Protokoll:
17049

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 49

  • date_rangeDatum: 17. Juni 2010

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 10:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:30 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/49 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 e) (Drucksachen 17/1939, 17/2183) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91 e) (Drucksachen 17/1554, 17/2183) . . . . b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Weiterent- wicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Drucksachen 17/1940, 17/2057) . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: 4950 C 4950 C 4950 D 4959 B 4960 C 4961 A 4961 D 4963 C 4964 C 4965 C 4966 A 4966 D Deutscher B Stenografisc 49. Sit Berlin, Donnerstag, I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Hans-Ulrich Klose . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 26, 28, 32 c, 35 n und 36 l sowie eines für morgen angekündigten Zusatztagesordnungspunktes Aktuelle Stunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Ukraine, Herrn Wolodymyr Lytwyn . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: 4949 A 4949 A 4949 D 4950 A 4963 B – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines undestag her Bericht zung den 17. Juni 2010 l t : Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Drucksachen 17/1555, 17/2188) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2190) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4950 D 4951 A 4951 B 4952 B 4953 B 4955 B 4956 B 4957 C Beschlussempfehlung und Bericht des Au schusses für Arbeit und Soziales zu dem A trag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jut s- n- ta II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 Krellmann, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mit guter Arbeit aus der Krise (Drucksachen 17/1396, 17/2069) . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Europäischen Über- einkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (Drucksache 17/2067) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 9. Juni 2006 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaa- ten, der Republik Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Republik Bulga- rien, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, der Republik Island, der Republik Kroatien, der Re- publik Montenegro, dem Königreich Norwegen, Rumänien, der Republik Serbien und der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Kosovo zur Schaffung eines gemeinsamen europäi- schen Luftverkehrsraums (Vertragsge- setz ECAA-Übereinkommen – ECAA- ÜbkG) (Drucksache 17/2068) . . . . . . . . . . . . . . . . 4969 B 4969 C 4971 B 4972 A 4973 B 4973 C 4974 D 4976 B 4977 A 4978 C 4979 B 4980 C 4981 C 4982 C 4983 B 4983 C 4984 D 4986 A 4986 D 4987 D 4988 D 4988 D c) Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Öffentlichen Zugang zu Informationen über klinische Stu- dien umfassend sicherstellen (Drucksache 17/1768) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bessere Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwecken – Konkrete Hal- tungsbedingungen in die Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung aufneh- men (Drucksache 17/2017) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Alexander Süßmair, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen in Deutsch- land und der Europäischen Union tier- gerechter regeln – Mindestanforderun- gen unverzüglich auf den Weg bringen (Drucksache 17/1601) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Die gewerbliche Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen in Deutsch- land und der Europäischen Union deut- lich verbessern (Drucksache 17/2006) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altöt- ting), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- ten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Europa in Bewegung – Mit Kompetenz und Ver- antwortung für einen europäischen Mehrwert im Sport (Drucksache 17/2129) . . . . . . . . . . . . . . . h) Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bür- gerfreundliches Rücknahmesystem für gebrauchte Energiesparlampen im Handel einrichten (Drucksache 17/1583) . . . . . . . . . . . . . . . i) Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbraucherinfor- mationsgesetz zügig reformieren (Drucksache 17/2116) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 A 4989 A 4989 B 4989 C 4989 C 4989 D 4989 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 III j) Antrag der Abgeordneten Ute Kumpf, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Stär- kung der Jugendfreiwilligendienste – Platzangebot ausbauen, Qualität erhö- hen, Rechtssicherheit schaffen (Drucksache 17/2117) . . . . . . . . . . . . . . . . k) Antrag der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Demokratische Teilhabe von Belegschaften und ihren Vertretern an unternehmerischen Ent- scheidungen stärken (Drucksache 17/2122) . . . . . . . . . . . . . . . . l) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Obligatorische Prüf- und Zulas- sungsverfahren für Haltungseinrich- tungen für Nutztiere – Tierschutz-TÜV zügig einführen (Drucksache 17/2143) . . . . . . . . . . . . . . . . m) Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbraucherfreundliche Rücknahme- pflicht des Einzelhandels für Energie- sparlampen durchsetzen (Drucksache 17/2121) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versorgung durch Hebam- men und Entbindungshelfer sicherstel- len (Drucksache 17/2128) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Muster- widerrufsinformation für Verbraucher- darlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermitt- lungsrechts (Drucksachen 17/1394, 17/1802, 17/2095) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güter- kraftverkehrsgesetzes und des Fahrper- sonalgesetzes (Drucksachen 17/1395, 17/1903, 17/1835) 4990 A 4990 A 4990 B 4990 B 4990 C 4990 C 4991 A c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Staats- vertrag vom 16. Dezember 2009 und 26. Januar 2010 über die Verteilung von Versorgungslasten bei bund- und länderübergreifenden Dienst- herrenwechseln (Drucksachen 17/1696, 17/2014) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2048) . . . . . . . . . . . . . d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 27. November 2008 über die Änderung des Vertrags vom 11. April 1996 über die Internationale Kommis- sion zum Schutz der Oder gegen Verun- reinigung (Drucksachen 17/1702, 17/2144) . . . . . . . e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie auf dem Ge- biet des Umweltrechts sowie zur Ände- rung umweltrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/1393, 17/1904, 17/2148) f) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Insel Man über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunfts- austausch (Drucksachen 17/1698, 17/2168) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 2. März 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Insel Man zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung von im internationa- len Verkehr tätigen Schifffahrtsun- ternehmen (Drucksachen 17/1697, 17/2168) . . . . g) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 26. März 2009 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung von Guern- sey über den Auskunftsaustausch in Steuersachen (Drucksachen 17/1699, 17/2090) . . . . 4991 B 4991 B 4991 C 4991 D 4992 A 4992 B 4992 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 13. Au- gust 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Gibraltar über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Aus- kunftsaustausch (Drucksachen 17/1700, 17/2090) . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Septem- ber 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über die Zusammen- arbeit und den Informationsaus- tausch in Steuersachen (Drucksachen 17/1701, 17/2090) . . . . h) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes und des Agrarstatistikgesetzes (Drucksachen 17/1703, 17/2109) . . . . . . . i) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kat- zen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsge- setzes und zur Änderung des Seefische- reigesetzes (Drucksachen 17/1704, 17/2110) . . . . . . . j) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Neununddreißigste Ver- ordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emis- sionshöchstmengen – 39. BImSchV) (Drucksachen 17/1900, 17/2175) . . . . . . . k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Fraktio- nen der CDU/CSU und der FDP: Modell- versuch „Begleitetes Fahren mit 17“ in das Dauerrecht überführen (Drucksachen 17/1573, 17/2147) . . . . . . . m) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Herstellung des Einverneh- mens zu den erwarteten Ergebnissen der Regierungskonferenz im Hinblick auf die Zusammensetzung des Europäi- schen Parlaments nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon 4992 D 4992 D 4993 B 4993 C 4994 A 4994 A hier: Erklärung des Deutschen Bundes- tages nach § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele- genheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/2127) . . . . . . . . . . . . . . . n) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Konstantin Hunko, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Verän- derung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufen- den Wahlperiode (Drucksache 17/2049) . . . . . . . . . . . . . . . o) Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Dr. Rolf Mützenich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Den Europäischen Auswärtigen Dienst im Dienste aller EU-Institutionen handlungsfähig und wirkungsvoll ausgestalten (Drucksache 17/2118) . . . . . . . . . . . . . . . p) – v) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 97, 98, 99, 100, 101, 102 und 103 zu Petitionen (Drucksachen 17/1990, 17/1991, 17/1992, 17/1993, 17/1994, 17/1995, 17/1996) . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgipfels auf die gemeinsame Bil- dungspolitik von Bund und Ländern . . . . . Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 4994 C 4994 C 4994 C 4994 D 4995 C 4995 C 4996 D 4997 D 4999 A 5000 B 5001 C 5003 A 5004 C 5005 D 5006 D 5007 D 5008 D 5010 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 V Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Strafrechtlichen Rehabilitie- rungsgesetzes (Drucksache 17/1215) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Herausforde- rung Millenniums-Entwicklungsziele (Drucksache 17/2018) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steigerung der Entwick- lungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetz- lich festlegen (Drucksache 17/2024) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mit dem Global Green New Deal die Millenniumsentwick- lungsziele erreichen (Drucksache 17/2132) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 5011 A 5011 B 5012 B 5013 B 5015 A 5015 D 5016 B 5017 B 5017 C 5017 D 5019 B 5020 A 5020 D 5021 A 5021 A 5021 B 5022 D 5024 C 5025 C 5026 D 5028 A 5029 C Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Inte- rim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Re- solutionen, zuletzt 1884 (2009) vom 27. August 2009 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/1905, 17/2171) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2177) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreu- ungsgeldes (Drucksache 17/1579) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5030 C 5030 D 5030 D 5032 B 5033 B 5034 C 5035 C 5036 D 5037 C 5038 B 5039 C 5044 C 5039 D 5040 A 5041 A 5041 D 5042 C 5043 A 5046 B 5047 D 5048 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Frie- densmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Si- cherheitsrates der Vereinten Natio- nen vom 24. März 2005 und Folgere- solutionen (Drucksachen 17/1902, 17/2172) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2178) . . . . . . . . . . . . . b) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/ UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen (Drucksachen 17/1901, 17/2173) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2179) . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Große Anfrage der Abgeordneten Ute Kumpf, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 5048 C 5049 C 5049 D 5050 A 5051 B 5051 D 5053 B 5053 C 5053 C 5053 C 5053 D 5054 D 5056 B 5057 A 5058 B 5059 B 5660 C, D 5063 D, 5066 C Sicherung der Technologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und Baube- reich (Drucksache 17/931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) (Drucksachen 17/1953, 17/2174) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/2180) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Wehrpflicht – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Wehrpflicht beenden (Drucksachen 17/1736, 17/1431, 17/2174) Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Christine Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gleichstellung einge- tragener Lebenspartnerschaften (Drucksache 17/2113) . . . . . . . . . . . . . . . 5061 A 5061 A 5061 B 5061 C 5061 C 5062 D 5068 B 5068 D 5069 D 5071 A 5072 B 5073 B 5074 C, D 5078 D, 5081 C 5075 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 VII b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Öffnung der Ehe (Drucksache 17/2023) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Ar- beitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz (Drucksache 17/1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fachkräfteprogramm – Bildung und Erzie- hung – unverzüglich auf den Weg bringen (Drucksache 17/2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die aufsichtsrechtli- chen Anforderungen an die Vergü- tungssysteme von Instituten und Versi- cherungsunternehmen (Drucksachen 17/1291, 17/1457, 17/2181) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicolette Kressl, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Maßnah- menbündel gegen Spekulationen auf den Finanzmärkten und ungerecht- fertigte Banker-Boni – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Dem Vorbild Großbritanniens und Frank- reichs folgen – Boni-Steuer für die Finanzbranche einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der Allgemeinheit (Drucksachen 17/526, 17/452, 17/794, 17/2181) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5075 A 5075 B 5075 C 5075 D 5076 B Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Drucksache 17/1428) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundes- waldgesetzes (Drucksachen 17/1220, 17/2184) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Ökosystems für heutige und künftige Generationen – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Qued- linburg), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Bundeswaldgesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe Waldbewirtschaftung fördern – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Waldbericht der Bun- desregierung 2009 (Drucksachen 17/1050, 17/1586, 17/1743, 16/13350, 17/2184) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5076 B 5083 B 5085 A 5086 B 5087 B 5088 C 5088 D 5089 A VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- meidung kurzfristiger Marktengpässe bei flüssiger Biomasse (Drucksachen 17/1750, 17/2182) . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Todesstrafe welt- weit abschaffen (Drucksache 17/2114) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Fraktion der SPD: Folter be- kämpfen und Folteropfer unterstützen (Drucksache 17/2115) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Todesstrafe weltweit (Drucksache 17/2131) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Weingesetzes (Drucksachen 17/1749, 17/2108) . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Hochwasserschutz europäisch und ökologisch nachhaltig umsetzen – Für ein integriertes Hochwasserschutz- konzept 5089 D 5090 A 5090 D 5091 B 5091 D 5092 B 5093 A 5094 A 5094 A 5094 A 5094 B 5094 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feuchtgebieten fördern – Hochwassergefahren mindern, Klima schützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Undine Kurth (Quedlinburg), Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auenschutzprogramm vorle- gen (Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760, 17/2176) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge- setze (Drucksachen 17/1684, 17/2169) . . . . . . . . . . Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Fluggast- rechte stärken (Drucksache 17/2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Lucia Puttrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- 5096 A 5096 B 5096 C 5097 B 5098 B 5099 B 5100 A 5100 C 5101 B 5101 C 5102 C 5103 D 5104 C 5105 A 5105 C 5106 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 IX lung zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- schuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan „Urbane Mobilität“ (inkl. 14030/09 ADD 1 und 14030/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) KOM(2009) 490 endg.; Ratsdok. 14030/09 (Drucksachen 17/136 Nr. A.92, 17/815) . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biodiversität national und international konsequent schützen (Drucksache 17/2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nährwert-Ampel bundesweit einführen (Drucksache 17/2120) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die „Information der Verbrau- cher über Lebensmittel“ KOM(2008) 40 5107 B 5107 C 5109 C 5110 C 5111 B 5111 D 5112 B 5112 C 5113 A 5114 B 5115 B 5115 D 5117 A hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Lebensmittelinformation verbessern – Ver- bindliche Ampelkennzeichnung einführen (Drucksachen 17/1987, 17/2185) . . . . . . . . . . Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef Fell, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Aufhebung der Haushaltssperre und Weiterführung des Marktanreizprogramms und der nationa- len Klimaschutzinitiative zur Förderung erneuerbarer Energien (Drucksache 17/2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Marktan- reizprogramm und nationale Klimaschutz- initiative fortsetzen (Drucksache 17/2119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur nament- lichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst- 5117 A 5117 B 5118 C 5119 A 5120 A 5120 D 5121 C 5121 C 5121 D 5122 B 5123 B 5124 A 5125 A 5125 C 5126 D 5127 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) (Tagesordnungspunkt 11 a) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 Abs. 2 GO des Abgeord- neten Hans-Ulrich Klose (SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst- rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechtsän- derungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) und über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Tagesord- nungspunkt 11 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 Abs. 1 GO der Abgeord- neten Jens Ackermann, Daniel Bahr (Müns- ter), Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Marco Buschmann, Dr. Bijan Djir-Sarai, Patrick Döring, Manuel Höferlin, Sebastian Körber, Horst Meierhofer. Björn Sänger, Florian Toncar, Serkan Tören und Johannes Vogel (Lüdenscheid) (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst- rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) (Tagesordnungspunkt 11 b) . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung der Technolo- gieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und Baubereich (Tagesordnungspunkt 10) Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Gleichstellung eingetragener Lebenspart- nerschaften – Öffnung der Ehe (Tagesordnungspunkt 12) 5127 C 5128 A 5128 B 5128 D 5129 D 5130 D 5132 A 5133 C 5134 B 5134 D Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für bessere Be- schäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Be- schäftigungschancengesetz (Tagesordnungs- punkt 13) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fachkräfteprogramm – Bildung und Erziehung – unverzüglich auf den Weg bringen (Tagesordnungspunkt 14) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 16) Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5135 B 5137 C 5138 B 5138 D 5139 C 5140 A 5141 B 5142 B 5143 C 5144 C 5145 B 5145 D 5146 C 5147 C 5148 D 5150 C 5151 C 5152 B 5152 D 5153 D 5154 D 5155 C 5156 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 XI Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5157 C 5158 A 5158 D 5164 D 5166 C 5167 C 5168 B 5169 B – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht: – Antrag: Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Öko- systems für heutige und künftige Ge- nerationen – Antrag: Das Bundeswaldgesetz novel- lieren und ökologische Mindeststan- dards für die Waldbewirtschaftung ein- führen – Antrag: Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe Waldbewirtschaftung för- dern – Unterrichtung: Waldbericht der Bun- desregierung 2009 (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Todesstrafe weltweit abschaffen – Folter bekämpfen und Folteropfer unter- stützen – Abschaffung der Todesstrafe weltweit (Tagesordnungspunkt 19 a bis c) 5159 D 5161 B 5162 A 5163 B 5164 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än- derung des Weingesetzes (Tagesordnungs- punkt 20) Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Hochwasserschutz europäisch und ökolo- gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte- griertes Hochwasserschutzkonzept – Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feucht- gebieten fördern – Hochwassergefahren mindern, Klima schützen – Auenschutzprogramm vorlegen (Tagesordnungspunkt 21) Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5170 D 5171 D 5172 A 5172 C 5173 B 5174 A 5174 C 5175 C 5176 B 5177 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4949 (A) (C) (D)(B) 49. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 Beginn: 10.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5127 (A) (C) (D)(B) der im Interesse der Zivildienstleistenden noch der Ein-Schipanski, Tankred CDU/CSU 17.06.2010 nunmehr geltenden Dauer des Zivildienstes überhaupt umsetzbar ist. Steinke, Kersten DIE LINKE 17.06.2010 richtungen liegen kann. Es stellt sich zudem die Frage, ob die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgelegte und begrüßenswerte Kon- zeption zum „Zivildienst als Lerndienst" innerhalb der Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 17.06.2010 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 17.06.2010 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 17.06.2010 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2010 Bülow, Marco SPD 17.06.2010 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 17.06.2010** Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 17.06.2010 Fritz, Erich G. CDU/CSU 17.06.2010** Groschek, Michael SPD 17.06.2010 Hempelmann, Rolf SPD 17.06.2010 Höger, Inge DIE LINKE 17.06.2010 Hörster, Joachim CDU/CSU 17.06.2010** Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2010 Kunert, Katrin DIE LINKE 17.06.2010 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 17.06.2010* Nahles, Andrea SPD 17.06.2010 Nietan, Dietmar SPD 17.06.2010 Pflug, Johannes SPD 17.06.2010** Polenz, Ruprecht CDU/CSU 17.06.2010 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.06.2010 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/ CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehr- rechtsänderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) (Tagesordnungspunkt 11 a) Dem Gesetzentwurf über die Verkürzung von Wehr- und Zivildienst auf sechs Monate werde ich heute unter Zurückstellung großer Bedenken meine Zustimmung er- teilen. Aus jahrelanger Tätigkeit als Berichterstatter für den Bereich Zivildienst weiß ich um den Umstand, dass schon die Verkürzung des Zivildienstes auf neun Monate und die damit entstehende Unterjährigkeit zu großen Problemen bei der Umsetzung sowohl bei den Zivil- dienststellen als auch bei den Zivildienstleistenden ge- führt hat. Es besteht die berechtigte Befürchtung, dass sich diese Probleme durch die neuerliche Verkürzung nochmals vergrößern. Zwar sorgt die Option, die Dauer des Zivildienstes freiwillig zu verlängern, im Interesse der Einrichtungen für eine gewisse Entspannung der Situation. Es ist aber schlecht zu bestreiten, dass nach Abzug von Einfüh- rungslehrgang, staatsbürgerlichem Unterricht und even- tuellen Rüstzeiten für die eigentliche Dienstzeit nur ein überschaubarer Zeitraum zur Verfügung steht, was we- Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 17.06.2010 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 17.06.2010 Zapf, Uta SPD 17.06.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 5128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Anlage 3 Erklärung nach § 31 Abs. 2 GO des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivil- dienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) und über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Tagesordnungspunkt 11a und b) An den namentlichen Abstimmungen a) auf Antrag der SPD zur 2./3. Lesung des CDU/CSU- und-FDP-Entwurfs eines Wehrrechtsänderungsgeset- zes 2010 und b) zum Antrag der Grünen „Wehrpflicht beenden" werde ich mich nicht beteiligen, und zwar aus folgenden Gründen: Ich bin Mitglied der vom Bundesverteidigungsminis- ter berufenen Strukturkommission, die sich unter ande- rem auch mit der Wehrpflicht und der Wehrverfassung beschäftigt. Vor Abschluss der Beratungen in der Kom- mission möchte ich mich in der Sache nicht festlegen; ich kann mich aber auch nicht enthalten, weil ich zu bei- den Punkten eine Meinung habe. Daher die mit meinem Fraktionsvorsitzenden abgesprochene Nichtbeteiligung an der Abstimmung. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO, Absatz 1 der Abgeordneten Jens Ackermann, Daniel Bahr (Münster), Florian Bernschneider, Sebastian Blumenthal, Marco Buschmann, Dr. Bijan Djir- Sarai, Patrick Döring, Manuel Höferlin, Sebastian Körber, Horst Meierhofer, Björn Sänger, Florian Toncar, Serkan Tören und Johannes Vogel (Lüdenscheid) (alle FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vor- schriften 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) (Tagesordnungs- punkt 11 b) Die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Grundrechten der von der Wehrpflicht betroffenen jun- gen Männer und den sicherheitspolitischen Erfordernis- sen unseres Landes in der derzeitigen Struktur unserer Streitkräfte. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Wehrpflicht einen massiven Grundrechteingriff darstellt und wichtige Kapazitäten in den Strukturen der Bundeswehr, die längst eine Armee im internationalen Einsatz geworden ist, bindet. Deswegen bleiben wir der Meinung, dass diese Abwägungsfrage auch grundsätz- lich im Sinne der Grundrechte der jungen Männer ent- schieden werden kann. Daher ist und bleibt die Aussetzung der Wehrpflicht unser Ziel. Wir brauchen stattdessen eine moderne Frei- willigenarmee, die Schaffung sozialversicherungspflich- tiger Arbeitsplätze anstelle von Zivildienststellen im So- zialbereich und die Förderung freiwilligen Engagements für die Gesellschaft im Rahmen eines freiwilligen sozia- len Jahres oder verwandter Modelle. Aus unserer Sicht ist jeder Monat Pflichtdienst, der wegfällt, für die jungen Männer und gleichermaßen für das Gemeinwesen selbst ein Freiheitsgewinn. Schon jetzt haben wir also mehr erreicht als Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Regierungszeit, in der die Wehrpflicht nur von zehn auf neun Monate verkürzt werden konnte. Diese Errungenschaft der jetzigen Koalition werden wir auch durch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten in dieser Frage unterstreichen. Daher lehnen wir den An- trag von Bündnis 90/Die Grünen samt Entschließungs- antrag ab. Die Ablehnung des Antrags der Linken ist schon allein wegen der Unterstellung einer „Kriegspoli- tik“ geboten, die nichts mit dem Dienst unserer Soldatin- nen und Soldaten im Ausland zu tun hat. Sollte davon abgesehen beim Koalitionspartner noch ein Umdenken einsetzen und dieser sich einer Aussetzung der Wehr- pflicht nicht mehr in den Weg stellen, würden wir dies ausdrücklich begrüßen und in guter Zusammenarbeit schnellstmöglich umsetzen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung der Technologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und Baubereich (Tagesordnungs- punkt 10) Steffen Bilger (CDU/CSU): Vor zwei Monaten habe ich im Deutschen Bundestag schon einmal zum Thema alternative Antriebe gesprochen. Vieles von dem damals Gesagten ist auch heute noch aktuell. Anlass waren da- mals ein umfassender Antrag der Grünen und ein Antrag der SPD-Fraktion zu nachhaltiger Mobilität. Bei dem SPD-Antrag fehlte allerdings – wie ich es damals schon kritisiert hatte – jeder Bezug zur Elektromobilität. Umso mehr freut es mich, dass wir heute über eine Große An- frage der Sozialdemokraten zu diesem Thema diskutieren können. Um es aber gleich vorwegzunehmen: Außer ei- nem Haufen Fragen an die Bundesregierung ist den Kol- legen von der SPD zur Elektromobilität nichts eingefal- len. Die christlich-liberale Koalition macht das anders: Wir geben Antworten und handeln. Am 3. Mai haben wir mit dem Kanzlergipfel den Startschuss für die Natio- nale Plattform Elektromobilität gelegt. Ich habe im März gesagt, dass wir nach dem Kanzlergipfel loslegen. Das halten wir auch so. Derzeit arbeiten wir sehr konkret an einem Koalitionsantrag zur Elektromobilität. Die Ar- beitsgruppen der Nationalen Plattform sitzen mit Hoch- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5129 (A) (C) (D)(B) druck an ihren Empfehlungen. Dies alles dient dem Ziel, Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für alterna- tive Antriebe und CO2-arme Fahrzeuge zu machen. Dieses Ziel sollte ein gemeinsames Ziel von uns allen sein. Daher habe ich auch erfreut zur Kenntnis genom- men, dass Sie in Ihrem Antrag durchaus Positives am bisherigen Vorgehen der Bundesregierung sehen. Die Elektromobilität hat für uns allein schon einen hohen Stellenwert, weil sie ein Beitrag sein kann zum Schutz der Umwelt, zur Schonung von Ressourcen und damit letztendlich zur Bewahrung der Schöpfung. In der Anfrage geht es aber in erster Linie um die Si- cherung der Technologieführerschaft Deutschlands im Verkehrsbereich. Konkret bedeutet das, Deutschland zum Leitanbieter für alternative Antriebe zu machen. Die Elektromobilität ist eine große Chance für den Wirt- schaftsstandort Deutschland – und eine große Herausfor- derung: Immer mehr neue Autos werden in Zukunft elektrisch fahren oder zumindest über einen zusätzlichen Elektromotor verfügen. Der Bau von Elektrofahrzeugen, innovativen Energiespeichersystemen und Ladestellen wird in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten Marktchancen eröffnen und Arbeitsplätze schaffen. Diese werden allerdings nicht nur auf Automobilkon- zerne und Zulieferindustrie beschränkt sein. Dabei ver- steht sich von selbst, dass wir einen technologieoffenen Ansatz verfolgen. Insgesamt gilt es, heute schon an die genannten Punkte zu denken und die Weichen richtig zu stellen. Mit der bereits erwähnten Gründung der Nationalen Plattform Elektromobilität wurde eine Arbeitsstruktur geschaffen, um den Nationalen Entwicklungsplan Elek- tromobilität der Bundesregierung von 2009 fortzuentwi- ckeln. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, konkrete Kon- zepte zu seiner praktischen Umsetzung vorzulegen. Bis Ende 2010 werden eine Zwischenbilanz der Arbeits- gruppen und erste Vorschläge vorliegen. Wir begrüßen diese Initiativen der Bundesregierung ausdrücklich. Ins- gesamt muss die Politik gemeinsam mit Verbrauchern, Wirtschaft und Wissenschaft eine Strategie für diese wichtige Zukunftstechnologie erarbeiten. Ich will nicht verschweigen, dass wir noch viel vor uns haben. Es ist noch viel zu tun in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, bei der Grundlagenforschung in der Speichertechnologie, der Vernetzung von Forschungs- projekten, beim Bilden von Forschungsclustern, der Ein- beziehung von Verkehrstelematik, beim Recycling, den Rohstoffabhängigkeiten, bei intelligenten Netzen, der Auswertung der Modellregionen, der Ausweitung von Elektromobilität auf andere Verkehrsträger und und und. Wir wissen das und arbeiten an Antworten. Außerdem kann sicherlich auch die Koordinierung der vier beteilig- ten Ressorts noch verbessert werden. Der Gemeinsamen Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung je- denfalls sollten durchaus mehr Kompetenzen übertragen werden. Unsere Aufgabe als Parlament ist es, die Arbeit der Gemeinsamen Geschäftsstelle intensiv zu begleiten. Für Deutschland die Technologieführerschaft zu si- chern, geht nicht ohne finanzielle Förderung. Dabei ist für uns als Union klar, dass es sich bei dieser Förderung nicht um eine Kaufprämie handeln kann. Klar ist aber auch, dass wir bei der Forschung und Entwicklung för- dern müssen. In Zeiten des Sparens und der Haushalts- konsolidierung geht es um besonders effektiven Einsatz von staatlichen Fördermitteln. Wir müssen die For- schungsförderung über 2011 hinaus fortsetzen und zu- sätzliche Fördermöglichkeiten prüfen. Dabei hilft das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu weiteren inten- siven Investitionen in Forschung und Bildung. Von den im Koalitionsvertrag erwähnten zusätzlichen 12 Milliar- den Euro bis 2013 sollten meiner Meinung nach umfang- reiche Mittel für Elektromobilität bereitgestellt werden. Damit könnte das erfolgreiche 500-Millionen-Paket aus dem zweiten Konjunkturprogramm über 2011 hinaus fortgesetzt werden. Da die Elektromobilität für die Bun- desregierung Priorität hat, wäre das nur folgerichtig. Wir haben einen Nationalen Entwicklungsplan Elek- tromobilität und eine Nationale Plattform. Die Elektro- mobilität macht aber nicht an nationalen Grenzen halt. Wir brauchen multinationale Vereinbarungen bei der Standardisierung, der Rechtssicherheit und der Verbrau- cherfreundlichkeit. Sprich: Wir brauchen Europa! Des- halb sind wir hierzu mit unseren französischen Kollegen im Gespräch. Wir begrüßen auch im Großen und Ganzen die Strategie der Kommission für saubere und energieef- fiziente Fahrzeuge und unterstützen die Arbeit in den zu- ständigen Standardisierungsgremien. National handeln, aber europäisch denken, ist das Gebot der Stunde. Da- rauf kommt es ganz besonders beim weiteren Ausbau der Elektromobilität an. Karl Hohlmeier (CDU/CSU): „Sicherung der Tech- nologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und Baubereich“ – ein bedeutendes Thema, das die Kollegin- nen und Kollegen von der SPD hier aufgegriffen haben. Ich finde es nur schade, dass sie es in ihrer Großen Anfrage so auffällig einseitig darstellen. Aus meiner Sicht und der Sicht meiner Fraktion umfasst dieses große Thema doch etwas mehr als nur Klima- und Energiefragen, alternative Antriebstechnologien und ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Meine begrenzte Redezeit erlaubt es mir leider nicht, hier heute für umfassende Aufklärung bei den Kollegen der Opposition zu sorgen. Das will ich auch gar nicht, die Anfrage richtet sich schließlich an die Regierung. Aber erlauben Sie mir doch den Hinweis auf unseren Koalitionsvertrag. Dort steht sehr viel Wichtiges zu die- sem Thema. Ich möchte mich gern auf ein paar Bereiche beschrän- ken, die aus meiner Sicht besonders hervorzuheben sind und in denen ich dringenden Handlungsbedarf zur Siche- rung der Technologieführerschaft Deutschlands sehe. Zum Thema Verkehr/Infrastruktur. Für den Verkehrs- bereich will ich zunächst einmal auf eine Grundvoraus- setzung für die Sicherung der Technologieführerschaft Deutschlands hinweisen: die uneingeschränkte Mobili- tät. Es geht, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol- legen von der SPD, nicht darum, Mobilität zu verhin- dern, sondern sie uneingeschränkt zu ermöglichen. 5130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Wir müssen sicherstellen, dass die Verkehrsströme in unserem Land reibungslos fließen können. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund stetig steigender Wachs- tumsraten im Frachtbereich. Hierfür brauchen wir eine optimale Funktionsfähigkeit aller Verkehrsträger und eine gute Vernetzung. Hierzu brauchen wir intelligente Verkehrslenkungs- und Verkehrsmanagementsysteme, und hierzu brauchen wir vor allem Maßnahmen zum Erhalt sowie zum Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Zu den konkreten Infrastrukturmaßnahmen. Lassen Sie mich kurz auf den konkreten Nachholbedarf in der Verkehrsinfrastruktur eingehen. Wir brauchen dringend ein Straßenbauprogramm West. Der Zustand zahlreicher Bundestraßen und Bundesautobahnen im Westen Deutschlands ist schlecht und bedarf der Verbesserung. Hier hat das SPD-geführte Verkehrsministerium viel zu lange geschlafen und den Anschluss verpasst. Das wer- den wir nun nachholen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir Abstriche in den neuen Ländern machen dürfen. Die Verkehrspro- jekte „Deutsche Einheit“ werden wir ohne Wenn und Aber abschließen. Hier darf Ost und West nicht gegen- einander ausgespielt werden, sondern wir brauchen eine vernünftige Balance. Der Verkehrsminister, Peter Ramsauer, hat dies ganz klar betont. Wir müssen außerdem den zunehmenden Verkehrs- strömen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung auf Schiene und Straße gerecht werden. Hier ist voraus- schauendes Handeln gefragt, um nicht später der Ent- wicklung hinterherzuhinken. Als konkretes Beispiel kann ich hier aus eigener Er- fahrung aus meinem Wahlkreis in Ostbayern, an der Grenze zur tschechischen Republik berichten. Beim Bahnausbau sind uns unsere tschechischen Nachbarn schon etwas voraus. Sie haben längst die Notwendigkeit erkannt, dass die direkte Bahnverbindung von Prag nach München über Pilsen, Furth im Wald, Schwandorf und Regensburg ausbaut werden muss. In Gesprächen mit dem tschechischen Verkehrsministerium haben die Kol- legen aus dem Nachbarland klargemacht, dass für sie eine optimale Vernetzung der europäischen Zentren Grundvoraussetzung für den innergemeinschaftlichen Handel ist. Wenn wir unsere Stellung als Technologie- und Lo- gistikstandort langfristig sichern und weiterentwickeln wollen, müssen wir hier mitziehen, und zwar voraus- schauend. Wir müssen politisch gestalten und dürfen uns nicht allein auf die Aussagen von Gutachtern zu Kosten- und Nutzenberechnungen zurückziehen. Zum Thema Bauen und Wohnen. Vorausschauendes Handeln ist auch die Maxime für die Bau- und insbeson- dere die Wohnungsbaupolitik. Hier sind wir auf einem sehr guten Weg, den wir dank des Einsatzes unseres Ver- kehrs- und Bauministers auch konsequent weitergehen. In Deutschland entfallen immer noch 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs auf das Heizen und Kühlen von Gebäuden. Das zeigt uns, dass hier ein enormes Ein- sparpotenzial besteht. Peter Ramsauer hat daher durch- gesetzt, dass die Maßnahmen zur energetischen Gebäu- desanierung weitergeführt werden. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bleibt uns auch in dieser historisch schwierigen Finanzlage weiter erhalten. Das war nicht einfach und ein gewaltiger Kraft- akt, für den ich den Minister ausdrücklich lobe und Kritik an seinem Handeln entschieden zurückweise. Wir sind weiterhin auf einem sehr guten Weg, das er- folgreiche Marktanreizprogramm fortzuführen. Wir brin- gen die Entwicklungen zum Passivhaus stetig voran, denn Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, ist im- mer noch die beste. Lassen Sie mich abschließend an dieser Stelle auch einmal die immer wieder vergessene Bedeutung der Roll- laden- und Sonnenschutzbranche hervorheben. Wärme, die an kalten Tagen durch eine intelligente automatische Steuerung von Rollläden nicht nach außen verloren geht, braucht nicht durch Heizungen ersetzt zu werden. Und Wärme, die an warmen Tagen gar nicht erst in die Ge- bäude eindringt, muss auch nicht gekühlt und abgeführt werden. Wir haben in Deutschland exzellente Technologien im Rollladen- und Sonnenschutzbereich. Genauso, wie wir exzellente Technologien in zahlreichen anderen Bereichen haben. Zur Sicherung unserer Technologieführerschaft müssen wir daher auch weniger bekannte Branchen unter- stützen und dürfen uns nicht nur auf bestimmte Techno- logien konzentrieren und verlassen. Die Technologieführerschaft Deutschlands ruht auf mehreren Säulen. Eine einseitige Betrachtung sichert diese Führerschaft mit Sicherheit nicht. Ute Kumpf (SPD): Klimawandel und Klimaschutz gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Klimaschutz ist auch die soziale Frage dieses Jahrhun- derts. In diesem Bereich wird entschieden, ob wir das Ziel einer gerechten Teilhabe – weltweit und national – erreichen. Auch nach dem Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen muss Deutschland seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz in Europa weiter ausbauen. Bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mindestens 40 Prozent, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 vermindert werden. Aktuell verursa- chen die Sektoren Gebäude und Verkehr rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland. Das ist eine Heraus- forderung für die Baupolitik, Energie- und Klimakon- zepte zu entwickeln, eine Herausforderung für die Ver- kehrspolitik, CO2-freie Mobilität zu organisieren, mit Energieeffizienz, Elektromobilität und nachhaltigen Ver- kehrskonzepten. In der rot-grünen Bundesregierung und der Großen Koalition haben wir die Weichen dafür gestellt, und zwar mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm, der Schaffung der Natio- nalen Plattform für Wasserstoff- und Brennstoffzellen- technologie NOW, dem Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität und dem Ziel, bis 2020 1 Million Elek- troautos auf deutsche Straßen zu bringen, den 500 Mil- lionen Euro an Fördergeldern im Konjunkturprogramm II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5131 (A) (C) (D)(B) für die Forschung, Entwicklung und Erprobung von Elektromobilität in acht Modellregionen bis 2011. Blei- ben wir beim Verkehr und dem Thema Elektromobilität. Was macht die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel? Eigene Ideen? Fehlanzeige! Sie macht Produktpiraterie, was uns ehren sollte, gibt aber unsere Projekte und Maßnahmen als ihre aus. Sie insze- niert einen Elektroautogipfel Anfang Mai mit viel Blitz- lichtgewitter und legt dann im Anschluss alles in die Hände der Automobilindustrie. Vier Ministerien und Mi- nister machten sich beim Gipfel den Platz auf dem Po- dium gegenseitig streitig, sprachen mit vielen Zungen, sind aber bis heute nicht in der Lage, unsere Große An- frage, gestellt im März, zu beantworten. Leadership und eine nachhaltige Verkehrspolitik im Interesse der Men- schen sieht anders aus. So verspielt die Bundesregierung Merkel auch hier Vertrauen – bei den Verbrauchern, bei der Wirtschaft, bei der Industrie. Die Menschen sind offen für Elektromobilität und für nachhaltige Verkehrskon- zepte. Das belegen Umfragen. 85 Prozent würden beim nächsten Mal ein Elektrofahrzeug kaufen, so eine Studie der Münchener Unternehmensberatung Barkawi vom Oktober 2009; bei einer Umfrage des ADAC bei seinen Mitgliedern im September 2009 waren es 75 Prozent. Die deutsche Automobilindustrie ist auf diese Nach- frage und auf diese Erwartungen nicht vorbereitet. Es gibt noch keine alltagstauglichen deutschen Produkte, die einem Pkw mit Verbrennungsmotor gleichkommen; der Preis bei den Erprobungsfahrzeugen stimmt noch nicht, denn circa 40 Prozent der Befragten wollen und können nicht mehr Geld für ein Elektroauto als für ein Auto mit Verbrennungsmotor ausgeben. Eine nationale Plattform Elektromobilität der Automobilindustrie al- leine reicht also nicht aus. Die Politik versagt, wenn wir alles der Automobilindustrie überlassen. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung, wir brauchen eine kon- zertierte Aktion für eine CO2-freie Mobilität, und wir brauchen politische Rahmenbedingungen für Elektromo- bilität. Ein Leitmarkt Elektromobilität fällt nicht vom Himmel. Ein Leitmarkt braucht Leitplanken, wie ein Förderkonzept für Forschung und Entwicklung, eine Qualifizierungsstrategie in Ausbildung, Studium und Lehre, ein Förderkonzept für die Infrastruktur in den Kommunen und in der Fläche, Normen, Standards und Vorgaben, damit wir die Vorreiter im internationalen Wettbewerb in der Automobilindustrie bleiben. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir uns schöner reden als wir sind. Die Automobilindustrie hat in den 90er-Jahren durch Outsourcing viele Kompetenzen nach Asien verlagert, gerade bei der Batterietechnologie. Schlüsseltechnologien für die Elektromobilität sind Fahrzeugbatterien, elektrische Motoren, mechanische Antriebsstränge und Leistungselektronik. Deutschland ist gerade in diesen Schlüsselbereichen schlecht aufge- stellt. Japan, Korea und China laufen uns hier den Rang ab, so die Einschätzung der Expertenkommission „For- schung und Innovation“ in ihrem Gutachten 2010 an die Bundesregierung. Und wir laufen Gefahr, weiter zurück- zufallen: So fördert China mit einer Milliarde Euro, in Korea forschen 8 000 Wissenschaftler an der Weiterent- wicklung der Batterietechnologie, die USA stecken 2 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung. Und wo sind die Konzepte der deutschen Regierung? Deutschland muss starke Anstrengungen unternehmen, um gerade in der Batterietechnologie wieder eigene Stär- ken zu entwickeln, um wieder Produktionsstätte für Bat- terien zu werden. Was macht die Regierung? Die SPD fordert von der Bundesregierung, noch in diesem Jahr auch die Frage zu beantworten, wie es 2011 in den acht Modellregionen weitergeht, wenn die Förde- rung durch das Konjunkturprogramm aus der Großen Koalition ausläuft. Wie wird das Wissen, werden die Er- fahrungen und Konzepte zugänglich gemacht, damit an- dere Regionen davon profitieren und ein Wissenstransfer möglich wird? Wissensmanagement muss organisiert werden. Wie geht es vor Ort weiter? Wie wird die Infra- struktur, ein enges Netz an Ladestationen vorangetrie- ben? Ohne Infrastruktur kann Elektromobilität nicht flä- chendeckend organisiert werden. Die Experten sind sich weltweit seit langem einig: Batteriefahrzeuge werden si- cherlich billiger werden, die Zahl der Ladezyklen wird genauso wie die Zuverlässigkeit steigen, ihre Reichweite wird aber nie die von Verbrennungsmotoren sein. Nur den Antrieb zu wechseln, reicht also nicht aus. Elektro- autos brauchen ein neues Fahrzeug- und Mobilitätskon- zept. Es ist die Chance für eine neue Mobilitätskultur. Das zeigen die Modellversuche in London oder auch bei uns, das Projekt car2go in Ulm. Mehr Menschen werden in naher Zukunft das Auto nutzen, jedoch nicht zwangs- läufig eines besitzen wollen. Da schlägt die Stunde für Carsharing, für ein nachhaltiges Mobilitätsmanagement in den Städten mit der Vernetzung der Verkehrsträger. Dieses muss mit politischen Maßnahmen begleitet wer- den: mit Privilegierung von Elektromobilität im öffentli- chen Raum. Stichwort: Parkplätze, Benutzen von Bus- spuren und Ladestationen im Parkhaus. Die öffentliche Hand muss mit ihren Fuhrparks Vorreiter werden. Diese Maßnahmen sind für die SPD sinnvoller, bevor wir die Forderung nach einer Prämie in Höhe von 5 000 Euro beim Kauf eines Elektroautos, wie es die Grünen for- dern, unterstützen. Da sind wir ganz auf der Seite von Bremens grünem Umweltsenator Loske, der von einer „unnötigen Zweitwagenprämie“ spricht. Was wir jetzt vor allem brauchen, ist eine handlungs- fähige Bundesregierung, keine Regierung, die alles dem Markt und der Automobilbranche überlassen will und die hinter einer Plattform in Deckung geht und abwartet. Wir brauchen eine konzertierte Aktion für die Elektro- mobilität, die nicht an unserer nationalen Grenze endet. Wir brauchen diese auch für Europa. Die nationale Brille alleine reicht nicht. Die unterschiedlichen Industrien und Forschungsdisziplinen müssen miteinander reden, bran- chenübergreifende und internationale Forschungs- und Umsetzungsprogramme festlegen, neue strategische Al- lianzen schmieden. Die SPD hat den Weg vorgezeichnet. Jetzt muss die Bundesregierung zeigen, was ihre schö- nen Worte wert sind! Um mit Weert Canzler und Andreas Knie, zwei renommierten Mobilitätsforschern, zu enden: „Der angestrebte Leitmarkt von morgen kann nicht mit Geschäftskonzepten von gestern gesichert wer- den. Es braucht zukunftsfähige Mobilitätsangebote für die regenerativ versorgte Metropole und ihre anspruchs- 5132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) vollen, aber nicht mehr autoabhängigen Bewohner.“ Wir brauchen keine Gipfelinszenierung, sondern politische Rahmenbedingungen, damit wir keine Spätzünder beim Elektroauto werden und Weltspitze beim Auto und im Verkehrssektor bleiben. Wolfgang Tiefensee (SPD): Deutschland steht vor einer Richtungsentscheidung: Wollen wir in der Elektro- mobilität eine Revolution anschieben, oder lediglich ein paar Forschungsprojekte fördern? Schreitet die Bundes- regierung mit beherzten, mutigen Maßnahmen voran oder verliert sie sich wieder im Klein-Klein, wie bei an- deren Themen auch? Mit dem Elektromobilitätsgipfel am 3. Mai 2010 hat sie wieder einmal eine Chance ver- passt, einen Aufbruch in ein neues Zeitalter zu wagen. Dabei müssen jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt werden, weil sich Mobilität grundlegend verändern wird. Ich weiß, dass sich das nur wenige vorstellen können; denn seit unserem ersten Kindheitsblick auf eine Welt- karte steht Europa im Mittelpunkt; Deutschland ist im Zentrum, Asien und die USA kleben am Rand. Das Land der Dichter, Denker und Ingenieure steht naturgemäß für Weltgeltung. Beispiel Autoindustrie: Autos wurden hier erfunden und vervollkommnet, Deutschland ist seit Carl Benz Autonation Nummer eins. Es geht um eine Revolution. Was aber, wenn sich die Koordinaten rasend schnell und dramatisch verschieben würden? Was, wenn Asien ins Zentrum rückte, die Land- karten korrigiert werden müssten, wenn dort ein Know- how versammelt wäre, das einen Sprung in ein neues Zeitalter ermöglichte, in die Epoche der Elektromobili- tät? Das Thema ist absolut in – noch; denn wie üblich wird das Interesse bald erlahmen; die Medienkarawane zieht weiter. Nach gründlicher Beschäftigung mit der Materie ist es nichtsdestotrotz meine Überzeugung, dass wir dran- bleiben müssen, weil es hier entgegen aller Unkenrufe um eine Revolution geht. Sie steht der in der Kommuni- kationsbranche in nichts nach. Wer nun glaubt, mit zag- haften Schritten mithalten zu können, wird im Wettbe- werb dramatisch an Boden verlieren. Umgekehrt kann, wer die Zeichen der Zeit erkennt, wer kraftvoll inves- tiert, riesige PotenZiale heben. Worum geht es? Verkehrsadern werden wieder be- wohnbar, Abgase verschwinden. Auch in 30 Jahren wird der gute alte Ottomotor sei- nen Platz haben, weil Effizienzsteigerungen machbar sind. Biogas, synthetische Kraftstoffe, die Wasserstoff- und Brennstoffzelle vervollkommnen die Palette der Zu- kunft. Im Zentrum steht jedoch die Elektromobilität. Sie führt nicht nur zu einem Paradigmenwechsel in der Mo- bilität selbst – man kauft kein Auto mehr, sondern Mobi- lität – sondern sie ermöglicht auch Umweltfreundlich- keit neuer Qualität, greift man auf grünen Strom zurück. Sie generiert neuartige Werkstoffe, die Einfluss auf Ge- wicht und Design haben werden. Es entwickelt sich eine Verschränkung von Kraftfahr- zeug und Energiewirtschaft. Ein Auto steht bisher zu 95 Prozent seiner Lebenszeit einfach nur platzver- schwendet herum. Mit den Batterien gibt es plötzlich ein Speichermedium, das die dezentrale Speicherung von Strom aus Wind und Sonne in völlig neuer Weise zu- lässt. Verkehrsadern werden wieder bewohnbar, weil Lärm und Abgase verschwinden. Skeptiker werfen ein – und die erheischen immer große Aufmerksamkeit –, das zentrale Problem der Batterie sei in naher Zukunft nicht lösbar. Zu schwach auf der Brust, heißt es da, zu schwer, zu teuer, zu gefährlich, mit ewigen Ladezeiten, nicht recycelbar. Deren Fazit: Macht mal halblang, das wird dauern. In diesem Geist agiert auch die deutsche Bundesre- gierung. Sie ließ eine schnelle und direkte Zusage für eine bessere staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung verstreichen; denn im Rahmen der Neu- gründung der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ wurden keine konkreten Maßnahmen festgelegt. Dass die Bundesregierung aus ihrer lahmen Forschungspolitik schon erste Konsequenzen zieht, hat sich leider in der Abschlusserklärung nach dem Mobilitätsgipfel gezeigt. Das Ziel von einer Million Elektroautos aus heimischer Produktion im Jahr 2020 wird nun nicht mehr ange- strebt. Stattdessen wird nun nur noch von einer Million Elektroautos auf deutschen Straßen gesprochen, egal ob diese in Deutschland produziert wurden oder nicht. Dies zeigt wiederum, dass mit dieser Bundesregierung keine zukunftsgerichtete Technologiepolitik zu machen ist. Damit die nächste Welle an Elektroautos aus Deutsch- land kommt, muss sofort und mit mehr Dynamik und Innovation auf die grundlegenden Veränderungen re- agiert werden. Noch hat Deutschlands Automobilindustrie eine Chance, ihren Rückstand auf die ausländische Konkur- renz im Bereich der Elektromobilität aufzuholen. Doch um dies zu schaffen, muss eine erhöhte Forschungsför- derung Kernpunkt aller politischen Steuerung sein. Der Evonik-Chef und Leiter der Arbeitsgruppe Batterietech- nologie sagt: „Wenn wir international vorne mitspielen wollen, brauchen wir gezielte Unterstützung“, und: „Entscheidungen muss es so schnell wie möglich ge- ben.“ In Asien geht man schrittweise vor. Laut einer Studie von McKinsey wird jedoch die staatliche Förderung von FuE und der Infrastruktur von Elektroautos in Deutschland innerhalb der nächsten fünf Jahre weit hinter der von anderen wichtigen Automobil- nationen zurückbleiben. So belegt Deutschland in der vorliegenden Untersuchung mit 0,615 Milliarden Euro nur den fünften Platz. Die USA mit 22,187 Milliarden Euro, China mit 3,337 Milliarden Euro, Frankreich mit 2,182 Milliarden Euro und selbst Spanien mit 1,390 Mil- liarden Euro fördern deutlich stärker die FuE von Elek- troautos. Diese Zahlen machen deutlich, dass vor allem in China und den USA die Elektromobilität als Möglich- keit angesehen wird, die eigene Automobilindustrie an die Spitze des neu entstehenden Massenmarktes Elektro- auto zu katapultieren. Daher unterstützen die dortigen Regierungen auch in solch erheblichem Umfang und mit solch hoher Umsetzungsgeschwindigkeit die heimische Automobilindustrie. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5133 (A) (C) (D)(B) In Asien kann man exemplarisch sehen, wie es anders gehen kann. Dort peilt man derweil mit deutschen Batte- rieexperten an, in etwa fünf Jahren den Elektroantriebs- strang für 7 000 Euro anzubieten: vergleichbar dem her- kömmlichen Motor- und Getriebepaket, Reichweite über 300 Kilometer, kurze Ladezeiten und höchste Sicherheit. Vorreiter ist SB LiMotive in Stuttgart, eine koreanisch- deutsche Kooperation, in Sachsen die Firma Li-Tech. Deutsche Automobilhersteller warnen zu Recht: Dros- selt nicht den Kauf herkömmlicher Autos durch das Ge- rede vom verfügbaren Elektroauto. Sie suchen die perfekte Lösung. So liegen unsere Tugenden und Wett- bewerbsnachteile eng beieinander. Hierzulande werden sämtliche Schritte einer Neuentwicklung von heute bis zum fernen Ziel als gerade Linie mit allen Risiken vor- bedacht. In Asien setzt man Schritt für Schritt, kalkuliert den Irrtum ein und korrigiert sich. Über 70 Prozent der Pa- tente werden nicht etwa in der Grundlagenforschung, sondern in der Produktion generiert. Unterstreicht das nicht die Notwendigkeit, Forschung und Fertigung von Beginn an zu verschränken? Die jetzige Bundesregie- rung tut alles, die Erwartung tief zu hängen und das Bud- get überschaubar klein zu halten. In ihrer Geschäftsstelle Elektromobilität mühen sich Beamte – dreieinhalb Stel- len – um die Koordinierung komplizierter Projekte. Vier Ministerien streiten um Kompetenzen. Begleitet von ei- nem Geldministerium, das die Taschen zuhält, wo visio- närer Umgang mit Finanzen nötig wäre. In Asien und Amerika werden ehrgeizige Ziele ge- setzt. Innenstädte abgasfrei, öffentliche Wagenparks komplett elektromobil. Mit Milliardenbeträgen wird die Grundlagenforschung angetrieben, die öffentliche Hand zum Kauf animiert, der Kunde mit Prämien geködert. Ihr Credo: Die Europäer sind bei den herkömmlichen Tech- nologien nicht zu toppen, also schlagen wir sie durch ei- nen Paradigmenwechsel. Das wollen und müssen wir verhindern. Aber wie? Stichworte: Deutschland wird Technologieführer Elektroenergie. Das sollte das große Ziel sein. Der Begriff Leitmarkt verwirrt, denn nicht die Anzahl gekaufter Fahrzeuge am Markt steht im Vorder- grund. Wir brauchen einen europäischen Pakt Elektromobili- tät. Statt des x-ten deutschen Gipfels aller ohnehin Über- zeugten ist ein europäisches Projekt, ein europäischer Pakt Elektromobilität vonnöten. Er zielt auf klare Ar- beitsteilung, kluge Standardisierung der wesentlichen Komponenten und auf beherzte öffentliche Förderung, die sich an den außereuropäischen Wettbewerbern misst, ohne im Brüsseler Notifizierungsdschungel stecken zu bleiben, auf Bündelung der industriellen, wissenschaftli- chen und öffentlichen Ressourcen zu einem Gesamtpa- ket auf milliardenschwere Förderung der Grundlagenfor- schung jetzt, statt der Bezuschussung von Autokäufen, auf Unterstützung der Kommunen beim Aufbau der Strominfrastruktur durch gesetzliche Flankierung, Stan- dards und Finanzen, auf Ausbau der Bildungszweige auf dem Felde der Elektrochemie, auf Verschränkung der Energiewirtschaft, Automobilindustrie und Kommunen zu einem schlagkräftigen Ganzen. Eine Herkulesaufgabe ist das, aber das lohnenswert! Petra Müller (Aachen) (FDP): Klimaschutz und Energieeinsparungen gehören zu den großen Herausfor- derungen. In diesem Punkt sind wir uns wohl alle einig, fraktionsübergreifend. Deutschland hält seine Spitzenposition in der Techno- logieführerschaft. Genau deshalb müssen wir weiterhin durch eine verstärkte Forschungsförderung die Techno- logieentwicklung und Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stärken. Der sauberen Energie wird die Zukunft gehören. Auch im Hinblick auf die Öl-Katastrophe am Golf. Der Baubereich spielt neben dem Verkehr bei der Energieeinsparung eine zentrale Rolle. Durch nachhalti- ges Bauen und Sanieren erreichen wir eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes und kommen somit unseren ambitio- nierten Klimaschutzzielen immer näher. Deshalb bin ich auch sehr glücklich, dass das CO2-Gebäudesanierungs- programm auch über 2011 hinaus seine Erfolgsgeschichte weiterschreiben kann. Die heißt: Gebäude sanieren, Klima schützen, Geld sparen. Die energetische Gebäude- sanierung entlastet dabei nicht nur die Umwelt, sondern auch die Geldbörse der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel bei den Heizkosten. Als stadtentwicklungspolitische Sprecherin meiner Fraktion möchte ich die Weichen stellen und über das einzelne energetische Gebäude hinausblicken. Die FDP strebt eine quartiersbezogene Lösung an, die energe- tisch-dynamische Stadtentwicklung. Wir wollen Ver- kehr, Wohnen und Leben in der Stadt harmonisieren. Das trägt zu einer ressourcenschonenden Stadtentwick- lung bei, etwa über kürzere Wege und weniger Erschlie- ßungsflächen und geringere Wärmeverluste durch kom- paktere Baustrukturen. Bei der Zertifizierung von Gebäuden und Quartieren – es geht um die Bereiche Klimawandel, Energiekosten, demografischer Wandel, altersgerechtes Bauen – werden kontinuierlich neue Qualitätsstandards entwickelt und fortgeführt. Wir, die Koalition, haben durch das aktuelle Sparpaket bewiesen, dass wir den Bundeshaushalt stärker auf die Zukunft ausrichten können, indem wir die Investitionen in die Zukunft unseres Landes trotz Konsolidierungs- druck – erhalten und weiter ausbauen. Heute leben über 6 Milliarden Menschen auf dieser Erde, in 40 Jahren wer- den es wohl 9 Milliarden sein, die alle danach streben, an der Entwicklung teilzuhaben. Allein aus Gründen der Ressourcenverknappung sind wir gezwungen, in vielen Bereichen neue Wege zu gehen. Aber das ist auch die Chance. In den rasant wachsenden Ländern wie China und Indien wird individuelle Mobilität genauso eingefor- dert, wie es bei uns der Fall ist. Es ist unsere Aufgabe in Deutschland, dass wir im Verkehrs- und Baubereich ressourcenunabhängiger, um- weltfreundlicher und nachhaltiger agieren. Im Koalitionsvertrag bekennen wir uns zum einen zur regenerativen Energie, zum anderen zur Elektromobili- tät. Die christlich-liberale Koalition möchte dazu beitra- 5134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) gen, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität wird und dass bis 2020 eine Millionen Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen fahren. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Das unterstützen wir durch eine leistungsfähige und gut vernetzte Verkehrs, Stadt- und Energieinfrastruktur. Wir im Bund sind dazu Impuls- und Innovationsgeber. Wir brauchen ein umfassendes Konzept über Strom- erzeugung und -verteilung, die Entwicklung einer Lade- infrastruktur, intelligente Verkehrsleitsysteme. Auch oder gerade weil ich von der Zukunft der Elektrofahr- zeuge überzeugt bin, weiß ich dass letztlich nicht der Staat darüber entscheidet, in welchem Maße sich am Markt bestimmte Fahrzeugtypen durchsetzen, sondern einzig und allein der Verbraucher, die Nutzer. Das ist li- berale Politik. Der technische Fortschritt stellt uns aber auch vor neue Anforderungen an die Berufsbilder. Denn, wenn wir keine Ingenieure oder Kfz-Mechaniker mehr ausbil- den können, können wir auch nicht die Führung, bei- spielsweise in der Elektromobilität, übernehmen. Genau deshalb wird auch nicht im Haushalt in den Punkten Bil- dung und Forschung gespart. Nur wenn wir das alles bedenken, wird eine neue Wertschöpfungskette entstehen, und wir können Techno- logieführer für alternative Antriebe, CO2-arme Fahr- zeuge und eine energetisch-dynamische Stadtentwick- lung sein. Wir haben den Mut, die Weichen richtig zu stellen. Deutschland wird zu den Gewinnern der multipolaren Welt gehören. Wir sind schon auf einem guten Weg. Das zeigen die aktuellen Zahlen der Wirtschaftsinstitute. Herbert Behrens (DIE LINKE): Heute geht es um die Technologieführerschaft der Bundesrepublik. Was heißt denn eigentlich Technologieführerschaft eines Landes? Ich kenne sie bislang von Unternehmen, zum Beispiel von OHB-System GmbH in Bremen, die in der Weltraumtechnologie ganz vorne sind und Satelliten für den militärischen Einsatz entwickelt haben, oder von Rheinmetall Defence, die mit ihrer Bremer Drohne, dem Flugroboter für den Kriegseinsatz, führend sind. Techno- logieführerschaft ist kein Wert an sich. Wir müssen fra- gen: Wem nützt eine Technologie? Ich will nicht unfair sein: In diese Richtung zielt diese große Anfrage nicht. Sondern? Ihnen geht es um das Erneuerbare-Energien- Gesetz, um das Integrierte Energie- und Klimapaket und den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität. Er- staunlicherweise beziehen sich zwölf Ihrer 27 Fragen auf Elektroautomobilität. Ich frage Sie: Gehen wir wirklich einen innovativen Weg, wenn wir den Individualverkehr mit dem Auto auf Stromantrieb umstellen? Ich finde, wir begeben uns auf den technologischen Holzweg, wenn wir jetzt deutsche Unternehmen, gefördert mit Millio- nenbeträgen aus dem Bundeshaushalt, zu Technologie- führern in der Elektroautomobilität entwickeln wollen. Es geht meiner Meinung nach um etwas anderes: Die Umwelt kann nur nachhaltig geschützt werden, wenn man, statt am Auto rumzuschrauben, nach umweltver- träglichen Alternativen sucht. Wir bleiben dabei: Wir wollen eine sozial und ökologisch nachhaltige Verkehrs- politik. Das bedeutet keine Technologieführerschaft, aber unsere Alternativen sind hochinnovativ. Dazu brau- chen wir ein sicheres und kundenfreundliches Verkehrs- system mit Bus und Bahn; wir brauchen kundenfreund- liche Angebote der Bahn AG im Güterverkehr, die von den Unternehmen angenommen werden. Wie gesagt, das hat nichts mit High-Tech oder Technologieführerschaft zu tun, aber es senkt den CO2-Ausstoß und wirkt gegen den Klimawandel. Selbstverständlich werden weiter Autos auf unseren Straßen unterwegs sein. Aber ein innovatives Verkehrs- konzept darf diesen Verkehr nur als einen Teil begreifen. Statt Milliarden ins Elektroautos zu investieren, braucht es effektive Maßnahmen: Tempolimit, Einsatz von schad- stoffarmen Verbrennungsmotoren, Carsharing – auch das ist heute schon machbar. Die Technologie ist vorhanden. All die Maßnahmen, die ich hier angesprochen habe, sind aktive Beiträge zum Klimaschutz und zur Verbesse- rung des Verkehrssektors, womit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre große Anfrage begründen. Was wir wirklich brauchen, ist eine Grundlagenforschung für erneuerbare Energien und für moderne Transport- und Logistikketten. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht bei Großen Anfragen stecken bleiben. Schauen Sie in den Sachstandsbericht des Umweltbun- desamtes mit dem Titel „CO2-Emissionsminderung im Verkehr in Deutschland“. Da steht ja drin, was wir tun müssen, um dieses Ziel zu erreichen: Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung, Verkehrsoptimierung, ökonomische Maßnahmen, und direkte Emissionsvermeidung, alles Maßnahmen, die wir als Linke-Fraktion in unser Konzept für eine „ökologisch und sozial nachhaltige Verkehrs- wende“ aufgenommen haben. Statt Milliarden für Brennstoffzellenforschung wollen wir mehr Geld für die Entwicklung alternativer Energieerzeugung; statt Tech- nologieführerschaft bei Elektroautos wollen wir innova- tive Mobilität und Klimaschutz, und das nicht morgen, sondern heute. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der großen Anfrage zielt die SPD-Fraktion auf die Nichtaktivitäten der Bundesregierung zum Klima- schutz. Zu Recht wird danach gefragt, was die Bundes- regierung konkret tut, wie und wann sie welche Maßnah- men ergreifen will, um den selbstgesteckten Zielen nä- her zu kommen. Die Fragen zur Umsetzung des IKEP, des Integrierten Klimaschutz- und Energieprogramms der Bundesregie- rung, sind so berechtigt wie die Fragen zur Festlegung und Realisierung der Sektorziele im Bau- und Verkehrs- bereich. Denn leider war die Koalition in all diesen Fel- dern bisher eher untätig. Beispiel: Elektromobilität und der Elektromobilitäts- gipfel der Kanzlerin. Alle waren gespannt, was die Bun- desregierung am 3. Mai 2010 vor der versammelten Pro- minenz aus Politik, Wirtschaft und Medien vorstellen würde. Präsentiert wurde das Logo für die nationale Plattform Elektromobilität, sieben Arbeitsgruppen und Politik im Talkshowstil auf Unterhaltungsniveau. Keine Konzeption! Das war eine große Luftnummer ohne Sub- stanz. Auch die Koalitionsfraktionen haben in dieser Sa- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5135 (A) (C) (D)(B) che keine Eile. Den angekündigten Antrag wird es erst nach der Sommerpause geben – wenn überhaupt. Meine Damen und Herren von der Koalition: Klima- schutz ist kein Thema von übermorgen. Technologiefüh- rerschaft bei der Elektromobilität gewinnt man nicht im Schlafe. Auch nette Bekenntnisreden des Ministers, „wir wollen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen“, helfen da nicht weiter. Während man in China, USA, Japan und Frankreich mit kräftigen Marktanreizprogrammen die E-Mobility vorantreibt, um die Technologieführerschaft zu gewin- nen, wartet die Bundesregierung auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppen in einem Jahr. So wird man die Zukunft nicht gewinnen. Das Argument, in diesen Zeiten knapper Kassen und großer Schuldenberge verbieten sich teure Marktanreiz- programme, lassen wir nicht gelten. Wir wollen keine Subvention des Kaufs von E-Autos wie bei der Ab- wrackprämie. Wir wollen den Kaufanreiz für klima- freundliche Autos dadurch finanzieren, dass wir die Kfz- Steuer für Spritschlucker, SUVs und andere große Wa- gen deutlich erhöhen. Wir wollen das Dienstwagensteu- erprivileg, das den Kauf und Betrieb von Fahrzeugen mit drei bis vier Milliarden Euro steuerlich begünstigt, korri- gieren. Klimaschädliche und teure Wagen sollen nicht mehr voll abgeschrieben werden können. Mit den so erzielten Einnahmen wollen wir Forschung und Ent- wicklung von klimafreundlichen Mobilitätstechnolo- gien, insbesondere Speichertechniken, fördern. Wer die Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Deutschland erhal- ten will, der muss den technologischen Wandel zu klima- freundlichen Fahrzeugen massiv vorantreiben. Die Debatte zum Nichtstun der Bundesregierung beim Klimaschutz ist überfällig. Die große Anfrage der SPD gibt dazu einen Anstoß. Man hätte sicher allerdings gewünscht, dass die SPD in diesem Sinne schon als Re- gierungspartei gehandelt hätte. Notwendig ist ein umfassender Klimaschutz-Aktions- plan mit klaren Zielen und Maßnahmen für die Bereiche Verkehr und Bauen. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn wir in diesen Bereichen ansetzen. Während frü- here Regierungen sich bemühten, die Vorreiterrolle zu übernehmen, hat man bei dieser Regierung den Ein- druck, sie wolle sich die rote Laterne erschlafen. Wir werden alles tun, sie aufzuwecken. Wir sind gespannt auf die Antworten der Bundesregierung. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Gleichstellung eingetragener Lebenspart- nerschaften – Öffnung der Ehe (Tagesordnungspunkt 12) Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute einmal mehr über die rechtliche Besserstellung eingetragener Lebenspartnerschaften. Bei dieser Gelegenheit sollten wir uns einmal vor Augen halten, was in diesem Bereich bereits geschehen ist. Vor nunmehr fast zehn Jahren hat die damalige rot-grüne Koalition das Lebenspartner- schaftsgesetz verabschiedet. Nachdem die verfassungs- rechtlichen Fragen durch die Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichts im Jahr 2002 geklärt wurden, ist Anfang 2005 das Gesetz zur Überarbeitung des Lebens- partnerschaftsgesetzes in Kraft getreten. Dabei wurde – neben der politisch sehr umstrittenen Einführung der Stiefkindadoption – das Unterhalts-, Güter- und Versor- gungsausgleichsrecht auf eingetragene Lebenspartner- schaften übertragen und eine Gleichstellung bei der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Renten- versicherung vollzogen. Eingetragene Lebenspartner- schaften sind damit im Zivilrecht weitestgehend gleich- gestellt. Das sollte auch einmal von den Kolleginnen und Kollegen der Opposition positiv zur Kenntnis genom- men werden. Des Weiteren haben zahlreiche Bundesländer in den vergangenen Jahren ihre Landesbeamten im Bereich des Familienzuschlages, der Hinterbliebenenversorgung und der Beihilfe gleichgestellt. Für den Bereich des öffentli- chen Dienstrechts hat es zudem mehrere Gerichtsent- scheidungen gegeben, die wir als Gesetzgeber selbstver- ständlich zu beachten haben: Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2007 hatte die Frage zum Gegenstand, ob das öffentliche Dienstrecht in Deutschland gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskri- minierungsverbot verstößt. Im vergangenen Jahr hat zu- dem der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die betriebliche Hinterbliebenenversorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ganz explizit entschieden, dass die Benachteiligung eingetragener Le- benspartner verfassungswidrig sei, soweit es nicht einen gewichtigen Grund für die Differenzierung gebe. Unabhängig von der Frage, inwiefern aus besagten Entscheidungen konkrete gesetzgeberische Maßnahmen abgeleitet werden können, haben wir im Koalitions- vertrag vereinbart, die familien- und ehebezogenen Re- gelungen bei Besoldung, Versorgung und Beihilfe im Bereich der Bundesbeamten auf die eingetragenen Le- benspartnerschaften zu übertragen. Das federführende Bundesministerium des Innern hat hierzu bereits im April dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der eine vollständige Gleichstel- lung im öffentlichen Dienstrecht zum Gegenstand hat. Das Gesetz befindet sich derzeit in der Abstimmung mit den Verbänden, wobei noch einige rechtliche Details zu klären sind, wie zum Beispiel die Frage einer etwaigen Rückwirkung. Es ist geplant, das Gesetz in der zweiten Jahreshälfte in den Bundestag einzubringen. Wenn alles klappt, wird es bereits zum Jahreswechsel eine entspre- chende gesetzliche Regelung geben. Dieser Aspekt des SPD-Antrags hat sich also erübrigt. Ein weiterer Punkt im Antrag der SPD betrifft die Frage des Steuerrechts. Auch dazu haben wir eine Ver- einbarung im Koalitionsvertrag: „Wir wollen gleich- heitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfas- sungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern 5136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) mit Ehegatten umsetzen.“ Soweit die Antragsteller der SPD nun auch im Steuerrecht eine vollständige Gleich- stellung, das heißt insbesondere eine Ausweitung des Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartner- schaften anmahnen, möchte ich zunächst auf das kürz- lich vom Bundeskabinett verabschiedete Jahressteuerge- setz 2010 hinweisen: Das sieht für die Bereiche Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuer eine vollständige Gleichbehandlung von eingetragenen Le- benspartnerschaften mit der Ehe vor. Bei Schenkungen und Erbschaften gilt folglich für Lebenspartner künftig die gleiche Steuerklasse wie bei Eheleuten. Darüber hi- naus soll wie bei Eheleuten bei Grundstücksübertragun- gen keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen. Diese Änderungen bedeuten erhebliche Verbesserun- gen, die für die Betroffenen im Ergebnis in der Praxis mehr bringen als die hier von Ihnen geführten symboli- schen Debatten über Änderungen des Art. 3 des Grund- gesetzes oder die Frage, ob das Institut der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden sollte. Mit diesen Maßnahmen haben wir unsere Koalitionsverein- barung bereits in zentralen Punkten umgesetzt. Darüber hinaus wird aber nun auch gefordert, das Ehegattensplit- ting auf eingetragene Lebenspartnerschaften auszuwei- ten. Hier wundert es mich schon, dass ausgerechnet die Parteien, die seit Jahren bei jeder Gelegenheit mit der Behauptung, dass es sich hierbei um ein „anachronisti- sches Instrument“ handele, das Frauen von der Erwerbs- tätigkeit abhalte und sie auf die Rolle der Hausfrau redu- ziere, die Abschaffung des Ehegattensplittings fordern, nunmehr die Ausweitung auf eingetragene Lebenspart- nerschaften wollen. Das erscheint mir mehr als paradox. Vielleicht gelingt es Ihnen, diesen Widerspruch in den anstehenden Beratungen aufzuklären. Natürlich erkennen auch wir an, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft wie die Ehe eine auf Dauer ge- schlossene solidarische Einstandsgemeinschaft bildet. Indem die Menschen füreinander eintreten und sorgen, entlasten sie an vielen Stellen die Gemeinschaft; damit ist diese Form des Zusammenlebens und des Füreinan- derdaseins auch Ausdruck der gerade von uns immer wieder eingeforderten Subsidiarität. Wo steuerliche oder sonstige staatliche Privilegien ausschließlich an diese Einstandspflicht anknüpfen, bedürfen Differenzierun- gen zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartner- schaft daher einer genauen Prüfung und gegebenenfalls einer Anpassung. Eben aus diesem Grund haben wir jetzt die hier beschriebenen Änderungen auf den Weg gebracht. Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu berücksichti- gen, dass die deutsche Rechtsordnung den verschiede- nen Formen familiären Zusammenlebens gerade nicht wertneutral gegenübersteht. Das Grundgesetz trifft viel- mehr eine Grundentscheidung zugunsten der Ehe als Leitbild des familiären Zusammenlebens, indem es diese unter den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz stellt. Soweit ein steuerliches Privileg Ausdruck der ge- zielten Förderung eben dieser speziellen Form des Zu- sammenlebens ist, ist eine Differenzierung auch weiter- hin geboten. Es gilt vor diesem Hintergrund, das Verhältnis von Förderung einer besonderen, verfas- sungsrechtlich geschützten Form des Zusammenlebens auf der einen Seite und der steuerlichen Freistellung konkreter Einstandspflichten als Ausdruck der steuerli- chen Leistungsgleichheit auf der einen Seite ganz gene- rell zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszutarieren. Diese Prüfung darf sich allerdings nicht auf das Verhält- nis von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft be- schränken, sondern muss sich vielmehr ganz generell auf alle Unterhaltspflichten, die aus einer familiären Bezie- hung resultieren, erstrecken. Deshalb plädieren wir be- reits in unserem Grundsatzprogramm für eine Prüfung, ob sich das Ehegattensplitting zu einem Familien- splitting weiterentwickeln lässt. Wir sehen daher für eine kurzfristige, zumindest so weitreichende Änderung zu- gunsten einer einzelnen Gruppe innerhalb des geltenden Einkommensteuersystems derzeit keinen Bedarf und lehnen insbesondere die Ausweitung des Ehegattensplit- tings ab. Ähnlich wie jetzt im Bereich der Schenkung- und Erbschaftsteuer sollten wir uns vielmehr auf notwendige punktuelle, kurzfristig zu realisierende Anpassungen be- schränken. So wird jetzt zum Beispiel über Angleichun- gen bei der einkommensteuerlichen Höchstgrenze für Zuwendungen an politische Parteien diskutiert. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer vergleichbarer Rege- lungen, beispielsweise bei den Sonderausgabenpausch- beträgen, den Vorsorgeaufwendungen oder den Freibe- trägen bei Kapitalerträgen. Soweit Forderungen nach einer vollständigen Gleichstellung immer wieder verfas- sungsrechtlich abgeleitet bzw. begründet werden, möchte ich in Erinnerung rufen, dass das Bundesverfas- sungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung von 2002 ganz explizit festgestellt hat, dass das Grundgesetz nicht gebietet, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft bis ins Detail dem Institut der Ehe anzupassen. Das soll- ten auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition einmal zur Kenntnis nehmen. Hieran ändert auch die jüngste – bereits erwähnte – Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichts aus dem letzten Jahr nichts; denn hier ging es – wie gesagt – lediglich um die spezielle Frage der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Unmittelbare Rückschlüsse auf andere Rechtsbereiche sind daher nicht zulässig. Im Bereich des Adoptionsrechts lehnen wir auch zu- künftig jede Weiterung, also insbesondere das Recht zur Volladoption, entschieden ab. Da gibt es mit uns keine Diskussionen; denn anders als bei der rechtlichen Aus- gestaltung der Lebenspartnerschaften stehen die Interes- sen der Kinder und nicht die Interessen der betroffenen Erwachsenen im besonderen Fokus. Kinder haben ein Recht auf Vater und Mutter. Die unterschiedliche Ge- schlechtlichkeit ist für die Erziehung und Persönlich- keitsentwicklung der Kinder von besonderer Bedeutung. Kinder sind daher – bei vergleichbaren sozialen Verhält- nissen – im Zweifel bei Vater und Mutter grundsätzlich besser aufgehoben als bei gleichgeschlechtlichen Paa- ren. Vieles spricht dafür, dass Kinder von gleichge- schlechtlichen Ehen häufiger Stigmatisierungen erfahren und Opfer von Mobbing werden. Die Auswirkungen da- von können insbesondere bei sensiblen und labilen Kin- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5137 (A) (C) (D)(B) dern sowie in der Pubertät für die betroffenen Kinder und Jugendlichen gravierend sein. Der Staat hat hier eine Schutzpflicht und muss im Zweifel von entsprechenden Gesetzesänderungen absehen. Nach der vom Bundesjus- tizministerium veröffentlichte Studie „Die Lebenssitua- tion von Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebenspart- nerschaften“ haben 47 Prozent der Kinder und Jugendlichen angegeben, aufgrund ihrer Lebenssituation Benachteiligungen erfahren zu haben. Hier haben wir als Gesetzgeber einen eindeutigen Schutzauftrag. Soweit die Studie an anderer Stelle zu dem Ergebnis kommt, dass Kinder und Jugendliche aus gleichge- schlechtlichen Familien im Vergleich zu den Kindern aus verschiedengeschlechtlichen Familien in ihrer Ent- wicklung angeblich keine Nachteile haben, ist darauf hinzuweisen, dass die Studie diesbezüglich nur be- grenzte Aussagekraft hat; denn insbesondere die soziale Herkunft der Kinder wird nicht berücksichtigt. Diese ist jedoch für den Bildungsstatus, die familiäre sowie psy- chologische Situation und damit für die persönliche Ent- wicklung der Kinder von entscheidender Relevanz. Man kann dabei durchaus unterstellen, dass gleichgeschlecht- liche Eltern häufig einen überdurchschnittlich hohen sozialen Status haben. Um eine belastbare Aussage zu etwaigen Nachteilen von Kindern in gleichgeschlechtli- chen Familien zu erhalten, hätte man also die soziale Herkunft in die Untersuchung einbeziehen müssen bzw. die Situation bei verschieden- und gleichgeschlechtli- chen Familien in jeweils gleichen sozialen und wirt- schaftlichen Verhältnissen miteinander vergleichen müs- sen. Dies ist aber leider nicht geschehen. Die Ergebnisse der Studie sind in Bezug auf das jetzt geforderte gemeinsame Adoptionsrecht auch aus einem anderen Grund nicht aussagekräftig. Kinder, die im Wege der Fremdkindadoption angenommen worden sind, bilden in der Gesamtstichprobe seltene Ausnahme- fälle. Gerade einmal 13 von 693 Familien, also weniger als 2 Prozent, haben ihr Kind im Wege der Fremdkind- adoption angenommen. Entsprechend bewertet die Stu- die selbst die Aussagekraft ihrer Ergebnisse für diese spezielle Familienform infolge der geringen Datenbasis als eingeschränkt. Auch die Befunde der Studie zur Ent- wicklung dieser Kinder können aufgrund der Stichpro- bengröße nicht verallgemeinert werden. Darüber hinaus steht ein vollständiges Adoptionsrecht im Widerspruch zum Europäischen Übereinkommen vom 24. April 1967 über die Adoption von Kindern. Dies hat das Bundesjustizministerium jetzt noch einmal in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Grü- nen betont. Abschließend möchte ich noch kurz auf den zweiten heute zur Beratung stehenden Antrag der Fraktion Die Linke eingehen. Der Antrag fordert im Wesentlichen, das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebens- partner zu öffnen und gleichzeitig das Institut der einge- tragenen Lebenspartnerschaften abzuschaffen. Allein aus verfassungsrechtlichen Gründen ist dieser Vorschlag abwegig. Zwar enthält das Grundgesetz selbst keine De- finition der Ehe, sondern setzt diese vielmehr als beson- dere Form des menschlichen Lebens voraus; das Bun- desverfassungsgericht hat jedoch diesbezüglich in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 ganz klar festgestellt – ich zitiere –: „Zum Gehalt der Ehe, wie er sich unge- achtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit ein- hergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung be- kommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Ent- schluss unter Mitwirkung des Staates, in der Mann und Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander ste- hen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens frei entscheiden können.