwerke dieEmissionsrechte ersteigern. Dann endlich könnte derEmissionshandel von einer Gelddruckmaschine zu ei-nem Klimaschutzinstrument werden.Der zweite Skandal ist der, um den es sich hier heutedreht: Der höhere Handelspreis für Strom nützt auch derAdbjbaizcfsdlBKdkuDpuDlfgeBtEnBgNwbtBcddDlBetpg
as Öko-Institut schätzt die leistungslosen Extraprofitero Jahr für die Atomsparten von RWE, Eon, Vattenfallnd EnBW auf insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro.iese Summe kommt noch obendrauf auf jene 125 Mil-iarden Euro Finanzhilfen und Steuervergünstigungenür die Atomabenteuer, die insgesamt von 1950 bis 2008eflossen sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht fürinen unverzüglichen Atomausstieg.
is dieser vollzogen ist, muss jedoch eine Brennelemen-esteuer die Extragewinne der Atomkonzerne aus demmissionshandel abschöpfen. Es geht also ausdrücklichicht um einen Handel „Laufzeitverlängerung gegenrennelementesteuer“, wie es zum Beispiel Herr Kauderestern im Morgenmagazin zusammenbastelte.
ein, es geht nicht um eine solche Verbindung.Allerdings müssten auch schnellstens jene Extrage-inne kassiert werden, die die Kohlekraftwerksbetrei-er bis 2012 aus dem Emissionshandel ziehen. Ansons-en könnten Böswillige tatsächlich von einerevorteilung der Kohle gegenüber der Atomkraft spre-hen. Unbeachtet bleibt ja weiterhin, dass bis 2012 auchie Kohlekraftwerksbetreiber Windfall-Profits haben;enn sie bekommen bis dahin ihre Zertifikate geschenkt.as spült ihnen – je nach Zertifikatspreis – 2 bis 3 Mil-iarden Euro pro Jahr in die Kassen. Diesen gewaltigenrocken könnte der Bundesfinanzminister auch gerneinsammeln. Dann bräuchte er nicht an die Sozialleis-ungen heranzugehen. Aber dafür fehlt offensichtlich derolitische Wille.
Zurück zur Brennelementesteuer. Was die Höhe an-eht, so sollten zusätzlich zu den Emissionshandelsge-
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5606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Eva Bulling-Schröter
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winnen auch jene Kosten berücksichtigt werden, die fürdie Altlastensanierung auflaufen. Die BruchbudenAsse und Morsleben sind zu einem gehörigen Teil durchwestdeutsche AKWs bestückt worden.
Dafür haben sie nur Peanuts bezahlt. Darum ist jetzt einNachschlag fällig.Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft,FÖS, hat zur Höhe der Steuer Vorschläge gemacht. Ichdenke, ein Steuersatz, der am Ende rund 3,5 Cent je Ki-lowattstunde Atomstrom entspricht, wäre durchaus an-gemessen. Das ergäbe zusätzliche Haushaltseinnahmenvon knapp 5 Milliarden Euro jährlich,
also mehr als das Doppelte dessen, was dem Finanzmi-nister vorschwebt.Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungenkürzen – über den tollen Sparhaushalt wurde bereits dis-kutiert –: Stattdessen geht es immer nur um eine Umver-teilung von unten nach oben. Es werden die Ärmstensein, die durch diesen Sparhaushalt bluten müssen, stattdiejenigen, die die Profite einfahren.
Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungenkürzen – das wäre zukunftsfähige Finanzpolitik.
Es wird immer gesagt, das gehe nicht, das sei nicht EU-kompatibel. Finnland und Schweden machen uns abervor, dass eine vergleichbare Steuer möglich ist.
Die Argumente, das alles sei nach EU-Recht nicht mög-lich, sind also vorgeschoben. Ich meine, Herr Schäublesollte jetzt handeln.Ich komme zum Schluss. Wir haben gestern im Um-weltausschuss sehr intensiv darüber diskutiert. An derSitzung hat auch ein Vorstandsmitglied von RWE teilge-nommen. Nach dem, was er sagt, könnte man meinen,sie wären sehr arm: Wenn sie eine Brennelementesteuerzahlen müssten, dann seien sie nicht mehr börsenfähig.Dabei werden enorme Gewinne erzielt, wie wir in denBörsenblättern lesen können.Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, re-den immer davon, dass der Verbraucher mehr bezahlenmuss. Wir wollen an die Gewinne dieser großen Kon-zerne heran. Das ist sozial, und es ist ökologisch.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, wasrau Bulling-Schröter am Ende ihrer Rede gesagt hat,ollen wir alle: Wir wollen an die Gewinne der Atom-irtschaft heran und einen Teil davon dem Haushalt zu-ühren.
Wenn die Opposition ein laufendes Gesetzesvorhabener Bundesregierung begrüßt und sogar noch beschleu-igen will, dann frage ich mich, was dahintersteckt.enn SPD und Grüne die Chance auf eine zusätzlicheinnahme wittern, dann löst das sofort den Reflex aus,estzulegen, wofür diese zusätzlichen Mittel konkretusgegeben werden sollen. Sie wissen aber genauso gutie ich, dass Steuereinnahmen nicht per se zweckgebun-en sind, sondern in den allgemeinen Haushalt fließen.
o werden der Soli nicht für den Aufbau Ost, die Öko-teuer nicht für die Umwelt und die Brennelemente-teuer nicht automatisch zur Finanzierung der Folgekos-en der Atomwirtschaft verwendet, sondern sie dienenrimär der Haushaltskonsolidierung.
Seit 1999 sind unter der Verantwortung von SPD-Fi-anzministern über 300 Milliarden Euro zusätzlichechulden aufgenommen worden. Die Euro-Krise hat ge-eigt, welche verheerenden Auswirkungen Staatsdefi-ite auf die Stabilität der Währung und auf die Stabilitätanzer Staaten haben.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesamtpa-et zur Haushaltskonsolidierung inklusive der Brennele-entesteuer in Höhe von beachtlichen 82 Milliardenuro bis 2014 ist das größte Sparpaket in der Geschichteeutschlands und bezieht alle mit ein:
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5607
Dr. Birgit Reinemund
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den Finanzsektor, die Wirtschaft, die öffentliche Verwal-tung und den Sozialbereich, und zwar ausgewogen undmaßvoll. Erstmals werden jetzt die Staatsausgaben realgesenkt: von 320 Milliarden Euro in diesem Jahr auf301 Milliarden innerhalb der nächsten zwei Jahre.Unser erklärtes Ziel ist es, die Neuverschuldung zu-rückzuführen, die im Grundgesetz verankerte Schulden-bremse einzuhalten, die Maastricht-Kriterien wieder ein-zuhalten sowie dem G-20-Beschluss Rechnung zu tragenund das Staatsdefizit zu halbieren. Dazu muss geradeauch die Atomwirtschaft ihren Beitrag leisten, besondersvor dem Hintergrund, dass sie in der Vergangenheitenorme Kosten für den Bundeshaushalt verursacht hat
und auch in Zukunft verursachen wird, zum Beispiel fürdie Sanierung von Asse, wie es im Koalitionsvertragfestgelegt ist.In Verbindung mit der geplanten Laufzeitverlänge-rung kann die Abschöpfung von Zusatzgewinnen, dieSie alle wollen, deutlich höher ausfallen als die jetzt ein-geplanten 2,3 Milliarden Euro pro Jahr.
Ohne Zweifel wollen wir schnellstmöglich den Über-gang zu regenerativen Energien schaffen. Trotzdem istes – auf der Zeitschiene gesehen – notwendig, im Rah-men des kommenden Energiekonzepts Kernkraftwerkeals Brückentechnologie länger am Netz zu lassen. Wa-rum jetzt plötzlich die Eile? Sie hatten elf Jahre Zeit, dasThema anzugehen.
Das Vorhaben ist bereits auf den Weg gebracht. Statt Ih-rer Schnellschüsse und Vorfestlegungen, meine Damenund Herren von der SPD und den Grünen, gilt für diechristlich-liberale Koalition: Gründlichkeit vor Schnel-ligkeit.Das gesamte Sparpaket inklusive Einführung einerBrennelementesteuer hat das Kabinett gestern be-schlossen. Wir diskutieren derzeit über eine Steuer, de-ren konkrete Ausgestaltung mitten in der Prüfung ist.Viele Fragen sind dabei noch offen: Wie soll die Brenn-elementesteuer konkret ausgestaltet werden? Wird siebrutto oder netto erhoben? Gilt sie als Betriebsaus-gabe? Wie gehen wir mit den enormen Auswirkungenauf die Gewerbesteuer und damit auf die Einnahmen derStandortkommunen um?
Kann eine zusätzliche Energiesteuer EU-konform gestal-tet werden? – Das ist bei weitem nicht so klar, wie dieDamen der Opposition uns suggerieren wollen.
Hier erwarten wir kurzfristig eine Klärung des Finanz-ministeriums. Seit gestern gehen Überlegungen von Fi-ngzdmtusnlBhttFmtsBEAsLiZdalddhduSdWAdgSJuk
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ine Aussage aus dem Kabinett ist richtig, nämlich dieussage von Herrn Finanzminister Schäuble, von der erich leider inzwischen schon wieder distanziert hat:aufzeitverlängerung und Brennelementesteuer stehenn keinem Zusammenhang. – Sie dürfen auch in keinemusammenhang stehen. So ein Deal ist Mafiagebaren,as ist kein demokratisches Regierungshandeln.
Es ist auch nicht in Ordnung, der Bevölkerung die be-bsichtigte und nicht besonders geliebte Laufzeitver-ängerung – wir wissen: längere Laufzeiten verlängernas Risiko, vermehren den Müll und stehen dem Ausbauer erneuerbaren Energien im Weg – dadurch schmack-aft zu machen, dass man sagt: Dafür gibt es Geld vonen Konzernen,
nd das geben wir für euch aus. – All das ist unseriös.eriös ist, die Brennelementesteuer mit einer Begrün-ung zu erheben, wie wir sie in unserem Antrag geben.ir sagen: An die gesellschaftlichen Schulden, die dietomwirtschaft aufgehäuft hat, seit sie besteht – wir re-en von 150 Milliarden Euro –, wollen wir rückwirkendar nicht heran. Aber die 30 Milliarden Euro, die nachchätzung der jetzigen Bundesregierung in den nächstenahrzehnten durch Rückbau und Sanierung der Endlagernd der atomaren Forschungseinrichtungen auf uns zu-ommen, wollen wir nicht auch noch den Steuerzahle-
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Sylvia Kotting-Uhl
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rinnen und Steuerzahlern aufbürden. Die soll die Atom-wirtschaft selbst bezahlen. Dafür wollen wir dieBrennelementesteuer.
– Hätten Sie in Bezug auf Atomkraft in Ihrer Regie-rungszeit auch nur halb so viel vor, wie wir damals ge-macht haben, dann könnten wir mit Ihnen zufrieden sein.
– Die Verhältnisse haben sich geändert. Sie hätten vorhinHerrn Kelber zuhören sollen. Stellen Sie eine Zwischen-frage!
Herr Dr. Steffel, der Bundestag führt eine Brennele-mentesteuer ein, nicht das Kabinett, wenn ich Sie daranerinnern darf.
Was Sie gestern beschlossen haben, ist offensichtlich so-wieso irrelevant; denn bereits gestern haben wir völligandere Verlautbarungen gehört. Die Bundesregierunghat doch überhaupt nicht den Mut gegenüber der Atom-wirtschaft, diese Brennelementesteuer ohne das Gegen-geschenk der Laufzeitverlängerung einzuführen.
Die Atomwirtschaft verhandelt doch schon selber wiedermit, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen sieeine Steuer oder eine Abgabe zahlt.
Erzählen Sie doch nicht, was Sie beschlossen haben.Uns liegen heute zwei Anträge vor, einer der SPD undeiner der Grünen. Stimmen Sie den Anträgen zu! Dannhaben Sie eine anständige Begründung für die Brennele-mentesteuer und begeben sich nicht in ein vages, diffu-ses Feld irgendwelcher Deals, was mit seriöser Politiknichts mehr zu tun hat.
Wir fordern die Brennelementesteuer ohne Verbindungmit einer Laufzeitverlängerung.Sed2rgWrgrnmgwSIddnnuvDpdgumhnInSdCHhAhwhA
ir wissen ja, dass Sie da beratungsresistent sind. Hörenie aber auf Ihre eigenen Berater! Machen Sie, was diehnen empfehlen!Hören Sie mit diesem internen Regierungsstreit auf,er Ihre wenigen Ressourcen, die Sie ohnehin schonauernd mit Streitereien vergeuden, auch an dieser Stelleoch bindet. Konzentrieren Sie sich auf das, was ansteht,ämlich auf den Umstieg in der Energieversorgung,m nach 2020 so schnell wie möglich auf einen Anteilon 100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen.azu brauchen wir eine Flexibilisierung des Kraftwerks-arks, die Bereitstellung von Speichern und den Ausbauer Netze. Das haben wir gestern in der Anhörung alleemeinsam gehört. Hören Sie auf Ihre eigenen Berater!Wenn Sie darüber hinaus noch ein bisschen mehr tunnd einen Schritt der Vernunft gehen wollen, dann stim-en Sie heute einem der vorliegenden Anträge zu. Sieaben die Wahl zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grü-en. Unsere Anträge unterscheiden sich nur marginal.m Ziel – Brennelementesteuer ohne Verbindung mit ei-er Laufzeitverlängerung – unterscheiden sie sich nicht.timmen Sie einem dieser Anträge zu. Das wäre einerer ersten vernünftigen Schritte dieser Koalition.
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meineerren! Liebe Frau Kotting-Uhl, zunächst sage ich einerzliches Dankeschön für Ihren Antrag – auch für denntrag der SPD –, der uns wieder einmal die Gelegen-eit gibt, uns über die Energiepolitik und auch über dasichtige Thema der Kernenergie zu unterhalten.Lassen Sie mich vorweg auf einen der Punkte einge-en, der Ihnen ganz besonders wichtig ist und auch imntrag der SPD eine herausragende Stellung einnimmt,
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Thomas Bareiß
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nämlich auf die Frage: Brauchen wir eine Laufzeitver-längerung?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir die Lauf-zeitverlängerung brauchen und dass dies auch nicht imWiderspruch zum Ausbau der erneuerbaren Energiensteht,
sondern dass die erneuerbaren Energien in der Zukunftdadurch ergänzt werden.
Wir haben eine ambitionierte Ausbaustrategie. Bis2020 wollen wir einen Anteil von 30 Prozent erneuer-baren Energien erreichen. Mit diesem Ziel haben wirdas, was Sie in den letzten Jahren gefordert haben, nochgetoppt.
Bis 2050 wollen wir den Hauptanteil der Energie aus er-neuerbaren Energieträgern generieren.
Auf dieser Wegstrecke haben wir aber enorme Heraus-forderungen zu meistern. Dies müssen wir gemeinsamangehen.Ich nenne nur das Thema Netzausbau. Wie wollen Siegewährleisten, dass, wenn wir im Norden in Offshore-windparks 20 Gigawatt Leistung aufbauen und im Süden12 Gigawatt vom Netz nehmen, diese Strommenge überdie Riesendistanz von Norden nach Süden transferiertwird? Dazu müssen wir die Netze ausbauen. Das istdringend notwendig.
Herr Kollege Bareiß, ich muss Sie unterbrechen. Er-
lauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Ja, sehr gerne.
Bitte schön, Herr Fell.
Herr Kollege Bareiß, Sie haben gerade das Ziel der
Bundesregierung, bis 2020 30 Prozent des Stroms aus
erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen, als ambitio-
niert bezeichnet. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es
eine Unmenge von Studien und Angeboten gibt, nach
denen weit darüber hinausgegangen werden kann, wenn
man die heutige Wachstumsgeschwindigkeit der erneu-
erbaren Energien fortsetzt?
Schon vor Jahren hat der Bundesverband Erneuerbare
Energie der Bundesregierung angeboten, bis 2020 fast
50 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu er-
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Herr Fell, die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlter Glaube. Ich sage Ihnen ganz offen: Um die Trägerrneuerbarer Energien ans Netz zu bringen und in denarkt zu integrieren, brauchen wir zwei Dinge: einer-eits eine bessere Netzinfrastruktur, sowohl im Über-ragungs- als auch im Verteilungsnetzbereich, anderer-eits Speichertechnologie.Überall, wo man Netze ausbauen oder Speicher auf-auen will – beispielsweise den Schluchseespeicher imchwarzwald; man versucht dort, ein 1000-Megawatt-umpspeicherkraftwerk zu errichten –, gibt es vor Ortrüne Gruppen, die gegen diese Projekte demonstrieren.
ie behaupten, dass diese Projekte den Kernkraftausbauegünstigen. Das, was Sie hier sagen, passt nicht zuem, was Ihre Parteifreunde vor Ort machen. Diesen Wi-erspruch müssen Sie einmal auflösen.
Es gibt die Probleme mit dem Netzausbau, die ich ge-ade beschrieben habe. Ein weiterer wichtiger Bereichind die Speichertechnologien. Außerdem müssen wirie Frage beantworten, wie wir die erneuerbaren Ener-ien in den Wettbewerb bringen. Auch damit wird in denächsten Jahren eine ganz große Herausforderung ver-unden sein. Wenn ich mir das Ganze ernsthaft an-chaue, dann komme ich zu der Überzeugung, dass wiren von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus dertomenergie im Jahre 2022 leider nicht schaffen kön-en.
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5610 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Thomas Bareiß
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Ich bin davon überzeugt, dass wir ihn auch 2025 nichtschaffen werden.
Auch 2030 werden wir ihn wahrscheinlich nicht schaf-fen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Deshalbbrauchen wir die Laufzeitverlängerung. Ich sage Ihnen:Die Menschen wissen, dass wir die Laufzeitverlänge-rung brauchen,
weil wir diese Herausforderung nicht so bewältigen kön-nen, wie wir es wollten. Wenn Sie ganz ehrlich sind,dann stimmen Sie uns doch zu. Eigentlich sind Sie dank-bar, dass wir dieses Thema in den nächsten Monatenendlich anpacken.
Meine Damen und Herren, ich warne davor, dass wirauch in dieser Debatte irgendwelche Zahlenspielchenmachen. Die einen sagen: Wir brauchen vier bis achtJahre. Die anderen sagen: Wir brauchen 28 Jahre. Diebesonders Schlauen sagen: Richtig ist die goldene Mitte;wir brauchen 15 Jahre. Ich glaube, so vorzugehen, istkeine seriöse Energiepolitik.
Wir brauchen in den nächsten Monaten eine solide Da-tenbasis. Eine solche Basis werden wir Ende August be-kommen: Am 27. August erhalten wir die Szenarienbe-rechnungen der Institute. Dann muss aufgeschlüsseltsein, was in den nächsten Jahren technisch machbar ist
und an welchen Stellschrauben wir ansetzen müssen.Wenn wir wissen, was das kostet, müssen wir überlegen,wie wir diese Kosten decken können und welche gesetz-lichen Rahmenbedingungen notwendig sind. UnsereÜberlegungen werden wir dann in ein Energiekonzeptgießen. Das ist für mich eine verlässliche Politik in Sa-chen Energie. Ich glaube, es lohnt sich, sich im Herbstganz viel Zeit zu nehmen.Ich sehe jetzt die große Chance, die Laufzeitverlänge-rung, die ich für notwendig halte, zu gestalten. Damitsind viele Themen verbunden. In vielen Punkten kom-men wir sicherlich zueinander; manchmal werden wirvermutlich gegeneinander arbeiten.Ein Thema ist die Brennelementesteuer. Sie wird indiesem Zusammenhang eine große Rolle spielen. EineLaufzeitverlängerung wird es nicht zum Nulltarif geben.WegdEBAksG–KsfrlgahWDldlslegdSwgWzlwns
Auch ich bin damit nicht einverstanden, lieber Herrelber. – Wir müssen schauen, wie wir diese Mittel ver-tetigen. Ich sehe eine gute Chance, durch die Abschöp-ung von Zusatzgewinnen den Übergang in das regene-ative Zeitalter sinnvoll zu gestalten.Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die End-agerfrage klären. Ich bin dankbar, dass wir in der jetzi-en Koalition dieses Problem der Endlagerung endlichngehen. Sie haben das über Jahre verhindert,
aben dieses Thema aufs Abstellgleis geschoben.
ir packen es an.
as ist ein Schritt in die richtige Richtung: die Problemeösen und nicht ständig nur Hindernisse sehen.
Ein weiterer Punkt ist das Sicherheitskonzept. Auchas wird bei der Laufzeitverlängerung eine Rolle spie-en. Wenn wir die Kernreaktoren hier – sie gehörenchon heute zu den sichersten der Welt – länger laufenassen wollen, dann müssen wir den Anspruch, den wirh schon haben, noch einmal erhöhen und schauen: Woibt es Stellschrauben, mit deren Hilfe wir die Bedenkener Bevölkerung aufnehmen können? Wie können wiricherheit noch einmal neu und besser definieren? Dazuird es bis Ende Juli Vorschläge der Bundesregierungeben.
ir werden dann schauen, wie wir die konkret umset-en. Das muss im Gesamtpaket eine wichtige Rolle spie-en.Der letzte Punkt, liebe Frau Höhn, ist der Wettbe-erb, und er ist wichtig. Das nehmen wir gern von Ih-en auf. Auch ich mache mir Sorgen über die Oligopol-truktur im Strombereich. 60 Prozent des Strommarkts
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5611
Thomas Bareiß
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werden über die vier großen Energieversorgungsunter-nehmen gehandelt.
Wir wollen schauen, wie eine Laufzeitverlängerung dahineinspielt. Das müssen wir einmal untersuchen.
Darüber müssen wir sprechen.
Wir müssen schauen, welche Instrumente wir finden, umdie Oligopolstruktur für die Zukunft aufzuheben; dennein ganz großes Thema ist, den Wettbewerb im Strom-markt in den nächsten Jahren zu stärken, um stabilePreise für die Zukunft zu gewährleisten.Unsere Energiepolitik – ich glaube, das kann mannicht oft genug sagen – beruht auf drei Säulen. Wir wol-len sichere und verlässliche Energie für die Zukunft. Wirwollen vor allen Dingen saubere und klimafreundlicheEnergie für die Zukunft. Dabei spielt auch die Kernener-gie – das nur als Nebensatz – wegen der CO2-Freiheiteine ganz besondere Rolle. Wir wollen letztendlich einebezahlbare und – das sage ich ganz offen – günstigeEnergie, nicht nur für Großfamilien mit vielen Kindern,die auch einen entsprechend hohen Energieverbrauchhaben, sondern auch für die Industrie, weil sie für dieArbeitsplätze in Deutschland ganz wichtig ist. Auch dasist Kernbestandteil unserer Energiepolitik.
– Warten Sie es einmal ab!Uns wird im September von der Bundesregierung einEnergiekonzept vorgelegt. Das werden wir diskutieren.Dazu wird der Bundestag viele Entscheidungen treffenmüssen. Das werden wir also viel diskutieren. Wir ma-chen ein Energiekonzept aus einem Guss – ich glaube,das ist dringend notwendig –,
bei dem die Kernenergie eine Rolle spielt, bei dem aberder Ausbau der erneuerbaren Energien im Vordergrundsteht. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz für dienächsten Jahre.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Kaczmarek von
der SPD-Fraktion.
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eshalb führen wir keine ideologische Diskussion, son-ern eine sachliche Diskussion über die Lastenvertei-ung bei den ökologischen und gesellschaftlichen Kos-en der Atomenergie und über Wettbewerbsgleichheit.eswegen – das will ich noch einmal sagen – ist es keindeologischer Ballast, sondern vor allem eine ökonomi-che Notwendigkeit, über die wir heute Morgen disku-ieren.
Allerdings – bei aller Freude, dass die Koalition aufiese Linie eingeschwenkt ist – fehlt ihr offenbar dieinsicht in die Notwendigkeit dieser Steuer; denn zueutlich ist der Zusammenhang, der hier im Kontext vonparpaket und Laufzeitverlängerung für die Atom-raftwerke hergestellt wird. Die Bundesregierung willffensichtlich angesichts der dramatischen und vonahezu allen Kommentatoren festgestellten sozialenchieflage ihres Sparpaketes den Anschein erwecken,uch die Großen zu schröpfen und ihnen etwas abzuneh-
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5612 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Oliver Kaczmarek
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men für die Sanierung des Staatshaushaltes. In Wahrheitgeht es jedoch vor allem um die Akzeptanz für die Lauf-zeitverlängerung; denn die Atomenergie hat in Deutsch-land keinen guten Ruf. Sie wird von den Menschen ein-fach nicht akzeptiert. Das ist, wie der Umweltministerjüngst richtig festgestellt hat, auch nach 40 Jahren nochso. Es stellt sich langsam die Frage, warum wir über dasThema Laufzeitverlängerung jetzt diskutieren, wenndoch in den letzten 40 Jahren keine Akzeptanz bei denMenschen erreicht werden konnte.
Dennoch hat sich die derzeitige Regierungskoalitionvorgenommen, gegen den gesellschaftlichen Wider-stand die Laufzeiten für die 17 in Deutschland noch inBetrieb befindlichen Atomkraftwerke zu verlängern.Diesen Widerstand dagegen reden wir nicht herbei. Ihnkann man sehen. Jüngst konnte man ihn – ich glaube, eswar Ende April – bei einer Menschenkette mit mehr als100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischenden Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel be-obachten.Die sachlichen Erwägungen gegen eine Laufzeitver-längerung sind gestern im Umweltausschuss breit debat-tiert und von den Experten ausführlich dargestellt wor-den. Es ist noch einmal deutlich gemacht worden, dasswir hier nicht über eine absolut sichere und risikofreieTechnologie reden, sondern dass es Sicherheitsrisikengibt. Dies wird insbesondere bei den ältesten Atom-kraftwerken, deren Laufzeiten Sie verlängern wollen,deutlich: Das Atomkraftwerk Krümmel, 1983 in Betriebgenommen, hat seit 1994 82 sicherheitsrelevante Ereig-nisse gemeldet, Brunsbüttel, 1976 in Betrieb genommen,hat 80 und Biblis A, das älteste noch in Betrieb befindli-che Atomkraftwerk Deutschlands, hat 66 solcher Ereig-nisse gemeldet.Auch wenn die Anzahl der im Jahresdurchschnitt ge-meldeten Ereignisse gering erscheint – ich stelle mir dieFrage, ob es bei einer solchen Hochrisikotechnologie tat-sächlich eine Toleranzschwelle bei der Anzahl von Si-cherheitsereignissen geben kann –, so ist doch Fakt: DieStillstandszeiten sind in keinem anderen industriellenBereich so hoch wie in Atomkraftwerken. Fakt ist auch,dass sie mit längerer Lebensdauer eben nicht wenigerstör- und verschleißanfällig werden. Deswegen stellteine Laufzeitverlängerung natürlich ein Sicherheitsrisikodar. Zumindest verstößt sie gegen das Sicherheitsemp-finden der Menschen. Das sollten wir im DeutschenBundestag akzeptieren.
Die Brennelementesteuer darf deshalb aus unsererSicht nicht zum Alibi für eine Laufzeitverlängerung wer-den. Offensichtlich geht es der Bundesregierung auchdarum, sich nachlassende Sicherheit in den älterenAtomkraftwerken mit dem Geld aus der Brennelemente-steuer teuer bezahlen zu lassen. Aber ich sage auch ganzdeutlich: Diese Art von Ablasshandel für Biblis A undandere alte Reaktoren werden wir und vor allem dieMWNisrwdzmwDwnzdGeDUdDEfVuwntgSisbBhDms
Es ist deshalb mehr als nur Symbolik – es sei mir alsordrhein-Westfale erlaubt, das hier anzusprechen –, esst eine fundamentale energiepolitische und gesell-chaftspolitische Entscheidung, wenn die neue Landes-egierung von Nordrhein-Westfalen – ich bin sicher, sieird dafür nicht nur im nordrhein-westfälischen Landtagie Mehrheit bekommen, sondern auch die Unterstüt-ung der Menschen in Nordrhein-Westfalen – zusammenit anderen Bundesländern im Bundesrat dafür sorgenird, dass es keine Laufzeitverlängerung geben wird.as ist ein Akt der politischen Vernunft und der Verant-ortung und verdient Unterstützung.
Es ist dagegen unvernünftig, wenn die Koalition nunach Wegen sucht, den Bundesrat auf der Grundlageweifelhafter Gutachten zu umgehen. Es ist klar, dass sieamit einen neuen politischen und gesellschaftlichenroßkonflikt in dieser Republik mit allen Begleit-rscheinungen und Nebenwirkungen in Kauf nimmt.iesen Konflikt und die damit verbundene Unruhe undnsicherheit bei den Menschen zu riskieren, ist falsch iner Sache und stellt überdies eine Fehlkalkulation dar.enn selbst wenn sie es wollte – so können wir nach denrfahrungen der letzten Wochen und Monate sagen –,ehlte der jetzigen Regierungskoalition die Mehrheit imolk, im Bundesrat und vor allem die politische Klarheitnd Kraft, einen solchen Konflikt durchzustehen. Des-egen sollten Sie im eigenen Interesse davon Abstandehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erhalten die Un-erstützung auch unserer Fraktion, wenn Sie eine ernstemeinte Brennelementesteuer einführen wollen. Aberie werden den Widerstand nicht nur der Opposition hierm Haus, im Bundesrat oder vor dem Bundesverfas-ungsgericht, sondern vor allem in der gesamten Repu-lik, in Gorleben, in Lüchow-Dannenberg, in Ahaus,runsbüttel und anderswo erleben, wenn Sie dieses Vor-aben an eine Laufzeitverlängerung koppeln wollen.as ist so sicher, wie das Amen in der Kirche.Vielen Dank.
Herr Kollege Kaczmarek, ich gratuliere Ihnen im Na-en des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-chen Bundestag.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5613
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch vonder FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kaczmarek hat angesprochen, welche Großtaten die
neue nordrhein-westfälische Koalition in rot-grüner
Färbung vollbringen will. Ich habe mir gestern die Mühe
gemacht, in diesen Koalitionsvertrag hineinzuschauen.
Da wird die ganze Aberwitzigkeit Ihrer Klimapolitik
deutlich; denn wegen Ihres grünen Koalitionspartners
verzichten Sie auf das Kraftwerkserneuerungspro-
gramm. Die Grünen werden jetzt sagen: Prima.
Heimlich, still und leise steht im rot-grünen Koali-
tionsvertrag – zuerst dachte ich, es ist ein Druckfehler –,
dass Sie die CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2020 im
Vergleich zu 1990 verringern wollen. Man denkt: Tolle
Tat! Aber die alte Regierung wollte 33 Prozent, und im
Bund haben wir 40 Prozent vorgesehen. Das heißt, Rot-
Grün bedeutet weniger Klimaschutz in Nordrhein-West-
falen, das ist doch absurd.
Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höhn?
Ja.
Bitte, Frau Höhn.
Herr Kollege Kauch, können Sie bestätigen, dass sich
Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode in Nord-
rhein-Westfalen gegen jede Windkraftanlage gestellt
hat und dass sich dadurch die CO2-Reduktion in Nord-
rhein-Westfalen nicht gemindert hat? Sie sind massiv ge-
gen erneuerbare Energien vorgegangen. Können Sie be-
stätigen, dass unter Schwarz-Gelb in Nordrhein-
Westfalen die Kapazität der Kraftwerke enorm gestiegen
ist? Damit stand zwar die Zahl – eine Reduktion von
33 Prozent bis 2020 – auf dem Papier, aber in der Politik
ist das Gegenteil gemacht worden. Zu Ihrer Regierungs-
zeit sind die CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen
gestiegen und nicht gefallen. Wir haben Ihre Altlasten
jetzt abzutragen. Das ist die Wahrheit.
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Liebe Frau Höhn, Sie kennen ebenso wie ich die
nergieversorgungsstruktur in Nordrhein-Westfalen.
ir haben keine Kernkraftwerke, sondern wir haben vor
llem Kohlekraftwerke. In Nordrhein-Westfalen stehen
ie größten CO2-Schleudern Europas. Die Politik von
chwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen war immer:
iese Dreckschleudern müssen durch moderne Kraft-
erke ersetzt werden.
enau das verhindern Sie. Deshalb sind Sie diejenigen,
ie in Ihrem Koalitionsvertrag offenbaren, dass man mit
hrer Politik weniger CO2 einsparen kann als mit unserer
olitik.
m Übrigen, wenn man in Ihrem Koalitionsvertrag wei-
erliest, dann erfährt man, dass Sie keinen eigenen mü-
en Euro aus Ihrem Landeshaushalt dafür aufwenden
ollen, dass Klimaschutzprojekte auf den Weg gebracht
erden.
Zur Finanzierung Ihrer Klimaschutzprojekte heißt es
m Koalitionsvertrag: Der Bund muss quotiert 44 Pro-
ent der Emissionshandelserlöse an Nordrhein-Westfa-
en abgeben. Sie wollen nur Klimaschutz betreiben,
enn es der Bund bezahlt. Das ist Ihr Versagen in Nord-
hein-Westfalen. Davon können Sie nicht ablenken.
Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine weitere Zwi-
chenfrage des Kollegen Kelber?
Gerne. Das verlängert die Redezeit.
Das stimmt, das verlängert Ihre Redezeit.
rotzdem ist die Frage wichtig. – Können Sie erstens be-tätigen, dass unter der jetzigen Landesregierung die frü-ere Vereinbarung von Rot-Grün mit der Kraftwerks-irtschaft, in der vorgesehen ist, alte Kraftwerke sofort
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5614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Ulrich Kelber
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abzuschalten, wenn das neue am Netz ist, beispielsweiseim rheinischen Braunkohlerevier, aufgehoben wurde unddeswegen die alten Kraftwerke weiterlaufen? Das istRealität, nicht Ziel.
Können Sie zweitens bestätigen, dass Sie den Klima-schutz als Ziel aus den Landesgesetzen herausgestrichenhaben?
Lieber Herr Kelber, wenn Sie auf Datteln anspielen
– darum geht es ja offensichtlich –,
dann kann ich nur sagen, dass dies das effizienteste Koh-
lekraftwerk ist, das wir momentan in Deutschland bauen.
Das genau ist der Unterschied. Wir machen Klima-
schutz mit dem Emissionshandel und versuchen nicht,
den Bau solcher Anlagen durch Gerichtsurteile zu torpe-
dieren.
Wir wollen, dass diese modernen Kraftwerke die Dreck-
schleudern ersetzen,
deren Betrieb die rot-grüne Regierung, zum Beispiel im
Zusammenhang mit dem Tagebau Garzweiler, ermög-
licht hat, Herr Kelber.
Jetzt kommen wir zurück zum Thema, zu dem, was
wir auf Bundesebene tun, zur Brennelementesteuer. Für
die Brennelementesteuer werden im Kabinettsbeschluss
sehr klug zwei Gründe genannt:
Erstens geht es um die Kosten der Asse. Die FDP hat
diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen sehr nach-
drücklich unterstützt. Wir sagen: Wenn es Altlasten gibt,
die dadurch entstanden sind, dass in der Vergangenheit
viele Menschen Fehler gemacht haben, dann kann man
das hinterher nicht einfach dem Stromkunden oder dem
Steuerzahler vor die Füße werfen, sondern dann müssen
sich auch diejenigen, die von diesem Bergwerk profitiert
haben, beteiligen; das ist neben staatlichen Forschungs-
einrichtungen die Kraftwerkswirtschaft. Ganz klar ist:
Die Asse wird maximal etwa 4 Milliarden Euro kosten.
Das entspricht den Einnahmen von zwei Jahren aus der
Brennelementesteuer. Dadurch ist diese Steuer sehr klar
legitimiert.
Das Zweite ist die Ungleichbehandlung, die es ab
2013 geben würde, wenn wir keine Abschöpfung der
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der
raktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Im Dezember 2009 postulierte die Bundesre-ierung in Fortsetzung ihrer Politik, sie plane keine Ein-ührung der Brennelementesteuer. Im Juni 2010 kommthnen die Erkenntnis dann doch, weil die Atomindustrieon dem Handel mit den CO2-Zertifikaten über höheretrompreise profitiert. Das sind jährlich immerhin,4 Milliarden Euro. Allerdings sagen Sie – ich zitiereus Ihrem Programm „Die Grundpfeiler unserer Zukunfttärken“ –: Es wird „im Rahmen eines Gesamtenergie-onzepts notwendig sein, die Laufzeiten von Kernkraft-erken zu verlängern.“
Zukunft stärken und Laufzeitverlängerung sind einiderspruch in sich, sagt die Linke.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5615
Dr. Barbara Höll
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Im Klartext: Die ganze Aktion der Brennelementebe-steuerung ist ein ausgeklügelter Deal zwischen Ihnenund der Atomlobby; denn durch diesen billigen Trickwollen Sie den hart erkämpften Atomkompromiss auf-weichen und damit ein späteres Abschalten aller Atom-kraftwerke in Deutschland erreichen.Nun komme ich zu Ihrem tollen Plan. Sie wollen mitder Brennelementesteuer 2,3 Milliarden Euro jährlicheinnehmen, unter anderem zum Zwecke der Sanierung– wie Sie selbst sagen; ich zitiere noch einmal –:Allein durch die Stilllegung und den Rückbau vonkerntechnischen Anlagen – einschließlich voraus-sichtlicher Kosten für die Endlager von Atommüll –wird der Bund erheblich belastet.Selbst die Zwischenlager sind derzeit in einem skan-dalösen Zustand. Es gibt noch gar kein Endlager. DieKosten für Lagerung und Sanierung der Lagerstätten ha-ben sich vervielfacht; es wurde schon vorhin die Zahlvon über 7 Milliarden Euro genannt.Nun planen Sie frisch und fröhlich eine Laufzeitver-längerung. In diesem Zusammenhang frage ich Sie:Wieso soll denn der Bund, das heißt, die Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler, die Folgekosten für die Endlage-rung tragen? Wieso sollen das nicht die Verursacher, dieAtomwirtschaft, tun, und zwar selbstverständlich in vol-ler Höhe?
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat Ihnenausdrücklich aufgeschrieben, dass es möglich ist, dassDeutschland als Industriestandort bei Weiterentwicklungder bisherigen erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050allen Strom aus diesen erneuerbaren Energien bezieht.Hierfür brauchen wir natürlich einen konsequenten Um-bau hin zu den erneuerbaren Energien. Dazu brauchtman eben – das wurde bereits erwähnt – umfangreicheMittel für die Netzerneuerung und für das Erschließenneuer Speicherkapazitäten.Selbst der Bundesumweltminister, Herr Röttgen, be-stätigte, dass der Anteil der erneuerbaren Energien 2022,konservativ gerechnet, auf knapp 40 Prozent gestiegensein wird, sodass dann tatsächlich alle AKWs in Deutsch-land abgeschaltet werden könnten. Sie erinnern sich:Hierzu liegt eine Studie aus dem Jahre 2009 vor; inzwi-schen wird das oft verschwiegen. Das heißt, eine Verlän-gerung der Laufzeiten ist völlig irrational und falsch. Wirfordern deshalb einen schnellstmöglichen Atomausstiegund nicht erst 2022.
Wir fordern das auch deshalb, um die Folgekosten ausder Nutzung der Atomkraft zu reduzieren. Wir wollen,dass die Atomwirtschaft die von ihr verursachten Kostenin vollem Umfang trägt. Führen Sie deshalb als erstenSchritt die Brennelementesteuer so ein, dass mindestens5 Milliarden Euro jährlich an Einnahmen erzielt werden.Diese Einnahmen sollten dann für einen Energiespar-frFbunGzSfaDgsfvSebnHnCfbFRgwmeDh
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5616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn umgesetzt? Esist doch noch nicht einmal im Bundestag!)Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habeIhren Antrag gelesen. Sie versuchen ja jetzt – husch,husch –, mit einem Anträglein nörgelnd auf dieses Tritt-brett aufzuspringen und so zu tun, als sei man bei demThema dabei. Sie verwechseln bei dieser GelegenheitRücklagen und Rückstellungen, weil es aus Ihrer Sichtoffenbar ökonomisch keine Rolle spielt. Damit zeigenSie, welcher ökonomische Sachverstand hinter demsteht, was Sie beantragen.
Ich sage auch ganz offen an die Adresse der SPD: DerSPD-Antrag ist ein verkrampfter Versuch, einen Zusam-menhang mit Sigmar Gabriel herzustellen. Darin steht:„Anknüpfend an die Bestrebungen von Sigmar Gabriel…“. Die Brennelementesteuer, die wir beschließen, hatmit vielen Dingen zu tun, aber garantiert nichts mitGabriel.
Ich möchte das herausarbeiten, was die KolleginReinemund von der FDP unterstrichen hat. Es gibt keineZweckbindung von Steuern. Es ist ganz wichtig, dasswir uns das hinter die Ohren schreiben. Wenn man be-stimmte Dinge politisch durchsetzen will, wird oft ande-res behauptet; aber diese Zweckbindung gibt es nicht.Deshalb sage ich an dieser Stelle ein bisschen nachdenk-lich, dass ich mir persönlich mit dem Geld durchaus eineFondslösung zugunsten der Erforschung alternativerEnergien hätte vorstellen können; das hätte den Haushaltauch entlastet. Aber sei es drum.Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegen-heit nutzen, um ein paar Fakten klarzustellen.Die Mär von der nichtverursachergerechten Kosten-tragung muss man abräumen. Entsprechend dem Atom-gesetz werden bei Konrad die Versorger einen Anteilvon 64,4 Prozent der Kosten zu tragen haben; das ist ver-ursachergerecht. In Gorleben müssen die Versorger96,5 Prozent der Kosten tragen. Das muss man doch ein-mal sagen. Man darf nicht immer einen anderen Ein-druck erwecken.
Die Themen Asse, ein ehemaliges Forschungsendlagerdes Bundes, und Morsleben, eine Altlast aus der ehema-ligen DDR – deshalb würde ich den Linken empfehlen,an dieser Stelle ein bisschen leiser zu treten –,
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ie haben einen Deal gemacht. Die Verknüpfung zwi-chen der Brennelementesteuer und der Laufzeitverlän-erung haben Sie damals verursacht, weil in diesemeal ausdrücklich steht, dass es keine zusätzliche steuer-iche Belastung der Kernenergie geben darf.
Deshalb kann man, wenn man aus dem Thema Aus-tieg aussteigt, eine Brennelementesteuer erheben. Wennan aber bei dem bleibt, was zwischen Ihnen und denersorgern damals vereinbart wurde, sieht es schlechtus. Diese Verknüpfung haben Sie vollständig zu verant-orten. Das möchte ich an dieser Stelle eindeutig sagen.
Thema Windfall-Profits. Ja, da gibt es ungerechtfer-igte Profite, die ökonomisch begründbar, politisch aberroblematisch sind. Dass man dafür Sorge tragen muss,ieses Geld wiederzubekommen, ist unstrittig. Aber auseiner Sicht muss das über den Emissionshandel, näm-ich die vollständige Versteigerung, die bisher europapo-itisch verwehrt war, erfolgen. Es ist doch völlig falsch,erade dort anzuknüpfen, wo wir kein CO2-Problem ha-en, nämlich bei der Kernenergie. Das wäre doch wider-innig. Man muss einmal in aller Deutlichkeit sagen,ass diese Verknüpfung problematisch ist. Ich sage dasanz offen und offensiv.
Liebe Frau Höhn, deshalb ist es gut, wenn neben deninanzpolitikern der eine oder andere Fachpolitiker et-as sagt.Ich sage ganz klipp und klar: Um die Windfall-Profitsus dem Emissionshandel abzuschöpfen, sollte man auseiner Sicht nicht da anknüpfen, wo der Emissionshan-el konterkariert wird. Das wäre falsch. Sie haben aberichtig argumentiert, dass die Einnahmen in Höhe von,3 Milliarden Euro jährlich auch für andere Dinge not-endig sind. Ich sage dazu nur eines: Ihr Argument fälltus meiner Sicht weg; es spricht nicht gegen die Brenn-lementesteuer. Auch das muss man einmal deutlich he-ausstellen.
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Dr. Georg Nüßlein
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Abschließend möchte ich sagen: Nachdem ich vorhinden vollzogenen Handel so lang und breit erläutert habe,ist es mir ein Anliegen, die Doppelzüngigkeit dieserDebatte herauszuarbeiten. Es ist aus meiner Sicht dop-pelzüngig, jemandem einen Handel vorzuwerfen, wennman selbst einen Handel gemacht hat. Ich möchte deut-lich herausstellen, wie Sie sich, insbesondere die Grü-nen, bei diesem Deal im Jahr 2000 verbogen haben.Sie haben damals in den Wahlkämpfen immer von un-verantwortbaren Risiken gesprochen, von der Notwen-digkeit eines sofortigen Ausstiegs aus der Kernkraft, weildiese mit Risiken verbunden sei, die nicht hinzunehmenseien. Dann haben Sie bzw. der Staatssekretär Barke, da-mals die rechte Hand von Trittin, am 14. Juni 2000 eineVereinbarung unterschrieben – ich habe sie hier –, wo-nach die Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstan-dard haben.
Das haben Sie paraphiert. Sie haben also gesagt: Es istunverantwortlich; aber obwohl es unverantwortlich ist,können wir das Ganze für weitere 20, 25 Jahre vertreten.
Sie müssen uns erklären, woher die Motivation dazukam, warum Sie das getan haben. Ich befürchte, es gingum etliche Dienstwagen.
Wenn es zumindest Dienstfahrräder gewesen wären,hätte ich das bei den Grünen noch verstanden. Sie sollteneinmal über Ihre Politik nachdenken: Sie gehen fürDienstwagen solche Risiken ein – zumindest behauptenSie, es sei riskant; im Hintergrund sehen Sie es vielleichtauch so, dass die Kernkraft sehr wohl kalkulierbar undbeherrschbar ist –, schüren im Wahlkampf Angst undvereinbaren in der politischen Realität, wenn Sie auf denBoden der Tatsachen zurück sind, mit den Versorgern et-was anderes. Vielleicht kann Frau Höhn, die nach mirspricht, ein bisschen Licht in diese Sache bringen undsagen, warum Sie das getan haben.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Nüßlein hat uns jetzt demonstriert, dass er of-fDrWDhdEeFwTMTdSmsWdmmnDuieurHtglHhwhbd
ir machen Politik für die Menschen, nicht für dieienstwagen. Belassen Sie es also bei Ihren eigeneneimlichen Wünschen.Wenn wir heute über die Brennelementesteuer re-en, dann tun wir das, weil wir über ein Sparpaket reden.s ist gut, über die Brennelementesteuer zu reden; denns handelt sich vom Grundsatz her um eine alte grüneorderung, es ist ein richtiges Instrument. Das begrüßenir.Ich finde, dass Finanzminister Schäuble bei diesemhema bisher eigentlich ziemlich gerade gestanden hat.an muss allerdings sagen: Seit gestern hat er seineaktik vollkommen verändert; er ist vollkommen vonem abgerückt, was er bisher behauptet hat.
pannend ist, dass er wochenlang seitens des Finanz-inisteriums gefordert hat, dass diese Brennelemente-teuer kommt, er sie aber gestern infrage gestellt hat.arum? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Vertreterer vier großen Energiekonzerne haben dem Finanz-inisterium einen kurzen Besuch abgestattet. Da mussan sagen: Das ist ein dreckiger Deal. Wir wollen ihnicht unterstützen.
as ist ein Einknicken vor der Atomlobby auf eine Artnd Weise, die wir bisher noch nicht erlebt haben. Dasst wirklich ungeheuerlich.
Stellen Sie sich einmal vor, es würde jeder, bei demine Steuer anfällt, ins Finanzministerium eingeladennd man dürfte verhandeln. Das wäre interessant. Wa-um lädt eigentlich das Finanzministerium nicht dieartz-IV-Empfänger ein, bei denen Sie gerade das El-erngeld streichen? Das wäre vielleicht ein fairer Aus-leich. Sie tun das aber nicht; denn Ihre Lobbyinteresseniegen eindeutig bei der Atomwirtschaft, nicht bei denartz-IV-Empfängern. Das ist der Unterschied.
Der erste Punkt ist, dass der Finanzminister gesagtat: Von der Brennelementesteuer rücken wir eher ab;ir suchen nach Alternativen. Die Kollegin Reinemundat eben bestätigt, dass jetzt andere Punkte in der De-atte sind.Der zweite Punkt ist genauso gefährlich. Bisher hater Finanzminister immer gesagt, dass die Brennelemen-
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Bärbel Höhn
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testeuer unabhängig von den Laufzeiten kommen soll.Ich wiederhole: unabhängig von Laufzeiten.
Noch am 11. Juni dieses Jahres hat er gesagt, die Brenn-elementesteuer sei unabhängig vom Beschluss über län-gere Laufzeiten der Atomkraftwerke. Anders als Sie,Herr Fuchs, hat Herr Schäuble bisher eine kluge Mei-nung vertreten. Denn es ist ganz entscheidend, dass dieBrennelementesteuer unabhängig von der Laufzeitver-längerung der Atomkraftwerke in diesem Land ist. Ichsage Ihnen: Das ist absolut wichtig. Auch die Kanzlerinhat das bestätigt und damit Leuten wie Ihnen, HerrFuchs, einen Riegel vorgeschoben.Gestern sagte der Finanzminister: Dass die Brennele-mentesteuer in einem politischen Zusammenhang mitder Frage der Restlaufzeiten stehe, sei völlig unbestrit-ten. Das ist nichts anderes, als dass Sie sagen: Sicherheitgegen Geld. Sie wollen die Laufzeiten der alten Atom-kraftwerke verlängern, um bei den Atomkonzernen Geldeinsammeln zu können. Das ist ein Deal, den man nichtzulassen darf.
Wenn es um die Sicherheit von Atomkraftwerkengeht, dann dürfen finanzielle Erwägungen keine Rollespielen; das ist ganz entscheidend. Vor allen Dingenkommen Sie in eine große Bredouille. Wenn Sie Ihr Vor-haben nämlich, wie Sie es planen, am Bundesrat vorbeidurchsetzen wollen, dann werden wir klagen. Wir vonGrünen und SPD werden eine Normenkontrollklageauf den Weg bringen. Angesichts der Ergebnisse all derGutachten, die uns vorliegen, bin ich sicher, dass wirrecht bekommen werden. Sie werden den Ausstieg ausder Atomkraftnutzung nicht rückgängig machen können,indem Sie den Bundesrat umgehen. Dem werden wir ei-nen Riegel vorschieben, und wir werden gewinnen. Siekommen damit nicht einfach durch.
– Sie kommen damit nicht einfach durch.Dass vier Energiekonzerne einfach zum Finanz-ministerium gehen und dort Politik machen, ist ein un-glaublicher Vorgang. Das müssen wir uns einmal auf derZunge zergehen lassen. Wenn ich höre, wie zum Beispielder Fraktionsvorsitzende Kauder und die Fraktionsvor-sitzende Homburger – ich sage es einmal so – den bösenSchein erwecken, als seien sie nichts anderes als dieSprecher von EnBW, sage ich Ihnen: Das wirft ein ganzschlechtes Licht auf Ihre Politik und Ihre Regierungsko-alition. Das ist der Punkt: Diese Koalition vertritt die In-teressen der großen Stromkonzerne und der Atomkon-zerne, nicht mehr und nicht weniger. Das ist Ihr Fehler.
Das, was Herr Kauch zum Thema Wettbewerb gesagtat, fand ich spannend. Denn der Chef des Kartellamts,in FDP-Mann, hat gesagt, man darf der Laufzeitverlän-erung der Atomkraftwerke nicht zustimmen, weil esuf dem Strommarkt dann keinen Wettbewerb mehr gibt,eil die großen Energiekonzerne die Preise in die Höhereiben können und weil am Ende, egal wie hoch dierennelementesteuer ist, die Verbraucherinnen und Ver-raucher aufgrund dann höherer Strompreise große Ge-inne in die Kassen der Energiekonzerne spülen wer-en. Das ist der Punkt. Ihr Mann an der Spitze desartellamts, ein FDP-Mann, sagt: keine Laufzeitverlän-erung, damit die Preise für die Verbraucher nicht explo-ieren.
as ist die Wahrheit über das Vorhaben, das Sie momen-an auf den Weg bringen.Gleichzeitig muss man sehen, dass die Stadtwerkeagen: Wir können diese Laufzeitverlängerung nicht mitns machen lassen, weil es dann keinen Wettbewerbehr gibt. Dann können wir nicht mehr mithalten. Durchie Laufzeitverlängerung zerstören Sie den Wettbewerbuf dem Strommarkt.
Frau Kollegin Höhn, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – 150 000 Menschen habennde April dieses Jahres gegen Ihren Ausstieg aus demtomausstieg demonstriert. 150 000 Menschen!
ll diese Menschen haben Sie nicht berücksichtigt. Ihreigenen Leute in den Stadtwerken haben Sie nicht be-ücksichtigt. Umweltverbände und das Bundeskartellamtaben Sie nicht berücksichtigt. Wenn Sie nur die Interes-en der Atomkonzerne vertreten, dürfen Sie sich nichtundern, dass Sie dann letzten Endes nicht die Interes-en des Volkes vertreten. Dafür sind Sie allerdings ge-ählt worden. Machen Sie sich nichts vor: Ihre schlech-en Umfragewerte liegen an der Politik, die Sie machen.
ndern Sie endlich Ihre Politik!Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Heute debattieren wir über die Einführung einer
Brennelementesteuer. Darüber scheinen wir uns fast alle
einig zu sein, doch die Gemeinsamkeiten verlieren sich
leider im Detail. Sie nutzen nämlich diese Kostenerhe-
bung als Generalangriff auf die Kernkraftindustrie. So
sollen die Kernkraftbetreiber zum Beispiel die Entsor-
gung aller kerntechnischen Forschungsanlagen des
Bundes gleich mitbezahlen.
Wir hingegen schaffen einen angemessenen Aus-
gleich für die Kosten der Asse. Wir garantieren die
Gleichbehandlung von Kohle und Kernkraft beim Emis-
sionshandel. Für uns stehen zwei Ziele im Vordergrund:
die Sanierung des Haushaltes und die regenerative Er-
neuerung unseres Energiewesens. Sie sehen also, dass
wir in der Wirtschafts- und Umweltpolitik an einem
Strang ziehen.
Sie aber operieren mit Zahlen und Forderungen, die
aus der Luft gegriffen sind. Sie gaukeln uns etwas vor,
was es nicht gibt. Sie führen die Bürger hinters Licht. Ih-
ren Behauptungen nach wurden Kernkraftwerke vom
Staat mit Finanzhilfen und Steuervergünstigungen
von insgesamt 125 Milliarden Euro finanziert, eine Mär,
die unters Volk zu bringen Sie nicht müde werden.
Für Sie scheint die Kernenergieindustrie so etwas wie
ein großer Geldspeicher zu sein – wissen Sie, so einer
wie bei Dagobert Duck –, und Sie sind die Panzerkna-
cker:
Man muss das Ding nur anbohren, und schon sprudelt
unablässig das Geld. So funktioniert das aber nicht.
Die Betreiber von Kernkraftwerken erhielten keiner-
lei Steuersubventionen. Das wurde auch zu Zeiten der
rot-grünen Bundesregierung immer wieder bestätigt.
Lediglich im Bereich der Entwicklung und Forschung
wurden staatliche Mittel eingesetzt. Der Rückbau stillge-
legter Kernkraftwerke und die Entsorgung der Abfälle
werden durch die Betreiber finanziert. Die Mittel dafür
sind durch Rückstellungen der Energieversorger
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on annähernd 30 Milliarden Euro angesammelt wor-
en.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, Gewinne
us einer Laufzeitverlängerung nutzbringend einzuset-
en. Dies erfolgt nicht willkürlich, sondern wettbewerbs-
onform. Wie das konkret aussehen wird, ergibt sich aus
nserem Energiekonzept. Bei uns herrscht schließlich
as Ordnungsprinzip: erst der Rahmen, dann die Details.
ach der Sommerpause im September wird die Bundes-
egierung dieses Konzept vorlegen. Es wird sich auf
üchterne Analysen gründen, nicht auf Hoffnungen oder
unschdenken. Es wird die Kernenergie in den künfti-
en Energiemix einbeziehen, und zwar so weit, wie es
innvoll ist.
Die Fakten hierzu kennen wir alle: Immer noch stellt
ie Kernenergie 23 Prozent der Stromproduktion
nd nahezu 50 Prozent des Grundlastanteils. So kann die
eistung der Kernenergieanlagen fast bis zur Hälfte fle-
ibel gefahren werden. Produktionsschwankungen der
ind- und Sonnenenergie können durch sie aufgefangen
erden. Und sie verursacht kein CO2. Die Zuverlässig-
eit, mit der Strom produziert wird, liegt bei Anlagen der
ernenergie über 95 Prozent, bei Windenergie bei 5 bis
0 Prozent und bei Solaranlagen bei 1 Prozent. Dabei
ind erneuerbare Energien ohnehin äußerst schwankende
nergiequellen.
Wir werden die Betreiber der Kernkraftwerke in eine
ngemessene gesellschaftliche Verantwortung nehmen:
it Maß und Vernunft, nicht mehr und nicht weniger.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Seit Monaten muss Deutschland einen schwarz-gel-en Überbietungswettbewerb von Ergebenheitsadressennd Gewinnversprechen an die Atomwirtschaft ertragen.enn es dann einmal einen lichten Moment wie die Ka-inettsklausur gibt, in der man sich auf die Einführunginer Brennelementesteuer verständigt, gibt es sofort dielutgrätsche des Herrn Kauder, Fraktionsvorsitzenderer CDU, der direkt sagt: Wir führen die Brennelemente-teuer mit Einnahmen von 2,3 Milliarden Euro nur dannin, wenn wir vorher politisch festgelegt haben, den Be-reibern von Kernkraftanlagen 6 bis 8 Milliarden Euro
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Ulrich Kelber
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pro Jahr durch eine Laufzeitverlängerung zu schenken.Das ist dann die Reaktion auf den ersten lichten Mo-ment.
Jetzt geht es darum, den Spieß umzudrehen. Die SPDwill die Atomlobby für die enormen Kosten der Altlas-ten zur Kasse bitten, und zwar nicht nur für Asse undMorsleben, Jülich und Karlsruhe, sondern auch für dieleistungslosen Zusatzgewinne aus dem Emissionshan-del. Es wurde nie zugesagt, dass diese Gewinne behaltenwerden können. Wir wollen das nicht mit einer Debatteüber Laufzeitverlängerungen verbinden, sondern wirsind der Überzeugung, dass es jetzt nach diesem schnel-len Ausbau der erneuerbaren Energien längst um dieFrage einer Laufzeitverkürzung geht.Wer in der politischen Diskussion die Brennelemente-steuer mit einer Laufzeitverlängerung verbindet, der be-treibt den Ausverkauf von Sicherheit in diesem Lande,
und wer das mit der Zusage verbindet, dass 6 bis 8 Mil-liarden Euro an Zusatzgewinnen pro Jahr anfallen, dermacht Geschenke an die bestverdienenden Unternehmenunseres Landes und verzerrt den Wettbewerb amStrommarkt.Die Kollegin Höhn hat den derzeitigen Präsidentendes Bundeskartellamts zitiert. Sein Vorgänger hat, we-nige Wochen bevor er Staatssekretär dieser Regierunggeworden ist, das Gleiche gesagt, und dessen Vorgängerhat in einem Gutachten für die Stadtwerke ebenfalls dasGleiche gesagt.Worum geht es?Erstens. Die Zusatzgewinne. Der Emissionshandel– erst ab 2012 gibt es eine volle Versteigerung, HerrSteffel – war vor zehn Jahren, zu dem Zeitpunkt, an demder Atomkompromiss geschlossen wurde, noch nicht ak-tuell. Daraus sind Zusatzgewinne entstanden, die derAtomwirtschaft nie zugestanden haben; es wurde auchnie versprochen, dass sie sie behalten darf. Im Atom-kompromiss – Sie hätten richtig zitieren sollen, HerrDr. Nüßlein – steht nämlich nur etwas davon, dass eskeine Zusatzbelastungen geben darf, und nichts vomBehalten von Zusatzgewinnen. Dieses Geld gehört nichtden Aktionären von Eon oder RWE; es gehört der Ge-sellschaft. So war der Emissionshandel von vornhereinangelegt. Wir wollen dieses Geld abschöpfen.
Zweitens, die Altlasten von 10 Milliarden Euro fürAsse, Morsleben, Karlsruhe und Jülich. In Jülich liegenaus der Zeit, in der die Atomwirtschaft aktiv war, Altlas-ten, von denen wir noch nicht wissen, wie wir sie tech-nisch anfassen sollen.Dieses Geld soll nicht die nächste Generation zahlen,sondern dieses Geld sollen im Sinne der Nachhaltigkeitdiejenigen zahlen, die davon profitiert haben. Auch dasmwlnbnBdsKgrrlzdzdsbmvdEgfhrdlnnelspbEIsdi
Ich habe mitbekommen, dass die Kanzlerin den Fi-anzminister angewiesen hat, eine Alternative zurrennelementesteuer zu prüfen, nämlich einen Fonds,en die Energiewirtschaft vorgeschlagen hat. Man mussich das so vorstellen: Die Unternehmen nehmen bei derreditanstalt für Wiederaufbau einen Kredit auf. Dasanze Geld, das man ihnen nehmen will – ein Viertel ih-er Zusatzgewinne –, wird mit einem Mal an die Bundes-egierung übergeben. Dieser Kredit wird aber nur soange abbezahlt, wie der Deutsche Bundestag die Lauf-eitverlängerung nicht zurücknimmt. Danach müssenas wieder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler be-ahlen.
Das ist ein Ausverkauf der Demokratie. Sie wollenen Menschen verbieten, sich bei Wahlen anders zu ent-cheiden, und Sie wollen dem Deutschen Bundestag ver-ieten, Energiepolitik zu machen. Wer das tut, der ent-ündigt die Bürger und dieses Parlament.
Man kann das ganz konkret machen: Stellen Sie sichor, dieser Fonds wird von Ihnen eingeführt, Sie habenas Geld bekommen, und im Augenblick zahlen dienergiekonzerne den Kredit ab. Zu diesem Zeitpunkt sa-en wir in der Politik: Wir schätzen die Terrorismusge-ahr neu ein und wollen die ältesten Atomkraftwerke frü-er stilllegen, weil sie gegen Angriffe aus der Luft nichtichtig zu schützen sind. Dann wird gesagt: Ja, natürlichürft ihr das machen. Ihr könnt uns anweisen, sie stillzu-egen, aber pro Reaktor und Jahr wollen wir 500 Millio-en Euro von euch an den Fonds gezahlt haben.Ein anderer Fall: Die Atomaufsicht sagt: Wir habeneue Erkenntnisse über den sicheren Betrieb, sodass wiruch jetzt etwas Neues vorschreiben wollen. Ansonstenegen wir die Anlage still. Dann wird gesagt: Ja, ihr dürftie stilllegen, das kostet euch aber 250 Millionen Euroro Jahr.Wenn die Atomaufsicht nicht mehr unabhängig ar-eitet, sondern vor den finanziellen Konsequenzen ihrerntscheidungen Angst haben muss, dann haben Sie mithren Tricks an dieser Stelle nicht nur die Demokratie,ondern auch die Sicherheit ausverkauft.
Nach mir spricht ja noch Herr Dr. Fuchs, der auch iner Energiepolitik immer sehr vehement bei der Sachest. Wir haben hier vielleicht die gleichen Emotionen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5621
Ulrich Kelber
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Sie haben ja die Chance, hier einmal ein paar Dinge klar-zustellen:
Ist das politisch verbunden? Wie viel Prozent der Zu-satzgewinne wollen Sie abschöpfen? – All das könnenSie heute hier einmal sagen.Was mich aber immer am meisten interessiert, ist dieGleichzeitigkeit in Ihrer Energiepolitik. Es geht gar nichtdarum, dass im Augenblick gar keine Investitionen getä-tigt werden, weil alle auf ein immer wieder angekündig-tes Energiekonzept warten, von dem ja nur eine Sachefeststeht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nämlichdie Verlängerung der Atomlaufzeit. Was Sie in dieserWoche machen, ist aber doch spannend: Die Brennele-mentesteuer wird nur eingeführt, wenn wir ihnen durcheine Laufzeitverlängerung das Vierfache schenken, unddie Unterstützung der Solarindustrie wird gekürzt, weil– das wird von CDU/CSU oft mit zittriger Stimme ge-sagt – dort zweistellige Renditen möglich sind.Wissen Sie eigentlich, dass RWE und Eon in ihrenUnternehmenspublikationen ausweisen, dass dort jedesJahr 15 Prozent Rendite erreicht werden und dass diesebeiden Unternehmen zusammen mehr Gewinn machenals alle anderen börsennotierten deutschen Unternehmenzusammen, nämlich 200 Euro pro Kopf der deutschenBevölkerung? Diese Gewinne fließen dorthin ab – Ge-winne, die Sie nicht abschöpfen, sondern erhöhen wol-len, während Sie bei den erneuerbaren Energien reingrät-schen.
Herr Kauch – ist er noch da? –, Sie hatten ja gesagt, esist nicht ausgeschlossen, dass die Einnahmen aus derBrennelementesteuer für den Ausbau der erneuerbarenEnergien ausgegeben werden. Aber der Haushaltsent-wurf liegt auf dem Tisch: Die Einnahmen aus der Brenn-elementesteuer sind darin enthalten, aber die Ausgabenfür die erneuerbaren Energien werden in Ihrem Haushalt2011 gekürzt. Das heißt, Sie erzielen Einnahmen, aberkürzen gleichzeitig die Ausgaben für den Ausbau der er-neuerbaren Energien. Das ist schwarz-gelbe Energiepoli-tik schwarz auf weiß.
Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Dr. Pfeiffer und dann des Kollegen
Kauch?
Aber gerne doch.
Vielleicht lassen wir beide Zwischenfragen nachein-
ander stellen, und Sie können dann darauf antworten.
Wenn beide stehen bleiben! – Gerne.
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ich b) trauen, sich hier hinzustellen. Erstens. Ich alserson habe keinen Cent Spenden erhalten – Punkt.
Ja, einen Augenblick. Wir kommen gleich dazu.Zweitens. Sie als Person weisen auf Ihrer Websiteus, dass Sie – von wem auch immer und für welche Be-atungsleistung auch immer – persönliche Einnahmen –lso für Ihre Nebentätigkeit – in wer weiß welcher Höheekommen haben. Ich denke, Sie sind in diesem Parla-ent einer der Letzten, der sich auf Kolleginnen undollegen beziehen sollte, die über das gesetzliche Maßinausgehend, Herr Hinsken, Spenden an Ortsverbändend Kreisverbände veröffentlichen. Das macht kein ein-iger Abgeordneter der CDU/CSU. Ich tue dies als einzi-er Abgeordneter freiwillig. Das sollten Sie sich viel-eicht als Beispiel nehmen. Gewöhnen Sie sich an dieseransparenz, dann können wir uns gerne weiter unterhal-en. Und nennen Sie endlich einmal die Namen der Un-
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5622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Ulrich Kelber
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ternehmen, für die Sie Beratungsleistungen für Ihre pri-vate Geldtasche erbringen, Herr Dr. Pfeiffer – vor allemmit Blick auf Ihre Herkunft aus der Energiewirtschaft.Das finde ich wirklich spannend.
Jetzt liegt noch eine Wortmeldung des Kollegen
Kauch vor, den Sie auch angesprochen haben.
Lieber Kollege Kelber, Sie haben quasi eine rückwir-
kende Zwischenfrage gestellt, die ich Ihnen gerne beant-
worten möchte. Ich habe eindeutig nicht gesagt, dass die
Einnahmen aus der Brennelementesteuer in dem Um-
fang, wie es das BMF jetzt vorlegt, in die erneuerbaren
Energien fließen. Ich habe deutlich gemacht, dass es bei
einer Laufzeitverlängerung eine zusätzliche Abschöp-
fung der Gewinne geben muss. Und ich bin der Auffas-
sung, dass diese dann in die erneuerbaren Energien flie-
ßen sollen.
Ich würde mich freuen, wenn das nachher die Position
von ganz Schwarz-Gelb wäre.
Jetzt können Sie zu Ihrem Schlusswort kommen.
Ich hatte meinen Schlusssatz gesagt, bevor meine Re-
dezeit abgelaufen war. Danach wurden noch zwei Zwi-
schenfragen gestellt. Ich bedanke mich noch einmal. Ich
habe am Ende ja das Fazit gezogen, dass der Vergleich
im Umgang mit der Solarwirtschaft, der Vergleich im
Umgang mit den Stadtwerken in der gleichen Art und
Weise, wie man den am besten verdienenden Unterneh-
men dieses Landes Zusatzgewinne zuschanzen will, ein
entsprechendes Licht auf die schwarz-gelbe Energiepoli-
tik wirft. An ihren Zahlen sollt ihr sie erkennen – das
wäre an dieser Stelle vielleicht eine schöne Variante.
Vielen Dank.
Herr Pfeiffer, habe ich Ihre Wortmeldung als Antrag
auf eine Kurzintervention zu verstehen, oder ist das
falsch? – Das ist so. Eine Zwischenfrage können Sie
jetzt nicht mehr stellen.
Ich möchte kurz auf das eingehen, was der Kollege
Kelber gesagt hat. Ich bin ihm dankbar, dass er das wie-
derholt hat, was er schon in einer früheren Plenardebatte
angesprochen hat, ohne dass ich die Möglichkeit hatte,
darauf einzugehen. Ich musste mich belehren lassen,
dass hier alles gesagt werden kann; man kann nicht dafür
zur Rechenschaft gezogen werden.
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as möchte ich ein für alle Mal für das Protokoll und
uch Herrn Kelber gegenüber öffentlich klarstellen. In-
ofern bin ich ihm für den Hinweis dankbar.
Ich komme den Offenlegungspflichten in vollem
mfang nach, um auch das in aller Deutlichkeit festzu-
tellen. Ich gehe davon aus, dass damit auch dieses
hema erledigt ist.
Wenn Sie daraus eine Befangenheit ableiten wollen,
ass jemand vor 20 Jahren in der Energiewirtschaft tätig
ar, dann kann ich nur antworten: Wenn Sachverstand
icht mehr gewünscht ist, dann führt das zu der Politik,
ie Sie verantworten, die elektrische Leistung und elek-
rische Arbeit nicht auseinanderhalten kann. Das ist
icht unsere Politik.
Zur Erwiderung Herr Kelber.
Wem es zu heiß ist, der muss aus der Küche herausge-
en. Wer anfängt, muss auch eine Antwort aushalten. Ich
chlage einfach allen vor, die zuhören: Besuchen Sie
ie Website von Herrn Dr. Pfeiffer – Sie müssen leider
uf die Bundestagswebsite zurückgreifen, weil auf sei-
er Seite gar nichts steht – und auf meine Website
ww.kelber.de! Der Unterschied ist: Wenn ich eine Ne-
entätigkeit ausübe, ist dort ein Name und eine Summe
ngegeben. Bei Herrn Dr. Pfeiffer steht „Kunde 1“ und
Stufe 3“. Das ist irgendein Betrag über 7 000 Euro. Ich
laube nicht, dass Sie der Richtige sind, um sich hier zu
ort zu melden.
Jetzt hat als letzter Redner zu diesem Tagesordnungs-
unkt der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/
SU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kelber,esen bildet. Es wäre sinnvoll, sich die Verhaltensre-eln des Deutschen Bundestages durchzulesen. Darin istas, was Sie gerade gesagt haben, exakt aufgeführt. Der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5623
Dr. Michael Fuchs
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Kollege Pfeiffer verhält sich exakt so, wie es im Deut-schen Bundestag vorgeschrieben ist.
Man kann ihm schlecht vorwerfen, dass er sich an dieVorschriften hält.
Der nächste Punkt: Sie sollten hier auch sagen – dasmache ich für Sie –, dass Sie Ihren gesamten Wahl-kampf durch Herrn Asbeck und die Firma Solarworld fi-nanzieren lassen, der Ihre Kreispartei massivst unter-stützt.
Aber kommen wir zur Sache: Ja, wir führen eineBrennelementesteuer ein. Ja, wir werden auch die Lauf-zeiten der Kernkraftwerke verlängern. Allerdings zeich-net sich eine bürgerliche Koalition im Vergleich zu einerlinken dadurch aus, dass sie den Unternehmen bei ver-bindlich getroffenen Vereinbarungen Verlässlichkeitbietet.
Wirtschaftspolitische Vernunft wird von Bürgern undder Wirtschaft außerordentlich geschätzt. Deshalb wur-den wir gewählt und nicht Sie.In der Ausstiegsvereinbarung vom 14. Juni 2000wurde zwischen der Bundesregierung und den Kraft-werksbetreibern vereinbart, dass ihnen im Gegenzug zuden verkürzten Laufzeiten keine zusätzlichen Belastun-gen aufgebürdet werden können. Eine Brennelemente-steuer unabhängig von einer Laufzeitverlängerung istdurch Ihr Handeln nicht möglich.
Sie fordern quasi dazu auf, eine Vereinbarung, die Sieselbst getroffen haben, zu brechen. Das ist nicht unserePolitik. So etwas tun wir nicht.Dass Sie sich von Schröder distanzieren, kann ichverstehen.
Das haben Sie schon mehrfach gemacht. Dass Sie sichjetzt aber auch noch von Ihrem grünen Fraktionsvorsit-zenden distanzieren – denn er hat das Ganze mit unter-schrieben –, wie Sie es jetzt getan haben, kann ich nichtverstehen. Wahrscheinlich ist er nicht anwesend, weil ersich für Sie schämt.
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arüber hinaus zitiere ich aus unserem Koalitionsver-rag. Darin heißt es wörtlich:Der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Ge-winne aus der Laufzeitverlängerung der Kernener-gie soll von der öffentlichen Hand vereinnahmtwerden. Mit diesen Einnahmen wollen wir aucheine zukunftsfähige und nachhaltige Energieversor-gung und -nutzung, z. B die Erforschung von Spei-chertechnologiendamit haben Sie sich nie beschäftigt –für erneuerbare Energien, oder stärkere Energieeffi-zienz fördern.Genau deswegen werden wir das so machen. Icheiß, dass es Ihnen schwerfällt, zu begreifen, dass wireute noch nicht aus der Kernenergie aussteigen wollen.ch will Ihnen einfach einige Zahlen nennen. Wissen Sie,ie viele Stunden ein Jahr hat? 8 760. Kennen Sie dieurchschnittliche Wirkungszeit einer Solarzelle ineutschland? 940 Stunden. Sie können also 10,7 Pro-ent des Jahres mit Solarstrom abdecken.
ennen Sie die Ausnutzungsdauer von Onshorewind-nlagen? 1 560 Stunden. Das sind 17,8 Prozent. Bei Off-horeanlagen sieht es ein bisschen besser aus. Da beträgtie 3 000 Stunden; das entspricht 34,2 Prozent. Das zeigtanz deutlich, dass wir bis heute keine Möglichkeit ha-en, auf die Grundlasterzeugung durch andere Energienu setzen. Welche Grundlastversorgung haben wir? Wiraben fossile Energien,
ir haben in ganz kleinem Maße Biomasse – das liegtnter 1 Prozent –, und wir haben Kernkraft. Kernkrafteckt momentan 23 Prozent unseres gesamten Strom-edarfs, aber 48 Prozent unserer Grundlast. Was pas-iert dann, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten?ann bleibt uns nichts anderes übrig – Frau Höhn, das
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Dr. Michael Fuchs
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sollten Sie wirklich irgendwann einmal lernen –, alsfossile Energieträger zu nutzen, um die Lücke, die wirdann haben, auszufüllen.
Wir sind eben nicht in der Lage, vernünftige Speicher-technologien zu entwickeln. Wir haben sie bislang nochnicht. Wir haben weder Wasserspeicher noch Druckluft-speicher in ausreichendem Maße. Mir geht es um eines– das hat der Kollege Steffel vollkommen richtig gesagt –,nämlich dass wir verlässlich preiswerte Energie inDeutschland zur Verfügung stellen. Die Zeitung Photonist kein Parteiblatt der CDU. Darin steht, dass alleindurch den Zubau an Solaranlagen in diesem Jahr – dashaben Sie zu verantworten – der Strompreis im nächs-ten Jahr um bis zu 12 Prozent steigen wird. Dabei sindWindanlagen noch gar nicht berücksichtigt. Die kom-men noch hinzu. Ich sehe noch kommen, dass wir hierdemnächst darüber diskutieren, ob wir wegen der stei-genden Ökokosten Sozialtarife für den Strombezug ein-führen sollen.Ich will nicht, dass in Deutschland die großen Indus-trien – Stahl, Glas, Textil etc. – aufgeben müssen, weilsie aufgrund zu hoher Stromkosten hier nicht mehr ar-beiten können. Ich will nicht, dass die Preise so aus demRuder laufen, dass wir in Deutschland bestimmte Indus-trien nicht mehr halten können. Für mich ist Deutschlandnach wie vor ein Industrieland. Dafür werde ich micheinsetzen, dafür kämpfe ich.
Ich möchte nicht, dass Deutschland ein Land wird, des-sen Bruttoinlandsprodukt zu 75 Prozent von der Finanz-branche und der Dienstleistungsbranche abhängig ist.Die zentralen Bereiche der Industrie müssen hier erhal-ten werden. Dafür müssen wir alle uns einsetzen.Schauen Sie sich England an. Ungefähr 27 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts in England – ich weiß nicht,ob Ihnen diese Zahl bekannt ist – werden in der City ofLondon erzeugt – mit all den Problemen, die die Englän-der jetzt haben: 12 Prozent Verschuldung etc. Wir sindauf einem wesentlich besseren Weg. Die Industrie läufthier wieder, die Industrie erlebt richtige Boomzeiten.Haben Sie mitbekommen, dass der VDMA bekanntge-geben hat, dass der Auftragseingang im Maschinen- undAnlagenbau um 60 Prozent im Mai 2010 gegenüber demVorjahresmonat gewachsen ist? Das sind positive Zah-len. Die Entwicklung wird sich sehr schnell auf dem Ar-beitsmarkt bemerkbar machen. Darüber sind wir froh.Genau das wollen wir.Lassen Sie mich noch einen Satz zum Abschaltender Kernkraftwerke sagen. Würden wir die jetzt kom-plett abschalten, dann würde das bedeuten, dass wir rund150 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich produzieren wür-den, weil wir die Differenz – ich habe eben versucht, Ih-nen das zu erklären – mit fossiler Energie überbrückenmüssten. Wissen Sie, Frau Höhn, wie viel 150 MillionenTonnen CO2 sind?DSwnDlgLvnAHdSnWvaDWs–UadCsfuvnpw
as entspricht dem Ausstoß des gesamten deutschentraßenverkehrs. Dies müssten wir in Kauf nehmen,enn wir alle Kernkraftwerke ersetzten. Anders ist dasicht zu machen. Das sollten Sie wissen.
eswegen werden wir die Kernkraftwerkslaufzeiten ver-ängern und eine Brennelementesteuer einführen, weil eserecht ist, den Profit, der durch die Verlängerung deraufzeiten entsteht, abzuschöpfen. Das ist unser Ziel.Vielen Dank.
Mir liegen zwei Meldungen zu Kurzinterventionen
or. Weitere Kurzinterventionen lasse ich allerdings
icht mehr zu.
Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort.
Es bleibt dabei: Wer Vorwürfe macht, muss sich dientwort anhören. – Die Zahlen, die Herr Dr. Fuchs inilfestellung für Herrn Dr. Pfeiffer genannt hat, sindeswegen bekannt, weil sie auf der Webseite der BonnerPD seit drei Jahren freiwillig – über jedes gesetzlichotwendige Maß hinaus – stehen.
elche Spenden an den CDU-Kreisverband Koblenzon Herrn Dr. Fuchs gegangen sind und welche Spendenn den CDU-Kreisverband Waiblingen von Herrnr. Pfeiffer gegangen sind, wird auf den entsprechendenebseiten hingegen nicht veröffentlicht. Bei uns kannich das jeder anschauen.
Das müssen Sie sich jetzt schon anhören.Es weiß auch niemand, wie viel Geld vom Bonnernternehmen Solarworld gezahlt wurde. Seit der Rent--Rüttgers-Affäre ist bekannt, dass von Solarworld überie sogenannten Zukunftskongresse Geld an die NRW-DU geflossen ist. Wann und wie viel, ist auf der Web-eite der NRW-CDU nicht nachzulesen. Seit dieser Af-äre weiß man auch, dass die Firma Solarworld der FDPnd Herrn Westerwelle Geld gegeben hat. Das finde ichöllig in Ordnung; denn auch er ist ein Bonner Abgeord-eter. Wie viel, können Sie bei der FDP nicht nachlesen.Das ist der entscheidende Unterschied. Es ist einfacheinlich, wenn die Intransparenten die Transparentenegen angeblich mangelnder Transparenz angreifen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5625
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Zur Erwiderung, Herr Fuchs.
Herr Kollege, man sollte vielleicht das Parteienfinan-
zierungsgesetz kennen, wenn man in diesem Hohen
Hause arbeiten darf.
Ich halte das schon für notwendig. Sie sind nämlich ver-
öffentlichungspflichtig. Wenn ein Kreisverband eine
Spende über 10 000 Euro erhält, muss das veröffentlicht
werden.
– Bitte schön, das können Sie beim Bundestagspräsiden-
ten nachschauen.
Das ist veröffentlichungspflichtig.
An meinen Kreisverband hat es nicht eine Spende
über 10 000 Euro gegeben.
Bitte sagen Sie uns dann auch – wir können es auch
nachschauen –, wie viele Spenden Sie von Solarworld
bekommen haben.
Das würde Ehrlichkeit bedeuten.
Zwar könnte ich Auskunft geben, weil ich darüber gut
Bescheid weiß. Ich bin aber gehalten, mich hier neutral
zu verhalten,
keine Meinung zu äußern und auch keine Fachaufklä-
rung zu leisten. Alle Spenden eines Spenders müssen
aber – unabhängig davon, an wie viele Untergliederun-
gen einer Parteien sie gehen – öffentlich berichtet wer-
den.
– Nein, sie müssen im Rechenschaftsbericht öffentlich
berichtet werden.
Jetzt kommt eine weitere Kurzintervention der Kolle-
gin Kotting-Uhl.
Herr Dr. Fuchs, bei meiner Kurzintervention geht es
nicht um Spenden, sondern um den Vertrag zum Atom-
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 17/2410 und 17/2425 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.
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5626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 m und11 b sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:38 a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenBettina Herlitzius, Friedrich Ostendorff, UndineKurth , weiteren Abgeordneten undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Baugesetzbuchs – Beschrän-kung der Massentierhaltung im Außenbereich– Drucksache 17/1582 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
RechtsausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieweitere Bereinigung von Bundesrecht– Drucksache 17/2279 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitc) Beratung des Antrags der Abgeordneten RenéRöspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDNeue Initiative für Neuheitsschonfrist im Pa-tentrecht starten– Drucksache 17/1052 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2009– Vorlage der Vermögensrechnung des Bundesfür das Haushaltsjahr 2009 –– Drucksache 17/2305 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschusse) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Martina Bunge, Dr. Gesine Lötzsch,Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter undder Fraktion DIE LINKEAuch Verletztenrenten von NVA-Angehörigender DDR anrechnungsfrei auf die Grundsiche-rung für Arbeitsuchende stellen– Drucksache 17/2326 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Werner, Jan van Aken, Christine Buchholz, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEMenschenrechte und Friedensprozess in SriLanka fördern– Drucksache 17/2417 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniong) Beratung des Antrags der Abgeordneten HeidrunBluhm, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWohnungslosigkeit in Deutschland – Einfüh-rung einer Bundesstatistik– Drucksache 17/2434 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Arbeit und Sozialesh) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngridNestle, Winfried Hermann, Fritz Kuhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENPKW-Energieverbrauchskennzeichnung amKlimaschutz ausrichten– Drucksache 17/2435 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheiti) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusTressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENReisende besser schützen– Drucksache 17/2428 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
RechtsausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionj) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMindestbeiträge zur Rentenversicherung ver-bessern, statt sie zu streichen– Drucksache 17/2436 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschussk) Beratung des Antrags der Abgeordneten ManuelSarrazin, Marieluise Beck , Volker Beck
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUnterrichtungs- und Mitwirkungsrechte desBundestages in Bezug auf Europäische Rätestärken– Drucksache 17/2437 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionl) Beratung des Antrags der Abgeordneten KatjaKeul, Marieluise Beck , Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGemeinsamen Standpunkt der EU für Waffen-ausfuhren auch bei Rüstungsexporten an EU,NATO und NATO-gleichgestellte Länder kon-sequent umsetzen– Drucksache 17/2438 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Auswärtiger Ausschuss
FinanzausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussFederführung strittigm) Beratung des Antrags der Abgeordneten TomKoenigs, Volker Beck , Josef PhilipWinkler, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWeitere iranische Flüchtlinge aus der Türkeiin Deutschland aufnehmen– Drucksache 17/2439 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussFederführung strittig11 b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenMarieluise Beck , Volker Beck (Köln),Viola von Cramon-Taubadel, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENModernisierung braucht Rechtsstaatlichkeit –Partnerschaft mit Russland fördern– Drucksache 17/2426 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeZP 2 a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenManuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,Marieluise Beck , weiteren Abgeordne-ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010tdwnaTDdldFAdESdBFbsswKSGBFaüFFbH
Reinhard Beck , Peter Altmaier,Michael Brand, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenElke Hoff, Rainer Erdel, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPVerbesserung der Regelungen zur Einsatzver-sorgung– Drucksache 17/2433 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Wir kommen zunächst zu zwei Überweisungen, beienen die Federführung strittig ist.Tagesordnungspunkt 38 l. Interfraktionell wird Über-eisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-en zum gemeinsamen Standpunkt der EU für Waffen-usfuhren auf Drucksache 17/2438 an die in deragesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ie Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen Fe-erführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-ogie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Fe-erführung beim Auswärtigen Ausschuss.Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag derraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beimuswärtigen Ausschuss – abstimmen. Wer stimmt füriesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? –nthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit dentimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegenie Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktionündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derraktionen der CDU/CSU und FDP – Federführungeim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – ab-timmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-chlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Über-eisungsvorschlag ist mit den Stimmen deroalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen dietimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Dierünen angenommen.Tagesordnungspunkt 38 m. Der Antrag der Fraktionündnis 90/Die Grünen zur Aufnahme iranischerlüchtlinge aus der Türkei auf Drucksache 17/2439 solln die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsseberwiesen werden. Die Fraktionen der CDU/CSU undDP wünschen Federführung beim Innenausschuss. Dieraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführungeim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäreilfe.
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5628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvor-schlag von Bündnis 90/Die Grünen ab. Wer stimmt fürdiesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Oppositionsfraktionen abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derFraktionen von CDU/CSU und FDP abstimmen. Werstimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvor-schlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-men.Wir kommen jetzt zu den unstrittigen Überweisun-gen. Ich gehe davon aus, dass Sie mit der Überweisungder Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse einverstanden sind. – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 i sowiedie Zusatzpunkte 3 a bis 3 n auf. Es handelt sich um dieBeschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-sprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 39 a:Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahlder Abgeordneten des Europäischen Parla-ments aus der Bundesrepublik Deutschlandam 7. Juni 2009– Drucksache 17/2200 –Berichterstattung:Abgeordnete Thomas Strobl
Dr. Wolfgang GötzerMarco WanderwitzMichael Grosse-BrömerMichael Hartmann
Christian Lange
Stephan ThomaeDr. Dagmar EnkelmannJosef Philip WinklerEs ist vereinbart, dass der Vorsitzende des Wahlprü-fungsausschusses das Wort zur Berichterstattung erhal-ten soll. – Herr Kollege Strobl, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen!Viele Menschen wissen gar nicht – manche Kollegin undmancher Kollege hier im Hohen Hause offensichtlichauch nicht –, dass es in Deutschland die Möglichkeitgibt, gegen Wahlen, namentlich gegen die Bundestags-wahl oder auch gegen die Wahl der deutschen Abgeord-neten für das Europäische Parlament, einen Wahlein-spruch einzulegen. Jede Bürgerin, jeder Bürger hat dasRecht, einen solchen Einspruch gegen eine solche Wahleinzulegen, wenn sie oder er der Meinung ist, dass beider Wahl etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.Ob der Einspruch berechtigt ist oder nicht, entscheidenddrtEBKPWksrh31BGPiBBdrWgtpot1fonPltwdfhfdVmIPnjnndszmu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5629
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oder um Irrtümer der zumeist ehrenamtlich tätigenWahlvorstände in den Wahllokalen. Auch wenn dieseEinsprüche letztlich zurückgewiesen werden, gehe ichdavon aus, dass die betroffenen Wahlorgane unsere Hin-weise auf Mängel aufgreifen und darauf hinwirken, dassderartige Fehler in Zukunft unterbleiben.Einen Schwerpunkt der Prüfung der Einsprüche zurEuropawahl bildeten diesmal insgesamt zehn Einsprü-che, mit denen die Verfassungswidrigkeit der 5-Prozent-Hürde, die nach dem Europawahlgesetz für die Wahl derdeutschen Europaabgeordneten gilt, geltend gemachtwurde. Diese Einsprüche konnten schon deshalb keinenErfolg haben, weil der Deutsche Bundestag traditionellim Rahmen der Wahlprüfung die Verfassungsmäßigkeitder in der Regel von ihm selbst erlassenen Wahlrechts-normen gar nicht prüft, sondern dies dem Bundesverfas-sungsgericht überlässt. Dieses kann im Rahmen der so-genannten Wahlprüfungsbeschwerde gegen jede unsererEntscheidungen angerufen werden.Ich möchte aber ergänzen, dass der Wahlprüfungsaus-schuss mit deutlicher Mehrheit festgestellt hat, dass erdie Verfassungsmäßigkeit der 5-Prozent-Hürde bei derEuropawahl nicht bezweifelt. Anderer Ansicht war indiesem Zusammenhang die Fraktion Die Linke.Einige der Einspruchsführer haben schon angekün-digt, dass sie im Fall der Zurückweisung der Einsprüchegegen die 5-Prozent-Hürde durch den Deutschen Bun-destag planen, den Weg nach Karlsruhe zu beschreiten.Dieser Weg zum Bundesverfassungsgericht wird durchden heutigen Beschluss frei.Ich möchte noch erwähnen, dass bei der Prüfung derEuropawahl erstmals das im Jahr 2008 im Hinblick aufdas Verfahren im Wahlprüfungsausschuss geänderteWahlprüfungsgesetz Anwendung fand. Dieses ermög-licht dem Ausschuss, bei der Vorbereitung der Entschei-dung regelmäßig auf eine mündliche Verhandlung zuverzichten, sofern davon keine Förderung des Verfah-rens zu erwarten ist. Dies war auch die gängige, langjäh-rige Praxis. Diese Klarstellung im Gesetz hat sich ausmeiner Sicht sehr bewährt.Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich die sachli-che Atmosphäre, die bei den Beratungen im Ausschussherrschte, ebenso hervorheben wie die Tatsache, dass– mit der soeben erwähnten Ausnahme – im Hinblickauf das Ergebnis der Entscheidungen durchweg Konsenszwischen allen Fraktionen bestanden hat. Deshalbmöchte ich mich bei der Kollegin und bei den Kollegenim Wahlprüfungsausschuss recht herzlich für die sehrkollegiale und sehr konstruktive Zusammenarbeit bedan-ken. Außerdem möchte ich sehr herzlich den Mitarbeit-erinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats fürihre exzellente Arbeit und für die sehr gute Vorbereitungdanken.
Ich bitte Sie nun, liebe Kolleginnen und Kollegen,den Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsaus-schusses Ihre Zustimmung zu erteilen.Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Zuhören.WfDgl
Damit kommen wir unverzüglich zur Abstimmung.er stimmt für die Beschlussempfehlung des Wahlprü-ungsausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 39 b:Beratung der Ersten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahlzum 17. Deutschen Bundestag am 27. Septem-ber 2009– Drucksache 17/2250 –Berichterstattung:Abgeordnete Thomas Strobl
Dr. Wolfgang GötzerMarco WanderwitzMichael Grosse-BrömerMichael Hartmann
Stephan ThomaeDr. Dagmar EnkelmannJosef Philip WinklerWer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-ung ist ebenfalls einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 39 c:– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Änderungsprotokollvom 11. Dezember 2009 zum Abkommen vom23. August 1958 zwischen der BundesrepublikDeutschland und dem GroßherzogtumLuxemburg zur Vermeidung der Doppelbe-steuerungen und über gegenseitige Amts- undRechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vomEinkommen und vom Vermögen sowie der Ge-werbesteuern und der Grundsteuern– Drucksache 17/1943 –– Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Juli2006 zwischen der Regierung der Bundesrepu-blik Deutschland und der mazedonischen Re-gierung zur Vermeidung der Doppelbesteu-erung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-kommen und vom Vermögen– Drucksache 17/1944 –Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 17/2248 –Berichterstattung:Abgeordnete Manfred KolbeLothar Binding
Dr. Birgit Reinemund
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5630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Wir kommen zurzweiten Beratungund Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Än-derungsprotokoll zum Abkommen mit dem Großherzog-tum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteue-rungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe aufdem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Ver-mögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern.Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 17/2248, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1943anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktionbei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Ent-haltung der Fraktion Die Linke angenommen.Wir kommen nun zurzweiten Beratungund Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Ab-kommen mit der mazedonischen Regierung zur Vermei-dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuernvom Einkommen und vom Vermögen. Der Finanzaus-schuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 17/2248, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1944anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit demgleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen.Tagesordnungspunkt 39 d:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Verwendung von Verwaltungsdatenfür Wirtschaftsstatistiken und zur Änderungvon Statistikgesetzen– Drucksache 17/1899 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 17/2467 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus BreilDer Ausschuss für Wirtschaft und Technologieempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/2467, den Gesetzentwurf der Bundesregierungauf Drucksache 17/1899 in der Ausschussfassung anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegen-stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung vonBündnis 90/Die Grünen angenommen.uGGimewzzEdDGloWsi
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5631
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Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENDeklarationspflicht für Palmöl in Lebensmit-teln– Drucksachen 17/1780, 17/2316 –Berichterstattung:Abgeordnete Carola StaucheIris GleickeDr. Christel Happach-KasanKarin BinderCornelia BehmDer Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/2316, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1780 abzu-lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenbei Gegenstimmen der SPD-Fraktion und von Bünd-nis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Tagesordnungspunkt 39 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 116 zu Petitionen– Drucksache 17/2317 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Sammelübersicht 116 ist einstimmig angenom-men.Tagesordnungspunkt 39 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses
Übersicht 3über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht– Drucksache 17/2459 –Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grü-nen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenom-men.1)Zusatzpunkt 3 a:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
derung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950,17/2402 –Berichterstattung:Abgeordneter Jörg van EssenSDaf1sfaEKtdtghmGdgn1) Anlage 2
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5632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Zusatzpunkt 3 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 120 zu Petitionen– Drucksache 17/2445 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 120 ist einstimmig ange-nommen.Zusatzpunkt 3 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 121 zu Petitionen– Drucksache 17/2446 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 121 ist bei Enthaltung derFraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Frak-tionen angenommen.Zusatzpunkt 3 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 122 zu Petitionen– Drucksache 17/2447 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 122 ist bei Gegenstim-men von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen allerübrigen Fraktionen angenommen.Zusatzpunkt 3 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 123 zu Petitionen– Drucksache 17/2448 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 123 ist bei Gegenstimmender Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigenFraktionen angenommen.Zusatzpunkt 3 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 124 zu Petitionen– Drucksache 17/2449 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 124 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-genstimmen der Fraktion Die Linke und desBündnisses 90/Die Grünen angenommen.hmLBgdGFgduFgdtMrKDlD
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5633
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Bevor wir zur abschließenden Wahl aller Mitgliederdes Stiftungsrates kommen, müssen wir zunächst dievom Deutschen Bundestag vorzuschlagenden Mitgliederund Stellvertreter für die Wahl des Stiftungsrates benen-nen.Es gibt den Wunsch, vor Eintritt in diesen Wahlgangmündliche persönliche Erklärungen nach § 31 unsererGeschäftsordnung abzugeben, und zwar von der SPD-Fraktion, vom Bündnis 90/Die Grünen und von derFraktion Die Linke.1)Zunächst für die SPD-Fraktion, Frau KolleginSchwall-Düren.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Heute beweist sich, dass die von der
Mehrheit dieses Hauses beschlossene Form der Wahl
von Stiftungsratsmitgliedern falsch ist. Bereits bei der
Änderung des Gesetzes zur „Stiftung Flucht, Vertrei-
bung, Versöhnung“ hat die SPD-Fraktion zum Ausdruck
gebracht, dass die Abstimmung über die Besetzung des
Stiftungsrates im Gesamtpaket inakzeptabel ist, und hat
deshalb das Gesetz abgelehnt. Der Berufungsprozess ist
damit nämlich keinesfalls objektiviert. Im Gegenteil,
nun werden auch Mitglieder des Stiftungsrates mit einer
demokratischen Legitimation ausgestattet, an deren En-
gagement für den Stiftungszweck erhebliche Zweifel be-
stehen.
Sicherlich steht die Mehrheit der vorgeschlagenen
Personen eindeutig hinter den Stiftungszielen. Ich darf
zur Erinnerung den Gesetzestext zitieren:
Zweck der unselbstständigen Stiftung ist es, im
Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Ge-
denken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhun-
dert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrie-
ges und der nationalsozialistischen Expansions-
und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzu-
halten.
Heute steht der Bundestag allerdings vor dem Dilemma,
dass zumindest bei zwei Vertretern des Bundes der Ver-
triebenen aufgrund von Äußerungen in der Presse be-
zweifelt werden muss, ob diese als künftige Stiftungs-
ratsmitglieder die Arbeit der Stiftung auch im Sinne der
Versöhnung unterstützen werden.
Hartmut Saenger spricht beispielsweise in der Preußi-
schen Allgemeinen Zeitung über den Beginn des Zweiten
Weltkrieges wie folgt – ich darf zitieren –:
Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. Der
1918 wieder erstandene Staat schaffte es in der kur-
zen Zeit bis 1921, gleich mit vier Nachbarn … im
dauerhaften Streit zu liegen.