“ Die Ehe ist also von Verfas- sungs wegen der Beziehung von Frau und Mann vorbe- halten. Eine Öffnung gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen scheidet damit aus. Ich denke, dass damit zum Antrag der Fraktion Die Linke alles gesagt ist. Ich wünsche mir nun sachliche Beratungen in den Ausschüs- sen, die sich ausschließlich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und nicht in ideologischen Gra- benkämpfen erschöpfen. Christine Lambrecht (SPD): Man mag sich fragen, warum wir gerade jetzt einen Antrag zur vollständigen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften vorlegen. Der Zeitpunkt ist jedoch nicht zufällig gewählt; denn, wie viele von Ihnen wissen, werden in nächster Zeit zahlrei- che Veranstaltungen anlässlich des Christopher Street Days stattfinden. Auch in den Straßen von Berlin wer- den in zwei Tagen wieder die Regenbogenfahnen wehen. Ich habe mich gefreut, sehr geehrte Frau Bundesjustiz- ministerin, dass Sie die Schirmherrschaft über diese Ver- anstaltung übernommen haben. Aber wenn Sie sich so engagiert für die Rechte der Lesben und Schwulen ein- setzen, dann frage ich mich schon, warum Ihren Anträ- gen aus der letzten Legislaturperiode und den Ankündi- gungen aus dem Koalitionsvertrag bisher keine Taten gefolgt sind. Der Koalitionsvertrag sieht vor, im öffentli- chen Dienst die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten von Eingetragenen Lebenspartnern zu verbes- sern. Dazu sollen die familien- und ehebezogenen Rege- lungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Le- benspartner übertragen werden. Der Koalitionsvertrag sieht ebenfalls den Abbau gleichheitswidriger Benach- teiligungen im Steuerrecht und insbesondere die Umset- zung der Entscheidungen des Bundesverfassungsge- richts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten vor. Noch in Ihrer Regierungserklärung vom 11. November 2009 haben Sie Verbesserungen im öf- fentlichen Dienstrecht und im Steuerrecht angekündigt. Sie hatten sich hiernach in der Gesellschaftspolitik nach eigenen Aussagen viel vorgenommen. Passiert ist jedoch nichts! Nach sieben Monaten des Wartens sehen wir uns jetzt veranlasst, die Bundesregierung an die Realisierung ihrer Ankündigungen zu erinnern. Seit August 2001 bie- tet das Institut der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit, ihrer Partnerschaft einen gesicherten Rechtsrahmen zu geben. Eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner sind Eheleuten jedoch bis heute nicht in allen Bereichen gleichgestellt. In den vergangenen Legislaturperioden scheiterten die Bemühungen der SPD-Bundestagsfrak- tion um weitere Angleichungen häufig am Bundesrat, in 5138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) der vergangenen Wahlperiode an unserem Koalitions- partner, der Union. Zurzeit ist zwar die Adoption von leiblichen Kindern des Lebenspartners zulässig – die so- genannte Stiefkindadoption –, nicht jedoch die gemein- same Adoption eines Kindes durch beide Lebenspartner. Bisher wurde von Kritikern des großen Adoptionsrechts gerne eingewendet, das Aufwachsen von Kindern bei gleichgeschlechtlichen Partnern sei der Kindesentwick- lung abträglich. Das Ergebnis der von unserer damaligen Bundesjustizministerin in der vergangenen Legislaturpe- riode in Auftrag gegebenen Studie „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartner- schaften“ widerlegt diese These. Demnach ist der be- deutsame Einflussfaktor für die kindliche Entwicklung in allen Familienformen die Beziehungsqualität in der Familie. Der Studie zufolge wachsen Kinder in gleichge- schlechtlichen Partnerschaften genauso gut auf wie bei heterosexuellen Eltern. Das Ergebnis der Untersuchung fordert eindeutig: Die gemeinsame Adoption für Lebens- partner ist jetzt endlich zuzulassen. Frau Justizministe- rin, das Ergebnis der Studie liegt seit Juli 2009 vor. Dür- fen wir noch mit einer Vorlage Ihres Hauses rechnen? Auch im Einkommen- und Grunderwerbsteuerrecht steht die Gleichstellung noch aus. Im Erbschaft- und Schen- kungsteuerrecht ist die Angleichung der Steuersätze nicht erfolgt. Im öffentlichen Dienst werden Lebenspart- ner bisher nur in Teilbereichen berücksichtigt. Auch hier scheint vollkommener Stillstand eingetreten zu sein in Ihrer Koalition und in Ihrem Ministerium. Weiterhin begrüßen wir zwar, dass der Bundesinnen- minister für das öffentliche Dienstrecht einen Referen- tenentwurf zur Übertragung ehebezogener Regelungen auf Lebenspartnerschaften vorgelegt hat. Der Entwurf sieht ein Inkrafttreten am Tag nach der Verkündung vor. Um den Vorgaben der umzusetzenden Richtlinie 2000/ 78/EG Genüge zu tun, müsste das Gesetz jedoch rück- wirkend mit Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft treten. Auch dies lässt auf Stillstand im Handeln der Bundesre- gierung schließen. Der ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigte Abbau von Benachteiligungen im Steuer- recht und insbesondere die Umsetzung der Entscheidun- gen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten ist nicht erfolgt. Im Einkommensteuerrecht werden eingetragene Lebens- partnerschaften aber entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag insbesondere beim Ehegattensplitting immer noch gegenüber Ehegatten benachteiligt. Der gleichheitswidrige Zustand hält für die Lebenspartner- schaften damit an. Ihre Schirmherrschaft allein wird den Stillstand nicht beenden. Wir fordern Sie daher auf, end- lich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Eingetragene Lebenspartnerschaften in allen Bereichen mit der Ehe gleichstellt und bestehende Benachteiligungen abschafft. Stephan Thomae (FDP): Ihnen allen ist bekannt, dass die FDP immer beharrlich und unbeirrbar dafür ein- getreten ist, dass jeder Mensch seinen Lebensentwurf verwirklichen kann. Dies galt immer und gilt weiterhin, auch im Hinblick auf unterschiedliche sexuelle Orientie- rungen. Die FDP hat dabei immer ihr Augenmerk auf das Machbare gelegt. Es war und ist uns immer wichtig, zu fragen, was politisch umsetzbar ist. Mit Schaufenster- anträgen kann man manchmal Teile der Öffentlichkeit beeindrucken. Aber entscheidend ist, sein Ziel im Auge zu behalten und – wenn man es nicht sofort erreichen kann – sich ihm Schritt für Schritt zu nähern. Dies tut die FDP. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit der CDU und der CSU vereinbart, den nächsten Schritt zu unter- nehmen, um die Schlechterstellung gleichgeschlechtli- cher Paare im Beamtenrecht zu korrigieren. Neben der Gleichstellung von Lebenspartnern im BAföG haben wir im Jahressteuergesetz 2010 sowohl die Gleichstellung von Lebenspartnern bei den Steuersätzen der Erbschaft- und Schenkungsteuer als auch die Befreiung des Lebens- partners bei der Grunderwerbsteuer vorgesehen. Das ist pragmatische Politik, die den Betroffenen mehr nützt als zur Schau getragene Maximalforderungen, wie zum Bei- spiel im Antrag der Linken, der vielleicht viel Beifall finden mag und hohe Erwartungen weckt, aber dann in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion Wi- derstand hervorruft. Und auch der SPD vermag ich heute kein viel besse- res Zeugnis auszustellen. Heute beglückt uns die SPD mit ihren guten Ideen. Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist 2001 zu rot-grüner Regierungszeit in Kraft getreten. Und es fällt uns Liberalen auch gar kein Zacken aus der Krone, das anzuerkennen. Die FDP hat damals dem Ge- setz nicht zugestimmt, weil sie 1999 selbst schon einen eigenen Vorschlag in den Bundestag eingebracht hatte. Es ist allerdings, in manchen Teilen, unvollständig ge- blieben. Ich nenne hier Lücken in den Bereichen des Ad- optionsrechts, des Beamtenrechts, des Einkommensteu- errechts und des Erbschaftsteuerrechts. 2004 hat die FDP dem Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz zuge- stimmt. Umstrittenster Punkt darin war die Stiefkindad- option. Der Freistaat Bayern hatte deshalb damals auch gegen dieses Ergänzungsgesetz einen Normenkontroll- antrag vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Nachdem sich nunmehr die FDP in der bayerischen Staatsregierung befindet, hat der Freistaat Bayern diesen Normenkontrollantrag zurückgezogen. Daran, dass die Union mit uns nun in dieser Legislatur die nächsten Schritte tun wird, kann man erkennen: CDU, CSU und FDP tun gemeinsam weitere Schritte. Summa summarum kann ich Ihnen versichern, dass diese Regierung einen klaren rechts- und innenpoliti- schen Kompass besitzt und eine Justizministerin, die mit diesem Kompass umzugehen versteht. Ein Kompass ist kein Zauberstab, der den Wanderer gleich ans Ziel zau- bert. Aber wer seinem Kompass vertraut und unbeirrt Schritt für Schritt macht, der nähert sich unweigerlich seinem Ziel. Seien Sie gewiss: Die Regierungskoalition befindet sich auf dem richtigen Weg. Michael Kauch (FDP): Die FDP hat Wort gehalten. In den zurückliegenden Monaten hat die FDP in der Gleichstellungspolitik für Lesben und Schwule mehr durchgesetzt als die SPD in den vier Jahren Regierung zuvor. Deshalb ist es schon sehr fragwürdig, dass die SPD kurz vor den Christopher Street Days in den großen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5139 (A) (C) (D)(B) Städten Deutschlands diesen Antrag vorlegt. Mit der hei- ßen Nadel gestrickt, will sie der FDP Nachhilfe geben. Diese Nachhilfe hätte eher die SPD in der Großen Koalition gebraucht, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten. Wir Liberale stehen für Stärkung der Bürgerrechte. Wir haben mit dem gleichen Koalitions- partner, den die SPD in den letzten Jahren hatte, erheb- lich mehr für Lesben und Schwule durchgesetzt; denn wir haben uns nachdrücklich engagiert, hatten Erfolg und arbeiten diesbezüglich alle Punkte des Koalitions- vertrages ab, Schritt für Schritt. FDP und Union haben vereinbart: „Wir wollen die Ausgewogenheit von Rech- ten und Pflichten von Eingetragenen Lebenspartner- schaften verbessern. Dazu werden wir die familien- und ehebezogenen Regelungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Lebenspartnerschaften übertragen.“ Zur Umsetzung befindet sich ein Gesetzentwurf in der Res- sortabstimmung. FDP und Union haben weiter verein- bart: „Wir werden gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entschei- dungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstel- lung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen.“ Als ersten Schritt hat das Bundeskabinett im Mai be- schlossen, dass Eingetragene Lebenspartner bei Grund- erwerb- und Erbschaftsteuer völlig mit Ehegatten gleich- gestellt werden. Das erfolgt im Jahressteuergesetz. Die Änderung bei der Erbschaftsteuer bringt eingetragenen Lebenspartnern nun nicht nur gleiche Freibeträge, son- dern auch gleiche Steuersätze wie Ehegatten. Durch die Änderung bei der Grunderwerbsteuer wird die Übertra- gung von Grundstücken zwischen Lebenspartnern steu- erfrei. Gleiches gilt für den Grundstückserwerb aus dem Nachlass bei Tod eines der Lebenspartner. Jetzt gilt auch im Steuerrecht zunehmend: Wer gleiche Pflichten hat, muss auch gleiche Rechte bekommen. Hier werden wir weiter machen, auch bei den verbleibenden Benachteili- gungen im Steuerrecht. Bereits von der Bundesregie- rung beschlossen und in das parlamentarische Verfahren eingebracht ist die BAföG-Reform. Lebenspartner wer- den bei der Ausbildungsförderung und bei den Auf- stiegsfortbildungen gleichbehandelt. Die Gleichstel- lung hat übrigens für die Betroffenen zwei Seiten, nämlich bei Rechten und Pflichten. Einerseits werden künftig die Partnereinkommen bei der Berechnung der BAföG-Leistungen angerechnet, andererseits werden dem Paar auch die gleichen Freibeträge bei Einkom- mensberechnung, Darlehensrückzahlung und sonstigen Abzugsmöglichkeiten wie bei Ehegatten eingeräumt. Zudem – und das ist ein bedeutsamer Fortschritt – wer- den auch ausländische Lebenspartner künftig förderbe- rechtigt sein. Sie sehen, welche Fortschritte die FDP be- reits erreicht hat. Die FDP setzt in der Regierung das um, was sie vor der Wahl versprochen hat. Schritt für Schritt zur Gleichstellung, das ist der Weg der FDP-Bundestagsfraktion und von Bundesjustiz- ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Klar ist aber auch: Nicht alle Forderungen der FDP konnten in der Koalition umgesetzt werden. Wir treten weiterhin für das volle gemeinsame Adoptionsrecht eingetragener Lebenspartner ein, auch wenn wir wissen, dass die Union diesen Weg noch nicht mitgehen will. Wir werden auf diesem Weg weiter vo-ranschreiten. Unser Ziel ist die vollständige Gleichstellung Eingetragener Lebens- partner mit der Ehe. Welchen Namen sie trägt, ist dann nicht mehr entscheidend. Die Liberalen sind der Motor für Bürgerrechte in der Koalition mit der Union. Der Stillstand aus der Zeit von Schwarz-Rot wurde beendet. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Am kommenden Wochenende findet der 32. Christopher Street Day in Berlin statt. Der CSD gedenkt alljährlich dem Aufstand von Schwulen und Transgendern. Sie rebellierten gegen einen brutalen Polizeiüberfall am 27. Juni 1969 auf das Lokal „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York. Der Berliner CSD erwartet mehr als eine halbe Mil- lion Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die bunt, vielfäl- tig und schrill demonstrieren werden. Lesben, Schwule, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle gehen selbstbewusst auf die Straße. Sie fordern endlich in allen Bereichen „normal“, das heißt gleichbehandelt zu wer- den. Sie fordern ein Ende der vielen kleinen und großen Diskriminierungen, denen sie sich immer noch im tägli- chen Leben ausgesetzt sehen. Viele Berlinerinnen und Berliner werden sich dieses Ereignis nicht entgehen las- sen und damit ihre Solidarität ausdrücken. Sicher ist vieles erreicht worden; Homosexualität wird nicht mehr strafbewehrt oder als Krankheit klassifiziert. Als vorläufigen Höhepunkt jahrzehntelangen Kamp- fes beschloss der Deutsche Bundestag im Jahre 2001 das Lebenspartnerschaftsgesetz. Dieses Gesetz ermöglichte erstmals eine staatlich anerkannte Partnerschaft von Les- ben und Schwulen. Der deutsche Gesetzgeber entschloss sich zu einem sehr mutigen und wichtigen Schritt. Doch von Beginn an war dieses Gesetz mit einem Makel be- haftet. Es schuf ein eigenes Rechtsinstitut für Lesben und Schwule, das deutlich weniger Rechte, aber nahezu alle Pflichten der Ehe vorsah. Einige europäische Staaten gingen einen anderen Weg. Die Niederlande, Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden und Portugal öffneten die Ehe. Dieser Schritt ist konsequent, denn er schafft nicht eine Sondergesetz- gebung, die sich durch zahlreiche Einzelgesetze zieht und – wie im Fall des Transsexuellengesetzes – zu er- heblichen rechtlichen Problemen führt. Am 7. Juli 2009 entschied das Bundesverfassungs- gericht, dass es verfassungsrechtlich nicht begründbar sei, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe aus- zugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind. Es schloss sich in der Argumentation dem soge- nannten Maruko-Urteil des EuGH vom 1. April 2009 an. Das Urteil des BVerfG ist fundamental. Es erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag die Diskriminierung der einge- tragenen Lebenspartnerschaft endlich zu beenden. Wir könnten nun das Lebenspartnerschaftsgesetz in allen Bereichen der Ehe gleichstellen, wie es die SPD fordert. Dies ist ein möglicher, aber sehr mühevoller Weg und erfordert die Änderung einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Darüber legt die heutige, in den 5140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Situation ein beredtes Zeugnis ab. Fast zehn Jahre nach der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes haben es einige Bundesländer immer noch nicht in Landesrecht überführt. So darf der Akt der Verpartnerung in Baden- Württemberg nicht in den Standesämtern vollzogen wer- den, sondern wird in die Ordnungsämter verbannt. Zum Teil verlangen Kommunen für eine Verpartnerung dop- pelt so hohe Gebühren wie für eine Eheschließung. Zu- dem würden wir weiterhin zwei Rechtsinstitute haben, eines für heterosexuelle Menschen und eines für homo- sexuelle Menschen. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Tun wir es dem isländischen Parlament gleich, das sich am vergangenen Wochenende einstimmig für die Öffnung der Ehe entschied und zugleich die seit 1996 geltende eingetragene Lebenspartnerschaft außer Kraft setzte. Auch der Berliner Senat wird demnächst eine Ini- tiative zur Öffnung der Ehe in den Bundesrat einbringen. Diskriminierung ist nicht mehr zeitgemäß, und die Öffnung der Ehe wäre ein wesentlicher Baustein, um die Diskriminierung von Lesben und Schwulen endlich zu beenden. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 die Gleichstel- lung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe vom Gesetzgeber verlangt. Was ist seither geschehen? Nichts. Die Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer? – Die wurde im November 2009 von der schwarz-gelben Koalitionsmehrheit abgelehnt. Die Gleichstellung bei der Einkommensteuer? – Fehlanzeige! Die Gleichstel- lung bei der Beamtenversorgung? – Die verfassungswid- rige Benachteiligung von Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamten, die in einer Lebensgemein- schaft leben, dauert bis zum heutigen Tag an. Und wo ist die Bundesjustizministerin? Mehr als warme Worte sind nicht zu hören. Die Ratifizierung des revidierten euro- päischen Übereinkommens über die Adoption von Kin- dern, das die Adoption durch Lebenspartner endlich zu- lässt, steht noch immer aus, und dies obwohl Deutschland bis zum Jahr 2008 besonders hartnäckig – auch in Person der früheren Bundesjustizministerin Zypries – dafür gearbeitet hat! Die Ermöglichung der ge- meinschaftlichen Adoption, die von der FDP zehn Jahre lautstark gefordert wurde, wird offensichtlich nicht ein- mal vorbereitet. Die Fraktionen der SPD und der Linken legen heute zwei Anträge vor, die im Ergebnis zum selben, richtigen Schluss kommen und deshalb von der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in der Sache unterstützt werden. Ich freue mich, dass gerade die SPD jetzt auch für die volle Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- schaft mit der Ehe inklusive des Adoptionsrecht für les- bische und schwule Paare eintritt. In der Vergangenheit, insbesondere in der gemeinsamen Regierungszeit, war die Haltung der Sozialdemokraten in dieser Frage nicht immer eindeutig. Deswegen begrüße ich die Klarstel- lung, die dieser Antrag für die zukünftige Zusammenar- beit mit sich bringt. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat bereits in der vergangenen Legislaturperiode Initiativen eingebracht, die die vollständige rechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe bzw. die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule gefordert haben. Im Gegensatz zu den jetzt vor- gelegten Anträgen handelte es sich jedoch um ausformu- lierte, umfassende Gesetzentwürfe, die wir der Bundes- regierung gern zur Verfügung stellen, um die heute von der SPD und den Linken geforderten Anliegen umzuset- zen. Die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- schaft mit der Ehe ist aus verfassungsrechtlichen Grün- den nicht nur möglich, sondern sogar zwingend erforder- lich. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 7. Juli des letzten Jahres in einem Entscheid zur Hinterbliebe- nenversorgung deutlich gemacht. Das Gericht hat festge- stellt, dass eingetragene Lebenspartnerschaft und Ehe ju- ristisch vergleichbar sind, weil sie – ich zitiere – „eine auf Dauer übernommene, auch rechtlich verbindliche Verantwortung für den Partner“ begründeten – BVerfG, 1 BvR 1164/07 Rn. 102ff. Und – das sage ich insbeson- dere in Richtung der Konservativen in CDU/CSU und in der FDP –: „Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft kann nicht darin gesehen werden, dass typischer Weise bei Eheleuten auf- grund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbe- darf entstünde als bei Lebenspartnern. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder aus- gerichtet.“ Und das Gericht weiter: „In zahlreichen ein- getragenen Lebenspartnerschaften leben Kinder.“ Das Bundesverfassungsgericht ist hier in seiner Wahr- nehmung der gesellschaftlichen Realität sehr viel weiter als große Teile der Regierungskoalition. Während das Justizministerium und die Bundesregierung es noch nicht einmal schaffen, das revidierte europäische Über- einkommen über die Adoption von Kindern zu zeichnen, erkennt das Bundesverfassungsgericht die gelebte Wirk- lichkeit von liebevollen Regenbogenfamilien an. Wieder einmal ist es Karlsruhe, das der Regierung den Weg wei- sen muss. Das Gericht ist zum Ergebnis gekommen, dass Unterscheidungen zwischen den Instituten der Ehe und der eingetragenen Lebenspartnerschaft sachlich nur dann zulässig sind, wenn diese Unterschiede in der Natur der Beziehungen selbst liegen. Meine Fraktion hat die Bun- desregierung in einer Kleinen Anfrage aufgefordert, zu zeigen, welche Unterscheidungen das sein könnten. Die einzige Unterscheidung, die den Beamten eingefallen ist: Auch in Zukunft soll es kein Lebenspartnerschafts- befähigungszeugnis analog zum Ehebefähigungszeug- nis geben. Da kann man doch nur sagen: Selbst Ihnen von der CDU/CSU und der FDP fehlt es inzwischen an Fantasie, wie man die von Ihnen betriebene Diskriminie- rung noch seriös begründen kann! Die Schlussfolgerungen aus dem Entscheid des Bun- desverfassungsgerichts sind klar: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, sämtliche Ungleichbehandlungen zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zu beseiti- gen. Dies gilt insbesondere für das Steuerrecht, das Beamtenrecht und auch für das Adoptionsrecht. Diese Auffassung bestätigen auch mehrere Gutachten des Wis- senschaftlichen Dienstes des Bundestages. Die Bundes- regierung und die Koalitionsfraktionen bleiben jedoch untätig. Auch ein Jahr nach dem Entscheid liegen dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5141 (A) (C) (D)(B) Parlament keine Gesetzentwürfe vor, welche die Miss- stände beseitigen. Die Bundesregierung behält sich vor, nur bei Neuregelungen von bestimmten Sachgebieten die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu berück- sichtigen. Das genügt nicht. Es kann nicht sein, dass die Grund- und Bürgerrechte von Lesben und Schwulen weiter ignoriert werden, weil es nicht in das gemächliche Arbeitstempo, um es höflich zu formulieren, der schwarz-gelben Regierung passt. Als Deutscher Bundes- tag ist es unsere Pflicht, selbst tätig zu werden; denn je- der Tag ohne rechtliche Gleichstellung verletzt die Ver- fassung unseres Landes. Es gibt verschiedene Wege zur Gleichberechtigung. Die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben wäre der einfachste und gradlinigste Weg: Diesen Weg sind zahl- reiche europäische Nachbarn gegangen, darunter die ka- tholisch geprägten Staaten Portugal und Spanien. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aner- kennt, dass Liebe, Fürsorge und gegenseitige Ver- antwortung nicht in einer heterosexuellen und einer ho- mosexuellen Ausprägung existieren. Es sind dieselben gelebten Werte und deswegen sollte es auch nur ein Institut geben. Dennoch: Bis zur Öffnung der Ehe und der Neudefinition des Ehebegriffs als eine auf Lebens- zeit geschlossene Verbindung zweier Menschen, die für- einander Verantwortung übernehmen, muss das Parla- ment seiner Aufgabe gerecht werden und gleiche Rechte schaffen. Deswegen ist es konsequent, jetzt die Gleich- stellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe vorzunehmen. Dieser Weg ist vom Verfassungsge- richt vorgezeichnet, und deswegen kann und muss er jetzt gegangen werden. Meine Fraktion hat in den ver- gangenen Wochen weitere Gesetzentwürfe eingebracht: zur Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- schaft im Adoptionsrecht und im Beamtenrecht. Auch im Detail werden wir diese Regierung stellen, wo es not- wendig ist. In diesen Tagen finden überall in der Republik De- monstrationen und Paraden für die Rechte von Schwu- len, Lesben, Trans- und Intersexuellen statt. Nunmehr 41 Jahre dauert der Kampf um Anerkennung und gleiche Rechte. Mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Möglichkeit der Stiefkindadoption haben insbeson- dere wir Grünen unseren Beitrag dazu geleistet. Die Große Koalition aus SPD und CDU und auch die jetzige schwarz-gelbe Mehrheit haben in der Bürgerrechtspoli- tik vor allem Stillstand bedeutet. Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeits- markt – Beschäftigungschancengesetz (Tages- ordnungspunkt 13) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Noch ist die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise nicht überwunden, aber wir sind hier auf einem sehr guten Weg. Jetzt ist nicht die Zeit, resigniert auf der Stelle zu treten, sondern die Zeit des Vorwärtsschauens. Bei der Opposition, vor allem bei den Linken, ist aber das Schlechtreden der gegenwärti- gen Situation symptomatisch. Sie verhält sich damit sta- tisch und rückwärtsgewandt. Aus vielerlei Gründen ist die Stimmung derzeit oft schlechter als die Lage. Statt hier gegenzusteuern, gießen gerade die Linken mit ihrer Angstrhetorik hier immer wieder Öl ins Feuer. Zwei gegensätzliche Tendenzen sind derzeit sichtbar: Einerseits bewegen sich viele Unternehmen mit ihren Haltekosten noch immer an den Grenzen der Belastbar- keit, andererseits beginnt allmählich die wirtschaftliche Erholung. Manche Unternehmen erreicht die Krise ver- mutlich erst in den nächsten Monaten und wird sie über 2010 hinaus vor Herausforderungen stellen. Hier greift die Bundesregierung mit dem Beschäfti- gungschancengesetz ein. So wird die Sonderregelung zur Förderung der Kurzarbeit bis März 2012 verlängert und den Unternehmen damit Planungssicherheit gege- ben. Darüber hinaus verlängern wir die Sonderregelung, dass Kurzarbeitergeld für Zeitarbeitnehmer unter glei- chen Voraussetzungen wie für andere Arbeitnehmer möglich ist. Für Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzar- beit werden den Arbeitgebern die vollen Sozialversiche- rungsbeiträge erstattet, wenn die Arbeitnehmer während mindestens der Hälfte der ausgefallenen Arbeitszeit qua- lifiziert werden. Die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeit ab dem 1. Januar 2009 erfolgt ab dem siebten Kalendermonat des Bezugs; die Erstattung er- folgt arbeitgeberbezogen. Dabei darf die Kurzarbeiterregelung aber nicht den Charakter einer Dauersubvention bekommen. Deshalb soll zum Beispiel auch die Konzernklausel nicht verlän- gert werden, nach der Unternehmen Sozialabgaben so- fort erstattet wurden, wenn an einem anderen Standort schon die Kurzarbeit eingeführt war. Im Krisenjahr 2009 sind wir wegen des klugen Kri- senmanagements der Bundesregierung gut gefahren. Das ist vor allem auch der Kurzarbeit zu verdanken, sozusa- gen dem Kriseninstrument Nummer eins. Kurzarbeit verhindert Arbeitslosigkeit zum einen dank der Arbeitgeber, die ihren Beitrag geleistet haben, indem sie die Haltekosten getragen haben, und zum anderen dank der Politik, die das Kurzarbeitergeld bewilligt hat. Kurzarbeitergeldregelung und flexiblere Tarifvertrags- gestaltung haben es vielen Unternehmen erlaubt, ihre Arbeitnehmer auch in der Krise weiterzubeschäftigen. Vor allem können sich aber auch die Beschäftigten, die Lohneinbußen auf sich genommen haben, um ihre Ar- beitsplätze zu behalten, diesen Erfolg zurechnen. Vor allem vom Mittelstand wird die Kurzarbeit ge- nutzt. Sie sichert Unternehmen ihre gut eingespielte Be- legschaft, die sie für den nächsten Auftrag braucht. Zu beobachten ist in diesen Zeiten auch: Viele Betriebe ste- hen zu ihren Beschäftigten, insbesondere zu den älteren 5142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) unter ihnen. Es gab keine Entlassungs- und auch keine Frühverrentungswellen. Gerade vor dem Hintergrund des sich wieder verstär- kenden Fachkräftemangels war und ist es ein Gebot der ökonomischen Vernunft, zumindest die Stammbeleg- schaften zu halten. Hunderttausende Arbeitsplätze konnten so gerettet werden, zwei Drittel davon vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Laut DGB gäbe es ohne Kurzar- beit jetzt wahrscheinlich 200 000 bis 300 000 Arbeits- lose mehr. Drei Aspekte möchte in diesem Zusammenhang be- sonders hervorheben: Erstens. Gerade kleine und mittelständische Betriebe profitieren von der Regelung. Über die Hälfte der Kurz- arbeit, 52 bis 56 Prozent, wird in mittelständischen Be- trieben zwischen 20 und 500 Mitarbeitern geleistet. Zweitens. Durch Kurzarbeit werden auch innovative Betriebe mit hochqualifizierten Arbeitskräften gefördert. Müsste ein Teil dieser Belegschaft gehen, ginge den Un- ternehmen Innovationspotenzial verloren. Drittens. Viele Betriebe bilden weiter aus, statt die Ausbildung im Zuge der Krise und vor dem Hintergrund drohender Entlassungen einzustellen. Der derzeitige Rückgang der Kurzarbeit beweist noch einmal, wie wichtig es ist, sie als Instrument zur Bewäl- tigung der Krise einzusetzen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schung, IAB, belief sich die Zahl der Kurzarbeiter im Monatsdurchschnitt des ersten Quartals 2010 auf rund 933 000 Personen, nach 1,12 Millionen im dritten und 984 000 im vierten Quartal des Jahres 2009. Sie sehen: Das Beschäftigungschancengesetz ist ein weiteres Instrument, um der Wirtschafts- und Finanz- krise entschlossen entgegenzutreten. Unser Ziel ist es, aus der Krise heraus neue Brücken zu mehr Beschäfti- gung zu bauen und gezielt die zu unterstützen, die es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben. Jetzt ist nicht die Zeit der Zauderer und Bedenkenträ- ger, sondern die Zeit derjenigen, die Mut zum Handeln haben. Springen Sie deshalb über Ihren Schatten und stimmen Sie unserem Maßnahmenpaket zu! Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Gut, dass ein Gesetz gilt, von niemandem angezweifelt, nicht beklagt und als absolut verfassungskonform bewertet. Es ist nicht das Beschäftigungschancengesetz, das wir heute in erster Lesung behandeln, sondern es ist das sogenannte Struck’sche Gesetz. Denn für den Entwurf eines Geset- zes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt muss es dringend Anwendung finden. Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag heraus, wie es hereinge- kommen ist. Warum ist das so wichtig in diesem Fall? Vom Ent- wurf sind viele arbeitsmarktrelevante Maßnahmen be- rührt. Zusammengefasst sollen sie dem Ziel dienen, die Chancen auf Beschäftigung zu verbessern. Daran möchte ich die geplanten Veränderungen messen und sie auf Folgendes hin prüfen: Was wird besser, was ver- schlechtert sich – und für wen? Beginnen wir mit der freiwilligen Versicherung in der Arbeitslosenversicherung, § 28 a SGB III. Es ist richtig, diese Möglichkeit zu entfristen. Es ist nachvollziehbar, dass die Beiträge erhöht werden sollen. Aber die Bei- träge für eine Gründungsphase nur ein Jahr lang auf 50 Prozent zu reduzieren, das scheint mir zu wenig. Der DGB schlägt 24 Monate vor; das finde ich angemessen. Schon die Umbenennung in „Versicherungspflicht- verhältnis auf Antrag“ dokumentiert Ihren lobenswerten Willen zur Neustrukturierung. Ich möchte Ihnen Mut machen, noch einen weiteren Punkt einer besseren Lö- sung zuzuführen. Es geht dabei um mehr Gerechtigkeit bei der Leistung aus diesem Versicherungsverhältnis. Wenn die Beitragshöhen gleich sind, sollte beim Leis- tungsanspruch in der Höhe nicht nach sogenannten Qua- lifizierungsstufen differenziert werden. Im Übrigen plä- diere ich für ein wesentlich größeres Zeitfenster für einen möglichen Beitritt nach Inkrafttreten des Gesetzes. Geben Sie auch den langjährig Selbstständigen eine Chance! Wesentliche Änderungen nehmen Sie beim Kurzar- beitergeld vor. Ihre Verlängerung der flexibleren und kraftvolleren Kurzarbeitergeldregelung findet sich da; meines Erachtens wäre sie unter Fortführung der gelten- den Bedingungen besser. Von herausragender Bedeutung sind jedoch die Ver- änderungen, die Sie für Transfergesellschaften vorneh- men wollen. Wir wissen, Transfergesellschaften sind ein bewährtes arbeitsmarktpolitisches Instrument. Sie die- nen als Brücke von und in Beschäftigung. Sie haben sich bewährt, wenn es darum geht, strukturelle Umbrüche so- zialverträglich zu gestalten. Sie erlauben, stichtagbezo- gen und unabhängig von individuellen Kündigungster- minen Strukturveränderungen umzusetzen. Ihr Ziel ist es, die Betroffenen für eine weitere, der Qualifikation entsprechende oder auf ihr aufbauende Tätigkeit zu qua- lifizieren und in eine entsprechende Tätigkeit zu vermit- teln. Wenn wir Ihre Novellierung an diesen Kriterien mes- sen, stellen wir fest, dass nicht alle zielführend sind. Da- für drei Beispiele: So ist die Regelung „Profiling durch BA“ eine Einla- dung zur Doppelarbeit, also besser zu modifizieren. So wäre die Erweiterung des Transferkurzarbeitergel- des von 12 auf bis zu 24 Monate jetzt zu diskutieren und gegebenenfalls einzubringen. Dazu findet sich jedoch nichts. So fehlt es insgesamt an Klarheit in den Regelungen zu Erfolg und Qualität. Ich hoffe, dass die geplante Anhörung Ihnen auch hier Gelegenheit gibt, die jetzt vorliegenden Regelungen zu verbessern. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5143 (A) (C) (D)(B) Lassen Sie uns gemeinsam auch noch einmal auf § 131 Abs. 3 SGB III schauen, das sogenannte Bemes- sungsentgelt. Sollte es nicht unser gemeinsames Ziel sein, Teilnehmer an Transfergesellschaften bei Eintritt von Arbeitslosigkeit so zu stellen, als hätten sie unmit- telbar Arbeitslosengeld in Anspruch genommen? Bei mehreren Förderinstrumenten im SGB III schla- gen Sie eine Verlängerung der Laufzeit vor. Das bewer- ten wir positiv. Hier greife ich drei heraus: die Verlänge- rung des Programms WeGebAU; noch besser wäre die Entfristung dieses erfolgreichen Instrumentes, § 417 SGB III; die Verlängerung des Eingliederungszuschus- ses für Ältere, §421 f SGB III; die Verlängerung des Ausbildungsbonus im Zusammenhang mit Insolvenz oder Stilllegung, § 421 r SGB III. Aber Sie wissen, dass es zum Ausbildungsbonus weitaus mehr zu sagen und zu regeln gäbe. Leider konnten Sie sich – bis jetzt – nicht entschlie- ßen, andere Instrumente über Dezember 2010 hinaus zu verlängern, so zum Beispiel den Ausbildungsbonus für Altbewerber. Junge Menschen, die es besonders schwer haben, in Ausbildung zu kommen, dürfen wir nicht ab- schreiben; vielmehr müssen wir uns verstärkt um sie kümmern. In den Reden der Ministerin höre ich das im- mer wieder. Recht hat sie. Setzen Sie es in die Tat um! Ein Problem will, nein: muss ich hier ansprechen. Es ist das Ende der Förderung des dritten Ausbildungsjah- res in der Altenpflege. Dazu haben wir im Ausschuss den Parlamentarischen Staatssekretär Brauksiepe gehört. In Ihrem Gesetzentwurf finde ich keine Verlängerung dieser Förderung, § 421 t Abs. 5 Nr. 6 SGB III. Ich schließe da- raus, dass die Bundesregierung beabsichtigt, tatsächlich „auszusteigen“. Ich halte das für grundfalsch. Die Ausbildungsanfängerzahlen lagen 2009 noch un- ter denen des Jahres 2001/2002. Die Ausbildungskosten in der Altenpflege werden von den Bundesländern nur bei den öffentlichen Schulen übernommen. In Nieder- sachsen zum Beispiel ist jedoch jeder zweite Ausbil- dungsplatz in einer privaten Schule. Hier fällt Schulgeld von circa 260 Euro im Monat an. Das sogenannte Pfle- gepaket in Niedersachsen sieht keine Lösung vor, und ich fürchte, Niedersachsen ist nicht das einzige Bundes- land, das belastbare Antworten nicht liefert. Ja, es stimmt: Der Streit um die Finanzierung der Altenpflege- ausbildung dauert bereits viele Jahre. Ja, dafür brauchen wir eine bundesweite Lösung. Ja, wir dürfen die Bundes- länder nicht aus der Verantwortung entlassen. Aber wol- len Sie das auf dem Rücken potenzieller Fachkräfte aus- tragen? Wollen Sie den Fachkräftemangel tatsächlich auf diese Weise befeuern? Schon diese Beispiele zeigen: Das Struck’sche Gesetz muss angewendet werden, damit aus diesem Entwurf et- was werden kann, das den Namen „Chancengesetz“ ver- dient. Die SPD-Bundestagsfraktion wird Ihre parlamen- tarische Nacharbeit kritisch-konstruktiv begleiten. Die Arbeitsuchenden werden Sie daran messen, ob ihre Chancen auf Arbeit tatsächlich steigen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung, das Beschäftigungschancengesetz, ist ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwick- lung am Ende der Krise in Deutschland. Hierbei möchte ich insbesondere den Aspekt des Kurzarbeitergeldes beleuchten. Mein Kollege Johannes Vogel wird sich den Fragen des privaten Vermittlungs- gutscheins widmen. Grundsätzlich muss man sagen, dass das Kurzarbei- tergeld ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument in der Krise war und ist. Die Zahl der Arbeitslosen wäh- rend der größten Wirtschafts- und Finanzkrise Deutsch- lands ist stabil geblieben; es kam – im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarländern – in deutschen Unternehmen kaum zu Massenentlassungen, und die Zahl der Arbeitslosen geht beständig zurück – nicht so schnell, wie wir uns das gewünscht hätten, aber doch zü- giger als erwartet. Das ist auch gerade angesichts des bevorstehenden, ja schon aktuellen Fachkräftemangels enorm wichtig. Die Betriebe wissen, dass es für sie unerlässlich ist, Wissen in den Betrieben zu halten und es nicht durch Entlassun- gen zu verlieren. Hierbei hat das Kurzarbeitergeld gehol- fen. Gerade die Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld haben dazu geführt, dass es von den Unternehmen so gut angenommen wurde. Die Lockerungen bei den Anforde- rungen an die Anspruchsstellung, aber natürlich insbe- sondere die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge hat das Kurzarbeitergeld für die Unternehmen attraktiv gemacht. Es hat viele Menschen damit vor der Arbeitslosigkeit geschützt, die gerade in der Krise vermutlich Schwierig- keiten gehabt hätten, einen neuen Job zu finden. Wir alle wissen, dass die Gefahr der Verfestigung der Langzeitar- beitslosigkeit mit jedem Tag ohne Beschäftigung steigt. Dadurch wurde auch die Bundesagentur für Arbeit bei den Arbeitslosengeldzahlungen erheblich entlastet. Denn es ist klar, dass das Kurzarbeitergeld im Endeffekt günstiger ist als die Finanzierung der Arbeitslosigkeit und die Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für Arbeit, zumindest dann, wenn sich nicht doch noch Ar- beitslosigkeit an die Kurzarbeit anschließt. Trotz allem ist beim Einsatz dieses Mittels auch Vor- sicht geboten. Nicht aus einer Befürchtung des Miss- brauchs hinaus – da habe ich großes Vertrauen in unsere Unternehmen –, sondern um einen notwendigen Struk- turwandel in den Unternehmen zu ermöglichen. Eins ist klar: Mit der FDP wird es keine Verlängerung der gesetzlichen Bezugsfrist geben. Das würde Sinn und Systematik des Kurzarbeitergeldes widersprechen, weil der Arbeitsausfall gerade nicht mehr „vorübergehend“ ist. Das ist aber das gesetzliche Erfordernis, das über- haupt eine solche staatliche Unterstützung rechtfertigt. Bei einer 36-monatigen Bezugsdauer ließe sich der maß- gebliche vorübergehende Arbeitsausfall kaum noch von dauerhafter Verminderung des Arbeitsvolumens abgren- zen. Eine seriöse Marktprognose und personalwirt- schaftliche Planung ist auf eine so lange Frist kaum zu 5144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) erstellen. Belastbare betriebswirtschaftliche Prognosen zum zukünftigen Arbeitsvolumen erscheinen über einen Zeitraum von 36 Monaten nahezu ausgeschlossen. Das haben auch alle Experten bei der entsprechenden Anhö- rung im Ausschuss gesagt. Genau aus diesen Gründen beträgt der gesetzliche Grundfall der Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld sechs Monate. Kurzfristig in der Krise kann die Solidargemeinschaft für angeschlagene Unternehmen einstehen; aber bei wirtschaftlichen Problemen von bis zu oder sogar mehr als drei Jahren – denn die Unternehmen beginnen ja nicht am ersten Tag der Schwierigkeiten mit Kurzarbeit, sondern gehen verantwortungsbewusst mit diesem Mit- tel als Ultima Ratio um – muss sich ein Unternehmen auch der Realität stellen, dass gewisse strukturelle Ver- änderungen wohl unvermeidlich sind. Vor allem soll das Kurzarbeitergeld die Beschäfti- gungsverhältnisse sichern, die auch langfristig Bestand haben, und keine abzusehende Arbeitslosigkeit verzö- gern. Denn das ist ein Punkt, der häufig vergessen wird: Die Kurzarbeit wird durch Mittel der Beitragszahler finanziert, und die Kosten sind insbesondere seit der Er- stattung der Sozialversicherungsbeiträge beachtlich. Deshalb haben wir nützliche Maßnahmen im Be- schäftigungschancengesetz befristet verlängert und wer- den weniger hilfreiche Maßnahmen auslaufen lassen. Denn wichtiger als die Quantität ist der richtige Einsatz der Mittel. Einzelne Regelungen haben nicht den ge- wünschten Erfolg gezeigt. Daher soll die 100-prozentige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ab dem sieb- ten Monat künftig betriebsbezogen und nicht mehr kon- zernbezogen möglich sein. Damit schaffen wir die soge- nannte Konzernklausel ab, die Konzerne bevorzugt und kleine und mittlere Unternehmen ohne Grund benachtei- ligt hat. Die 100-prozentige Erstattung der Sozialversiche- rungsbeiträge bei Qualifizierungsmaßnahmen war je- doch eine bewusste Entscheidung, die wir als Liberale getroffen haben. Wir haben immer die Relevanz von Bil- dung und Weiterbildung im (Berufs-)Leben anerkannt und gefördert. Dabei muss klar sein, dass es eine Exit-Strategie gibt. Wir sind in einer Erholungsphase; es gibt einen deutli- chen Ausblick auf das Ende der Krise. Daher gibt es in dem Beschäftigungschancengesetz keine vollständige Synchronisierung der möglichen verlängerten Bezugs- fristen des Kurzarbeitergeldes und der Erstattung der So- zialversicherungsbeiträge. Diese Erstattung wird bis Frühling 2012 verlängert. Nicht zuletzt müssen die Un- ternehmen langsam wieder an die Erhöhung der Rema- nenzkosten gewöhnt werden. Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass das Kurzar- beitergeld ein wichtiges Instrument ist, das maßvoll ein- gesetzt werden muss. Haltlose Ausweitungen der Be- zugsfrist oder ein Systemwechsel zur gesetzlich festgeschriebenen Erstattung der Sozialversicherungs- beiträge hilft nicht den Unternehmen und vor allem nicht den Arbeitnehmern. Unsere Strategie steht; unser Au- genmerk muss in Zukunft noch mehr auf den Anstren- gungen zur wirtschaftlichen Erholung liegen. Denn trotz aller Effizienz wünschen wir uns doch alle eine wirt- schaftliche Situation, die den Einsatz solcher Maßnah- men überflüssig macht. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Es wird Sie wenig überraschen, aber ich kann mich den Argumenten meines Fraktionskollegen Herrn Dr. Kolb nur anschlie- ßen. Wir leisten mit dem Beschäftigungschancengesetz einen wichtigen, entscheidenden Beitrag zum Ende der Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ich will noch einmal kurz und abschließend die zen- tralen Punkte mit Blick auf das Kurzarbeitergeld bekräf- tigen: Das Kurzarbeitergeld war in der Krise wirklich das Mittel der Wahl. Nur durch seinen Einsatz konnten wir verhindern, dass sich auf dem deutschen Arbeits- markt dieselben schwerwiegenden Einbrüche gezeigt ha- ben, wie wir es im europäischen Ausland erlebt haben. Man kann es gar nicht oft genug betonen: Es gibt ein einziges Land in der Europäischen Union, das im Jahres- verlauf 2008 bis 2009 nicht nur keinen Anstieg der Ar- beitslosigkeit erlebt hat, sondern sogar einen leichten Rückgang, nämlich Deutschland. Das ist nicht nur, aber zu ganz wesentlichen Teilen auch dem Kurzarbeitergeld zu verdanken. Allerdings – und darauf haben wir Liberale auch schon immer hingewiesen – sollte uns diese Erfolgsge- schichte nicht übersehen lassen, dass wir nun die ersten deutlichen Aufschwungsindikatoren haben. Das heißt, eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds ohne Augen- maß wäre fatal. Deswegen haben wir eine Regelung ge- wählt, die die Unternehmen unterstützt, aber auch dafür sorgt, dass sie nicht einen möglicherweise notwendigen Strukturwandel vernachlässigen. Außerdem haben wir schlichtweg Unsinniges abgeschafft, etwa die Konzern- klausel. Sie sehen, wir waren uns hier im Hause nicht im Prinzip uneinig, wohl aber in den Details, und da haben wir unsere Hausaufgaben besser gemacht. Abgesehen davon gehen wir mit dem Beschäfti- gungschancengesetz noch eine ganze Reihe anderer ar- beitsmarktpolitischer Aufgaben an. Denn es wäre wenig hilfreich, im anstehenden Aufschwung arbeitsmarktpoli- tische Instrumente, deren Befristung zum Jahresende an- steht, ohne nähere Prüfung auslaufen zu lassen. Grund- sätzlich bleibt an dieser Stelle erst einmal festzuhalten, dass die christlich-liberale Koalition bis Ende des Jahres 2011 alle – ich betone: alle – arbeitsmarktpolitischen In- strumente evaluieren wird. Bei dieser Evaluation kann es für uns nur einen Maßstab geben. Dieser Maßstab wird die Frage sein: Was bringt Menschen in Arbeit? Wir werden dies keinesfalls kurzfristig und einseitig verste- hen, sondern langfristig und umfassend. Der Maßstab muss also ein Augenmerk auf die Eröffnung von Chan- cen legen. Mit Blick auf die konkreten Maßnahmen will ich Fol- gendes festhalten: Die Möglichkeit der freiwilligen Wei- terversicherung in der Arbeitslosenversicherung stellen wir auf eine neues, solides Fundament. Außerdem ist es uns gelungen, die bisherigen Erfahrungen einfließen zu Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5145 (A) (C) (D)(B) lassen, weswegen wir beispielsweise die Antragsfrist auf drei Monate verlängern und so Existenzgründern ganz praktisch das Leben leichter machen. Ferner verlängern wir die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer, den Eingliederungszuschuss für Ältere, die Weiterbildung beschäftigter älterer Arbeitnehmer in kleinen und mittle- ren Unternehmen, die erweiterte Berufsorientierung so- wie den Ausbildungsbonus bei Insolvenz. Wie gesagt, hierbei geht es vor allem darum, nicht den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun. Alle Maßnahmen werden im nächsten Jahr überprüft, und dann werden wir in Ruhe entscheiden, was Sinn hat und was nicht. Abgesehen davon werden wir noch Änderungsan- träge zum Beschäftigungschancengesetz einbringen, bei- spielsweise, um den Vermittlungsgutschein nach § 421 g SGB III zu verlängern. Darüber hinaus wollen wir ihn dahin gehend umgestalten, dass er gleich zu Beginn der Arbeitslosigkeit von Erwerbslosen in Anspruch genom- men werden kann. Auch der Vermittlungsgutschein wird sich natürlich der neutralen Evaluation des nächsten Jahres stellen müssen. Aber ich möchte doch einmal festhalten, dass es ein Grundanliegen der rot-grünen Ar- beitsmarktreformen gewesen ist, auch private Arbeits- vermittlung zuzulassen, womit ein Markt- und Wettbe- werbselement in den Bereich der Arbeitsvermittlung Einzug gehalten hat. Als Liberaler kann ich das nur be- grüßen, auch weil ich persönlich bisher den Eindruck ge- wonnen habe, dass der Vermittlungsgutschein ein erfolg- reiches Instrument ist. Abschließend bleibt also festzuhalten, dass das Be- schäftigungschancengesetz ein gutes Beispiel dafür ist, dass man auch mit einer Summe im Einzelnen wenig spektakulären gesetzgeberischen Maßnahmen gute Ar- beitsmarktpolitik betreiben kann. Das Beschäftigungs- chancengesetz zeichnet sich durch Bedacht und Ausge- wogenheit aus. Nach den Änderungen der zweiten Lesung werbe ich für breite Zustimmung in der dritten Lesung. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Das Beschäfti- gungschancengesetz, das die Regierung heute in den Bundestag einbringt, ist ein Scheingesetz. Denn so sinn- voll einzelne Regelungen dieses Gesetzes sein mögen: Durch das zeitgleich von der Bundesregierung angekün- digte Sparpaket wird die Axt bei der aktiven Arbeits- marktpolitik angelegt. 16 Milliarden Euro sollen hier bis 2014 gekürzt werden. So wird den Arbeitsmarktmaßnah- men, die die Bundesregierung mit dem Gesetz verlän- gern will, die finanzielle Grundlage entzogen. Zum Gesetzentwurf konkret. Dieser enthält drei zen- trale Punkte: Erstens. Die Bundesregierung will die Kurzarbeiter- regelungen verlängern. Das ist vernünftig. Aber leider hat sie es abgelehnt, die Bezugsdauer des Kurzarbeiter- geldes auf 36 Monate zu verlängern und die steuerliche Benachteiligung von Kurzarbeiterinnen und Kurzarbei- tern, den Progressionsvorbehalt, zu beseitigen. Auch Vorschläge der IG Metall, tarifliche Regelungen mit gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen, wurden nicht aufgegriffen. Zweitens. Die Möglichkeit für eine bestimmte Gruppe von Selbstständigen, sich freiwillig in der Ar- beitslosenversicherung zu versichern, soll bestehen blei- ben. Hier sind Sie dem Druck der Linken und den Grü- nen gefolgt, die dies schon vor drei Monaten in den Bundestag eingebracht hatten. Nicht aufgegriffen haben Sie jedoch unsere Vor- schläge, die Arbeitslosenversicherung für weitere Grup- pen von Selbstständigen zu öffnen. Und Sie können nicht nachvollziehbar begründen, warum Sie die Bei- träge für Selbstständige in dieser Form erhöhen. Drittens. Die Regierung will bestimmte zeitlich be- fristete Regelungen verlängern, bis die Überprüfung der Instrumente der Arbeitsförderung abgeschlossen ist. Es geht hier zum Beispiel um Beschäftigungshilfen und die Weiterbildung älterer Arbeitnehmer. Es geht um Maß- nahmen zur Berufsorientierung oder den Ausbildungs- bonus, der es Auszubildenden von pleitegegangenen Betrieben ermöglichen soll, ihre Ausbildung abzuschlie- ßen. So weit, so gut. Das Absurde an der Politik der Bun- desregierung ist: Sie will Maßnahmen verlängern und streicht zugleich die Gelder, mit denen diese Maßnah- men finanziert werden. Union und FDP betreiben damit eine Placebopolitik auf dem Rücken der Erwerbslosen. Unsere Arbeitsministerin Frau von der Leyen hat ihr Wort gebrochen. Noch Ende April kündigte Sie an: „Wir werden nicht sinnlos kürzen.“ Nun soll genau das statt- finden. Unsere Arbeitsministerin entpuppt sich immer mehr als Ankündigungsministerin; sie tritt in der Öffentlich- keit mit schönen Worten auf, aber die Taten bleiben aus. Das erleben wir auch bei dem Thema Leiharbeit. Auf- grund des öffentlichen Drucks kündigte sie Maßnahmen gegen den Missbrauch von Leiharbeit an. Nun kursiert in ihrem Haus ein dürftiger Gesetzentwurf, mit dem weder die Benachteiligung der Leiharbeiterinnen und Leihar- beiter beseitigt noch das Lohndumping mittels Leihar- beit unterbunden wird. Diese schwarz-gelbe Regierung braucht Druck inner- und vor allem außerhalb des Parlaments. Dafür wird die Linke in den nächsten Monaten streiten. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Name Beschäftigungschancengesetz ist Etiketten- schwindel. Denn die Chancen Arbeitsloser, auf Basis dieses Gesetzes einen neuen Job zu bekommen, sind gleich Null. Die Verlängerung der Sonderregelungen zur Kurzarbeit wird vielleicht weiterhin einem Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegenwirken, obwohl die Kurzarbeit gerade deutlich zurückgeht – neue Impulse für Beschäf- tigung entstehen dadurch aber nicht. Für einzelne Bran- chen und Unternehmen kann im Gegenteil eine zu lange Entlastung der Arbeitgeber im Falle von Kurzarbeit, die zudem noch nicht einmal einen Anreiz für mehr Quali- 5146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) fizierung setzt, dazu führen, dass der notwendige Strukturwandel behindert und so ein nachhaltiger Auf- schwung gehemmt wird. Neue Beschäftigungschancen, meine Damen und Herren von Union und FDP, und neue zukunftstaugliche Jobs entstehen nur, wenn die Arbeitsplatzpotenziale in den Zukunftsbranchen Umwelt, Bildung, Gesundheit und Pflege erschlossen werden. Dafür brauchen wir eine Neuausrichtung der Aus- und Weiterbildung. Genau das leisten Sie aber nicht. Im Gegenteil, viele der mit den Konjunkturpaketen eingeführten Qualifizierungsanreize sollen nicht fortgeführt werden. Das gilt beispielsweise für die komplette dreijährige Förderung von Umschulun- gen in den Bereichen Kranken- und Altenpflege. Auch die Sonderregelung, mit der Arbeitnehmer gefördert werden können, deren Berufsabschluss länger zurück- liegt, wird gestrichen. Ich finde: Zumindest solange es die krisenbedingten Sonderregelungen für das Kurzar- beitergeld gibt und die Arbeitgeber bei den Sozialabga- ben entlastet werden, sollten auch diese Sonderregelun- gen weitergelten. Auch andere arbeitsmarktpolitische Instrumente lau- fen Ende des Jahres aus, beispielsweise die Vermitt- lungsgutscheine und der Qualifizierungszuschuss für Jüngere. Die Bundesregierung selbst weist in dem vor- liegenden Gesetzentwurf darauf hin, dass eine ganzheit- liche Überprüfung aller Arbeitsmarktinstrumente im Jahr 2011 ansteht. Da wäre es nur folgerichtig, alle Maß- nahmen, die 2010 auslaufen, um ein Jahr zu verlängern. Dann ließe sich tatsächlich fachlich beurteilen, welche Instrumente geeignet sind, um die Menschen zügig und dauerhaft wieder in Arbeit zu bringen. Verehrte Kolle- ginnen und Kollegen von Union und FDP, ich befürchte, dass Sie das aber gar nicht wirklich wissen wollen. Bei Ihnen geht es nur noch um kurzfristig wirksame Einspar- effekte. Das wird aber langfristig eine teure Sache; denn nur wenn es gelingt, die Arbeitslosigkeit nachhaltig ab- zubauen, wird auch der Etat dauerhaft entlastet. Mit dem Beschäftigungschancengesetz soll auch die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige entfristet werden. Das fordern wir seit langem; aber Sie, meine Damen und Herren von CDU, CSU und FDP, ver- binden damit eine Vervierfachung der Beiträge. Das werden sich viele Gründerinnen und Gründer nicht leis- ten können. Die Solo-Selbstständigen gehören nicht zu den Besserverdienern. Diese Menschen, die sich eine neue Existenz mit ihrer Selbstständigkeit aufbauen und die in den ersten Jahren oft nur ein sehr bescheidenes Einkommen erzielen, wollen Sie jetzt mit höheren Bei- trägen abzocken. Dem Finanztableau des Beschäfti- gungschancengesetzes ist doch zu entnehmen, dass die Selbstständigen mittelfristig ein 11-Millionen-Euro-Plus für die Kasse der Bundesagentur für Arbeit bringen sol- len. Das ist unanständig, und ich sage Ihnen: So wird Deutschland nicht zum Gründerland, und Sicherheit bleibt für viele Menschen ein Fremdwort. Dieses Gesetz werden wir im Ausschuss ausführlich debattieren müssen. Ich setze darauf, dass es noch Ände- rungen geben wird. Das hoffe ich insbesondere für die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, damit diese Versicherungsoption auch zukünftig für Solo-Selbstständige mit kleinen Einkommen bezahlbar bleibt. Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die Entwick- lung des Arbeitsmarktes in der Wirtschaftskrise zeigt, dass mit den richtigen arbeitsmarktpolitischen Maßnah- men Beschäftigung und Wirtschaftswachstum gesichert werden können. Dieser Erfolg, der allen zugutekommt, wird mit dem Beschäftigungschancengesetz fortgeführt. Im Jahr 2009 ging die wirtschaftliche Produktion in Deutschland in bisher nicht gekanntem Ausmaß zurück. Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich jedoch als stabil er- wiesen. Es ist weder zu dem erwarteten massiven Rück- gang der Beschäftigung noch zu einem sprunghaften An- stieg der Arbeitslosigkeit gekommen. Nach der für uns alle überraschend geringfügigen Eintrübung der Arbeits- marktlage im Jahr 2009 verbessert sich die Situation zu- sehends. Im Mai gab es erstmals wieder mehr sozialver- sicherungspflichtig Beschäftigte als im Vorjahresmonat. Auch die Zahl der arbeitslosen und unterbeschäftigten Personen – ohne Kurzarbeiter – ist geringer als noch vor einem Jahr. Nach der letzten Meldung von Eurostat ist die Arbeitslosigkeit in 26 Mitgliedstaaten gestiegen, ein- zig in Deutschland ist sie gesunken. Das Instrument Kurzarbeit hat den deutschen Arbeits- markt stabilisiert und verhindert nach wie vor Arbeitslo- sigkeit in größerem Umfang. Im März 2010 gab es noch knapp 700 000 konjunkturelle Kurzarbeiter. Allein ge- genüber dem Vormonat ist dies ein Rückgang um rund 100 000 Kurzarbeiter. Es zeigt sich, dass die Kurzarbeit kontinuierlich zurückgeht und gleichzeitig die Arbeitslo- sigkeit sinkt. Die Befürchtung, Kurzarbeit könne Ar- beitslosigkeit nicht verhindern, sondern nur verzögern, ist bislang unbegründet. Trotz der positiven Entwicklung deutet die hohe Zahl an Kurzarbeitern auf eine immer noch anhaltende Unterauslastung der Betriebe hin, die weiterhin eine Gefährdung für den Arbeitsmarkt dar- stellt. Es muss den Betrieben daher frühzeitig signalisiert werden, dass ihr Bemühen um ein Festhalten an ihren Mitarbeitern auch zukünftig unterstützt wird. Mit dem Beschäftigungschancengesetz verlängern wir die im Jahr 2009 eingeführten Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld bis Ende März 2012. Sie sind bis- lang bis Ende 2010 gültig. Dies betrifft die Erleichterun- gen bei den gesetzlichen Voraussetzungen und die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge. Die Maß- nahmen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt sich in der Krise äußerst stabil zeigt. Ich nenne Ihnen drei wesentliche Vorteile der Kurzarbeit: Erstens. Arbeitslosigkeit, die viel teurer geworden wäre als die Kosten, die für die Kurzarbeit anfielen, wurde vermieden; Zweitens. Das für die Betriebe wichtige Know-how wurde in den Betrieben erhalten Drittens. Die Kaufkraft der Kurzarbeiter wurde gesi- chert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5147 (A) (C) (D)(B) Auch im nächsten Jahr werden Teile der Wirtschaft von Auftragsausfällen betroffen sein. Diesen Unterneh- men und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wollen wir helfen, die Phase mit Auftragsrückgängen möglichst ohne Entlassungen zu überstehen. Welchen Betrieben wird damit geholfen? Teilweise wurde vermutet, es seien vor allem Großunternehmen. Im Gegenteil: Wir wissen inzwischen, zwei Drittel der Kurzarbeiter arbeiten in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Lediglich ein Drittel der Kurzarbeiter ist in Großbetrieben ab 500 Mitar- beitern beschäftigt. Der Fokus auf kleine und mittelstän- dische Unternehmen wird durch die Verlängerung noch einmal gestärkt. Die sogenannte Konzernklausel werden wir nicht verlängern. Betriebe mit mehreren Standorten sind somit künftig Betrieben mit einem Standort gleich- gestellt. Ich bin überzeugt, dass wir so weiterhin die Krise meistern können. Und gerade in Zeiten knapper Kassen ist es sozialpolitisch verantwortungsvoll, Beschäftigung in den Unternehmen zu sichern statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Die Geschichte der Kurzarbeit ist eine Er- folgsgeschichte. Vielfach war vom deutschen Beschäfti- gungswunder die Rede. Lassen Sie uns diese deutsche Erfolgsstory weiterschreiben. In diesen schwierigen Zeiten haben wir auch die älte- ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick. Speziell für Ältere werden drei arbeitsmarktpolitische Instrumente verlängert: die Weiterbildung beschäftigter älterer Arbeitnehmer, der Eingliederungszuschuss für Ältere und die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. Damit werden Beschäftigungschancen für Ältere auf- rechterhalten. Diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente werden bis Ende des Jahres 2011 verlängert. Auch der Vermittlungsgutschein soll zunächst um ein Jahr verlän- gert werden. Wie es danach weitergehen wird, werden wir im Zusammenhang mit der für das Jahr 2011 vorge- sehenen Überprüfung aller arbeitsmarktpolitischen In- strumente zu entscheiden haben. Besonders wichtig ist es, jungen Menschen beim Start in das Berufsleben die erforderlichen Hilfen zu geben. Deshalb wird die erweiterte Berufsorientierung bis Ende des Jahres 2013 verlängert. Sie unterstützt junge Men- schen bei der Berufswahl. Außerdem wollen wir den Ausbildungsbonus für Auszubildende insolventer Be- triebe bis Ende des Jahres 2013 verlängern. Dies sichert den erfolgreichen Abschluss von Berufsausbildungen in den von der Wirtschaftskrise beeinflussten Jahren. Im Jahr 2009 wurden 2 456 Ausbildungsboni in Insolvenz- fällen bewilligt. Wir wollen weiterhin auch denjenigen einen verbes- serten sozialen Schutz bieten, die eine „Anwartschaft“ auf Arbeitslosengeld erworben haben und den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Deshalb soll die bis Ende des Jahres 2010 befristete Möglichkeit für Existenzgründer und Auslandsbeschäftigte, ein Versicherungsverhältnis auf Antrag einzugehen, fortgeführt werden. Aber wir vergessen auch nicht diejenigen, die keine Beschäftigung mehr haben. Neue Ansätze wie die „Bür- gerarbeit“ werden ab Juli 2010 bundesweit erprobt. Die Modellprojekte werden im regionalen Konsens entwi- ckelt. Denn alle Arbeitsmarktpartner sollen sich für die Bezieher von Arbeitslosengeld II verantwortlich fühlen und entsprechend handeln. Es ist nicht das Hauptziel, möglichst viele Bürgerarbeitsplätze zu besetzen. Haupt- ziel ist, durch eine gute Betreuung und Vermittlung mög- lichst vielen Betroffenen vorher zu einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verhelfen. Und nur für diejenigen, die trotz intensiver Hilfen keine Ar- beit finden können, stehen die Bürgerarbeitsplätze be- reit. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesen Regelungen für die nächste Zeit zur Sicherung von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum gut aufgestellt sind. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fachkräftepro- gramm – Bildung und Erziehung – unverzüglich auf den Weg bringen (Tagesordnungspunkt 14) Marcus Weinberg (CDU/CSU): Die christlich-libe- rale Koalition legt Priorität auf Bildung. Das haben wir mit den Aussagen im Koalitionsvertrag, mit der Aufsto- ckung des Haushalts und dem Festhalten am 10-Prozent- Ziel bis 2015 mehr als deutlich gemacht, und zwar weil wir davon überzeugt sind, dass wir in die Zukunft unse- res Landes, in die Köpfe unseres Landes investieren wollen und müssen. Dabei haben wir uns auch zum Ziel gesetzt: Bildung von Anfang an mit gerechten Chancen für alle. Lebenslanges Lernen, die Berücksichtigung he- terogener Lerngruppen, Durchlässigkeit der Bildungs- wege und Transparenz des Bildungssystems dienen als Eckpfeiler einer modernen Bildungspolitik; denn in den vergangenen Jahren und auch zukünftig haben wir mit diesen neuen Herausforderungen zu kämpfen. Es gilt, im immer schnelleren weltweiten Wissenszu- wachs zu bestehen, soziale Aufstiegschancen zu ermög- lichen, Migrantinnen und Migranten mit hohem Qualifi- kationsniveau zu integrieren und dem aufgrund des demografischen Wandels drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Bildungspolitik muss deshalb am Anfang ansetzen und alle Stationen der Bildungsbiogra- fie begleiten. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, be- stätigt der dritte nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2010“, der heute veröffentlicht wurde – und zwar mit vielen positiven Ergebnissen. Danach lagen die Bildungsausgaben je Bildungsteilnehmer in 2009 über dem OECD-Durchschnitt und waren damit höher als in 2006. Es gab einen Rückgang der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Die ganztägige Bildung und Be- treuung im Schulalter wurde erheblich ausgeweitet. Da- rüber hinaus ist der Hochschulpakt laut Bildungsbericht nachweislich ein Erfolgsrezept. Die Studienanfängerzahl erreichte in 2009 einen Höchststand. Sie stieg von 2006 bis 2009 um 23 Prozent auf rund 423 000. Die Zielgröße des Hochschulpaktes von 91 000 zusätzlichen Studien- anfängern bis 2010 gegenüber dem Basisjahr 2005 wurde damit bereits 2009 überschritten. Die Studienan- fängerquote lag mit 43 Prozent über der hochschulpoli- 5148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) tisch angestrebten Marke von 40 Prozent. Die Zahl der Bildungsausländer erhöhte sich in 2008 ebenfalls. Und schließlich etablierte sich entgegen aller Unkenrufe die Studienaufnahme in den Bachelorstudiengängen. Nun gilt es, diese Anstrengungen fortzuführen, und zwar in den Bereichen frühkindliche Bildung, Sprach- förderung und Berufsorientierungsprogramm. Im Be- reich der frühkindlichen Bildung legen wir neben der Schaffung der Infrastruktur besonderes Augenmerk auf die Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher. Die Schulleistungsuntersuchungen der jüngsten Vergangen- heit zeigten mehrfach, dass eine entsprechende Ausbil- dung des pädagogischen Personals eine Grundvorausset- zung für ein erfolgreiches Bildungssystem ist. Um sowohl Quantität als auch Qualität zu verbessern, hat der Bund, auch wenn die Frage der Kapazitäten, Ausbildung und Weiterbildung in die Zuständigkeit der Länder fällt, unterstützend Maßnahmen ergriffen: Das Kinderförde- rungsgesetz sichert neben einem Betreuungsplatzausbau die Verbesserung der Qualität der Erziehungsangebote zu. Mit der Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ für die Ausbildung von Erzie- herinnen und Erziehern unterstützt der Bund die Länder in der Verbesserung der Ausbildung der Fachkräfte, un- ter anderem durch zusätzliche Weiterbildungsangebote. Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Län- der beschlossen auf dem Bildungsgipfel im Dezember 2009 die Durchführung von Maßnahmen in den Berei- chen frühkindliche Sprachförderung und Bildung, För- derung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen sowie vertiefte Berufsorientierung. Die „Weiterbildungs- initiative Frühpädagogische Fachkräfte“ erarbeitet Qua- lifizierungsansätze für die Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtun- gen. Und das „Aktionsprogramm Kindertagespflege“ unterstützt seit 2008 die Länder beim quantitativen und qualitativen Ausbau im Bereich der Kindertagespflege. In Zahlen ausgedrückt, lassen sich laut nationalem Bildungsbericht bereits positive Entwicklungen für den qualitativen und quantitativen Ausbau festmachen. So standen rund 47 000 Tageseinrichtungen für Kinder zur Verfügung, und das Personal in den Kindertagesstätten wurde um 42 000 Personen erhöht. Weiter heißt es, dass das Angebotsprofil, vor allem in den alten Bundeslän- dern, gestiegen sei, und im Bereich der Dreijährigen am stärksten ausgebaut wurde. Dabei wurde eine Steigerung zwischen 2006 und 2009 von 167 Prozent erreicht – von 20 000 auf 53 000 Kinder. Ebenso fand eine Steigerung in der Bildungsbeteiligung der Vier- bis Fünfjährigen von 74 Prozent in 2006 zu bundesweit 95 Prozent in 2009 statt. Bei den unter Dreijährigen stieg die Quote der Bildungsbeteiligung im Westen auf 15 Prozent in 2009, 2006 waren es noch 8 Prozent. Folglich wurden hier innerhalb von drei Jahren 100 000 Plätze geschaf- fen. Was die Frage der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern auf Hochschulniveau angeht, so bleibt festzu- stellen, dass eine wissenschaftliche Unterlegung in der frühen Bildung eine von mehreren sinnvollen und wich- tigen Zielsetzungen sein sollte. Die tatsächliche pädago- gische Befähigung drückt sich jedoch nicht allein durch die Erlangung eines akademischen Abschlusses aus. Hier widerspreche ich den Aussagen der Kollegen der Linken. Der von mir eingangs genannte Begriff der Durchlässigkeit sollte eine größere Gewichtung erhalten. Aufgrund einer flexibleren Handhabung sollten unter Einhaltung der Qualitätsstandards Quereinstiege ermög- licht werden. Und damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht gegen eine universitäre Ausbildung, aber ich halte nichts von einer Konzentration auf eine gene- relle Hochschulausbildung, sondern vielmehr von einer dauerhaften begleitenden Qualifizierung. Das würde auch kurzfristigere Lösungen für die Erwerbssuchenden und den Arbeitsmarkt schaffen, der an pädagogischen Fachkräften unterbesetzt ist. Zur Verbesserung aller frühkindlichen, schulischen und außerschulischen Angebote halten wir als Union auch weiterhin die Fortführung und Erweiterung von Leistungsstanduntersuchungen für unerlässlich. Es gilt, die vereinbarten Bildungsstandards in ihrer Bedeutung für die „Bildungsrepublik“ zu stärken und umzusetzen und eine Gleichwertigkeit der Bildungsabschlüsse inner- halb Deutschlands zu gewährleisten. Hierzu sollte nach Möglichkeit über weitere Fachbereiche in der Hoch- schulreifeprüfung und einen verstärkten Einsatz verein- heitlichter Lehr- und Lernmittel nachgedacht werden. All diese Maßnahmen zeigen, dass wir kein neu aufge- legtes Fachkräfteprogramm – wie hier von den Linken gefordert – benötigen. Wir werden die bestehenden Pro- gramme umsetzen, ob Bildungsbündnisse, Bildungsket- ten oder eine Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes. Die von mir angesprochenen neuen bildungspoliti- schen Ansätze werden wir zukünftig ebenso energisch und mit hervorgehobener Bedeutung weiterverfolgen, wie wir bisher damit erfolgreich begonnen haben. Durchlässigkeit und individuelle Förderung sehen wir dabei als Treiber einer modernen Bildungspolitik an statt überholter Diskussionen um Strukturen oder Gleichma- cherei. Wir setzen auf Qualität statt auf rückwärtsge- wandte Verteilungspolitik. Die regional unterschiedlich gewachsenen Strukturen der Bildungslandschaft erken- nen wir an. Zur Bewältigung der neuen Herausforderun- gen und gesellschaftlichen Veränderungen werden wir allerdings eine offene Diskussion mit allen Betroffenen und Beteiligen darüber führen, was Bildung in Zukunft bedeutet, und darüber, was die Politik auf welcher Ebene zu leisten hat. Ewa Klamt (CDU/CSU): Die Bundesregierung und die Länder haben mit dem Hochschulpakt die Vorausset- zung für die Aufnahme neuer Studierender an den Hoch- schulen geschaffen. Die Hochschulen werden bis 2010 insgesamt 91 370 zusätzliche Studienanfänger gegen- über 2005 aufnehmen. Dementsprechend erfolgt selbst- verständlich auch eine Erhöhung der Anzahl der Lehr- amtsstudienplätze. Bereits jetzt können die Länder für den Ausbau des Lehramtes Unterstützung des Bundes aus dem Hochschulpakt erhalten. Der Hochschulpakt sichert mit der ersten Säule der Vereinbarung ein be- darfsgerechtes Studienangebot. Hierbei leistet der Bund einen Beitrag pro zusätzlichen Studienanfänger von 13 000 Euro, einen vergleichbaren Beitrag stellen die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5149 (A) (C) (D)(B) Länder bereit. Die fächerspezifische Steuerung des Aus- baus – in den Jahren 2011 bis 2015 sollen 275 000 zu- sätzliche Studienmöglichkeiten entstehen – obliegt den Ländern. Wenn die Länder den Lehramtsbereich aus- bauen wollen, dann erhalten Sie für jeden zusätzlichen Studienanfänger im Lehramt den oben genannten Betrag vom Bund. Darüber hinaus besteht aus hochschulpoliti- scher Sicht derzeit keine Notwendigkeit für zusätzliche Maßnahmen. Die Länder können zudem jetzt schon Mit- tel für zusätzlich geschaffene Studienmöglichkeiten im Zuge einer Akademisierung von Erziehungsberufen er- halten. Eine Weiterentwicklung der Erzieherausbildung an Hochschulen und der Ausbau der vorhandenen Kapa- zitäten werden entsprechend dem Zuwachs der Studien- anfängerinnen und Studienanfänger in diesem Bereich im Hochschulpakt berücksichtigt. Auch hier steuert der Bund für jeden zusätzlichen Studienanfänger insgesamt 13 000 Euro bei. Die Bundesregierung hat mit einer Vielzahl von Pro- grammen und einem immensen finanziellen Aufwand verbesserte Rahmenbedingungen in den Bereichen Bil- dung und Erziehung geschaffen. Beispielhaft genannt werden können hier folgende Projekte: die Weiterbil- dungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte zur För- derung der Anschlussfähigkeit zwischen Aus-, Fort- und Weiterbildung, um individuelle Bildungs- und Kar- rierechancen in der Frühpädagogik zu verbessern, Mo- delle der Anerkennung und Anschlussfähigkeit bei Aus-, Fort- und Weiterbildung zu unterstützen und aus- zuweiten. Der Expertenkreis zum Qualifikationsprofil Frühpädagogik – Fachschule/Fachakademie beabsichtigt die horizontale und vertikale Durchlässigkeit zu verbes- sern. Das wissenschaftlich begleitete Projekt „BIBER – Netzwerk Frühkindliche Bildung“ bietet Fachkräften In- formationen zu aktuellen Fragestellungen und Themen sowie die Möglichkeiten der Vernetzung und Weiterbil- dung. Die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erzie- hern im MINT-Bereich wird im Zuge der Initiative „Haus der kleinen Forscher“ gefördert. Anders als im so- zialistischen Einheitsstaat ist es im föderalistischen Sys- tem der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund die Aufgabe der Länder, innerhalb dieses Rahmens und unterstützt durch die begleitenden Maßnahmen des Bun- des mit konkreten Maßnahmen auf den regionalen Be- darf zu reagieren. Grundsätzlich sind es die Länder, die für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und anderer Fachkräfte sowie die Festlegung der Einstel- lungsvoraussetzungen zuständig sind. Der Bedarf an Er- zieherinnen und Erziehern – auch an akademisch qualifi- ziertem Personal – wird vor Ort durch Länder, Kommunen und Träger der Einrichtungen ermittelt und gedeckt. Nun gehen die Länder zugegebener Maßen sehr unter- schiedlich mit dieser Verantwortung um. Deshalb erlaube ich mir, mein Bundesland Niedersachsen exemplarisch zu nennen, um zu erläutern, wie verantwortungsvoll und vorausschauend Maßnahmen ergriffen werden können, um die Lehrerausbildung nachhaltig zu verbessern und den Bedarf an Lehrkräften zu sichern. Entsprechend dem gestiegenen Bedarf an neuen Lehrkräften wurde bezogen auf das Jahr 2002 die Zahl der Auszubildenden im Vorbe- reitungsdienst bis 2009 um fast 35Prozent gesteigert. Für das Lehramt an Gymnasium ist eine weitere Anhebung im Jahr 2009 erfolgt. Seit 2006 wurden in jedem Jahr mehr Einstellungen an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen vorgenommen als Abgänge zu verzeichnen wa- ren, und dies bei gleichzeitig sinkenden Schülerzahlen. 1 200 Stellen, die wegen sinkender Schülerzahlen einge- spart werden sollten verblieben im Schulbereich. Im Jahr 2008 wurden alle durch Pensionierung frei werdenden Lehrerstellen wieder besetzt. Diese werden zur Verbesserung der Qualität in allen Bildungsberei- chen eingesetzt. Die Zahl der Einstellungen in den Schuldienst an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen ist im Jahr 2009 auf 3 374 Lehrkräfte gestiegen. Mit über 86 000 Lehrkräften hat Niedersachsen im Jahr 2009 da- mit die höchste Zahl in der Geschichte des Landes er- reicht. Die Zahl der Vollzeiteinheiten für Lehrerinnen und Lehrer ist von 2003 bis 2009 um fast 300 erhöht worden. So sind in den sogenannten Berufswissenschaf- ten der Lehrerbildung an den niedersächsischen Hoch- schulen erhebliche positive Veränderungen eingetreten. Dies betrifft sowohl strukturelle Aspekte als auch die in- haltliche Profilbildung. Niedersachsen ist in den letzten Jahren der Überzeugung gefolgt, dass eine kompetenz- orientierte und forschungsbasierte Ausbildung unerläss- lich für die Gewinnung guter Lehrkräfte ist. Deshalb hat mein Bundesland die berufsfeldbezogene Professionali- sierung, die Forschungsorientierung, das exemplarische Lernen und die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen in den Mittelpunkt der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte gestellt. Das Land hat mit der Verordnung über Master- abschlüsse für Lehrämter eine bundesweit beachtete Vorreiterrolle bei der kompetenzorientierten Formulie- rung von Anforderungen an zukünftige Lehrerinnen und Lehrer übernommen. In Niedersachsen werden damit die von der Kultusministerkonferenz im Herbst 2008 be- schlossenen „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforde- rungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ bereits umgesetzt. Damit ist Leh- rerbildung eines der zentralen Handlungsfelder der Hochschulentwicklung in Niedersachsen. Im Rahmen des Hochschulpaktes werden außerdem zusätzliche Studienplätze in Studiengängen mit Lehr- amtsoption geschaffen werden. So standen beispiels- weise im Wintersemester 2009/10 bereits 413 zusätzli- che Studienplätze in Zwei-Fach-Bachelorstudiengängen mit Lehramtsoption zur Verfügung, die im Rahmen des Hochschulpaktes 2020 geschaffen wurden. Im Bereich der frühkindlichen Bildung sind bundesweit bereits eine Vielzahl von verschiedenen Institutionen, Projekten und Ausbildungsgängen entstanden, die sich zum Ziel ge- setzt haben, die Bildung und Betreuung von Kindern in Deutschland sowohl quantitativ wie qualitativ auszu- bauen und zu verbessern. Seit knapp fünf Jahren erfolgt in Deutschland ein rascher Aufbau zahlreicher Bachelor- und Master-Studiengänge im Bereich Pädagogik der frü- hen Kindheit an deutschen Fachhochschulen, Universi- täten und Fachakademien. Auch hier ist Niedersachsen hervorragend aufgestellt. Im Rahmen des Projektes „Professionalisierung, Trans- fer und Transparenz im frühpädagogischen Praxis- und 5150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Ausbildungsumfeld“ des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung, nifbe, soll exemplarisch die Professionalisierung der Erzieher und Frühpädagogen vorangetrieben und Modelle für eine Verbesserung von Transparenz und Durchlässigkeit im System der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen entwickelt werden. Das Pro- jekt fügt sich ein in die Qualifizierungsinitiative „Auf- stieg durch Bildung“ der Bundesregierung, in dessen Rahmen unter anderem seit 2008 auch 80 000 Erziehe- rinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und -väter er- reicht und die frühpädagogische Forschung gestärkt wer- den sollen, ein weiteres Beispiel für die positive Wirkung bereits bestehender Förderungsmaßnahmen des Bundes. Das wissenschaftlich begleitete Projekt soll als Beispiel für andere Bundesländer dienen und zeichnet sich durch eine frühzeitige Kontaktaufnahme und Ver- netzung mit den zuständigen Ministerien der Bundeslän- der, auch mit den von Ihnen mit regierten, aus. Die Ausgaben für frühkindliche Bildung wurden seit 2003 verdoppelt: Bis 2013 werden sie verdreifacht. Den Ausbau der Qualität in der Kindertagespflege hat Niedersachsen bereits 2007 mit dem Landesprogramm „Familien mit Zukunft“ in Angriff genommen. Hier hat das Land bis 2010 100 Millionen Euro für die Verbesse- rung von Betreuungsangeboten für Kinder zur Verfü- gung gestellt. Das Niedersächsische Ministerium für So- ziales, Frauen, Familie und Gesundheit fördert mit 80 Millionen Euro den flächendeckend qualitativen Be- treuungsausbau vor allem für die unter Dreijährigen. Mit dem Projekt „Brückenjahr“ soll die Kontinuität des Ler- nens beim Übergang vom Kindergarten in die Grund- schule gesichert werden. Bis Ende 2010 stellt das Nie- dersächsische Kultusministerium dafür 20 Millionen Euro bereit, um alle Kinder vor der Einschulung best- möglich zu fördern. Die Zusammenarbeit von Kinderta- geseinrichtungen und Grundschule wird gezielt ausge- baut und optimiert, Bildungsziele und -inhalte aufeinander abgestimmt. Mit dem Modellvorhaben „Offene Schule Nieder- sachsen“ werden aufbauend auf dem Projekt „Anrech- nung beruflicher Kompetenzen“ Studienangebote für neue Zielgruppen mit beruflichen Abschlüssen und de- ren Anrechenbarkeit auf das Studium erprobt, um damit die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und schuli- scher Bildung sowie die Anerkennung beruflicher Quali- fikation zu verbessern. Auch hier werden zusätzliche Projektmittel durch das Land investiert. Entsprechend haben wir seit mehreren Jahren eine Steigerung berufs- begleitender Studien- und Weiterbildungsangebote zu verzeichnen. Um den Zugang zu diesen Weiterbildungs- angeboten zu verbessern, wurde ein entsprechendes Por- tal im Internet eingerichtet. Die Bundesregierung hat in der Krise und trotz eines Sparpakets in Höhe von 80 Milliarden Euro von Einspa- rungen im Bildungsbereich ausdrücklich abgesehen. Stattdessen wird zu Recht an dem Beschluss festgehal- ten, 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu in- vestieren. Die Rahmenbedingungen für die Bildung zu- sätzlichen pädagogischen Nachwuchses für den frühkindlichen und schulischen Bereich sind geschaffen worden. Nun liegt es bei den Ländern, ihre Fachkräfte auf Bildungseinrichtungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels zu rüsten. Das von CDU und FDP regierte Land Niedersachsen hat bewiesen, dass dies möglich ist. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Die Bun- desregierung wird nicht müde, immer und immer wieder zu betonen, dass im Bereich Bildung nicht gespart wer- den dürfe, ja sogar mehr Geld zur Verfügung gestellt werden müsse. Doch was nützt dies, wenn durch die ver- fehlte Politik der Bundesregierung den Bundesländern, die bei den meisten Fragen entweder ganz das Sagen haben oder zumindest ein gewichtiges Wort mitzureden haben, das Geld dafür entzogen wird. Durch Aktionen wie das Wachstumsbeschleunigungs- gesetz oder das unsoziale Sparprogramm wird die Situa- tion immer schwieriger. So ist eher davon auszugehen, dass die Ausgaben der öffentlichen Hand für Bildung insgesamt weniger werden, auch wenn der Bund zulegt. Nicht zuletzt der gescheiterte Bildungsgipfel von letzter Woche macht deutlich, wie ernst die Lage ist und wie sehr die Länder von Finanznöten geplagt sind. Der gescheiterte Gipfel zeigt aber auch, wie wenig ernst es der Bundesregierung tatsächlich mit der Bildung in un- serem Land ist, denn sonst hätte man schon längst dieses grundlegende Problem in Angriff genommen. Daher ist es begrüßenswert, wenn mit dem vorliegenden Antrag der Fraktion Die Linke ein Fachkräfteprogramm „Bil- dung und Erziehung“ gefordert wird. Bei allem Verständnis dafür, dass das im Grundgesetz verankerte Kooperationsverbot beseitigt werden muss und mehr Zusammenarbeit zwischen den Ländern und mit dem Bund dringend nötig ist, kann es aber nicht das Ziel sein, jetzt die ureigenen Aufgaben der Länder auf den Bund zu übertragen. Ziel eines Bund-Länder-Pro- gramms kann es meines Erachtens nicht sein, zusätzliche Lehramtsstudienplätze für alle Schularten zur Verfügung zu stellen, wie im Antrag gefordert, um schließlich in spätestens sieben bis acht Jahren den Ländern 10 000 zu- sätzliche Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stellen zu können, um 25 000 zusätzliche vollzeitschulische Ausbildungsplätze für Erzieherinnen und Erzieher ein- zurichten. Sinnvoll ist auch nicht, eine bessere Ver- gleichbarkeit der Statistiken zu fordern, um zukünftig die Modellberechnungen für den Lehrerbedarf zu verein- fachen. Ich gebe zu, dass auch ich noch nie nachvollziehen konnte, warum zum Beispiel mein Bundesland, der Frei- staat Bayern, es bislang nie fertig gebracht hat, seinen Lehrerbedarf richtig zu berechnen, wo doch jedes Kind sechs Jahre alt wird, bis es zur Schule kommt, und jedes Kind standesamtlich gemeldet ist, also die Zahl der Kin- der dem Ministerium lange vor dem Einschulungstermin bekannt ist. Aber diesen Mangel zu beseitigen, ist nicht Aufgabe eines Bund-Länder-Programms. Besonders drängend ist, dass wir endlich mehr Gleichklang bei den Schulsystemen bekommen und der ständige Reformaktionismus, den so manches Bundes- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5151 (A) (C) (D)(B) land seit Jahren an den Tag legt, endlich ein Ende hat. Gerade im Bereich der schulischen Bildung brauchen wir ein viel stärkeres Zusammenwirken der Bundeslän- der und eine vernünftige Finanzausstattung. Ein gutes Bildungsangebot erreicht man nicht nur durch Quantität, sondern vor allem durch Qualität. Wir brauchen eine massive Verbesserung der kompletten Bildungskette, von der frühkindlichen Bildung über den Ausbau der Ganztagsschulen bis hin zur Ausstattung der Hochschu- len. Wir brauchen einen nationalen Pakt von Bund, Län- dern und Kommunen, der bundesweit einheitliche Stan- dards festschreibt, um die Teilhabe an Bildung für alle sicherzustellen. Erzieherinnen und Erziehern kommt da- bei zwar eine Schlüsselstellung zu, doch sie brauchen ideale Rahmenbedingungen in den verschiedensten Ein- richtungen, um eine optimale Betreuung zu gewährleis- ten. Nicht zuletzt braucht es eine bessere Entlohnung für die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher. Auch hierzu kann ich leider nichts im vorliegenden Antrag finden. Kommen wir zum Bereich der Schule. Ich stimme da- mit überein, dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer brau- chen. Doch einfach eine Zahl in den Raum zu stellen, ist mir zu wenig. Vielmehr müssen wir die Qualität und die Kompatibilität der Lehrerausbildung in den Blick neh- men. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der in Ba- den-Württemberg studiert hat, in Bayern keine Chance hat, als Lehrer zu arbeiten, oder dass die Ausbildung so auf eine Schulart zugeschnitten ist, dass die Verwendung in einer anderen Schulart nicht möglich ist. Da bringt es wenig, wenn der Bund jetzt einseitig mehr Fachkräfte anordnet und deren Ausbildung qualifiziert. Es braucht vielmehr ein abgestimmtes Vorgehen auf breiter Front. Darüber hinaus dürfen wir die Kommunen nicht ver- gessen. Insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bil- dung kommt ihnen eine wichtige Rolle zu. Wenn es da- rum geht, mehr und besser qualifizierte Fachkräfte einzusetzen, dann darf auch die Frage der Finanzierung nicht ausgeklammert werden. Vollmundige Forderungen nach mehr Personal sind nur mit einer soliden Finanzie- rung realistisch. In dem von der SPD-Fraktion in der vergangenen Wo- che vorgelegten Antrag zur Verbesserung der frühkindli- chen Betreuung und Bildung haben wir deshalb auch diese Frage aufgegriffen. Wir halten fest an unserer For- derung, einen Aufschlag auf den Spitzensteuersatz zu- gunsten der Bildung einzuführen. Es darf nicht sein, dass die Leistungen für sozial Schwache von der Bundesre- gierung gekürzt werden, um damit zum Beispiel ein- kommensunabhängige Stipendien für Studierende aufzu- legen. Da im vorliegenden Antrag viele Bereiche angespro- chen werden, die in der Finanzierungsverantwortung der Länder liegen, muss auch die Frage geklärt werden, wie wir deren Kassen wieder füllen können. In unserem An- trag von vergangener Woche fordern wir daher, die durch das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz bei den Kommunen entstandenen Einnahmeausfälle von 1,6 Milliarden Euro jährlich vollständig zu kompensie- ren und damit die Kommunen, die eine wichtige Verant- wortung zum Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung tragen, zu entlasten. Außerdem muss die Bundesregierung auf weitere Steuerermäßigungen, die zu zusätzlichen Belastungen der Kommunen führen, ver- zichten und den von der SPD geforderten Rettungs- schirm für Kommunen zeitnah angehen. Den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke sage ich: Der vorliegende Antrag geht in seiner grundsätzlichen Intention zwar in die richtige Richtung. Er klammert leider viele Bereiche, die für eine tatsächli- che Verbesserung der Bildungsinfrastruktur erforderlich sind, aus und gibt insbesondere auf die Frage nach den notwendigen Finanzmitteln keine Antwort. Gerade bei der Bildungsfinanzierung gilt es aber, der Bundesregie- rung auf den Zahn zu fühlen. Wir als Opposition dürfen es nicht zulassen, dass sich Schwarz-Gelb mit einer Er- höhung des Bundesetats für Bildung brüsten, während sie andernorts Familien und Bildungsträgern Milliarden wegnehmen, um sie an Hoteliers und andere Günstlinge zu verteilen. Caren Marks (SPD): Heute debattieren wir über den drohenden Fachkräftemangel in Schulen und Kinderta- gesstätten, dem Schwarz-Gelb bislang in keiner Weise entgegenwirkt; denn wo bleibt die Initiative der Bundes- regierung, damit die offenen Fachkräftestellen schnell besetzt werden können? Wo ist das Engagement der Bundesfamilienministerin, den Ausbau der frühkindli- chen Bildung und Betreuung voranzutreiben und mehr Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen? Wo sind die Rettungsmaßnahmen für die Kommunen, damit diese fi- nanziell in der Lage sind, den Betreuungsausbau zu stemmen? Weit und breit ist nichts in Sicht. In den letz- ten Wochen und Monaten hatten wir es mit einer Reihe von Rettungspaketen zu tun: Rettungspakete für die Sta- bilisierung der Banken, für Griechenland, für den Euro. Große Gesetzespakete sind in Windeseile durch den Bundestag gepeitscht worden. Aber bei der Verbesse- rung der Bildung und der Qualifizierung von Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten wollen, hat die Bundes- regierung keine Eile. Der Bildungsgipfel letzte Woche, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, war eine große Chance, die Sie verpasst haben. Ich möchte daran erin- nern: 2008 hat die Kanzlerin die „Bildungsrepublik“ ausgerufen. Sie hat die Steigerung der Ausgaben für Bil- dung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlands- produkts bis 2015 versprochen. Doch was ist letzte Wo- che passiert? Die Bundesregierung hat konkrete Verabredungen wieder auf die lange Bank geschoben, die CDU-Länder haben wieder einmal gebockt. Der Spiegel titelte zum Scheitern des Bildungsgipfels tref- fend „Vertagen, verschleppen, vertrösten“. Ich sage Ih- nen: Wenn das Thema Bildung vertagt und verschleppt wird, ist dies ein Armutszeugnis für unser Land. Die Zu- kunftschancen der Kinder und Jugendlichen stehen auf dem Spiel. Um nichts Geringeres geht es dabei. Was den Fachkräftemangel in den Kitas betrifft, fehlt es der Re- gierung nicht an Erkenntnissen. Die Bundesregierung selbst hat auf eine Kleine An- frage der SPD geantwortet, dass sie mit einem Bedarf von bis zu 40 000 Erzieherinnen und Erzieher bis 2013 rechnet. Der Fachkräftemangel ist heute schon in einigen 5152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Regionen spürbar. Ein weiteres Vertagen und Verschlep- pen ist daher absolut unverständlich. Nicht nur in dem Antrag der Linken wird zu Recht ein Fachkräftepro- gramm gefordert. Auch die SPD fordert in ihrem Antrag zum Thema frühkindliche Bildung und Betreuung, den wir vergangene Woche eingebracht haben, eine Fach- kräfteoffensive. Wir sagen klar: Kinder können nur dann optimal ge- fördert werden, wenn es eine ausreichende Zahl an qua- lifizierten Fachkräften in Kitas gibt. Das macht eine gute Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur aus, und das er- warten auch die Eltern zu Recht. Als Sofortmaßnahme müssen arbeitslose und arbeitsuchende Erzieherinnen und Erzieher möglichst schnell und unbürokratisch auf offene Stellen vermittelt werden. Der Beruf der Erziehe- rin bzw. des Erziehers muss attraktiver werden; daher sind Aus-, Fort- und Weiterbildung zu verbessern. Wich- tig sind auch eine gerechte Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern und gute Arbeitsbedingungen in Kitas. Weil in Kitas nur 3 Prozent männliche Erzieher beschäf- tigt sind, müssen deutlich mehr Männer motiviert wer- den, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Das alles geht nur mit einer klugen Arbeitsmarktpoli- tik. Aber der von der Regierung angekündigte Kahl- schlag bei den Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeits- lose wird die Lage verschlimmern. Mehr Arbeitslose mit weniger Chancen wird das Ergebnis dieser Politik sein, nicht aber mehr qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher. Es geht auch anders. SPD-geführte Länder haben längst erkannt, dass gehandelt werden muss. Die Qualitätsof- fensive „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ in Rheinland-Pfalz unterstützt angehende und ausge- bildete Erzieherinnen und Erzieher landesweit mit einem vorbildlichen Aus- und Fortbildungsprogramm. Wir sagen klar: Der Bund darf die Länder mit der He- rausforderung, den Fachkräftemangel in Kitas zu bewäl- tigen, nicht alleine lassen. Daher muss die Bundesregie- rung endlich aktiv werden und konkrete Maßnahmen mit den Ländern verabreden, um mehr Personal für Kitas zu gewinnen. Es ist eine Zukunftsaufgabe, mehr Menschen für die Arbeit mit Kindern zu begeistern und somit dem Fachkräftemangel in Kitas und Schulen entgegenzuwir- ken. Vor dieser Aufgabe darf sich Schwarz-Gelb nicht länger drücken, die zuständigen Ministerinnen dürfen dies erst recht nicht. Sylvia Canel (FDP): Der Fachkräftebedarf in den Kindertagesstätten und den Schulen ist nicht von der Hand zu weisen. Die Situationsbeschreibung und die Be- darfsprognosen des Antrags der Linken sind stichhaltig. Die Verfehlungen einer irregeleiteten Bildungspolitik mit ihren verheerenden Auswirkungen lassen sich be- sonders schön und plakativ am Beispiel des rot-rot re- gierten Berlins nachvollziehen. Die Defizite in der Betreuungsqualität in den Kindertagesstätten, der Unter- richtsausfall, die Probleme bei der Lehrergewinnung und -versorgung und eine stetige Verschlechterung der Hoch- schulfinanzierung lassen vor allem eines zurück: eine desaströse Situation und unzufriedene Schüler, Studie- rende, Eltern, Lehrer und Hochschulangehörige. Das Land Berlin und andere Bundesländer kommen ihrer Kernaufgabe offensichtlich nicht gewissenhaft und zuverlässig nach. Der heute veröffentlichte Bildungs- bericht zeigt, dass wir alle zusammen, Bund und Länder, unsere Anstrengungen intensivieren müssen, wenn solche schlechten Ergebnisse endlich der Vergangenheit angehö- ren sollen. Professor Weishaupt, unter dessen Leitung der Bildungsbericht erstellt wurde, erklärt als dessen wichtige Botschaft an die Bildungspolitik, dass die Entwicklungen im Bildungswesen es erforderlich machten, die Mittel für Bildung mindestens auf dem gegenwärtigen Niveau zu erhalten und für neue Aufgaben zusätzliche Mittel be- reitzustellen seien. Der Präsident des Deutschen Studentenwerkes, Pro- fessor Dobischat, äußerte sich heute in einer Pressemit- teilung mit folgenden Worten: „Bessere Bildung für alle, bessere Zukunftschancen für alle – das ist eine gesamt- gesellschaftliche Aufgabe, hier stehen die Länder in der Pflicht, dem Bund zu folgen.“ Der Bund investiert schon jetzt tatkräftig in den Bildungsbereich. Die zusätzlichen Investitionen belaufen sich auf 12 Milliarden Euro. Das ist eine bislang unerreichte Summe für den Bildungsbe- reich und zeigt deutlich unsere Prioritätensetzung. Im Bund haben wir große Projekte auf den Weg gebracht und deren Finanzierung sichergestellt. Der Bildungsgip- fel am 10. Juni hat gezeigt, dass die Punkte, die vonsei- ten des Bundes zugesagt wurden, eingehalten werden. Am 10-Prozent-Ziel halten wir fest, und 40 Prozent der Finanzierungslücke von 13 Milliarden Euro für Bil- dungsausgaben werden übernommen, und zwar durch konkrete Projekte: die Erhöhung des BAföG, das Stipen- dienprogramm und vor allem der Qualitätspakt Lehre, als dritte Säule des Hochschulpaktes. Der Qualitätspakt Lehre führt zu einer Verbesserung der Studienbedingungen und zur Weiterentwicklung guter Lehre in der gesamten Breite der Hochschullandschaft. Bis 2020 wird der Bund rund 2 Milliarden Euro hierfür bereitstellen. Diese einmalige und zuvor noch nie unternommene Kraftanstrengung kann jedoch nicht dazu führen, dass die Länder aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Sie stehen in der Pflicht, die ihnen vom Grundgesetz zu- gesprochene Kernaufgabe verantwortungsvoll wahrzu- nehmen. Es kann nicht sein, dass die Länder Mittel vom Bund einfordern, ohne ihre eigenen Hausaufgaben zu machen, also durch eine eindeutige Prioritätensetzung die entsprechenden Mittel im Landeshaushalt freizuma- chen. Es kann nicht sein, dass sich die Länder mit ihrem Ausgabenverhalten verzetteln, nachrangige Politikfel- der hochpäppeln und schließlich die Ausfälle im Bil- dungsbereich dann über Bundesmittel begleichen wollen. Bundesmittel sind keine Kompensationsmittel! Bundes- mittel sollen Investitionen und Bildungsausgaben der Länder sinnvoll ergänzen, um unser Land voranzubrin- gen und unsere Zukunftschancen zu verbessern. Die Zu- sammenarbeit von Bund und Ländern darf nicht zu ei- nem Nullsummenspiel werden. Wir benötigen frisches Geld im System. Gerade deswegen ist die derzeitige Un- beweglichkeit der Länder so enttäuschend. Die Minister- präsidenten werden derzeit ihrer Verantwortung nicht gerecht. Mit den elenden Erpressungsversuchen in Sa- chen Umsatzsteuerpunkte muss Schluss sein. Es ist Zeit für eine konstruktive Zusammenarbeit! Damit muss end- lich begonnen werden. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Eine alte Volks- weisheit sagt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5153 (A) (C) (D)(B) nimmermehr“ oder in neue, aus Finnland kommende Er- kenntnisse und geschlechtergerecht übersetzt: „Auf den Anfang kommt es an“. Diese Einsicht hat sich in den letzten Jahren auch in Deutschland durchgesetzt. Aber von der Einsicht bis zur Besserung ist es noch ein weiter Weg. Wir stellen uns die Frage, wie viele internationale Studien noch erhoben und ausgewertet werden müssen, bis klar ist, dass man gegen den aktuellen und den dro- henden Mangel an pädagogischem Personal in Kinder- einrichtungen und Schulen etwas tun muss. Da hat die Bundesregierung vor Jahren endlich einen Rechtsan- spruch auf frühkindliche Bildung und Betreuung einge- räumt, und Länder und Kommunen tun sich schon schwer damit, den Ausbau der Platzzahlen entsprechend voranzubringen. Dass es aber für eine qualitativ hoch- wertige Betreuung auch gut ausgebildeten Personals be- darf, ist in der Euphorie untergegangen. Zwar wird etwas nebulös auf Bildungsgipfeln von Qualifizierung und Weiterbildung geredet, aber frühkindliche Bildung braucht hochwertig und vollwertig ausgebildetes Perso- nal. Allein für das Ausbauziel der Bundesregierung, von dem wir heute schon wissen, dass es nicht reicht, und für den Ersatz älterer Kolleginnen, die heute schon das 50. Lebensjahr überschritten haben und in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen, werden in den nächsten Jahren 130 000 zusätzliche Fachkräfte in der Kinderbetreuung benötigt. Etwa die Hälfte davon müsste bereits in zwei Jahren zur Verfügung stehen. Diese Auf- gabe zu erfüllen, sind Bund, Länder und in der Folge Kommunen weit entfernt. In meinem Bundesland, Sach- sen-Anhalt, in dem es seit 20 Jahren einen Rechtan- spruch für alle Kinder unter drei Jahren gibt, liegt die Betreuungsquote bei den Jüngsten bei 55 Prozent. Wenn man diese Betreuungszahlen bundesweit hochrechnet, fehlen mehr als doppelt so viele Erzieherinnen und Er- zieher für die Krippenkinder. Nicht besser wird es in der Schule. Zwar glaubt man heute noch in einigen Bundesländern, dass man, zumin- dest in der Summe ausreichend, teilweise sogar zu viele Lehrerinnen und Lehrer habe, tatsächlich sind aber heute schon vielerorts nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer da, um den Unterricht zu 100 Prozent abzudecken. Zu- dem sind mehr als die Hälfte der Kolleginnen und Kolle- gen in den Ländern älter als 50 Jahre, werden also in absehbarer Zeit den Schuldienst verlassen. Nach Erhe- bungen auf Bundesebene werden aber in fast allen Län- dern zu wenige Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, um diesen Bedarf rechtzeitig zu ersetzen. Auch Referendariatsplätze stehen nicht genügend zur Verfügung. Die Länder können zwar mehr Stellen für Lehrerinnen und Lehrer in ihren Landeshaushalten ein- planen, sie werden aber schon die heute vorhandenen nicht mehr besetzen können. Dann wird sich die Perso- nalsituation an den Schulen dramatisch verschärfen, und es müssen womöglich Klassen zusammengelegt und Un- terricht gekürzt werden, oder aber die Lehrerarbeitszeit muss noch weiter erhöht werden. Das alles sind untaug- liche Maßnahmen, wenn die Bildungsqualität verbessert werden soll. Der Bundesregierung und den Ländern blieben dann nur weitere Hilfsprogramme wie das Programm mit den Berufseinstiegsbegleitern, die Qualität schulischer Bil- dung würde sich weiter verschlechtern, und die soziale Schieflage beim Bildungszugang würde weiter zuneh- men. Dies gilt es zu verhindern, sofern das überhaupt noch möglich ist. Deshalb fordert die Linke, umgehend ein Fachkräfteprogramm „Bildung und Erziehung“ zwi- schen Bund und Ländern zu vereinbaren, das den zügi- gen Ausbau der Ausbildung von Lehrerinnen und Leh- rern sowie Erzieherinnen und Erziehern zum Ziel hat. Dabei geht es sowohl um Lehramtsstudienplätze für alle Schularten und um die frühkindliche Bildung, die in ei- ner – nunmehr vierten – Säule des Hochschulpaktes zu vereinbaren wären, als auch um die vollzeitschulische Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und natür- lich um berufsbegleitende Weiterbildung, die zum Be- rufsabschluss führt, und zwar für alle diejenigen in der Kinderbetreuung Tätigen, die heute noch keinen solchen Abschluss haben. Auch wenn wir perspektivisch für die Arbeit im früh- kindlichen Bereich eine Ausbildung auf Hochschulni- veau für alle dort Beschäftigten anstreben, muss in einer längeren Übergangszeit noch die tradierte vollzeitschuli- sche Ausbildung an Berufsfachschulen genutzt werden. Das sind zwar noch nicht alle Aufgaben, die bei der Aus- bildung pädagogischen Personals für Kinderbetreuung und Schule anstehen, wenn die Qualität der Bildung ver- bessert werden soll, aber es sind die dringendsten. Da- rum beschränken wir uns in unserem Antrag zunächst auf diese. Sie zu ignorieren, in dieser Sache auf die Län- der zu verweisen und im Übrigen nach der Devise zu verfahren „Kommt Zeit, kommt Rat“, wäre eine fahrläs- sige Unterlassung politischen Handelns, die von der jun- gen Generation bezahlt werden muss. Das darf nicht hingenommen werden, darum stimmen sie unserem Antrag nach Beratung in den Ausschüssen zu. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In dem Antrag der Linken wird die Einsetzung eines Fachkräfteprogramms „Bildung und Erziehung“ gefordert. Sie schreiben in ihrem Antrag, die Bundesre- gierung solle dieses Programm „in Abstimmung mit den Ländern“ aufsetzen. Doch hier ergibt sich schon das erste Problem: Spätestens nach dem Scheitern des Bil- dungsgipfels am 10. Juni ist dieses Ansinnen zwar nett gemeint, läuft politisch aber ins Leere. Ein echter Bil- dungsgipfel hätte für diese ohne Frage äußerst relevan- ten Problemstellungen Lösungsstrategien aufzeigen müssen. Passiert ist in dieser Hinsicht jedoch nichts. Zum inhaltlichen Sachstand lässt sich festhalten: Seit Jahren ist klar, dass Deutschland auf einen riesigen Man- gel an pädagogischen Fachkräften zusteuert, sei das in Schulen oder in Einrichtungen der Kindertagesbetreu- ung. Laut nationalem Bildungsbericht 2010 sind 50 Prozent der Lehrkräfte im Schulbereich 50 Jahre und älter. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland hin- ter Italien und Schweden hier an dritter Stelle. Obwohl die Pensionierungswelle von Lehrerinnen und Lehrern 5154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) gerade erst anrollt, fehlen schon heute bundesweit Tau- sende von Lehrkräften, fallen Woche für Woche zig Tau- sende Unterrichtsstunden aus. Bis 2015 werden, so bele- gen es Studien unter anderem von Bildungsforscher Klaus Klemm, 10 000 Junglehrerinnen und -lehrer jähr- lich fehlen. Um dem Lehrermangel entgegenzutreten, hat die KMK nach etlichen Anläufen Vereinbarungen getroffen, um das Lehramtsstudium zu verbessern, unter anderem um die länderübergreifende Vergleichbarkeit zu fördern. Diese Vereinbarung ist gut und richtig, heraus- gekommen ist bisher allerdings nichts. Da fragt man sich schon, was KMK-Beschlüsse überhaupt wert sind. Zudem müssen Mobilitätshindernisse für Lehrerinnen und Lehrer zwischen den Ländern abgebaut werden, wo- bei klar sein muss, dass dies nicht zu einem Wettkampf um Lehrerinnen und Lehrer führen darf. Auch für Sei- teneinsteiger wird von den Ländern viel zu wenig getan. Wir wollen, dass Quereinsteiger, die über relevante Fachkompetenzen verfügen, ein verkürztes Lehramtsstu- dium absolvieren und auch berufsbegleitend qualifiziert werden können. Für junge Menschen, die Lehrerin oder Lehrer werden wollen, müssen ausreichend viele Lehr- amtsstudienplätze zur Verfügung stehen. Wir halten je- doch nichts davon, wie von der Linken gefordert, eine weitere Säule im Hochschulpakt 2020 für die Lehreraus- bildung zu schaffen. Im Rahmen einer dritten Säule im Hochschulpakt fordern wir eine Gesamtstrategie für gute Lehre, zu der unter anderem der Ausbau von zusätzlichen Studienplätzen gehört. Darüber hinaus muss gewährleis- tet sein, dass jede und jeder, der ein Lehramtsstudium beendet hat, seine Ausbildung im Rahmen des Referen- dariats fortsetzen und beenden kann. Hier liegt zurzeit das eigentliche Problem. Für uns Grüne ist es wichtig, den Schwerpunkt nicht nur auf die Quantität des pädagogischen Personals, son- dern auch auf die Qualität zu legen. Hier möchte ich ei- nige Stichpunkte nennen: Eine elementare Frage ist die Akquisition geeigneter Lehrkräfte. Werbung für den Lehrerberuf sollte bereits in der Schule in der gymnasia- len Oberstufe beginnen, gezielt sollten Studienberech- tigte mit Migrationshintergrund angesprochen werden. Vor dem Studium ist es notwendig, beispielsweise über Praxisphasen und intensive Beratung, die Eignung der Lehramtsstudiumsinteressierten zu überprüfen. Für die Lehrerausbildung gilt, dass wir eine Reform der Ausbil- dung brauchen: hin zur frühzeitigen Heranführung an die Praxis. Ein stärkerer Praxisbezug, der früh im Studium beginnt, könnte zudem die hohe Zahl der Studienabbre- cher erheblich verringern. Die Studierenden müssen so ausgebildet werden, dass sie den Anforderungen, die im späteren Berufsleben an sie gestellt werden, begegnen können. Dazu gehören die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler, die Gestaltung eines moder- nen inklusiven Schulsystems und ein an dem einzelnen Schüler orientierter Unterricht. Die Zukunftsperspektiven eines Kindes werden maß- geblich geprägt von den Förder- und Bildungsangeboten in frühen Jahren. Daher fordern wir ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung und die Verbesserung des Personals in der Kindertagesbetreuung durch wissen- schaftliche Ausbildung. Seit Jahren fällt im Vergleich zu anderen Bildungsbereichen der geringe Akademisierungs- grad auf: Seit 2006 hat sich dieser nur um 0,4 Prozent- punkte auf 3,2 Prozent erhöht. Der Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers muss dringend ergänzt werden durch akademisch qualifizierte Frühpädagoginnen und -päda- gogen. Erzieherinnen und Erziehern soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich zu Frühpädagoginnen und Früh- pädagogen weiterzubilden. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, um dem Mangel an pädagogischem Personal zu begegnen, ist die Weiter- bildung. Hier liegt die Bundeskompetenz beim Bund und beim Bildungsministerium. Das Scheitern des Bil- dungsgipfels zwischen Bund und Ländern lässt einen da- ran zweifeln, wie der Bund jetzt seine Aufgaben in die- sem Bereich wahrnehmen soll. Wir brauchen aber einen wirklichen Aufbruch hin zu mehr Weiterbildung! Das bestehende Meister-BAföG, mit dem auch Erzieherinnen und Altenpfleger gefördert werden können, ist nur ein Trippelschritt in die richtige Richtung. Um jedem Men- schen eine Weiterbildung zu ermöglichen, fordern wir ein neues Erwachsenen-BAföG, das in dem bisherigen Meister-BAföG aufgehen soll. Im Bereich der Kinderta- gespflege fordern wir von der Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, eine Weiterentwicklung der Qualifikationen. Laut Bildungsbericht entspricht das Qualifikationsniveau des Tagespflegepersonals häufig nicht den fachlichen Anforderungen. 55 Prozent des Per- sonals verfügen noch nicht einmal über die Minimalqua- lifikation eines 160-Stunden-Kurses, für Ostdeutschland ist der Anteil sogar noch höher! Hier sind dringend Ver- besserungen notwendig. Der Bund sollte im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes seine Möglichkeiten ausnutzen, hier bessere Standards zu setzen. Der ge- wünschte Prozess der Verberuflichung der Kindertages- pflege muss auch zu einer angemessenen Entlohnung der Tätigkeit führen. Abschließend lässt sich sagen: Vieles kann von Bun- desseite nur angeregt, aber nicht umgesetzt oder durch- gesetzt werden. Der Antrag, den wir heute diskutieren, hat vieles Richtige benannt, läuft aber in großen Teilen leider ins Leere. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 16) Mechthild Heil (CDU/CSU): Seit seiner Entstehung kritisieren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das Asylbewerberleistungsgesetz. Eine Aus- nahme bildet nur die Zeit, in der Sie an der Regierung waren. In dieser Zeit gab es dazu keine Initiative von Ih- nen, den als so schlecht gebrandmarkten Zustand zu än- dern. Der uns heute vorliegende Antrag ist zuletzt vor ei- nem Jahr hier im Hohen Hause gescheitert. Sie versuchen es erneut. Immerhin haben Sie den Antrag überarbeitet und aktualisiert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5155 (A) (C) (D)(B) Sie kritisieren wieder, dass Asylsuchende nicht die gleichen Sozialhilfeleistungen wie deutsche Staatsbürger bekommen. Als „Ausschluss“ bezeichnen Sie dies und als „sozialrechtlich diskriminierend“. Das sehe ich nicht so! Asylsuchende und bedürftige Bürger unseres Landes werden im Sinne des Staatsbürgerrechts unterschieden. Das Gesetz versteht unter Asyl einen zunächst begrenz- ten Aufenthalt in Deutschland, bei dem es um eine vorübergehende Versorgung der Betroffenen geht und deren Schutz vor politischer Verfolgung und unmensch- licher Behandlung in ihrem Herkunftsland, bis über den Asylantrag entschieden wird, um nicht mehr, aber auch nicht weniger. Folglich müssen Menschen, die sich wo- möglich nur kurz in unserem Land aufhalten, nicht um- gehend sozial integriert und mit inländischen Bedürfti- gen gleichgestellt werden. Sobald Asylbewerber sich aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen länger als vier Jahre in der Bundesrepublik aufhalten, erhalten sie die gleichen Leistungen wie deutsche Staatsangehörige. Sie werden gleich behandelt. Von Diskriminierung kann keine Rede sein. Zuvor erhalten sie Leistungen nach dem Asylbewer- berleistungsgesetz, die geringer als die Leistungen für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sind. Ja, Asylsuchende und Geduldete erhalten medizinische Ver- sorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die auf die unabweisbar notwendige Behandlung „akuter Schmerzzustände“ beschränkt ist. Das Gesetz garantiert darüber hinaus auch beispielsweise eine Impfvorsorge oder umfassende Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt. Die Menschen werden also ausreichend ver- sorgt. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist vor allem nach dem Sachleistungsprinzip aufgebaut. Die Sachleistungen folgen der Preisentwicklung. Steigende Preise werden vom Staat getragen, nicht von Asylsuchenden. Hinzu kommt, dass Leistungen für Asylbewerber nicht – wie im SGB XII und im SGB II – pauschaliert werden, son- dern im Einzelfall individuelle Beihilfen – zum weit überwiegenden Teil ebenfalls als Sachleistungen – etwa für Bekleidung, Hausrat usw. gewährt werden. Auch diese einmaligen Beihilfen folgen der Preisentwicklung und belasten die Tasche der Asylanten nicht. Soviel zu Ihrem Vorwurf, die Leistungen wären seit 1993 nicht mehr angepasst worden. Für mich ist das Asylbewerberleistungsgesetz kein „ungeeignetes, überflüssiges und unverhältnismäßiges Gesetz“, wie Sie es in Ihrem Antrag bezeichnen. Im Ge- genteil: Das Gesetz hat seinen Zweck voll erfüllt und erfüllt ihn noch heute. Das Ziel der damaligen Bundesre- gierung war es vor allem, den Missbrauch des Asyl- rechts einzuschränken und damit den Zustrom von Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland zu be- grenzen. Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts hat unser Land europaweit den Hauptanteil der Flücht- lingsströme aufgenommen. Dies hat unsere sozialen Si- cherungssysteme in Deutschland enorm belastet. In die- sen Zustand wollen wir von der christlich-liberalen Koalition nicht zurück. Wir wollen auch die Kommunen, die die Träger der Asylhilfe sind, nicht mit höheren Kos- ten belasten. Ein Weiteres: Im Jahre 1992 hatten 438 191 Men- schen Asyl in Deutschland beantragt. 95 Prozent wurden nicht als Asylberechtigte anerkannt. Das zeigt: Ein gro- ßer Teil der Asylsuchenden berief sich auf das Asyl- recht, ohne tatsächlich politisch verfolgt oder einer un- menschlichen Behandlung ausgesetzt gewesen zu sein. Viele kamen über sichere Drittstaaten zu uns. Wirt- schaftliche Gründe waren also oft das ausschlaggebende Motiv für die Einreise und den Aufenthaltswunsch. Um diesem Asylmissbrauch entgegenzutreten, einigten sich CDU/CSU, SPD und FDP im Jahr 1992 im Asylkompro- miss, Regelungen zum Mindestunterhalt von Asyl- bewerbern zu schaffen, und im Folgenden wurde das Asylbewerberleistungsgesetz erlassen. Dass diese Idee richtig war, zeigt uns die Entwicklung der letzten Jahre. Das Gesetz verhindert Missbrauch und gewährt politisch Verfolgten und unmenschlich Behandelten die nötige Unterstützung. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Ihr Gesetzent- wurf, den Sie fast wortgleich schon im November 2008 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, enthält in der Sache keine neuen überzeugenden Argumente. In- sofern interpretieren Sie wieder einmal ein Bundesver- fassungsgerichtsurteil nach eigenem Gutdünken, obwohl Ihnen alle Argumente seit den Antworten auf Ihre Anfra- gen vom Dezember 2007 und März dieses Jahres be- kannt sind. Es handelt sich vielmehr wieder einmal um einen typischen Oppositionsentwurf, der die Realität ausblendet. Dabei tun die Grünen so, als ob sie schon immer in der Opposition gewesen wären und nicht sie- ben lange Jahre mit der SPD in der Regierungsverant- wortung gestanden hätten. Die Bundesregierung prüft genau, welche Bedeutung die Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 zu den Hartz-IV-Regelsätzen für die Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz hat. In der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage im März dieses Jahres hat die Bundesregierung bereits deutlich gemacht, dass es sich dabei um kompli- zierte Sach- und Rechtsfragen handelt, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen ist. Keineswegs ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts klar, wie es der vorliegende Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen suggeriert, dass die Leistungen für Asylbewerber nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinen Entschei- dungsgründen eben aus, dass der Gesetzgeber für die Hilfeleistung gruppenbezogene Differenzierungen vor- nehmen kann. Eine solche Differenzierung liegt dem Asylbewerberleistungsgesetz zugrunde. Wir reden hier von Asylbewerbern. Das bedeutet, dass es also nicht um einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geht, son- dern um eine vorübergehende Versorgung der Betroffe- nen bis zu einer Entscheidung über ihren Asylantrag. Leistungen für eine Integration sind daher nicht erforder- lich. Aus diesem Grund dürfen die Grundleistungen für eine eingeschränkte Zeit geringer ausfallen. Außer Frage steht dabei natürlich, dass die Asylbewerber gerade im Vergleich zu anderen Nationen ausreichend unterstützt werden. Dies beinhaltet selbstverständlich auch den Be- reich der medizinischen Versorgung. 5156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Um auf die eingangs erwähnte Realitätsferne der Grü- nen zurückzukommen, möchte ich auf den Ursprung des Asylbewerberleistungsgesetzes zu sprechen kommen. Unter dem damaligen Eindruck massiv steigender Asyl- bewerberzahlen haben sich CDU/CSU, SPD und FDP im Jahr 1992 auf einen Asylkompromiss geeinigt, auf dessen Grundlage dann ein Jahr später das Asylbewer- berleistungsgesetz entstanden ist. Hauptanliegen dieses Gesetzes war und ist es, die Leistungen für Asylbewer- ber gegenüber der Sozialhilfe zu vereinfachen und auf die notwendigen Bedürfnisse eines vorübergehenden Aufenthaltes in Deutschland abzustimmen. Dieses Ge- setz war notwendig und richtig und erfüllt nach wie vor seinen Anspruch. Zum einen gewährleistet es eine aus- reichende Versorgung der Asylbewerber für die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik, zum anderen reduziert es aber auch die Zahl der Einreisen von Asyl- suchenden nach Deutschland und bewegt die bereits abgelehnten Asylsuchenden bzw. Geduldeten zu einer schnellen Ausreise aus Deutschland. Aber noch einen weiteren wichtigen Punkt dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen: Letztendlich kommt es auch hier wie in so vielen Bereichen auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Leistungszahlungen und den Steuerzah- lern an. Das heißt in diesem Fall konkret, einen Aus- gleich zwischen den Leistungen der asylsuchenden Men- schen auf der einen und den Steuerzahlern auf der anderen Seite zu schaffen. So können wir doch die Au- gen nicht davor verschließen, dass in Deutschland die steuerzahlenden Leistungsträger unserer Gesellschaft bereits jetzt bis an die Schmerzgrenze belastet werden. Erklären Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, einem Hartz-IV-Empfänger einmal, warum er ebenso viele Leistungen empfangen soll wie ein Asylbewerber, der bedingt durch den nur vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland ganz andere finanzielle Ansprüche hat. Die ohnehin schon strapazierten sozialen Sicherungssys- teme würden durch die Abschaffung des Asylbewerber- leistungsgesetzes noch mehr unter Druck geraten. Die Forderung einer Abschaffung des Asylbewerberleis- tungsgesetzes durch den Entwurf der Grünen entbehrt somit jeglicher Grundlage und dient wohl eher der Pflege der eigenen Klientel als einem konstruktiven Bei- trag zum Umgang mit Asylbewerbern. Fazit: Das globale und schwerwiegende Problem stei- gender Flüchtlingsströme lösen wir nicht dadurch, dass wir die Leistungen für Asylbewerber generell anheben und dadurch unser schlechtes Gewissen zu beruhigen versuchen. Eine ausreichende Versorgung der Asylbe- werber bei uns in Deutschland steht dabei jedoch außer Frage. Deshalb sollten wir die Prüfung der Bundesregie- rung im Hinblick auf das Bundesverfassungsgerichts- urteil abwarten. Erst dann gibt es eine neue Sachlage. Eine vorherige Diskussion ist völlig überflüssig. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Schade, dass wir die Debatte zum Asylbewerberleistungsgesetz heute nur zu Protokoll führen. Aber besser spät als nie. Auch wir sehen – genau wie die Antragsteller – dringenden Handlungsbedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat am 9. Februar 2010 ein wegweisendes Urteil gesprochen. Es geht darum, was ein Mensch braucht, um in Würde leben zu können. Art. 1 des Grundgesetzes spricht dabei von allen Men- schen, nicht nur von deutschen Staatsbürgern! Leider gelten hinsichtlich der Absicherung des Existenzmini- mums unterschiedliche Regeln für deutsche und für viele nicht deutsche Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Für alle, die unter das Asylbewerberleistungsge- setz fallen, gab es seit seiner Einführung im Jahr 1993 keinerlei Erhöhung der Regelsätze. Der tatsächliche Kaufkraftverlust beläuft sich für diesen Zeitraum auf rund 25 Prozent. Schon 2001 haben wir gemeinsam mit den Grünen versucht, die Leistungen für Asylsuchende wenigstens geringfügig heraufzusetzen. Die damalige Mehrheit im Bundesrat von CDU, CSU und FDP brachte unsere Gesetzesinitiative allerdings zum Scheitern. In der Großen Koalition hat sich die Situation für Bezieher nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leider weiter verschlechtert. Sie müssen seither nicht mehr nur drei, sondern jetzt vier Jahre im niedrigen Leistungsniveau des Asylbewerberleistungsgesetzes verbleiben, ehe sie Anspruch auf Sozialhilfe haben. Diese Kröte haben wir geschluckt, um dafür im Gegenzug Verbesserungen für geduldete Ausländer beim Zugang zum Arbeitsmarkt durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt sehr klare Worte zu Regelsätzen und Härtefällen in der Grund- sicherung gesprochen. Wir erwarten, dass nicht nur die Regelsätze in der Sozialhilfe und im Arbeitslosengeld II, sondern auch im Asylbewerberleistungsgesetz entspre- chend angepasst werden. Wir haben diese Forderung in unserem Antrag zur Neufestsetzung der Regelsätze vom 2. März 2010 formuliert. Wir wollen, dass die Regelleis- tung in voller Höhe bar ausgezahlt und nicht als Sach- leistung zur Verfügung gestellt wird. 1,34 Euro am Tag – das ist der durchschnittliche gesetzliche Barbetrag, wo- von Flüchtlinge und Asylbewerber im Leistungsbezug heute in Deutschland leben müssen. Einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren ste- hen im Monat 736 Euro zu. Diesen Betrag erhält die Fa- milie aber nicht zwangsläufig in voller Höhe. Die Bun- desländer sind nur verpflichtet, einen Barbetrag von lediglich 81,80 Euro auszuzahlen. Der Rest kann in Sachleistungen erbracht werden. Auf das Jahr gerechnet beträgt die Regelleistung – in Bar- und Sachleistungen – für vier Personen 8 832 Euro. Zum Vergleich: Das säch- liche Existenzminimum liegt für einen alleinstehenden deutschen Mitbürger im Jahr 2010 bei 7 656 Euro, für Paare bei 12 996 Euro und für Kinder bei 3 864 Euro. Wir hatten im Mai 2009 eine Anhörung zum Asylbe- werberleistungsgesetz. Die Sachverständigen waren sich einig: Insbesondere die Sachleistungen, die von der schwarz-gelben Bundesregierung gerne bei jeder Gele- genheit für die Sozialpolitik propagiert werden, erweisen sich als ineffizient, stigmatisierend und schikanierend. Das Zusammenstellen von Essenspaketen entspricht we- der einem würdigen Umgang mit den Hilfebedürftigen, noch ergibt es aus finanzieller Sicht Sinn; denn durch den logistischen Aufwand fallen erhebliche Verwal- tungskosten an, die eingespart werden könnten. Eine Er- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5157 (A) (C) (D)(B) höhung der Regelsätze für Asylbewerber ist von der Union immer wieder mit dem Argument ausgebremst worden, dass durch höhere Leistungen ein wirtschaftli- cher Anreiz, nach Deutschland zu kommen, geschaffen würde. Schlepperbanden würden dadurch Tor und Tür geöffnet. Warum aber flüchten Menschen aus ihrer Heimat, und warum suchen sie in einem fremden Land Asyl? In der Regel sind diese Menschen in ihrem Heimatland massiv bedroht. Sie müssen um das eigene Leben und um das ihrer Familie fürchten. In einer solchen existenziellen Si- tuation fragt man nicht danach, wie hoch die Sozialleis- tungen in dem Land sind, in das man flüchten kann. Man geht dorthin, wo man sicher leben kann. In der Europäischen Union ist darüber hinaus gere- gelt, dass nur in einem Staat Asyl beantragt werden darf. Das Übereinkommen von Dublin regelt klar, dass das der EU-Staat ist, den der Flüchtling zuerst betritt, und das ist normalerweise nicht Deutschland! Deswegen ist die Zahl der Leistungsberechtigten nach dem Asylbe- werberleistungsgesetz seit Jahren stark rückläufig: Im Jahr 1996 hatten wir in Deutschland rund 490 000 Leis- tungsberechtigte, Ende des Jahres 2008 waren es nur noch knapp 128 000. Das wirkt sich natürlich auch auf die Ausgaben für die Leistungen nach dem Asylbewer- berleistungsgesetz aus: Hatten wir im Jahr 1996 noch Ausgaben von knapp 2,9 Milliarden Euro, lag diese Summe für das Jahr 2008 bei rund 842 Millionen. Euro. Aber nicht nur die Regelsätze nach dem Asylbewer- berleistungsgesetz und die Zuteilung von Lebensmitteln oder Gutscheinregelungen sind menschenunwürdig. Es gibt nach wie vor Bundesländer, die Asylbewerbern keine eigene Wohnung zugestehen, sondern lediglich Sammelunterkünfte anbieten. Auch dies müssen wir än- dern! Eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung von deutschen Sozialleistungsempfängern und Asylbewer- bern zeigt sich auch bei der medizinischen Versorgung. Ein Beispiel: Einem Kind von Asylsuchenden wird in der Regel ein dringend notwendiges Hörgerät verwei- gert. Eine massive sprachliche Entwicklungsstörung wird dabei in Kauf genommen. Traumatisierte Flücht- linge erhalten keinerlei psychologische Betreuung. Auch die Kinder nicht. Das hat mit Menschenwürde nichts zu tun. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch wir sehen dringenden Handlungsbedarf und werden einen Gesetzentwurf einbringen. Wir möchten die Miss- stände im Asylbewerberleistungsgesetz verändern. Das bedeutet: Anpassung der Regelsätze an die Sozialhilfe- sätze, Barauszahlung statt Sachleistungen, gleichwertige medizinische Versorgung. Sie fordern eine komplette Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dafür sehen wir keine politischen Mehrheiten, nicht hier im Bundestag – das könnte sich allerdings bei dem derzeiti- gen Regierungschaos schnell ändern –, aber es müssen auch die Länder zustimmen. Sie fordern in Ihrer Gesetzesinitiative, dass für Asyl- suchende und deren Angehörige die Rechtskreise der Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. der Sozialhilfe gelten sollen. Das würde bedeuten, dass erwerbsfähige Asylsuchende sofort eine Förderung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhalten. Bei ungeklärtem Aufent- haltsstatus ist das aus unserer Sicht kein geeigneter Weg. Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesamt für Mi- gration und Flüchtlinge. Deswegen spricht sich die SPD- Bundestagsfraktion dafür aus, das Asylbewerberleis- tungsgesetz als Rechtskreis beizubehalten. Man muss aber, wie bereits ausgeführt, das Asylbewerberleistungs- gesetz grundgesetzkonform und menschenwürdig ausge- stalten. Miriam Gruß (FDP): Asylbewerbern muss bestmög- lich geholfen werden. In erster Linie brauchen sie eine wirkliche Perspektive für ihr weiteres Leben. Ihr Antrag bietet da leider keine Lösungen. Eines ist klar: Viele Zu- stände, in denen Asylbewerber leben, sind nicht akzepta- bel, so bei Teilen ihrer Unterbringung. Was hier man- chenorts lange Zeit Alltag war und teilweise noch ist, war und ist nicht hinnehmbar. Wir setzen uns jetzt inten- siv für eine Verbesserung dieser Verhältnisse ein. Die Koalition befasst sich deshalb mit unterschiedlichen Ansätzen, um die Situation von Asylbewerbern zu opti- mieren. Im Folgenden möchte ich Ihnen diese gern skiz- zieren. Uns Liberalen war es wichtig, die Prüfung des Sachleistungsprinzips im Koalitionsvertrag zu veran- kern. Die Bundesregierung wird dies umsetzen, um dann den Asylbewerbern möglichst eine schnelle Hilfe zuteil werden zu lassen. Dass es immer Spielräume gibt für praktische Verbesserungen, beweist mein Heimatland Bayern. Die ersten Korrekturen sind dort eingeleitet. Künftig dürfen Familien und Alleinerziehende nach Ab- schluss ihres Asylverwaltungsverfahrens in eine eigene Wohnung ziehen. Das ist ein erster, wichtiger Schritt. Außerdem sieht der Koalitionsvertrag auf Bundes- ebene vor, die Residenzpflicht so auszugestalten, dass eine hinreichende Mobilität, insbesondere im Hinblick auf eine zugelassene Arbeitsaufnahme, möglich ist. Das ist ein Beispiel, das Schule machen kann. Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV- Regelsätzen ist im Zusammenhang mit der Höhe der Leistungen für Asylbewerber zu beachten. Das Bundes- verfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden, dass die Regelleistung für Erwach- sene und Kinder nicht den verfassungsrechtlichen An- spruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen. Dieses Urteil hatte bereits die Fraktion Die Linke zum Anlass genommen, die Bun- desregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage vom 17. Februar 2010 nach den Auswirkungen auf das Asyl- bewerberleistungsgesetz zu fragen. Das BVerfG hat mit seinem Urteil den Gesetzgeber beauftragt, dieses Grund- recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu konkretisieren. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist mit der Ausarbeitung eines Lösungsansatzes betraut, der für Herbst dieses Jahres zu erwarten ist. Für uns Liberale ist neben der rechtlichen Situation von Asylbewerbern eines besonders wichtig: Wir möch- ten die Möglichkeit fördern, dass Asylbewerber mög- lichst schnell einen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Es ist Teil des liberalen Selbstverständnisses, dass die Men- schen ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst 5158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) erwirtschaften können. Durch einen solchen Schritt würde man den Asylbewerbern wirklich eine Perspek- tive bieten. Ihr Gesetzentwurf führt gerade in diesem zentralen Bereich nicht zu einer Verbesserung. Vielmehr geht es auch hier darum, die Anspruchsberechtigten in finanzieller Abhängigkeit des Staates zu halten. Lassen Sie mich eines noch zum Ende sagen: Es ist schon er- staunlich, dass Sie jetzt das fordern, was Sie in Ihrer Re- gierungszeit längst hätten umsetzen können. Sie entlar- ven damit Ihren Antrag als einen reinen Scheinantrag. Wir als Regierungskoalition halten uns lieber an die Re- alität und machen eine Politik, die sich am Menschen ori- entiert, damit die Asylbewerber eine echte Chance auf ein eigenständiges Leben bekommen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Das Asylbewerberleis- tungsgesetz wurde 1993 beschlossen, um Asylbewerber von einer Flucht nach Deutschland abzuschrecken. Es war Teil des sogenannten Asylkompromisses, also der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl in Deutsch- land. Dieses Gesetz arbeitet mit der Unterstellung, Asyl- bewerber kämen ohnehin nur wegen des Bezugs von So- zialleistungen nach Deutschland. Es bedient rassistische Vorstellungen von vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlin- gen und Sozialschmarotzern, gegen die sich Deutschland endlich zur Wehr setzen müsse. Und es wurde noch ein weiteres Argument ins Feld geführt. Da die Betroffenen ja sowieso nur kurze Zeit in Deutschland bleiben wür- den, brauchten sie auch nur das Allernötigste zum Le- ben. Die verringerten Sozialleistungen sollen auch eine Integration in die Gesellschaft verhindern. Dieses Gesetz ist nicht nur in seinen Grundannahmen rassistisch, es be- fördert auch Rassismus in der Gesellschaft; denn in die- sem Gesetz ist auch die Unterbringung von Asylbewer- bern in Wohnheimen geregelt. Damit trägt dieses Gesetz zur Stigmatisierung von Asylsuchenden aktiv bei. Sie werden zum leichten Ziel für rassistische Attacken und Pöbeleien bis hin zu gewalttätigen Angriffen. Die Serie von Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte zu Beginn der 90er-Jahre hat dies auf erschreckende Art vor Augen geführt. Der größte Skandal an diesem gesamten Gesetz ist aber, dass hier eine ganze Menschengruppe allein auf- grund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus weit unter dem Existenzminimum vegetieren muss. Diese Menschen erhalten nur 60 Prozent des Satzes, den Emp- fänger von Hartz-IV-Leistungen erhalten. Zudem gilt das diskriminierende Sachleistungsprinzip. Neben der Un- terbringung in Wohnheimen bedeutet das Ausgabe von Kleidung und Nahrungsmittelpaketen oder Gutschei- nen. Damit wird diesen Menschen jede Möglichkeit ge- nommen, selbst zu bestimmen, was sie essen und welche Kleidung sie tragen. Und das gilt nicht nur vorübergehend. Zuletzt hat die Koalition aus SPD und Union das Gesetz dahin gehend geändert, dass die Betroffenen nun vier Jahre lang unter dieses Sonderregime fallen, vier Jahre, in denen keine Integration dieser Menschen stattfinden soll, vier Jahre, in denen sie übrigens auch nicht durch eigene Arbeits- leistung ihre Situation verbessern können, weil sie einem Arbeitsverbot unterliegen. Wir alle wissen, wie schwer es für Langzeitarbeitslose ist, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Bei diesen Menschen kommen noch sprachliche Schwierigkeiten hinzu; denn Sprachkurse und Ähnliches können sie nicht besuchen. Dieses Gesetz dient also der systematischen Ausgren- zung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen, soweit sie auch unter die Regelungen des Gesetzes fallen. Es zielt darauf, eine Integration dieser Menschen zu ver- hindern und das Abschreckungspotenzial dieser Regelun- gen aufrechtzuerhalten. Das Asylbewerberleistungsge- setz verletzt eklatant das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Würde. Diese und alle vorhergehenden Bun- desregierungen stellen dieses Menschenrecht unter einen Kostenvorbehalt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern Ole Schröder hat zu Be- ginn dieser Woche bei einem Symposium des UN-Flücht- lingshilfswerks weiteren Widerstand Deutschlands gegen neue EU-Regelungen angekündigt, Asylbewerber und Be- zieher von Sozialleistungen gleichzustellen. Selbst Ver- besserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt werden von dieser Bundesregierung abgelehnt. Die Bundesregierung ignoriert dabei im Übrigen das Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts zur Festlegung der Hartz-IV-Sätze für Kin- der. Das Gericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, ein transparentes und sachgerechtes Verfahren zur realitätsge- rechten Bedarfsermittlung zu wählen. Das betrifft Asylbe- werber ganz offensichtlich genauso wie die Kinder von Hartz-IV-Empfängern. Denn in diesem Fall hat der Ge- setzgeber einfach einmal vor 18 Jahren einen Regelsatz festgeschrieben. Der Bedarf wurde also nicht ermittelt, sondern schlicht politisch festgelegt. Darüber hinaus wurde er niemals erhöht, sondern stattdessen wurde die Bezugsdauer immer weiter ausgedehnt. Legt man die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts in dem ge- nannten Urteil an das Asylbewerberleistungsgesetz an, ist vollkommen klar: Dieses Gesetz ist verfassungs- widrig und muss endlich abgeschafft werden. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die schwarz-gelbe Koalition beschwört jetzt die bürgerli- chen Tugenden, entnehme ich der Presse. Eine dieser Tugenden ist, sich an Gesetze zu halten, zuvörderst an das Grundgesetz, dort an Art. 1, der die Grundrechte ein- leitet und gleichzeitig programmatische Grundaussage unserer Verfassung ist. Dort heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es heißt nicht: Die Würde der Deutschen ist unantastbar.“ – Dementsprechend gel- ten die Leitsätze des Urteils des Bundesverfassungsge- richts vom 9. Februar zu den ALG-II-Regelsätzen nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen im Gel- tungsbereich des Grundgesetzes. Das menschenwürdige Existenzminimum ist zu ge- währleisten und nach einem transparenten und nachvoll- ziehbaren Verfahren zu ermitteln. Das Bundesverfas- sungsgericht sagt ganz klar, dass das soziokulturelle Existenzminimum nicht „ins Blaue hinein“ zu schätzen ist. Es dürfte doch hier allen einleuchten, dass das selbst- verständlich ein universaler Anspruch ist, der nicht nur für das Zweite Buch Sozialgesetzbuch gilt. Dieser gilt für alle Menschen, und deshalb brauchen wir kein Son- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5159 (A) (C) (D)(B) dergesetz, das Menschenwürde für Flüchtlinge separiert und im Ergebnis Menschen in ihrer Würde herabsetzt. Doch seit es das Asylbewerberleistungsgesetz gibt, seit 17 Jahren, geschieht genau dies mit vielen Men- schen. Ob asylsuchend, ob geduldet oder bleibeberech- tigt, der Aufenthaltstitel unterscheidet sich, nicht aber die Unterversorgung. Die Leistungen des Asylbewerber- leistungsgesetzes liegen um ein Drittel unter den ohne- hin schon zu niedrig bemessenen Sätzen des SGB II. Und sie sind, entgegen geltender Rechtslage, nach § 3 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz nie angepasst wor- den – nicht ein einziges Mal in 17 Jahren. Da sage ich nur: Bürgerliche Tugenden? Von wegen. Stattdessen will ich die Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Hause fragen, die alle erkennbar keinen Hunger leiden: Wie soll man mit 40,90 Euro „Taschengeld“ und 184,07 Euro für Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körper- pflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haus- halts im Monat als erwachsener Haushaltsvorstand aus- kommen? Und dann noch ein Hinweis: Das Geld wird nicht unbedingt auf das Girokonto überwiesen. Stattdes- sen gibt es regelmäßig Gutscheine und Sachleistungen. Was für ein Unsinn und was für ein Bürokratiewahn! Schon all dies rechtfertigt die sofortige Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Einen weiteren wichtigen Punkt darf ich mir nicht er- sparen: Zum Gesundheitssystem in Deutschland haben Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleis- tungsgesetz bekommen, keinen Zugang. Nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gibt es Hilfe. Konkret heißt das: keine Prävention, keine Untersuchun- gen. Es muss schon erst so schlimm sein, dass der Kran- kenwagen vorfahren muss, bevor es Hilfe gibt. Überle- gen Sie sich einmal, welche Situationen in Ihrem Leben bei einer solchen medizinischen Versorgung schon ganz anders hätten ausgehen können! Ich denke, einige hier hätten Chancen, diese Debatte aus dem Jenseits zu be- trachten. Besonders unmenschlich ist, dass die Bundesregie- rung bewusst die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie nicht umsetzt. Deshalb gibt es für von physischer, psy- chischer oder sexueller Gewalt betroffene Flüchtlinge auch keinen Therapieanspruch, der garantiert ist. Die Menschen sind auf den guten Willen angewiesen. Auch Leistungsbeziehende nach dem Asylbewerberleistungs- gesetz brauchen endlich eine vernünftige Krankenversi- cherung, so wie wir alle sie haben. Angeblich hat das wohl auch die Bundesregierung verstanden. Sonst wäre gar nicht zu erklären, dass sie auf europäischer Ebene im Stockholmer Programm zur EU-Rechtspolitik erst im Dezember zugestimmt hat, dass Flüchtlinge in der EU überall ähnliche Lebensbedingungen haben sollen. Aber an der praktischen Umsetzung hapert es dann gewaltig. Das ist das übliche System dieser Bundesre- gierung: Sonntagsreden, wenn man zu Gast in Europa ist, hier in Deutschland nichts tun, wenn es um Men- schen geht, die Hilfe benötigen. Staatssekretär Ole Schröder geht es aber nur um angeblich anfallende Kos- ten, weil „die Vorschläge der EU-Kommission … die Asylverfahren verlängern und verteuern“ würden – so zitiert in der taz vom 15. Juni 2010). Ein merkwürdiges Politikverständnis. Geht es doch beim Asyl häufig um Leben und Tod. Von christlicher Nächstenliebe zeugt diese Haltung nicht. Diesmal sollte der Gesetzgeber das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben. Anders als beim ALG-II-Regelsatz hat er die Möglichkeit, einen of- fensichtlichen Verfassungsbruch selbst zu heilen. Wir alle sollten sie nutzen. 17 Jahre nach Inkrafttreten des Asylbewerberleis- tungsgesetzes ist es Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das Menschen ausgrenzt, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das dis- kriminiert und extrem bürokratisch ist, Schluss zu ma- chen mit einem Gesetz, dass Menschen das Existenzmi- nimum vorenthält und ihnen nicht die Möglichkeit gibt, in Deutschland ihren Lebensunterhalt selbst zu bestrei- ten. Sagen Sie Nein zur Diskriminierung und damit Ja zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswaldgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht: – Antrag: Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Öko- systems für heutige und künftige Genera- tionen – Antrag: Bundeswaldgesetz ändern – Na- turnahe Waldbewirtschaftung fördern – Antrag: Das Bundeswaldgesetz novellie- ren und ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung einführen – Unterrichtung: Waldbericht der Bundes- regierung 2009 (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Alois Gerig (CDU/CSU): Bei der Novellierung des Bundeswaldgesetzes biegen wir heute auf die Zielgerade ein. Der heute zur abschließenden Beratung stehende Gesetzentwurf wurde vom Land Niedersachsen über den Bundesrat eingebracht. Die Koalitionsfraktionen haben am Gesetzentwurf wichtige Ergänzungen vorgenommen. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir notwendige Ände- rungen am Bundeswaldgesetz vornehmen und gleichzei- tig an Bewährtem festhalten. Die Koalition lässt sich bei der Bundeswaldgesetzno- velle von der Zielsetzung leiten, die vielfältigen Funktio- nen des Waldes für Pflanzen, Tiere und den Menschen zu erhalten. Intakte Wälder sind notwendig, um die bio- logische Vielfalt zu bewahren. Als CO2-Speicher sind unsere Wälder zudem aktive Klimaschützer. Für den Menschen leistet der Wald nicht nur einen wichtigen 5160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Beitrag für die Trinkwasserversorgung und zum Immis- sionsschutz; der Mensch findet im Wald auch Ruhe und Erholung. Daneben hat der Wald eine zunehmend große wirt- schaftliche Bedeutung: Die Forst- und Holzwirtschaft sorgt nicht nur für Wertschöpfung im ländlichen Raum, sie ist dort auch ein wichtiger Arbeitgeber. Die Aufgabe der Waldpolitik ist, die unterschiedlichen Waldfunktio- nen in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Dies ist vor dem Hintergrund des Klimawandels keine leichte Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Bundes- waldgesetznovelle die richtige Richtung einschlagen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Der Gesetzentwurf sieht als Erstes vor, den Waldbe- griff zu präzisieren. Künftig sollen Kurzumtriebsplanta- gen nicht unter den Waldbegriff des Bundeswaldgeset- zes fallen. Auf Kurzumtriebsplantagen werden schnell wachsende Bäume und Sträucher angebaut, um inner- halb weniger Jahre den nachwachsenden Rohstoff Holz ernten zu können. Kurzumtriebsplantagen sind kein Wald, weil sie nicht auf dauerhafte und nachhaltige Nut- zung ausgelegt sind. Diese Kulturform ist eindeutig landwirtschaftlich geprägt. Es ist deshalb richtig, Kurz- umtriebsplantagen vom Waldbegriff auszunehmen. Mit der angestrebten Gesetzesänderung werden bes- sere Bedingungen für Kurzumtriebsplantagen geschaf- fen. Holz ist der mit Abstand wichtigste erneuerbare Energieträger in Deutschland. In den kommenden Jahren ist mit steigender Nachfrage nach Energieholz zu rech- nen. Kurzumtriebsplantagen können dazu beitragen, das Potenzial an Energieholz zu vergrößern, ohne dass wir die Nachhaltigkeit der Waldbewirtschaftung gefährden. Beim Waldbegriff muss noch an einer weiteren Stelle nachgebessert werden. Wir wollen, dass mit Forstpflan- zen teilweise bestockte Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden und deshalb unter die InVeKoS-Verord- nung fallen, kein Wald im Sinne des Bundeswaldgeset- zes sind. Die bessere Abgrenzung zwischen landwirt- schaftlichen und forstwirtschaftlichen Flächen dient dem Ziel, Almen aus dem Waldbegriff herauszunehmen und ihre Bewirtschaftung dauerhaft zu ermöglichen. Dies ist im Alpenraum nicht nur für die betroffenen landwirt- schaftlichen Betriebe von Bedeutung. Die Almwirtschaft leistet seit Generationen einen wertvollen Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft und für die Offenhaltung der Flächen. Almen sind aus diesem Grund auch für den Tourismus äußerst wichtig. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir des Weiteren er- reichen, dass forstwirtschaftliche Vereinigungen das Holz ihrer Mitglieder vermarkten dürfen. Forstwirt- schaftliche Vereinigungen sind Zusammenschlüsse von Forstbetriebsgemeinschaften, die wiederum Zusammen- schlüsse von Waldeigentümern sind. Zu den Aufgaben der forstwirtschaftlichen Vereinigungen gehört beispiels- weise die Beratung ihrer Mitglieder. Die Vermarktung von Holz ist ihnen bislang nicht erlaubt. Die Entwicklung der Holzindustrie ist seit einigen Jahren durch Konzentrationsprozesse geprägt. Den rund 2,9 Millionen Waldbesitzern und Kleinstwaldbesitzern in Deutschland stehen immer weniger – aber dafür mächtige – Holzabnehmer gegenüber. Damit sich Erzeu- ger und Abnehmer auf Augenhöhe begegnen können, wollen wir es den forstwirtschaftlichen Vereinigungen ermöglichen, das Holz ihrer Mitglieder zu vermarkten. Mit der Gesetzesänderung will die Koalition dazu beitra- gen, dass sich die forstwirtschaftlichen Strukturen marktgerecht entwickeln können und die Forstwirtschaft ein starkes wirtschaftliches Standbein des ländlichen Raums bleibt. Eine weitere Neuregelung betrifft die Verkehrssiche- rungspflicht im Wald. Es geht um die Frage, wer haftet, wenn Besucher im Wald zu Schaden kommen. Von Wald- besitzern wird aus Naturschutzgründen verlangt, ver- mehrt Totholz – umgefallene Bäume oder abgefallene Äste – im Wald zu belassen. Dadurch ergeben sich mehr Gefahrensituationen für Erholungssuchende. Dies ist deshalb problematisch, weil die Anzahl der Erholungs- suchenden zugenommen hat und sich auch die Erho- lungsformen ändern; Beispiele hierfür sind Joggen und Mountainbikefahren. Der Wald ist als Erholungsraum unverzichtbar. Die erfreulich vielen Waldbesucher sind ein wesentlicher Grund dafür, dass der Wald in Deutschland eine hohe Wertschätzung genießt und der Schutz des Waldes in der gesamten Gesellschaft unumstritten ist. Da der Wald für alle zugänglich ist und dies auch bleiben soll, kann der Waldbesitzer seiner Verkehrssicherungspflicht nicht da- durch nachkommen, dass er den Zutritt zum Wald ver- wehrt. Deshalb muss im Bundeswaldgesetz nun klarge- stellt werden, dass Waldbesitzer für waldtypische Gefahren nicht haften. Im Gesetzgebungsverfahren hat die Koalition geprüft, ob der niedersächsische Gesetzentwurf ausreichend ist. Neben der bereits angesprochenen Herausnahme der Al- men aus dem Waldbegriff halten wir weitere Änderun- gen am Bundeswaldgesetz für erforderlich. So wird der Begriff Staatswald eindeutiger definiert, weil viele Forstverwaltungen in Körperschaften des öffentlichen Rechts oder andere Rechtsformen umgewandelt wurden. Da viele Wälder Bodendenkmäler aufweisen oder aus Parkanlagen oder Friedhöfen hervorgegangen sind, stel- len wir sicher, dass in Zukunft der Denkmalschutz im Wald berücksichtigt wird. Unser Wald ist ein Kulturgut. Damit Deutschland seine Berichtspflichten gegenüber der Europäischen Union und gegenüber dem Klima- sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention besser er- füllen kann, wird zudem die Bundeswaldinventur zu ei- nem umfassenden Waldmonitoring ausgeweitet. Die Vorschläge der Opposition haben wir geprüft. Die Forderung, die gute fachliche Praxis im Bundeswaldge- setz zu verankern, kann die Union nicht unterstützen. Wir sehen uns in unserer Auffassung durch die Anhö- rung bestätigt. Aufgrund der regionalen Besonderheiten in der Waldstruktur ist es zweckmäßig, dass die ord- nungsgemäße Waldbewirtschaftung wie bisher durch die Länder geregelt wird. Da die Holzvorräte der Wälder in den vergangenen Jahren zugenommen haben und unsere Wälder bereits jetzt einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt der biolo- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5161 (A) (C) (D)(B) gischen Vielfalt leisten, halte ich eine bundeseinheitliche Festlegung der guten fachlichen Praxis für entbehrlich. Wichtiger als neue bürokratische Vorschriften erscheint mir, dass in der Forstwirtschaft und in der Forstverwal- tung gut ausgebildete Fachkräfte eingesetzt werden. Dies stellt sicher, dass das Holz fachgerecht dem Wald entnommen wird und die Wälder naturnah und nachhal- tig weiterentwickelt werden. Meinungsverschiedenheiten in der Frage, ob die gute fachliche Praxis ins Waldgesetz gehört, haben in der Großen Koalition eine Novellierung des Bundeswaldge- setzes blockiert. Die Koalition aus Union und FDP nimmt nun die notwendigen Änderungen vor und leistet damit einen wichtigen Beitrag, unseren Wald auf die Zu- kunft vorzubereiten. Dies zeigt einmal mehr: Die christ- lich-liberale Koalition zahlt sich für unser Land aus. Mit der Änderung des Bundeswaldgesetzes nehmen wir wichtige Weichenstellungen vor: Wir stellen den An- bau von Energieholz auf eine neue Rechtsgrundlage und unterstützen so den Ausbau erneuerbarer Energien. Für Waldbesitzer schaffen wir mehr Rechtssicherheit in Haf- tungsfragen und stärken zudem ihre Stellung auf dem Holzmarkt. Wir sichern die Almwirtschaft und sorgen dafür, dass in unserem Kulturgut Wald der Denkmal- schutz größere Beachtung findet. Dies sind alles gute Gründe, die Bundeswaldgesetznovelle heute zu be- schließen. Mit der Gesetzesänderung erreichen wir, dass unser Wald – immerhin 31 Prozent der Fläche Deutsch- lands – zukünftig neben allen angesprochenen Funktio- nen auch als grüne Lunge für unsere Bevölkerung dienen kann. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Petra Crone (SPD): Der dritte Anlauf, das Bundes- waldgesetz zeitgemäß und nachhaltig zu gestalten, ist gescheitert. Union und FDP verweigern sich ihrer Ver- antwortung für unsere Lebensgrundlage Wald, indem sie naturschutzfachlichen Aspekten im Bundeswaldgesetz eine klare Absage erteilen. Starrsinnig verneinen die Re- gierungskoalitionen die ökologischen und ökonomi- schen Zusammenhänge im Wald. Dadurch liefern sie ein Bundeswaldgesetz ab, das weit hinter den Erwartungen vieler forstlicher Akteure und Akteure des Naturschutzes zurückbleibt. Für die SPD-Bundestagsfraktion war und ist die Inte- gration eines Mindestmaßes an Naturschutz auf der ge- samten Waldfläche unabdingbar. Gemeinsam mit Ver- bändevertretern fordern wir weiterhin die Verankerung der guten fachlichen Praxis im Bundeswaldgesetz. Nach der erfolgten Anhörung sprach noch mehr für die Auf- nahme der Zielstellung einer guten fachlichen Praxis in die Bundesgesetzgebung als bereits vorher. Union und FDP haben nur mit einem Ohr den Sachverständigen zu- gehört. Auf dem naturschutzfachlichen Ohr sind sie taub. Dabei liegt eine ressourcenschonende und nachhal- tige Bewirtschaftung klar im ureigenen, ja gar existen- ziellen Interesse des Waldbesitzers. Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Ent- wicklung geht weg von reinen Nadelbaumkulturen hin zu mit Laubbäumen durchsetzten Mischwäldern. Ich be- grüße dies ausdrücklich; denn Mischwälder sind stabiler gegen Witterungsverhältnisse und Baumschädlinge als die Nadelbaumkulturen der Vergangenheit. Mischwälder machen deshalb sowohl für die Umwelt als auch unter forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn. Des Weiteren wirtschaftet eine hohe Zahl von Betrie- ben der Forstwirtschaft bereits auf einem hohen ökologi- schen Standard, einem Standard, der oftmals über die naturschutzfachlichen Mindestanforderungen laut GfP hinausreicht. Ökologische Waldnutzung und die Ver- marktung ökologischer Holzprodukte gehen Hand in Hand. Umso unverständlicher ist, dass Union und FDP in den 70er-Jahren feststecken. Ich bin schon enttäuscht, dass das Gesprächsangebot aus meiner ersten Rede kei- nen Widerhall fand, liebe Frau Kollegin Happach- Kasan, meine von Ihnen so gelobte Charmeoffensive hin oder her. Nicht jeder Waldbesitzer achtet seinen Besitz. Auch das ist eine Tatsache, die man dem Waldbericht der Bun- desregierung entnehmen kann. Sie scheinen immer noch glauben zu wollen, liebe Kollegen und Kolleginnen der Koalition, dass gierige Investoren vor der Natur haltma- chen. Wer schnelles Geld verdienen will, dem ist egal, dass nach einem Kahlschlag die Waldfläche für Jahr- zehnte keine Nutzungen mehr abwirft und die Leistungs- fähigkeit des Waldbodens empfindlich zerstört wird. Be- richte, in denen unseriöse Holzeinschlagsunternehmen den Waldbesitzern einen Kahlschlag empfehlen oder pri- vate Investoren innerhalb weniger Tage so viel Holz ein- schlagen, dass eine weitere nachhaltige Entwicklung des Waldes auf lange Sicht nicht mehr möglich ist, sind lei- der keine Seltenheit mehr. Daraus resultierend ist es eine Bagatellisierung, wenn vonseiten der Koalitionsfraktio- nen immer wieder gesagt wird, dass in unseren Wäldern die Dinge zum Besten stünden. Die Mindestanforderungen der guten fachlichen Pra- xis, verankert in einem Bundesgesetz, könnten in diesen Fällen entsprechende Sanktionierungen nach sich zie- hen, die der bezweckten Garantiewirkung einer ökologi- schen Mindestsicherung Rechnung tragen. Häufig sind die Landeswaldgesetze eben nicht ausreichend hinsicht- lich ihrer mit Ordnungswidrigkeiten belegten Regelun- gen oder diese fehlen in einigen Ländern in Gänze. Es kann auch nicht trösten, dass das Bundeswaldgesetz an der einen oder anderen Stelle an Effizienz gewinnt. Als Resultat aus naturschutzfachlicher Sicht bleibt es ein Fos- sil aus dem Jahre 1975. Mit keinem Federstrich werden die Ursachen der Missstände in unseren deutschen Wäl- dern bekämpft. Ich bin verwundert, dass sich die Kolle- gen und Kolleginnen der Linken durch ihre Zustimmung zum Gesetz mit so wenig zufrieden geben, zumal sie in ihrem Antrag ein anderes, besseres Bundeswaldgesetz fordern. Diese Gesetzesänderung begünstigt alleinig Waldnutzer. Sie vernachlässigt komplett den Adressaten von Waldpolitik, sprich: den heimischen Wald selbst mit seinen 4 000 Pflanzen- und rund 7 000 Tierarten. Wir lehnen auch die Änderung hinsichtlich der Alm- flächen ab. Diese Ergänzung führt dazu, dass in den bayerischen Alpen circa 7 000 Hektar Bergwald und da- von die Hälfte ausgewiesener Schutzwald aus der Wald- 5162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) definition herausfallen. Damit unterliegen sie nicht mehr dem Schutz des Bundeswaldgesetzes. Berg- und Schutz- wälder haben eine zentrale Bedeutung für den Erosions-, Lawinen- und Hochwasserschutz. Hier wird auf dem Umweg über Berlin ureigene bayerische Landespolitik erledigt, um vor Ort keine Aufregung zu verursachen und geräuschlos die Klientel zu bedienen. Auch dem Ausgleich zwischen Almbauern und Waldschützern, der von der Kollegin Cornelia Behm beantragt wurde, ver- weigerten Sie Ihre Zustimmung. Die Bitte der Almbauern haben Sie aber gern erfüllt. Um unseren Wald, dessen Erzeugnisse und Leistungen offenkundig immens sind, haben sich Union und FDP hingegen nicht bemüht. Der Wald ist mit seinen Multi- funktionen unersetzbar, und es bedarf für seine Zu- standsverbesserung verstärkt einer nationalen und inter- nationalen Politik für Nachhaltigkeit. Ein gesunder Wald muss Zielmarke von Waldpolitik sein. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich freue mich sehr, dass es der christlich-liberalen Koalition gelungen ist, die überfällige Änderung des Bundeswald- gesetzes zum Abschluss zu bringen. Es ist der dritte An- lauf: Rot-Grün ist gescheitert, Schwarz-Rot ist geschei- tert, jetzt klappt es. Das ist ein schöner Erfolg für den Wald, die Waldbesitzer, die nachhaltige Produktion von Biomasse und die bessere wissenschaftliche Begleitung der vom Klimawandel verursachten Änderungen im Wald. Ich bedanke mich für die Zustimmung der Linken, deren Anregung aus der Anhörung wir gern umgesetzt haben. Das Bundeswaldgesetz hat sich insgesamt bewährt; aber vor allem in drei Bereichen ist eine Ergänzung er- forderlich geworden: bei der Verkehrssicherungspflicht, der Walddefinition und der Holzvermarktung durch forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse. Durch die multifunktionale Nutzung der Wälder erge- ben sich verschiedene Zielkonflikte zwischen Waldbesit- zern und Erholungssuchenden. Im Interesse der faunisti- schen Biodiversität sind in den vergangenen Jahren die Totholzanteile im Wald gesteigert worden. Damit ist die Gefahr gestiegen, dass Menschen durch abfallende Äste oder umstürzende Bäume zu Schaden kommen. Für die Waldbesitzer, die den Wald bewirtschaften, entstehen hierdurch spezielle Anforderungen. Sie sind durch das Gesetz verpflichtet, das freie Betretungsrecht zu gestat- ten; allerdings erfolgt das Betreten auf eigene Gefahr. Wir wollen, dass Waldbesitzer nicht für ihre Dienste zum Wohle der Allgemeinheit belastet werden. Die Ver- kehrssicherungspflicht an Waldwegen bleibt bestehen; aber waldtypische Gefahren werden in Zukunft von der Haftung ausgeschlossen sein. Ein Blick auf verschiedene Gerichtsurteile der letzten Jahre zeigt, dass wir mit die- ser Formulierung Waldbesitzer entlasten können. Wir sind uns allerdings bewusst: Wir können durch Regelun- gen im Bundeswaldgesetz nicht die Haftungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches aushebeln. Die Holznutzung hat in den letzten Jahren enorm zu- genommen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend in Zukunft noch verstärkt. Die Produktion von Biomasse in Kurzumtriebsplantagen, KUP, hat gegenüber Monokulturen wie dem Maisanbau ökologische Vorteile: Sie zeigen eine deutlich höhere Biodiversität und benöti- gen weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Der Wis- senschaftliche Beirat des Agrarministeriums hatte schon im Jahr 2007 in seinem Gutachten auf die ökologischen und ökonomischen Vorteile der Nutzung von Holz aus Kurzumtriebsplantagen hingewiesen. In verschiedenen Regionen Deutschlands gibt es daher Projekte, in KUP Holz für die energetische und stoffliche Nutzung zu pro- duzieren. Diese Projekte können Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Produktionen von Biomasse nur erreichen, wenn sie Rechtssicherheit haben. Dafür müssen Kur- zumtriebsplantagen und auch Agroforstsysteme vom Waldbegriff ausgenommen werden. Angesichts der deut- lichen ökologischen und ökonomischen Vorteile der Produktion von Biomasse in Agroforstsystemen gegen- über dem Maisanbau ist diese Weichenstellung überfäl- lig. Die Herausnahme der licht bewaldeten Bergalmen im Alpenraum erfolgte auf bayrischen Wunsch. Um die tra- ditionelle Bewirtschaftungsform zu gewährleisten, ha- ben wir einen vernünftigen Weg gefunden, der sich an einer fortdauernden landwirtschaftlichen Nutzung der betroffenen Flächen orientiert. Bei Aufgabe der land- wirtschaftlichen Nutzung und zunehmender Bestockung werden diese Almen zu Wald. Die Umsetzung der Al- penkonvention wird durch diese Klarstellung gestärkt. Schutzwälder sind keine landwirtschaftlich genutzten Flächen und daher von der Regelung nicht betroffen. Wälder sind ein Archiv der Kulturgeschichte. Der Li- mes, slawische Wallanlagen, mittelalterliche Pflugspu- ren sind Beispiele für kulturgeschichtliche Entwicklun- gen, die in Wäldern bewahrt wurden. Historische Parkanlagen und Friedhöfe sind mit ihrem teilweise gro- ßen Baumbestand ebenfalls Wälder. Der Denkmalcha- rakter dieser Anlagen verdient besonderen Schutz. Wir wollen, dass die Bewirtschaftung der Wälder auch ihre kulturgeschichtliche Dimension berücksichtigt, und ha- ben dafür den § 11 ergänzt. Diese Anpassung wird die Pflege und den Erhalt der bedeutenden Kulturgüter im Rahmen des Waldgesetzes vereinfachen. Die multifunk- tionale Nutzung unserer Wälder gibt Freiräume, auch denkmalpflegerische Aspekte bei der Waldnutzung zu berücksichtigen. In einem Aufsatz, veröffentlicht in Band 55 der Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomi- tees für Denkmalschutz, wurde die Forstwirtschaft pau- schal als Monokultur-Kahlschlag-Methode bezeichnet. Ein solches Zerrbild hat nichts mit der forstwirtschaftli- chen Realität in Deutschland zu tun und kann daher auch eine Herausnahme von historischen Parkanlagen aus dem Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes nicht be- gründen. Im Bereich der Sägewerke hat in den letzten Jahren eine erhebliche Konzentration stattgefunden. Der Privat- wald ist dagegen überwiegend klein strukturiert. Fast 60 Prozent der Waldbesitzer bewirtschaften Wälder, die kleiner als 20 Hektar sind. Wir wollen deren Möglich- keiten, ihr Holz gemeinsam zu vermarkten, verbessern. Um die nachhaltige und wirtschaftliche Nutzung dieser Ressourcen zu verbessern, wollen wir die forstwirt- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5163 (A) (C) (D)(B) schaftlichen Vereinigungen in die Lage versetzen, diese Waldbesitzer bei der Vermarktung des bedeutendsten nachwachsenden Rohstoffes Holz zu unterstützen. Zu diesem Zweck haben wir mit Änderungen in § 37 und § 40 die forstwirtschaftlichen Vereinigungen besserge- stellt. Dies wird eine größere Flexibilität schaffen und gleichzeitig den Verwaltungsaufwand deutlich reduzie- ren. Insbesondere die Holzvermarktung der privaten Kleinwaldbesitzer wird gestärkt und kann helfen, die wirtschaftliche Nutzung des Rohstoffes Holz aus diesen Waldflächen unter nachhaltigen Gesichtspunkten zu ver- bessern. Die insbesondere von den Naturschutzverbänden er- hobene Forderung nach der gesetzlichen Festlegung ei- ner guten fachlichen Praxis im Bundeswaldgesetz sehen wir nicht als notwendig an. In den meisten Landeswald- gesetzen gibt es dazu bereits Regelungen. Gesetzliche Regelungen für Selbstverständlichkeiten wie die Ver- meidung des flächigen Befahrens der Waldfläche helfen nicht weiter. Detailliertere Regelungen können nicht all- gemeingültig für alle Wälder von der norddeutschen Tiefebene über die Mittelgebirge bis zum Alpenrand festgelegt werden. Viele Waldeigentümer haben zudem bereits freiwillig höhere Kosten akzeptiert, um höheren Standards in der Waldbewirtschaftung zu genügen. So sind fast 70 Prozent der Waldfläche in Deutschland zerti- fiziert. Die Ergebnisse der letzten Bundeswaldinventur zeigen, dass die Waldbesitzer sehr verantwortlich mit ih- ren Wäldern umgehen. Der Waldumbau hin zu stabilen, naturnahen Mischwäldern geht voran, und auch der Schutz von Primärwäldern wird verstärkt. Der Anteil von Totholzanteilen im Wald steigt und leistet einen Bei- trag zur Biodiversität. Der Bundeswaldbericht zeigt, dass im Wald ein wesentlich geringerer Artenschwund zu verzeichnen ist als auf der Freifläche. Untersuchungen zeigen uns, dass in den letzten Jah- ren Erkenntnisse der Wissenschaft vergleichsweise schnell von der Praxis übernommen worden sind. Dabei leistet die gute forstliche Ausbildung der Forstmitarbei- terinnen und -mitarbeiter einen wichtigen Beitrag. Wir brauchen eine wissenschaftsbasierte Weiterent- wicklung unserer Wälder. Dafür müssen wir verschie- dene Daten erheben, die den jetzigen Zustand beschrei- ben. Durch Vergleich mit früheren Waldinventuren lässt sich die Entwicklung unserer Wälder aufzeigen. Daraus lassen sich Prognosen für die Waldentwicklung ableiten und Handlungsoptionen für Eingriffe ausarbeiten. Dafür haben wir auch Änderungen bei der Waldinventur durch- gesetzt. Nur eine breite Wissensbasis ermöglicht sachge- rechte Entscheidungen. Neben den Daten zum Holzbe- stand, dem Baumartenbestand und der Baumgesundheit wollen wir vor allem die Erkenntnisse aus der Bodenzu- standserhebung mit einbeziehen. Ebenso soll im Rah- men von internationalen Verpflichtungen der Kohlen- stoffbestand, also die Holzmenge, im Abstand von fünf Jahren erhoben werden. Diese Maßnahmen sollen das Monitoring unserer Wälder verbessern und noch aussa- gekräftiger machen. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Die gute Nach- richt zuerst: Der heute zu beschließende Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes, BWaldG, hat ge- zeigt, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen lernfähig sind. Wie ich mir von Kolleginnen und Kollegen, die bereits länger im Agrarausschuss des Bundestages sitzen, habe sagen lassen, kommt es selten bis nie vor, dass die Regierung aus einer Anhörung lernt und Erkenntnisse aus einer Anhörung in ihren Gesetz- entwurf einfließen lässt. Doch dieses Mal ist genau das passiert. Der von der Linken benannte Sachverständige Enno Rosenthal, Vor- sitzender des Brandenburger Waldbauernverbandes, machte in der Anhörung deutlich, dass Änderungen im § 37 BWaldG zur Erleichterung der Arbeit der forstwirt- schaftlichen Vereinigungen unbedingt auch Folgeände- rungen im § 40 nach sich ziehen müssen. Der Hinweis war berechtigt, was man schon an den offenen Mündern und staunenden Blicken auf der Regierungsbank bemer- ken konnte. Gut, dass Herr Rosenthal die Bundesregie- rung noch rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass ihr bei einem Gesetzentwurf, über welchen bereits gefühlte 100 Jahre debattiert wird, ein dicker Patzer passiert ist. Eine andere zentrale Forderung aus der Anhörung – die Definition der „ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“ im Sinne einer naturnahen Waldbewirtschaftung – wurde natürlich nicht aufgenommen. Genau an diesem Punkt streiten sich die jetzigen Regierungsfraktionen und die jetzigen Oppositionsfraktionen bereits seit Jahren. Für SPD und Grüne ist das ein Grund, die komplette Gesetzesnovelle nun abzulehnen. Wir als Linke wollen uns dieser Totalverweigerung nicht anschließen, denn der Gesetzentwurf enthält viele Forderungen, welche auch bereits in unserem Antrag 17/1743 „Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe Wald- bewirtschaftung fördern“ aufgelistet sind: Erleichterun- gen bei der Verkehrssicherungspflicht, Neudefinition des Waldbegriffes zur Unterstützung der Agroforstwirtschaft – meine Kollegin Dr. Kirsten Tackmann hat speziell zu diesem Thema bereits mehrfach im Bundestag gespro- chen – und die Aufgabenerweiterung der forstwirtschaft- lichen Vereinigungen. Richtig sind darüber hinausgehende Forderungen, wie sie nicht nur in unserem Antrag, sondern auch in den an- deren beiden Oppositionsanträgen zu finden sind. Daher werden wir auch allen drei Anträgen zustimmen. Ich kann nicht verstehen, warum SPD und Grüne nicht diesen wenigstens kleinen Schritt in die richtige Richtung mitgehen wollen und den Gesetzentwurf der Koalition unterstützen. Wenn Ihnen eine Novelle des Bundeswaldgesetzes mit naturschutzfachlichen Anfor- derungen so wichtig gewesen wäre, dann hätten Sie dazu von 1998 bis 2005 gemeinsam Zeit gehabt. Damals war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die SPD der große Blockierer. Doch zurück zum Wald: Die Linke steht für eine na- turnahe Waldbewirtschaftung. Daran halten wir fest. Da- her werden wir auch weiterhin an der Notwendigkeit ei- ner Novelle des Bundeswaldgesetzes mit dem Ziel einer sinnvollen Definition der „ordnungsgemäßen Forstwirt- schaft“ festhalten. Liebe SPD, liebe Grüne: Vielleicht sind die Mehrheitsverhältnisse ab 2013 so, dass wir dies dann mit Ihren Stimmen erreichen können. 5164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Zu einer naturnahen Waldbewirtschaftung gehört für uns, dass eine größere Naturnähe durch die Wahl stand- ortgerechter einheimischer Baumarten, kahlschlagsfreies Wirtschaften, Waldrandgestaltung, Reduzierung der Bo- denbearbeitung und Bodenverdichtung, Vermeidung des Einsatzes von Herbiziden, Pestiziden und Düngemitteln, waldverträgliche Wilddichten und Verzicht auf gentech- nisch verändertes Pflanz- und Saatgut erreicht wird. Darüber hinaus sind soziale und Qualifizierungsstan- dards für die Erholungs- und Bildungsfunktion des Wal- des sowie für die in der Forstwirtschaft Beschäftigten zu entwickeln. Alle Aufgaben sind durch qualifiziertes forstliches Personal abzusichern. Heute haben wir einen längst fälligen ersten Schritt getan. Die Linke wird weiter dafür werben, dass diesem weitere Schritte folgen. Einer könnte eine Novelle des Bundesjagdgesetzes sein. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach der Expertenanhörung war klar, dass die Bundes- regierung den unzureichenden Bundesratsentwurf für eine Waldgesetznovelle nachbessern musste. Das betraf selbst Punkte, über die im Grundsatz parteiübergreifend Einigkeit besteht. Mit den vorgelegten Änderungsanträgen sind den Re- gierungsfraktionen allerdings nur teilweise befriedi- gende Lösungen gelungen. An manchen Stellen wurden sie den Anforderungen nicht gerecht. Wie von dieser Regierung nicht anders zu erwarten, betrifft das in erster Linie die von allen drei Oppositions- fraktionen geforderten ökologischen Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung. Diese werden im Bundes- waldgesetz auch zukünftig fehlen. Für Bündnis 90/Die Grünen ist das Bundeswaldgesetz angesichts gestiege- nen Nutzungsdrucks so nicht zustimmungsfähig. Wir werden aber den beiden anderen Oppositionsanträgen zustimmen, die wie unser Antrag ebenfalls Mindeststan- dards fordern. Nun komme ich zur Abgrenzung von Wald und Agro- forstsystemen. Auch aus bündnisgrüner Sicht ist es rich- tig, das Flächenidentifizierungssystem von InVeKoS zu nutzen, um Wälder im Regelfall klar und eindeutig von Agrarflächen abzugrenzen. Aber es gibt in den Alpen eine Schnittmenge von Almweiden und Schutzwäldern. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die CSU bestreitet, dass es diese Schnittmenge gibt. Alle Beteiligten, die sich in dieser Streitfrage mit ihren gegensätzlichen Inte- ressen geäußert haben, gehen davon aus, dass es viele Flächen gibt, die sowohl Schutzwald als auch von Alm- bauern genutztes Weideland sind. Angesichts der grundlegenden Bedeutung von Schutzwäldern muss das Gesetz klarstellen: Schutzwäl- der müssen Wald bleiben, so wie wir Bündnisgrüne es gestern im Agrarausschuss beantragt haben. Da das Land Bayern aber per Gesetz viele Almen zu Schutzwäldern erklärt hat, die auch aus Sicht der biolo- gischen Vielfalt zukünftig kein Wald sein sollten, ist es Aufgabe des Landes Bayern, das einzelflächenbezogen zu ändern. Stattdessen, wie es die Koalition tut, im Bun- deswaldgesetz pauschal für alle als Almweide genutzten Schutzwälder den Waldstatus aufzuheben, ist jedenfalls der für den Schutz der Berge falsche Weg. Denn nun- mehr steht zu befürchten, dass viele Bergwälder, die das auch bleiben sollten, ihren Waldstatus verlieren. Auch beim Thema Verkehrssicherungspflicht lässt sich bereits heute vorhersagen, dass die Diskussion da- rüber unter Waldbesitzern und unter Naturschützern mit Sicherheit weitergehen wird. Denn eine Lockerung war nicht das Ziel der vom Bundesrat vorgelegten und von der Koalition nunmehr unverändert übernommenen Ergänzung dieser Regelung um den Verweis auf wald- typische Gefahren. Hier wird lediglich das derzeit ausge- übte Richterrecht festgelegt, wie aus der Gesetzesbe- gründung hervorgeht. Sowohl Waldbesitzer als auch Naturschützer haben eine Lockerung der Verkehrssiche- rungspflicht erwartet. Genau deswegen wird die Diskus- sion darüber weitergehen. Hinzu kommt, dass die Verantwortung und die Kos- tenträgerschaft für die Verkehrssicherungspflicht an Straßen gemäß dem Verursacherprinzip dem Straßen- baulastträger zuzuweisen ist. Wer Straßen baut, muss auch die Folgekosten tragen. Es kann nicht sein, dass sie weiterhin auf die Waldbesitzer abgewälzt werden. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, selbst wenn man feststellt, dass das für die leidgeprüften öf- fentlichen Haushalte eine große Herausforderung ist. Sachdienlicher und kostenschonender wäre es, wenn we- niger Straßen und Wege durch Wälder geführt würden. Zwar hat der Gesetzentwurf den Aufgabenbereich der forstwirtschaftlichen Vereinigungen um die Holzver- marktung erweitert, nicht aber auch um die Durchfüh- rung forstwirtschaftlicher Maßnahmen. Ich bedaure sehr, dass die Regierungskoalition diese Anregung aus der Expertenanhörung nicht aufgegriffen hat; denn das wäre im Interesse einer effizienten Bewirtschaftung des Kleinprivatwaldes gewesen. Die Behauptung von Frau Happach-Kasan, die meisten forstwirtschaftlichen Verei- nigungen würden das ja bereits heute tun, obwohl sie dazu eigentlich nicht ermächtigt sind, kann ja wohl nicht das letzte Wort gewesen sein. Gerne hätten wir diesem Gesetz zugestimmt. Aber die Mängel bei den vorgelegten Änderungen und der völlige Verzicht auf die Vorgaben für die nachhaltige und ord- nungsgemäße Waldwirtschaft lassen das nicht zu. Die Novellierung des Bundeswaldgesetzes bleibt daher wei- terhin auf der Tagesordnung. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Todesstrafe weltweit abschaffen – Folter bekämpfen und Folteropfer unter- stützen – Abschaffung der Todesstrafe weltweit (Tagesordnungspunkt 19 a bis c) Frank Heinrich (CDU/CSU): In diesen Tagen ist man als Mitglied des Menschenrechtsausschusses versucht, der Opposition ein herzliches Dankeschön zu sagen. Wir ha- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5165 (A) (C) (D)(B) ben Woche für Woche die Gelegenheit, unsere Positio- nen zu den wesentlichen Menschenrechtsthemen coram publico neu zu erklären. Dass wir diese bereits im Dezember 2009 in einem Antrag formuliert und im März 2010 hier im Bundestag beschlossen haben, ent- bindet uns nicht von der Aufgabe, den Stellenwert und die konkrete Ausgestaltung der Menschenrechte in den verschiedenen Themenfeldern wieder und wieder zu be- tonen, und dadurch ins kollektive Bewusstsein zu trans- portieren. In diesem Sinne, liebe Freunde von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und auch von der Linkspartei: Herzlichen Dank für ihre Vorlage zu einer neuen De- batte! Die CDU/CSU hat als christliche Partei dezidiert zu Menschenrechten Stellung genommen und wird es weiter Doch das ist nur eine Perspektive auf die Sache, ich möchte mein Unverständnis zu einer anderen Perspek- tive nicht verhehlen. Hier werden wichtige, ja wesentli- che Sachthemen parteipolitisch instrumentalisiert. Der Bundestag hat beschlossen, die Menschenrechte welt- weit zu schützen. Die Themen Todesstrafe und Folter sind ausdrückliche Bestandteile dieses Beschlusses. Wenn Sie nun Antrag auf Antrag zu diesen Themen for- mulieren, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie von der eigentlichen Arbeit ablenken wollen. Polemik statt Tagesgeschäft, darin kann sich doch die Rolle einer Opposition nicht erschöpfen! Wie wenig Ihnen an dieser Stelle an einer konstrukti- ven Zusammenarbeit gelegen ist, zeigt das Scheitern eines interfraktionellen Antrags zur Ächtung der Todesstrafe. Trotz unserer eindeutigen Beschlüsse zum Thema wollte die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit der FDP und der SPD einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als ge- meinsamen Antrag auf den Weg bringen, um der beson- deren Bedeutung des Themas Ausdruck zu verleihen. Was in den vergangenen Legislaturperioden noch mög- lich war, ist diesmal an der Sturheit und Verbissenheit der Bündnisgrünen gescheitert. Wir bedauern es außer- ordentlich. Hier noch einmal der Kern unserer unterschiedlichen Auffassungen: Ihr Antrag nennt Namen einzelner betrof- fener Menschen und einzelne Staaten, die bestimmte Konventionen oder Protokolle nicht ratifiziert haben, aber eine positive Entwicklung aufweisen. So wichtig jedes einzelne Schicksal eines Menschen ist, der in einer Todes- zelle sitzt – und wir sind dankbar für die hervorragende Arbeit der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidi- ger, die diese Namen international bekanntmachen, kein Mensch ist eine Nummer, auch ein Todeskandidat bleibt ein Geschöpf mit persönlicher Würde –, so wenig dürfen wir die Augen vor einer bitteren Realität nicht verschlie- ßen: Insbesondere politische Häftlinge in autoritären Re- gimen sind immer wieder zusätzlichen Repressionen ausgesetzt, wenn sie exemplarisch als Regimeopfer be- nannt werden. Die Nennung von Namen in ihrem Antrag ist daher menschlich absolut verständlich und doch in der Sache nicht zweckdienlich. Gestern war der Bundesaußenminister im Menschen- rechtsausschuss. Sehr glaubwürdig hat er den Einsatz der Bundesrepublik für die Rechte der Menschen als prioritä- res Ziel deutscher Außenpolitik betont. Zugleich hat er dabei den unschätzbaren Wert der „Stillen Diplomatie“ herausgestellt. Ja, Politik muss Missstände auch anpran- gern. Aber einzelne Schicksale werden gefährdet, wenn sie mit Sanktionsandrohungen und öffentlichen Bloß- stellungen einhergehen. Das Gleiche lässt sich von ein- zelnen Ländern sagen. Wenn wir diese Länder auf dem Weg zu Ratifizierungen internationaler Abkommen vor- schnell an den Pranger stellen, geht dieser Schuss nach hinten los. Lassen Sie es mich als Pädagoge sagen: Ver- stärkung und Unterstützung heißen die Zauberworte, nicht Ermahnung und Entmutigung. Ein Antrag, der die Todesstrafe weltweit ächtet, sollte daher aus unserer Sicht generelle, ja universelle Forderungen und Feststel- lungen enthalten, um so den Charakter einer Resolution zu erfahren. Konkrete Bezichtigungen dagegen kommen einem politischen Tribunal gleich und können, wie so- eben ausgeführt, letztlich das genaue Gegenteil des Be- absichtigten bewirken. Lassen Sie mich zur Position der CDU/CSU zurück- kommen. Ich zitiere aus dem Antrag und Beschluss „Menschenrechte weltweit schützen“. Gleich im ersten Punkt äußern wir uns klar und unmissverständlich zur Todesstrafe. „Unveräußerliche Prinzipien wie körperliche und geistige Unversehrtheit, Gedanken- und Meinungs- freiheit und die Freiheit von Diskriminierung sind in vielen Teilen der Welt gefährdet. Die grausamste und un- menschlichste Form der Bestrafung, die Todesstrafe, wurde in vielen Staaten der Welt abgeschafft. Darunter sind alle Staaten der Europäischen Union. Doch immer noch wird die Todesstrafe verhängt bzw. vollstreckt, und dies nicht nur in autoritären Regimen wie Iran, China oder Sudan, sondern auch in Demokratien wie den USA und Japan. Es gibt keinen rechtsstaatlichen Grund, der die Todesstrafe rechtfertigt; zudem können Fehlurteile nie ganz ausgeschlossen werden. Ein Grundanliegen deutscher Menschenrechtspolitik bleiben deshalb die Aussetzung und in letzter Konsequenz die Abschaffung der Todesstrafe.“ Deutlicher und eindeutiger kann man die Todesstrafe nicht ablehnen. Menschenrechtliche, rechtsstaatliche und humanitäre Gründe sprechen unisono gegen die Todes- strafe. Die Damen und Herren von der Opposition haben unserem Antrag die Zustimmung verweigert. Auch zur Ächtung der Folter nimmt unser Beschluss Stellung und führt eindeutige, evidente Gründe ins Feld – ich zitiere –: „In mehr als 150 Staaten der Welt sind Menschen Folter sowie grausamster und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. In Konfliktsituationen sind in den letzten Jahren verstärkt auch Kinder, Jugendliche und Frauen Opfer von Folter geworden. Aber auch Tau- sende von politischen Dissidenten sind in den Gefäng- nissen weltweit tagtäglich Folter und Misshandlungen ausgesetzt. All dies geschieht, obwohl die Folter völker- rechtlich in einer Vielzahl internationaler Abkommen verboten wurde. Seit 1984 ist mit dem ,Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung‘ der Vereinten Nationen das Folterverbot für die Vertragsstaaten bindend und die Überwachung des Verbots von unabhängigen Stellen vorgesehen. Das Folterverbot gilt absolut und darf nicht gegen andere Rechtsgüter abgewogen werden.“ 5166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Mit diesem Beschluss haben wir dezidierte Grundla- gen, Folter als Menschenrechtsverletzung zu benennen und zu bekämpfen, und wir tun es auch. Allerdings nicht nur in den Ländern, die uns eine Folterpraxis vermuten lassen. Nein, wie ernst wir uns als Bundesrepublik und als Mitglied der Europäischen Union selber nehmen müssen und nehmen, zeigt ein Bespiel aus der jüngsten Vergangenheit. Der Fall Gäfgen ging zu Genüge durch den Medienwald. Ich zitiere eine Meldung der dpa vom 10. Juni diesen Jahres: „Kindermörder Gäfgen erzielt juristischen Teil- erfolg. Straßburg. Der Kindsmörder Magnus Gäfgen hat einen Teilerfolg mit seiner Folterbeschwerde gegen Deutschland erreicht. Mit der Gewaltandrohung gegen Gäfgen bei der Fahndung nach einem entführten Kind habe Deutschland gegen das Folterverbot der Menschen- rechtskonvention verstoßen, befand der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag in Straßburg. Die Richter warfen Deutschland eine man- gelnde juristische Aufarbeitung dieser Folterandrohung vor.“ Dass der EGMR der Bundesrepublik vorwirft, gegen das Folterverbot verstoßen zu haben, mag auf den ersten Blick erschüttern: In Deutschland wird gefoltert. Doch auf den zweiten und dritten Blick sieht das Bild ganz an- ders aus. Der zweite Blick: Wer kann emotional nicht nachempfinden, wie die Gewaltandrohung zustande kam. Ein Entführer verbirgt sein grausames Geheimnis, ein Kind könnte vielleicht noch gerettet werden. Ich ver- stehe die Drohung gut. Doch eben hier zeigt sich die sitt- liche Reife einer Gesellschaft. Folter ist grundsätzlich falsch, auch wenn sie emotional verständlich ist, und da- her lehnen wir sie ab. Der dritte Blick: Es ist ein Beweis wahrer Rechtstaatlichkeit, auch unangenehme Urteile zu akzeptieren. Wer sich dem Urteil eines EGMR stellt, er- wirbt sich auch das Mandat, selber für die Einhaltung von Menschenrechten zu werben und zu kämpfen. Wer Standards im Ernstfall gelten lässt, kann sie im Regelfall proklamieren. Ein letzter Gedanke. Todesstrafe und Folter stehen im Zusammenhang mit anderen Menschenrechtsthemen, auch dazu führt unser Antrag einiges aus: „Folter und Misshandlungen stehen in engem Zusammenhang mit Formen der Sklaverei und des Menschenhandels. Sklave- rei ist kein Übel der Vergangenheit, sondern den Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge Schicksal von zwölf Millionen Menschen weltweit – hauptsächlich von Frauen und Kindern. 70 Prozent der gehandelten Menschen werden als Zwangsprostituierte Opfer sexueller Ausbeutung. Die übrigen Betroffenen werden als Zwangsarbeitskräfte, Kindersoldaten, unfrei- willige Organspender und zu Zwecken illegaler Adop- tion verkauft. Sklaverei und Menschenhandel sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf Grundlage internationa- ler Abkommen geächtete Verbrechen. Im Rahmen des Protokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität aus dem Jahr 2000 wird ein notwendiger Schritt getan, um Menschenhandel zum Zweck der Prostitution und der Sklavenarbeit zu bekämpfen.“ Internationale Unternehmen dürfen in ihrem Engage- ment nicht wertfrei handeln und stehen in der Pflicht, in ihrer unternehmerischen Tätigkeit die Menschenrechte zu achten. Bereits heute gibt es Mechanismen, die ge- währleisten, dass Produkte und Dienstleistungen nicht unter Verletzung der Menschenrechte erbracht werden. Initiativen, wie der von Kofi Annan begründete Global Compact, durch den sich Unternehmen freiwillig ver- pflichten, Menschenrechtsprinzipien in ihrem Engage- ment zu achten, sind von herausragender Bedeutung. Aber auch andere freiwillige Selbstverpflichtungen, Ver- haltenskodizes und Zertifizierungsmaßnahmen haben gezeigt, dass Unternehmen ihre Verantwortung erkannt haben und bereit sind, diese wahrzunehmen. Mittel- bis langfristig werden sich konkrete Außenwirtschaftsinte- ressen besser verwirklichen lassen, wenn Rechtsstaat- lichkeit und Menschenrechte beachtet werden. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Mehrmals haben wir parteiübergreifend im Deutschen Bundestag be- schlossen, die jeweilige Bundesregierung aufzufordern, sich für die weltweite Ächtung und Abschaffung der To- desstrafe einzusetzen. Das tun wir aus gutem Grund; denn die Todesstrafe verstößt gegen das Recht auf Le- ben, ein elementares Grundrecht jedes Menschen. Der Staat ist verpflichtet, dieses Grundrecht zu sichern. In exakt 58 Ländern gibt es derzeit noch die Todes- strafe. Im Jahr 2007 sind Schätzungen von Amnesty In- ternational zufolge 1 252 Menschen hingerichtet wor- den; im Jahr 2008 waren es 2 390 Menschen, das heißt, weltweit wurden täglich sieben Menschen hingerichtet, davon allein mindestens 1 700 in China. Hinter vorge- haltener Hand spricht man allerdings von jährlich circa 8 000 Hinrichtungen in diesem Land. Sollte sich der Ein- druck des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregie- rung, Markus Löning, bestätigen, scheint sich in China derzeit etwas zu verändern, nicht nur, was die Delikte, welche zur Todesstrafe führen, betrifft, sondern auch be- züglich der Rechte der Angeklagten, der Abkehr von der Erpressung von Geständnissen durch Folter sowie von der Öffentlichkeit von Hinrichtungen. Doch klar ist: Die Bedingungen der Todesstrafe zu verbessern ist keine Lö- sung; die Todesstrafe gehört abgeschafft. Im Iran ist die Lage weiter dramatisch. Die Todes- strafe droht nicht nur bei Gewaltverbrechen, sondern auch bei politischer Meinungsäußerung. Die Befürch- tungen, dass der Jahrestag der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad am 12. Juni 2010 von ei- ner Hinrichtungswelle begleitet würde, haben sich leider bestätigt. Nicht vergessen sollten wir die unerträgliche Vielzahl von Todesurteilen nach dem Scharia-Recht: we- gen Homosexualität, Ehebruchs oder Apostasie, also dem Abfall vom wahren Glauben. Entsetzt bin ich nach wie vor über die Situation in den USA, die ebenfalls zu den fünf Staaten gehören, welche weltweit die meisten Hinrichtungen zu verantworten ha- ben. Im vergangenen Jahr waren es 52 Menschen. Zu- dem sitzen mehr als 1 000 Häftlinge in Todestrakten; häufig tun sie das mehrere qualvolle Jahre, manche jahr- zehntelang, und ohne, dass man ihnen mitteilen würde, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5167 (A) (C) (D)(B) wann die Todesstrafe vollstreckt wird. Meines Erachtens ist das eine unmenschliche Behandlung, die der Folter gleichgesetzt werden kann. Dass auch Präsident Obama sich öffentlich für die To- desstrafe ausgesprochen hat, zum Beispiel für Terroris- ten und für Kinderschänder, entsetzt mich nicht nur, weil er wissen sollte, dass es auch bei Gerichtsverfahren, die zur Todesstrafe führen, Fehlurteile gibt. Seit 1973 wur- den in den USA 139 zum Tode verurteilte Menschen we- gen erwiesener Unschuld entlassen; für 23 andere Men- schen kam die Einsicht in ihre Unschuld zu spät. Besonders tragisch an der Tatsache, dass die USA in der Spitzengruppe der Todesstrafenverhänger und -an- wender sind, ist insbesondere, dass die USA global für die Entwicklung von Menschenrechten und Demokratie eintreten wollen. Gelten sie in diesem Bereich als Vor- bild, dann haben wir es schwerer, weiterhin für die Ab- schaffung und Ächtung der Todesstrafe einzutreten. Immerhin ist im Kampf gegen die Todesstrafe Bewe- gung. Vor nur 20 Jahren hatten noch zwei Drittel aller Staaten die Todesstrafe. Heute haben sie bereits zwei Drittel aller Staaten abgeschafft. Das macht Mut – hof- fentlich auch allen Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Kampf gegen die Todesstrafe einsetzen. Wir reden heute auch über eine andere schwere Men- schenrechtsverletzung, nämlich die Folter. Hierzu haben wir ebenfalls einen SPD-Antrag eingebracht, zum einen um auf den internationalen Tag zur Unterstützung von Folteropfern am 26. Juni aufmerksam zu machen und zum anderen um die wichtige Arbeit der psychosozialen Behandlungszentren für Folteropfer zu würdigen. Ein besonderer Grund ist aber auch, dass nun der 5. Staatenbericht Deutschlands zur Umsetzung der UN- Anti-Folter-Konvention, CAT, vorliegt. Darin wird be- mängelt, dass Deutschland den vorgeschriebenen nationa- len Präventionsmechanismus nicht ausreichend umsetzt. Wie wichtig dieser ist, haben wir in den letzten Tagen gesehen. Zudem kritisieren wir die schrittweise Aushöhlung des nach der Genfer Flüchtlingskonvention gültigen Non-Refoulement-Prinzips (Art. 33). Es verbietet, Flüchtlinge in Länder aus- oder zurückzuweisen, in de- nen ihnen Verfolgung oder Gefahr für Leben und Frei- heit drohen würde. Ich appelliere wie bereits vor einigen Wochen eindringlich an die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen: Lösen Sie das aktuelle Rücknah- meübereinkommen mit Syrien auf! Lassen Sie mich abschließend noch einen traurigen Punkt ansprechen: Leider ist es – im Gegensatz zu früher – nicht möglich gewesen, einen fraktionsübergreifenden Antrag zur Ablehnung der Todesstrafe vorzulegen, vor allem wegen der Unionspolitiker im Menschenrechts- ausschuss. Sie sollten sich ein Beispiel an den Entwick- lungspolitikern nehmen, die ganz selbstverständlich eine gemeinsame fraktionsübergreifende Erklärung zur Ver- hängung der Todesstrafe wegen homosexueller Hand- lungen in Uganda verabschieden. Im Menschenrechts- ausschuss hatten wir übrigens auch versucht, gemeinsam gegen diese schlimme Menschenrechtsverletzung vorzu- gehen. Das ist leider – wie so vieles – an Ihrem Starrsinn und Ihrer Überheblichkeit gescheitert. Kehren Sie um auf diesem Weg! Die Türe zwischen der ersten und der zweiten Lesung ist noch offen: Sie können sich dem Antrag von SPD und Grünen noch an- schließen. Marina Schuster (FDP): Weltweit werden weiterhin Menschen gehängt, erschossen, vergast, mittels Injektion vergiftet, gesteinigt, geköpft oder auf andere Weise hin- gerichtet. Die Liste der Straftaten, die mit dem Tode geahndet werden können, reicht in den Ländern mit To- desstrafe von Mord, Vergewaltigung, Landesverrat, Ent- führung, Veruntreuung bis zu Dingen wie Abfall vom Glauben, Homosexualität und sogar außerehelichem Se- xualverkehr. Bei Letzterem gilt in manchen Ländern so- gar das vergewaltigte Opfer als Täterin oder Täter, die oder den es hinzurichten gilt. All diese Fälle zeugen von tiefer Menschenverachtung. Aus tiefster Überzeugung, dass die Todesstrafe eine unmenschliche und grausame Strafe ist, treten wir für ihre weltweite Ächtung und Ab- schaffung ein. Die Bundesregierung hat im Kampf gegen die Todes- strafe bereits konkrete Erfolge erzielt. Ich möchte an die- ser Stelle besonders das Engagement von Dirk Niebel herausstellen: Als bekannt wurde, dass in Uganda ein Gesetzentwurf zur Einführung der Todesstrafe auf Ho- mosexualität in das Parlament eingebracht wurde, hat er gegenüber der ugandischen Regierung umgehend deut- lich gemacht, dass eine Verabschiedung des Gesetzes spürbare Folgen für die Entwicklungszusammenarbeit haben werde. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, war selbst in Uganda vor Ort und hat das Gespräch mit Menschenrechtsakti- visten und Regierungsvertretern gesucht. In der letzten Sitzung des Menschenrechtsausschusses konnte er be- richten, dass dieses Gesetz aufgrund des internationalen Drucks und infolge der anstehenden Wahlen in Uganda vom Tisch sei. Das ist eine Nachricht, die uns alle erleichtert. Denn wir kämpfen alle hier im Haus für die Abschaffung der Todesstrafe weltweit. Der Fall belegt aber auch, dass der Kampf genauso geboten ist, damit nicht noch mehr Län- der auf die furchtbare Idee kommen, die Todesstrafe für immer mehr oder neue Tatbestände einzuführen. Denn eines ist für uns klar: Wir wollen nicht, dass der Gesetz- entwurf des Abgeordneten Bahati in anderen afrikani- schen Staaten Nachahmung findet. Ich danke allen, die sich deutlich dagegen positioniert haben, und ich freue mich, dass die Opposition das Engagement von Markus Löning in ihrem Antrag ausdrücklich lobt. Die Todesstrafe ist grausam, unmenschlich und mit unserem Wertesystem nicht vereinbar. Sie ist ein anti- quiertes Relikt eines primitiven Verlangens nach Rache. Doch Rache steht einem aufgeklärten Staat nicht zu. Hier darf ich Thomas Dehler zitieren: "Wie der Staat seine Rechtsbrecher behandelt, kennzeichnet seinen Geist.“ Die Todesstrafe gehört abgeschafft. Ob ein Staat die Todesstrafe abschafft oder nicht, das hängt nicht da- von ab, ob dieser arm oder reich ist; die Abschaffung 5168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) hängt einzig vom politischen Willen der Verantwortli- chen ab. Der Kampf gegen die weltweite Ächtung und Ab- schaffung der Todesstrafe ist ein gemeinsamer Kraftakt. Umso bedauerlicher finde ich es, dass es keinen inter- fraktionellen Antrag dazu geben wird. Der rot-grüne Antrag führt einige Einzelfälle auf. Das Nennen von Einzelfällen bringt aber gerade bei diesem Thema erhebliche Probleme mit sich. Denn es ist nicht an uns, einzelne Verfahren, die zu einem Todesurteil ge- führt haben, zu evaluieren. Unsere Kernaussage muss vielmehr lauten, dass jedes Todesurteil, egal wo, egal wie zustande gekommen und egal gegen wen, falsch ist. Das muss doch das klare Signal sein! Der Antrag von SPD und Grünen bekommt ein Ge- sicht, nämlich jenes der Symbolfigur der Linken. Unser Antrag umfasst aber auch die vielen gesichts- und na- menlosen Hingerichteten weltweit, die keine prominente Stimme haben. Mehrere Tausend Menschen sind nach Schätzungen von Amnesty International allein in China hingerichtet worden. Genaue Zahlen kennt man nicht; sie werden von der chinesischen Staatsführung geheim gehalten. Der Antrag der Linken enthält einen begrifflichen Fehler. Die sogenannten gezielten Tötungen sind nicht mit der Tötung aufgrund einer verhängten Todesstrafe gleichzusetzen. Gleiches gilt für die extralegalen Tötun- gen. Selbstverständlich sind beide Handlungen ethisch- moralisch verwerflich und verstoßen gegen geltendes Recht. Extralegale Tötungen erwähnt die Linke zu meiner großen Verwunderung nur in Kolumbien. Die alleinige Bezugnahme auf Kolumbien wird der globalen Proble- matik nicht gerecht. Erst diese Woche haben wir die Menschenrechtssituation im Nordkaukasus geschildert bekommen. Dass Sie hier nur Kolumbien erwähnen, zeigt, dass Sie auf einem Auge blind sind. Abschließend möchte ich noch kurz auf den Antrag der SPD eingehen. Die SPD hat eine etwas missver- ständliche Formulierung im zweiten Absatz. Da wir ih- ren Antrag aber in den Ausschuss überweisen, werden wir dort die Diskussion dazu mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD führen. Für die FDP ist klar: Das Folterverbot gilt umfassend und absolut. Die Koalition fährt hierzu auch einen klaren Kurs. Im Koalitionsvertrag heißt es auf Seite 150 auch ganz klar: In unserem Regierungshandeln treten wir für die weltweite Abschaffung von Todesstrafe, Folter und unmenschlicher Behandlung ein. Auch in dem Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“, den die Koalitionsfraktionen im Dezember 2009 eingebracht haben, haben wir bereits klare Aussa- gen dazu getroffen. Annette Groth (DIE LINKE): Wir fordern in unse- rem Antrag die weltweite Abschaffung der Todesstrafe. Die Todesstrafe ist eine durch nichts zu rechtfertigende Form grausamer und unmenschlicher Strafe. Sie ist bei Fehlurteilen nicht korrigierbar und wird oftmals rassis- tisch motiviert verhängt. Darüber hinaus lehnen wir die Todesstrafe ab, weil sie politisch immer wieder dazu missbraucht werden kann und missbraucht wird, um politische Gegner und Oppositionelle auszuschalten. Neben der klassischen, legalisierten Form der Todes- strafe hat die Anzahl der extralegalen Tötungen in den letzten Jahren – auch im Zusammenhang mit dem soge- nannten Krieg gegen den Terror – in besorgniserregen- dem Ausmaß zugenommen. Die extralegalen Tötungen werden entweder durch staatliche Sicherheitsorgane oder durch parastaatliche Gruppen vollsteckt. Extrale- gale Tötungen sind Ausdruck einer menschenverachten- den Willkür und gehen meist Hand in Hand mit der An- wendung von Folter und dem Verschwindenlassen der betreffenden Personen. Obwohl es – übrigens im Gegen- satz zur Todesstrafe, die grundsätzlich völkerrechtlich nicht verboten ist – völkerrechtliche Instrumente gibt, fehlt eindeutig der politische Wille zu deren Anwen- dung. Die UN-Generalversammlung hat 2008 erneut mit einer Resolution, 63/182, ihre Grundsätze hinsichtlich der Verhütung und Untersuchung von außergesetzlichen, willkürlichen und summarischen Hinrichtungen bekräf- tigt und die wichtige Rolle des Sonderberichterstatters hervorgehoben. Jedoch wird dieser Mechanismus nicht genutzt und scheint somit politisch nicht gewollt zu sein. Ich fordere an dieser Stelle die Bundesregierung aus- drücklich auf, das Thema der extralegalen und gezielten Tötungen international auch bei ihren Verbündeten auf die Tagesordnung zu setzen. Zurück zur klassischen Form der Todesstrafe: Aktuell haben 139 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder de facto abgeschafft, während 58 Staaten weiterhin an der Todesstrafe festhalten. Weltweit gibt es einen erfreuli- chen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe. So haben in den letzten 15 Jahren 54 Staaten die Todesstrafe abge- schafft, davon allein 15 Länder in den letzten drei Jah- ren. Am 18. Dezember 2007 gab es in der Generalver- sammlung der Vereinten Nationen erstmalig die notwen- dige Mehrheit zur Verabschiedung einer Resolution, die zu einem sofortigen weltweiten Hinrichtungsmoratorium als erstem Schritt zur Abschaffung der Todesstrafe auf- ruft. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ein Mo- ratorium häufig der erstes Schritt zur tatsächlichen Ab- schaffung der Todesstrafe in vielen Ländern war. Ich fordere die Bundesregierung auf, weitere Länder als Un- terstützer für diese wichtige Resolution zu gewinnen. Trotz dieser positiven Initiative werden weltweit mehrere tausend Menschen jährlich hingerichtet und zum Tode verurteilt. Die Länder, in denen die meisten Exekutionen stattfinden, sind China, der Iran, der Irak, Saudi-Arabien, die USA und der Jemen. Mit den vier letztgenannten Staaten unterhält Deutschland umfangrei- che Programme zur Polizei- und Militärkooperation und liefert Technologie zur Ausrüstung der Sicherheitskräfte. In China werden mit Abstand die meisten Todesurteile weltweit vollstreckt. Da Exekutionen in China als Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5169 (A) (C) (D)(B) Staatsgeheimnis behandelt werden, gibt es keine ge- nauen Angaben. Nachdem der Oberste Chinesische Ge- richtshof 2008 alle Todesurteile aus dem Jahr 2007 über- prüft hat und 15 Prozent aller Urteile als fehlerhaft eingestuft hat, wurde dieses Jahr ein neues Gesetz einge- führt, das unter anderem durch Folter erzwungene Ge- ständnisse als ungültig für die Urteilsfindung, besonders bei der Verhängung von Todesurteilen erklärt. Experten erwarten dadurch eine deutliche Reduzierung der Todes- urteile. Vor allem möchte und muss ich an dieser Stelle die Vollstreckung von Todesurteilen an zwei besonders vul- nerablen Gruppen, nämlich an Kindern bzw. Minderjäh- rigen und an Personen mit geistiger Behinderung oder psychisch kranken Personen als unmenschliche Praxis verurteilen. Zu den Ländern, die in diesem oder im letz- ten Jahr die Todesstrafe an Minderjährigen vollzogen ha- ben, gehören Afghanistan, China, der Iran und Saudi- Arabien. Die Praxis der Hinrichtung von Kindern und Jugendlichen ist durch die UN-Kinderrechtskonvention international geächtet, die auch von den betreffenden Ländern ratifiziert worden ist. Zu den Ländern, die die Todesstrafe an Personen mit geistiger Behinderung oder an psychisch kranken Personen vollziehen, gehören ne- ben China, dem Iran und Japan auch die USA. Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA 2002 die Hinrichtung von Straftätern mit einem gestörten geistigen Entwick- lungsstand für verfassungswidrig erklärt hat, ist dagegen die Vollstreckung der Todesstrafe an geistig kranken Personen in den USA weiterhin erlaubt. Ich fordere von der Bundesregierung, sich gegenüber den betreffenden Ländern deutlich gegen die Vollstreckung von Todesur- teilen an Kindern und Menschen mit geistiger Behinde- rung bzw. psychisch Kranken einzusetzen. Darüber hinaus verfolge ich mit großer Besorgnis die Entwicklung im Iran, wo allein in diesem Monat rund 20 Todesurteile vollstreckt worden sind. Am 9. Mai wur- den in Teheran vier Männer und eine Frau kurdischer Abstammung gehängt. Bereits Anfang des Jahres wurde die Hinrichtung von zwei Männern bekannt, die im Zuge der Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr in Schauprozessen zum Tode verurteilt worden wa- ren. Gegenwärtig befinden sich mindestens neun weitere Personen, die in ähnlichen Prozessen verurteilt worden sind, im Todestrakt. Als menschenrechtliche Sprecherin meiner Fraktion verurteile ich jede Anwendung der Todesstrafe ebenso wie jede Form von extralegalen Tötungen weltweit und werde weiterhin für deren Abschaffung kämpfen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Todesstrafe muss weltweit abgeschafft werden. – Das ist keine Floskel und keine Binsenweisheit; die For- derung nach der Abschaffung der Todesstrafe ist eine der, wenn nicht gar die zentrale Forderung der weltwei- ten Menschenrechtspolitik. Es war deshalb in den vergangenen Legislaturperio- den nur folgerichtig und auch der Sache angemessen, dass die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, der FDP und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser allzu wichti- gen Sache gemeinsam Anträge gestellt haben. Hierdurch konnte der Deutsche Bundestag ein starkes Zeichen an all jene Staaten senden, die nach wie vor auf der Todes- strafe beharren. Wir konnten ein starkes Zeichen an jene Menschen senden, die von der Todesstrafe bedroht sind. Und wir konnten ein starkes Zeichen an jene Nichtregie- rungsorganisationen senden, die tagtäglich für die Ab- schaffung und Zurückdrängung der Todesstrafe kämpfen und dafür unsere Unterstützung benötigen. Dieses starke Zeichen bleibt in dieser Wahlperiode unter Schwarz-Gelb aus – unter einer Koalition, die sich christliche Werte und liberale Freiheitsrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das ist eine Schande für diese Koalition und blamiert den Deutschen Bundestag. Ein gemeinsamer Antrag konnte nicht zustande kom- men, weil die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, insbesondere die angeblichen Menschenrechtspolitikerin- nen und -politiker der Union, nicht mit den Oppositions- fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusammenarbeiten wollten. In der Finanzpolitik, der In- nenpolitik, der Wirtschaftspolitik – auf vielen Politikfel- dern – kann, vielleicht sogar: muss die Koalition ihren Weg alleine gehen. In der Menschenrechtspolitik aber ist eine solche Verweigerungshaltung schlicht borniert und zeugt von der mangelnden Souveränität, sich Diskussio- nen und Argumenten zu stellen. Die Arroganz der Macht können in einer Demokratie jene zeigen, die die Mehr- heit haben. In einer Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe kostet sie jedoch möglicherweise Menschen- leben. Diese Verweigerungshaltung hat zwei überaus bittere Facetten: Erstens ist die Sache, um die es hier geht, viel zu wichtig, um sich einer Diskussion einfach zu verschlie- ßen. Die Forderung nach der Abschaffung der Todes- strafe folgt unmittelbar aus der Menschenwürde. Dies kann in zahlreichen Menschenrechtspakten nachgelesen werden; zumindest sei den Koalitionsabgeordneten aber ein Blick in das Grundgesetz empfohlen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, steht dort als allererstes in Art. 1 Abs. 1. Das scheint bei den vermeintlichen Menschenrechtspolitikern von Schwarz-Gelb in Vergessenheit geraten zu sein. Denn was, wenn nicht die Drohung mit dem Tod macht den Menschen mehr zum Objekt staatlichen Handelns und beraubt ihn damit seiner Würde? Für was, wenn nicht die Abschaffung der Todesstrafe lohnt es sich als aufge- klärter Mensch und Menschenrechtspolitiker mehr zu streiten? Zweitens betreibt die Koalition parteipolitische Machtspielchen, zum einen mit den Oppositionsfraktio- nen – was nur ein wenig peinlich, aber nicht weiter schlimm ist –, zum anderen aber auf dem Rücken der von der Todesstrafe bedrohten Menschen. Ich werfe kurz einen Blick zurück: Wir haben gemeinsam an einem An- tragsentwurf gearbeitet, lange und intensiv, haben die Änderungswünsche der Koalition berücksichtigt und eingearbeitet und uns bei Zahlen und Fakten immer wie- der bei Amnesty International rückversichert. In alle 5170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) Entscheidungsprozesse war die Koalition eingebunden – bis schließlich und plötzlich der Rückzieher kam. Dies war ein Schlag ins Gesicht für alle von der Todesstrafe bedrohten Menschen, für alle NGOs, die gegen die To- desstrafe kämpfen, und für Amnesty International, die kurz zuvor den Bericht zur Todesstrafe veröffentlicht hatte. Freuen dürften sich dagegen all jene, die an der Todesstrafe weiter festhalten, die Regimes in China, dem Iran oder Sudan beispielsweise. Was tun nun wir Men- schenrechtspolitiker, wenn wir in diese Länder reisen und Vertreter der dortigen Regierungen treffen? Ein star- kes und einstimmiges Votum des Bundstages können wir ihnen nicht vorhalten. Nur einen Oppositionsantrag, der von der Mehrheit des Hauses überstimmt wurde, oder ein gespaltenes Votum, wenn der Antrag der Koalition in der nächsten Woche kommt. Als ob wir in dieser Frage unüberbrückbare Differenzen hätten. Eine Schande ist das. Ich kenne ja die Argumente der Koalition. Sie hat sie lapidar vorgetragen, als sie erklärte, bei einem gemeinsa- men Antrag nicht weiter mitarbeiten zu wollen. Erstens sagte die Koalition, sie wolle keine Einzelfall- politik betreiben. Sieben Einzelfälle aus drei verschiede- nen Staaten haben wir exemplarisch aufgeführt. Waren dies sieben zu viel oder 10 000 zu wenig? Keiner konnte es uns erklären. Wer aber wie die Koalitionsfraktionen meint, Menschenrechtspolitik könne man losgelöst von Einzelschicksalen betreiben, der hat das Wesen und den Sinn der Menschenrechte nicht verstanden. Denn Men- schenrechtspolitik hat immer zwei Dimensionen, einer- seits die Strategie der Verrechtlichung und der Durchset- zung der Menschenrechtsabkommen, andererseits den Kampf um Einzelschicksale. Denn wenn Staaten zu gro- ßen rechtlichen und politischen Veränderungen noch nicht willens oder in der Lage sind, bleibt uns nichts an- deres übrig, als uns um die einzelnen Betroffenen zu kümmern. Das mag exemplarisch sein und muss deshalb Stückwerk bleiben. Vielleicht ist es auch nicht ganz ge- recht gegenüber denjenigen Menschen, für die man sich nicht hat einsetzen können, weil ihr Einzelfall nicht be- kannt geworden ist. Doch diesem moralischen Dilemma kann man nicht dadurch begegnen, rein gar nichts zu un- ternehmen. Denn im Einsatz für die Menschenrechte geht es in erster Linie immer um die Menschen, nicht nur um große politische Ziele oder pathetische Reden. Einzelschicksale exponiert herauszuheben wird also nie obsolet werden, andernfalls würden viele Chancen, Menschen zu helfen und Menschenleben zu retten unge- nutzt verstreichen, während wir auf den großen Wurf warten. Wer da behauptet, sie oder er könne einem An- trag zur Abschaffung der Todesstrafe aus dem Grund nicht zustimmen, es gehe darin um Menschen und Indi- viduen, der ist schlichtweg zynisch und an der Sache nicht wirklich interessiert. Zweitens sagt die Koalition, sie fordere die Abschaf- fung der Todesstrafe ja auch, nur halt nicht so explizit. Die Forderung stünde schließlich in dem Antrag von CDU/CSU und FDP mit dem schönen Titel „Menschen- rechte weltweit schützen“. Natürlich steht sie dort drin. Als dritte von siebzehn Forderungen. Diese versteckte Forderung ist ein politisches Nullum, und die Koalition unterstreicht diese Einstellung durch ihr Verhalten in der hiesigen Debatte. Nun hat sie einen Antrag zur Abschaf- fung der Todesstrafe für die nächste Sitzungswoche an- gekündigt, ohne Debatte und Aussprache. Der Bundes- tag zerfällt also in dieser Wahlperiode bei der Forderung nach der Abschaffung der Todesstrafe erstmalig seit lan- ger Zeit in Koalition und Opposition. Das ist blamabel. Denn nur ein klares gemeinsames Signal hätte eine große Wirkung erzielen können. Wem die Zurückdrängung und Abschaffung der To- desstrafe wirklich ein politisches Anliegen ist, der muss aufstehen und sich aktiv dafür engagieren. Selbst unser Antrag ist hierbei nur ein kleiner Beitrag. Aber er ist wertvoll und wichtig, um den Kampf gegen die Todes- strafe zu unterstützen. Wir fordern etwa, China an die Umsetzung seiner Selbstverpflichtung zur Ratifizierung zu erinnern und auf die chinesische Führung einzuwirken, die Verhän- gung und Vollstreckung der Todesstrafe sukzessive ein- zuschränken. Eine Forderung, die es Amnesty Internatio- nal deutlich erleichtern würde, im kommenden Jahr wieder einen Bericht über die Todesstrafe vorlegen zu können, in dem auch valide Zahlen zu China genannt werden können. Durch diesen Bericht wiederum würde sich die weltweite Aufmerksamkeit auf die immense Zahl an Exekutionen in China richten und viele Men- schenleben retten. Auch fordern wir, gegenüber Russ- land auf die Ratifikation des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe zu drän- gen. Schließlich ist Russland nach wie vor das einzige Land im Europarat, das sich dem verweigert. Bundes- außenminister Westerwelle propagiert momentan, mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow über eine Mo- dernisierungspartnerschaft zu verhandeln. Warum sollte er diese Forderung also im Rahmen dessen nicht erhe- ben? Warum soll der Bundestag in vorauseilendem Ge- horsam darauf verzichten, ihn hierzu zumindest aufzu- fordern? Der Iran richtet Minderjährige hin und bricht dadurch seine eigenen völkerrechtlichen Verpflichtun- gen. Die Bundesregierung muss gegenüber Iran darauf drängen, dass dies beendet wird. Und auch auf die USA sollte die Bundesregierung einwirken, damit die Todes- strafe in allen Bundesstaaten abgeschafft und die zum Tode verurteilten Menschen begnadigt werden. – Viele kleine Schritte sind dies, zugegeben. Aber es wären enorm wichtige. Es geht hier um einen langen Atem. Es geht um kon- sistente und kohärente Politik. Es geht um den Wesens- kern unseres Grundgesetzes und aller Menschenrechts- pakte. Ich bitte Sie daher herzlich und nachdrücklich, dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zuzustimmen. Alles andere wäre fatal. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechsten Ge- setzes zur Änderung des Weingesetzes (Tages- ordnungspunkt 20) Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir beraten heute eine Änderung des Weingesetzes. Mit dieser Änderung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5171 (A) (C) (D)(B) soll wieder mehr Gerechtigkeit für alle weinerzeugenden Betriebe geschaffen werden. Wir wollen bislang beste- hende Möglichkeiten einer Umgehung der qualitäts- orientierten Mengenbegrenzung im Weinbau ab der Ernte 2010 verhindern. Ich sehe darin das Schließen ei- ner Lücke, die es bislang ermöglicht hat, mehr Wein auf den Markt zu bringen, als die bestehende Hektarhöchst- ertragsregelung zulässt. Mit der Novellierung des Weingesetzes wird die von unterschiedlichsten Verbänden und Interessengruppen der Weinwirtschaft in der Vergangenheit mehrfach vor- getragene Forderung erfüllt, wonach der gesetzlich vor- geschriebene Hektarertrag nicht nur von den Erzeugern, sondern auch von allen nachfolgenden Handelsstufen einzuhalten ist. Wenn Umrechnungsfaktoren von Trauben in Kilo- gramm zu Wein in Liter oder von Most in Liter zu Wein in Liter verwendet werden, müssen diese realistisch defi- niert und von allen eingehalten werden. Jeder Winzer muss sich an die gesetzliche Vorgabe halten, pro Hektar Rebfläche nicht mehr als die erlaubte Menge an Wein in Litern zu erzeugen. Werden geerntete Trauben zur Wei- terverarbeitung etwa an eine Kellerei verkauft, wird de- ren Gewicht in Liter umgerechnet, um die Übereinstim- mung mit der Höchstertragsregel festzustellen. Dies geschieht der Einfachheit halber nach dem generellen Schlüssel: 100 Kilogramm Trauben = 75 Liter Wein. Im Gegensatz zu diesem theoretischen Umrechnungs- faktor 0,75 konnten bisher aber in der Praxis auch deut- lich darüber liegende Mengen als Qualitätswein ver- marktet werden. Die Hektarertragsregelung muss heute daher im Weingesetz so verankert werden, dass eine Umgehung künftig ausgeschlossen ist. Der Verkauf von Trauben hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt und belief sich in der Ernte 2009 bereits auf 10 Prozent der rheinland-pfälzischen Ge- samterntemenge von 6,1 Millionen Hektoliter. Die mehr- jährige Statistik des Genossenschaftsverbandes zu den Auskelterungsergebnissen der größten Winzergenossen- schaften in Rheinland-Pfalz belegt, dass der geltende Umrechnungsfaktor 0,75 in diesen Betrieben nach wie vor dem tatsächlichen Ergebnis entspricht. Eine Erhöhung auf einen durch intensive Auspres- sung erzielbaren Wert von 0,80 oder mehr widerspricht unserem konsequenten Qualitätsstreben. Deshalb bleibt es heute beim für alle Rebsorten gültigen Umrechnungs- faktor 0,75 von Trauben zu Wein. Die Abgabe von Most durch Erzeuger an nachfol- gende Handelsstufen lag in den letzten Jahren bei etwa 18 Prozent der Gesamterntemenge. Aufgrund der durch Einsatz schonender Ernte- und Verarbeitungstechnik nur noch niedrigen Trubanteile im Most wollen wir die Än- derung des Umrechnungsfaktors 0,95 von Most – in Li- ter – zu Wein – in Liter – auf 0,97 im jetzigen Gesetzge- bungsverfahren festlegen. Als Auswirkung der Änderung des Mostfaktors er- warte ich, dass vor allem die aufkaufenden Kellereien bei der Weinbereitung aus Most nicht in die missliche Lage kommen, erzeugte Mehrmengen in die Destillation abführen zu müssen. Weiterhin wird erst der aufnehmen- den Hand eine Abstufung in niedrigere Qualitätsstufen analog zum Winzerbetrieb ermöglicht, damit Gerechtig- keit für alle Wettbewerber auf gleichem Niveau herge- stellt ist. Ich denke, dass die oben angegebenen Maßnahmen ein richtiger und wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Chancengleichheit im Weinbau sind. Ich möchte mich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit mit der SPD-Fraktion und auch der Landesregierung in Mainz bedanken, aber auch bei der Bundesministerin Ilse Aigner, MdB, und der Parlamentarischen Staatssekretä- rin Julia Klöckner, MdB, für ihre konstruktive Hilfe bei der Überarbeitung dieses fraktionsübergreifenden An- trags, der jetzt beschlossen werden soll. Ich bedanke mich auch bei den Bundesländern, die für eine abschlie- ßende Beratung im Bundesrat ihre Zustimmung signali- siert haben und so den Wünschen des Landes Rheinland- Pfalz und der Weinwirtschaft entsprechen. Sie alle haben eingesehen, dass Qualität unser bestes Verkaufsargument ist. Dieses Gesetz dient der Qualitätssicherung, wenn nicht sogar der Qualitätsverbesserung. Damit sind wir auch auf gutem Weg, wenn es bei der Umsetzung der Weinmarktreform der Europäischen Union darum geht, unseren deutschen Wein entsprechend positiv herauszu- stellen. Hierzu erwarte ich auch konstruktive Vorschläge der Weinbau- und Kellereiverbände. Ich freue mich, gleich im Anschluss auf dem Sommerfest meines Hei- matlandes ein Glas hochwertigen Weins zu genießen und danke allen, die daran beteiligt waren, dieses Qualitäts- niveau zu bewahren. Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das sechste Gesetz zur Änderung des Weingesetzes. Seit der ersten Lesung am 21. Mai hat sich nicht wirklich viel getan, doch auch heute hat sich das Struck’sche Gesetz wieder einmal bewahrheitet: Kein Gesetz kommt ins Parlament und verlässt es unver- ändert. Bereits vor der ersten Lesung haben wir uns so eng sowohl mit der Weinwirtschaft als auch mit den Landes- regierungen der Weinbau betreibenden Länder abge- stimmt, dass wir das Gesetz überfraktionell einbringen konnten. Wir waren uns alle einig, die notwendigen und längst überfälligen Änderungen in der Hektarertragsre- gelung schnell und unkompliziert in Kraft zu setzen, da- mit sie pünktlich zur Lese 2010 rechtskräftig werden. Besonders hilfreich war hier die gute Zusammenar- beit mit dem Ministerium in Mainz und die Beratungen mit der Weinwirtschaft. Die Ergebnisse mündeten dann auch im Änderungsantrag der Koalition, dem wir nach einer kurzen aber fruchtbaren Ausschusssitzung zustim- men konnten. Alles in allem ein schnelles und konstruk- tives Gesetzesverfahren, gut vorbereitet, klar in der Sa- che und schnell durchgesetzt. Das hätte die Koalition alleine sicher nicht so reibungslos hinbekommen, auch wenn sie im Nachhinein so tut, als hätte sie es alleine ge- tan. Ich muss schon sagen, dass das, was ich am 9. Juni in der Presse vom Kollegen Bleser gelesen habe, schon 5172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) recht peinlich war. Ich zitiere: „Die christlich-liberale Koalition hat heute eine dringend notwendige Korrektur des Weingesetzes vorgenommen und damit auf Fehlent- wicklungen der vergangenen Jahre reagiert.“ Hier wurden so oft das Koalitionshandeln und die Wichtigkeit des Vorhabens beschworen, dass es schon verdächtig ist. Herr Bleser, nur um es gerade zu rücken: Dieses Gesetz haben wir überfraktionell eingebracht und beschlossen. Ohne Ihre ganz persönliche Blockade hät- ten wir es schon 2009 erledigt, und auch in diesem Ver- fahren haben Sie sich sicher nicht als Öl im Getriebe her- vorgetan. Die Lorbeeren Ihrer Fraktion darf sich Ihr Kollege Schindler abholen, der eine gute und konstruk- tive Zusammenarbeit im Interesse der deutschen Wein- wirtschaft geleistet hat. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Vor wenigen Wochen, im Mai, haben wir eine Gesetzesänderung be- raten, die sowohl Erzeugern wie Verbrauchern nutzen sollte und die eigentlich auch alle wollten. Die Hektar- ertragsregelungen sollten nicht nur für Winzer, sondern für alle Wein verarbeitenden Betriebe gelten. Unsere Fraktion wurde an der Erarbeitung der Geset- zesnovelle aufgrund des immer noch geltenden Unver- einbarkeitsbeschlusses der CDU/CSU nicht beteiligt. Dieses parlamentarisch unwürdige und undemokratische Verhalten kennen wir bereits. Inhaltlich allerdings trennt uns in der Weingesetzfrage nur wenig von den Fraktio- nen, die auf dem Antrag stehen; wir sind uns eigentlich einig: Deutscher Wein soll nicht durch Menge, er soll durch Qualität punkten. Um dies zu ermöglichen – ich hatte bereits in der ersten Lesung darauf hingewiesen – will die Linke regionale Wertschöpfungsketten fördern und ökologisch unsinnige Transporte teurer machen. Denn es ist nicht einzusehen, warum Wein, der mehrere 10 000 Kilometer entfernt industriell von prekär Be- schäftigten hergestellt wurde, nur ein Drittel des hier bei uns sozial und ökologisch nachhaltig produzierten Weins kostet. Hier müssen wir ansetzen, um unsere europäi- sche, unsere deutsche Weinwirtschaft zu stärken. Damit wäre eigentlich alles gesagt. Aber plötzlich kommt die CDU/CSU mit einem Än- derungsantrag zur Novelle heraus, die sie selbst mit ein- gebracht und verfasst hatte. Der Umrechnungsfaktor von Most zu Wein soll von 95 auf 97 erhöht werden. Sind wir denn in Auerbachs Keller? Genau so, wie Mephisto in Goethes Faust dort jedem den gewünschten Wein aus dem Tisch herauszaubert, scheint es, dass Sie es allen recht machen wollen; denn was bedeutet denn Ihre Än- derung faktisch? Durch die Anhebung des Umrech- nungsfaktors für Most zu Wein von 95 auf 97 kann nun mehr Wein aus dem Most hergestellt werden als bisher. Damit machen Sie die ursprüngliche Änderung, nämlich die Hektarertragsregelung auch auf Betriebe anzuwen- den, welche selbst keine Weintrauben produzieren, wie- der zunichte. In der Novelle sollte nun erst die Weinqualität gesi- chert werden, damit deutscher Wein eben durch Qualität punkten kann. Vor wem aber knicken Sie hier nun wie- der ein? Reicht es aus, wenn ein paar Lobbyisten oder Unternehmen sich beklagen, damit Sie eine Änderung, die vielen nutzen würde, auch dem Verbraucher, wieder zurücknehmen? Bei Ihnen verwandelt sich der Wein in Wasser; denn sie wollen einfach den Umrechnungsfaktor von Most zu Wein anheben. Wie ich schon bei der ersten Lesung befürchtete, geht es hier um Flickschusterei. Da- bei haben wir davon im Weinrecht wirklich schon genug. Was wir brauchen, ist keine Zahlenklauberei, sondern ein mit Weitblick verfasstes neues Weinrecht innerhalb der Gemeinsamen Marktordnung. Darüber hinaus scha- den Sie mit Ihrem legislativen „Gepansche“ der Qualität und dem Ruf des deutschen Weins. Ihr Zickzackkurs mag gut sein für den Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, er mag einigen Winzern und Kellereien Hoffnung machen. Das, was die Gesetzesnovelle aber bewirken sollte, nämlich Verlässlichkeit und Sicherheit für Erzeuger und Verbraucher, das konterkarieren Sie mit Ihrem Hin und Her. Die Linke kann und will sich dem nicht anschließen. Die Linke tritt aber genau so, wie es im ursprünglichen Antrag vorgesehen war, für die Verbindlichkeit der Hektarertragsregelungen ein. Wir werden deshalb den Änderungsantrag ablehnen und uns bei der Abstimmung über die Novelle enthalten. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be- reits in unserer Stellungnahme zur ersten Lesung hatten wir den Ansatz einer sinnvollen Mengenregulierung bei den Weinerträgen begrüßt und deshalb aktiv die inter- fraktionelle Initiative zur Änderung des Weingesetzes in den relevanten Punkten mitgetragen. Es ist äußerst be- dauerlich, dass die Regierungsfraktionen und hier spe- ziell die Union durch einen formalen wie inhaltlichen Zickzackkurs diese seltene interfraktionelle Geschlos- senheit jetzt aufbricht, so dass uns eine Zustimmung lei- der nicht mehr möglich ist. Der deutsche Weinbau hätte eine fraktionsübergreifende Unterstützung verdient, aber wie sollen wir dem Aufruf der Regierungsfraktionen zur Zustimmung entgegenkommen, wenn diese offenbar selbst nicht so genau wissen, was Sie eigentlich wollen?! Der quasi in letzter Minute eingebrachte Änderungs- antrag der Unionsfraktion im AfELV ist ein Signal an die Branche, dass in Sachen Umrechnungsfaktoren und damit der tatsächlichen Mengenbegrenzung noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Statt ein klares Bekennt- nis zur Qualitätsausrichtung – und damit zu einer geziel- ten Mengenregulierung – abzugeben, ermuntern die Re- gierungsfraktionen damit die Profiteure der Mehrungen, an ihrer Strategie der Ausreizung aller Möglichkeiten zur Volumensteigerung festzuhalten. Abschließend noch eine kurze Bemerkung zu einem aktuellen Thema, dass vielen Winzern auf der Seele liegt: in vielen Regionen gibt es zurzeit Unmut über die laufende Registrierung von Flächen im neuen Erosions- kataster. Wir finden es bedauerlich, wenn die an sich sehr sinnvolle Erfassung potenziell erosionsgefährdeter Flächen und deren Einstufung in verschiedene Risiko- kategorien durch handwerkliche Fehler in der Umset- zung auf Landesebene als bürokratische Eingriffe wahr- genommen werden. Auch wenn es für die Betriebe kein Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5173 (A) (C) (D)(B) Trost sein dürfte: zu den jetzigen Problemen hat maß- geblich auch die Verzögerungstaktik von Union und DBV beigetragen. Jahrelang hat man sich auf die Ver- schleppung und Verdrängung der Thematik konzentriert. Diese Zeit hätte man besser nutzen können und müssen, um die Betriebe und Behörden auf das Erosionskataster vorzubereiten. Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen deshalb auf, jetzt schleunigst die Be- triebe bei der konkreten Umsetzung der neuen Vorgaben zu unterstützen und sie nicht in einem bürokratischen Chaos allein zu lassen! Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Hochwasserschutz europäisch und ökolo- gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte- griertes Hochwasserschutzkonzept – Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feuchtge- bieten fördern – Hochwassergefahren min- dern, Klima schützen – Auenschutzprogramm vorlegen (Tagesordnungspunkt 21) Ingbert Liebing (CDU/CSU): In den vergangenen Wochen kam niemand umhin, über die Fernseher den abermaligen rasanten Anstieg der Pegel am deutschen Lauf der Oder verfolgen zu müssen. Die Bilder des Jahr- hunderthochwassers an der Oder im Jahr 1997 sind nach wie vor in unseren Köpfen präsent. Doch obwohl sich auch in diesem Jahr wieder eine außergewöhnliche Flut- welle ankündigte, unterschied sich die diesjährige Situa- tion doch grundlegend von der vor 13 Jahren: Das Gros der Deiche ist seit 1997 fast durchweg von Grund auf sa- niert worden, und die Schäden der diesjährigen Flut fie- len erheblich geringer aus als noch 1997. Die daraus resultierende grundlegende Verbesserung der Hochwassersituation in Deutschland ist Ergebnis entschiedenen Handelns aller politisch Verantwortli- chen: Die Hochwasserproblematik wurde erkannt, es wurden zeitnah die richtigen Maßnahmen ergriffen, und der Hochwasserschutz befindet sich in Deutschland heute auf dem richtigen Weg. Diese Ansicht äußerte im Übrigen auch der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel in einer Pressemitteilung vom 26. April 2007 anlässlich der Verabschiedung der europäischen Hochwasserschutzrichtlinie. Aus diesem Grund über- rascht die Kritik, die die SPD in ihrem der heutigen De- batte zugrunde liegenden Antrag „Hochwasserschutz eu- ropäisch und ökologisch nachhaltig umsetzen“ übt. Bis vor einem guten halben Jahr war doch ein SPD-Umwelt- minister für den Hochwasserschutz verantwortlich! Dabei will ich den Kollegen von der SPD grundsätz- lich durchaus zustimmen, belegt durch das von mir ein- gangs bereits skizzierte Beispiel: Hochwasserschutz ist und bleibt wichtig! An dieser Stelle möchte ich auf zwei Anträge zurück- kommen, mit denen wir uns in der vergangenen Sit- zungswoche im Plenum beschäftigt haben: zum einen auf einen Antrag von der SPD zum Wasserhaushalt in Feuchtgebieten, Drucksache 17/1748, zum anderen auf einen Antrag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Vorlage eines Auenschutzprogramms, Drucksache 17/1760. Da diese drei Vorlagen durchaus grundsätzlich wich- tige Anliegen aufgreifen und auch der Koalitionsvertrag der christlich-liberalen Bundesregierung die Reaktivie- rung natürlicher Auen für den Natur- und Hochwasser- schutz sowie die Renaturierung von Flusstälern, wo im- mer möglich, beabsichtigt, möchte ich zusammen mit meinem Kollegen Josef Göppel anbieten, dass wir hier zu einem gemeinsamen Beschluss kommen und diesen Themenkomplex erneut behandeln. Bis dahin widerspreche ich allerdings entschieden dem Eindruck, den der vorliegende SPD-Antrag vermit- telt, Hochwasserschäden würden immer dramatischer und die Bundesregierung arbeite diesen nicht entschie- den und aktiv genug entgegen. Einige ausgewählte Bei- spiele belegen das Engagement der Bundesregierung: Umsetzung der EU-Hochwasserrisikorichtlinie durch das neue Wasserhaushaltsgesetz, wobei der Kernbe- standteil ein integrierter Ansatz im Bereich der Hoch- wasserrisikovorsorge ist; Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung des Wasserrückhalts in der Landschaft und Rückbau von Deichen zur Wiedergewinnung von Überschwemmungsgebieten im Rahmen der Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“; Weiterentwicklung der deutschen An- passungsstrategie an den Klimawandel, die im Dezem- ber 2009 verabschiedet wurde und an deren Weiterent- wicklung die Bundesressorts derzeit mit der Zielsetzung arbeiten, im Frühjahr 2011 einen mit den Bundesländern abgestimmten Aktionsplan vorzulegen. Neben dem falschen Eindruck, den der vorliegende Antrag bezüglich des Hochwassermanagements der Bundesregierung erweckt, gibt es einen weiteren we- sentlichen Grund, warum wir diesen ablehnen: Er ver- kennt in wesentlichen Punkten die kompetenzrechtlichen Rahmenbedingungen, aufgrund derer die Zuständigkeit für Planung und Umsetzung der Maßnahmen des vorsor- genden Hochwasserschutzes bei den Bundesländern lie- gen. Beispielsweise ist ein eigenes Auenschutzpro- gramm der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht möglich. Abschließend möchte ich festhalten: Deutschland be- findet sich beim Hochwasserschutz auf dem richtigen Weg; das letzte Oder-Hochwasser hat dies eindrücklich belegt. Es wurde bereits viel Gutes auf den Weg ge- bracht; wir nehmen die Thematik dennoch weiterhin ernst. Aus diesem Grund sind auch wir an einer noch besseren Verknüpfung der Bereiche naturnaher Wasser- haushalt, Renaturierung von Feuchtgebieten und Schutz der Auen interessiert; denn davon würde wiederum auch 5174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) der Hochwasserschutz profitieren. Das Angebot an die Oppositionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu gemeinsamen Gesprächen ist hiermit gemacht. Josef Göppel (CDU/CSU): Wir haben die Bilder der Hochwasser an Weichsel und Oder der letzten Wochen und Monate vor Augen. Die Zahl der Todesopfer in un- serem Nachbarland Polen ist indes auf 15 angestiegen. Tausende Häuser und Straßen stehen unter Wasser. Für Polen sind es die schlimmsten Überschwemmungen seit über 100 Jahren. Polens Regierungschef Donald Tusk beziffert die Schäden auf 2,5 Milliarden Euro. In Deutschland nehmen die Hochwasserschäden nicht zu. Nach der Flutkatastrophe von 1997 und den Hoch- wassern an Elbe und Oder 2002 wurden alte Dämme und Deiche saniert und neue gebaut. In Deutschland ist viel für den Hochwasserschutz getan worden. Alle Regierun- gen der vergangenen Jahre, gleich welcher politischen Konstellation, haben zu dieser Verbesserung beigetra- gen. Die jetzige Koalition steht ebenfalls für einen konse- quenten Hochwasserschutz. Ich darf hierzu aus dem Ko- alitionsvertrag zitieren: Frei fließende Flüsse haben einen hohen ökologi- schen Wert. … Für den Natur- und Hochwasser- schutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Fluss- täler, wo immer möglich, renaturiert werden. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und der sich ergebenden Folgen für den Wasserhaushalt wird sowohl der Hochwasserschutz als auch der Schutz der Ressource Trinkwasser immer bedeutender. Hochwasserschutz meint dabei nicht nur technischen Schutz und Verbauun- gen. Der effektivste Hochwasserschutz ist unbestritten der Schutz der natürlichen Flusslandschaften und der Flussauen mit allen positiven Nebeneffekten für den Grundwasser- und Naturschutz. Wir müssen den Flüssen wieder mehr Raum geben, damit Flüsse ihrer natürlichen Dynamik folgen können und Rückhalteflächen geschaf- fen werden. Deshalb bin ich aktives Mitglied der parla- mentarischen Arbeitsgruppe „Frei fließende Flüsse“. Die am 7. November 2007 verabschiedete Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt umfasst auch den Au- enschutz. Das Bundesumweltministerium hat den Auen- zustandsbericht im Oktober 2009 vorgelegt. Es ist ver- einbart, dass im Rahmen der Umsetzung der Nationalen Strategie ein Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ erarbeitet werden soll. Das Bundesumweltministerium arbeitet an der Vorbereitung dieses Bundesprogramms. Es sieht einen Förderschwerpunkt beim Schutz der Flussauen vor. Ein nur auf die Kompetenzen des Bundes bezogenes Auenschutzprogramm ist nicht sinnvoll, weil die Kom- petenzen nicht alleine beim Bund liegen, sondern sich auf Bund, Länder und Gemeinden verteilen. Dennoch greifen die Anträge wichtige Anliegen auf. Dazu gehö- ren die Reinhaltung des Grundwassers, die Sicherung der Trinkwasservorräte und die Sicherung der Artenviel- falt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade in den Feucht- gebieten, Flussauen und Mooren die Artenvielfalt am meisten bedroht ist. Die Forderung, den Erhalt und die Renaturierung von Feuchtgebieten bei der Neuregelung der Gemeinsamen Agrarpolitik einzubeziehen, ist sinnvoll. Ich persönlich unterstütze die Forderung nach der Schaffung einer Ge- nehmigungspflicht für den Umbruch von Grünland und ein Umbruchverbot auf feuchten und anmoorigen Stand- orten. Genauso sinnvoll ist die bekannte Forderung, die Ausweisung von Bauland in der Aue zu unterlassen. Bauland in der Aue provoziert Hochwasserschäden und erzwingt teure technische Schutzmaßnahmen, die sich volkswirtschaftlich nicht rechnen. Wir benötigen durchaus bundesweite Lösungsansätze. Ein Hochwasser macht nicht an einer Landesgrenze halt. Die Themen, die wir auf Bundesebene anpacken können, sollten wir gemeinsam in Angriff nehmen und zielorien- tiert diskutieren. Ökologischer Hochwasserschutz und Auenschutz gehen dabei Hand in Hand. Ich möchte deshalb mein Angebot für einen gemein- samen Antrag zum Schutz des Wasserhaushaltes und der Feuchtgebiete erneuern. Oliver Kaczmarek (SPD): Wir reden nicht häufig über Wasser in Deutschland. Hohe Standards in der Was- serwirtschaft, der Trinkwasserversorgung und der Ab- wasserbeseitigung gehören zum Alltag. Der damit ver- bundene Aufwand wird zu häufig nicht gesehen. Gesprochen wird über Wasser meist im Zusammenhang mit Bedrohungen oder manchmal auch Katastrophen. Diese Ereignisse stellen uns immer wieder vor die He- rausforderung, neu über den Gewässerschutz und den Schutz vor Hochwassern zu debattieren. Vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels spielt der ökologische Gewässerschutz eine immer wich- tigere Rolle. Naturnahe Gewässer sind der beste Schutz vor Hochwasser und somit auch ein Schutz des Men- schen. Die jüngsten Hochwasser an Weichsel und Oder mit ihren Nebenflüssen haben deutlich gemacht, welche He- rausforderungen infolge klimatisch bedingter Extrem- wetterereignisse zukünftig zu erwarten sind: Hochwas- ser folgen nicht nur in immer kürzeren Abständen; auch die Sachschäden für die Bürgerinnen und Bürger werden von Mal zu Mal schwerwiegender. Der Klimawandel verschärft durch zunehmenden Starkregen die Probleme. In der Folge werden in Deutschland die Niederschläge im Winter zu-, im Sommer jedoch abnehmen. Als mögliche Auswirkungen auf den Wasserhaushalt ist von einer steigenden Hoch- wasserwahrscheinlichkeit im Winter und im Frühjahr – unter anderem durch die geringere Niederschlagsspei- cherung als Schnee – auszugehen. Wir müssen jetzt konsequent handeln, um auf diese Herausforderung zu reagieren: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5175 (A) (C) (D)(B) Erstens. Nachhaltiger Hochwasserschutz ist ökologi- scher Hochwasserschutz. Naturnahe Wasserspeicher leisten den nachhaltigsten Beitrag zum effektiven Schutz vor Hochwassern in den Siedlungsgebieten. Zweitens. Wir müssen uns stärker als bisher bewusst machen, dass Programme und Maßnahmen nicht singu- lär zu betrachten sind. Die Formel ist: Naturschutz ist Klimaschutz und Klimaschutz ist Hochwasserschutz. Deswegen ist Hochwasserschutz auch untrennbarer Teil der Strategie zur Bewältigung des Klimawandels. Drittens. Europäisch denken heißt: Wir müssen mitei- nander über ökologischen Hochwasserschutz einen Kon- sens finden. Das haben uns die Ereignisse an der Weich- sel noch einmal deutlich vor Augen geführt. Der Wasserhaushalt hat sich in der gesamten Land- schaft drastisch verändert. In den letzten 100 Jahren wurden Flüsse und Bäche begradigt, Auen ausgedeicht und landwirtschaftlich genutzt oder bebaut, Moore und Feuchtgebiete entwässert, Böden verdichtet und versie- gelt und Wälder zu nicht standortgerechten artenarmen Forsten umgebaut. Wer allerdings verheerende Hochwasser nachhaltig vermeiden möchte, der kommt nicht umhin, den Flüssen ihren Raum zurückzugeben. Die Fehler der Vergangen- heit wie Kanalisierung und Begradigung der Flüsse, Wiesenumbruch in den Talauen und Bodenverdichtung werden mittlerweile gebietsweise rückgängig gemacht. Aber bis heute setzen sich die Flächenversiegelung und der Zugriff auf Überschwemmungs- und Flusseinzugs- gebiete für neue Straßen, Bau- und Gewerbegebiete fort. Natürliche Wasserspeicher wie Auen und Moore sind gegenwärtig zu einem Großteil zerstört. Sie schützen aber wirksamer vor Hochwasser als technische Lösun- gen wie Stahlmauern oder immer höhere Deiche. Hinzu kommt, dass Auen und Moore natürliche CO2-Senken sind und damit einen wichtigen Beitrag zum Kampf ge- gen den Klimawandel leisten. Außerdem findet sich in keinem anderen Ökosystem eine so eindrucksvolle Viel- falt an Tier- und Pflanzenarten wie in naturnahen Flüs- sen und Flussauen. Über 12 000 Arten kommen hier vor, darunter viele ausgesprochene Seltenheiten wie Biber, Pirol oder der Schwarzstorch. In einem landwirtschaftlich und industriell genutzten Raum sind immer wieder Kompromisse zwischen ökolo- gischer und ökonomischer Nutzung notwendig. Seit der Industrialisierung bis heute hat die einseitige Fokussie- rung jedoch nicht nur zu einem Verlust der Artenvielfalt und Biodiversität geführt, sondern auch zu einer Ver- schärfung der Hochwassergefahr. Umso wichtiger ist es, Industrie, Landwirtschaft und Binnenschifffahrt in die Planung von wirkungsvollen Hochwasserschutzmaßnah- men mit einzubeziehen. Hochwasserschutz darf nicht auf den Deichbau ver- engt werden. Auch beim letzten Hochwasser an der Oder vor einigen Wochen haben Behördenvertreter und Politi- ker fast ausnahmslos darüber geredet, ob die Deiche halten oder nicht. Kaum jemand spricht über die Not- wendigkeit, im Einzugsbereich der Flüsse den ursprüng- lichen natürlichen Zustand wiederherzustellen und mehr Überschwemmungsflächen zu schaffen. Hier wird auch ein offensichtlicher Mangel der Bundesregierung deut- lich: Mit dem Hinweis auf Länderzuständigkeiten zieht man sich aus der Verantwortung. Dabei wäre es richtig, wenn die Bundesregierung ein Bündnis für den Hoch- wasserschutz und für den Schutz des naturnahen Wasser- haushalts anführen würde, und zwar sowohl auf Bundes- wie auch auf europäischer Ebene. Denn es ist banal: Flüsse machen an keiner Landes- grenze halt. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, weil heute kaum ein gemeinsames Verständnis über den ökologischen Hochwasserschutz in den Regierungen Eu- ropas herrscht. Deshalb ist es unabdingbar, nachhaltigen Hochwasserschutz stärker auf der europäischen Ebene zu verankern und zu kontrollieren. Wir müssen gemein- sam dafür werben, nachhaltigem Hochwasserschutz durch natürliche Wasserspeicher den Vorrang vor kurz- fristigen Maßnahmen, wie der Errichtung von Rückhal- tebecken oder Stahlmauern, zu geben. In der Debatte im Umweltausschuss habe ich dazu parteiübergreifend viel Zustimmung gesehen. Daher bin ich hoffnungsfroh, dass wir das Thema nun nicht einfach wieder beiseitelegen und beim nächsten Hochwasser erneut aufrufen, sondern es kontinuierlich bearbeiten und am Ende über Wasser in Deutschland tatsächlich nicht nur reden, wenn es uns be- droht. Horst Meierhofer (FDP): Wir werden die Qualität der Gewässer weiter ver- bessern. Hierzu werden wir die Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie an die Gewässergüte ge- meinsam mit unseren Nachbarn zügig umsetzen, Schadstoffeinträge weiter vermindern und den Ge- wässern mehr Raum geben. Die Förderung von Agrar-Umweltmaßnahmen ist stärker auf die Ver- ringerung der Einträge von Nährstoffen und Pflan- zenschutzmitteln in Gewässer auszurichten. Soweit das Zitat auf Seite 25 des Koalitionsvertrages. Inhaltlich begrüße ich die Vorschläge der SPD und der Grünen. Allerdings zeigt das Zitat auf, dass die An- träge keine Fortentwicklung unserer Pläne bringen. Ich möchte anhand einzelner Bereiche hervorheben, welche Bemühungen bisher getroffen wurden, und aufzeigen, dass wir hier keineswegs untätig bleiben. Hinsichtlich der Grundwasserqualität werden wir uns bald mit der neuen Grundwasserverordnung auf einem Schutzniveau bewegen, das höher ist als jemals zuvor. Die europäischen Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie werden mehr als nur eingehalten. Mit der FDP-Fraktion wird es keine Verringerung des Grundwasserschutzstan- dards geben. Zweiter Bereich: Oberflächengewässer. Selbstver- ständlich ist es richtig, wenn im Antrag der Grünen der Auenschutz als eines der zentralen Themen für eine an- gemessene Hochwasservorsorge hervorgehoben wird. Der Auenschutz liegt uns ohnehin besonders am Herzen. „Für den Natur- und Hochwasserschutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Flusstäler, wo immer möglich, re- 5176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 (A) (C) (D)(B) naturiert werden.“ Auch dies ist ein wörtliches Zitat aus dem Koalitonsvertrag. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, darüber hinaus Auenschutz, mehr Retentionsräume und weniger Ver- bauung nicht nur an Donau, Rhein, Elbe oder Oder im Blick zu haben, sondern das Hochwasserproblem am Ort seiner Entstehung zu verhindern oder zumindest zu redu- zieren. Das heißt im Klartext: Wenn Bächen und kleinen Zuflüssen genügend Raum gegeben ist, nimmt auch der Druck auf die großen Ströme ab. Auch ein Blick zurück zeigt, dass dieser Bereich seit Jahren und über Parteigrenzen hinweg immer im Fokus stand. Erwähnenswert ist zum Beispiel die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt aus dem Jahr 2007: Wir wollen bis 2020 die Fließgewässer und ihre Auen in der Funktion als Lebensraum soweit sichern, um den ge- samten Naturraum in seiner Vielfalt wiederherzustellen. Gleichzeitig soll die Anzahl der Überflutungsräume deutlich erhöht werden. Weiter haben wir pünktlich am 22. März 2010 für alle relevanten Flussgebietseinheiten die Bewirtschaftungs- pläne an die Europäische Kommission übermittelt und eine Planung für die Verbesserung der Fließgewässer vorgenommen. Hier muss erwähnt werden, dass alleine die Umset- zung der Wasserrahmenrichtlinie bis Ende 2015 ge- schätzte 9,4 Milliarden Euro kosten wird. Wie Sie hieran erkennen können, zeigt sich auch auf haushalterischer Ebene der politische Wille der Regierung, den Natur- schutz trotz finanzieller Sparzwänge hoch zu gewichten. Erneut darf ich Ihnen erfreut mitteilen, dass die Arbeit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen auch auf- grund unseres politischen Drängens mittlerweile be- inhaltet, bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie einen ökologischen Part zu übernehmen und sich aktiv für den Umweltschutz einzusetzen – eine sehr erfreuliche Entwicklung! Lassen Sie mich noch in aller Kürze auf Schutzmaß- nahmen vor Hochwasser eingehen, die trotz aller erforder- lichen natürlichen Maßnahmen hilfreiche und sinnvolle Ergänzungen darstellen. Ein Deich wird nicht vollständig durch Auen ersetzbar sein. Technische Lösungen sind bis zu einem gewissen Grad gerade in dicht besiedelten Gebieten erforderlich. Wie Sie anhand des letzten Hoch- wassers an der Oder sehen konnten, ist der Zustand und die Pflege dieser Konstruktionen in keinem schlechten Zustand, auch wenn an manchen Stellen noch Verbesse- rungsbedarf besteht. Ich begrüße die Debatte um das elementarste aller Güter und bin stets bereit, gute Ideen aufzunehmen, will Ihnen aber auch sagen: Die Koalition hat dieses Thema im Griff. Sabine Stüber (DIE LINKE): Das Thema Gewässer- und Hochwasserschutz wird immer dann aktuell, wenn die Resultate von jahrelangen Versäumnissen in aller Härte spürbar werden, nämlich dann, wenn es Hochwas- ser gibt. Das Vorsorgeprinzip verlangt aber, vor Eintre- ten der Katastrophe Maßnahmen zu ergreifen, die diese zumindest eindämmen oder bestenfalls sogar ganz ver- hindern. Deshalb würde ich mir eine Beschäftigung des Parlaments mit dem für viele Menschen existenziellen Thema „Hochwasserschutz“ auch einmal unabhängig von aktuellen Hochwasserereignissen wünschen. Die bedeutendsten Klimaprognosen für den mittel- europäischen Raum sagen voraus, dass sich fortschrei- tend die Jahresniederschlagsmengen auf immer weniger, aber umso heftigere Niederschlagsereignisse verteilen werden. Das stellt bereits heute, da wir die ersten Aus- wirkungen dieser Entwicklung zu spüren bekommen, besondere Herausforderungen und Ansprüche an den Gewässer- und Hochwasserschutz. Die Forderungen nach einem integrierten Hochwas- serschutzkonzept sind sinnvoll und begrüßenswert, in der vorliegenden Form aber nicht konsequent genug. Sie wären besser angelegt in konkreten Gesetzesänderungen oder Programmen. In den Anträgen findet sich unserer Meinung nach auch die europäische Komponente nicht ausreichend wieder. Eine bessere Koordinierung als bloße Formulierung reicht nicht aus; denn hier muss schnellstens gehandelt werden. Höhere Deiche in Bran- denburg allein sind zwar gut für die örtliche Bevölke- rung. Sie können aber nicht die Lösung des Problems sein, wenn auf der anderen Seite der Oder ganze Dörfer unter Wasser stehen. Hochwasser kennt keine Grenzen. Grenzenloses Denken und Planen muss auch Leitschnur jeder Hochwasserpolitik sein. Die Wechselwirkungen zwischen Fluss und Aue be- einflussen maßgeblich den ökologischen Zustand beider Lebensräume. Flussauen haben vielfältige Funktionen. Sie dienen als Lebensraum, als Biotopverbundachsen, sie sorgen für sauberes Grundwasser und sind Erho- lungsräume. Als Retentionsräume für Flüsse dienen sie auch dem Hochwasserschutz. Der Schutz von Flussauen ist daher ein wichtiger Be- standteil zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtli- nie, die uns verpflichtet, bis 2015 für einen guten ökolo- gischen und chemischen Zustand der Gewässer zu sorgen. Aus dem Auenschutzbericht geht allerdings her- vor, dass die Auen in Deutschland ihre Funktion als Le- bensraum, Wasserfilter und Überflutungsfläche nicht ausreichend erfüllen. Deshalb begrüßt Die Linke den Antrag von Bünd- nis 90/Die Grünen, der die Bundesregierung auffordert, die Ergebnisse des Auenschutzberichtes endlich in kon- kretes Handeln umzusetzen. Wir stimmen zu, dass die Einbeziehung der verschie- denen Akteure zum überregionalen Ausgleich unter- schiedlicher Nutzungsinteressen erforderlich ist. Ge- nauso hoch schätzen wir auch den jeweiligen regionalen Interessenausgleich ein. Hier erinnere ich noch einmal an das geglückte Beispiel der Deichrückverlegung an der Elbe bei Lenzen. Dort entstanden 425 Hektar Überflu- tungsfläche und nach Initialpflanzung wächst seit zehn Jahren auf 300 Hektar Auwald. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es gehen kann, wenn der politische Wille vor- handen ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5177 (A) (C) (D)(B) Dass es aber gravierende Defizite gibt, zeigen die Ziele für Feuchtgebiete und Moore in der nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt, die bis heute nicht erreicht sind. Deshalb geht uns der Antrag der SPD zum Schutz von Nass- und Feuchtgebieten auch nicht weit genug. Für uns ist es wichtig, dass Prioritäten gesetzt werden, die in konkretem Handeln münden statt allge- meiner Erklärungen zum Ernst der Lage. Um ein Beispiel zu nennen: Moore bedecken nur 3 Prozent der Landfläche, binden aber 30 Prozent des terrestrischen Kohlenstoffs in sich. Das zeigt, welche der Abstimmung unseres Antrages im Agrarausschuss enthalten. Hat Ihre interne Abstimmung nicht funktioniert oder hat die Agrarlobby erfolgreich ihre Muskeln spielen lassen? Dann hätten Sie sich aber auch bei Ihrem eigenen Antrag zum Wasserhaushalt enthalten müssen, dessen Forderungen sich weitgehend mit unseren decken. Der SPD-Antrag für ein integriertes Hochwasserkon- zept beinhaltet viele richtige Ansätze, die wir bereits for- muliert und in die Debatten im Deutschen Bundestag eingebracht haben. Aber er geht nicht weit genug. Es muss eine klare Priorität für den naturnahen Hochwasser- Bedeutung ihnen nicht nur für die Artenvielfalt, sondern auch für den Klimaschutz zukommt. Moorschutz hat da- her höchste Priorität! Die Länder sind aufgefordert, Moorschutzkonzepte zu erstellen. Als Grundlage müs- sen Zustandsbewertungen her als Basis für einen flä- chendeckenden Moorschutz. Ein Umbruchverbot von Moorböden kann nur ordnungsrechtlich durchgesetzt werden. Dazu muss die Bundesregierung für eine konse- quente Umsteuerung der EU-Agrarpolitik in diesem Punkt einsetzen. Intensive Landnutzung, Begradigung von Flüssen und Dezimierung natürlicher Auenflächen muss mit konkre- ten Programmen begegnet werden – durch Renaturie- rung von Gewässern, Rückverlegung von Deichen und Verbesserung der Wasserrückhaltefähigkeit von Mooren und Feuchtgebieten. Die Bundesregierung ist gefordert, endlich die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingun- gen zu schaffen, es ist höchste Zeit. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unser Antrag zum Auenschutzprogramm und der SPD-Antrag zum Wasserhaushalt wurden hier im Plenum bereits ein- mal beraten. Herr Liebing und Herr Göppel von der Unionsfraktion hatten sich in dieser Debatte für einen gemeinsamen Beschluss im Bundestag ausgesprochen. Schade nur, dass sie dann in den Ausschüssen unseren Antrag mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt ha- ben. Wir hätten gemeinsam einen sinnvollen Beitrag zu Artenschutz, Hochwasserschutz und Gewässerschutz leisten können. Stattdessen hören wir von Schwarz-Gelb in Sachen Auenschutz bisher nur Sonntagsreden, obwohl der Koali- tionsvertrag die Renaturierung von Auen und Flusstälern verspricht. Mit der Zustimmung zu unserem Antrag hät- ten sie beweisen können, dass sie es damit ernst meinen. Auch über die SPD habe ich in diesem Zusammen- hang gestaunt. Denn wider Erwarten haben Sie sich bei schutz vor dem technischen Hochwasserschutz geben. Natürliche Rückhalteflächen müssen konsequent geschützt werden, und verloren gegangene Rückhalteflächen müssen als Überschwemmungsgebiete zurückgewonnen werden. Die jüngsten Überschwemmungen in Frankreich, Polen und Tschechien haben uns wieder vor Augen geführt, wie gefährlich Hochwasser sein kann. In Folge des Klima- wandels werden wir immer häufiger starke Überschwem- mungen erleben. Darauf müssen wir uns vorbereiten, und dazu reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus. Naturnaher Hochwasserschutz braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Die Landwirtschaft, die Waldwirtschaft und die Menschen in den Flusstälern müssen für dieses Kon- zept gewonnen werden. Wir sind davon überzeugt: Auen- schutz und damit Hochwasserschutz sind ein Gewinn für alle, für Mensch und Natur. Dabei ist die Rolle der Flussgebietsgemeinschaften besonders wichtig, vor allem international. Denn die Überschwemmungen in Polen haben dazu geführt, dass bei uns das Hochwasser nicht mehr so mächtig war. Un- sere Deiche wurden entlastet. Wenn die Polen ihren tech- nischen Hochwasserschutz verbessern, bleiben sie beim nächsten Mal verschont, und wir haben wieder mit ver- schärften Problemen zu rechnen. Höhere Deiche und ein schnellerer Abfluss des Wassers verlagern die Probleme immer nur flussabwärts. Dabei wächst die Gewalt der Wassermassen. Aus dieser Spirale müssen wir ausbrechen, und das geht nur mit einer mo- dernen naturnahen Hochwasserpolitik, die auf Wasser- rückhalt, Wasserspeicherung und langsamere Abfluss- geschwindigkeiten setzt, und das in der gesamten Flussgebietsgemeinschaft. Dafür brauchen wir die nöti- gen Flächen, die nötigen Mittel und ein ressortübergrei- fendes, stimmiges Konzept. Darauf werden wir weiter- hin drängen. 49. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900000