Und weiter:
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i1) Anlagen 3 bis 8
Arnold Tölg sagt im Interview mit der Jungen Frei-
eit zum Thema Zwangsarbeiter:
Wenn man über Zwangsarbeiterentschädigung
spricht, müßte man auch deutlich machen, daß ge-
rade die Länder, die am massivsten Forderungen
gegen uns richten, genügend Dreck am Stecken ha-
ben, weil sie Hunderttausende deutscher Zwangsar-
beiter in zahllosen Lagern hatten.
der:
Während in Nürnberg von den Siegern die deut-
schen Kriegsverbrecher zurecht verurteilt wurden,
haben die gleichen Länder bezüglich Zwangsarbei-
tern ähnliche Verbrechen begangen wie Hitler-
Deutschland.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dennoch ist die
orgeschlagene Gesamtliste abzulehnen für einen Teil
er Kollegen der SPD-Fraktion und auch für mich keine
ption, da das positive Engagement der anderen Stif-
ungsratsmitglieder nicht infrage gestellt werden kann.
ns ist daran gelegen, dass die Stiftung endlich die Ar-
eit aufnehmen kann. Deshalb stimme ich der Wahl trotz
ieser großen Bedenken zu.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat nun
ollegin Jochimsen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichtimme dem Gesamtvorschlag für die Mitglieder undtellvertreter des Stiftungsrates der „Stiftung Flucht,ertreibung, Versöhnung“ nach sorgfältiger Prüfungicht zu. Grund meiner Ablehnung ist das undemokrati-che Wahlverfahren, das mir – wie allen anderen Abge-rdneten – nur die Möglichkeit gibt, über einen Vor-chlag abzustimmen, der nur als Ganzes angenommender abgelehnt werden kann. Ich würde also bei einerustimmung nicht nur den von den Fraktionen benann-en Mitgliedern des Deutschen Bundestags meinetimme geben, sondern ebenso allen anderen Mitglie-ern, auf deren Auswahl ich keinerlei Einfluss hatte. Dasst für mich nicht akzeptabel.
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5634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Lukrezia Jochimsen
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Ein vergleichbares Wahlverfahren gibt es derzeit beikeiner anderen Gremienbesetzung, so die Auskunft desWissenschaftlichen Dienstes. Damit widerspricht dasWahlverfahren den demokratischen Gepflogenheiten,denen wir bisher im Deutschen Bundestag bei der Beset-zung der Gremien folgten. Es gibt den Abgeordneten desBundestages auch keineswegs mehr Einflussmöglich-keit. Im Gegenteil: Bei einem solchen Gesamtvorschlagkommt der Wille des Parlaments nur ungenügend oderverfälscht zum Ausdruck. Letztlich können wir nur Jaoder Nein sagen. Das entmündigt das Parlament. MeineKolleginnen und Kollegen, Sie entmündigen sich beidieser Abstimmung selbst!
In der Begründung für die Veränderung des Beset-zungsverfahrens heißt es im Gesetzentwurf, dass die Er-höhung der Anzahl der Sitze im Stiftungsrat und dieÄnderung des Berufungsverfahrens aufgrund der beson-deren geschichtspolitischen Komplexität des Projekteserfolgen und um der Komplexität der Aufgabenstellungund des Meinungsspektrums noch besser Rechnung tra-gen zu können. Hinzu komme, dass durch die Entschei-dung des Bundestages gewährleistet sei, dass übergeord-nete politische Belange beachtet werden.Ich sage Ihnen: Das ist purer Hohn bei dieser Wahl.
Das neue Gesetz und das darin festgelegte Besetzungs-verfahren vermehren nur die Zahl der Ämter und Sitze inder Stiftung und degradieren das Parlament zu einemZustimmungsapparat. 63 Mitglieder der Linksfraktionsehen das genauso und haben sich meiner Erklärungschriftlich angeschlossen.Ich danke Ihnen.
Nun hat Kollege Volker Beck Gelegenheit zu einer
persönlichen Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mit-glieder meiner Fraktion und auch ich persönlich werdendie beiden Wahlvorschläge ablehnen. Dies hat zweiGründe. Einmal finden wir den Deal, den die Bundesre-gierung mit dem Bund der Vertriebenen gemacht hat undder zu der jetzigen Zusammensetzung des Stiftungsratsführt, inakzeptabel.HRdszhdspidwdnndVdzslnWzKHtm–E
err Westerwelle hat mit gutem Grund und völlig zuecht der Benennung von Erika Steinbach als Mitgliedes Stiftungsrates der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Ver-öhnung“ widersprochen, weil dies die auswärtigen Be-iehungen der Bundesrepublik Deutschland belastetätte. Frau Steinbach hat damals gegen die Anerkennunger Oder-Neiße-Grenze gesprochen und abgestimmt undich in zahlreichen Äußerungen gegenüber unseren euro-äischen Nachbarn, unseren ehemaligen Kriegsgegnern,n einer Art und Weise geäußert, dass ihre Benennungort nicht als Signal der Versöhnung verstanden wordenäre.
Dafür kann der Bundestag nichts, dafür kann die Bun-esregierung nichts, auch diese Stiftung kann dafürichts. Deshalb braucht es dafür, dass Frau Steinbachicht in dieses Gremium kommt, keine Kompensationurch Aufblähung der Zahl der Sitze für den Bund derertriebenen. Es gibt einige relevante Organisationen,ie in diesem Stiftungsrat nicht vertreten sind. Es gibtwei Fraktionen des Deutschen Bundestages, die in die-em Stiftungsrat nicht vertreten sind. Deshalb ist es völ-ig unangemessen, diese Art der Besetzung hier vorzu-ehmen.
Ein zweiter wesentlicher Grund, warum wir diesenahlvorschlägen heute nicht zustimmen können, sindwei Personen, die auf der Benennungsliste stehen. Frauollegin Schwall-Düren hat schon einiges dazu gesagt.In der Preußischen Allgemeinen Zeitung schreibtartmut Saenger, einer der für den Stiftungsrat benann-en Mitglieder und Sprecher der Pommerschen Lands-annschaft, zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges:Oft genug geschieht das die Beschreibung des Ausbruches –unter Kurzformeln wie: „… der vom nationalsozia-listischen Regime entfesselte Weltkrieg“.Solche Kurzformeln werfen naturgemäß mehr Fra-gen auf als beantwortet werden.r beantwortet sie dann:Der historische Kontext zum Sommer 1939 weistbei allen europäischen Großmächten eine erstaunli-che Bereitschaft zum Krieg aus, um staatliche Zieledurchzusetzen oder Bedrohungen durch Bündnisseabzuwehren.Besonders kriegerisch führte sich Polen auf. …Im März 1939 machte Polen sogar gegen Deutsch-land mobil und gab damit Hitler die Möglichkeit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5635
Volker Beck
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der Aufkündigung des deutsch-polnischen Nichtan-griffspaktes von 1934.Polen hat demnach doch den Krieg begonnen; wir ha-ben auch nur zurückgeschossen. In den weiteren Aus-führungen erklärt er England, Frankreich und die Verei-nigten Staaten sozusagen für schuldig, einenimperialistischen Krieg gegen Deutschland geführt zuhaben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie könnendoch heute nicht ernsthaft mit diesem Mann diesen Aus-sagen Ihre Zustimmung erteilen.
Ich appelliere an Sie: Ziehen Sie den Wahlvorschlag hierheute zurück und lassen Sie uns darüber noch einmal re-den. Das ist völlig inakzeptabel.Ein weiterer Vertreter auf dieser Liste des Bundes derVertriebenen ist Herr Arnold Tölg,
der im Zusammenhang mit der Zwangsarbeiterentschä-digung den Bundespräsidenten Rau dafür kritisierte,dass er diese Entschädigungen begrüße, anstatt deutlichzu machen, dass die Empfängerländer in Osteuropa eineähnliche oder vergleichbare Schuld wie Deutschland aufsich geladen hätten. Er sagte im Zusammenhang mit denNürnberger Urteilen:Während in Nürnberg von den Siegern die deut-schen Kriegsverbrecher zu Recht– immerhin –verurteilt wurden, haben die gleichen Länder be-züglich Zwangsarbeitern ähnliche Verbrechen be-gangen wie Hitler-Deutschland.
Meine Damen und Herren, das darf nicht die Bot-schaft dieser Versöhnungsstiftung sein!
Ich bin selbst ein Kind aus einer Vertriebenenfamilie. Ichdistanziere mich mit Nachdruck von solchen Aussagen,wenn es um die Aufarbeitung des Unrechts der Vertrei-bung geht. Menschen, die vertrieben worden sind, teilendiese Thesen nicht.
Deshalb kann so jemand nicht im Stiftungsrat einer Bun-desstiftung der Bundesrepublik Deutschland sitzen, mitder Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das ist inkeiner Weise hinnehmbar. Lassen Sie uns diese Frageanders lösen.MistETzkannfIuvbgdtMmbt–uüsWDo
s besteht immer noch die Möglichkeit, das jetzt von deragesordnung zu nehmen und noch einmal neu darüberu reden.
Vielleicht waren Ihnen diese Äußerungen nicht be-annt; das setze ich einmal voraus. Dann muss man jetztber dementsprechend angemessen handeln und darf dasicht einfach durchwinken. Der Bundestag ist kein Ab-ickorgan. Sie sind hier als Abgeordnete alle einzeln da-ür verantwortlich, wie Sie hier jetzt abstimmen bzw. obhre Fraktionen diese Vorschläge jetzt zurücknehmennd die Entscheidung vertagen.
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Wir kommen damit zur Abstimmung über den Wahl-orschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPezogen auf die vom Deutschen Bundestag vorzuschla-enden Mitglieder und Stellvertreter. Wer stimmt füriesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-ungen? – Damit ist der Wahlvorschlag bezogen auf dieitglieder des Bundestages angenommen mit den Stim-en der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Linkenei Stimmenthaltung der Grünen und zweier Abgeordne-er der SPD.
Entschuldigung. Also: bei Gegenstimmen der Grünennd einigen Enthaltungen seitens der SPD-Fraktion.Damit können wir nun über den Gesamtvorschlagber die Mitglieder des Stiftungsrates auf Druck-ache 17/2415 einschließlich des soeben angenommenenahlvorschlags des Deutschen Bundestages abstimmen.er Gesamtvorschlag kann nur als Ganzes angenommender abgelehnt werden.
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5636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Hierzu liegen – ich werde gerade daran erinnert – ei-nige persönliche Erklärungen in schriftlicher Form vor.Wer stimmt für diesen Gesamtvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesamtvor-schlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP
gegen die Stimmen der Linken, der Grünen und der SPD– in der SPD-Fraktion gab es einige Enthaltungen undeine Zustimmung – angenommen. Die Mitglieder undihre Stellvertreter im Stiftungsrat der „Stiftung Flucht,Vertreibung, Versöhnung“ sind damit gewählt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe denZusatzpunkt 4 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKEGesundheitspolitik ohne PerspektiveIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat KolleginMartina Bunge für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ja, wir haben beantragt, heute eine zweite AktuelleStunde in dieser Sitzungswoche zur Gesundheitspolitikdurchzuführen. Während wir uns gestern über den zu-tiefst unsozialen Charakter des Konzepts von Ihnen,Herr Minister Rösler, und der Kolleginnen und Kollegender Koalition ausgetauscht haben, hat die Linke fürheute eine Aktuelle Stunde beantragt, die zeigen soll,dass Ihr Konzept, dass Ihre Politik ohne Perspektive ist.
Sie bieten für die Zukunft keine brauchbaren Antworten.Mit Beitragssatzerhöhungen und Zusatzbeiträgen mu-ten Sie den gesetzlich Versicherten mit 10,2 Prozent,8,2 plus 2 Prozent, den höchsten Beitragssatz aller Zei-ten zu; den müssen schon bald alle schultern. HeuteMorgen gab es ja die ersten Meldungen, dass das Defizit2011 laut Rechnungen des Bundesgesundheitsministeri-ums gedeckt sein könnte, dass aber schon Milliardende-fizite für 2012, 2013 und 2014 – wir reden über 4 bis10 Milliarden Euro – absehbar sind. Das allein sollen dieVersicherten schultern, und insbesondere Menschen mitden kleinsten Einkommen, also Geringverdiener, Ar-beitslose, Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende,überproportional, während die Arbeitgeber und Bestver-dienenden außen vor bleiben? Das alles ist zutiefst unso-zial.mrsVgMaskdDAbgusHmsewEdDpAmszdJvJlcpuLthag–mk
Aber das Ganze ist nicht ohne Alternative. Die Stim-en in der Öffentlichkeit, die eine solidarische Bürge-innen- und Bürgerversicherung befürworten, mehrenich. Viele fordern: Sie muss her! Es geht dabei um eineersicherung, in die wirklich alle Bürgerinnen und Bür-er einbezogen werden, also auch Beamte, Abgeordnete,inister, Selbstständige und Manager, und in die auchlle Einkommen einbezogen werden, von denen Men-chen heutzutage leben, also auch Kapital- und Zinsein-ünfte. Natürlich müssen sich auch die Arbeitgeber wie-er zu gleichen Teilen an der Finanzierung beteiligen.ie Parität muss wiederhergestellt werden.
uf dieser neuen Basis reichten für Versicherte und Ar-eitgeber 10 Prozent, also 5 plus 5 Prozent, aus, um alleesundheitlichen Leistungen zu bezahlen. Zuzahlungennd die unsägliche Praxisgebühr könnten sogar abge-chafft werden. Außerdem hätten wir Spielraum für dieerausforderungen, vor denen wir stehen.Alle reden von den Erfordernissen aufgrund des de-ografischen Wandels bzw. der älter werdenden Gesell-chaft und vom rasanten medizinischen Fortschritt. Wieine Monstranz trägt man das vor sich her. Aber sind wirirklich darauf eingestellt? Wir sagen Nein.
in Blick in Ihr lange ausgebrütetes Konzept bestätigties: kein Wort zu Strukturveränderungen. Vielmehr:er Wettbewerb soll es richten. Ausgaben werden dabeiauschal gekürzt.Nehmen wir nur das Beispiel der Krankenhäuser: Derusgabendeckel wird gesenkt – die Ausgaben dürfenaximal in Höhe der halben Steigerung der Grundlohn-umme wachsen –, und für Mehrleistungen ist ein Effi-ienzabschlag von 30 Prozent zu zahlen. Meinen Sieenn, die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht ausux und Dollerei von einem Sanierungsdefizit in Höheon 50 Milliarden Euro? Meinen Sie, Verdi fordert ausux und Dollerei: „Weg mit dem Deckel!“?Die Finanzlöcher in den Krankenhäusern werden zu-asten der dort Beschäftigten gestopft. Immer unerträgli-here Arbeitszeiten, enorme Arbeitszeitverdichtungen,hysische und psychische Belastungen von Ärztinnennd Ärzten, Schwestern und Pflegern sind die Realität.etztlich wirkt sich dies auch auf die Versorgung der Pa-ientinnen und Patienten aus. Technik und Pillen alleineilen nicht. Zum Heilungsprozess gehören auch einufmunterndes Lächeln und ein gutes Wort. Doch woibt es das bei allem Engagement der Beschäftigtendas will ich nicht in Abrede stellen – noch?
Wir brauchen endlich konsequente Schritte, um denedizinischen Bedarf in den Regionen unseres Landesonkret zu ermitteln und dabei auch schier unüberwind-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5637
Dr. Martina Bunge
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bare Sektorengrenzen zu überdenken. Man muss ent-scheiden: Wo wird die Behandlung am besten gemacht?Wo können sich Krankenhaus und ambulant Tätige ge-meinsam engagieren? Neue Versorgungsformen wie daserfolgreiche Modell AGnES brauchen eine echteChance. Dann könnten auch unter Bundesbeteiligung In-vestitionsmittel in die Hand genommen und ein zielge-richteter Ausbau der Infrastruktur gewährleistet werden.Dann könnten Krankenkassenbeiträge für medizinischeLeistungen und Beschäftigte in ausreichendem Maßedorthin fließen, wo die Behandlung effizient stattfindet.Dann würde Arbeit im Gesundheitsbereich endlich wie-der attraktiv.Machen Sie mit der Bürgerinnen- und Bürgerver-sicherung das Gesundheitssystem zukunftsfest! LassenSie von Ihrer verkappten Kopfpauschale die Finger!Danke schön.
Das Wort hat nun Jens Spahn für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident, Sie sagen zu Recht zu mir: Sie habeich doch schon gestern gehört. Das ist richtig.
Das macht deutlich, dass es der Opposition offensicht-lich nicht gelungen ist, sich darauf zu einigen, wie siedenn mit diesem Thema in dieser Woche umgehen will.
Sie können uns gerne ob der einen oder anderen Debattekritisieren, die wir in der Koalition führen. Aber wir füh-ren die Debatten wenigstens in der Sache und ringen umdie beste Lösung für die Gesundheitsversorgung derMenschen.
Aber weil sich Linke und SPD nach der Zerlegung beider Bundespräsidentenwahl nicht einigen können undsich vollends auf die Taktiererei nach dem Motto verlegthaben: „Und täglich grüßt das Murmeltier“, gab es ges-tern eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema und heutewieder eine.
Das ist das eigentliche Armutszeugnis dieser ganzenVeranstaltung.
Das gibt uns andersherum die Gelegenheit, noch ein-mal deutlich zu machen, warum der Kompromiss derKoalition gelungen ist.Wbgb1ssJVualdIsdkddtJgvevtMSsrASdihBhstFtDswgL
ir haben ein faires Paket geschnürt, das in seiner Kom-ination sowohl kurzfristig die Herausforderungen an-eht als auch strukturell für die Zukunft eine Perspektiveeinhaltet.Erstens. Angesichts eines Defizites von über0 Milliarden Euro – das größte Defizit in der Ge-chichte der gesetzlichen Krankenversicherung – müs-en wir es schaffen, die Ausgabenzuwächse im nächstenahr zu begrenzen. Da geht es etwa um Bereiche wie dieersorgung durch Niedergelassene, die Krankenhäusernd die Verwaltungskosten der Krankenkassen.Es ist schon spannend, immer wieder zu hören – ichhne es, Sie werden es gleich wieder sagen, Herr Kol-ege Lauterbach; auch gestern klang das schon an –, allas sei viel zu wenig.
ch will Ihnen sagen – Frau Kollegin Bunge hat daraufchon hingewiesen –, was das für die Beschäftigten inen Krankenhäusern bedeutet: für die vielen Pflege-räfte, die Ärzte und die vielen Beschäftigten in den nie-ergelassenen Praxen. Wir haben auch Gespräche miten Betriebsräten der Pharmaunternehmen geführt. Na-ürlich wollen wir die Kostensteigerungen der nächstenahre begrenzen. Natürlich müssen wir die großen Aus-abenblöcke in den Blick nehmen. Wenn wir angesichtson Hunderten Milliarden Euro bis zu 4 Milliarden Euroinsparen wollen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenon der Opposition, aber sagen, das seien nur Kleckerbe-räge, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der betroffenenenschen, die sich Sorgen machen. Deswegen solltenie genau aufpassen, wie Sie sich an dieser Stelle einlas-en.
Normalerweise fordern Sie immer abstrakt das Spa-en ein. Abstrakt Sparen zu fordern, ist immer einfach.ber wenn es dann konkret wird, wird es schwieriger.ie sind in den letzten Wochen einmal konkret gewor-en. Sie haben gesagt, wir sollen den Rabatt der Pharma-ndustrie auf Arzneimittel um 10 Prozentpunkte erhö-en. Wir haben vor zwei Wochen hier im Deutschenundestag mit dem GKV-Änderungsgesetz die Erhö-ung des Zwangsrabattes auf Arzneimittel für die ge-etzliche Krankenversicherung durch die Pharmaindus-rie um 10 Prozentpunkte beschlossen. Die einzigeraktion, die dagegengestimmt hat, war die SPD-Frak-ion.
as soll mir doch einmal jemand erklären: Sie stellenich hierhin, schreien fortwährend, man solle sparen,enn aber dann gespart wird, dann stimmen Sie dage-en. Das ist doch nicht mehr zu verstehen, Herr Kollegeauterbach. Das macht das Ganze nur noch alberner.
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5638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Jens Spahn
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Zweitens. Neben der Frage der Zuwachsbegrenzungim nächsten Jahr ist die Rückkehr zum alten Beitragssatzder gesetzlichen Krankenversicherung von 15,5 Prozentein weiterer Punkt. Diesen Beitragssatz haben wir zum1. Januar 2009 in der Großen Koalition gemeinsam be-schlossen. In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wirden Satz Mitte 2009 auf 14,9 Prozent gesenkt, um An-reize zu setzen, Arbeitsplätze zu erhalten und zusätzlichezu schaffen. Jetzt, zum Ende der Krise – die Zahl der Ar-beitslosen sinkt bemerkenswert stark, die Wirtschaft er-holt sich gut –, kehren wir zu diesem alten Beitragssatzzurück. Entgegen dem, was an der einen oder anderenStelle behauptet wird, ist es im Übrigen auch völlig inOrdnung, dass auch die Arbeitgeber mit in der Verant-wortung sind und zusätzlich zahlen müssen.Zum Dritten werden wir – das ist die Perspektive fürdie Zukunft – den Zusatzbeitrag, den wir übrigens– auch das will ich Ihnen einmal sagen – in der GroßenKoalition zusammen beschlossen und eingeführt haben –SPD und Union haben diesen Zusatzbeitrag gemeinsambeschlossen;
ich weiß, dass Sie diesbezüglich eine politische Demenzhaben, das haben wir ja gestern schon hinreichend ge-hört –, so weiterentwickeln, dass das, was damit be-zweckt ist, auch erreicht wird
und dass wir zu gerechteren Verhältnissen als bisherkommen. Wir werden nämlich den sozialen Ausgleichaus Steuermitteln vornehmen, das heißt, wir werden densozialen Ausgleich auf mehr und breitere Schultern ver-teilen. Nicht mehr nur die 28 Millionen abhängig Be-schäftigten und ihre Arbeitgeber, die in die gesetzlicheKrankenversicherung einzahlen, sondern auch alle ande-ren Steuerpflichtigen – die Bezieher aller Einkommens-arten, die Privatversicherten und auch die Bezieher vonEinkommen über der Bemessungsgrenze – finanzierenden Sozialausgleich. Das ist am Ende gerechter undsollte doch gerade die Sozialdemokratische ParteiDeutschlands freuen.
Am Ende steht das Ziel – um das geht es im Kern –,eine flächendeckende Versorgung zu erhalten. Ichkomme aus dem Münsterland, also einer ländlichen Re-gion. Es geht nicht nur um Spitzenmedizin in München,Düsseldorf oder Berlin. Der Zugang zu medizinischerInnovation ist ein hohes Gut. Wir haben eines der weni-gen Gesundheitssysteme auf der Welt, innerhalb dessenmedizinische Innovationen und neue Arzneimittel fürdie gesetzlich Versicherten direkt verfügbar und zugäng-lich sind. Vor allem sind sie für jeden in Deutschland zu-gänglich. Was nützt Ihnen eine Spitzenmedizin, wennwie zum Beispiel in den USA noch immer bis zu40 Millionen Menschen ohne Versicherung und Gesund-heitsschutz sind?Diese drei Ziele wollen wir erreichen: eine flächende-ckende Versorgung, einen weiterhin direkten Zugang zuIvwsllWwGnkStHMwkswhnwkheWEkuseguiS
enau das wollen wir in den nächsten Wochen und Mo-aten umsetzen. Es wäre schön, wenn Sie sich einmalonstruktiv und nicht nur durch Geschrei in Aktuellentunden beteiligen würden.Danke schön.
Das Wort hat nun Karl Lauterbach für die SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir müssen uns daran erinnern, was hier voninister Rösler und auch von der Koalition versprochenurde. Es sollte eine Reform aus einem Guss werden:eine Flickschusterei, keine Beitragssatzerhöhung. Dieolidarische Absicherung sollte ein Stück weit geschützterden, und die 1-Prozent-Regel – so wurde damals be-auptet – sollte auch nicht wegfallen. Es sollte eineachhaltige Reform werden. Echte Strukturreformenurden angekündigt. Das ist also das, was damals ange-ündigt wurde.Wenn Sie eine solche Reform gemacht hätten, dannätten Sie tatsächlich unsere Zustimmung verlangen undrwarten können. Was haben Sie stattdessen vorgelegt?as liegt heute vor? Seien wir doch ehrlich!
s liegt eine Beitragssatzerhöhung vor, aber überhaupteine Strukturreform; es gibt ein paar unsystematischend im Wesentlichen nicht besonders wirksame Sparvor-chläge, die Kopfpauschale wurde „durch die Hintertür“ingeführt – hier ist Herr Seehofer, das sage ich einmalanz offen, relativ erbärmlich eingeknickt –,
nd es gibt einen Sozialausgleich mit Alibifunktion. Dasst das, was vorliegt. Daher ist diese Reform aus meinericht auf der ganzen Linie gescheitert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5639
Dr. Karl Lauterbach
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Minister Rösler hat damals sinngemäß gesagt – ichmuss sagen, das fand ich beeindruckend, weil das eineaußergewöhnliche Ankündigung war –: Wenn die Re-form misslingt, dann will mich niemand mehr als Minis-ter haben. – Ich kann nur sagen: Dieser Fall ist jetzt ein-getreten; jetzt ist es so weit. Das ist jetzt sozusagen derZeitpunkt dafür, den zweiten Schuh fallen zu lassen. Esist so weit. Die Reform ist misslungen, und daher willder Bürger Sie als Minister, ehrlich gesagt, auch nichtmehr haben.
– Machen Sie sich keine Sorgen, Sie sind ja gar nicht zusehen, Herr Kollege.
Zu Ihnen gibt es keinen Kommentar. Sie sind nicht zusehen, von daher gibt es auch keine Kritik.
Wäre diese Beitragssatzerhöhung vermeidbar gewe-sen? Natürlich wäre die Beitragssatzerhöhung vermeid-bar gewesen. Seit neun Monaten haben wir keinerleiSparbemühungen gesehen. Wir haben auch kein Vor-schaltgesetz gesehen. Wir haben damals unter demDruck drohender Beitragssatzerhöhungen immer Vor-schaltgesetze gemacht. Jetzt steigen die Kosten imPharmabereich, im Krankenhausbereich und bei den nie-dergelassenen Ärzten um 6 Prozent; und jetzt kommt dieBeitragssatzerhöhung. Da sagen Herr Spahn und andere,wir hätten Sie mit den Schulden belastet. Das ist schlichtund ergreifend eine Lüge.
Als wir damals das Ministerium an Herrn Röslerübergeben haben
– nein, die Große Koalition; unter anderem wir beide –,
als die Große Koalition das Ministerium übergeben hat,hatten wir in der KV-45-Tabelle
– Herr Lanfermann, das wäre auch für Sie ganz interes-sant – einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro. Jetztschwadronieren Sie von einem Defizit von 10 MilliardenEuro und verbreiten die Legende, um nicht zu sagen, dieLüge, wir hätten Sie mit einem Schuldenhaushalt von10 Milliarden Euro belastet. Das stimmt doch gar nicht!
DKehu–rBlASLs–I–dDDDgbsBbnogmkAs
Die KV-45-Tafel ist keine Schätzung, sondern das wa-en die Zahlen bei der damaligen Übergabe, das war derestand. Das ist die Bilanz, Herr Lanfermann. Die Bi-anz war damals positiv mit 1,4 Milliarden Euro.
ber Sie sagen, wir hätten Ihnen 10 Milliarden Euro anchulden überlassen. Das ist schlicht und ergreifend eineüge, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dasind Ihre Schulden.
Das ist keine Schätzung, verstehen Sie.
ch wiederhole ja nur, was Herr Spahn sagt.
Nein, ich muss es Ihnen erläutern. Es geht nicht umen Schätzerkreis. Herr Spahn sagt, wir hätten Ihnen einefizit von 10 Milliarden Euro hinterlassen. Ich sage:as ist schlicht eine Lüge.
as hat nichts mit dem Schätzerkreis zu tun: Hören Sieenau zu, was ich sage!Was ist passiert? Ich bringe es auf den Punkt: Wir ha-en hier keine Strukturreform, wir haben die Kopfpau-chale durch die Hintertür. Die Kopfpauschale wird dieezieher mittlerer und geringer Einkommen besonderselasten. Die kleinen Leute werden belastet. Kapitaleig-er, Gutverdiener, Privatversicherte, diejenigen, dieberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, werdeneschont. Die Arbeitgeber sollen demnächst nicht mehritbezahlen. Nur die kleinen Selbstständigen, nur dieleinen Arbeitnehmer müssen bezahlen.
Sie quetschen die Menschen aus, die von ihrer Händerbeit leben müssen. Dafür werden Sie abgewählt. Sietehen jetzt bei 4 Prozent.
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Dr. Karl Lauterbach
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Sie werden die Netto-Lügen-Partei sein. Man wird Ihnenbis zum Schluss, bis zur Abwahl vorwerfen, dass Sie dieNetto-Lügen-Partei sind. Sie haben gelogen, als Sie ge-sagt haben, Sie würden die Bezieher mittlerer Einkom-men entlasten. Denn Sie haben genau dort zugeschlagen.Daher sind Sie ab heute – ob Sie das wollen oder nicht;da können Sie filibustern, wie Sie wollen – die Netto-Lügen-Partei. Das ist auch richtig so, meine sehr verehr-ten Damen und Herren.
Das Wort hat nun Christine Aschenberg-Dugnus für
die FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen undHerren! Nun haben wir uns heute hier versammelt, umerneut über Gesundheit zu diskutieren. Mir kommt es sovor, als wäre es erst gestern gewesen – aber von mir ausimmer wieder gerne.Kommen wir zur Sache: Die Menschen werden imSchnitt immer älter. Das müssen wir immer wieder ver-breiten. Der medizinische Fortschritt ist eine erfreulicheTatsache. Die altersbedingten Krankheiten werden starkzunehmen.Dazu im Einzelnen ganz konkret: Die Zahl der zu er-wartenden Herzinfarkte steigt bis zum Jahr 2050 um75 Prozent.
Bei Schlaganfällen gibt es ein zu erwartendes Plus von62 Prozent, und die Zahl der Demenzpatienten wird sichbis zum Jahr 2050 verdoppelt haben. An dieser Tatsachekommen wir leider nicht vorbei. Sogar ein Schulkindkann sich ausrechnen: mehr alte Menschen, mehr Krank-heiten, die erst bei alten Menschen auftreten, mehr Mög-lichkeiten, die Krankheiten erfolgreich zu therapieren.All das kostet Geld, und zwar mehr als das, was uns bisdato zur Verfügung steht.Wir sagen den Menschen hier ganz ehrlich: Ja, wirbrauchen mehr Geld für die Gesundheit. Ja, die Men-schen werden deshalb in Zukunft mehr bezahlen müssenals in der Vergangenheit. Ja, es wird auf absehbare Zeitnicht billiger, sondern eher teuerer. Aber dafür werdenwir auch weiterhin das beste und weltweit anerkanntesteGesundheitssystem behalten, und das ist gut so.
Die Alternative dazu wäre Rationierung. Ich hoffe, wirsind uns darüber einig, dass wir das nicht wollen.uLDaEHugmrbewDWDSBVmKAKsmgDdk
Zur Stabilisierung der Gesundheitsfinanzen müssennd werden alle beitragen: Arbeitgeber, Arbeitnehmer,eistungserbringer und auch die Krankenkassen.
aher begrenzen wir den Zuwachs bei der Vergütung dermbulanten Versorgung bei Ärzten und Zahnärzten.
s wird eine Begrenzung des Vergütungsniveaus beiausarztverträgen geben,
nd auch im stationären Bereich wird es Einsparungeneben.Beachtliche Einsparvolumina gibt es auch im Arznei-ittelsektor. Das entsprechende Gesetz kennen Sie be-eits. Es ist ein gutes Gesetz.
Wenn die Leistungserbringer ihren Teil zur Reformeitragen, müssen selbstverständlich auch die Leistungs-mpfänger herangezogen werden. Das ist genauso fairie einleuchtend.
eshalb wird der allgemeine Beitragssatz auf das Vor-irtschaftskrisenniveau von 15,5 Prozent angepasst.amit nehmen wir die im Zuge der Konjunkturkrise mitteuermitteln, also auf Pump, finanzierte Absenkung dereiträge wieder zurück. Denn die Zeit der ungebremstenerschuldung ist endgültig vorbei.
Mit der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge kom-en wir endlich weg von der beschäftigungsfeindlichenoppelung der Krankheitskosten an die Einkommen derrbeitnehmer. Wir haben doch erlebt, dass sich jedeonjunkturschwankung direkt auf die Gesundheitskas-en auswirkt. Das können wir nicht weiter hinnehmen.Die Kassen erhalten nun die Möglichkeit, einkom-ensunabhängige, individuelle Zusatzbeiträge festzule-en.
ie Kassen erhalten damit mehr Beitragsautonomie;enn die Zusatzbeiträge landen direkt bei der Kranken-asse und werden nicht über den Gesundheitsfonds ge-
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Christine Aschenberg-Dugnus
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schleust. Auch das war uns sehr wichtig. Damit schaffenwir den dringend notwendigen Wettbewerb zwischenden Krankenkassen.
Unterschiedliche Prämien bieten nämlich Anreize fürKassen und Patienten. Der Patient kann also die völligtransparenten Preise und Leistungen der Kassen verglei-chen. Man darf den Menschen ruhig zutrauen, dass sieunterschiedliche Preisniveaus bewerten können.
Ich zitiere Herrn Böll auf Spiegel Online vom gestri-gen Tage:Wer wegen einer 5-Cent-Ersparnis beim Joghurtfünf Kilometer fährt, dürfte auf solche Preissignalebei den Zusatzbeiträgen ebenfalls reagieren.Recht hat der Mann!
Außerdem führen wir weitere strukturelle Änderun-gen im System durch: eine Honorarreform für den ambu-lanten Bereich mit klar erkennbaren Preisen, Auswei-tung der Kostenerstattung und die Reform der Selbst-verwaltungsorgane. Außerdem werden wir eine Präven-tionsstrategie entwickeln und die Gesundheits- und Ver-sorgungsforschung ausbauen. Der Vorwurf der Opposi-tion entbehrt daher jeder Grundlage, Frau Bunge undHerr Lauterbach.
Wir stellen sicher, dass die Zusatzbeiträge direkt andie Kassen gehen und dass diejenigen, die davon über-fordert werden, einen Ausgleich erhalten. Sie sehen also:Wettbewerb und soziale Verantwortung gehen bei unsHand in Hand.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. – Mit den von uns eingeleite-
ten Maßnahmen zur Reduzierung der Ausgaben und Sta-
bilisierung der Einnahmen haben wir ein sehr wirksames
Mittel gefunden, der bisherigen Planwirtschaft im Ge-
sundheitswesen ein Ende zu bereiten.
Herzlichen Dank.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Wie immer bekomme ich die besonderen Stich-orte von den Vorrednerinnen und Vorrednern der FDP.as war auch dieses Mal der Fall. Wenn hier von Plan-irtschaft gesprochen wird, dann muss man doch derDP ganz klar vorwerfen: Sie sind marktradikale An-änger einer Theorie, die die Steuerung der gesundheitli-hen Versorgung dem Wettbewerb überlassen will.
as werden wir jedenfalls nicht mitmachen, und dasird auch der Großteil der Bevölkerung nicht mitma-hen. Seien Sie sich dessen sicher!
Sie haben sich sehr viel Mühe gegeben, meine Vor-edner und Vorrednerinnen von den Regierungsparteien,eutlich zu machen, es handle sich hier um ein faires Pa-et. Was fair daran sein soll, dass sämtliche Kostenstei-erungen in der Zukunft allein von den Versicherten auf-efangen werden müssen – einmal über die Beiträge,um anderen über die Zusatzbeiträge –, müssen Sie unsnd der Bevölkerung einmal erklären. Ich glaube, dasird Ihnen nicht gelingen.
enn Sie in die Presse schauen, können Sie feststellen,ass keiner der Autoren Ihre Argumentation auch nur innsätzen nachvollzogen hat.
Alle sagen rundweg – Sie können sich den Presse-piegel anschauen –: Es handelt sich um einen faulenompromiss. – Es ist völlig klar: Die Zuwächse werdenon den Patienten und von den Versicherten zu zahlenein.Das heutige Thema sind aber die Perspektiven deresundheitspolitik. Da stellt sich die Frage, welche Per-pektiven eigentlich aufscheinen. Haben Sie uns über-aupt Perspektiven aufgezeigt? Als Erstes haben Sie eserade einmal geschafft, das kommende Defizit in denriff zu bekommen. Darauf sind Sie stolz wie Oskar. Icherstehe diesen Stolz nicht. Sie hätten dieses Defizitleich zu Beginn dieses Jahres durch einen Federstrichermeiden können. Das wäre im Haushaltsgesetz leichtöglich gewesen. Sie hätten sich dieses ganze Theaterparen können. Es ist überhaupt kein Stolz angebracht.
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5642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Maria Anna Klein-Schmeink
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Herr Spahn, Sie haben gestern stolz darauf verwiesen,dass Sie etwas in Sachen Gesundheitspolitik geschaffthaben, und gleichzeitig der SPD Versäumnisse vorge-worfen. Es sei daran erinnert: Dieses Defizit geht ge-nauso auf Ihr Konto wie auf das der SPD. Machen Siesich da keinen schlanken Fuß!
– Darauf komme ich gleich. –
Sie brauchen acht Monate, um die Situation zu ändern.Das ist Ihr Kardinalfehler. Es geht gar nicht darum, dasses Kostensteigerungen gegeben hat.
Sie haben dieses Defizit von vornherein im Gesetz ein-kalkuliert. Sie sind von einem Deckungsbeitrag für dieGKV in Höhe von 95 Prozent ausgegangen. Alles anderehaben Sie wissentlich in Kauf genommen. Das ist dochvöllig klar.
Deshalb standen Sie in der Verantwortung, für diese Si-tuation eine Lösung anzubieten. Sie haben also keinenGrund, stolz zu sein.Kommen wir zu den Perspektiven. Frau Aschenberg-Dugnus und viele andere haben angesprochen, dass unsdie demografische Entwicklung große Probleme bereitenwird. Haben Sie bisher auch nur eine einzige Lösung aufden Tisch gelegt oder gesagt, wie Sie mit diesem Pro-blem umgehen wollen? Keine einzige. Es hilft nicht, dieländliche Versorgung zu beschwören, wenn man keineneinzigen Lösungsbeitrag vorlegt. Es hilft auch nicht, ei-nen Zusatzbeitrag einzuführen,
der gerade die Rentnerinnen und Rentner belasten wird,die es nicht schaffen werden, einfach in eine andereKrankenversicherung zu wechseln. Sie haben keine Lö-sung für die Probleme, die vor uns liegen.
Ich bin mir sicher: Sie werden bei der nächsten Wahlgenau dafür die Quittung erhalten. In dieser Woche hates eine Umfrage unter 1 200 Personen gegeben, vondenen sich 80 Prozent für ein Solidarsystem mit einerparitätischen Finanzierung ausgesprochen haben – daswollen auch wir –, die aber auch Versorgungslücken ge-sehen haben und eine verbesserte Zusammenarbeit undmehr Investitionen in die Prävention gefordert haben.Das sind die großen Aufgaben, die wir angehen müssen.DmsgsshgwwssdlSkEesbrBLwrel–ScasFlm
Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretä-
in Annette Widmann-Mauz.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Der Verlauf der heutigen Debatte zeigt,ie notwendig und richtig es ist, dass die Bundesregie-ung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen durchinen mutigen Schritt ein weitreichendes Konzept vorge-egt haben.
Das, was Sie von der Linken hier präsentiert habenmit zweimal 5 Prozent Beitrag die Finanzierung desystems und die Krankenhauskosten mit einer Unterde-kung von 50 Milliarden Euro zu finanzieren –, beruhtuf Rechenkünsten aus dem Wolkenkuckucksheim.
Herr Kollege Lauterbach, bis jetzt sind Sie jeden Vor-chlag schuldig geblieben. Sie haben nicht ein einzigesinanzierungskonzept vorgelegt. Sie haben hier im Par-ament nicht einen einzigen konkreten Einsparvorschlagitgetragen.
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Politik, um Ihre Misswirtschaft! Es geht umIhren Murks!)Im Gegenteil: Was Sie hier im Parlament eingebracht ha-ben, waren Änderungsanträge, die die Pharmaindustriebegünstigt hätten. Ich erinnere nur an die Arzneimittel-importeure; das ist gerade einmal wenige Tage her.
Es gibt keine verantwortbare Alternative zu den Maß-nahmen, die wir jetzt beschlossen haben. Wir schaffendamit die Grundlage für ein stabiles, ein transparentes,ein gerechtes und ein effizientes Gesundheitssystem.
Das ist ein klarer Schritt in Richtung einer dringenderforderlichen Stabilisierung der gesetzlichen Kranken-versicherung. Wir verhindern mit diesen Maßnahmen,dass die gesetzlichen Krankenkassen im nächsten Jahrunter der Last eines Defizits von 11 Milliarden Euro zu-sammenbrechen.
Die Zusatzbeiträge auf der Grundlage eines kassenin-ternen Sozialausgleichs, wie sie heute existieren, hättendoch dazu geführt, dass sich die Krankenkassen selbststrangulieren. Dies gilt insbesondere für diejenigen, fürdie Sie doch sonst meinen, Politik zu machen. Ich meinedie Krankenkassen, die Menschen mit geringen Einkom-men versichert haben.
Wir sind deren Fürsprecherinnen und Fürsprecher.Deshalb ändern wir dieses System der Zusatzbeiträge.
Die Krankenkassen hätten doch bei diesem Defizit garkeine Möglichkeit und keine Perspektive mehr, die qualita-tiv hochwertige Gesundheitsversorgung unserer Bevölke-rung aufrechtzuerhalten. Was wären denn die Perspektivengewesen? Insolvenzen? Leistungskürzungen? Leistungs-ausschlüsse? Rationierung von Leistungen? Höhere Zu-zahlungen?
Die Leidtragenden dieser Perspektiven, die Sie in Kaufnehmen wollen, wären die Kranken und die Schwachengewesen, die auf die Stabilität dieses Systems angewie-sen sind.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ein vorrangiges Ziel ist es,dass die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversiche-rung stabilisiert werden. Das erreichen wir durch kurz-fristige Einsparungen auf der Seite der Leistungserbrin-ger, und zwar der Krankenhäuser, der Ärzte, derPharmaindustrie – vom Hersteller über den GroßhändlerbKnzssmnKoaalcamdGmtzsdlPsvinsBvhdpnwRsgecu
Wir verlangen ihn aber mit Sinn und Verstand, undwar ohne notwendige und sinnvolle Leistungen einzu-chränken oder die Menschen vom medizinischen Fort-chritt abzukoppeln.Ich kann nur sagen: Es geht nicht, dass man im Parla-ent und im Ausschuss immer wieder größtes Verständ-is für die Nöte der Beschäftigten äußert – ob sie nun imrankenhaus als Ärzte oder Pflegekräfte beschäftigt sindder die medizinische Versorgung im ländlichen Raumbdecken –, sich aber dann, wenn es darum geht, ihnenuch eine leistungsgerechte Vergütung zukommen zuassen bzw. diese abzusichern, durch die Gänge zu ma-hen. Das geht nicht. Wir handeln an dieser Stelle ver-ntwortlich.
Mit dem Ziel der Ausgabenstabilisierung ist auch eineittel- und langfristige Perspektive verbunden. Wir wer-en in dieser Legislaturperiode strukturelle Reformen imesundheitswesen auf den Weg bringen, Reformen, dieehr Wahlfreiheit für den Einzelnen, weniger Bürokra-ie und vor allen Dingen mehr Wettbewerb schaffen. Dieentrale Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerbowohl zwischen den Krankenkassen als auch zwischenen Leistungserbringern ist, dass Krankenkassen wirk-ich Planungssicherheit haben und damit die langfristigeerspektive besitzen, gestalten zu können. Deshalb müs-en wir die Finanzgrundlagen stärken.Das erreichen wir auf folgenden Wegen:Erstens. Wir sehen einen zusätzlichen Steuerzuschusson 2 Milliarden Euro für das Jahr 2011 vor. Dazu kannch nur sagen: Das ist eine notwendige und richtige Maß-ahme.Zweitens. Wir stellen den Zustand von vor der Wirt-chaftskrise wieder her. Ministerin Schmidt und alleneteiligten war schon klar, dass die Beitragsabsenkungorübergehend ist und dass dieses Defizit wieder entste-en wird. Vielleicht haben Sie, Kollege Lauterbach, inen entsprechenden Sitzungen in der letzten Legislatur-eriode gefehlt; wahrscheinlich hat Frau Schmidt mit Ih-en darüber nicht gesprochen. Dass Ihnen dies nicht klarar, zeigt, wie weit Sie von der gesundheitspolitischenealität in unserem Land entfernt sind.
Drittens. Wir haben den Krankenkassen über die Zu-atzbeiträge die erforderliche Finanzautonomie zurück-egeben. Auch das ist dringend notwendig. Schauen Sieinmal: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversi-herung in den letzten 15 Jahren sind deutlich stärkernd dynamischer gewachsen als die beitragspflichtigen
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Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz
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Einnahmen, und das, obwohl wir eine Vielzahl von Maß-nahmen in unterschiedlichen Koalitionsformationendurchgeführt haben, obwohl Kosten über Budgets oderüber Zwangsabgaben gedämpft wurden, obwohl wir inder Vergangenheit strukturelle Maßnahmen ergriffen ha-ben – denken Sie an die DRGs, denken Sie an Regelleis-tungsvolumina, denken Sie an Festbeträge! –, obwohlwir mehr Wettbewerb ins System gebracht haben. Den-ken Sie an Rabattverträge, an Verträge zur IntegriertenVersorgung, an Ausschreibungen!Trotzdem hat sich der Abstand zwischen Einnahmenund Ausgaben weder verringert, noch ist er gleich ge-blieben, sondern er ist sogar größer geworden. Das zeigtganz klar: Demografische Entwicklungen und medizini-scher Fortschritt haben Folgen für das Gesundheitswe-sen, und sie fordern ihren Preis. Ich kann Ihnen nur sa-gen: Wer im Interesse der Menschen diesen Bedarfdecken will, der hat keine Alternative, wenn er Arbeits-plätze nicht gefährden und Konflikte nicht auf dem Bu-ckel der Kranken und der sozial Schwachen austragenwill. Wir wollen das nicht tun.Zu diesen Maßnahmen gibt es keine Alternative. Wirschaffen neue Perspektiven für dieses System.Neben der erforderlichen Stärkung der Finanzierungs-grundlage ist unser erklärtes Ziel, sicherzustellen, dassdie Versicherten nicht über Gebühr belastet werden.Deshalb gestalten wir den Zusatzbeitrag gerecht.
Wie geschieht dies? Wir sorgen dafür, dass der sozialeAusgleich nicht mehr innerhalb der einzelnen Kranken-kasse, sondern im gesamten GKV-System stattfindet.Das Ganze ist fair gestaltet, da der Ausgleich vom erstenEuro des Zusatzbeitrags an durchgeführt wird. Es gehtalso nicht mehr um einen Betrag von 8 Euro, bei demkeine Einkommensprüfung stattfindet.
Wir finanzieren den Sozialausgleich aus Steuermit-teln. Damit beteiligen sich privatversicherte Einkom-mensbezieher und eben auch Arbeitgeber – das sind diestärkeren Schultern in unserem Land – an diesem Aus-gleich. Dadurch ist unser Ansatz deutlich gerechter.
Wir gestalten diesen Ausgleich unbürokratisch: Erwird über den Arbeitgeber bzw. den Rentenversiche-rungsträger gewährt.
Wir schaffen die Nachteile im Wettbewerb derjenigenKrankenkassen ab, die hauptsächlich Einkommensschwa-che versichern. Wir befördern damit über Preissignaleendlich wieder den Wettbewerb um eine effizientere Ver-sorgung der Versicherten mit innovativen Konzepten.tewVtevvmdsaseMggVgWLgsdtezasism
Sie, Herr Minister, sind mit dem Ziel angetreten, alleserechter, sozialer, stabiler und transparenter zu machen.or allem wollten Sie es anders machen als Ihre Vorgän-er im Amt.
as ist von diesen Ankündigungen übrig geblieben?etztendlich ist nichts davon übrig geblieben. Sie kündi-en Kostendämpfungen und gleichzeitig eine Beitrags-atzerhöhung an. Ich möchte wirklich einmal wissen, woie Unterschiede zu Ihren Vorgängern liegen.Ich habe nachgeforscht, welche Unterschiede es dennatsächlich zu Ihren Vorgängern gibt. Mir sind ganze dreiingefallen: Erstens haben Sie extrem lange gebraucht,weitens haben Sie vorher etwas völlig anderes gesagt,ls Sie jetzt machen, und drittens kassieren Sie die ge-etzlich Versicherten in einem Ausmaß ab, das, glaubech, vorher noch nie da gewesen ist.
Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Vorschläge aus-ehen. Sie belasten die Wirtschaft und die Versichertenit 6 Milliarden Euro. Das ist eine ganz erhebliche
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Bärbel Bas
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Summe. Daneben machen Sie ein Sparpaket von nur3,5 Milliarden Euro. Ich sage deshalb „nur“, weil ich esnicht für gerecht halte,
wenn bei einem Defizit von 11 Milliarden Euro Versi-cherte und Wirtschaft 6 Milliarden Euro tragen, diePharmaindustrie, Ärzte und Krankenhäuser aber nur3,5 Milliarden Euro.
Das ist eine ungerechte Verteilung der Belastung. Damüssen Sie es schon hinnehmen, dass das als nicht ge-recht bezeichnet wird.Jetzt kommt es noch besser. Wenn das nicht reicht,müssen die Kassen eine Kopfpauschale erheben – unddas in Zukunft in unbegrenzter Höhe. Damit haben Sieden Weg dafür freigemacht, dass die Kassen bis zu10 Milliarden Euro bei den Versicherten abschöpfenkönnen – das hat es, glaube ich, bisher auch noch nichtgegeben –, und zwar ohne einen Euro Ausgleich. Sie ha-ben nämlich die Hürde für den Sozialausgleich mal ebenauf 2 Prozent hochgesetzt. Erst dann gibt es einen Aus-gleich – bisher waren die Zusatzbeiträge auf 1 Prozentder beitragspflichtigen Einnahmen begrenzt –,
und das ist überhaupt nicht sozial und gerecht schon garnicht.
Unvermeidbare Ausgabensteigerungen werdendurch Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert.Mit diesem Satz haben Sie endlich die Katze aus demSack gelassen. Ab 2012 zahlen nämlich die Mitgliederder gesetzlichen Krankenversicherung die Zeche ganzallein. Das nenne ich ebenfalls nicht sozial, nicht ausge-wogen und nicht gerecht.Wenn Sie sich schon dafür feiern, dass die gesetzlicheKrankenversicherung die Beitragsautonomie zurückbe-kommt, dann müssen Sie ihr auch zeitgleich Möglich-keiten geben, stärker als bisher Rabatte auszuhandeln,Verträge mit Ärzten und Krankenhäusern zu schließen.Aber hier bleiben Sie genauso wie mit Ihrem Arzneimit-tel-Neuordnungsgesetz im Ansatz stecken. Nichts davonliegt auf dem Tisch.Sie rühmen sich weiterhin, den Ausgleich ganz unbü-rokratisch zu gestalten. Konsequenterweise hätten Sieauch die Erhebung des Zusatzbeitrags über den soge-nannten Quellenabzug organisieren müssen. Vor allemwäre das auch wirtschaftlicher gewesen. Sie sagen: Dasalles geht ganz einfach. Die Arbeitgeber können dasEDV-gestützt leisten. Die Rentenversicherer können dasEDV-gestützt leisten. – Nur haben Sie offenbar verges-sen, dass die Zusatzbeiträge von den Kassen eingesam-melt werden müssen.iZnDdb–bSKdtf–jnnAemMaNPswVDJ
Ich beschwere mich nicht. Aber Sie wollen es dochesser machen.
ie verschwenden über die Verwaltungskosten bei einerasse 12 Millionen Euro. Damit könnten Sie 6 000 me-izinische Rehamaßnahmen oder 3 000 Mutter- oder Va-er-Kind-Kuren finanzieren. Das sind nur einige Beispieleür das, was wir mit Ihrer Bürokratie verschwenden.
Das war kein Eigentor; denn die Vorschläge, die Sieetzt auf den Tisch gelegt haben, sind weder gerechtoch sozial ausgewogen. Sie stabilisieren damit in kei-er Weise das Gesundheitssystem, sondern lediglich dierbeitgeberbeiträge und Ihre chaotische Koalition.Der Satz Ihres Generalsekretärs Lindner „Der Staat istin teurer Schwächling“ hat für mich Gestalt angenom-en in Person des Gesundheitsministers.
Das Wort hat nun Erwin Lotter für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stundeuf Antrag der Linken beweist doch eigentlich nur eines:icht in der Gesundheitspolitik der Regierung herrschterspektivlosigkeit, sondern in der Fraktion Die Linkeelbst. Ganz offensichtlich weiß die Opposition nicht,ovon sie redet.
on Perspektivlosigkeit kann nach dem vergangenenienstag doch überhaupt nicht mehr die Rede sein.
Seit der Bundestagswahl ist kaum mehr als ein halbesahr vergangen, und wir haben endlich eine Gesund-
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Dr. Erwin Lotter
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heitsreform, die diesen Namen auch verdient. Zum ers-ten Mal seit Jahrzehnten – ich betone: seit Jahrzehnten –geht es bei dieser Reform nicht nur um Kostendämp-fung.
Es geht um den Einstieg in eine solide, nachhaltige undgerechte Finanzierung des Gesundheitssystems.Zugegeben, die Verhandlungen in der Koalition wa-ren nicht einfach. Aber für uns war der Koalitionsvertragder Maßstab, und die vereinbarten Maßnahmen habenwir in einem ersten Schritt klar umgesetzt. Die Regie-rung hat ein zukunftsweisendes Paket geschnürt. Es ent-hält sinnvolle Einsparungen in Milliardenhöhe
ebenso wie erste Schritte zum Einstieg in eine nachhal-tige Finanzierung des Gesundheitswesens – und diesohne Einschränkung der Qualität.
Die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge wer-den nicht prozentual berechnet. Vielmehr erhebt jedeKrankenkasse eine fixe Summe pro Versicherten. Diesbedeutet zum einen mehr Wettbewerb unter den gesetzli-chen Krankenkassen, da die Vergleichbarkeit der Bei-träge direkt gegeben ist, und zum anderen mehr Transpa-renz für die Versicherten, die endlich einen klarenÜberblick über die Angebote der verschiedenen Kassenerhalten.
Für die Kassen bedeutet die Aufhebung der Decke-lung der Zusatzbeiträge mehr Freiheit bei der Tarifge-staltung. Für die Arbeitgeber bedeutet das Einfrieren ih-rer Beiträge Entkoppelung von den Arbeitskosten,endlich Planungssicherheit über Jahre hinaus. Das ist gutfür Investitionen, gut für das Wachstum und gut für dasVertrauen in eine Politik, die nicht jedes Jahr eine neueSau durchs Dorf jagt.
Für die Liberalen ist besonders wichtig, dass die Neu-regelung der Zusatzbeiträge auch einen Einstieg in dasSystem des Sozialausgleichs bedeutet, den es bislangnicht gab.
Für den Ausgleich über Steuermittel sind Steuererhö-hungen nicht erforderlich. Wir werden genau beobach-ten, wie sich dies auf Geringverdiener und Beziehermittlerer Einkommen auswirkt. Ganz im Gegensatz zuden substanzlosen Behauptungen der Opposition gilt beiuns: Wir wollen verhindern, dass die Versicherten über-fSdgsdBmsFratGddenuttmvdWebdCIdhWhPhD
Bisher führten steigende Gesundheitskosten zu stei-enden Arbeitskosten. Alle bisherigen sogenannten Ge-undheitsreformen waren reine Gesetze zur Kosten-ämpfung. Das Ergebnis war: Deckelungen undudgetierungen, die dem Gesundheitssystem immerehr Fesseln angelegt haben. Die Entkoppelung der Ge-undheits- von den Arbeitskosten führt auch zu mehrreiheit im Gesundheitssystem.
Selbstverständlich müssen Mediziner und Angehö-ige der Heilberufe künftig darauf achten, dass die Ver-ntwortung gegenüber den Patienten und die Verantwor-ung gegenüber der Finanzierbarkeit des Systems imleichgewicht bleiben. Dieses Gleichgewicht wird je-och nicht mehr zentralistisch verfügt wie bisher, son-ern in die Hände des Fachpersonals gelegt. Das ist einechte, eine fundamentale Verbesserung.
Uns allen geht es doch darum, die exzellente medizi-ische Versorgung in Deutschland aufrechtzuerhaltennd fortzuentwickeln. Hohe Qualität und das Schritthal-en mit dem technischen Fortschritt sind nicht zum Null-arif zu bekommen. Der Koalition ist es gelungen, unver-eidliche Kosten auf so viele Schultern wie möglich zuerteilen und weniger abhängig von den Schwankungener Konjunktur zu werden. Gleichzeitig haben wir deneg zu einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen ge-bnet. Das ist ein Ausweg aus den stümperhaften Nach-esserungsmaßnahmen, die für die Gesundheitspolitiker letzten zehn Jahre kennzeichnend waren. Das sollhaos sein?
ch möchte nicht das Chaos erleben, das losbricht, wennie Opposition weiterhin an unserem Gesundheitssystemerumpfuscht.
ir werden weiterhin mit Nachdruck Bundesgesund-eitsminister Rösler unterstützen. Wir zeigen Ihnen eineerspektive auf. Wir haben eine Vision, und an dieseralten wir fest.
Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktionie Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Der Prozess desvorliegenden Reformwerkes, die verschiedenen Stufenund die verschiedenen Ideen, die uns dargelegt wurden,zeigen uns im Wesentlichen eines: Die Bundesregierung– darin vor allem die FDP – hat keinen Plan.
Im Übrigen geht es mit dem Chaos – das Sie uns vor-werfen wollen – weiter. Es gab eine Pressemeldung, inder zu lesen war, dass die CSU am unbürokratischenSozialausgleich zweifelt. Ihr GesundheitsexperteStraubinger führt aus: „Ich kann nicht erkennen, wie dasumgesetzt werden soll.“ So geht das mit dem Chaos indieser Regierung ein Stück weiter.
„Wichtig ist, was hinten rauskommt“, sagte HelmutKohl. Seiner politischen Erbin hingegen, der jetzigenKanzlerin, scheint es egal zu sein, was das Ergebnis fürdie Versicherten, die Patientinnen und Patienten sowiefür die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler bedeutet.Hinten rauskommen soll vor allem eines: der Koalitions-frieden.
Liebe Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, ratenSie mal, wer das zahlen darf.
Die Menschen in diesem Land wissen genau, dass dieKoalition auf ihre Kosten gerettet werden soll. HerrRösler wird zwar nicht müde, zu behaupten, der Einstiegin eine dauerhaft solide Finanzierung sei geschafft. Dasglauben ihm nach einer Umfrage auf tagesschau.de, ander sich schon 15 000 Bürgerinnen und Bürger beteiligthaben, gerade mal 2,4 Prozent.
Damit glauben ihm das noch nicht einmal die 4 Prozentverbliebenen FDP-Anhänger.
Die Koalition will Unvereinbares zusammenbringen.Einerseits hätte die FDP das Gesicht verloren, wenn eskeine Kopfpauschale gegeben hätte, andererseits war dieCSU – im Übrigen zu Recht – dagegen. Was haben Siegemacht? Sie haben pauschale Zusatzbeiträge geschaf-fen, die der Kopfpauschale in nichts nachstehen.
Die sind das ungerechteste Finanzierungsinstrument, dases überhaupt gibt.IwgtudbmsaeDastdlts0ssbsgnbgnDMtirmmdddz0ddDtgktd
Herr Rösler, Sie meinen, Sie hätten eine nachhaltigend soziale Finanzierung geschaffen. Ihr Modell läuftarauf hinaus, dass in wenigen Jahren die Zusatzbeiträgeis zur Belastungsgrenze von 2 Prozent des Einkom-ens steigen werden, zuerst bei den armen Versicherten,päter bei allen, zuerst bei klammen Kassen, später beillen Kassen. Was passiert denn dann, nachdem Sie allenine 2-prozentige Einkommenskürzung verpasst haben?ann verwandelt sich Ihr sogenannter Sozialausgleichutomatisch in ein Instrument, das alle weiteren Kosten-teigerungen aus Steuern finanziert. Ein steuerfinanzier-es Gesundheitssystem? Ist das das liberale Idealbild?Ihren Vorschlägen ist eines gemein: Am Ende zahlenie Versicherten. Wie schon die Vorgängerregierungenaden Sie fast alle Kostensteigerungen bei den Versicher-en und bei den Kranken ab. Als Feigenblatt haben Sieich überlegt, den Arbeitgeberbeitrag zunächst um,3 Prozent zu erhöhen, dann aber für alle Zeiten festzu-chreiben. Das heißt, über kurz oder lang haben die Ver-icherten eine zusätzliche Belastung von 2,3 Prozent. Sieelasten die Versicherten in unserem Land fast achtmaltärker als die Arbeitgeber. Ich frage Sie: Ist das sozialerecht? Ist es sozial gerecht, dass die Versicherten oh-ehin schon 0,9 Prozent mehr Beiträge zahlen als die Ar-eitgeber? Dazu kommen die Praxisgebühr, Zuzahlun-en, wirtschaftliche Aufzahlungen und Leistungen, dieicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden.as ist weder sozial noch gerecht, und das wissen alleenschen draußen im Land.
Noch eine Bemerkung zum Mythos Lohnnebenkos-en, der auch hier wieder bemüht worden ist: Die Export-ndustrie hat diese Koalition offensichtlich vor den Kar-en gespannt. Sie kämpfen bei den Lohnnebenkostenerkwürdigerweise um jeden Cent Entlastung, wohlge-erkt als höchstes Ziel der Gesundheitspolitik. Mit Hän-en und Füßen wehren Sie sich zum Beispiel dagegen,as Defizit des nächsten Jahres dadurch auszugleichen,ass die Arbeitgeber wieder den gleichen Beitragssatzahlen wie die Versicherten.Wie würde sich eine Beitragssatzsteigerung um,9 Prozentpunkte für die Arbeitgeber auf die Exportin-ustrie auswirken? Nehmen wir ein typisches Exportgut,en VW Golf mit einem Listenpreis von 18 275 Euro.iese Beitragssatzsteigerung würde bei einem Lohnkos-enanteil von 15 Prozent – Tendenz sinkend – am Preiserade einmal 20 Euro ausmachen. 1 Prozent Wechsel-ursschwankungen, die wir in der letzten Zeit ja mitun-er täglich haben, machen 185 Euro aus. Das ist alsoeutlich mehr.
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Harald Weinberg
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Sie hingegen belasten den VW-Facharbeiter durchden 0,9-prozentigen Sonderbeitrag mit 405 Euro zusätz-lich im Jahr. Das soll gerecht sein? Wirtschaftlich sinn-voller wäre es, wenn sich der Arbeitgeber an diesen Kos-ten wieder zur Hälfte beteiligen würde und derFacharbeiter das Geld zum Ausgeben hätte.
Dadurch, dass Sie über Ihr Konzept schreiben, es seigerecht, sozial, stabil, wettbewerblich und transparent,wird das, was unter dieser Überschrift steht, nicht besser.Die Menschen wollen keine stufenweise Abschaffungder Solidarität im Gesundheitssystem. Sie wollen einetatsächlich sozial gerechte Finanzierung, bei der starkeSchultern mehr tragen als schwache. Das will die Linkeauch. Das werden wir versuchen, durchzusetzen.Danke.
Das Wort hat nun Kollege Stephan Stracke für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei den Redebeiträgen der Opposition von gestern undheute habe ich ein Rauschen im Ohr. Das klingt wie einFöhn.
Sie produzieren in diesem Saal nichts als heiße Luft. Mirist klar geworden, warum Sie zwei Aktuelle Stundenbrauchen – gestern und heute –: Sie verstehen es einfachnicht, und, schlimmer noch, Sie haben keine eigenenVorschläge.
Wenn es dem Erkenntnisfortschritt auf der linken Seitedieses Hauses dient, erklären wir Ihnen die gute Gesund-heitspolitik der christlich-liberalen Koalition herzlichgerne.Durchgängig bildet sich ein deutliches Muster ab: Dasteht die deutsche Sozialdemokratie, den Linken zuge-wandt, mit weit ausgebreiteten Armen,
mit offenem Herzen, aber trübem Blick, sei es, wenn esum die Wahl des Bundespräsidenten geht, sei es, wennes um NRW geht; doch die Linke lässt sie abblitzen. Ja,enttäuschte Liebe kann ganz schön nachtragend machen.PsdWtHTs2DszDKusuhkWItvDtedtzs
Nicht anbiedern, Herr Lauterbach, sondern mit guterolitik überzeugen! Weil Sie dazu nicht in der Lage sind,ind Sie zu Recht da, wo Sie hingehören, nämlich aufen Oppositionsbänken.
eil Sie nicht in der Lage sind, verantwortungsvoll Poli-ik zu gestalten, haben Sie auch keine Antworten auf dieerausforderungen, jedenfalls nicht solche, die über denag hinausreichen. Das gilt insbesondere für die Ge-undheitspolitik.
Die Herausforderungen sind wirklich groß. Das für011 erwartete Defizit beträgt rund 11 Milliarden Euro.ie Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben gehttark auseinander. Deswegen ist die Politik aufgefordert,u reagieren.
abei ist die Leitlinie unserer Politik: Wir wollen keineürzungen von Leistungen zulasten der Patientinnennd Patienten; wir wollen keine Rationierung und Priori-ierung von Leistungen.
Im Gegenteil: Wir gewährleisten, dass jede und jederngehinderten Zugang zu unserem exzellenten Gesund-eitswesen hat, unabhängig von Alter, Geschlecht, Ein-ommen und Krankheitsrisiko.
ir sorgen dafür, dass jede und jeder Teilhabe hat annnovationen und medizinisch-technischen Fortschrit-en.Herr Lauterbach, genau dafür sorgen wir mit unserenorgelegten Eckpunkten.
abei gehen wir anders vor als die Opposition. Diese be-rachtet ausschließlich die Einnahmeseite mit der Ideeiner sozialistischen Einheitsversicherung im Kopf,
ie hinsichtlich der Wirkungen nichts anderes ist als einiefer Griff in die Taschen der Menschen in Form einerweiten Einkommensteuer und im Ergebnis einechlechtere medizinische Versorgung für alle bedeutet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5649
Stephan Stracke
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Wir hingegen machen im Bereich der Gesundheit zu-nächst genau das, was wir auch beim Bundeshaushalttun, wenn es um die Reduzierung der Neuverschuldunggeht: Wir heben Sparpotenziale – gerecht und fair –;denn es ist fair, dass zunächst nach möglichen Sparbei-trägen im System gesucht wird.Vorschläge der Opposition dazu gibt es – bis auf ganzkleine – nicht, Fehlanzeige. Wir hingegen ziehen alleAkteure heran, die Leistungserbringerseite mit der Phar-maindustrie, den Apothekern, den Ärzten und Kranken-häusern auf der einen Seite und natürlich auch die Kran-kenkassen auf der anderen Seite durch einen Stopp beiden Verwaltungskosten. Der Sparbeitrag beträgt rund3,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr und 4 Milliar-den Euro im Jahr 2012. Wir nehmen auch die Arbeitge-ber mit in die Verantwortung, indem wir den paritätischfinanzierten Beitragssatz wieder auf das Niveau von vorder Finanz- und Wirtschaftskrise anheben. Ferner neh-men wir Steuermittel in Form eines steuerlichen Bundes-zuschusses in die Hand.So nehmen wir zur Bewältigung des Defizits alle inden Blick: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, die Leistungser-bringer, die Krankenkassen und den Steuerzahler. Ichfinde, wir haben hier ein ausgewogenes Konzept auf denWeg gebracht, das Einseitigkeiten vermeidet und die So-lidarität im Gesundheitswesen erhält.Sicherlich wird es auch nach dieser Reform Kosten-steigerungen geben. Wir verzeichnen jährlich Steigerun-gen von 1 bis 3 Prozent. Wenn wir auch in Zukunft einenungehinderten Zugang zum Gesundheitswesen und Teil-habe an Innovation und Fortschritt gewährleisten wol-len, dann müssen wir auch künftige Kostensteigerungenmit aufnehmen. Deshalb bedarf es Veränderungen aufder Einnahmeseite, und diese nehmen wir auch vor.Klar ist aber auch: Die Begrenzung zukünftiger Aus-gabensteigerungen wird eine Daueraufgabe sein. Ichglaube, dass bei einem Gesamtvolumen von 174 Milliar-den Euro, die wir Jahr für Jahr in der gesetzlichen Kran-kenversicherung ausgeben, genug Spielraum sein wird,um das System zu optimieren. Im Bereich der Verwal-tungskosten der Krankenkassen und im Bereich der ge-samten Behandlungskette müssen wir die Schnittstellenim System zu Nahtstellen machen.
Was den Mehrwert für Patienten angeht, so müssenwir, genauso wie im Arzneimittelbereich, bei der Be-handlung Instrumente entwickeln, die qualitätsgerichtetsind, sei es in der integrierten Versorgung, sei es im Di-sease-Management. Vor uns liegen viele Herausforde-rungen. Wir werden diese entschlossen anpacken.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Steffen-Claudio Lemme für die
SPD-Fraktion.
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Ich empfehle den Kolleginnen und Kollegen auf deregierungsbank dringend, sich mit den Nöten der Bür-erinnen und Bürger sowie der Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer zu befassen, denen durch Ihr Sparpaketozialleistungen gestrichen und gleichzeitig noch deut-ich höhere Ausgaben für ihren Krankenversicherungs-chutz zugemutet werden.Für die Damen und Herren der Regierungskoalitionin kurzes Rechenbeispiel: Der Durchschnittsverdiensteiner Thüringer Landsleute liegt gegenwärtig bei857 Euro brutto. Diese Beitragszahler müssen sich nunufgrund Ihrer Politik auf Mehrausgaben in Höhe von,60 Euro für den regulären Beitrag und in der Ober-renze auf 37,14 Euro Zusatzbeitrag einstellen. Das sindber 40 Euro weniger Haushaltseinkommen im Monat.ch finde das, ehrlich gesagt, skandalös.
Frau Flach, genau das ist das Modell.
Sie können es ja selbst nicht erläutern – das ist ja Ihrroblem –, und andere verstehen es nicht. Deshalb ist soin Wirrwarr entstanden.
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5650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Steffen-Claudio Lemme
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Ich möchte kurz auf zwei Detailfragen eingehen. Zumeinen ist meiner Ansicht nach die zukünftige Festschrei-bung des Arbeitgeberbeitrages nichts anderes als einSchlag ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer.
Die Arbeitgeber werden ganz bewusst aus der Verant-wortung für das zukünftige Wachstum der Gesundheits-kosten entlassen. Wir als SPD-Fraktion fordern unmiss-verständlich die Rückkehr zur Parität,
um das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital wie-derherzustellen und die Lasten gerecht zu verteilen.
Die paritätische Finanzierung war ursprünglich die Legi-timationsgrundlage für die Mitbestimmung der Versi-cherten und Arbeitgeber in den Kassen. Ihre Beitragsdis-parität muss sich in meinen Augen nun auch in derZusammensetzung der sozialen Selbstverwaltung derKassen mit Vertretern beider Seiten niederschlagen. Dasheißt, dass derjenige, der mehr in die sozialen Versiche-rungssysteme einzahlt, auch mehr Mitbestimmungs-rechte in den Selbstverwaltungsgremien genießt.Zum anderen wird unter Punkt 1 des Gesundheitsre-formpapiers, bei der Frage der Ausgabenstabilisierung,der Anschein erweckt, Sie würden die Leistungserbrin-ger im selben Maße zur Konsolidierung der GKV heran-ziehen wie die Versicherten. Sie verschweigen der Öf-fentlichkeit jedoch – ich glaube, mit Methode –, dass Sieetwa bei den Zahnärzten bereits jetzt das Ende derGrundlohnsummenanbindung für die Budgetsteigerun-gen und damit die späteren Einkommenszuwächse zuge-sagt haben,
frei nach dem Motto: Haltet noch kurz die Füße still, dergroße Schluck aus der Pulle wird nachgereicht.
Diese Koalition hat vorgestern den nächsten Akt ihrerverfahrenen Gesundheitspolitik – nennen wir es einmalso – eingeläutet. Nur haben die Hauptakteure noch nichtmitbekommen, dass ihnen das Publikum nicht applau-dieren kann, da es aus Enttäuschung und Frust bereitsden Saal verlassen hat. In Richtung der Regierungsbanksage ich: Ziehen Sie bitte schnell Ihre Konsequenzenund beenden Sie alsbald Ihre Spielzeit.Vielen Dank.CKzgaWtbubsaTgwwsnikzBlSrIgcbcut
Das Wort hat nun Kollege Rolf Koschorrek für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir befassen uns innerhalb weniger Stundenum zweiten Mal in einer Aktuellen Stunde mit demleichen Thema. Das ist eine interessante Déjà-vu-Ver-nstaltung.
ir haben jetzt mittlerweile zwölf Redner der Opposi-ion gehört, die Kritik an Dingen üben, die wir gar nichteschlossen haben,
nd die uns bisher keine eigenen Vorschläge genannt ha-en. Der einzige konkrete Vorschlag, der heute im Raumteht, ist die Forderung nach einem Vorschaltgesetz, wasuch immer das beinhalten mag. Ansonsten waren zumeil ganz drollige Dinge zu hören.Herr Kollege Lemme, wir haben vor nicht langer Zeitemeinsam eine Resolution mit unterschrieben, in derir genau das gefordert und dringend angemahnt haben,as Sie jetzt gerade kritisieren. Es geht darum, dass wirehr wohl für die Angleichung der Ost- an die Westho-orare eingetreten sind. Bis vor wenigen Stunden warch der Meinung, dass Sie das mitgetragen haben. Ichann Ihnen Ihre Unterschrift unter der Resolution gerneigen.
ei den anderen Bereichen ist das längst erfolgt; viel-eicht sind Sie da noch nicht auf dem neuesten Stand.eit einigen Jahren ist das in allen anderen Leistungsbe-eichen abgearbeitet worden.
nsofern hinken Sie da gewaltig hinterher.Ich muss sagen: Das, was hier in den letzten zwei Ta-en gelaufen ist, ist für mich erschreckend. Wir haben si-herlich einen gewissen Anteil des Salärs, das wir hierekommen, unter der Rubrik Schmerzensgeld zu verbu-hen. Das, was wir hier hören mussten, ist grenzwertignd zeigt, dass Sie überhaupt nicht bereit sind, konstruk-iv an der Lösung unserer Probleme mitzuarbeiten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5651
Dr. Rolf Koschorrek
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Das, was Sie in der Debatte des heutigen Tages zur Be-wältigung der Zukunftsprobleme der gesetzlichen Kran-kenversicherung gesagt haben – Sie haben das Themaselbst gewählt –, war beschämend, gerade auch von Ihnenaus der Abteilung der Linken. Sie reden von einer Bürge-rinnen- und Bürgerversicherung und wissen ganz genau,dass Sie damit rechts- und finanzpolitisch einen Blindflugder allerersten Sorte hinlegen, weil Sie ein entsprechen-des Modell weder bestimmen noch berechnen können.Sie würden damit in einer nicht umsetzbaren Weise inRechtsbestände eingreifen. Deswegen haben Sie bis zumheutigen Tag das vor langem gemachte Versprechen nichteinlösen können, ein wirklich durchgerechnetes und imHinblick auf die Rechtssystematik haltbares Modell einerBürgerinnen- und Bürgerversicherung – so nennen Sie es –vorzulegen. Dort scheitern Sie schon im Ansatz; das Mo-dell ist nicht einmal vorlagefähig.Auch wir von CDU und CSU haben durchaus schonharte Zeiten in der Opposition verbracht.
Unsere Auffassung von der Opposition war aber immer,nicht nur zu kritisieren, sondern die jeweils Regierendenmit konstruktiven Vorschlägen dazu zu ermutigen,
zu besseren, schnelleren und konstruktiveren Lösungenzu kommen; wir haben uns da gemeinsamen Lösungennicht verschlossen.Wir haben im nächsten Jahr ein Defizit zu erwarten,das eine konstruktive Mitarbeit, nicht nur destruktiveKritik, dringend erforderlich macht.
Ich finde, Sie sollten sich in den nächsten Wochen zu-sammenreißen. Wir haben schon morgen die nächste Ge-legenheit, in einer Gesundheitsdebatte miteinander zuringen, um diese Dinge vernünftig voranzubringen. Ichhoffe, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen zukonstruktiveren Ansätzen kommen.Die Vorschläge, die wir gemacht haben, sind ein Wegzur Verbesserung der Zukunft der gesetzlichen Kranken-versicherung in Deutschland. Wir werden das Systemdemografiefester machen. Wir werden dafür sorgen, dasswir in den nächsten Jahren die finanzielle Basis bekom-men, auf der wir miteinander Diskussionen über dieStrukturen führen können. Auf diese Diskussionen freueich mich sehr. Wir können aber nur vor dem Hintergrundeiner zumindest mittelfristig gesicherten Finanzplanungüber strukturelle Reformen diskutieren. Die Grundlagedafür – nicht mehr und nicht weniger – haben wir mitdiesem Gesetzespaket, mit diesen Initiativen gelegt. Ichbitte um Unterstützung.Danke schön.
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nd umfragengestützter Politik haben wir nichts gehört.
ie sind so etwas von beratungsresistent, dass ich es mir
etzt schenke, meine Rede zu halten. Sie kapieren die
orgänge jedenfalls heute offensichtlich nicht. Deshalb
önnen Sie das besser im Protokoll nachlesen.
Danke schön.
Liebe Kollegin, ich hoffe, Sie haben nicht gemeint,ass ich das jetzt vorlese.
Ich schließe also mit unser aller Einverständnis dieussprache.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 6 a bisc:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineWeiss , Holger Haibach, Dr. ChristianRuck, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU sowie der Abgeordneten HaraldLeibrecht, Helga Daub, Joachim Günther ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPBemühungen zur Umsetzung der Millenniums-entwicklungsziele bis 2015 verstärken– Drucksache 17/2421 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten AnetteHübinger, Holger Haibach, Dr. Christian Ruck,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht,
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5652 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Helga Daub, Joachim Günther , weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPBildung in Entwicklungs- und Schwellenlän-dern stärken – Bildungsmaßnahmen anpassenund wirksamer gestalten– Drucksache 17/2134 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschussc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. SaschaRaabe, Lothar Binding , Dr. h. c. GernotErler, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDHerausforderung Millenniums-Entwicklungs-ziele– zu dem Antrag der Abgeordneten NiemaMovassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKESteigerung der Entwicklungshilfequote auf0,7 Prozent gesetzlich festlegen– zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENMit dem Global Green New Deal die Millen-niumsentwicklungsziele erreichen– Drucksachen 17/2018, 17/2024, 17/2132,17/2464 –Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss
Dr. Sascha RaabeHarald LeibrechtNiema MovassatThilo HoppeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamen-tarischen Staatssekretärin Gudrun Kopp das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-men! Wir haben fast zwei Drittel des Weges hin zur Er-füllung der acht Millenniumsentwicklungsziele, die wirsngndKssZkrfsWGaZndDdwmvRkgmrlerSZdWkdsmkntnAfgbsBn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5653
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auch darauf setzen, eine höhere Wirksamkeit und Effi-zienz unserer Hilfen zu erreichen.
Die Effizienz und die Zielgenauigkeit unserer Maß-nahmen gehören in den Mittelpunkt dieser Debatte. Ichwill betonen, wie wichtig es ist, dass wir, was die Effi-zienzerhöhung und eine Strukturreform zum Zwecke ei-ner wirkungsvolleren technischen Zusammenarbeit an-geht, ein gehöriges Stück vorangekommen sind. Amgestrigen Tag hat das Bundeskabinett diese Maßnahmenverabschiedet. In einem unglaublichen Kraftakt ist esBundesminister Niebel gelungen, Reformansätze zu ent-wickeln und eine Reform auf den Weg zu bringen, diedas DAC OECD-weit und weltweit eingefordert hat. Da-mit haben wir nicht nur die entsprechenden Forderungendes Koalitionsvertrages erfüllt, sondern es ist uns auchgelungen, den im Koalitionsvertrag formulierten an-spruchsvollen Zeitplan ressortabgestimmt umzusetzen.Das finde ich hervorragend. Das ist eine gute Meldung.
Zum Schluss darf ich noch auf eines aufmerksam ma-chen: Im Hinblick auf die Mittel, die wir bereitstellen,und bei der Arbeit, die wir in der Entwicklungszusam-menarbeit leisten, ist es überaus wichtig, auch auf dieAkzeptanz im Parlament und in der Bevölkerung zu ach-ten. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Bundes-republik Deutschland im Bereich der Entwicklungszu-sammenarbeit hinter den USA und Frankreich derweltweit drittgrößte Geber ist und dass es natürlichwichtig ist, dass wir unsere Verpflichtungen einhalten.Wir haben auch vor, eine ODA-Quote von 0,7 Prozentzu erreichen. Das ist weiterhin unser Ziel. Wir haben mitdem vorgelegten Haushalt 2011, der gerade im Kabinettverabschiedet wurde, dargelegt, dass der Gesamthaus-halt mit 6,07 Milliarden Euro wirklich ambitioniert istangesichts der schwierigen Zeiten, in denen es darumgeht, Schulden abzubauen. Auch damit beweisen wireinmal mehr, dass es uns wichtig ist, in der Entwick-lungszusammenarbeit ein gehöriges Stück weiterzukom-men, sowohl in der Wirksamkeit als auch mit dem finan-ziellen Einsatz.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Ich bin immer wieder erstaunt, was manin solchen Debatten zu hören bekommt. Sehr verehrteFrau Staatssekretärin, Sie haben von einem ganzheitli-chen Ansatz gesprochen, von einem Steuer- und Ge-sundheitswesen in den Entwicklungsländern, das sie auf-bauen wollen, und von einem ganz fantastischenHaushalt, den Sie gestern ins Kabinett eingebracht ha-ben.tgnVlvVBseHsstdulPsrdrMfJ5bsMndwgMgIwNswtg
or kurzem hat Ihr eigener Staatssekretär, Herreerfeltz, gesagt – das war in einer Tickermeldung zu le-en –, ein Aufwuchs von 400 Millionen Euro sei das un-rlässliche Minimum, das man unbedingt in diesemaushalt haben müsse, um weiterhin glaubwürdig zuein und um bei der Finanzierung der Entwicklungszu-ammenarbeit weiterzukommen. Ich finde, das, was ges-ern vorgelegt worden ist, ist angesichts der Probleme,ie wir heute im Zusammenhang mit unserem Antragnd unserer Fragestellung zu den Millenniumsentwick-ungszielen diskutieren, beschämend.Es stimmt: In den letzten Jahren sind wir in einigenunkten weitergekommen. Es gibt eine gestiegene Ein-chulungsrate, zum Beispiel in Subsahara-Afrika. Das istichtig und gut. Aber diese erreichten Ziele sind gefähr-et. Auch sind eine ganze Reihe von Zielen nicht er-eicht worden. Mit Verlaub: Gerade der Bereich derütter- und Kindersterblichkeit ist kein gutes Beispielür das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele.ährlich sterben in den Entwicklungsländern immer noch30 000 Frauen während der Schwangerschaft und Ent-indung, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Ver-orgung haben. Es ist und bleibt unabdingbar, finanzielleittel zur Verfügung zu stellen. Dabei darf man sichicht hinter einer Effizienzdebatte verstecken, so wie Sieas tun.
Wir haben in der Anhörung zu den Millenniumsent-icklungszielen von allen Experten eines ganz deutlichehört: Wir brauchen beides, Effizienz und die nötigenittel. Niemand in diesem Haus ist gegen Effizienz undegen eine effiziente Mittelausgabe. Das unterstelle ichhnen nicht. Ich finde es allerdings ungehörig, das immerieder uns und der Vorgängerregierung zu unterstellen.
iemand wehrt sich gegen einen effizienten Mittelein-atz. Aber was wir auch brauchen, sind die Mittel, dieir effizient einsetzen wollen; denn ohne Moos nix los.
Sie schreiben in Ihrem eigenen MDG-Antrag – ich zi-iere Punkt 2 Ihres Forderungskataloges –, die Bundesre-ierung solle… sich auf dem MDG-Gipfel der Vereinten Natio-nen im September 2010 dafür einsetzen, dass dieinternationale Staatengemeinschaft sich erneut zu
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5654 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Bärbel Kofler
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den Millennium Development Goals bekennt undihre gemeinsamen Verpflichtungen bekräftigt …Was machen Sie denn mit diesem Haushalt? Sie haltenIhre eigenen Vorgaben nicht ein und haben sich davonverabschiedet. Man kann doch nicht nach New York flie-gen und so tun, als habe man zu Hause seine Hausaufga-ben erledigt.
Das kennen wir leider aus dieser Ecke des Hauses vonden verschiedenen internationalen Konferenzen, vonKopenhagen bis zu dem anstehenden Gipfel in NewYork. Sie fahren hin, halten schöne Reden – die Kanzle-rin ist gut darin, international einen schönen Auftritt hin-zulegen –; aber auf dem Rückweg sind die Worte, dieman gesagt hat, schon längst vergessen. Es geht hier da-rum, die Entwicklungszusammenarbeit im Interesse derÄrmsten der Armen zu finanzieren.Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade von der Ak-zeptanz in der Bevölkerung gesprochen. Dazu gehörtauch, sich eine Petition anzuschauen, die von 66 000Bürgerinnen und Bürgern unterschrieben worden ist unddie zeigt, wie viele Menschen in diesem Land sich dieEinführung der Finanztransaktionsteuer wünschen, undzwar aus verschiedenen Gründen.
Die Verursacher der Krise sollen an den Folgen der Krisebeteiligt werden, und Spekulationen, durch die neue Kri-sen hervorgerufen werden, sollen verhindert werden.Insbesondere soll der krisenbedingte Rückfall in Armut– das erleben wir ja auch in Bezug auf die MDGs –, zudem es durch die Wirtschaftskrise und verzocktes Geldgekommen ist, verhindert werden. Es geht darum, dortdie Mittel einzunehmen, wo sie herkommen müssen.Dort, wo das Geld verzockt worden ist, muss auch wie-der Geld eingefordert werden.
Ich kann nicht verstehen, dass sich ausgerechnet der Ent-wicklungsminister diesen Vorstellungen verschließt.Warum das Ganze? Ich nenne Ihnen zwei Beispiele.Erstes Beispiel: Thema Bildung. Wir diskutieren heute jaauch über einen Antrag der Koalition zur Bildung.70 Millionen Kinder sind noch immer vom Zugang zurBildung ausgeschlossen; in dieser Analyse sind wir unseinig. Ich habe Ihren Antrag gelesen und bin von denKollegen der Union, ehrlich gesagt, ein bisschen ent-täuscht.
– Ja, das kommt manchmal noch vor. – Wir haben in derletzten Legislaturperiode gemeinsam einen Bildungsan-trag formuliert, in dem wir sauber und detailliert zu allenFragen – von der Grundbildung bis zur beruflichen Bil-dung – Stellung genommen haben. Er enthielt auch dieForderung an unsere damalige Bundesregierung, in die-sem Bereich mehr zu tun. Was haben Sie hier und heuteavEansFfdsctwnknIsDAldksAÜdwwliwHsd7uUd
Bildung ist eine urstaatliche Aufgabe. Das wurde vonrau Napoe, der Vorsitzenden der Globalen Kampagneür Bildung, in der öffentlichen Anhörung noch einmaleutlich gemacht. Bildung muss öffentlich und kostenlosein. Dabei darf man nicht die Möglichkeitsform gebrau-hen, wie Sie das in Ihrem Papier in mehrfacher Weiseun: Es „solle“ gebührenfrei etwas zur Verfügung gestellterden, darauf „sollten“ entwicklungspolitische Maß-ahmen abzielen, man „solle“ das Bildungssystem stär-en. – Die Möglichkeitsform haben Sie hier weidlich be-utzt, um sich aus der Affäre zu ziehen, da die Mittel aushrem Haushalt dafür nicht reichen.
Wir brauchen eine verlässliche und weltweit abge-timmte und koordinierte Initiative für Bildung.eutschland muss sich verlässlich daran beteiligen.ber gerade daran, sich auf internationaler Ebene ver-ässlich zu beteiligen, hapert es bei dieser Regierung.
Es hapert auch an der Umsetzung des MDG 7, beiem es um die Sicherung der ökologischen Nachhaltig-eit geht; das ist das zweite Beispiel. Es kann doch nichtein, dass man sagt, Klimaschutz sei ein Schlüssel zurrmutsbekämpfung, die Folgen des Klimawandels wieberflutung, Dürre und schwere Stürme träfen insbeson-ere die Ärmsten der Armen, Entwicklungsprozesseürden zurückgedreht und durch die Folgen des Klima-andels aufgehalten, und gleichzeitig im gestern vorge-egten Haushaltsentwurf die einzigen beiden Titel, die esn diesem Haushalt für Klimaschutzmaßnahmen in Ent-icklungsländern gibt, streicht, auf null fährt, rasiert.
ier geht es um die Gelder, die Sie der Weltgemein-chaft in Kopenhagen so großzügig zugesagt haben. Vonen zugesagten 420 Millionen Euro haben Sie schlappe0 Millionen Euro im laufenden Haushalt eingestellt,nd die werden jetzt auch rasiert.Für den Fall, dass ein nachfolgender Redner dernion oder der FDP versuchen möchte, das schönzure-en:
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5655
Dr. Bärbel Kofler
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Bei den Mitteln, die Sie dann immer benennen – es gibtganze Ausarbeitungen dazu –, geht es um Mittel wie bei-spielsweise für die Internationale Klimaschutzinitiative,die bereits 2007 vereinbart und 2008 in den Haushalteingestellt wurden. All das rechnen Sie uns jetzt als Kli-maschutzmaßnahme für die Entwicklungsländer vor. Sogeht das nicht.
Wenn man international ernst genommen werden will,dann muss man mit seinen Finanzierungszusagen glaub-würdig sein. Man muss auch bei der Umwelt- und Ener-giepolitik im eigenen Land glaubwürdig sein. Zudemsollte man tunlichst auf Forderungen wie die im Antragformulierten verzichten, zum Beispiel die, in den Ent-wicklungsländern die Sensibilität für das Thema Klima-schutz zu fördern. Ja, wie denn? Indem Sie gegenüberden Entwicklungsländern gemachte Versprechen bre-chen? – Wie wollen Sie denn so auf internationalen Kon-ferenzen Sensibilität bei den Partnerländern fördern?Das ist doch Humbug.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
Es hat sehr lange gedauert, bis Sie dieses Papier vor-
gelegt haben. Es ist erst nach einer Nacht-und-Nebel-
Aktion heute Morgen vorgelegt worden. Ich glaube, Sie
hätten sich die Mühe für diesen MDG-Antrag sparen
können. Stimmen Sie dem Antrag der SPD-Fraktion zu!
Dann haben Sie ein vernünftiges Papier.
Danke.
Das Wort hat nun Kollege Christian Ruck für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube nicht, Frau Kofler, dass wir IhremSPD-Antrag zustimmen werden.
Wenigstens war das bei uns so nicht ausgemacht. Daranhalten wir uns natürlich.Ich möchte zuerst eine wenig erfreuliche Feststellungmachen: Für viele Menschen in Afrika sind viele Hoff-nungen, die mit der Unabhängigkeit verbunden waren– allein in diesem Jahr begehen 17 Staaten Afrikas den5gbtnb2SjGzsadzs1AtgtsWrzdnpldhlauwrRDdKgstdhuBMgRpuD
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5656 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Wenn wir bei diesen Themen keine Fortschritte ma-chen, dann werden wir trotz aller finanziellen Mittel we-der die materiellen Armutsbekämpfungsziele erreichen,noch können wir dann kulturell und menschlich von ei-ner erfolgreichen Entwicklung sprechen. Deswegen dür-fen wir diese Punkte in der öffentlichen Diskussion nichtübersehen, und wir müssen auch genau auf die inhalt-lichen Ziele achten. Es ist falsch, den Gebern die Schuldzu geben, wenn diese Ziele nicht erreicht werden.Richtig ist, dass die Forderung nach guter Regie-rungsführung keine Einbahnstraße ist. Auch wir müssenunsere Hausaufgaben machen und die Wirksamkeit un-serer Hilfe stärken. Wie in der Koalitionsvereinbarungfestgehalten, haben wir dabei mit der Reform der tech-nischen Zusammenarbeit begonnen. Ich gratuliere Bun-desminister Niebel dazu, wie geräuschlos und effizienter die Vorfeldreform angegangen ist.
Die geplante organisatorische Fusion von GTZ, InWEntund DED stärkt die deutsche TZ und macht sie sichtba-rer. Gleichzeitig erleichtert die Zusammenlegung dieSteuerung durch das Ministerium und verbessert dieKohärenz des Auftritts der deutschen EZ. Das ist sehrwichtig, weil es dabei auch um die Schlagkraft unsererEZ geht.
Insgesamt ist diese Reform ein erster wichtiger Beitragzur Erreichung der Millenniumsziele durch diese christ-lich-liberale Koalition, an dem sich die frühere Leitungdes Hauses die Zähne ausgebissen hat.
Auch in anderen Bereichen müssen die Geber ihreHausaufgaben machen, um eine stärkere Kohärenz ihresHandelns zu erreichen. Zum Beispiel müssen die Gebergegenüber rohstoffreichen Staaten gemeinsam und koor-diniert auftreten, um zerstörerische Fehlentwicklungenwie mit Blutdiamanten oder Blutöl zu vermeiden. Siedürfen sich dabei nicht wegen Wirtschaftsinteressen ge-geneinander ausspielen lassen. Als Entwicklungspoliti-ker müssen wir uns dafür einsetzen, dass aus dem Fluchvon Rohstoffreichtum ein Segen für die Entwicklung derMenschen wird. Das Gleiche gilt für die Handelspolitik.Auch da haben wir viele Gemeinsamkeiten. Wir müssenWert darauf legen, dass jede weitere Öffnung durch dieDoha-Runde oder durch die EPAs auch zu entwicklungs-politischen Fortschritten in diesen Ländern führt.
Jetzt komme ich zum Geld. Wir können nicht über dieMillenniumsziele sprechen, ohne über Geld zu sprechen.
– Genau. – Ich weiche dieser Diskussion auch nicht aus,weil es wahr ist, dass wir nach wie vor vor großen He-rausforderungen stehen: beim Klimaschutz, beim Schutzder Ökosysteme, beim Aufbau von fragilen Staaten, beider Ernährungssicherung und vielem mehr. Darüber sindwSOl–gnrkhdmB5DndwDGWAnzaZsinErswBvPsw
Zu Ihnen komme ich noch. – Die großen Versprechun-en hat Bundeskanzler Schröder gemacht. Er hat aberull Komma gar nichts dafür getan. In der ganzen Regie-ungszeit von Rot-Grün blieb der BMZ-Haushalt fastonstant knapp unter 4 Milliarden Euro. Das Volumenat in der Zeit sogar abgenommen. Das ist der erste Teiler Wahrheit. Der zweite Teil der Wahrheit ist, dass erstit dem Antritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel derMZ-Haushalt in nur einer Legislaturperiode um0 Prozent auf über 6 Milliarden Euro gestiegen ist.iese Zahlen sind nicht so kompliziert, dass man sie sichicht merken könnte.Frau Wieczorek-Zeul, Sie waren doch mit mir einig,ass es ein Glück war, dass Schröder nicht mehr Kanzlerar und Bundeskanzlerin Merkel Ihre Chefin wurde.
as hat Ihnen einen unverhofften und auch berechtigteneldsegen beschert.
ahr ist auch, dass Ihr letzter Haushaltsentwurf einennstieg um 23 Millionen Euro vorsah. Damals hatteämlich bereits die Krise eingesetzt. Wir haben damalsusammen regiert, und das, was Sie jetzt sagen – oderuch du, Bärbel Kofler –, stand in einem ganz anderenusammenhang. Das war damals die Wahrheit, und jetztoll alles falsch sein. Die christlich-liberale Koalition hatn ihrem ersten Haushalt einen Aufwuchs zu verzeich-en, der das Zehnfache des Ansatzes der ehemaligenntwicklungsministerin Wieczorek-Zeul ausmacht. Da-an erkennt man eure fadenscheinigen Argumente.Zu den Grünen möchte ich prophylaktisch nur einesagen: Nachdem ihr aus der Regierung ausgeschiedenart, wurde der Ansatz für Klimaschutzmaßnahmen imMZ verdreifacht, der für die Biodiversität wurde ver-ierfacht. Daran sieht man, wer die wahren Grünen imarlament sind.
Wir kämpfen dafür, obwohl wir zur Schuldenbremsetehen, die auch die SPD mitbeschlossen hat, und ob-ohl wir knappe Haushaltsmittel haben –
Herr Kollege!
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– das ist mein letzter Satz –, dass die Bundeskanzlerin
– darauf können sich auch die NGOs verlassen – ihre
Zusagen einhalten kann. Das gilt auch für diesen Herbst.
Sie hat bis jetzt mit unserer Hilfe noch jede Zusage ein-
halten können.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Heike Hänsel für die Fraktion Die
Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wirsprechen heute im Vorfeld der Überprüfung der soge-nannten Millenniumsentwicklungsziele im Septemberüber die bisherigen Erfolge bzw. Misserfolge beim Er-reichen der selbstgesteckten Ziele. Die Bilanz – das ha-ben wir schon gehört – ist durchwachsen. Jetzt werdenviele Vorschläge gemacht – manche sind konkret, man-che weniger konkret –, was man denn verbessern könnte.Mir fehlt in der gesamten Diskussion ein kritischer Blickauf die Millenniumsentwicklungsziele selbst. VieleMenschen, die heute hier zuhören, wissen sicher garnicht ganz genau, was die Millenniumsentwicklungs-ziele überhaupt sind. Das liegt unter anderem am Zu-standekommen dieser Ziele. Das ist nämlich weitgehendein Prozess ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft. AchtZiele wurden von Institutionen wie der OECD, demInternationalen Währungsfonds und der Weltbank entwi-ckelt und sind von den Regierungen der Entwicklungs-länder und der Industriestaaten umzusetzen.Wir waren aber bei der weltweiten Armutsbekämp-fung schon einmal weiter. In den 90er-Jahren wurdennämlich UN-Beschlüsse mit der Mobilisierung vonMenschen verbunden, zum Beispiel im Rahmen des Rio-Prozesses für nachhaltige Entwicklung. Die Ideen wur-den in die Kommunen getragen; in vielen Städten undGemeinden entstanden sogenannte lokale Agenda-21-Gruppen, die sich mit dem Zusammenhang von weltwei-ter Armut, Klimawandel und unserem Konsummodellund dem Ressourcenverbrauch in den reichen Industrie-staaten beschäftigt haben. Die Millenniumsentwick-lungsziele dagegen sprechen diese Strukturen gar nichtmehr an. Sie sagen nichts über Ursachen der Armutsbe-kämpfung und Strategien zur Armutsbekämpfung. Des-halb fordern wir: Wenn wir von Armutsbekämpfungsprechen, müssen wir auch von den strukturellen Ursa-chen der Armut sprechen.
Damit kommen wir zu dem heute herrschenden Welt-wirtschaftssystem. Allein durch die Finanz- und Wirt-schaftskrise sind laut Aussagen der Weltbank im letztenJahr mindestens 100 Millionen Menschen mehr in Ar-mut zurückgefallen. Das ist eine größere Anzahl alsDeutschland Einwohnerinnen und Einwohner hat. Des-halb ist es auch fatal, dass Sie, Herr Niebel, nun neueWwVwllIdEPltvdvzDzluduDdvbhKdbdpssIzbvkcrh
Was bedeutet das konkret für die Länder des Südens?ch möchte zwei Beispiele nennen.Erstens. Die Bundesregierung verhandelt im Rahmener EU über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Dieuropäische Union will in diesem Zusammenhang dasatentrecht verschärfen, was zum Ergebnis hat, dass bil-ige Nachahmerprodukte erst viel später und deutlicheurer produziert werden können. Die Bundesregierungertritt ganz im Sinne der freien Marktwirtschaft
ie Interessen der Pharmakonzerne gegen die Interessenon Millionen von Menschen, die bisher keinen Zugangu billigen Medikamenten haben. Das ist ein Skandal.
ies läuft drei Millenniumsentwicklungszielen gleich-eitig zuwider, nämlich denen, die sich mit Kindersterb-ichkeit, Müttergesundheit und dem Kampf gegen Aidsnd Malaria beschäftigen.Zweitens: Die Bundesregierung hat sich im Rahmener EU für ein Freihandelsabkommen mit Kolumbiennd Peru starkgemacht, das bereits unterzeichnet wurde.arin geht es unter anderem um bessere Möglichkeitenes Imports von Palmöl aus Kolumbien in die EU. Da-on profitieren ebenfalls große Konzerne, die in Kolum-ien Ölpalmen auf Land anbauen, das Kleinbauern ge-örte, die vertrieben wurden. Mittlerweile gibt es inolumbien mehr als 4 Millionen vertriebene Menschen,ie in größter Armut in den Slums der großen Städte le-en. Das Brisante ist, dass die kolumbianische Armee aniesen Vertreibungen beteiligt ist und die illegalen Öl-almenplantagen auch noch schützt. Ich frage mich, wieich Angela Merkel gestern dazu geäußert hat, als sieich mit dem kolumbianischen Präsidenten getroffen hat.ch habe nichts von Kritik an dieser Politik, die konkretu Armut beiträgt, gehört. Auch das ist völlig inakzepta-el.
Ein ganz entscheidender Punkt, der in der Diskussioniel zu kurz kommt, ist, dass wir nicht von Armutsbe-ämpfung sprechen können, ohne über Krieg zu spre-hen. Viele arme Menschen leben in Kriegs- und Krisen-egionen und werden so lange nicht aus der Armuterauskommen, solange diese Kriege andauern. Das zeigt
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5658 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Heike Hänsel
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sich unter anderem am Beispiel Afghanistan. Trotz neunJahren Aufbauhilfe gehört Afghanistan zu einem derärmsten Länder der Welt und hat eine der höchsten Kin-dersterblichkeitsraten weltweit. Deshalb gilt für uns: Wirmüssen dringend ein neues Millenniumsentwicklungszielformulieren: den Krieg als Mittel der Politik zu überwin-den.
Die Rüstungsausgaben von mehr als 1 Billion Dollarübersteigen die weltweiten Entwicklungsausgaben umdas Zehnfache. Das ist im Zusammenhang mit Armuts-bekämpfung völlig inakzeptabel.Die Millenniumsentwicklungsziele sind ein Minimal-konsens, an dem es viel zu kritisieren gibt. Die Ausgaben-politik der Bundesregierung wird aber nicht viel dazu bei-tragen, diesen Minimalkonsens zu erreichen. Dazugehören auch – das wurde bereits erwähnt – zahllose nichtgehaltene Versprechen, zum Beispiel auf G-8-Gipfeln.Mittlerweile haben wir den Überblick über die zahlrei-chen Zusagen und nicht eingehaltenen Versprechen ver-loren. So hat Angela Merkel in Kanada 80 Millionen Eurofür Mütter- und Kindergesundheit in Aussicht gestellt.Davon ist im neuen Haushalt aber nichts zu sehen. Eswird eine Nullrunde geben und höchstens umgeschichtet.Das ist ein Armutszeugnis für den Entwicklungshilfemi-nister.
Herr Niebel, es legt den Verdacht nahe, dass Sie imRahmen Ihrer Institutionenreform deshalb ständig vonEffizienz in der Entwicklungszusammenarbeit sprechen,um sich vor einer substanziellen Erhöhung des Entwick-lungshaushalts zu drücken. Genau deswegen hat dieFraktion Die Linke einen Antrag eingebracht. Wir wol-len das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungsausgaben biszum Jahr 2015 verbindlich gesetzlich festlegen, damitIhre Politik der Trickserei und Täuschung bei den Ent-wicklungsausgaben ein Ende hat.
Das Wort hat nun Kollegin Ute Koczy für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eines steht fest: Wenn wir die internationalvereinbarten Ziele zur Halbierung der Armut, zur Sen-kung der Müttersterblichkeit und für mehr globale Part-nerschaft erreichen wollen, dann müssen wir mehr tun.Dann reichen die Anstrengungen der letzten zehn Jahrenicht aus.Vor diesem Hintergrund richtet sich meine Frage andie Koalition aus CDU/CSU und FDP: Wie ernst neh-men Sie Ihren Antrag eigentlich?
DUvDJAnvwwzluAHoGdsbRddwfsZtddsmwEgnfDfDc
nd das ist ein Skandal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, dieserntrag muss sich an dem messen lassen, was jetzt imaushalt auf den Weg gebracht wird. Da handelt es sichffensichtlich um eine Täuschung der Öffentlichkeit.
estern posaunte Minister Dirk Niebel auch noch, dassie Reform der entwicklungspolitischen Institutionen eintarkes Signal an den UN-Millenniumsgipfel im Septem-er aussende. Da täuscht er sich gewaltig. Sowohl dieseeform wie auch dieser Antrag gehen vor der Dramatikes gebrochenen Versprechens in die Knie.Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wissenoch wir alle hier, warum und weswegen wir aus der Ent-icklungspolitik für die MDGs kämpfen; da sind wir unsraktionsübergreifend einig. Uns Grünen wurde im Aus-chuss schon bestätigt, dass unsere Forderungen zu denielen in vielen Bereichen auch für die Koalition akzep-abel seien. Wir Grünen meinen, dass wir einen umfassen-en Ansatz wie den globalen Green New Deal brauchen,amit die Finanzmärkte effektiv reguliert werden, damitich die Wirtschaft ökologisch und sozial ausrichtet, da-it ein sozialer Ausgleich zwischen Industrie- und Ent-icklungsländern stattfindet und damit besonders in denntwicklungsländern gegen die katastrophalen Wirkun-en des Klimawandels gekämpft werden kann.Für all dies brauchen wir Handlungsstrategien undatürlich einen weltweiten MDG-Aktionsplan, der auchinanziell unterstützt und unterfüttert ist.
a muss ich Ihren Antrag, den Koalitionsantrag, im Vor-eld der UN-Konferenz als Täuschungsmanöver sehen.ie harten Haushaltsfakten sprechen eine andere Spra-he.
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Ute Koczy
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Sie führen mit Ihrem Antrag schon die Rückzugsge-fechte und legen die Argumente vor, die schon heuterechtfertigen sollen, warum es nicht so wichtig ist, das0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Sie führen die Verantwor-tung der Steuerzahler an.
Sie führen an, dass die Gelder wirksam und effizientausgegeben werden sollen. Sie glauben an die Effizienz-gewinne in Milliardenhöhe in der EZ, die untermauernsollen, dass Steigerungsraten für Entwicklung nicht dieeinzigen Herausforderungen sind.
Das alles tun Sie nur, um sich reinzuwaschen von demgroßen politischen Versagen, ein international gegebenesVersprechen gebrochen zu haben.
Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie mit dem Fin-ger auf die Vergangenheit zeigen und die damaligen Ver-säumnisse anprangern. Zwar sage auch ich: „Es ist nichtganz verkehrt, daran zu erinnern“, doch es nützt Ihnenhier und heute nichts. Sie tragen für 2010 und für 2011die Verantwortung. Sie verantworten, dass es nicht mehrMittel für die Entwicklungspolitik gibt. Was fehlt, istpolitischer Wille.Mein Fazit: Lug und Trug.
Das Wort hat nun Kollege Harald Leibrecht für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieMDG-Überprüfungskonferenz im September ist in derTat ein wichtiger Meilenstein für die internationale Ent-wicklungspolitik. Uns allen ist doch klar, dass nochgroße Aufgaben vor uns liegen. Natürlich können wirmit dem bisher Erreichten nicht zufrieden sein. Viele In-dustriestaaten haben ihre Hausaufgaben, die selbstge-steckten Ziele – sei es bei der ODA-Quote oder bei denMDGs –, bisher nicht erreicht. Gerade das Erreichen derMDGs ist für die Bundesregierung in der Tat eine Her-kulesaufgabe, der sie sich jedoch mit ganzer Kraft stellt.Es ist wirklich bitter, dass die SPD, aber auch die Grü-nen in den vielen Jahren, in denen sie in diesem BereichVerantwortung hatten, leidlich wenig erreicht haben.
MlKIdciAllNkdfasbLdoKaIuMdeSBdWö2SrartdEkddAS
ur dann, wenn Menschen eine solide Schulbildung be-ommen, haben sie die Chance, ihr Schicksal selber inie Hand zu nehmen und sich von Abhängigkeit zu be-reien.Doch Grundbildung alleine reicht bei weitem nichtus. Für den Aufbau von Justiz, Demokratie, Rechts-taatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft bedarf es einerreiten Bildungsschicht, ja einer Bildungselite, die ihrand in eine bessere Zukunft führt. Wenn ein Staat beier Bildung versagt, wie das in Entwicklungsländern soft der Fall ist, dann ist es doch durchaus sinnvoll, Frauofler, wenn es private Anbieter gibt. Warum eigentlichuch nicht?
ch kenne viele Beispiele dafür, dass der Staat versagtnd dass es nur dank der Privaten funktioniert. Jungeenschen, Männer und Frauen gleichermaßen, müssenie Chance haben, nach der allgemeinen Schulbildunginen qualifizierten Beruf zu erlernen oder eine höherechulbildung bis hin zur Universität zu erhalten.Besonders der Lehrerausbildung kommt eine großeedeutung zu, da sie die Basis für ein gut funktionieren-es Schulsystem ist. Minister Niebel hat vor wenigenochen ein Teacher Training College in Afghanistan er-ffnet. Dort werden mit deutscher Hilfe jährlich bis zu000 Lehrer ausgebildet. Wir bauen also nicht nurchulen, sondern wir sorgen auch für qualifizierte Leh-er.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass gutusgebildete und hochqualifizierte Menschen sich in ih-em Land mit ihrem Wissen einbringen und so ihren Bei-rag zur Entwicklung ihres Landes leisten. Der Brain-rain, also das Abfließen der Bildungselite aus einemntwicklungsland, lässt viele Bildungsmaßnahmen wir-ungslos verpuffen und muss deshalb vermieden wer-en.Schon heute leistet Deutschland mit weltweiten Bil-ungskooperationen einen bedeutenden Beitrag. Dieuswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist eine wichtigeäule der deutschen Außenpolitik, und viele junge Men-
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5660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Harald Leibrecht
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schen in der Welt erhalten durch die Hilfe unseres Lan-des eine bessere Bildung.Aus-, Fort- und Hochschulbildung sind die beste lang-fristige Hilfe zur Selbsthilfe und Voraussetzung für einenachhaltige Entwicklungspolitik. Hierum geht es auch inunserem Antrag für eine bessere Bildung in Entwick-lungsländern, wofür ich um Ihre Unterstützung werbe.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Sascha Raabe für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen!
Es ist klar, dass wir zur Erreichung der Millenniumsent-
wicklungsziele auch mehr Geld brauchen. Darüber ha-
ben wir schon bei der ersten Lesung diskutiert. Die eine
oder der andere unter den Rednerinnen und Rednern
hatte mir danach vorgeworfen: Wenn es um die Errei-
chung der Millenniumsentwicklungsziele geht, darf man
nicht laut werden, nicht emotional werden. Wir alle sind
uns doch eigentlich einig. Das ist ein ernstes Thema.
Wissen Sie, wir sind hier nicht auf dem Kirchentag,
sondern im Bundestag. Für die ärmsten Menschen in der
Welt reicht es nicht, wenn wir in Sonntagsreden immer
wieder sagen, dass wir Hunger und Armut überwinden
müssen, aber dann, wenn es darum geht, auch die Mittel
zur Verfügung zu stellen, das nicht leisten, so wie es bei
dieser Bundesregierung der Fall ist, Herr Kollege Ruck.
Sie haben mir vorhin, bevor ich hier überhaupt gere-
det habe, Polemik vorgeworfen. Es ging darum, dass wir
als Opposition kritisieren, dass die Bundesregierung ihre
Versprechen nicht einhält. Ich möchte Ihnen dazu in Er-
innerung rufen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel
bei der Regierungserklärung 2005 hier vor uns gesagt
hat:
Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet … bis
2010 mindestens 0,51 Prozent und bis 2015 die
ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts für die öffentliche Entwicklungszusammenar-
beit aufzubringen. Ich weiß, was ich da sage.
Dann hat sie – Herr Kollege Ruck, hören Sie gut zu! –
am 7. Juni 2007 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ge-
sagt:
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enn im Jahr 2010 anstatt 0,51 Prozent nur 0,4 Prozent
a sind, dann stellt man nun einmal fest, dass eine Kluft
orhanden ist. Da ist ein Versprechen gebrochen worden.
as ist keine Polemik. Da muss man nur rechnen kön-
en. Herr Ruck, nehmen Sie einen Taschenrechner und
eden Sie sich da nicht heraus.
Es ist nun so, Herr Kollege Ruck, lieber Christian,
ass die Kanzlerin wesentlich weiter ist als du. Sie hat
ir dieses Versprechen in vielen persönlichen Gesprä-
hen immer wieder gegeben.
ch habe sie vor wenigen Wochen im Rahmen der De-
atte zum Haushalt 2010 angesprochen. Da hat sie mir
esagt: Ja, ich fühle mich sündig; ich habe da mein Ver-
prechen gebrochen. – Ich als guter Katholik sage: Ich
äre bereit, einer Sünderin zu verzeihen. Aber das setzt
ufrichtige Reue voraus. Angesichts der Tatsache, dass
s im Haushaltsentwurf für 2011 keine Steigerung gibt
nd dass die Versprechen ganz klar aufgegeben werden,
ann ich nur sagen: So können wir die Millenniumsziele
icht erreichen. Die Kanzlerin hat die Öffentlichkeit be-
ogen und die ärmsten Menschen betrogen.
as werden wir als Opposition Ihnen immer wieder sa-
en, ob es Ihnen gefällt oder nicht, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ich bin gerne bereit, Effizienz
nd Wirksamkeit in den Mittelpunkt der Debatte zu stel-
en, wie Sie es gefordert haben. Aber dass Sie, wie ges-
ern in der Pressekonferenz groß angekündigt, die Zu-
ammenführung der technischen Institutionen im
ntwicklungsbereich als die große Lösung und den gro-
en Wurf in der Effizienzdebatte bezeichnen, das ist
och wirklich sehr stark übertrieben.
Der DAC-Bericht, auf den Sie sich immer beziehen,
ordert, die Trennung von technischer und finanzieller
usammenarbeit zu überwinden.
Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schuster
u?
Ja.
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Herr Kollege Raabe, Sie haben in Ihren Ausführun-
gen mehrmals auf die Quote Bezug genommen. Zum
Schluss haben Sie die Effizienz angesprochen. Sind Sie
bereit, anzuerkennen, dass es sehr wichtig ist, dafür zu
sorgen, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie benötigt
wird? Ihre Ministerin hat auch solchen Staaten Budget-
hilfe zugesagt, von denen wir später wussten, dass diese
Gelder in den Apparaten der jeweiligen Regime versi-
ckern und eben nicht den Ärmsten der Armen zur Verfü-
gung gestellt werden.
Man muss auch einmal darüber diskutieren, wie man er-
reichen kann, dass das Geld da ankommt, wo es benötigt
wird.
Ich möchte Sie ferner fragen: Sind Sie nicht auch der
Meinung, dass die Reform der Durchführungsorganisa-
tionen notwendig ist? Von vielen, die in den Organisatio-
nen arbeiten, haben wir die Aufforderung vernommen:
Packt es endlich an! – Wir wollten dies schon viele
Jahre. Aber die damaligen Regierungen haben es nicht
geschafft.
Liebe Kollegin Schuster, ich möchte zunächst auf denzweiten Teil Ihrer Frage antworten.Was die Reform der Institutionen angeht, ist es so,dass das Verhältnis von finanzieller zu technischer Hilfe,was ihr Haushaltsvolumen angeht, zwei zu eins beträgt.Wir geben also doppelt so viel Geld für die finanzielleZusammenarbeit aus wie für die technische Zusammen-arbeit. Natürlich ist es ein erster wichtiger Schritt, wennman im technischen Bereich etwas zusammenführt.Aber es wäre wesentlich sinnvoller – da werden Sie mirsicherlich zustimmen –, dass man den Bereich, der eindoppelt so großes Volumen aufweist, auch in die Reformeinbezieht. Tut man dies nicht, gibt es für die Menschenin den Partnerländern weiterhin zwei Ansprechpartner.
Das ist doch gerade das, was im DAC-Bericht kritisiertwird. Die Ministerin hat in der letzten Legislaturperiodezu Recht gesagt: Erst einmal müssen wir die KfW-Ent-wicklungsbank mit der GTZ fusionieren. Dann reformie-ren wir den technischen Bereich. Denn nur auf dieseWeise erhalten wir eine Lösung aus einem Guss. – Dassteht auch, wie ich gerade schon ausgeführt habe, imDAC-Bericht der OECD.Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dassStaatssekretär Beerfeltz gestern im Ausschuss und da-nach Minister Niebel im Rahmen der Regierungsbefra-gung gesagt haben, dass sie auch zukünftig die KfWEntwicklungsbank mit der Deutschen Gesellschaft fürTechnische Zusammenarbeit nicht zusammenlegen wol-lfzsbFEfwzVdngdwmD1bslanüEDKvhBKZmlrEZi––
eswegen wollen wir Budgethilfe dann geben, Frauollegin, wenn sie mit einer klaren Rechenschaftspflichterbunden ist, das heißt, es muss ein Rechnungshof vor-anden sein. Ich weise es daher zurück, dass wir jemalsudgethilfe irgendwo hingegeben hätten, ohne klareriterien festzulegen, dass die Parlamente dort zumuge kommen und das Vorgehen kontrolliert wird.Frau Kollegin Schuster, ich zitiere keinen Sozialde-okraten, sondern einen liberalen Politiker, den ehema-igen EU-Entwicklungskommissar Louis Michel, der Ih-er Partei angehört.
r hat im Jahr 2008 im Ausschuss für wirtschaftlicheusammenarbeit und Entwicklung Folgendes gesagt –ch zitiere –:Die Frau Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul –und ich selbst kommen gerade zurück von der Kon-ferenz in Accra … Das war die Aid-Effectiveness-Conference. –Ich bin der festen Überzeugung, dass das Instrumentder Budgethilfe am besten geeignet ist, diese Prinzi-pien zur Erhöhung der Wirksamkeit in unserer Ent-wicklungszusammenarbeit zu verwirklichen.
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Dr. Sascha Raabe
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Budgethilfe verstärkt den demokratischen Prozess.Der Haushaltsplan entspricht der politischen Visionund spiegelt die sozialen und wirtschaftlichen Prio-ritäten der Regierung wider. Der Haushaltsplan för-dert Transparenz und Rechenschaftspflicht durchdie Einbeziehung und Kontrolle des Parlaments.Am Haushaltsplan lässt sich auch ablesen, inwie-weit die Regierung sich um die Verwirklichung derMillenniumsentwicklungsziele bemüht.
Budgethilfe unterstützt somit direkt die Entwick-lungsstrategien der Partnerregierungen und nimmtsie gleichzeitig in die Verantwortung, diese Priori-täten umzusetzen und Resultate vorzuweisen.Sie erhöht die Rechenschaftspflicht der Partnerlän-der– das tut weh, stimmt’s? –gegenüber ihren Bürgern und Parlamenten.Ich könnte fortfahren. Für uns ist noch wichtig, dasser gesagt hat:Die Auszahlung der Mittel– hören Sie gut zu, Frau Schuster, wir führen eine MDG-Debatte –wird vom Fortschritt beim Erreichen der Millen-niumsentwicklungsziele abhängig ge-macht. Statt über die Verwendung jedes Euros mit-zubestimmen , wie bei der Projekthilfe,wollen wir von der Regierung Resultate
sehen.Darum geht es bei der Budgethilfe. Wenn der Staats-sekretär Beerfeltz im Ausschuss dieses moderne Instru-ment der Entwicklungshilfe als Suppenschüsselsozialis-mus tituliert, dann frage ich mich, wer einen Sprung inder Schüssel hat.
Das gerade Zitierte hat Ihr Entwicklungskommissar derEU gesagt. Ich finde, Sie sollten aufhören, Vorurteile anStammtischen zu bedienen,
und so zu tun, als würden wir Geld verplempern. Neh-men Sie die Worte des ehemaligen Kommissars der Eu-ropäischen Union zur Kenntnis, der der Partei der Libe-ralen angehört.
In Wirklichkeit wollen Sie, Herr Minister – darumgeht es Ihnen auch bei der Institutionenreform –, nichtgemeinsam mit anderen Ländern eine abgestimmte Ent-wvhdAaFhEdmEtgdswdsudgLpuctdvDsmZseWtalCpf
Dazu gehört auch, dass Sie im Koalitionsvertrag fest-elegt haben – das muss man sich einmal überlegen –,ass nur noch ein Drittel der künftigen Entwicklungszu-ammenarbeit multilateral ausgegeben werden darf. Sieidersprechen hundertprozentig dem, was in Accra beier Konferenz über Wirksamkeit der Entwicklungszu-ammenarbeit vereinbart wurde. Deswegen haben wir innserem Antrag, den wir als Aktionsplan zur Erreichunger Millenniumsentwicklungsziele geschrieben haben,anz klar formuliert, dass wir gemeinsam mit anderenändern für eine moderne und wirksame Entwicklungs-olitik stehen.Zu den finanziellen Zusagen. Wir wollen Quantitätnd Qualität nicht gegeneinander ausspielen. Wir brau-hen mehr Mittel. Wir brauchen eine abgestimmte Poli-ik. Wir brauchen dort multilaterale, moderne Mittel wieie Budgethilfe, wo die Kriterien stimmen. Wir wollenor allem, dass der Hunger in der Welt halbiert wird.eswegen sind wir der Meinung, dass unser Antrag die-es Ziel befördern könnte. Ich bitte deshalb um Zustim-ung zu diesem Antrag.Vielen Dank.
Jetzt erteile ich der Kollegin Heidemarie Wieczorek-
eul das Wort für eine Kurzintervention.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hierteht eine wahrheitswidrige Behauptung im Raum. Ichrwarte, dass Frau Schuster diese zurücknimmt. Ich legeert auf die Feststellung, dass über alle Budgethilfean-räge im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestagesbgestimmt worden ist. Sie werden wohl nicht unterstel-en wollen, dass Ihr jetziger Koalitionspartner, die CDU/SU-Fraktion, in diesen Abstimmungen Geld verplem-ert hat.
Der Haushaltsausschuss hat diese Anträge sehr sorg-ältig überprüft und dazu beigetragen, dass die Linie des
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Heidemarie Wieczorek-Zeul
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Ministeriums, nur dann Mittel gezielt zur Verfügung zustellen, wenn man weiß, wie der gesamte Haushalt desPartnerlandes aussieht, eingehalten wurde. Demgegen-über haben Sie bei der Projektitis nur ein kleines Projekt,das Sie sich anschauen können, aber der Gesamthaushaltdes Partnerlandes wird nicht überprüft.Das ist das, was wir gemacht haben. Dazu stehe ichausdrücklich. Wahrheitswidrige Behauptungen bitte ichhier zurückzunehmen.
Jetzt gebe ich Frau Schuster die Gelegenheit zur Er-
widerung.
Frau Wieczorek-Zeul, ich habe mich nicht auf die
Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages bezo-
gen, sondern ich habe mich darauf bezogen, dass sich bei
den Reisen, die wir durchgeführt haben, Abgeordnete
aus afrikanischen Ländern bei uns beschwert haben, dass
ihre Regierungen vor Ort die Budgethilfe nicht in einem
transparenten Verfahren verwenden. Das war mein
Punkt. Die Parlamentarier in diesen Ländern sagen
selbst: Das Geld kommt nicht bei den Ärmsten an; es
wird bei den Machthabern gebunkert, statt die Projekte
umzusetzen, die den Armen vor Ort nützen. Das war
mein Punkt. Ich habe mich nicht auf die Haushaltsbera-
tungen bezogen.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Weiss
von der CDU/CSU-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Ich will zum Themazurückkommen und nicht in die Haushaltsberatungeneintreten, die erst im September stattfinden.Das wird Mitte September alles andere als eine be-queme Sitzung, wenn die Vereinten Nationen in NewYork zusammenkommen, um eine Zwischenbilanz zuziehen. Es geht um acht ambitionierte Ziele, um Armutund Hunger auf dieser Welt zu mindern und Krankheitund Elend einzudämmen, um fehlende Bildung auszu-gleichen und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechternherzustellen. 15 Jahre gab man sich im Jahr 2000 Zeit.Nun, im September 2010 wird überprüft, wo die Weltge-meinschaft nach zwei Dritteln der Wegstrecke steht.Diese Zwischenbilanz – ich denke, darin sind wir unseinig – wird uns im Ergebnis nicht zufriedenstellen; daseinmal vorweg. Sie kann aber – ich denke, auch dasmuss erwähnt werden – Mut machen, wenn wir denBkIlbsddvrhuIdtsqtIPdicgdajefsfogesuRtÄlafHTKhWa
Wir müssen weiterhin konstatieren: Die Welt hat sicheit dem Jahr 2000 geändert. Die weltweite Wirtschafts-nd Finanzkrise hatte man damals eben nicht auf derechnung. Und die Fachleute sind sich einig: Die härtes-en Auswirkungen wird diese Krise ohnehin auf diermsten der Armen haben. Also dürfen wir diese Mil-enniumsziele nicht leichtfertig aufgeben. Wir haben sieuch nicht aufgegeben.Frau Koczy und Herr Raabe, wir – das gilt also auchür mich – lassen uns von niemandem hier in diesemause oder von draußen unterstellen, dass wir Lug undrug begehen. Wir meinen es ehrlich. Wir nehmen denampf auf, und wir werden die Fahne weiterhin hoch-alten.
ir müssen die Millenniumsziele weiter bekräftigen undn ihnen festhalten – und dies eben nicht als Akt der
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5664 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Sabine Weiss
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Barmherzigkeit oder des Gutmenschentums. Die Verpflich-tung zu den Millenniumszielen beruht vielmehr – wie wires in unserem Antrag formuliert haben – auf dem Funda-ment weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit. Die Mil-lenniumsentwicklungsziele sind ein ambitionierter Fahr-plan, um einen großen Teil der Menschheit von Elendund Hunger zu befreien. Wem damit alleine nicht gedientist: Diese Verpflichtung ist auch ein aktiver Beitrag zurKonflikt- und Terrorismusprävention. Und sie schafft dieVoraussetzung zur Vermeidung unkontrollierbarer Flücht-lingsströme. Ich füge hinzu: Gerade in Zeiten der welt-weiten Wirtschaftskrise ist niemandem damit gedient,wenn die weltweiten Märkte durch Armut, Hunger undauch Perspektivlosigkeit zusammenbrechen.
Wir müssen uns dabei aber auch, bitte, ehrlich in dieAugen schauen und ein Weiteres konstatieren: Die aktu-elle Finanzsituation macht erhebliche Steigerungen imHaushalt eher schwierig bis unwahrscheinlich. Wir allekönnen uns das natürlich wünschen; aber dieser Wunschwird auf absehbare Zeit ein solcher bleiben. Wir müssenalso umschichten und Prioritäten setzen. Aber genaudies ist verantwortliche Politik: das Machbare wirklichmöglich machen. Es muss aber machbar sein.Wie können wir also den Millenniumszielen näherkommen, ohne gleichzeitig mit dem großen Füllhorndurch die Gegend zu laufen? Für mich liegt der Schlüs-sel in einer umfassenden Effizienzkontrolle. Und glau-ben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ist nocheine ganze Menge Musik drin.
Jeder von uns Entwicklungspolitikern – ich sage dasohne Vorwurf – kennt Beispiele, wo viel Geld auch inef-fizient ausgegeben wurde. Ich möchte hier niemanden– keine Person und keine Organisation – infrage stellen,aber bei der Effizienzkontrolle unserer Entwicklungshil-femittel kann noch viel gemacht werden. Das sind wirden Menschen in den Entwicklungsländern schuldig. Ichdenke, der deutsche Steuerzahler muss sicher sein, dassjeder einzelne Euro unserer Finanzhilfe so effizient wiemöglich angelegt wird.Wir Entwicklungspolitiker – auch das möchte ich imRahmen heftiger Debatten sagen – sollten in der Sachezusammenhalten. Wir müssen uns ehrlich, kritisch, aberauch selbstkritisch für eine gute Politik für die Menschenin den Schwellen- und Entwicklungsländern und damitgemeinsam für eine bessere Welt einsetzen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Weiss, ich möchte Ihren Appell gerne auf-nehmen. Sie haben Ehrlichkeit eingefordert. Es gab imAIgsd0gRgdtnDDg0gutl4sgpNVthWPisDW–wbwpmdVePDs
as ist also Anlass zur Kritik und auch zur Selbstkritik.ieses Theater mit den gegenseitigen Schuldzuweisun-en können wir uns wirklich schenken.
Zur Wahrheit gehört auch, dass es sehr schwer ist, das,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Aber ich möchte denjeni-en heftig widersprechen, die sagen, es sei unmöglichnd unrealistisch. Wenn wir die Zahlen genau betrach-en, dann sehen wir, dass im Haushalt 2011 – die Zahleniegen ja schon vor – für die Finanzierung der MDGsMilliarden Euro fehlen. Ich lasse mir von niemandemagen, dass es unrealistisch ist, diesen Betrag aufzubrin-en. Denn es war zum Beispiel in der letzten Legislatur-eriode möglich, einmal eben aus dem Handgelenk überacht 5 Milliarden Euro für eine Abwrackprämie zurerfügung zu stellen.
Sie haben von der Fahne gesprochen, die wir hochhal-en sollen. Vielleicht können wir sie ja gemeinsam hoch-alten. Wir sind uns im Entwicklungsausschuss ja einig.ir müssen aber auch zugeben, dass es an einer falschenrioritätensetzung jeweils im Gesamtkabinett gescheitertt.
ie Erreichung der 0,7 Prozent ist weder an Heidemarieieczorek-Zeul gescheitert noch jetzt an Dirk Niebelbeide wären dankbar über mehr Geld in ihrem Etat ge-esen –, sondern an Fehlentscheidungen des Gesamtka-inetts und des jeweiligen Haushaltsausschusses. Wennir, die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungs-olitiker aller Fraktionen, wirklich gemeinsame Sacheachen würden, wenn wir wirklich Rückgrat hätten,ann würden wir jetzt ganz energisch einfordern: Dieersprechen müssen eingehalten werden. Es ist möglich,s ist finanzierbar. Es kommt einzig und allein auf dierioritätensetzung an.
ann könnte unser Ausschuss wirklich Profil gewinnen,o wie das in der letzten oder vorletzten Legislaturpe-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5665
Thilo Hoppe
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riode der Menschenrechtsausschuss geschafft hat, als erdie Fesseln von Fraktionszwängen abgelegt hat.Ich habe jetzt in der kurzen Redezeit über das Geldgesprochen. Natürlich ist viel mehr notwendig, um dieMDGs zu erreichen. Wir haben einen umfassenden An-trag vorgelegt, in dem wir einen Global Green New Dealfordern. Wir brauchen gerechtere Strukturen in der Welt-wirtschaft. Einige Kolleginnen und Kollegen haben da-rauf hingewiesen. Wir brauchen eine Effizienzsteige-rung. Der Weg zur Institutionenreform ist ein Schritt indie richtige Richtung. Aber wir dürfen uns um GottesWillen nicht davor drücken, die Zusagen einzuhaltenund das Geld zur Verfügung zu stellen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Hübinger von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-schätzte Kollegin Kofler, den Antrag werden wir bzw.ich mit Sicherheit nicht in die Tonne treten. Wir musstenfeststellen, dass unser zugegebenermaßen guter Antragaus der letzten Legislaturperiode nicht die Strahlkraft insMinisterium hatte, wie wir uns das vorgestellt hatten.Auch eine Nachfrage zum Ende der Legislaturperiode,was nun umgesetzt ist, hat uns nicht befriedigt. Wasnicht funktioniert, muss erneuert werden. Deswegen ha-ben wir heute die Erneuerung auf dem Tisch.
– Ja, doch.Aber nun zum Thema unseres Antrags: Bildung alsMillenniumsziel. Dazu muss ich Ihnen vorab einige Zah-len nennen, die plastisch machen, um was es geht.2,2 Milliarden Menschen auf der Welt sind heute jüngerals 18 Jahre, davon leben 1,9 Milliarden in den Entwick-lungsländern. Das heißt, ein Großteil der Kinder und Ju-gendlichen wächst in Ländern auf, in denen sie keinenZugang zu Bildung haben.Weitere Zahlen: 72 Millionen Kinder, mehr als dieHälfte davon Mädchen, können noch immer keineGrundschule besuchen. Ein Drittel der eingeschultenKinder in Afrika bricht die Grundschule frühzeitig ab.776 Millionen Jugendliche und Erwachsene können we-der schreiben noch rechnen. Das sind erschütternde Zah-len.Hinzu kommt, dass die Bildungssysteme in den Ent-wicklungsländern oft unterfinanziert und den Lernbe-dürfnissen nicht angepasst sind. Die Schulklassen sindüberfüllt. Früher Schulabbruch ist weit verbreitet. Lehr-kräfte sind ungenügend aus- und fortgebildet. Ange-sichts dieser Realität scheint die Erreichung des zweitenMbudmATfuKhpulwdwiuklvwIdwbd1mdddznarAPswseoedWsnzEsi
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denn Berufsausbildungsprogramme spielen in diesenLändern gerade im non-formalen Bildungssektor einegroße Rolle. Für viele Menschen ist eine solche Ausbil-dung die einzige Möglichkeit, eine berufliche Qualifizie-rung und damit die Möglichkeit zu einem selbstbestimm-ten Leben zu erhalten.Im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftskoope-ration leistet Deutschland schon heute einen wichtigenBeitrag zum globalen Wissensaustausch. Ich nenne hierbeispielhaft den DAAD, die Stiftungen, Kirchen, die GTZ,die KfW und InWEnt, die jungen Menschen mithilfe vonunterschiedlichsten Förderprogrammen und -maßnah-men den Zugang zu einer Universitätsausbildung ermög-lichen. Dabei ist uns besonders wichtig, dass wir die Ka-pazitäten im Wissenschafts- und Forschungsbereich vorOrt, in den Partnerländern, gezielt unterstützen.
Die Herausforderungen sind groß. Wir müssen diefrühkindliche Bildung ausbauen, mehrere MillionenKinder in die Grundschule bzw. Schule bringen, dieLernstandards und die Lernangebote für Jugendliche undErwachsene erweitern.Good Governance ist der Schlüssel zur Erreichungdieser Ziele. Ungleichheiten, die auf Armut, ethnischerZugehörigkeit, Geschlecht oder anderen Faktoren derBenachteiligung beruhen, müssen von den Regierungenin unseren Partnerländern abgebaut werden. Die nationa-len Ausgaben der Partnerländer für Bildung müssenerhöht werden. In diesem Zusammenhang ist die politi-sche Bildungsarbeit unserer Stiftungen vor Ort in denBereichen Good Governance, Demokratiebildung undStärkung der Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung.
Der Bildungsbereich ist ein Schlüsselsektor für nach-haltige Entwicklung, Wachstum und Wohlstand, in unse-rem Land genauso wie in unseren Partnerländern. Des-halb bitten wir als CDU/CSU-Fraktion um Zustimmungzum Antrag der Koalition.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf
Drucksache 17/2421 mit dem Titel „Bemühungen zur
Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele bis 2015
verstärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit der
Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Opposi-
tionsfraktionen angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2134 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.
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– Drucksache 17/1199 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
agegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als erster
ednerin der Kollegin Halina Wawzyniak von der Frak-
ion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Direkte Demokratie ist wieder im Gespräch.enau das ist die Stärke der direkten Demokratie. Dieenschen reden nämlich über Sachfragen und nicht über
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5667
Halina Wawzyniak
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Machtfragen. Sie reden über Dinge, die sie wirklich in-teressieren. Auch nach dem erfolgreichen Volksent-scheid in Bayern, über dessen Ausgang man durchausunterschiedlicher Meinung sein kann,
mehren sich die Stimmen in Bevölkerung, Medien undPolitik, die fordern, dieses Instrument auch auf Bundes-ebene einzuführen.
Sie haben heute die Chance, dies auf den Weg zubringen. Die Fraktion Die Linke hat als einzige Fraktioneinen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, überden wir nunmehr diskutieren. Ich sage insbesondere imHinblick auf die Fraktionen, die in der letzten Legisla-turperiode einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht ha-ben: Liebe FDP, liebe Grüne, geben Sie sich einen Ruck!
Lassen Sie mich den Inhalt in seinen wesentlichenGrundzügen kurz skizzieren. Die Volksgesetzgebunggliedert sich nach diesem Gesetzentwurf in ein dreistufi-ges Verfahren: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksent-scheid.Um eine Volksinitiative zu starten, benötigen die Ini-tiatoren 100 000 Unterschriften. Danach können sie demBundestag eine Gesetzesvorlage zur Änderung einesBundesgesetzes oder des Grundgesetzes vorlegen. Ein-zige Einschränkung: Die Gesetzesvorlage muss verfas-sungsrechtlich zulässig sein. Sie ist es nicht, wenn zumBeispiel der Kerngehalt der Grundrechte berührt wird.Eine Wiedereinführung der Todesstrafe ist zum Beispielunmöglich. Das ist gut so.
Der Gesetzentwurf greift auch einen anderen wichti-gen Punkt auf. Unzulässig sind allein Volksinitiativen,die sich auf das Haushaltsgesetz beziehen. Dies ist ausunserer Sicht wichtig, da zu häufig Volksinitiativen mitdem Verweis auf haushaltsrechtliche Auswirkungen alsunzulässig abgelehnt wurden.Der Bundestag muss über die Zulässigkeit und denInhalt der Initiative beschließen. Dem Bundesrat mussdie Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.Wird die Initiative für unzulässig erklärt, steht den Ver-trauensleuten der Rechtsweg offen. Stimmt der Bundes-tag mit Mehrheitsbeschluss dem Inhalt der Initiative zu,dann erlangt diese Initiative Gesetzeskraft.Lehnen die Abgeordneten den Inhalt ab, dann habendie Initiatoren die Möglichkeit, die zweite Stufe, also dieVolksgesetzgebung, zu beschreiten: Das Volksbegehrenwird eingeleitet. Dafür müssen dann 1 Million Unter-schriften gesammelt werden, bei einer Grundgesetzände-rung 2 Millionen. Wird das Begehren abgelehnt, kommtdie dritte Stufe, der Volksentscheid, bei dem nunmehrdie wahlberechtigte Bevölkerung über den Inhalt ab-stimmt. Gesetzeskraft erlangt der Inhalt bei einer Ab-stimmung dann, wenn ein Viertel der Wahlberechtigtenan der Abstimmung teilnimmt und davon die Mehrheitmit Ja stimmt. Bei einer Grundgesetzänderung müssenztetsmBVtErpdÖGffFwdsAfagSzsCubk–ddme
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Ceterum censeo: Jedes Jahr aufs Neue de-attieren wir über die Einführung einer direkten Demo-ratie.
So alt werden Sie gar nicht, Herr Ströbele, als dass ichas nicht erleben könnte.
Zum wiederholten Male müssen wir uns heute daheriesem Thema widmen. Ich freue mich, dies heute füreine Fraktion tun zu können.Ich werde deutlich machen, dass es sich hierbei uminen rein populistischen Antrag und eine rein populisti-
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5668 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Helmut Brandt
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sche Forderung der Linken handelt, mit der man mögli-cherweise die Gunst der Bevölkerung leicht gewinnenkann, die aber keine zum Nutzen unserer Demokratie ist.
An unserer Argumentation, die in den letzten Jahren beiden einschlägigen Debatten immer wieder vorgebrachtwurde, hat sich im Kern nichts verändert.
Die Befürworter von Plebisziten tun gerade so, als seiunsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie einequasi minderwertige Form der Demokratie,
ein geschichtliches Versehen, das endlich korrigiert wer-den muss. Das ist eine Geisteshaltung, die ich nicht tei-len kann.
Es wird dabei suggeriert, die Einführung von Volksent-scheiden sei ein Allheilmittel gegen Politikverdrossen-heit.
– Das steht zwar nirgendwo, aber das steht hinter IhremAntrag. – Es wird behauptet, nur durch die direkte De-mokratie könnten das bürgerschaftliche Engagement ge-stärkt und die Wähler wieder an die Wahlurnen zurück-geholt werden.
Diese Auffassung teilen wir ausdrücklich nicht. Es spre-chen nämlich gewichtige Gründe klar gegen Plebisziteauf Bundesebene und für eine Beibehaltung unserer par-lamentarisch-repräsentativen Demokratie.Volksabstimmungen bergen die Gefahr des Miss-brauchs und der politischen Destabilisierung in sich.
– Herr Wieland, ich hatte von der Bundesebene undnicht von Berlin gesprochen. – Herr Wieland, Sie wissenmit Sicherheit – ich weiß, dass Sie das wissen –, dassdurch diese Form des Plebiszits in der Weimarer Zeit dasVolk aufgewühlt und gespalten und das Vertrauen in dasParlament zusätzlich erschüttert wurde. Ich brauche Sieauch nicht daran zu erinnern, dass gerade während derNaziherrschaft Volksabstimmungen geradezu miss-braucht wurden, um diktatorische Entscheidungen zu le-gitimieren.
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Im Gegensatz dazu ist unser bestehendes Gesetzge-ungsverfahren ein lernendes Verfahren. Kein Gesetzerlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde.ach der ersten Lesung schließt sich eine intensive Be-atung in den Ausschüssen an. Sachverständigenanhö-ungen, Expertengespräche und Berichterstattergesprä-he werden durchgeführt.
udem wird eine Folgenabschätzung vorgenommen. Ichrinnere unter anderem auch an die Einrichtung des Nor-enkontrollrates. Es ist also ein umfassender Vorgang,ei dem alle Gesichtspunkte erörtert werden konnten, bischließlich das Gesetz verabschiedet wird. Solch einründliches Verfahren, bei dem regelmäßig auch Kom-romisse zum Wohle der Allgemeinheit, aber eben auchum Wohle der Minderheiten ausgehandelt werden, istach unserer Auffassung das besser geeignete Instru-ent.Das beste Beispiel dafür – das haben Sie nicht erwähnt,eil Ihnen das natürlich nicht in den Kram passt – wirdurch die Schweiz geliefert, wo bei einer Abstimmungurch in diesem Fall zwei rechtspopulistische Parteienberraschend eine Mehrheit von 57 Prozent herauskam.
urch diese Abstimmung wurden nicht nur bei den iner Schweiz lebenden Muslimen, sondern auch im Aus-and und bei uns zu Recht große Proteste ausgelöst.
Herr Kollege Brandt, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Ströbele?
Bitte schön.
Bitte, Herr Ströbele.
Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege, haben Sie einerklärung dafür, warum es auf europäischer Ebene mitinem Volksentscheid klappen soll, während es auf Bun-esebene nicht klappen soll? Wenn ich mich richtig erin-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5669
Hans-Christian Ströbele
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nere, dann hat Ihre Fraktion – vermutlich haben Sie sel-ber das auch getan – für den Lissabon-Vertrag undvorher für die Europäische Verfassung gestimmt, indenen das ja ausdrücklich vorgesehen ist. Wir wissen ja,dass im Augenblick noch sehr intensiv an den Einzelhei-ten gearbeitet wird.
Ich habe deshalb keine Erklärung dafür, weshalb das
klappen sollte, weil ich an ein solches Verfahren nicht
glaube.
– Unabhängig davon, Herr Wieland, ob das im Lissabon-
Vertrag vorgesehen ist oder nicht, wird man abzuwarten
haben, was im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im
Europäischen Parlament dazu beschlossen wird. So wie
Sie das anstreben und wie es in dem vorliegenden Ge-
setzentwurf vorgesehen ist, klappt das weder auf Bun-
desebene noch auf europäischer Ebene.
Ich hatte gerade die Schweiz und die dort mit Volks-
abstimmungen verbundenen Probleme erwähnt. Darauf
gehen Sie natürlich nicht ein, weil das Ihnen nicht passt.
Für besonders groß halte ich auch die Gefahr, dass
wichtige Fragen nicht nach sachbezogenen Gesichts-
punkten entschieden werden, sondern danach, welche
Interessengruppe die bessere Lobbyarbeit macht,
wie schlagwortartig Parolen – darin sind Sie ja groß –
unter das Volk gejubelt werden und wer welche Promi-
nenten mit entsprechender Werbewirkung für seine Sa-
che gewinnt. Die Folge ist doch klar: unsachlicher Ab-
stimmungskampf, der die Gefahr von Manipulation in
sich birgt.
– Das ist nicht unglaublich, Herr Wieland. Sie wissen
genau, wovon ich spreche.
Meines Erachtens ist es nicht einzusehen, dass sich
Parlamentarier ihrer Verantwortung entziehen und un-
populäre oder schwierige Entscheidungen dem Volk
überlassen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wieland?
Selbstverständlich, bitte schön.
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um anderen ist es ein großer Unterschied, ob man in ei-er Stadt wie Berlin mit 3,6 Millionen Einwohnern einolches Verfahren durchführt oder in einem Land mit0 Millionen Einwohnern.
Das ist zahlenmäßig ein großer Unterschied. Das wer-en Sie vielleicht nicht so weit nachvollziehen können,ber ich kann Ihnen das vorrechnen.Dann kommt noch eines hinzu, Herr Wieland: Wennie schon Berlin erwähnen, dann werden Sie doch auchie Worte des Herrn Regierenden Bürgermeistersowereit kennen, der sagte, es wäre ihm vollkommengal, wie das Volk in dieser Volksabstimmung entschei-et, er wird sich ohnehin nicht daran halten, Tempelhofürde geschlossen.
o viel zum Verständnis der Grünen, der Roten und an-erer in dieser Frage. Ich denke, dass Ihre Frage damiteantwortet ist.
Ich habe es ja gerade erwähnt – ich verstehe das auchft in der Diskussion nicht –: Für mich ist nicht einzuse-en, weshalb wir uns als Parlamentarier auf diese Artnd Weise zum Teil aus der Verantwortung stehlen soll-en.
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5670 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Helmut Brandt
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Herr Ströbele, ich denke auch, dass das insgesamt eineAbwertung des Parlaments bedeuten und damit ein Be-deutungsverlust einhergehen würde, der bereits durchdie Normenflut der europäischen Institutionen – und wirwissen ja aus dem Innenbereich, was es damit auf sichhat –
und die unsägliche Neigung, politisch brisante Debattenmehr in Talkshows zu diskutieren als im Parlament aus-zutragen, eingetreten ist. All das würde gefördert.Letztlich wäre die föderale Grundstruktur unseresStaates tangiert, weil die in Art. 79 Abs. 3 des Grundge-setzes garantierte grundsätzliche Beteiligung der Länderan der Gesetzgebung nicht mehr in der vom Grundgesetzgarantierten Form gewährleistet wäre.
– Sie müssen meinen nächsten Satz abwarten, dann wis-sen Sie, was fehlt.Eine Konkurrenzvorlage durch den Bundesrat siehtIhr Gesetzentwurf nämlich nicht vor – auch andere Re-gularien nicht. Er wird lediglich beteiligt, aber nicht inder vom Grundgesetz vorgesehenen Form.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind damit dieGründe für eine Ablehnung im Wesentlichen die glei-chen, die wir bereits anlässlich der früher vorgelegtenähnlichen oder gleichartigen Gesetzentwürfe genannthaben.Kommen wir zu den Hauptargumenten derjenigen,die den Gesetzentwurf eingebracht haben. Sie behauptenimmer wieder, durch die Möglichkeit von Plebisziten aufBundesebene könne man der Politikverdrossenheit unddem Vertrauensverlust der Politiker entgegenwirken.Das stimmt einfach nicht.Ich habe bis heute nicht verstanden, warum der Vor-schlag, dem Parlament in wichtigen Fragen die gesetzge-berische Entscheidungskompetenz zu entziehen und siedem Volk zu übertragen, zu einem größeren Vertrauengerade in das Parlament führen soll. Das ist für mich einWiderspruch in sich.Was die behauptete höhere Wahlbeteiligung anbe-langt, beweisen nicht nur der aktuell in Bayern durchge-führte Volksentscheid zum Nichtraucherschutz, sondernauch die in den vergangenen Jahren in Berlin durchge-führten Volksentscheide das Gegenteil. Die Wahlbeteili-gung war stets konstant niedrig. Sie lag immer bei36 oder 37 Prozent, also deutlich unter der Beteiligungbei anderen Wahlen. Diese Zahlen sprechen nach meinerAuffassung für sich. Direkte Demokratie führt ebennicht zu einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung.esssdraknsEtsfzfHDnüsdKcDrrgTrhuAbka
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neue Argumenteind für uns nicht ersichtlich. Deshalb hat sich auch un-ere Einstellung zu diesem Gesetzentwurf nicht verän-ert. Ich fasse zusammen: Schon die Ergänzung unsererepräsentativen Demokratie um plebiszitäre Elementeuf Bundesebene würde die Wesenszüge unserer Demo-ratie verändern. Ich kann nur raten: Unterschätzen wiricht die Gefahr des Populismus, der in Plebiszitenteckt! Geringschätzen wir nicht unsere geschichtlichenrfahrungen damit! Überschätzen wir nicht die Bedeu-ung von Plebisziten beim Kampf gegen Politikverdros-enheit!Deshalb plädiere ich dafür, unser ausgewogenes Ver-ahren und unseren starken Föderalismus wertzuschät-en. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Hartmann
ür die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Ich habe mir vorhin in Vorbereitung auf unsereebatte am heutigen Nachmittag die Mühe gemacht,achzulesen, wie oft wir in den letzten Wahlperiodenber diese Fragen diskutiert haben. Es waren sage undchreibe zehn Mal. Es wird noch ein elftes, zwölftes undreizehntes Mal geben müssen. Eines Tages wird dieraft der Argumente auch die CDU/CSU-Fraktion errei-hen.
enn es macht durchaus Sinn, auch in einer parlamenta-ischen Demokratie mehr Bürgerbeteiligung einzufüh-en.Angesichts der Debatten könnte man sagen: Täglichrüßt das Murmeltier. Ich bin Optimist und sage: Steterropfen höhlt den Stein. Denn alles, was gegen mehr di-ekte Demokratie eingewandt wird, trifft nicht. In der Tatatten die Eltern des Grundgesetzes 1949 die schlechtennd schlimmen Erfahrungen der Weimarer Republik vorugen. Angesichts der Teilung Deutschlands und deseginnenden Kalten Krieges sahen sie auch die Möglich-eiten, die nationale Karte manipulativ zu ziehen. Daslles ist wahr.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5671
Michael Hartmann
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Aber wir haben gerade im letzten Jahr gemeinsam mitStolz das 60-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefei-ert. Auch unter unserer erheblichen Beteiligung habenwir das Grundgesetz, das gut ist, immer besser gemacht,indem wir es verändert haben. Heute sind wir so weit,dass wir sagen können: Es ist kein Abbruch parlamenta-rischer Demokratie, wenn wir Volksabstimmungen zu-lassen, sondern ein Zugewinn für parlamentarische Pro-zesse.
Im Übrigen hatten auch die Väter und Mütter desGrundgesetzes keineswegs die Tür dafür zugeschlagen.Denn in Art. 20 heißt es sehr wohl, dass das Volk inWahlen und Abstimmungen seiner Meinung Ausdruckverleihen kann. Das sollten wir heute ernster nehmendenn je, in Zeiten, in denen wahrhaftig nicht die Rededavon sein kann, dass hier die Untertanen sind, die garnicht wissen, wie ihnen geschieht, und dort die weisenVolksvertreterinnen und Volksvertreter, die das würde-voll und gescheit an ihrer Stelle für sie entscheiden.Das wäre ein fatales Missverständnis dessen, was par-lamentarische Demokratie ausmacht. Jeden Tag gibt eseine neue Meinungsumfrage, die täglich aufs Neue diePolitik beeinflusst. Wäre es nicht klüger, sinnvoller, ka-nalisierender und in höherem Maße Demagogie verhin-dernd, wenn wir in einem geordneten Verfahren denBürgerinnen und Bürgern von Zeit zu Zeit die Möglich-keit gäben, uns zu sagen, was sie über unsere Politikdenken?
Herr Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Grosse-Brömer?
Gerne.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Kollege Hartmann, Sie haben gerade die Umfragen an-
gesprochen. Würden Sie mir recht geben, dass es gerade
in der Vergangenheit häufig politische Entscheidungen
gegeben hat, die in der Bevölkerung auf große Skepsis
oder große Ablehnung gestoßen sind? Ich nenne exem-
plarisch die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik
oder den NATO-Doppelbeschluss. Diese Entscheidun-
gen wurden in einem parlamentarischen Verfahren mit
ausgiebigen Debatten gegen die Mehrheit der Bevölke-
rung getroffen, wobei die Parlamentarier über Informa-
tionen verfügten, über die der einzelne Bürger nicht ver-
fügt hat.
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Sehr geehrter Herr Kollege, ich bin mir sicher – wäres anders, dann wäre es fatal –, dass Sie einem Missver-tändnis unterliegen. Volksabstimmungen oder Volksent-cheide einzuführen, heißt nicht, einer Gefälligkeitsde-okratie das Wort zu reden. Werter Herr Kollege,ielleicht würde es uns allen guttun, wenn wir das, wasir wollen und vielleicht gegen Widerstände der Öffent-ichkeit durchzusetzen haben – das ist gelegentlich un-ere Pflicht –, genauer und besser erklären würden.enn wir uns einem Volksentscheid stellen müssten,ann müssten wir viel offener und transparenter, als daseute der Fall ist, über das rechten und das verantworten,as wir wollen. Deshalb ist das gerade ein gutes Ele-ent in der parlamentarischen Demokratie.
Die Zeit hat heute sehr schön zu dem Thema unter derberschrift „Wir beißen nicht“ geschrieben:Plebiszit ist nicht das Gegenteil von Parlament. DiePolitik sollte weniger Angst vor dem Souverän ha-ben.as passt genau zu Ihrer Zwischenfrage.Es wird immer das volkspädagogische Argument inseld geführt, die Leute könnten über all diese komple-en Fragen, über die wir hier debattieren und über dieir hier zu entscheiden haben, nicht mit der Tiefe under Sachkompetenz entscheiden, wie wir das können.em halte ich entgegen: Können wir das immer – seienir bitte ehrlich – mit der Tiefe und Detailgenauigkeitei dem Zeit- und Termindruck, dem wir ausgesetztind? Sind wir denn frei von manipulativen Angriffenon Lobbyisten und anderen? Ist bei uns alles so transpa-ent, wie wir es uns wünschen würden? Je mehr Öffent-ichkeit bei den richtigen und notwendigen Fragen, umsoesser für die parlamentarische Demokratie.
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5672 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Michael Hartmann
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Natürlich gibt es Fragen und Themen, die sich einemVolksentscheid entziehen. Die Grenzen dafür sind sehrklar beschrieben. Das sind die Grenzen, die das Grund-gesetz setzt. Das Grundgesetz würde zum Beispiel dis-kriminierende Fragestellungen, Fragen, die religiös oderanderweitig ausgrenzen – ich denke an ein Minarettver-bot –, auf jeden Fall von vornherein nicht zulassen.Wenn jemand die Weisheit der Wählerinnen und Wäh-ler, der Bürgerinnen und Bürger bezweifelt, dann rateich, nach Bayern zu schauen. Egal ob einem das Ergeb-nis gefällt oder nicht, egal ob das Quorum so hoch war,wie man es sich wünschen würde – das ist eine andereFrage –: Klar ist doch, dass die Unentschlossenheit derPolitik durch die Entschlossenheit der Wählerinnen undWähler, die an dieser demokratisch legitimierten und vonder bayerischen CSU gelobten Volksabstimmung – zu-mindest als Instrument gelobten Volksabstimmung – teil-genommen haben, beseitigt wurde.
Ich sagte bereits: Wir reden zum elften Mal über dieseFrage, und es wird noch weitere Male geben. Vielleichtschaffen es die Linken, manche Unstimmigkeiten in ih-rer Initiative im parlamentarischen Beratungsprozess zueliminieren.Dazu gehört zum Beispiel, Wahlen mit Einzelfragenzu verknüpfen, die dann auch zur Abstimmung gestelltwerden. Ein anderes Beispiel sind die niedrigen Quoren.Wenn wir es schaffen, das Ganze noch zu verbessern,und wenn wir es schaffen, dass die Linke, die Grünen,die FDP – hoffentlich auch heute noch – und die SPD alldiese Elemente einer dreistufigen Volksgesetzgebungbefürworten, dann wird es eines Tages gelingen, auchdie Union davon zu überzeugen; schließlich sprechensich CDU und CSU auf europäischer Ebene dafür ausund befürworten sie auf Länderebene schon lange.Ich baue darauf und hoffe, dass das Misstrauen denBürgerinnen und Bürgern gegenüber auch bei der Unionbald überwunden sein wird. Wir sind kein Untertanen-staat mehr. Ich hoffe allerdings auch, dass die Linke dasGanze nicht nur als eine rhetorische Form der Auseinan-dersetzung ansieht. Denn ihr eigenes Agieren bei derWahl des Bundespräsidenten hat nicht unbedingt demVolkswillen entsprochen.Vielen Dank.
Der Kollege Jimmy Schulz ist nun der nächste Redner
für die FDP-Fraktion.
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Wir wünschen uns damals wie heute, dass die Bürgernseres Landes tiefgreifender an politischen Prozesseneteiligt werden. Die Bundesrepublik Deutschland istine repräsentative Demokratie. Daran soll auch in Zu-unft kein Zweifel bestehen. Und doch wollen wir diesesaus für mehr Bürgerbeteiligungen öffnen. Gerade dieroßen Fragen und die harten Entscheidungen könnenurch Bürgerbeteiligungen in ihrer Legitimation gestärkterden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5673
Jimmy Schulz
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Trotzdem lehnen wir den Gesetzentwurf der Linkenab. Scheinbar haben Sie seit den Diskussionen in derletzten Legislaturperiode nichts dazugelernt. Ihr Gesetz-entwurf jedenfalls ist weitgehend derselbe. Immer nochsind die Schwellen, die Sie anlegen, viel zu niedrig. Wirwollen die Beteiligung der Bürger, nicht aber die Dikta-tur durch Minderheiten. Es muss sichergestellt bleiben,dass auch Volksinitiativen auf ähnlich breiter gesell-schaftlicher Basis stehen wie die Entscheidungen diesesParlaments.
Gleichzeitig darf aber die Hürde für die Beteiligungennicht unmöglich hoch oder abschreckend sein.
Die FDP hat sich immer für eine Schwelle von 400 000Unterstützern eingesetzt. Dies scheint mir immer nocheine angemessene Höhe zu sein. Auch das Quorum, dasSie bei der zweiten Stufe, bei den Volksbegehren, anle-gen, sollte überdacht werden. Eine prozentuale Koppe-lung an die Gesamtzahl der Wahlberechtigten erscheintmir deutlich sinnvoller als eine absolute Zahl, die zurFolge hätte, dass wir bei jeder Änderung der Bevölke-rungs- und Wahlberechtigtenzahlen das Grundgesetz än-dern müssten.Es gibt aber nicht nur inhaltliche Gründe, warum wirdiesen Gesetzentwurf ablehnen – obwohl diese vollkom-men ausreichend wären. Im Koalitionsvertrag haben sichdie Regierungsfraktionen darauf verständigt, die Beteili-gung der Bürger über die Reform des Petitionswesensauszubauen.
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak?
Wenn es der Erheiterung des Publikums dient.
Herr Schulz, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie
bereit sind, mit meiner Fraktion und mir über diesen Ge-
setzentwurf in den nächsten Lesungen wohlwollend zu
reden, wenn wir ein bisschen über die Quoten sprechen?
Sie haben richtig verstanden, dass wir eine Bürgerbe-teiligung am demokratischen Prozess sehr wohl unter-stützen, und das werden wir auch weiterhin tun. Die Re-gierungsfraktionen haben sich im Koalitionsvertragdarauf geeinigt, diesbezüglich in einem ersten Schrittüber eine Änderung des Petitionsrechts zu beraten. Daswerde ich gleich ausführlicher darstellen.
Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag – dann verste-hen Sie das vielleicht –:DunhutDDthdflPhdtbcpufetlhmIwDSw
Wir haben im letzten Jahr sehen können, welche Dy-amik eine solche Petition bekommen kann. Ich selbstabe zusammen mit 134 000 engagierten Bürgerinnennd Bürgern die Petition von Franziska Heine gegen In-ernetsperren gezeichnet, und dadurch wurde eine breiteebatte über politische Fehlentwicklungen ausgelöst.ieses Petitionsrecht wollen wir nun deutlich ausbauen.Diese Umsetzung hat für uns Priorität, weil das Peti-ionsrecht die Strukturen dieses Hauses einbezieht. Daseißt, dass das Plenum erfolgreiche Massenpetitionen anie zuständigen Ausschüsse überweisen kann, wo dannachkundige Beratungen stattfinden.Wir haben nun seit fünf Jahren das Verfahren der On-inepetitionen, das Interaktionen zwischen Bürger undarlament endlich auf eine zeitgemäße Ebene gehobenat. Durch die Ausbreitung des Internets stehen wir vorer Verwirklichung eines alten Traums, nämlich der Be-eiligung aller gesellschaftlichen Gruppen am Meinungs-ildungsprozess unserer Republik. Durch die öffentli-hen Petitionen können wir Schichten erreichen, die derolitischen Teilhabe früher fernstanden. Der mündigend informierte Bürger kann seinem Anliegen nun öf-entlich Gehör verschaffen und Missstände anprangern.Lassen Sie mich noch einmal klar sagen: Ich bin fürine weitergehende Beteiligung der Bürger an der Poli-ik, auch am Gesetzgebungsverfahren. Ich habe das zu-etzt in meiner Rede zur Europäischen Bürgerinitiativeier gesagt, in einer Rede, die übrigens erhebliche Auf-erksamkeit bekommen hat.
ch halte es für einen sehr interessanten und diskussions-ürdigen Ansatz.Lassen Sie uns gemeinsam Schritt für Schritt unsereemokratie weiterentwickeln. Einen ersten wichtigenchritt werden wir nach der Sommerpause mit dem er-eiterten Petitionsrecht tun.Vielen Dank.
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5674 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Hönlinger
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir alle hier im Hause wissen: Unser Grund-
gesetz ist die beste Verfassung, und unsere Demokratie
ist die beste Regierungsform, die wir je in Deutschland
hatten.
Wir haben freie, gleiche und geheime Wahlen auf allen
Ebenen. Dadurch beteiligen sich die Bürgerinnen und
Bürger an der Demokratie. Diese Art der repräsentativen
Demokratie hat sich bewährt. Auch wir Grünen sind
überzeugt davon: Wir haben hier in Deutschland eine
gute und funktionierende Demokratie.
Aber Demokratie fällt nicht vom Himmel, und sie ist
auch nicht in Stein gemeißelt. Die ständig sinkende
Wahlbeteiligung ist für mich ein ernstes Anzeichen da-
für, dass wir schnell und aktiv an der inneren Stärkung
unseres demokratischen Gemeinwesens arbeiten müs-
sen. Wir dürfen hier nicht stehen bleiben.
Hier ist es genauso wie in Wissenschaft und Forschung:
Stehen bleiben bedeutet Rückschritt. Was wir brauchen,
ist demokratischer Fortschritt.
Wie soll dieser demokratische Fortschritt aussehen?
Nach unserer Überzeugung können wir ihn mit mehr
Elementen direkter und partizipativer Demokratie errei-
chen. Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte auch zwi-
schen den Wahltagen die Möglichkeit haben, Demokra-
tie aktiv zu leben.
Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern sehr schnell
mehr direkte Beteiligung ermöglichen, und zwar auch
den Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshinter-
grund. Vielleicht ist das auch ein Schlüssel zur Terroris-
musbekämpfung; denn überzeugte Demokraten, meine
Damen und Herren, überzeugte Demokraten sind nicht
anfällig für extremistische Positionen.
Für uns Grüne ist direkte Demokratie, sind Volksini-
tiativen, Volksbegehren und Volksentscheide eine Her-
zenssache. Wir haben schon mehrfach Vorschläge zu
dem Thema unterbreitet. Jetzt greift die Linke das
Thema auf. Das ist lobenswert. Aber im Detail sehen wir
doch noch einige Mängel in ihrem Gesetzesentwurf.
Auch aus unserer Sicht sind die Quoren zu niedrig ange-
setzt. Das kann schnell zu riskanten Zufallsergebnissen
führen. Die Fristen für den Übergang von einer abge-
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ir haben ganz aktuell zwei herausragende Beispiele für
irekte Bürgerbeteiligung. Das erste Beispiel: Im Zu-
ammenhang mit der Bundespräsidentenwahl hat sich
ie Bevölkerung ein eigenes Urteil über die Kandidaten
ebildet und dieses Urteil auch geäußert. Damit hat sie
ich ein hervorragendes demokratisches Reifezeugnis
usgestellt. Das wird weiterwirken, und das muss auch
eiterwirken, meine Damen und Herren Kolleginnen
nd Kollegen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolle-
in, würden Sie mir darin zustimmen, dass in dem von
hnen genannten Beispiel der Bundespräsidentenwahl
mfragen vor der Wahl ein anderes Ergebnis hatten als
mfragen nach der Wahl? Nach der Wahl hat die über-
iegende Zahl der Menschen in Deutschland auf die
rage, ob der neue Bundespräsident, Herr Christian
ulff, ihrer Meinung nach ein guter Bundespräsident
ird, plötzlich eine drastisch veränderte Meinung geäu-
ert.
Ich stelle jetzt meine Frage, Herr Kollege Wieland.
ann können Sie, wenn Sie wollen, Ihrer Kollegin ja
uch noch eine Frage stellen.
Sind Sie auch der Meinung, dass dies bei dem, was
ie gerade gesagt haben, zu beachten ist?
Umfragen hängen natürlich immer ganz stark von derragestellung ab.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5675
Ingrid Hönlinger
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Ich schätze unsere Bevölkerung einfach als fair ein. DieBevölkerung hat sich vor der Wahl ein Bild gemacht inder Frage, welchen Kandidaten oder welche Kandidatinfür das Amt des Bundespräsidenten oder der Bundesprä-sidentin sie am besten findet, und sie hat nach der Wahlakzeptiert, dass wir hier eine demokratische Wahl durch-geführt haben.
Dann zu sagen, dass Herr Wulff als Bundespräsident inOrdnung ist, ist doch wirklich demokratisch.
– Genau.Ich habe noch ein zweites leuchtendes Beispiel fürmehr direkte Bürgerbeteiligung, und dieses Beispielkommt aus Bayern.
Jetzt sage ich „aus Bayern“ und nicht „von der CSU“;denn die CSU hat mit ihrem Schlingerkurs nicht erreicht,dass die Bevölkerung das akzeptiert hat, was dort geradeGesetz ist. Entgegen dem Schlingerkurs der CSU
und entgegen der Meinung der FDP hat die bayerischeBevölkerung die Zigarette ausgedrückt.
Sie hat durch den Volksentscheid das schärfste Rauch-verbot durchgesetzt, das wir in Deutschland haben.
Das finde ich wirklich erstaunlich, zumal die Tabakin-dustrie und die Gastronomie die Raucherkampagne mitmehr als 600 000 Euro unterstützt hatten. Ich denke, wirkönnen hier bundesweit von den Bayern lernen.
Mein Fazit lautet: Die Bürgerinnen und Bürger sindbereit, Verantwortung zu übernehmen. 60 Jahre nachVerabschiedung des Grundgesetzes sind die DeutschenrrsidGizCmzCtwnwBADgnAGvdzGsmg
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss willch sagen: Wir sollten in diesem Haus mit der Unterstüt-ung von allen Fraktionen direkter Demokratie mehrhancen geben. Lassen Sie uns gemeinsam unsere De-okratie stärken! Das macht sie bunter, lebendiger undukunftsfester.Vielen Dank.
Der nächste Redner ist Michael Frieser für die CDU/
SU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehr-en Damen und Herren! Soweit ich mich erinnern kann,urden die bayerische Politik, die CSU und die Ergeb-isse ihrer direkten Volksbeteiligung noch nie so oft er-ähnt wie in den letzten Reden. Darauf kann man alsayer durchaus stolz sein. Das sage ich auch an diedresse des Kollegen Schulz.
arüber freuen wir uns. Ich kann immer wieder nur sa-en: Ein Blick nach Bayern schadet auch in dieser Frageichts. Von Bayern kann man einiges lernen.
ber die Schlüsse, die Sie ziehen, sind mitunter leiderottes etwas kurzsichtig, wenn es um die Attraktivitäton Bürgerbeteiligung und um die Intensivierung vonemokratischen Prozessen geht.Wenn Sie das Bewusstsein für demokratische Pro-esse erhöhen wollen, dann seien Sie bitte ehrlich. Dasrundgesetz hat in dieser Frage keinen Zweifel gelas-en. Es wurde übrigens damals nicht zur Volksabstim-ung gestellt. Trotzdem ist es eine der besten Verfassun-en, die es überhaupt auf der Welt gibt.
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5676 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Herr Kollege! Die Bayern waren die Einzigen,die nicht zugestimmt haben!)– Ja, deshalb enthält die bayerische Verfassung diese un-glaubliche Form von Volksbeteiligung.Wenn Sie mir jetzt geneigt zuhören wollen, dann erkläreich Ihnen einmal, warum in einem föderalen System, beste-hend aus Bundesstaaten wie in der BundesrepublikDeutschland, in einzelnen Landesteilen Volksentscheidemöglich sind und auf Bundesebene nicht.Ich will zuvor etwas Grundsätzlicheres sagen. Ichhabe schon ein bisschen den Eindruck, als ob es Ihnenhierbei um die Frage geht, was man damit eigentlich be-zwecken kann. Haben wir das richtig verstanden, dass esVolksabstimmungen immer nur dann geben soll, wenndas Thema in Ihre politischen Vorstellungen passt? Dennwenn es nach Ihnen geht, soll es keine Volksentschei-dungen bei religiösen Grundsatzfragen, bei moralischenGrundsatzfragen und Ähnlichem geben. Kann man alsodavon ausgehen, dass es eine Volksabstimmung nur beiunwichtigen Themen geben soll?
Aber wenn es um wichtige Fragen geht und man Angstvor dem Ergebnis hat, dann soll eine Volksabstimmungnicht vorgesehen sein. Das funktioniert nicht. Es tut mirleid.
Sie wissen genau, welche Kombination wir geradedank des Grundgesetzes haben, nämlich eine Balancezwischen einer sehr basisdemokratischen und sehrgrundsätzlichen Beteiligung des Volkes einerseits undden in der repräsentativen Demokratie unabhängigenAbgeordneten andererseits. Der Abgeordnete ist somitkein Befehlsempfänger, und er hat auch kein imperativesMandat. Im Gegenteil: Er ist nur seinem Gewissen ver-pflichtet, soweit er denn eines hat. Er muss seine Ent-scheidungen auf seinen Sachverstand und auf seine Er-fahrungen beispielsweise aus Gesprächen, die er inseinem Wahlkreis führt, gründen und diese Intentionenhier einbringen. Auf der einen Seite steht der Volkswillebzw. der Bürgerwille und auf der anderen Seite steht diepolitische Umsetzung dieses Willens. Das haben die Vä-ter des Grundgesetzes mit dem Begriff „Willensbil-dungsprozess“ gemeint. Sie wissen auch, dass diese Ba-lance kein Minus im Hinblick auf die Legitimation ist.Wenn man auch die wichtigen Fragen zum Diskursstellen möchte, dann muss damit ein intensiver Prozessverbunden sein. Nicht nur im Bundestag bedarf es einerintensiven Abstimmung. Wie wollen Sie Sachverständi-genanhörungen in Volksabstimmungen einbringen undSachverständigengremien im Falle von Volksabstim-mungen einbeziehen? Wie wollen Sie dann das Prinzip,dass Diskussionen, die untereinander geführt werden,mitunter in Kompromisse bzw. in einen Konsens mün-den, aufrechterhalten? Dies alles würde bei Volksabstim-mungen wegfallen.gzsSwsnsZtksSmsVguggplgwwrWsdwswsnkgmdmfrb
Im Ergebnis hebeln Sie auch das Prinzip der Beteili-ung der Länder aus. Sie verwandeln nicht nur das Prin-ip der Beteiligung – darüber könnte man noch reden –,ondern Sie verwandeln auch das Grundgerüst unserestaates, indem Sie das föderale Prinzip ein ganzes Stückeit aufgeben.
Ich höre, Sie wollen wichtige Themen wie die Todes-trafe nicht zur Abstimmung stellen. Das soll eine Aus-ahme sein. Schon sind wir beim nächsten Thema. Wieieht es mit der Sicherungsverwahrung aus?
u all solchen Themenkomplexen müssten Sie einen Ka-alog erstellen, der immer nur den Zeitgeist abbildenann. Man kann nur das Hier und Heute in einem ent-prechenden Gesetzentwurf abbilden.Meines Erachtens geht es nicht um mehr politischetabilität, sondern schon auch um das Ziel, das parla-entarische System durch das hochgehaltene Warn-child, man könne zu einem bestimmten Thema eineolksabstimmung durchführen, aus der Balance zu brin-en. Das kann der Abbildung des Bürgerwillens nichtnbedingt dienlich sein. Was wäre denn bei Abstimmun-en zum Thema Euro oder zum Thema Wiedervereini-ung – Kollege Brandt hat schon darauf hingewiesen –assiert? Ist es nicht gerade auch das Ziel des Antragstel-ers, Entscheidungen zu Themen, die wir nach schwieri-en Diskussionen bewusst getroffen haben, beispiels-eise zu Auslandseinsätzen, auf diese Art und Weiseieder aufzuheben? Damit werden allerdings die Inte-essen des Staates wirklich massiv aufs Spiel gesetzt.Letztendlich muss auch folgendes Argument zählen:as ist bei Handlungsdruck? Sie wissen, dass Volksab-timmungen eines langen Vorlaufs bedürfen. Man kannann nicht schnell entscheiden bzw. auf manche Ent-icklungen nicht schnell genug reagieren.Im Ergebnis: Versuchen wir nicht immer wieder, die-es Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Anscheinendar es schon früher so – selbst als Neuer kann ich dasagen, wenn ich in die Annalen blicke –, dass es in ei-em Zeitraum von einem Dreivierteljahr immer wiederommt. Umgekehrt sehe ich, dass, wenn es um Themeneht, bei denen wir uns nicht einer Zustimmung vonehr als 51 Prozent der Bürger sicher sind, gesagt wird,ass man sich eine Entscheidung auch ohne direkte De-okratie vorstellen kann. So würde ich mich darüberreuen, in unserem Land eine Abstimmung durchzufüh-en, um endlich zu erfahren, wo die SED-Milliarden ge-lieben sind.
Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5677
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Die Kollegin Fograscher hat das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Auch die SPD setzt sich seit vielen Jahren dafürein, Elemente direkter Demokratie ins Grundgesetz zuschreiben. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009haben wir geschrieben – ich zitiere –:Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheideauch auf Bundesebene ermöglichen und dabei dieErfahrungen der Länder berücksichtigen.
Unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratiehat sich bewährt. Aber wir sind der Meinung, dass es ander Zeit ist, diese durch direkte Beteiligungsrechte derBürgerinnen und Bürger zu ergänzen. Es wäre auch einSchritt zu mehr europäischer Gemeinsamkeit; denn invielen unserer Nachbarstaaten und auch in Europa, imLissabon-Vertrag, gibt es diese Instrumente bereits,ebenso wie in allen Bundesländern der BundesrepublikDeutschland, auch in den CDU- bzw. CSU-regierten.Warum also nicht auch im Bund?Alle Fraktionen dieses Hauses, bis auf die CDU/CSU,haben in der Vergangenheit Gesetzentwürfe vorgelegt.Der Gesetzentwurf der FDP aus der 16. Wahlperiode istimmer noch auf deren Homepage zu finden. Leider stehtzu diesem Thema nichts in Ihrem Koalitionsvertrag.Herrn Kollegen Schulz möchte ich sagen – er hat sichgerade entschuldigt, er musste gehen –: Es ist etwas an-deres, das Petitionsrecht zu stärken und zu ändern, alsdas, was unsere Intention ist, nämlich direkte Bürgerbe-teiligung zu ermöglichen.
In der konkreten Ausgestaltung von Volksinitiativen,Volksbegehren und Volksentscheiden gibt es allerdingssehr unterschiedliche Vorschläge.Für die erste Stufe, die Volksinitiative, fordern SPDund Grüne und auch die FDP ein Quorum von400 000 Stimmberechtigten, die Linke fordert in ihremheute vorgelegten Gesetzentwurf nur ein Quorum von100 000 Stimmberechtigten. Sie begründen das damit,dass in etwa so viele Stimmen zur Erlangung eines Bun-destagsmandats nötig seien. Ich halte dieses Quorum fürzu gering, um Bagatellinitiativen zu verhindern. Auchdas Argument, dass die Zahl von 100 000 Wählerstim-men einem Bundestagsmandat entspricht, ist keine ver-nünftige Begründung; denn ein einzelner Abgeordneterkann im Bundestag allein keine Initiative einbringen.Für Volksbegehren forderte Rot-Grün in einem ge-meinsamen Antrag in der 14. Legislaturperiode ein Quo-rgaQh–lGgzsGW–ZWWkdSdsbhdrtPTddLsshwswsw
Gerne.Wir wollen die Themen nicht wie Sie in einem Kata-og auflisten. Sie werden nämlich automatisch durch dasrundgesetz begrenzt. Die darin enthaltenen Regelun-en sind ausschlaggebend dafür, ob eine Fragestellungulässig ist oder nicht.Was mir an dem Vorschlag der Linken völlig unver-tändlich ist, sind die Vorschläge zu Art. 82 c Abs. 4 desrundgesetzes – ich zitiere –:Drei Wochen nach Festlegung des Wahltermins zumBundestag hat jede Fraktion des Bundestages dasRecht, eine Sachfrage zur Abstimmung am Wahlter-min vorzuschlagen.eiter:Der gewählte Bundestages müsste heißen: der neu gewählte Bundestag –ist für seine Wahlperiode an die Entscheidung derBürgerinnen und Bürger in diesen Fragen gebun-den.Unserer Ansicht nach hat ein Volksentscheid denweck, dass sich Bürgerinnen und Bürger zwischen denahlterminen zu Sachfragen direkt äußern können.enn Sie den Volksentscheid an die Bundestagwahlnüpfen, wäre dieser Zweck hinfällig. Warum sollen nurie im Bundestag vertretenen Fraktionen berechtigt sein,achfragen zur Abstimmung zu stellen? Warum dürfenas nicht alle Parteien, die zur Bundestagwahl zugelas-en sind? Und warum sollen Parteien Sachfragen vorge-en, wo doch Volksentscheide schon allein vom Namener aus der Mitte des Volkes kommen sollen? Was sollas denn bringen, und wem soll das nützen? Den Wähle-innen und Wählern bringt das sicher nichts. Die Par-eien und ihre Bewerber treten mit einem umfassendenrogramm, soweit sie eines haben, zu unterschiedlichenhemen zur Bundestagwahl an, und der Wähler trifftazu seine Entscheidung.Mit der Bindung des Bundestages an die Entschei-ung der Bürgerinnen und Bürger während der gesamtenegislaturperiode würde der Rahmen der politischen Ge-taltungsmöglichkeiten nicht ergänzt, wie wir es wollen,ondern eingeschränkt. Diesen Vorschlag halte ich des-alb für verfehlt. Wir werden ihm nicht zustimmen.
Auch wenn alle bislang eingebrachten Gesetzent-ürfe letztlich dasselbe Ziel haben, so unterscheiden sieich doch in vielen Punkten. Bei den Quoren wird dasohl am deutlichsten. Solange sich CDU und CSU abertandhaft weigern, mehr Bürgerbeteiligung zuzulassen,erden wir auch in dieser Legislaturperiode keine
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5678 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Gabriele Fograscher
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grundgesetzändernden Mehrheiten erreichen. Ich bedau-ere es, dass sich die FDP von diesem Ziel offensichtlichverabschiedet hat.
Frau Kollegin, ich bedauere, dass Ihre Redezeit be-
reits abgelaufen ist.
Einen Satz noch. – Das müssen Sie in der Koalition
vielleicht noch einmal klären.
Ich jedenfalls freue mich auf die Diskussion im Aus-
schuss. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Es hat,
wie der Kollege schon sagte, bereits zehn Anläufe gege-
ben. Vielleicht ist der elfte entscheidend und bringt den
Durchbruch.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt.
Es ist verabredet, den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 17/1199 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen. – Damit sind Sie einverstan-
den. Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
für bessere Beschäftigungschancen am Ar-
beitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz
– Drucksache 17/1945 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 17/2454 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/2455 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer
Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Gabriele Lösekrug-Möller, Anette Kramme,
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neten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann,
Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Entfristung der freiwilligen
Weiterversicherung in der Arbeitslosenversi-
cherung
– Drucksache 17/1141 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 17/1636 –
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Katrin Göring-
Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbst-
ständige entfristen und ausbauen
– Drucksachen 17/1166, 17/1636 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
Zu dem Entwurf eines Beschäftigungschancengeset-
es der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag
er Fraktion Die Linke vor.
Es ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu de-
attieren. – Auch dazu höre und sehe ich keinen Wider-
pruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
rauksiepe für die Bundesregierung. Bitte schön.
D
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Bundesregierung hat dem Hohen Haus den Entwurfines Beschäftigungschancengesetzes vorgelegt, überen wir heute abschließend beraten wollen. Das gibt dieelegenheit, mal wieder über die tatsächliche Lage ineutschland in diesem Sommer 2010 zu sprechen.Gestern beim Fußball waren andere besser als wir;ber wenn man die Lage auf dem Arbeitsmarkt sieht,uss man sagen: Seit Monaten ist niemand in Europaesser als wir. Seit Monaten ist Deutschland der einzigeU-Mitgliedstaat, in dem die Arbeitslosigkeit im Jahres-ergleich sinkt. Das ist etwas, meine Damen und Herren,orauf wir stolz sein können in diesem Land.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5679
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
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– Das ist nicht nur Champions League, Herr KollegeKolb; denn Champions League ist ja, wie die Kundigenwissen, etwas, das auf Europa beschränkt ist. Aber un-sere Erfolge sind schon ein bisschen größer. Deutschlandist das einzige Industrieland in der OECD, einer welt-weiten Organisation mit rund 30 Mitgliedsländern, indem die Arbeitslosigkeit wieder unter den Stand vor derWirtschaftskrise gefallen ist. Das sagen nicht wir, dieBundesregierung, sondern die OECD selbst hat das ver-öffentlicht. Wir sind im Industrieländervergleich welt-weit spitze bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Auch das ist etwas, worauf wir stolz sein können, meineDamen und Herren.
Es gilt in der christlich-liberalen Koalition, was früherin der Großen Koalition auch schon galt: Politik ist we-der allmächtig noch ohnmächtig. Politik hat das nichtallein geschafft. Aber natürlich hat auch die Arbeits-marktpolitik – neben Gewerkschaften und Arbeitgeber-verbänden, die wichtige Vereinbarungen miteinander ge-troffen haben – unbestreitbar einen hohen Beitrag geleis-tet. Entgegen allen ursprünglichen Erwartungen ist esuns in Deutschland gelungen, einen spürbaren Einbruchbei der Zahl der Erwerbstätigen und den Anstieg derZahl der Arbeitslosen in einem selbst von Optimistennicht abzusehenden Ausmaß zu begrenzen.Führen wir uns noch einmal die Situation vor derKrise vor Augen, liebe Kolleginnen und Kollegen: ImHerbst 2008 lag die Arbeitslosigkeit zeitweise bei unter3 Millionen. Seit 2005 waren rund 1,5 Millionen neueBeschäftigungsverhältnisse geschaffen worden. Es gabüber 40 Millionen Erwerbstätige. In der Krise ist die Ar-beitslosigkeit um rund 300 000 gestiegen, die Erwerbstä-tigkeit in einem etwa ähnlichen Maße zurückgegangen.Das war deutlich geringer als erwartet. Dies haben wirneben der Beschäftigungspolitik der Unternehmen vorallem dem massiven Einsatz von Kurzarbeit zu verdan-ken. Über 300 000 Vollzeitstellen wurden durch Kurzar-beit ersetzt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wäre ohneKurzarbeit womöglich doppelt so hoch ausgefallen.Deswegen sage ich: Es war richtig, dass die Regie-rung, die zu der Zeit, als die Krise ausbrach, die Verant-wortung hatte, also die Große Koalition, diese Maßnah-men ergriffen hat. Und es ist richtig und wichtig, dassdie christlich-liberale Koalition jetzt daran anknüpft unddas Signal gibt: Es ist viel erreicht worden, aber wir sindnoch nicht durch die Krise durch. Wir werden diesenWeg, der einmalig erfolgreich ist, auch gemeinsam wei-tergehen. Das ist die Botschaft dieses Gesetzes.
Wir stehen am Anfang einer konjunkturellen Erho-lung, nachdem die Auswirkungen der Krise auf den Ar-beitsmarkt vergleichsweise gering geblieben sind – nichtdeswegen, weil in großem Maße irgendwelche niedrigbwghmewvzwMdMlgtewfeaigBud6msnmSmfgerntdbmadkJHiHsvitGF
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5680 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)Wir betreiben also keinen Abbau von Maßnahmen, son-dern es gibt bezogen auf die Zahl der Menschen, dieHilfe brauchen, einen Aufbau von arbeitsmarktpoliti-schem Engagement. Das ist richtig so. Diese christlich-liberale Koalition steht für Aufbau und nicht für Abbauin der Arbeitsmarktpolitik.
Wir stehen in der zweiten und dritten Lesung diesesGesetzentwurfes. Das heißt, wir reden auch über Änder-ungsvorschläge, die aus dem Haus gekommen sind undüber die im federführenden Ausschuss diskutiert wordenist. Die Bundesregierung begrüßt die Änderungsanträge,die eingebracht worden sind. Den Änderungsantrag zumThema Bürgerarbeit will ich zum Anlass nehmen, andieser Stelle etwas dazu zu sagen.Dieser Änderungsantrag und diese abschließende Be-ratung gehen einher mit dem Modellprojekt „Bürgerar-beit“, das in den Startlöchern ist. Bundesweit haben rund200 Grundsicherungsstellen gesagt, dass sie bei diesemProjekt mitmachen wollen. Dieses Projekt ist gerade inSachsen-Anhalt von der dortigen Landesregierung er-folgreich erprobt worden. Es geht bei dem Projekt da-rum, Menschen zu aktivieren, ganz gezielt zu fördern,sechs Monate lang ganz viele Anstrengungen koordiniertund gebündelt zu unternehmen, um diese Menschen inden Arbeitsmarkt zu bringen. Nur für die, bei denen dasnicht gelingt, wird es Bürgerarbeitsplätze geben, die derBund finanziert, damit sie weiter eine Chance auf sinn-volle Beschäftigung in unserer Arbeitswelt haben.Diese christlich-liberale Koalition – dafür steht auchdie Ausweitung der Bürgerarbeit zu einem bundesweitenProjekt – lässt niemanden am Wegesrand stehen, lässtniemanden zurück, sondern kümmert sich gerade umdie, die die meiste Unterstützung brauchen.
Gerade für diese Menschen setzen wir neue Akzente,stellen wir etwas zur Verfügung. Wir reden nicht da-rüber, sondern wir handeln.Ich bedanke mich herzlich für die Initiativen, die er-griffen worden sind, und für Ihre Aufmerksamkeit.
Anette Kramme spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Uns wurden gerade die Heldentaten der Unionverkündet: Man wolle die aktive Arbeitsmarktpolitik aufdisA2SswgvjssRmKSNdblktesfbglnlntFflhdlkSt
ie kennen auch die Gründe, warum die Ausgaben be-onders niedrig waren: Sie waren besonders niedrig,eil wir einen riesigen Umstellungsprozess bei den Ar-en hatten und die Arbeitsmarktmittel deshalb nichtollumfänglich ausgeschöpft werden konnten. Das solletzt der Vergleichsmaßstab sein.
Der Name dieses Stückwerkgesetzes mutet etwas selt-am an: Für die Regierung mag zwar vorübergehend Be-chäftigung entstanden sein; aber mit Chancen hat diesesegelwerk relativ wenig zu tun. Ich will eine Ausnahmeachen: Sie sind endlich bereit, die Regelungen zururzarbeit zu verlängern. Aber auch hier mussten wirie zum Jagen tragen:
och im April haben Sie sich geweigert, die Förderunger Kurzarbeit inklusive der Befreiung von Sozialabga-en und attraktiver Angebote zur Weiterbildung zu ver-ängern. Warum? Aus schierem Trotz, weil nicht seinann, was nicht sein darf; ein von einem Sozialdemokra-en, Olaf Scholz, entwickeltes Modell ist nämlich ininer schwarz-gelben Koalition nicht opportun. Dabeiind sich alle Experten, von DGB bis OECD, vollum-änglich einig gewesen: Kurzarbeit hat wesentlich dazueigetragen, höhere Arbeitslosigkeit zu vermeiden. So-ar der Arbeitgeberverband sekundierte seinerzeit.
Es wird auch immer betont, dass Kurzarbeit wesent-ich billiger als Arbeitslosigkeit ist. Im Durchschnitt istämlich nur ein Drittel der Arbeitszeit durch die Sozial-eistung zu ersetzen. Kurzarbeit ist auch deshalb ver-ünftig, weil Unternehmen nach einer Krise sofort star-en und ihre Fachkräfte im Zuge eines zunehmendenachkräftemangels halten können.
Nun, meine Damen und Herren von der Koalition, wirreuen uns über Einsicht, auch über späte Einsicht. End-ich fangen Sie an, die richtigen Konsequenzen zu zie-en. Zwei Aber gibt es dennoch:Aber Nummer eins: Für etliche Unternehmen kommtie Einsicht zu spät. In vielen Unternehmen haben Ent-assungsprozesse eingesetzt, weil Sie nicht zu Potte ge-ommen sind.
ie haben nicht beachtet, dass einerseits Kündigungsfris-en eingehalten werden müssen und andererseits lang-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5681
Anette Kramme
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wierige und komplizierte Sozialplanverhandlungen zuführen sind. Häufig konnten diese Unternehmen nichtlänger warten, weil sie in finanzieller Not waren undnicht wussten, was nun im nächsten Jahr Sache ist. Hättedie Regierung eher gehandelt, wäre Mitarbeitern dieEntlassung erspart geblieben.Aber Nummer zwei: Auch diesmal wollen Sie dieKurzarbeit nur vorübergehend verlängern. Da stellt mansich die Frage: Warum eigentlich so schüchtern? Wirvon der SPD schlagen vor: Kurzarbeit soll künftig gene-rell unter den aktuellen Bedingungen möglich sein. Wirfordern eine Entfristung unter den erleichterten Bedin-gungen, die eine Erstattung der Sozialversicherungsabga-ben ermöglichen. Wir wollen darüber hinaus die reguläreBezugsdauer von sechs auf zwölf Monate ausdehnen, diemaximale Bezugsdauer auf immerhin 36 Monate.Alle sind sich einig: Kurzarbeit hat geholfen. Allesind sich einig: Kurzarbeit ist billiger als Arbeitslosig-keit. Warum sollte man dann daraus keine Dauerlösungmachen? Sollten die Regelungen in wirtschaftlich gutenZeiten nicht gebraucht werden, ist eine Verlängerung un-schädlich;
ohne Nutzung entstehen keine Kosten. Sollten die Rege-lungen gebraucht werden, muss nicht erst ein langwieri-ger Gesetzgebungsprozess in Gang gebracht werden; dieReaktionszeiten werden kürzer, die Hilfe effektiver.Lieber Herr Kolb, Sie können den mahnenden Zeige-finger, der vor Missbrauch warnt, getrost unten lassen.Die Gefahr des Missbrauchs wird nämlich völlig über-schätzt.
Unternehmen haben gar kein Interesse, Kurzarbeit unnö-tig auszudehnen.
Zum einen bleiben nämlich immerhin noch Remanenz-kosten – so hat es das IAB errechnet – in Höhe von min-destens 24 Prozent übrig. Die Firmen wären mit demKlammerbeutel gepudert, wenn sie diese ohne Not zah-len würden. Zum anderen ist es für Unternehmenschlichtweg lukrativer, Aufträge abzuarbeiten und Ge-winne einzufahren.Wenn wir uns aufraffen, meine Damen und Herren,die neue Kurzarbeit von einer befristeten Sonderrege-lung zu einem neuen regulären Instrument der Arbeits-marktpolitik zu machen, ist das mehr als nur eine kleineParagrafenänderung. Das wäre ein Paradigmenwechsel.Früher gehörte es in der Wirtschaft zum guten Ton,Cost-Cutting durch Entlassung zu betreiben. In den letz-ten Monaten war es anders. Manchmal fühlte man sichfast an das alte „Modell Deutschland“ erinnert. Damalsgalt es als klug, auf seine Mitarbeiter zu achten. Auch indieser Krise galt es als klug, seine Mitarbeiter möglichstlange im Unternehmen zu halten, um in Zeiten ansprin-gusUKbgstddwHgCfctDeshWazDfBksubDsshw
as ist ein Riesenerfolg für unser Land, für unsere Wirt-chaft und auch für unsere Regierung.
Weil Sie manchmal behaupten, das Wachstumsbe-chleunigungsgesetz habe nur negative Wirkungen ge-abt, sage ich Ihnen: Das ist nicht der Fall. Es war einesentlicher Baustein. Die Maßnahmen zur Verbesse-
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5682 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Heinrich L. Kolb
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rung der Kaufkraft, die Anfang dieses Jahres in Kraft ge-treten sind, all das sind wesentliche Signale, die zusam-menspielen. Deswegen sage ich: Wir sind auf einemguten Weg.
Die OECD lobte zum einen das Kurzarbeitergeld undzum anderen,
dass Unternehmen, Belegschaften und Gewerkschaftenmit flexiblen Arbeitszeitregelungen einen erheblichenBeitrag geleistet haben; das darf man nicht übersehen.Es ist beileibe nicht so, Frau Kramme, dass all das al-leine durch die Kurzarbeit erreicht worden ist,
sondern ein Gutteil der Last ist von den Unternehmenselbst getragen und geschultert worden. Dazu ist übri-gens in erheblichem Umfang Liquidität eingesetzt wor-den. Ich betone das deswegen, weil gerade von IhrerFraktion, Frau Kramme, immer unterstellt wird, Unter-nehmen hätten nur den schnöden Mammon im Sinn, undalles andere spiele für sie keine Rolle.
Hier ist im Zusammenspiel von Unternehmen und Ge-werkschaften sozial sehr verantwortlich gehandelt wor-den. Auch dies gilt es hier und heute zu betonen.
Auf das, was wir erreicht haben, bin ich stolz. Wir ha-ben es uns nicht leicht gemacht, Frau Kollegin Kramme.Aber am Ende haben wir uns geeinigt und eine gute Re-gelung getroffen; Herr Kollege Schiewerling sei an dieserStelle ausdrücklich erwähnt. Wir haben die Kurzarbeiter-regelung mit Augenmaß verlängert. Auch die OECD hatdarauf hingewiesen: Es hat sich um eine Ausnahmesitua-tion, eine Krise gehandelt. Irgendwann muss die Kurzar-beit zurückgeführt werden. – Wir müssen dabei so vorge-hen, dass wir davon auch diejenigen profitieren lassen,die die Last – weil nicht alle Branchen gleichzeitig vonder Krise betroffen sind, sondern manche früher, anderespäter – erst am Ende des Krisenzyklus zu tragen haben.Deswegen soll es – das hat die Anhörung bestätigt – auchjetzt noch die Möglichkeit geben, neue Kurzarbeitsan-träge mit längerer Frist zu stellen. Das alles läuft aber ausund wird langsam zurückgenommen. Es erfolgt elastisch,damit harte Brüche, die zu Entlassungen führen könnten,vermieden werden. Das alles ist sehr vernünftig.Zeitarbeitnehmern wird es weiter ermöglicht, Kurzar-beitergeld in Anspruch zu nehmen. Frau Kramme, dasalles wird dazu führen, dass wir elastisch aus der Kurzar-beit aussteigen und mit dem Wiederanziehen der Auslas-tung in den Unternehmen aufgrund der guten konjunktu-rellen Situation wieder zum Normalfall zurückkehren.DEgdaw„KGvdsFMwSfIcdsrdwwnwFKmk
Damals war die gesetzliche Festschreibung der Er-tattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht Teil desorderungskatalogs Ihrer Fraktion. Jetzt, zweieinhalbonate später, haben Sie auf einmal die dringende Not-endigkeit erkannt – erstaunlich, vielleicht auch eintück weit unverständlich –, genau dies zu tun. Das istür mich nur ein weiterer Beleg für die Sprunghaftigkeithrer Politik gerade im Bereich des Arbeitsmarktes. Sol-hen Vorschlägen kann man nicht zustimmen.
Ich bin leider am Ende meiner Redezeit und kann zuem Antrag der Linken, Frau Zimmermann, nichts mehragen. Was Sie vorgelegt haben, ist ohnehin das Übliche:eduzierte Höchstarbeitszeit, Mindestlohn, Verlängerunger Bezugsfrist usw. Das kann man sich ersparen bzw.erden wir bei nächster Gelegenheit kommentieren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und ver-eise auf meinen Kollegen Vogel, der alles andere, wasicht das Kurzarbeitergeld betrifft, später kommentierenird.