Die Sitzung ist wieder eröffnet.

Dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, der vor wenigen
Tagen seinen 73. Geburtstag beging, möchte ich auch
von dieser Stelle aus im Namen des ganzen Hauses herz-
lich gratulieren und alles Gute wünschen.


(Beifall)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP:

Bedrohliches Anwachsen linksextremer Straf-
taten in Deutschland

(siehe 48. Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
Ergänzung zu TOP 35

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina
Bunge, Cornelia Möhring, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Versorgung durch Hebammen und Entbin-
dungshelfer sicherstellen

– Drucksache 17/2128 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:

Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgip-
fels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates betref-
fend die „Information der Verbraucher über
Lebensmittel“ KOM(2008) 40

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund-
gesetzes

Lebensmittelinformation verbessern – Ver-
bindliche Ampelkennzeichnung einführen

– Drucksachen 17/1987, 17/2185 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Iris Gleicke
Dr. Christel Happach-Kasan
Karin Binder
Ulrike Höfken

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel
Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Marktanreizprogramm und nationale Klima-
schutzinitiative fortsetzen

– Drucksache 17/2119 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 26, 28, 32 c, 35 n und 36 l
werden abgesetzt.

Die für morgen als letzter Tagesordnungspunkt ange-
kündigte Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
Die Linke wurde zurückgezogen und entfällt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, so sind wir!)


Redetext





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Das eröffnet die Möglichkeit zur Begleitung anderer be-
deutender nationaler Ereignisse.

Außerdem mache ich auf mehrere nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-

(11. Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Verwendung von Verwaltungsdaten für Wirt-
schaftsstatistiken und zur Änderung von Sta-
tistikgesetzen

– Drucksache 17/1899 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem

(9. Ausschuss)


Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Agnes Malczak,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kyritz-Ruppiner Heide in ihrer Einheit erhal-
ten – Voraussetzungen für eine chancenreiche
Regionalentwicklung

– Drucksache 17/1989 –
überwiesen:
Verteidigungsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Die in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich
dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mit-
beratung überwiesen werden.

Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Die Fußball-Weltmeisterschaft – Eine Chance
für Südafrika

– Drucksache 17/1959 –
überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Unsere Meere brauchen Schutz

– Drucksache 17/1960 –
überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das ist der Fall. Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines …
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Artikel 91 e)


– Drucksache 17/1939 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
derung des Grundgesetzes (Artikel 91 e)


– Drucksache 17/1554 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/2183 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Michael Hartmann (Wackernheim)

Gisela Piltz
Jan Korte
Wolfgang Wieland

b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Weiterentwicklung der Orga-
nisation der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende

– Drucksachen 17/1940, 17/2057 –

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung der Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende

– Drucksache 17/1555 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)


– Drucksache 17/2188 –





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/2190 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

Bettina Hagedorn
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Alexander Bonde

Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes werden wir später namentlich abstim-
men.

Außerdem liegt zu diesem Gesetzentwurf ein Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und FDP vor. Weiterhin hat die Fraktion Die Linke zu
dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende ei-
nen Entschließungsantrag eingebracht.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg
hin zu der Gesetzesvorlage, die wir jetzt beschließen
werden, war nicht einfach. Er war steinig und schwierig.
Diese wichtige Reform stand mehr als einmal auf der
Kippe. Alle in diesem Raum wissen, dass die Schwarz-
maler unter uns so manches Mal Konjunktur gehabt ha-
ben. Ich freue mich umso mehr, dass wir nach zweiein-
halb Jahren fruchtloser Streitereien und dann einigen
Monaten sehr konstruktiver Arbeit jetzt eine sehr mo-
derne und gute Lösung und vor allen Dingen eine Lö-
sung im Sinne der Menschen, vor allem der Arbeitslo-
sen, gefunden haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich freue mich nicht nur, dass es gelungen ist, eine
Lösung über die Grenzen des Föderalismus hinweg, also
für Bund, Länder und Kommunen als Einheit, zu finden,
sondern ich freue mich auch, dass wir jetzt trotz aller
Hakeleien über die Parteigrenzen hinweg eine gute Re-
form auf den Weg bringen. Das zeigt einmal mehr, dass
unsere Demokratie intakt ist – und das ist in diesen
schwierigen Zeiten viel wert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt ein schönes Wort von Victor Hugo. Er hat ge-
sagt:

Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit ge-
kommen ist.

Ein großes Wort. Aber wir können es vielleicht auch für
diese große Jobcenterreform anwenden. Denn die Idee,
die dahinter stand, war: Wir alle haben die Erfahrung ge-
macht, dass es wichtig ist, bei der Vermittlung von Ar-
beitslosen in Arbeit vor Ort Gestaltungsspielraum zu ha-
ben, die Hilfen schnell, effizient und passgenau
anzubieten und aus einem Bündel von Maßnahmen das
Richtige wählen zu können. Wir hatten aber auch die
Grundfrage zu lösen: Wie kann man es, wenn vonseiten
des Bundes Milliarden investiert werden, so steuern,
dass das Geld effizient eingesetzt ist? Ich glaube, hier ist
uns etwas Außergewöhnliches gelungen: einerseits ein
hohes Maß an Freiheit und Gestaltungsspielraum in den
Jobcentern, andererseits eine ganz moderne Steuerung
nach Zielen mit Vergleichbarkeit der Daten, der Erfolge.
Das zeigt, dass wir bei der Modernität ein großes Stück
vorangekommen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Erstens. Wir wollen einerseits Leistung aus einer
Hand. Es war eine viel diskutierte Frage, ob das gelingt,
unabhängig davon, ob vor Ort die Kommune oder die
Bundesagentur für Arbeit zuständig ist oder beide zu-
sammenarbeiten.

Zweitens. Wir haben es mit einer modernen Zielsteue-
rung und Transparenz bei den Erfolgsmessungen ge-
schafft, dass die Mittel so wirkungsvoll wie möglich
eingesetzt werden. Nicht die Masse der Mittel macht es,
sondern die Qualität der eingesetzten Mittel ist entschei-
dend.

Drittens. Wir haben einen guten Weg gefunden und
sagen: Eine schnelle, passgenaue Vermittlung sorgt da-
für, dass die Fähigkeiten von Arbeitslosen zum Tragen
gebracht werden, dass die Arbeitslosen so gefördert wer-
den, dass sie diese Fähigkeiten auch einsetzen können.
Das ist vor allem im Sinne der Menschen, die unsere
Hilfe brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Das Ziel „Alle Leistungen aus einer Hand“ ist in die-
sen schwierigen Zeiten erfüllt: Uns war wichtig, eine
Hand auszustrecken, damit die Mittel nicht für Unwirk-
sames verschwendet werden und sich die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter in den Jobcentern nicht im Wirrwarr
der Instrumente verheddern. Wir wollten vielmehr eine
Hand, die im richtigen Moment den Gestaltungsspiel-
raum hat, um die richtige Hilfe für die einzelne Person
zu finden. Das ist hier heute gelungen.

Mir ist nicht wichtig – das will ich vonseiten des Bun-
des sagen –, in welcher Konstellation vor Ort gearbei-
tet wird, ob in einem Jobcenter in einer Optionskom-
mune oder in einer gemeinsamen Verwaltung von
Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Verwaltung.
Das Entscheidende ist, dass die Leistung vor Ort nicht
mehr vom Zufall abhängt – ob da engagierte Menschen
arbeiten oder nicht –, sondern dass wir überall in
Deutschland gleich hohe, qualitativ hochwertige Maß-





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)


stäbe anlegen, sodass wir überall in Deutschland auf
Knopfdruck vergleichen können: Wie sind die Erfolge?
Wie setzt sich das Jobcenter ein? Wie setzt es seine
Möglichkeiten ein? Das schafft Wettbewerb, vor allem
aber die Möglichkeit, von den Besten zu lernen. So geht
Fortschritt; nur so werden wir besser.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich weiß, dass es Diskussionen über das Ausmaß der
Mittel gegeben hat, die eingesetzt werden. Aber gerade
angesichts der Spardiskussionen ist es wichtig, festzu-
halten: In diesem Land wird inzwischen jeder fünfte
Euro für die Schuldentilgung ausgegeben. In diesem
Land wird im Bundeshaushalt inzwischen jeder vierte
Euro kreditfinanziert ausgegeben. Wir sind also in einer
Zeit, in der wir konsolidieren müssen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wussten Sie das bei der Hotelsteuer auch?)


Wir sind in einer Zeit, in der wir uns, wenn wir nicht wie
Spanien, Portugal oder Griechenland an unseren eigenen
Schulden ersticken wollen, der schmerzhaften Anstren-
gung unterziehen müssen, zu schauen: Welche Aufgaben
sind sinnvoll? Man muss die Maßnahmen auf den Prüf-
stand stellen und die weniger wirksamen streichen. Das
ist in den letzten Tagen geschehen. Ich weiß, dass es hier
viel Diskussionsbedarf gibt; aber keinem einzigen Ar-
beitslosen in diesem Land ist geholfen, wenn dieses
Land an seinen Schulden erstickt, wenn wir durch die
Verschuldungsspirale, die immer weiter angetrieben
wird, in einer Inflation landen – Länder wie Griechen-
land, Spanien und Portugal erleben das jetzt. Wenn der
Sozialstaat in sich zusammenbricht, dann müssten das
auf bittere Weise die Menschen ausbaden, die eigentlich
die Hilfe des Sozialstaates bräuchten.

Der Sozialetat nimmt 55 Prozent des Bundeshaushalts
ein. In den nächsten vier Jahren schaffen wir es, zu kon-
solidieren, indem ein Anteil von 3 Prozent des Sozial-
etats eingespart wird. Das ist meines Erachtens eine
Leistung, die deutlich macht: Dieser Sozialstaat steht auf
festen Füßen. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so
ist. Deshalb sind diese Schritte für die Zukunft richtig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900100

Das Wort erhält die Kollegin Anette Kramme für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1704900200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Bundesministerin, ich bin dankbar dafür,
dass Sie einen Konnex zwischen der Jobcenterreform
auf der einen Seite und dem Sparpaket, das Sie verab-
schieden wollen, auf der anderen Seite hergestellt haben.
Es gibt gewisse Zusammenhänge. Eine Jobcenterreform
muss man gut machen. Ich behaupte: Wir sind diejeni-
gen gewesen, deretwegen das Gesetz überhaupt zustande
gekommen ist.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Koch!)


Wir haben bei Ihnen ein einzigartiges Hickhack be-
obachtet.

Lassen Sie mich zunächst auf das Sparpaket einge-
hen. Sie haben etwas vor, das im Prinzip unvorstellbar
ist. Sie streichen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik
zusammen. Sie wollen aus Pflichtleistungen Ermessens-
leistungen machen. Gleichzeitig sagen Ihre Kanzlerin
und Ihre Bundesbildungsministerin deutlich: Die Bil-
dungspolitik soll nicht zusammengestrichen werden. Ich
frage mich an dieser Stelle: Was ist Arbeitsmarktpolitik?
Arbeitsmarktpolitik ist Chancenpolitik. Arbeitsmarktpo-
litik ist Bildungspolitik für normale Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen.


(Beifall bei der SPD)


Was Sie tun, ist verantwortungslos. Wir werden die
Konstellation vorfinden, dass aktive Arbeitsmarktpoli-
tik ab dem nächsten Jahr nicht mehr stattfindet. Wir wer-
den die Situation haben, dass Optionskommunen mit
leeren Händen dastehen. Die Jobcenterreform wird letzt-
lich ausgehöhlt. Wir werden auch vor der Situation ste-
hen, dass gerade in den von Ihnen unter besonderer Be-
obachtung stehenden Gruppen, nämlich den der
Alleinerziehenden, der Älteren und der Jugendlichen,
nichts mehr stattfindet, weil die Programme zusammen-
gestrichen oder gekürzt werden. Wir haben dies alles in
diesem Jahr schon einmal erlebt. Wir haben erlebt, dass
Sie eine Haushaltssperre in Höhe von 900 Millionen
Euro veranlasst haben. Hätte es nicht unsere Bemühun-
gen gegeben, wäre die Arbeitsmarktpolitik bereits in die-
sem Jahr vernichtet worden.

Lassen Sie mich etwas zu den Jobcentern sagen. Es
gibt eine Erzählung von Margarete von Navarra – heut-
zutage kennt sie fast niemand mehr –, deren Titel wie
folgt lautet:

Schlauheit eines Verliebten, der bei einer Mailänder
Dame unter der Maske ihres getreuen Dieners des-
sen sauer verdienten Liebeslohn einheimst.

Ich mag mir nicht anmaßen, zu entscheiden, ob dieser
Titel schon zu den Verhandlungen über die Jobcenter
passt. Auf jeden Fall passt ein geflügeltes Wort aus die-
ser Erzählung: Was lange währt, wird endlich gut.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in der Arbeits-
marktpolitik nicht vor der Situation stehen, dass die Ar-
beitsgemeinschaften auseinandergerissen werden. Wir
hätten dort Umstrukturierungsprozesse gehabt, die dazu
geführt hätten, dass Arbeitsvermittlung, also das, was für
den Einzelnen so entscheidend ist, für mindestens ein
Jahr nicht stattfindet. Wir sind sehr dankbar dafür, dass
wir es erreichen konnten, dass die Betreuung aus einer
Hand weiterhin stattfindet. Für Langzeitarbeitslose ist es
gut, dass sie nicht von Pontius zu Pilatus geschickt wer-
den, nicht von einer Behörde zur anderen gehen zu müs-
sen, einen Bescheid zu haben, gegebenenfalls einen Wi-
derspruch einzulegen, nur einmal klagen zu müssen und
vor allen Dingen – das ist das Entscheidende – bei der
Arbeitsvermittlung aus einer Hand betreut zu werden.





Anette Kramme


(A) (C)



(D)(B)


Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir es als SPD er-
reicht haben, dass im Rahmen dieser neuen Jobcenter ei-
niges besser wird. Wir haben eine verbesserte Betreu-
ung, weil wir es entgegen dem erbitterten Widerstand
der FDP erreicht haben, dass 3 200 Stellen entfristet
werden konnten. Das ist gut. Wir brauchen personelle
Kontinuität.


(Beifall bei der SPD)


Ohne personelle Kontinuität kann es keine guten Leis-
tungen bei der Arbeitsvermittlung geben.

Wir sind auch glücklich darüber, dass wir es erreichen
konnten – ebenfalls gegen den erbitterten Widerstand
der Koalition –, dass ein Betreuungsschlüssel festge-
schrieben wird. Das ist noch nicht der Betreuungsschlüs-
sel, den wir uns in letzter Konsequenz und für alle Ewig-
keit vorstellen. Es gibt mittlerweile eine Reihe von
Untersuchungen, die belegen, dass der Betreuungs-
schlüssel ein ganz wichtiger Punkt ist. Das ist leicht
nachzuvollziehen: Bei einem günstigeren Betreuungs-
schlüssel kann man sich um den Einzelnen besser küm-
mern. Dann kann man ihn in seiner Persönlichkeit erfas-
sen, seine Ängste aufgreifen, ihn besser motivieren, ihm
Tipps geben usw. Nach unserer Vorstellung kann das
deshalb nur der Anfang sein. Wir wollen letztendlich zu
einem Betreuungsschlüssel in der Größenordnung 1 : 75
kommen. Dann stünde für jeden Arbeitsuchenden alle
zwei Wochen etwa eine Stunde für die Betreuung zur
Verfügung. Ich denke, das ist ein guter Ansatz für die
weitere Arbeitsmarktpolitik.

Wir haben in der letzten Besprechung nochmals ver-
sucht, das Thema „Alleinerziehende“ aufzugreifen. Wir
haben gesagt: Es ist wichtig, dass gerade die Alleinerzie-
henden einen Arbeitsplatz finden, weil sonst auch Kin-
derarmut droht. Aber leider konnten wir auch hierbei
kein Engagement seitens der Bundesministerin beobach-
ten. Auch hier war tote Hose angesagt. Es gibt keinerlei
Arbeit oder Entgegenkommen in diesem Bereich, was
mich sehr wundert.

Letztlich sind wir aber doch froh, dass wir diesen
Kompromiss in dieser Art und Weise gestalten konnten.
Wir wünschen uns, dass die Jobcenter nunmehr auf
Dauer beharrlich und gut arbeiten können. Wir werden
uns in der nächsten Zeit noch mit einigen anderen The-
men der Arbeitsmarktpolitik befassen müssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900300

Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1704900400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Volksmund sagt: Was lange währt, wird endlich gut. Ich
weiß nicht, ob die Steigerung auch gilt: Was länger dau-
ert, wird umso besser. Ich glaube aber, dass wir heute,
am Ende eines langen Weges, sagen können, dass das,

was wir heute hier gemeinsam beschließen wollen, ein
guter Kompromiss ist.

Frau Kramme, deswegen will ich heute einmal das
Verbindende herausstellen, den Erfolg, den wir gemein-
sam erreicht haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


An einem so besonderen Tag wie dem heutigen ist es
wichtig, den Menschen nicht die Fortsetzung des Streites
zu liefern, nach dem Motto: Was hätte man alles noch
machen können? Wer hat was gefordert, aber nicht er-
reicht? Ich glaube, wir müssen auch einmal sehr deutlich
sagen: Unsere Demokratie funktioniert. Unsere Demo-
kratie ist kein Strom, der wie in Kanälen immer gerade-
aus fließt, sondern das ist ein Strom, der manchmal auch
mäanderförmig verläuft, der sich in Kurven durch die
Zeit bewegt. Unsere Demokratie ist ein Strom, der
manchmal scheinbar steht, sich in Stromschnellen aber
doch recht flott bewegen kann.


(Thomas Oppermann [SPD]: Manchmal kommt das Wasser nicht an!)


Wir müssen den Menschen heute sagen: Trotz aller Dif-
ferenzen, trotz des tagespolitischen Streits, trotz des
Zähneknirschens bei allen Beteiligten – je nach Thema –
ist es am Ende gelungen, die in organisatorischer Hin-
sicht aktuell größte sozialpolitische Herausforderung
zum Wohle der Menschen, vor allen Dingen zum Wohl
der Langzeitarbeitslosen in unserem Land, die künftig
auf bessere Leistungen aus einer Hand hoffen dürfen, zu
meistern.

Deswegen gilt mein persönlicher Dank denen, die
dazu beigetragen haben. Allen voran möchte ich Herrn
Staatssekretär Hoofe aus dem BMAS nennen, der die
Verhandlungen in kritischen Situationen, wenn es mal
hakte, mit geschickter Hand, mit guten Ideen und viel
Kreativität vorangebracht hat. Auch Frau Neifer-Porsch
und der Geschäftsstelle im Ministerium, die eine gute
Arbeit geleistet haben und die für die Verständigung not-
wendigen Papiere immer zeitnah zur Hand hatten, danke
ich.

Ich bedanke mich bei den Verhandlungsteilnehmern
auf allen Seiten. Ich will mit der SPD beginnen. Herr
Heil, bei Ihnen ganz persönlich, aber auch bei den Lan-
desministern, die Sie begleitet haben, Frau Dreyer und
Herr Baaske, bedanke ich mich. Es war sehr angenehm,
mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich will das Lob nicht
überdehnen, sonst schlägt es möglicherweise ins Gegen-
teil um.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie waren aber auch ganz gut!)


Ich bedanke mich auch bei den Vertretern der B-Seite,
Herrn Beermann, Frau Haderthauer, und den Kollegen
aus dem Bundestag in der Koalition, dem Kollegen
Schiewerling und dem Kollegen Straubinger, mit denen
wir täglich viel zu tun haben.


(Anette Kramme [SPD]: Vor allen Dingen Ihr Entgegenkommen, Herr Kolb, war wunderbar!)






Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


– Bitte? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, Frau
Kollegin Kramme.


(Anette Kramme [SPD]: Ihre Kompromissbereitschaft hat uns jederzeit überzeugt!)


Ich muss sagen: Das war eine gute Zusammenarbeit,
die erfolgreich war.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Jetzt bin ich nicht jemand, der wie Sie, Frau Kramme,
sagt: Na ja, zwei Jahre lang ging es nicht voran, dann
kam die FDP, und binnen sieben Monaten war das Pro-
blem gelöst.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das wäre sicherlich nicht die ganze Wahrheit. Man muss
sagen: Alle haben sich am Ende bewegt. Ich will festhal-
ten, dass nach einer grundsätzlichen Entscheidung in
Wiesbaden – an dieser Stelle geht mein Dank an den hes-
sischen Ministerpräsidenten und auch den stellvertreten-
den hessischen Ministerpräsidenten, Jörg-Uwe Hahn –,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil sie Frau von der Leyen überstimmt haben!)


einer klaren Ansage, sozusagen dem Aufstellen eines
Stoppschildes sehr schnell Bewegung in die richtige
Richtung kam, die sich zu einer gemeinsamen Bewe-
gung entwickelt hat. Man hat gesehen, wie zügig und
konstruktiv die Verhandlungen dann gelaufen sind.

Ich glaube, die Lösung, die wir heute haben – Herr
Oppermann, Sie nicken schon; Sie wissen doch noch gar
nicht, was ich sagen will –,


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber Sie sind auf der richtigen Spur!)


nämlich die Leistungserbringung aus einer Hand si-
cherzustellen, kann sich sehen lassen. Künftig wird es in
ganz Deutschland heißen: ein Bürger, ein Bescheid, übri-
gens auch ein Name für die Einrichtung.


(Thomas Oppermann [SPD]: War immer unsere Rede!)


Es wird nicht mehr Argen und Optionskommunen ge-
ben, sondern es gibt überall in Deutschland Jobcenter, an
die sich die Menschen wenden, wenn sie Unterstützung
in ihrer schwierigen persönlichen Lebenslage, der Lang-
zeitarbeitslosigkeit, benötigen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verfassungsänderung wird mein Kollege
Christian Ahrendt gleich noch im Detail beleuchten.
Aber ich will so viel sagen: Ich glaube, es ist zum einen
eine sichere Grundlage für die Änderungen, die wir ein-
fachgesetzlich vornehmen wollen, und es ist zum ande-
ren etwas, das sich vor den Augen von Verfassungsäs-
theten sehen lassen kann. Es ist – anders als die Lyrik,
die sich in der jüngeren Vergangenheit an der einen oder
anderen Stelle ins Grundgesetz eingeschlichen hat – eine

kurze, knappe und klare Formulierung. Ich bin damit zu-
frieden.

Zu den Jobcentern. Wir machen die gute Zusammen-
arbeit der letzten Jahre verfassungssicher. Aber wir zie-
hen auch dort Konsequenzen, wo wir Reibungsverluste
in der Praxis festgestellt haben. Ich finde das koopera-
tive Steuerungsmodell, auf das wir uns verständigt ha-
ben, besonders wichtig. Es wird künftig sowohl bei den
Optionskommunen als auch bei dem Zusammenwirken
von Bundesagentur und Kommunen sozusagen ein über-
geordnetes Dach und übrigens auch die Vergleichbarkeit
zwischen den beiden Wegen der Leistungserbringung,
dem Regelfall und dem Ausnahmefall der Option, si-
cherstellen.

Wir haben vernünftige Lösungsmechanismen bei
Konfliktfällen. In der letzten Phase der Gesetzgebung
haben wir bei einem kritischen Punkt, der Feststellung
der Erwerbsfähigkeit, eine, wie ich finde, sehr weise
Entscheidung getroffen, indem wir den Sozialmedizini-
schen Dienst der Rentenversicherung in das Verfahren
eingebunden haben. Insgesamt bin ich also mit dem, was
wir hier auf den Weg bringen, sehr zufrieden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Hinsichtlich der Optionskommunen – das will ich
hier noch sagen – ist für uns Liberale besonders erfreu-
lich, dass die Entfristung gelungen ist. Es war für uns ein
zentraler Punkt, dass – jetzt nicht nervös werden,
Hubertus Heil – für 41 bis 43 neue Kommunen,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 41!)


je nach dem, wie die Gebietsreform in Sachsen läuft – des-
wegen nenne ich die 43; ansonsten wird an der Zahl 110
nicht gerüttelt –, die Möglichkeit, zu optieren, besteht.