Sabine Zimmermann ist die nächste Rednerin für die
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen der Koalition, eines mussan Ihnen lassen: Sie sind richtig große Verpackungs-ünstler.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5683
Sabine Zimmermann
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Ich will es Ihnen erklären. Ihre Gesetze tragen so tolleNamen wie Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Finanz-marktstabilisierungsgesetz und heute Beschäftigungschan-cengesetz. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sich diesesGesetz aber genauer anschauen, müssen sie feststellen,dass da nur heiße Luft drin ist.
– Das muss man schon so sagen. Sie sind wirklich großeVerpackungskünstler.
– Frau Connemann, hören Sie mir bitte zu! Dann kannich Sie vielleicht aufklären.Im Juni meldete die Bundesagentur für Arbeit 3,2 Mil-lionen offiziell registrierte Arbeitslose. Aber wir alle indiesem Haus wissen: Die Dunkelziffer ist wesentlich hö-her. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als4,3 Millionen; hier muss ich Sie korrigieren, Herr Kolb.Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man die Teilneh-mer an Maßnahmen und diejenigen, die sich in Warte-schleifen befinden, sowie die älteren Arbeitslosen hinzu-zählt. Diese sind in der Statistik gar nicht enthalten. Daszeigt uns: Es ist notwendig, ja überfällig, dass die Bun-desregierung Vorschläge vorlegt, die dazu dienen, dieChancen auf Beschäftigung zu erhöhen. Das tun Sie abernicht.
Dabei müssen Sie uns aber mal erklären: Wie wollenSie die Beschäftigungschancen erhöhen, wenn Sie dieMittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik kürzen? Siebetreiben Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitik und be-schneiden so die Chancen von Erwerbslosen, wieder inArbeit zu kommen. Das wird die Linke nicht hinnehmen.
Um es ganz klar zu sagen: Das Sparpaket ist sozialungerecht und beschäftigungspolitisch falsch. Bevor ichdarauf genauer eingehe, einige Worte zu dem heute vor-liegenden Gesetzentwurf:Erstens. Die Regierung will die Kurzarbeiterregelungverlängern. Da gehen wir mit, auch wenn wir uns weitergehende Regelungen gewünscht hätten, wie zum Bei-spiel eine längere Bezugsdauer. Frau Kramme hat auchschon einige Hinweise dazu gegeben.Zweitens. Die Regierung will die Regelung zur frei-willigen Arbeitslosenversicherung für Selbstständigeverlängern. Dazu muss man natürlich sagen, dass dieLinken und die Grünen schon im März einen Gesetzent-wurf bzw. Antrag dazu eingebracht haben.
Schön, dass Sie dem nun gefolgt sind, aber leider natür-lich mit einer abrupten Beitragserhöhung. So erzielt dieRegelung jedoch vor allen Dingen bei Selbstständigenmit einem geringen Einkommen überhaupt keine Wir-khadmsmbtK5nKazrAUlsFnKnnÜsdMirKvAlnbisDdSgvz
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5684 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Brigitte Pothmer spricht jetzt für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durchdie letzte Umfrage wurde gezeigt, dass 8,6 MillionenMenschen in Deutschland einen Arbeitsplatz suchenoder aber mehr arbeiten möchten, als es ihnen derzeitmöglich ist.Ich will gar nicht bestreiten, dass die neuesten Ar-beitsmarktzahlen auf Entspannung hinweisen. FrauZimmermann hat aber darauf hingewiesen: Die Unterbe-schäftigung ist noch immer sehr hoch; es fehlen über4 Millionen Vollzeitstellen. Wenn man die stille Reservehinzunimmt, die in keiner Statistik auftaucht, dann kannman nicht leugnen, dass wir es mit einem riesengroßenProblem zu tun haben.Herr Kolb, gleichzeitig haben wir schon jetzt einenriesengroßen Fachkräftemangel. Durch all das wird ge-zeigt: Wir brauchen tatsächlich neue Impulse in der Be-schäftigungspolitik, und wir brauchen tatsächlich Chan-cen für die Arbeitslosen.
– Darin stimmen wir überein.Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet, ob mit dem Ge-setzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, diese Chan-cen für die Betroffenen tatsächlich eröffnet werden. Ichwill Ihnen einmal etwas sagen: In Teilen ist absolut dasGegenteil der Fall. Zum Teil erschweren Sie den Weghin zu einem neuen Job; Sie erschweren zum Beispieldie Gründung von neuen Unternehmen.Betrachten wir einmal das Beispiel der Alten- undKrankenpflege. Sie beenden die Förderung von Um-schulungen in der Alten- und Krankenpflege. In diesemBereich gibt es bereits heute einen exorbitanten Fach-kräftemangel. Experten rechnen uns vor, dass wir inzehn Jahren 230 000 Vollzeitarbeitskräfte in diesem Be-reich bräuchten. Wenn Umschulung an irgendeinerStelle sinnvoll und notwendig ist, dann doch wohl in die-sem Bereich! Wo könnte das Geld besser angelegt sein?
Nehmen wir das andere Beispiel: Sie wollen die frei-willige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige ver-längern. Gleichzeitig machen Sie sie aber unbezahlbar,indem Sie die Beiträge vervierfachen.
Viele der Solo-Selbstständigen haben schon jetzt erheb-liche Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt und dieKrankenversicherungsbeiträge zu finanzieren und fürdas Alter vorzusorgen. Und jetzt sagen Sie mir, dass siebdDsmdGwwaadDnadctsmrOddWdwm–MIVn
as wird nicht funktionieren. Damit versetzen Sie die-em Instrument einen Dolchstoß.
In der Koalitionsvereinbarung steht: „Deutschlanduss wieder zum Gründerland werden.“ Sie glaubenoch nicht allen Ernstes, dass Sie mit dieser Politik einenründungsboom auslösen werden. Mit dieser Politikird Ihnen das nicht gelingen.Nein, meine Damen und Herren, das, was Sie hierirklich großspurig als Beschäftigungschancengesetznpreisen, ist bei genauerer Betrachtung nichts anderesls eine dem Kürzungsdiktat geschuldete Billigversioner Beschäftigungspolitik von Olaf Scholz.
a gibt es keinen einzigen neuen Impuls, keine einzigeeue Idee.
Kein Mensch behauptet, dass es falsch ist, das Kurz-rbeitergeld zu verlängern. Aber warum bleibt eigentlicher Qualifizierungsanreiz in dieser Frage auf der Stre-ke?Ich will Ihnen einmal vorlesen, was die Bundesagen-ur für Arbeit in ihrer schriftlichen Stellungnahme dazuagt: Der im Hinblick auf den absehbaren Fachkräfte-angel sinnvolle und äußerst notwendige Qualifizie-ungsimpuls wird deutlich abgeschwächt.Und jetzt komme ich auch einmal zur OECD. In jederECD-Studie zu diesem Thema wird nachgewiesen,ass sich Deutschland, was das lebenslange Lernen undie Weiterbildung angeht, im unteren Mittelfeld bewegt.
enn wir so weitermachen, dann stolpern wir genau aufas Szenario zu, vor dem Frau von der Leyen immer ge-arnt hat: nämlich auf einen dramatischen Fachkräfte-angel bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit.
Hören Sie einmal zu, ich zitiere jetzt nämlich Ihreninister Brüderle:Jeder Arbeitslose, der einen Job bekommt, machtsein eigenes Konjunkturprogramm. Er hat mehrEinkommen und damit mehr Konsummöglichkei-ten.ch finde, da hat Herr Brüderle – und ich stehe nicht imerdacht, ihm ungerechtfertigt recht zu geben – aus-ahmsweise recht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5685
Brigitte Pothmer
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Aber solange Sie die Arbeitsförderung weiter kaputt-sparen und kaputtkürzen, wird von diesen Beschäfti-gungschancen bei den Langzeitarbeitslosen jedenfallsnichts ankommen. Daraus wird nichts!Ich danke Ihnen.
Herr Schiewerling hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! So unterschiedlich kann dieWelt sein. Bei Pippi Langstrumpf gibt es den sogenann-ten Sachensucher. Ein Sachensucher ist jemand, der im-mer vor sich auf die Straße guckt und ganz kleine Sa-chen findet, die er sorgsam hütet und pflegt. Ihre Reden,Frau Kramme, Frau Zimmermann, Frau Pothmer, erin-nerten mich an dieses Spiel bei Pippi Langstrumpf. Siehaben lange suchen müssen, bis Sie in diesem Gesetz et-was gefunden haben.
Ich sage Ihnen: Es ist Ihnen zwar gelungen, etwas aus-findig zu machen; nur hat das leider mit unserer Politiknichts zu tun.
Beschäftigung sichern, Arbeitsplätze fördern, gestärktaus der Krise herauskommen – das ist das Thema diesesBeschäftigungsförderungsgesetzes. Ich sage Ihnen: Dasliegt auf einer Linie mit dem, was BundeskanzlerinAngela Merkel in 2008, als die Finanzmarktkrise begon-nen hat, bereits gesagt hat: Wir wollen aus dieser Krisestärker herausgehen, als wir hineingegangen sind.Wir befinden uns in genau dieser Phase und dieserEntwicklung. Da können Sie reden, wie Sie wollen: DieArbeitsmarktdaten sprechen für uns. Es gibt mittlerweile3,15 Millionen Arbeitslose. Das sind deutlich wenigerals die 5 Millionen noch in 2005. Wenn Sie die Statistikbezweifeln wollen, dann können Sie das gerne tun. Siekönnen das Ganze hoch- und runterrechnen. Der Chefder Agentur für Arbeit, Weise, pflegt zu sagen, dass dieDeutschen die strengsten Kriterien für die Arbeitslosen-statistik haben.
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Wir haben am Beispiel der Firma Schlecker dashema Zeitarbeit aufgegriffen. Das haben weder dieinken noch die SPD und die Grünen auf den Weg ge-racht,
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Karl Schiewerling
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sondern das ist die christlich-liberale Koalition angegan-gen. Wir waren diejenigen, die den Finger in die Wundegelegt und benannt haben, was nicht ordentlich läuft,und wir haben bei den Tarifpartnern der Zeitarbeitsbran-che einen intensiven Diskussionsprozess in Gang ge-setzt. Dass dort heute viele Selbstheilungskräfte wirken,verdanken wir genau dieser Politik.
Ich will noch eines ansprechen, das im Kampfgetüm-mel und Getöse nicht von dem nötigen Krach begleitetwurde, um Beachtung zu finden, obwohl es erfolgreichzu Ende gegangen ist:
Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesem HohenHause in einem hervorragenden und verantwortungsbe-wussten Verfahren die Jobcenter-Organisation durchge-führt.
– Frau Kollegin Kramme, es ist verständlich, dass Sie fürsich das Recht in Anspruch nehmen wollen, andere per-manent zum Jagen getragen zu haben. Das ist aber nichtder Fall. Wir haben nämlich das Ganze von uns aus aufden Weg gebracht. Ich gestehe zu, dass die Bundesländerkräftig mitgeholfen haben. Aber wir haben es auf denWeg gebracht, und wir haben es geschafft.
Wir klären zurzeit, was im Bereich des Arbeitnehmer-datenschutzes möglich ist. Ich denke, dass wir auch dasbald gemeinsam schaffen werden. Insofern haben wir imBereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den letztenWochen und Monaten in aller Ruhe Schritt für Schrittsehr viel erreicht. Das haben uns die wenigsten von derlinken Seite des Hauses zugetraut.Es gab eine hervorragende Zusammenarbeit, und wirhaben viel miteinander geschafft. Das hat auch etwas mitder guten Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsminis-terin zu tun, die ihre Politik in sehr kluger und stringen-ter Weise gestaltet und nach vorne bringt. Dabei hat sieunsere Unterstützung.
Ich will den Blick aber nicht nur zurückwenden, son-dern auch nach vorne richten. In der zweiten Jahreshälftegeht es um die uns vom Bundesverfassungsgericht mitRecht auferlegte Regelung der Kinderbedarfssätze unddie Frage der Bildung. Das steht im Mittelpunkt. Wirwollen Kindern, die in einer sehr schwierigen sozialenLage sind, Bildungschancen eröffnen. Es geht aber nichtnur um diese Kinder, sondern auch um Kinder von El-tern, deren Verdienst nur wenig über dem Regelsatz nachHartz IV liegt. All diesen Kindern wollen wir Perspekti-ven eröffnen. Das ist unsere Aufgabe.
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Wir verlängern mit diesem Gesetz einige arbeits-arktpolitische Instrumente. Diese werden weiterhinvaluiert. Wir werden im nächsten Jahr an diese Fragenerangehen. Wir werden passgenaue, regionale Lösun-en finden. Wir werden diejenigen, die dort tätig sindnd an Lösungen mitwirken, ermuntern, ihren Beitrag zueisten, indem sie Verantwortung vor Ort übernehmen.ines treibt uns – da gebe ich Frau Pothmer recht – um:ch meine die gespaltene Situation auf dem Arbeits-arkt. Auf der einen Seite werden Facharbeiter gesucht,uf der anderen Seite haben weniger Qualifizierte großeühe, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Diesererausforderung stellen wir uns. Wir alle werden unse-en Beitrag dazu leisten, dass auch die weniger Qualifi-ierten eine Perspektive haben.Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt spricht Silvia Schmidt für die SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Sehr verehrter Herr Schiewerling,ippi Langstrumpf hat manchmal in der Villa Kunter-unt äußerst eklige Sachen gefunden. Der Gesetzentwurfum Kurzarbeitergeld kommt einfach zu spät. Der Be-ug des Kurzarbeitergeldes sollte entfristet werden.
Ich möchte Ihnen etwas zum Urteil des Bundesver-assungsgerichts über den Regelsatz für Kinder vonartz-IV-Empfängern auf den Weg geben: Bitte keinen
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Silvia Schmidt
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schwarz-gelben Rucksack für Kinder von Hartz-IV-Empfängern,
bitte keine Gutscheine, mit denen diese Menschen ein-kaufen müssen.
– Bleiben Sie sitzen, ich möchte keine Zwischenfragezulassen.Sehr verehrter Herr Brauksiepe, Sie haben eben Sach-sen-Anhalt – ich finde, zu Recht – im Zusammenhangmit der Bürgerarbeit gelobt. Wir als Sozialdemokratenwollen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäfti-gungsverhältnisse. Die Männer und Frauen, die dreiJahre Bürgerarbeit geleistet haben, haben keinen An-spruch auf Arbeitslosengeld. Das wissen wir. Es wäredoch deutlich besser, wenn man den Kommunen Geldzur Verfügung stellen würde, damit sie selbst entschei-den können, welche Arbeiten sie vergeben, um zum Bei-spiel ihre älteren Bürgerinnen und Bürgern zu unterstüt-zen.Frau Pothmer hat die Bildung im Alter angesprochen.Das ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen lebenslangesLernen; denn gerade gering Qualifizierte und ältere Ar-beitnehmer, die in kleinen und mittelständischen Unter-nehmen nicht an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmenkönnen, sind die Ersten, die gegebenenfalls entlassenwerden. Wenn sie entlassen werden, haben sie die ge-ringsten Chancen, wieder auf dem ersten ArbeitsmarktArbeit zu finden. Gerade dieser Personenkreis wurdedurch dieses Programm gefördert. Das ist eine sehr guteSache. Mit Sicherheit hat es auch die Unternehmen an-gespornt, sich selbst um Weiterbildung sowie um Quali-fizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen zu kümmern.Man sollte dieses Programm nicht verteufeln, sondern esgenerell entfristen.Was mir am meisten am Herzen liegt, ist, dass wir dasdritte Ausbildungsjahr für Altenpfleger und Kranken-pfleger nicht mehr finanzieren. Ich gebe dem Arbeitge-berverband und auch dem DGB recht, wenn sie sagen,die Branche müsste das selber tun. Das ist richtig. Denndie Renditen der Heimbetreiber – das wissen wir von derBundesinitiative Daheim statt Heim – liegen an denBörsenmärkten zwischen 6 und 10 Prozent. Auch dieseBranche hat gegenüber ihren Mitarbeitern und ihrerKlientel, um die sie sich kümmert, normalerweise dieVerpflichtung, Ausbildung und Weiterbildung mitzufi-nanzieren.Wir können nach neun Monaten nicht einfach sagen:Stopp! Bis zum letzten Ausbildungsjahr sind 14 000Menschen aus dem Regelkreis SGB II herausgekommenund haben in diesem Bereich ein neues Beschäftigungs-feld gefunden. Deshalb können wir jetzt nicht einfacheinen Schlussstrich ziehen. Als wir nicht finanziert ha-ben – das war in den Jahren 2004 und 2006 –, lagen dieZahlen zwischen 3 000 und 4 000 Menschen. Das kannso nicht fortgesetzt werden. Frau Pothmer ist ausdrück-lich auf den demografischen Wandel eingegangen undhnfsdsddguantPwksiuLudwüBDkKzlAdalddegas
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Frau Schmidt, wir freuen uns über konstruktivend sachdienliche Hinweise zur Ausgestaltung der Bil-ungsausgaben für Kinder. Ich möchte aber darauf hin-eisen, dass es gut ist, dass wir in den Hartz-IV-Sätzenberhaupt Bildungsausgaben für Kinder vorgesehen haben.
isher sind diese nämlich überhaupt nicht vorgesehen.as ist aber das wahre Problem, wenn wir über Qualifi-ation reden.Ich möchte auf die OECD-Studie eingehen; meinollege Kolb hat das bereits getan. Sie hat in der Tatwei interessante Ergebnisse gebracht: Erstens. Deutsch-and steht sehr gut da, wenn es um die Vermeidung vonrbeitslosigkeit in der Krise geht. Deswegen setzen wiriesen Weg durch eine maßvolle Verlängerung der Kurz-rbeitsregelung sinnvoll fort. Zweitens. Im internationa-en Vergleich stehen wir aber nicht so gut da, wenn esarum geht, Arbeitslosigkeit schnell wieder zu beenden,ie Menschen wieder in Arbeit zu bringen und ihnenine Perspektive zu geben. Das Beschäftigungschancen-esetz mit seinem Zweiklang greift im Hinblick daraufber sehr gut. Deshalb ist das Beschäftigungschancenge-etz der Ansatz der Bundesregierung, sich diesem Zwei-
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Johannes Vogel
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klang zu stellen. Wir verlängern die Laufzeit arbeits-marktpolitischer Instrumente, um sie nächstes Jahr zuevaluieren und zu schauen, was genau die Menschenwirklich in Beschäftigung bringt.Liebe Frau Pothmer, wir tun auch etwas für die Quali-fikation der Fachkräfte: erweiterte Berufsorientierung,Ausbildungsbonus bei Insolvenz – das wird auch verlän-gert, teilweise sogar länger als ein Jahr – und Verlänge-rung der freiwilligen Arbeitslosenversicherung, um et-was für die Existenzgründer zu tun.
– Frau Kollegin Pothmer, ich habe zur Kenntnis genom-men, dass Sie das kritisiert haben. Deswegen möchte ichnoch einmal darauf eingehen. Das ist es wert. Sie sindauf das Thema Beiträge eingegangen. Ich kann Ihnensagen, was wir machen: Wir schließen die Gerechtig-keitslücke bei den Beiträgen. Bisher wurden die Selbst-ständigen den Angestellten gegenüber massiv bevorteilt.Ich weiß, Sie haben die Anhörung am Montag in unsereraller Anwesenheit genutzt, um einen empirischen Belegfür Ihre These zu finden, die besagt, dass wir alles ka-puttmachen. Nur muss man eben auch sagen: Diesen Be-leg haben Sie nicht bekommen. Kein Sachverständigerhat Ihnen das bestätigt.
Ich zitiere einmal aus der schriftlichen Stellungnahmedes DGB, des Deutschen Gewerkschaftsbundes:Es ist nach Auffassung des DGB nachvollziehbar,dass für die Risikogruppe der freiwillig Versicher-ten ein einigermaßen angemessenes Verhältnis vonEinnahmen und Ausgaben bestehen muss, weil an-sonsten eine Quersubventionierung durch die übri-gen Versicherten erfolgen würde.Richtig ist also das Gegenteil von dem, was Sie behaup-ten: Wir machen nichts kaputt, sondern wir sorgen füreine Vereinfachung, weil endlich die Antragsfrist verlän-gert wird. Die zu kurze Antragsfrist ist nämlich das ei-gentliche Problem der Betroffenen.
Sie haben uns darauf hingewiesen, dass man als Firmen-gründer natürlich andere Sorgen hat, dass man TausendDinge im Kopf hat, dass man genug Probleme mit derdeutschen Bürokratie hat und dass man sich oft nichtgleich innerhalb des ersten Monats nach der Firmen-gründung für die freiwillige Arbeitslosenversicherungentscheiden möchte.
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pothmer zulassen?
Sehr gerne sogar.
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Doch, es ist so. – Die Vertreter der Bundesagentur fürrbeit haben nur gesagt, dass sich die Weiterentwick-ung dieser Versicherung natürlich nicht prognostizierenässt.
Ich war dabei. Ich habe genau zugehört.
Für Ihre Aussage, dass die freiwillige Arbeitslosen-ersicherung kaputtgemacht werde, konnten die Vertre-er von BA und IAB Ihnen nicht den empirischen Belegiefern, den Sie haben wollten. Das habe ich sehr wohlur Kenntnis genommen.Ich will noch eine Kleinigkeit zum Vermittlungsgut-chein sagen. Das, was dazu festgestellt wurde, war eineiteres interessantes Ergebnis dieser Anhörung. Aucha haben uns BA und IAB bestätigt, dass wir, wenn esarum geht, Menschen in Beschäftigung zu bringen, alleegister ziehen müssen:Erstens. Wichtig ist die Eigeninitiative der Betroffe-en, sich selbst einen Job zu suchen.Zweitens. Wichtig ist darüber hinaus die Vermitt-ungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit.Drittens. Von Bedeutung ist außerdem die Vermitt-ungstätigkeit von privaten Arbeitsvermittlern.Es ist also gut, dass wir die Gültigkeitsdauer des Ver-ittlungsgutscheins verlängern. Gut ist auch die Verkür-ung der Wartefrist auf sechs Wochen. Wir meinen esirklich ernst und ziehen alle Register, um Menschen ineschäftigung zu bringen.Ich kann konstatieren: Diese Koalition hat die OECD-tudie wirklich verstanden. Wir verlängern nicht nur dieeltungsdauer sinnvoller Kriseninstrumente, um Ar-eitslosigkeit und Kurzarbeit zu verhindern, sondern wiretzen auch darauf, noch mehr Menschen in Beschäfti-
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Johannes Vogel
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gung zu bringen. Hierzu haben wir erste Maßnahmen er-griffen. Wir werden diesen Weg weitergehen. Mein Kol-lege Schiewerling hat schon darauf hingewiesen. Wirwerden uns im Herbst zum Beispiel noch mit denHartz-IV-Sätzen und der Frage der Zuverdienste be-schäftigen.
Auch das ist nämlich ein Punkt, bei dem die OECDexplizit anmahnt, dass die positiven Anreize zur Auf-nahme einer Beschäftigung in Deutschland nicht ausge-prägt genug sind. Genau das werden wir verbessern.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für
bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Be-
schäftigungschancengesetz. Der Ausschuss für Arbeit und
Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/2454, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 17/1945 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen
gestimmt haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die
Fraktion Die Linke hat sich enthalten.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, aufzustehen. – Die Gegenstimmen? –
Die Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in drit-
ter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
vorher angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/2463. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Entschließungsantrag bei
Zustimmung durch die einbringende Fraktion abgelehnt.
Dagegen haben gestimmt CDU/CSU, FDP und Bünd-
nis 90/Die Grünen. Die SPD hat sich enthalten.
Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit
und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit
dem Titel „Arbeitsmarktpolitik erfolgreich umsetzen
und ausbauen“. Unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/2454 empfiehlt der Aus-
schuss für Arbeit und Soziales, den Antrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 17/2321 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung angenommen. Zugestimmt haben die Ko-
alitionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD-
Fraktion. Enthalten haben sich die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen.
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venzen. Es wird davon gesprochen, dass es im Laufe desJahres eine Zunahme auf etwa 36 000 geben soll.Das ist natürlich ein Schaden für die gesamte Volks-wirtschaft. 2009 hat das Justizministerium von 50 Mil-liarden Euro gesprochen. Ich will jetzt nicht nurArcandor bzw. KarstadtQuelle und all die anderen Un-ternehmen nennen, die in der Presse stehen; betroffensind auch sehr viele kleine und mittelständische Unter-nehmen, deren Namen in der Presse nicht so oft aufge-taucht sind.Es besteht also nach wie vor die Situation, dass Unter-nehmen unter Kreditzurückhaltung und verschärften Bo-nitätsforderungen der Banken leiden. Vor diesem Hinter-grund ist uns als Grüne nicht verständlich, warum dieBundesregierung nicht früher darauf gekommen ist, eineVorlage einzubringen.Ich habe die Woche über die Wirtschaftsteile der Zei-tungen aufmerksam gelesen. Wir konnten feststellen,dass unser Antrag die Bundesjustizministerin anschei-nend dazu gebracht hat – darüber freuen wir uns –, ihreVorstellungen jetzt in die Öffentlichkeit zu tragen, so-dass wir uns damit endlich auseinandersetzen können.Das ist ein schöner Fortschritt. Das haben wir, glaubeich, ganz gut hinbekommen.
Aufgefallen ist, dass vonseiten des Ministeriums keinWort darüber verloren wurde, wie sich die von HerrnMinister Schäuble in der Finanzplanung vorgeseheneWiedereinführung des Fiskusprivilegs auf die Unterneh-men und die Insolvenzentwicklung auswirken wird. Ichstelle einmal die Behauptung auf, dass die Reformab-sichten der Justizministerin konterkariert würden, wennsich der Bundesfinanzminister mit seinen Plänen durch-setzen sollte. Im Zuge der Beratungen über das Jahres-steuergesetz 2007 hatten wir schon eine Diskussion überdiesen Punkt. Wir haben damals aus der Opposition he-raus dafür gesorgt, dass das Fiskusprivileg nicht wiedereingeführt wird. Jetzt wird dieser Punkt offensichtlichwieder als Sparbüchse aus der Schublade geholt und sollin der Finanzplanung mit 500 Millionen Euro veran-schlagt werden.Wir waren froh – ich sage das mit aller Ernsthaftigkeitan die Adresse der jetzigen Regierung –, dass wir es unterRot-Grün im Jahr 1999 geschafft haben, dieses Fiskuspri-vileg abzuschaffen. Es gab damals sehr gute Gründe da-für. Wenn wir es nicht geschafft hätten, dann hätten wirjetzt eine Situation, in der es nicht möglich wäre, bei-spielsweise die Arbeitsplätze bei Karstadt zu retten. Dennwenn der Vorgriff des Fiskus wieder eingeführt wordenwäre, könnte Karstadt heute auch mit der Perspektive aufeine Umstrukturierung nicht überleben.Man muss klar erkennen, dass eine Insolvenzrechtsre-form überfällig ist und dass wir verschiedene Dinge errei-chen müssen. Nur 2 Prozent aller Fälle gehen in das In-solvenzplanverfahren. Dieser Anteil ist zu gering. Es gibtBeispiele aus anderen Ländern. Ich nenne beispielsweisedas Chapter-11-Verfahren aus den USA. Das sind guteBeispiele dafür, wie wir auch in Deutschland zu einer bes-skswtEewDggTdgwsütmgbRwdsdwrehwwsnvtescrse
Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt das Wort für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-en! Wenn aus der Opposition die Aufforderung kommt,ir sollten den Koalitionsvertrag schnell und zügig um-etzen, dann freuen wir uns natürlich zunächst einmalber das Lob, das darin steckt. In der Tat steht im Koali-ionsvertrag, dass wir uns des wichtigen Themas anneh-en werden, die Chancen für die Sanierung strukturellesunder Unternehmen oder Unternehmensteile zu ver-essern.Ich bedanke mich für dieses Lob, indem ich meineede mit guten Nachrichten beginne. Wir sind ziemlicheit mit unserer Arbeit vorangekommen. Wir arbeiten iner Koalition sehr gut zusammen und werden einen Ge-etzentwurf in Kürze vorlegen. Man sieht, dass wir iner Tat auf einem guten Weg sind.Bei unserer Arbeit ist uns der Blick auf die Praxis sehrichtig. Denn es geht nicht darum, eine komplizierteechtliche Konstruktion einzuführen, sondern wir wollentwas hinbekommen, das in der Praxis auch wirkt. Des-alb stehen wir in einem intensiven Dialog mit der Fach-elt, zuletzt im Rahmen eines Kolloquiums im Bundes-irtschaftsministerium.Es ist klar: Wir müssen die Voraussetzungen dafürchaffen, dass Sanierungen besser möglich werden, dassicht unnötig Werte zerstört werden und Arbeitsplätzeerloren gehen. Wenn man genau hinschaut – die Beach-ung dieses Punktes ist damals bei der Insolvenzordnungin bisschen versäumt worden –, dann geht es gar nichto sehr um rechtliche Dinge, sondern sehr viel um Psy-hologie und Zeitabläufe, um Zuständigkeiten bei Ge-icht und um Anreize, die durch Honorarregelungen ge-etzt werden. Man muss sich sehr genau anschauen, wos Fehlanreize gibt, und man muss verhindern, dass die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5691
Elisabeth Winkelmeier-Becker
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handelnden Personen sich leichtfertig für Insolvenzpläneentscheiden.Wir werden dazu in Kürze ein gut durchdachtes undzielführendes Paket vorlegen. Ich erlaube mir, einigePunkte daraus zu verraten, weil die Neugier anscheinendziemlich groß ist. Schwerpunkte werden sein: die Ergän-zungen im Insolvenzplanverfahren und die Stärkung derEigenverwaltung. Etliches ist bereits in der 16. Wahlpe-riode diskutiert worden. Obwohl vieles auf dem Tischlag, sind wir nicht weitergekommen. Wir konnten uns ineinzelnen Punkten nicht einigen, sonst hätten wir dasschon erledigt.Aus der Analyse ergibt sich Folgendes: Nach zehnJahren stellen wir fest, dass sich die damaligen Erwar-tungen an die Insolvenzordnung nicht in vorgegebenemMaße erfüllt haben. Die Annahme, dass ein Insolvenz-planverfahren immer die bessere Lösung für die Quote,also sowohl für den ungesicherten Gläubiger als auch fürdie Arbeitnehmer ist, hat sich bestätigt. Trotzdem müs-sen wir an dieser Stelle nachlegen. Die Wirtschaftskrisehat die Notwendigkeit hierfür verstärkt. Wir erwarten fürdieses Jahr etwa 36 000 Insolvenzen.Warum gelingt eine Sanierung im Planverfahren soselten? Welche Hindernisse gibt es? Das Insolvenzplan-verfahren ist ziemlich komplex. Es kann nur gelingen,wenn alle ihren Beitrag dazu leisten: die Schuldner, dieGläubiger, die Insolvenzverwalter und das Gericht. DieGläubiger müssen die Chance sehen, dass sie mit demInsolvenzplanverfahren letztendlich eine höhere Quoteerzielen als bei einer Zerschlagung. Oft nehmen sie nichtden Spatz in der Hand, weil sie die Taube auf dem Dachfür realistisch halten. Von ihnen wird eventuell sogarneues Kapital erwartet, was in der Praxis häufig fehlt.Die Bereitschaft, neues Kapital einzubringen, werdenGläubiger nur dann haben, wenn sie deutlich früher Ein-fluss auf die Entscheidungen des Insolvenzverfahrensbekommen, wenn sie bereits zu Beginn auf die Auswahldes Verwalters einwirken können und dessen Entschei-dungen nicht einfach hinnehmen müssen. Deshalb wol-len wir diese Möglichkeit stärken und die Gläubigerdeutlich früher in den vorläufigen Gläubigerausschusseinbeziehen, damit wesentliche Entscheidungen nicht anihrem Sachverstand vorbei getroffen werden.Wir wollen die Rechte der Anteilseigner in den Planeinbeziehen, sodass die Forderungen der Gläubigerdurch den Debt-Equity-Swap in Eigenkapital umgewan-delt werden können; denn man kann nicht von den Gläu-bigern erwarten, dass sie neues Geld einbringen, wenndie Anteilseigner ungeschoren davonkommen, sich aberdie Erfolge der Sanierung lediglich bei denjenigen aus-wirken, deren Anteile vorher einen wirtschaftlichen Wertvon null hatten.Wir werden außerdem die obstruierenden Gläubiger,die vernünftige Lösungen torpedieren, in ihren Möglich-keiten beschränken. Natürlich darf niemand durch einenInsolvenzplan schlechtergestellt werden, als er es sonstwäre. Aber wer darüber hinaus noch etwas möchte undgegen den gemeinsam erarbeiteten Plan vorgeht, dermuss seine Interessen künftig außerhalb des Plans ver-ffezwDWkdsWhtgmiGsDbtdzsRvfvnIiemkdtklaetmlbbZuwdDng
enn es darf nicht dazu führen, dass das Finanzamt miteiner gut gesicherten Forderung einer Sanierung dasasser abgräbt und sich zunächst selbst bedient. Dannätten wir für die Sanierung nichts mehr übrig und könn-en alle Überlegungen einpacken. Das hat mit dem hoch-ehaltenen Grundsatz der par conditio creditorum nichtsehr zu tun. Deshalb müssen wir überlegen, was zu tunst. Vielleicht fällt uns eine Alternative ein, die man alsegenvorschlag bringen kann.Für die Gläubiger ergeben sich drei wesentliche Verbes-erungen: frühere und deutlich effizientere Mitwirkung, derebt-Equity-Swap und der Schutz vor obstruierenden Gläu-igern, die eine wirtschaftliche Gesamtlösung nicht mit-ragen wollen. Das sind die wesentlichen Schritte, überie lange diskutiert worden ist. Jetzt schreiten wir endlichur Tat.Der Schuldner – das ist ein Befund – ignoriert die Kri-ensignale oft konsequent und unternimmt untauglicheettungsversuche, bevor er irgendwann doch den Insol-enzantrag stellt. Doch dann ist das Kapital weg, das manür eine Sanierung gebraucht hätte. Wir wollen die Eigen-erwaltung stärken und damit die Hemmschwelle für ei-en frühzeitigen, rechtzeitigen Insolvenzantrag senken.ch denke, das ist wirklich innovativ; denn eine Insolvenzn Eigenverwaltung mit einem Sachwalter an der Seite hatinen ganz anderen Charakter als ein Verfahren, in deman einen Insolvenzverwalter vor die Nase gesetzt be-ommt. Bei der Eigenverwaltung bleibt man nach außenerjenige, der handelt und die Geschäfte führt.Bisher ist es aber sehr ungewiss, ob man mit dem An-rag auf Eigenverwaltung durchkommt. Der Schuldnerann das nicht steuern. Das wollen wir ändern. Wir wol-en, dass das Gericht in Zukunft deutlich mehr Anträgeuf Eigenverwaltung positiv bescheidet. Dazu soll zuminen beitragen, dass das Gericht die Ablehnung des An-rags begründen muss. Zum anderen sollte es ein Rechts-ittel gegen die Entscheidung geben, damit es in deut-ich mehr Fällen – jetzt haben wir eine 1-Prozent-Margeei der Eigenverwaltung – so gehandhabt wird.Außerdem wollen wir eine frühzeitige Antragstellungelohnen. Derjenige Schuldner, der schon bei drohenderahlungsunfähigkeit den Antrag auf Eigenverwaltungnd Insolvenz stellt, soll vom Gericht Hinweise erhalten,enn es eine Eigenverwaltung nicht zulassen will, sodasser Antrag dann sogar zurückgenommen werden kann.as ist wie ein Freischuss, den man ohne Risiko unter-ehmen kann, ohne die Gefahr, dass das Ganze eine Ei-endynamik entwickelt. Ich denke, das ist eine ziemlich
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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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gute Idee. Das ist ein wirkliches Angebot an den Schuld-ner und ein Anreiz, die Sanierungsmöglichkeiten frühzei-tig zu nutzen.
Ein weiterer Mosaikstein ist die Einschränkung desVorbefassungsverbots. Wir wollen es ausdrücklich er-möglichen, dass der Schuldner mit dem Sanierer, mit demer einen guten Plan entworfen hat, in das Insolvenzver-fahren geht, wenn die Gläubiger zustimmen. Das kannsehr sinnvoll sein, weil man dann keinen Bruch hat undsich nicht auf einen neuen Insolvenzverwalter einstellenmuss. Dieser Sanierer ist an Weisungen übrigens nicht ge-bunden.All das bietet zusammen die Möglichkeit, dass manmit einem vorbereiteten Sanierungsplan, den Schuldner,Gläubiger und ein sachkundiger Sanierer zusammen ent-wickelt haben, in das Insolvenzverfahren geht und seineMöglichkeiten nutzt. Praktisch geht man mit einem Pre-packed Plan in das Insolvenzverfahren. Das ist ein echtesAngebot, mit dem wir den Bedarf nach einem vorgericht-lichen, vertraulichen Sanierungsverfahren weitgehend de-cken.Das hat vor allem den Vorteil, dass das geregelte In-solvenzverfahren letztlich nicht durch erfolglose Sanie-rungsbemühungen verzögert und am Ende schwierigerwird. Es hat außerdem den Vorteil, dass es klar definierteRegeln gibt. Man weiß, mit welchen Mitteln man agie-ren kann: Anfechtung bzw. Lösung von unbequemenVerträgen und Insolvenzgeld für die Arbeitnehmer. Esgelten aber auch klare Publizitätsvorschriften. Ich denke,das ist der bessere Weg und sinnvoller, als dem Stigmader Insolvenz mit Vertraulichkeit zu begegnen. Lieberwollen wir einen offenen Umgang mit der Insolvenz, so-dass der Markt weiß, woran er ist. Wir wollen die Krisenicht geheim halten und die anderen ins offene Messerlaufen lassen, sondern sagen: Wir sind in der Insolvenz,versuchen aber die Sanierung und haben gute Chancen.Dann weiß jeder, woran er ist. Das ist aus unserer Sichtder bessere Weg.
Ganz kurz kann und möchte ich auf weitere Punkteeingehen: Die Professionalisierung der Gerichte steht aufder Agenda. Das betrifft zum einen die Zentralisierungder Gerichtsstände, aber auch die funktionale Zuständig-keit von Richtern und Rechtspflegern. Wenn wir im In-solvenzplan den Debt-Equity-Swap etablieren, dann istdas ein Eingriff in die Eigentumsrechte. Das setzt die Ent-scheidung des Richters voraus. Deshalb müssen wir dies-bezüglich zu Änderungen kommen.Die Verwalterauswahl ist sicherlich auch ein wichti-ges Thema. Hier ist vieles aber schon ausgeräumt, wenndie Gläubiger einen besseren und weitergehenden Ein-fluss bekommen. Wir werden schauen müssen, ob imVergütungssystem der Insolvenzverwalter Fehlanreizebestehen. Die Sonderregeln für die Konzerninsolvenz,die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen und das Verbrau-cherinsolvenzverfahren sind ebenfalls zu prüfen.DBPwdMF–naiknSUDdnrbgRdrPdwGHdunpvszvddvJphk
Für die SPD-Fraktion hat Burkhard Lischka das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieberau Kollegin Winkelmeier-Becker! Wir haben hierein Stück weit durchaus mit Genugtuung – zur Kennt-is genommen, dass Sie die Arbeit im Insolvenzrechtufgenommen haben. Es ist ja auch besonders wichtig,n der schwersten Wirtschaftskrise der deutschen Nach-riegszeit hier etwas auf den Weg zu bringen. Ich hoffeach den Erfahrungen der letzten Tage in Bezug auf dieicherungsverwahrung, dass das diesmal zwischennion und FDP ein bisschen besser abgestimmt wird.em Thema wäre es sicherlich nicht dienlich, wenn iniesem Fall ein Entwurf aus dem BMJ kommt, der amächsten Tag vonseiten der Union zerrissen wird. Erspa-en Sie uns das bitte, koordinieren Sie das ein bisschenesser.Die einzig konkrete Maßnahme – das hat Frau Kolle-in Scheel eben zu Recht gesagt –, die die schwarz-gelbeegierung bisher zum Insolvenzrecht ausgeheckt hat, istie im Rahmen des Sparpakets geplante Wiedereinfüh-ung des Fiskusprivilegs. Für unsere Zuschauer beihoenix, die nicht wissen, was das ist: Das bedeutet,ass sich das Finanzamt, wenn eine Firma insolventird, dann schlicht und einfach vorab, vor allen anderenläubigern, also Geschäftspartnern, Lieferanten undandwerkern, aus der Insolvenzmasse bedient. Die an-eren Gläubiger gucken dann entsprechend in die Röhrend bleiben auf ihren Rechnungen sitzen. – Ich sage Ih-en vorab: Das wird aus unserer Sicht zu mehr Firmen-leiten führen. Es wird Arbeitsplätze in unserem Landernichten. Deshalb wird das auf den erbitterten Wider-tand der SPD-Bundestagsfraktion stoßen.
Man muss sich das einmal vorstellen: Wir haben der-eit schon die wirklich unbefriedigende Situation, dasson einer unbezahlten Rechnung über 100 Euro im Falleer Insolvenz am Ende im Schnitt ganze 3,60 Euro fürie Gläubiger übrig bleiben. Bei zwei Drittel aller Insol-enzen gehen die Gläubiger sogar komplett leer aus. –etzt wollen Sie, dass der Staat die Insolvenzmasse kom-lett abschöpft. Das ist wirklich unglaublich. Im Klartexteißt das, dass diese Bundesregierung beabsichtigt,ünftige Bundeshaushalte auch auf Kosten von Insol-
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Burkhard Lischka
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venzmassen zu sanieren und sich bei denjenigen zu be-dienen, die ohnehin am Boden liegen. Das ist ökono-misch unsinnig, schäbig und ungerecht. Aber ich sageIhnen: Sie werden damit Schiffbruch erleiden.
Das Fatale an diesem Vorschlag ist – das wissen Siedoch ganz genau –: Wenn von der Insolvenzmasse nichtsmehr übrig bleibt, dann ist an fortführende Insolvenzensowie an erfolgreiche Betriebssanierungen gar nichtmehr zu denken. Stattdessen würden Unternehmen nurnoch abgewickelt, Existenzen und damit viele Arbeits-plätze vernichtet. Das geschieht ausgerechnet in einerSituation, in der wir – seit dem Jahr 2009 – eine regel-rechte Insolvenzwelle haben; allein im ersten Quartaldieses Jahres ist die Zahl der Insolvenzen noch einmalum 6,7 Prozent gestiegen.Wir brauchen eigentlich genau das Gegenteil, nämlichmehr und frühzeitige Sanierungen. Wir brauchen ein In-solvenzrecht, mit dem versucht wird, möglichst viele Ar-beitsplätze zu erhalten. Im Übrigen brauchen wir einePolitik, die dafür die notwendigen Rahmenbedingungenauch im Insolvenzrecht schafft. Aber das machen Siebestenfalls auf dem Papier. In Ihrem Koalitionsvertrag– das ist interessant – lehnen Sie das Fiskusprivileg übri-gens noch ausdrücklich ab. Darin formulieren Sie – ichdarf einmal zitieren – eigentlich ziemlich eindeutig:Eine wesentliche Errungenschaft der Insolvenzord-nung ist die Gleichbehandlung aller Gläubiger.Jetzt planen Sie offensichtlich wider besseres Wissen,genau das Gegenteil zu tun. Das zeigt wieder einmal,dass bei dieser Bundesregierung Worte und Taten häufigüberhaupt nicht zusammenpassen und Sie ständig genaudas Gegenteil von dem tun, was Sie vorher großspurigversprochen haben. Aber, wie gesagt, damit werden SieSchiffbruch erleiden. Dafür werden wir sorgen.Danke.
Christian Ahrendt spricht jetzt für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kollegen! Erst ein-mal danke ich den Grünen für diesen Antrag. Das ist einkonstruktives Sichauseinandersetzen mit dem Thema,auch wenn Sie ein bisschen spät dran sind. Wir habenuns des Themas recht frühzeitig angenommen. Herr Kol-lege Lischka, ich muss Sie an die letzte Legislaturpe-riode erinnern. Da haben Sie § 28 e SGB IV eingeführt.Das ist heute – Gott sei Dank – wegen der BGH-Recht-sprechung totes Recht. Aber wenn Sie hier über Vor-rechte reden, sollten Sie sich daran erinnern, was Sie inder letzten Legislaturperiode selber auf den Weg ge-bracht haben, und ganz still sein.smmaftiznsR–sddEzsrsVfhraGtDnwNZswdpwRdfKdk–msdvwav
Ich will die Zeit nutzen, um Ihnen einmal kurz darzu-tellen, wohin die Reise geht; denn dies ist ein Thema,it dem man sich sehr sorgfältig auseinandersetzenuss. Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat es schonngesprochen. Es geht um die Frage: Wie machen wirür den Mittelstand das Sanieren von Unternehmen at-raktiv? Wie ermöglichen wir es einem Unternehmer, dern der Krise ist, jetzt die Chance der Insolvenzordnungu nutzen und sein Unternehmen aus eigener Kraft zu sa-ieren? Dafür muss man kein neues Sanierungsrechtchaffen. Vielmehr muss man die Institute, die wir in derechtsordnung haben, schärfen.
Hören Sie zu! Dann lernen Sie etwas.
Wir haben zwei Institute, die dazu geeignet sind. Dasind das Institut der drohenden Zahlungsunfähigkeit undas Institut der Eigenverwaltung. Ein zentraler Ansatzes Gesetzentwurfes, an dem wir zurzeit arbeiten, ist, dieigenverwaltung und die drohende Zahlungsunfähigkeitu verbinden, damit der sanierungswillige Insolvenz-chuldner zu einem sehr frühen Zeitpunkt in das Verfah-en gehen kann. Wenn wir zudem erreichen, dass er miteinen Gläubigern einen Sachwalter, der ihn durch daserfahren begleitet, selbst auswählen kann, dann schaf-en wir Planungssicherheit. Damit verhindern wir dieeutige Situation, dass jemand, der ein Sanierungsinte-esse hat und sich frühzeitig mit seiner Situation ausein-ndersetzt, in Unsicherheit gestürzt wird, wenn er vorericht steht und nicht weiß, welchen Insolvenzverwal-er er bekommt und wie das Verfahren für ihn läuft.iese Planungssicherheit ist für jemanden, der über Sa-ierung nachdenkt, ein wichtiges Thema.Als zweiten Punkt wollen wir das Insolvenzplanrechtesentlich überarbeiten. Wir brauchen keine verstärkteutzung der Eigenverwaltung, auch nicht bei drohenderahlungsunfähigkeit. Wir wollen das Insolvenzplanrechto lassen, wie es ist; ansonsten würde es zu überfrachteterden. Wir wollen, dass jemand, der die Möglichkeiter Eigenverwaltung bekommt, in kürzester Zeit ver-flichtet ist, einen Plan vorzulegen, damit Gläubiger undeitere an dem Verfahren Beteiligte wissen, wohin dieeise geht. Es gibt verschiedene Beispiele in der Praxis,ie zeigen, dass es innerhalb von wenigen Monaten er-olgreich gelingen kann, ein Unternehmen wieder vomopf auf die Füße zu stellen. Das liegt unter anderemaran, dass das Planrecht sehr viele Gestaltungsmöglich-eiten bietet.Eine der Gestaltungsmöglichkeiten, die wir schaffen das ist ein wesentlicher Wurf –, besteht darin, im Rah-en des Plans in Eigentumsrechte einzugreifen, insbe-ondere auf Gesellschafterebene. Das ist die Einführunges sogenannten Debt-Equity-Swaps, des Umwandelnson Verbindlichkeiten in Kapitalanteile. Das brauchenir; dann haben wir ein Planrecht. Zusammen mit dennderen Aspekten, die Frau Winkelmeier-Becker schonorgestellt hat – ich will sie jetzt nicht wiederholen –,
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Christian Ahrendt
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wird erreicht, dass das Planrecht einfach handhabbar undbeim Sanierungsverfahren konstruktiv ist.Der entscheidende Punkt bezieht sich – da gebe ichIhnen recht – auf den Vorschlag des Finanzministers, dasInsolvenzverfahren mit einem Vorrecht zu belasten.Wenn das in die Richtung geht, wie ich mir das vorstelle– ich habe das 15 Jahre lang in anwaltlicher Praxis ge-macht –, dann wird es im Wesentlichen nicht mehr umdie Frage des Vorrechtes gehen. Denn die Kernfrage,über die wir uns am Ende des Tages unterhalten müssen,ist: Brauchen wir noch ein Vorverfahren? Wenn jemand,der drohend zahlungsunfähig ist, einen Eigenverwal-tungsantrag stellt und wir unterstellen, dass er redlich ist,und es beim Vorverfahren nur um die Frage geht, ob dieMittel im Unternehmen ausreichen, um die Gerichtskos-ten und die Kosten des Verwalters zu bezahlen, dannkönnen wir uns das Vorverfahren möglicherweise spa-ren. Das heißt, mit dem Antrag auf Eigenverwaltung beidrohender Zahlungsunfähigkeit wird auch sofort, ohneweiteren Zwischenschritt, das Insolvenzverfahren eröff-net mit der Folge, dass die Vorrechtsfrage gar nicht ent-steht.
Denn wenn das Unternehmen in diesem Verfahrenssta-dium fortgeführt wird, sind alle Verbindlichkeiten, die in§ 55 der Insolvenzordnung genannt werden, automatischMasseverbindlichkeiten. Dann entsteht die Situation,dass Sie Gläubiger und Schuldner ohnehin gleichmäßigim Rahmen einer Fortführung des Unternehmens bedie-nen müssen; das ist Bestandteil einer Sanierung. Inso-fern erledigt sich genau an dieser Stelle die Vorrechts-frage.
– Die 500 Millionen Euro kommen aus der Fortführungdes Unternehmens, weil das Unternehmen weiter amMarkt tätig ist, seine Arbeitnehmer bezahlen kann, seineSteuern bezahlen kann und im Grunde genommen wei-terhin erfolgreich am Wirtschaftsleben teilnimmt.Das ist die Planung. Ich gehe davon aus, dass wir inder Sommerpause an diesem Gesetzentwurf arbeitenwerden und ihn dann im Herbst vorliegen haben. Danachwerden wir gerne mit Ihnen in den Ausschüssen überdiesen Weg diskutieren. Wir haben dann in kürzesterZeit umgesetzt, was wir von der FDP-Fraktion schon inder Opposition mit unserem Antrag vom März letztenJahres auf den Weg gebracht haben. Das ist konstrukti-ves, schnelles Regierungshandeln für den Mittelstand.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Richard Pitterle spricht für die Linke.
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(Zuruf von der CDU/CSU: Für manche Unter-nehmer auch!)ganz im Gegensatz zum Beispiel zur finanzierendenBank, die legitimerweise ihre Kreditraten erhaltenmöchte, jedoch nicht in gleicher Weise darauf angewie-sen ist.Genauso wichtig ist es, dem Betriebsrat ein Vetorechtgegen die Einsetzung eines Insolvenzverwalters einzu-räumen. Während sich früher in Deutschland circa50 Insolvenzverwalter um die Aufträge durch das Insol-venzgericht bemühten, sind es heute circa 2 000. Jeder,der sich in dem Bereich nur ein wenig auskennt, weiß je-doch: Mehr Quantität geht hier nicht mit mehr Qualitäteinher. Daher bin ich mir an dieser Stelle mit den An-tragstellern einig, dass Regelungen zur Auswahl der In-solvenzverwalter dringend nötig sind.
Im Interesse der betroffenen Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer fordern wir insbesondere eine bessere Ab-sicherung der Arbeitszeitkonten und der Altersteilzeit imBlockmodell gegen die Insolvenz, die Streichung derverkürzten Kündigungsfristen und der Namenslisten inder Insolvenzordnung, eine Verbesserung der Insolvenz-geldregelung sowie die Verankerung von Ansprüchendes Betriebsrats auf Auskünfte zum Stand des Verfah-rens gegenüber dem Insolvenzverwalter in der Insolvenz-ordnung.Wie Sie sehen, gibt es viel zu diskutieren. Es isthöchste Zeit, damit anzufangen. Ich sehe: Meine Zeit istabgelaufen.
Daher kommt jetzt das Wichtigste: der Schluss.
Sie haben die Redezeit auf die Minute genau einge-
halten. Das war sozusagen fast protestantischer Redezeit-
ethos.
Die nächste Rednerin ist Sonja Amalie Steffen für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das vor rund zehn Jahren eingeführte Insol-venzplanverfahren ist ein sehr sinnvolles Instrument inder Insolvenzordnung. Das wurde heute schon festge-stellt; darin sind sich alle Anwendenden ausnahmsweiseeinig. Der Insolvenzverwalter erstellt im Zuge diesesVerfahrens ein vom zuständigen Gericht abzusegnendesSanierungskonzept für das Unternehmen und verhandeltmit den Gläubigern über Verzichtsmöglichkeiten. Da-rüber hinaus kann das Unternehmen Insolvenzgeld inAnspruch nehmen. Das ist eigentlich ein sehr sinnvollesVerfahren, könnte auf diesem Weg doch ein Großteil derswvStbBu–25GMsmApkAsiimJddm2ddvsIotssIkaHRggtdvEGMste
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genverwaltung sollte grundsätzlich gewährt werden,wenn ein plausibler Insolvenzplan vorgelegt wird undder Antrag frühzeitig, also nicht erst bei Vorliegen eineszwingenden Insolvenzgrundes, gestellt wird.Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ent-hält diese Anregungen und wird von uns daher voll un-terstützt. Es freut uns natürlich, dass die Bundesjustizmi-nisterin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nun eben-falls Gesetzespläne im Hinblick auf Änderungen beimInsolvenzrecht für Firmen angekündigt hat; Einzelheitenwurden uns bereits von der Frau Kollegin Winkelmeier-Becker erläutert. Es bleibt zu hoffen, dass das unseligeFiskusprivileg zumindest im Zusammenhang mit demInsolvenzplanverfahren abgeschafft wird.Abschließend möchte ich an dieser Stelle unsere frü-here Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zitieren:Sanieren statt zerschlagen ist das oberste Gebot derStunde – es geht vor allem um den Erhalt von Ar-beitsplätzen.
Es ist sehr sinnvoll, dass sich der Deutsche Bundestagnun dafür einsetzt, das Insolvenzrecht stärker auf dieRettung von Unternehmen auszurichten.Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2008 an die Ausschüsse vorgeschlagen,
die Sie in der Tagesordnung finden. – Damit sind Sie
einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 12 a und b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtli-
nie und der geänderten Kapitaladäquanzricht-
linie
– Drucksachen 17/1720, 17/1803 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 17/2472 –
Berichterstattung:
Abgeornete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Axel Troost
Dr. Gerhard Schick
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richts des Finanzausschusses
– zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stabilisierung des Finanzsektors – Eigenka-
pitalvorschriften für Banken angemessen
überarbeiten
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Bericht über die Umsetzung der neu gefass-
ten Bankenrichtlinie und der neu gefassten
Kapitaladäquanzrichtlinie
– Drucksachen 17/1756, 16/13741, 17/2472 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Axel Troost
Dr. Gerhard Schick
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
in Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Lin-
en und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu sehe
nd höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
ollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirommen heute das letzte Mal vor der Sommerpause zumhema Finanzmarkt zusammen. Wir haben uns in denetzten neun Monaten des parlamentarischen Jahrs ziem-ich oft mit diesem Thema befasst. Das ist auch ganz guto, weil es weiterhin gilt, Lehren aus der Bankenkrise zuiehen. Wir haben dabei entdeckt, dass wir uns in einempannungsfeld befinden, einem Spannungsfeld aus dem,as national wünschenswert ist, und dem, was interna-ional umsetzbar ist. Wir haben erkannt, dass die meistenegeln nur dann Sinn machen, wenn sie internationalmgesetzt werden. Dabei sind wir an unsere Grenzen ge-toßen, ganz frappierend wieder in Toronto. Bestimmte,ichtige Länder haben uns gesagt: Das ist eure Krise;as ist nicht unsere Krise. – Dazu gehören die Chinesen,ie Australier, die Koreaner, die Kanadier und viele an-ere. Insofern bin ich froh, dass wir heute über zwei Vor-aben beraten, die auf internationalen bzw. europäischenorgaben beruhen.Wir wollen heute in zweiter und dritter Lesung einesetz zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtliniend der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie verab-chieden. Das heißt, wir wollen europäisches Recht ineutsches Recht überführen. Darüber hinaus – das findech bemerkenswert – bringen CDU/CSU, SPD, FDP und
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Ralph Brinkhaus
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Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsamen Antrag imHinblick auf den sogenannten Basel-III-Prozess ein. Wiralle haben uns mit beiden Vorhaben intensiv befasst. Wirhaben durchaus sehr oft Einigkeit erzielt. Als ein Ergeb-nis dieser Beratungen werden wir heute über eine ganzeReihe von Änderungsanträgen zum ursprünglichen Ge-setzentwurf zu beraten haben. Wir werden auf Antragder Opposition in der heutigen Debatte noch über einendritten Punkt sprechen, nämlich über die Finanztransak-tionsteuer. Auch da liegen wir inhaltlich gar nicht soweit auseinander, wie es manchmal scheint.Ich möchte im Folgenden alle drei Blöcke kurz erläu-tern. Zuerst zur geänderten Bankenrichtlinie und Kapi-taladäquanzrichtlinie. Es handelt sich hier um ein sehrumfangreiches Paket von Regulierungsmaßnahmen fürFinanzdienstleister, für die Bereiche Eigenkapital, Groß-kreditgrenzen, Verbriefungen, europäische Aufsicht,Pfandbriefrecht und viele andere, kleine Punkte. Für denLaien hört sich das nicht sehr spannend an, ist es abertrotzdem; denn durch dieses Gesetz wird sich viel verän-dern. Ich will versuchen, diese komplizierte Materie inmöglichst einfachen Worten verständlich zu machen. Ichmöchte dabei auf zwei große Punkte dieses Gesetzent-wurfs eingehen.Erstens, zu den Großkreditgrenzen. Dahinter stecktdie Überlegung, dass es für eine Bank ein großes Risikoist, zu hohe Kredite an einen Kreditnehmer herauszule-gen. Man möchte vermeiden, dass durch die Schieflageeines einzelnen Kunden ein ganzes Institut gefährdetwird. Wie hoch ein Kredit sein wird, hängt von derGröße der Bank ab. Diese Regelung galt bislang aber lei-der nicht für Kredite, die sich Banken untereinander ge-geben haben. Das musste geändert werden; das ist eineKonsequenz aus der Krise. Insofern ist es gut und rich-tig, dass wir das mit diesem Gesetz tun.Zweitens, zu den Verbriefungen. Das ist für mich ein-deutig der Teil des Gesetzentwurfs, der am meisten ver-ändern wird. Man spricht von Verbriefungen, wenn zumBeispiel eine Bank eine Kreditforderung an eine andereBank weiterverkauft. Das hört sich zunächst sehr harm-los an, war aber ein wesentlicher Grund für die Finanz-krise im Oktober 2008. Was war passiert? Kredite wur-den nicht eins zu eins verkauft, sondern mit anderenKrediten vermischt und dann mehrfach weiterverkauft,mit dem Ergebnis, dass viele Investoren überhaupt nichtmehr erklären konnten, was in ihren Büchern steht. Sosind zum Beispiel amerikanische Immobilienkredite imDepot der deutschen Landesbanken gelandet. Das warnicht gut.Im vorliegenden Gesetzentwurf wird nun verlangt,dass derjenige, der eine Verbriefung kauft, der Investor,genau darüber Auskunft geben können muss, was dieseVerbriefung enthält. Er muss das Risiko einschätzen unddiese Verbriefung in sein Risikomanagement integrieren.Das ist gut und richtig. Das ist ein Quantensprung in derRegulierungsphilosophie; denn gerade die fehlendeTransparenz, die Tatsache, dass viele Bankmanager nichtwussten, was in ihren Depots lag, war ein Grund dafür,dass wir 2008 so viele Schwierigkeiten bekommen ha-ben. Transparenz ist der Schlüssel für eine funktionie-rlTIwzTsu1gWmtsarsBnlswznwD1DnüsadutnasassCBdtgdt
Alles in allem packen wir mit diesem Gesetzentwurfehr viele Problembereiche in Bezug auf die Finanzkrisen. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu bes-eren und sicheren Finanzmärkten. Ich kann nur um Zu-timmung werben.Zum zweiten Block, zum gemeinsamen Antrag vonDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuasel III. Es gibt ein internationales Expertengremium,as derzeit Vorschläge zur Verbesserung der Eigenkapi-alvorschriften erarbeitet. Dieser Basel-III-Prozess istut und richtig und auch notwendig; denn wir haben iner Finanzkrise gesehen, dass die Koppelung von Haf-ung und Risiko nicht mehr gegeben ist. Durch das Ei-
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Ralph Brinkhaus
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genkapital wird genau diese Koppelung erreicht. Hierhaben wir Defizite. Um das ernsthaft zu benennen: Dasgilt auch für Deutschland. Deutsche Banken haben teil-weise zu wenig Eigenkapital. Hier besteht Nachholbe-darf. – Das ist das Gute an diesem Projekt.Das weniger Gute ist, dass wir erfahren haben, dassdas Basel-III-Projekt, an dem viele Länder beteiligt sind,genutzt wurde, um Standortpolitik zu betreiben. So ha-ben die Amerikaner im Vorgängerprozess – Basel II –sehr, sehr harte Forderungen gestellt, diese im Gegensatzzur EU aber nicht umgesetzt. Darüber hinaus haben wirin Deutschland ein einzigartiges Bankensystem, beste-hend aus Sparkassen, Volksbanken und Geschäftsban-ken, das wir erhalten wollen; das müssen wir berück-sichtigen. Daneben ist es auch sehr wichtig, dass dieverschärften Eigenkapitalvorschriften nicht dazu füh-ren, dass wir in eine Kreditklemme geraten, weil sich dieBanken in Deutschland damit beschäftigen, Eigenkapitalaufzubauen, und nicht damit, Kredite herauszugeben. –Deswegen brauchen wir Übergangsvorschriften. Das ha-ben wir in diesem gemeinsamen Antrag formuliert. Dasist gut und richtig, weil sich im Basel-Prozess momentanviel bewegt. Es werden dort Positionen von Ländern undInteressenverbänden aufgebaut, und ich glaube, es ist le-gitim, dass der Bundestag an dieser Stelle eine Gegenpo-sition einnimmt.
– Jetzt können alle klatschen; das ist ja ein gemeinsamerAntrag. Sie dürfen auch mitklatschen, Herr Troost.
– Wir hätten ihn aber gerne dabeigehabt.Der dritte Punkt beschäftigt sich mit der Finanztrans-aktionsteuer. Es gibt drei Anträge zur Finanztransaktion-steuer. Nur zur Erklärung: Die Bundesregierung hat alseinzige Vertretung einer großen Volkswirtschaft in To-ronto für eine Finanztransaktionsteuer gekämpft, wohlwissend, dass es schwierig wird. Das Ergebnis ist be-kannt: Es ist nicht erfolgreich ausgegangen. Die Bundes-regierung wird jetzt zusammen mit Frankreich auf euro-päischer Ebene versuchen, eine Finanztransaktionsteuerdurchzusetzen. Auch das wird schwierig werden. Ich er-innere nur daran: Steuern müssen einstimmig beschlos-sen werden. Wenn es auch auf EU-Ebene nicht gelingt,dies zu erreichen, dann gilt das Versprechen unseres Fi-nanzministers, es dann auf der Ebene des Euro-Raumszu versuchen. Wenn wir es auf Euro-Raum-Ebene auchnicht schaffen, dann werden wir versuchen, eine Lösunghier in Deutschland zu finden. Meine Damen und Her-ren, wir müssen eine solche Lösung auch finden, weilwir im Rahmen unseres Sparpakets versprochen haben,die Banken mit mindestens 2 Milliarden Euro an denKosten der Krise zu beteiligen.Weg, Zeitplan und Absicht sind also definiert. Inso-fern besteht eigentlich auch überhaupt kein Anlass, ei-nen weiteren Antrag zu diesem Thema zu stellen. Wirsollten zügig daran arbeiten, diesen Komplex umzuset-zmsdnadkMRs–aRswsinHrssudtSwhhEnes
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfas-en: Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben inen letzten neun Monaten vier Projekte im Bereich Fi-anzmarkt abgeschlossen: die Regulierung der Rating-genturen,
ie Regulierung der Vergütungssysteme, die Einschrän-ung der Leerverkäufe und heute – in den nächsten zehninuten – die Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie.
Wir werden darüber hinaus nach der Sommerpauseegelungen zum Anlegerschutz in den parlamentari-chen Prozess einbringen. Bis zum Herbst werden wirinsofern ist es schön, dass die Kollegen vom Rechts-usschuss hier sitzen – das wirkliche Mammutprojektestrukturierung im Bereich der Banken und Finanzin-titute auf den Weg bringen. Das wird epochal sein; dasird wegweisend sein. Insofern kann man wirklich nichtagen, dass diese Bundesregierung und diese Koalitionn diesem Bereich nicht ernsthaft oder langsam arbeiten.
Auf europäischer Ebene verhandeln wir darüber hi-aus über weitere Maßnahmen: die Regulierung vonedgefonds, weitere Eigenkapitalregeln, die Regulie-ung des Derivatehandels, die Neuordnung der Einlagen-icherung, die Schaffung von europäischen Aufsichts-trukturen,
m nur einige Beispiele zu nennen.Meine Damen und Herren, wir werden die Banken anen Kosten der vergangenen und zukünftigen Krisen be-eiligen. Wir haben systemrelevante Banken unter denchutz des Bundes, des SoFFin, gestellt.Schließlich kann ich nur sagen – das ist deutlich ge-orden –: Bundesregierung und Koalitionsfraktionenaben die Bedeutung des Themas erkannt. Sie arbeitenart an den richtigen Maßnahmen, und zwar auf allenbenen: national, europäisch und international. Das Ih-en vorliegende Gesetz und der gemeinsame Antrag sindin wichtiger Schritt dazu. Ich werbe daher um Ihre Zu-timmung.Danke schön.
Manfred Zöllmer hat das Wort für die SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5699
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es gab von der Bundesregierung mehrfach die Ankündi-gung, nun wolle man den Finanzmärkten endlich Dau-menschrauben anlegen. Der Kollege Brinkhaus hat ebenja versucht, das noch einmal zu unterstreichen.
– Er hat es versucht.Mit den vorliegenden geänderten Banken- und Kapi-taladäquanzrichtlinien können Sie in der Tat für sich inAnspruch nehmen, die Daumenschrauben mal vorge-zeigt zu haben. Ob sie auch angelegt werden, wollen wiruns jetzt einmal gemeinsam anschauen.Zuerst das Lob: Mit diesem Gesetzentwurf wird einüberfälliger Schritt gemacht, um Verantwortlichkeit zustärken, Transparenz zu verbessern, einheitliche Stan-dards zu implementieren und damit Lehren aus der Fi-nanzkrise zu ziehen. Der Kollege Brinkhaus hat das hierim Detail erläutert. Ich werde es mir schenken, auf Ein-zelheiten einzugehen, und nur einen Punkt ausführlichermit Ihnen diskutieren, und zwar den Punkt Verbriefung.Der grundlegende Ansatz, den Sie gewählt haben, denInvestor in den Mittelpunkt der Regulierung zu stellen,ist richtig und nachvollziehbar. Wir begrüßen das. Denner muss sich jetzt intensiv mit den Produkten auseinan-dersetzen und ein entsprechendes Risikomanagementimplementieren. Ich hoffe, dass damit die Zeiten vorbeisind, in denen es in den USA hieß: Diese Produkte wer-den an ein paar „stupid Germans“ verkauft – die würdenalles nehmen.Nun gibt es aber einen ganz wichtigen Dissens zwi-schen uns, den Sie auch schon angesprochen haben. Esgeht dabei um den Selbstbehalt bei Verbriefungen. Siehaben eben erläutert, was Verbriefungen sind: Bankenkaufen und verkaufen inzwischen Risiken. Dies hat beider Finanzkrise als auslösender Faktor eine ganz wich-tige Rolle gespielt. Verbriefungen und Wiederverbrie-fungen führten schließlich dazu, dass Bankvorständenicht einmal die leiseste Ahnung davon hatten, was sieim Portfolio hatten. Sie hatten sich nur auf die Bonitäts-noten der Ratingagenturen verlassen. Und da die Rating-agenturen klotzig daran verdient haben, haben sie immerBestnoten vergeben.Nun hatten wir im Finanzausschuss eine Anhörung zudiesem Thema. Diese Anhörung hat sehr deutlich ge-macht, dass der Vorschlag der Bundesregierung, bei derVerbriefung der Kredite einen Selbstbehalt von nur5 Prozent vorzusehen, keine Verbesserung der Regulie-rung bedeuten würde; es wäre nur eine Festschreibungdes Status quo.
Die Sachverständige Frau Dr. Metzger vom BerlinerInstitut für Finanzmarktforschung brachte es in der An-hörung auf den Punkt, als sie formulierte, es gebe nursehr wenige Verbriefungen, bei denen der Selbstbehaltdes Forderungsverkäufers weniger als 5 Prozent betrage.Das bedeutet, wenn Sie einen Selbstbehalt von 5 Prozentig51zsneDb–mmwpsposggPewgKswInntAfrnRerEpfzed
So dünnhäutig sind Sie inzwischen geworden? Das tutir aber leid.Man konnte nämlich im Vorfeld der Presse entneh-en, dass die CDU 5 Prozent und die FDP 10 Prozentollte. Dann hat man sich offenkundig auf diesen Kom-romiss mit der Zeitschiene verständigt. Kompromisseind wichtig, doch dies ist offensichtlich ein fauler Kom-romiss zulasten der Finanzmarktstabilität. Hier hat sichffenkundig die Finanzmarktlobby wieder einmal durch-etzen können.Meine Damen und Herren, Daumenschrauben anle-en sieht anders aus. Wir als Sozialdemokraten beantra-en 20 Prozent Selbstbehalt, weil wir nicht bereit sind,raktiken zu unterstützen, die dazu geführt haben, dassin ganzes Finanzsystem in Richtung Abgrund geführturde und nur mithilfe von Milliarden an Steuergeldernerettet werden konnte. Dies ist nicht hinnehmbar, Herrollege Brinkhaus. Deshalb werden wir uns bei der Ab-timmung über diesen Gesetzentwurf enthalten.
Nächstes Stichwort: Basel III. Sie haben erläutert,as der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht macht.ch stimme Ihnen zu: Es geht wirklich um den Kern ei-er angemessenen Regulierung, die die Stabilität der Fi-anzinstitutionen deutlich erhöht. Das ist ein sehr wich-iger Punkt. Wir haben uns in unserem gemeinsamenntrag darauf verständigt, die Bundesregierung aufzu-ordern, dafür zu sorgen, dass gemäß den G-20-Forde-ungen künftig jedes Produkt, jeder Akteur und jeder Fi-anzmarkt reguliert und einer Aufsicht unterstellt wird.Bezüglich der Frage, ob es eine sogenannte Leverageatio, eine Schuldenbremse für Banken, geben soll, gibts unterschiedliche Akzentuierungen. Ich glaube, es warichtig, dass wir in dem Antrag fordern, erst einmal diergebnisse abzuwarten und dann zu einem späteren Zeit-unkt zu entscheiden, ob eine solche Schuldenbremseür Banken als zusätzliches verpflichtendes und begren-endes Element der richtige Weg ist. Das wird in deninzelnen Ländern sehr unterschiedlich gesehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man alle For-erungen des gemeinsamen Antrages eins zu eins umset-
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5700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Manfred Zöllmer
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zen würde, dann hätten wir den Finanzmarktakteuren inder Tat Daumenschrauben angelegt.Der nächste Punkt ist die Finanztransaktionsteuer. Füruns Sozialdemokraten war es immer wichtig, die Verur-sacher der Krise auch an deren Kosten zu beteiligen.Verursacher sind die Spekulanten und Zocker, die das Fi-nanzmarktkasino betrieben haben. Deshalb sollen sie he-rangezogen werden. Jedes Gut, das wir in Deutschlandkaufen, ist mit einer Mehrwertsteuer belegt, nur Finanz-produkte sind es nicht. Finanzprodukte werden daher inDeutschland durch die Steuerfreiheit letztlich subventio-niert. Riskante Finanzspekulationen haben uns in dieKrise geführt, die dann nur mit Steuermitteln bekämpftwerden konnte, und eine Subventionierung dieser Pro-dukte ist zutiefst ungerecht.
Wir haben uns deshalb sehr gefreut, dass Finanzmi-nister Schäuble in einer Rede im Deutschen Bundestagdeutlich gemacht hat, dass er eine solche Steuer jetztauch europaweit durchsetzen will. Herr KollegeBrinkhaus, ich habe mit großem Erstaunen zur Kenntnisgenommen, dass Sie für die CDU/CSU-Fraktion erklärthaben, dass dies auch deutschlandweit, also national,eingeführt wird. Ich betone das extra für das Protokoll.Sie haben es jedenfalls hier so gesagt.In der Anhörung ist deutlich geworden, dass es einganz wichtiges Signal wäre, wenn der Deutsche Bundes-tag eine solche Forderung parteiübergreifend unterstüt-zen würde.
Deshalb haben alle Oppositionsfraktionen jeweils einenfast wortgleichen Antrag eingebracht, in dem sie dieAussage des Bundesfinanzministers bekräftigen und un-terstützen. Nur die Koalitionsfraktionen haben keinenAntrag eingebracht.
Was bedeutet das politisch? Der Minister steht im Re-gen. Es gibt keine Einigkeit zwischen den Regierungs-fraktionen. Das ist leider die Realität der Politik dieserBundesregierung: Streit und Konflikt, wohin manschaut. Vielleicht wird das Wort „Neustart“ zum Unwortdes Jahres.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte überlegen Sie,ob Sie den Anträgen der Opposition zustimmen können.Es wäre ein wichtiges Signal, ein Signal der Unterstüt-zung des Finanzministers und ein richtiges Signal inRichtung Finanzmärkte, dass wir die Daumenschraubennicht nur vorzeigen, sondern sie ihnen auch anlegen wol-len.Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Ich bitte Sie, sich kurz etwas vorzustellen. Stel-en Sie sich bitte einmal vor, Sie seien eine Kfz-Ver-icherung. Sie bieten ausschließlich Tarife ohne Selbst-ehalt an. Jetzt überlegen Sie, welchen Fahrertyp Sie alsunden mit einem solchen Angebot gewinnen. Überle-en Sie weiter, welche Auswirkungen das auf die Stabi-ität Ihres Unternehmens hat. Wenn Sie mit diesen Über-egungen fertig sind, dann überlegen Sie, welche Risikenenn wohl in Kreditverbriefungen schlummern, wenn eseinen Selbstbehalt gibt. Wir haben gesehen, dass ver-riefte Kredite eine der Kernursachen der Banken- undinanzkrise gewesen sind. Deshalb möchte ich daraufen Schwerpunkt meiner Rede legen, zumal der Kollegerinkhaus, bei dem ich mich für die gute und jederzeitngenehme Zusammenarbeit an dieser Stelle ausdrück-ich bedanken möchte, auf alles Weitere eingegangen ist.s würde nichts bringen, wenn ich das wiederholenürde. Deswegen werde ich mich auf die Kreditverbrie-ungen konzentrieren und die Frage stellen, was zu tunt.Dazu möchte ich Ihnen drei Punkte nennen:Erstens. Man muss einen Selbstbehalt einführen. Einewisser Teil des Risikos muss beim Originator verblei-en. Das ist in der Richtlinie mit der 5-Prozent-Regel ge-öst. Zusätzlich muss es Transparenz geben. Der Investoruss sich einen Überblick über das verschaffen, was inen Verbriefungen enthalten ist. Bei der Kfz-Versiche-ung hieße das: Sie müssen das Alter der Fahrer ange-en, Sie müssen angeben, ob sie eine Garage haben odericht, und auch die Kilometerleistung pro Jahr spieltine Rolle.Zweitens. Der Selbstbehalt – das ist der Kernpunkt –uss hinreichend hoch sein. Dazu haben wir in der An-örung einiges gehört. In einem Punkt waren sich ei-entlich alle einig, nämlich darin, dass 5 Prozent sicher-ich nicht der optimale Wert sind, den man allerdingsauch das wurde gesagt – nicht empirisch bestimmenann. Das ist im Übrigen auch die Position des Banken-erbandes und des Bundesverbandes Öffentlicher Ban-en Deutschlands, niedergelegt in dem Schreiben, dasir alle kürzlich erhalten haben. Also kann man davonusgehen – wir als Freie Demokratische Partei gehen da-on aus –, dass 10 Prozent der nachhaltigere Wert iminne einer effektiven Regulierung sind.
ür die Kfz-Versicherung hieße das: Je höher der Selbst-ehalt, desto niedriger die Prämie. Das ist eine schönenalogie.Drittens. Diese Regeln müssen international kompati-el sein, damit es nicht zu Wettbewerbsnachteilenommt. Mit der EU-Richtlinie und der Festlegung auf
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5701
Björn Sänger
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5 Prozent ist das EU-weit geregelt, aber das ist nicht derWert, den wir möchten. Wir gehen von 10 Prozent aus.Das ist für uns zunächst einmal die richtige Größe. Dennwenn man die 10 Prozent einführen würde, wäre ein Ver-kauf von deutschen Kreditverbriefungen im Auslandnach wie vor möglich, weil der Selbstbehalt dort nur5 Prozent beträgt. Problematisch wird es nur, wenn mansie innerhalb des Landes verkaufen will. Die Frage ist,was für ein Geschäftsmodell wir überhaupt unterstützen,wenn wir bei den 5 Prozent bleiben.
Herr Kollege?
Mir ist eine Aussage eines Bankenvertreters in Erin-
nerung, die ich sehr interessant fand. Er hat gesagt: Wir
müssen unseren Mist in irgendeiner Art und Weise los-
werden. – Das ist sicherlich nicht das Geschäftsmodell,
das wir für die Banken in Deutschland haben wollen.
Das sind nicht die Geschäftsmodelle, die wir vorantrei-
ben.
Herr Kollege, Herr Schick würde gerne eine Frage an
Sie loswerden. Ist das möglich?
Die kann er gerne loswerden. Ich gehe davon aus,
dass es kein Mist ist.
Eben.
Danke. – Sie haben viel zum Selbstbehalt gesagt. Mich
würde in Bezug auf die Anträge der Oppositionsfraktio-
nen interessieren, ob die FDP-Fraktion die Initiative des
Bundesfinanzministers auf europäischer Ebene zur Ein-
führung einer Finanztransaktionsteuer unterstützt.
Lieber Kollege Schick, wenn Sie meine letzte Rede zur
Finanztransaktionsteuer aufmerksam verfolgt haben, dann
wissen Sie sicherlich, dass ich dort bestimmte Punkte ge-
nannt habe, die als Parameter gelten müssen. Wir stehen
einer Finanztransaktionsteuer nicht grundsätzlich ableh-
nend gegenüber und unterstützen die internationalen Be-
mühungen der Bundesregierung, in dieser Hinsicht zu ei-
ner Lösung zu kommen. Der Finanzminister wird auch
von der FDP mitgetragen.
– Davor, dahinter und daneben.
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Wir wollen in Europa eine Benchmark setzen. Ich
inde, dass wir eine sinnvolle Lösung ausgearbeitet ha-
en. Wir bleiben zunächst einmal bei den 5 Prozent; so
st es in der Richtlinie auch vorgesehen. Außerdem wol-
en wir bereits im Gesetz festschreiben, dass wir nach
wei Jahren auf 10 Prozent gehen. Damit geben wir der
ranche Zeit, sich auf diese Regelung einzustellen. Wir
eben der Bundesregierung Zeit, in der EU auf eine ein-
eitliche Regelung – 10 Prozent Selbstbehalt – zu kom-
en. Das halte ich für realistisch.
Herr Kollege Zöllmer, ich komme zu der Frage, wel-
her der richtige Wert ist. Wir haben zwei Jahre Zeit, um
mpirisch zu evaluieren, welcher der optimale Wert ist,
enn man ihn denn bestimmen kann.
Ich kann nur wiederholen, was der Kollege Brinkhaus
esagt hat: Wenn ein anderer Wert als 10 Prozent heraus-
ommt, dann sind wir die Letzten, die einer Änderung
ntgegenstehen.
Insgesamt ist es ein logischer Ansatz, der das Gesetz
brundet und zu einem echten Regulierungsgewinn
ührt. Dies ist nicht nur eine Benchmark für Europa. Die-
er Gesetzentwurf ist zielführend für die gesamte Welt.
Der Kollege Axel Troost spricht jetzt für die Fraktion
ie Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!lles in allem stehen wir hier vor einem recht mutlosenesetzentwurf. Das liegt in ganz erheblichem Maße da-an, dass eine relativ mutlose EU-Vorgabe national um-esetzt werden muss. Nach wie vor stellt sich aber dierage, welche Rolle die Bundesregierung bei der Ent-icklung solcher EU-Vorgaben spielt.Ich will nicht verschweigen, dass wir uns durchausreuen, dass zumindest die Einwände der Opposition under Sachverständigen dazu geführt haben, dass es jetztber die 5 Prozent hinaus zu einem größeren Selbstbe-alt kommt. Dennoch sind wir der Ansicht, dass einelbstbehalt von 10 Prozent viel zu niedrig ist. Das EU-arlament war sich relativ lange fraktionsübergreifend
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5702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Axel Troost
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einig, dass 20 Prozent eigentlich der richtige Wert wä-ren,
bevor dann die Brüsseler Lobbyistenmaschine systema-tisch gearbeitet und den Wert gedrückt hat.Wir fordern in unserem Antrag einen Selbstbehalt von15 Prozent plus dem Anteil der Tranche mit dem höchs-ten Risiko. Würde man dem folgen, läge der Selbstbehaltbei 20 Prozent und bei riskanten Geschäften sogar da-rüber.Des Weiteren wollen wir – das ist uns noch viel wich-tiger – ein konsequentes Verbot der Wiederverbriefung.Es war gerade das wiederholte Um- und Neuverpackenvon ohnehin wackligen Immobilienkreditpaketen, das dieglobale Finanzkrise ausgelöst hat. Diese Praxis der sys-tematischen Risikoverschleierung muss endlich abge-stellt werden, und dazu dient unser Änderungsantrag.
Da ich nur vier Minuten Redezeit habe, möchte ichnun zu unseren Entschließungsanträgen im Zusammen-hang mit der Einführung einer Finanztransaktionsteuerkommen. Wir haben von Herrn Brinkhaus gehört, dasses – das ist völlig richtig – ein sehr schwieriges Vorha-ben wird, die Euro-Partner zu überzeugen, eine solcheSteuer mitzutragen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig,dass die Bundesrepublik wirklich mit mehr oder wenigereinheitlicher Stimme sprechen kann. Es ist ein Unter-schied, ob nur die Bundeskanzlerin, der Finanzministeroder der Deutsche Bundestag in Verhandlungen für einebestimmte Position steht.
Seit langem haben das belgische Parlament, das fran-zösische Parlament und seit kurzem hat das österreichi-sche Parlament entsprechende mehr oder weniger ein-mütige bzw. einstimmige Beschlüsse gefasst. Ich finde,es ist schon ein großes Problem, dass wir in der Bundes-republik das gerade in dieser zugespitzten Situation nichtzustande bringen. Das heißt letztlich, sich für dieseSteuer nicht entschieden genug einzusetzen. Später wer-den wir hören, wie kompliziert die Einführung dieserSteuer auf nationaler Ebene ist. Sie haben die ganzenletzten Monate argumentiert, dass man sie nur weltweitoder bestenfalls europaweit einführen könnte. Gehen Sieda wirklich noch einmal in sich!Man muss sich das vorstellen: Sämtliche Abgeord-nete der Linken haben einen Entschließungsantrag unter-zeichnet, in dem es heißt: Wir unterstützen die Bundes-regierung in diesem Vorhaben. Mehr Einheitlichkeitkann man doch eigentlich nicht bieten.
– Dann haben Sie es wenigstens jetzt mitbekommen.Wir befürchten ein relativ abgekartetes Spiel. Zumin-dest im Sommer könnte es so sein, dass Herr Brinkhausu„sLwdDGWlZRajBwdsiIEdee2AdzBddaebwSnWEh
Gerhard Schick hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
rünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir diskutieren heute über eine ganze Menge von Richt-inien und Einzelregelungen. Aufgrund der Kürze dereit will ich nur weniges herausgreifen. Unter den vielenegelungen befindet sich natürlich auch das eine oderndere Gute. Insbesondere bei den Verbriefungen gibt esetzt eine klare Verpflichtung der Banken – Herrrinkhaus, Sie haben es dargestellt –, darauf zu schauen,as sie in ihren Büchern haben. Man möchte meinen,as sei selbstverständlich. Es scheint aber notwendig zuein, dass der Gesetzgeber das tut.
Das gilt allerdings auch für andere Gebiete, und dortst keine Kontrolle durch den Gesetzgeber vorgesehen.ch möchte an eine meiner Erfahrungen im Hypo-Real-state-Untersuchungsausschuss erinnern. Man konnteort sehen, wer alles wie viele ungesicherte Einlagen ininer Bank hatte, die wackelte. Es wurde deutlich, dassine einzelne Bank, in diesem Fall die Bayern LB, überMilliarden Euro bei der Hypo Real Estate angelegt hat.ngesichts dessen kann man sich ausrechnen, wodurchie von allen beklagten Dominoeffekte in dieser Kriseustande kommen: Dies geschieht nämlich, wenn eineank bei einer anderen zu viel „im Feuer“ hat. Die Frageer Großkredite ist von entscheidender Bedeutung, undeswegen haben wir einen entsprechenden Änderungs-ntrag gestellt. 25 Prozent vom Eigenkapital allein anine Bank auszuleihen, ist nämlich zu gefährlich.
Ich verstehe nicht, warum man beim Wert 25 Prozentleibt. Wir haben den Wert 10 Prozent vorgeschlagen,eil wir glauben: Wenn wir den Dominoeffekt an diesertelle nicht stoppen, dann werden unsere Finanzmärkteicht sicher genug.
Ich will einen zweiten Punkt nennen, den Pfandbrief.ir haben an die Gesetzentwürfe zur Umsetzung desU-Rechts noch eine Mini-Pfandbriefrechtsnovelle ge-ängt. Wenn man weiß, welche Bedeutung der Pfand-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5703
Dr. Gerhard Schick
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brief in der Diskussion um die Bankenrettung hatte – daswar ein zentrales Argument dafür, dass man mit vielenMilliarden an Steuerzahlergeld bei der HRE eingestie-gen ist –, dann kann man bei dem, was die jetzige Regie-rung in Sachen Pfandbrief tut, auf jeden Fall nicht stehenbleiben. Das sind nämlich nur Kleinigkeiten.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der weiter geht,und wir werden weitere Vorschläge vorlegen. Ich haltedas, was vonseiten der Koalition dazu vorgesehen ist, fürvöllig unzureichend. Wir haben gesagt: Die Investorenbrauchen mehr Transparenz, damit eine Unsicherheit:„Was steckt eigentlich dahinter? Ist das überhaupt nochsicher?“, erst gar nicht entstehen kann. Sie haben das ab-gelehnt. Dabei hätte man es in dieser Novelle direkt re-geln können.
Lassen Sie mich noch kurz auf unseren gemeinsamenAntrag eingehen. Ich bin froh darüber, dass es uns gelun-gen ist, die Position, die Bundesbank, BaFin und Finanz-ministerium in den Baseler Verhandlungen bisher hatten,in ein paar Punkten zu korrigieren. Ich will einen Punktherausgreifen, weil er mir sehr wichtig ist, und das istdie Größenbremse für Banken. Wenn man das Wort „toobig to fail“ – manche Banken sind so groß, dass es ganzeVolkswirtschaften ruinieren kann, wenn sie kippen –ernst nimmt, dann muss man fragen: Was tut man eigent-lich dagegen? Mit all den Maßnahmen, Herr Brinkhaus,die Sie genannt haben, ist dieses Problem von der Regie-rungskoalition bisher nicht beantwortet worden.
Das gilt auch für das, was Sie noch in der Verhandlunghaben.
Deswegen ist der Punkt, den wir in den gemeinsamenAntrag eingebracht haben, so wichtig. Wir brauchen eineGrößenbremse: steigende Eigenkapitalunterlegung beiwachsendem Bilanzvolumen und größere Liquiditätsan-forderungen, je größer das Institut ist; denn große Institutesind gefährlicher als kleine Institute. Deswegen brauchengroße Institute schärfere Eigenkapitalregeln als kleine In-stitute. – Sie haben das mit unterstützt. Sie können des-wegen jetzt mitklatschen.
Mein allerletzter Punkt betrifft etwas, was ich fürprioritär halte.
– Ich will die Zwischenfrage gern zulassen.
Das war für mich leider verdeckt. – Bitte schön.
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eswegen haben wir die Änderung zur Großkreditrege-
ung beantragt. Dabei geht es genau um die Vernetzung.
ine Bank darf nicht zu viel Geld bei einer anderen Bank
m Feuer haben. Wir spielen die Fragen „Zu vernetzt?“
nd „Zu groß?“ aber nicht gegeneinander aus, sondern
ir versuchen, für beide Probleme Lösungen vorzu-
chlagen.
eswegen Regelungen zu den Großkrediten und deswe-
en steigende Eigenkapitalunterlegung bei großen Ban-
en. Die Banken sollen eben nicht so groß werden; denn
ir wissen gerade aus der Diskussion, die wir als Fi-
anzausschuss in der Schweiz geführt haben, dass es für
in Land gefährlich sein kann, wenn eine sehr große
ank kippt.
Beide Probleme sind wichtig, Herr Dautzenberg, nicht
ur das eine und nicht nur das andere.
Der zentrale Punkt ist – da haben Sie mich gerade mit
er Frage unterbrochen; das will ich noch kurz sagen –:
ir brauchen eine Schuldenbremse für Banken. Es ist zu
efährlich, wenn Banken auf jeden Euro Eigenkapital
9 Euro Schulden auftürmen, wie das einzelne Banken
n Deutschland tun. Das ist zu riskant. Je mehr Schulden
ezogen auf eine Einheit Eigenkapital gemacht werden,
esto größer ist potenziell die Rendite, aber desto größer
st auch das Risiko für den Steuerzahler. Bei dieser Frage
ntscheidet sich, ob man für Gewinne der Banken oder
ür die Sicherheit der Gelder der Steuerzahler ist. Des-
egen fordere ich Sie auf, das Thema „Schuldenbremse
ür Banken“ endlich auf die Agenda zu nehmen.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
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5704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurUmsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und dergeänderten Kapitaladäquanzrichtlinie. Der Finanzaus-schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 17/2472, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1720und 17/1803 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungangenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktio-nen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünenund die Linke. Die SPD hat sich enthalten.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,den bitte ich, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Bera-tung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor an-genommen.Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ßungsanträge.Entschließungsantrag der Fraktion der SPD aufDrucksache 17/2473. Wer stimmt für diesen Entschlie-ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt bei Zu-stimmung durch die Fraktionen SPD, Bündnis 90/DieGrünen und die Linke. Dagegen haben die Koalitions-fraktionen gestimmt.Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke aufDrucksache 17/2474. Wer stimmt dafür? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantragist ebenfalls abgelehnt, mit dem gleichen Stimmenver-hältnis wie zuvor.Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 17/2475. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch dieserEntschließungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver-hältnis wie zuvor abgelehnt.Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/2472fort.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seinerBeschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 17/1756 mit dem Titel „Stabilisierung des Finanz-sektors – Eigenkapitalvorschriften für Banken angemes-sen überarbeiten“ in der Ausschussfassung anzunehmen.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-empfehlung angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Die Frak-tion Die Linke hat sich enthalten.Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss, den Bericht der Bundesregierungauf Drucksache 16/13741 über die Umsetzung der neugefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapi-taladäquanzrichtlinie zur Kenntnis zu nehmen. WersdstsKMwlAvMuß
Roth , Burkhard Lischka, RenéRöspel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDDeutschlands Verantwortung für die Gesund-heit in Entwicklungsländern – VernachlässigteKrankheiten bekämpfen, Kinder- und Mütter-sterblichkeit verringern und Globalen Fondsstärken– Drucksache 17/2135 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,Ute Koczy, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDie Ziele der Bundesregierung in der Weltge-sundheitsorganisation neu ausrichten– Drucksachen 17/1581, 17/2465 –Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Weiss
Karin Roth
Dr. Christiane Ratjen-DamerauNiema MovassatUwe KekeritzEs ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debat-ieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist eso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort derollegin Karin Roth für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Heute beratenir den Antrag der SPD zur Verantwortung Deutsch-ands für die Gesundheit in den Entwicklungsländern.rmutsbedingte, vernachlässigte Krankheiten sind mit-erantwortlich dafür, dass die Lebenserwartung derenschen in den Entwicklungsländern bis zu 30 Jahrenter der der Industrienationen liegt.Fast 5 Millionen Tote gibt es allein durch die drei gro-en Krankheiten HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5705
Karin Roth
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Während unserer 30-minütigen Debatte sind wieder500 Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten gestorben,die leicht zu vermeiden gewesen wären, wenn die Welt-gemeinschaft die Kindersterblichkeit – jährlich sterbeninsgesamt 9 Millionen Kinder – nicht einfach hinneh-men würde. Es gibt keinen großen Aufschrei, sondernmeist bedauerndes Schulterzucken und beschämte Be-troffenheit. Stärkere Reaktionen gibt es angesichts diesergnadenlosen Zahlen fast nie. Wie reagieren Politik undRegierungen in den Industriestaaten? Wie reagieren wirals Abgeordnete? Werden wir unserer Verantwortung an-gesichts dieser Zahlen gerecht? Was tun wir, um dies al-les zu ändern? Es stellt sich auch die Frage: Was habenwir getan? Was werden wir tun?In der vorletzten Woche stand das Thema Bekämp-fung der Kinder- und Müttersterblichkeit auf der Tages-ordnung des G-8-Gipfels. Leider gab es, wie so oft, vielWind um nichts. Die Bundesregierung und die Bundes-kanzlerin haben sich wieder einmal verpflichtet, mehrGeld zur Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblich-keit bereitzustellen: 80 Millionen Euro jährlich für dienächsten fünf Jahre.Was sind diese Zusagen wert? Bereits vor fünf Jahrenhaben die G-8-Staaten 50 Milliarden US-Dollar zusätz-lich pro Jahr bis zum Jahr 2010 für die Erreichung derMillenniumsziele versprochen. Deutschland hat es – daswissen wir in diesem Hohen Haus – nicht geschafft,diese Zusage einzuhalten. Auch die neuen Versprechun-gen finden sich im Haushalt der Bundesregierung für2011 leider nicht wieder; denn die 80 Millionen Eurowerden innerhalb des Haushaltes umgeschichtet, dasheißt, andere dringende Maßnahmen der Entwicklungs-zusammenarbeit werden gekürzt. Am Ende gibt es nichtmehr, sondern weniger Geld zur Erreichung der Millen-niumsziele. Das ist die bittere Wahrheit.Das ist ein Offenbarungseid, der durch die lang anhal-tende Diskussion über die Kürze der Regierungszeit, diewir heute schon geführt haben, nicht besser wird;
denn die Frage ist doch: Wie viel Geld ist in den Haus-halten? So wie ich das sehe, ist auch mittelfristig nurHaushaltskosmetik vorgesehen, aber keine wirklicheVerbesserung. Beim Thema Gesundheitsvorsorge in denEntwicklungsländern geht es nicht um die Frage, ob wiruns das leisten können, sondern ob wir es hinnehmen vordem Hintergrund unserer Werte – Herr Minister, Sie be-tonen das immer – und unserer Moral, dass MillionenMenschen sterben, obwohl sie zu einem vergleichsweisegeringen Preis gerettet werden könnten.Es ist zynisch, wenn die FDP im Ausschuss bei derFrage, ob wir alle gemeinsam darum ringen, dass wirzum Beispiel durch die Einführung einer Transak-tionsteuer nicht nur die Spekulanten an der Wirtschafts-krise beteiligen, sondern einen Teil dieser Einnahmenfür die Bekämpfung des Hungers in der Welt verwenden,darauf hinweist, dass mehr Geld an der Situation nichtsändern würde.
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Keine Frage: Wir müssen bestrebt sein, dass die Steu-rmittel, die wir ausgeben, effizient genutzt werden,icht nur in den Entwicklungsländern, auch bei uns. Dieichteinhaltung der ODA-Quote von 0,7 Prozent durchine Effizienzdebatte zu vertuschen und sie gegeneinan-er auszuspielen, ist durchsichtig und gegenüber denartnerländern in hohem Maße unglaubwürdig.
Die SPD zeigt mit ihrem Antrag, dass der Zugang zuostengünstigen Medikamenten ein Schlüssel zur Ver-esserung der Gesundheit in den Entwicklungsländernst. Gerade jetzt, ganz aktuell, verhandelt die EU mit In-ien, der sogenannten Apotheke der Dritten Welt, überen Zugang zu bezahlbaren Medikamenten. Die Regie-ung kann jetzt beweisen, dass sie im Rahmen der EUafür sorgt, dass dieser Zugang nicht blockiert wird;enn dies hätte katastrophale Auswirkungen auf die Ar-eit des Global Fund, der eingerichtet wurde, um Aids,alaria und Tuberkulose zu bekämpfen. Die erfolgrei-he Arbeit des Globalen Fonds wollen wir mit unseremntrag unterstützen. Wir fordern daher eine Verdoppe-ung der Mittel in den nächsten drei Jahren.Aber was macht die Bundesregierung? Im Haushalts-ntwurf werden die Mittel für den Globalen Fonds umMillionen Euro gekürzt, obwohl seine erfolgreiche undffiziente Arbeit vom Ministerium nicht bestritten wird.afür gibt es aber zum Beispiel im Bereich der Öffent-ichkeitsarbeit 63,5 Prozent mehr Geld, um das Erschei-ungsbild des Ministers in den Medien aufzupolieren.
o viel zur besseren Sichtbarkeit der deutschen Entwick-ungspolitik.Wenn es schon wenig zu verteilen gibt, dann sollte dieundesregierung sich auf das Wesentliche konzentrie-en. Im Bereich der Gesundheitspolitik heißt das, denusbau von Gesundheitssystemen in den Entwicklungs-ändern zu fördern und den Bereich Forschung und Ent-icklung finanziell zu unterstützen, um zur Bekämpfunger vernachlässigten Krankheiten, aber auch zur Be-ämpfung von HIV und Aids, von Malaria und Tuberku-ose beizutragen.Dabei unterstützen wir auch neue Kooperationen zwi-chen Pharmaindustrie und öffentlichen Forschungsein-ichtungen im Rahmen von sogenannten Produktent-icklungspartnerschaften. Es geht also um eineohärente Strategie, um den Zugang zu Gesundheits-ienstleistungen zu verbessern und die Versorgung mitedizinischem Personal besser zu organisieren. Die In-ustrienationen müssen allen Versuchen widerstehen,
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5706 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Karin Roth
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das medizinische Personal aus den Entwicklungsländernabzuwerben.
In Subsahara-Afrika steht für 65 000 Menschen ein Arztzur Verfügung, und bei uns kommt ein Arzt auf294 Menschen. Daraus folgt auch, dass wir mehr Geld indie Ausbildung des medizinischen Personals investierenmüssen. Auch dadurch erreichen wir mehr Effizienz indiesem System.Die komplexe Aufgabe im Bereich der Gesundheit– ganz zu schweigen von der Bekämpfung des Hungers,der Verbesserung der Bildung und der Stärkung derFrauenrechte – zeigt, wie notwendig es ist, dass dieWeltgemeinschaft an einem Strang zieht, die Kräfte bün-delt und die Aufgaben verteilt, und zwar gemeinsam.Multilaterales Denken und Handeln und bilaterale Ver-antwortung – das sind die zwei Seiten einer Medaille.Ich denke, das ist notwendig, um den Anforderungen ge-recht zu werden und auf der Höhe der Zeit zu sein.Wer wie die FDP weniger über die Mittel und dieHöhe der Ausstattung diskutiert, sondern mehr über dieEffizienz, der sollte sich die Frage stellen, ob ein großer,nicht abgestimmter Flickenteppich von Einzelprojektenwirklich effizient ist oder ob es nicht notwendig ist, eineEntwicklungspolitik zu machen, die auch Strukturpolitikist, damit Nachhaltigkeit erzeugt wird.
Eine moderne Entwicklungspolitik versteht sich nichtnur als Hilfe zur Selbsthilfe. Das zwar auch, aber es gehtihr vor allem darum, finanzielle Mittel einzusetzen, umnachhaltige Strukturen zu schaffen, die zur Stärkung derZivilgesellschaft, zu Transparenz, Kontrolle und Verant-wortung führen. Von solchen Konzepten sind Sie, HerrMinister, doch weit entfernt.
Gerade im Gesundheitsbereich könnten mit einer sek-toralen Budgethilfe einerseits – wir haben gelernt, dassdas bei Ihnen die sozialistische Suppenküche ist; aberdas ist natürlich falsch –
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit?
– und der Stärkung des Globalen Fonds andererseits
gute Voraussetzungen geschaffen werden, um Millionen
Menschenleben zu retten. Es geht um nichts weniger als
das.
Frau Kollegin, achten Sie auf die Redezeit!
– Danke schön.
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as ist nämlich ein klares Bekenntnis dazu, die Fragener weltweiten Gesundheit mit Priorität zu bedienen.as kann keiner bestreiten.
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Sabine Weiss
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Liebe Kolleginnen und Kollegen Antragsteller, ichtue mich mit einem Forderungskatalog von 34 Einzel-punkten in dem hier zu debattierenden Antrag schwer.
Es mag ja durchaus sein, dass all diese 34 Punkte gutund richtig sind. Sie entsprechen auch ohne Zweifelden wichtigsten Forderungen unserer Partner – seiensie nun auf der staatlichen Ebene, bei den internationa-len NGOs oder den vielen nationalen Entwicklungshil-feorganisationen angesiedelt. Ich verstehe auch denWunsch unserer Partner, gerade in Zeiten des knappenGeldes möglichst viele ihrer begründeten Forderungendurch einen Beschluss im Deutschen Bundestag mit ei-nem Haken versehen zu wissen.In der Politik aber – und das ist hier – sind Ehrlich-keit, Realismus und Prioritätensetzung gefragt.
Mit Verlaub: Bei einem Forderungskatalog von 34 Ein-zelpositionen vermag ich dies nur schwer zu erkennen.Wenn wir ehrlich sind, liebe Antragsteller, ist es doch so:Wenn man die finanziellen Bedürfnisse in Bezug aufIhre 34 Forderungen grob überschlägt, hätten Sie dieseselbst in Zeiten von Rot-Grün nicht durchsetzen können.Und da war von der weltweiten Wirtschafts- und Finanz-krise überhaupt noch nichts zu sehen.
Ich setze auf die Einsicht und den Zusammenhalt de-rer, die sich ihrer weltpolitischen Verantwortung be-wusst sind, und zwar unabhängig von ihrer jeweiligenFraktionszugehörigkeit. Wir sorgen uns um die Gesund-heit in den Entwicklungsländern. Wir anerkennenDeutschlands Verantwortung und die führende Rolle desGlobalen Fonds. Wir sehen die enorme Herausforde-rung, hierfür auch in der globalen Finanzkrise finanzielleMittel bereitzustellen. Wir werden uns auch der Heraus-forderung stellen und uns für mehr finanzielle Mittelstarkmachen. Diese Mittel aber – das ist mein Credo –müssen bis auf den letzten Cent effektiv und wirksamangelegt sein. Dies will ich wissen, bevor ich meineHand für Forderungen hebe, egal wie überzeugend sieauch formuliert sein mögen. Denn das liegt auch – dasmuss immer erwähnt werden – im Interesse der deut-schen Steuerzahler.
Es liegt natürlich auch im Interesse der Millionen Men-schen weltweit, denen unser Geld nutzen und helfen soll.Ich denke, wir müssen uns die Mühe machen, wiederauf die Kernaussagen zu schauen und gemeinsam zuüberlegen, was am erfolgversprechendsten und am wich-tigsten ist, statt uns gegenseitig mit möglichst umfang-reichen Forderungskatalogen zu überbieten. Wir müssenes einsehen und akzeptieren: Das Geld, mit dem wir ar-beiten können, ist begrenzt. Das wird es in den nächstenJmddgDdrDdlDbedsr5dhsÄlpKdszfzhdDmscWuidgb
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chen. Aber ziehen Sie daraus doch bitte den richtigenSchluss. Auch das TRIPS-Abkommen, auf das Sie sichpositiv beziehen, gefährdet Menschenleben.
Wir brauchen hier eine grundlegende Revision, die denZugang zu lebensnotwendigen Medikamenten gewähr-leistet. Die Gesundheit und das Überleben der Menschenin den Entwicklungsländern müssen Vorrang vor den In-teressen von Konzernen haben.
Insofern muss die EU – das wäre ein kleiner Schritt indie richtige Richtung – beim Freihandelsabkommen mitIndien auf die Verlängerung von Patentlaufzeiten ver-zichten. Das würde Hunderttausende Menschenlebenretten. Insgesamt müssen sich die Bundesregierung unddie EU für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einset-zen. Denn nur dann können Entwicklungsländer funktio-nierende Gesundheitssysteme aufbauen.
Nur 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens wä-ren nötig, um die deutsche Zusage zur Erreichung derMillenniumsziele im Gesundheitsbereich zu erfüllen.Wir sind heute bei gerade einmal 0,03 Prozent. FrauWeiss, eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die deutscheBevölkerung durchaus bereit ist, mehr Geld in die Ent-wicklungshilfe zu stecken.
Der politische Wille dazu ist nötig; denn es ist finan-zierbar. Wir, die Linke, haben hier die Einführung einerFinanztransaktionsteuer und den Stopp von Rüstungs-projekten als Finanzierungsmöglichkeit vorgeschlagen.Dafür wäre es jedoch notwendig, dass Sie sich endlichdavon verabschieden, die Interessen der deutschen Wirt-schaft, etwa der Pharmaindustrie, der Banken und derRüstungsindustrie, über die Interessen der Menschen inden Ländern des Südens zu stellen.
Leider sind Sie dazu offensichtlich nicht bereit.
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin
Dr. Christiane Ratjen-Damerau.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-gen! Sehr verehrte Damen und Herren! Deutschland er-füllt als drittgrößter Geldgeber selbstverständlich seinePflicht im Sinne der weltweiten Solidarität und Gerech-tigkeit.UidsusaGt–bMAdltSdgpvkiialadabmshfblnFssbbMea
Nun warten Sie doch ab! Ich fange erst an; ich bin ersteim ersten Absatz.
aßgeblich ist das übrigens der Bundeskanzlerinngela Merkel zu verdanken. Sie hat dafür gesorgt, dassie Mütter- und Kindergesundheit in den Entwicklungs-ändern das zentrale Thema auf diesem Gipfel war.
Die Weltgesundheitsversammlung hat bei ihrem letz-en Treffen im Mai eine Resolution zur Verfügbarkeit,icherheit und Qualität von Blutprodukten verabschie-et. Wenn man bedenkt, dass nur 56 Prozent der Testun-en von circa 81 Millionen Blutspenden in 178 Ländernro Jahr auf Krankheitserreger wie HIV oder Hepatitis-iren internationalen Standards entsprechen, dann er-ennt man, dass diese Resolution ein wichtiger Schrittm Hinblick auf die Verbesserung dieser schlechten Lagest. Die Zahl der Blutspenden, die gar nicht oder nichtusreichend getestet werden – weltweit jährlich 28 Mil-ionen –, muss drastisch gesenkt werden. Das gilt geradeuch im Hinblick auf die hohe Sterberate von Frauen inen Entwicklungsländern: Sie ist oft auf einen Mangeln sicheren Blutkonserven zurückzuführen; durch eineessere Testung kann sie eingedämmt werden.Die WHA hat sich im Mai auch auf anderen Feldernit den Millenniumszielen der Mütter- und Kinderge-undheit intensiv beschäftigt. Wie Sie richtig festgestelltaben, konnten wir bis heute trotz aller sonstigen Er-olge gerade bei diesen wichtigen Zielen keine akzepta-len Ergebnisse erreichen: Noch immer erleben 9 Mil-ionen Kinder pro Jahr nicht ihren fünften Geburtstag;och immer sterben eine halbe Million Mädchen undrauen an Komplikationen während der Schwanger-chaft oder Entbindung.Richtig ist aber, dass die Stärkung der Gesundheits-ysteme vorangetrieben werden muss. Dies betrifft ins-esondere die Forschung zur Medikamentenversorgungei vernachlässigten Krankheiten und ihre Umsetzung.it einem systemischen Ansatz könnte hier vieles besserrreicht werden.
Liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD, es istllerdings interessant, wie schnell Sie Ihre Betrachtungs-
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Dr. Christiane Ratjen-Damerau
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weise geändert haben. Es war doch Ihre Ministerin, diedie Aufteilung bilateral zu multilateral im Verhältnis voneinem Drittel zu zwei Dritteln für unantastbar erklärt hat.
– Ja, wahrscheinlich. Soll ich den Satz noch einmal vor-lesen? – Es war doch Ihre Ministerin, die die Aufteilungmultilateral zu bilateral im Verhältnis von zwei Drittelnzu einem Drittel für unantastbar erklärt hat.
– So, ich habe es noch einmal vorgelesen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Raabe?
Nein.
Schön ist aber, dass wir jetzt einer Meinung sind. Inunserem Koalitionsvertrag steht: Wir wollen eine Vertei-lung der bilateralen sowie der europäischen und multila-teralen Leistungen Deutschlands im Verhältnis von zweiDritteln zu einem Drittel erreichen, um die Gestaltungs-möglichkeiten der deutschen Entwicklungspolitik zu er-weitern und den Wirkungsgrad der eingesetzten Haus-haltsmittel zu erhöhen.
Die Bundesregierung steht zu diesen multilateralenVerpflichtungen.
Die Arbeit des Global Fund, der Globalen Allianz fürImpfstoffe und Immunisierung und der anderen Organi-sationen wird hoch geschätzt und nicht infrage gestellt.
Die Erhöhung der Mittel im Haushalt 2010 um 4 Millio-nen Euro hat das gezeigt.Aber es ist angesichts unserer Haushaltslage dochmehr als unseriös, geradezu unverantwortlich, eine Ver-dopplung des Global-Fund-Anteils in diesem Einzelplanzu fordern, ohne dass Sie auch nur ansatzweise sagen,woher das Geld kommen soll.mzBv–gdknmhWEsLksZusnVkuFdsmtd
Zu Ihren Forderungen nach dem TRIPS-Abkommenöchte ich nur sagen, dass Sie sich nicht immer einseitigum Sprachrohr der NGOs machen lassen sollten.
eurteilen Sie die Diskussion einmal verantwortlich undor allem gesamtpolitisch.
Dazu komme ich jetzt; Moment. – Denn, liebe Kolle-innen und Kollegen, eines möchte ich an dieser Stelleeutlich sagen: Allein der Verzicht auf Patente bringtein Heil über diese Welt. Ein Unternehmen, das aus sei-en Aufwendungen für die Forschung keinen Gewinnehr erzielt, kann auch nichts mehr entwickeln.
Unternehmen sind nicht unsere Feinde, sondern sieelfen auch aus eigenem Antrieb, Innovationen undohlstand zu schaffen.
s muss ein Ausgleich geschaffen werden. Natürlichind wir uns völlig einig, dass insbesondere die armenänder einen möglichst umfassenden Zugang zu Medi-amenten bekommen müssen. Aber auch hier unter-cheiden wir uns in dem Wie. Ich denke, es ist an dereit, dass die Entwicklungszusammenarbeit ganzheitlichnd vor allem rationaler angegangen wird.
Damit nachhaltige Erfolge erzielt werden können, müs-en gesundheitspolitische und handelspolitische Ziele in ei-er Balance zueinander stehen. Ein gutes Modell wäre dererzicht auf Patentrechte innerhalb des WHO-Netzwer-es, also bei staatlichen Laboratorien. Ich denke, dass wirns darauf einigen könnten.
Nun noch ein abschließendes Wort zu dem Antrag derraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bei allem Dank füras Lob, das Sie der Arbeit der Bundesregierung in die-em Antrag zollen, hat der AwZ zu Recht mit den Stim-en der Koalitionsfraktionen die Ablehnung dieses An-rages beschlossen.
Meine Kollegin Helga Daub hat bei der ersten Lesungieses Antrages bereits auf die maßgeblichen Unter-
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Dr. Christiane Ratjen-Damerau
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schiede unserer Auffassungen hingewiesen. Sowohl dasBMZ als auch die FDP-Fraktion betrachten das bloßeGeldgeben sehr differenziert. Ohne deutlich mehr Trans-parenz und Effizienz in der Entwicklungspolitik als bis-her wird es keine zukunftsweisenden, langfristigen Er-folge geben.
Die Effizienz der Mittel muss an erster Stelle stehen.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Noch ein Satz. – Good Governance und damit der
verantwortungsvolle Umgang mit Geldern ist eine Vo-
raussetzung für das Wirken von sektoraler Budgethilfe.
Daher können wir Ihrer Forderung nach sektoraler Bud-
gethilfe zur Stärkung des Gesundheitssystems nicht zu-
stimmen
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Dr. Raabe.
Frau Kollegin, ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie
noch nicht lange im Bundestag sind. Sie haben gerade
Ihre zweite Rede gehalten. Wenn Sie aber – auch wenn
es erst Ihre zweite Rede war – eine Behauptung aufstel-
len, die nachweislich unwahr ist, muss ich von Ihnen for-
dern, dass Sie das richtigstellen.
Ich bin seit 2002 Mitglied dieses Hauses und gehöre
seitdem auch dem Entwicklungsausschuss an. Ich habe
in der Zeit, in der Ministerin Heide Wieczorek-Zeul Ver-
antwortung hatte, jeden Haushalt ihres Ministeriums zu-
sammen mit ihr aufgestellt.
– Wir waren seit 2002 – daran werden Sie sich noch er-
innern – immer an der Regierung und hatten somit auch
die Verantwortung, für eine Mehrheit für den Haushalt
zu sorgen.
Es gibt keine einzige Aussage der Ministerin, dass sie
nur ein Drittel der Mittel für die Entwicklungszusam-
menarbeit, wie Sie behauptet haben, für multilaterale
Ausgaben zur Verfügung stellt. Ganz im Gegenteil, diese
Ministerin hat im Haushaltsausschuss sehr oft interve-
niert, und zwar erfolgreich, sodass wir insbesondere im
multilateralen Bereich immer wieder Mittelsteigerungen
zu verzeichnen hatten.
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Das Wort hat nun der Kollege Uwe Kekeritz für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!rau Weiss, ich möchte kurz Ihren Lieblingsbegriff auf-reifen, den Sie immer wieder gebrauchen, auch imwZ. Sie sprechen ständig von Ehrlichkeit. Sie wissen,ass die ODA-Quote 40-jähriges Jubiläum hat und dassich jede Bundesregierung eindeutig zur ODA-Quote be-annt hat. Daher gehört es zur Ehrlichkeit, alles zu tun,m die ODA-Quote zu erreichen. Das sehe ich momen-an aber nicht.
s gibt noch immer keinen Stufenplan. Deswegen ist Ihrppell an die Ehrlichkeit etwas fragwürdig.
Das ist kein Widerspruch zu meiner Aussage.Kommen wir zum G-8-Gipfel. Die Kanzlerin hat dortroßzügig 400 Millionen Euro zugesagt. Wir hatten denindruck, dass es sich dabei um frisches Geld handelt.ch habe nicht daran geglaubt, beim BMZ nachgefragtnd als schriftliche Antwort bekommen:Ob sich durch aktuelle oder künftige G-8-ZusagenAnpassungserfordernisse ergeben, kann derzeitnicht ausgeschlossen werden.ns Deutsche übersetzt heißt das: Es wird an anderertelle gekürzt. Während die gesundheitlichen Aspekteestärkt werden sollen, sollen zum Beispiel die Mittelür die Ernährung, die Wasserversorgung oder die Schul-ildung gekürzt werden. Ich denke, auch das hat nichtsit Ehrlichkeit gegenüber den betroffenen Menschen zun.
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Uwe Kekeritz
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Wie lauten die Lieblingsbegriffe unserer Kanzlerin:Vertrauen, Transparenz, Zuverlässigkeit. Wo sind übri-gens die 20 Milliarden von Gleneagles geblieben? So ge-sehen war der Gipfel in Kanada ein voller Erfolg: 5 Mil-liarden zugesagt, 20 Milliarden gestrichen. Das macht einPlus von 15 Milliarden. Frau Merkel, Zuverlässigkeitkann man eben nicht nur von anderen einfordern. Mit Ih-ren leeren Versprechungen und dem Bilateralismustripdes Ministers Niebel ruiniert die Regierung DeutschlandsRuf und verschlechtert die internationale Zusammenar-beit. Das ist alles andere als effizient.
Zur SPD. Sie plädieren in Ihrem Antrag für eine dras-tische Anhebung der Beiträge an den Global Fund auf420 Millionen Euro jährlich. Zweifelsohne hat der Glo-bal Fund schon unzählige Menschenleben gerettet.
Daher unterstützen wir grundsätzlich die Stärkung desGlobal Fund. Allerdings ist es unerlässlich, Antwortenauf die Frage zu finden, wie es mit dem Global Fundweitergehen soll. Die ausschließlich vertikale Konzen-tration auf HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose ist nichtzukunftsweisend. Der Global Fund möchte längst selbstseinen Aktionsradius ausweiten. Darin sollten wir ihnunterstützen. Im Sinne einer transparenten und effizien-ten Mittelverwendung muss im Gegenzug eine unabhän-gige Kontrolle des Fonds und seiner Projekte eingeführtwerden.Es geht jedoch nicht nur um den Global Fund. Glo-bale Gesundheitspolitik umfasst auch Fragen des Patent-rechts, der Forschung, Handelsfragen, Gesundheitssys-temfragen, Ernährung und Bildung. Es geht auch um dasThema Braindrain. Das riesige Feld der globalen Ge-sundheit muss aufgrund der Komplexität zukünftig bes-ser koordiniert, das heißt verstärkt multilateral, sogar in-ternational bearbeitet werden. Dafür brauchen wir eineKoordinationsstelle. Meiner Ansicht nach kann eine sol-che Koordinationsstelle nur bei der WHO angesiedeltwerden. Nur die WHO ist ausreichend legitimiert undhat das Potenzial dazu. Aus diesem Grund fordern wir inunserem Antrag, dass die WHO die Führungsrolle in derglobalen Gesundheitspolitik übernimmt. Die Bundesre-gierung hat bis 2012 einen Sitz im Exekutivrat der WHOund sollte darauf hinarbeiten, die Koordinationsfunktionder WHO zu stärken.Gemeinsam koordinierte, demokratisch legitimierteglobale Gesundheitspolitik ist das Gebot der Stunde undhat nichts mit Suppenschüsselsozialismus, wie Staatsse-kretär Beerfeltz diesen Effizienzansatz diffamiert, zutun.Sie ist Voraussetzung – ich bin gleich fertig – für eineeffizientere Gesundheitspolitik. Eine höhere Effizienz–dOpJSAßsHNIMbkhnwqwsdrBtdhsvDagmdpmdPtit
Danke schön.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
ürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zumbschluss dieser Debatte die schlimmste Krankheitsgei-el dieser Welt in den Mittelpunkt meiner Ausführungentellen. Etwa 33 Millionen Menschen weltweit sind mitIV infiziert. Das entspricht der Gesamtbevölkerung vonordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.n den vergangenen Jahrzehnten erlitten 25 Millionenenschen den meist qualvollen Tod aufgrund einer Aids-edingten Erkrankung.Die Auswirkungen dieser humanitären Katastropheonnten wir bisher und können wir auch weiterhin nichtinnehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, in denächsten Jahren eine neue nachhaltige Strategie zu ent-ickeln und diese vor allen Dingen auch mit Konse-uenz und kühlem Kopf durchzusetzen.Bei einer nüchternen Betrachtung der vielfältigeneltweiten Bemühungen im Kampf gegen die Immun-chwächekrankheit muss man konstatieren, dass es inen Entwicklungsländern oft an Bewusstsein, an Aufklä-ung und an medizinischer Hilfe fehlt. Hinsichtlich desewusstseins gilt das aber besonders auch für die Indus-rieländer. Gerade bei uns hat sich die Wahrnehmung inen letzten Jahren verschoben. Man sagt: Medikamenteelfen. – Die Krankheit ist und bleibt jedoch tödlich.HIV/Aids wird unter der Mehrzahl der Menschen die-er Erde noch immer totgeschwiegen, als Gottesstrafeerunglimpft oder als Schwulenkrankheit gebrandmarkt.iese Gleichsetzungen sind nicht nur falsch, sie zeugenuch davon, dass Prävention und Aufklärung im Um-ang mit dieser Krankheit weiterhin verstetigt werdenüssen.HIV und das Vollbild dieser Krankheit, Aids, sind fürie Entwicklungsländer eine gesellschaftliche Katastro-he. Öffentliche Haushalte und die privaten Spenderüssen in Zukunft einen Fokus auf die Auswirkungener Krankheit auf die Gesellschaftsstrukturen unsererartnerländer legen. Ich glaube, das ist besonders wich-g.Die bisherigen Schwerpunkte, die besonders von mul-ilateralen Organisationen bevorzugt werden, reichen
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Jürgen Klimke
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nicht aus. Anstrengungen in der medizinischen Versor-gung, zum Aufbau einer Gesundheitsstruktur für ein le-benslanges Einnehmen der Medikamente sowie Präven-tion sind nur Teilaspekte einer nachhaltigen Strategiegegen diese Krankheit.HIV/Aids ist derzeit schon – das ist besonders wichtig –eine Querschnittsaufgabe im Rahmen der bilateralen EZ.Für diesen Ansatz müssen wir auch verstärkt auf denmultilateralen Ebenen werben.Ich kann das BMZ nur unterstützen, wenn es mit sei-ner Strategie ganz im Gegensatz zum Global Fund wirt-schaftliche, soziale und sicherheitspolitische Auswir-kungen von HIV/Aids in seine programmatische Arbeitmit einbezieht.
Deutschland handelt dabei fortschrittlich, und ich bittedringend darum, bei der Vergabe der Mittel und bei derZweckbindung die sektorenübergreifenden Projekte derGTZ stärker zu unterstützen. Immer neues Geld für denGlobal Fund ist möglicherweise nicht im gleichen Maßeeffektiv.
Fakt ist: Sollte die internationale Gemeinschaft diederzeit meist multilaterale HIV/Aids-Politik weiterver-folgen, dann sind die bisherigen kleineren Erfolge imKampf gegen Aids schnell obsolet. Dies ist nicht imSinne einer verantwortungsvollen Entwicklungspolitik.Meine Damen und Herren, im Süden Afrikas ist in-zwischen mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölke-rung infiziert. In Simbabwe und Botsuana sind es derzeitknapp 40 Prozent – fast jeder Zweite. In einem solchenUmfeld ist die gesamte Entwicklungsstrategie ohne di-rekten Bezug auf HIV/Aids nicht mehr erfolgreich. Wirbenötigen vor allen Dingen übergreifende Antworten,und ich kann noch einmal sagen: Wir halten diese Ant-worten im Rahmen der deutschen bilateralen EZ vor.Es ist kein Geheimnis, dass die Epidemie in Afrikabesonders drastische Auswirkungen hat. Nur wenigewissen jedoch, dass sich in Zukunft Ähnliches auch inanderen Regionen dieser Welt abspielen könnte. Aids istnicht nur ein afrikanisches Problem; das stellen wir im-mer mehr fest. Es ist ein Problem ganzer Gesellschaften –ob in Osteuropa, im Iran oder auch in vielen asiatischenStaaten. In Asien sind bereits 5 Millionen Menschen in-fiziert. Länder wie Kambodscha, Myanmar oder Laoshaben weltweit die größten Zuwachsraten, vor allemauch in der heterosexuellen Bevölkerung.Meine Damen und Herren, schlimmer noch: Schonjetzt gibt es in Ländern wie China oder Indien Infektions-raten wie in Afrika vor 20 Jahren. Und dort sind aktuellfast 20 Prozent der Bevölkerung infiziert.Was müssen wir tun? Wir müssen erstens Programmedazu entwickeln, wie wir den Verlust des Humankapitalsumgehen können. Wir müssen Strategien entwickeln, da-mit Schulen und Universitäten auf die Situation reagie-ren können und insbesondere ältere Menschen im Ar-bisZgsddneKwkeudfsÜdsDsZFZnsdDBgmsFt
– Drucksachen 16/12560, 17/790 Nr. 35, 17/1807 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5713
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Thomas GebhartDr. Matthias MierschMichael KauchRalph LenkertDorothea SteinerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreund sehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir soverfahren.Ich eröffne die Aussprache und darf nun um Auf-merksamkeit für den ersten Redner in dieser Debatte bit-ten, den Kollegen Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Der Bericht ist gut –also können auch diejenigen, die jetzt eigentlich gehenwollen, noch bleiben. Denn ich glaube, einem guten Be-richt folgt auch gute Arbeit.
Nun weiß ich zwar nicht, ob die fußballgetrübten Au-gen jetzt erhellt werden, aber Nachhaltigkeit ist ja län-gerfristig angelegt und nicht kurzfristig. Insofern will ichbei dem Bericht Dinge – nicht ganz auf der inhaltlichenEbene – herausstellen, die, glaube ich, wichtig sind.Denn ich glaube, wir haben vieles gemacht, was wichtigund richtig war – Stichworte dazu: demografischer Wan-del, Indikatoren für Nachhaltigkeit, Stellungnahme zumFortschrittsbericht, Generationengerechtigkeit. Auch dieDiskussion über die Nachhaltigkeitsprüfung in der Ge-setzesfolgenabschätzung und die Planung einer nachhal-tigen Infrastruktur betraf wichtige und richtige Themen,deren inhaltliche Breite jetzt nicht darstellbar ist.Der Bericht macht noch einmal deutlich, dass wirbeim Thema Nachhaltigkeit die Bretter deutlich schnel-ler und besser gebohrt haben als in den Jahren davor.Aber ich glaube, wir müssen jetzt auch mit Blick auf dieaktuelle Legislaturperiode diskutieren, ob wir beim Boh-ren auch die richtigen Mechanismen benutzt haben oderob wir den Bohrer hier und da verändern sollten.Zurück zum Einsetzungsbeschluss, der deutlichmacht, was vom Beirat erwartet wird. Zu seinen Aufga-ben gehört die Begleitung der nationalen Nachhaltig-keitsstrategie. Des Weiteren kann sich der Parlamentari-sche Beirat Schwerpunkte setzen und Berichte undEmpfehlungen vorlegen. Auf der Ebene der Bundesre-gierung geschaffene Institutionen werden parlamenta-risch begleitet. Es können Empfehlungen zu mittel- undlangfristigen Planungen abgegeben werden. WeitereAufgaben sind die Kontaktpflege und Beratungen mitanderen Parlamenten, die parlamentarische Begleitungder europäischen Nachhaltigkeitsstrategie und die Unter-stützung der gesellschaftlichen Diskussion in diesem Be-reich.bdnPLtrSbfrdaaagtlKdTmlfnZnsKuwarFsgBdBldbhpbeSfBkw
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ren Ländern zurückstehen. Im Koalitionsvertrag vonCDU, CSU und FDP ist deutlich formuliert worden, dasswir uns die Federführung für die Nachhaltigkeit wün-schen. Das wird auch im zweiten Halbjahr ein wichtigesThema sein. Ich glaube, wir sind auch argumentativ sogut aufgestellt, dass wir das erreichen können. Ichdenke, wir können auch ein wenig stolz darauf sein, dasswir das nächste Brett gebohrt haben.
Der zweite Punkt, der für uns wichtig sein sollte, istdie Kontinuität und die Funktion im parlamentarischenGeschehen. In der 16. Legislaturperiode erfolgte dieEinsetzung des Parlamentarischen Beirats im April 2006und damit deutlich zu spät. Das hat sich deutlich verbes-sert. In der laufenden Legislaturperiode erfolgte der Ein-setzungsbeschluss im Dezember 2009. Im April 2006war es aber nicht ganz so einfach, weil der Übergangvon der guten Arbeit in der 15. Legislaturperiode proble-matisch war.Im Grunde ist der Beirat für nachhaltige Entwicklungnichts anderes als ein Ausschuss. Wir sollten nicht überdie Formulierung streiten, sondern wir sollten sehen,dass wir die Rechte eines Ausschusses wahrnehmenkönnen. Ob das Gremium „Beirat“ oder „Ausschuss fürnachhaltige Entwicklung“ heißen wird, sei dahingestellt.Ich glaube, dass wir uns mit Blick auf die Erfahrung derVergangenheit Gedanken darüber machen sollten, wiewir im Parlament stärker Kontinuität wahren können undwie der Parlamentarische Beirat noch weiter in der parla-mentarischen Normalität ankommen kann.
Das waren zwei leicht formalkritische Anmerkungen.Unter dem Strich bleibt das Fazit: Die Wahrnehmungder Nachhaltigkeit wird durch die Arbeit des Parlamen-tarischen Beirates deutlich gesteigert. Die inhaltlicheSchwerpunktsetzung wird im Bericht deutlich. Ichglaube, wir haben alles abgedeckt, was als Querschnitts-aufgabe anzusehen ist. Jetzt wünschen wir uns für dieBeratungen in den nächsten Wochen und Monaten, dasswir bei der Wahrnehmung im Parlament, aber auch beider Frage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie neueSchwerpunkte setzen können. Ich freue mich, wenn wirin vier Jahren den nächsten Bericht haben und wir, wasgewisse Verfahrensfragen angeht, einen Schritt weitersind.Herzlichen Dank für die Arbeit und herzlichen Dankfür die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Matthias Miersch
für die SPD-Fraktion.
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All den Riesenherausforderungen, die wir vor uns ha-en, haben wir uns heute noch nicht zufriedenstellend ge-tellt. Sonst könnten wir sagen, wir können die Arbeituch einstellen. Ich habe den Eindruck, dass wir teilweise zwei Welten leben. Es gibt eine interessierte Fachwelt,ie uns sagt: Das, was ihr da macht, ist viel zu wenig; ihrüsst viel mehr einsetzen. – Andere fragen: Warum soll
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5715
Dr. Matthias Miersch
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jetzt über einen Zeitraum von 20, 30 Jahren nachgedachtwerden? Jetzt sind die Probleme drängend. – Darübermüssen wir in diesem Beirat reden. Wir haben aus mei-ner Sicht ein ganz entscheidendes Kriterium nach lan-gem, schwerem Kampf eingeführt. Ich spreche AndreasJung an, mit dem ich als Berichterstatter damals für dieNachhaltigkeitsprüfung gestritten habe. Es war richtigschwer, in der Gemeinsamen Geschäftsordnung derBundesministerien zu verankern, dass sie bei ihren Ge-setzesvorhaben eine Nachhaltigkeitsprüfung vornehmenmüssen.Heute, wo dies in der Gemeinsamen Geschäftsord-nung verankert ist, sehen wir, wenn wir einen Gesetzent-wurf lesen, keine Ausführungen dazu, inwieweit ernachhaltig ist. Somit können wir die entsprechende Be-wertung, die ja im politischen Raum vorzunehmen ist,heute noch nicht vornehmen.
Wir können als Parlamentarier nicht sagen: Die Regie-rung hat sich dieses Thema vorgeknöpft und sich mit derInteressensabwägung beschäftigt. Wir finden keine aus-reichenden Ausführungen, die es uns als Parlamentari-schem Beirat ermöglichen, den Ausschussmitgliedern,die sich jetzt mit dem Gesetzentwurf beschäftigen, zu sa-gen: Guckt da noch einmal genauer hin. – Dies darf nichtso bleiben, wenn wir als Beirat nicht ebenso der Belie-bigkeit ausgesetzt werden wollen, wie es teilweise aufden Begriff der nachhaltigen Entwicklung zutrifft.Ich glaube, wir sind an einer ganz entscheidendenWeichenstellung angekommen. Wenn es uns in dieserLegislaturperiode nicht gelingt, dieses einzufordern,dann wird die Glaubwürdigkeit unseres Gremiums – dasglaube ich jedenfalls – nicht größer werden. Es wird un-ter Umständen vielmehr dazu kommen, dass man sagt:Das Parlament ist nicht in der Lage, die Gesetze auch aneiner solchen Messlatte auszurichten. Deswegen ist dasmeines Erachtens – das ist auch die Haltung meinerFraktion – eine der entscheidenden Aufgaben in dieserLegislaturperiode.
Das zweite Thema, mit dem wir uns auseinanderset-zen müssen, ist das große Thema Wachstum. WelchenBegriff von Wachstum haben wir eigentlich? NebenNachhaltigkeit kommt auch Wachstum in jeder zweitenRede vor. Wohin wollen wir eigentlich wachsen? Ist dieWelt, die auf ein „immer höher, immer weiter“ setzt, ei-gentlich eine zukunftsfähige Welt? Denken wir nur andie Endlichkeit von Ressourcen wie Öl und Gas. Denkenwir auch an die Finanzwelt. Wir haben in den letztenJahren erlebt, dass das „immer höher, immer weiter“kläglich gescheitert ist. Das muss uns eigentlich zu den-ken geben. Wir müssen umdenken. Wir müssen aus derWachstumsfalle herauskommen, in die wir hineingelau-fen sind und in der wir teilweise noch feststecken.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dasremium des Parlamentarischen Beirats für nachhaltigentwicklung ist darauf ausgerichtet – das kommt in die-em Parlament selten vor –, Konsens zu erzielen. Eineewisse Einigkeit jenseits von Fraktionsgrenzen ist fürachhaltige Entwicklung von großer Bedeutung. Wirüssen nämlich einen roten Faden entwickeln, der auchber Legislaturperioden hinweg hält und nach einemechsel von Regierungen dieses Landes nicht reißt. Esst also wichtig, dass es dieses Gremium gibt. Ich findes ausgesprochen angenehm, wie in diesem Gremiumearbeitet wird. Dort gibt es eben nicht den üblichen Re-lex, dass die Opposition einen Antrag stellt, die Regie-ung ihn ablehnt bzw. umgekehrt. Davon könnten wirns an der einen oder anderen Stelle, zumindest in denachausschüssen – ich weiß, das ist ein frommerunsch –, eine Scheibe abschneiden.
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Michael Kauch
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Meine Damen und Herren, wir wollen mehr Genera-tionengerechtigkeit; das ist unser Anliegen. Die Finanz-krise hat deutlich gemacht, dass wir über unsere Verhält-nisse gelebt haben. Die Rechnung – sie ist das Ergebnisder Rettungspakete, die geschnürt wurden – wird denkommenden Generationen präsentiert werden. Diese Ge-nerationen werden die angehäuften Schulden abtragenmüssen. Wir haben unsere Sozialsysteme nicht ausrei-chend an den demografischen Wandel angepasst. Wirschaffen eine Infrastruktur, die an die Perspektive einerschrumpfenden und alternden Bevölkerung oft nicht an-gepasst ist. Aber das haben wir erkannt und versuchenjetzt als Demokraten, Veränderungen vorzunehmen.
An dieser Stelle möchte ich ganz deutlich sagen: Esgibt abschreckendere Beispiele in der deutschen Ge-schichte dafür, wie nachhaltige Politik nicht aussehensollte. Wir sind im 20. Jahr der deutschen Einheit. Nachder Sommerpause werden die Einheitsfeierlichkeitenstattfinden. Man muss einmal zurückschauen: Was wardenn in der DDR? Was war denn unter der SED-Dikta-tur? Da gab es nicht nur Menschenrechtsverletzungen.Damals wurde auch die unnachhaltigste Politik betrie-ben, die ein deutscher Staat je erlebt hat. In die Gebäudewurde nicht investiert; sie wurden heruntergewirtschaf-tet. Vor 20 Jahren war man auch finanziell am Ende. Esgibt keine andere Region in Deutschland, die 1990 öko-logisch so heruntergewirtschaftet war wie die Gebiete,über die die SED geherrscht hat.
Ich freue mich schon auf den Beitrag der Linken.Wahrscheinlich wird man wieder erklären, dass Genera-tionengerechtigkeit nicht so wichtig ist wie die Gerech-tigkeit zwischen Arm und Reich. Gerechtigkeit zwi-schen den Generationen ist eine Grundvoraussetzung fürsoziale Gerechtigkeit. Wer die Gerechtigkeit zwischenden Generationen mit Füßen tritt, der wird keine sozialeGerechtigkeit erreichen können.Vielen Dank, meine Damen und Herren!
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol-
lege Ralph Lenkert.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Demografische Entwicklung und nachhaltige Infrastruk-turpolitik waren im Bericht des Parlamentarischen Bei-rats für nachhaltige Entwicklung in der 16. Wahlperiodeein wichtiges Thema. Die Feststellung, dass die Betrach-tung der Nachhaltigkeit bei der InfrastrukturentwicklungbgkgofvdkSlaABsLAdHFdjdrdPdgwhwCg2GLvGblvsKPA
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gemeinsam mit der Linken Anträge zu stellen, selbstdann, wenn man gleicher Meinung ist, ist dumm.
Das ist ein Zeichen von Demokratieunfähigkeit und ver-achtet die freie politische Meinung jeder achten Wähle-rin und jeden achten Wählers. Liebe Unionisten, werfenSie Ihre Vorurteile über Bord! Wer Demokratiebekennt-nisse einfordert, muss Demokratie vorleben; sonst ge-fährdet er selbst die Demokratie, und zwar nachhaltig.
Wenn die Linke 2017 die Bundeskanzlerin oder denBundeskanzler stellt, werden wir die Demokratie hoch-halten, auch für Sie von der CDU/CSU.
Bis dahin arbeiten wir im Parlamentarischen Beirat fürnachhaltige Entwicklung konstruktiv mit.Der Bericht des Beirats für Nachhaltigkeit für dieletzte Wahlperiode ist inhaltlich akzeptabel. Da aber dasBemühen um nachhaltige Zusammenarbeit mit derUnion bisher umsonst war, will die Linke der Union dieZustimmung zum Bericht erleichtern und enthält sichdeshalb der Stimme.
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Valerie Wilms für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Es ist heute schon eine ganze Menge zum Thema „nach-haltige Entwicklung“ gesagt worden. Sicherlich trifft daszu, Herr Weinberg, was Sie als derjenige, der auch Er-fahrung aus der letzten Wahlperiode hat – diese Erfah-rung habe ich leider nicht unmittelbar –, gesagt haben:Da sind sauber dicke Bretter gebohrt worden. Ich binaber jetzt in die Erstellung des Tätigkeitsberichts einge-stiegen und mit Ihnen dabei.Was ich zumindest feststellen kann, ist: Gegenüberdem, was mir aus den letzten Wahlperioden berichtetwurde, haben wir deutlich an Fahrt aufgenommen. Wirsind schnell in Gang gekommen. Wir haben nach derEinsetzung nur ein Vierteljahr gebraucht. Insofernmöchte ich das, was Sie zuerst gesagt haben, unterstüt-zen. Wir müssen zukünftig deutlich anders aufgestelltwerden und dürfen nicht nur über einzelne Initiativen inGang kommen. Wir müssen tatsächlich wie ein Aus-schuss behandelt werden.
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enn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns inter-raktionell aufstellen. Nur so schaffen wir es, unabhän-ig von Wahlperioden und wechselnden Mehrheiten Er-olge zu erzielen.Volker Hauff, der ehemalige Vorsitzende des Ratesür Nachhaltige Entwicklung, hat es plastisch darge-tellt: Würden wir die Zeit bis zum Erreichen des Zielser nachhaltigen Entwicklung in 24 Stunden einteilen,ann wäre gerade einmal eine halbe Stunde vergangen.ir benötigen noch 23,5 Stunden. Das ist eine ganzeenge Zeit. Wir müssen wirklich intensiv weiterarbei-en.Eine sehr große Leistung, die der Beirat in der letztenahlperiode vollbracht hat, ist das Etablieren einerachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfolgenabschät-ung. Kollege Miersch hat schon darauf hingewiesen,elche Probleme es dabei gibt. Wir sind in dieses Themaingestiegen. Schauen wir einmal, ob sich die Regierungewegt und ob sie die entsprechenden Dokumente im-er liefert. Denn jedes Ministerium ist verpflichtet, dieuswirkungen von Gesetzesvorhaben auf zukünftigeenerationen zu überprüfen.Schauen wir uns einmal das Beispiel Staatshaushaltn. Wir nehmen Kredite auf ohne Ende, in jeder Wahl-eriode wieder neu. Unabhängig davon, wer an der Re-ierung ist, werden neue Kredite aufgenommen. Wir alle nicht nur wir, die wir hier sitzen – müssen die Kostenür Tilgung und Zinsen zahlen. Gerade unsere Kindernd Kindeskinder und noch mehrere darauffolgende Ge-erationen müssen dafür aufkommen. Wir müssen alsoinen Weg aus der Verschuldung finden. Sonst bleibtichts mehr übrig für sinnvolle und wichtige Investitio-en.Sparen bedeutet, durch vernünftiges Handeln den fi-anziellen Gestaltungsspielraum, den wir haben, zu er-alten. Wir Grüne haben dafür eine lange Liste von Vor-chlägen erarbeitet, die durchaus zügig umgesetzterden können. Einen entscheidenden Punkt möchte ichn diesem Zusammenhang ansprechen. Es geht um dashema externe Kosten. Wir müssen uns damit sehr vielntensiver beschäftigen. Denn bisher herrscht die Mei-
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5718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Valerie Wilms
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nung vor, dass etwas, das nichts kostet, es nicht wert ist,berücksichtigt zu werden. Was gibt es umsonst? Luft undUmwelt, denn Schäden bezahlt der Steuerzahler. Dasgeht so nicht weiter.
Wir brauchen dringend eine Lösung für dieses Problemund müssen es schaffen, die Kosten von Umweltauswir-kungen mit einzuberechnen. Herr Miersch, es ist dahersicherlich sinnvoll, sich mit dem Thema Wachstum zubeschäftigen und sich zu fragen, ob Kennzahlen wie dasBruttoinlandsprodukt das richtige Maß sind.Für mich ist entscheidend, dass wir als Parlamentarierin diesem Hohen Hause dafür gewählt worden sind,Leitplanken zu setzen. Diese Aufgabe sollten wir end-lich angehen. Lassen Sie uns in Sachen Nachhaltigkeitweiterhin an einem Strang ziehen! Die Menschen in un-serem Lande erwarten, dass wir auch einmal über denTellerrand des täglichen Hickhacks hinausschauen.Diese Art von Auseinandersetzung führen wir in denAusschüssen viel zu oft. Sorgen wir also dafür, dass wirweiterhin in diesem Parlamentarischen Beirat so erfolg-reich arbeiten und ihn auch noch institutionalisiert be-kommen.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Günter Krings für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, sollteselbst auch nachhaltig handeln. Daher ist es richtig, dasswir uns heute die Ergebnisse aus der letzten Wahlperiodeanschauen und uns fragen, wie wir sie für die aktuelleund für künftige Wahlperioden nutzbar machen können.Nachhaltiges Arbeiten des Ausschusses bzw. des Beira-tes heißt natürlich auch, Kontinuität zu wahren. Als Vor-sitzender in der letzten Wahlperiode habe ich natürlichein besonderes Interesse daran, zu schauen, welche Er-kenntnisse aus der letzten Wahlperiode wir sozusagenretten können und welche Vorarbeiten wir jetzt umsetzenkönnen.Wir haben in der vergangenen Wahlperiode – ich willnur drei Stichworte nennen – eine Reihe spezieller, teil-weise auch recht breit aufgestellter Themen in diesemgroßen Bereich Nachhaltigkeit bearbeitet. Ich denke da-bei an umfangreiche Anhörungen, die wir durchgeführthaben, und an Anträge, die wir zum Bereich demografi-scher Wandel und Infrastruktur erarbeitet haben. Esklang eben schon bei den Vorrednern an, dass es nichtnur um Sozialversicherungen oder Geldfragen geht, son-dern auch um die Fragen: Wie bauen wir unser Land?Wie machen wir es fit für die Zukunft? Wie stellen wirsndnbkZrstbNkbmwbktpddLzwkmisSgasddftwbBBkrbkn
Jetzt kommt es darauf an – auch darin stimme ichem Kollegen Miersch zu –, dass wir in der aktuellenegislaturperiode des Deutschen Bundestages die Kon-epte mit Leben füllen und umsetzen. Die Hauptaufgabeird dabei sein, die seit Jahren bestehende Nachhaltig-eitsstrategie – wir haben gute Ziele formuliert, aber inanchen Bereichen kann man noch etwas verbessern –n der konkreten Gesetzgebungsarbeit umzusetzen. Dasind, wenn man so will, die beiden Welten, von denenie gesprochen haben. Das eine ist die Welt einer Strate-ie, die man mit Fachleuten diskutieren kann, und dasndere ist das hier stattfindende Tagesgeschäft, die Ge-etzgebung. Das muss etwas miteinander zu tun haben;enn sonst ist das eine nur etwas Nettes für die Galerie,as das andere aber nicht beeinflusst.
Aus diesem Grunde bin ich der pragmatischen Auf-assung, dass nicht nur das Grundgesetz auf den Schreib-isch eines jeden Ministerialbeamten, der Gesetzent-ürfe erarbeitet, gehört. Auf jeden Schreibtisch gehörteispielsweise auch die Nachhaltigkeitsstrategie derundesregierung. Ich will nun nicht durch alle Büros derundesregierung und der Ministerien gehen, um das zuontrollieren, aber ich kann jeden, der in einem Ministe-ium arbeitet, ermuntern, sich die Strategie durchzulesenzw. zu fragen, ob die Strategie bekannt ist; denn wieönnen wir erwarten, dass die formulierten Ziele bei ei-em Gesetzgebungsvorhaben rückgekoppelt werden,
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Dr. Günter Krings
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wenn die Strategie nicht bekannt ist? Insbesondere soll-ten sich alle, und zwar nicht erst, wenn sie an einem Ge-setzentwurf arbeiten, schlau machen, was überhaupt inder Nachhaltigkeitsstrategie steht, und fragen, wasNachhaltigkeit bedeutet.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der traditio-nelle Ansatz von Politik ist meines Erachtens oft nichtstrategisch, nicht zielorientiert, sondern inputorientiert.Ein Minister bzw. eine Ministerin lässt sich eher dafürfeiern – daran kann man ja angeblich wunderbar dasWirtschaftswachstum ablesen –, wie viel Geld er ausge-ben darf bzw. wie viel er von seinem Haushalt gerettetoder ihm hinzugefügt hat. Ich finde, das ist kein taugli-ches Mittel einer modernen Politik.
Richtig wäre ein erfolgsorientierter Ansatz, in dem be-stimmte Ziele definiert werden, wie das in der Nachhal-tigkeitsstrategie geschieht. Aufgabe müsste es also sein,die Ziele mit möglichst wenig Mitteln zu erreichen. DieZiele sind das Entscheidende, nicht das Geld, das ausge-geben wird. Ich finde nicht, dass es besonders lobens-wert ist, wenn ein Minister besonders viel Geld für einenEtat ausgibt, sondern es ist lobenswert, wenn er dieZiele, die man vorher gemeinsam definiert hat, beson-ders gut erreicht.
Neues Denken hat immer auch mit der Generationen-frage zu tun. Ich möchte niemanden zurücksetzen, abermir ist in der Spardiskussion über den Bundeshaushaltder letzten Tage und Wochen schon aufgefallen, dass dieMinister unterschiedlich damit umgegangen sind. Ichwill inhaltlich nichts zum Sparpaket sagen, dazu gibt esgenug Debatten in diesem Haus. Mir hat es imponiert– um ein Beispiel herauszugreifen –, dass unsere Fami-lienministerin Schröder sehr früh überlegt hat – ihr Etathat an sich sehr viel mit Generationen, mit Jung und Alt,zu tun –, welche Sparvorschläge sie machen kann. Siehat proaktiv und gestalterisch Ansätze gesucht. Ichfinde, das müsste Schule machen.
Generationengerechtigkeit drückt sich eben nicht nur da-rin aus, möglichst viele Einzelprojekte für Jung und Alt,also für die verschiedenen Generationen, aufzulegen,sondern Generationengerechtigkeit heißt eben auch– Frau Wilms, Sie haben es eben gesagt –, dass manmöglichst viel Geld für zukünftige Generationen zusam-menhält.
Zurzeit ist die Nachhaltigkeit ein mehr denn je drän-gendes Problem. Lassen Sie mich einige Stichpunktenennen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir erle-ben, hat maßgeblich mit mangelnder Nachhaltigkeitbeim Wirtschaften zu tun.NtdtsGdkuddkVEthkmEtzoidfGgaWdwsszhKEfdhm
achhaltige Haushaltspolitik ist ein Postulat und in Zei-en der Finanzkrise nötiger denn je. Ich persönlich biner Auffassung – über die Einzelheiten kann man strei-en –, dass wir diese Krise und ihre Konsequenzen bes-er durch Regulierung als durch Geldausgeben in denriff bekommen.
Wir müssen auch feststellen, dass der Klimawandel,er uns in den letzten Jahren stärker beschäftigt hat,eine Pause eingelegt hat, als die Finanzmarktkrise überns hereingebrochen ist. Wir müssen aufpassen, dassiese langfristig wirklich wichtigen Themen nicht unterie Räder der aktuellen Politik kommen.
Ich will zum letzten Punkt kommen und zwei Bemer-ungen zur Rolle des Nachhaltigkeitsbeirats und zurerwirklichung des Nachhaltigkeitsgedankens machen:s ist gut und wichtig, dass wir, wie im Koalitionsver-rag vorgesehen, erste wichtige Schritte unternommenaben – weitere werden folgen – und die Nachhaltig-eitsstrategie federführend beim dafür eingesetzten Gre-ium, dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltigentwicklung, verhandeln. Das war eine gute und wich-ige Errungenschaft. Das werden wir durchsetzen. Derweite Punkt ist: Wir werden die Wachhundfunktion, dieft angesprochen worden ist, stärker wahrnehmen.Meine langfristige Vision beim Thema Nachhaltigkeitst – den Gedanken darf ich vielleicht noch sagen –, dassieser Nachhaltigkeitsbeirat irgendwann einmal über-lüssig ist, weil der Gedanke der Nachhaltigkeit allenremien dieses Hauses in Fleisch und Blut übergegan-en ist. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg;uch das ist deutlich geworden. Ich freue mich, dieseneg in der aktuellen Wahlperiode als einfaches Mitgliedieses Beirates mitgehen zu können. Ich freue mich aufeitere lebhafte Debatten und gemeinsame Ergebnisse.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-chlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-chutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 17/1807u dem Bericht des Parlamentarischen Beirats für nach-altige Entwicklung. Der Ausschuss empfiehlt, inenntnis des Berichts auf Drucksache 16/12560 einentschließung anzunehmen. Über diese Beschlussemp-ehlung werden wir nun abstimmen. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-altungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-en der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/
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5720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Die Grünen und der SPD-Fraktion bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. EvaHögl, Dr. Peter Danckert, Sebastian Edathy, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPDzu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-päischen Parlaments und des Rates zur Verhü-tung und Bekämpfung von Menschenhandelund zum Opferschutz sowie zur Aufhebungdes Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 desGrundgesetzesMenschenhandel bekämpfen – Opferschutzstärken– Drucksache 17/2344 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: UteGranold, Dr. Eva Högl, Jörg van Essen, Ulla Jelpke undJerzy Montag.
Wir beraten heute über einen Antrag der SPD-Frak-tion, der eine Stellungnahme des Bundestages nachArt. 23 Abs. 3 Grundgesetz zum Vorschlag der Kommis-sion für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfungvon Menschenhandel und zum Opferschutz zum Gegen-stand hat. Die besagte Richtlinie sieht vor, den EU-Rah-menbeschluss zur Bekämpfung des Menschenhandelsaus dem Jahr 2002 abzuändern.Bereits im März 2009 hatte die Kommission einen in-haltsgleichen Rahmenbeschluss eingebracht, diesendann aber wieder zurückgezogen. Sie hat stattdesseneine Richtlinie auf den Weg gebracht, da nach ihrer Auf-fassung Änderungen der nationalen Strafvorschriftennur mittels einer Richtlinie geregelt werden können. ImBereich des materiellen Strafrechts sieht diese insbeson-dere vor, das Schutzalter von 16 auf 18 Jahre hochzuset-zen. Zudem sollen die gerichtliche Zuständigkeit und dieStrafverfolgung einheitlich geregelt werden. DerSchwerpunkt des Richtlinienentwurfs liegt allerdings inder Verbesserung der Opferrechte im Strafverfahren so-wie der Unterstützung der Opfer. So soll die Unterstüt-zung der Opfer künftig nicht von deren Bereitschaft ab-hängen, als Zeuge auszusagen. Außerdem sieht dieRichtlinie die Schaffung nationaler Berichterstatter vor.Das Europäische Parlament hat in einer Entschlie-ßung die Zielrichtung des Richtlinienentwurfs und diedgOvESptsPaPdspdMmdvRdKhhsSbwhswBOebgAzizzmRNszMmAWs
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Betroffenen für die Dauer des Aufenthaltstitels der Zu-gang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten eröff-net. Schließlich gewährleistet das Asylbewerberleis-tungsgesetz eine hinreichende medizinische Versorgungsowie Beratung und soziale Betreuung.Die Bundesrepublik erfüllt somit schon jetzt die ge-meinschaftsrechtlichen Vorgaben. Akuter gesetzgeberi-scher Handlungsbedarf besteht demnach zumindest auseuroparechtlichen Gründen nicht. Im Übrigen ist diekonkrete Umsetzung des geltenden Gemeinschafts-rechts, also hier die von der SPD aufgeworfene Frage,ob § 25 Abs. 4 a Aufenthaltsgesetz als Kann- oder Soll-vorschrift ausgestaltet werden soll, gerade nicht Gegen-stand der derzeit anhängigen Beratungen zur neuenRichtlinie. In Fällen unzureichender Umsetzung der ge-meinschaftsrechtlichen Vorgaben wäre es vielmehr zu-nächst Sache der Kommission, ein Vertragsverletzungs-verfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten. Wie ichbereits ausgeführt habe, haben wir unsere Hausaufgabengemacht. Dahin gehende Überlegungen in der Kommis-sion sind daher auch nicht zu erwarten.Unabhängig davon sind wir als Union jedoch grund-sätzlich dafür offen, auch über eine Verbesserung desaufenthaltsrechtlichen Status der Menschenhandelsopferzu sprechen. Bereits gegen Ende der letzten Legislaturpe-riode waren wir auf einem guten Weg, gemeinsam mit un-serem damaligen Koalitionspartner eine vielverspre-chende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen. Beiden Beratungen haben wir nicht nur über die sogenannteFreierstrafbarkeit, sondern auch über konkrete Verbesse-rungen des aufenthaltsrechtlichen Status von Menschen-handelsopfern gesprochen. Zu unserem Bedauern hatdie SPD jedoch aus wahltaktischen Gründen keine Eini-gung gewollt.Der jetzige Antrag erscheint allerdings auch aus an-deren Gründen problematisch. Die SPD fordert die Bun-desregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, derentsprechende Änderungen im Aufenthaltsgesetz zumGegenstand haben soll. Das heißt, die Bundesregierungsoll auf nationaler Ebene ein Gesetz vorlegen. Hierfürist eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetzdas falsche Instrument. Eine solche Stellungnahme zieltnämlich ausschließlich darauf ab, der Bundesregierungein Mandant für die Verhandlungen und die Gesetzge-bung auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene zu geben. MitBlick auf die Forderungen, die Änderungen im deut-schen Aufenthaltsrecht betreffen, hätte die SPD folglichnicht eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 3 Grundge-setz, sondern einen auf Vorlage eines entsprechendenGesetzentwurfs gerichteten Antrag einbringen oder ge-gebenenfalls einen eigenen Gesetzentwurf vorlegenmüssen. Der vorliegende Antrag erscheint daher schonaus formellen Gründen problematisch.Ähnlich verhält es sich mit der Forderung an die Bun-desregierung, das Übereinkommen des Europarates zurBekämpfung des Menschenhandels zeitnah zu ratifizie-ren. Besagtes Übereinkommen steht in keinem unmittel-baren Zusammenhang mit dem Richtlinienvorschlag.Europarat und Europäische Menschenrechtskonventionauf der einen sowie Europäische Union und Gemein-sseVsgKtEdVRwdlRBawdd1sVKkktibdbgdKecgKvwinNDNldadAFbiuHgdZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5721
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Ganz ausdrücklich begrüße ich den Vorschlag derEuropäischen Kommission für eine Richtlinie zur Verhü-tung und Bekämpfung von Menschenhandel und zumOpferschutz. Es ist richtig, über Menschenhandel in Eu-ropa intensiv zu diskutieren und wirksame Maßnahmen,die in ganz Europa gelten, zu beschließen.Menschenhandel ist nichts anderes als die moderneForm der Sklaverei. Es handelt sich dabei um eine derweltweit schwersten Straftaten. Besonders verwerflichist, dass dabei unter Verletzung der Menschenrechte derBetroffenen ein äußerst gewinnbringendes Geschäfts-feld überwiegend im Bereich der organisierten Krimina-lität betrieben wird.Frauen werden zur Prostitution gezwungen, Jugend-liche zu Hungerlöhnen und unter schlimmen Bedingun-gen beschäftigt, Kinder zum Betteln genötigt. Sie allewerden mit falschen Versprechungen in fremde Ländergelockt und systematisch und gezielt ausgebeutet.Die beständig hohen Zahlen der Fälle von Zwangs-prostitution erschrecken uns ebenso wie die steigendeZahl von Zwangsarbeit und wirtschaftlicher Ausbeu-tung. In allen Fällen ist von einer hohen Dunkelzifferauszugehen. Hier ist dringender Handlungsbedarf! Wirdürfen nicht länger zusehen!In drei Viertel der Fälle finden die Straftaten grenz-überschreitend statt, im Bereich der Zwangsprostitutionetwa stammen zwei Drittel der Opfer aus osteuropäi-schen EU-Staaten. Es liegt daher auf der Hand, dasseine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels nurinternational abgestimmt erfolgreich sein kann.Deshalb ist es richtig und gut, dass die EuropäischeKommission eine Richtlinie vorschlägt.Zwar existiert in Deutschland bereits ein großer Teilder im Richtlinienentwurf vorgeschlagenen Maßnahmenund Straftatbestände, doch ist dies kein Grund, sich zu-rückzulehnen. Deutschland ist Zielland des Menschen-handels. Das heißt, dass die Kette der Straftaten nichtmit dem Menschenhandel im engeren Sinne hinter denGrenzen im Inland endet, sondern die Straftaten in unse-rem Land überhaupt erst ermöglicht. Das erbarmungs-würdige Schicksal in Bordellen, Restaurantküchen oderauf Baustellen erleiden die Betroffenen nicht irgendwoauf der Welt, sondern auch und gerade in unserer Nach-barschaft. Dies zeigt, dass wir Menschenhandel mit denbisher existierenden Maßnahmen noch nicht in ausrei-chendem Maße begegnen konnten.Der vorgelegte Richtlinienentwurf verpflichtet alleEU-Mitgliedstaaten dazu, abgestimmte strafrechtlicheMindeststandards zu verabschieden. Ebenfalls enthaltenist die Notwendigkeit der engeren und besseren Zusam-menarbeit aller Behörden sowohl auf nationaler alsauch internationaler Ebene. Dieser Ansatz ist zu begrü-ßen.Wir brauchen aber weitergehende Maßnahmen, umdie der Richtlinienvorschlag ergänzt werden muss.Diese haben wir in unserem Antrag dargestellt.wvsdsMmgsggaMRuaasHdwuevmgdDdErzNtiaesuwgsuMsdrrrKhrsgsZu Protokoll ge
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5722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Menschenhandel hinzuweisen, solange auch Deutsch-land noch nicht alle seine Hausaufgaben in diesem Be-reich gemacht hat. Deshalb fordere ich die Bundesregie-rung nachdrücklich dazu auf, das Übereinkommen desEuroparates zur Bekämpfung des Menschenhandelsendlich zu ratifizieren und umzusetzen.Lassen Sie uns gemeinsam den Menschenhandelwirksam bekämpfen und die vorgeschlagene Richtliniegezielt verbessern, um unseren Werten auch Taten folgenzu lassen.
Das Thema Opferschutz liegt mir seit vielen Jahren
besonders am Herzen. In Verbindung mit dem besonders
abscheulichen Verbrechen des Menschenhandels – oder
um es deutlicher zu formulieren: der modernen Form
der Sklaverei – wird dieses Thema besonders brisant.
Gleichzeitig haben uns Vorschläge der Europäischen
Union zum Strafrecht und insbesondere zum Sexualstraf-
recht in den letzten Jahren bereits mehrfach intensiv be-
schäftigt.
Zum einen ist nicht zu übersehen, dass es in vielfälti-
ger Form sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel
gibt, dem wirksam begegnet werden muss. Menschen,
die Opfer einer solchen Ausbeutung geworden sind, ver-
dienen Schutz und Anerkennung ihrer Opfersituation.
Zum anderen werden von europäischer Seite Vorschläge
eingebracht, die mit den Vorstellungen des Deutschen
Bundestages und der deutschen Rechtsordnung in eini-
gen wesentlichen Punkten nicht in Übereinstimmung zu
bringen sind. Die wegweisenden Reformen des Sexual-
strafrechts zu Beginn der 1990er-Jahre haben sich nach
Bekundung meiner staatsanwaltschaftlichen Kollegin-
nen und Kollegen bestens bewährt und bedürfen keiner
Änderung. Aus diesem Grund darf es auf dem Weg über
Europa auch nicht zu einem „Rollback“ in die Moral-
vorstellungen der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts
kommen.
In diesem Zusammenhang hat meine Fraktion es
schon immer kritisch gesehen und sieht es weiter kri-
tisch, dass nach den Vorstellungen der Europäischen
Union alle Personen, die 18 Jahre und jünger sind, als
Kinder gesehen werden. Dies wird der Wirklichkeit der
sexuellen Entwicklung und dem sexuellen Selbstbestim-
mungsrecht der Jugendlichen nach ihrer Pubertät nicht
einmal ansatzweise gerecht. Die FDP legt deshalb gro-
ßen Wert darauf, dass es bei dem differenzierten System
mit dem absoluten strafrechtlichen Schutz von Kindern,
also Personen bis zum 14. Lebensjahr, ebenso bleibt wie
bei dem hohen Schutz von Jugendlichen in der Pubertät.
Bei Jugendlichen nach der Pubertät, also nach dem
16. Lebensjahr, bedarf es – wie in den Reformgesetzen
vom Anfang der 90er-Jahre – generell nur noch des not-
wendigen Schutzes, um dem sexuellen Selbststimmungs-
recht der Jugendlichen gegenüber Übergriffen von Er-
wachsenen, aber auch anderen Jugendlichen gerecht zu
werden.
Die FDP hat sich auch immer dagegen gewandt, dass
Mindest- und Höchststrafen festgesetzt werden. Die von
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Zum einen ist es ein ganz allgemeiner Punkt: Das Eu-ropäische Parlament fordert, einen auf die Opfer ausge-richteten Ansatz zu wählen. In erster Linie soll es alsoum den Schutz der Opfer gehen, um Zugang zu Betreu-ung und rechtlicher Beratung, also weniger um die re-pressiven Aspekte der Bekämpfung des Menschenhan-dels. Denn nur mit einer hohen Strafandrohung, wie sieder Richtlinienvorschlag enthält, ist den Opfern nochnicht geholfen.Zum anderen geht es mir um einen ganz konkretenPunkt, den die SPD-Fraktion in ihrem Antrag einfachunter den Tisch fallen lässt: das Aufenthaltsrecht für dieOpfer von Menschenhandel, die aus Ländern außerhalbder EU kommen. In der Entschließung des EP wird ge-fordert, dass diese Menschen mindestens – ich betone:mindestens – einen befristeten Aufenthaltstitel erhaltensollten, unabhängig von ihrer Bereitschaft, in Strafver-fahren zu kooperieren. Bei der SPD bleibt von dieserForderung nur das übrig, was ohnehin im Richtlinien-vorschlag der EU-Kommission steht, wonach die Mit-gliedstaaten vorsehen können, den Opfern von Men-schenhandel nach ihrer Aussage in einem Strafverfahrennoch einen längeren Aufenthalt zu gewähren. DieseGnade müssen sie sich aber erst mit einer Aussage in ei-nem Strafverfahren verdienen. Damit bleibt die SPD derLinie der Kommission, des Bundesinnenministeriumsund der Unionsfraktion treu, Opfer von Menschenhan-del lediglich für Strafprozesse instrumentalisieren zuwollen und sie gleich darauf in ihr Herkunftsland abzu-schieben – eine Politik, die die SPD übrigens in der Gro-ßen Koalition mitgetragen hat, als sie auf weitergehendeRegelungen bei der Änderung des Aufenthaltsgesetzesim Sommer 2007 verzichtet hat. Auch diese Peinlichkeitlässt die SPD-Fraktion nicht aus: Sie fordert in ihremAntrag eine korrekte Umsetzung der bereits bestehendenRichtlinie der EU zur Erteilung von Aufenthaltstiteln andie Opfer von Menschenhandel, ganz so, als ob sie dasin der Koalition mit der Union in den vergangenen Jah-ren nicht selbst verbockt hätte.Die Linke hat schon in den damaligen Debatten ganzklar gefordert, Opfern von Menschenhandel einen Auf-enthaltstitel zu gewähren, ob sie sich nun als Zeugen fürStrafverfahren zur Verfügung stellen oder nicht. GeradeOpfern sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitutiondroht in ihren Herkunftsländern soziale Ausgrenzungund damit ökonomisches Elend. Dazu kommt, dass sie inihren Herkunftsländern wieder ins Visier jener kriminel-len Netzwerke geraten, deren Opfer sie bereits gewordensind. Das gilt auch für andere Opfergruppen von Men-schenhandel, ob sie nun als Haushaltshilfen oder aufdem Bau arbeiten. Eine Abschiebung ist deshalb unzu-mutbar und gerade das Gegenteil von Opferschutz. Indiesem Sinne fordern auch wir die Bundesregierung zueiner Revision ihrer bisherigen Verhandlungspositionauf.
Gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche Vor-bemerkung: Ihr Antrag ist ein Antrag gemäß Art. 23Abs. 3 Grundgesetz. Der Bundestag wirkt mit diesenAnträgen an der europäischen Gesetzgebung mit. IhrAvwdGGgVwtsmkaimEldKnnenESdeGFawwRknsswktGsrdBzvKMZu Protokoll ge
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5724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Menschenhandel ist zweifellos ein weltumspannendesPhänomen, das typischerweise grenzüberschreitend istund daher allein im nationalen Kontext nur sehr bedingtwirksam bekämpft werden kann. Daher ist Informations-austausch und eine intensivere Zusammenarbeit undKoordination notwendig. Die Frage ist allerdings, obhierfür eine neue Stelle geschaffen werden sollte oder obdies nicht bereits hinreichend in bestehenden Strukturenverwirklicht werden kann, wie etwa durch Eurojust unddas Justizielle Netz für Strafsachen.Mit einer gewissen Verwunderung nehme ich die inII.5. enthaltene Forderung nach neuen Straftatbestän-den für mit dem Menschenhandel zusammenhängendeCyberkriminalität zur Kenntnis. Gerade von Ihnen, liebeKolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, hätte ichden Ruf nach weitergehenden Straftatbeständen in die-sem Zusammenhang nicht erwartet, da ja gerade Sie denBegriff der Cyberkriminalität in anderem Kontext – undzwar bei den Deliktsgruppen – wegen seiner Unbe-stimmtheit vehement kritisiert haben. Wir Grüne jeden-falls sind und bleiben grundsätzlich skeptisch bezüglichder Einführung neuer Straftatbestände im Allgemeinenund bezüglich Straftatbeständen im Zusammenhang mitdem unbestimmten Begriff der Cyberkriminalität im Be-sonderen.Die unter I.8. und II.5. geäußerte Kritik bzw. Sorge,dass die Richtlinie die strafrechtliche Systematik durchMindesthöchststrafen aus dem Gefüge bringt, teilen wirGrünen – jedenfalls aus deutscher Sicht – nicht. Im Ver-gleich zum Rahmenbeschlussentwurf zur Bekämpfungdes Menschenhandels, den die Kommission im vorheri-gen Jahr noch vor Inkrafttreten des Lissabonner Ver-trags vorgelegt hat, wurden die Mindesthöchststrafen imvorliegenden Richtlinienentwurf gesenkt, sodass jeden-falls im deutschen Recht kein Eingriff in die Strafrechts-systematik zu befürchten ist.Auch die unter I.9. und II.5. geäußerte Kritik er-scheint uns unbegründet. Zum einen kennt das deutscheRecht bereits die Verantwortlichkeit juristischer Perso-nen. So sieht § 30 OWiG die Verhängung von Geldbußengegen juristische Personen vor. Zum anderen liegt hierauch keine isolierte Einführung vor, denn im Richtli-nienentwurf der Kommission zur Bekämpfung der Kin-derpornografie ist ebenfalls die Verantwortlichkeit ju-ristischer Personen vorgesehen – Art. 11 und 12 desEntwurfs.Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dasswir Grünen die Bekämpfung des Menschenhandels aus-drücklich unterstützen und insbesondere auch einen um-fassenden und praktikablen Opferschutz und damit denTenor dieses Antrags. Was jedoch das Instrument angeht– ein Antrag nach Art. 23 Abs. 3 Grundgesetz –, sind wiräußerst skeptisch, ebenso aufgrund der vorstehend an-gesprochenen Kritikpunkte.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2344 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Wäh-ungskrise in der EU stellen uns, aber auch die Kommis-ion vor große Herausforderungen. Die Kommissionuss jetzt erforderliche Impulse geben. Ich betrachte esit Sorge, dass immer mehr Entscheidungen im Ratder aufseiten der Staats- und Regierungschefs getroffenerden. Ich glaube, die Kommission muss ihre Positionls Motor der europäischen Integration verteidigen undich offensiv positionieren. Wir als FDP wollen einetarke Kommission mit einem ambitionierten Ar-eitsprogramm.
Natürlich läuft das Tagesgeschäft der EU auch in Zei-en der Krise weiter. Ich bin zuversichtlich, dass dasuch unter belgischer Ratspräsidentschaft trotz der dortorhandenen innenpolitischen Turbulenzen der Fall seinird. Jetzt endlich muss der EAD eingerichtet werden.ie Erweiterungsverhandlungen insbesondere mit Kroa-ien müssen weitergeführt und im Jahre 2010 zum Ab-chluss gebracht werden. Das ist nicht nur für die EUnd Kroatien wichtig, sondern auch ein entscheidendeseichen für den gesamten westlichen Balkan.
Zu Recht nimmt die Bewältigung der Finanz- undirtschaftskrise den größten Raum des Programms derommission ein. Europa ist in den letzten Jahren wenigerewachsen als die USA. Asien ist die Wachstumslokomo-ive im 21. Jahrhundert. Wir in der Euro-Zone haben auchetzt, nach der Krise, nur ein geringes Wachstum zu ver-eichnen. Deswegen können wir uns ein Scheitern dertrategie „Europa 2020“, wie das beim Lissabon-Vertrager Fall war, nicht leisten. Ich bin hier allerdings nichtehr optimistisch.Jetzt steht die Konsolidierung der öffentlichen Haus-alte in den Mitgliedstaaten an, ebenso vonseiten der EUine Neuausrichtung der Politik. Denn immer noch fließt
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5726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Oliver Luksic
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zu viel Geld in Agrar- und Strukturfonds und zu wenigin Zukunftsinvestitionen. Deswegen ist es jetzt bei derfinanziellen Vorausschau wichtig, dass wir hier neuePrioritäten setzen, weniger umverteilen und konsumtiveAusgaben tätigen, aber mehr in Innovation und Wachs-tum investieren.
Die Kommission betont in ihrem Programm zu Rechtdie Bedeutung von Forschung und Entwicklung sowiedes Ausbaus von innovativen Technologien. Sie möchteauch eine industriepolitische Initiative starten. Das kannman begrüßen, auch wenn man hier genau hinschauenmuss, was damit gemeint ist. Im Programm steht unsererMeinung nach zu wenig über bessere Rahmenbedingun-gen für kleinere und mittlere Unternehmen, die auch inEuropa den größten Anteil an Beschäftigung und Ausbil-dung haben. Ich glaube, hier muss vonseiten der Euro-päischen Union und der Kommission mehr kommen.Was eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinie-rung angeht, brauchen wir in der Debatte mehr Klarheit.Ob Wirtschaftsregierung, Economic Governments oderGouvernement Économique – es gilt, diese Begriffe mitInhalten zu füllen. Das ist jetzt an der Zeit. Auch wennviele anzugehende Maßnahmen nationale Kompetenzenbetreffen, ist klar, dass viele Probleme nur mit einer ver-stärkten Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in Eu-ropa lösbar sind. Unserer Meinung nach soll das zentralvor allem im Wettbewerbsfähigkeitsrat stattfinden; dennwir kommen nicht mit weniger Wettbewerbsfähigkeitaus der Krise heraus.Wer im Inland oder auch im Ausland den Abbau desdeutschen Exportüberschusses fordert, der nimmt denAbbau von Arbeitplätzen in Kauf. Diesen Weg werdenwir als Koalition nicht mitgehen. Wir müssen nichtschlechter werden, alle in Europa müssen besser werden,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Herausforderung besteht darin, in Europa denTeufelskreis aus zu hoher Staatsverschuldung und man-gelnder Wettbewerbsfähigkeit zu durchbrechen. Dies hatim Kern zur Griechenlandkrise und damit auch zur Wäh-rungskrise geführt. Wir begrüßen ausdrücklich die Vor-schläge von Kommissar Rehn, die eine Stärkung des Sta-bilitätspaktes zum Ziel haben, und wollen als Koalitionauch weiterhin die Van-Rompuy-Gruppe konstruktiv be-gleiten. Denn die Verabschiedung des Rettungspaketsbzw. des Rettungsschirms war eine schwierige, aber un-verzichtbare Entscheidung. In der Zukunft gilt es, genaudarüber zu wachen, dass alles umgesetzt wird.Der aktuelle Bericht der Kommission zur Lage in Grie-chenland bzw. zur Umsetzung der notwendigen Refor-men zeigt, dass dies erfolgreich angepackt wird. Geradevor dem Hintergrund der Sparbemühungen in Deutsch-land müssen wir der griechischen Regierung unseren Res-pekt dafür zollen, dass die richtigen Reformen auf denWeg gebracht wurden und dass sie sich nicht vom Weg ab-bringen lässt.Msnth„WWsttVtwwAdAaensduddEFuKtmseps2nddaar
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5727
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gramm in den vergangenen Jahren immer nur für einJahr festgestellt und präsentiert hat, wird jetzt ein Stück-chen mehr Wert auf Kontinuität gelegt. Es werden auchschon Initiativen, Maßnahmen und Projekte aufgezeigt,die erst in den nächsten Jahren auf die Tagesordnung derEuropäischen Union gesetzt werden. Aber machen wiruns nichts vor: So wichtig es ist, dass die EuropäischeKommission die Bewältigung der Finanz- und Wirt-schaftskrise in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückthat, so sehr fällt wieder auf, dass es ein Sammelsuriumvon Projekten und Initiativen ist. Es ist recht schwer, an-gesichts der Fülle von Projekten einen roten Faden zu er-kennen.Dafür gibt es natürlich Gründe; darüber sollten wir re-den. Jeder der Kommissarinnen und Kommissare – zwi-schenzeitlich haben wir 27 mit mehr oder weniger bedeu-tenden Zuständigkeiten – will sich natürlich in seinembzw. ihrem Aufgabenbereich profilieren. Profil meintman dadurch gewinnen zu können, indem man in jedemBereich einen Vorschlag unterbreitet. Ob das dem politi-schen Gewicht der EU-Kommission als Ganzes zuträg-lich ist, daran habe ich meine Zweifel. Denn wir alle spü-ren: Die EU ist insgesamt im Wandel und nicht nur zumGuten.Wir müssen uns fragen, welche EU-Kommission wireigentlich wollen und welche Erwartungshaltung wir andie Arbeit der Europäischen Kommission anlegen. Tra-ditionell hat sich der Bundestag immer als ein ganz en-ger und verlässlicher Partner der EU-Kommission ver-standen, weil uns eines klar war: Die Kommission istMotor der Integration, Hüter der Verträge, und sie wahrtdas europäische Gemeininteresse. Das ist schwierigergeworden. Daran sind wir auch selbst schuld.
Die schleichende Intergouvernementalisierung derEuropäischen Union schwächt die Kommission. Das istnicht gut. Wer profitiert davon? Angesichts der 27 Kom-missarinnen und Kommissare profitiert erst einmal derKommissionspräsident davon. Wir haben es im Prinzipmit einem Präsidialsystem zu tun. Er hat die Fäden in derHand. Je schwächer die einzelnen Kommissarinnen undKommissare, desto stärker der Kommissionspräsident.Der Kommissionspräsident wird wiederum am Gängel-band der nationalen Regierungen, insbesondere der gro-ßen, geführt. Die nationalen Regierungen als Ganzesprofitieren natürlich auch von einer möglichst schwa-chen Europäischen Kommission. Der neu ins Amt ge-kommene Vorsitzende des Europäischen Rates, der nunfür zweieinhalb Jahre bzw. fünf Jahre im Amt ist, profi-tiert auch. Ich sehe das mit Sorge, meine Fraktion siehtdas mit Sorge.Mitverantwortlich für diesen Weg ist auch die Bun-desregierung. Ich kann Ihnen das bei aller Wertschät-zung, Herr Staatsminister Hoyer, heute Abend nicht er-sparen. Das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft imJahr 2007 war: „Europa gelingt gemeinsam.“ Wo ist die-ser Gemeinsinn eigentlich hingekommen? Es ist nichtmehr viel davon übrig geblieben. Das ist schade undpolitisch hochgefährlich. Dazu haben sich in den vergan-ghtwowcsikenwI–mhmsveiwWmunnscsheizzGszsfd
Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören; aber ichöchte es Ihnen dennoch nicht ersparen. Denn all dasat auch etwas mit der Arbeit der Europäischen Kom-ission zu tun. Wenn wir uns eine schwache Kommis-ion wünschen, können wir auch kein starkes, innovati-es, pointiertes Arbeitsprogramm der EU-Kommissionrwarten. – Die nationalen Interessen stehen nun einmaln den letzten Wochen leider im Vordergrund. Das habenir auch bei der Bewältigung der globalen Finanz- undirtschaftskrise auf europäischer Ebene gespürt: Oft-als wurde nur bis zum nationalen Tellerrand gedachtnd gearbeitet; das gemeinsame Interesse wurde ver-achlässigt.Eine schwache Kommission liegt weder im deutschenoch im europäischen Interesse. Wir sollten uns für einetarke Kommission einsetzen, die sich auf das Wesentli-he konzentriert und von einem selbstbewussten Europäi-chen Parlament kontrolliert und begleitet wird. Insofernabe ich auch an Sie, die Vertreter der Bundesregierung,ntsprechende Erwartungen. Bislang sind Sie – das darfch für meine Fraktion sagen – hinter diesen Erwartungenurückgeblieben. Sie sollten da einfach noch einen Zahnulegen.Ich erwarte von der Europäischen Kommission alsanzes, dass sie sich ernster nimmt und sich in nochtärkerem Maße von den nationalen Regierungen eman-ipiert. Vor allem ist das in unserem Interesse: Einetarke Kommission ist gut für Deutschland, nicht nur gutür die Europäische Union.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Kudla fürie CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir behandeln heute das Arbeitsprogrammder Europäischen Kommission für das Jahr 2010. Nach-dem der Beginn dieses Jahres von der Beratung und Be-schlussfassung der Strategie „Europa 2020“ geprägt war,wird der Schwerpunkt der kommenden Monate und Jahredarauf liegen, die Folgen der aktuellen Wirtschafts- undFinanzkrise zu überwinden. Die Kommission hat dazustrategische Maßnahmen mit den drei folgenden Zielenveranlasst: erstens die verstärkte wirtschaftspolitischeÜberwachung und Abstimmung im Euro-Raum, zwei-tens einen Beitrag zur nachhaltigen Stabilisierung der öf-fentlichen Finanzen zu leisten, indem eine Bewertungder nationalen Stabilitäts- und Konvergenzprogrammevorgenommen wird, und drittens die Gewährleistung sta-biler, verantwortungsvoller Finanzmärkte im Dienste derGemeinschaft.Lassen Sie mich auf alle drei genannten strategischenSchwerpunkte kurz eingehen:Zum ersten Ziel. Die Kommission kündigt an, Vorschlägevorzulegen, wie die Kontrolle der öffentlichen Finanzenverbessert und makroökonomische Ungleichgewichte,darunter Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit, be-hoben werden sollen. Es ist positiv zu bewerten, dass dieKontrolle der öffentlichen Finanzen entsprechend verbes-sert sowie verstärkt auf die Einhaltung der Kriterien desStabilitäts- und Wachstumspaktes geachtet werden soll.Eine Ursache der Euro-Krise ist, dass man im We-sentlichen einen Verstoß gegen die Maastricht-Kriterienhingenommen hat, ohne entsprechende Konsequenzenzu ziehen. Die Folgen dieses Vorgehens belasten die ge-samte EU und die Nationalstaaten gleichermaßen. Diegeplante wirtschaftspolitische Überwachung sollte je-doch nur dazu dienen, Fehlentwicklungen wie beispiels-weise Spekulationsblasen auf dem Immobilienmarktfrühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Zweifellossollte der Binnenmarkt gestärkt werden. Keinesfalls darfdies dazu führen, dass marktwirtschaftliche Grundprin-zipien außer Acht gelassen werden.Die Kommission nimmt auch auf den Monti-BerichtBezug. Dieser beinhaltet im Bereich der Steuerpolitik alsTeil der Wirtschaftspolitik einige gute Vorschläge, zumBeispiel zur Bekämpfung steuerlichen Missbrauchs.Gleiches findet sich auch in dem aktuell vorgelegtenProgramm der belgischen Präsidentschaft des Rates derEuropäischen Union.Abzulehnen sind jedoch die im Monti-Bericht enthal-tenen Forderungen nach einer steuerlichen Angleichungzwischen den Nationalstaaten, um den steuerlichenWettbewerb zu regulieren. Wettbewerb zwischen denRegionen hat immer zu positiven Wirtschaftsimpulsenund damit zu Wohlstandsmehrungen geführt. InDeutschland gehört es zu den Grundfesten unseres Wirt-schaftssystems, dass zum Beispiel die Kommunen zu-mindest in einem Teil ihres Einnahmebereichs durch dasHebesatzrecht ihr Steueraufkommen beeinflussen undStandortpolitik betreiben können. Eine verbesserte steu-erliche Koordinierung innerhalb der EU ist zu begrüßen,eine steuerliche Angleichung ist abzulehnen.
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olglich gilt es, die Finanzmarkttransaktionsteuer aufuropäischer Ebene einzuführen.
ie Kommission sollte dieses Thema mit Nachdruck an-ehen.Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner ist der Kollege Thomas Nord für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit ei-
nem Dreivierteljahr bin ich jetzt Bundestagsabgeordne-
ter. Wenn ich mir die Berichte über die letzten Tagungen
des Europäischen Rates in Erinnerung rufe, war es stets
so, dass die Teilnehmer ins Flugzeug stiegen und beim
Aussteigen die Tagesordnung der Beratung in der Regel
eine andere war als kurz zuvor. Ich kann also aus vollem
Herzen dem Satz in der Einleitung des Arbeitspro-
gramms der Kommission zustimmen: „Weitermachen
wie bisher ist ausgeschlossen.“ Ein kluger Satz. Wenn
ich aber das Programm lese, dann stelle ich fest, dass die
politischen Folgen dieses Satzes darin weitgehend aus-
geblendet sind. Der größere Teil des Arbeitsprogramms
ist der Konkretisierung der Strategie „Europa 2020“ ge-
widmet. Diese ist eine Fortsetzung der Lissabon-Strate-
gie. Hier im Plenum waren sich alle Fraktionen einig:
Diese ist gescheitert. Uneinigkeit bestand doch nur da-
rüber, warum sie gescheitert ist.
Die Koalition und Teile der Opposition sind der Mei-
nung: Die Strategie war überfrachtet und unverbindlich.
Die Linke ist der Auffassung: Lissabon war ein grundle-
gend falscher Weg.
Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung sind
die falschen Mittel für ein dauerhaft friedlich geeintes
Europa. Ohne die Deregulierung der Finanzmärkte der
letzten Jahre wäre die Krise, so wie wir sie jetzt haben,
gar nicht möglich gewesen. Mit ihr wurden die Banken
und die Spekulanten doch geradezu zu ihrem Handeln
animiert. In der Folge – mit den Folgen hatten wir in den
letzten Wochen viel zu tun – hatten wir eine Banken-
und Finanzkrise. Die Staaten mussten dann massiv fi-
nanzpolitisch intervenieren; auch damit haben wir uns
hier ausführlich befasst. Die Folge ist, dass wir heute
eine Krise vieler europäischer Staaten haben. Die Lissa-
bon-Strategie ist nicht nur ökonomisch, sondern auch
politisch gescheitert.
Das gilt ebenso für viele Vertragsgrundlagen der Euro-
päischen Union.
Die Wettbewerbsfixierung des Binnenmarktes, der
Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die strikte Bin-
dung der EZB an Preisstabilität statt an Wachstum und
Beschäftigung haben die Krise verschärft und nicht ge-
holfen, sie zu lösen. Im Arbeitsprogramm der Kommis-
sion findet sich gerade hierzu kein kritisches Wort. Die
Diskussion über eine europäische Wirtschaftsregierung,
über solidarische Ausgleichsmechanismen in einer Wäh-
rungsunion und über Mindeststandards zur Beschrän-
kung des Lohn- und Steuerdumpings findet in diesem
Arbeitsplan nicht statt. Die Kommission sieht die Lö-
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as Arbeitsprogramm der Kommission 2010 beschreibt
ine Normalität, die so nicht in Sicht ist. Die Kommis-
ion stellt die Frage nach den Ursachen für die jetzige
ituation nicht. Daher gibt sie darauf auch keine Ant-
orten, entwickelt keine tragfähigen Lösungen. Die teils
innvollen Einzelinitiativen schweben im Raum. Ihnen
ehlt ein Fundament.
Danke schön.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
er Kollege Manuel Sarrazin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eineeue Zeit – so hat die EU-Kommission das Arbeitspro-ramm sozusagen genannt. Am Anfang des Arbeitspro-
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5730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Manuel Sarrazin
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gramms hat sie nämlich noch einmal die Feststellung ge-troffen: Wir leben in einer neuen Zeit.Der Kollege Roth hat schon darauf hingewiesen, dasssich gerade etwas Gewichtiges verschiebt. Das beobach-ten wir alle. Wir erleben, dass Entscheidungen mehr undmehr vom Europäischen Rat und so schnell getroffenwerden, dass wir als Deutscher Bundestag oftmals „hin-terherhecheln“ und sich die Frage stellt, wie gewährleis-tet werden kann, dass die verschiedenen Kompetenzen,die in der Bundesregierung vorhanden sind, auch weiter-hin in diese Entscheidungen einfließen können. Ichdenke, wir als Deutscher Bundestag müssen uns dieserVerschiebung stellen.Ich möchte mich der Kritik des Kollegen Roth an derBundesregierung ausdrücklich anschließen, aber auchdazu sagen: Ich glaube, dass das Auswärtige Amt Kom-petenzen hinsichtlich Europa hat, die wir in der Europa-politik und auch im Europäischen Rat weiterhin brau-chen, auch wenn die Außenminister selber dort nichtregelhaft dabeisitzen.
Ich denke aber auch, dass wir als Deutscher BundestagDebatten gerade auch mit dem Kanzleramt gezielt früherführen müssen, um unsere Meinung einzubringen. Wirhaben deswegen einen Antrag vorgelegt, mit dem wiruns diesem Thema widmen und der auch eine Anregungfür die anderen Fraktionen sein soll, darüber zu diskutie-ren, wie wir diesem neuen Anspruch besser gerecht wer-den können, weil es richtig ist, was Herr Roth gesagt hat:Wir brauchen die Europäische Kommission aus ver-schiedenen Gründen.Natürlich haben wir als Deutscher Bundestag zu-nächst die Aufgabe, die Bundesregierung zu kontrollie-ren, zu noch besseren Ideen zu bringen und falsche Ideenzu skandalisieren und zu verhindern. Wir haben abernatürlich auch die Aufgabe, im Sinne der parlamentari-schen Solidarität zu gucken, wie das Europäische Par-lament weiterhin eine wichtige Funktion in der Euro-päischen Union ausüben, seinen Kontrollrechtennachkommen und seiner demokratischen Legitimationentsprechen kann.
Dafür ist es wichtig, dass man bei den Themen, diejetzt zur Diskussion anstehen, immer betont: Nur werder EU-Kommission eine gewisse Rolle zubilligt, wirdauch das Europäische Parlament am Ende mit im Boothaben. Deswegen ist es wichtig, dass wir über die Strate-gie „EU 2020“ und darüber reden, wie die wirtschafts-politische Koordinierung mit Schlüsselrollen für das EPund die EU-Kommission erfolgen kann – dann natürlichauch in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Rat.Eines ist auch wichtig – das möchte ich hier ebenfallsbetonen –: Leider ist diese EU-Kommission nicht immerdie, für die man als Grüner sozusagen mit besonders vielÜberzeugung und Verve in die Bresche springt. Wederist Herr Barroso sozusagen unser liebstes Kind noch ver-sdstKdngwSdtlowsvv1zessanMudhbutfsRtnsbBssmbat
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
atthias Lietz für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damennd Herren! Die letzte Debatte zum Arbeitsprogrammer EU-Kommission liegt inzwischen mehr als andert-alb Jahre zurück. Inzwischen haben wir – das ist hierereits erwähnt worden – eine neue EU-Kommissionnd ein neu gewähltes Europäisches Parlament. Der Ver-rag von Lissabon ist in Kraft getreten. Das Bundesver-assungsgericht hat sein Urteil zum Lissabon-Vertrag ge-prochen; und die Griechenland-Krise sowie derettungsschirm für den Euro haben uns seitdem beschäf-igt.Aber die Krise hat uns auch eines deutlich gemacht,ämlich dass Europa es schaffen kann, wenn es gemein-am handelt. Nationale Alleingänge bei Themen, die alleetreffen, waren und sind nicht erfolgversprechend. Mitlick auf langfristige Herausforderungen, die vor unstehen – ich denke an die Globalisierung, den Klima-chutz oder den demografischen Wandel –, ist ein ge-einsames Handeln der Union aktueller denn je. Wir ha-en schon von den Vorrednern gehört, dass es vielleichtuch kritikwürdig ist, dass diese Debatte zu diesem spä-en Zeitpunkt in diesem Hause stattfindet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5731
Matthias Lietz
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Meine Damen und Herren, das vorgelegte Arbeitspro-gramm der EU-Kommission konzentriert sich auf vierAktionsbereiche: zum Ersten die Bewältigung der Kriseund die Bewahrung der sozialen Marktwirtschaft inEuropa, zum Zweiten eine Agenda für mehr Bürgernähe,die den Menschen in den Mittelpunkt der EU-Maßnah-men stellt, zum Dritten die Entwicklung einer ehrgeizi-gen und kohärenten außenpolitischen Agenda globalerReichweite und zum Vierten die Modernisierung derInstrumente und der Arbeitsweise der EuropäischenUnion.Den größten Raum nehmen sinnvollerweise die Be-wältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie dieweitere Ausarbeitung der Wachstums- und Beschäfti-gungsstrategie Europa 2020 ein. Diese Schwerpunktset-zung im Arbeitsprogramm ist grundsätzlich zu begrü-ßen. Allerdings muss bei den geplanten Europa-2020-Leitinitiativen ganz klar der europäische Mehrwert zuerkennen sein. Ebenso müssen die Leitinitiativen einergenauen Subsidiaritätsprüfung unterzogen werden.Mit Blick auf die Agenda für mehr Bürgernähe ist dieSchwerpunktlegung auf die Umsetzung des StockholmerProgramms ebenfalls zu begrüßen. Im Zentrum der Um-setzung muss hier auf jeden Fall der stärkere Schutz derBürgerrechte liegen.Was die Modernisierung der Instrumente und die Ar-beitsweise der EU betrifft, ist das verstärkte Bestrebender Kommission, Bürokratie abzubauen und neueRechtsakte einer besseren Folgenabschätzung zu unter-ziehen, ein Punkt, zu dem nicht nur die europäischen,sondern alle staatlichen Ebenen aufgerufen sind. Effi-ziente Verwaltung und Regulierung müssen Ziel der ge-samten staatlichen Verwaltungen sein.
Hinsichtlich der Arbeitsweise der EuropäischenUnion warten wir übrigens noch immer auf die dringendüberfällige Übersetzungsstrategie.
In diesem Punkt weist das Arbeitsprogramm der Kom-mission eine wesentliche Lücke auf. Gerade wegen derstärkeren Einbindung auch des Deutschen Bundestagesdurch die Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissa-bon erhält dieser Punkt eine besondere Dringlichkeit.Künftig muss sichergestellt sein, dass Schriftstücke derEuropäischen Union frist- und formgerecht mit der Ori-ginalfassung in deutscher Sprache vorliegen. Hier be-steht dringender Handlungsbedarf!Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch inwenigen Punkten auf die im Zusammenhang mit derSchwerpunktsetzung angelaufenen Gespräche zur Ge-staltung der künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik nach2013 eingehen.Die Kommission und die belgische Präsidentschaftplanen für das Jahr 2010, einen umfangreichen und am-bitionierten Maßnahmenkatalog im Bereich der Land-wirtschaft abzuarbeiten. Im Zentrum dieses Maßnah-menkatalogs stehen in diesem und in den kommendenJfi2DwkwFVktsdsshUriegssAdfnL
Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht seinrteil zum Vertrag von Lissabon gesprochen. Das Ge-icht hat dem Deutschen Bundestag mehr Verantwortungm Prozess der europäischen Integration auferlegt. Es hatine stärkere Rolle des Parlaments in der Europapolitikefordert. Wir als Abgeordnete dieses Hohen Hausesind dazu aufgefordert, uns dieser Verantwortung zutellen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten SevimDağdelen, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKEAusgrenzung beenden – Einbürgerungen um-fassend erleichtern– Drucksache 17/2351 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,amit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so ver-ahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-erin der Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Dieinke das Wort.
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5732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich
auf Dauer in einem Staat niederlässt, zumal wenn sich
dieser als Demokratie versteht, hat Anspruch auf politi-
sche und soziale Rechte. Dieser Anspruch kann im Prin-
zip auf zwei Arten erfüllt werden: über einen unkompli-
zierten Zugang zur Staatsangehörigkeit oder über das
Wahlrecht auch für die im Land lebenden Menschen
ohne deutschen Pass.
Das, was wir von der Bundesregierung erleben, ist
aber genau das Gegenteil. Sie schafft weder die Mög-
lichkeit eines entsprechenden Wahlrechts – noch nicht
einmal auf kommunaler Ebene –, noch versucht sie, Ein-
bürgerungen tatsächlich zu ermöglichen und zu vereinfa-
chen. Stattdessen erschwert und verhindert sie Einbürge-
rungen. Das konnten wir letzte Woche aus den aktuellen
Einbürgerungszahlen des Statistischen Bundesamtes er-
fahren, denen zufolge immer weniger Menschen deut-
sche Staatsangehörige werden, weil die geltende Rechts-
lage und die schlimme Einbürgerungspraxis zu hohe
Hürden darstellen.
Vor 20 Jahren, 1990, legte das Bundesverfassungsge-
richt dem Gesetzgeber in einem Grundsatzurteil nahe,
eine demokratische Lücke zu schließen. Denn Millionen
Menschen, die dauerhaft in der Bundesrepublik lebten,
waren von allen Ebenen der politischen Mitbestimmung
ausgeschlossen. Gemeint waren damals 5,5 Millionen
Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass
hatten, aber im Durchschnitt bereits mehr als zwölf Jahre
hier lebten. Das war ein richtiger und wichtiger Hinweis
des Verfassungsgerichts, was die Linke unterstützt.
Die bisherigen Regierungen haben sich aber leider
nicht an die Empfehlungen des höchsten Gerichts gehal-
ten. Nein, das vom Bundesverfassungsgericht kritisierte
Demokratiedefizit hat sich in den letzten 20 Jahren dra-
matisch verschärft. Heute leben über 7 Millionen Men-
schen ohne deutschen Pass in Deutschland, und ihre
durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt sogar fast
19 Jahre. Die Einbürgerungszahlen befinden sich auf ei-
nem Tiefstand. Unter dem alten Reichs- und Staatsange-
hörigkeitsrecht aus dem Jahr 1913 wurden 1999 noch
über 143 000 Menschen eingebürgert. Damals galt noch
das Abstammungsrecht.