(Anette Kramme [SPD]: 41!)


Das Regel-Ausnahme-Verhältnis bleibt gewahrt. Die
Länder haben großen Einfluss auf die Verteilung der Op-
tionskommunen, aber – das sage ich auch – sie stehen
jetzt auch in der Verantwortung. Ich sage das vor dem
Hintergrund, dass man zuletzt einen gewissen Run auf
die Option feststellen konnte. Für mich ist wichtig: Wir
haben in einer diese Gesetzgebung begleitenden Verord-
nung klare Kriterien festgelegt, die sicherstellen, dass
die Optionen nach Befähigung und nicht nach politischer
Couleur vergeben werden. Das heißt für mich: Der Wett-
bewerb zwischen den Modellen der Leistungserbringung
ist mit dem heutigen Tag nicht zu Ende, sondern er be-
steht fort. Ich glaube, dass wir, gerade weil die besten
Kommunen optieren und als Leuchttürme in unserer ar-
beitsmarktpolitischen Landschaft stehen werden, auch
auf Dauer einen wohltuenden, einen effizienzsteigernden
Wettbewerb zwischen den Systemen werden beobachten
können.

Ganz wichtig ist: Es gibt endlich auch Sicherheit für
die Mitarbeiter in den Argen und in den Optionskommu-
nen. Es ist wichtig, dass auch an dieser Front Ruhe ein-
kehrt, dass keine unnötigen Personalbewegungen mehr
stattfinden. Insgesamt sind wir also auf einem guten
Wege.





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


Was die getrennte Trägerschaft anbelangt, muss
man sagen: Die getrennte Aufgabenwahrnehmung wird
in Zukunft nicht mehr möglich sein. Aber wir haben im-
merhin – das finde ich auch gut – eine längere Über-
gangsfrist für diejenigen Kommunen verabredet, die
möglicherweise eine Option anstreben, nämlich bis zum
Ende des Jahres 2011.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Es war Frau Mast, die das gefordert hat!)


Das ist gut. Das eröffnet auch diesen Kommunen noch
die Möglichkeit, sich neu zu orientieren.

Insgesamt lässt sich feststellen – ich will das Verbin-
dende hervorheben –: Alle von uns hätten weitere Wün-
sche gehabt, was man in diese Gesetzgebung noch hätte
einfließen lassen können. Am Ende bleibt: Wir haben
gemeinsam eine Lösung gefunden und vorgelegt, auf die
wir auch gemeinsam stolz sein dürfen; das sollten wir an
diesem Tag herausstellen. Auch wenn es manchmal hakt,
am Ende geht es doch.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900500

Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine

Zimmermann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704900600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Kolb, wenn Sie sagen: „Was länger dauert, wird umso
besser“, dann sagen wir: Was nicht passt, wird von Ihnen
passend gemacht. Denn das war der Grundsatz, nach
dem Sie in den letzten Jahren gehandelt haben.

Vor rund zweieinhalb Jahren hat das Bundesverfas-
sungsgericht festgestellt, dass die Arbeitsgemeinschaf-
ten aus Bundesagentur und Kommunen nicht mit der
Verfassung vereinbar sind – ausreichend Zeit, um sich
Gedanken zu machen, welche Konsequenzen und
Schlüsse man aus dem Urteil ziehen sollte, um die Ar-
beitsverwaltung verfassungskonform zu gestalten, aber
auch bestehende Mängel in der Betreuung und Vermitt-
lung von Langzeiterwerbslosen zu beseitigen.

Was ist stattdessen passiert? Weder die Vorgängerre-
gierung noch die aktuelle Regierung hatten Interesse da-
ran, sich ernsthaft mit inhaltlichen Fragen der Arbeits-
marktpolitik zu befassen bzw. die Personen in den
Mittelpunkt zu stellen, um die es eigentlich gehen sollte,
nämlich die vielen erwerbslosen Menschen, die es in un-
serem Land leider gibt.

Anstatt die Arbeitsverwaltung so zu organisieren,
dass sie dem Grundgesetz entspricht, hat man sich dafür
entschieden, das Grundgesetz an die Realität anzupas-
sen. Ich frage Sie: Wo leben wir denn, dass wir das
Grundgesetz an all dies anpassen? Wenn man in einem
Spiel nicht gut genug ist oder es nicht richtig versteht
und nur selten oder nie gewinnt, ändert man einfach die

Spielregeln, und das Problem ist gelöst. So handeln Sie,
meine Damen und Herren.

Doch hier handelt es sich leider nicht um ein Spiel. Es
geht um das Schicksal und die bittere Realität von Mil-
lionen erwerbslosen Menschen. Durch die vorliegenden
Gesetzentwürfe werden die Strukturfehler des Systems
Hartz IV überhaupt nicht beseitigt.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach wie vor gibt es die Einteilung der arbeitslosen
Menschen in zwei Klassen, nämlich in die, die das Glück
haben, Anspruch auf Betreuung nach dem SGB III zu
haben, und die, die diesen Anspruch schon verbraucht
haben und in Hartz IV abrutschen. Diese Ungleichbe-
handlung, meine Damen und Herren, ist unerträglich.
Das nehmen wir als Linke nicht hin.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Frau Ministerin von der Leyen hat dieses
Thema vorhin angesprochen. Ihr Slogan war: Hilfe aus
einer Hand. Derzeit und auch in Zukunft werden es aber
viele Hände sein, die ganz unterschiedlich geführt und
mit unterschiedlich viel Geld gefüllt werden. Es beste-
hen Strukturen, bei denen es schwerfällt, den Überblick
zu behalten, sowohl für die Erwerbslosen als auch für
die Beschäftigten der Argen und Kommunen, die im Üb-
rigen nicht zu beneiden sind. Sie befinden sich nämlich
schon seit vielen Jahren in einem dauerhaften Reform-
und Experimentierprozess mit ungewissem Ausgang.
Das haben Sie in den letzten Jahren veranlasst, meine
Damen und Herren.

Diese unübersichtlichen Strukturen sollen nun durch
ein „Weiter so!“ aufrechterhalten oder sogar noch ausge-
baut werden. Die Kommunen haben im Moment die
Euro-Zeichen in den Augen. Angesichts des bevorste-
henden Streichkonzerts von Frau Ministerin von der
Leyen in der Arbeitsmarktspolitik werden es jedoch bald
Tränen sein.

Durch die Erhöhung der Zahl der kommunalen Träger
wird es für die betroffenen Menschen noch schwerer, das
System zu durchblicken, und es wird zunehmend ein
Glücksspiel werden, wie gut man betreut und beraten
wird, welche Leistung oder Förderung man erhält oder
auch nicht. Die Linke zweifelt daran, ob Sie diesen ar-
beitsmarktpolitischen Flickenteppich überhaupt noch im
Griff haben werden. Jeder erwerbslose Mensch in die-
sem Land, egal, wo er wohnt, ob im Norden oder im
Süden, muss durch die Arbeitsmarktpolitik dieselben
Möglichkeiten erhalten. Mit den vorliegenden Gesetz-
entwürfen wird der begonnene falsche Weg fortgeführt
und ausgebaut.

Ich will auf die örtlichen Beiräte eingehen. Die
Funktion der örtlichen Beiräte bleibt auf unverbindliche
und symbolische Beratung beschränkt. Die Beiräte sind
deshalb nicht in der Lage, gegen Missbrauch oder Ver-
drängungseffekte zum Beispiel im Rahmen der 1-Euro-
Jobs vorzugehen, und sie haben kein Vetorecht. Zudem
ist auch keine Vertretung von Betroffenen vorgesehen.





Sabine Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)


Zusammenfassend muss man feststellen, dass durch
die vorliegenden Gesetzentwürfe die Einteilung von ar-
beitslosen Menschen in zwei Klassen Armut und Stig-
matisierung im Bereich von Hartz IV ausgebaut werden
und dass nicht nach einer Lösung gesucht wurde, wie
eine sinnvolle und sachlich richtige Betreuung und Ver-
mittlung aussehen könnte. Sinn und Zweck von Hartz IV
bleiben weiterhin die Drangsalierung von erwerbslosen
Menschen und die Disziplinierung von Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern im Betrieb. Deshalb lehnt die
Linke die Entwürfe in Gänze ab.

Wir fordern, dass endlich über die inhaltlichen Pro-
bleme der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland gespro-
chen wird und Sie eine bessere Arbeitsmarktpolitik für
die erwerbslosen Menschen in diesem Land machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Durch das jüngste Kahlschlagprogramm wird mir aber
gezeigt, dass das wahrscheinlich ein frommer Wunsch
bleiben wird.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900700

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1704900800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor etwas mehr als
fünfeinhalb Jahren war die größte steuerfinanzierte So-
zialleistung, und das war richtig. Ich sage Ihnen: Sie war
unter dem Strich unverzichtbar, und sie bleibt unver-
zichtbar.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bezogen auf dieses System wurde in den letzten fünf
Jahren viel dazugelernt. Weil es völlig neu war, dass
Kommunen und die Agentur für Arbeit plötzlich in einer
gemeinsamen Trägerschaft zusammenarbeiten sollten,
musste viel hinzugelernt werden. Man hat sich sozusa-
gen wie zwei Igel angenähert: ganz vorsichtig. – Vor al-
len Dingen hat man die gegenseitigen Defizite kennen-
gelernt. Über die Chancen, die sich daraus ergeben und
die sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr heraus-
gestellt haben, hat man erst viel später gesprochen.

Dass wir heute überhaupt eine solche Debatte führen
und die Verfassung mit der notwendigen Mehrheit än-
dern wollen, verdanken wir dem Bundesverfassungsge-
richt, das am 20. Dezember 2007 in einem Urteil ent-
schieden hat, dass genau diese Zusammenarbeit – so,
wie wir sie organisiert haben – offensichtlich nicht mit
dem Grundgesetz vereinbar ist. Nachdem viele unter-
schiedliche Lösungswege vorgeschlagen wurden, liegen
dem Deutschen Bundestag heute ein Gesetzentwurf von
CDU/CSU, FDP und SPD, mit dem die notwendige Ver-

fassungsmäßigkeit hergestellt wird, und der Entwurf ei-
nes Begleitgesetzes vor, in dem die zukünftigen Rege-
lungen der Zusammenarbeit beschrieben werden.

Diese Jobcenter-Reform – das sage ich sofort –, die
wir heute durchführen, ist ein erster Meilenstein auf dem
Weg zu einer noch effektiveren Arbeitsmarktpolitik und
die erste Etappe für eine inhaltliche Runderneuerung
der Grundsicherung. Mit dieser Jobcenter-Reform ver-
folgen wir nur ein Ziel: die Schaffung der Rahmenbedin-
gungen dafür, dass Langzeitarbeitslose wieder in Be-
schäftigung kommen, und zwar möglichst in den ersten
Arbeitsmarkt.

Das, was wir heute machen, ist das Ergebnis einer
großen Kraftanstrengung; das ist richtig. Deswegen will
auch ich in meiner Eigenschaft als Verhandlungsführer
der CDU/CSU-Fraktion den Partnern und den Mitwir-
kenden, unserer Bundesministerin Frau Dr. Ursula von
der Leyen, ihrem Staatssekretär, Herrn Hoofe, und sei-
nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken. Ich
danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen der
FDP, Herrn Kolb, der SPD, Herrn Kollegen Heil, den
Mitstreitern aus den Bundesländern und nicht zuletzt
meinem Kollegen Max Straubinger.

Die große Verantwortung für die Menschen in der
Grundsicherung hat uns gemeinsam das wichtige Etap-
penziel erreichen lassen. Verwaltungen sind kein Selbst-
zweck; sie haben den Menschen zu dienen. Die Jobcen-
ter-Reform richtet sich darum an den Bedürfnissen der
Menschen aus: Hilfe aus einer Hand, aber die Behörde
bleibt angebunden an ihre entsendenden Träger und an
diejenigen, die sie tragen. Sie bleibt angebunden an die
Kommune und an die BA.

In den letzten Jahren musste viel zu viel Energie auf-
gewandt werden, um behördeninterne Probleme lösen zu
können. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir
von jetzt an sehr konsequent die Menschen in den Mit-
telpunkt stellen. Die Grundvoraussetzungen dafür wer-
den wir heute schaffen.

Erstens. Das Prinzip „Hilfe aus einer Hand“ bleibt der
bewährte und zielführende Weg. Sie wird durch die
Grundgesetzänderung ermöglicht.

Zweitens. Die optimale Hilfe durch Fördern und For-
dern wird konsequent fortgeführt und rechtssicher
ausgestaltet. Wir setzen dabei klar auf die lokalen Kom-
petenzen vor Ort. Die bisherigen Optionskommunen
werden entfristet, und 41 weitere Optionskommunen
kommen hinzu. Ich halte das für einen wichtigen Schritt.
Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Das hat viel mit
unserem Föderalismus und dem Prinzip der Subsidiarität
zu tun; es hat nichts mit einem Flickenteppich zu tun.
Augenscheinlich ist die Option so interessant, dass selbst
Kommunen, in denen die Linken mitregieren, optieren
wollen. Ich empfehle Ihnen dringend, sich einmal die
Frage zu stellen, warum dies der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Drittens. Bund, Länder und Kommunen agieren in
Zukunft als verantwortliche Partner auf Augenhöhe. Das





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)


ist ein wichtiger Punkt; denn es hat in den vergangenen
sechs Jahren immer wieder zu Problemen geführt, inwie-
weit man gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusam-
menarbeitet. Das schaffen wir. Der Bund behält seine
Richtlinienkompetenz. Ich denke, dass einer der zentra-
len Punkte dieser Reform den Teil betrifft, der am ehes-
ten unten wegbricht.

Wir werden eine völlig neue Steuerung schaffen. Wir
werden nicht mehr durch Detailvorgaben bis ins Letzte
steuern, sondern durch ein vernünftiges Benchmarking
mit vergleichbaren Zahlen. Damit beenden wir die Dis-
kussion im Konkurrenzwettbewerb zwischen Options-
kommunen und Jobcentern und ermöglichen damit
Vergleichbarkeit. Letztendlich dient sie allen als gemein-
samer Ansporn, die Dinge gut zu machen.

Ich denke, die Reform führt zu guten Ergebnissen. Ich
bin fest davon überzeugt, dass wir den Menschen damit
konkret helfen können. Dazu zählt auch, dass wir den
Betreuungsschlüssel verbessern. Ich halte die Entschei-
dung, die wir getroffen haben, für wichtig; denn eine
weitere Erfahrung der letzten fünf Jahre ist, dass es im-
mer mehr darauf ankommt, den betroffenen Menschen
individuell zu helfen. Dabei helfen keine Pauschalpro-
gramme; notwendig ist die unmittelbare, direkte Zuwen-
dung zu den Menschen. Deswegen ist auch diese Ent-
scheidung von zentraler Bedeutung.

Aber wie ich vorhin gesagt habe: Es ist die erste
Etappe. Die nächsten beiden Etappen werden so ausse-
hen, dass wir uns im Herbst dieses Jahres mit den Regel-
sätzen und den Hinzuverdienstgrenzen zu beschäftigen
haben. Aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils
vom 9. Februar dieses Jahres stehen dabei die Interessen
und die Lebenssituation der Kinder und der Bildungs-
auftrag für die Kinder, die im Leistungsbezug der
Grundsicherung sind, im Mittelpunkt. Damit, liebe Frau
Kramme, geht es eben nicht um weniger Geld für Bil-
dung, sondern um mehr.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schiewerling, das glauben Sie doch selbst nicht!)


Es wird genau zu prüfen sein, wie wir die Mittel, die
längst vorgesehen sind, an der richtigen Stelle einsetzen,
nämlich so, dass sie den Kindern im Leistungsbezug tat-
sächlich zugute kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn es um die Frage der Hinzuverdienstgrenzen
geht, werden wir auch darüber zu reden haben, wie wir
das Lohnabstandsgebot einhalten und sicherstellen, dass
diejenigen, die arbeiten, mehr haben, als diejenigen, die
nicht im Erwerb sind, damit die Leistungsbereitschaft in
Deutschland erhalten bleibt und die Erzieherinnen und
Kindertagesstättenleiterinnen ebenso wie die Kranken-
schwester und alle anderen merken, dass sich Arbeit
auch bei einem geringeren Einkommen lohnt.

Meine Damen und Herren, der dritte Baustein, den wir
im Frühjahr nächsten Jahres angehen werden, ist die Um-
strukturierung der arbeitsmarktpolitischen Instru-

mente und damit der Hilfsmittel, die notwendig sind, um
Menschen in Beschäftigung zu bringen. An diesem zen-
tralen Punkt wird deutlich, wofür das SGB II eigentlich
geschaffen wurde. Es wurde geschaffen, um den Men-
schen, die der besonderen Hilfe bedürfen, alle Hilfen an
die Hand geben zu können, damit sie wieder in den ersten
Arbeitsmarkt kommen. Aber wohlgemerkt: Die Grund-
sicherung nach dem SGB II schafft keine Arbeitsplätze,
sondern will helfen; sie fängt die Menschen in einer
Grundsicherung auf. Dann müssen wir ihnen mit aller
Kraft helfen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Des-
wegen steht die Organisation dieser Hilfsmittel, dieser,
wie wir sagen, arbeitsmarktpolitischen Instrumente im
Mittelpunkt der nächsten Schritte, die wir gehen werden.

Meine Damen und Herren, ich bin fest davon über-
zeugt, dass wir mit der heutigen Entscheidung erreichen
werden, für Hartz IV, wenn ich das etwas vulgär so sa-
gen darf, oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende,
um es neutral auszudrücken, eine neue Perspektive zu
eröffnen. Ich bitte Sie deswegen sehr herzlich, dem Ge-
setzentwurf heute zuzustimmen, weil das Gesetz letzt-
endlich den Menschen dienen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704900900

Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704901000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde

es richtig schön und freue mich, dass die Einigung über
die Jobcenter heute parteiübergreifend gepriesen wird.
Es ist in der Sache auch eine gute Einigung, das will ich
gar nicht verhehlen. Die Einigung ist in der Sache vor al-
len Dingen für die Arbeitslosen gut, und deswegen ist sie
auch ein Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aber alle sich
heute zu Müttern und Vätern des Erfolgs aufschwingen
und so tun, als hätten sie so viel dazu beigetragen, dann
stellt sich doch die ganz schlichte, logische Frage: Wa-
rum sind wir nicht schon vor zwei Jahren durchs Ziel ge-
gangen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil wir da noch nicht an der Regierung waren!)


Selten ist eine Niederlage so euphorisch gefeiert worden,
wie es jetzt die Regierungskoalition tut; denn in ihrem
Koalitionsvertrag steht ja noch, dass ihr Ziel darin be-
steht, die Jobcenter zu zerschlagen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ach, Frau Pothmer, das ist doch langweilig!)


Wirklich zu diesem Erfolg beigetragen haben die Aus-
dauer der Kommunen, der Länder und der Träger und
die Argumentation der Fachleute. Es gab nur wenige





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)


Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die diesen Er-
folg wollten.

Wir unterstützen die Reform der Jobcenter, die von
Anfang an – Sie werden sich erinnern – das Ziel der
Grünen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
war. Deswegen werden wir dieser Grundgesetzänderung
auch zustimmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten Sie doch kürzer ausdrücken können! Sie haben viel Redezeit damit vertan!)


– Herr Kolb, cool down, Baby!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihrem Entwurf eines Begleitgesetzes werden wir aber
nicht zustimmen. Dieser ist von einem einzigen Wunsch
geprägt. Er ist von dem Wunsch geprägt, die politischen
Geländegewinne der jeweils anderen Seite so gering wie
möglich zu halten. Dieses Verhalten hat dazu geführt,
dass sehr viele Chancen für die Betroffenen vertan wor-
den sind.

Warum – das frage ich Sie, Frau Kramme – konnte
Ihre Seite sich nicht dazu entscheiden, den Kommunen
Wahlfreiheit zu geben und sie selbst entscheiden zu las-
sen, in welcher Organisationsstruktur sie die Langzeit-
arbeitslosen betreuen wollen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Stattdessen steht jetzt eine willkürlich gegriffene Zahl
im Entwurf Ihres Begleitgesetzes. Ich wünschte mir, Sie
würden einmal in der Sache begründen, warum Sie auf
110 Optionskommunen kommen. Das ist nichts anderes
als parteipolitische Gesichtswahrung. Dann machen Sie
auch noch ein Zweidrittelquorum zur Voraussetzung,
um sich überhaupt als Optionskommune bewerben zu
können. Das alles sind nichts als Verhinderungsinstru-
mente, und diese Verhinderungsinstrumente untergraben
die kommunale Entscheidungshoheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber nicht nur bei den Optionskommunen zeigen Sie
sich halbherzig, auch bei den Jobcentern werden drin-
gend notwendige Korrekturen außen vor gelassen. Wir
wissen seit Jahren, dass die kommunalen Kompetenzen
dringend gestärkt werden müssen, wenn Agentur und
Kommunen tatsächlich auf Augenhöhe arbeiten sollen.
Was machen Sie stattdessen? Stattdessen reduzieren Sie
die kommunale Seite auf die Bereiche der Kosten der
Unterkunft und auf die flankierenden Sozialleistungen.
Das geht an den Erfordernissen – Stichwort: Hilfe aus ei-
ner Hand – vorbei.

Jetzt will ich etwas zu dem Betreuungsschlüssel sa-
gen. Ja, ich finde es gut, dass der Betreuungsschlüssel
zum ersten Mal in einem Gesetzentwurf festgeschrieben
worden ist. Aber solange die Formulierung so offen
bleibt, wie sie jetzt im Gesetzentwurf steht, ist es ganz
einfach, auch anderes Personal mit einzurechnen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich kann doch nicht sagen: „Ich stimme zu“ und dann nur negative Punkte bringen!)


Arbeitgeberservice, Empfangspersonal, Aktenboten –
sie alle können in die Berechnung des Betreuungsschlüs-
sels einfließen. Solange dies so ist, wird sich qualitativ
an der Betreuung von Arbeitslosen nicht wirklich etwas
ändern. Wenn Sie bei den Ausschussanhörungen zuge-
hört haben, dann wissen Sie, dass genau in dieser Frage
eine Präzisierung gefordert worden ist. Diese sind Sie
schuldig geblieben. Ich halte das nicht für einen Zufall.

Zusammengefasst: Ihre Reform ist mutlos und lü-
ckenhaft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber ihr stimmt trotzdem zu!)


Deswegen, Herr Kolb, bei aller Liebe:


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


Wir werden ihr nicht zustimmen. Wir werden uns in die-
ser Frage enthalten.

Lassen Sie mich nun bitte etwas zu dem Sparpaket
sagen, weil dieses Sparpaket die Grundsicherung zusätz-
lich torpediert. Frau von der Leyen, Sie wollen die Mittel
für die Arbeitsmarktpolitik drastisch reduzieren, und
zwar auf das Niveau von 2006. Das heißt, dass zukünftig
nur noch 4,5 Milliarden Euro jährlich für Qualifizierung
und Integrationsarbeit zur Verfügung stehen werden.
Das ist eine satte Reduzierung, ein Minus von 30 Pro-
zent. Es gibt wirklich keine andere Gruppe, die derartig
geschröpft worden ist wie die Arbeitsuchenden. Das ist
nicht nur ungerecht, Frau von der Leyen, das ist auch
eine volkswirtschaftliche Milchjungenrechnung;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn Sie werden das Mehrfache der Mittel, die Sie jetzt
nicht in die Arbeitslosen investieren, für die Alimentie-
rung der Arbeitslosen zahlen. Nichts ist teurer als Ar-
beitslosigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben immer betont, dass bei Bildung nicht gestri-
chen wird. Warum gilt das nicht für die Arbeitslosen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Frage!)


Was ist denn Investition in Bildung anderes als Qualifi-
zierung, Umschulung und Förderung von Arbeitslosen?
Sie selber haben immer vor dem Horrorszenario ge-
warnt, dass wir auf der einen Seite einen exorbitanten
Fachkräftemangel haben, auf der anderen Seite gleich-
zeitig eine hohe Arbeitslosigkeit. Ich frage Sie: Warum
unterlassen Sie es dann, die Arbeitslosen jetzt zu Fach-
kräften auszubilden? Sie haben immer die Ausgewogen-
heit des Sparpakets betont. Sie haben das Sparpaket da-
mit verteidigt, dass Ihr Haushalt zwar die Hälfte des
Bundesetats ausmacht, aber Sie nur zu einem Drittel an
dem Sparpaket beteiligt sind. Die Frage der Gerechtig-
keit, Frau von der Leyen, stellt sich aber nicht bei den
betroffenen Haushalten, die Frage der Gerechtigkeit





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)


stellt sich bei den betroffenen Menschen. Auf diesem
Sparpaket klebt der kalte Stempel der FDP.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Sie hätten sich vor Ihre Schutzbefohlenen stellen müs-
sen, Frau von der Leyen. Sie haben sie aber im Stich ge-
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage Sie: Auf welches Alarmsignal warten Sie
noch, wenn sich jetzt schon Millionäre bei der Regie-
rung darüber beschweren, dass sie nicht genug Steuern
bezahlen? Es war kein Linksradikaler, sondern Augusti-
nus, der vor mehr als 1 000 Jahren gesagt hat, dass Staa-
ten nichts als große Räuberbanden seien, wenn sie die
Gerechtigkeit preisgäben.

Ich kann nur sagen: Unter diesen Umständen wird für
uns Grüne die Grundsicherung ein politischer Dauer-
brenner bleiben müssen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das war vor 1 600 Jahren, Frau Kollegin! Augustinus lebte vor 1 600 Jahren!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704901100

Angelika Krüger-Leißner ist die nächste Rednerin für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1704901200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss zur Neuorganisa-
tion der Grundsicherung ist endlich der Knoten geplatzt,
der sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts um den Fortbestand der Argen und der Options-
kommunen gelegt hatte.

Ich bin froh, dass wir dieses Ergebnis nach langem
Ringen heute vorlegen können. Froh sind im Übrigen
auch die vielen Betroffenen vor Ort, so die Mitarbeiter in
der Arge Havelland und in der Optionskommune Ober-
havel bei mir zu Hause. Mit diesen bin ich mir einig,
dass dies ein guter Tag für die Beschäftigten ist. Vor al-
len Dingen ist dies ein guter Tag für alle erwerbsfähigen
Hilfeempfänger in der Grundsicherung.

Das Damoklesschwert der getrennten Aufgaben-
wahrnehmung schwebt nicht mehr über uns. Nach lan-
gem Zickzackkurs, den auch Sie mitgemacht haben,
Frau von der Leyen, gibt es nun das zukunftsfähige Mo-
dell der neuen Jobcenter. Schon der Name sagt, dass es
hierbei in erster Linie um gute Beratung und Vermittlung
geht, wobei alles unter einem Dach organisiert ist, also
alles aus einer Hand. Das Hin und Her für die Betroffe-
nen hört auf. Es gibt einen Ansprechpartner, der den Ar-
beitsuchenden zur Seite steht. Das war immer das Ziel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, wenn
sich die Blockadehaltung von Teilen der Koalitionsfrak-
tionen durchgesetzt hätte, dann läge heute ein Scherben-

haufen vor uns. Die schleichende Lähmung durch Ver-
unsicherung und Orientierungslosigkeit hätte zu einem
Chaos im Bereich der Grundsicherung geführt. Stattdes-
sen hat sich noch rechtzeitig – ich schaue nach rechts –
in den Koalitionsfraktionen die Vernunft durchgesetzt.

Ich will ganz deutlich sagen: Ohne die Entsperrung
der 900 Millionen Euro Eingliederungsmittel im Haus-
halt und ohne die Entfristung der 3 200 Stellen wäre es
mit uns nicht gegangen.

Heute liegt uns ein Konsensbeschluss zur neuen Or-
ganisation der Jobcenter und Optionskommunen vor,
den auch die Länder mittragen werden. Leider war das
2004 nicht der Fall. Das hätte uns so manches erspart.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass dieser Konsens möglich wurde, haben wir der
gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu verdanken
und auch dem Verhandlungsgeschick einzelner Akteure.
Einige wurden schon gelobt. Herr Kolb, es ist doch ganz
klar, dass ich an dieser Stelle unserem Verhandlungsfüh-
rer, Hubertus Heil, ganz herzlich danke. Hubertus, ohne
dich wäre es nicht so erfolgreich verlaufen. Danke!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP)


Wir konnten zwar nicht hundertprozentig unsere Vor-
schläge, die wir schon vor über einem Jahr mit dem
ZAK-Modell vorgelegt haben, umsetzen, aber vieles von
dem ist nun Bestandteil des Gesetzespaketes.

Was ist uns so wichtig an diesem Paket? Erstens haben
wir Entscheidendes für die Verbesserung der Vermitt-
lung erreicht. Mit dem verbindlichen Betreuungsschlüs-
sel von 1 : 75 bzw. 1 : 150 wird es den Fallmanagern – ich
verwende dieses Wort ganz bewusst, Frau Pothmer –
besser gelingen, individueller und passgenauer zu bera-
ten, zu begleiten und zu vermitteln.

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir dies auch
bei anderen Zielgruppen für erforderlich halten. Ich
nenne nur die 645 000 Bedarfsgemeinschaften bei den
Alleinerziehenden, die Ihnen, Frau Ministerin, doch im-
mer so erwähnenswert sind, die älteren Langzeitarbeits-
losen und die Schwerbehinderten.

Ohne Frage können wir mit dem neuen Betreuungs-
schlüssel ein Stück mehr Qualität in die Vermittlung
bringen. Aber zwei Dinge gehören noch dazu – das dür-
fen wir nicht vergessen –, zum einen eine Qualifizie-
rungsoffensive für die Mitarbeiter in den Jobcentern und
in den Optionskommunen; denn nur wer gut ausgebildet
und motiviert ist, kann sich den Anforderungen stellen.
Zum anderen gehört zum Prinzip der Leistung aus einer
Hand auch eine volle Hand.


(Beifall bei der SPD)


Da gehen Sie, Frau von der Leyen, mit Ihren Vor-
schlägen zum Sparpaket aber in die andere Richtung.
Sie wollen nämlich genau bei denjenigen einsparen, die
ohnehin schon nicht sehr viel haben und auf staatliche
Hilfe angewiesen sind. Mit einem Lächeln und Ihrem
Rotstift gehen Sie an die Rentenversicherungsbeiträge
und das Elterngeld heran und machen Pflicht- zu Ermes-





Angelika Krüger-Leißner


(A) (C)



(D)(B)


sensleistungen, um in die aktive Arbeitsmarktpolitik un-
gehindert mit Kürzungen eingreifen zu können. Das ist
ziemlich schäbig; denn das wird gerade die Menschen
treffen, denen Sie schon vor Monaten eine Vermittlungs-
offensive versprochen haben, nämlich jungen Menschen
und Alleinerziehenden.


(Beifall bei der SPD)


Ich denke, das hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu
tun. Diese Sparpläne zulasten der Schwachen in unserem
Land sind Kürzungspläne, und die müssen wir verhin-
dern.

Zu den positiven Inhalten unseres Gesetzespakets
zähle ich weiter die Verständigung aller auf den Renten-
versicherungsträger in der Frage der Zuständigkeit für
die Feststellung der Erwerbsfähigkeit – das ist sachge-
recht –, aber auch die Verständigung auf die gemeinsame
Personalvertretung für die Mitarbeiter in den Jobcentern.
Gut ist, dass es uns gelungen ist, die Übergangsfrist für
die bisher getrennten Aufgabenträger zu verlängern. Das
ist besonders für Baden-Württemberg wichtig.


(Katja Mast [SPD]: Genau!)


Meine Kollegin Katja Mast, die gerade „Genau!“ rief,
hat sich dafür stark gemacht, dass diese Träger keine Be-
nachteiligung erfahren und nun frei entscheiden können.
Katja, ich danke dir.


(Beifall bei der SPD)


Zum Letzten, zur Option, möchte ich noch einige
Worte verlieren. Mit unserer Grundgesetzänderung ver-
ankern wir auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der
Regelfall, nämlich mit 75 Prozent, bleibt die gemein-
same Aufgabenwahrnehmung im Jobcenter. Die 69 Op-
tionskommunen werden nach der Entfristung auf Dauer
bestehen können. Zum Kompromiss gehört auch die Er-
höhung der Zahl der Optionskommunen um 41. Damit
sind es 110, die – das zur Erklärung für Frau Pothmer –
25 Prozent ausmachen. Das ist eben die Ausnahme.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist doch keine qualitative Begründung! Gibt es auch einen inhaltlichen Grund?)


Darauf machen wir heute auch verfassungsrechtlich den
Deckel. Mehr ist da nicht drin.

Alles in allem, denke ich, ist es ein Kompromiss, mit
dem wir zufrieden sein können. Viele Kinderkrankheiten
der Argen konnten wir heilen und mehr Transparenz in
die Organisation bringen. Wir haben eine Reform gestal-
tet, die den Namen „Reform“ verdient. Jetzt bringen wir
sie auf den Weg.

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1704901300

Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege

Christian Ahrendt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1704901400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir ändern gleich die Verfassung. Die
Hinzufügung des Art. 91 e ist sicherlich zunächst ein-
mal, einfach betrachtet, keine Besonderheit, weil das
Grundgesetz schon mehrfach Änderungen im Staatsor-
ganisationsrecht hinter sich hat. Gleichwohl ist es eine
Besonderheit, weil wir das im Nachgang zu einer verfas-
sungsgerichtlichen Entscheidung tun, mit der uns gesagt
worden ist, dass die Mischverwaltung, die auf den Weg
gebracht worden war, verfassungswidrig ist. Es ist zu-
nächst einmal ein durchaus bemerkenswerter Vorgang,
wenn man sich dann nicht an eine solche Rechtspre-
chung hält, sondern im Nachgang dazu eine verfassungs-
rechtliche Änderung vornimmt. Deswegen muss klar
sein, dass dies die absolute Ausnahme bleiben muss.
Hier erfolgte sie für das Ziel, an der guten Idee der Ar-
beitsgemeinschaften und der Jobcenter auch in Zukunft
festhalten zu können.

Ein zweiter Punkt, den ich an dieser Stelle nennen
muss: Von dem eigentlichen Prinzip, das man in den
letzten Jahren bei der Organisation unseres Staatsrechts
verfolgt hat, weicht man natürlich ein Stück weit wieder
ab.

Ziel war es, eine klare Aufgabenzuständigkeit zu
schaffen. Das ist insbesondere ein Anliegen der Födera-
lismuskommission I gewesen. Der Bürger sollte wissen,
wer zuständig ist für welche Aufgaben. Mischverwal-
tung vermischt Zuständigkeiten und schafft hinsichtlich
der Zuordnung bzw. der Wahrnehmung, wer für das, was
zu tun ist, tatsächlich verantwortlich ist, eine gewisse
Unklarheit. Auch deswegen kann es nur eine Ausnahme
bleiben, eine solche Änderung, wie wir sie heute be-
schließen wollen, vorzunehmen.

Richtig ist die Änderung deswegen, weil ihr Vorzug
eben darin liegt, dass durch die Zusammenlegung von
Sozialhilfe und Arbeitslosengeld I Langzeitarbeitslosen
geholfen wird, aus Arbeitslosigkeit herauszukommen
– das war ja ursprünglich Ziel der Hartz-Reformen –,
und die Arbeitsverwaltung ein Stück weit näher an die
Menschen herangebracht wird. Von daher begrüße ich
es, dass wir 41 Optionskommunen dazubekommen,
wenn wir uns auch eine wesentlich stärkere Ausdehnung
dieser Möglichkeit gewünscht hätten. Ein Grund für den
Erfolg, den die Arbeitsgemeinschaften und die Options-
kommunen in den letzten Jahren erzielen konnten, liegt
nämlich darin, dass die Arbeitsverwaltungen durch die
Reformen näher an die Menschen herangekommen sind.

Deswegen tragen wir die Verfassungsänderung mit.
Deswegen halten wir sie für richtig. Wir sagen aber ganz
deutlich: Dieser Weg muss die Ausnahme bleiben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704901500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704901600

Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Mit die-

sem Gesetzentwurf bringen wir die Kommunen in eine
widersprüchliche Situation. Sie müssen sich entschei-
den: Entweder werden sie Optionskommune, überneh-
men also die Betreuung der Langzeiterwerbslosen in Ei-
genregie – und das in Zeiten, in denen der Bund immer
mehr Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, gleichzeitig
aber die Steuereinnahmen der Kommunen deutlich sin-
ken –, oder aber sie entscheiden sich für die Zusammen-
arbeit mit der real existierenden Bundesagentur, die
wahrlich nicht in bestem Zustand ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war im real existierenden Sozialismus auch so! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Unterschätzen Sie unsere Kommunen nicht!)


Vor solch eine Alternative gestellt, haben die Kommu-
nen eigentlich keine richtige Wahl.


(Beifall bei der LINKEN)


So, wie die Bundesagentur nach den Hartz-Refor-
men aufgestellt ist, die die meisten der hier vertretenen
Parteien zu verantworten haben, ist es, wie ich finde, so-
gar zutiefst verständlich, dass sich manche Kommune
dafür entscheidet, Optionskommune zu werden. Infolge
der Hartz-IV-Reform ist die Bundesagentur nämlich vor
allen Dingen betriebswirtschaftlich ausgerichtet worden.
Das heißt, jeder, der eine Dienststelle der BA betritt,
wird als Kunde in Kategorien eingeteilt, in seinen Rech-
ten durch Sanktionen beschnitten, und die Mitarbeiter
der BA sind einer ständigen Evaluation unterworfen, ste-
hen also unter Vergleichsdruck. Und wehe, sie sparen
nicht genauso viel durch Sanktionen ein wie das Nach-
barjobcenter! All das ist Ausdruck einer betriebswirt-
schaftlichen Ausrichtung.

Wir Linke meinen jedoch: Die Bundesagentur muss
wieder einen sozialpolitischen Auftrag erhalten. Für uns
ist deswegen ganz klar: Es darf nicht mehr um Evalua-
tionskerngrößen gehen, sondern darum, dass jeder, der
eine Erwerbsarbeit sucht, dabei auch bestmöglich unter-
stützt wird. Das heißt, dass wir sicherstellen müssen,
dass für jeden das Grundrecht auf ein Existenzminimum
gesichert wird, wie es uns ja auch das Bundesverfas-
sungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Anders als die Kommunen könnten wir als Gesetzge-
ber sehr wohl die Ausrichtung der Bundesagentur verän-
dern. Ich glaube, wenn Sie unsere Vorschläge aufgreifen
würden, würde es vielen Kommunen leichter fallen, sich
für die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur zu ent-
scheiden. Das ändert nun nichts an der grundsätzlichen
strukturellen Entscheidung, der wir uns heute stellen
müssen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
auf die Begleitforschung zurückkommen, die im Auftrag
der Bundesregierung jahrelang durchgeführt worden ist.
Durch sie kam schon sehr Kritisches zur realen Praxis
der Optionskommunen zum Vorschein. Im Abschlussbe-
richt findet sich zum Beispiel eine entscheidende Zahl.
Da heißt es, wenn man sich deutschlandweit für eine
Strukturform, zum Beispiel für die Arge-Struktur ent-
schiede, dann wären Einsparungen von bis zu 3,3 Mil-
liarden Euro möglich. Das ist ein Einsparpotenzial, das
Sie sich entgehen lassen, weil Sie sich für das Modell
„Flickenteppich“ entscheiden. Ich finde, das ist eine fal-
sche Entscheidung.


(Beifall bei der LINKEN)


In den Anhörungen im Ausschuss wurden sehr viele
detaillierte Kritikpunkte angesprochen. Ich kann aus
Zeitgründen leider nur zwei kurz erwähnen.

Erster Kritikpunkt: Der vorliegende Gesetzentwurf
sieht keine Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter vor. Das heißt, es gibt für sie weiter-
hin eine unsichere Arbeitssituation. Sie glauben doch
nicht ernsthaft, dass das keine Auswirkungen auf die
Beratungsqualität hat. Die Unsicherheit für die Beschäf-
tigten wird die Beratungsqualität natürlich deutlich ver-
schlechtern. Ich finde, hier hätten Sie nachbessern müs-
sen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweiter Kritikpunkt: die vorgesehenen öffentlichen
Beiräte. Ich finde es sehr ärgerlich, dass in diesen Beirä-
ten die Vertretung von Betroffenen nicht vorgesehen ist.
Auf die Expertise des Alltags und auf die Erfahrungen
von Menschen, die Hartz IV am eigenen Leib erfahren,
können wir nicht verzichten.


(Beifall bei der LINKEN)


Um es zusammenzufassen: Die heutigen Reformen,
die die Mehrheit hier beschließen wird, gehen am eigent-
lich Notwendigen vorbei. Wir als Linke finden, Fol-
gendes tut in der Auseinandersetzung mit der Erwerbs-
losigkeit not: erstens einen Mindestlohn einzuführen,
zweitens Sanktionen und Bedarfsgemeinschaften abzu-
schaffen und drittens den Regelsatz deutlich zu erhöhen.
Ferner brauchen wir mehr öffentliche Beschäftigung und
eine Umverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit durch
konsequente Arbeitszeitverkürzung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704901700

Das Wort hat nun für die CDU/CSU-Fraktion der

Kollege Thomas Dörflinger.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1704901800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
wenn wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die De-





Thomas Dörflinger


(A) (C)



(D)(B)


batte über die Organisationsreform im Bereich des
Sozialgesetzbuches II in einem Grundtenor führen, der
erkennen lässt, dass wir das Ergebnis gemeinsam über
Fraktionsgrenzen hinweg erreicht haben. Denn wir soll-
ten schon den Mut haben – diesen Gedanken von Gesine
Schwan greife ich gerne auf –, einerseits zuzugeben,
dass die Verhandlungen nicht ganz einfach waren, und
andererseits diese Organisationsreform anschließend als
das darzustellen, was sie ist: ein fraktionsübergreifendes
Projekt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)


Selbstverständlich musste jeder, Herr Kollege Kolb, von
seinen Vorstellungen Abstriche machen. Aber der Kom-
promiss zeigt letztlich, dass wir eine Lösung gefunden
haben, die von allen getragen wird und die den Proble-
men dieses Landes gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da kann auch die SPD klatschen!)


Ich will in diesem Zusammenhang bemerken, dass
der Beitrag von Frau Pothmer gestern im Ausschuss über
die Bewertung des Gesetzesvorhabens etwas konstrukti-
ver ausgefallen ist als ihre Darstellung heute im Plenum,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da konnte sie der Versuchung nicht widerstehen! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten das nicht immer so bewerten!)


nicht nur im Hinblick auf die Verfassungsänderung, son-
dern auch auf die Bewertung des SGB II.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Ich stelle fest: Es gibt zwischen Regierung und Opposi-
tion durchaus, auch wenn Sie sich nicht zu einer Zustim-
mung entschließen können, eine ganze Reihe von Ge-
meinsamkeiten. Das will ich durchaus anerkennen.

Ich will allerdings ebenfalls sagen, dass mir auch
nach dem Beitrag von Frau Kipping nach wie vor rätsel-
haft geblieben ist, wie sich die Linkspartei dieses Projekt
vorstellt. Ich will daran erinnern, dass uns vor einiger
Zeit in diesem Zusammenhang zwei Anträge vorgelegen
haben. In dem ersten wurde die Forderung „Hartz IV ab-
schaffen“ und in dem zweiten die Forderung „Regelsätze
auf 500 Euro erhöhen“ erhoben. Ich frage mich mit
Blick auf den parlamentarischen Ablauf: In welcher Rei-
henfolge sollen wir das denn machen?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wie „Reichtum für alle“ und „Reichensteuer einführen“!)


Sollen wir die Regelsätze erst erhöhen und dann das So-
zialgesetzbuch II abschaffen, oder sollen wir erst das
Sozialgesetzbuch II abschaffen und dann die Regelsätze
erhöhen? Aus logischen Gesichtspunkten wird das Letz-
tere ein bisschen schwierig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben sich in ihrer eigenen Dialektik verheddert!)


Unser Ansatz war, Hilfe aus einer Hand und Hilfe
unter einem Dach zu ermöglichen. Mit der heute vorlie-
genden Reform wird dies erreicht. Es ist Anlass, die
fraktionsübergreifende Zusammenarbeit an dieser Stelle
noch einmal lobend hervorzuheben.

Der CDU/CSU-Fraktion war wichtig, dass wir nicht
nur die Zahl der bestehenden 69 Optionskommunen
entfristen und verfassungsrechtlich absichern, sondern
dass wir dem Wunsch vieler Landkreise entgegenkom-
men, von der Option zusätzlich Gebrauch zu machen.
Wir werden also die Zahl von 69 nach dem im Normtext
verankerten Regel-Ausnahme-Verhältnis von einem
Viertel zu drei Viertel nun auf 110 erhöhen.

Es war mir wichtig, dass wir die in der durchgeführ-
ten Anhörung geäußerte Anregung befolgt haben und
insbesondere die Übergangsfristen aus baden-württem-
bergischer Sicht noch einmal unter die Lupe genommen
und den Gesetzentwurf dementsprechend verbessert ha-
ben. Ich habe mich gestern Abend mit den Landräten aus
Reutlingen und dem Alb-Donau-Kreis in Baden-
Württemberg unterhalten, die beide vor der Frage stehen
– bei dem einen geht es um die Arge, bei dem anderen
um die getrennte Aufgabenwahrnehmung –, wie sie das
zukünftig organisieren. Sie haben beide bestätigt, dass es
der richtige Ansatz war, die Übergangsfristen auf den
31. Dezember des kommenden Jahres auszudehnen.
Denn wir müssen auch die Ferienregelung in Baden-
Württemberg mit berücksichtigen. Es muss also einer-
seits für die Kolleginnen und Kollegen in den Kreista-
gen, die dort ehrenamtlich tätig sind, ausreichend Zeit
bleiben, um dieses Beratungsverfahren sinnvoll zu füh-
ren; andererseits muss natürlich auch für die Verwaltung
vor Ort ausreichend Zeit sein, das umzusetzen. Meines
Erachtens ist dem mit einem Korridor bis zum Jahres-
ende 2011 nun ausreichend Rechnung getragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht um ei-
nen Flickenteppich, sondern darum, dass wir durch die
Zielvereinbarung eines Landkreises bzw. einer kreis-
freien Stadt Kooperationen mit dem jeweiligen Bundes-
land und mit dem Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales sicherstellen, dass wir passgenaue Lösungen
erarbeiten, die auf die Situation vor Ort zugeschnitten
sind.

Der Wahlkreis des Kollegen Peter Weiß und mein
Wahlkreis grenzen zwar aneinander, aber der Arbeits-
markt im Wahlkreis Emmendingen-Lahr ist ein anderer
als der Arbeitsmarkt im Wahlkreis Waldshut-Hoch-
schwarzwald. Deswegen ist es sinnvoll, wenn per Ziel-
vereinbarung auf die je unterschiedliche Situation in
den jeweiligen Landkreisen eingegangen werden kann.
Deswegen bin ich zufrieden, dass dies im vorgelegten
Entwurf gelungen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Ich spreche einen weiteren Punkt an, der ebenfalls zu
dem gehört, was uns in diesem Beratungsverfahren ver-
band. Es sind mehrfach die 900 Millionen Euro für den
Eingliederungstitel und die 3 200 Stellen bei der Bun-





Thomas Dörflinger


(A) (C)



(D)(B)


desagentur für Arbeit angesprochen worden. Ich halte
vor dem Hintergrund der hinter uns liegenden Beratun-
gen im Ausschuss für Arbeit und Soziales fest: Es gab
nach meiner Wahrnehmung unter den meisten Arbeits-
marktpolitikerinnen und Arbeitsmarktpolitikern in die-
sem Ausschuss keinen Dissens darüber, dass wir die
900 Millionen Euro freigeben und dass wir die
3 200 Stellen bei der Bundesagentur entfristen. Aber wir
müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass unsere
Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, die
mit einem ähnlichen Verantwortungsbewusstsein, aber
vielleicht mit einem anderen Blickwinkel an die Dinge
herangehen, in diesem Fall zu einem anderen Urteil ge-
kommen sind. Schlussendlich zählt aber, dass wir uns
auf eine vernünftige Lösung geeinigt haben. Deswegen
sage ich: Ende gut, alles gut.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich vor dem Hintergrund einer Debatte,
die wir in den vorangegangenen Wochen unter dem
Stichwort „Strategie EU 2020 für Wachstum und Be-
schäftigung“ geführt haben, einen letzten Gedanken an-
schließen. Dabei haben wir uns seitens der Bundesrepu-
blik Deutschland zur Vermeidung von Altersarmut auf
einen Indikator verständigt, nämlich die Zahl der Lang-
zeitarbeitslosen. Diese ist für uns ein wesentliches Krite-
rium, um Armut in unserem Lande zu messen. Deswe-
gen ist es richtig und gut, wenn wir heute mit der
Organisationsreform des Sozialgesetzbuches II die Vo-
raussetzungen schaffen, dass die zahlenmäßige Erfas-
sung, die Betreuung sowie die Hilfe für die Integration
in den ersten Arbeitsmarkt in Zukunft besser organisiert
werden können als in der Vergangenheit. Ich bedanke
mich für ein konstruktives Beratungsverfahren und
werbe um Zustimmung zur Einfügung des Art. 91 e in
das Grundgesetz und um Zustimmung für unseren Ge-
setzentwurf zur Organisationsreform im Bereich des
Sozialgesetzbuches II.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704901900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-

büne hat der Parlamentspräsident der Ukraine, der
Präsident der Werchowna Rada, Herr Wolodymyr
Lytwyn, mit seiner Delegation Platz genommen.


(Beifall)


Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich und
wünsche Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland und
für Ihr weiteres politisches Wirken alles erdenklich
Gute.

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug-
Möller für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1704902000

Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben
wir in dieser Debatte nicht schon alles gehört! Wir ken-
nen jetzt alle Väter des Erfolges. Man darf mit Blick auf
das Ministerium, Frau Ministerin, sagen: Auch in Ihrem
Haus hat es einen Vater des Erfolges gegeben, nicht un-
bedingt eine Mutter.

Es waren kluge Verhandlungen. Wir haben ein Ergeb-
nis vorliegen, dem die SPD gern zustimmt, hat sie es
doch durch ihre Aktivität und ihr Engagement ermög-
licht, dass diese Lösung zustande kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe mit großem Interesse, Frau Kollegin
Pothmer, gehört, wie Sie Liebe von Grün an Gelb adres-
sieren.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Liebe gehört dem ganzen Haus!)


Ich bin gespannt, was da noch kommt.

Diesem Familiensinn will auch ich entsprechen und
will heute über Ulla reden; denn Ulla arbeitet in einem
Jobcenter. Ulla ist die Gewinnerin des Tages. Warum ist
das so? Das will ich kurz erläutern. Ulla war befristet be-
schäftigt. Ulla gehört zu denen, die den Vorteil haben,
dass sie jetzt eine gute Perspektive haben, und sie und
ihr Team, das über viele Jahre in schwierigen Situatio-
nen arbeiten musste, wissen nun endlich, in welchem
Rahmen es weitergeht.

Deshalb ist dies ein guter Tag für Beschäftigte in Job-
centern. Ein bisschen schmunzeln muss ich schon da-
rüber, dass zukünftig auch die Optierer Jobcenter heißen.
Das finde ich völlig in Ordnung, signalisiert es doch,
dass etwas eintritt, was wir wollen, nämlich dass die
Leistungen vergleichbar werden, dass Steuerung über al-
les möglich ist. Ich denke, dass damit ein Wettbewerb
aufhört, wie wir ihn sonst aus dem Märchen kennen; Sie
wissen das: „Spieglein, Spieglein, an der Wand …“. Ich
glaube, damit ist Schluss – und das ist auch gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Warum freut sich meine Ulla darüber hinaus? Weil sie
sich sagt: Endlich können wir in einem ordentlichen
Rahmen arbeiten. – Das haben sie verdient; denn ihre
Arbeit ist schwierig. Ihre Arbeit ist deshalb schwierig,
weil wir in den letzten Jahren im Bereich des SGB II und
III kontinuierlich Veränderungen vorgenommen haben.
Eigentlich ist ihre Sorge, dass ihre Arbeit unter er-
schwerten Bedingungen weitergeht. Auf diese Sorge
komme ich gleich zu sprechen.

Was liegt hinter uns, wenn wir heute mit der Mehrheit
des Hauses Ja zur Verfassungsänderung sagen? Wenn
ich es recht erinnere, mussten weite Teile zum Jagen ge-
tragen werden. Ich kann mich noch erinnern, dass An-
fang dieses Jahres schwerste Bedenken formuliert wur-
den, dass das alles nicht gehe. Bei manchen ist da
Erkenntnis zum Wohle der Sache eingezogen. Das finde
ich gut, und das ist in Ordnung. Die SPD hat dabei kräf-
tig geholfen.





Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD)


Was ist aber die Sorge von Ulla? Wir haben jetzt zwar
eine gute Organisationsstruktur. Aber ihre Sorge ist, dass
sie sich nicht mit guter Arbeitsmarkt- und Sozialpoli-
tik füllt. Diese Sorge muss ich leider teilen; denn sie ist
berechtigt. Im Übrigen haben nicht nur die Mitglieder
der SPD-Bundestagsfraktion diese Sorge. Auch die gro-
ßen Kirchen, die Sozialverbände und die Wohlfahrtsver-
bände machen sich große Sorgen um die Schieflage in
unserer Gesellschaft, die durch die Kürzungen, die jetzt
ins Haus stehen, verschärft wird. Dazu will ich sagen:
Hoffen wir auf weitere Erkenntnisgewinne! Herr Kolb,
auch Sie haben das Hohelied gesungen, dass wir ge-
meinsam zu besseren Lösungen kommen. Dazu sage ich:
Bessere Lösungen sind nur möglich, wenn Sie sich an
dieser Stelle bewegen, und zwar auch im Hinblick auf
das materielle Recht und das Leistungsrecht. Denn die
Kürzungen, die geplant sind, bedeuten, dass jene, die nie
in ihrem Leben über ihre Verhältnisse gelebt haben, für
das zahlen müssen, was andere angerichtet haben. Das
geht nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ich mache mir auch Sorgen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie oder Ulla?)


weil Strukturen wegbrechen könnten, die wir für gute
Arbeitsmarktpolitik brauchen. Wir brauchen stabile
Netzwerke über die Jobcenter hinaus. Wir brauchen eine
ordentliche Schuldnerberatung. Wir brauchen eine gute
Familienberatung. Wir müssen gute Bildungsträger ha-
ben, damit das klappt, was unser gemeinsames Ziel sein
muss, nämlich denjenigen – das sind Millionen –, die
Arbeit suchen und keine finden, zu helfen, dass sie in
Beschäftigung kommen.

Das, was ich zur Beschäftigung gesagt habe, verbinde
ich mit einem Vorschlag an die Ministerin: Frau von der
Leyen, Sie könnten sehr viele sogenannte Kunden in
Jobcentern schlagartig verlieren – im positiven Sinne –,
wenn zum Beispiel Aufstocken nicht mehr erforderlich
wird, weil man von dem Einkommen aus Arbeit leben
kann.


(Beifall bei der SPD)


Wenn Arbeit in diesem Land endlich ordentlich bezahlt
würde, hätte man schlagartig Zeit und damit die Mög-
lichkeit, sich um die zu kümmern, die Arbeit suchen.
Das wird ein großes Thema in diesem Haus bleiben.

Kollege Schiewerling, Sie werden uns, wenn es um
den zweiten Baustein, die Regelsätze, geht, konstruktiv
fordernd an Ihrer Seite haben. Beim geplanten dritten
Baustein – da geht es, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, um die Reform der Instrumente – haben Sie uns
nur dann dabei, wenn es der Ulla, von der ich sprach,
hilft und sie ordentliche Rahmenbedingungen erhält. Die
Jobcenter haben nämlich von ständigen Änderungen die
Nase voll: Sie wollen nicht mehr ständig ihre EDV über-
fordert sehen und „zu Fuß“ rechnen müssen;


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! Da gebe ich Ihnen völlig recht!)


sie wollen klare und beständige Verhältnisse. Das sind
wir all denen, für die heute ein guter Tag ist, auch auf
Dauer schuldig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Kollegin, ich nehme Sie beim Wort!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704902100

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Max

Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1704902200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Mit der anschließenden Abstimmung über die Änderung
des Grundgesetzes und die Regelungen zu den Jobcen-
tern kommt heute ein langer Diskussionsprozess zum
Abschluss. Ich glaube, es ist für die Menschen ein guter
Tag, insbesondere für diejenigen, die vom Jobcenter be-
treut werden. Damit ist verbunden, dass Menschen gut in
den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden können
und die Verwaltung zukünftig auf einer soliden rechtli-
chen Basis arbeiten kann. Insofern ist die erste Botschaft
des heutigen Tages an die Menschen: Wir legen heute
die Grundlage für einen weiteren Meilenstein in unserem
Sozialstaat.

Ich glaube, es hat sich gelohnt, diesen langen Diskus-
sionsprozess auf sich zu nehmen. Natürlich gab es ver-
schiedenste Vorstellungen, wie die Arbeitsmarktpolitik
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns
ermahnt hat, dass Mischverwaltungen aufgrund unseres
Staatsaufbaus nicht zulässig sind, künftig organisiert
werden soll. Es ist sinnvoll, den Menschen die Hilfs-
möglichkeiten, die in der Verantwortung der Kommu-
nen, vor allem aber des Bundes liegen, aus einer Hand
anzubieten. Deshalb ist es gerechtfertigt, heute das
Grundgesetz zu ändern, um damit die rechtliche
Grundlage für die Organisation und Verwaltung zu
schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich haben sich heute alle Fraktionen, die für die-
ses Gesetzeswerk verantwortlich sind – SPD, CDU/CSU,
FDP –, einzelne Erfolge auf ihre Fahnen geschrieben.
Frau Lösekrug-Möller, ich möchte aber schon daran erin-
nern, dass es bei der SPD zur Zeit der Großen Koalition
eine Verweigerungshaltung gab: Eine sinnvolle Lösung
wurde seinerzeit immer verhindert, vor allen Dingen, als
es darum ging, dass die Kommunen stärker in die Ver-
mittlung von Arbeitsstellen an arbeitslose Menschen
eingebunden werden. Die SPD konnte sich nicht damit
anfreunden, dass es in Deutschland mehr Optionskom-
munen gibt.

Auch die Optionskommunen sind für die Menschen
ein Erfolg; denn damit können angepasste Lösungen ge-
funden werden, nämlich – so ähnlich hat es mein Kol-





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


lege vorhin ausgedrückt – zielgenaue Lösungen für je-
den Landkreis, jeden Bereich und jede Kommune, ganz
im Sinne der betroffenen Menschen. Das ist meines Er-
achtens ein Erfolg, für den wir mit unserer Stimmabgabe
die Grundlage schaffen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin überzeugt, dass in dieser neuen, rechtssiche-
ren Organisationsform der Optionskommune bzw. der
Jobcenter – sie heißen alle Jobcenter – die Vermittlung in
den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund steht.

Die Kollegen aus der linken Ecke haben heute vielfäl-
tig von Drangsalierung gesprochen. Das möchte ich
massiv zurückweisen. Es ist keine Drangsalierung, Men-
schen in Arbeit zu bringen, Frau Kollegin Kipping. Im
Gegenteil: Es ist eine gelebte Chance für die Menschen,
wenn sie Arbeit haben. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe
der Jobcenter. Das wird durch die vorliegende Änderung
umgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die linke Fraktion scheint es als Drangsalierung zu
verstehen, dass im Sozialgesetzbuch Sanktionen vorge-
sehen sind. Es handelt sich aber um ein Sozialstaatsge-
bot, weil es in unserer Gesellschaft nicht sein darf, dass
Millionen von Menschen tagtäglich früh aufstehen, den
ganzen Tag hart arbeiten, Beiträge an die Arbeitslosen-
versicherung abführen und Steuern zahlen, damit die So-
zialleistungen erbracht werden können, und sich gleich-
zeitig wenige Einzelne vor der Arbeit drücken. Das darf
nicht sein. Es ist ein Sozialstaatsgebot: Wer zumutbare
Arbeit nicht annimmt, muss mit Sanktionen rechnen.
Das ist keine Drangsalierung, sondern oberstes Sozial-
staatsgebot in unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin überzeugt, dass wir mit der heutigen Reform
den Grundstein dafür legen, dass 1,2 Millionen ältere
Arbeitslose schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt
vermittelt werden können. Wir legen besonderes Augen-
merk darauf, dass 200 000 Jugendliche, wenn es sein
muss, das nötige Gerüst einer guten Berufsausbildung
erhalten und dass das durch die vorhandenen Instru-
mente erreicht wird. Zugegeben: Die SPD will einen be-
sonderen Betreuungsschlüssel für Alleinerziehende. Wir
hingegen legen, auch ohne Betreuungsschlüssel, weiter-
hin großen Wert darauf, der besonderen Situation von
Alleinerziehenden gerecht zu werden. Das ist die Auf-
gabe, die wir zu erbringen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704902300

Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten

Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1704902400

Ja.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704902500

Bitte sehr.


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704902600

Lieber Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zu

den Sanktionen den Eindruck erweckt, dass es bei Sank-
tionen immer nur um Menschen gehe, die sich komplett
vor Arbeit drücken wollten. Ich persönlich habe eine an-
dere Einschätzung, was den Stellenwert von Erwerbs-
arbeit anbelangt.

Ich lasse mich aber auf Ihre Logik ein und lege sie
meinen Überlegungen zugrunde. Ich möchte Sie fragen:
Ist Ihnen bekannt, dass ein Großteil der Sanktionen nicht
wegen Ablehnung eines zumutbaren Jobangebotes, son-
dern aufgrund von Meldeversäumnissen erfolgt, bei-
spielsweise weil eine Unterlage später eingereicht wor-
den ist?

Sanktionen greifen auch bei Fällen wie folgendem:
Einer Frau ist eine Arbeitsstelle vermittelt worden. Dort
hat sie erfahren, dass sie für einen Niedriglohn arbeiten
muss. Sie hat erschrocken festgestellt, dass der Lohn
deutlich unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegt. Daraufhin
hat man ihr gesagt, sie könne ja aufstocken. Sie hat ge-
sagt, dass sie diese Arbeit gerne übernehme. Leider hat
sie diese Stelle nicht bekommen. Das Jobcenter ist dann
zu folgendem Ergebnis gekommen: Weil sie festgestellt
habe, dass es sich um einen sittenwidrigen Lohn han-
dele, sei sie selber schuld daran, dass sie den Arbeits-
platz nicht bekommen habe. Jetzt wird ihr gegenüber
eine Sanktion ausgesprochen. Glauben Sie wirklich, dass
es im Sinne eines Sozialstaatsgebots ist, dass man sich
nicht mal mehr gegen sittenwidriges Lohndumping zur
Wehr setzen darf?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1704902700

Mir ist natürlich bekannt, dass die meisten Sanktionen

ausgesprochen werden, weil eine Mitwirkung nicht im-
mer fristgerecht erfolgt ist. Es gehört auch zum Sozial-
staat, dass jeder seine Mitwirkungspflicht wahrnehmen,
sich schnell in den Arbeitsmarkt einfügen und vor allen
Dingen Betreuungs- und Vermittlungsangebote anneh-
men muss.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


Natürlich ist es mit entscheidend, dass entsprechende
Löhne gezahlt werden. Aber Löhne werden aufgrund
von Tarifverträgen gezahlt. Sittenwidrigkeit wird von
Gerichten festgestellt. Es ist nicht dem Einzelnen an-
heimgegeben, festzustellen, dass ein Lohn sittenwidrig
ist. Wenn nach Tarif gezahlt wird, ist die Arbeit anzu-
nehmen. Selbst wenn der Lohn ungenügend ist, ist er zu
akzeptieren, weil mit der Aufnahme von Arbeit die
Chance auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz verbun-
den ist, Frau Kollegin Kipping. Es geht nicht, dass man
das Angebot einfach ablehnt, zu Hause auf dem Kanapee
verweilt und wartet, bis man ein Topangebot bekommt.
Das kann es nicht sein, werte Kollegin.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)






Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines sehr langen
Diskussionsprozesses, kurz vor der Abstimmung. Ich
darf mich ebenfalls sehr herzlich bei den Bundestagskol-
legen bedanken, beim Kollegen Heil, beim Kollegen
Kolb und beim Kollegen Schiewerling. Genauso herz-
lich bedanke ich mich natürlich bei den Vertretern der
Bundesländer und der Ministerien. Darüber hinaus be-
danke ich mich bei Herrn Staatssekretär Hoofe für die
Leitung.

Ich glaube, dass wir deutlich gemacht haben, dass un-
sere Demokratie funktioniert, dass wir, wenn es sein
muss, gut zusammenarbeiten können und schlagkräftig
sind und dass unterschiedliche Konzepte und Vorstellun-
gen zusammengeführt werden. Ich glaube, das ist der
große Erfolg dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ich bitte
deshalb um Zustimmung zur Grundgesetzänderung und
zum Ausführungsgesetz.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704902800

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun-
desregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes, und zwar in
Art. 91 e. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/2183, die ge-
nannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1939
und 17/1554 zusammenzuführen und in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist. Das sind mindestens 415 Stimmen.

Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Jetzt sind alle Plätze an
den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.

Die Sitzung ist unterbrochen.


(Unterbrechung von 11.37 bis 11.44 Uhr)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704902900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,

Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.

Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung über die Änderung des Grundge-
setzes bekannt: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben
gestimmt 515, mit Nein 71, Enthaltungen gab es keine.
Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen
Mehrheit angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 586;
davon

ja: 515
nein: 71

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg

Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig

Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)


Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger

Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)


Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)






Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch

Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Christian Lindner
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Frank Schäffler
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde

Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Thomas Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Dr. Valerie Wilms

Nein

DIE LINKE

Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens

Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Jens Petermann
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Michael Schlecht
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP auf Drucksache 17/2192. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Abstim-
mung über die von der Bundesregierung sowie den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent-
würfe eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2188, die ge-
nannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1940,
17/1555 und 17/2057 zusammenzuführen und in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die
Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zwei-
ten Beratung angenommen.

Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2193 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist da-
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Mit guter Arbeit aus der Krise

– Drucksachen 17/1396, 17/2069 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so
verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1704903000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Mit dem gerade verkündeten Ergebnis
der namentlichen Abstimmung zur Reform der Jobcenter
hat Deutschland, haben auch die Arbeitslosen und die
Mitarbeiter in den Jobcentern eine gute Zukunft vor sich.
Wir haben jetzt Planungssicherheit, sowohl für die Mit-
arbeiter als auch für die zu betreuenden Langzeitarbeits-
losen. Man könnte sagen: Wir begeben uns jetzt wieder
in das Tagesgeschäft.

Der hier vorliegende Antrag der Linken mit dem Titel
„Mit guter Arbeit aus der Krise“ ist aber weniger erfreu-
lich. Die Überschrift ist gut; aber das ist leider auch das
Beste an diesem Antrag.


(Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP] – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann haben Sie nicht weitergelesen!)


– Ich habe ihn ganz gelesen, Frau Kollegin Enkelmann.
Ich freue mich schon darauf, was Ihre Arbeitsmarkt-
expertin Luc Jochimsen, die nachher sprechen wird,
Sinngebendes dazu beitragen kann.

Es ist richtig: Arbeit ist mehr als nur Gelderwerb. Ar-
beit ist die Verkörperung von Menschenwürde; der
Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz
gilt auch in Bezug auf die Arbeit, wie es bereits das Bun-
desarbeitsgericht in den 80er-Jahren ausgeführt hat. Das
heißt: Die Wertschätzung eines Menschen, eines Mitbür-
gers, ist natürlich auch durch seine Tätigkeit geprägt.
Auch das gehört zur Arbeit. Arbeit ist nicht Schikane,
Arbeit ist nicht Drangsalierung, wie es uns einige in die-
sem Hohen Hause glauben machen wollen. Arbeit trägt
vielmehr dazu bei, wieder Tritt zu fassen und sich selber
zu bestätigen, etwas schaffen zu können.

Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten
Weg. – Liebe Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass ich
aus meiner Tageszeitung zitiere. – Die Würzburger
Main-Post hat gestern geschrieben: „Deutsche arbeiten
wieder länger“ und „Produktivität liegt über dem Vor-
jahreswert“. Von der Kurzarbeit sind derzeit noch
933 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger betroffen. Im
dritten Quartal 2009 waren es 1,12 Millionen, im vierten
Quartal 984 000. Das heißt, die Kurzarbeit nimmt de-
gressiv ab. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitlosen
und – toi, toi, toi! – auch der Langzeitarbeitlosen ab.

Das in dem Antrag der Linken gezeichnete Horror-
szenario – auf Seite 1 ist von einem „Klima der Angst“
die Rede – ist insofern nicht angebracht. Es liegen noch
sehr viele Aufgaben vor uns, die wir in den nächsten
Monaten und Jahren angehen werden. Wir müssen uns
aber auch nicht vor dem Problem verstecken. Es fragt
sich, wer hier tatsächlich ein Klima der Angst schürt. Ich
habe bereits darauf hingewiesen. Vor über einem Jahr,
am 23. April 2009, haben wir in diesem Haus einen





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Antrag der Linken mit dem Titel „Gute Arbeit – gutes
Leben“ beraten. Das ist fast derselbe Titel wie heute.
Heißen Themen wird vonseiten der Linkspartei mit auf-
gewärmten Versatzstücken begegnet. Der inhaltliche
Stillstand der Linken löst aber kein Problem in Deutsch-
land.

Es geht nicht darum, Menschen in Resignation zu
treiben, sondern darum, die Probleme anzupacken und
den Menschen Mut zu machen. Mit dem Entwurf des
Beschäftigungschancengesetzes, der heute Nachmittag
auf der Tagesordnung steht, wird die Verlängerung der
Kurzarbeiterregelung in erster Lesung auf den Weg ge-
bracht, um damit den Unternehmen die Chance zu ge-
ben, qualifiziertes Personal auch über das Tal dieser
Krise hinweg zu halten.

Der vorliegende Antrag stammt aus der Mottenkiste.
Er ist ein „Worst of“ der Linkspartei. Die Vorschläge
sind unrealistisch und zum Teil politisch nicht durchsetz-
bar. Erlauben Sie mir, dass ich auf einige Ihrer Vor-
schläge im Einzelnen eingehe.

Die Linkspartei will keine Anreize für Erwerbslose
schaffen, sich um Arbeit zu bemühen. Stattdessen setzen
Sie schlicht auf einen weiteren Ausbau staatlicher So-
zialleistungen.

Die Linken wollen den Eindruck vermitteln, der Staat
überlasse von Arbeitslosigkeit bedrohte Bürger aus-
schließlich sich selbst. Das Gegenteil ist der Fall: Wir
haben mit der Reform der Jobcenter und der Flexibilisie-
rung der Instrumente der Jobvermittler viele richtige
Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Langzeit-
arbeitslosen noch besser zu betreuen, als es in den letz-
ten Jahren der Fall war. An dieser Stelle besteht noch
Optimierungsbedarf; damit haben Sie sicherlich recht.
Ich glaube, dass mit dem vorhin beschlossenen Gesetz
zur Reform der Jobcenter das Richtige gemacht wird.

Im Haushalt 2010 bezieht sich etwa die Hälfte der
Ausgaben auf den Sozialetat; Frau Ministerin hat heute
Morgen bereits darauf hingewiesen. Die Arbeitnehmer-
überlassung bzw. Leiharbeit, die Sie größtenteils redu-
zieren wollen, ist eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein
großer Anteil derjenigen, die vermittelt werden, sind
Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Es gibt auch Miss-
brauch; das will ich nicht verkennen. Der Fall Schlecker
ist bekannt. Es gibt etliche weitere Unternehmen. Wir
sind dabei, in Arbeitsgruppen zu klären, wie wir in Zu-
kunft derartige Übergriffe und Methoden vermeiden
können. Ich glaube, dass wir hier mit unserem Koali-
tionspartner auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass
wir in den nächsten Monaten auch dieses Problem in den
Griff bekommen.

Die Bundesregierung plant bereits ein Gesetz zur Än-
derung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bzw. des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dazu müssen wir wis-
sen, dass mit der Freizügigkeit im europäischen Raum
ab 1. Mai 2011 weitere Aufgaben vor uns liegen. Auch
darauf müssen wir uns rechtzeitig einstellen. Wir wollen
eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit einziehen. Auf
welchem Weg wir das machen, diskutieren wir derzeit in
Arbeitsgruppen.

Die Forderung der Linken, eine sachgrundlose
Befristung von Arbeitsverträgen völlig abzuschaffen,
geht völlig ins Leere. Die Betriebe brauchen in bestimm-
ten Situationen die Möglichkeit, Arbeitnehmer mit Sach-
grund befristet einzustellen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch die Probezeit!)