Zehn Jahre danach, 2009, lagen wir mit knapp über
96 000 Einbürgerungen deutlich darunter. Seit der Re-
form des Staatsangehörigkeitsgesetzes unter Rot-Grün
im Jahr 2000 und den Verschärfungen unter der Großen
Koalition von SPD und CDU/CSU im Jahr 2007 haben
wir bei den Einbürgerungen einen kontinuierlichen
Rückgang zu verzeichnen. Für dieses Jahr ist schon wie-
der mit einem Sinken der Zahlen zu rechnen, worauf die
aktuell zurückgehenden Zahlen der Einbürgerungstests
hindeuten.
Die Linke will das ändern. Mit unserem Antrag wol-
len wir das vom Bundesverfassungsgericht angespro-
chene Demokratiedefizit in Deutschland beseitigen. Wir
wollen deutlich machen, dass der Schlüssel zur politi-
schen Integration und Chancengleichheit in der rechtli-
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Über meine Vergangenheit können wir gerne reden;ber Ihre zu reden, fangen wir besser nicht an. – In ih-em Antrag „Ausgrenzung beenden – Einbürgerungenmfassend erleichtern“ kritisiert die Fraktion Die Linkenter Hinweis auf vermeintlich kontinuierlich zurückge-ende Zahlen der Einbürgerungen zum einen, dass dieundesregierung ungeachtet dessen Einbürgerungs-rleichterungen ablehne. Zum anderen fordert sie dieundesregierung auf, das Staatsangehörigkeitsgesetz mitem Ziel umfassender Einbürgerungserleichterungen zundern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5733
Helmut Brandt
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Gestatten Sie mir gleich zu Beginn, Folgendes dazuzu sagen: Schon der Titel Ihres Antrags hat mich irritiert.Es ist doch tatsächlich so, dass wir uns in den letztenJahren mehr als alle Regierungen zuvor um die Integra-tion hier lebender Migranten bemüht haben. Ich will andieser Stelle einige Stichworte nennen: Integrationsgip-fel, Integrationsplan, erfolgreiche Integrationskurse.Lassen Sie mich noch eines erwähnen. Ich weiß nicht, obSie sich für Fußball interessieren. Die Zusammenset-zung der deutschen Nationalmannschaft ist der beste Be-weis dafür, dass wir in Deutschland keine Ausgrenzungbetreiben, sondern Migranten optimal integrieren.
Wie kann man in einer solchen Situation von Ausgren-zung sprechen? Das Gegenteil ist tatsächlich der Fall.Die Frage, weshalb die Einbürgerungszahlen tatsäch-lich zurückgegangen sind, ist sicherlich zu stellen. Nunmuss man dazu sagen, dass die Einbürgerung eine indi-viduelle und freiwillige Entscheidung eines jeden Aus-länders ist, der die Voraussetzungen dafür erfüllt. Aufdiese persönliche Entscheidung kann und sollte die Poli-tik nur begrenzt Einfluss nehmen.Zudem sollten die Ergebnisse des inzwischen von derBundesregierung eingeleiteten längerfristigen For-schungsprojektes über die Motive von Ausländern, sicheinbürgern zu lassen oder auch darauf zu verzichten, zu-nächst einmal abgewartet werden. Das ist ein Grund,weshalb wir Ihren Antrag ablehnen.
Der zweite Grund ist, dass die von Ihnen gefordertenÄnderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes den bis-herigen bewussten und auch richtigen Festlegungen desDeutschen Bundestages überwiegend zuwiderlaufen.Beginnen wir mit Ihrer Forderung, auf die Teilnahmean Staatsbürgerschaftskursen als Einbürgerungsvoraus-setzung zu verzichten. Stattdessen sollen die Kurse frei-willig und kostenfrei sein. Ich persönlich betrachte es alsselbstverständlich und eine absolut unabdingbare Vo-raussetzung, dass sich ein Mensch, der beabsichtigt, dau-erhaft in einem Land zu leben, Kenntnisse über diesesLand, seine politischen und gesellschaftlichen Struktu-ren sowie seine Geschichte und seine Werte verschafft.Dies ist in meinen Augen ein unverzichtbarer Teil einesnotwendigen Integrationsprozesses, ohne den Integra-tion gar nicht möglich ist.Wir reden hier doch von Menschen, die aus völlig an-deren Kulturkreisen stammen. Wir alle haben in der Ver-gangenheit die Erfahrung gemacht, dass sich viele derMigrantinnen und Migranten diese Kenntnisse ebennicht freiwillig aneignen. Ich finde Ihre Forderung des-halb wirklich absurd. Sie haben eben auch von den Ein-bürgerungstests gesprochen. Diese wirken Ihrer Auffas-sung nach abschreckend. Das kann von der Sache hernicht stimmen. 98,5 Prozent der Einbürgerungstests wer-den bestanden, und zwar in allen Bundesländern. Wiesoll ein solcher Test dann abschreckend wirken? Ichkann auch Ihre Forderung nicht nachvollziehen, dassEu–GeSwhuluuzhErwdiwdmldZsKusribgdehsDvGr
Weil sich nicht alle dem Test unterziehen, die dieseesinnung vielleicht nicht haben. In diesem Fall machts Sinn; denn nicht jeder, der hier lebt, will die deutschetaatsbürgerschaft haben oder sich dieser Frage unter-erfen.
Integration kann nur gelingen, wenn Ausländer, dieier leben möchten, bereit sind, unsere Verfassung undnsere Grundwerte zu akzeptieren. Wer in Deutschlandebt, muss diese zentralen Werte und Normen kennennd sie akzeptieren und annehmen. Das ist für mich einenabdingbare Voraussetzung, um die Staatsbürgerschaftu erlangen. Nur so macht das auch Sinn.Schließlich muss ich Ihnen noch eines sagen: Die bis-er vorliegenden Erkenntnisse darüber, warum viele dieinbürgerung nicht für sich beantragt haben, fußen da-auf, dass sie es nicht als notwendig empfinden. Bringenir es doch einmal auf den Punkt: Abgesehen von allen Rechten, die ihnen das Ausländerrecht sowieso gibt,st das Recht zur Beteiligung an der Wahl das Einzige,as die Einbürgerung hier langfristig lebenden Auslän-ern zusätzlich bringt. Auf der anderen Seite steht dieit einer Einbürgerung verbundene Pflicht, die sie mög-icherweise scheuen. Ich bin deshalb gar nicht sicher, obie Zahl derer, die die Einbürgerung beantragen, dieahl jener, die eingebürgert werden, tatsächlich über-teigt.
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Daniela
olbe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren auf den Tribünen, Sie haben sich heute einepannende Debatte zum Thema Staatsangehörigkeits-echt ausgesucht. Die Linke bemerkt zu Recht, dass wirn den letzten Jahren sinkende Einbürgerungszahlen zueobachten haben. Ich persönlich finde das beunruhi-end. Erhielten auf dem Allzeithoch im Jahre 2000 nacher rot-grünen Reform der Staatsangehörigkeit nochtwa 190 000 Menschen einen deutschen Pass, so sind eseute, zehn Jahre später, nur noch etwa 90 000 Men-chen.amit liegen wir leider wieder fast auf dem Niveau vonor der Reform. Dabei war es doch das Ziel von Rot-rün, dass mehr Menschen die deutsche Staatsangehö-igkeit anstreben und auch erhalten.
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5734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Daniela Kolbe
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– Ich denke darüber nach. Die SPD-Fraktion hat einenentsprechenden Antrag vorgelegt.Die SPD hält an ihrem Ziel fest: Wir wollen, dassmöglichst viele zugewanderte Menschen, die langfristigin unserem Land leben, die deutsche Staatsbürgerschaftanstreben, sie bekommen und damit alle Rechte undPflichten als Bürger dieses Landes erhalten.
Wenn es stimmt, was der gestern vorgelegte Integra-tionsbericht besagt – das bestätigt eigentlich auch der ge-sunde Menschenverstand –, dass Integration besondersdann gelingt, wenn Menschen eine Zukunftsperspektiveund einen sicheren Aufenthalt haben, wenn sie sich zuHause fühlen, dann ist es doch geradezu plausibel, dasswir als Politikerinnen und Politiker eine Kultur anstre-ben sollten, die Menschen ermuntert, die deutscheStaatsbürgerschaft anzunehmen.Wir brauchen in Deutschland eine echte Willkom-menskultur, die Menschen, die hier schon sehr lange le-ben, dazu einlädt, wirklich alle Rechte und Pflichten an-zunehmen. Außerdem benötigen wir die rechtlichenRahmenbedingungen, dass sie das auch tun können. Lei-der ist von einer solchen Willkommenskultur zu wenigzu spüren. Wir konfrontieren hier geborene junge Men-schen, die mit der Geburt eine doppelte Staatsbürger-schaft erhalten, in der Phase des Erwachsenwerdens, inder sie mitunter auch andere Dinge zu tun haben, damit,dass sie sich für eine Staatsangehörigkeit bzw. gegen ei-nen Teil ihrer Identität entscheiden müssen. Wir bauenmit unserem Staatsangehörigkeitsrecht Hürden auf, diefür viele Menschen unüberwindbar erscheinen oder un-überwindbar sind.Auf der anderen Seite blitzt diese Willkommenskul-tur, die ich mir so sehr wünsche, aber auch auf, sei es inunserer wirklich toll spielenden Fußballnationalmann-schaft
– ja! – oder sei es in der Niedersächsischen Staatskanz-lei.
– Sie haben recht. Sie dürfen sich darüber freuen. – Dasitzt mit David McAllister von der CDU ganz selbstver-ständlich der erste Ministerpräsident mit Migrationshin-tergrund in diesem Land. Ganz nebenbei hat er auchnoch eine doppelte Staatsbürgerschaft: die deutsche unddie britische. Die Welt dreht sich weiter; sie ist nicht un-tergegangen.
Mit dieser Situation können wir alle ganz locker undleicht umgehen; wir können uns darüber freuen. DieseLshOmdmmesohEE5DzluHwdinSsdSNWidSdtsggbeshPcA
Wenn wir über Willkommenskultur reden, dann gehts um viel und um viele: Es geht um 5 Millionen Men-chen, die länger als acht Jahre in Deutschland leben,hne die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen zuaben.
in kleines Rechenbeispiel: Wenn wir bei den jetzigeninbürgerungszahlen blieben, dann bräuchten wir0 Jahre und mehr, um diese Menschen einzubürgern.as sind Zahlen, mit denen wir uns als SPD keineswegsufriedengeben; denn wir wollen, dass Menschen, dieange hier leben, sich wirklich zu diesem Land bekennennd deutsche Staatsbürger werden.
Ganz offensichtlich bestehen aber weiterhin großeemmnisse, die die Menschen davon abhalten; darüberurde schon gemutmaßt. Es braucht aus meiner Sichteshalb zweierlei:Erstens. Es braucht die Debatte. Schon deshalb findech es gut, dass wir heute – wenn auch relativ spät – er-eut über dieses Thema hier im Plenum diskutieren.chon die Debatte hilft, Signale in die Bevölkerung zuenden, dass hier im Hohen Haus der Wunsch besteht,ass sich mehr Menschen zur Annahme der deutschentaatsbürgerschaft entschließen. Das Signal muss lauten:icht nur da, wo es um Prestige geht, gibt es eine solcheillkommenskultur, nicht nur auf dem Fußballfeld undn der Niedersächsischen Staatskanzlei existiert sie, son-ern sie muss überall in der Gesellschaft existieren.piegel Online hat dazu gestern im Zusammenhang miter Fußballnationalmannschaft und der Integration geti-elt: „Aus dem Traum muss Alltag werden“. Das ist dochehr treffend.
Zweitens. Wir brauchen konkrete Gesetzesänderun-en, die es mehr Menschen ermöglichen, vom Staatsan-ehörigkeitsrecht zu profitieren. Aus diesem Grunde ha-en wir als SPD-Fraktion bereits Anfang des Jahresinen wirklich sehr guten, sehr konkreten und angemes-enen Gesetzentwurf vorgelegt. In manchen Punkten ge-en wir mit dem Antrag der Linken konform, in anderenunkten halten wir den Antrag der Linken für zu weitrei-hend bzw. meinen wir, dass er aus der Systematik desufenthaltsrechts herausfällt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5735
Daniela Kolbe
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Ein Beispiel dafür, wo wir übereinstimmen: In derFrage der Optionsregelung stimmen wir überein. Dop-pelte Staatsbürgerschaften sind auch ohne Optionsmo-dell außerhalb der Niedersächsischen Staatskanzleischon längst geübte Praxis. In Deutschland wird im Mo-ment bei circa 53 Prozent der Einbürgerungen eine dop-pelte Staatsbürgerschaft akzeptiert. Es gibt deshalb ausmeiner Sicht keinen Grund, da einen Unterschied zu ma-chen. Das Optionsmodell für hier geborene Menschensollte abgeschafft werden.
An anderen Stellen widersprechen wir dem Antragder Linken. Ich freue mich schon auf eine spannendeDebatte im Ausschuss dazu. Aus unserer Sicht macht esüberhaupt keinen Sinn, bei den Voraussetzungen für dieBeantragung einer Staatsangehörigkeit noch unter denenfür eine Niederlassungserlaubnis zu bleiben. Das beziehtsich auf die Frage der Dauer des Voraufenthalts und aufdie Frage der Erwerbstätigkeit. Wir schlagen zur Dauerdes Voraufenthalts eine Absenkung auf sieben Jahre vor,bei besonderen Integrationsleistungen auf sechs Jahre.Bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts schla-gen wir Ausnahmen für junge Erwachsene vor. Wir be-rücksichtigen damit, dass sie sich noch in der Ausbil-dung befinden. Junge Leute sollen ja auch eineAusbildung absolvieren.Ein Punkt in Ihrem Antrag hat mich persönlich irri-tiert. Es geht um Ihre Ansicht, dass es für den Erwerbder Staatsangehörigkeit ausreichen soll, sich einfachmündlich verständigen zu können. Das sehen wir anders.Wir möchten gern bei dem geforderten höheren Sprach-niveau bleiben. Gleichwohl setzen wir uns für Ausnah-men ein, etwa für Analphabeten und ältere Menschen.Bei diesen halten wir das für angemessen.Zum Thema Spracherwerb noch eines. Wenn wirSprachkenntnisse voraussetzen, dann muss es natürlichauch die Möglichkeit geben, Sprachkenntnisse zu erwer-ben. Das Mittel der Wahl – darüber sind wir uns mittler-weile einig – sind die Integrationskurse. Lassen Sie michan dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es beunruhigt michschon, dass es die Bundesregierung bisher noch nicht inAngriff genommen hat, die sich in diesem Jahr auftu-ende Lücke von 30 Millionen Euro bei den Integrations-kursen zu schließen.
Frau Böhmer hat gestern 15 Millionen Euro angekün-digt. Das ist ein erster Schritt, ein erster Schritt von zweigleich großen Schritten. 30 minus 15 sind 15. Es fehlenalso noch 15 Millionen Euro.
Frau Kollegin, ich muss Sie auf das Ende der Rede-
zeit aufmerksam machen.
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Nächster Redner ist der Kollege Hartfrid Wolff für dieDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Dis-ussion über die aktuellen Einbürgerungszahlen und dieonsequenzen daraus ist wichtig, aber dieser Antrag derinken ist keine ernsthafte Diskussionsgrundlage.
as Sie diesem Hohen Hause hiermit schon wieder vor-egen, ist nichts anderes als ideologischer Ballast. Aufer Basis Ihres Antrags kann nicht ernsthaft eine ver-ünftige Diskussion geführt werden.
Die Linken fordern eine Einbürgerung unabhängigom Aufenthaltstitel. Das heißt im Klartext: Einbürge-ung auch für Illegale.
as ist denn das für eine neue Gemeinschaft von Deut-chen, die wir hier kreieren sollen? Was ist denn das fürine Wertegemeinschaft?Die Linken fordern eine Abschaffung des Optionsmo-ells. Dieses Optionsmodell war ein wichtiger Einstiegn eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts hin zuinem Jus Soli.
ber es gibt noch keine weiteren Erkenntnisse über dieirkungen dieses Optionsmodells, lieber Kollege. Auseiner Sicht gilt es, erst die Wirkungen eines Rechts zuvaluieren, bevor man an diesem Recht schon wieder he-umschraubt.
enau diese Evaluierung hat die Koalition vor. Dies isto vereinbart. Dies werden wir auch so durchführen.ber es geht noch weiter, liebe Kolleginnen und Kolle-en. Die Linken fordern, die Mehrstaatigkeit generell zukzeptieren.
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5736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Hartfrid Wolff
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– Richtig, es sind nur zwei Linke. – Wie wäre es denn damit einer vierten, fünften oder sechsten Staatsangehörig-keit? Es gibt dagegen nicht nur juristische Bedenken.Was die Linken hier vorhaben, ist das Verramschen derdeutschen Staatsangehörigkeit. Das können wir nichtmitmachen.
Richtig entlarvend in dem Antrag ist Folgendes: Dergenerelle Einbürgerungsanspruch soll unabhängig vomEinkommen und unabhängig von der Frage nach demSozialleistungsbezug bestehen.
Das heißt im Klartext: Es soll nach dem Willen der Lin-ken eine Zuwanderung in die deutschen Sozialversiche-rungssysteme geben.
Das heißt auch, liebe Kolleginnen von den Linken, weni-ger Geld für die, die in Deutschland schon Sozialleistun-gen bekommen und darauf angewiesen sind. Es wäre an-ständig, wenn Sie dazusagen würden, wem Sie diesesGeld, das Sie anderweitig zur Verfügung stellen wollen,wegnehmen wollen – offensichtlich den Sozialhilfeemp-fängern.
Interessant ist – der Kollege Brandt sagte schon ei-nige richtige Worte dazu –
– viele richtige Worte, Herr Hofmann –, dass die Linkenauf die Forderung nach ausreichenden Deutschkenntnis-sen verzichten wollen.
Dabei weiß jeder, der Integrationspolitik betreibt, dassdas Beherrschen der deutschen Sprache für das gegen-seitige Verstehen, für die gegenseitige Akzeptanz undauch für die Wertevermittlung wichtig ist. Natürlichsieht es den Linken ähnlich, dass sie kein Interesse mehran den Staatsbürgerkursen haben.Linke sind in der Integrationsdebatte nicht ernst zunehmen. Sie fangen nicht einmal bei null an; sie liegenbei unter null. Fortschritt heißt Gleichberechtigung, freieKommunikation und Wertevermittlung sowie Religions-freiheit – wir haben heute eine sehr gute Debatte darübergehabt –, Demokratie und Meinungsfreiheit. Was dieLinken hier präsentieren, ist Vorbeirutschen an der Auf-kdklDsnjmaEBvtksttfetufthLtKmwitsr
Viele Menschen haben die Einbürgerung in Deutsch-and geschafft. Es sollen mehr die Einbürgerung ineutschland schaffen. Wir sind stolz auf diejenigen, dieich in Deutschland haben einbürgern lassen. Aus mei-er Sicht müssen wir verhindern, dass die Leistung der-enigen, die die Einbürgerungsprozedur auf sich genom-en haben und die gerne Deutsche werden wollten,ufgrund der Forderungen der Linken entwertet wird.inbürgerungsregeln, die nicht von weiten Teilen derevölkerung akzeptiert werden, schaden der Akzeptanzon Migranten. Die Forderungen der Linken sind kon-raproduktiv für den Erfolg der Integration und auchontraproduktiv für eine möglicherweise spätere Anpas-ung des Staatsangehörigkeitsrechts.
Die Einbürgerungspolitik der Linken ist skurril, nega-iv konsequent und keiner intakten Gesellschaft zuzumu-en. Es geht darum, eine Willkommenskultur zu schaf-en;
s geht darum, Offenheit zu schaffen und für die Akzep-anz von Kriterien zu sorgen. Integration heißt fördernnd fordern. Integration heißt Klarheit über die Kriterienür die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit. In-egration heißt auch, für Werte zu werben. Integrationeißt, die Zukunft zu gestalten, und nicht ideologischesaufenlassen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Memet Kilic für die Frak-
ion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich kann mit dem südländischen Tempera-ent von Herrn Wolff nicht Schritt halten; aber icherde mein Bestes geben.
Die demokratische Gesellschaft ist eine Gemeinschaftn Vielfalt; das hat uns der Bundespräsident in seiner An-rittsrede vor Augen geführt. Dass wir eine Gemein-chaft in Vielfalt geworden sind, hat auch zu Verände-ungen des Einbürgerungsrechts geführt. Eingewanderte
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5737
Memet Kilic
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sollen leichter die deutsche Staatsangehörigkeit erlangenkönnen. Menschen, die auf Dauer in Deutschland leben,sollen der Staatsgewalt nicht nur unterworfen sein, son-dern auch daran teilhaben können.
Diesem Interesse wird unser derzeit geltendes Staats-angehörigkeitsrecht aber kaum gerecht. Von den bundes-weit etwa 6,7 Millionen Menschen mit ausländischerStaatsangehörigkeit leben fast 5 Millionen seit mehr alsacht Jahren in Deutschland und erfüllen somit eine derwesentlichen Einbürgerungsvoraussetzungen.
Dennoch erlangen pro Jahr nur rund 90 000 die deutscheStaatsangehörigkeit. Seit 2004 sind die Einbürgerungs-zahlen sogar um rund ein Fünftel zurückgegangen. Sokommt es, dass Deutschland im europäischen Vergleicheine der schlechtesten Einbürgerungsquoten hat. Prozen-tual ist die Einbürgerungsrate in Schweden fast dreimalhöher als in Deutschland. Wir Grüne wollen daher dieEinbürgerungsvoraussetzungen erleichtern. Wir möch-ten Hindernisse abbauen, die die hier lebenden Einwan-derer davon abhalten, die deutsche Staatsangehörigkeitanzunehmen. An dieser Stelle möchte ich nur einige For-derungen nennen, die wir noch in einem eigenen Antragin den Bundestag einbringen werden.Die Fristen für eine Einbürgerung sollen verkürztwerden. Hierfür sehe ich eine reelle Möglichkeit. Nichtnur die SPD und die Linke befürworten eine Verkürzungder erforderlichen Aufenthaltsdauer auf sechs bzw. fünfJahre, sondern auch die FDP ist für eine Einbürgerungnach fünf Jahren. Das finde ich richtig. Ich gratuliere derFDP zu dieser Forderung. Turboeinbürgerung nennt mandas; das finde ich gut.
Wir sind dafür, den Grundsatz der Vermeidung vonMehrstaatigkeit aufzugeben. Auch hierin stimmen wirmit der SPD, der Linken und der FDP überein. Zahlrei-che Untersuchungen haben bestätigt, dass, wenn auslän-dische Staatsangehörige ihre bisherige Staatsangehörig-keit behalten dürfen, die Bereitschaft zur Einbürgerungum ein Vielfaches steigt. Eine nachvollziehbare Begrün-dung, an dem Verbot der Mehrstaatigkeit festzuhalten,gibt es nicht.
Wie meine Kollegin von der SPD bereits gesagt hat, hatauch der Ministerpräsident von Niedersachsen nebender deutschen eine ausländische Staatsangehörigkeit.Keiner sieht deswegen unsere freiheitlich-demokrati-sche Grundordnung in Gefahr.kpgggobSggtegSgGnlnrsDuaSAgätLmtNsrf
chließlich wollen wir die Einbürgerung von jungen Mi-rantinnen und Migranten vereinfachen und die Einbür-erungsgebühren senken.Einbürgerung ist weder Beginn noch Krönung der In-egration, sondern ein wesentlicher Schritt dorthin undin wunderbares Mittel, um den Eingewanderten ein Zu-ehörigkeitsgefühl zu geben.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
tephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-innen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst möchte ich dieelegenheit nutzen – ich glaube, heute darf man dasoch –, Ihnen, sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr herz-ich zu Ihrem gestrigen Geburtstag zu gratulieren und Ih-en für die Zukunft alles Gute zu wünschen.
Der Antrag der Linkspartei, den wir heute debattie-en, ist sowohl integrationspolitisches als auch gesell-chaftspolitisches Harakiri.
ie Forderungen, die Sie stellen, sind völlig realitätsfernnd weltfremd. Zu Ihrem Antrag fällt mir nur eines ein:lter Wein in neuen Schläuchen. Vor vier Jahren habenie exakt die gleichen Forderungen in einem ähnlichenntrag gestellt; Sie haben lediglich die Begründung aus-ewechselt. Am Forderungskatalog haben Sie nichts ge-ndert. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir kommt der An-rag der Fraktion Die Linke vor wie das Ungeheuer vonoch Ness – in unregelmäßigen Abständen taucht er im-er wieder auf. Aber ich bin zuversichtlich, dass Ihr An-rag das gleiche Schicksal wie das Ungeheuer von Lochess erfahren wird: Es ist nie Realität geworden.Weil Sie immer behaupten, die Einbürgerungszahleneien im Vergleich zu den 90er-Jahren dramatisch zu-ückgegangen, muss ich sagen: Sie verwechseln hier Äp-el mit Birnen. In den 90er-Jahren hat das Statistische
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5738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Stephan Mayer
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Bundesamt sämtliche Spätaussiedler, die aus Kasachstanoder Russland zu uns gekommen sind, hinzugezählt.Deswegen kann man die Einbürgerungszahlen der 90er-Jahre nicht mit den Einbürgerungszahlen dieses Jahr-zehnts vergleichen. Da besteht ein diametraler Unter-schied.Die Zahl der Einbürgerungen ist zurückgegangen; dasist ein Faktum.
Man kann sich natürlich darüber Gedanken machen, wo-rauf dies zurückzuführen ist. Das mag vielleicht ganzprofan daran liegen, dass viele derjenigen, die Anspruchauf eine Einbürgerung haben, schon längst eingebürgertsind. Es kann auch daran liegen – auch das gilt es zu be-denken –, dass viele derjenigen, die an sich anspruchsbe-rechtigt sind, überhaupt kein Interesse daran haben, diedeutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.
– Sehr verehrte Frau Kollegin Kolbe, Sie haben erwähnt,dass über 5 Millionen Ausländer seit mehr als acht Jah-ren in Deutschland leben. Schon nach dem heute gelten-den Staatsangehörigkeitsrecht könnten diese sofort einenAntrag auf Einbürgerung stellen.
Ich denke, man sollte sich eher die Frage stellen, wes-halb diese über 5 Millionen Ausländerinnen und Auslän-der kein Interesse daran haben, die deutsche Staatsbür-gerschaft zu erlangen.
Dem Antrag der Linksfraktion wohnt aus meinerSicht – das ist ganz deutlich – der folgende Grundge-danke inne: Deutsche Staatsbürgerschaft! Wer hat nochnicht? Wer will noch mal? – Sie wollen die deutscheStaatsbürgerschaft auf dem Jahrmarkt feilbieten. Dieswird in keiner Weise dem Wert der deutschen Staatsan-gehörigkeit gerecht; denn sie ist ein hohes Gut.
Ich bin sehr froh, dass wir es in der Großen Koalition ge-schafft haben, den Akt der Ausreichung der deutschenStaatsbürgerschaft zu heben. Viele Landratsämter undviele kreisfreie Städte veranstalten wunderschöne, sehrangemessene und sehr würdige Feierlichkeiten, in derenRahmen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben wird.
Ich glaube, das ist ein schönes Zeichen, ein schönesSymbol für gelungene Integration.KSsGDSIDusgfnDtaaDIzfSSmZfdskI5rnl
Eine weitere Fehlauffassung von Ihnen, meine liebenolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke:ie sind der Auffassung, dass das Ausreichen der deut-chen Staatsbürgerschaft die Integration in die deutscheesellschaft erleichtert.
as Gegenteil ist der Fall: Das Ausreichen der deutschentaatsbürgerschaft kann nur am Ende eines erfolgreichenntegrationsprozesses stehen.
as ist der grundlegende Fehler, den Sie machen.Die deutsche Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut,nd es gilt, dies immer wieder klarzumachen. Die deut-che Staatsbürgerschaft ist mit Rechten verbunden, aberenauso auch mit Pflichten. Deswegen halten wir es füratal, dass Sie den diametralen Wechsel vom Jus Sangui-is zum Jus Soli fordern. Sie fordern, dass jeder, der ineutschland geboren wird und von dem nur ein Eltern-eil ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland hat,utomatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhält, un-bhängig davon, wie gut und erfolgreich die Eltern ineutschland integriert sind. Das ist ein großer Fehler.
ch kann daraus nur den Schluss ziehen, dass es Ihr ein-iges Bestreben ist, sich ein anderes Staatsvolk zu schaf-en.
ie wollen sich ganz bewusst ein neues, ein anderestaatsvolk schaffen. Dazu sage ich ganz deutlich: Daachen wir nicht mit.Die Sprach- und Orientierungskurse, die wir in dereit der Großen Koalition geschaffen haben, sind ein Er-olg. Insgesamt stehen in diesem Jahr 233 Millionen Euroafür zur Verfügung. Fast eine viertel Milliarde Euroteht in diesem Jahr für Sprachkurse und Integrations-urse zur Verfügung.
n den letzten fünf Jahren haben insgesamt ungefähr00 000 Menschen mit Migrationshintergrund erfolg-eich an diesen Sprach- und Orientierungskursen teilge-ommen. Ich glaube, darauf können wir alle in Deutsch-and stolz sein. Das ist ein schönes Zeichen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5739
Stephan Mayer
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Ich sage auch ganz offen: Trotz aller Konsolidie-rungsbestrebungen und Sparnotwendigkeiten macht diechristlich-liberale Koalition vollkommen klar, dass andiesem Punkt nicht gespart wird.
Wenn Sie in den Entwurf des Haushaltes für dasJahr 2011 blicken, der gestern vom Kabinett verabschie-det wurde, sehen Sie, dass dort wiederum 233 MillionenEuro für Sprach- und Orientierungskurse eingestelltsind.
Das ist ein sehr ehrgeiziges und sehr mutiges Zeichen.Es wird an vielen Stellen – teilweise sehr leidvoll undmit unbequemen Einschnitten – gespart. Aber bei die-sem wichtigen Punkt „Sprach- und Orientierungskurse“wird nicht gespart. Ich glaube, das ist ein schönes Zei-chen. Darauf kann die christlich-liberale Koalition stolzsein.
Ein weiterer Erfolgsschlager sind meines Erachtensdie Einbürgerungstests. Es ist schon erwähnt worden:Die Erfolgsquote liegt bei fast 99 Prozent. Ich halte esfür außerordentlich subtil, wenn jetzt behauptet wird:Wenn 99 Prozent den Einbürgerungstest bestehen, dannbrauchen wir ihn doch gar nicht. – Auch das ist eineFehlauffassung, sehr geehrter Herr Kollege Winkler;denn es ist doch schön, wenn sich alle bemühen, nichtnur entsprechend Deutsch zu lernen, sondern sich auchmit der deutschen Geschichte, der deutschen Soziallehreund dem deutschen Staatsaufbau auseinanderzusetzen,um den Einbürgerungstest erfolgreich abzuschließen.Dieser Einbürgerungstest schließt niemanden aus.Ganz im Gegenteil, er ist ein wichtiger Beitrag zur Inte-gration. Deswegen kann ich Ihnen, meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke,nur zurufen: Stampfen Sie endlich diese Forderungen,stampfen Sie endlich dieses Ungeheuer von Loch Nessein. Diese Forderungen umzusetzen, wäre schlecht fürDeutschland und die in Deutschland lebenden Auslände-rinnen und Ausländer und schlecht für einen erfolgrei-chen Integrationsprozess.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2351 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. – Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
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der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Joachim Günther , Dr. Lutz Knopek,
Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Europa in Bewegung – Mit Kompetenz und
Verantwortung für einen europäischen
Mehrwert im Sport
– zu dem Antrag der Abgeordneten Martin
Gerster, Sabine Bätzing, Gabriele Fograscher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Den Sport in Europa voranbringen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von
Cramon-Taubadel, Winfried Hermann, Volker
Beck , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sport in der Europäischen Union – Den Lis-
sabon-Vertrag mit Leben füllen
– Drucksachen 17/2129, 17/1406, 17/1420,
17/2468 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Martin Gerster
Joachim Günther
Katrin Kunert
Viola von Cramon-Taubadel
In der Tagesordnung wurde bereits ausgewiesen, dass
ie Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt
ich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
laus Riegert, Stephan Mayer , Martin
erster, Axel Schäfer , Joachim Günther
Plauen), Jens Petermann und Viola von Cramon-
aubadel.
Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am. Dezember 2009 und mit dem Art. 165 AEUV erhieltie Europäische Union eine ausdrückliche, unterstüt-ende Zuständigkeit und Kompetenz für den Bereichport. Der erwähnte neue Sportartikel bietet auf derrundlage des „EU-Weißbuchs Sport“ und des „Ak-ionsplans Pierre de Coubertin“ nachhaltige Chancenür den Sport in Europa. Eine ziel- und zweckgerichteteusgestaltung dieser neuen EU-Kompetenz findet in Ab-renzung zu nationalen Aktivitäten und Maßnahmen ei-en notwendig, begrenzenden Rahmen. Im Mittelpunktines gemeinsamen Interesses in diesem Bereich stehtemnach das Erzielen eines europäischen Mehrwertes.In Form von EU-Sportforen, bilateralen Treffen undines Konsultationsprozesses gilt es, fortführend für die
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EU-Kommission mit den 27 EU-Mitgliedstaaten und be-deutenden Sportorganisationen inhaltliche Vorschlägezur Ausgestaltung des neuen Sportartikels zu finden.Gleichwohl vielfältiger Aspekte weist die EU-Kommis-sion in ihrem Non-Paper auf eine Priorisierung der an-gestrebten Ziele nach Größe des Mehrwertes und Hand-lungsbedarfs hin. Zudem wird auf ihre lediglichunterstützende Kompetenz für eine Zusammenarbeit derMitgliedstaaten und auf die begrenzten finanziellen Mit-tel hingewiesen. Es soll nicht um die Auflistung einesmöglichst breiten Ziel- und Forderungskataloges gehen,sondern um den Fokus auf gut begründbare und gewich-tete Ziele mit einem Wertzuwachs auf europäischerEbene. Eine Missachtung dieses grundlegenden Hinwei-ses der EU-Kommission durch Aufführen von mehr als25 Punkten weckt Unverständnis – nicht nur im Blick aufdie zukünftige Konsensfindung und inhaltlichen Über-schneidungsbereiche der 27 EU-Mitgliedstaaten. Abergenau dies findet man in den Anträgen der FraktionBündnis 90/Die Grünen und der SPD-Fraktion, wobeidie Grünen geschickterweise ihre 25 Punkte in fünf Un-terpunkte gepackt haben. Das Initiativrecht für Maßnah-men im Sport verbleibt jedoch schließlich bei der Euro-päischen Kommission. Es genügt zusammenfassenddemnach nicht der undifferenzierte Wahlspruch „DenSport in Europa voranbringen“, sondern es bedarf derBeachtung der strukturellen, institutionellen und rechtli-chen Rahmenbedingungen sowie einer Abwägung dersportpolitischen Inhalte. Auch die wohl gemeinte Idee,„den Lissabon-Vertrag mit Leben zu füllen“, darf mit ei-nem breiten Forderungskatalog nicht einer inhaltlich,thematischen Zerstreuung oder Überforderung gleich-kommen. Eine nachhaltige EU-Sportagenda bedarfeines angemessenen Entwicklungsprozesses und nichteiner überstürzten Anhäufung oder vorschnellen Über-frachtung.Trotz diverser durchaus interessanter Vorschläge zurEU-Sportagenda können sportpolitische und vor allemEU-rechtliche Rahmenbedingungen nicht ignoriert wer-den. So kann von einer Harmonisierung der nationalenRechtsvorschriften in weiten Teilen nicht ausgegangenwerden. Weiterhin sollen die Chancen für den Sport undfür Europa in gemeinsamer Verantwortung wechselsei-tig genutzt werden, ohne dabei gleichzeitig einer büro-kratischen Überregulierung mit Überwachungs-, Prü-fungs- und Koordinationsmechanismen zur Umsetzungder EU-Leitlinien zu verfallen. Letztlich steht der Wert-zuwachs für den europäischen Sport mit dessen Agendaim Vordergrund und nicht unnötiges Behördenhandeln.Zu beachten ist ebenfalls, dass trotz des Lissabon-Ver-trages im Sport auf Europaebene auch zukünftig keineRechtsakte erlassen, sondern nur Empfehlungen ausge-sprochen und daraufhin finanzielle Zuwendungen ge-steuert werden. Legitimieren lassen sich diese Zuwen-dungen und Maßnahmen im Sport weiterhin nur durcheinen eindeutig transnationalen Bezug und Mehrwertauf EU-Ebene. Denn nur vor dem Verständnis einer re-flektierten und zielgerichteten Unterstützung durch dieEU kommt man einem aufgeklärten Verständnis desSports in Europa nach – jedoch nicht mit einer alleinwohlgemeinten Alimentation und letztlichen Bevormun-dung. Dieses Verständnis sollte jedoch nicht nur hin-saDBszmgkmsnsmdsz„EddtdwpfDDrtpPdSeeDwsädsesdPpgtFnzvsDZu Protokoll ge
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5740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Viertens. In Bezug auf die Förderung des bürger-schaftlichen Engagements ist es das Ziel, dies im unddurch den Sport zu fördern sowie die grenzüberschrei-tende Mobilität von Ehrenamtlichen in der EU zu er-leichtern. Hierbei sollen die Programme „Jugend inAktion“ sowie der Europäischen Freiwilligendiensteweitergeführt und die Ergebnisse der Studie zur Freiwil-ligenarbeit in der EU mit deren Maßnahmen zur Gewin-nung von Ehrenamtlichen im Sport umgesetzt werden.Zusammenfassend und umrahmend ist bei den ge-nannten Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass zur Er-zielung eines europäischen Mehrwertes im Sport die ge-nannten Leitlinien und grundlegenden Prinzipiengewahrt werden, sodass Sport in Europa letztlich das istund zukünftig wird, was in Vielfalt die sporttreibendenund sportbegeisterten EU-Bürger bewegt und vereint.Europa befindet sich in Bewegung – Sport in Europa be-wegt! Mit Kompetenz und Verantwortung für einen euro-päischen Mehrwert im Sport wird man diesem Verständ-nis gerecht.In diesem Sinne fordere ich Sie auf, unserem Antragzuzustimmen.
Fairness, Achtung und Respekt – das sind Tugenden,
die weltweit Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene
im Sport mit am besten verinnerlichen können. Deshalb
begrüße ich es einerseits, dass die Europäische Union
mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und mit
Art. 165 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi-
schen Union den Sport unterstützen will. Andererseits
möchte ich ausdrücklich bedenken: Ich sehe durchaus die
Gefahr, dass Sportler und Beschäftigte im Sport plötz-
lich unnütz hohe bürokratische Hürden auf EU-Ebene
mit komplizierten Überwachungs-, Prüfungs- und Koor-
dinationsmechanismen erklimmen müssen.
Das Prinzip der Subsidiarität muss deshalb unbe-
dingt gewahrt bleiben. Es muss Aufgabe der Bundesre-
gierung sein, die Autonomie des Sport, die grundlegend
für ein Engagement der Bürger ist, zu wahren. Nur wenn
wir das schaffen, fördern wir das sportliche Engagement
der Bürger weiterhin effektiv und nachhaltig. Deshalb
fordern die CDU/CSU und die FDP eine klare, ver-
ständliche und zielgerichtete Regelung.
Darum kann ich es auch nicht verstehen, dass die
Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom Bünd-
nis 90/Die Grünen schwammig formulierte Anträge stel-
len. Damit leisten Sie einem undurchsichtigen Regel-
werk doch geradezu Vorschub.
Die EU-Kommission forderte mit ihrem Non-Paper
auf, zu priorisieren und zu konzentrieren. Mit ihrem An-
trag erfüllt die SPD-Fraktion diese Aufgabe nur be-
dingt. Sie listen zwar 19 Aspekte auf, setzen aber keine
Schwerpunkte. Die verehrten Kolleginnen und Kollegen
vom Bündnis 90/Die Grünen setzen ebenfalls keine Prio-
ritäten.
Hinzu kommt, dass beide Parteien die Autonomie des
Sports, die im Spannungsfeld zum EU-Recht steht, nur
unzureichend schützen. Die SPD fordert eine stärkere
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wichtiger Bereich der Gemeinschaftspolitik sein, den dieKoalition, wie allerdings so viele andere Dinge auch,beinahe verschlafen hätte. Erst unser Antrag, den wir imVorfeld des ersten formellen Sportministertreffens am10. Mai 2010 eingebracht haben, um unsere Vorstellungvon Schwerpunkten europäischer Sportpolitik deutlichzu machen, war für die Koalition der Weckruf. Aller-dings hat es bis zum 16. Juni 2010 gedauert, bis die Ko-alition ihren – aus unserer Sicht inhaltlich dürftig gehal-tenen – Antrag formuliert hatte. Ich will der Koalitionkeine Unlust unterstellen. Wahrscheinlich lag es viel-mehr daran, dass für die Koalition nach den Vorschlä-gen aus unserem fast zwei Monate vorher eingebrachtenAntrag keine weiteren guten Ideen mehr übrig waren.Diese Annahme wird noch deutlicher, wenn man den In-halt des Koalitionsantrages „Europa in Bewegung – MitKompetenz und Verantwortung für einen europäischenMehrwert im Sport“ genauer betrachtet. Dieser enthältnur wenig konkrete Vorstellungen für eine moderne eu-ropäische Sportpolitik. Statt Chancen und Herausforde-rungen zu suchen, bremst sich die Koalition im Antrags-text selbst aus: Was bitte verstehen Sie, liebeKolleginnen und Kollegen von Union und FDP, denn un-ter einer nicht wünschenswerten „wohlgemeinten Ali-mentation“ bei gleichzeitig „hoch zu achtender Autono-mie des Sports“, der „der Politik selbstverständlich wiebisher einen begrenzenden Rahmen vorgeben“ wird?Der Bund ist der wichtigste Förderer des Spitzen-sportes, und er alimentiert nur dann nicht, wenn er auchzukünftig willens und ermächtigt ist, gewisse Entschei-dungen des autonomen Sports zu hinterfragen oder imbegründeten Einzelfall auch kritisch zu widersprechen.Ansonsten gölte das Prinzip: „zahlen und schweigen“.Das mag der fromme Wunsch des Gesundheitsministersan die Bürgerinnen und Bürger sein – nicht nur in derSportpolitik sieht meine Fraktion dies jedoch ein weniganders.Die Koalition lehnt unseren Antrag ab, da er Priori-sierung und Konzentration vermissen lasse – eine we-nig überzeugende Begründung! Wir haben in unseremAntrag sehr deutlich gemacht, dass sportpolitischeKonsequenzen aus dem Lissabon-Vertrag breit und viel-schichtig sein müssen. Die Bekämpfung von Doping,Manipulation und Rassismus im Sport muss auch auf eu-ropäischer Ebene Thema sein. Die Relevanz des Sportsals Instrument der Begegnung und damit europäischerIntegration und die Wichtigkeit von Ehrenamt im und fürden Sport und der Wunsch nach Förderung des bürger-schaftlichen Engagements in Europa sollten unstrittigsein. Die europäische Dimension des Sports geht aberdarüber hinaus, es gibt wichtige Überschneidungenauch in andere Politikfelder. Darum finden Sie in unse-rem Antrag auch Forderungen in Richtung Entwick-lungs-, Medien-, Gesundheits- und Bildungspolitik.Dazu müssen Finanzmittel zur Verfügung stehen – daherunsere Forderung nach einer sinnvollen und ausreichen-den Ausgestaltung des geplanten EU-Sportförderpro-gramms.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, auchwenn Sie es bestreiten, unser Antrag hat sehr wohl eineklare Ausrichtung – daher hätte er Ihre Zustimmung ver-dvhakddoBieItnrgetpdsiDsgBskzMkSgfDgzbbuzGRdwesvMPdTIkulmZu Protokoll ge
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5742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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wenn die deutschen Regierungsvertreterinnen und -ver-treter diese Ideen mit in die nächsten Gesprächsrundenauf europäischer Ebene einfließen lassen.Wir leiten aus der neu geschaffenen Kompetenz desArt. 165 des Lissabon-Vertrages Verantwortung ab. Wirwollen neben der nationalen Sportpolitik europäischeSportpolitik gestalten. Dazu haben wir 19 Vorschlägegemacht. Sie fordern eine „Begrenzung auf inhaltlichrealistische Vorschläge“. Nach erneuter Prüfung unse-res Antrages kann ich Ihnen sagen, dass wir Ihre Forde-rung – salopp gesagt – oppositionsuntypisch erfüllen –alle 19 Vorschläge sind sehr realistisch. Sie sind klarund zielgerichtet formuliert. Aus unserem Antrag wirddeutlich, wie die Ausgestaltung eines EU-Sportförder-programmes aussehen könnte, wie europäische Doping-bekämpfung funktionieren kann, welchen Wert Sport alsInstrument in der Bildungs-, Integrations- und Gesund-heitspolitik hat und welchen Gefahren im Sport, zumBeispiel Rassismus, Manipulation und Gewalt, gemein-sam begegnet werden muss. Wir sehen die Mitgliedstaa-ten als die zentralen Akteure in der Sportpolitik. Aus Ih-rem Antrag schimmert einmal mehr die Dominanz derAutonomie des Sports hervor. Glauben Sie uns und unse-rem Antrag: Man kann Sportpolitik sehr wohl gestalten,ohne die Selbstverwaltung des Sports und seiner Orga-nisationen zu umgehen oder auszuhebeln.Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/DieGrünen haben das in ihrem Antrag ebenfalls deutlichgemacht. In vielen Ideen und Herausforderungen stim-men unsere Vorstellungen überein. Daher werden wir zudiesem Antrag, der den Lissabon-Vertrag mit Leben er-füllen will, ebenfalls Ja sagen.Zum Antrag der Koalition sagen wir Nein. Zu ober-flächlich sind die Gestaltungsideen, zu konzeptionslosausgewählt die Maßnahmen. Ich hoffe aber, dass Unionund FDP erst am Beginn einer positiven Entwicklungstehen. Das ist auch in der gemeinsam zu tragendenSportpolitik und den EU-Kompetenzen so.
Die FDP sieht es grundsätzlich als positiv an, dass
mit dem Vertrag von Lissabon in Art. 165 eine unterstüt-
zende Kompetenz auf europäischer Ebene für den Sport
geschaffen wurde. Mit der Verankerung im Primärrecht
fällt der Sport auch erstmalig mit in den Zuständigkeits-
bereich der Europäischen Union, ohne dass die natio-
nale Verantwortung aufgegeben wird.
Der Sport hat jetzt neben leistungssportlichen, wirt-
schaftlichen und rechtlichen Merkmalen vor allem auch
einen sozialen Aspekt für die Bürger von Europa! Be-
griffe wie „Integration“, „Toleranz“ und „Zusammen-
halt“ gibt es in der Welt von sportlich Aktiven nicht nur
theoretisch, dort werden sie gelebt! So ist der Sport auch
Sinnbild für ein gedeihliches Miteinander. Dieser Tatsa-
che wird mit dieser neuen Kompetenz auch Rechnung
getragen.
Dies bietet eine Reihe von Chancen für den Sport,
wenn man die Kompetenz im Hinblick auf einen Mehr-
wert für den Sport sinnvoll, aber maßvoll einsetzt.
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Europa hinter dieses eine Team gestellt hätte – wie ganzAfrika hinter Ghana stand.Sport ist identitätsstiftend, und unsere europäischeIdentität steckt noch in den Kinderschuhen – nicht nurim Sport, aber hier ganz besonders.Was ist dann also europäischer Sport, wie lassen sichhier Gemeinsamkeiten herausbilden – ohne dass sieeinfach von oben zu solchen erklärt werden? In den An-trägen aller Fraktionen werden verschiedene Problem-stellungen durchaus treffend aufgezeigt. Aber die Weg-beschreibungen zu möglichen Lösungen fehlen. Und dieallzu kurze „Debatte“ im Sportausschuss hat gezeigt,dass es dazu aus der Regierung auch wenig Ideen gibt.Die Linke hat dazu Ideen, die sich vor allem auf denBreitensport konzentrieren. Wir haben es auch bereitsmehrfach gesagt: Um Schul-, Freizeit- und Vereinssportsinnvoll zu fördern, brauchen wir ein Sportfördergesetzdes Bundes. Was bringt es, wenn die Länder und Kom-munen alleine vor sich hin fördern, die Maßnahmenaber nicht sinnvoll miteinander verzahnt werden?An einem Beispiel lässt sich die Notwendigkeit, dieverschiedenen Ebenen der Sportförderung zu verbinden,gut darstellen: Am Sportgymnasium in Oberhof – in mei-nem Thüringer Wahlkreis – gibt es ein Nachwuchspro-blem bei den Rodeltrainern: Zum einen sind da dieAnforderungen einer pädagogischen Ausbildung undder leistungssportlichen Erfahrung. Das allein ist schonsehr anspruchsvoll. Auf der anderen Seite gibt es die Ar-beitsverträge für Lehrer, die stets für ein Jahr auf ge-ringstmöglichem Tarifniveau befristet sind. Sowohlsportlich als auch persönlich ist auf dieser Basis einewenigstens mittelfristige Planung unmöglich. Irgendwiekann man da schon verstehen, dass es eigentlich keineAnwärter für den Job gibt. Aber der Bund am Olympia-stützpunkt Oberhof und das Land, das den Lehrer bezah-len muss, haben halt unterschiedliche Vorstellungen.Wer so agiert, stellt die Zukunft des Sportnachwuchsesin Frage.Sowohl das „Weißbuch Sport“ als auch die Ent-schließung des Europäischen Parlaments haben demBreitensport eine herausgehobene Rolle zugeschrieben.Aber der Bund ziert sich weiterhin, hier eine Verschie-bung der Schwerpunkte vorzunehmen. Die schwarz-gel-ben Koalitionäre haben dem vor wenigen Monaten garnoch die Krone aufgesetzt. Das Sportstättenprogramm„Goldener Plan Ost“ wurde gestrichen, statt es auf ma-rode Sportanlagen auch in den alten Ländern auszudeh-nen – wie von der Linken gefordert. Die Bundesregie-rung überlässt die Plätze und Hallen allein den leerenKassen der Kommunen. Das ist gesellschaftspolitischerUnsinn.Dem Antrag der Koalition können wir aus mehrerenGründen nicht zustimmen. Allerdings möchte ich einenganz besonders hervorheben. Schwarz-Gelb ist stolz,dass sich ihr Vorhaben „Sport in Europa“ auf fünfPunkte konzentriert und nicht so eine Ansammlung vonAufgaben aufzählt wie die Anträge von SPD und Grü-nen. Aber in diesen Ansammlungen wird ein Problemwenigstens benannt, das ein wirkliches Problem dar-smisdRSdRmssDudvlpdld–gmcltDjtmgmtPndAmmdzSsDgdtBTvFZu Protokoll ge
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5744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Mir ist unverständlich, wie die Koalition solche Ent-wicklungen ignorieren kann und den Kampf gegen frem-denfeindliches Verhalten nicht in ihren Maßnahmenka-talog aufnimmt.Vielleicht ist es ja auch vermessen, von einem „Maß-nahmen“-Katalog zu sprechen. Ich lese in diesem An-trag Absichtsbekundungen. Aber mehr oder wenigerwohlformulierte Sätze haben noch selten etwas bewirkt.Es braucht aber mehr als lauwarme Worte, um im Sporthierzulande wie auch in Europa etwas zu bewegen.Die Linke im Deutschen Bundestag wird sich dem an-nehmen und entsprechende parlamentarische Initiativeneinbringen.
Was die Koalition im Bereich der europäischen Sport-politik bietet, das würde man im Fußball einen langsa-men Spielaufbau nennen. Vielleicht sogar einen sehrlangsamen. Zur Erinnerung: Unser Antrag und der derSPD lagen am 21. April 2010 im Sportausschuss vor.Das ist gute zwölf Wochen her. Der Lissabon-Vertragtrat Ende 2009 in Kraft und das erste offizielle Sport-ministertreffen fand am 10. Mai 2010 statt. Viel Zeit fürdie Koalition für eigene Initiativen. Aber, Schwarz-Gelbist eben die Farbkombination der Langsamkeit. Auch inder europäischen Sportpolitik.Nun zum Inhalt des Antrags, den Sie angesichts deseben von mir kritisierten Tempos auch noch „Europa inBewegung“ nennen. Sie beziehen sich auf den Art. 165AEUV, in dem der Sport „vor allem auch in seiner sozia-len Funktion für ein Europa der Bürger gesehen“ wird.Außerdem betonen Sie, dass „bei der Ausgestaltung derneuen Zuständigkeiten ein europäischer Mehrwertgegenüber nationalen Aktivitäten im Mittelpunkt des In-teresses“ stehen müsse. Weiter führen Sie aus: „Unab-hängig vielfältiger Aspekte weist die Europäische Kom-mission auf eine Priorisierung der angestrebten Zielenach Größe des Mehrwertes und Handlungsbedarfshin.“ Sie wollen auch eine „bürokratische Überregu-lierung mit Überwachungs-, Prüfungs- und Koordina-tionsmechanismen zur Umsetzung der EU-Leitlinien“verhindern. Auch die Autonomie des Sports und dasSubsidiaritätsprinzip sehen Sie in Gefahr und betonendiese deswegen deutlich. Sie wehren sich gegen einewohlgemeinte Alimentation und letztlich Bevormundungdes Sports seitens der EU. Und weiter: „Die Potentialedes Sports in Europa erhalten ihre Gestaltungskraft undSignalwirkung erst durch eng definierte Ziele.“Bis hierhin hat es den Anschein, als würde in IhremAntrag nur stehen, was Sie alles nicht wollen. Er ist of-fensichtlich durch die Sorge gekennzeichnet, dass dieAutonomie des Sports, das Subsidiaritätsprinzip und dieBemühungen der Länder und Kommunen untergrabenwerden könnten.Sie strapazieren in Ihrem Antrag und Ihren Redebei-trägen im Sportausschuss den „europäischer Mehr-wert“ für meinen Geschmack zu sehr und maßen sichauch noch die alleinige Definitionsmacht über dessenBzSddEpFurEEstruiSlvlgTsdWlIpnmPmbiwgnGlggzCedkvpgSliwAZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5745
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5746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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vonseiten der Regierungsparteien leider schon mit sehrwenig zufrieden sein. Das sind wir aber nicht. Sie habennur einmal mehr gezeigt, dass Sie es nicht können.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Sportausschusses auf Drucksache 17/2468. DerAusschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-fehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen derCDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/2129 mitdem Titel „Europa in Bewegung – Mit Kompetenz undVerantwortung für einen europäischen Mehrwert imSport“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist damit angenommen mit den Stimmen der Ko-alitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositions-fraktionen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnungdes Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1406mit dem Titel „Den Sport in Europa voranbringen“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-gen? – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung istebenfalls angenommen. Dafür haben gestimmt die Ko-alitionsfraktionen, dagegen die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und die SPD-Fraktion. Enthalten hat sich dieFraktion Die Linke.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1420mit dem Titel „Sport in der Europäischen Union – DenLissabon-Vertrag mit Leben füllen“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Ent-haltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ange-nommen. Dafür gestimmt haben die Koalitionsfraktio-nen, dagegen die SPD-Fraktion und die FraktionBündnis 90/Die Grünen. Die Fraktion Die Linke hat sichenthalten.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Markus Kurth, Monika Lazar, Katja Dörner,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBericht der Bundesregierung über die Lagebehinderter Menschen und die Entwicklungihrer Teilhabe umfassender und detailliertervorlegen– Drucksachen 17/1762, 17/2306 –Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele Molitorb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. IljaSeifert, Dr. Martina Bunge, Heidrun Bluhm,Reg
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Erstellung des Berichts der Bundesregierungauf Grundlage der UN-Konvention – Aktions-plan zur Umsetzung auf den Weg bringen– Drucksache 17/2367 –Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch hierzu dieeden zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damitinverstanden. Es geht um die Reden folgender Kolle-innen und Kollegen: Maria Michalk, Silvia SchmidtEisleben), Gabriele Molitor, Dr. Ilja Seifert und Markusurth.1)Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Abstim-ung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesür Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktionündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Bericht der Bun-esregierung über die Lage behinderter Menschen undie Entwicklung ihrer Teilhabe umfassender und detail-ierter vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 17/2306, den Antrager Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache7/1762 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieeschlussempfehlung ist angenommen. Dafür haben dieoalitionsfraktionen gestimmt, dagegen die Fraktionündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Dieraktion der SPD hat sich enthalten.Tagesordnungspunkt 17 b. Beschlussempfehlunges Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksa-he 17/2091. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-rags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1578it dem Titel „Aktionsplan zur Umsetzung der UN-onvention über die Rechte von Menschen mit Behinde-ungen vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-ehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-ionsfraktionen angenommen; dagegen gestimmt habenie Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke.ie SPD-Fraktion hat sich enthalten. Anlage 9
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5747
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 17 b. UnterBuchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desAntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 17/1761 mit dem Titel „Handlungsaufträge ausdem UN-Übereinkommen über die Rechte von Men-schen mit Behinderungen“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit denStimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmender Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung derFraktion der SPD und der Fraktion der Linken.Tagesordnungspunkt 17 c. Abstimmung über den An-trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2367 mitdem Titel „Erstellung des Berichts der Bundesregierungauf Grundlage der UN-Konvention – Aktionsplan zurUmsetzung auf den Weg bringen“. Wer stimmt für die-sen Antrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – DerAntrag ist abgelehnt. Dafür gestimmt haben die Fraktionder SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dage-gen die Koalitionsfraktionen. Die Fraktion die Linke hatsich enthalten.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung der Richtlinie des Europäi-schen Parlaments und des Rates über End-energieeffizienz und Energiedienstleistungen– Drucksachen 17/1719, 17/2280 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
– Drucksache 17/2466 –Berichterstattung:Abgeordneter Thomas BareißHierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionder SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.In der Tagesordnung wurde bereits ausgewiesen, dassdie Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handeltsich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Thomas Bareiß, Rolf Hempelmann, Klaus Breil,Dorothée Menzner und Ingrid Nestle.
Heute beraten wir abschließend über die Umsetzung
der EU-Richtlinie über Endenergieeffizienz und Ener-
giedienstleistungen. Lassen Sie mich gleich vorneweg
die im wahrsten Sinne des Wortes effiziente Arbeit der
Ministerien und der Regierungsfraktionen loben: Mit
dem vorliegenden Gesetz können wir alle sehr zufrieden
sein. Letzte Unstimmigkeiten konnten wir mit unserem
Änderungsantrag im Nachgang zu der öffentlichen An-
hörung vergangene Woche noch ausräumen. Nun haben
wir das umgesetzt, was wir bereits im Koalitionsvertrag
angekündigt haben: eine marktwirtschaftliche Eins-zu-
eins-Umsetzung der EU-Richtlinie.
Erstens Änderungen im Gesetzgebungsverfahren.
Nach der Anhörung letzte Woche zur Umsetzung der
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haben wir seit dem Programmstart 2006 bis Ende 2009
insgesamt rund 6 Milliarden Euro Fördermittel für die
Gebäudesanierung zur Verfügung gestellt. In demselben
Zeitraum hat die KfW rund 550 000 Kredite und Zu-
schüsse mit einem Volumen von fast 30 Milliarden Euro
bewilligt. Mit den Fördermitteln wurden in diesem Zeit-
raum knapp 1,42 Millionen Wohnungen saniert oder be-
sonders energieeffizient errichtet, zudem rund 630 kom-
munale Einrichtungen.
Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zum Klima-
schutz. Der jährliche CO2-Ausstoß verringerte sich infolge
der geförderten Baumaßnahmen um fast 4 Millionen Ton-
nen. Zudem wurden jährlich bis zu 290 000 Arbeitsplätze
gesichert oder geschaffen.
Anfang des Jahres haben wir die Mittel zur Förde-
rung von Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanie-
rung im Rahmen des CO2-Gebäudesanierungspro-
gramms nochmals um 400 Millionen Euro erhöht. Ich
werde mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass diesem
meines Erachtens sehr wichtigen Programm in den an-
stehenden Haushaltsberatungen angemessene Priorität
eingeräumt wird.
Drittens Stellenwert der Energieeffizienz. Ich denke,
wir sind auf einem sehr guten Weg, ruhen uns aber auf
dem Erreichten nicht aus. Bei der Energieeffizienz lie-
gen noch erhebliche Potenziale; das gilt nicht nur für
die Seite der Energiebereitstellung, sondern vor allem
auch auf der Nachfrageseite. Dem Verbraucher kommt
hierbei eine Schlüsselrolle zu. Es gilt, die Verbraucher
zu überzeugen, selbst aktiv Energie einzusparen. Das
schont nicht nur den eigenen Geldbeutel, sondern vor
allem die Umwelt. Wir als Politik müssen verstärkt die
Rahmenbedingungen im Interesse der Verbraucher und
im Dialog mit allen Akteuren gestalten.
Was wir dabei allerdings nicht aus dem Blick verlie-
ren dürfen, ist die Frage, inwieweit der Staat in die
Eigentumsrechte der Bürger eingreifen darf. Bei aller
Notwendigkeit der CO2-Gebäudesanierung dürfen wir
diesen wichtigen Aspekt nicht vergessen. Gerade für die
Häuslebauer in meiner schwäbischen Heimat ist das
Wohnungseigentum heilig.
Die Parole lautet daher: Anreizsetzung und nicht
Zwangsmaßnahmen. Auch hier vertraue ich ganz auf
das Funktionieren des Marktes. Wenn die Verbraucher
sehen, dass sich Investitionen lohnen, werden sie auch
entsprechend Geld in die Hand nehmen.
Voraussetzung dafür ist natürlich auch Transparenz,
für die der Staat als Rahmensetzer zu sorgen hat. Mit der
Verbesserung der Energiedienstleistungen leisten wir
mit der Umsetzung der EU-Richtlinie dafür einen wich-
tigen Beitrag.
Viertens weitere Maßnahmen: Energiekonzept. Die
Umsetzung der EU-Richtlinie ist nur ein Schritt, um
beim Thema Energieeffizienz weiter voranzukommen.
Klar ist auch, dass diese Richtlinie kein Meilenstein ist,
und zwar aus dem Grund, dass wir mit unseren Effi-
zienzmaßnahmen zum größten Teil bereits viel weiter
sind, als es die Richtlinie fordert. Wir haben in den letz-
ten Jahren bereits große Erfolge erzielt, auf denen wir
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so kommt auch das seinen Namen zu Unrecht tragendeEnergieeffizienzgesetz daher: ambitionslos, ziellos undwirkungslos!Meine Unzufriedenheit mit dem heute zu beschließen-den Gesetzentwurf teile ich mit vielen Vertretern vonUnion und FDP aus der Länderkammer. Der Bundesrat,in dem Union und FDP aktuell noch über eine Mehrheitverfügen, hat in seiner Stellungnahme im Juni diesesJahres viele Verbesserungen eingefordert. So soll nachdem Willen der Länderkammer im Gesetz das Energie-einsparziel von 9 Prozent festgelegt werden. Obwohldieses Ziel auch in der EU-Richtlinie, die mit dem Ge-setz umgesetzt werden soll, klar definiert ist, lehnt dieBundesregierung in ihrer Gegenäußerung diese Forde-rung ab. Zudem sprechen sich die Länder für ein natio-nales Top-Runner-Programm aus, was von der Bundes-regierung mit dem Hinweis auf entsprechendeBemühungen auf europäischer Ebene ebenfalls zurück-gewiesen wurde. Selbst wenn in der EU an einem sol-chen Programm gearbeitet wird, ist dies noch keinGrund, in Deutschland keine Bemühungen in dieserRichtung zu starten. Denn zum einen profitieren von derVerfügbarkeit energiesparender Geräte und Anlageninsbesondere private Haushalte und kleinere Unterneh-men. Zum anderen hätte die Bundesregierung die hiergesammelten Erfahrungen mit diesem Modell zum Nut-zen aller beteiligten Länder bei der Initiierung des euro-päischen Top-Runner-Programms einbringen können.Darüber hinaus würden sich die Länder gerne an derKonkretisierung und Ausgestaltung der Einsparzieleund Maßnahmen, insbesondere der Energieberatung,beteiligen. Dieses bleibt ihnen durch die vielen im Ge-setz verankerten Verordnungsermächtigungen ohne Be-teiligung des Bundesrates verwehrt. Die SPD-Fraktionunterstützt eine Beteiligung der Länder, weil eine Einbe-ziehung der Länder eine reibungslose Umsetzung derEffizienzmaßnahmen garantieren würde. Denn aufgrundder föderalen Strukturen in unserem Land sollte auchdie Organisation der Energieberatung nach dem Sub-sidiaritätsprinzip erfolgen. Nur so könnten die Bundes-länder auch die Bundesstelle für Energieeffizienz unter-stützen und zu einer schnellen Umsetzung des Gesetzesbeitragen. Die Bundesregierung argumentiert, dass eineBeteiligung des Bundesrates nicht nötig ist, da die Bun-desländer keine individuellen Einsparziele erhalten.Doch natürlich sind auch die Bundesländer – und imÜbrigen auch die Kommunen – von den Effizienzmaß-nahmen betroffen. Deshalb wird hier und heute von derKoalition eine Chance vergeben, das Thema Energie-effizienz im demokratischen Sinne auf eine möglichstbreite gesellschaftliche Basis zu stellen.Bereits im Rahmen der ersten Lesung zu diesem Ge-setz habe ich deutlich gemacht, dass auch der DeutscheBundestag an Entscheidungen über konkrete Maßnah-men beteiligt werden sollte. Leider ist dieser Appell beimeinen Kollegen aus der Union und FDP auf taube Oh-ren gestoßen. Nach wie vor werden Entscheidungen zuzentralen Maßnahmen anhand von Verordnungsermäch-tigungen für die Bundesregierung in die Zukunft ver-schoben. Ich verstehe nicht, warum Sie einer Entmach-tzPtkautzWbzdskurzhBdEsKeldgiSudbaeOmiuJWswtawsrZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5749
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Deutschland liegt schon heute im internationalenVergleich gemeinsam mit Japan in der Gruppe derjeni-gen Staaten mit der geringsten Energieintensität oderder höchsten Energieproduktivität. Seit 1990 wurde derPrimärenergieverbrauch bei wachsendem Inlandspro-dukt in Deutschland absolut sogar gesenkt. Diese Ent-koppelung des Energieverbrauchs vom Wirtschafts-wachstum ist die wichtigste globale Herausforderung,um nachhaltige Fortschritte im Klimaschutz zu erzielen.Sie ist aber auch eine Herausforderung für die deut-sche Industrie. Trotz aller Fortschritte kann bei Energie-effizienz immer noch von einem „schlafenden Riesen“gesprochen werden. Es ist einerseits richtig, dass effi-zienzsteigernde oder intensitätsmildernde Maßnahmeneinen immer größeren, insbesondere auch finanziellenAufwand erfordern. Andererseits kann sich die deutscheWirtschaft durch Investitionen in Energieeffizienzmaß-nahmen besser international im Wettbewerb platzieren.Das ist – neben höheren Qualitätsstandards – auch einBeispiel für die Chance, um sich gleichzeitig gegen denvorhersehbaren Anstieg des Energiepreisniveaus aufden Weltmärkten zu wappnen.Stichwort „deutsche Industrie“: Unsere Unterneh-men stehen bei „grünen“ Industrieprodukten in der ers-ten Startreihe. Sie haben sich auf den Weltmärkten einenbeachtlichen Anteil von über 16 Prozent erarbeitet.Deutschland zeigt damit besonders den Emerging Mar-kets, dass Energieeffizienz und Wirtschaftswachstumauch bei sinkenden Elastizitäten kein Widerspruch, son-dern – ganz im Gegenteil – nachhaltige Zukunftsinvesti-tionen in die Wettbewerbsfähigkeit sind. Daher begrüßeich den jetzt gefundenen Kompromiss bei der Umsetzungder EDL-Richtlinie sehr. Dieses Gesetz folgt auf eineganze Reihe erfolgreich in Kraft gesetzter Maßnahmenzur Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland. Esist ein wichtiger Baustein für mehr Energieeffizienz, mitdem Deutschland die europäischen Anforderungen rich-linienkonform umsetzt.Die Richtlinie – das verkennen die Anträge der Oppo-sition – verlangt jedoch nicht, dass in diesem Gesetz alleMaßnahmen für mehr Effizienz enthalten sein müssten.Sie lässt vielmehr den Mitgliedstaaten weitgehendeFreiheit, wie der Markt für Effizienzmaßnahmen voran-gebracht wird. Eine Vielzahl von Maßnahmen, die fürdas von der Richtlinie geforderte Einsparziel von Bedeu-tung sind, wurde bereits mit dem Integrierten Energie-und Klimaprogramm ausgelöst. Ich erwähne hier nurbeispielhaft die Öffnung des Messwesens für Strom undGas einschließlich der Pflicht für die Installation neuerintelligenter Zähler oder die Heizkostenverordnung.Konkret bedeutet das: Messstellenbetreiber müssenbeim Einbau von Messeinrichtungen in neuen bzw. in um-fangreich renovierten Gebäuden solche Messeinrichtun-gen einbauen, welche den tatsächlichen Energieverbrauchsowie die tatsächliche Nutzungszeit widerspiegeln. FürLetztverbraucher von Strom müssen Energieversor-gungsunternehmen bis Ende dieses Jahres – soweit tech-nisch machbar und wirtschaftlich zumutbar – einen Tarifanbieten, der über lastvariable oder tageszeitabhängigeParameter Anreize zur Energieeinsparung oder zurSdbMnsgfdkgDtErsWiaddurfBeledduawßDusKaWldvbtGzgdrhZu Protokoll ge
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5750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Selbst der schwarz-gelb dominierte Bundesrat bedau-ert in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf, dass„von den in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeiten… nur unzureichend Gebrauch gemacht wurde“.Schauen Sie sich doch endlich die Forderungen sovieler Umweltverbände an, die mit Experten- und Sach-verstand konkrete Instrumente in die Debatte gebrachthaben, mit denen wir wirklich etwas anfangen könnten.Wir brauchen weitere Förderprogramme in Anleh-nung an die KfW-Kredite für energetische Gebäudesa-nierung. Wir brauchen konkrete Einsparziele, Zahlenund ambitionierte Zielmarken bei Treibhausgasemis-sionen!Wir brauchen endlich eine Kennzeichnungspflicht fürEnergieeffizienzklassen bei sämtlichen Elektrogeräten,einen Energiesparfonds aus den Einnahmen aus demEmissionshandel und daraus Konjunkturprogramme fürEnergieeffizienz.Sie kennen die Vorschläge alle, mantraartig wieder-holen wir sie hier seit Monaten, offensichtlich sind Sieaber schwerhörig. Von Ihnen ist bis jetzt nicht eine ein-zige Erklärung gekommen, was Sie an diesen Vorschlä-gen auszusetzen hätten. Vielleicht weil sie ahnen, dass essich tatsächlich um sinnvolle Vorschläge handelt, sieaber von der Opposition kommen und sie außerdem Ih-ren Kumpeln in den Aufsichtsräten und Vorständen derdeutschen Industrie nicht gefallen würden. So etwaswird in diesem Haus ja immer abgelehnt.Das ist absolut verantwortungslos. Sie tasten mit Ih-rem Gesetzentwurf die riesigen Einsparpotenziale inPrivathaushalten und Industrie überhaupt nicht an. Wa-rum wird klar, wenn man sich die beiden Atomkraft-werke ansieht, deren Laufzeit Sie jetzt auch noch verlän-gern wollen, die allein dafür gebraucht werden, um alldie Stand-By-Geräte im Aus-Zustand mit Strom zu ver-sorgen.Mit ihrer Phantasie- und Ideenlosigkeit, mit ihrerIgnoranz und Starrsinnigkeit führen Sie das Land aufder Überholspur in die Klimakrise. Spätestens dienächste Generation wird die Folgen zu tragen haben.Die Linke setzt sich dafür ein, die Impulse beim Aus-bau erneuerbarer Energien aufzugreifen und vonseitender Politik vehement zu befördern. Wir brauchen ord-nungspolitische Vorgaben an Wirtschaft und Länder, dieEnergieeinsparung zum Ziel haben. Im Gegensatz zu an-deren werden wir uns dabei nicht von Großkonzernenauf der Nase rumtanzen lassen.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf offenbart dieBundesregierung erneut ihre Inkompetenz bei Energie-und Effizienzfragen. Mit zweijähriger Verspätung undeinem laufenden Vertragsverletzungsverfahren im Na-cken legen Sie uns nun ein Nichts vor.Ich bezweifle auch stark, dass das Gesetz überhauptden Anforderungen der Energiedienstleistungs- und Ef-fizienzrichtlinie entspricht. Wie ernst Sie das ThemaEnergieeffizienz nehmen, zeigt doch schon die Debatten-zÖBdrmeAeMSzdvMDtGBgnrnAnndtBmdEfStwSIgGrdtgsmrtdrZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5751
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5752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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men, nimmt das Thema Energieeffizienz nicht ernst. DieBundesregierung würgt die bisherigen Effizienzbemü-hungen ab und unterschätzt die Tragweite von Energieef-fizienzmaßnahmen, und dies nicht nur im Strombereich,sondern zum Beispiel bei der PKW-Energieverbrauchs-kennzeichnungsverordnung: Hier bevorzugt die Bundes-regierung schwere Spritfresser, und setzt so falsche An-reize für die deutsche Automobilindustrie.Oder aber bei den KfW-Mitteln für die Gebäudesa-nierung, die massiv gekürzt werden. Aber schlimmer istnoch, dass Deutschland es abgelehnt hat, freigewordene115 Millionen Euro aus dem EU-Wachstumspaket für dieGebäudesanierung umzumünzen oder dass die Bundes-regierung zur Verfügung stehende 680 Millionen Euroaus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklungablehnt und somit verfallen lässt.Schwarz-Gelb setzt lieber auf Lowtech wie Atom- undKohlekraftwerke als auf Hightecheffizienzanwendun-gen. Ohne eine klare Energieeffizienzstrategie wird diedeutsche Wirtschaft zum Spielball von steigenden undhoch volatilen Energiepreisen. Hier entscheidet sich diekünftige Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen.Doch die Bundesregierung verharrt weiterhin in ihreralten Denke, Energiesparen belaste die Wirtschaft. Da-bei ist Energieeffizienz ein Anreiz zur Modernisierung,der Energieverschwendung stoppt und auf Dauer Geldspart.Wir haben in unserem Antrag gezeigt, wie ein Ener-gieeffizienzgesetz aussehen kann. Für den Endkunden-bereich fordern wir, konkret Verantwortliche zu benen-nen, die Energieeffizienzmaßnahmen durchführenmüssen. Für die Industrie fordern wir geregelte Energie-audits und Energieberatung mit konkreten Energiespar-vorschlägen sowie eine verlässliche Evaluation. Wir for-dern dynamische Effizienzstandards. Wir fordern einenEnergieeffizienzfonds mit einem Volumen von 3 Milliar-den Euro, und das, wohlgemerkt, bei einem Haushalt,der weniger Schulden aufweist als der Ihre.Die fehlende Entschlossenheit der Bundesregierungwird durch den Entwurf mehr als deutlich. Das ThemaEnergieeffizienz rückt weiter ins Abseits. Die Bundesre-gierung traut sich nicht, seit langem diskutierte Ideenfür wirkungsvolle Instrumente aufzugreifen. Stattdessenschlägt sie ein fast wirkungsloses Gesetz vor, weil sieAngst vor ein paar Großunternehmen der Industrie hat.Dabei würde die Gesamtwirtschaft von Energieeffizienzprofitieren. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Der Aus-schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2466, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-chen 17/1719 und 17/2280 in der Ausschussfassung an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfin der Ausschussfassung zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit denStimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmender Oppositionsfraktionen angenommen.uGWnSndEtDgtisgmDDhRKDMssSgabUD
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Justizpolitik ist daher eine große Herausforderung. Die
EU-Mitgliedstaaten haben sich 1999 im finnischen Tam-
pere entschieden, diese Herausforderung anzunehmen.
Dort wurde das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
zum Eckstein der zukünftigen justiziellen Zusammen-
arbeit erklärt. Auf der Grundlage dieses Prinzips wur-
den mittlerweile durch die Europäische Union vier Rah-
menbeschlüsse erlassen: zum europäischen Haftbefehl,
zur Sicherstellung von Beweismitteln, zur Anerkennung
von Einziehungsentscheidungen und zur gegenseitigen
Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Dieser
letztgenannte Rahmenbeschluss wird nun mit dem zur
heutigen Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf in
nationales Recht umgesetzt.
Das Gesetz regelt die gegenseitige Anerkennung von
Geldstrafen und Geldbußen grundlegend und damit für
viele Deliktsgruppen. Insgesamt geht es um 39 Tatkom-
plexe, also Straftaten und Verwaltungsübertretungen
bzw. Ordnungswidrigkeiten. In diesen Fällen ist die bei-
derseitige Sanktionierbarkeit zukünftig nicht mehr zu
prüfen.
Auch wenn das Gesetz die gegenseitige Anerkennung
für 39 unterschiedliche Fallgruppen regelt, so wird ins-
besondere ein Bereich von großer praktischer Relevanz
sein: Verstöße im Straßenverkehr. Auch sie gehören zum
Katalog der gegenseitig anzuerkennenden Straftaten
bzw. Ordnungswidrigkeiten. Mit anderen Worten: Zu-
künftig werden Geldbußen aufgrund von Verkehrsver-
stößen im europäischen Ausland auch in Deutschland
einfacher vollstreckt werden können als bisher.
Wir stimmen dem Gesetz heute in zweiter und dritter
Lesung zu. Dem vorliegenden Entwurf ist es gelungen,
der Herausforderung, die die Umsetzung des Prinzips
der gegenseitigen Anerkennung mit sich bringt, gerecht
zu werden. Einerseits wird die gewünschte Harmonisie-
rung erreicht, andererseits aber ist sie in grundrechts-
schonender Weise und unter Berücksichtigung der na-
tionalen Rechtsidentität geregelt worden.
In einzelnen Punkten ist der Gesetzentwurf im Zuge
der Beratungen intensiv diskutiert worden. Dies hat
auch zu Änderungen im Detail geführt.
Zum einen wurde die Frage der Halterhaftung debat-
tiert. Anders als andere Rechtsordnungen, wie etwa Ös-
terreich oder die Niederlande, kennen wir in Deutsch-
land die Halterhaftung nicht. Der Regierungsentwurf
sah als Ermessensentscheidung vor, dass die Bewilli-
gung eines Vollstreckungsersuchens durch die deutschen
Behörden abgelehnt werden könne, wenn die betroffene
Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegen-
heit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zu-
grunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein.
Auf Antrag der Koalitionsfraktionen soll dies nunmehr
nicht als Ermessensentscheidung, sondern als Zulässig-
keitsvoraussetzung geregelt werden. Liegen die Voraus-
setzungen vor, ist künftig die Vollstreckung zwingend
nicht zulässig.
In diesem Zusammenhang hat ein weiterer Punkt in
der Diskussion eine Rolle gespielt. Es gibt EU-Staaten,
in denen für den Halter eines Fahrzeuges eine Aus-
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erlauben, die deutschen Verkehrsregeln auch gegenüberdiesem Personenkreis wirksam durchzusetzen. Zugleichsind die Deutschen privat reisefreudig und wirtschaft-lich eine Exportnation, mit der Folge, dass auch sie mitihren Kraftfahrzeugen das Verkehrsgeschehen in ande-ren europäischen Mitgliedstaaten mitbestimmen. So ha-ben die französischen Behörden festgestellt, dass etwa25 Prozent der dort mit automatischen Überwachungs-anlagen festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitun-gen von ausländischen Kraftfahrern begangen werden,wobei deutsche Kraftfahrer den größten Teil ausma-chen. Wird also ein deutscher Autofahrer in Frankreichgeblitzt, muss er damit rechnen, dass die deutschen Be-hörden den daraus folgenden rechtskräftigen Bußgeld-bescheid auch vollstrecken. Solche Bußgeldbescheideaus dem EU-Ausland sollen aber erst ab 70 Euro voll-streckt werden, um den Verwaltungsaufwand vergleichs-weise gering zu halten. Da aber in einigen Nachbarlän-dern die Bußgelder deutlich höher als in Deutschlandsind, stellt sich die Frage, ob die im Gesetzentwurf ent-haltene Deckelung tatsächlich notwendig ist. In Italienbeispielsweise kann Telefonieren ohne Freisprechanlagemit einer Strafe von 155 bis 624 Euro belegt werden. InGroßbritannien drohen Rasern, die deutlich schnellerfahren als erlaubt, sogar Geldbußen von bis zu 5 834Euro, und in Dänemark können Alkoholsündern Strafenvon bis zu einem Monatsgehalt auferlegt werden.Zweifellos stellt die Umsetzung des Rahmenbeschlus-ses einen starken Eingriff in die Grundrechte des Einzel-nen dar, vor allem ist damit stets ein ethischer Schuld-vorwurf verbunden. Da aber in Deutschland derGrundsatz „keine Strafe ohne Schuld“ Verfassungsranghat, müssen diesbezügliche Regelungen genau geprüftwerden. Dies spielt vor allem bei der sogenannten Hal-terhaftung eine große Rolle. Demnach dürfte inDeutschland künftig weder eine verschuldensunabhän-gige Halterhaftung eingeführt noch die Vollstreckungausländischer Entscheidungen ermöglicht werden, diehierauf beruhen. Problematisch ist, dass die Halterver-antwortlichkeit in Europa äußerst unterschiedlich aus-geprägt ist. So gibt es zahlreiche Länder, die ähnlich wieDeutschland verfahren, etwa die skandinavischen Staa-ten sowie die Schweiz, Tschechien und die Slowakei. Dieklassische Halterhaftung haben unter anderem die Nie-derlande, Frankreich, Portugal und Ungarn normiert,während weitere Länder wie Spanien und Großbritan-nien den Kfz-Halter mittelbar in die Pflicht nehmen. ZuLetzteren gehört auch Österreich, dessen Behörden nach§ 103 KFG vom Halter eine Lenkerauskunft verlangenkönnen, deren Nichtbefolgung mit bis zu 5 000 Euro be-straft wird. Da aber dort kein Zeugnis- und Aussagever-weigerungsrecht besteht, werden österreichische Straf-verfügungen, die auf dessen Nichtbeachtung beruhen,von deutschen Behörden nicht vollstreckt. In diesem Zu-sammenhang spielt das Bewilligungshindernis in § 87 dAbs. 2 eine große Rolle, da hier die Möglichkeit eröffnetwird, Ersuchen zurückzuweisen, die mit dem Schuld-prinzip unvereinbar sind. Aber wenngleich die Vor-schrift des § 87 d Abs. 2 allgemein gehalten ist, kann sienur einen Teilaspekt lösen. Eben gerade bei der in Ös-terreich mit Verwaltungsstrafe sanktionierten Lenkeran-gabe, welches ein eigenständiges echtes Unterlassungs-deBdn§gbdddlvshjsntvultzzsgBrnumwfEnuwatRwdtüwdngNgtWhsFfZu Protokoll ge
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5754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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erklärt werden. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurfab.
Wir verabschieden heute ein Gesetz, das den 1999 be-
gonnenen kooperativen Weg der EU-Mitgliedstaaten im
Bereich der justiziellen Zusammenarbeit weiterschreibt.
Es basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerken-
nung, das sich bereits beim Auf- und Ausbau des euro-
päischen Binnenmarktes bewährt hat. Dieses Prinzip
trägt als Schlüsselkonzept im Justizbereich dazu bei, die
Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aus der Vielfalt
der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten ergeben.
Der hier umgesetzte Rahmenbeschluss von 2005 ba-
siert auf einem Vorschlag aus dem Jahr 2001. Noch viel
länger allerdings dauern die Überlegungen an, in
Europa ein effizientes Instrument für die Vollstreckung
von Geldstrafen und Geldbußen einzuführen, mit dem
vor allem im Verkehrsbereich verhindert wird, dass in
Mitgliedstaaten begangene Ordnungswidrigkeiten un-
gesühnt bleiben. Nach bisherigem Recht waren auch bei
kleinen Strafen vor einer Vollstreckung im Nachbarstaat
regelmäßig Gerichtsverfahren nötig, um eine Rechts-
grundlage zu schaffen. Nach der heutigen Änderung des
Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsa-
chen werden nun unter anderem sämtliche Verstöße ge-
gen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften mit
Geldbußen ab 70 Euro leichter auch im EU-Nachbar-
staat zu vollstrecken sein.
Sehr wichtig war der FDP-Fraktion bei der Umset-
zung dieser Vorschriften zur Erleichterung von Vollstre-
ckungen die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grund-
prinzipien. So kam es für uns nicht infrage, beim
Erfordernis der gegenseitigen Strafbarkeit Abstriche zu
machen. Wenn beispielsweise in anderen Mitgliedstaa-
ten ein deutscher Fahrzeughalter eine dortige Strafe
verwirkt hat, indem er Auskünfte über den Fahrzeugfüh-
rer verweigert, kommt eine Vollstreckung in Deutsch-
land nicht in Betracht. Dieser Punkt ist nach den
Ausschussberatungen deshalb zu Recht von einem wahl-
weisen Grund zur Ablehnung des Vollstreckungsersu-
chens zu einem zwingenden Versagungsgrund hochge-
stuft worden.
Was die Rechtssicherheit aus Sicht der Bürger an-
geht, halten wir die im Entwurf enthaltene Stichtagsre-
gelung für angemessen. Der Rahmenbeschluss sieht
zwar eine solche nicht vor; dennoch halten wir das Ver-
trauen unserer Bürger als für so schutzwürdig, dass für
eine Vollstreckung nach dem neuen Gesetz von aus der
Vergangenheit stammenden ausländischen Entscheidun-
gen kein Raum bleibt. Anderenfalls würde man inländi-
sche Betroffene, die bislang auf das Ausbleiben der Voll-
streckung vertrauten und daher keine Rechtsmittel
bemühten, im Nachhinein ihres Rechtsweges berauben.
Bei den Oppositionsfraktionen hatte der Entwurf der
Bundesregierung in manchen Punkten Klärungsbedarf
hervorgerufen. Dieser konnte jedoch nach Anhörung
von Sachverständigen im parlamentarischen Verfahren
zu großen Teilen ausgeräumt werden. Wir bitten Sie da-
her um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf als einem
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beim sogenannten Europäischen Haftbefehl. Da Sie au-genscheinlich Ihre eigenen Argumente vergessen haben,möchte ich Ihnen diese noch einmal in Erinnerung ru-fen.Sie sagten, dass durch eine Umsetzung sehr unter-schiedliche Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze inStrafverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten alsgleichwertig angesehen werden, obwohl unterschiedli-che Anforderungen unter anderem beim Verfahren beste-hen. Sie kritisierten weiter die Unbestimmtheit der For-mulierung der Deliktsgruppen. Damals waren es 32,heute sind es 39, wobei diese innerhalb von vier Jahrennicht bestimmter geworden sind. Aber auch Ihr damali-ger Hauptkritikpunkt, die fehlende beiderseitige Straf-barkeit, gilt heute unverändert fort. Dabei ist im Einzel-fall ein im Ausland strafbares Verhalten in Deutschlandnicht strafbar, oder es bestehen hohe Abweichungen inder Höhe der angedrohten Strafe.Stellen Sie sich einmal vor, sie fahren mit Ihrem Pkwinnerhalb einer geschlossenen Ortschaft 10 km/hschneller als erlaubt. In Deutschland kostet Sie das Ver-gehen 15 Euro, in Frankreich aber 900 Euro. Dieser Un-terschied in der Höhe der Strafe ist vielen Reisendennicht bewusst. Im Moment kann Frankreich die900 Euro noch nicht fordern, aber nach Inkrafttretendieses Umsetzungsgesetzes können die französischenBehörden Deutschland um die Vollstreckung der900 Euro Geldbuße bitten.Als Lösung dieses Konflikts mit unserer Verfassung,in den wir durch die von der Bundesregierung vorge-schlagene Umsetzung zwangsläufig kommen, sehe ichdie Weigerung Deutschlands zur Umsetzung des Rah-menbeschlusses an, zumal ein Vertragsverletzungsver-fahren der EU gegenüber der Bundesrepublik Deutsch-land sanktionsfrei nicht durchsetzbar wäre. Diesen Weghaben Sie in der Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts zum Europäischen Haftbefehl deutlich aufge-zeigt bekommen. Darüber hinaus ist eine mögliche Voll-streckung von Straftaten im Ausland bereits nachgeltendem Recht, nämlich durch das Gesetz über die in-ternationale Rechtshilfe in Strafsachen, möglich. DiesesGesetz beinhaltet hohe rechtsstaatliche Standards undHürden zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vorunangemessener Strafverfolgung. Diese hohe Schutz-anforderung wollen Sie nun durch die Umsetzung desRahmenbeschlusses aufweichen.Eine Überprüfung jedes Einzelfalls durch ein deut-sches Gericht unter dem Gesichtspunkt der beiderseiti-gen Strafbarkeit und Höhe der angedrohten Strafe,würde auch zu einer verfassungsrechtlich unbedenkli-chen Lösung beitragen, wäre aber sehr aufwendig undteuer für die deutsche Justiz.An Damen und Herren der CDU/CSU- und FDP-Fraktion gewandt: Seien Sie sich Ihrer Verantwortungwenigstens diesmal bewusst: Sie haben im Moment dieWahl! Hören Sie auf Ihr Gewissen! Entscheiden Sie sichfür unsere Alternativen und gegen ein weiteres verfas-sungswidriges Gesetz aus Ihrer Feder!grAmtusddevwDtSfswttBjgigtDDnegsbsdFzGlnerVssDzsmeMLLwZu Protokoll ge
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5756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5757
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seit Jahren die Präzisierung dieser sogenannten Listen-delikte.Wir Bündnisgrüne haben die Bedenken gegen die Un-bestimmtheit mancher Deliktsgruppen in der Weise auf-gegriffen, dass wir – wie auch schon beim EuropäischenHaftbefehlsgesetz im ersten Durchgang – ausdrücklichregeln wollten, dass dem Betroffenen ein Rechtsbeistandbeizuordnen ist, wenn im Einzelfall der Charakter derDeliktsgruppen ein Problem darstellt. Entsprechendwollten wir die Einhaltung der Vollstreckungsvorausset-zungen von Abwesenheitsurteilen absichern. Damit ha-ben wir auch Anregungen der Sachverständigen aufge-griffen. Ich bedaure außerordentlich, dass die Koalitiondies nicht aufgreifen wollte. Das hindert uns an der Zu-stimmung. Wenn sich die Koalition auf die Verbesserun-gen beim Rechtsbeistand und auf ein paar weitere Klar-stellungen im Detail eingelassen hätte, hätten wir demGesetzentwurf zustimmen können.Bedauerlich ist auch, dass die Voraussetzungen fürdie Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen nicht gleichnach den strengeren Maßstäben des neueren Rahmenbe-schlusses 2009/299/JI vom 26. Februar 2009 über Ab-wesenheitsurteile geregelt wurden. Hier muss bis zumAblauf der Umsetzungsfrist des sozusagen neueren Rah-menbeschlusses bis zum 18. März 2011 nachgebessertwerden. Dieser Rahmenbeschluss ist ja auch schon seitfast eineinhalb Jahren in Kraft. Wir wollten im Kompro-misswege wenigstens einen Auslegungshinweis in denBericht des Rechtsausschusses aufnehmen, um die Zeitbis zur umfassenden Umsetzung des Rahmenbeschlussesüber Abwesenheitsurteile zu überbrücken. Aber auchdarauf wollte sich die Koalition letztlich nicht einlassen.Das ist bedauerlich, weil es uns eine Zustimmung zumGesetz unmöglich macht.
Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2458, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1288 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktionen der SPD und der Linken
und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit dem gleichen Stimmenergebnis wie in
der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sonja
Steffen, Christine Lambrecht, Dr. Peter Danckert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
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Kevin – für über 200 Mündel zuständig und verantwort-
lich. Es ist klar, dass es unter solchen Bedingungen dem
Vormund so gut wie unmöglich ist, sich dem einzelnen
Mündel in ausreichendem Umfang persönlich zuzuwen-
den. Nur bei zeitnaher und unmittelbarer Kenntnis der
Lebenssituation des Mündels könnte der Vormund aber
Fehlentwicklungen entgegenwirken und die erforderli-
chen Maßnahmen im Interesse des Mündels veranlas-
sen.
Das Bundesjustizministerium hat vor diesem Hinter-
grund Anfang dieses Jahres einen Referentenentwurf
vorgelegt. Anknüpfend an die Empfehlungen der Exper-
tengruppe sieht der Entwurf verbindliche Regelungen
zum persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Mün-
del sowie Vorgaben zur persönlichen Überwachung von
Pflege und Erziehung des Mündels vor. Zudem sollen Be-
richtspflichten des Vormunds gegenüber dem Familien-
gericht festgelegt werden und Letztere ihrerseits ver-
pflichtet werden, den persönlichen Kontakt zwischen
Vormund und Mündel zu überwachen. Die zentrale und
wichtigste Neuregelung sieht schließlich vor, die Zahl
der Amtsvormundschaften auf höchstens 50 pro Vor-
mund zu begrenzen, wobei jeweils von einer Vollzeit-
stelle ausgegangen wird.
Zusätzlich zum aktuellen Gesetzgebungsvorhaben
planen wir in einem zweiten Schritt eine Gesamtreform
des Vormundschaftsrechts. Bekanntlich stammt die
Grundkonzeption des Vormundschaftsrechts noch aus
dem 19. Jahrhundert und bedarf daher in vielen Berei-
chen struktureller Anpassungen an die aktuellen Rechts-
und Lebensverhältnisse. Bundesregierung und Koalition
planen, einen entsprechenden Gesetzesentwurf noch im
Laufe der Legislaturperiode zu erarbeiten und auf den
Weg zu bringen.
Ich denke, wir sind uns einig, dass dieser Weg – also
kurzfristig sicherstellen, dass die gesetzlichen Qualitäts-
vorgaben für die Vormundschaft gewährleistet sind, und
dann in einem zweiten Schritt die Strukturen anpassen –
der richtige ist.
Nun muss es darum gehen, den schon ausgearbeite-
ten Entwurf der Bundesregierung zügig auf den Weg zu
bringen. Nach derzeitigem Stand wird das Bundeskabi-
nett noch im Sommer den entsprechenden Gesetzentwurf
beschließen, sodass wir dann nach der Sommerpause an
dieser Stelle intensiv und in aller Gründlichkeit darüber
beraten können.
Was die Einzelheiten angeht, so sehen auch wir noch
eine Reihe von Punkten, über die zu diskutieren sein
wird. Die SPD-Fraktion hat mit ihrem Antrag bereits
eine Reihe richtiger und wichtiger Fragen angespro-
chen. Ich nenne in diesem Zusammenhang beispiels-
weise die Obergrenze für Vormundschaften und die da-
mit verbundene Frage, ob wir die neue Vorschrift als
Soll- oder Mussvorschrift ausgestalten.
Natürlich dürfen wir uns hier keinen Illusionen hin-
geben. Die allgemeine Haushaltslage in Deutschland ist
äußerst angespannt und dürfte sich in den nächsten Jah-
ren eher noch weiter verschärfen. Vor allem Städte mit
sozialen Brennpunkten, in denen überdurchschnittlich
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lesen, bei denen Kinder von den Eltern vernachlässigtund misshandelt wurden. Dabei sind vor allem auch dieöffentlichen Einrichtungen und Verfahren zum Schutzeder Kinder in die Kritik geraten.Der für den zweijährigen Kevin aus Bremen zustän-dige Amtsvormund betreute im Jahr 2006 200 Kinder,als der kleine Junge durch Misshandlungen zu Todekam. Dieser Fall hat gezeigt, dass das Frühwarnsystemund die präventiven Maßnahmen nicht ausreichten, umeine Gefährdung des Kindeswohls rechtzeitig erkennenund abwenden zu können.Die Große Koalition hat daraufhin richtig gehandelt:Unter Federführung der Bundesjustizministerin BrigitteZypries wurde die Arbeitsgruppe „FamiliengerichtlicheMaßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ ins Le-ben gerufen. Dann traten das „Gesetz zur Erleichterungfamiliengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung desKindeswohls“ sowie die „Reform des Verfahrens in Fa-miliensachen und in Angelegenheiten der FreiwilligenGerichtsbarkeit“ in Kraft.Die Arbeitsgruppe hat im Nachgang erste Erfahrun-gen mit den neuen Gesetzen evaluiert und im Juli 2009einen Abschlussbericht vorgelegt, in dem Empfehlungenfür die Weiterentwicklungen in dem Bereich ausgespro-chen werden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, begrü-ßen, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung einen Teildieser Empfehlungen aufgegriffen hat und demnächst ei-nen Gesetzentwurf zur Änderung des Vormundschafts-rechtes im Kabinett verabschieden möchte. Auch die In-tention des Entwurfs geht in die richtige Richtung. Unddoch bleibt er nur Stückwerk – eine halbe Sache.Die Vorschläge der Arbeitsgruppe wurden nur teil-weise aufgenommen und alles über den ThemenkomplexVormundschaftsrecht hinausgehende wird außer Achtgelassen. Hintergrund für dieses Vorgehen ist die An-kündigung, Sie würden das Vormundschaftsrecht insge-samt noch einmal reformieren.Wir wollen Sie heute mit dem von uns vorgelegten An-trag darauf aufmerksam machen, welche Punkte unbe-dingt berücksichtigt oder überprüft werden müssen, umden Schutz des Kindeswohls weiter voranzubringen.Es ist notwendig, die Zusammenarbeit zwischen Fa-miliengericht und Jugendamt zu verbessern, einerseitsdurch eine konkrete Regelung für die verbindliche Teil-nahme der Jugendämter an gerichtlichen Terminen, an-dererseits durch die Stärkung der fallübergreifenden in-terdisziplinären Zusammenarbeit. Fortbildungen undQualifikationen sollten in dem sensiblen Bereich desVormundschaftsrechtes stärker gefördert und gefordertwerden, sowohl bei den Richterinnen und Richtern alsauch bei den Vormündern. Zudem muss die Position derMündel bei der Auswahl des Vormundes sowie in Bezugauf Beschwerdemöglichkeiten gestärkt werden. Ein wei-terer Aspekt ist die Einzelvormundschaft. Sie sollte ge-zielt gefördert und das Potenzial der ehrenamtlichenVormundschaft stärker genutzt werden.Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass wir dieim Referentenentwurf vorgesehene Begrenzung der Fall-zahl in der Amtsvormundschaft begrüßen; wir halten esammddwgddfthEatstIwnnvhjAgGvdjKfssevwbt4sfsswSedRdsZu Protokoll ge
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rem sicherstellen, dass der persönliche Kontakt zwi-schen dem Vormund und seinen Mündeln gewährleistetist. Das soll insbesondere, aber nicht nur durch die zah-lenmäßige Begrenzung der Mündel garantiert werden,die ein einzelner Vormund höchstens betreuen darf.Die gesetzliche Neuregelung wird das Erfordernisdes ausreichenden persönlichen Kontakts des Vormundsmit dem Mündel ausdrücklich im Gesetz verankern, diePflicht des Vormunds zur Aufsicht über die Pflege undErziehung des Mündels im Gesetz stärker hervorheben,den persönlichen Kontakt des Vormunds mit dem Mün-del ausdrücklich in die jährliche Berichtspflicht des Vor-munds einbeziehen, den persönlichen Kontakt des Vor-munds mit dem Mündel in die Aufsichtspflicht desFamiliengerichts über die Amtsführung des Vormundsausdrücklich einbeziehen und die Fallzahlen in derAmtsvormundschaft auf 50 Vormundschaften je Mitar-beiter begrenzen.Es sei ganz offen und ehrlich darauf hingewiesen:Diese Verbesserungen werden nicht zum Nulltarif zu ha-ben sein. Einerseits darf auch in wirtschaftlich schwieri-gen Zeiten das Kindeswohl nicht unter die Dispositionder Kassenlage gestellt werden. Andererseits müssenwir als Gesetzgeber die Finanzlage der Kommunen na-türlich im Blick behalten. Der Bund sollte keine Verspre-chungen machen, von denen wir nicht wissen, wie dieKommunen sie einhalten sollen. Wenn wir das Vormund-schaftsrecht ändern, müssen wir auch die finanzielleSeite mitbedenken, sonst verhalten wir uns wie Betrüger,die ungedeckte Schecks ausstellen.Trotzdem werden wir versuchen, die drängendstenFragen schnellstmöglich zu lösen, damit ein Fall Kevinsich so nicht mehr wiederholen kann.
Es ist nicht das erste Mal, dass wir im Bundestag
über den Schutz von Kindern debattieren. Oft gaben
schreckliche Fälle Anlass zur Debatte. Und auch der
Antrag der SPD-Fraktion, der heute zur Beratung steht,
hat den tragischen Tod des im Jahre 2006 in Bremen zu
Tode gekommenen Kevin zum Anlass.
Sicher ist es wichtig, dass solche schrecklichen Fälle
immer wieder diskutiert werden. Es ist auch wichtig, im-
mer wieder nach neuen Lösungswegen zu suchen. Es ist
aber auch wichtig, dabei die Ursachen für das Handeln
von Eltern – wie im Falle Kevin – zu suchen, Ursachen,
die nur zum Teil bei den Eltern zu finden sind; viel öfter
liegen sie in gesellschaftlich zu verantwortenden Defizi-
ten.
Genügend Gesprächs- und Klärungsbedarf gibt es
auch von unserer Seite, zum Beispiel bei der Rolle der
Jugendämter, deren Ausstattung auch im Antrag der
SPD eine Rolle spielt – leider ohne klar zu fordern, dass
bei der Finanzierung auch der Bund sehr viel mehr in
die Pflicht genommen werden muss. Wenn schon die
Bundesregierung darin keine Notwendigkeit sieht, sollte
wenigstens eine Oppositionsfraktion daran erinnern.
Viele der Forderungen des Antrags teilen wir als
Linke. Sie sind aus den Anhörungen zum Kindesschutz in
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Tode gekommen ist. Der Amtsvormund, der für Kevin zu-ständig war, hatte zu diesem Zeitpunkt 200 Mündel inseiner Betreuung. Aufgrund der großen Arbeitsbelastunghatte er keinen persönlichen Kontakt zu Kevin. Deshalbhatte er keine eigene Kenntnis von den katastrophalenVerhältnissen, in denen sein Mündel lebte.Wie können wir den Schutz von Mündeln realistischverbessern und die Qualität der Vormundschaft sichern?Das sind die Kernfragen bei der Reform des Vormund-schaftsrechts.Ein Aspekt ist hierbei sicherlich, dass die Entwick-lung und das Wohl des Mündels in den Vordergrund derAmtsführung des Vormunds gerückt werden. Nur dasKindeswohl kann den Maßstab für das Handeln des Vor-munds darstellen. Das ist der Kristallisationspunkt.Das beste Bild vom Wohlergehen seines Mündels kannsich der Vormund machen, wenn er kontinuierlich denpersönlichen Kontakt zum Mündel hält. Dazu gehörtauch, dass der Vormund sein Mündel bei der Entschei-dung über Angelegenheiten, die sie oder ihn betreffen,einbezieht, gemäß dem jeweiligen persönlichen Entwick-lungsstand.Die SPD schlägt in ihrem Antrag darüber hinaus vor,den Kontakt des Vormunds zu seinem Mündel nicht aufdie „übliche Umgebung des Mündels“ zu beschränken,wie dies im Referentenentwurf vorgesehen ist. Das istrichtig; denn das ermöglicht dem Mündel, mit dem Vor-mund offen über Probleme zu sprechen, die gerade inseinem üblichen Umfeld, seinem Zuhause, ihren Ur-sprung haben.Einen weiteren Punkt müssen wir diskutieren: ZurObergrenze der Anzahl von Vormundschaften pro Amts-vormund sieht der Referentenentwurf der Bundesregie-rung vor, dass diese auf 50 Vormundschaften pro Mitar-beiterin oder Mitarbeiter beschränkt werden soll. Dasgeschieht in Form einer „Sollvorschrift“. Demgegen-über fordert die SPD, dass die Obergrenze für alle For-men der Vormundschaft auf 40 Vormundschaften proMitarbeiterin oder Mitarbeiter festgelegt werden muss;sie fordert also eine „Mussvorschrift“.Das ist eine schöne Perspektive; allerdings stellensich Fragen. Die erste Frage ist: Wie finanzieren dieKommunen, die bereits unter erheblichem finanziellemDruck stehen, diese Aufstockung ihres Personalbe-stands?Auch muss geklärt werden, wie die Jugendämter aus-reichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin der Kürze der Zeit finden sollen. Klar ist, dass mög-lichst bald mit der Schulung und Qualifizierung poten-zieller neuer Vormünder begonnen werden muss, aberdas geht nicht sofort. Auch hier muss geklärt werden,wie die Kommunen die zusätzlichen Kosten stemmenkönnen.Eine genaue Kalkulation ist hier vonnöten. Zu denkenwäre auch an die Einführung von Übergangsvorschrif-ten.Im Gesamten sind die Forderungen der SPD zu be-grüßen. Sie haben immer das Wohl des Mündels und dieQpGdBpmndFDwurüdWÜüwuSOtTHrRZdKnrrg
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Die 3. EU-Führerscheinrichtlinie schafft hier Ab-hilfe. Sie ist am 19. Januar 2007 in Kraft getreten. VomGesetzgeber fordert die Richtlinie Veränderungen imnationalen Führerscheinwesen. Die christlich-liberaleKoalition nutzt die gebotenen Spielräume, um die so-eben beschriebenen Missstände in der Zweirad-Führer-scheinausbildung zu beheben. Obwohl den Mitglied-staaten auch ein breiter zeitlicher Spielraum eingeräumtwurde, diese Richtlinie bis spätestens zum 19. Januar2013 in nationale Regelungen umzusetzen, verfolgen wireine frühzeitige Umsetzung.Im Bereich der Zweirad-Führerscheinklassen beschlie-ßen wir im Einzelnen folgende Punkte:Erstens. Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A1werden zukünftig unter erleichterten Bedingungen dieKlasse A2 erwerben können. Die Klasse A1 umfasstLeichtkrafträder bis maximal 125 ccm und bis zu einerFahrleistung von 15 PS. Bei der Klasse A2 steigert sichdie Fahrleistung dann auf maximal 34 PS. Nach zwei-jähriger Inhaberschaft der Klasse A1 bedarf es fortannur einer Einweisung sowie einer praktischen Prüfung,um die Führerscheinklasse A2 zu erlangen. Die Theorie-prüfung entfällt zukünftig. Nach zwei Jahren Fahrpraxiskönnen ausreichende theoretische Kenntnisse zum Ver-kehrsverhalten und zum Führen von Zweirädern voraus-gesetzt werden. Der Wegfall des theoretischen Prüfungs-teils ist somit sachgerecht. Bei den Zweiradfahrern stößtdiese Maßnahme auf große Zustimmung.Zweitens. Gleichermaßen regeln wir den Übergangvon der Klasse A2 zur Klasse A neu. Nach zweijährigemBesitz der Führerscheinklasse A2 ist für den Erwerb derKlasse A eine Einweisung und eine praktische Prüfungnötig. Auch hier wird auf eine theoretische Prüfung ver-zichtet. Bisher folgte der Erwerb der Führerscheinklasse Aautomatisch nach zweijähriger Inhaberschaft der KlasseA2. Die mitunter großen Leistungsunterschiede der ent-sprechenden Krafträder, die unter die Klassen A2 und Afallen, rechtfertigen jedoch die zusätzliche Einführungeiner praktischen Prüfung. Denn die Führerscheinklas-se A umfasst Motorräder jeglicher Art. Diesen Übergangvon A2 zu A gestalten wir unter Gesichtspunkten der Ver-kehrssicherheit neu.Auf diese Weise schaffen wir ein System des stufen-weisen Erwerbs der drei Zweirad-FührerscheinklassenA1, A2 und A. Wer sich mit 16 Jahren dafür entscheidet,die Klasse A1 zu erwerben, kann nach zweijähriger Pra-xiserfahrung erleichtert die Klasse A2 erlangen. Erwäre dann 18. Nach weiteren zwei Jahren ist es dannmöglich, die Klasse A2 durch die Klasse A zu ersetzen.Und das in einem Alter von 20 Jahren. Die Fahrer vonMotorrädern, die bewiesenermaßen ein erhöhtes Unfall-risiko aufweisen, würden auf diese Weise langfristigerund schrittweise das Führen leistungsstarker Motorrä-der erlernen. Wer die Klasse A über dieses Stufensystemerwirbt, hat bereits mindestens vier Jahre Zweirad-Fahrpraxis. Hierin sehen wir einen großen Gewinn fürdie Verkehrssicherheit auf unseren Straßen.Direkt kann die Klasse A weiterhin erst ab dem25. Lebensjahr erworben werden. Ein Erwerb vor demErreichen dieses Alters ist nur möglich, wenn zuvor eineFddscdAdfh1eetnDdDrKK–K1ssF1FMsuuKknsMmgEsfDWCdDürgZmadsZu Protokoll ge
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sind als die erlaubten 25 km/h bei Mofas oder 45 km/hbei Mopeds.Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen diese Entwick-lung nicht hinnehmen. Anstatt zuzuschauen, wie sich dieUnfallzahlen im Zweiradbereich auf unverändert hohemNiveau halten, handeln wir mit unserem Antrag und derHerabsenkung der Altersuntergrenze für den Mopedfüh-rerschein auf 15 Jahre. Von dieser Maßnahme verspre-chen wir uns ein gesteigertes Gefahrenbewusstseinunter den jungen Zweiradfahrern. Denn der neue Mo-pedführerschein mit 15 stellt eine qualifizierte Ausbil-dung der Jugendlichen dar. Der Erwerb der Klasse AMgeht mit einer umfassenden theoretischen und prakti-schen Fahr- und Verkehrsausbildung einher. Die Inten-sität der Ausbildung wird die der derzeitigen Mofa-Aus-bildung weit übersteigen. Dementsprechend mehrwerden die Fahrschüler für die Gefahren des Straßen-verkehrs und die Verantwortung, die das Führen einesZweirads mit sich bringt, sensibilisiert. Das Risikobe-wusstsein der Altersklasse der unter 16-Jährigen wirdsich im Vergleich zum heutigen Stand deutlich erhöhen.Für die CDU/CSU-Fraktion gilt: Es ist besser, wenndie Jugendlichen bereits mit 15 Jahren beim Erwerb derKlasse AM frühzeitig eine qualifizierte Ausbildung er-halten. Wir vertrauen auf die Professionalität unsererFahrlehrerinnen und Fahrlehrer, die die Jugendlichenoptimal vorbereiten werden. Wir sind überzeugt, dasshierdurch eine deutliche Verbesserung der Unfallzahlenim Zweiradbereich erreicht wird, sowohl bei den 15-jäh-rigen Fahranfängern, aber gerade auch in höheren Al-tersklassen. Gleichwohl ist es selbstverständlich, dasswir die Entwicklung infolge der Absenkung des Min-destalters genau beobachten werden.Bislang war es mit 15 Jahren ausschließlich möglich,einen Mofa-Führerschein zu erwerben. Doch das Mofahat einige entscheidende Nachteile. So ist ein Mofa aufeine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h begrenzt. Ur-sprünglich sollten die Jugendlichen hierdurch davor ge-schützt werden, zu schnell zu werden und sich zu gefähr-den. Der Negativeffekt dabei ist jedoch, dass derdeutliche Geschwindigkeitsunterschied zum sonstigeninnerstädtischen Verkehr gefährliche Verkehrssituatio-nen geradezu zwingend hervorruft. Die Mofafahrer kön-nen nicht im Verkehr „mitfließen“. Sie werden bevorzugtüberholt und dadurch erheblichen Gefahren ausgesetzt.Das Absenken des Einstiegsalters des Mopedführer-scheins würde diesem Effekt entgegenwirken. Die jun-gen Mopedfahrer könnten flüssiger am Verkehrsgesche-hen teilnehmen. Darüber hinaus sehen wir in derAbsenkung des Einstiegsalters für den Mopedführer-schein einen Beitrag zu mehr Mobilität im ländlichenRaum. Insbesondere Auszubildende des Handwerks sindfrüh auf ausreichende Mobilität angewiesen, ein früherMopedführerschein hilft ihnen, Arbeitsplatz und Berufs-schule gut zu erreichen.Aus den genannten Gründen unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Absenkung des Einstiegs-alters des Mopedführerscheins auf 15 Jahre. Die Ände-rungsanträge von SPD, Grünen und Linken lehnen wirab. Stattdessen fordern wir die Bundesregierung mit un-szthdsgnzsbfiDrtwBwNktdwbogrdgzDFwswdLsVnkrdgrencHZu Protokoll ge
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Freunde und Fahrlehrer in unserem Land nicht müdewerden, diese ebenso einfachen wie fundamentalenWeisheiten immer wieder den jungen Fahrern zu vermit-teln. Wenn die jungen Leute diese Regeln, gepaart miteiner guten Fahrausbildung, beherzigen, ist das Risikogering, egal ob mit 15 oder 16.Aufgrund dieser Argumente bitte ich Sie, dem hiervorliegenden Antrag, auch unter Berücksichtigung derpositiven Beschlussempfehlung aus dem Verkehrsaus-schuss, zuzustimmen.
Junge Leute können es kaum erwarten, motorisiert zusein. Mobilität bedeutet auch für junge Menschen mehrSelbstständigkeit und die Möglichkeit, besser am gesell-schaftlichen Leben teilzunehmen. Das war so und wirdauch in Zukunft nicht anders sein. Der sächsische Ver-kehrsminister Sven Morlok hat daher recht, wenn ersagt: „Jugendliche werden durch die Möglichkeit, frü-her Moped zu fahren, mobiler und selbstständiger“.Die Frage, die wir uns jedoch in diesem Zusammen-hang stellen müssen, ist: Wollen wir, dass unsere Kindermobiler und selbstständiger werden, um jeden Preis?Auch, wenn es um ihre eigene Sicherheit oder um die all-gemeine Verkehrssicherheit geht? Ich denke, da sind wiruns einig, dass wir das nicht möchten. Warum solltenwir also dem Antrag der Regierungskoalition folgen undder Absenkung des Mindestalters auf 15 Jahre für Mo-pedführerscheine zustimmen?Im vorliegenden Antrag fordern Sie, den Erwerb vonZweiradführerscheinen zu erleichtern. Es geht dabei umdie Umsetzung der Dritten EG-Führerschein-Richtlinie.Die in dem Antrag vorgeschlagenen Erleichterungenbeim Erwerb von Zweiradfahrerlaubnissen unter be-stimmten Bedingungen bewerten wir positiv. Personen,die im motorisierten Straßenverkehr Erfahrungen vor-weisen können, unbürokratischer den Erwerb von weite-ren Fahrerlaubnisklassen zu ermöglichen, ist sinnvollund birgt keine zusätzlichen Gefahren im Straßenver-kehr.Diese EU-Richtlinie führt auch eine neue Fahr-erlaubnisklasse AM für das Führen zweiräderigerKleinkrafträder ein. Das entspricht dem Mopedführer-schein, der zurzeit frühestens mit 16 Jahren erworbenwerden kann. Die Richtlinie ermöglicht es, die Alters-grenze im Ausnahmefall auf 14 Jahre herabzusetzenoder sie auf bis zu 18 Jahre anzuheben. Als Regelfallempfiehlt die Europäische Union ein Mindestalter von16 Jahren. Sie fordern die Herabsetzung auf 15 Jahre.Wir wollen das nicht.Jeder, der Kinder in dieser Altersstufe hat bzw. Stu-dien zu diesem Thema oder die Briefe der Experten zurVerkehrssicherheit, die uns alle in den letzten Wochenerreicht haben, gelesen hat, weiß, dass die Risikobereit-schaft, Selbstüberschätzung und vor allem die fehlendeErfahrung der 14- bis 16-Jährigen einen gefährlichenRisikomix ergeben. Die Folge davon ist eine erhöhte Un-fallhäufigkeit meist aufgrund überhöhter Geschwindig-keit. Im Zweiradbereich ist dieses sogenannte Jugendli-cArvssdultLVvaUBkjZnrsErRagrAmInlttsFzfrsVgdplbwUfäMfZu Protokoll ge
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Mittlerweile steigen dort die Unfallzahlen der 15-jähri-gen Mopedfahrer kontinuierlich an. Allein im Jahr 2008erhöhten sich in dieser Altersgruppe die Unfallzahlen imVergleich zum Vorjahr um 14 Prozent. Jetzt wird dorternsthaft wieder über eine Heraufsetzung des Min-destalters für das Führen von Kleinkrafträdern nachge-dacht.Wir benötigen in Deutschland keinen Probelauf die-ser Art. Wir sind der Meinung, dass die Verkehrssicher-heit an erster Stelle steht. Die Mofaausbildung, die be-reits in vielen Bundesländern fester und wichtigerBestandteil der schulischen Verkehrserziehung ist, istaus Sicht der Verkehrssicherheit ausreichend und ziel-führend. Sie führt die Jugendlichen behutsam vom Fahr-rad an den motorisierten Straßenverkehr.Eine Fahrschulausbildung inklusive praktischer Aus-bildung und Prüfung, die mit Herabsetzung des Min-destalters für den Erwerb der Klasse AM die Folge ist,wirkt sich tatsächlich nicht unfallreduzierend aus. DieBASt-Studie stellt fest, dass es keinen Nachweis dafürgibt, dass die Ausbildung die Unfallzahl signifikant sen-ken kann.Jugendliche sind heutzutage mit Sicherheit reifer alsvor 20 Jahren. Dennoch müssen sie im Umgang mit demmotorisierten Straßenverkehr erst ihre Erfahrungensammeln und behutsam an die unterschiedlichen Ge-schwindigkeiten herangeführt werden. 20 km/h machenda einen großen Unterschied. Bildlich ausgedrückt: Er-scheint ein Hindernis 10 Meter vor einem mit 25 km/hfahrenden Mofafahrer, so prallt er trotzt eingeleiteterVollbremsung mit einer Energie auf das Hindernis, diedem Sturz von einem Stuhl entspricht. Ein Mopedfahren-der mit 45 km/h würde in vergleichbarer Situation aus8 Metern Höhe stürzen.Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, der ADAC, dieDeutsche Verkehrswacht, der ACE, der AvD, der ACRDund viele andere haben mehrfach größte Bedenken ge-gen dieses Gesetzesvorhaben geäußert. Aber die Regie-rungskoalition zeigt sich in alle Debatten bisher völligunbeeindruckt. Wir appellieren an die Regierungskoali-tion, die Risiken für die Herabsetzung des Mindestaltersnicht hinzunehmen.Stimmen Sie für unseren Änderungsantrag und strei-chen Sie Punkt 4 Ihres Antrags zur „Erleichterung desErwerbs von Zweiradführerscheinen“, damit Jugendli-che ab 16 Jahren eine Fahrerlaubnis der Klasse AM er-werben dürfen.Kommt es tatsächlich zu einem Gesetzesänderungs-verfahren, werden wir dafür werben, eine Sachverstän-digenanhörung zu diesem Thema im Verkehrsausschusszu beantragen.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem von uns ein-gebrachten Antrag. Wir wollen den Erwerb von Zwei-radführerscheinen maßgeblich entbürokratisieren unddamit erleichtern. Insbesondere langjährigen, erfahre-nen Fahrern soll der Erwerb eines Zweiradführer-scheins bzw. der Aufstieg innerhalb der einzelnenMrzzbkdrVbIsrFetkMDrsgsrauaBurF6makSMedabcsmtbwSSMZu Protokoll ge
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besteht somit auf beiden Seiten – sowohl bei den Jugend-lichen als auch den anderen Verkehrsteilnehmern – dasBedürfnis nach der von uns vorgeschlagenen Neurege-lung des AM-Führerscheins.Gleichzeitig erhöhen wir mit den vorgeschlagenenÄnderungen sogar noch die Verkehrssicherheit sowohlfür die jungen Menschen als auch für die anderen Ver-kehrsteilnehmer. Wir verringern mit dem FührerscheinAM 15 insbesondere das Anfängerrisiko. Nun werdenendlich solide ausgebildete Fahrer auf die Straße gelas-sen.Insbesondere die praktische Ausbildung wird ge-stärkt. Im Gegensatz zum Mofaführerschein, der nichtsanderes als ein besserer Fahrradführerschein ist, kön-nen 15-Jährige in Zukunft mit einer soliden Ausbildungund Prüfung flüssiger am Straßenverkehr teilnehmen,wenn die Eltern dies wollen. Deren Entscheidung da-rüber, ob ihr Kind reif genug ist, um am Straßenverkehrteilzunehmen, soll ihnen vom Staat nicht abgenommenwerden. Der Staat hat jedoch die Aufgabe, die entspre-chenden Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durchdie Regelung einer entsprechenden qualitativen Fahr-ausbildung, was wir auch tun.Ein gut ausgebildeter 15-Jähriger auf einem Zweiradder Klasse AM stellt etwa im Vergleich zu einem 15-Jäh-rigen auf einem Mofa einen Gewinn für die Verkehrs-sicherheit dar. Denn damit können wir gezielt die Ursa-chen bekämpfen, die gerade bei Fahranfängern auf demZweirad in der Vergangenheit immer wieder zu Unfällengeführt haben, wie etwa unangemessene Geschwindig-keit oder Fehler bei der Vorfahrt und beim Wenden undAbbiegen.Dieser positive Effekt auf die allgemeine Verkehrs-sicherheit wird sich meiner Überzeugung nach auch mit-tel- und langfristig auswirken. Wer bereits mit 15 Jahrengut ausgebildet beginnt, am Straßenverkehr teilzuneh-men, der wird aufgrund seiner Erfahrung auch in seinemspäteren Leben beim Erwerb der Fahrerlaubnisse ande-rer Klassen von dieser Erfahrung und Ausbildung profi-tieren und somit maßgeblich zur Verkehrssicherheit bei-tragen.Ich bitte Sie daher im Interesse der jungen Menschenund des Ziels einer Erhöhung der Verkehrssicherheit umIhre Zustimmung.
Die dritte EU-Führerscheinrichtlinie, die 2007 in
Kraft getreten ist, muss bis zum 19. Januar 2013 in na-
tionales Recht umgesetzt werden.
Auf diese Umsetzung zielt der Antrag der CDU/CSU-
FDP-Koalition. Er enthält vier Forderungen. Die ersten
drei beziehen sich auf die Vereinfachung des Erwerbs
des großen Motorradführerscheins und Regelungen zur
Übertragung alter Führerscheine in die neue Zulas-
sungspraxis. Diese ersten drei Punkte, die den Bürokra-
tieabbau fördern und zudem die Verfahren für die Bür-
ger vereinfachen, begrüßen wir.
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rerscheinrichtlinie angemessen in nationales Recht um-setzt. Auch wir sind der Ansicht, dass der Erwerb vonZweiradführerscheinen für Inhaber eines Führerscheinseiner anderen Fahrzeugklasse, die bereits über mehr-jährige Fahrpraxis und gute Kenntnisse der Verkehrs-regeln verfügen, erleichtert werden kann. Es ist nichtangemessen, dass diese Gruppe mit Fahranfängerngleichgestellt wird.Leider haben Sie diesem „netten“ Antrag ein pseudo-nettes Geschenk beigepackt. Sie wollen jungen Leutenbereits ab 15 Jahren den Moped-Führerschein geben.Nach dem Motto „Tun wir der Jugend doch was Gutes“.Aber das ist für die Fünfzehnjährigen und ihre Eltern eingefährliches Geschenk. Sie machen es, obwohl alle Si-cherheitsexperten davon abgeraten haben. Es ist für unsabsolut unverständlich, warum Sie die nachdrücklichenAppelle von wichtigen Verkehrssicherheitsexperten undsogar die Ergebnisse der Studie der Bundesanstalt fürStraßenwesen ignorieren. Und das, obwohl das Bundes-verkehrsministerium diese Studie doch eigens in Auftraggegeben hatte und die Ergebnisse keine Zweifel daranlassen, dass es hochgefährlich, ja lebensgefährlich ist,Jugendlichen bereits mit 15 Jahren eine Lizenz zumSchnellfahren zu erteilen.Sie sind uns die Erklärung noch schuldig, warum Siebei den motorisierten Zweirädern noch jüngere Men-schen unbegleitet mit höheren Geschwindigkeiten los-fahren lassen wollen, während wir im Pkw-Bereich beimBegleiteten Fahren erfolgreich einer ganz anderen Phi-losophie folgen. Und dies gerade, um der Problematikbesser gerecht zu werden, dass sich die jungendlichenFahranfänger und Fahranfängerinnen häufig selbstüberschätzen und dazu neigen, in komplexen Situationenunangemessen zu reagieren, weil Ihnen die nötige Er-fahrung fehlt.Sie sagen, sie wollen die Mobilität der jungen Leutebefördern, damit sie beispielsweise ihren Ausbildungs-platz im ländlichen Raum besser erreichen können. Da-für gibt es spezielle Angebote, wie den von den Bundes-ländern bestellten und finanzierten Schulbusverkehr,den öffentlichen Nahverkehr, ein überregionales Radwe-genetz und das Mofa. Wenn Sie diese Angebote für unat-traktiv und nicht ausreichend halten, dann lassen Sieuns hier ansetzen und gemeinsam bessere Konzepte da-für finden.Und woher kommt eigentlich Ihr plötzlicher Gesin-nungswechsel, liebe Kolleginnen und Kollegen von derKoalition? Noch im März dieses Jahres auf dem 4. Sach-verständigentag des TÜV zum Thema Verkehrssicherheitging jedenfalls keiner der geladenen Experten aus derVerkehrssicherheitsarbeit, der Politik und der Wissen-schaft von einer derartigen Regelung für Deutschlandaus.Es ist schon pikant, dass Sie die Forderung für denMoped-Führerschein ab 15 erst aufgestellt haben, nach-dem die Zweiradindustrie im Frühjahr diesen Jahresmassiven Druck ausgeübt hat. Die sinkenden Verkaufs-zahlen können doch kein Argument für einen quasibundesweiten Feldversuch an jungen Leuten sein, wiegestern von Vertretern der Regierungskoalition im Ver-kSderswFdrGedchaaGsgnfnADBgmswuLKtwvr
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
)
nicht an mich oder die Unionsfraktion. Daher ist es
nicht meine Aufgabe, Ihre Fragen zu beantworten; das
wird die Bundesregierung schon ordnungsgemäß erledi-
gen.
Die Thematik der Arbeitsbedingungen im Postmarkt
muss im Zusammenhang mit der Verfassung der gesam-
ten Branche und dem ordnungspolitischen Rahmen, den
wir hier als Gesetzgeber vorgeben, diskutiert werden.
Das Ziel der schrittweisen Liberalisierung des Postwe-
sens in Deutschland war die Gewährleistung eines Wett-
bewerbes auf dem Briefmarkt. Wettbewerb zwingt alle
Anbieter zur Kundenorientierung, zu besseren Produk-
ten und Dienstleistungen, zu effizienteren Strukturen und
vielen Innovationen. Schließlich ist Wettbewerb der
beste Verbraucherschutz. Verbraucher sind dann in der
stärksten Position, wenn sie zwischen verschiedenen An-
bietern wählen können.
Wir wollen diesen Wettbewerb auf dem Briefmarkt
auch weiterhin. Aber dieser Wettbewerb muss fair
ablaufen. Hier ist die Deutsche Post als ehemaliger Mo-
nopolist natürlich im Vorteil. Die Post hat bereits ein
Vertriebsnetz, entsprechende Infrastrukturen und Ge-
schäftsbeziehungen. Dementsprechend hat sie auch
nach zehn Jahren Liberalisierung noch einen Marktan-
teil von 90 Prozent. Hier sind neue Wettbewerber klar im
Nachteil. Die Wettbewerbsbedingungen sind also ver-
zerrt und eben nicht gleich.
Neue Wettbewerber müssen sich gegen ein marktbe-
herrschendes Unternehmen durchsetzen. Der Wettbe-
werb am Markt darf dabei natürlich nicht ausschließlich
über die Löhne der Arbeitnehmer geführt werden. Für
Erfolg am Markt sollten das Vertriebskonzept, effiziente
Kostenstrukturen der Unternehmen und die angebote-
nen Leistungen sowie die Zuverlässigkeit des Anbieters
entscheidend sein.
Aber die Frage der Entlohnung in der Branche darf
natürlich nicht ausgelassen werden. Es war absolut
wettbewerbsfeindlich, als die Deutsche Post AG ver-
suchte, allein den Maßstab für die Entlohnung der gan-
zen Branche zu setzen. Denn dies kommt einem fakti-
schen Ausschluss aller anderen Wettbewerber gleich. Es
ist daher zu begrüßen, dass die Postmindestlohnverord-
nung vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben
wurde. Denn das gewählte Verfahren war nicht sauber.
Der Haustarifvertrag des marktbeherrschenden Unter-
nehmens wird für die gesamte Branche als allgemein-
gültig erklärt. Dies war ein wettbewerbspolitischer
Skandal, der nun glücklicherweise korrigiert wurde.
Dass der eigene Haustarifvertrag möglicherweise auch
für die Deutsche Post AG eine zu hohe Bezahlung be-
inhaltet, zeigt sich doch daran, dass die Deutsche Post
nun selbst mit First Mail eine Tochterfirma gründet, die
geringere Löhne zahlt.
Eine Angelegenheit betone ich unbedingt: Ich habe
nichts gegen Tarifverträge. Im Gegenteil: Ich begrüße es
außerordentlich, wenn wir einen Tarifvertrag für die ge-
samte Branche bekommen; dieser kann auch gern Lohn-
untergrenzen definieren. Hier sind aber die Tarifpartner
gefordert, eine Lösung zu finden. Insbesondere auf Ar-
beitgeberseite muss dann die gesamte Branche – nicht
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Belange dürfen sich in einer sozialen Marktwirtschaftgrundsätzlich nicht widersprechen.Die Situation stellt sich heute – im dritten Jahr nachder Verabschiedung des Postgesetzes – wie folgt dar:Der Postmarkt ist – insbesondere beim Briefgeschäft mitPrivatkunden – ein schrumpfender Markt. Immer mehrMenschen schreiben E-Mails statt Briefe. Seitdem dasletzte Teilmonopol im Briefmarkt gefallen ist, wetteifernsomit immer mehr Anbieter um eine stetig schrumpfendeNachfrage.Für die überwiegende Anzahl der Beschäftigten inder Briefbeförderung bei der Deutschen Post geltenauch weiterhin Arbeitsbedingungen, die sich deutlichvon denen der Konkurrenzunternehmen unterscheiden.Die Deutsche Post AG hat als ehemaliges staatlichesMonopol noch jede Menge Beschäftigte mit Arbeitsver-trägen, die für einen Arbeitgeber unter den heutigen Be-dingungen kaum zu bezahlen sind. Die Wettbewerberwie TNT und PIN tendieren auch weiterhin dazu, gering-fügige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Teilweiseliegt der Anteil an Beschäftigten, die auf ergänzende So-zialtransfers angewiesen sind, in diesen Unternehmenbei über 60 Prozent. Laut eigener Auskunft sind die Un-ternehmen nicht in der Lage, höhere Löhne zu zahlen.Ein Anlauf, dieses Ungleichgewicht in den Griff zubekommen, ist jetzt gescheitert: Nach zähen Verhand-lungen wurde die Postbranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Ein Postmindestlohntrat im Januar 2008 in Kraft. Der ArbeitgeberverbandPostdienste und die Gewerkschaft Verdi hatten ihn aus-gehandelt. Der erzielte Kompromiss liegt zwischen8,00 Euro und 9,80 Euro pro Stunde für Briefzusteller.Vielfach wurde der Post AG vorgeworfen, mithilfe desausgehandelten Mindestlohns einen Verdrängungswett-bewerb gegen mittelständische und kleine Unternehmenzu führen. Von der Hand weisen kann man das nicht,weil es unter solchen Umständen schwer sein dürfte, ineinem lohnintensiven Bereich Strukturen aufzubauen.Das Bundesministerium für Arbeit hatte diesen Mindest-lohn – damals noch unter SPD-Führung – mit einer Ver-ordnung schlussendlich für die gesamte Branche für all-gemeinverbindlich erklärt. Die Konkurrenten derDeutschen Post AG klagten gegen diesen Tarifvertrag.Die klagenden Arbeitgeber erbringen mit den von ih-nen beschäftigten Zustellern Briefdienstleistungen. Siesind Mitglied in einem im September 2007 gegründetenArbeitgeberverband. Dieser und der klagende Arbeitge-berverband haben jeweils im Dezember 2007 mit derbeigeladenen Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zu-stelldienste einen Tarifvertrag für das Gebiet der Be-klagten abgeschlossen. Der darin vereinbarte Brutto-mindestlohn liegt unter den in der streitigen Verordnungbestimmten Beträgen.Ende Januar dieses Jahres ist nun der vereinbarteMindestlohn in der Postbranche vom Bundesverwal-tungsgericht für rechtswidrig erklärt worden. Allerdingsbegründet das Bundesverwaltungsgericht diese Ent-scheidung lediglich mit Verfahrensfehlern. Den Konkur-renten der Deutschen Post AG sei nicht ausreichend Ge-legenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme gegebenww2awlbDqbL2WwfdduriiGmsismbgvrgkdzZfddnifaUPHgWrFiZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5769
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che branchenspezifische Mindestlohn für diese Negativ-entwicklung verantwortlich ist. Daraus hatte die FDPschon in der letzten Legislaturperiode die Forderungabgeleitet, sämtliche sozialen Standards und die Garan-tie der branchenüblichen Arbeitsbedingungen aus demPostgesetz zu streichen. Wir sind gespannt, ob sich dieseForderungen bei der im Bundeswirtschaftsministeriumnoch für dieses Jahr angekündigten Änderung des Post-gesetzes in der Koalition durchsetzen lassen.Die Fakten sprechen eine klare Sprache: Die Löhnebei den Wettbewerbern der Deutschen Post AG liegennach der bisher einzigen veröffentlichten Vollerhebungder Arbeitsbedingungen durch die Bundesnetzagenturaus dem Jahre 2007 um mehr als ein Drittel unter denendes Exmonopolisten. Wettbewerber, CDU/CSU und FDPwurden nicht müde, dies als notwendige Markteintritts-chance zu verteidigen, da es keine anderen Möglichkei-ten gebe, in einen wirksamen Wettbewerb zur DPAGüberhaupt einzutreten.Die SPD hat in der Großen Koalition durchgesetzt,durch einen branchenspezifischen Mindestlohn von8,40 Euro in den alten und 8 Euro in den neuen Bundes-ländern sowie von 9,80 Euro bzw. 9 Euro für Briefzustel-ler dieses Lohndumping deutlich einzuschränken, nach-dem die Bundesnetzagentur fast 10 Jahre lang darinversagt hatte, die verbindlichen Lizenzauflagen desPostgesetzes, die branchenüblichen Arbeitsbedingungennicht wesentlich zu unterschreiten, auch wirksam durch-zusetzen.Mit wenigen Ausnahmen wurde der Mindestlohn al-lerdings nie befolgt, weil er von Anfang an vor den Ver-waltungsgerichten angefochten wurde und deshalbSanktionen nicht ergriffen wurden.Mit unterschiedlichen, aber sehr kreativen Begrün-dungen hoben die Verwaltungsgerichte in drei Instanzenden Mindestlohn im Postsektor auf, in letzter Instanz dasBundesverwaltungsgericht wegen angeblicher Formfeh-ler bei der seinerzeitigen Verordnung durch das Bundes-arbeitsministerium, weil das Beteiligungsverfahren nichteingehalten worden sei. Geklagt hatten Arbeitgeber desArbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienstee. V., AGV-NBZ, und des Bundesverbandes der Kurier-Express-Post-Dienste, BdKEP, die jeweils mit der Ge-werkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste, GNBZ,einen Tarifvertrag über einen wesentlich niedrigerenMindestlohn vereinbart hatten. Während das Urteil desBundesverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2010 gegenden Post-Mindestlohn allergrößte Aufmerksamkeit fand,blieb eine Mitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom15. April 2010 bezeichnenderweise weitgehend unbeach-tet, die rechtskräftig feststellt, „dass die GNBZ keine ta-riffähige Gewerkschaft ist“ und bei Abschluss ihrer so-genannten Tarifverträge mit dem AGV-NBZ und demBdKEP im Dezember 2007 „auch keine tariffähige Ge-werkschaft war.“In der Folge des Urteils des Bundesverwaltungsge-richts aber senkte zum Beispiel die Berliner PIN AG alseines der wenigen Unternehmen, die den Mindestlohnzwischenzeitlich angewandt hatten, ihre Stundenlöhnevon 9,80 Euro um rund 1,50 Euro wieder ab. Wer von sowrzmgdZMdVbthgdkShmvtSMcwwmcrztdnbmvstnosfdaxasPqBbsZu Protokoll ge
hendeckendem Outsourcing.Pseudogewerkschaften wie die GNBZ, der rechts-irksam der Charakter als Gewerkschaft abgesprochenurde, und Arbeitgeberverbände, die offenbar für nie-anden sprechen, bringen jeden Versuch, zu einem Flä-hentarifvertrag zu kommen, zum Scheitern.Deshalb würde uns interessieren, ob die Bundesregie-ung bereit ist, ihre durchaus gegebenen Möglichkeitenu nutzen, den Mindestlohn neu zu verordnen. Mindes-ens aber sollte sie für eine rechtskonforme Anwendunger Sozialklausel aus dem Postgesetz durch die Bundes-etzagentur sorgen, die ungeachtet der Mindestlohnde-atte rechtswirksam ist.Der Problemdruck nimmt zu: Immer mehr Unterneh-en und öffentliche Auftraggeber versuchen, beim Post-ersand Kosten zu sparen.Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist derzeit um-tritten, ob dank des Fehlens einer praktisch angewand-en Lohnnorm – sei es nach Postgesetz; diese bestehtach Recht und Gesetz, wird aber nicht durchgesetzt,der nach AEntG, die die Bundesregierung noch durch-etzen – es zulässig oder gar erforderlich ist, bei der öf-entlichen Vergabe von postalischen Dienstleistungenie Einhaltung von Lohnstandards zu verlangen oderndere soziale Belange zu berücksichtigen. In der Pra-is führt das dazu, dass Kommunen oder die Bundes-gentur für Arbeit Aufträge für Postdienstleistungen anolche „wirtschaftlich arbeitenden“ – sprich: billigen –ostdienstleister vergeben, die Lohndumping am konse-uentesten durchsetzen; anschließend kommen dann dieeschäftigten dieser Billiganbieter zum Jobcenter undeantragen die Aufstockung ihres Dumpinglohnes, weilie von ihrer Arbeit nicht leben können. Diese Fälle zei-
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Klaus Barthelgebene Reden
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gen auf, wie absurd die Auswirkungen der Untätigkeitder Bundesregierung und oberster Bundesbehördensind. Es handelt sich um nichts anderes als um die Sub-vention von Ausbeutung zulasten der Steuerzahler undletztlich aller Beschäftigten im Postsektor.Wir sind auch sehr gespannt darauf, wie die Bundes-regierung sicherstellen will, dass das Postgesetz auchfür Subunternehmen der Branche, die sogenannten Er-füllungsgehilfen, gilt. Oder sollen diese vor allem Erfül-lungsgehilfen für Lohndrückerei im Namen des Wettbe-werbs sein, weil sie außerhalb jeglicher Kontrolle tätigsind?Zwar ist mittlerweile rechtlich eindeutig geklärt – Ur-teil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nord-rhein-Westfalen vom 5. Oktober 2009 zur Auskunftsan-ordnung der Bundesnetzagentur –, dass auch dieErfüllungsgehilfen an die Lizenzauflagen des Postgeset-zes gebunden sind, also beispielsweise an das Postge-heimnis und an die branchenüblichen Arbeitsbedingun-gen. Nach unseren Erkenntnissen geht aber bisherniemand – auch nicht die eindeutig zuständige Bundes-netzagentur – von Amts wegen der Frage nach, ob undinwieweit die Subunternehmer im Postsektor diese Auf-lagen einhalten. Und dies, obwohl die weitaus überwie-gende Mehrheit aller Lizenznehmer mit Erfüllungsgehil-fen arbeitet – viele von ihnen sogar ausschließlich.Fragen über Fragen also, hinter denen sich eine bit-tere Realität verbirgt. Wer die Augen davor verschließt,trägt die Verantwortung. Deshalb unsere dringende Auf-forderung an die Bundesregierung: Antworten Sie schnell,und handeln Sie unverzüglich! Im September sprechenwir uns wieder.
Gegenstand der heutigen Beratung ist die Große An-frage der Fraktion der SPD zur sogenannten Sozialklau-sel im Postgesetz, die die Erteilung einer Lizenz an dievom Lizenznehmer gewährten Arbeitsbedingungenknüpft.Mehr als zwei Jahre nach dem Wegfall der Exklusiv-lizenz für die Deutsche Post AG zur Beförderung be-stimmter Briefsendungen müssen wir feststellen, dassauf dem deutschen Postmarkt kein echter Wettbewerbherrscht. Der Markt ist im Postbereich nach wie vorstark reguliert. Das gilt insbesondere hinsichtlich derangesprochenen Lizenzpflicht. Es verwundert deshalbnicht, dass der Marktanteil der Wettbewerber innerhalbdes lizenzpflichtigen Bereichs zurückgegangen ist undsich die Marktdominanz der Deutschen Post AG ver-stärkt hat.Man muss sich dann entscheiden: Will man das Mo-nopol der Deutschen Post stärken oder will man Wettbe-werb ausbauen? Wenn man sich mit dem Auslaufen derbefristeten gesetzlichen Exklusivlizenz nach § 51 desPostgesetzes dazu entschieden hat, den Postmarkt demWettbewerb zu öffnen, dann muss man das allerdings inder Folge auch konsequent tun.Dies hat die christlich-liberale Koalition begonnen,indem wir die Umsatzsteuerbefreiung der DeutschenPPbddBfsdPedVhgwB9dnddrnsmlvbtngamdwDAhBdpcfmudgIdglgZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5771
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Beschäftigten der Post so weit wie möglich schützen undihre Arbeitsbedingungen perfektionieren kann, kam eineGruppe nie vor: die Arbeitslosen. Leider müssen wir Ih-nen das immer wieder vorwerfen: Sie vertreten aus-schließlich die Beschäftigten, vergessen dabei aber,Konzepte zur Verringerung von Arbeitslosigkeit vorzule-gen. Schlimmer noch – Ihre Forderungen würden beiUmsetzung die bestehende Arbeitslosigkeit eher nochsteigern.Der – für rechtswidrig erklärte – Mindestlohn fürPostdienstleistungen hat schon wenige Wochen nachseiner Einführung zahlreiche Unternehmen in die Insol-venz getrieben und zum Verlust von rund 10 000 Arbeits-plätzen bei den Konkurrenten der Deutschen Post AGgeführt. Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, aber auch,um Menschen in Deutschland Chancen auf dem erstenArbeitsmarkt zu bieten, sprechen wir uns daher ganzklar gegen einen Mindestlohn für Postdienstleistungenaus. Sollte seitens der Post ein neuer Antrag für einenMindestlohn gestellt werden, gilt das in der Koalitionverabredete Verfahren: Einstimmigkeit im Tarifaus-schuss und einvernehmliche Regelung im Kabinett.
Es ist schon ein wenig ungewöhnlich, dass wir eineGroße Anfrage debattieren, ohne dass die Antworten derBundesregierung überhaupt vorliegen. Dass die SPD esgar nicht abwarten kann, die Debatte zu führen, dürftevor allem in ihrer Oppositionsrolle begründet sein. Esist schließlich nicht auszuschließen, dass die eine oderandere Antwort auch ein negatives Schlaglicht auf somanchen problematischen Aspekt aus eigener Regie-rungstätigkeit geworfen hätte. Da ist es doch besser,man befasst sich erst gar nicht mit den Antworten, son-dern geriert sich lieber nur als große Kritikerin der un-gebremsten Postliberalisierung und als Kämpferingegen Sozialdumping und den Niedriglohnsektor. Wohl-gemerkt, als Kritikerin einer Politik, die man selbst jah-relang vorangetrieben hat!Ein Beispiel: In Frage 6 will die SPD-Fraktion wis-sen, ob auch die Bundesregierung davon ausgeht, dassunter „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ insbesonderedie Höhe der Löhne, die Arbeitszeit und die Dauer desJahresurlaubs zu verstehen sind. Hintergrund ist, dassdie Bundesnetzagentur laut Postgesetz verpflichtet ist,Post-unternehmen die Lizenz zu verweigern, wenn siedie wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht einhalten.Die Gewerkschaft Verdi hat bereits vor drei Jahren da-rauf hingewiesen, dass die Bundesnetzagentur das Ge-setz offenbar falsch auslegt und dass viele Postunterneh-men Lohn- und Sozialdumping betreiben.Die Linke hat deshalb bereits 2007 einen Gesetzent-wurf eingebracht, der das Postgesetz konkretisiert unddie Bundesnetzagentur klar verpflichtet hätte, Löhne,Arbeitszeit und Urlaubsanspruch bei der Zulassung vonPostunternehmen zu prüfen. Das wurde damals von al-len anderen Fraktionen abgelehnt. Damals waren Sie inder Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD! Da hätten Sie einmal die Möglichkeit gehabt,wzdaiig9lpLsudLtedhdWgrwSsmairdtsrssbnfkszagdldSNddfrZu Protokoll ge
Ich begrüße, dass die SPD diesen Anlauf startet, umie unfairen Arbeitsbedingungen auf dem Briefmarkt zuebattieren. Ich finde, die SPD stellt in ihrer Großen An-rage die richtigen Fragen, und hoffe, dass die Regie-ung diese beantwortet und dadurch wachgerüttelt wird.
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5772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Dr. Heinrich L. Kolbgebene Reden
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Beate Müller-Gemmeke
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Auch wir Grüne wollen einen fairen Wettbewerb aufdem Briefmarkt, denn der Wettbewerb darf nicht überdie Löhne ausgetragen werden. Deswegen ist ein Post-Mindestlohn unbedingt notwendig, und wir fordern dieRegierung auf, endlich einen neuen Anlauf zu unterneh-men, um eine neue Post-Mindestlohnverordnung inKraft zu setzen.Uns ist bewusst, dass der Konkurrenzkampf auf demBriefmarkt hart ist, aber diese Situation darf kein Grunddafür sein, dass die Geschäftsmodelle bei Briefdienst-leistungen primär auf niedrigen Löhnen aufbauen. Esbesteht die Gefahr, dass damit die Arbeitsbedingungeneiner ganzen Branche deutlich verschlechtert werden.Es muss verhindert werden, dass am Ende auch viele Be-schäftigte der Deutschen Post AG auf ergänzendesArbeitslosengeld II angewiesen sind oder Briefdienst-leistungen primär nur noch von Beschäftigten im Neben-job erbracht werden.Ich bleibe dabei: Ein Mindestlohn ist immer sinnvollund vor allem notwendig. Der Punkt ist doch, dass manvon seiner Arbeit auch leben können muss. Ein Wettlaufum die niedrigsten Löhne zulasten der Beschäftigten undschlussendlich auch auf Kosten des Staates durch auf-stockende Transferleistungen kann nicht hingenommenwerden. Aber genau in diese Richtung entwickelt sichder Briefmarkt, denn viele Anbieter hatten nach dem Ur-teil des Bundesverwaltungsgerichts drastische Lohnsen-kungen angekündigt. Als Konsequenz muss die Politikihre Schutzfunktion für Beschäftigte ernst nehmen –Wettbewerb braucht soziale Leitplanken.Ich fordere die Bundesregierung auf, zügig eine neuePost-Mindestlohnverordnung zu erlassen, mit der faireArbeitsbedingungen im Hinblick auf Löhne, Urlaubsan-sprüche und Arbeitszeit garantiert werden. Die FDPmuss endlich ihre permanente Blockadehaltung bei Min-destlöhnen aufgeben und endlich auch die Beschäftigtenmit niedrigen Einkommen in den Mittelpunkt stellen.Allerdings bringt selbst der beste Mindestlohn nichts,wenn er nicht kontrolliert wird und sich die Unterneh-men nicht dran halten. Zu einer Post-Mindestlohnver-ordnung gehört daher unbedingt auch die Aufstockungder Kontrolleure beim Zoll. Schon heute ist offensichtlich,dass die Kontrolle der acht ins Arbeitnehmer-Entsende-gesetz aufgenommenen Branchen nicht gewährleistetwerden kann. Der Pflege-Mindestlohn, der am 1. Augustin Kraft tritt, wird die Kontrolleure – bei gegebener Per-sonalausstattung – zweifellos überfordern.Natürlich ist auch die Bundesnetzagentur gefragt, dieEinhaltung der wesentlichen Arbeitsbedingungen in derBranche zu überprüfen, bevor eine Lizenz erteilt wird.Sie hat nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 Postgesetz den Unterneh-men unverzüglich die Lizenz zu versagen, wenn die we-sentlichen Arbeitsbedingungen erheblich unterschrittenwerden. Insofern sind die Fragen in der Großen Anfrageder SPD nach der Kontrolle der Arbeitsbedingungendurch die Bundesnetzagentur absolut berechtigt undnotwendig.Ich appelliere an die Regierung – setzen Sie sich end-lich mit der Situation auf dem Briefmarkt auseinander!HdndaBdzBAKtRDlshzgBgnegtgemvdsGjs
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schüssen von dem Ziel geprägt waren, zu einvernehmli-
chen Ergebnissen zu kommen.
Bei aller Kritik, die die Politik oft sehr pauschal bei
allen denkbar strittigen Themen trifft, muss an dieser
Stelle auch einmal betont werden, dass die Gemeinsam-
keit aller Demokraten bei der Festlegung auch der par-
lamentarischen Spielregeln hier aufs Beste funktioniert
hat.
Die große Palette der notwendigen Änderungen – ob
bei den plenarersetzenden Möglichkeiten des Europa-
ausschusses, ob bei der Subsidiaritätsrüge oder Subsi-
diaritätsklage, ob bei Fragen zur Handhabung der Pro-
zessführung beim Europäischen Gerichtshof –, all dies
erforderte viel unterstützende Zuarbeit durch das Sekre-
tariat des Geschäftsordnungsausschusses. Das, was die-
ses Sekretariat angesichts des Umfangs der Geschäfts-
ordnungsänderungen geleistet hat, übersteigt das sonst
Übliche bei weitem. Deshalb sei an dieser Stelle ein gro-
ßer Dank an Herrn Dr. Paschmanns und seine Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter übermittelt. Sie haben uns Par-
lamentariern sehr geholfen.
Die Europäische Union, mehr noch die europäische
Politik, steht immer wieder auch in der Kritik der Bürge-
rinnen und Bürger. Trotzdem ist festzuhalten: Die Euro-
päische Union und ihre Entwicklung in den letzten Jah-
ren ist im Empfinden der Menschen, beispielsweise auch
in der Lebensweise und Lebenswirklichkeit der jungen
Leute, zu einer nicht mehr wegzudenkenden Selbstver-
ständlichkeit geworden – ein wirklicher Glücksfall unse-
rer gemeinsamen europäischen Geschichte.
Die europäische Politik muss vor allem freilich im-
mer auch die Menschen mitnehmen. Der Lissabonner
Vertrag und die darin verankerte Subsidiarität mit der
gestärkten Mitwirkung der nationalen Parlamente leis-
tet dazu einen wesentlichen Beitrag.
Diese Möglichkeiten des Lissabonner Vertrags müs-
sen wir nun in der parlamentarischen Praxis nutzen.
Das geht aber nur, wenn wir auch arbeitstechnisch, ver-
fahrensmäßig, entsprechend gut gerüstet sind. In der
Neufassung unserer Geschäftsordnung standen daher
diese Fragen im Mittelpunkt. Wir sind dabei geblieben:
Einerseits bleiben die jeweiligen Fachausschüsse bei
den verschiedenen Themen federführend, jedoch erhält
der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union entsprechend der Verfassung und den Be-
gleitgesetzen auch plenarersetzende Befugnisse.
Zwar können die Entscheidungen im Bereich der ge-
meinsamen Sicherheits- und Außenpolitik und beim so-
genannten Notbremsemechanismus an den EU-Aus-
schuss delegiert werden. Wir haben jedoch in den
Beratungen letztlich von dieser Möglichkeit ganz be-
wusst nicht Gebrauch gemacht. Es steht doch gerade
hier das gesamte Parlament in einer besonderen Verant-
wortung, wie sie etwa auch im Parlamentsbeteiligungs-
gesetz zum Ausdruck kommt.
Neu in die Geschäftsordnung aufgenommen wurden
Bestimmungen zur Subsidiaritätsklage und Subsidiari-
tätsrüge. Mit der Subsidiaritätsrüge kann der Bundestag
binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Entwurfs
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5774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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frühzeitig und fortlaufend eigene Vorschläge einge-bracht. Wir begrüßen das nun vorliegende Ergebnis.Mit der Novellierung wird sowohl der deutlichgestärkten Rolle des Deutschen Bundestages Rechnunggetragen als auch der verantwortungsvollen und selbst-bewussten Ausübung seiner Rechte. Wir haben präziseRegelungen formuliert, mit denen unser Recht auf Infor-mation, unsere Beteiligung an europäischen Rechtset-zungsvorhaben sowie unsere Möglichkeit, Stellungnah-men abzugeben, in unserer täglichen Parlamentspraxisumfassend verwirklicht und gut umgesetzt werden.Besonders hervorheben möchte ich die Subsidiari-tätsprüfung. Hier haben die nationalen Parlamente eineneue, besondere Aufgabe im Verfahren der europäischenGesetzgebung. Die nationalen Parlamente werden damitzum Akteur auf der europäischen Ebene.Im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung können die na-tionalen Parlamente ihre Bedenken frühzeitig vortra-gen, was sogar dazu führen kann, dass Vorschläge füreuropäische Rechtsetzung überarbeitet werden müssen.Diese starke Stellung, die wir als Deutscher Bundestagdamit erhalten haben, müssen wir nutzen und wirksameinsetzen. Dafür benötigen wir die geeigneten Verfahrender internen Organisation unserer Arbeit und unsererAbläufe, die wir mit der geänderten Geschäftsordnungformulieren. Diese Änderungen tragen dazu bei, dasswir unsere Rechte wirksam wahrnehmen und dass da-rüber hinaus Europa in der täglichen Arbeit des Deut-schen Bundestages eine größere Rolle einnimmt. Dasbegrüße ich ganz ausdrücklich.Bezogen auf die Ausschüsse gilt dies nicht nur für denEuropa-Ausschuss, sondern auch und gerade für dieFachausschüsse. Es ist richtig, dass wir uns entschiedenhaben, dass die Fachausschüsse federführend bei derSubsidiaritätsprüfung sind. Sie sind der richtige Ort, umaus fachpolitischer Sicht die Kriterien der Subsidiaritätzu prüfen.Diese gestiegene Bedeutung europäischer Gesetzge-bung spiegelt sich in der hervorgehobenen Stellung desAusschusses für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion wider, die wir in den Änderungen der Geschäfts-ordnung formuliert haben. Deshalb freue ich mich, dassder Vorschlag der SPD aufgegriffen wurde und wir unsdarauf verständigen konnten, dass im Rahmen der Sub-sidiaritätsprüfung, wenn beabsichtigt ist, die Verletzungdes Grundsatzes der Subsidiarität zu rügen, der Europa-Ausschuss unverzüglich zu informieren und ihm zu-nächst Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Dassichert den europäischen Blick auf die Subsidiaritäts-prüfung, der richtig und wichtig ist.Auch die Zuständigkeit des Europa-Ausschusses fürdie Subsidiaritätsklage ist eine richtige Entscheidung.Hinweisen möchte ich bei dieser Gelegenheit darauf,dass wir bei der Subsidiaritätsprüfung die Frist von achtWochen einhalten müssen. Das stellt für uns und unsereAbläufe im Deutschen Bundestag durchaus eine Heraus-forderung dar. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir in unse-rer geänderten Geschäftsordnung darauf hinweisen,dass die Ausschüsse bei ihrer Beschlussfassung über dieSsgdadstddvfsdkgSrhdtNvdpsussgLfNdVdbMwVssddtPSbgsutZGZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5775
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ren. Über ein halbes Jahr lang haben wir gute Debattenim Ausschuss geführt, und ich bin froh, dass wir unserenZeitplan einhalten konnten, die Beschlussempfehlungund den Bericht zur Änderung der Geschäftsordnungdes Deutschen Bundestages im Hinblick auf den Vertragvon Lissabon dem Plenum noch vor der Sommerpausevorzulegen. Für die interessanten und konstruktivenDiskussionen möchte ich mich bei den Kollegen ebensobedanken wie beim Ausschusssekretariat für die hervor-ragende Vorbereitung und Begleitung des Diskussions-prozesses.Durch das Integrationsverantwortungsgesetz sindneue Rechte und Aufgaben des Bundestages in Bezug aufdie Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung fest-geschrieben worden. Das jeweilige Verfahren hier imBundestag ist bislang noch nicht geregelt. Dies gilt be-sonders für die Erhebung der Subsidiaritätsrüge und derSubsidiaritätsklage. Außerdem war die Frage zu klären,welche Aufgaben der Bundestag im Plenum behandeltund welche durch die Ausschüsse, insbesondere denAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion, erledigt werden können.Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ein sehrausgewogenes Regelwerk geschaffen haben, das sowohldie Rolle des Plenums als auch die Rolle der Ausschüsseberücksichtigt. Auch im Hinblick auf die Wahrung derRechte der einzelnen Fraktionen sind wir zu einem gutenErgebnis gekommen. Lassen Sie mich auf drei Aspektegenauer eingehen:Erstens. Es ist richtig, dass ein Teil der Aufgaben ple-narersetzend an den EU-Ausschuss delegiert wird. Ge-rade im Hinblick auf die Bedeutung und die Vielfalt derZuständigkeiten des europäischen Gesetzgebers ist esunverzichtbar, dass der Bundestag in Angelegenheitender Europäischen Union jederzeit – auch kurzfristig –handlungsfähig ist. Dieser Gedanke liegt auch Art. 45Grundgesetz zugrunde. Wichtig ist aber, dass dieseÜbertragung nicht ausnahmslos gilt. Dies ist selbstver-ständlich nur da möglich, wo die Aufgabenwahrneh-mung nach dem Integrationsverantwortungsgesetz nichtdurch Gesetz erfolgt. Denn ein Gesetz müssen wir imPlenum verabschieden.Außerdem haben wir Ausnahmen im Bereich derGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und beimsogenannten Notbremsemechanismus nach § 9 Inte-grationsverantwortungsgesetz festgeschrieben. DerNotbremsemechanismus ermöglicht es dem DeutschenBundestag, die Befassung des Europäischen Rates miteinem Thema zu fordern, und ist auf besonders sensiblePolitikfelder wie das Strafrecht und die soziale Siche-rung begrenzt. Ein solch scharfes Schwert sollte demPlenum vorbehalten bleiben. In Fällen der Eilbedürftig-keit ist es weiterhin möglich, im Einzelfall den Aus-schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionmit der Wahrnehmung dieses Rechts zu betrauen. Nichtzuletzt ist es unverzichtbar, dass der Bundestag übereine Rückholbefugnis für seine Entscheidung gegenüberdem EU-Ausschuss verfügt.Die Position der Fachausschüsse wird dadurch ge-stärkt, dass eine stillschweigende Wahrnehmung derRssrsePFBtzSkDbsIEkimdabzAEgGKsmdmatdmbnzwdnfseitEdaZu Protokoll ge
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5776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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dem Bundestag als Partei der Subsidiaritätsklage zuübertragen.Mit dem Ergebnis der Arbeit im 1. Ausschuss könnenwir sehr zufrieden sein. Nach Ihrer Zustimmung kannmit diesen Änderungen auch in der parlamentarischenPraxis gearbeitet werden, damit wir die Rechte desDeutschen Bundestages aus den Begleitgesetzen zumVertrag von Lissabon hier im Hause lebendig und um-fangreich wahrnehmen können. Ich freue mich, dass wirheute dafür die Grundlage in unserer Geschäftsordnunglegen.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum
Vertrag von Lissabon sind die Kontroll- und Mitent-
scheidungsrechte des Bundestags in EU-Angelegenhei-
ten bestätigt und gestärkt worden. Das ist auch Ergebnis
unserer kritischen Politik und unserer Verfassungsklage.
Wir sehen das Urteil selbst, die auf seiner Grundlage
neu geschaffenen Begleitgesetze und die Änderung der
Geschäftsordnung insgesamt als Erfolg unserer Politik.
Die anderen Fraktionen hatten weniger Rechte des Bun-
destags gewollt oder sich doch damit zufrieden gegeben.
Wenn heute wesentliche Änderungen der Geschäfts-
ordnung beschlossen werden, dient das nach den Be-
gleitgesetzen der Umsetzung des Lissabon-Urteils. Wir
werden den Vorschlägen des Geschäftsordnungsaus-
schusses zustimmen. Über ein Jahr nach der Entschei-
dung des Verfassungsgerichts ist es an der Zeit, ihre
Inhalte in die Regeln über die tagtägliche parlamentari-
sche Praxis umzusetzen. Daran wollen wir durch unser
Abstimmungsverhalten keinen Zweifel aufkommen las-
sen.
Unsere Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass
wir die zur Abstimmung stehende Vorlage für ideal, für
nicht weiter zu verbessern halten. Wir hatten ja selbst
Änderungsanträge in die Ausschussberatungen einge-
bracht, die leider nicht berücksichtigt wurden. Bedenken
gegen einzelne der vorgeschlagenen Regelungen beste-
hen fort. Wenn wir der Vorlage gleichwohl zustimmen,
geschieht das in der sicheren Voraussicht, dass vor uns
eine Phase der praktischen Erprobung der neuen Rege-
lungen liegt. Dass sich alle Regelungen in der Praxis
voll bewähren werden, glauben wir nicht. Wir sind des-
halb sicher, dass wir noch vor Ende dieser Wahlperiode
erneute Änderungen vornehmen werden – als Konse-
quenz aus den zu erwartenden praktischen Erfahrungen.
Und ich denke, das wird dann auch einvernehmlich ge-
schehen.
Sicher werden wir das Verhältnis von federführenden
Ausschüssen und Europaausschuss im Zusammenhang
mit der Erhebung von Subsidiaritätsbeschwerde kritisch
überprüfen müssen. Dabei geht es zum einen um die
Achtwochenfrist des Lissabon-Vertrages und ihre opti-
male Nutzung durch Ausschüsse, Fraktionen und Ple-
num. Dabei ist immer auch zu bedenken, dass in dieser
Frist auch eine Koordinierung mit anderen mitglied-
staatlichen Parlamenten erfolgen muss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5777
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5778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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genheiten der Europäischen Union eine Beschlussemp-fehlung und einen Bericht verabschiedet, der die durchden Lissaboner Vertrag notwendigen Änderungen derGeschäftsordnung des Deutschen Bundestages vor-nimmt.Die nun gefundenen Lösungen werden den Bundestagein gutes Stück europafähiger machen. Auf der anderenSeite hätten wir uns noch eine weitere Stärkung und Klar-heit der Verfahrensregelungen insbesondere hinsichtlichder Erhebung der Subsidiaritätsrüge gewünscht.Die Regelung in § 93 a Abs. 1 Satz 2 GO-BT zur Er-hebung der Subsidiaritätsrüge reicht unseres Erachtensnicht aus. Dort wird Folgendes geregelt: Wird beabsich-tigt, insoweit eine Verletzung zu rügen, ist unverzüglichder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-schen Union zu informieren, um diesem zunächst Gele-genheit zur Stellungnahme zu geben.Es bleibt aber unklar, was mit „wird beabsichtigt“genau gemeint ist. Ist hierfür bereits die Absicht eineseinzelnen Abgeordneten ausreichend, oder muss eineFraktion beabsichtigten oder der federführende Aus-schuss? Es bleibt auch im Unklaren, inwieweit sichdiese Absicht bereits manifestiert haben muss. Wird erstbeabsichtigt, wenn bereits ein Antragstext schwarz aufweiß vorliegt, oder reicht es bereits, kundzutun, eine sol-che Rüge erheben zu wollen? Leider wurde hier dieMöglichkeit verpasst, deutlich zu machen, zu welchemZeitpunkt konkret der Ausschuss für die Angelegenhei-ten der Europäischen Union zu befassen ist und welchenKonkretisierungsgrad die Rüge zu diesem Zeitpunkt ha-ben muss.Die Grünen haben daher folgenden Änderungsantrageingebracht:Wird ein Antrag auf Erhebung der Subsidiaritäts-rüge eingereicht, so ist dieser dem Ausschuss fürdie Angelegenheiten der Europäischen Union un-verzüglich zuzuleiten, um ihm Gelegenheit zur Stel-lungnahme zu geben.Hierdurch würde die vorstehend dargestellte Unsi-cherheit behoben, und es würde dem Bundestag erleich-tert, die knapp bemessene Frist von acht Wochen zur Er-hebung der Subsidiaritätsrüge einzuhalten.Einen zweiten, nicht weniger wichtigen Punkt betrifftunser zweiter Änderungsantrag:Anträge auf Erhebung der Subsidiaritätsrüge sindauf Antrag einer Fraktion unverzüglich auf die Ta-gesordnung der damit befassten Ausschüsse zu set-zen und zu behandeln.Hiermit wollen wir sicherstellen, dass Anträge aufErhebung der Subsidiaritätsrüge innerhalb der achtwö-chigen Frist auch tatsächlich behandelt werden. Es gehtdabei keinesfalls um die Schaffung eines weiteren Min-derheitenrechts oder gar die Möglichkeit, die Erhebungder Subsidiaritätsrüge zu erzwingen, sondern lediglichdarum, dass sich die nach § 93 a Abs. 1 Satz 1 der Ge-schäftsordnung des Deutschen Bundestages zuständigenAusschüsse auch mit einem Antrag auf Erhebung derSsdSsMdngswrtsnhTdtshssInsWtasDdwuJK
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Uns liegt ein Antrag der Fraktion Die Linke vor mit
dem Anliegen, die Bundesregierung möge vollumfäng-
lich Kostenersatz leisten. Dieser Antrag ist typisch für
diese Fraktion; denn er fragt nicht danach, ob die Kos-
ten auch notwendigerweise entstehen. Das Problem,
welches hier angesprochen wird, verdient es allerdings
schon, behandelt zu werden. Es wurde durch die Bun-
desregierung am 4. März 2009 die Frequenzbereichszu-
weisungsplanverordnung verändert. Dies geschah als
Anpassung an die Beschlüsse der Weltfunkkonferenz
2007 der Internationalen Telekommunikationsunion.
Mit der Verordnung wird unter anderem der bisher
dem Rundfunkdienst zugewiesene Frequenzbereich
790 bis 862 Megahertz dem Mobilfunkdienst zugewie-
sen. Die sogenannte digitale Dividende, nämlich der Zu-
gewinn an Nutzungsmöglichkeiten des genannten Fre-
quenzspektrums aus der Umstellung von analogem auf
digitales terrestrisches Fernsehen für Internetbreitband-
versorgung zu nutzen, wollen wir als Koalitionsfraktio-
nen vorantreiben.
Für die Entwicklung des ganzen Landes brauchen wir
schnellste Internetverbindungen im ganzen Land. Dies
können wir kurzfristig nur durch Mobilfunk erreichen.
Gerade in den letzten Wochen habe ich eine Kampagne
mit diesem Inhalt in Thüringen unterstützt. Die kommu-
nalen Vertreter, die Privatbürger und die regionale Wirt-
schaft erwarten, dass der ländliche Raum Perspektiven
behält. Ohne das Angebot schneller Datenverbindungen
im ländlichen Raum werden sich demografische Tenden-
zen noch schneller durch Abwanderung verschärfen.
Solche Datenverbindungen lassen sich durch die Fre-
quenzen herstellen. Die genannten Frequenzen werden
durch Allgemeinzuteilung aktuell für Anwendungen der
drahtlosen Produktionstechnik – sogenanntes Professio-
nal Wireless Microphone System abgekürzt PWMS – auf
sekundärer Basis mit genutzt, zum Beispiel bei drahtlo-
sen Mikrofonen im Veranstaltungsbereich und bei der
Filmproduktion.
Allgemeinzuteilung – das war den Nutzern bekannt –
ist eben nicht die Zusicherung störungsfreien Betriebs,
wie es aus dem Antrag der Linken zu entnehmen ist.
Es ist davon auszugehen, dass die bei der Versteige-
rung erfolgreichen Unternehmen kurzfristig mit dem
Ausbau ihrer Funknetze beginnen werden und dadurch
der Betrieb zunehmend gestört werden könnte. Wegen
der bevorrechtigten Frequenznutzung im Mobilfunk
konnte die Allgemeinzuteilung nicht verlängert werden.
Im Hinblick auf die Frequenznutzungsbedingungen
der drahtlosen Mikrofonanwendungen gelten die bishe-
rigen Regelungen der Allgemeinzuteilung selbstver-
ständlich auch bis zu deren Ablauf am 31. Dezember
2015 weiter.
Eine Verlagerung der Nutzung in alternative Fre-
quenzbereiche ist vorbereitet. Die Bundesnetzagentur
hat – und das dürfte auch der Fraktion Die Linke be-
kannt sein – bereits Alternativfrequenzen zur Verfügung
gestellt. Diese wurden am 3. März 2010 im Amtsblatt
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Die Nutzung der Frequenzen für die flächendeckendeVersorgung ganz Deutschlands mit schnellen mobilenInternetzugängen ist ein wesentlicher Bestandteil derBreitbandstrategie der Bundesregierung, die Anfangletzten Jahres noch von der Großen Koalition verab-schiedet wurde – und zwar insbesondere auf Anregungund Drängen des damaligen Vizekanzlers Frank-WalterSteinmeier. Ohne Nutzung der digitalen Dividende kön-nen die dort genannten Ziele nicht verwirklicht werden.Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass durch dieneue Frequenznutzung auch Probleme entstehen, die eszu lösen gilt. Betroffen sind hiervon insbesondere diebisherigen Nutzer, die nun in andere Frequenzbereiche„umziehen“ müssen. Zum einen entstehen den Rund-funksendernetzbetreibern, die bislang einen Teil derersteigerten Frequenzen genutzt haben, Kosten austechnischen Ersatz- und Zusatzbeschaffungen oderUmrüstungen. Vor allem aber sind auch Kultur- und Bil-dungseinrichtungen betroffen, die den betroffenenFrequenzbereich bislang für Datendienste und Funk-mikrofone nutzen. Dabei geht es beispielsweise um Büh-nenproduktionen, Fernsehaufzeichnungen und sonstigeöffentliche Veranstaltungen in Opernhäusern, Theaternaber auch in Kirchen.Die SPD hat stets darauf gedrängt, dass für alle Be-troffenen angemessene Lösungen gefunden werden müs-sen. Wie ist insofern der Sachstand?Als es im vergangenen Jahr im Bundesrat darumging, die Frequenzbereichzuweisungsplanverordnung zuändern, um die Voraussetzungen für die Auktion zuschaffen, wurden zwischen dem Bund und den LändernVereinbarungen getroffen. Der Bund sagte zu, die Kos-ten aus notwendigen Umstellungen, die sich bis Ende2015 bei denjenigen ergeben, die die Frequenzen790 bis 862 Megahertz nutzen, in angemessener Formzu tragen. Es darf nicht sein, dass betroffene Kommu-nen, Länder oder kulturelle Einrichtungen finanziellüberfordert werden. Deshalb haben auch die SPD-ge-führten Länder auf entsprechende Zusagen des Bundesgedrängt. Zurzeit besteht aber noch große Unsicherheitdarüber, wie diese vom Bund umgesetzt werden.Ich habe deshalb bereits am 18. Juni 2010 zweischriftliche Fragen an die Bundesregierung gerichtet,um zu erfahren, wann und mit welchem Verfahren dieBundesregierung die gegenüber den Bundesländern ein-gegangene Zusage umsetzen will und mit welchen Um-stellungskosten die Bundesregierung rechnet. Leiderwaren die Antworten der Bundesregierung hierauf zumTeil unbefriedigend, insbesondere im Hinblick auf dasVerfahren und die Problematik der drahtlosen Mikro-fone.Bezüglich der Rundfunksendernetzbetreiber ist da-nach eine pauschale Erstattung der Kosten aus techni-schen Ersatz- und Zusatzbeschaffungen oder Umrüstun-gen angeboten worden. Die Erstattung sei unmittelbarnach der vollzogenen Frequenzumstellung vorgesehen.Die Feststellung und Anerkennung betriebsnotwendigerUmstellungskosten drahtloser Mikrofone erfolge – sodie Bundesregierung – in Abhängigkeit vom tatsächli-chen Ausbau der neuen Mobilfunkanwendungen bismsbDuttntdLszdddntbPzpckvMhFugbhdDSedkhzGMldgVdgTAndbwuZu Protokoll ge
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5780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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regierung fordern wir auf, die Breitbandstrategie konse-quenter als bisher umzusetzen und weiterzuentwickeln.Die anstehende Novellierung des Telekommunikations-gesetzes muss hierfür genutzt werden.Ein Teil der erzielten Versteigerungserlöse in Höhevon rund 4,4 Milliarden Euro, die in den Bundeshaus-halt fließen, sollte für den Breitbandausbau genutzt wer-den. Die bereits bestehenden Förderprogramme dürfennicht gekürzt, sondern sollten aufgestockt werden. Siemüssen jedoch noch zielgenauer als bisher ausgestaltetwerden. Bund und Länder sollten im Hinblick auf denInfrastrukturausbau abgestimmt vorgehen und zusätzli-che gesetzliche Regelungen ins Auge fassen, um einheit-liche und bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, etwafür die Verlegung von Leerrohren und den Anschluss vonGebäuden.Schließlich kann die Bundesnetzagentur durch eineinnovations- und investitionsfreundliche Regulierung,die Rechts- und Planungssicherheit ermöglicht, einenentscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die notwendi-gen zweistelligen Milliardenbeträge für den Glasfaser-ausbau auch tatsächlich investiert werden. Dazu gehörtbeispielsweise, nun zügig die Bedingungen zu klären,unter denen angesichts der hohen Kosten eine Koopera-tion von unterschiedlichen TK-Unternehmen ermöglichtwird.Sie sehen, es sind noch einige Baustellen zu bewälti-gen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlich kon-sequent zu handeln, sowohl beim Breitbandausbau alsauch zur angemessenen Entschädigung der notwendi-gen Umstellungskosten im Rahmen der digitalen Divi-dende.
Wir beschäftigen uns heute mit dem Antrag der Frak-
tion Die Linke „Kulturelle Einrichtungen vor Folge-
schäden aus der Frequenzversteigerung der digitalen
Dividende bewahren“.
Den Kulturschaffenden kommt in unserem Land eine
große, sehr wichtige Aufgabe zu. Zum einen gilt es, das
kulturelle Erbe Deutschlands zu bewahren, die Zukunft
in diesem Bereich zu gestalten und für eine maximale
Vielfalt zu sorgen.
Ein anderer wichtiger Aspekt in unserer Gesellschaft
sind die hohen Anforderungen an eine moderne Kommu-
nikation. Weder Bürgerinnen und Bürger noch Unter-
nehmen können in unserer Zeit auf schnelle Datenver-
bindungen bzw. -austausch verzichten. Hier liegt ein
hohes Wachstumspotenzial.
Der Bedarf an zusätzlichen Frequenzen für den mobi-
len Datenverkehr steigt rasant, und vonseiten der Bun-
desregierung wurde mit der Zielsetzung ihrer Breitband-
strategie dem Rechnung getragen. So wurden in diesem
Jahr vom 12. April bis zum 20. Mai 2010 unter anderem
der Frequenzbereich 790 bis 862 Megahertz versteigert.
Dies war ohne Zweifel ein wichtiger Punkt in der Wei-
terentwicklung der modernen Kommunikation.
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Dividende. Der Erlös, der durch die Versteigerung er-zielt werden konnte, beträgt insgesamt 4,38 MilliardenEuro.Dieser Sachverhalt erweckt den Anschein, dass alleBeteiligten gleichermaßen davon profitieren. Die Nutze-rinnen und Nutzer von Smartphones und anderen mobi-len Endgeräten werden in Zukunft über eine noch besse-ren Netzversorgung mit zum Teil deutlich erhöhterBandbreite verfügen, und der Bundeshaushalt kann an-sprechende Einnahmen verbuchen. Allerdings tragendie freigewordenen Frequenzen nicht dazu bei, die lei-der immer noch bestehenden weißen Flecken bei derBreitbandversorgung zu schließen.Bei näherem Hinsehen muss zudem festgestellt wer-den, dass die mit der Versteigerung verbundene Neuzu-ordnung von Frequenzen auch Folgekosten produziert.Ein Teil der versteigerten Frequenzen wurde bisher inder Kultur- und Medienlandschaft für drahtlose Mikro-fonanlagen benutzt. Diese Einrichtungen sind nun in-folge der Umwidmung dieses Frequenzbereichs gezwun-gen, ihre Anlagen umzurüsten und in manchen Fällenkomplett zu ersetzen. Konkret betroffen sind insbeson-dere Theater, Konzertsäle, Kirchen, Konferenzzentren,viele Kleinunternehmen der Veranstaltungsbranche so-wie Produzenten und Dienstleister aus der Film- undFernsehbranche.Gerade bei Theatern ist häufig ein Komplettumbauerforderlich. So rechnet beispielsweise allein das Thea-ter Erfurt infolge der Versteigerung der Mobilfunk-frequenzen mit Zusatzkosten in Höhe von etwa100 000 Euro, und auch das Nationaltheater in Weimargeht von einer ähnlichen Größenordnung aus. Vor demHintergrund dieser Kostenentwicklung hatte der Deut-sche Bühnenverein bereits einen Stopp der Versteige-rung der Frequenzen gefordert. Nach ersten Schät-zungen werden die Folgekosten für den Ersatz vonDrahtloseinheiten im Kulturbereich zwischen 2,5 Mil-liarden und 3 Milliarden Euro betragen. Verantwortlichfür die Übernahme der Kosten sind zunächst die Trägerder Einrichtungen. Bei den Theatern sind das in den al-lermeisten Fällen Kommunen und Länder, die sich, wiewir alle wissen, selbst in einer äußerst angespanntenHaushaltslage befinden. Insbesondere bei den hoch ver-schuldeten Kommunen könnten die Umrüstungskosten,die zu den regulären Betriebskosten hinzukommen,schlimmstenfalls dazu führen, dass Theater geschlossenwerden müssen. Wir haben es also auch mit einem typi-schen Beispiel dafür zu tun, wie durch Entscheidungen,die auf Bundesebene getroffen werden, Kosten für dieKommunen entstehen.Einigkeit werden wir in diesem Haus sicherlich da-rüber erzielen können, wie wichtig gerade Theater alskulturelle Einrichtungen in unseren Kommunen sind,und dass Kosten, auf deren Entstehung weder die Thea-ter noch die Kommunen Einfluss haben, nicht dazu füh-ren dürfen, dass Theater ihren Betrieb nur noch ein-geschränkt aufrechterhalten können oder sogar ge-schlossen werden müssen. Aus diesem Grunde müssenwir dafür Sorge tragen, dass die Folgekosten der Fre-qdcrtmtdhtZMZRnsegtHhlnrjivlrwddlhdRSaÄgkwfmdgzDdcaZu Protokoll ge
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5782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5783
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Mikrofone sind beim Auftritt von Bands, bei der Som-merfestansprache des Bundespräsidenten, beim Fuß-ballspiel, der Ausstellungseröffnung und dem Gottes-dienst nicht mehr wegzudenken. Diese Mikrofonemüssen alle ausgetauscht werden, weil sie vom Handy-funk gestört werden und deshalb auf eine andere Fre-quenz ausweichen müssen. Hier geht es also nicht umKleckerbeträge; hier geht es um Millionen, wenn nichtsogar Milliarden.Wir Grünen setzen uns für einen schnellen Ausbauvon Breitband im ländlichen Raum ein. Deshalb habenwir es begrüßt, dieses Ziel mit der Vergabe von Frequen-zen an den Mobilfunk zu verknüpfen. Es war sinnvollund erfolgversprechend, den Erwerb der Frequenzendurch die Auktion an einen Ausbau zu koppeln.Allerdings haben wir Grünen ein Problem damit, dasssich der Bund die Einnahmen aus der Versteigerung indie Tasche steckt und die Leidtragenden der Frequenz-umstellung allein im Regen stehen lässt. Durch dieRechtsnorm mit dem sperrigen Namen „Frequenz-bereichszuweisungsplanverordnung“ wurde zwar aufNachdruck des Bundesrates festgelegt, dass der Bundsich an der Entschädigung beteiligen muss, nicht aber inwelcher Form und welcher Höhe. Folgekosten sind nichtausreichend gedeckt.Ein Theater wie das Hamburger Schauspielhausmuss mit Kosten in Höhe von mindesten 150 000 Eurofür eine neue technische Ausrüstung rechnen. Der Bundmuss für diese Kosten aufkommen und darf sie nicht ein-fach auf die Kommunen abschieben. Denn die müsstensonst für die Ausstattung der städtischen Theater undBühnen sorgen.Auf die finanzielle Situation der Kommunen muss ichhier nicht eingehen. Aber sie sind derart ausgeblutet,dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss.Aus einem ausgewrungenen Lappen bekommt mannichts mehr raus. In der Folge können die Kulturein-richtungen die nötigen Gelder für die neue Technik nurvon den Besucherinnen und Besuchern bekommen. Dieshätte eine Erhöhung der Eintrittspreise zur Folge. Wiraber wollen nicht, dass sich nur Eliten die Eintritte inTheater und Konzerte leisten können, und dies nur, weilder Bund seiner Verantwortung nicht gerecht wird.Es ist absurd, dass all die, die ihren Platz im Ätherräumen werden, am Ende die Leidtragenden sind. DerBund hat knapp 4,4 Milliarden Euro durch die Verstei-gerung der Frequenzen eingenommen. Da ist es nicht zuviel verlangt, dass er dafür sorgt, dass durch die Umstel-lung am Ende niemand auf den Kosten sitzenbleibt. DerBund muss als Nutznießer der Versteigerung den Thea-tern, aber auch dem Rundfunk und allen anderen, dieStörungen ihrer Technik erfahren, bei der Umrüstunghelfen. Das bedeutet aber auch – das ist wichtig –, dassder Bund die Folgekosten trägt. Es nützt uns nichts,wenn der Bund zwar die Kosten für neue Sendemastenan die Rundfunksender zahlt, die elf Millionen Verbrau-cherinnen und Verbraucher, die DVB-T nutzen, mit ihrenGeräten aber keinen ungestörten Empfang mehr haben.tWgidEalssdDfvsdzWDODvIa
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Die finanzielle Not einiger Kommunen ist auch kein kul-
turspezifisches Problem.
Richtig ist, dass viele Kommunen als Folge der welt-
weiten Wirtschafts- und Finanzkrise mit besonderen
Haushaltsproblemen zu kämpfen haben. Das geht Bund
und Ländern und den meisten Staaten der Welt genauso.
Aber längst nicht alle Kommunen kürzen deshalb radi-
kal auf dem kulturellen Sektor.
Die Forderungen der PDS nach Bundesmilliarden für
den kommunalen Kulturbereich zeugt von Unkenntnis
unserer Verfassung. Nach der Anhörung kann man aber
nicht mehr von gutem Glauben sprechen. Der Antrag ist
verfassungswidrig; das sagen alle Experten. Der Bund
hat hier keine Zuständigkeit. Unsere föderale Struktur,
die die Hoheit für die Kultur in die Länder und Kommu-
nen legt, lässt keinen Spielraum für einen Nothilfefonds
des Bundes.
Ich verweise an dieser Stelle auf das Subsidiaritäts-
prinzip als politische und gesellschaftliche Maxime. Die
Länder müssen alle Anstrengungen unternehmen, um
Städte und Gemeinden beim Erhalt des kulturellen Ange-
botes zu unterstützen. Die historisch gewachsene Kul-
turhoheit der Länder hat sich bewährt. Länder und
Kommunen investieren jährlich circa 7 Milliarden Euro
in die Kulturförderung – ein europäischer Spitzenwert!
Den Freistaat Sachsen, meine Heimat, möchte ich an
dieser Stelle als Positivbeispiel besonders hervorheben:
Gesetzlich geregelt im deutschlandweit einmaligen Kul-
turraumgesetz, leisten die sächsischen Kommunen und
der Freistaat die höchsten Ausgaben für Kultur pro Ein-
wohner in ganz Deutschland, und das als Pflichtauf-
gabe!
Der Bund ist seiner Mitverantwortung zur Sicherung
der deutschen Kulturlandschaft mehr als gerecht gewor-
den. Fünfmal in Folge wurde der Kulturhaushalt des
Bundes in den letzten Jahren um insgesamt über 10 Pro-
zent erhöht. Hinzu kommen zahlreiche Maßnahmen, von
denen in besonderem Maße auch die Kultur profitiert:
das Konjunkturprogramm II in Höhe von 10 Milliarden
Euro, das Denkmalschutzsonderprogramm von Staats-
minister Bernd Neumann in Höhe von 40 Millionen
Euro, das Investitionsprogramm für städtebauliche In-
frastruktur in Höhe von 100 Millionen Euro und Sonder-
maßnahmen für die Kultur über das Weltkulturerbe-Pa-
ket in Höhe von 150 Millionen Euro. Der gerade
vorgelegte Haushaltsentwurf 2011 hält im Angesicht der
richtigen Sparanstrengungen der Bundesregierung den
Kulturhaushalt konstant. Das alles kann sich mehr als
sehen lassen, und ich erwarte, dass die Opposition das
endlich zur Kenntnis nimmt, statt die Leute aufzuhetzen.
Mit der Einsetzung der Gemeindefinanzkommission
arbeitet die christlich-liberale Koalition bereits an einem
Konzept zur langfristigen Konsolidierung der kommuna-
len Finanzen, so wie es in unserem Koalitionsvertrag
vorgesehen ist. Das kommt auch den Kulturhaushalten
der Kommunen zugute. Es ist wichtig, die kommunale
Selbstverwaltung zu stärken und Städte und Gemeinden
auf ein sichereres finanzielles Fundament zu stellen.
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5784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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„Wenn Geld für Banken da ist, muss auch Geld für dieKultur da sein“, kann ich nachvollziehen. Die Idee ist soeinfach wie verlockend: Der Bund legt einen Fonds auf,um der Kultur in den finanzschwachen Kommunen unterdie Arme zu greifen. Die Linke hat sich diesen Vorschlagzu eigen gemacht und fordert, dass der Bund circa 1 Mil-liarde Euro für ein „Soforthilfeprogramm Kultur“ be-reitstellen soll. Die Grünen wollen ein Sonderprogrammder KfW Bankengruppe „Kulturförderung“ als Über-brückungsmaßnahme für die in ihrer Existenz bedrohtenkommunalen Kultureinrichtungen. Diese Forderungensind grundsätzlich nicht verkehrt. Kurzfristig hätten wiruns als SPD eine Aufstockung der Mittel für die Kultur-stiftung des Bundes gewünscht, um kleinere Projekte inder Fläche zu unterstützen.Zusätzliche Nothilfeprogramme des Bundes für Kul-tureinrichtungen in kommunaler Trägerschaft greifenjedoch zu kurz und bergen die Gefahr von Verteilungsde-batten. Denn warum sollte es nicht auch eine Bundes-nothilfe für Jugendeinrichtungen oder Sportstätten ge-ben? Diese sind nach der oben zitierten Umfrage sogarnoch stärker von den Sparmaßnahmen betroffen als dieKultureinrichtungen.Eine Sonderlösung des Bundes für die Kultur ist derfalsche Weg. Wie es richtig geht, zeigt der Koalitionsver-trag von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen: erstenskeine Kürzungen bei den Kulturausgaben des Landesund zweitens Konsolidierungshilfen für überschuldeteKommunen, um Städte und Gemeinden wieder hand-lungsfähig zu machen. Das ist der richtige Weg. DieKommunen müssen über ausreichend Einnahmen verfü-gen, um ihren Aufgaben auch im Kulturbereich nachzu-kommen.Diesen Weg sollten wir auch im Bund einschlagen.Wir als SPD fordern als kurzfristige Maßnahme einenRettungsschirm für die Kommunen. Dieser Rettungs-schirm umfasst die kommunalen Steuerausfälle in Höhevon 1,6 Milliarden Euro, die den Kommunen durch dassogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz entstan-den sind. Ferner soll sich der Bund über zwei Jahre mitjährlich 400 Millionen Euro an den Unterbringungskos-ten beteiligen. Diese kurzfristigen Maßnahmen müssendurch mittelfristige ergänzt werden. Hier ist die Steuer-politik des Bundes in der Pflicht. Wir müssen die Kom-munen wieder in die Lage versetzen, ihren Aufgabennachzukommen. Denn nur über solide Haushalte derKommunen sichern wir auch die öffentliche Kulturför-derung und damit die kulturelle Infrastruktur der Kom-munen.Auch bei der Bundeskulturförderung besteht Hand-lungsbedarf. Die bisherige Fördersystematik – vor allemder institutionellen Förderung durch den Bund – birgteinige Unklarheiten. Abhilfe könnte die Empfehlung derEnquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ schaf-fen. Sie empfiehlt dem Bund, das sogenannte BlaubuchOst auf das gesamte Bundesgebiet auszuweiten. DasBlaubuch Ost wurde nach der Wiedervereinigung aufder Grundlage von Art. 35 des Einigungsvertrages ein-geführt. Es identifiziert Kultureinrichtungen in Ost-deutschland von nationaler Bedeutung, die in der FolgevhnOBnsdBwsdfsVDVktrtsosiGKibamrwrbddsfAhuFkPAdLnLdZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5785
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sächsische Kulturraumgesetz, das die Finanzierung derKultur regelt, kommt der Kultur dort ein besonders ho-hes Gewicht zu. Nicht umsonst gibt der Freistaat Sach-sen, verglichen mit den anderen Bundesländern, proKopf am meisten für die Kultur aus.Zum anderen hat sich in der Wirtschaftskrise die Ab-hängigkeit von Gewerbesteuereinnahmen als besondersproblematisch herausgestellt. Das zyklische Auf und Abder Einnahmen macht eine konstante Haushaltsplanungin den Städten und Gemeinden nicht einfach oder teil-weise unmöglich. Laufende Verbindlichkeiten müssenbedient werden. Da scheint es oft einfach, den Rotstiftzuerst bei der Kultur anzusetzen. Dabei ist noch keinkommunaler Haushalt durch Einsparungen in der Kul-turförderung saniert worden.Die christlich-liberale Koalition hat dieses Problemerkannt und handelt. Bundesfinanzminister WolfgangSchäuble hat bereits im Februar eine Kommission ein-gesetzt, die die Reform der kommunalen Finanzen aufden Prüfstand stellt. Dieser Ansatz ist auch richtig, stattMillionen ohne Konzept über den Städten und Gemein-den ausschütten zu wollen, wie dies die Anträge vonBündnis 90/Die Grünen und der Linken vorsehen. Mitdem Geld der Steuerzahler bzw. der Belastung künftigerGenerationen sollten wir wirklich verantwortungsbe-wusster umgehen.Wie schwierig die Neuordnung der kommunalen Fi-nanzen wird, zeigt die gemeinsame Stellungnahme desDeutschen Städtetages und des Deutschen Städte- undGemeindebundes, die an der Gewerbesteuer festhaltenmöchten. Wir nehmen diese Stellungnahmen ernst. Manwird sicherlich verschiedene Modelle diskutieren müs-sen, so zum Beispiel auch ein Kombimodell, das unter-schiedliche Einnahmequellen beinhaltet. Dazu solltenwir der Gemeindefinanzkommission aber auch die nö-tige Zeit lassen, um ein tragfähiges Konzept zu entwi-ckeln.In der Diskussion um Finanzhilfen zur Kulturförde-rung in den Städten und Gemeinden durch den Bunddürfen wir aber auch nicht vergessen, dass dies schlichtund ergreifend verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.Dies hat das öffentliche Expertengespräch zum Thema„Lage der Kulturfinanzierung in der Finanz- und Wirt-schaftskrise“, das am 24. Februar 2010 im Kultur- undMedienausschuss des Deutschen Bundestages stattfand,klar zum Ausdruck gebracht. Keiner der anwesendenExperten hat eine Rechtsgrundlage für die Aufsetzungeines Kulturnothilfefonds ausmachen können. Damithält der Antrag der Linken nicht einmal dem Grundge-setz stand. Unhaltbar ist die Forderung nach pauschalerBereitstellung von 1 Milliarde Euro. Welche Berech-nungsgrundlage dieser Zahl zugrunde liegt, lässt dieLinke offen. So kann man keine Haushaltspolitik ma-chen, zumal es um das Geld der Steuerzahlerinnen undSteuerzahler geht. Diese haben ein Anrecht zu erfahren,warum eine bestimmte Summe benötigt wird.Zuständig sind nun einmal die Länder. Diese wärenfolgerichtig auch der richtige Adressat für Forderungennach Aufstockung der Kulturförderung in den Städtenund Gemeinde, auch für Notprogramme. Der Bund kannnhArfdBfKKlkgddhtdnnKkimdoDspSBtasSdNZu Protokoll ge
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5786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Einsparungen angeblich überhaupt noch möglichseien. Dass dies keine kurzfristige, bald überwind-bare Krise ist, sondern der Kollaps des Systems öf-fentlicher Haushalte bevorstehe, belegen die Szena-rien der Experten.Genau deswegen fordert die Fraktion Die Linke dieBundesregierung auf, ein „Soforthilfeprogramm“ Kul-tur zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur zu entwi-ckeln. Wir haben das im Einzelnen immer wieder be-gründet, im Kulturausschuss, in der 1. Lesung imParlament und können es heute nur wiederholen: Kulturist das Fundament unserer Gesellschaft als demokrati-sches Gemeinwesen. Es ist Aufgabe der Politik, diesesFundament zu sichern und zu stärken. Die Auswirkun-gen der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrisebedrohen auch und gerade die Kulturstrukturen. Es isthöchste Zeit, umzusteuern und Maßnahmen zur finan-ziellen Stärkung von Ländern und Kommunen zum Er-halt der kulturellen Infrastruktur in der Krisensituationzu ergreifen. Kurzfristig geht es vor allem darum, einenkulturellen Kahlschlag in den Städten und Gemeinden inder aktuellen Haushaltslage zu verhindern.Das ist eine nationale Aufgabe, eine Pflicht des Bun-des. Die Theaterleute schreiben: „Theater muss nichtsein. Es geht auch ohne. Aber wie?“ Man könnte ergän-zen: Museen müssen nicht sein und es geht auch ohneBibliotheken, Orchester, Musikschulen, Kultureinrich-tungen aller Art. Aber wie? Verödet, verwahrlost, ver-roht wären die Städte, ob groß oder klein. Geschlossenist schnell, wieder aufgemacht wird so gut wie nie mehr.Im Art. 104 GG heißt es klipp und klar, dass der Bundim Fall von außergewöhnlichen Notsituationen, die sichder Kontrolle des Staates entziehen und die staatlicheFinanzlage erheblich beeinträchtigen, auch ohne Ge-setzgebungsbefugnisse Finanzhilfen gewähren kann.Diese Situation ist durch die Wirtschafts- und Finanz-krise sowie die Steuerpolitik der vergangenen der jetzi-gen Bundesregierung eingetreten. Hier gilt es Abhilfe zuschaffen. Wer diese Hilfe unterlässt, macht sich schuldigam Niedergang der traditionellen kulturellen Substanzunseres Landes.
Viele Menschen in unserem Land funktionieren nurnoch unter Leistungsdruck und Stress in einem System,an das sie nicht mehr glauben und für das sie sich nichtmehr engagieren wollen oder können. Motivation zurEigeninitiative und Spaß am Mitgestalten kommen nichtvon allein, sondern können gelernt und vermittelt wer-den, zum Beispiel und gerade durch die Kultur, durchkreatives Mitgestalten. Deswegen ist die Kulturförde-rung ein notwendiges Element unserer Demokratie. DieFolgen der Finanz- und Wirtschaftskrise belasten diekommunalen Haushalte. Eine verfehlte Finanzpolitikschnürt den Kommunen zusätzlich die Luft zur Selbst-verwaltung ab. Die kulturelle Teilhabe, die Förderungund die Entfaltung von Kultur, sind massiv bedroht. Ichhalte die momentane Sparwelle im Kulturbetrieb fürsehr gefährlich.ShNbnÖtwOVaSGbSzfnwuftudDd„voKhgGnKtzwPtgfekbReGsgtiZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5787
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Zweitens würde das Programm der KfW die Einbezie-hung von Kultureinrichtungen in eine besonders zins-günstige Kommunalfinanzierung bedeuten, und zwar fürausgewählte Verwendungszwecke.Drittens könnte unser Vorschlag nach Angaben der KfWauch ein Stadtentwicklungsprogramm zur Eigenkapital-finanzierung von Stadtentwicklungsprogrammen mit ei-nem Schwerpunkt „Berücksichtigung von Kultureinrich-tungen in benachteiligten Städten und Stadtteilen“beinhalten.Leider hat die Koalition unseren Prüfauftrag abge-lehnt und somit die Chance vertan, den Kommunen einenattraktiven Vorschlag zur Kulturfinanzierung als Über-brückungsmaßnahme anzubieten. Wie unser „Kultur-Kapitän“ und seine Mannschaft grundsätzlich zu Hilfe-stellungen des Bundes bei der Kulturfinanzierung ste-hen, beweist auch die Antwort der Regierung auf unsereFrage, welche konkreten Maßnahmen die Regierung be-absichtigt, um in ihrer Existenz bedrohte kommunaleKultureinrichtungen von Bundesseite auch kurzfristig zuunterstützen. Die Regierung antwortete: „Mit einer …„Ausfallförderung“ durch den Bund würden Länder undKommunen aus ihrer grundsätzlichen Verantwortung fürden Kulturbereich entlassen. Dies wäre ein falsches Si-gnal.“Diese Aussage ist vergleichbar mit einem Schiffskapi-tän, der seinen Passagieren weder Rettungsringe nochRettungsboote anbietet, weil er befürchtet, seine Mann-schaft könne dadurch das Schwimmen verlernen. Aberdie Wellen des Sparzwangs schlagen zu hoch, als dasseine Vielzahl der Kulturinstitutionen ohne Rettungsmaß-nahmen darin überleben könnte. Lieber Herr Neumann,bitte überdenken Sie unseren Prüfauftrag, gehen Sie aufdie KfW zu oder leiten Sie andere Maßnahmen ein, umLändern und Kommunen bei der Kulturfinanzierung un-ter die Arme zu greifen. Aber bitte: Handeln Sie, bevores zu spät ist und irreversibler Schaden für unsere Kul-turlandschaft entsteht!