Man kann auch jemanden sachgrundlos einstellen, etwa
um ihn zu testen. Zu den klassischen Fällen der befriste-
ten Einstellung gehören die Schwangerschaftsvertre-
tung, ein hoher Auftragseingang mit der Folge, dass
Aufträge schnell abgearbeitet werden müssen, und eine
projektgebundene Einstellung von besonders qualifizier-
ten Arbeitskräften. Sie erhalten durch die befristete Ein-
stellung die Chance – das ist ein beiderseitiges Kennen-
lernen –, sich in den Arbeitsplatz einzufügen bzw. dem
Chef zu zeigen, dass sie für den Job auch dauerhaft ge-
eignet sind, und möglicherweise anschließend in diesem
Job bleiben zu können.

Sie fordern einen Kündigungsschutz für alle, insbe-
sondere für die Mitbürgerinnen und Mitbürger über
55 Jahre. Dieser umfassende Kündigungsschutz wird
– das ist die andere Seite der Medaille – dazu führen,
dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen ge-
rade älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegenüber
sicherlich nicht steigen wird. Der Chef sagt sich natür-
lich: Wenn ich einen 45-Jährigen einstelle, kann ich ihn
ganz normal kündigen, wenn ich aufgrund der Auftrags-
lage dazu gezwungen bin, einen Älteren nicht. – Das
wäre ein Problem bei der Vermittlung unserer älteren
Mitbürgerinnen und Mitbürger, und das müssen wir den
Leuten fairerweise auch sagen. Es klingt toll, wenn man
sagt: „Du bist 55; wenn du eingestellt wirst, kann dir
nicht mehr gekündigt werden“, aber man muss dann
auch sagen, dass die Bereitschaft, solche Menschen ein-
zustellen, im Gegenzug sinkt. Das wäre eine Hürde bei
Neueinstellungen; davon bin ich überzeugt.

Sie fordern ein politisches Streikrecht. Gut, mehr als
die Hälfte der Mitglieder der Linkspartei sind Gewerk-
schafter. Es ist verständlich, dass deshalb auch diese For-
derung wieder aufgewärmt wird.


(Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Haben Sie etwas gegen Gewerkschaften?)


– Nein, ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Ich bin
für Gewerkschaften. Ist der Klaus Ernst noch da? Ich
sehe ihn gar nicht.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Natürlich ist Herr Ernst da! Wir sind alle da!)


– Ah, er ist in ein Gespräch vertieft. – Ich schätze ihn
ausdrücklich als Gewerkschafter aus meiner Nachbar-
schaft. Es sind sicher noch mehr Gewerkschafter da. Wir
schätzen starke Gewerkschaften, weil sie dazu beigetra-
gen haben, dass mit der SPD in der letzten Legislatur-
periode über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz tariflich
vereinbarte Mindestlöhne überhaupt erst auf den Weg
gebracht werden konnten.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das reicht nicht!)






Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


Mir ist es lieber, die an der Lohnfindung beteiligten Par-
teien – Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. Gewerk-
schaften – finden einen Lohn, als dass der Lohn politisch
festgesetzt werden muss. Das ist der falsche Weg; der
führt in eine Sackgasse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Wir können ja mal über Tarifbindung reden!)


Ihr Einwand, Frau Enkelmann, bringt mich zu dem
nächsten Punkt in Ihrem Antrag: Mindestlohn. Ein flä-
chendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist das falsche
Rezept. Er löst unsere Probleme nicht, sondern ver-
schärft die Situation nur.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704903100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Zimmermann?


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1704903200

Ja, ich bitte darum.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habt ihr das verabredet? – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So weit geht es nicht!)


– Frau Pothmer, Sie können mich auch etwas fragen. Die
Uhr ist schon angehalten.


(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


– Die Sympathien sind eindeutig verteilt, Herr Kolb.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704903300

Herr Kollege Lehrieder, stimmen Sie mir zu, dass wir

auf dem Arbeitsmarkt einen Wandel von guter, tariflich
entlohnter Arbeit zu Teilzeit, prekärer Beschäftigung,
Minijobs und Midijobs erleben? Stimmen Sie mir zu,
dass wir in diesem Bereich eine massive Zunahme ha-
ben?


(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil! Wir haben eine Abnahme in dem Bereich!)


Stimmen Sie mir zu, dass wir durch die Tatsache, dass in
den letzten fünf Jahren 655 000 Menschen in Rente ge-
gangen sind und nicht so viele junge Leute nachkom-
men, einen statistischen Effekt in der Arbeitslosenstatis-
tik haben? Stimmen Sie mir zu, dass wir einen weiteren
statistischen Effekt dadurch haben, dass 270 000 Men-
schen pro Jahr aus der Statistik herausfallen, weil sie
durch Dritte vermittelt werden?


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1704903400

Ich stimme Ihnen darin zu, dass der Bereich der Mini-

und Midijobs in den letzten Jahren angewachsen ist, aber
nicht nur wegen erzwungener Maßnahmen der Arbeitge-
berseite, sondern auch, weil viele Mitbürgerinnen und
Mitbürger nur einen Teilzeitjob wollen, sei es wegen
Kindererziehung, sei es wegen der Berufstätigkeit des

Partners. Auch das muss man fairerweise sagen, wenn
wir die Statistiken vergleichen.

Es ist richtig, dass im Niedriglohnbereich in den letz-
ten Jahren Bestimmungen umgangen worden sind. Da-
gegen gehen wir vor.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wann denn? – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wie denn?)


Wir müssen etwas tun, um Dumpinglöhne zu verhin-
dern. Ich will Ihnen noch einige Zahlen aus dem Artikel
nennen, aus dem ich vorhin zitiert habe. – Bleiben Sie
ruhig stehen; das verlängert meine Redezeit. – Die Pro-
duktivität der Arbeitsstunde wurde im letzten Jahr ge-
genüber dem Vorjahreswert um 0,7 Prozent erhöht.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nichts mit Mottenkiste! Das ist aktuell!)


– Ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort. – Im ers-
ten Quartal 2010 betrug die durchschnittliche Produkti-
vität 358,5 Stunden. Das sind immerhin 1,3 Prozent bzw.
4,5 Stunden mehr als im Vorjahr. Das bedeutet, dass die
Zahl der Vollzeitbeschäftigten zugenommen hat, zwar
langsam, aber immerhin deutlich merkbar. Das ist eine
Chance, mit guter Arbeit aus der Krise zu kommen.

Sie können sich setzen. Jetzt rede ich nach meinem
Manuskript weiter. – Ich komme zum nächsten Punkt:
500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze. Meine
Güte, das ist ein ganz altes Modell! Das hat früher bei
der SED funktioniert; da hat der Staat die Arbeitsplätze
angeboten. Wenn der Staat alle Arbeitsplätze anbietet
und auch den Lohn bezahlen muss, dann werden wir ir-
gendwann da landen, wo Länder im südlichen Europa
leider jetzt schon stehen. Dann werden wir mit Staats-
schulden diese Ihrer Meinung nach Heil bringende Ar-
beit finanzieren, was zu noch höherer Verschuldung und
einem noch höheren Defizit führen wird. Unsere Kinder
müssen Ihre ungeeigneten, deplatzierten Rezepte dann
irgendwann ausbaden. Das kann es nicht sein.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir machen das mit Steuern!)


– Natürlich, mit Steuern machen Sie das auch. Ich nenne
hier nur Ihre Reichensteuer. Aber


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie senken ja die Steuer!)


so hoch können Sie die Steuer gar nicht ansetzen, dass
Ihr Wunschkonzert damit finanziert werden könnte. Ich
freue mich auf die noch folgende Begründung Ihrer Ar-
beitsmarktexpertin Jochimsen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen noch einen schönen Tag. Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber eine Wiederholung!)


– Das war die Klammer, Frau Pothmer.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Von wegen Textbausteine!)







(A) (C)



(D)(B)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704903500

Nächster Redner ist der Kollege Ottmar Schreiner für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1704903600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hatte schon in der ersten Lesung zu dem Antrag der
Linkspartei gesprochen und darauf hingewiesen, dass es
ein Kernanliegen auch der Sozialdemokraten ist, gute
Arbeit in unserem Land durchzusetzen, und dass der An-
trag der Linkspartei eine Reihe von brauchbaren Ansät-
zen enthält, aber auch eine Reihe von Übertreibungen,
etwa in Sachen Mindestlöhne. Die entscheidende Frage,
wenn wir heute diesen Antrag diskutieren, ist, ob die
Realpolitik – Realpolitik ist vor allen Dingen das von
der Koalition vorgelegte Sparprogramm – gute Arbeit
fördert oder das Gegenteil bewirkt. Ein Autor des vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in dieser
Woche vorgelegten Gutachtens zur Einkommensent-
wicklung sagt dazu:

Bei all den Vorschlägen der Bundesregierung zum
sogenannten Sparpaket ist kritisch zu beurteilen,
dass die bisherigen konkreten Vorschläge … nur die
unteren Einkommensbereiche betreffen.

Das gilt vor allen Dingen für Arbeitslose. Es herrscht
eine völlig einseitige Schlagseite, nur die unteren Ein-
kommensbereiche sind betroffen, die Angst vor dem
Verlust des Arbeitsplatzes muss unter diesen Bedingun-
gen weiter zunehmen. Mit dieser Angst steigen der
Druck und die Bereitschaft, auch Verschlechterungen
der Arbeitsbedingungen hinzunehmen, um den Arbeits-
platz nicht zu verlieren. Die von der Bundesregierung
gebetsmühlenhaft vorgetragene Behauptung, die Ein-
schnitte bei den Arbeitslosen erhöhten die Beschäfti-
gungsanreize, ist in Wahrheit eine zynische Formel.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Der Druck auf die Arbeitslosen, Arbeit um jeden Preis,
aber wirklich um jeden Preis, zu noch so niedrigen Löh-
nen anzunehmen, wird nochmals erhöht. Mit einem An-
teil von jetzt 23 Prozent haben wir im europäischen Ver-
gleich bereits den größten Niedriglohnsektor. Die
prekären Beschäftigungsverhältnisse steigen ständig. Im
letzten Jahr, 2009, waren bei allen Neuarbeitsverhältnis-
sen 48 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse zeitlich
befristet. Die Ausnahme ist zur Normalität geworden.
Der Druck auf die Arbeitslosen wird also zunehmen. Es
wird noch mehr Niedriglöhne und noch mehr prekäre
Beschäftigung geben. Insofern ist das Sparprogramm der
Bundesregierung auch ein Generalangriff auf das Ziel
„gute Arbeit“.

Wer gute Arbeit für die Beschäftigten will, muss Al-
ternativen zum Sparwahn der Bundesregierung aufzei-
gen. Ich will auf einen Sachverhalt hinweisen, der wenig
bekannt ist. Der hohen Staatsverschuldung – die Staats-
schulden belaufen sich in Deutschland zurzeit auf circa
1,7 Billionen Euro – steht ein um ein Vielfaches höheres
Reinvermögen der privaten Haushalte gegenüber, näm-
lich nach den Daten der Bundesbank und des Statisti-

schen Bundesamtes circa 8 Billionen Euro. Diese Ver-
mögen konzentrieren sich in immer weniger privaten
Händen. Circa 10 Prozent der Bevölkerung verfügen
über knapp 70 Prozent des gesamten privaten Vermö-
gens. Dem privaten Reichtum entspricht eine wachsende
öffentliche Armut. Die Welt – das ist eine Zeitung, die
eher Ihnen nahesteht, meine Damen und Herren von der
Koalition – schreibt gestern unter der Überschrift „In
den Städten verfällt die Infrastruktur – Klamme Kom-
munen haben einen Investitionsstau von 75 Milliarden
Euro“:

Marode Straßen, verfallende Häuser, leckende Ab-
wasserleitungen: Deutschlands Infrastruktur ver-
fällt. Denn Städten und Gemeinden fehlen seit Jah-
ren die Mittel, um Verkehrswege, Krankenhäuser,
Kindergärten, Schulen und Klärwerke zu unterhal-
ten. „Bei den Kommunen hat sich ein Investitions-
stau von 75 Mrd. Euro aufgetürmt“, hat Busso
Grabow vom Deutschen Institut für Urbanistik

(Difu) errechnet. …


Usw. usf. Also, auf der einen Seite finden wir einen un-
geheuren privaten Reichtum, konzentriert in immer we-
niger Händen, auf der anderen Seite wachsende öffentli-
che Armut, die den Staat nicht mehr in die Lage versetzt,
die notwendigen strukturellen Aufgaben im Bereich der
Kindergärten, der Schulen und der Krankenhäuser hin-
reichend zu realisieren. Die Tatsache, dass diese hoch-
konzentrierten Vermögen nicht stärker für die Finanzie-
rung unseres Gemeinwesens herangezogen werden und
so gleichsam unproduktiv brachliegen, verhindert mehr
Wachstum, mehr Beschäftigung und gute Arbeit. Dieser
Sachverhalt wird systematisch verschwiegen.

Die Alternative ist klar: Würde ein Teil der in priva-
ten Haushalten konzentrierten Vermögen abgeschöpft
und investiert, würde sich die Verschuldungslage des
Staates deutlich verbessern. Die dadurch entstehende zu-
sätzliche Nachfrage könnte Unternehmen und Arbeit-
nehmern zugutekommen. Wachstum und Beschäftigung
würden zunehmen, ebenso die Produktivität und der da-
mit verbundene Verteilungsspielraum. Die Vorausset-
zungen für die Durchsetzung guter Arbeit würden sich
deutlich verbessern. Das ist die eigentliche Alternative.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Es geht kein Weg daran vorbei, aus ökonomischen
und sozialen Gründen große Vermögen in Deutschland
stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzu-
ziehen. Eine zusätzliche Finanztransaktionsteuer
würde ebenfalls hauptsächlich große Vermögen belasten.
Sie würde sinnlose Spekulationen verteuern und helfen,
Ersparnisse in Realinvestitionen umzulenken.

Da immer von Sozialneid gesprochen wird, wenn wir
auf diese extremen Ungleichheiten hinweisen, will ich
Ihnen zum Schluss ein Zitat aus dem Handelsblatt vom
26. Mai dieses Jahres vortragen.

Die Frage lautet:

Die Schuldenkrise des Staates ist aus der privaten
Finanzkrise entstanden. Wäre es da nicht gerecht-





Ottmar Schreiner


(A) (C)



(D)(B)


fertigt, die heranzuziehen, die vorher sehr gut ver-
dient haben?

Die Antwort lautet:

Unbedingt, das ist absolut notwendig. Das Gerech-
tigkeitsempfinden der Menschen ist verletzt, und
das kann die Demokratie gefährden.

In einer anderen Antwort heißt es:

Ich denke, dass vor allem die Einkommen aus Ver-
mögen stark zugenommen haben. … Ich habe
durchaus Sympathie für eine erneuerte Vermögen-
steuer, über die man intensiv nachdenken sollte.

Dieses Zitat stammt weder vom Fraktionsvorsitzen-
den der SPD noch von dem der Linken oder der der Grü-
nen. Dieses Zitat stammt von Herrn Reinhard Marx, Erz-
bischof von München.

Meine Damen und Herren von der Koalition, zumin-
dest von der christdemokratischen Union, Sie sollten die
Aufforderung von Herrn Reinhard Marx ernst nehmen.
Das wäre die schmerzfreie Alternative zu einem Spar-
kurs der Bundesregierung, der wieder ausschließlich auf
dem Rücken der kleinen Leute stattfindet.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wäre dann auch sozial ausgewogen und ökonomisch
vernünftig, und es wäre, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, dann sogar christliche Politik.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704903700

Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Pascal

Kober das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1704903800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“, den wir
heute beraten, enthält eine große Ansammlung sozial-
politischer und arbeitsmarktpolitischer Forderungen der
Linken.

Frau Kollegin Krellmann, in der Ausschusssitzung
am 9. Juni haben Sie dazu sinngemäß gesagt, der Antrag
enthalte jede Menge Forderungen der Linken, deshalb
würden Sie nicht mit der Zustimmung anderer Fraktio-
nen zu Ihrem Antrag rechnen. Frau Kollegin Krellmann,
ich kann Ihnen für die FDP versichern: Damit liegen Sie
richtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir werden Ihren Antrag ablehnen, und das aus ei-
nem übergeordneten Grund. Zusammengefasst gesagt
enthält Ihr Antrag eine Ansammlung von Forderungen,
die in ihrer Umsetzung eine Konsequenz haben würde:
Sie würden um den Arbeitsmarkt herum eine Mauer er-

richten, die für diejenigen, die sich außerhalb des Ar-
beitsmarkts befinden, weil sie keine Arbeit haben, un-
überwindlich sein würde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie
wollen vielleicht den Menschen helfen. In Wahrheit aber
berauben Sie sie ihrer Chancen. Wir hingegen wollen
mit unserer Politik den Menschen Chancen auf dem Ar-
beitsmarkt geben. Wir wollen sie zur Teilhabe an der Ge-
sellschaft befähigen. Wir wollen ihnen den Einstieg bzw.
die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erleichtern.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wie denn?)


Auf jeden einzelnen Ihrer Vorschläge einzugehen,
verbietet die Kürze der Zeit.


(Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nur eine Redezeitverlängerung!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704903900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Zimmermann?


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1704904000

Sehr gerne.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704904100

Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kober, Sie

wissen sicherlich, dass wir eine Unterbeschäftigung von
4,4 Millionen Menschen haben. Diese 4,4 Millionen
Menschen suchen einen guten Arbeitsplatz, auf dem sie
einen ausreichenden Lohn bekommen, von dem sie le-
ben und ihre Familie ernähren können. Sie wissen aber
auch, dass es laut Stellenstatistik 813 000 offene Stellen
gibt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es werden aber nicht alle offenen Stellen gemeldet!)


Von diesen 813 000 offenen Stellen sind ein Drittel in
Leiharbeit. Jetzt frage ich Sie: Wo ist dieser Arbeits-
markt, von dem Sie reden? Wohin können diese Men-
schen vermittelt werden, und zwar schnell und besser,
wie Sie es mit dem Jobcenter ohnehin wollen?


(Beifall bei der LINKEN)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1704904200

Frau Kollegin, wenn der Arbeitsmarkt so statisch

wäre, wie Sie ihn jetzt beschreiben, dann hätten auch Sie
mit Ihrer Politik Schwierigkeiten, die Menschen in Ar-
beit zu vermitteln. Zunächst einmal gilt, dass nicht alle
offenen Stellen gemeldet werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Seit 30 Jahren!)


Zum Zweiten müssen wir durch eine kluge Bildungs-
politik sowie durch eine kluge Finanz- und Wirtschafts-
politik natürlich dafür sorgen, dass zum einen die Men-
schen gestärkt werden und zum anderen die Wirtschaft





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


gestärkt wird, damit Arbeitsplätze entstehen. Mit unserer
Politik sind wir auf einem guten Weg dahin, dass mehr
Arbeitsplätze entstehen. Das ist unsere Hoffnung, und
daran arbeiten wir mit voller Kraft. – Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In der Kürze der Zeit möchte ich nicht auf alle Ihre
Forderungen eingehen. Ich möchte aber ein Beispiel her-
vorheben, um meine These zu bestätigen. Im Grunde ge-
nommen möchten Sie die Zeitarbeit abschaffen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein!)


Sie fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ers-
ten Arbeitstag, ohne jegliche Ausnahme. Sie fordern,
dass die Verleihdauer auf maximal drei Monate be-
schränkt wird. Zudem wollen Sie nicht nur gleichen
Lohn für gleiche Arbeit; Sie wollen darüber hinaus, dass
Leiharbeitskräfte zusätzlich eine Flexibilitätsprämie er-
halten. Im Ergebnis würde das dazu führen, dass die
Zeitarbeit beerdigt wird.


(Zuruf von der FDP: Das wollen die ja! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Eingegrenzt wird!)


Wir wissen, dass die Zeitarbeit für viele Menschen
durchaus eine Möglichkeit ist, in den Arbeitsmarkt zu
kommen und dort Fuß zu fassen.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ungefähr 15 Prozent! 85 Prozent nicht!)


Wir wissen aufgrund von Statistiken, Herr Kollege, dass
62,2 Prozent der Menschen, die in Zeitarbeitsunterneh-
men eingestellt werden, vorher nicht gearbeitet haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)


Wir wissen, dass 11,4 Prozent der Menschen vorher so-
gar überhaupt noch nie gearbeitet haben. Wir wissen,
dass ein Fünftel bis ein Viertel der Personen, die in Zeit-
arbeitsunternehmen arbeiten, in den Unternehmen, in die
sie entliehen werden, dann auch Fuß fassen und dort
bleiben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Klebeeffekt! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Unter einem Fünftel!)


Wir wissen, dass es etwa einem Fünftel der Menschen,
die in Zeitarbeit arbeiten, gelingt, nach einem gewissen
Zeitraum in anderen Unternehmen dauerhaft in eine so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung zu kommen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wissen das jedenfalls! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 80 Prozent schaffen es nicht!)


Es ist klar, dass wir den Missbrauch in der Zeitarbeit
angehen werden. Das haben wir als Koalition hier ein-
mütig schon gesagt. Das Bundesarbeitsministerium ist
dabei, mit den Regierungsfraktionen entsprechende Lö-
sungen zu erarbeiten. Insofern, glaube ich, ist es ein Feh-
ler von Ihnen, dass Sie die Zeitarbeit in der Form, wie
Sie es machen, beerdigen wollen.

Einen zweiten Aspekt des Antrags möchte ich noch
ansprechen. Sie sprechen sich für die Abschaffung der

sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse aus, mit
dem Argument, dass Menschen mit befristeten Arbeits-
verträgen keine Lebensplanung vornehmen können. Ich
möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Links-
partei, an das erinnern, was mein Kollege Kolb in der
letzten Woche hier im Hohen Hause dargelegt hat, dass
nämlich auch all unsere Mitarbeiter, die Mitarbeiter von
uns Bundestagsabgeordneten, befristete Arbeitsverträge
haben


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist ja sachlich begründet!)


und dennoch viele Familien gründen und Kinder bekom-
men. Es ist eine befristete Arbeit,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So wie unsere Verhältnisse auch befristet sind!)


und die Zukunft ist über die vier Jahre hinaus nicht zu
planen. Insofern ist Ihr Argument nicht richtig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es geht um „sachgrundlos“!)


Viele Unternehmen können die wirtschaftliche Ent-
wicklung nicht abschätzen und müssen auf die Flexibili-
tät, die ihnen befristete Arbeitsverhältnisse ermöglichen,
zurückgreifen. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam
machen, dass auch beim DGB, beim Deutschen Gewerk-
schaftsbund, 17 Prozent der Arbeitsverhältnisse befristet
sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Was für den DGB vielleicht richtig ist, kann doch auch für
andere gelten. Ich sage Ihnen, wie er argumentiert – ich
zitiere –:

Um langfristig Personalüberhänge zu vermeiden,
werden seit 2004 Beschäftigte grundsätzlich nur
noch befristet eingestellt.

So der DGB zu seiner eigenen Arbeitsmarktpolitik.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist auch nicht in Ordnung!)


Ich möchte den DGB da nicht kritisieren, aber darauf
hinweisen, dass auch andere diese Notwendigkeit so se-
hen wie wir.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nicht überzeugend!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704904300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia

Jochimsen für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704904400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke stellt
heute den Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“ zur





Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) (C)



(D)(B)


Abstimmung, weil wir in der Tat der Meinung sind, dass
sich unser Land nur durch Arbeit aus der Krise, in der es
sich jetzt befindet, wird befreien können, und zwar durch
gute Arbeit. „Gute Arbeit“ bedeutet nicht Niedriglohnar-
beit, wie sie heute von 6,5 Millionen Beschäftigten ge-
leistet werden muss, für 3,06 Euro in der Friseurbranche
oder für 4,50 Euro in der Fleischbranche. „Gute Arbeit“
heißt auch nicht: Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs, so-
genannte Solo-Selbstständigkeit. Das sind die uns allen
bekannten prekären Beschäftigungsformen, deren Zahl
immer mehr zunimmt.

Wir wissen auch genau, wozu sie geführt haben. Eine
ganz aktuelle Erhebung des Thüringer Landesamtes für
Statistik weist aus: In einem Drittel aller Thüringer Haus-
halte hat der Hauptverdiener – der Hauptverdiener! – am
Monatsende weniger als 1 300 Euro netto für die Familie,
inklusive BAföG und Kindergeld.

Hochqualifizierte Künstler und Kreative mit einem
14-Stunden-Arbeitstag haben am Ende des Jahres durch-
schnittlich ein Einkommen von 11 000 Euro, das nichts
übrig lässt für Krankheits- und Altersvorsorge. So darf
es doch nicht weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Entwicklung, immer tiefer hinein in einen Teu-
felskreis aus Armut und Ängsten in der Bevölkerung,
muss jetzt endlich aufgehalten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Daher fordern wir eine Rückkehr zu guter Arbeit, die es
schließlich einmal gab in unserem Land und die das
Land insgesamt auch wohlhabend gemacht und befriedet
hat. Das ist ja nichts Unbekanntes für uns. Wir hatten
dieses Gut „gute Arbeit“ in unserer Gesellschaft.

Aber was geschieht jetzt mitten in dieser schwersten
wirtschaftlichen Krise? Wird den Menschen herausge-
holfen aus dem Teufelskreis? Nein, und nochmals Nein!
Ein Sparpaket wird geschnürt, das nur die sozial
Schwachen heranzieht, die Arbeitslosen, die Alleinerzie-
henden. Für meine Fraktion sage ich hier: Das ist gewis-
sermaßen eine Kampfansage an die Menschen, die am
wenigsten zum Leben haben. Diese Kampfansage wer-
den wir annehmen. Damit lassen wir Sie nicht durch-
kommen! Auf gar keinen Fall!


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Betroffenen werden das nicht einfach hin-
nehmen. Es gibt so viele Menschen, die diese soziale
Schieflage des Sparpakets als absolut ungerecht empfin-
den: Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände formu-
lieren diese Ablehnung bereits massiv. Das Volk hält
vom Sparpaket nichts. Weil sich auch immer mehr Men-
schen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte der Ge-
sellschaft – da könnten die Kollegen von der FDP einmal
zuhören – Sorgen um das Ganze machen, irren Sie näm-
lich doppelt, wenn Sie glauben, Sie werden à la longue
damit durchkommen.

Das Bürgertum hat über Generationen ein paar
Grundsätze bewahrt. Dazu gehören das Streben nach
Ausgleich in der Gesellschaft, nach Hebung des allge-

meinen Wohlstands und, wie Heribert Prantl unlängst in
der Süddeutschen schrieb, das Verursacherprinzip, also
der Gedanke, dass die Suppe auszulöffeln hat, wer sie
eingebrockt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierung,
handeln längst nach einem anderen Prinzip, dass näm-
lich diejenigen die Suppe auszulöffeln haben, denen sie
eingebrockt worden ist. Das wird nicht hingenommen,
auch vom Bürgertum nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre eigenen Ministerpräsidenten melden sich kritisch zu
Wort. So hat zum Beispiel die thüringische Ministerprä-
sidentin Lieberknecht die Streichung des Elterngeldes
für Hartz-IV-Empfänger mit den Worten abgelehnt: „Das
Schicksal der meisten Hartz-IV-Empfänger ist schon
schwer genug.“ Die Regierung „sollte nicht auch noch
den Eindruck erwecken, sie seien nicht in der Lage, ihre
Kinder selbst zu erziehen“, indem sie sage, das einge-
sparte Elterngeld werde für Bildungsangebote ausgege-
ben. Worte einer CDU-Ministerpräsidentin. Man kann
Frau Merkel nur raten: Bitte hören Sie doch darauf,
wenn Sie schon nicht auf die Linke hören wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Heute ist der 17. Juni. Ich bin alt genug, mich an die
Ereignisse zu erinnern, und es ist gut, dass wir ihrer
gedenken. Gesine Schwan hat heute Morgen hier im
Parlament eine bemerkenswerte Gedenkrede gehalten
und den Appell an uns gerichtet, Lehren aus der
Geschichte zu ziehen – wohl wahr! Eine der Lehren der
Geschichte ist, dass sich die Arroganz der Mächtigen,
selbst der Regierenden, böse rächen kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Mahnung darf ich Ihnen einige Zeilen von Bertolt
Brecht zitieren:

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf
Und wählte ein anderes?

Bertolt Brecht, 1953.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt einen untrüglichen Indikator dafür, wie eine
Gesellschaft verfasst ist: Das ist die Art und Weise, wie
sie mit ihren Künstlerinnen und Künstlern, den kreativen
Menschen umgeht. Wer vor Jahren, nach dem Zusam-
menbruch des Ostblocks, die Konzertgeiger von daher
auf unseren Straßen um Almosen spielen sah und hörte,
der wusste genug über das Elend in deren Heimat. Und
bei uns? Da haben es die Regierungen, nicht nur die jet-
zige, so weit gebracht, ein beachtliches Kultur- und





Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) (C)



(D)(B)


Kunstprekariat hervorzubringen. Wir werden alle dafür
zahlen müssen: die für ein Butterbrot arbeitenden Kreati-
ven als Erste und wir durch einen Kulturverlust, einen
Verlust an Lebensqualität. Am Ende aber werden auch
die, die dafür die Verantwortung tragen, die Rechnung
präsentiert bekommen. Da bin ich ganz sicher.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie heißt es, wenn es um die Banken geht? Too big to
fail – zu groß, um sie untergehen zu lassen – oder, wie es
begründet wurde, die Banken seien systemimmanent.
Das war und ist Ihre Wahrheit in der Krise. Meine Wahr-
heit, meine Maxime ist eine andere: Ich sehe die Men-
schen in unserem Land und sage über jeden Einzelnen:
zu wertvoll, um auf sie oder auf ihn zu verzichten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre oder seine Teilhabe – sei es durch Lohnarbeit oder
soziales Tun in der Familie, durch kulturelle Beiträge
oder politisches Engagement oder einfach nur durch ihr
oder sein Dasein in Würde, als stolzer Mitmensch – ist
für mich zu wertvoll, als dass wir darauf einfach verzich-
ten könnten.

Wir sind nichts mehr, wenn wir diesen Impuls verlie-
ren. Darum stellen wir heute einen Antrag, der gute Ar-
beit zum Ziel politischen Handelns macht und damit ein
gutes Leben in dieser Gesellschaft ermöglicht, gutes Le-
ben anstelle wachsender Armut einerseits und schwin-
delerregender Zunahme von Reichtum andererseits. Ich
frage: Wer will eigentlich in einem so in Reich und Arm
auseinanderklaffenden Land leben? Sie hier doch sicher-
lich nicht. Davon gehe ich aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann setzen Sie doch einmal ein kleines Zeichen und
stimmen für gute Arbeit, damit gutes Leben wieder ins
Land kommt und damit die Menschen sehen: Angesichts
der Krise und der Nöte so vieler Menschen im Land geht
es uns hier im Bundestag nicht nur um die Ausgrenzung
der Linken, um Fraktionsdisziplin und Rituale. Das wäre
systemimmanent, und das wäre jetzt angebracht.

Ich danke Ihnen.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704904500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gem-

meke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich habe schon in der ersten Lesung
gesagt, dass uns das Thema „gute Arbeit“ wichtig ist. Es
ist mir so wichtig, dass ich es hier nicht wie ein Kapitel
aus einem Wahlprogramm behandeln möchte.

An manchen Stellen ist der Antrag der Linken überzo-
gen, beispielsweise bei der Mitbestimmung. Auch wir
wollen die Mitbestimmung stärken. Aber uns geht es um
gleiche Augenhöhe und um einen Interessensausgleich
zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Kritisiert

habe ich an dem Antrag auch schon, dass ein Überbie-
tungswettbewerb bei der Höhe des gesetzlichen Min-
destlohns stattfindet. Im Moment geht es aber erst ein-
mal darum, dass überhaupt ein Mindestlohn eingeführt
wird. Wir brauchen ein starkes, breit aufgestelltes Bünd-
nis, um Druck machen zu können. Wir sollten an einem
Strang ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kurzum: Der Antrag beinhaltet einige Forderungen,
die wir nicht mittragen können. Es gibt aber auch viele
Forderungen, denen wir zustimmen. Deshalb werden wir
den Antrag nicht ablehnen, sondern werden uns enthal-
ten.

Zu den Regierungsfraktionen. Ich appelliere an Sie,
nicht weiter die Augen vor der Realität zu verschließen.
Herr Lehrieder, der Wandel in der Arbeitswelt ist un-
übersehbar. Die Arbeit wird nun zunehmend atypisch,
prekäre Beschäftigung nimmt zu. Viele Menschen erle-
ben tagtäglich eine Arbeitswelt, die aufreibender und un-
sicherer wird, und viel zu viele Menschen arbeiten und
können dennoch nicht von ihrem Lohn leben oder müs-
sen jeden Euro dreimal umdrehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch vertreten viele aus den Regierungsfraktio-
nen noch immer die Meinung, dass sozial ist, was Arbeit
schafft; aber damit sind Sie schlichtweg auf dem Holz-
weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft, und für uns Grüne
ist gute Arbeit untrennbar mit Anerkennung, Respekt
und Wertschätzung verbunden. Gute Arbeit bedeutet
Mitbestimmung, Teilhabe, faire Löhne, Arbeits- und Ge-
sundheitsschutz, Entgeltgleichheit, familienfreundliche
Bedingungen und vor allem soziale Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Sie aber nehmen die Sorgen der Beschäftigten nicht
ernst. Sie sind bei diesen Themen taub und reden in der
Regel der Wirtschaft das Wort. Sie haben schlichtweg
keine Vision von guter Arbeit.

Dies möchte ich an einigen Beispielen ausführen:
47 Prozent der neuen Beschäftigungsverhältnisse sind
befristet. Das erschwert die Lebensplanung der betroffe-
nen Menschen erheblich. Sie aber ignorieren das. Sie
wollen den Arbeitsmarkt sogar noch weiter flexibilisie-
ren. Dagegen kann ich heute schon Widerstand ankündi-
gen. Wir wollen die befristete Beschäftigung reduzieren,
indem wir die sachgrundlose Befristung abschaffen und
den Katalog der Befristungsgründe auf den Prüfstand
stellen. Befristete Beschäftigungsverhältnisse halten wir
ebenfalls für problematisch, weil damit der Kündigungs-
schutz umgangen wird. Wir wollen eine Balance zwi-
schen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der
Arbeitgeber. Deswegen ist der Kündigungsschutz un-
trennbar mit dem Thema gute Arbeit verbunden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


In diesem Sinne kann es auch nicht sein, dass Be-
schäftigte wegen sogenannter Bagatelldelikte einfach
gekündigt werden. Wir fordern deswegen in unserem
Antrag, dass endlich die Abmahnungspflicht bei Baga-
telldelikten eingeführt wird. Dies würde Beschäftigte ge-
rade jetzt in der Krise schützen, denn bei diesen Fällen
geht es für die Betriebe um Bagatellbeträge; aber für die
Menschen geht es um ihre Existenz.


(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Bedenken Sie das Betriebsklima!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704904600

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Lehrieder?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704904700

Bitte sehr.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1704904800

Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie haben gerade

ausgeführt, dass wir nur die Interessen der Wirtschaft im
Hinterkopf haben, Sie aber die Interessen der Arbeitneh-
mer.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Regel, ja!)


Teilen Sie die Auffassung, dass in der Wirtschaft – ich ver-
stehe jetzt unter der Wirtschaft auch die kleinen mittelstän-
dischen Unternehmen oder die Unternehmen schlechthin –
zuerst ein Unternehmen vorhanden sein muss, bevor
man überhaupt erst einmal Arbeit bekommen kann, dass
auch die Arbeitgeber hierbei mit ins Boot genommen
werden müssen, die die Arbeit bereitstellen können, da-
mit der Arbeitnehmer überhaupt eine Chance hat, einen
Job zu bekommen?


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, natürlich!)


Oder wie sehen Sie das? Wer gibt bei Ihnen die Arbeit,
wenn nicht die Wirtschaft?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihre Frage nicht ganz.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist das Problem! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die Linken sagen 500 000!)


– Ich habe eben auch „in der Regel“ gesagt, und ich habe
vorhin auf die Mitbestimmung verwiesen. Es geht im-
mer um eine Balance zwischen den Unternehmen und
den Arbeitnehmern, es geht immer um Balance beim
Kündigungsschutz, und das sehe ich bei den Bagatell-
kündigungen durchaus so, denn da ist die Balance auf je-
den Fall nicht gegeben, wenn man wegen 80 Cent oder

1,30 Euro eine Arbeit verlieren kann, nachdem man
30 Jahre dort gearbeitet hat.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie hoch setzen Sie die Grenze an?)


Das Bundesarbeitsgericht hat uns momentan bei dem
Fall Emmely recht gegeben. Von daher geht es um Ba-
lance, und ich denke nicht, dass wir mit unserer Haltung
die kleinen Unternehmen oder auch größere Unterneh-
men wirklich schädigen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Bis zu welchem Betrag ist Diebstahl tolerabel?)


Um gute Arbeit geht es natürlich auch bei der Leih-
arbeit. Der Missbrauch bei der Leiharbeit ist ja bekannt.
Bekannt ist auch, dass Stammbelegschaften durch Leih-
arbeitskräfte ersetzt werden. Das Instrument Leiharbeit
wird auch für Lohndumping benutzt.

Lange, viel zu lange hat das Ministerium geprüft. Wie
man jetzt hört, sollen wieder einmal nur kosmetische
Korrekturen vorgenommen werden. Das reicht uns nicht
aus. Wir wollen die Leiharbeit wirklich regulieren. Das
Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss endlich
umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Bezug auf den Niedriglohnbereich muss ebenfalls
endlich etwas getan werden. Sie wissen es: 5 Millionen
Menschen arbeiten für weniger als 8 Euro, 1 Million so-
gar für weniger als 5 Euro pro Stunde. Und was macht
die FDP? Sie versucht sogar noch, hart verhandelte Min-
destlöhne zu blockieren und zu befristen. Stellen Sie sich
endlich der Realität und führen Sie endlich einen gesetz-
lichen Mindestlohn und mehr branchenspezifische Min-
destlöhne ein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was jetzt? Entweder oder!)


Damit würden Sie mehr als zwei Fliegen mit einer
Klappe schlagen: Die Beschäftigten hätten endlich einen
auskömmlichen Lohn, der Staat weniger Sozialausga-
ben, die Sozialversicherungen mehr Einnahmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass dabei auch Arbeitsplätze verloren gehen könnten, sehen Sie anscheinend nicht!)


Herr Schäuble hätte mehr Geld in der Kasse, und Sie
könnten die unsozialen Einsparungen bei den Schwa-
chen in der Gesellschaft aussetzen, was Sie übrigens auf
jeden Fall tun sollten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme nochmals auf das Thema „Sozial ist, was
Arbeitsplätze schafft“ zu sprechen. Das impliziert, dass
Arbeitsplätze entstehen sollen. Das wollen auch wir. Ar-
beitsplätze entstehen aber nicht durch mehr Flexibilisie-
rung. Sie entstehen nicht durch ein Weniger an Kündi-





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


gungsschutz oder ein Mehr an Leiharbeit. Arbeitsplätze
entstehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr! Sagen Sie mal etwas zu den Rahmenbedingungen!)


In diesem Sinne empfehle ich Ihnen: Verbinden Sie end-
lich Beschäftigung mit Ökologie, und zwar nicht nur in
Sonntagsreden! Machen Sie endlich eine konsequente
Klimaschutzpolitik! Dann entstehen in der Folge überall
im Land neue und sichere Arbeitsplätze in den Berei-
chen Energie und Mobilität und auch im Bausektor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mein Fazit ist also: Machen Sie endlich eine Politik
für die Beschäftigten und nicht nur für diejenigen, die
sich sowieso auf der Sonnenseite des Lebens befinden.
Auch in der neuen DIW-Studie zeigt sich der Trend
– Kollege Schreiner hat es gerade ausgeführt –: Unsi-
cherheit und Angst breiten sich immer weiter aus. Diese
Unsicherheit wird durch Ihr ungerechtes Sparpaket na-
türlich noch verschärft.

Umso wichtiger ist es jetzt für die Menschen, dass
Beschäftigung ein Mindestmaß an Sicherheit bietet und
Arbeit fair entlohnt wird. Beschäftigte, die gut behandelt
und wertgeschätzt werden und die ihre Stellung im Be-
trieb als sicher ansehen, sind übrigens motivierter und
engagierter. Sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit, und
das kann eigentlich nur gut für unsere Wirtschaft sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerade jetzt, in der Krise, kann das gemeinsame Pro-
jekt „Gute Arbeit“ Orientierung geben und einen soli-
darischen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Was aber
machen Sie? Sie streiten sich in der Koalition mittler-
weile um fast jedes Thema schrill und öffentlich, als
drehe sich die Welt momentan nur um Ihre Koalition.
Für Sie steht momentan nicht der Zusammenhalt in der
Gesellschaft im Mittelpunkt, sondern ausschließlich der
Zusammenhalt in der Koalition.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bei Rot-Grün gab es auch nicht nur Harmonie! Wir mögen uns!)


Dazu kann ich nur sagen: Noch nie war die Empathie der
Verantwortlichen einer Regierung für das Land und die
Menschen so gering.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704904900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kol-

legin Gitta Connemann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1704905000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Dr. Jochimsen,

wenn dieser Auftritt gerade Ihre Bewerbungsrede für das
Amt der Bundespräsidentin gewesen sein sollte,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dann wählen wir Wulff! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann wähle ich Wulff!)


stelle ich fest: Sie haben Ihr Ziel verfehlt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie kann man denn so arrogant sein!)


Denn spätestens nach diesem Beitrag sollte dem Letzten
in diesem Haus bewusst sein, dass Ihre Bewerbung eines
nicht ist: ernst gemeint.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben einen einzigen Satz gesagt, den ich absolut
unterstreichen kann – er stammt aus Ihrem Antrag; ich
zitiere –: „Gute Arbeit muss das Ziel politischen Han-
delns sein.“ Wer von uns wollte dieser Feststellung wi-
dersprechen?


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Durch Ihr politisches Handeln!)


Niemand! Denn wir alle wünschen uns genau das. Die
Menschen sollen eine aus ihrer Perspektive möglichst
gute Arbeit haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die entscheidende Frage lautet aber: Was ist eine gute
Arbeit?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und wer schafft die?)


Ihre Antwort, meine Damen und Herren von der Linken:
Nur die unbefristete Vollzeitarbeit ist eine gute Arbeit.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Gut bezahlte!)


Erkennen Sie eigentlich, was Sie damit tun? Damit kan-
zeln Sie die Arbeit von Teilzeitbeschäftigten, Selbststän-
digen, befristet Beschäftigten und auch Zeitarbeitneh-
mern ab.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


Diese alle haben, ginge es nach Ihnen, schlechte Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wie
sich diese Beschäftigten bei Ihrer Wortwahl – „atypisch“
oder gar „prekär“ – fühlen müssen? Ich frage Sie: Was
ist an einer Teilzeitkraft atypisch oder prekär, wenn sie
sich für Familie und Beruf entscheidet?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau um die geht es nicht, sondern um die, die Sie dahin zwingen!)


Was ist an einer Selbstständigen atypisch oder prekär,
wenn sie hoffnungsvoll eine neue Existenz gründet?





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber genau um die geht es nicht!)


Was ist an einer Zeitarbeitnehmerin atypisch oder pre-
kär, wenn sie wechselnde Arbeitsorte in Kauf nimmt, um
einen Vollzeitjob zu haben? Was sagen eigentlich Ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meine Damen und
Herren von den Linken? Sie haben nämlich – wie all un-
sere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – befristete Ar-
beitsverträge bis zur nächsten Wahl, also nach Ihrer
Wortwahl „schlechte Arbeit“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben schlechte Arbeitgeber! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung! Wir sind alle hier befristet!)


Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Klas-
sifizierung ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen; sie
ist ein Zeichen von Arroganz und fehlender Sachkennt-
nis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie sollten Ihr befristetes Verhältnis beenden!)


Anstatt in Kategorien des Klassenkampfs zu denken,
sollten Sie sich der Wirklichkeit stellen. Sprechen Sie
nicht über die Beschäftigten, sondern sprechen Sie mit
den Beschäftigten!


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Machen Sie das mal!)


Dann würden Sie erfahren: Gute und schlechte Arbeit
lassen sich nicht an Kategorien wie „typisch“ oder „aty-
pisch“, „Vollzeit“ oder „Teilzeit“, „selbstständig“ oder
„angestellt“, „befristet“ oder „unbefristet“ festmachen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704905100

Frau Kollegin, Herr Kollege Schreiner würde gerne

eine Zwischenfrage stellen.


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1704905200

Sehr gerne.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704905300

Bitte sehr.


(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Schalten Sie das Mikrofon ein, damit man Ihre lichtvollen Bemerkungen auch hört!)



Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1704905400

Nach dieser „lichtvollen Bemerkung“ des bayeri-

schen Kollegen wollte ich Sie fragen, ob Sie erstens be-
reit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Deutsche
Gewerkschaftsbund seit drei Jahren Untersuchungen zu
der Frage veröffentlicht, was Menschen unter guter
Arbeit verstehen, und dass laut Ergebnis dieser Untersu-
chungen 98 Prozent von vielen Tausend Befragten
sagen: Gute Arbeit ist ein auf Dauer angelegtes Vollzeit-
beschäftigungsverhältnis mit einem möglichst existenz-
sichernden Einkommen.

Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es eine Reihe von Untersuchungen gibt, wonach viele
Menschen, die Teilzeit arbeiten, eigentlich einen Vollzei-
terwerbsplatz anstreben, notgedrungen aber auf Teilzeit
gehen, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz bekommen?
Natürlich gibt es auch Menschen – das ist zugestanden –,
die, meistens vorübergehend, einen Teilzeitarbeitsplatz
beanspruchen, um die Vereinbarkeit von familiären und
beruflichen Lasten besser zu koordinieren.


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1704905500

Nein, Herr Kollege Schreiner, ich bin nicht bereit, das

zur Kenntnis zu nehmen.


(Anette Kramme [SPD]: Dann kann man nur sagen: verbohrt!)


Ich darf Ihnen auch die Begründung geben. Sie haben
sehr pauschal Untersuchungen zum Thema Teilzeit-
beschäftigung zitiert.


(Ottmar Schreiner [SPD]: Eine pauschale Unverschämtheit! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht pauschal!)


Ich kann Ihnen demgegenüber eine sehr konkrete Zahl
des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln nennen, das
festgestellt hat: Von 9 Millionen Teilzeitbeschäftigten
wünschen 7 Millionen genau diese Teilzeitbeschäfti-
gung;


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2 Millionen aber nicht!)


nur 2 Millionen Menschen weichen auf Teilzeit aus, weil
sie keine Vollzeitstelle finden. Das heißt, 7 Millionen
von 9 Millionen Menschen wünschen sich dieses Mo-
dell, um ihren eigenen Lebensentwurf verwirklichen zu
können. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Es
hilft, mit den Menschen zu sprechen. Das würde ich Ih-
nen empfehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie sollten sich nicht auf Untersuchungen zurückziehen;
denn sie bestätigen Ihre Aussagen nicht.

Zum Beispiel ist die soziale Absicherung von Selbst-
ständigen nicht minderwertig, nur weil Selbstständige
keine Pflichtmitglieder der gesetzlichen Sozialversiche-
rung sind. Ebenso haben Zeitarbeitnehmer in der Regel
einen unbefristeten Vollzeitvertrag mit dem vollen gesetz-
lichen Kündigungsschutz, allen Arbeitnehmerschutzrech-
ten und allen vier Zweigen der Sozialversicherung. Auch
können Teilzeitkräfte durch eine Reduzierung ihrer Ar-
beitszeit ihre Lebensentwürfe verwirklichen, weil sie so
zum Beispiel mehr Zeit mit Kindern verbringen können.

Gerade diese Erwerbsformen haben den Arbeits-
markt in den letzten Jahren aus der Krise geführt; denn
in der Regel heißt die Alternative in der Praxis: Arbeit
oder Arbeitslosigkeit. Da fällt unsere Antwort, die Ant-
wort der christlich-liberalen Koalition, sehr deutlich aus:
Vorfahrt für Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)






Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)


Hier sind wir erkennbar auf dem richtigen Weg. 2005 lag
die Zahl der Arbeitslosen noch über der 5-Millionen-
Marke; heute, einige Jahre später, liegt die Marke trotz
der schlimmsten Wirtschaftskrise, die unser Land je er-
lebt hat, bei 3,2 Millionen Arbeitslosen. Das heißt,
1,8 Millionen Menschen haben Arbeit gefunden und da-
mit eine Perspektive.


(Zuruf von der LINKEN: Falsche Zahlen!)


Einer der Gründe für diese positive Entwicklung waren
die Reformen der Agenda 2010.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das will bei der SPD keiner mehr wahrhaben!)


Damals haben Rot und Grün die Weichen für mehr Be-
schäftigung gestellt; denn sie haben die flexiblen Er-
werbsformen, wie wir sie heute haben – mehr Selbst-
ständigkeit, mehr Teilzeit, mehr Befristung und mehr
Zeitarbeit –, erst ermöglicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Rot-Grün hatte den Niedriglohnsektor in Deutschland eingeführt!)


Verteidigen Sie diese Erfolge mit uns, meine Damen und
Herren von Rot und Grün; denn die Linken wollen jetzt
eine Abschaffung all Ihrer Errungenschaften immer wie-
der mit derselben Behauptung, es seien massenhaft Voll-
zeitarbeitsstellen in Billigjobs umgewandelt worden.


(Zuruf von der LINKEN: Ja klar!)


Das Gegenteil ist richtig.

Ich habe bereits in der letzten Woche darauf hinge-
wiesen: Schauen Sie sich die Zahlen des Statistischen
Bundesamtes an!


(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Ja, genau!)


Die Zahl der unbefristeten Vollzeitjobs hat sich in den
letzten zehn Jahren bei rund 20 Millionen eingependelt.
In derselben Zeit ist die Zahl der Erwerbstätigen aber um
2,7 Millionen angestiegen. Es wurde also zusätzliche
Arbeit geschaffen, weil viele flexible Stellen entstanden
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Diese Stellen sind ein Sprungbrett, zuerst in Arbeit, dann
in eine unbefristete Ganztagsbeschäftigung. Davon ha-
ben insbesondere Geringqualifizierte profitiert: Das sind
Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung und
damit eigentlich ohne Chance. Wenn wir Ihrem Antrag
folgen würden, meine Damen und Herren von der Lin-
ken, würden wir diesen Menschen jede Chance rauben.
Das ist eine zutiefst unsoziale Politik. Eine solche Politik
ist mit uns nicht zu machen. Deshalb werden wir Ihren
Antrag ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704905600

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Josip

Juratovic.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1704905700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift des Antrags,
über den hier diskutiert wird, lautet „Mit guter Arbeit
aus der Krise“. Es werden verschiedene Lösungsange-
bote aufgezeigt, die Beiträge zu mehr sozialer Gerech-
tigkeit leisten sollen, allerdings alle auf der Basis der
Umverteilung.

Doch um aus der gegenwärtigen Krise zu finden, ge-
hört mehr dazu. Mehr Umverteilung ist noch lange nicht
Gerechtigkeit.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Richtig!)


So wird zum Beispiel auch bei den Linken die Zeit-
arbeit hingenommen. Ja, Herr Kober, auch ich bin der
Meinung, dass die Zeitarbeit an sich für die Betroffenen
eine Chance sein kann. Jedoch ist die Zeitarbeit im Ver-
gleich zur Festanstellung eine Ungerechtigkeit. Das gilt
nicht nur für die Entlohnung. Zeitarbeiter werden auch
außerhalb des Arbeitslebens stigmatisiert. Wenn bei-
spielsweise jemand einen Kredit haben möchte, wird
ihm dieser verwehrt, wenn er als Zeitarbeiter keine un-
befristete Anstellung vorweisen kann. Frau Connemann,
Sie wollen die Partei der Familienfreundlichkeit sein.
Ich denke, mit dieser Perspektive ist es nicht gerade er-
mutigend, eine Familie zu gründen.

Ja, wir befinden uns in einer Krise. Mehr soziale Ge-
rechtigkeit kann die Auswirkungen der Krise bei den Be-
troffenen schmerzlindernd gestalten. Um jedoch aus der
gegenwärtigen Krise zu kommen, müssen wir neue Ant-
worten auf die Frage finden, wie wir den Menschen eine
Zukunft bieten. Die Menschen sind verunsichert. Zwar
haben die meisten Menschen das Gefühl, dass es ihnen
aktuell gut geht, aber keiner weiß, wie lange noch. Vor
allem junge Menschen haben die Sorge, ob sie Arbeit
bekommen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten
müssen. Es herrscht Orientierungslosigkeit, und vor al-
lem schwindet das Vertrauen in den Zusammenhalt der
Gesellschaft und auch in die Politik.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben
verschiedene Krisen zu bewältigen, und wir müssen da-
für sorgen, das Vertrauen bei den Menschen, dass es in
unserer Gesellschaft gerecht zugeht, wieder herzustellen.

Da ist einerseits die Wirtschafts- und Finanzkrise,
aber es gibt auch eine Krise in der Arbeitswelt, und
zwar nicht nur hinsichtlich des Umgangs mit Umwelt
und Ressourcen, sondern auch hinsichtlich der betriebli-
chen Strukturen. So haben wir in zahlreichen Betrieben
zum Beispiel vier Klassen von Arbeitnehmern: Da sind
erstens die Festangestellten, da sind zweitens die Neu-
einsteiger, da sind drittens die Beschäftigten im indirek-
ten Bereich, und da sind viertens die Zeitarbeiter, die
befristet Beschäftigten und die Praktikanten. Das ist ge-
lebte Entsolidarisierung in den Betrieben. Natürlich
müssen wir schauen, wie wir die Leistungsfähigkeit der
Beschäftigten steigern können. Leistungsdruck und Ent-
solidarisierung führen allerdings nur zu kurzfristigem





Josip Juratovic


(A) (C)



(D)(B)


Profit. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das auch
unserer Gesellschaft Nutzen bringt, benötigen die Be-
schäftigten in erster Linie Motivation und Sicherheit.

Doch wir haben auch eine Gesellschaftskrise. Unsere
Gesellschaft, die auf Solidarität und Zusammenhalt auf-
gebaut ist, leidet zunehmend darunter, dass bei vielen
Menschen der Ellenbogen zum wichtigsten Körperteil
geworden ist. Die Werte, die unsere Gesellschaft lange
Zeit ausgemacht haben, werden zunehmend ignoriert.


(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: So ist es!)


Es besteht der Eindruck, dass Fleiß, Ehrlichkeit und An-
stand sich nicht mehr lohnen. Der Ellenbogen hingegen
ist salonfähig geworden.

Leider muss ich feststellen, dass die Regierungspoli-
tik das Spiegelbild einer Ellenbogengesellschaft gewor-
den ist. Wenn ich das sogenannte Sparpaket betrachte,
stelle ich fest, dass dabei sehr viel Ellenbogen im Spiel
ist. Ich habe den Eindruck, dass die Regierung nach be-
triebswirtschaftlichen Maßstäben handelt und vergisst,
dass es die ureigene Aufgabe der Politik ist, für alle Bür-
gerinnen und Bürger da zu sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die vermeintlichen Einsparungen gehen ausschließlich
auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft.
Dieses sogenannte Sparpaket ist Ausdruck der Unfähig-
keit und Ideenlosigkeit der gegenwärtigen Regierung.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Es führt dazu, dass die Politik zunehmend das Vertrauen
der Menschen verliert, und es bringt die ganze Gesell-
schaft in die Gefahr, nach irgendwelchen Heilsbringern
zu rufen.

Der Staat muss das Vertrauen und die Handlungsfä-
higkeit zurückgewinnen. Um die Zukunft zu gestalten,
brauchen wir einen offenen Dialog auf allen Ebenen un-
serer Gesellschaft. Nur so finden wir den Weg aus der
Krise. Wir Sozialdemokraten laden dazu ein, diesen Dia-
log über die Zukunft des Arbeitslebens und der Gesell-
schaft in Deutschland, in Europa und in der Welt zu
führen. Wir wollen keine voreiligen und von oben aufge-
setzten Scheinlösungen, sondern wir wollen aus der
Mitte der Gesellschaft neue und tragfähige Antworten
finden, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wie-
derherzustellen. Damit werden wir auch wieder Ver-
trauen in die Handlungsfähigkeit der Politik schaffen.

Der Antrag der Linken bringt zwar den Wunsch nach
mehr Gerechtigkeit zum Ausdruck, dem ich mich an-
schließe, jedoch wird er seinem Anspruch, Wege aus der
Krise zu finden, nicht gerecht. Deswegen können wir
Sozialdemokraten dem Antrag diesmal nicht zustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist schade! Aber Sie haben „diesmal“ gesagt!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704905800

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege

Sebastian Blumenthal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1704905900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegen von der Fraktion Die Linke, Sie bieten in Ih-
rem Antrag einen famosen Gemischtwarenladen an. Da
ist eigentlich alles drin. Sie haben gesetzliche Mindest-
löhne, Generalstreiks und das Verbot der geringfügigen
Beschäftigung aufgeführt. Meine Vorredner haben die
Widersprüche und fachlichen Defizite in Ihrem Antrag
schon mehrfach dargestellt. Ich möchte Ihre Aufmerk-
samkeit auf ein anderes Thema lenken. Ich möchte auf
Anspruch und Wirklichkeit zu sprechen kommen.

In der Bundeshauptstadt Berlin regieren Sie seit dem
Jahr 2001 mit. Sie stellen auch die Senatorin für Sozia-
les. Ich finde es interessant, zu schauen, wie die Regie-
rungspolitik der Linken in der Praxis aussieht. Wir kön-
nen außerhalb des Reichstags sehen, was passiert, wenn
Sie in der Regierungsverantwortung sind und sich mit
der Realität beschäftigen müssen; dann reicht es nicht,
nur wohlfeile Anträge einreichen. Ich gehe einmal auf
ein Zitat aus Ihrem Antrag ein. Sie fordern ein sicheres,
geregeltes und geschütztes Arbeitsverhältnis, das den
Menschen ein verlässliches Einkommen ermöglicht, und
dass Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Was machen
Sie in Berlin? Hier sieht es völlig anders aus. Im Jahre
2003 haben Sie in Ihrer Regierungsverantwortung be-
schlossen, den Arbeitgeberverband der Länder zu verlas-
sen. Sie sind ausgetreten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)


Als direkte Folge durch die Aufkündigung des Tarifver-
trags für die Angestellten im öffentlichen Dienst hier in
Berlin kam es zu einer Kürzung der Reallöhne um bis
zu 14 Prozent.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber keine gute Arbeit! – Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Das gibt es doch gar nicht! Das kann doch nicht wahr sein!)


Sie beklagen sich zum Beispiel, dass die Reallöhne in
der freien Wirtschaft um 0,4 Prozent gesunken sind, set-
zen hier aber eine Kürzung um 14 Prozent durch. Da
kann ich nur sagen: Konsequenz zeigt sich im Handeln.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie fahren in Ihrem Antrag weiter fort: „Menschen,
die erwerbslos sind, müssen … am gesellschaftlichen
Leben teilhaben können.“ Die Praxis hier in Berlin sieht
so aus, dass Sie zum Beispiel zunächst das ÖPNV-So-
zialticket gestrichen haben, dann auch das Arbeitslosen-
ticket.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)






Sebastian Blumenthal


(A) (C)



(D)(B)


Später haben Sie dann wieder ein Sozialticket einge-
führt, aber da war es auf einmal fast doppelt so teuer wie
vorher.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704906000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Liebich?


Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1704906100

Nein, ich möchte den Gedanken zu Ende führen und

keine Zwischenfrage zulassen. – Ist das „Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben“, wenn Sie ein Sozialticket of-
fensichtlich erst streichen und dann doppelt so teuer wie-
der einführen? Das ist keine verantwortungsvolle Poli-
tik. Das zeigt auch, dass Sie überhaupt nicht in der Lage
sind, die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag aufstel-
len, in der Praxis umzusetzen. Sie schaffen das gar nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)


Eine andere Zielgruppe, die Sie im Antrag anspre-
chen, sind junge Menschen; deren dramatische Situation
beklagen Sie zu Recht. Wie sind Sie in Berlin mit dieser
Herausforderung umgegangen? Seit 2002 haben Sie als
Linke in Berlin im Bereich der Jugendhilfe mehr als
30 Millionen Euro pro Jahr gestrichen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was? Unglaublich!)


– Richtig, Herr Kolb, und die wollen uns belehren. –
Noch härter als junge Menschen trifft es die Kinder in
der Stadt. Seitdem Sie mitregieren, ist die Kinderarmut
in Berlin um 32 Prozent gestiegen. Jedes dritte Berliner
Kind lebt in Armut. Das ist die größte Kinderarmut in
ganz Deutschland. Dazu kann ich nur sagen: Hervorra-
gende Bilanz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Fazit, das ich ziehen möchte, ist folgendes – ich
möchte da keine Missverständnisse aufkommen lassen –:
Das Sparpaket der Bundesregierung hat natürlich zur
Folge, dass wir harte Einschnitte vornehmen und dass wir
auch unpopuläre Maßnahmen treffen. Aber der Unter-
schied zwischen uns von der Koalition und Ihnen bei den
Linken ist folgender: Wir sagen das den Menschen vor-
her, und wir erklären den Menschen die Notwendigkeit
dieser Sparbeschlüsse.


(Widerspruch von der LINKEN)


Sie beschränken sich darauf, hier Schaufensteranträge
mit Forderungen einzubringen, obwohl Sie selbst nicht
in der Lage sind, diese in der Praxis umzusetzen. Die
FDP-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704906200

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem

Kollegen Liebich.


(Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] begibt sich zum Rednerpult)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704906300

Kurzinterventionen werden vom Platz aus gemacht.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704906400

Ich bitte um Nachsicht. Ich war ja länger im Berliner

Abgeordnetenhaus; dort ist das anders. Das passt aber
ganz gut zum Thema, während Ihre Rede nicht zum
Thema gepasst hat. Es ist doch so, dass sich das Land
Berlin gerade zum Thema „gute Arbeit“ im Bundesrat
sehr engagiert hat. Das Land Berlin und einige weitere
Bundesländer haben im Bundesrat für einen gesetzlichen
Mindestlohn gestritten. Die FDP-mitregierten Länder
haben das natürlich abgelehnt und somit verhindert. Das
Land Berlin und das Land Brandenburg haben ein Ver-
gabegesetz verabschiedet, bei dem wir darauf setzen,
dass Mindestlöhne und Tarife, soweit es europarechtlich
möglich ist, gezahlt werden. Wir kämpfen also für gute
Arbeit.

Sie haben hier ein paar Beispiele genannt; daher will
ich kurz darauf eingehen. Das Sozialticket in Berlin ist
nie gestrichen worden. Der Zuschuss an die BVG für
dieses Sozialticket – die BVG ist ein großes staatliches
Unternehmen, das 500 Millionen Euro pro Jahr erhält –
ist gestrichen worden. Die BVG ist aufgefordert worden,
aus eigenen Kräften – diese hat sie – eines aufzulegen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Hören Sie zu. – Sie wissen, dass alle der Auffassung
waren, dass das Land Berlin in Saus und Braus lebt. Es
gab eine Einschätzung; niemand wollte das Land Berlin
weiter unterstützen. Wir mussten einen Sparhaushalt
auflegen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ende des Finanzausgleichs!)


Als das schiefging, haben wir uns entschieden, ein So-
zialticket aufzulegen, wie es in keinem anderen Bundes-
land existiert. Arbeitslosenhilfeempfänger, ALG-II-Emp-
fänger, Asylbewerber, Seniorinnen und Senioren erhalten
ein Ticket zum halben Preis der Umweltkarte, mit dem
man in der ganzen Stadt fahren darf.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Auf Kosten von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen!)


Das wird massiv angenommen. Wenn Sie das in den
Ländern, in denen Sie mitregieren, ansatzweise umset-
zen würden, dann könnten Sie sich zu diesem Thema
wieder melden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Nächste: zur Jugendhilfe. Sie glauben doch
nicht, dass das Land Berlin aus Spaß bei der Jugendhilfe
streicht. Die Situation ist, dass eine Steuerpolitik ge-





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)


macht wurde – Sie wollen diese Politik übrigens nicht
verhindern, sondern forcieren –, durch die die Steuerein-
nahmen zusammengebrochen sind.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ach! Das ist jetzt aber schwach!)


Wir mussten darüber diskutieren, wie wir damit im Land
Berlin umgehen.

Die Kinderarmut ist in Berlin doch nicht wegen der
Berliner Landespolitik gestiegen. Wir haben versucht,
gegenzusteuern, wo wir konnten. Wir haben für die El-
tern kostenfreie Kitas eingeführt. Führen Sie das doch
auch in den Ländern ein, in denen Sie mitregieren!


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, ja! Alle Länder haben die gleichen Rahmenbedingungen, aber nur bei Ihnen steigt permanent die Arbeitslosigkeit! Komisch!)


Wir kämpfen, wir ringen, und diejenigen, die bei den
Steuereinnahmen der Länder streichen wollen, stellen
sich hier hin und werfen den Ländern, die sich bemühen,
mit ihren wenigen Mitteln das Beste zu machen, vor,
dass sie unsozial sind. So etwas ist heuchlerisch. Das hat
nicht nur nichts mit guter Arbeit zu tun, sondern das hat
auch nichts mit guter Politik zu tun.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704906500

Zur Erwiderung Herr Kollege Blumenthal.


Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1704906600

Ich bedanke mich natürlich für die wertvollen Hin-

weise, die der Kollege gerade dargeboten hat. Dass Sie
im Bundesrat Absichtserklärungen postulieren, ist sehr
schön.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Nein! Das waren Anträge! Anträge, die Sie abgelehnt haben!)


– Ich bin jetzt darauf eingegangen, was Sie hier in Berlin
in der Praxis konkret umgesetzt haben.

Ich möchte Sie auf einen weiteren Punkt hinweisen
– das habe ich eben bereits in meiner Rede gesagt –: Ich
möchte nicht in Abrede stellen, dass es hier wirkliche
große Anstrengungen gab. Dass die Finanzsituation des
Landes Berlin natürlich eine sehr schwierige ist, wissen
wir alle. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nur
folgender: Sie legen hier Anträge vor, bei denen von
vornherein klar ist, dass sie nicht in die Praxis umgesetzt
werden können. Ihre Anträge sind nur Schaufenster-
anträge.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wie bitte? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was? Woher nehmen Sie das denn?)


Ich allerdings möchte Sie mit der Realität konfrontieren.
Das ist der Unterschied.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil Sie es nicht wollen! Das ist der Unterschied!)


Genau darauf bin ich auch in meiner Rede eingegangen.
Insofern kann ich das nur zurückweisen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704906700

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carsten

Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1704906800

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her-
ren! Ich habe Ihren Antrag einmal mitgebracht; das ist ja
auch ganz interessant.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Auch gelesen?)


– Auch gelesen, ja; bis zur letzten Seite.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mann ist leidensfähig! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war bestimmt keine angenehme Stunde!)


– Richtig. Der Frustrationsgrad geht auf 100 Prozent zu.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie treffen in Ihrem Antrag zwei falsche Grundannah-
men: Erstens. Sie sprechen von einer – ich zitiere – „ka-
tastrophalen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja! Das ist ja auch richtig!)


Frau Connemann und Herr Lehrieder haben gar nicht in
Abrede gestellt, dass es bestimmte Bereiche gibt


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ist es!)


– die wird es übrigens immer geben –, in denen wir an-
packen müssen. Solche Bereiche gibt es übrigens auch
dann, wenn man Vollbeschäftigung hat. Es gibt in der
Arbeitsmarktpolitik immer Bereiche, die man angehen
muss.

Da Sie schreiben, es gebe eine katastrophale Entwick-
lung auf dem gesamten Arbeitsmarkt, empfehle ich Ih-
nen, sich die Zahlen einmal anzusehen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist für die Betroffenen mit Sicherheit eine katastrophale Entwicklung!)


Das europäische Statistikamt hat in allen 27 EU-Staaten
die Entwicklung der Arbeitslosigkeit vom Frühjahr die-
ses Jahres im Vergleich zum Frühjahr des vergangenen
Jahres untersucht. Es gab nur ein Land, in dem die Ar-





Dr. Carsten Linnemann


(A) (C)



(D)(B)


beitslosigkeit gesenkt wurde: Deutschland. Das ist der
erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Sogar auf dem Höhepunkt der
Krise war Deutschland das Land mit dem geringsten An-
stieg der Arbeitslosigkeit. Aktuell konnte die Arbeitslo-
sigkeit im Vergleich zum Vorjahr um 215 000 Menschen
abgebaut werden. In dieser Situation von einer katastro-
phalen Entwicklung am Arbeitsmarkt zu sprechen, halte
ich für nicht tragbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In der Tat! Die scheitern ja an der Realität! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr richtig! Das ist sehr seltsam!)


Zweitens. Sie skizzieren in Ihrem Antrag ein Gesell-
schaftsbild, das es in der Realität nicht gibt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja! In Ihrer!)


Sie sagen, der Staat muss es richten, muss Arbeitsplätze
usw. schaffen, aber die Eigenverantwortung des Einzel-
nen spielt keine Rolle mehr. Dabei ist die Eigenverant-
wortung des Einzelnen, eingebettet in die Soziale
Marktwirtschaft, eigentlich das Erfolgsmodell, das die-
ses Land groß gemacht hat. So ist es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es! Aber das ist im Kommunismus anders!)


Wir sagen: Der Staat schafft keine Arbeitsplätze, son-
dern der Staat ist derjenige, der Schiedsrichter ist und
aufpasst, dass die Regeln eingehalten werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und derjenige, der die Regeln auch aufstellen muss!)


Diese Spielregeln haben wir in den 50er-Jahren übrigens
selbst definiert, sogar gegen Teile unserer Partei und
auch gegen Teile der Wirtschaft. Diese Spielregeln hat
damals Ludwig Erhard auf den Weg gebracht,


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, genau! Der hat noch Ahnung gehabt!)


und dieses Gesellschaftsmodell lassen wir uns von Ihnen
nicht kaputtmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erhard wäre mit Ihnen aber gar nicht einverstanden!)


– Sie brauchen jetzt gar nicht so unqualifizierte Äuße-
rungen zu machen.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ihre Rede ist unqualifiziert!)


Melden Sie sich, stellen Sie mir Ihre Frage, dann gehe
ich auch gerne konkret darauf ein.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht so arrogant! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau! Stellen Sie doch eine Zwischenfrage!)


Eigenverantwortung ist für uns wichtig. Da Sie bei-
spielsweise die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf
40 Stunden und im zweiten Schritt auf 35 Stunden redu-
zieren möchten, sage ich Ihnen: Es gibt viele Menschen,
die gerne 36 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten
wollen. Wollen Sie denen dann sagen: „Stellen Sie jetzt
den Computer ab“? Sie wollen die Kündigungsschutzre-
geln ändern und die Schwelle von zehn Mitarbeitern
komplett abschaffen. Ich frage Sie: Gibt es dann noch
Unternehmensgründungen? – Die Menschen gehen ein
Risiko ein, wenn sie sich selbstständig machen. Wir
brauchen Unternehmensgründungen; denn dadurch ent-
stehen Arbeitsplätze. Aus den Gründungen kleiner Un-
ternehmen entsteht der Mittelstand. Der Mittelstand
schafft Arbeitsplätze und nicht der Staat. Übrigens sind
es nicht in erster Linie die großen Unternehmen, die Ar-
beitsplätze schaffen, sondern die kleinen und mittleren
Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Poli-
tik. Das Erfolgsmodell „Mittelstand“ haben wir in der
gesamten Welt verbreitet, und das lassen wir uns von Ih-
nen nicht kaputtmachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie machen es kaputt!)


– Nein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es genügt, dass sie die DDR kaputtgemacht haben!)


Wenn Sie sich die Geschichte der sozialen Marktwirt-
schaft und die Geschichte der marktwirtschaftlichen
Ordnung ansehen, dann sehen Sie, dass es in der Regel
Erfolge gibt. Es gibt auch Misserfolge – das will ich gar
nicht abstreiten –, wie jetzt in der Finanzkrise, weil Re-
geln nicht eingehalten oder nicht definiert wurden. Eines
kann ich Ihnen aber sagen: Staatlich gelenkte Wirtschaft,
Staatswirtschaft, Kommandowirtschaft, Zentralverwal-
tungswirtschaft – das alles ist immer und überall auf die-
sem Globus mit Pauken und Trompeten gescheitert. Des-
halb lehnen wir den Antrag ab.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704906900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1704907000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Antrag, über den wir hier diskutieren, trägt den Titel
„Mit guter Arbeit aus der Krise“. Ich habe das Gefühl,
dass wir in der Debatte doch noch einmal eine gemein-
same Definition von guter Arbeit brauchen, um zu wis-
sen, über was wir uns überhaupt streiten. Der Kernkon-





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)


flikt zwischen den Fraktionen auf der rechten und der
linken Seite ist, dass wir eine Vision von guter Arbeit ha-
ben, während Sie keine davon haben und deshalb auch
nicht an dem Erreichen des Ziels arbeiten, gute Arbeit in
Deutschland zu schaffen. Das ist das Problem dieser Re-
gierungskoalition.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Es ist eben nicht so, dass sozial ist, was
Arbeit in Deutschland schafft. Sozial ist ausschließlich,
was gute Arbeit in Deutschland schafft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

hat die SPD aber lange anders gesehen!)