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Me-
dien auf Drucksache 17/2320.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/552. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/789.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/
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renz sind Grundvoraussetzungen für funktionierendeMärkte.Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner macht sichschon seit einiger Zeit in Europa für die von der nunSPD vorgeschlagene Button-Lösung, eine Schaltfläche,über die der Verbraucher bestätigt, dass er den entspre-chenden Kostenhinweis gelesen hat, stark. So würdendem Verbraucher vor Abgabe einer bindenden Vertrags-erklärung die Kostenfolgen komprimiert und deutlichvor Augen geführt werden. Zudem soll gesondert doku-mentiert werden, dass der Verbraucher diesen Hinweiszur Kenntnis genommen hat. Es bedarf einer solchen ge-setzlichen Vorgabe, um die Preistransparenz im Internetzu erhöhen. Dass ein Angebot Geld kostet, muss für je-dermann erkennbar sein, etwa durch ein solches, deut-lich sichtbares Abfragefeld.Wir sind aber der Auffassung, dass zum Schutz derVerbraucherinnen und Verbraucher im Internet ein eu-ropaweites Vorgehen gegen Kostenfallen geboten ist.Genau deshalb hat Ilse Aigner das Thema auch bei denlaufenden Verhandlungen zum Vorschlag der Europäi-schen Kommission für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates über Rechte der Verbraucherthematisiert und in Brüssel einen Formulierungsvor-schlag unterbreitet.In Anbetracht des globalen Internets und der aus-ufernden Internationalität dieser Kostenfallen kann undmuss es eine europaweite Harmonisierung dieser Rege-lungen geben. Im Ausland sitzende Anbieter erreichtman mit einer nationalen gesetzlichen Vorschrift schwer.Allerdings ist unser Interesse an einer europaweitenRegelung in Anbetracht der steigenden Zahlen betroge-ner Verbraucher endlich. Just in dem Moment, in demdie Verbraucherschutzministerin nun erklärte, eine na-tionale Regelung im Herbst als Ultima Ratio notfalls imAlleingang durchzusetzen, schwingt sich die SPD nunzum großen Verbraucherschützer auf und schießt schnelleinen Regelungsvorschlag raus. Auch wenn sie nun an-geblich ausgemachte Tendenzen in Brüssel zum Anlassnimmt, schnell zu einer Regelung kommen zu wollen, un-terstützen wir den genannten Zeitplan von Ilse Aigner,sich bis zum Herbst weiter für eine europäische Rege-lung zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbrauchereinzusetzen.Solange letztlich ein solches Gesetz nicht verabschie-det ist, müssen wir unserem Informationsauftrag ver-stärkt nachkommen: Die grundsätzlich fehlende Eini-gung über die essentialia negotii – hier: den Preis –verhindert die Wirksamkeit des Vertrages, der unter-lassene ausdrückliche Hinweis auf die AGB die Zah-lungspflicht. Zudem sind Bestimmungen von AGBunwirksam, wenn sie zu einer unangemessenen Benach-teiligung des Vertragspartners, des Verwenders führen.Den Betroffenen bleibt die Anfechtung wegen Täu-schung oder Irrtums oder auch der Widerruf entspre-chend des im letzten Jahr in Kraft getretenen Gesetzeszur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zurVerbesserung des Verbraucherschutzes.gdAtludKntLnbLebdtnaeoraGvmiinPvdwdcWdSbkdKVwfSpauZu Protokoll ge
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Wir haben einige Schwerpunkte formuliert, die wir indiesem Bereich umsetzen wollen: Allen voran steht dieVermeidung der stark steigenden Zahl der Internetabzo-cke! Aber auch die Verbesserung des Datenschutzes imSinne des Verbraucherschutzes muss realisiert werden.Denn Verbraucher sind sowohl Kunden als auch vielfäl-tige Nutzer, zum Beispiel für die Pflege sozialer Kon-takte und zur Veröffentlichung von Kommentaren oderBildern. Dies in der Gesamtheit zu sehen, ist wichtig;denn Vorsicht, Transparenz und Schutz sind bei jederAktivität im Internet geboten. Dazu gehört, dass Ver-braucher bewusst agieren und die Vorzüge des Internets– Schnelligkeit, grenzüberschreitender Austausch undInformationsfluss – sie nicht zur Leichtsinnigkeit verfüh-ren. Hier sind alle, gerade bei Jugendlichen, gefragt:Eltern, Schule und Gesellschaft!Für uns ist klar: Im Zentrum steht der selbstbe-stimmte Verbraucher. Verbraucher müssen vor Abzockegeschützt werden. Auch die Weiterleitung und Kommer-zialisierung privater Daten darf nur mit Zustimmung derbetroffenen Personen erfolgen.Bei aller gebotenen Vorsicht möchte ich auch daraufhinweisen, dass sich im Internet nicht allein nurschwarze Schafe tummeln. Es gibt zahlreiche seriöseAnbieter, denen man vertrauen kann. Wir wollen demVerbraucher helfen, diese leichter zu finden. Deshalb istes wichtig, Unternehmen, die eine seriöse und kunden-freundliche Strategie im Internet verfolgen, die Mög-lichkeit zu geben, sich im Wettbewerb positiv hervor-zuheben. Wir brauchen eine Art „Online-Engel“ alsPositivwerbung für verbraucherfreundliche Unterneh-men im Netz. Die Kriterien für einen solchen „Online-Engel“ müssen sein: Der Einsatz von einfachen, daten-sparsamen Voreinstellungen, Preistransparenz, faireAllgemeine Geschäftsbedingungen auf einer DIN-A4-Seite und kundenfreundliche Bezahlsysteme.Ich möchte ausdrücklich betonen, dass der Schutz vorKostenfallen und Abzocke im Internet durch das soge-nannte Button-Verfahren erheblich verbessert werdenkann. Der Verbraucher sollte den endgültigen Vertrags-abschluss im Onlinehandel nochmals bestätigen müs-sen, vorher darf kein Vertrag oder Abonnement zustandekommen. Dafür setzen sich die BundesministerinnenAigner und Leutheusser-Schnarrenberger schon langeein.Darüber hinaus stärkt eine breite Informationskam-pagne des Ministeriums, begleitet von den Informa-tionen der Verbraucherverbände, das Bewusstsein derVerbraucherinnen und Verbraucher, im Bereich des In-ternets und des Onlinehandels mit Sorgfalt zu entschei-den.Wir wollen einen umfassenden Schutz der Menschenund eine europäische Lösung. Wir lehnen Ihren Gesetz-entwurf ab, da die Verhandlungen auf EU-Ebene derzeitnicht abgeschlossen sind. Die EU-weite Lösung mussangesichts grenzüberschreitenden Onlinehandels wei-terhin so energisch verfolgt werden, wie es Bundes-ministerin Aigner und Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger tun. Sollte es allerdings bis zum Herbstnicht dazu kommen, werden wir selbstverständlich diezvbtÜttdmwsKoDmdKsrtlcidvbmnddAasVliJkEnrlugglGceVtKlbZu Protokoll ge
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Mit dieser sogenannten Button-Lösung kann ein imelektronischen Geschäftsverkehr geschlossener Vertragnur dann wirksam werden, wenn die Verbraucherin/derVerbraucher vom Unternehmen vorab über die Entgelt-lichkeit und die Gesamtkosten des Vertrages informiertwird und dies auch durch einen gesonderten Button be-stätigt. Das heißt, vor Abschluss eines Vertrages im In-ternet wird deutlich aufgezeigt, dass ein Angebot kosten-pflichtig ist. Der Kunde muss durch Anklicken einerSchaltfläche, Button, bestätigen, dass er den Kostenhin-weis zur Kenntnis genommen hat.Seriöse Onlineanbieterinnen und -anbieter und Inter-netshops haben ihre Internetauftritte bereits so gestaltet,dass Verbraucherinnen und Verbraucher vor Vertrags-schluss über den Inhalt und den Gesamtpreis des elek-tronischen Warenkorbes informiert werden und zu einerendgültigen Bestellung ein gesonderter Klick notwendigist.Unseriösen Anbietern kann die neue Regelung dasHandwerk legen.Selbst der Koalitionsvertrag der Regierungsparteiensagt: „Wir brauchen ein verpflichtendes Bestätigungs-feld für alle Vertragsabschlüsse im Internet. Mit demverpflichtenden Preisangabefenster können wir Inter-netabzocke minimieren“, und die Bundesregierung hateinen mit unserem Vorschlag im Wortlaut identischenBeschluss des Bundesrates zur Einführung einer soge-nannten Button-Lösung in die Verhandlungen über dieEU-Verbraucherrechte-Richtlinie eingebracht. Ob dieRegelung übernommen wird, ist unklar, und, wie bereitsgesagt, mit einem Beschluss über die EU-Richtlinie ist innaher Zukunft nicht zu rechnen. Bei den Verhandlungenin Brüssel zeigt sich, dass eine Vollharmonisierung desVerbraucherrechts, das heißt für alle Länder einheitli-che Regeln, immer weniger Anhang findet und auch vonuns nicht gewollt wird. Die zuständige EU-KommissarinReding tritt inzwischen lediglich für eine „gezielte Har-monisierung“ ein, die spanische Ratspräsidentschaft hatsich für einen „gemischten Harmonisierungsansatz“ausgesprochen.Vor diesem Hintergrund ist ein nationales Gesetz ge-gen die Abzocke im Internet jetzt dringend erforderlich,um die bestehende Regelungslücke zu beseitigen undVerbraucherinnen und Verbraucher zügig vor unseriösenAnbieterinnen und Anbietern zu schützen. In Frankreichbesteht eine solche Regelung übrigens schon länger, undeine europäische Lösung kann die Bundesregierung jaauch mit einem eigenen nationalen Gesetz weiterverfol-genAlso handeln Sie jetzt, und setzen Sie unseren Gesetz-entwurf um!
Der Markt braucht Regeln, und die Marktteilnehmermüssen darauf vertrauen können, dass diese Regeln ein-gehalten werden und Regelverstöße nicht ohne Folgenbleiben. Zu den wichtigsten Regeln gehört, dass nie-mand, salopp gesprochen, übers Ohr gehauen wird. Indiesen Zusammenhang gehören die sogenannten Kos-tGlhRtsRnrsbdaszdmbdlzusRmodvmsKewkddgtsdldbdügeeddknZu Protokoll ge
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Wir Liberale fordern zur Lösung des hier zu erörtern-den Problems, dass sich auf den Internetseiten der Un-ternehmen ein separates Fenster öffnen muss, bevor eszu einem eventuellen Vertragsschluss im Internet kom-men kann. Nur so kann der dadurch verfolgte Zweck,den Verbraucher vor überraschenden Vertragsabschlüs-sen zu schützen, gewährleistet werden. Dieses Ziel gehtaus der von der SPD vorgeschlagenen Formulierungnicht eindeutig genug hervor. Der Antrag spricht von ei-nem deutlichen, in gestaltungstechnisch hervorgehobe-ner Form erteilten Hinweis auf die Entgeltlichkeit unddie Gesamtkosten eines möglichen Vertrages. DieserWortlaut würde Unternehmern die Umgehung der vonuns geforderten Form des Hinweises ermöglichen.Der Vorschlag der SPD, wenn auch inhaltlich diskus-sionswürdig, ist deshalb einesteils voreilig, anderenteilsinhaltlich noch nicht in allen Punkten bis zu Ende ge-dacht.
Abofallen im Internet sind kein neues Phänomen. Seit
Jahren verdienen skrupellose Abzocker Geld mit Kos-
tenfallen im Internet, siehe: http://www.computer
betrug.de/abzocke-im-internet/
Versteckte Kosten und arglistige Täuschung sind
nach geltendem Recht eigentlich verboten. Doch die Ge-
schäftemacher sind findig und die Masche funktioniert:
Die Täter stellen Internetseiten online, auf denen sie at-
traktive und scheinbar kostenlose Dienste wie Hausauf-
gabenhilfen, Kochrezepte oder Software anbieten. Um
die Dienste nutzen zu können, müsse man sich lediglich
anmelden und die AGBs akzeptieren. Die böse Überra-
schung für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich
arglos auf solchen Seiten anmelden, folgt auf dem Fuß;
denn wenig später erhalten sie eine Mail mit einer Rech-
nung. Durch das Eintragen seiner Daten habe man an-
geblich einen kostenpflichtigen Vertrag geschlossen,
heißt es darin. Wer nicht sofort bezahlt, wird von den
Abzockern und ihren Helfershelfern massiv unter Druck
gesetzt. Mahnungen, Drohbriefe und sogar Anrufe sol-
len dazu führen, dass zumindest ein gewisser Prozent-
satz der Abgezockten die ungerechtfertigten Forderun-
gen bezahlt. Übler wird es, wenn die beauftragten
Inkassounternehmen scheinbar amtliche Zahlungsauf-
forderungen schicken. Nicht wenige zahlen aus Angst
die haltlosen Forderungen der windigen Unternehmen.
Die Bundesregierung sieht diesem üblen Treiben un-
tätig zu. CDU/CSU und FDP haben dazu bisher gar
nichts anzubieten. Aber auch die schwarz-rote Vorgän-
gerregierung hat Verbraucherinnen und Verbraucher
bei der Abzocke im Internet im Regen stehen lassen. In
der Debatte um unerwünschte Telefonanrufe in der letz-
ten Legislaturperiode haben die Linke und Verbraucher-
verbände immer wieder darauf hingewiesen, dass Abo-
fallen ein drängendes Problem sind. Es gab konkrete
Lösungsvorschläge. Aber das SPD-geführte Justizminis-
terium hat das alles in den Wind geschlagen und auf
kleine Verbesserungen im Widerrufsrecht gesetzt. Heute
zeigt sich, dass diese Regelung weit an der Realität und
an den skrupellosen Methoden der Betrüger vorbeigeht.
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Es geht um die sogenannte Button-Lösung für Ver-tragsabschlüsse im Internet. Danach wären im Internetgeschlossene Verträge nur dann wirksam, wenn der Ver-braucher einen grafisch hervorgehobenen Hinweis aufden Preis erhält und diesen zur Vertragsbestätigung„aktiv“ anklicken muss. Dies wurde auch von uns Grü-nen immer wieder gefordert.Internetabzocke ist kein neues Thema. ErkundigenSie sich bei den Verbraucherzentralen in Ihren Wahlkrei-sen, die können Ihnen ein Lied davon singen, wie vieleVerbraucher sich regelmäßig bei ihnen melden, weil sieauf Abofallen im Internet reingefallen sind. Daher for-dern wir Grüne schon seit langem eine Pflicht zur Bestä-tigung von Verträgen im Internet. Leider wurde unserVorschlag zu Zeiten der Großen Koalition weder von derSPD noch von der CDU/CSU unterstützt.Zwar stand die Button-Lösung schon in der letztenLegislatur auf der Agenda der Union, aber sie scheitertean ihrem eigenen Wirtschaftsflügel. Hier hat offensicht-lich mal wieder die Lobbyarbeit diverser Unternehmenüber den gesunden Menschenverstand und vor allemüber den Verbraucherschutz triumphiert.Auch im aktuellen Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung heißt es: „Wir brauchen einverpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsab-schlüsse im Internet. Mit dem verpflichtenden Preisan-gabefenster können wir Internetabzocke minimieren.“Und auch aus dem Verbraucherministerium hören wir,dass Ilse Aigner den Abofallen und Abzockseiten im In-ternet den Kampf angesagt hat. „Sollte bis zum Herbstnicht erkennbar sein, dass sich die Button-Lösung aufEU-Ebene durchsetzen wird, werden wir uns um eine na-tionale Regelung bemühen“, sagte sie jüngst dem „Ta-gesspiegel“.Aber aus der Vergangenheit wissen wir: In der Regelbleibt es bei bloßen Ankündigungen der Verbrauchermi-nisterin, und die Verbraucher werden bis zum SanktNimmerleinstag vertröstet. Ob beim Thema kostenloseWarteschleifen bei Servicerufnummern, beim Verbot vonGiften in Kinderspielzeugen oder bei längst überfälligenVerbraucherschutzmaßnahmen auf dem Finanzmarkt:Die Ministerin macht vollmundige Versprechen in denMedien, aber setzt nichts um, sondern wartet lieber aufdie oft genug unzureichenden Vorgaben aus Brüssel. Be-dauerlich für die Verbraucher.Im Kampf gegen die Abzocke im Internet hätte dieVerbraucherministerin schon längst eine nationale But-ton-Lösung auf den Weg bringen müssen. Jetzt hängt esauch von Brüssel ab. Denn hier stehen derzeit die Ver-handlungen zur EU-Richtlinie über die Rechte der Ver-braucher an. Wir hoffen, dass der verbraucherpolitischeVerstand in Brüssel siegt und es zu keiner Vollharmoni-sierung kommt, damit die Button-Lösung nicht generellvom Tisch ist. Dafür muss Ilse Aigner auf EU-Ebenekämpfen. Denn nur eine gezielte Teilharmonisierungkann die bewährten Verbraucherschutzstandards inDeutschland sicherstellen und lässt Spielraum für natio-nale Regelungen.wndÜddHWT„randhrDdTufstFdGssdtcfOsgEggsor
)
ders hoch angesetzten Anwendungsvoraussetzungen ver-
sehen.
Der vorliegende Antrag der Linken zu diesem kom-
plexen Thema ist inhaltlich leider nicht einmal dünne
Suppe. Auf eineinhalb Seiten äußern Sie in altbekannter
Weise Bedenken und schüren Ängste vor einem übergrei-
fenden Staat, angesichts Ihrer ansonsten unkritischen
Haltung gegenüber der Staatssicherheit der DDR ein
ausgesprochen interessantes, wenn nicht sogar bemer-
kenswertes Verhalten. Aber selbst Ihrem Antrag kann
man durchaus etwas Positives abgewinnen. Da Sie ge-
gen die aktuelle Gesetzeslage keine stichhaltigen recht-
lichen Argumente gefunden haben, beschäftigt sich Ihr
Antrag sinnloser Weise zur Hälfte ausschließlich mit der
Rechtslage vor der BKA-Gesetzesnovelle. Ich werte die-
sen hilflosen Akt gerne als Anerkenntnis von Ihnen, dass
das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationa-
len Terrorismus durch das Bundeskriminalamt genau
und sehr restriktiv regelt, unter welchen Bedingungen
eine Onlinedurchsuchung stattfinden darf, so restriktiv,
dass dieses Instrument bisher nicht zur Anwendung
kommen musste, und auch so restriktiv, dass Sie keine
Argumente gegen dieses Gesetz, sondern nur gegen die
Rechtslage vor dieser Zeit gefunden haben.
Die Tatsache, dass es bisher keine Onlinedurchsu-
chung gab, zeigt aber auch, dass sich die von der Oppo-
sition und besonders der Linken heraufbeschworenen
Horrorszenarien, wie von uns vorausgesagt, in keiner
Weise bewahrheitet haben. So führte Frau Jelpke in der
Debatte zur zweiten und dritten Lesung des BKA-Geset-
zes aus, dieses Gesetz atme den Geist des Obrigkeits-
staats, „eines Staates, der einen allmächtigen, alles wis-
senden Polizei- und Geheimdienstapparat anstrebt, also
ein deutsches FBI“. Bei der ersten Lesung prophezeite
sie, dass nicht nur Terroristen von Onlinedurchsuchun-
gen betroffen werden, sondern – ich zitiere – „wir alle,
sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner dieses Lan-
des“. Von der Vorhersage, diese Maßnahmen würden
nur höchst selten ergriffen, ließ sich Frau Jelpke nicht
überzeugen, Zitat: „Die Erfahrung zeigt, dass die Er-
mittlungsbehörden ihre Rechte eher überplanmäßig aus-
schöpfen.“ Eine denkwürdige, wenn auch völlig falsche
Prognose. An welchen Staat Sie bei derartigen falschen
Prognosen gedacht haben, ist uns allen klar. Nicht klar
ist uns, wann Sie auch gedanklich im Jahr 2010 in unse-
rer Bundesrepublik Deutschland ankommen werden.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2009
hat es insgesamt sechs Fälle terroristischer Bedrohung
gegeben, in denen die Zuständigkeit des BKA begründet
war. Diese Fälle boten jedoch keinen hinreichend geeig-
neten Ansatzpunkt für die Durchführung einer Online-
durchsuchung. Die Tatsache, dass sich ein solcher Ein-
satzfall bislang nicht ergeben hat, ändert nichts daran,
dass die Norm angesichts der latenten Bedrohungslage
gleichwohl erforderlich werden kann. Und dann wird sie
einen maßgeblichen Beitrag zur erfolgreichen Bewälti-
gung einer brisanten Gefahrenlage leisten. Anstatt zu
fordern, dass wir dieses wichtige Instrument wieder ab-
schaffen, sollten Sie anerkennen, dass die hervorra-
gende Arbeit unserer Sicherheitsbehörden dazu beiträgt,
dass diese Instrumente auch tatsächlich nur in Ultima-
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5794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Onlinedurchsuchungen werden auch nicht flächende-ckend durchgeführt. Das BKA ging damals von bundes-weit fünf bis zehn Maßnahmen pro Jahr aus.Umso besser ist es, wenn es bis jetzt nicht notwendigwar, auf dieses Ermittlungsinstrument zurückzugreifen.Die Onlinedurchsuchung soll schließlich letztes Mittelsein und nicht ein Allerweltsinstrument. Hier zeigt sichauch, dass das Bundeskriminalamt besonderes sensibelist, wenn es um schwerwiegende Grundrechtseingriffegeht. Die bisherige Arbeit des BKA im repressiven Be-reich bestätigt diesen Befund. In den letzten zehn Jahrenhat das BKA ganze zwei Rasterfahndungen durchge-führt. Von 2001 bis zum zweiten Quartal 2007 gab es nursieben Wohnraumüberwachungen, also im Schnitt eineWohnraumüberwachung pro Jahr.Daraus jedoch auf die Überflüssigkeit der Maßnahmezu schließen, ist absurd. Die Bedrohungslage inDeutschland durch den internationalen Terrorismus be-steht nach wie vor auf hohem Niveau. EntscheidendesKriterium kann daher nicht sein, dass bisher keineOnlinedurchsuchung durchgeführt wurde, sondern dassman aufgrund der Bedrohungslage eine derartige Maß-nahme bereithalten muss.Die Bezugnahme der Linken auf das Urteil des Bun-desgerichtshofs, das „verdeckte Onlinedurchsuchung“mangels einer besonderen Ermächtigungsgrundlage alsunzulässig ansieht, geht völlig an der Sache vorbei. Ge-rade wegen dieses Urteils haben wir damals die Durch-führung von Onlinedurchsuchungen gestoppt und aufdie Schaffung einer spezifischen Ermächtigungsgrund-lage gedrungen. Die Ermächtigungsgrundlage stehtdeshalb nun im BKA-Gesetz und entspricht den hohenAnforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts.Gerade die SPD hat damals mit großem Aufwandeine rechtsstaatliche einwandfreie Regelung gegenüberder Union durchgesetzt. Es gibt keinen Grund, jetzt da-von abzuweichen.
In der Bekämpfung des Terrorismus ist es äußerstwichtig, dass unsere Grundrechte niemals untergrabenwerden. Andernfalls ist der Kampf bereits durch eigenesTun verloren. Das Bundeskriminalamtgesetz, das Ende2008 verabschiedet wurde, hat dem Bundeskriminalamterhebliche und nie dagewesene Kompetenzen zur Terror-abwehr eingeräumt, inklusive des verdeckten staatlichenZugriffs auf fremde informationstechnische Systeme überKommunikationsnetze: die Onlinedurchsuchung. Be-kanntermaßen ist die FDP überaus skeptisch auf diesemGebiet; denn wie von dem ehemaligen FDP-Bundesin-nenminister Baum erwähnt, besteht die Gefahr einerschleichenden Erosion der Grundrechte.Tatsächlich bestehen bei der Onlinedurchsuchungaus unserer Sicht erhebliche verfassungsrechtliche Be-denken. Insbesondere bei dieser Maßnahme wird derSchutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung inunerträglicher Weise eingeschränkt. Unsere Beschwer-dgsdlWBergdbdtfvsdsnaDbDesGbKbednJiblWfeszOddudmrKiBirZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5795
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Die Onlinedurchsuchung, einst als wichtiges und un-erlässliches Instrument im Kampf gegen den internatio-nalen Terrorismus gepriesen, ist schlicht überflüssig. Zudiesem Ergebnis muss jeder kommen, der sich ernsthaftmit der Entstehung und Entwicklung dieser Maßnahmebeschäftigt hat. Spätestens die Antwort der Bundesregie-rung auf die Kleine Anfrage unserer Fraktion zur „Bi-lanz der Online-Durchsuchung“ vom 21. Mai diesesJahres verdeutlicht überaus anschaulich den komplettenUnsinn dieses Instruments. Die von der Bundesregie-rung vorgelegten Zahlen sprechen für sich, und ich wie-derhole sie hier an dieser Stelle deshalb ganz besondersgerne, vor allem für all diejenigen, die sich weiter undscheinbar unerschütterlich als Apologeten der Online-durchsuchung outen. Vielleicht können Argumente etwasbewirken. Als Linker gibt man ja die Hoffnung nie auf.Was also hat die Bundesregierung auf die KleineAnfrage geantwortet? Folgendes: Zwar wurden in denvergangenen anderthalb Jahren rund 700 000 Euro in-vestiert, um Onlinedurchsuchungen überhaupt durch-führen zu können. Aber das entpuppte sich als glatteFehlinvestition; denn bis Mitte Mai hatte das Bundeskri-minalamt keine einzige Onlinedurchsuchung angeord-net. Ich wiederhole: keine einzige! Einstmals alsWunderwaffe entwickelt und in einem Klima der Verun-sicherung vorschnell an den Start gebracht, konnte dieOnlinedurchsuchung ihre angebliche sicherheitspräven-tive Wirkung bis heute nie entwickeln. Stattdessen hat sieeine komplette Bruchlandung hingelegt. Von angebli-chen Sicherheitslücken, die durch diese Maßnahme ge-schlossen werden sollten, ist schon längst keine Redemehr. Dennoch wird stumpf an der Onlinedurchsuchungfestgehalten.Die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen zei-gen überdeutlich die Sinnlosigkeit der Onlinedurchsu-chung. Das Argumentieren dafür ist unseriös. Auch des-halb sollte sie ebenso schnell wieder aus dem BKA-Gesetz verschwinden, wie sie darin gelandet ist. Die fa-denscheinige Ausrede, es handele sich bei der Online-durchsuchung um eine sogenannte Ultima-Ratio-Maß-nahme, verschleiert nur den wahren Kern undeigentlichen Sinn der Onlinedurchsuchung: Menschenwerden auf Datensätze reduziert, über die sie selbstkeine Kontrolle mehr haben. Das ist nicht nur ein weite-rer Baustein in dem dichter werdenden Mosaik Deutsch-lands auf dem Weg zu einer Totalüberwachung, sondernzudem verfassungsrechtlich höchst bedenklich.Es gibt mittlerweile nichts mehr, was nicht gespei-chert werden kann! Längst werden auch hochsensible,personenbezogene Daten von Bürgerinnen und Bürgerndieses Landes erfasst, die sich nichts zuschulden kom-men ließen. Sie sind nicht einmal bei Rot über die Ampelgegangen. Speicherlimits gibt es ebenfalls nicht mehr.Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wirdsowohl durch die Onlinedurchsuchung als auch durchandere datenpolitische Maßnahmen der letzten JahreSchritt für Schritt ausgehebelt. In der Konsequenz be-deutet das nichts anderes als das Verschwinden der Pri-vatheit – ein schlimmes Szenario!uDiEdMGRiaaDGSadEdGtlGasnfcwidslSmhSdwlnLcDwiteedFlucgvZu Protokoll ge
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5796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5797
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Bürgerinnen und Bürger müssen zurückgefahren wer-den. Die Ablehnung der Onlinedurchsuchung ist dafürein erster wichtiger Schritt, für die ich um Ihre Unter-stützung bitte.
Vorweg sei gesagt: hier geht es um die Aufhebung
bzw. Änderung von zwei Paragrafen eines Gesetzes. Da
wäre es doch schöner, wenn der Bundestag – bezie-
hungsweise hier die antragstellende Linksfraktion – als
Gesetzgeber sich den entsprechend kurzen Gesetzent-
wurf selbst zutraute und nicht die Bundesregierung
aufforderte, entsprechend tätig zu werden. Bei diesem
Vorhaben ist die Komplexität doch wohl noch über-
schaubar.
Zur Sache: Die Onlinedurchsuchung ist überflüssig
und richtet bürgerrechtlichen Flurschaden an. Sie hat
im BKA-Gesetz nichts zu suchen. Wir haben das immer
gesagt, und wir bleiben dabei.
Die FDP wird jetzt wieder hektisch rufen „Ihr wart es
doch, angefangen hat es mit Otto Schily!“. Mit der zwei-
ten Aussage hat sie recht, der ehemalige Bundesinnen-
minister hat den Geheimdiensten ohne gesetzliche
Grundlage diese Maßnahme gestattet. Und er hat dafür
das bekommen, was er sich verdiente, nämlich eine ge-
richtliche Abfuhr und politischen Widerstand, auch von
uns und wahrlich nicht nur von uns.
Gesetz geworden ist die Onlinedurchsuchung nur
dort, wo die FDP mitentscheiden konnte – in Bayern, in
NRW – und nun mitentscheiden kann: eben im Bund. Ich
kann im Koalitionsvertrag nicht erkennen, dass diese
Befugnis des BKA wieder abgeschafft werden soll. So
hörte man die FDP noch im Wahlkampf. Aber als im No-
vember 2009 der Bundesinnenminister dem BKA unter
großem Beifall zusagte, dass sich am BKA-Gesetz nichts
Wesentliches ändern werde, habe ich von der FDP kei-
nen Widerspruch gehört. Die Zeiten als Bürgerrechts-
partei sind offenbar vorbei. Die wirklich liberalen Ex-
Minister klagen heute gegen die Gesetze ihrer nicht
mehr besonders liberalen Nachfolger. Und das ist auch
nötig.
Geklagt wird so – auch von unserer Fraktion – gegen
das BKA-Gesetz, nicht zuletzt wegen der Onlinedurchsu-
chung. Denn dieses Instrument ist ein tiefer Eingriff in
die Privatsphäre. Da wird auf dem privaten PC eine
Spionagesoftware installiert. Danach wird mitgelesen,
unterschiedslos von der E-Mail an die Großmutter bis
zum Brief an das Finanzamt. Die Privatsphäre ist nicht
ausreichend geschützt, die Aufzeichnung kann auch Per-
sonen treffen, die nicht im Visier des BKA stehen, aber
den beschnüffelten Computer mitbenutzen.
Und das alles passiert nicht etwa dann, wenn jemand
dringend terrorverdächtig ist – sondern im Rahmen der
Gefahrenabwehr. Ja, es gibt im BKA-Gesetz ein paar
Kautelen, die versuchen den Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichtes gerecht zu werden. Aber das reicht
nicht aus. Diese Art der heimlichen Komplettdurch-
leuchtung des elektronischen Teils der Privatsphäre darf
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höhen und haben dazu schon wichtige Schritte unter-nommen. Deutschland verfügt heute bereits über eingutes Angebot an Kinderbetreuung für die drei- bissechsjährigen Kinder. Der Rechtsanspruch auf Betreu-ung für diese Kinder ist realisiert.Durch die Einführung des Elterngeldes zum 1. Januar2007 und den Wunsch vieler junger Eltern, nach einereinjährigen Familienpause tatsächlich wieder in die Er-werbsarbeit zurückzukehren, wurde der Mangel an Be-treuungsplätzen für die unter dreijährigen Kinder offen-kundig. Schnell war klar, dass die Ausbauvorgaben imTagesbetreuungsausbaugesetz den Bedarf an Plätzennicht würden decken können.Zwar fallen die Finanzierung und die Bedarfsplanungder Kinderbetreuung im föderalen System der Bundesre-publik in die Zuständigkeit von Ländern und Kommunen.Doch wegen der großen gesamtgesellschaftlichen Be-deutung hat sich der Bund bereiterklärt, Länder undKommunen beim massiven Ausbau der Betreuungsplätzezu unterstützen, um so möglichst viele Kinder schon frühzu fördern und eine bessere Vereinbarkeit von Familieund Erwerbsleben zu ermöglichen.Beim sogenannten Krippengipfel haben Bund, Län-der und Gemeinden dann im Jahr 2007 gemeinsam ei-nen Bedarf von 750 000 Betreuungsplätzen für das Jahr2013 errechnet. Bis zum Jahr 2013 wird es bundesweitim Durchschnitt für jedes dritte Kind unter drei Jahreneinen Betreuungsplatz geben, ein Drittel der neuenPlätze soll in der Kindertagespflege geschaffen werden.Im gleichen Jahr wird jedes Kind mit Vollendung desersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förde-rung in einer Kinderbetreuungseinrichtung oder in derKindertagespflege haben.An den errechneten Mehrkosten von 12 MilliardenEuro bis 2013 wird sich der Bund mit 4 Milliarden Eurozu einem Drittel beteiligen, ab 2014 dauerhaft mit770 Millionen Euro jährlich an den Betriebskosten. Erunterstützt dadurch die Kommunen weiterhin. Auch derZwang, zu sparen, hat an dieser Bundesbeteiligungnichts geändert.Es ist Aufgabe der Länder, dafür Sorge zu tragen,dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel denKommunen und Trägern auch tatsächlich und zusätzlichzur Verfügung gestellt werden. Ebenso ist es Aufgabeder Länder, ihrerseits finanzielle Voraussetzungen dafürzu schaffen, dass die vereinbarten Ziele erreicht werden.Mit dem Beschluss der Bund-Länder-Arbeitsgruppezum Betreuungsausbau, der dann auch gesetzlich umge-setzt wurde, wurde ein Meilenstein für eine bessere Ver-einbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit gesetzt, fürmehr Bildung für alle Kinder und für bessere Zukunfts-perspektiven in Deutschland. Inzwischen haben vieleKommunen den Stellenwert frühkindlicher Bildung er-kannt und den Aufbau entsprechender Kinderbetreu-ungsstrukturen vorangetrieben. Die Kommunen, die bis-lang den Ausbau noch eher stiefmütterlich behandelthaben, müssen umdenken. Der Bund jedenfalls steht zudiesen Vereinbarungen und wird am Rechtsanspruch aufetowEsJEtuevs2dEvtügZioehBnrotqfdgpStdVmrdcsn–dzsBzdnZu Protokoll ge
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Es ist unbestritten: Kinderbetreuung ist eine Investi-tion in die Zukunft. Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kol-legen der Opposition, sollten endlich zugeben: Die Fa-milienpolitik der christlich-liberalen Koalition ist andieser Zukunft orientiert. Das haben wir bisher auchdeutlich gezeigt. So vielen Kindern wie möglich ein Be-treuungsangebot zur Verfügung zu stellen, haben wir zurzentralen Aufgabe und zu einem unserer vordringlichs-ten Projekte der Zukunft gemacht.„Unser Ziel sind faire Startchancen für alle Kinder.Aufstieg durch Bildung erreichen wir durch höhere Bil-dungsinvestitionen und das enge Zusammenwirken vonBund und Ländern. Bildung darf keine Frage der Her-kunft oder des Einkommens sein.“ So haben wir es imKoalitionsvertrag vereinbart und so werden wir es auchumsetzen.Wir wollen gute Bildung und Betreuung mit gerechtenChancen von Anfang an ermöglichen. Der Ausbau derKinderbetreuung gehört deshalb zu den wesentlichenMaßnahmen, um mittel- und langfristig Innovationsfä-higkeit in Wirtschaft und Gesellschaft sowie Chancenge-rechtigkeit im Bildungssystem zu erzielen. Die Entschei-dung von Bund, Ländern und Kommunen, bis 2013Betreuungsplätze für 35 Prozent der unter Dreijährigenzu schaffen, war und bleibt wichtig und richtig.Bereits in der Großen Koalition haben wir das Gesetzzum Ausbau der Kinderbetreuung verabschiedet undebenfalls einen Rechtsanspruch ab dem ersten Lebens-jahr festgesetzt. Der Bund stellt für die Erweiterung derAngebote, für Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-,Renovierungs-, Modernisierungs- und Ausstattungs-maßnahmen in Einrichtungen und für die Kindertages-pflege, 2,15 Milliarden Euro zur Verfügung. Unser Zielist es, damit eine möglichst flächendeckende Kinderbe-treuung zu erreichen. Diese schafft die infrastrukturellenVoraussetzungen für die Eltern, um Familie und Berufmiteinander zu vereinbaren. Die Einführung des Eltern-geldes und steuerlicher Begünstigungen sind weiterewichtige Schritte auf dem Weg, jungen Familien mehrWahlmöglichkeiten zu eröffnen. Diese Maßnahmen sindErfolgsprojekte. Allen Unkenrufen zum Trotz werden siein Anspruch genommen. Wir verstehen die Förderungund Unterstützung beider Elternteile in ihrem berufli-chen und gesellschaftlichen Fortkommen als gesamt-staatliche Aufgabe und werden diese gemeinsam schul-tern, mit der Unterstützung aller Akteure auf allenEbenen.Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist der Ausbau der Kinder-betreuung bereits gut vorangekommen. Die Kernmarkefür den Ausbau hatten wir uns gemäß den Vorgaben desBarcelona-Gipfels von 2002 gesetzt. Danach sollen indrei Jahren EU-weit für mindestens 33 Prozent der Kin-der unter 3 Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung ste-hen. Diese Vorgabe will die Bundesrepublik sogar um2 Prozentpunkte übertreffen.Wie weit die Länder mit ihren Anstrengungen voran-geschritten sind, untersuchte die Europäische Kommis-sion vor 2 Jahren. Nach dem Bericht der Kommissionbefindet sich Deutschland dabei auf einem mittleren Ni-vEdtqsfddt2imdkpsbgsnFzdaFdsLBIhlauzzgdfKsAKwLwbnhFadwuZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5799
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somit denselben Weg. Allerdings sind Ihre Vorschlägenicht zielführend.Wir halten uns an unser Vorhaben, bestmögliche Be-treuung für die einzige Ressource zu erzielen, dieDeutschland besitzt: unsere Kinder.
In den letzten Wochen haben wir mehrere Debattenüber die frühkindliche Bildung von Kindern und denAusbau des Betreuungsangebots geführt. Die SPD wie-derholt heute erneut ihre Forderung: Frau Bundes-ministerin Schröder, blicken Sie endlich den Tatsachenins Gesicht, und ignorieren Sie nicht länger, dass derbislang geschätzte Bedarf an Betreuungsplätzen nichtausreichen wird! Handeln Sie jetzt!Wenn es die Bundesregierung mit Bildung von Anfangan und mit der von Frau Merkel ausgerufenen „Bil-dungsrepublik“ ernst meint, muss sie alle Kräfte bün-deln, um entsprechende Angebote der frühkindlichenBildung und Betreuung auszubauen. Kinder haben einRecht auf Bildung, und das nicht erst ab der Einschu-lung. Und Eltern haben ein Recht darauf, Familie undBeruf miteinander zu vereinbaren. Wie soll das gelingen,wenn es keine bedarfsgerechte Infrastruktur für Fami-lien gibt?In der heutigen Debatte geht es erneut darum, wie dieKommunen in die Lage versetzt werden können, denRechtsanspruch ab 2013 zu realisieren und ein ausrei-chendes Angebot an Krippenplätzen zu schaffen. Dabeimache ich zum wiederholten Male darauf aufmerksam,dass wir ein Verfahren brauchen, um den tatsächlichenBedarf an Betreuungsplätzen zu messen. Ein solchesVerfahren fordern nun auch die Kolleginnen und Kolle-gen von den Grünen.Doch ein solches Instrument will die Bundesregie-rung nicht einführen. Auf meine mündliche Frage vom7. Juli 2010 teilt sie nämlich mit, dass sie keine unab-hängige regelmäßige Erhebung der Bedarfsentwicklungvon frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangebotenplane. Sie begründet dies damit, dass die Bedarfspla-nung im Bereich der Kinderbetreuung allein in der Zu-ständigkeit von Ländern und Kommunen liege. Die Län-der haben demgegenüber eine solche Bedarfsprognosegerade vom Bundesfamilienministerium erbeten!Auch der jährlich von der Bundesregierung zu erstel-lende Bericht über den aktuellen Stand des Ausbaus, derbereits für März 2010 angekündigt war, liegt immernoch nicht vor. Wir haben Juli, und die Sommerpausesteht bevor. Das heißt nichts anderes als: Die Bundes-regierung drückt sich vor ihrer Verantwortung. In demAntrag der SPD „Frühkindliche Bildung und Betreuungverbessern – Für Chancengleichheit und Inklusion vonAnfang an“ fordern wir einen nationalen Bildungspaktzwischen Bund und Ländern zur Steigerung der Ausga-ben für frühkindliche Bildung. Wenn festgestellt wird,dass mehr Eltern als bisher angenommen Betreuungs-plätze für ihre Kinder in Anspruch nehmen werden, mussfinanziell nachgesteuert werden. Im Antrag der Grünenwird zu Recht angemerkt, dass der kalkulierte Bedarfvsicrgftdgt3snBOddlsegJFsWdtzmsrsmVufrwdSeMrtMiMnFIeZu Protokoll ge
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5800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Klärung der Frage gehen, wie hoch der tatsächliche Be-darf an Krippenplätzen ist und was schnell getan werdenmuss, um diesen Bedarf – aber auch die Betreuungsqua-lität in Kitas – abzudecken.Wir fordern konkrete Verabredungen zwischen Bundund Ländern, damit der Ausbau der Plätze und der Qua-lität der frühkindlichen Bildung vorangetrieben wird.Wir fordern einen Rettungsschirm für Kommunen, da-mit diese finanziell in der Lage sind, den Betreuungsaus-bau zu stemmen.Wir fordern eine Fachkräfteoffensive, damit mehr Er-zieherinnen und auch Erzieher gewonnen werden.Eine Bundesfamilienministerin, die all diese Maß-nahmen abwehrt und die Hände selbstzufrieden in denSchoß legt, setzt die Zukunftschancen von Kindern unddamit der Gesellschaft aufs Spiel.Damit muss endlich Schluss sein.
Die Ergebnisse der aktuellen Entwicklungsforschungverdeutlichen die zentrale Bedeutung der ersten Lebens-jahre für die körperliche und geistige Entwicklung derKinder. Ohne Zweifel müssen Verfügbarkeit und Quali-tät frühkindlicher und vorschulischer Bildungs- und Be-treuungsangebote der Wichtigkeit der ersten Lebens-jahre Rechnung tragen. Für die Bundesregierung ist dieVerfügbarkeit eines bedarfsgerechten Betreuungsange-bots für die frühkindliche Entwicklung von Anfang aneine der Hauptprioritäten in dieser Legislaturperiode.Eine besondere Rolle kommt hierbei den Kindertages-stätten zu. Ihr Beitrag hinsichtlich der späteren Schul-und Karrierebildung ist immens: Nach einer Studie derBertelsmann Stiftung erhöht sich für den Durchschnittder Kinder die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zubesuchen, von 36 Prozent auf rund 50 Prozent, wenn sieeine Krippe besucht haben. Krippen und Kindertages-stätten sind Bildungseinrichtungen, die einen wesentli-chen Beitrag zur Entwicklung, Förderung und Unter-stützung von Kindern leisten. Frühkindliche Bildung istnämlich ein entscheidender Faktor für Chancengerech-tigkeit und kann helfen, die Armutsspirale zu durchbre-chen. Kindertagesstätten sollten daher verstärkt alsOrte der Bildung, Erziehung und Betreuung anerkanntund genutzt werden, da sie einen Beitrag zu mehr Chan-cen- und Bildungsgerechtigkeit leisten. Gerade dieserAspekt ist für uns von besonderer Bedeutung; denn wirwollen, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialenHerkunft, die Chance auf eine gute Bildung erhalten.Aber auch vom Standpunkt einer erfolgreichen Verein-barung von Familie und Beruf ist der bedarfsgerechteAusbau der Kindertagesbetreuung ein wesentlicher Fak-tor. Echte Wahlfreiheit beider Eltern, wie sie ihre beruf-liche Tätigkeit mit familiären Aufgaben vereinbarenwollen, kann es nur geben, wenn auch eine ausreichendeZahl an qualitativ hochwertigen Betreuungsplätzen exis-tiert.Mit dem im Dezember 2008 beschlossenen Kinderför-derungsgesetz wurde der Rechtsanspruch auf einen Be-treuungsplatz für unter Dreijährige eingeführt. AnvisiertwWedsdeBdt2AfdzAgivdtgumddgdterwdidFdwKEesKKdahDgübluvggsfZu Protokoll ge
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Qualifizierung des Personals, Maßnahmen für eine Er-höhung der Anzahl von männlichen Erziehern und eineintensivere Sprachförderung sind dabei wesentlicheZiele, die wir aktiv verfolgen werden.Wir stehen zu dem im KiföG beschlossenen Ziel beimAusbau der Betreuung für unter Dreijährige, und ge-meinsam mit den Ländern und Kommunen werden wirdieses Ziel bis 2013 auch erreichen.
„Bundeskabinett beschließt Bundeshaushalt. Bundes-
familienministerium investiert mehr als 400 Millionen
Euro zusätzlich in die frühkindliche Bildung“ titelte das
Familienministerium in seiner gestrigen Pressemittei-
lung. In der gleichen Pressemitteilung heißt es dann
auch, „dass in den nächsten vier Jahren zusätzlich ins-
gesamt rund 400 Millionen Euro in die Qualität der
frühkindlichen Bildung investiert werden“. Das klingt
schön – aber nur so lange, wie man die Realitäten in
puncto Ausbau von Kindertagesbetreuung in den Grö-
ßenordnungen ausblendet, wie es die Bundesregierung
nun schon seit einigen Jahren und auch weiterhin tut.
Die Mittel, die hier vollmundig als „zusätzlich einge-
stellt“ angekündigt werden, sind sicher gut, aber leider
alles andere als zusätzlich. Den Kinderbetreuungsaus-
bau bezahlen nach Rechenart der Bundesregierung
nämlich die, die eigentlich ohnehin schon nichts haben:
Familien, die von ALG II leben müssen, denen sie nun
das Elterngeld auf diese Leistung anrechnen. Diese An-
rechnung aber bedeutet für die Betroffenen eine fakti-
sche Streichung dieser familienpolitischen Leistung.
Hier ist nicht nur etwas faul im Staate. Das ist eine
schreiende Ungerechtigkeit.
In der Bundesrepublik wird die Kindertagesbetreu-
ung für unter Dreijährige ausgerechnet von denen be-
zahlt, die die volle Wucht des Sozialabbaus der letzten
Jahre am meisten zu spüren bekommen haben, deren
Kinder außerdem derzeit bis zum dritten Lebensjahr
häufig noch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf ei-
nen Ganztagsplatz in der Kita haben und möglicher-
weise auch 2013 die größten Verlierer sein werden.
Denn die Plätze werden voraussichtlich nicht für alle
reichen. Eine solche Politik macht einmal mehr deutlich,
dass Kindertagesbetreuung und deren bitter notwendi-
ger Ausbau nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
betrachtet wird und die öffentliche Hand in persona der
Bundesregierung sich immer mehr aus ihren Aufgaben
stiehlt.
Ich bin den Grünen sehr dankbar dafür, dass sie mit
ihrem Antrag der Debatte um die Finanzierung des Aus-
baus der Kinderbetreuung mehr Gewicht geben und sich
der Bundestag nun wiederholt mit dieser Frage befassen
muss. Vor allem bin ich dankbar, dass neben der Linken
eine weitere Bundestagsfraktion Wege aus der unsozia-
len Politik der vergangenen Jahre sucht, indem sie for-
dert, dass der Staat für einen ausgewogenen Finanzaus-
gleich sorgt und nicht die Bürgerinnen und Bürger
immer wieder zur Kasse gebeten werden. Auch die Linke
fordert seit langem, dass der Bund sich endlich dauer-
haft und in größerem Umfang als bisher an der Finan-
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schwarze Zahlen gegossen: Einer aktuellen Bertels-mann-Studie zufolge liegt der Anteil betreuter Zweijäh-riger heute bereits bei 40 Prozent. Der angenommeneBedarf von 35 Prozent, der den Kostenberechnungen zu-grunde liegt, ist absehbar zu niedrig und die Berech-nungsgrundlage der Bundesregierung damit unsolide.In vielen Städten und Gemeinden wird der Bedarf anKinderbetreuungsplätzen voraussichtlich über dasPlatzangebot hinausgehen. Natürlich werden viele El-tern von ihrem Recht Gebrauch machen und ihrenRechtsanspruch auf Kinderbetreuung bei den Kommu-nen einklagen. Der Handlungsbedarf besteht jetzt.Wenn die Bundesregierung gemeinsam mit den Län-dern und Kommunen nicht den tatsächlichen Bedarf anKinderbetreuungsplätzen erhebt und auf dieser Grund-lage ein solides Finanzierungskonzept mit Ländern undKommunen vereinbart, lässt sie sowohl die Kinder alsauch die Kommunen im Stich.Bisher ist es doch so: Trotz der desaströsen finanziel-len Lage vieler Kommunen besteht die ursprünglichvereinbarte Drittelfinanzierung der Ausbaukosten von12 Milliarden Euro zwischen Bund, Ländern und Kom-munen nur auf dem Papier. Es wird viele Länder geben,die die Mittel des Bundes nicht vollständig weiterleitenund zudem Landesmittel aus der Finanzierung abziehenwerden.Also: Überprüfen Sie den tatsächlichen Bedarf anKinderbetreuungsplätzen! Überprüfen Sie die tatsäch-lich anfallenden Kosten und sorgen Sie für eine ausrei-chende Finanzierung! Überprüfen Sie, ob die eingesetz-ten Mittel auch wirklich da ankommen, wo sie gebrauchtwerden: in den Not leidenden Kommunen. Handeln Siejetzt! Sorgen Sie für eine aufgabengerechte Kostenaus-stattung der Kommunen und für die Realisierung desRechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem vollende-ten ersten Lebensjahr, heute und morgen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1778 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mittel des Nationalen Stipendienprogramms
für eine Erhöhung des BAföG nutzen
– Drucksache 17/2427 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll gegeben, und zwar folgender Kol-
leginnen und Kollegen: Dr. Stefan Kaufmann, Marianne
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die böse Koalition aus CDU/CSU und FDP, die nur dieReichen und Privilegierten fördert – dort die vereinigteLinke, die sich als Interessenwahrer der Armen und Un-terprivilegierten ausgibt. Dieses verzerrte Bild vor Au-gen gehen andere so weit, im Zusammenhang mit Stipen-dien von einer „Inzucht der Eliten“ zu sprechen. Dochist es richtig, den Förderern vorzuwerfen, dass angeb-lich die Falschen bei ihnen vorsprechen? Niemand istgehindert, sich bei einem der Begabtenförderungswerkeoder später im Rahmen des Nationalen Stipendienpro-gramms an einer der Hochschulen um ein Stipendium zubewerben. Je mehr wir aber das Klischee von einer ab-geschotteten Elite bemühen, umso eher werden Kinderaus sozial schwächeren Elternhäusern von einer Bewer-bung abgeschreckt. Auch dies sollten wir bedenken.Im Übrigen haben auch die Begabtenförderungs-werke selbst längst erkannt, dass mehr soziale Mischungguttut. Allein die Konrad-Adenauer-Stiftung investiert in2010 circa 7 Millionen Euro, um Nachwuchs aus Mi-grantenfamilien und Nicht-Akademiker-Haushalten füreine Bewerbung um ein Stipendium zu gewinnen. DieVerfasser der HIS-Studie zeigen zudem selbst auf, dassfür die Frage der Bewerbung um ein Stipendium nichtnur das Bildungsniveau der Eltern entscheidend ist, son-dern ebenso das Anregungsniveau im Elternhaus. Somithaben wir auch und vor allem ein Problem fehlender In-formationen über die Möglichkeiten einer Studienfinan-zierung über das BAföG hinaus – nicht aber ein Problemsozialer Ungerechtigkeit bei der Vergabe der Stipendien.Über das Nationale Stipendienprogramm sehe ich imÜbrigen eine gute Chance, die Informationslücke in densozial schwächeren und bildungsfernen Familien zuschließen. Durch die Beteiligung privater Mittelgeber,wie zum Beispiel Unternehmen, wird der Kreis der Wis-senden auch aus hochschulfernen Familien über dieMöglichkeit eines Stipendiums zwangsläufig größer.Lassen Sie uns also die Chancen einer neuen Stipendien-kultur in den Vordergrund rücken. Lassen Sie uns Stipen-dien als sozialen Kitt für unsere Gesellschaft begreifen –wie dieser Tage der Ex-Stipendiat Christian Fuchs in ei-nem Beitrag für „Spiegel Online“. Freuen wir uns losüber das große gesellschaftliche Engagement vieler Sti-pendiaten. Und ermuntern wir die Stipendiengeber, ins-besondere aus der Wirtschaft, über ihre Bildungswerke –ich nenne beispielhaft Südwestmetall in Baden-Württemberg – eine ideelle Förderung für die Stipendia-ten anzubieten und so deren Horizont zu erweitern. Da-rum muss es doch gehen: Die jungen Menschen zu er-muntern, den Blick über den Tellerrand zu wagen – inder Gemeinschaft mit anderen jungen Stipendiaten ausden unterschiedlichsten Fachbereichen. Genau dies istdoch die große Leistung und Errungenschaft der beste-henden Begabtenförderungswerke.Der Antrag der Fraktion Die Linke, die Mittel desNationalen Stipendienprogramms für eine Erhöhung desBAföG zu nutzen, ist auch vor diesem Hintergrund ein-mal mehr blanker Populismus. Er hilft uns nicht weiterbei unseren Bemühungen, Deutschland nach vorne zubringen und Solidarität zwischen den Generationen undzwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft aufzu-bauen. Das BAföG ist eben nur ein – zugegeben wichti-gmahnslgIZdeRndrasBdpDDshhhgrddlgABpaWsDpbWdaisehGuwDsssMwgZu Protokoll ge
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5804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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det. Falls nicht, setzen wir auf die Vernunft im Vermitt-lungsausschuss. Es sollte alles getan werden, spätestenshier einen tragfähigen Kompromiss zu schmieden.
Bei den Verhandlungen zum Nationalen Stipendien-
programm legte die schwarz-gelbe Koalition wenig Sinn
für demokratische Prozesse und den Wert parlamentari-
scher Diskurse um Gesetzesentwürfe an den Tag. Blind-
lings wurde wieder einmal ein Vorschlag durchge-
peitscht, der nicht nur bei der Opposition, sondern bei
zahlreichen Experten auf heftige Kritik gestoßen ist.
Man darf gespannt sein, wie morgen der Bundesrat
trotz der noch vorhandenen schwarz-gelben Mehrheit im
Bundesrat entscheiden wird. Eine Ablehnung scheint
sehr wahrscheinlich zu sein. Frau Schavan, Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU und FDP, was muss noch
passieren, damit Sie endlich einlenken?
Bereits bei den Haushaltsberatungen 2010 haben wir
von der SPD gefordert, das Nationale Stipendienpro-
gramm sein zu lassen und das dafür notwendige Geld in
einen nennenswerten Ausbau des BAföG zu stecken. Wir
haben diese Forderung in unserem Antrag zur BAföG-
Novelle und in einem Entschließungsantrag im Rahmen
der Debatten um das Nationale Stipendienprogramm
mehrfach wiederholt. Näheres dazu in der Ausschuss-
drucksache 17(18)20, Änderung Haushalt 2010, und
den Bundestagsdrucksachen 17/884, BAföG-Novelle,
und 17/2217, Entschließungsantrag zum Nationalen Sti-
pendienprogramm.
Daher ist der Antrag der Fraktion Die Linke in sei-
nem Grundanliegen zwar zu begrüßen, allerdings muss
man sich fragen, warum er gerade jetzt kommt. Einer-
seits ist die grundlegende Forderung schon älter. Ande-
rerseits wird er mit einer Bundesratsentscheidung be-
gründet, die noch gar nicht gefallen ist. Vonseiten des
Bundesrates gibt es zwar derzeit zwei Voten der zustän-
digen Ausschüsse, das Stipendienprogramm abzulehnen.
Es fehlt allerdings noch der endgültige Beschluss, der
morgen erst fallen wird. Aus Respekt vor demokrati-
schen Gepflogenheiten und den darin involvierten Insti-
tutionen wäre es sinnvoll, Entscheidungen abzuwarten.
Trotzdem noch ein paar Worte zum Grundanliegen,
das Geld für eine nennenswerte Ausweitung des BAföG
zu verwenden. An erster Stelle steht für mich die Frage
nach einer sozial gerechten Studierendenfinanzierung.
Hinzu kommt die Tatsache, dass das Stipendienpro-
gramm ein gewaltiges bürokratisches Monster nach sich
ziehen würde. Besonders schwerwiegend finde ich aller-
dings die einhellige Meinung aller Experten in der An-
hörung zum Gesetzentwurf, dass es als völlig utopisch
erscheine, 8 Prozent aller Studierenden über das Stipen-
dienprogramm finanzieren zu können. Viele waren der
Ansicht, dass 2 Prozent realistischer seien.
Alleine diese Tatsache würde ausreichen, um 75 Pro-
zent der für das Stipendienprogramm veranschlagten
Mittel umzuwidmen, insbesondere wenn es der Bundes-
regierung ernst ist, den Etat für Bildung und Forschung
signifikant zu erhöhen und mehr für die Bildung in die-
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wurden kleine Verbesserungen im BAföG-Gesetz darge-boten. Kritik hagelte es von allen Seiten: Studierende,Hochschulen, Wirtschaftsunternehmen- und verbände,unabhängige Experten. Selbst die Länder formuliertenin ihren Stellungnahmen zu beiden Gesetzentwürfen Vor-behalte. Insgesamt fiel die Beurteilung nicht gut aus.Das BAföG-Gesetz erhielt die Note mangelhaft; das Sti-pendiengesetz fiel komplett durch.Die SPD hat immer betont, dass der vorgelegte Ent-wurf zum BAföG-Änderungsgesetz richtige Ansätze,aber keine wirklichen Verbesserungen oder gar eineAusweitung enthält. In mehreren Anträgen wurden kon-struktive Vorschläge wie die Förderung von Teilzeitaus-bildungen, eine mutigere Anhebung der Altersgrenzeoder eine Förderung durch Anhebung der Einkommens-grenzen, die eine echte BAföG-Novelle ausgemacht hät-ten, vorgelegt. Abgelehnt wurden diese und weitere Vor-schläge mit der Begründung, dass die finanziellen Mittelhierfür im Haushalt des Bundes nicht vorhanden wären.Stattdessen werden aber für ein überteuertes, unsinnigesStipendienprogramm, das kaum jemand will, MillionenEuro verschleudert. Bereits in einem Entschließungsan-trag hat die SPD die Koalitionsfraktionen aufgefordert,das Stipendienprogramm aufzugeben und die frei wer-denden Mittel für die Ausweitung und Weiterentwicklungin der Ausbildungsförderung zu nutzen. Auch dieser An-trag wurde vehement zurückgewiesen. Erneut sind imHaushaltsentwurf für das Jahr 2011 10 Millionen Eurofür das Programm eingestellt.Mit Oppositionsvorschlägen mag die Bundesregie-rung so umgehen können. Tragisch ist nur, dass auch dieoftmals gleichen Vorschläge von unabhängigen Sach-verständigen und Experten komplett ignoriert wurden.Zudem kann man als Opposition nur staunend zu-schauen, welchen Umgang die Union und FDP mit ihreneigenen Leuten aus den Ländern pflegen. So haben dieLänder mit absoluter Mehrheit bereits signalisiert, dasssie in der morgigen Sitzung des Bundesrates beimBAföG-Gesetz den Vermittlungsausschuss anrufen wol-len sowie das Stipendienprogramm ablehnen werden.Damit drohen auch die wenigen noch zu diesem Winter-semester 2010/2011 vorgesehenen BAföG-Verbesserun-gen auszufallen. Das Festklammern am Stipendienpro-gramm wird auf Kosten der Schüler und Studierendenausgetragen.Die finanziellen Belastungen der Länder waren fürden Bund abzusehen. Die unseriöse Finanzpolitik derRegierungskoalition hat den Ländern schwer zugesetzt.Darum haben die Bundesländer den Bildungsgipfel zumScheitern gebracht. Darum steht die BAföG-Novelle vordem Scheitern. Es wird Zeit, dass CDU, CSU und FDPendlich einen Kurswechsel vollziehen: vernünftige Fi-nanzpolitik, Abkehr vom Stipendienprogramm und deut-liche Verbesserungen des BAföG. Davon können auchdie Länder überzeugt werden.
Dieser Antrag der Linken ist durch und durch unso-zial, er geht an den Interessen der Studierenden vorbeiund zeigt den Bildungsinteressen Abertausender Studie-rBbssi1wsdBdattrwdtetd8SrugrrSdeSdmvoWrwdpfrdBdwtkDGBZu Protokoll ge
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5806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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gerade einmal acht aus den Fachhochschulen. Wir wol-len mehr Fördergerechtigkeit, die wir mit unserem Na-tionalen Stipendienprogramm erreichen. Neben Univer-sitätsstudierenden brauchen wir deutlich mehr Stipen-dien für Fachhochschulen, pädagogische Hochschulenund Duale Hochschulen. Das ist ein großes Ziel diesesProgramms. Und – vergessen wir alle nicht, dass geradean Fachhochschulen deutlich mehr Studierende ausNichtakademikerfamilien sind. Und genau deswegenmüssen wir hier ansetzen.Außerdem ist das Nationale Stipendienprogramm einBildungsprogramm, in dem der Staat mit Privaten zu-sammenarbeitet. Wir wissen doch alle, dass wir eine hö-here private Bildungsbeteiligung brauchen. Hier be-kommen wir sie. Seien Sie deswegen nicht so fahrlässigund setzen das so einfach aufs Spiel!Und letztlich erreichen wir endlich eine noch stärkereEhemaligen-, eine Alumni-Kultur. Nordrhein-Westfalenhat gerade gezeigt, dass 40 Prozent der Finanzen vonAlumni kommen. Dies ist ein goldrichtiger Schritt fürDeutschland, um endlich eine Alumni-Kultur aufzu-bauen.So erreichen wir einen akademischen Generationen-vertrag für unser Land. Wer gegen das Nationale Stipen-dienprogramm ist, verhält sich unsozial. Wer gegenmehr Begabungsförderung ist, verhält sich unsozial.Wer jungen Menschen ihre Förderung vorenthalten will,verhält sich unsozial.Sie, die Linken, stehen für eine unsoziale Bildungspo-litik. Deswegen meine Bitte: Lehnen Sie alle diesen An-trag ab! Damit dieses Land bei der Talentförderung end-lich bildungsgerechter wird!
Die Bundesregierung ist mit ihrem Nationalen Stipen-
dienprogramm gescheitert. Sowohl Finanzausschuss als
auch Kulturausschuss des Bundesrates haben Ende Juni
mit deutlichen Mehrheiten dieses schwarz-gelbe Eliten-
förderungsprogramm abgelehnt – eine Ohrfeige für
Frau Merkel und Frau Schavan. Die Linke begrüßt es
ausdrücklich, dass das Stipendienprogramm nicht zu-
stande kommt, denn dieses Programm würde die soziale
Schieflage im Bildungs- und Hochschulsystem der BRD
weiter verschärfen. Aus dem vagen Ausblick, ein Stipen-
dium zu bekommen, das zudem an den Hochschulstand-
ort gebunden ist, entsteht keine Sicherheit in der Studien-
finanzierung. Die Bereitschaft von Jugendlichen aus
finanziell schlechter gestellten Familien, ein Studium
aufzunehmen, wird dadurch nicht gesteigert. Im Gegen-
teil zeigt jede bislang vorgelegte Statistik, dass gerade
diese Jugendlichen durch die leistungsbezogene Vergabe
von Stipendien übergangen werden – zugunsten von Stu-
dierenden aus höheren sozialen Schichten, die weniger
finanzielle Probleme haben.
Der Finanzausschuss des Bundesrates konnte sich je-
doch auch nicht durchringen, die kleine BAföG-Erhö-
hung zu befürworten, die auf Druck der Bildungspro-
teste zustande gekommen ist. Der Ausschuss hat die
Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen, weil
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ser Stelle rächt sich der dritte gescheiterte Bildungsgip-fel in Folge; die Bildungsrepublik droht endgültig zurFarce zu werden.Wir alle – da bin ich mir sicher – teilen die Haltung,dass auch die Bundesländer gegenüber ihren Studieren-den in der Pflicht und in der Finanzierungsverantwor-tung stehen – und sie deshalb den Weg für die BAföG-Novelle frei machen sollten.Die nur kleine, aber dennoch wichtige BAföG-Erhö-hung mit Sparargumenten zu stoppen, würde ein fatalesSignal an die Studierenden senden, wäre eine Düpierungvon Merkel und Schavan sowie eine Blamage für dieLandesminister.Wir sagen: Eine bessere Studienfinanzierung durchein stärkeres BAföG ist eine dringend notwendige Zu-kunftsinvestition – in kluge Köpfe, gegen Akademiker-mangel und Wirtschaftsflaute. Daher ist es notwendig,die BAföG-Novelle spätestens im Vermittlungsausschusszu beschließen.Wir Grüne fordern den Bundesrat zugleich dazu auf,das ungerechte, überdimensionierte und unausgegoreneNationale Stipendienprogramm zu kippen und nicht wei-ter zu verfolgen. Das mit großem Tamtam angekündigteProgramm ist ein reines Prestigeprojekt von FDP undMinisterin Schavan, das kein Problem der Lebensunter-haltsfinanzierung Studierender löst. Nicht nur die Stu-dierenden und die Mehrheit der Länder lehnen diesesProgramm ab und kritisieren es, sondern auch Stipen-diaten der Begabtenförderungswerke, die Hochschulensowie Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände.Wir sagen: Elitestipendien für wenige sind der fal-sche Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit; stattdessen be-darf es eines BAföG-Ausbaus für viele. Statt Stipendien-lotterie braucht es klare Rechtsansprüche.Ein mögliches Scheitern des Stipendienmurkses imBundesrat ist übrigens seit Monaten absehbar. Aber dieschwarz-gelbe Koalition wollte trotzdem daran festhal-ten und mit dem Kopf durch die Wand. Damit sind dieBundesbildungsministerin und die schwarz-gelbe Koali-tion von Anfang an das hohe Risiko eingegangen, dassihre eher halbherzige BAföG-Novelle zum Spielball ei-nes Bund-Länder-Kuhhandels im Vermittlungsausschusswird.Die Koalition darf die Studierenden und das BAföGnicht länger als Faustpfand für ein sinnloses Stipendien-gesetz instrumentalisieren. Sie müssen endlich die einzigrichtige Schlussfolgerung ziehen und das Nationale Sti-pendienprogramm noch heute zurückziehen.Die von Bund und Ländern für das Stipendienpro-gramm vorgesehenen 160 Millionen Euro Steuermitteldürfen aber nicht in Haushaltslöchern verschwinden,sondern sollten in einen echten und deutlicheren Ausbaudes BAföG investiert werden. Dann kann das Zurückzie-hen des Stipendienprogramms zum großen Wurf für dieStudierenden werden. Ein solches konstruktives Angebotdes Bundes wäre ein genereller Fortschritt im festgefah-renen Bund-Länder-Streit um die Bildungsfinanzierung.ggsdSgAdgsSwSAGFWpuHZgSregluddegaGksgudlladwFdÄbmSlaHBeZu Protokoll ge
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5808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5809
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dienmurks ein Stoppschild verpassen. Nur so kann dierichtige Priorität Realität werden und das BAföG zumkommenden Wintersemester erhöht werden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2427 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel
für erneuerbare Energien und zur Verringe-
rung prozessbedingter Emissionen
– Drucksache 17/2430 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Damit sind Sie einverstanden. Es geht um die Reden der
Kollegen Jens Koeppen, Frank Schwabe, Michael
Kauch, Eva Bulling-Schröter und Oliver Krischer.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2430 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden, wie ich sehe. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 32 sowie die
Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
32. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Gerold
Reichenbach, Dr. Eva Högl, Gabriele
Fograscher weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
zu dem Entwurf der Europäischen Kommis-
sion für das Verhandlungsmandat eines
neuen Abkommens zwischen der Europäi-
schen Union und den Vereinigten Staaten
von Amerika über die Verarbeitung von
Zahlungsverkehrsdaten und deren Über-
mittlung für die Zwecke des Programms der
USA zum Aufspüren der Finanzierung des
Terrorismus ,
Ratsdok. 7936/10 vom 24. März 2010
hier: Stellungnahme gegenüber der Bun-
desregierung gemäß Artikel 23 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes
Z
Z
d
d
R
v1) Anlage 10
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes in Verbindung mit
§ 9 EUZBBG
Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Eu-
ropas schützen – SWIFT ablehnen
– Drucksache 17/2429 –
Wie in der Tagesordnung bereits ausgewiesen, wer-
en die Reden zu Protokoll gegeben, und zwar folgen-
er Kollegin und Kollegen: Dr. Hans-Peter Uhl, Gerold
eichenbach, Gisela Piltz, Jan Korte und Dr. Konstantin
on Notz.
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Das Europäische Parlament hat heute mit großerMehrheit ein SWIFT-Abkommen angenommen, welchesdas Ergebnis eines langen und sorgfältigen Verhand-lungsprozesses ist. Dieses neue Abkommen war nötiggeworden, nachdem das europäische Parlament im Fe-bruar 2010 das SWIFT-Interimsabkommen abgelehnthatte, über das wir zuvor auch im Deutschen Bundestagleidenschaftlich debattiert hatten.Bereits bei der damaligen Debatte wurden zweiDinge klargestellt:Erstens ist Kontodatenabfrage ein taugliches Mittelzur Terrorbekämpfung. Die Datenströme zur Finanzie-rung von Terrorismus zu erkennen, ist ein nützlichesMittel, um gegen Terroristen vorzugehen. Ein Beispielfür die erfolgreiche Nutzung von Finanztransaktionsda-ten in Deutschland ist das Verbot des Hamas-Spenden-sammelverein al-Aqsa, das tragend auf solchen Infor-mationen beruhte. In Großbritannien konnten geplanteTerroranschläge auf Transatlantikflüge verhindert wer-den und auf dieser Grundlage drei Personen zu hohenHaftstrafen verurteilt werden.Zweitens steht aber auch fest, dass Kontodaten hoch-sensible persönliche Daten sind, die ein hohes Daten-schutzbedürfnis mit sich bringen. Zwar war eindeutig,dass ein SWIFT-Abkommen beiden Seiten ein höheresMaß an Rechtssicherheit geben würde als die Datenwei-tergabe in der Folgezeit des 11. September 2001 undauch besser wäre als die brieflichen Abmachungen zurDatenweitergabe des SPD-Ministers Steinbrück aus demJahr 2007, welches die ursprüngliche Grundlage desSWIFT-Abkommens darstellte. Trotzdem muss einhöchstmögliches Maß an Daten- und Rechtsschutzmög-lichkeiten für den Bürger im Mittelpunkt stehen.Deswegen habe ich bereits damals betont, dass es anden Parlamentariern des Europäischen Parlaments unddes Bundestages wäre, in diesem Spannungsverhältniszwischen Sicherheit und Datenschutz auf einen gangba-ren Kompromiss bei einem dauerhaften SWIFT-Abkom-men hinzuwirken.Neben den Abgeordneten des Bundestages und derdeutschen Regierung haben sich die Abgeordneten desEuropäischen Parlaments in dieser Frage als strengerPrüfstein erwiesen. Wegen Bedenken beim Daten- undRechtsschutz haben sie das Interimsabkommen zuSWIFT am 11. Februar abgelehnt. Jedoch wurden we-gen der unbestreitbaren Wichtigkeit des Abkommens als-bald Neuverhandlungen mit den USA aufgenommen, indenen die Vorbehalte thematisiert wurden.Das vorgelegte neue SWIFT-Abkommen stellt ein re-spektables Ergebnis dieser Verhandlungen dar, wasnicht zuletzt auch durch die breite Unterstützung vonChristdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten beider heutigen Annahme im Europäischen Parlament do-kumentiert wurde.Das Abkommen enthält insbesondere im Hinblick aufden Rechtsschutz und auf den Datenschutz deutlicheVerbesserungen gegenüber dem Interimsabkommen.HgtMzAknesügzrWgsGrkdgnKshSdkddraJamidDAmhcVsddpsdeEmasbZu Protokoll ge
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5810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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bereichsspezifischen Regelungen des SWIFT-Abkom-mens damit in ein umfassendes Datenschutzregime ein-gebettet werden. Wir bitten die Bundesregierung deswe-gen in unserem Antrag, ihre bisherigen Bemühungen inRichtung auf ein datenschutzfreundliches und dem Bun-desrecht Rechnung tragendes Datenschutzabkommender Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten vonAmerika fortzusetzen.Das vorliegende SWIFT-Abkommen, insbesondere inVerbindung mit unserer fortgesetzten Arbeit und Auf-merksamkeit auf diesem Gebiet, ist ein Kompromiss zwi-schen Sicherheit und Datenschutz, der alle Seiten ange-messen berücksichtigt. Die Zustimmung im Rat und imEuropäischen Parlament kann auch der Deutsche Bun-destag mit gutem Gewissen unterstützen.
Lassen Sie mich eines vorab zu dem nun auch vomEuropaparlament mitgetragenen SWIFT-Abkommen sa-gen: Meine Fraktion und ich waren doch sehr verwun-dert darüber, wie einfach es sich die Bundesregierungaus CDU/CSU und FDP bei den Verhandlungen zuSWIFT gemacht hat. Teilweise hatte man nicht das Ge-fühl, dass die Bundesregierung ein nachdrückliches In-teresse daran hat, hier deutsche Datenschutz- undRechtsschutzstandards zu implementieren. Nicht einmalden Versuch konnte man erkennen, man hat sich im dop-pelten Wortsinne „enthalten“.Beim Bundesinnenminister hatte man eher das Ge-fühl, dass er vor sich hin trudelte, frei nach dem Motto:Halb zog man ihn, halb sank er dahin. Und auch dieBundesjustizministerin und ihre FDP, die noch vor derWahl und in der Opposition tönten, keine Zugeständ-nisse bei SWIFT machen zu wollen und die Wahl im Sep-tember 2009 abzuwarten, frei nach dem Motto: Wir ver-hindern das dann!, war während der Verhandlungenkomplett auf Tauchstation gegangen. Von ihr habe ich inden letzten Wochen und Monaten nicht viel zu diesemThema gehört.Die gleiche Strategie hatte die Frau Bundesjustizmi-nisterin bereits im ersten Anlauf bei dem am 30. Novem-ber 2009 von den europäischen Innen- und Justizminis-tern unterzeichneten SWIFT-Abkommen gefahren. AmBeginn der Verhandlungen wurde noch einmal kurz einkleines Hin und Her bemüht zwischen den Ressorts In-nen und Justiz, doch am Ende durfte der Bundesinnen-minister schalten und walten und sich einfach in Brüsselenthalten, um so den Weg für den ersten Anlauf SWIFT-Abkommen zu ebnen. Und da frage ich FrauLeutheusser-Schnarrenberger: Warum haben Sie dennIhrem federführenden Kollegen im Bundesinnenministe-rium nicht genauer auf die Finger gesehen?! Bei demganzen Streit, der zwischen der Koalition herrschte, wärees auf diesen einen Punkt auch nicht mehr angekommen.Außerdem wäre Ihnen zumindest damit ein bisschenGlaubwürdigkeit erhalten geblieben.Sie müssen sich deshalb als Bundesregierung auchbei dem jetzt vorliegenden Ergebnis schon die Frage derOpposition gefallen lassen: War da wirklich nicht mehrmöglich? Wenn Sie mir jetzt mit dem GegenargumentkhmjlzpdtgngucfjuiDatgrlflndnRDDRdshRssrdpsEfrdthrlpdmeZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5811
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engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Vor-ratsdatenspeicherung, welches bereits eine sechsmona-tige Speicherfrist für den Fall der Telekommunikations-datenspeicherung als unzulässig erachtete. Nach demUrteil wurde der Gesetzgeber dazu verpflichtet, „an-spruchsvolle und normenklare Regelungen“ unter demGebot von Datenschutz, Datensicherheit, Transparenzund Rechtsschutz zu schaffen. Wir hegen große Zweifel,ob das SWIFT-Abkommen in seiner derzeitigen Formmit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestelltenGrundsätzen vereinbar ist.Die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich nichtgrundsätzlich gegen ein Abkommen aus. Wir halten dieZusammenarbeit zur Terrorismusbekämpfung für wich-tig und unabdingbar. Aber wir können einem entspre-chenden Abkommen nur zustimmen, wenn Freiheits- undBürgerrechte ausreichend berücksichtigt und entspre-chende Schutzmechanismen für die Betroffenen geschaf-fen worden sind.Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte PeterHustinx sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte PeterSchaar bezweifeln in ihren Stellungnahmen zu dem Ab-kommen die Rechtmäßigkeit der vorgesehenen Übertra-gung von großen Datenmengen sowie der fünfjährigenSpeicherfrist. Wir befinden uns mit unserer Kritik also inguter Gesellschaft und überziehen keineswegs oder be-treiben ein Wunschkonzert.Man muss der Bundesregierung am Ende vorwerfen,Freiheits- und Bürgerrechte nicht in Einklang mit demBedürfnis nach Terrorismusabwehr und Sicherheit ge-bracht zu haben. Wir halten daran fest, dass das nunmehrausgehandelte Abkommen im Ergebnis unter daten-schutzrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gesichts-punkten nicht ausreichend ist.Wir honorieren sehr wohl die Arbeit der Parlamenta-rier im Europaparlament, insbesondere die der SPE-Fraktion, denn ohne sie wäre es nie zur Verhinderungdes ursprünglichen Abkommens und zu Neuverhandlun-gen gekommen. Die hier nun vorliegenden Verbesserun-gen sind nicht das Ergebnis der guten Verhandlungender Bundesregierung, sondern allein dem rigorosen Ein-schalten des Europaparlaments geschuldet. Dies müs-sen wir noch einmal hervorheben.Noch eine Anmerkung an die Kolleginnen und Kolle-gen der FDP: Sie können sich in Ihrer Verantwortungnicht damit herausreden, was Rot-Grün oder Sozialde-mokraten vorher angeblich alles gemacht oder nicht ge-macht haben. Das reicht nicht als Begründung dafüraus, dass Sie jetzt einem Abkommen sang und klangloszustimmen, das wesentliche Forderungen, die Sie in Ih-rer Oppositionsarbeit und die Ihre Justizministerin auf-gestellt haben, nicht erfüllt. Hier hätten wir gerade auchvon einer „Möchtegern-Bürgerrechts- und -Freiheits-rechte-Partei“ mehr erwartet.Zwar können wir heute über das Abkommen selbstnicht mehr abstimmen, aber unser Votum zu den vorlie-genden Anträgen macht deutlich: Wir stimmen dem aus-gehandelten Abkommen nicht zu.shgAsldnmikwSrhrGaRdGnUDmlSrmagauMwgwkeshsdlvnjgnnwBgZu Protokoll ge
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5812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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Selbstbestimmung folgen, namentlich Rechte auf Aus-kunft, Richtigstellung, Sperrung und Löschung persönli-cher Daten, ausdrücklich im Abkommen enthalten sind.Dabei können diese Rechte von EU-Bürgerinnen undEU-Bürgern über die jeweiligen Datenschutzbeauftrag-ten ihres Herkunftslandes geltend gemacht werden. Diesbirgt eine positiv zu bewertende Verfahrenserleichte-rung für die Geltendmachung grundlegender Rechte.Die Beschränkungen bei der Weitergabe an Drittstaa-ten, die nunmehr von der Genehmigung des Herkunfts-landes des Betroffenen abhängt, tragen dafür Sorge,dass an Drittstaaten, in denen ein angemessenes Schutz-niveau beim Daten- und Rechtsschutz nicht vorhandenist, die Datenweitergabe verweigert werden kann.Die strikte Begrenzung auf Daten mit Bezug zu inter-nationalem Terrorismus und die klare Eingrenzungdurch die Übernahme der allgemein anerkannten Defi-nition des internationalen Terrorismus der VereintenNationen ist ebenfalls zu begrüßen.Es wäre vermessen, zu behaupten, dass das SWIFT-Abkommen nun ohne jeden Fehl und Tadel ist. Wenn-gleich nunmehr innerhalb der EU durch Europol alleAnfragen verifiziert werden, bevor SWIFT die Daten imPush-Verfahren an das US Treasury Department über-mittelt, werden doch nach wie vor Massendaten über-mittelt. Die Extrahierung der tatsächlich relevanten Da-ten erfolgt nach wie vor in den USA. Auch wenn dasEuropaparlament dankenswerterweise erreicht hat, dassder Zugriff und die Auswertung in den USA durch eineneuropäischen Beamten überwacht und gegebenfallsauch blockiert werden können, liegt hier der größte Kri-tikpunkt. Es ist daher gut, dass das Europaparlamentweiterhin erreicht hat, dass die EU-Kommission inner-halb eines Jahres ein Konzept vorlegen wird, um die Da-tenextrahierung innerhalb der EU selbst vorzunehmen.Hierzu müssen die technischen und rechtlichen Rahmen-bedingungen geregelt werden. Die Übergangslösung mitder Überwachung durch einen europäischen Beamten inden USA ist jedoch hinnehmbar, da durch die Jahresfristin absehbarer Zeit die Massendatenübertragungen be-endet sein werden.Mit dem SWIFT-Abkommen wurde also schon viel er-reicht, was Datenschutz und Rechtsschutz bei der trans-atlantischen Zusammenarbeit, die für die Bekämpfungdes internationalen Terrorismus unverzichtbar ist, an-geht. Aber natürlich ist die Debatte nicht beendet. Esgibt noch viel zu tun. Daher ist es besonders zu begrü-ßen, dass die EU und die USA nunmehr Verhandlungenüber ein generelles Rahmenabkommen aufnehmen wer-den, um bei jedem Datenaustausch ein hohes Schutzni-veau zu gewährleisten.Insbesondere müssen die Rechte des Betroffenen aufAuskunft, Löschung, Richtigstellung oder Sperrung ver-ankert werden, ebenso wie ein starker Rechtsschutzme-chanismus, der eine unabhängige Prüfung ermöglicht.Der Grundsatz der Datensparsamkeit muss generell ver-ankert werden und auch das Prinzip, dass generell Da-ten möglichst kurz gespeichert werden und nicht odernicht mehr benötigte Daten umgehend zu löschen sind.Die Weitergabe von Daten muss an strikte Bestimmun-gmDreSeBmADtdlssgddspm–BlEsknbA–ttsdBhmbadeKRsdVRddZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5813
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Lösung des Übermittlungsproblems mehr als unzufrie-den ist.Nur stellt sich dann doch die Frage, warum Innen-minister de Maizière im zuständen EU-Rat dem Abkom-men dann seinen Segen gegeben hat. Vielleicht hat erauch nur auf eine inhaltliche Hilfestellung seitens desBundestages gewartet. Diesem Wunsch wären zumindestLinke und SPD sehr gerne nachgekommen. Gerne hättenwir Ihnen unsere Vorgaben zur Verhandlungsführungund den Verhandlungszielen mit auf den Weg gegeben.Leider aber hat die Bundesregierung alles getan, um dieVerhandlungen selbst, aber auch die internen Verhand-lungslinien im Verborgenen zu halten und Ergebnisse imInnenministerium zu privatisieren. Gleichzeitig mühtensich die europäischen Innenminister, ein neues Abkom-men nach dem Scheitern des ersten im EuropäischenParlament so schnell wie möglich unterschriftsreif zubekommen. Vor diesem Hintergrund konnten Anträgeder Opposition in Bezug auf die Aufnahme neuer Ver-handlungen mit den USA erst am gestrigen Tage imInnenausschuss debattiert werden – und dies, obwohldie Linke als auch die SPD-Fraktion ihre Stellungnah-men vor Beginn der zweiten Verhandlungsrunde einge-reicht hatten.Aber mit Stellungnahmen des Deutschen Bundestageszu wesentlichen Unionsdokumenten scheint es die Koali-tion sowieso nicht besonders zu haben. So wurde eben-falls am gestrigen Mittwoch im Innenausschuss einentsprechender Entwurf für eine Stellungnahme desBundestages zum neuen SWIFT-Abkommen der FraktionDie Linke mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ab-gelehnt. Stattdessen liegt dem Plenum des Bundestagesheute ein Antrag der Koalition vor, in dem die Ergeb-nisse der Verhandlungen zwischen der EU und den USAin den siebten Himmel gelobt werden.Das alles ist wahrlich eine Farce. Peinlich ist in die-sem Zusammenhang das Agieren der FDP-Fraktion zunennen. Tönte deren Justizministerin noch Anfang desJahres, ein solches Abkommen würde es mit ihr nichtgeben, ist Frau Leutheusser-Schnarrenberger nun voll-ends verstummt. Der FDP blieb letztlich nur, einige kri-tische Anmerkungen im benannten Koalitionsantrag aufden hinteren Seiten in weichgespülter Pose unterzubrin-gen.Um eines ganz deutlich zu sagen: Ohne die Linksfrak-tion im Bundestag würden wir heute gar nicht über die-ses Abkommen debattieren. Die Linke hatte gefordert,endlich das Thema auch hier im Plenum zu behandeln,um es aus nichtöffentlichen Innenausschusssitzungenherauszuholen und eben nicht nur auf der Grundlagevon als vertraulich eingestuften Dokumenten zu debat-tieren.Wenn aber das neue Abkommen so ein großer Fort-schritt ist, warum wollte die Koalition oder der Innen-minister dieses den Bankkunden nicht auch mitteilen?Liegt es vielleicht daran, dass Bankkunden, die ins Vi-sier von US-Terrorfahndern geraten sind, auch zukünf-tig kaum über Informations- und Widerspruchsrechteverfügen? Oder liegt es daran, dass durch diesesAbkommen Bankkunden bereits als verdächtig angese-hnegmeolimswdskhHnbstdasfflfunEwddwlumieultNtZTpMd–PigtAZu Protokoll ge
Die heute im Europäischen Parlament von Konserva-iven, Sozialdemokraten und Liberalen beschlosseneustimmung zum SWIFT-Abkommen markiert eineniefpunkt europäischer Grundrechts- und Datenschutz-olitik. Wir Grüne sind besorgt, wie leichtfertig eineehrheit des Europäischen Parlaments sein gerade iner Haltung zum ersten SWIFT-Abkommen erreichteszugegebenermaßen noch zartes – bürgerrechtlichesrofil wieder verspielt. Noch besorgter macht uns, wien diesem Zusammenhang die schwarz-gelbe Bundesre-ierung die Alternativlosigkeit ihrer Entscheidung be-ont, dem nun ausgehandelten Abkommen zuzustimmen.lternativlosigkeit wird in diesen Tagen immer öfter zum
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5814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Jan Kortegebene Reden
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Mantra derjenigen, die mit einer Geste des Achselzu-ckens ihre fehlende innere Überzeugung und ihren feh-lenden politischen Gestaltungswillen offenbaren.Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in der gestri-gen Sitzung des Innenausschusses zu Recht daraufhingewiesen, welche Spielräume für Verhandlungen estatsächlich gab. Denn sehr schnell waren die amerikani-schen Verhandlungsführer von ihrer Drohung eines uni-lateralen Vorgehens und der völligen Ablehnung vonNeuverhandlungen abgerückt, als sie merkten, dass derWiderstand der EU gegen ihr Vorgehen in SachenSWIFT auch nach der Entscheidung des EuropäischenParlaments Bestand hatte. Ganz im Gegensatz zumtransatlantischen Streit um die Fluggastdaten – eineweitere bürgerrechtliche Leiche im Keller der EU – ver-fügen die USA im Fall von SWIFT auch nicht mehr überdas Druckmittel des unmittelbaren Zugriffs auf die frag-lichen Server. Der Druck der Datenschützer hatte nachBekanntwerden der heimlichen Datenweitergabe an US-Behörden ja gerade dazu geführt, dass die in den USAbefindlichen Server des Unternehmens SWIFT dort ab-gebaut und nach Europa gebracht wurden. Die damit er-öffneten Verhandlungsspielräume sind von der Kommis-sion jedoch leider nicht genutzt worden, um die hoheneuropäischen Datenschutzstandards zu wahren unddurchzusetzen und die Bürgerinnen und Bürger vor ei-nem Ausverkauf ihrer Daten zu schützen.Deshalb lehnen wir auch das nunmehr zustande ge-kommene zweite SWIFT-Abkommen ab. Mit unserem An-trag, den wir hier gleich abstimmen werden, appellierenwir an die Bundesregierung, sich die bestehenden daten-schutz- und verfassungsrechtlichen Bedenken zu Herzenzu nehmen und gegen das Abkommen in der noch offe-nen Abstimmung des Rates zum EP-Beschluss zu stim-men. Nur so kann die Bundesregierung ihrer Verantwor-tung für den Schutz der Grundrechte ihrer Bürgerinnenund Bürger gerecht werden.Besondere Aufmerksamkeit in diesem Kampf um Bür-gerrechte verdient erneut die FDP. Denn heute wissenwir: Die jüngsten Ankündigungen der zumindest einst-mals Liberalen, sich angesichts des desolaten Zustandsder Partei und der eigenen Programmatik wieder ver-stärkt auf den Bereich der Bürgerrechtspolitik zu kon-zentrieren, war reine Rhetorik.Noch auf ihrem Parteitag im April beschloss die FDPmit Blick auf das SWIFT-Abkommen, die Datenübermitt-lung „in Paketen“ auszuschließen. Wörtlich heißt es indem von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenbergervorbereiteten Antrag: „Die FDP lehnt einen präventi-ven Datenaustausch ab.“ Denn in der Tat handelt es sichbei dem nun vereinbarten Datenaustausch um eineVorratsdatenspeicherung, weil circa 97 Prozent der zuübermittelnden Bankdaten unbescholtene und unver-dächtige Bürgerinnen und Bürger betreffen. Das SWIFT-Abkommen wäre für die FDP eine ideale Gelegenheitgewesen, ihren bürgerrechtlichen Ankündigungen auchtatsächlich Taten folgen zu lassen. Doch geschehen istzu wenig. Noch nicht einmal von einer koalitionsinter-nen Debatte war der leiseste Ton zu hören.mAerLkdettrneditrbvCImnSedgütfddPVPdriühwnvfkddtddigtkufwZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5815
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5816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
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gegangen, hätten diese Selbstverständlichkeiten bei derÜbermittlung von SWIFT-Daten an die USA keinerleiRolle gespielt.Meine Fraktion bedauert, dass Konservative, Sozial-demokraten und Liberale im Europäischen Parlamentdem Abkommen, obwohl dieses nach wie vor erheblichedatenschutzrechtliche Mängel aufweist und seine Ver-fassungsmäßigkeit nach wie vor insgesamt infrage ge-stellt werden muss, nun vorschnell zugestimmt haben.Viel zu früh gibt das EU-Parlament seinen Anspruchauf, einen substanziell höheren Grundrechteschutz auf in-ternationaler Ebene zu verankern. Stattdessen schwenktdie EU nun auf das niedrige Niveau des US-Rechts ein.Ohne wenigstens eine verbindliche Befristung der Da-tenübertragung in Hinblick auf das geplante Daten-schutzrahmenabkommen festzusetzen, wird die noch inder letzten Parlamentsresolution als EU-rechtswidrigbezeichnete Massendatenweitergabe nun durchgewinkt.Geradezu absurd und wohl auch rechtswidrig ist, dassnun ausgerechnet Europol als Genehmigungsbehördefür die Anfragen der US-Ermittler eingesetzt wird.Schließlich hat die europäische Polizeibehörde ein eige-nes Interesse an den Auswertungsergebnissen. Hierscheint es in der Tat so, als werde der Bock zum Gärtnergemacht.In dem jetzt ausgehandelten Abkommen werden nachwie vor sogenannte Bulk Data, also ganze Datenpakete,übermittelt. Damit sind völlig wahllos alle Personen be-troffen, die zum Beispiel an einem bestimmten Tag voneiner bestimmten Bank eine Überweisung in einen aus-ländischen Staat getätigt haben. Spätestens an diesemPunkt wird das Abkommen zu einem Vertrag zulastenunverdächtiger Dritter. Es ist für mich nicht nachvoll-ziehbar, warum eine Vorauswahl der zu übermittelndenDaten nicht auch von europäischem Boden aus hätte er-folgen können, um so eine Gesamtübermittlung der Da-ten in die USA zu verhindern.Der zweite Punkt betrifft die nun vereinbarte Spei-cherdauer von fünf Jahren. Der eherne datenschutz-rechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit gebietet dieLöschung der Datenbestände nach Wegfall des Speiche-rungsgrundes. Ist nun – wie nach dem Abkommen vorge-sehen – aufgrund eines Tatverdachts die Durchsichteines Datenpakets mit den Daten unverdächtiger Perso-nen erfolgt, so hat sich der Speichergrund erledigt.Selbst bei Einräumung einer großzügigen Frist zur er-neuten Prüfung bleibt eine fünfjährige Frist absolut un-haltbar. Diese Speicherung von Daten auf Vorrat genügtsicherlich nicht den jüngst vom Bundesverfassungsge-richt hierfür aufgestellten hohen Hürden.Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament, al-len voran mein Kollege Jan Philipp Albrecht, aber auchmeine Fraktion hier im Bundestag, hätten sich einencouragierteren Kampf für einen höheren Schutz derDaten der Bürgerinnen und Bürger Europas gewünscht.Hinsichtlich zukünftiger Abkommen müssen wir unszwingend der Frage stellen, welche Eingriffsschwellengrundsätzlich für notwendig erachtet werden, um einkontinuierliches Ausweiten staatlicher Ermittlungen aufauhvtugditfdAhlksdFsfhgVMMdrdzIsedSusDKtBAmVAmreBKDE(C(Dlle Bürgerinnen und Bürger, also den Generalverdachtnd Ermittlungen ins Blaue hinein, zu verhindern.Aus meiner Sicht ist vor dem Hintergrund der Ver-ältnismäßigkeit jedem Versuch, auf Datenbestände,on denen wir von vornherein wissen, dass diese prak-isch vollumfänglich die Finanztransaktionsdaten völlignbescholtener Bürgerinnen und Bürger enthalten, einelasklare Absage zu erteilen – auch und vor allem vorem Hintergrund, dass das derzeitige US-Recht wederm öffentlichen noch im nichtöffentlichen Bereich Da-enschutzstandards vorsieht, die annähernd unseren ver-assungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Ich denkeabei an den nach wie vor in Kraft befindlichen Patriotct, der umfängliche Umgehungen des Richtervorbe-alts ermöglicht, aber auch an die im Privatbereich völ-ig fehlenden datenschutzrechtlichen Regelungen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-oalition, vor dem Hintergrund der zahlreichen rechts-taatlichen, auch verfassungsrechtlichen Bedenken istie von Ihnen in Ihrem jetzt vorgelegten Antrag gewählteormulierung, wonach das SWIFT-Abkommen „ein re-pektables Ergebnis darstelle“, ein rechtspolitischer Of-enbarungseid. In der nun gleich folgenden Abstimmungaben Sie noch einmal die Gelegenheit, sich alsewählte Volksvertreter dieses Hohen Hauses Ihrererantwortung für den Schutz der Daten von vielenillionen völlig unbescholtener und unverdächtigerenschen zu erinnern und zusammen mit uns die Bun-esregierung aufzufordern, die daten- und verfassungs-echtliche Notbremse zu ziehen und dem nun ausgehan-elten Abkommen im Rat in letzter Sekunde eine Absageu erteilen.
Damit kommen wir zur Abstimmung.Tagesordnungspunkt 32. Beschlussempfehlung desnnenausschusses auf Drucksache 17/2469. Der Aus-chuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-mpfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktioner SPD auf Drucksache 17/1407 mit dem Titel „NeuesWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts-nd Datenschutzmaßstäben“. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen deroalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi-ionsfraktionen angenommen.Wir sind noch bei Tagesordnungspunkt 32. Unteruchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desntrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1560it dem Titel „Einstellung der Verhandlungen mit denereinigten Staaten von Amerika um ein neues SWIFT-bkommen und Verzicht auf ein europäisches Abkom-en über ein Programm zum Aufspüren der Finanzie-ung des Terrorismus“. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Dieeschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen deroalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktionie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beinthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 55. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010 5817
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
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Zusatzpunkt 6. Es geht um die Abstimmung über denAntrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP aufDrucksache 17/2431 mit dem Titel „Datenschutz bei dertransatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung desinternationalen Terrorismus“. Wer stimmt für diesen An-trag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? –Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen ange-nommen.Zusatzpunkt 7. Wir kommen zur Abstimmung überden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 17/2429 mit dem Titel „Finanzdaten derBürgerinnen und Bürger Europas schützen – SWIFT ab-lehnen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist damit abge-lehnt. Dafür haben gestimmt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke, dagegen dieFraktionen von CDU/CSU und FDP. Enthalten hat sichdie Fraktion der SPD.Jetzt haben wir es schon geschafft. Wir sind amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich danke Ihnen herzlich für die lange Konzentrationund berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-ges auf morgen, Freitag, 9. Juli 2010, 9 Uhr, ein.Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch ei-nen schönen und angenehmen Abend.