Die Menschen erwarten, dass wir für gute Arbeit in
Deutschland sorgen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer sorgt denn dafür?)


Ich will Ihnen mit einem Beispiel aus meinem Wahl-
kreis Pforzheim deutlich machen, welche Menschen das
sind. Es geht vor allen Dingen um junge und ältere Men-
schen, weil das genau diejenigen sind, die bei Ihrer Poli-
tik durch den Rost fallen. Ich war kürzlich im Rahmen
meines Schulprojekts „Junger Rat für Mast“ in der
9. Klasse des Kepler-Gymnasiums in Pforzheim. Die
Schüler haben mich zum Thema Berufsperspektiven be-
raten. Als ich zum zweiten Mal in die Schulklasse kam,
haben mir die Neuntklässler dieses Gymnasiums in Ba-
den-Württemberg – wohl bemerkt, bei uns ist die Welt
noch in Ordnung –


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bei der FDP-Regierung ist das auch kein Wunder!)


gesagt: Frau Mast, wir wollen einen Mindestlohn, Si-
cherheit am Arbeitsplatz, eine unbefristete Beschäfti-
gung etc. pp. – Das ist all das, was Sie nicht wollen. Sie
machen Politik gegen die junge Generation, wenn Sie
gute Arbeit nicht in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


Lassen Sie mich „gute Arbeit“ definieren; denn im
Gegensatz zu Ihnen hat sich meine Partei, die SPD, mit
dem Thema sehr intensiv auseinandergesetzt, und sie
weiß, was gute Arbeit ist. Für uns ist gute Arbeit zuerst
Arbeit, die die Würde schützt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das ist Arbeit, mit der ich mir aufgrund eines Mindest-
lohns wenigstens meine Existenz sichern kann und die
mir die soziale Teilhabe und die Teilhabe an den sozialen
Sicherungssystemen ermöglicht; denn gute Arbeit be-
deutet nicht nur Broterwerb, sondern ermöglicht auch
die soziale Teilhabe in dieser Gesellschaft. Das macht
gute Arbeit aus.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Außerdem wird durch gute Arbeit die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ermöglicht. Es bringt uns hier
nicht weiter, wenn künstliche Konflikte zwischen den
Teilzeitarbeitenden und den Vollzeitbeschäftigten her-
aufbeschworen werden, weil sowohl für die Teilzeitbe-
schäftigten als auch für die Vollzeitbeschäftigten der
Grundsatz der Würde der Arbeit gilt. Es geht darum,
dass man seine menschlichen und familiären Bedürf-
nisse mit der Erwerbstätigkeit vereinbaren kann. Dafür
kämpft die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.

Das wird immer wieder vergessen: Bei guter Arbeit
geht es nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, die Würde der Arbeit, Perspektiven sowie die so-
ziale und demokratische Teilhabe, sondern vor allen
Dingen auch um die Weiterentwicklung der eigenen
Qualifikation. Dazu zählt erstens, dass die eigene Quali-
fikation erhalten bleibt, wenn man ins Erwerbsleben ein-
tritt, und zweitens, dass man sie weiterentwickeln kann
und damit durch Arbeit auch Chancen für den sozialen
Aufstieg in dieser Gesellschaft eröffnet werden.

Gegen all diese Punkte machen Sie aktuell Politik.
Deshalb diskutieren wir heute so engagiert. Meine Kol-
legen aus dem Ausschuss und der Staatssekretär können
es vielleicht nicht mehr hören, aber Ihre Kürzungsvor-
schläge im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des
Bundeshaushalts sind unsozial. Dazu wurde schon viel
gesagt. Sie klauen durch Ihre Politik vor allen Dingen
jungen Generationen Bildungschancen. Für uns besteht
eine sehr wichtige Voraussetzung für gute Arbeit darin,
dass in Bildung investiert wird. Sie wollen Rechtsan-
sprüche in Ermessensleistungen umwandeln und gleich-
zeitig die Haushaltstitel kürzen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie wollen gar nichts mehr! Erzählen Sie doch hier nichts von Generationengerechtigkeit!)


Damit schaffen Sie alles ab, was jungen Menschen hilft,
die durch den Rost gefallen sind. Vergessen Sie nicht,
dass 70 000 Jugendliche in Deutschland die Schule ohne
einen Abschluss verlassen! Heute war schon vom Bil-
dungsbericht die Rede. Jeder sechste Jugendliche in
Deutschland zwischen 20 und 30 Jahren hat keinen Be-
rufsabschluss. Diese Zahlen machen mir Angst; denn es
bedeutet, dass wir auch in puncto sozialen Zusammen-
halt ein Problem bekommen. Sie wollen einfach Rechts-
ansprüche auf Bildung in Ermessensleistungen umwan-
deln, ohne dafür vor Ort Geld zur Verfügung zu stellen.
Das ist doch im Kern Ihre Politik, mit der Sie der Gesell-
schaft Chancen nehmen. Mein Vorredner hat von Eigen-
verantwortung gesprochen. Woher soll sie denn kom-
men, wenn man den Menschen keine zweite Chance auf
dem Arbeitsmarkt gibt?


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das sind die Probleme, um die es heute geht. Deshalb
fordere ich Sie auf: Denken Sie darüber nach und erin-
nern Sie sich auch an die Politik, die wir gemeinsam ge-
macht haben! Wir und auf jeden Fall auch die Sozial-
politiker in der Union – das haben wir nämlich in der
Großen Koalition gemeinsam hinbekommen – wissen
doch, dass es nicht darum geht, nachzusorgen, sondern





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)


darum, vorzusorgen. Es geht darum, den Menschen Per-
spektiven und Wege zu eröffnen, statt sie ihnen zu ver-
schließen. Das ist das Problem bei Ihren Kürzungsvor-
schlägen. Ich verstehe nicht, warum gerade Ursula von
der Leyen, die sich in der Großen Koalition damit her-
vorgetan hat, Maßnahmen wie das Elterngeld und die
Familienförderung mit unserer Unterstützung und unse-
rer Konzeption im Vorfeld umzusetzen, jetzt in der vor-
sorgenden Sozialpolitik eine Rolle rückwärts macht.
Kehren Sie um! Nur dann können wir in Deutschland
gute Arbeit durchsetzen, von der Menschen leben kön-
nen, wenn sie eine Vollzeitbeschäftigung haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704907100

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1704907200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutsch-

land sind gegenwärtig etwa 3,2 Millionen Menschen ohne
Arbeit.


(Zuruf von der LINKEN: Offiziell!)


Die erste Sorge dieser Menschen ist sicherlich nicht, ob
Mitbestimmung in einem Betrieb möglich ist oder wie
das Streikrecht gestaltet ist. Diese Dinge sind ohne Frage
wichtig. Aber die größte Sorge der Menschen ohne Ar-
beit ist, überhaupt Arbeit zu bekommen. Die Arbeitslo-
sigkeit ist schließlich das Problem, dessen Ursache wir
bekämpfen müssen. Damit müssen wir beginnen. Sie
machen aber den zweiten Schritt vor dem ersten und
kommen deshalb gewaltig ins Stolpern. Zugegeben, die
Zeiten haben sich geändert, die Arbeitsbedingungen und
die Erwerbsbiografien auch. Es gibt heutzutage kaum
noch Arbeitnehmer, die 25 Jahre in einem Betrieb be-
schäftigt sind. Das war einmal. Heutzutage ist es ent-
scheidend, flexibel und wettbewerbsfähig zu sein. Das
sind die Menschen in aller Regel auch. Das, meine Da-
men und Herren von den Linken, scheinen Sie noch
nicht begriffen zu haben. Das hat die Diskussion heute
deutlich gezeigt. Sie haben auch nicht begriffen, dass
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Vertrag
über den Faktor Arbeit geschlossen wird. Wenn die For-
derungen dazu überzogen werden, kommt es gar nicht
erst zur Einstellung. Das ist der Hintergrund.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft ist, dass
Politik den Rahmen für unternehmerisches Handeln vor-
gibt. Diese Praxis hat sich bewährt.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion
Die Linke, Sie malen das Bild einer Arbeitswelt, die es
so nicht gibt, und Sie wollen die Menschen glauben ma-

chen, die Politik müsse nur die entsprechenden Gesetze
ändern bzw. erlassen und die Arbeitswelt werde so, wie
Sie sie gerne hätten. Das ist eine ideale Wunschwelt, die
meilenweit von der Realität entfernt ist. Sie wird auch
nicht realisierbar sein, weil die Rahmenbedingungen
ganz anders sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ihr Antrag ist ein Sammelsurium; alle möglichen For-
derungen sind darin vereint. Natürlich fehlt auch nicht
die obligatorische Forderung nach einem gesetzlichen
Mindestlohn in astronomischer Höhe von 10 Euro.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Astronomisch?)


Sie sind offensichtlich davon überzeugt, dass Ihre Forde-
rung zu guter Arbeit führen wird. Ich sage Ihnen: Das ist
ganz und gar nicht so.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist ein Armutslohn!)


Dies haben meine Kollegen und Vorredner bereits deut-
lich herausgestellt.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704907300

Frau Kollegin Molitor, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?


Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1704907400

Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage mehr. Ich

denke, es sind schon genügend Argumente genannt wor-
den.

Wir Liberalen haben ein klares Ziel: Obere Priorität
ist, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Wir Libera-
len wollen eine Politik, die den Menschen in den Mittel-
punkt stellt. Es gilt, die Ursachen von Arbeitslosigkeit zu
bekämpfen, indem wir die wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen verbessern und auf eine Beschäftigungspoli-
tik setzen, die sich am Wachstum orientiert. Das ist die
Politik der FDP, und dafür machen wir uns stark.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704907500

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1704907600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem

die Kollegin Mast eben in ihrer Rede zusätzliche Refle-
xionstiefe bei der Behandlung des Themas angemahnt
hat, will ich dies gerne aufnehmen und mit einigen nach-
denklichen Bemerkungen über das Thema „gute Arbeit“
zusätzliche Argumente bringen, die mir wichtig sind.

Zunächst einmal ist der Begriff der Arbeit aus christ-
lich-demokratischer, aus biblischer Sicht ausgesprochen
ambivalent. Die Arbeit gehört zum einen zur Conditio





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)


humana, also zur Identität des Menschen schlechthin.
Deswegen haben auch die Apostel und Jesus selbst gear-
beitet. Arbeit ist zum anderen seit der Vertreibung aus
dem Paradies auch mit Schmerzen, mit Last, mit den
Tränen, die die Arbeit mit sich bringt, belastet. Das Para-
dies ist nicht mehr erreichbar.

Ich möchte aus der Deutschen Ideologie von Karl
Marx zitieren, der das „Reich der Freiheit“ damit be-
schrieben hat, dass man morgens jagt, mittags fischt,
abends Viehzucht betreibt und nach dem Essen kritisiert.
Dies ist sicherlich eine sehr paradiesische Vorstellung
vom Reich der Freiheit. Für mich wäre zumindest wich-
tig, dass aus diesem Reich der Freiheit keine Notwendig-
keit wird, dass der Mensch also nicht gezwungen werde,
morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht
zu betreiben und nach dem Essen zu kritisieren, damit er
überhaupt seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Gute
Arbeit ist nach meinem Dafürhalten die Möglichkeit,
sich auf einem Gebiet Anerkennung zu verschaffen und
nicht aufgespalten zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gute Arbeit ist des Weiteren nicht antagonistisch. Sie
steht nicht in der Auseinandersetzung von Arbeit und
Kapital. Deswegen wollen wir die Mitarbeiterkapitalbe-
teiligung ausbauen, um Brücken zwischen Arbeit und
Kapital zu schlagen und dem Arbeitnehmer eine zusätz-
liche Möglichkeit zu geben, sich mit dem Betrieb zu
identifizieren. Gute Arbeit ist nach meinem Dafürhalten
dann gegeben, wenn die Arbeit als etwas Eigenes emp-
funden wird. Gute Arbeit ist also eine inklusive Arbeit.
Dazu gehört die Mitarbeiterbeteiligung.

Ich betrachte mit großer Sorge die Zunahme von Mob-
bing- und Bossing-Fällen in der Arbeitswelt, mit Folge-
kosten in Höhe von bis zu 6,5 Milliarden Euro pro Jahr,
die zum großen Teil von Rentenversicherern getragen
werden müssen, weil sie die Rehabilitationsmaßnahmen
finanzieren. Davon sind alle Berufe betroffen. Erstaunt
hat mich aber, dass soziale Berufe überproportional von
Mobbing- und Bossing-Prozessen betroffen sind, im Üb-
rigen auch Gewerkschaften. Das heißt, dass dies kein in-
dividuelles Problem, sondern ein institutionelles Problem
der Arbeitsorganisation ist. Deswegen handelt es sich für
mich dann um gute Arbeit, wenn Arbeitsstrukturen nicht
ausgrenzen, sondern eingrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehört aber auch, dass wir uns mit der Frage
nach der Beschleunigung und Verdichtung von Arbeits-
inhalten, mit der Ausfransung der Grenze von Arbeit
und Leben auseinandersetzen. Das ist für mich eine
ernste Angelegenheit. Wenn ich in die Runde der Kolle-
gen schaue, dann sehe ich, dass viele von ihnen ein
Handy dabeihaben. Das Handy ist mittlerweile nicht
mehr Mittel, sondern schon fast Zweck. Es signalisiert
die allgemeine Erreichbarkeit. Wir werden im Grunde
genommen auf Relaisstationen der Informationsgesell-
schaft reduziert. Auch Arbeitnehmer sind allgemein ver-
fügbar. Ich weiß, dass keiner der Kollegen im Bundestag

das macht, aber es soll durchaus vorkommen, dass Ar-
beitgeber ihre Mitarbeiter auch weit nach dem Arbeits-
ende auf dem Handy anrufen – weil jederzeit jemand
verfügbar ist – und mit Arbeitsaufträgen behelligen.
Nach meinem Dafürhalten ist gute Arbeit dann gegeben,
wenn Leben und Arbeit, Arbeit und Freizeit voneinander
abgegrenzt sind und nicht unterschiedslos ineinander
verschwimmen.

Gute Arbeit verweist also auf eine Werthaltung; sie
basiert auf einem Verhalten jenseits von Angebot und
Nachfrage, über das wir nachdenken müssen. Der Öko-
nom Wilhelm Röpke hat gesagt, sie habe etwas mit den
sittlichen Reserven zu tun. Er benennt sie wie folgt:
Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fair-
ness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung
vor der Menschenwürde des anderen. Das alles ist si-
cherlich richtig. Wir brauchen nicht unbedingt einen
neuen Grundkonsens, wie Gesine Schwan es heute Mor-
gen beschrieben hat. Diese sittlichen Reserven sind nicht
alles. Aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir sie nicht
haben, ist alles nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Grundlage guter Arbeit ist, glaube ich, etwas
komplexer, als es im Antrag der Linken zum Ausdruck
kommt. Sie hat sehr viel mit Werthaltung zu tun. Da-
rüber zu diskutieren, lohnt sich.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704907700

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1704907800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

insbesondere der Linksfraktion! Ich habe eigentlich ge-
dacht, dass wir, nachdem wir uns Ende April mit diesem
Thema hier im Hause befasst haben, ein Ende dieses un-
seriösen Sammelsuriums erreicht hätten. Aber es hat
sich im Ausschuss und auch heute wieder gezeigt: Sie
sind beratungsresistent, Sie sind und bleiben die Partei
des Populismus, des sozialistischen Märchenlands. Man
kann Ihnen einfach nicht folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren von den Linken, das zeigen
auch Ihr Antrag und insbesondere die Rede der Präsi-
dentschaftskandidatin, die Sie aufgestellt haben. Sie
wollen eigentlich keine Verbesserung, nein, Sie wollen
Unruhe in die Bevölkerung bringen.


(Lachen bei der LINKEN)


Ich habe vorhin das Wort „Kampfansage“ mitgeschrie-
ben. Wer Präsidentschaftskandidat ist, sollte sich überle-





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)


gen, ob er in Debatten über die Arbeitsmarktpolitik
Worte wie „Kampfansage“ verwenden will. Ich glaube,
eine Präsidentschaftskandidatin sollte integrieren, die
Bevölkerung mitnehmen und hier zeigen, was man für
dieses Land leisten möchte. Das haben Sie heute nicht
gezeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie müssen im Brecht’schen Sinne das Volk erst suchen,
das Sie wählt. Mit Ihrem Antrag sorgen Sie vor allem für
Verunsicherung in der Bevölkerung. Sie tragen mit Ih-
rem klassenkämpferischen Ton dazu bei, Investoren vor
diesem Land abzuschrecken. So werden keine Arbeits-
plätze geschaffen; davon sind wir überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eines ist auch richtig: Wir haben – ich möchte die
Kolleginnen und Kollegen der SPD einbeziehen – in der
Krise gezeigt, wie man Arbeitsplätze erhält und Arbeits-
plätze für die Zeit bereitstellt, wenn die Krise vorbei ist
und die Konjunktur wieder anspringt. Durch das Kurzar-
beitergeld können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in den Betrieben bleiben.


(Zuruf von der LINKEN)


– Die Konjunktur wird natürlich wieder anspringen.

Die Bilanz zeigt, dass wir seit dem Jahr 2003, als wir
noch 5 Millionen Arbeitslose hatten, sehr viele gute Ar-
beitsplätze in diesem Land geschaffen haben, sodass
Menschen wieder in Lohn und Brot gekommen sind.
Das sollte man an dieser Stelle feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es nutzt gar nichts, wenn man wie mit einer Walze
über den konjunkturellen Aufschwung, der jetzt beginnt,
hinwegzieht und völlig unrealistische Forderungen stellt
wie die nach Abschaffung unbefristeter Arbeitsverhält-
nisse. Frau Müller-Gemmeke, darüber waren wir uns
schon in der vergangenen Woche nicht einig. Darüber
werden wir uns auch nicht einig werden, weil ich weiter-
hin glaube, dass befristete Arbeitsverhältnisse ein we-
sentlicher Motor für unseren Arbeitsmarkt sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleiches gilt für seriöse Zeitarbeit. Hier kämpfen wir ge-
gen den Drehtüreffekt. Sie von der SPD – ich habe es
schon in der vergangenen Woche gesagt – sollten sich
nicht von all dem Guten und Sinnvollen verabschieden,
das in den vergangenen Jahren für den Arbeitsmarkt in
diesem Land getan worden ist. Ich will nicht auf den
Kündigungsschutz, auf das Überbieten beim Mindest-
lohn oder auf den öffentlichen Beschäftigungssektor ein-
gehen. Will denn tatsächlich jemand von uns nochmals
einen bankrotten Staat mit einem bankrotten Beschäfti-
gungssektor und bankrotten Staatsbetrieben? Am 17. Ju-
ni sollten wir doch eigentlich geistig weiter sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Liste Ihrer arbeitsplatzvernichtenden Forderun-
gen ist lang. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie

die ideologische Brille ab! Versuchen Sie zu begreifen,
was soziale Marktwirtschaft bedeutet! Versuchen Sie es
endlich! Lesen Sie nicht Marx! Herr Schreiner, Sie kön-
nen den Bischof Marx gern weiter lesen; das gestehe ich
Ihnen zu. Lesen Sie aber nicht Marx und Engels! Lesen
Sie nicht Lafontaine! Lesen Sie Ludwig Erhard! Dann
wissen Sie, wie es geht.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Lesen Sie und schauen Sie, was wir in der Regierung
leisten! Ich nenne als Beispiele nur das Beschäfti-
gungschancengesetz und die Verlängerung der Dauer des
Kurzarbeitergeldes in der Krise. Führen Sie nicht weiter
eine Neidkampagne! Stellen Sie nicht den Arbeitgeber
als böse und den Arbeitnehmer als gut dar! Beide arbei-
ten in den Betrieben gut und fair zusammen. Hetzen Sie
sie nicht gegenseitig auf! Sorgen Sie für den sozialen
Frieden, den es in den Unternehmen als Partnerschaft
zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ei-
nerseits und den Arbeitgebern andererseits gibt! Unter-
stützen Sie das Erfolgskonzept der sozialen Marktwirt-
schaft! Das ist gute Arbeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704907900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mit guter
Arbeit aus der Krise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2069, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1396 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 m so-
wie Zusatzpunkt 2 auf – es handelt sich um Überwei-
sungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte –:

35 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Eu-
ropäischen Übereinkommens vom 27. Januar
1977 zur Bekämpfung des Terrorismus

– Drucksache 17/2067 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 9. Juni 2006 zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten, der Republik Albanien, Bos-
nien und Herzegowina, der Republik Bulga-





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


rien, der ehemaligen jugoslawischen Republik
Mazedonien, der Republik Island, der Repu-
blik Kroatien, der Republik Montenegro, dem
Königreich Norwegen, Rumänien, der Repu-
blik Serbien und der Übergangsverwaltung
der Vereinten Nationen in Kosovo zur Schaf-
fung eines gemeinsamen europäischen Luft-

(Vertragsgesetz ECAA-Übereinkommen – ECAAÜbkG)


– Drucksache 17/2068 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Öffentlichen Zugang zu Informationen über
klinische Studien umfassend sicherstellen

– Drucksache 17/1768 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Bessere Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwe-
cken – Konkrete Haltungsbedingungen in die
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufneh-
men

– Drucksache 17/2017 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Alexander
Süßmair, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen
in Deutschland und der Europäischen Union
tiergerechter regeln – Mindestanforderungen
unverzüglich auf den Weg bringen

– Drucksache 17/1601 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die gewerbliche Haltung von Mast- und
Zuchtkaninchen in Deutschland und der Eu-
ropäischen Union deutlich verbessern

– Drucksache 17/2006 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus

(Altötting)

der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim
Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Europa in Bewegung – Mit Kompetenz und
Verantwortung für einen europäischen Mehr-
wert im Sport

– Drucksache 17/2129 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für ge-
brauchte Energiesparlampen im Handel ein-
richten

– Drucksache 17/1583 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Verbraucherinformationsgesetz zügig refor-
mieren

– Drucksache 17/2116 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Petitionsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
Kumpf, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Stärkung der Jugendfreiwilligendienste – Platz-
angebot ausbauen, Qualität erhöhen, Rechtssi-
cherheit schaffen

– Drucksache 17/2117 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar
Schreiner, Anette Kramme, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Demokratische Teilhabe von Belegschaften
und ihren Vertretern an unternehmerischen
Entscheidungen stärken

– Drucksache 17/2122 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Obligatorische Prüf- und Zulassungsverfah-
ren für Haltungseinrichtungen für Nutztiere –
Tierschutz-TÜV zügig einführen

– Drucksache 17/2143 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht des
Einzelhandels für Energiesparlampen durch-
setzen

– Drucksache 17/2121 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Versorgung durch Hebammen und Entbin-
dungshelfer sicherstellen

– Drucksache 17/2128 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
fenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 k sowie
36 m bis 36 v auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge-
sehen ist.

Tagesordnungspunkt 36 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Musterwiderrufsinfor-
mation für Verbraucherdarlehensverträge, zur
Änderung der Vorschriften über das Wider-
rufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen
und zur Änderung des Darlehensvermittlungs-
rechts

– Drucksachen 17/1394, 17/1802 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/2095 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Christian Ahrendt
Marianne Schieder (Schwandorf)

Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/2095, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1394
und 17/1802 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktio-
nen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Tagesordnungspunkt 36 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und des Fahrpersonalgesetzes

– Drucksachen 17/1395, 17/1903 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/1835 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/1835, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf den Drucksachen 17/1395 und 17/1903 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in dritter Lesung mit gleichem Stimmenverhältnis wie
in der zweiten Lesung angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 c:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Staatsvertrag vom 16. Dezember 2009
und 26. Januar 2010 über die Verteilung von
Versorgungslasten bei bund- und länderüber-
greifenden Dienstherrenwechseln

– Drucksache 17/1696 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/2014 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)

Michael Hartmann (Wackernheim)

Dr. Stefan Ruppert
Petra Pau
Dr. Konstantin von Notz

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/2048 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Herrmann
Dr. Peter Danckert
Florian Toncar

Steffen Bockhahn
Stephan Kühn

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/2014, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1696 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Novem-
ber 2008 über die Änderung des Vertrags vom
11. April 1996 über die Internationale Kom-
mission zum Schutz der Oder gegen Verunrei-
nigung

– Drucksache 17/1702 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/2144 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Oliver Kaczmarek
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Dorothea Steiner

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2144, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1702 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur
Änderung umweltrechtlicher Vorschriften

– Drucksachen 17/1393, 17/1904 –





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/2148 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart
Dr. Matthias Miersch
Judith Skudelny
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2148, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf den Drucksachen 17/1393 und 17/1904 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge-
genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis wie zuvor angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 f:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
2. März 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung der Insel Man über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Aus-
kunftsaustausch

– Drucksache 17/1698 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Insel Man
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von
im internationalen Verkehr tätigen Schiff-
fahrtsunternehmen

– Drucksache 17/1697 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/2168 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding (Heidelberg)

Dr. Birgit Reinemund

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen

mit der Regierung der Insel Man über die Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus-
tausch auf Drucksache 17/1698 anzunehmen. Wir kom-
men auch hier direkt zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung der Insel Man zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung von im internationalen Verkehr täti-
gen Schifffahrtsunternehmen auf Drucksache 17/1697
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 g:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
26. März 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung von Guernsey über den Auskunftsaus-
tausch in Steuersachen

– Drucksache 17/1699 –

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Au-
gust 2009 zwischen der Regierung der Bundes-
republik Deutschland und der Regierung von
Gibraltar über die Unterstützung in Steuer-
und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus-
tausch

– Drucksache 17/1700 –

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Sep-
tember 2009 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung
des Fürstentums Liechtenstein über die Zu-
sammenarbeit und den Informationsaustausch
in Steuersachen

– Drucksache 17/1701 –





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/2090 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Birgit Reinemund

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung von Guernsey über den Auskunftsaus-
tausch in Steuersachen auf Drucksache 17/1699 anzu-
nehmen. Wir kommen auch hier direkt zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung. Auch hier mögen sich diejeni-
gen, die zustimmen wollen, erheben. – Gegenstimmen?
– Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung von Gibraltar über die Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus-
tausch auf Drucksache 17/1700 anzunehmen. Auch hier
kommen wir direkt zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über
die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in
Steuersachen auf Drucksache 17/1701 anzunehmen.
Auch hier kommen wir direkt zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, den
bitte ich, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist wiederum mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 h:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Betriebsprämiendurchfüh-
rungsgesetzes und des Agrarstatistikgesetzes

– Drucksache 17/1703 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/2109 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2109, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1703 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 36 i:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Katzen- und Hundefell-Ein-
fuhr-Verbotsgesetzes und zur Änderung des
Seefischereigesetzes

– Drucksache 17/1704 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/2110 (neu)

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Heinz Paula
Dr. Christel Happach-Kasan
Alexander Süßmair
Cornelia Behm

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2110 (neu), den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 17/1704 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Frak-
tionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Tagesordnungspunkt 36 j:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Neununddreißigste Verordnung zur Durch-
führung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

(Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV)


– Drucksachen 17/1900, 17/2175 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Paul
Ute Vogt
Dr. Lutz Knopek
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2175, der Verordnung der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/1900 zuzustimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 k:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP

Modellversuch „Begleitetes Fahren mit 17“ in
das Dauerrecht überführen

– Drucksachen 17/1573, 17/2147 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2147, den Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1573
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 m:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP

Herstellung des Einvernehmens zu den erwar-
teten Ergebnissen der Regierungskonferenz
im Hinblick auf die Zusammensetzung des
Europäischen Parlaments nach Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon

hier: Erklärung des Deutschen Bundestages
nach § 10 des Gesetzes über die Zusam-
menarbeit von Bundesregierung und

Deutschem Bundestag in Angelegenhei-
ten der Europäischen Union

– Drucksache 17/2127 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Frak-
tion und der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 n:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Veränderung der Zusammensetzung des Euro-
päischen Parlaments in der laufenden Wahl-
periode

– Drucksache 17/2049 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist bei Zustim-
mung der Fraktion Die Linke von allen anderen Fraktio-
nen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 36 o:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Dr. Rolf
Mützenich, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Den Europäischen Auswärtigen Dienst im
Dienste aller EU-Institutionen handlungsfähig
und wirkungsvoll ausgestalten

– Drucksache 17/2118 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke bei Zustimmung der SPD-Fraktion und bei Ent-
haltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 36 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 97 zu Petitionen

– Drucksache 17/1990 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 97 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 98 zu Petitionen

– Drucksache 17/1991 –





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 98 ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 r:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 99 zu Petitionen

– Drucksache 17/1992 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 99 ist einstimmig angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 36 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 100 zu Petitionen

– Drucksache 17/1993 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 100 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 101 zu Petitionen

– Drucksache 17/1994 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 101 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 u:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 102 zu Petitionen

– Drucksache 17/1995 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 102 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Ge-
genstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 36 v:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 103 zu Petitionen

– Drucksache 17/1996 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 103 ist mit den Stimmen der

Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD

Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgip-
fels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Ulla Burchardt von der SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1704908000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschah im Jahr
2008: Ein Jahr vor der Bundestagswahl versprach eine
Bundeskanzlerin den Menschen die Bildungsrepublik.
Sie machte Bildung zur Chefsache, traf sich im herbstli-
chen Dresden mit den Ministerpräsidenten und verkün-
dete, gemeinsam mit den Ländern bis 2015 10 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgeben zu wol-
len. Das wären nach damaliger Rechnung 40 Milliarden
Euro mehr für Bildung gewesen. Es wurden zwei Arbeits-
gruppen eingerichtet, um die Einlösung dieses Verspre-
chens vorzubereiten.

Es zog ein weiteres Jahr ins Land. Der nächste Bil-
dungsgipfel fand im Jahr 2009 statt. Die Erwartungen
waren groß, das Ergebnis mager. Vor allen Dingen
wurde eine neue Bildungsfinanzstatistik vorgelegt, in
der man wundersamerweise zu dem Ergebnis kam, dass
die Lücke zum 10-Prozent-Ziel nur noch 13 Milliarden
Euro betrage. Davon wolle der Bund 40 Prozent über-
nehmen, versprach die Kanzlerin. Doch, Fehlanzeige für
den, der auf konkrete Entscheidungen für mehr und bes-
sere Bildung in diesem Land gewartet hatte. Stattdessen
hatten die Ministerpräsidenten schon zu diesem Zeit-
punkt ganz deutlich gesagt: Wir brauchen angesichts der
katastrophalen Lage der öffentlichen Haushalte eine bes-
sere Finanzausstattung, bevor ihr Bundespolitiker sagt,
dass wir noch mehr Geld für Bildung ausgeben sollen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Aber diese Botschaft war offensichtlich nicht angekom-
men. Darüber waren die Ministerpräsidenten sehr verär-
gert.

Letzte Woche, im Juni 2010, fand der dritte Bildungs-
gipfel statt. Das 10-Prozent-Ziel sei, so vermerkt das
vorläufige Protokoll, finanzpolitisch nicht darstellbar.
Das heißt, all die schönen Versprechen sind geplatzt. Die
erwartungsvolle Öffentlichkeit erlebte den dritten und
hoffentlich letzten Akt des Dramas vom Scheitern der
Bildungskanzlerin und ihrer Ministerin.


(Beifall bei der SPD)


Das einzig konkrete Ergebnis – 200 Millionen Euro pro
Jahr für die dritte Säule des Hochschulpaktes bis 2020 –





Ulla Burchardt


(A) (C)



(D)(B)


ist mehr als nichts, aber bei weitem zu wenig angesichts
des vom Wissenschaftsrats geforderten Bedarfs von
1,1 Milliarden Euro pro Jahr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Frau Ministerin, das Scheitern ist verhängnisvoll und of-
fenbart einmal mehr die Unfähigkeit der Regierung und
der sie tragenden Fraktionen, ihre Gestaltungsmehrheit
zum Wohle der Menschen und zum Wohle des gesamten
Landes zu nutzen. Mit Ihrer Unfähigkeit gefährden Sie
in der Krise zusätzlich die Basis für Wachstum


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Falsche Analyse!)


und den Ausbau dieser Basis, nämlich den Ausbau eines
guten Bildungssystems in der ganzen Republik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Unionsministerpräsidenten Koch und Carstensen
haben schon vor Wochen angekündigt und damit begon-
nen, den Bildungskahlschlag zu betreiben. Sie haben sich
schon deutlich vorher vom 10-Prozent-Ziel verabschie-
det. – So viel zu Ihrer Einigkeit und zur Abstimmung in-
nerhalb der Union, was Mehrausgaben für Bildung an-
geht. Wenn man dann noch Ihren haushaltspolitischen
Sprecher hört, der seit Wochen entgegen allen anderen
Bekundungen sagt, Bildung sei kein Bereich, der vom
Sparen ausgeschlossen werden müsse, dann hat man
große Befürchtungen, was noch auf diese Republik zu-
kommt.

Davon kann auch nicht die Pauschalattacke von Frau
Schavan ablenken, die sie gegen die Länder gerichtet
hat, indem sie ihnen kleinkarierten Föderalismus und das
Umfunktionieren des Bildungsgipfels in einen Steuer-
gipfel vorwirft.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)


Frau Ministerin, Sie selbst haben die Messlatte für einen
Erfolg in den Bund-Länder-Verhandlungen gelegt. Ich
zitiere aus Ihrer Plenarrede vom 26. November 2009:

… die Frage, wer welchen Pakt mit den Ländern
umsetzt, ist eine Frage der politischen Kunst.

Recht haben Sie mit dem, was Sie da gesagt haben.
Sportlich formuliert kann man anschließen: Sie haben
die Latte auf dem letzten Bildungsgipfel gerissen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es reicht eben nicht, sich auf den Machtworten von
Frau Merkel auszuruhen. Da muss etwas mehr Hand-
werkszeug und Verhandlungskunst her, und da müssen
die Grundrechenarten beherrscht werden. Wenn die Län-
der nun zu Recht auf die prekäre Finanzsituation hinwei-
sen, dann kann man ihnen nicht sehenden Auges
4 Milliarden Euro zugunsten von Steuergeschenken für
Hoteliers und Erben entziehen. Diese Rechnung kann
nicht aufgehen; das haben Ihnen die Länder aber schon
vorher gesagt.


(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])


Da hilft es auch nichts, wenn Sie ihnen 5,7 Milliarden
Euro, also die versprochene 40-Prozent-Finanzierung,
anbieten und Sie mit der Gießkanne durch das Land ge-
hen und ihnen Modellprojekte und ähnliche Dinge in
Aussicht stellen. Davon haben die Länder nichts; davon
hat die Bildung nichts. Da kann man höchstens sagen:
Wir haben an der Stelle irgendetwas getan. Das aber
glauben Ihnen noch nicht einmal die Haushälter Ihrer ei-
genen Fraktionen; denn viele der Maßnahmen, die Sie
öffentlich verkündet haben, sind bis heute mit Sperrver-
merken versehen. Also kann man den Ländern an der
Stelle nichts nachsehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seit den Sparbeschlüssen dieser Koalition, die in der
letzten Woche getroffen wurden, gibt es wirklich einen
noch größeren Grund zur Sorge. Sie alle haben mitbe-
kommen, dass es beim Arbeits- und Sozialministerium
einen großen Kahlschlag geben wird. Die Umsetzung
des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Zahlungen
für Kinder von Hartz-IV-Beziehern steht an. Frau Minis-
terin, wir haben die große Sorge, dass der Haushalt des
Bundesbildungsministeriums dazu dienen muss, die Lü-
cken, die die Koalition in den Haushalt des Arbeitsmi-
nisteriums geschlagen hat, zu schließen. Davor können
wir Sie jetzt nur warnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Angesichts dessen kann ich nur an Sie appellieren:
Wenden Sie doch einfach einmal die vier Grundrechen-
arten an! Wer mehr Geld für Bildung ausgeben will, der
muss auch für höhere Steuereinnahmen sorgen. Wir ha-
ben den Bildungssoli vorgeschlagen. Es wird Zeit, dass
Sie auf dieses Angebot eingehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704908100

Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1704908200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an
dieser Stelle auch einmal Danke sagen: Danke, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie – zwar
aus einer anderen Motivation heraus – das Bemühen der
Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition
unterstützen, Bildung dort zu verhandeln, wo sie hinge-
hört, nämlich an zentraler Stelle, hier im Parlament. Vie-
len Dank!


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gerne!)


– Klatschen Sie ruhig einmal!





Dr. Thomas Feist


(A) (C)



(D)(B)


Nicht nur Sie, sondern auch die Medien spekulieren
darüber, ob der Bildungsgipfel gescheitert ist oder aber
ein Erfolg war.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nein, da muss man nicht spekulieren!)


Die Frage ist, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich
kann mich erinnern: Als Sie noch in der Regierungsver-
antwortung standen, war die Kritik an den Bildungsgip-
feln weitaus verhaltener als jetzt. Das bekommen auch
die Wähler mit. Was Sie machen, das ist einfach nur Par-
teipolitik, nicht mehr und nicht weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für uns ist es ein Erfolg, dass Bildung als zentrales
Thema unserer Politik auf höchster Ebene diskutiert
wird; denn dort gehört sie hin. Wir sind überzeugt: Bil-
dung ist die beste Sozialpolitik. Deswegen stellen wir
12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur
Verfügung, davon 6 Milliarden Euro nur für die Bildung,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis wann denn?)


und dies, obwohl Bildungspolitik originäre Ländersache
ist. Es grenzt schon an Blindheit, hier dem Bund Versa-
gen vorzuwerfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bund und die Regierungskoalition nehmen den
Begriff Bildungsrepublik ernst und engagieren sich über
die Maße hinaus für gute Bildung in unserem Land. Das
beste Beispiel dafür sind Initiativen zur Schaffung von
Bildungsketten, bei denen zentrale Kriterien für gute
Bildung – frühkindliche Bildung und der Übergang von
der Schule ins Berufsleben – in den Blick genommen
werden.

Der Bildungsgipfel zeigt als Plattform für Gespräche
zwischen dem Bund auf höchster Ebene und den Län-
dern – so viel soll festgehalten werden –, dass sich die
christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung hier
nicht nur bewusst ist, sondern sich dieser auch konse-
quent stellt. Diese Konsequenz hätten wir uns – da sind
wir uns in einigen Punkten sicher einig – auch bei den
Ländern in größerem Maße gewünscht. Allerdings gilt
nach wie vor unsere Zusage: Wir werden die Länder
über das eigentliche Maß hinaus unterstützen und stellen
dafür Mittel zur Verfügung.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Warum glauben die das nicht?)


Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass das
Thema Bildung in den höchsten Gremien dieses Landes
zur Sprache kommt. Wir werden es nicht zulassen, dass
man unsere Anstrengungen schlechtredet. Man kann
auch durch Schlechtreden Politik gestalten; das ist aber
nicht unsere Art und Weise.

Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt – vor allen Din-
gen bei der Frage der Zuständigkeit des Bundes und der
Länder –, werden wir uns für Veränderungen einsetzen,
ohne bisherige Vereinbarungen von vornherein infrage
zu stellen. Wir setzen uns deswegen dafür ein, dass aus

dem Kooperationsverbot ein Kooperationsgebot werden
kann.


(Zurufe von der SPD: Oi, oi!)


Wir wollen, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der
Bildung nicht nur feststellen kann, sondern sie auch si-
cherzustellen hat.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Während der erste Bildungsgipfel auf bedarfsgerech-
ten Ausbau von Studienmöglichkeiten abzielte und der
zweite Bildungsgipfel wesentliche Impulse für die For-
schung an den Hochschulen gab, wurden auf dem dritten
Bildungsgipfel konkrete und verbindliche Verbesserun-
gen von Studienbedingungen und Lehre vereinbart. Das
kann man nicht wegdiskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bund unterstützt das Programm mit zusätzlich
2 Milliarden Euro. Das ist eine beachtliche Summe, die
ohne Beispiel ist.


(Klaus Hagemann [SPD]: Bis 2020!)


Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Diesen wichtigen
Teilerfolg lassen wir uns von der Opposition weder
kleinreden noch wegjammern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie schon selber!)


Wir, die christlich-liberale Koalition, bleiben dabei:
Bildung hat für uns Vorfahrt. Das 10-Prozent-Ziel bleibt
klar im Blick. Es ist ein verlässliches Angebot des Bun-
des, und es bleibt Aufgabe der Länder, sich diesem anzu-
schließen. Wir bleiben dabei: Der Bildungsgipfel war ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bildungsrepublik
Deutschland. Darauf können Sie sich verlassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da muss er ja selber lachen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704908300

Dr. Rosemarie Hein hat jetzt das Wort für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704908400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Dr. Feist,
man kann herumreden, wie man will: Der Bildungsgip-
fel ist gescheitert. Dass er gescheitert ist, ist eine mittlere
Katastrophe. Auch das dort beschlossene Qualitätspro-
gramm als dritte Säule des Hochschulpaktes hilft nicht
darüber hinweg. Es ist zwar notwendig, aber es ist viel
zu gering ausgestattet. Es sind viel mehr und ganz an-
dere Aufgaben in anderen Dimensionen nötig. Deshalb
sind auch meine starken Worte nötig.





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)


Mit einer solchen Art Abstimmung zwischen Bund
und Ländern in Bildungsfragen macht sich die Politik in
diesem Lande in der Öffentlichkeit vollständig lächer-
lich. Bund und Länder müssen endlich begreifen: So
kann man nicht weitermachen. Die Bildungsrepublik
und vor allem die Bildungschancen junger Menschen in
diesem Land bleiben dabei auf der Strecke.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist schon ein Kreuz mit der Bildung. Die Länder
haben sich in den allermeisten Bildungsfragen die allei-
nige Zuständigkeit erkämpft, und nun stellen alle fest,
dass es an allen Ecken und Enden hapert. Deutschland
schneidet bei den Bildungsstudien nach wie vor wenig
berauschend ab. Die Hauptschulen geraten immer mehr
in die Kritik. Die soziale Schere bei der Bildungsbeteili-
gung geht weiter auseinander. Es gibt zu wenig Ausbil-
dungsplätze auf der einen Seite und zu wenig Fachkräfte
auf der anderen Seite. Bis in Regierungskreise hinein
führte das zu der Einsicht, dass es eine gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe ist, gute Bildung zu garantieren.
Das stimmt. Wir meinen, es ist eine Gemeinschaftsauf-
gabe von Bund, Ländern und Kommunen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun kann die Bundesregierung bei der Bildung aber
nicht mehr viel bestellen, und sie kann nicht einmal
mehr viel bezahlen, selbst wenn sie es möchte. Darum
hat die Kanzlerin den Bildungsgipfel erfunden. Ich
fürchte, dass der Bildungsgipfel zum neuen Steuerungs-
instrument der Bildungspolitik zwischen Bund, Ländern
und Kommunen wird. Die Kultusminister haben dann
kaum noch etwas zu sagen, sondern es wird auf der
Ebene der Finanzminister und Ministerpräsidenten ent-
schieden. Das halte ich für ein großes Problem, wenn es
um bildungspolitische Entscheidungen geht. Das kann
der Weg nicht sein.

Allerdings können wir auch die Länder verstehen.
Angesichts der Finanzpolitik des Bundes – ich muss das
nicht wiederholen; meine Kollegin Burchardt hat es eben
gesagt – fehlt an allen Ecken und Enden das Geld. Der
Grund ist die verfehlte Steuerpolitik des Bundes. Darum
wird es schwierig werden, und darum erfindet die Bun-
desregierung dauernd Hilfsprogramme – wie jüngst das
mit den Bildungsbegleitern –, die ausgebaut werden sol-
len. Ich kann mir momentan nicht vorstellen, dass durch
die Bildungsbegleiter die Defizite ausgeglichen werden
können, die es im Bildungsbereich landauf, landab gibt.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ein tolles Programm!)


Der Bildungsforscher Klemm stellt fest, dass die voll-
mundigen Ziele, die vor fast zwei Jahren in Dresden
zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sind,
nicht einmal im Ansatz erfüllt werden. In der frühkindli-
chen Bildung geht der Ausbau der Plätze nur schleppend
voran, und noch problematischer ist es bei der Ausbil-
dung des dafür notwendigen Fachpersonals. Darum wird
die Linke im Übrigen heute zu später Stunde einen An-
trag für ein Fachkräfteprogramm „Bildung und Erzie-
hung“ einbringen.

Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist
immer noch dramatisch hoch. Nun sollen es Bildungsbe-
gleiter richten. Ich glaube, wie gesagt, nicht daran, dass
sie das ausbügeln können, was in der Schule nicht mehr
geleistet werden kann. Wir brauchen nämlich eine bes-
sere Schule. Dafür brauchen wir mehr Lehrerinnen und
Lehrer, die allerdings erst noch ausgebildet werden müs-
sen; aber auch dafür fehlt den Ländern derzeit das Geld.
Darum fordern wir mit unserem Antrag zum Fachkräfte-
programm einen weiteren Hochschulpakt für die Ausbil-
dung der Lehrerinnen und Lehrer.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei den Ausbildungsplätzen redet man sich die Statis-
tik schön. Die Zahl der Ausbildungsplätze geht insbe-
sondere bei den größeren Unternehmen weiter zurück.
Die Zahl der Jugendlichen, die trotz Schulabschluss kei-
nen Ausbildungsplatz im dualen System bekommen, ist
nach wie vor groß. Die Beteiligung an Maßnahmen der
beruflichen Weiterbildung stagniert. Sie haben gerade
ein Sparpaket aufgelegt, wodurch diese Situation weiter
verschlechtert wird.

Das Einzige, was etwas besser geworden zu sein
scheint, ist die Zahl der Studienanfänger. Aber Professor
Klemm warnt und fordert dazu auf, nachzurechnen, wie
sie berechnet wird. Ich habe das Gefühl, dass wir weni-
ger Abiturienten als Studienanfänger haben. Die Zahl
kann irgendwie nicht stimmen. Deswegen finde ich, wir
sollten einmal nachrechnen.

Zurück zum Gipfel. 10 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes sollen im Bereich Bildung und Forschung inves-
tiert werden. Darüber ist man sich zwar einig, aber man
konnte sich nicht darauf einigen, wer das bezahlt. Also
ist der Bildungsgipfel ausgegangen wie das berühmte
Hornberger Schießen. Das ist eine Pleite. Anders kann
man das nicht bezeichnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auf einen Betreuungsplatz in Krippe oder Kindergar-
ten gibt es ab 2013 für alle Kinder vom ersten Geburts-
tag an einen Rechtsanspruch. Die Kommunen können es
sich dann nicht mehr aussuchen, ob sie es machen oder
nicht. Von da an ist es eine Pflichtaufgabe. Man kann
sich auch nicht aussuchen, wie vielen Kindern man ei-
nen Platz in der Schule anbieten möchte. Es besteht
Schulpflicht, und die gilt für jedes Kind. Wenn man da
nachsteuern muss, kann das durchaus bedeuten, dass bei
den Schwächsten gespart wird, dass die Konditionen für
die Schulen schlechter werden. Das können wir nicht
hinnehmen. Wer dabei tatenlos zusieht, handelt verant-
wortungslos. Hilfsprogramme nützen an dieser Stelle
überhaupt nichts.

Ich finde, Sie sollten über Ihre Steuerpolitik noch ein-
mal nachdenken. So wie sie jetzt läuft, bluten Länder
und Kommunen finanziell immer mehr aus. Darum
scheitern Bildungsgipfel immer wieder. Wer Bildungsfö-
deralismus will, muss dafür sorgen, dass die mit den
Ländern getroffenen Vereinbarungen auch mit dem nöti-
gen Geld unterfüttert werden. Dann wird es auch etwas





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)


mit dem Kooperationsgebot. Ich höre das mit einigem
Interesse. Ich finde auch die Idee der Sicherstellung gut.
Wie es momentan läuft, brauchen Sie aber noch viel
Überzeugungskraft, damit in den Ländern etwas passiert.
Aber fangen Sie endlich einmal an. Die Anträge aus der
Opposition liegen vor. Machen Sie endlich einmal ei-
gene daraus.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704908500

Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Patrick Meinhardt (FDP):
Rede ID: ID1704908600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wissen Sie, mir geht dieses Gescha-
cher bei der Bildungspolitik so was von gegen den
Strich. Wo leben wir eigentlich? Es darf hier nicht um
parteipolitisches Taktieren gehen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die FDP!)


Ich erwarte ernsthafte Lösungsvorschläge zum wichtigs-
ten Innovationsthema, das wir in der Bundesrepublik
Deutschland überhaupt haben. Es geht um eine Politik
für bestmögliche Kindergärten, um eine Politik für best-
mögliche Schulen und um eine Politik für bestmögliche
Hochschulen. Darum hat es zu gehen und um nichts an-
deres.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Blockadehaltung der Länder, wenn es um die Er-
reichung des 10-Prozent-Ziels bis 2015 mit einem ver-
bindlichen Fahrplan geht, ist aus meiner Sicht unverant-
wortlich. Diese Bundesregierung der Mitte setzt einen
ganz klaren, einen anderen Akzent.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Mittelfristig!)


Unser Ziel ist unmissverständlich formuliert: Wir wol-
len, dass bis zum Jahr 2015 10 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts für Bildung und Forschung aufgewen-
det werden. Dazu ist in Zeiten knapper Kassen eine
große Kraftanstrengung notwendig und eine klare politi-
sche Haltung gefragt. Zu diesem Ziel stehen wir. Dieses
Ziel wollen wir erreichen. Dieses Ziel müssen wir bis
2015 erreichen.


(Beifall bei der FDP – Klaus Hagemann [SPD]: Dann mal ran!)


Diese Bundesregierung der Mitte wird bis 2013
12 Milliarden Euro mehr im Bereich Bildung und For-
schung investieren. Im Kampf gegen Bildungsarmut und
für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland ist das
ein klares politisches Signal. Das ist eine sehr bewusste
politische Entscheidung dieser Bundesregierung. Ich bin

froh, dass es uns gelungen ist, den „Qualitätspakt Lehre“
auf den Weg zu bringen – das ist ja fast untergegangen –:
2 Milliarden Euro bis 2020, 200 Millionen Euro jedes
Jahr, zu 90 Prozent vom Bund finanziert. Das ist ein
wichtiges politisches Zeichen für die Hochschulen. Wir
stehen zu unserer Bildungsverantwortung.

Nach drei Bildungsgipfeln muss jetzt ein bisschen an
Tempo zugelegt werden.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Allgemein! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine Drohung?)


Ein wesentlicher, zentraler nächster Schritt ist jetzt die
zügige Umsetzung der BAföG-Modernisierung und die
Einführung des nationalen Stipendienprogramms. Be-
wusst sage ich, dass dies ein Schritt ist. Allzu lange sind
in diesem Land Breitenförderung und Spitzenförderung
in der Bildung gegeneinander ausgespielt worden. Beide
Maßnahmen gehören zusammen, und beide Maßnahmen
tragen dazu bei, Bildungsungerechtigkeiten gerade bei
jungen Menschen aus Familien mit sehr schmalen Geld-
beuteln in Deutschland abzubauen. Das darf nicht weiter
hinausgezögert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eine gelbe Lebenslüge!)


Was ist die Antwort der Ministerpräsidenten, was ist
die Antwort von Ministerpräsident Beck als Länderkoor-
dinator zu allen Vorschlägen? Mehr Umsatzsteuerpunkte
für die Länder.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und die Unionsländer? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da sind sich alle einig!)


Was ist die Antwort auf das Angebot des Bundes, die
Bundesbeteiligung an der Schließung der Finanzierungs-
lücke zu vervierfachen? Das reiche nicht aus, sagt Herr
Beck. Er fordert mehr Umsatzsteuerpunkte.


(Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])


Was ist die Antwort auf das Programm zur Förderung
von Bildungslotsen und Fördervereinen in den Grund-
schulen? Herr Beck sagt: Nein, mehr Umsatzsteuer-
punkte. Ist das wirklich alles, was die Ministerpräsiden-
ten und vor allem Herr Beck in diesem Land sagen
können?


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Was sagt Herr Seehofer? – Weiterer Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])


In jedem unserer Landesparlamente gibt es bei den
Bildungspolitikern die Forderung nach mehr Umsatz-
steuerpunkten. Aber hier in dieser Debatte wird nicht mit
offenen Karten gespielt. Zu denken, dass es hilft, einfach
so Umsatzsteuerpunkte zu geben ohne Bedingungen,
ohne die Verpflichtung, dass diese für bildungspolitische
Maßnahmen, und zwar zusätzlich, eingesetzt werden, ist
illusorisch. Wir werden doch nicht Umsatzsteuerpunkte
umverteilen, und gleichzeitig kürzen Landesregierun-
gen bei ihren Bildungs- und Forschungsausgaben und





Patrick Meinhardt


(A) (C)



(D)(B)


wollen dann diese Kürzungen mit Bundesgeld kompen-
sieren. Nicht mit uns!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sagen Sie das Ihren CDU-Kollegen! – Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])


Wir brauchen keine Einheitsprogramme von oben,
sondern Maßnahmen mit höchster regionaler Treff-
sicherheit und regionale Bündnisse. Das darf aber nicht
heißen, dass wir mit Bundesmitteln jede bildungspoliti-
sche Verirrung vor Ort mitfinanzieren. Sie glauben doch
wohl nicht, dass wir auch nur einen Cent in die rot-rote
Bildungspolitik in Berlin stecken


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


und dann auch noch Gymnasialempfehlungen per Zu-
fallsentscheid mitfinanzieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wer macht hier gerade Parteipolitik?)


Am meisten ärgert mich, dass die sozialdemokratisch
regierten Länder am lautesten brüllen, die am Tropf des
Länderfinanzausgleichs hängen, die in einer generösen
Haltung die Kindergartenbeiträge abgeschafft haben, die
Studiengebühren für unsozial halten und die sich jetzt
auch noch zurücklehnen und mehr Umsatzsteuerpunkte
fordern; das ist unverschämt. Da schlägt es wirklich 13.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])


Wir brauchen jetzt ein klares Ziel, eine klare Vorge-
hensweise und verbindliche Schritte, um das 10-Prozent-
Ziel bis 2015 zu erreichen. Diese Bundesregierung ist in
Vorleistung gegangen. Jetzt sind die Länderchefs und
ihre Finanzminister dran. Sehr bewusst sage ich als be-
kennender Bildungsföderalist:


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Wer die Bildungsverantwortung für Schulpolitik will,
muss zeigen, dass er die Finanzverantwortung dafür be-
herrscht. Das können die Länder jetzt zeigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wenn die Einnahmen nicht wegbrechen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704908700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz von

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704908800

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Selbst wenn der Kollege hier herumbrüllt, in der Bun-
desrepublik ist es merklich still geworden um die Bil-
dungsrepublik. Die Kanzlerin und die Bildungsministe-
rin wollten Gipfel erstürmen. Sie sind letztendlich im Tal

stecken geblieben. Dies wurde am 12. Juni 2010 in der
Süddeutschen Zeitung ganz gut auf den Punkt gebracht:

Die Geschichte der Bildungsgipfel … hat drei
Teile: einen schlechten Start, einen überflüssigen
Mittelteil und einen katastrophalen Schluss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann hinzufügen: Eine Erfolg versprechende
Fortsetzung ist weit und breit nicht in Sicht. Das bestäti-
gen die Reden hier und heute. Es hilft nicht, das alles
schönzureden. Der Aufbruch in die Bildungsrepublik,
das, was Sie auf Bildungsgipfeln mit vielen Bildern, auf
zahlreichen Veranstaltungen usw. versprochen haben, ist
gescheitert. Ihr Einfluss auf die Länder, etwas gestalten
zu können, hat sich als gleich null erwiesen. Das hat sich
hier manifestiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten kann
man durchaus kritisch sehen, Herr Kollege.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das muss man sogar!)


Ich fand das, was Sie gesagt haben, ein bisschen zu pole-
misch. Es gibt auch stichhaltige Argumente für die
Frage: Wie stellen wir sicher, dass umgeschichtete Mittel
im Bildungsbereich wirklich dort ankommen, wo wir sie
brauchen? Das Beispiel der Kinderbetreuung macht das
deutlich. Wir müssen uns fragen: Wie kommt das Geld
in den Krippenausbau? Die Kommunen können ein Lied
davon singen, wie lax die Zahlungsmoral der Länder
sein kann.

Gleichzeitig ist es aber so, dass auch die Länder unter
finanzieller Knappheit leiden, dass auch dort die Kassen
leer sind;


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Aber warum denn? Da gibt es übrigens gewaltige Größenunterschiede, Frau Kollegin!)


das muss man zur Kenntnis nehmen. Ein Auftrag des
Bildungsgipfels, sozusagen die Hausaufgabe, die zu er-
ledigen gewesen wäre, war die Frage: Wie kommen wir
an einen Tisch? An diesem Punkt haben Sie außer Pole-
mik nichts zu bieten. Das ist sehr bedauerlich, zumal ich
zwei Bundesländer kenne, die im Moment ordentlich
kürzen; das sind Hessen und Schleswig-Holstein. Auch
hier sollten Sie zu Ihrer Verantwortung stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Mit der FDP!)


Herr Dr. Feist hat wieder einmal gesagt, der Bildungs-
bereich bleibe von den Sparbeschlüssen ausgespart, und
dort würden keine Abstriche gemacht. Wenn Sie die
Realität in Deutschland, die Tatsache, dass wir Bildung
brauchen und dass wir im europäischen Vergleich sehr
weit hinten liegen, ernst nehmen, dann ist es beschä-
mend, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Im Bil-
dungsbereich kürzen wir nicht.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ich finde das gut!)






Ekin Deligöz


(A) (C)



(D)(B)


Das ist zu wenig. Die Investitionen müssen klar gestei-
gert werden.

Jetzt sagen Sie recht hilflos: Am Erreichen des 10-Pro-
zent-Ziels in den nächsten fünf Jahren wollen wir fest-
halten. Sagen Sie uns, wie. Verraten Sie uns einmal, wie
Sie das schaffen wollen. Sie wissen es selber nicht; das
ist offensichtlich. Sie haben dazu keinen einzigen kon-
kreten Punkt genannt. Auch die Bundesregierung kann
nicht erklären, wie dieses Ziel erreicht werden soll.

BAföG und Stipendienprogramme stehen im Moment,
gelinde gesagt, auf der Kippe. Zur Kindersprachförderung
– groß angekündigt – liegt nichts Konzeptionelles vor.
Zum Thema Bildungsketten hat die Ministerin gestern in
der Befragung der Bundesregierung selber gesagt: Struk-
turelle Probleme werden damit nicht gelöst, bestenfalls
leicht abgemildert. – Von einer Qualitätsoffensive im
Kitabereich ist nichts zu hören und nichts zu spüren. Die
Frühförderung steht mit dem Rücken zur Wand. Nicht
einmal die groß angekündigten Zukunftskonten sind im
Moment noch im Gespräch. Wo ist dieses Thema in Ih-
ren Debatten geblieben? Als Masterplan kann man das,
was Sie veranstalten, nicht bezeichnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Wir haben in sechs Monaten mehr geschafft als Sie in sieben Jahren!)


Ein weiterer Grund für die Strukturkrise ist das Ko-
operationsverbot in der Bildungspolitik; das haben Sie
richtig erfasst. Es ist richtig: Das Kooperationsverbot ist
die Entwicklungsbremse in diesem Bereich, und es blo-
ckiert den Aufbruch in die Bildungsrepublik. Das zu er-
kennen, reicht aber nicht aus. Ändern Sie es! Sie haben
es festgeschrieben, Sie können es rückgängig machen.
Wenn die Einsicht bei Ihnen vorhanden ist, müssen Sie
jetzt nur noch handeln. Schönen guten Tag! Schön, dass
auch Sie dort angekommen sind, wo alle anderen schon
längst sind!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was wir brauchen, ist eigentlich sehr klar. Wir brau-
chen die Ganztagsschulen. Wir brauchen eine gute Kin-
derbetreuung. Wir brauchen ein inklusives Schulsystem;
hier sind wir noch in den Anfängen. Der Vorschlag, das
Ganze im Rahmen der Gemeindefinanzreform zu klären,
macht mir, ehrlich gesagt, überhaupt keine Hoffnung.
Sie wollen ein enorm schwieriges Unterfangen zusätz-
lich mit diesem Thema belasten, aber es ist fraglich, ob
dabei überhaupt etwas herauskommt.

Richtig in der Klemme sitzen in dieser Zeit ganz an-
dere. Das sind die Kinder und die Jugendlichen, die
diese Förderung brauchen, das sind die Schulen, das sind
die Kindergärten, und das sind die Menschen, die dort
arbeiten. Der heute veröffentlichte Nationale Bildungs-
bericht dokumentiert: Die Zahl der Bildungsverlierer in
diesem Land nimmt zu. Für diese Personen Verantwor-
tung zu übernehmen, das geht anders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704908900

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette

Schavan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wer zum Bildungsgipfel
fährt und dort eine heimliche Steuerdebatte führt, wird
dem Thema Bildung nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wer schon am Vorabend des Bildungsgipfels verbreitet,
dass der morgige Bildungsgipfel schiefgehen wird, und
mit dem man dann auch überhaupt nicht über Bildung,
sondern immer nur über das Thema Steuern sprechen
kann – übrigens nicht allein über die Verteilung von
Steuerpunkten, sondern natürlich auch über die Frage
von Steuererhöhungen –, dem geht es nicht um Bildung.
Dem geht es darum, dieses Thema auf dem Rücken der
Schüler und Studenten für parteipolitische Polemik zu
missbrauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Damit tun Sie sich keinen Gefallen!)


Ich war ja dabei, und deshalb finde ich es ein bisschen
doppelzüngig, als Klub der SPD-regierten Länder


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Vorsicht! – René Röspel [SPD]: Besser als Klub der toten Dichter!)


– jetzt lassen Sie mich; Sie sind doch gleich dran – ganz
klipp und klar zu sagen: Uns interessiert jetzt nicht die
Debatte über Maßnahmen, uns interessiert das Thema
Steuern. – In der Tat haben sich dann alle anderen Län-
der angeschlossen,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aha!)


aber wer der Sprecher des Ganzen war, war während der
gesamten Konferenz doch völlig klar.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die Mehrheit im Bundestag haben Sie aber schon noch, oder?!)


Deshalb sage ich hier: Die Verantwortung dieses Par-
lamentes und der Bundesregierung besteht jetzt darin,
genau das zu tun, was wir mit 16 Ländern vereinbart ha-
ben, nämlich entscheidende Maßnahmen auf dem Weg
zur Bildungsrepublik Deutschland zu konkretisieren und
umzusetzen. Genau das werden wir in den nächsten Wo-
chen und Monaten tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage das hier ganz klar: Es kann nicht die Rolle des
Bundes sein, Geld zu geben und am Ende nicht zu





Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) (C)



(D)(B)


wissen, was mit diesem Geld geschieht. Wir reden über
Bildungspolitik und nicht über Sparkassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist es doch interessant: Im Zusammenhang
mit dem Bildungsgipfel wurden Vereinbarungen zwi-
schen 16 Ministern der Länder und der Bundesministe-
rin getroffen. Wir haben einen Katalog gemeinsamer
Maßnahmen des Bundes und der Länder erstellt, den es
so noch nie gegeben hat. Das ist ein überwältigender
Konsens in der Sache quer durch die Länder, in denen
unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Dahinter
steckt viel Tatkraft aufseiten der Länder und des Bundes,
die sich von der öffentlichen Debatte über Steuern und
davon, dass in jeder Rede die Hoteliers vorkommen,
nicht haben verrückt machen lassen, sondern die dafür
sorgen werden, dass das, was wir in der Sache vereinbart
haben, umgesetzt wird. Darin sind sich alle einig, und es
wird geschehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Ein Wunder, und das Wasser wich weg! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem haben die Hoteliers 1 Milliarde Euro bekommen!)


Ich glaube deshalb übrigens auch, dass die Länder
beim Bildungsgipfel ihr Licht unter den Scheffel gestellt
haben – das ist das eigentlich Ärgerliche –, da es in na-
hezu allen Ländern Mehrausgaben geben wird. Dennoch
wurde dieses Ziel gefürchtet. Das 10-Prozent-Ziel steht
übrigens fest,


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag!)


und ich bin mir ziemlich sicher: Jetzt beginnt der Wett-
bewerb der Länder um die Erreichung dieses Ziels.


(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Der Weg ist das Ziel!)


– Ja, das stimmt übrigens auch.

Durch ein solches Ziel – das haben wir zum Beispiel
beim 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Ausgaben für For-
schung und Entwicklung sehr genau gesehen – werden
Finanzmittel in einem Ausmaß mobilisiert, wie das vor-
her nie der Fall war, was mit bildungs- und wissen-
schaftspolitischen Möglichkeiten verbunden ist, wie wir
sie vorher nie hatten.

Deshalb sage ich: Ein Land wie Hamburg wird die
Mittel in den nächsten Jahren verdreifachen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Verdreifachen nicht!)


Ein Land wie Baden-Württemberg wird in den nächsten
Jahren eine halbe Milliarde Euro zusätzlich investieren.
Es gibt auch welche, die kürzen. Ich kenne bislang aller-
dings kein SPD-regiertes Bundesland, das schon einen
großen Plan für deutliche Erhöhungen der Bildungsin-
vestitionen hat.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Thüringen!)


Deshalb rate ich uns: Lassen Sie uns jetzt doch in die-
sen Wettbewerb einsteigen, und lassen Sie uns dafür sor-
gen – –


(Zurufe von der SPD)


– Ich sage Ihnen: Das wird ein spannender Wettbewerb.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da freuen Sie sich ja, dass der Gipfel gescheitert ist!)


Die Rolle des Bundes ist klar: Es wird nicht nur nicht
gekürzt, sondern der Bund investiert plus 12 Milliarden
Euro für Bildung und Forschung. Das ist die größte In-
vestition, die es je gegeben hat. Diese werden wir auch
nicht kleinreden lassen, sondern sie wird genau so umge-
setzt, wie es im Masterplan vorgesehen ist: für Maßnah-
men der frühkindlichen Bildung über Maßnahmen für
die einzelnen Übergänge bis hin zu den Maßnahmen,
über die wir hier zum Teil schon gesprochen haben oder
in den nächsten Monaten noch sprechen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Interessant finde ich, dass Sie den Hochschulpakt in
einem Nebensatz ansprechen. Wann ist in Deutschland je
ein Hochschulpakt mit 275 000 zusätzlichen Studien-
plätzen, der vollständigen Übernahme der Programm-
kostenpauschale durch den Bund und 2 Milliarden Euro
für die Lehre zustande gekommen?


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: In der Großen Koalition!)


– Das andere ist uns gemeinsam gelungen. Das, was wir
jetzt vorhaben, ist uns in der letzten Legislaturperiode
nicht gelungen. Das kommt hinzu. Ich sage das nicht als
Vorwurf, aber man kann doch nicht im Ernst sagen, dass
2 Milliarden Euro für die Lehre Peanuts sind. Auch das
ist die größte Investition zugunsten der Lehre, die es je
gegeben hat. Die Universitäten wissen genau, dass das
für sie einen großen Schub bedeuten wird. Das gilt auch
für die Wertschätzung der Lehre. Es ist ein deutliches
Zeichen, das auch die Studierenden in ihrem Studienall-
tag spüren werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist es jetzt neben dem, was wir ausschließlich
aufseiten des Bundes leisten, unsere Aufgabe, die neuen
Maßnahmen gemeinsam mit den Ländern peu à peu ab-
zuarbeiten. Zu der gemeinsamen Bildungspolitik, die wir
vereinbart haben, zählen die Weiterentwicklung des
BAföG, das Nationale Stipendienprogramm, die dritte
Säule des Hochschulpaktes, die übrigens allein in der
Ausfinanzierung ein Plus von 400 Millionen Euro ge-
genüber der zweiten Phase des Hochschulpaktes bedeu-
tet, der Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: Offene
Hochschulen“, die Förderung der frühkindlichen Bil-
dung, die Initiative „Abschluss und Anschluss“, die Wei-
terbildungsallianz und schließlich die Anerkennung und
Bewertung von im Ausland erworbenen beruflichen
Qualifikationen.

Wenn man allein diese Punkte auf der Landkarte von
Bildung und Hochschule systematisieren wollte, dann
wird sehr deutlich, was bei all dem der Schwerpunkt un-
serer gemeinsamen Bildungspolitik ist: mehr Bildungs-





Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) (C)



(D)(B)


gerechtigkeit, mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem
und mehr finanzielle Anreize für junge Leute, die in
Ausbildung und Studium gehen.

Der Bildungsbericht, der heute vorgestellt worden ist,
zeigt neben Problemzonen sehr deutlich, dass das, was
an Maßnahmen geplant ist, die richtige Antwort in der
Bildungsrepublik Deutschland sein wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704909000

Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Weinberg von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1704909100

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich darf vielleicht mit

einer Vorbemerkung da weitermachen, wo die Ministerin
aufgehört hat: Ich verstehe, dass die Opposition plakativ
redet. Aber völlig auf eine inhaltliche Argumentation zu
verzichten, wie es bei einigen Rednern der Opposition,
insbesondere der SPD und der Linken, der Fall war,
halte ich für sehr unangenehm. Ich wollte jetzt gerne
Ulla Burchardt einiges deutlich machen und ihre Äuße-
rungen widerlegen, aber sie hat die Debatte verlassen.
Das ist schon merkwürdig, wenn man erst plakativ redet
und dann verschwindet.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie eröffnet die TAB-Konferenz! Sie ist entschuldigt!)


– Das entschuldige ich gerne, okay.

Aber kommen wir zu den Kolleginnen und Kollegen.
Man kann, wie die Kollegin der Grünen, gerne die Süd-
deutsche Zeitung zitieren. Aber warum zitieren Sie nicht
aus dem dritten Bildungsbericht, der zwar noch viele
Herausforderungen beschreibt und feststellt, dass wir in
vielen Bereichen der Bildung noch nicht so weit sind,
wie wir sein müssten, der aber bestätigt, dass die Politik
in den letzten Jahren im Bildungsbereich in weiten Tei-
len richtig gewesen ist und mittlerweile auch erste Er-
folge zeigt? Ich will einige Beispiele nennen, die Sie
völlig falsch dargestellt haben.

Sie haben gesagt, dass es in der vorschulischen und
frühkindlichen Bildung an Fachkräften fehlt und dass
keine Fachkräfte ausgebildet werden. Nein, in den letz-
ten drei Jahren haben 42 000 Mitarbeiter mehr in den Ki-
tas die Arbeit aufgenommen. Das ist ein deutliches Zei-
chen dafür, dass die Kitas in diesem Bereich deutlich
investiert haben.

Ein weiteres Beispiel ist die Erwerbsquote von
Frauen. Sie ist in den letzten Jahren um 6 Prozent gestie-
gen und liegt mittlerweile bei über 60 Prozent.

Die Herausforderung Schule: Natürlich ist der Anteil
von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss mit
7,5 Prozent noch viel zu hoch. Aber auch hier ist ein
deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Länder inves-
tieren tatsächlich. Mein Bundesland wird in den nächs-
ten drei Jahren tatsächlich 1 000 Lehrer mehr ausbilden,

weil wir gesagt haben: Wenn wir eine Schulreform
durchführen, müssen wir dafür auch die Voraussetzun-
gen schaffen.

Der nationale Bildungsbericht hat gezeigt, dass es
deutliche Fortschritte gibt, insbesondere bei den einzel-
nen Maßnahmen, die in Kooperation zwischen Bund und
Ländern vollzogen werden. Wir streiten uns seit langem
über Kooperationsverbot oder -gebot. Aber im Kern ha-
ben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land noch nie so viele kooperative Vorhaben umgesetzt.
Als Beispiel nenne ich, weil dies hier im Hause immer
wieder diskutiert wurde, nur die Frage der Studienanfän-
ger. Von 2006 auf 2009 ist deren Anzahl um 23 Prozent
gestiegen. Wir hatten aus der Wissenschaft das 40-Pro-
zent-Ziel übernommen; mittlerweile liegen wir bei
43 Prozent. Das heißt, die Zielmarke ist deutlich über-
schritten worden.

Durch die Äußerungen der Ministerin ist klar gewor-
den, dass wir hier in weiten Teilen sehr erfolgreich agiert
haben. Zurückblickend kann man sagen, dass viele Maß-
nahmen in Kooperation zwischen Bund und Ländern
oder mit weiteren Partnern – Stichwort Ausbildungs-
pakt – Erfolge erzielt haben. 2007 gab es zum ersten Mal
seit 2001 mehr Ausbildungsplätze als Bewerber.

Dann kann man auch leicht zu einer Kernaussage
kommen, wenn es darum geht, ob der Bildungsgipfel ge-
scheitert ist. Es stellt sich doch folgende Frage: Finanz-
krise, Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Hilfspakete für
Länder, Wirtschaftskrise, Konjunkturpakete, Konsolidie-
rungsprogramm, all dies – mit einem Volumen allein des
Konsolidierungsprogramms von 80 Milliarden Euro –
muss diese Republik im Moment tragen.


(Klaus Hagemann [SPD]: Und Sie entlasten die Hoteliers!)


Trotzdem hält diese Bundesregierung an dem 10-Pro-
zent-Ziel fest. Dies ist der eigentliche Erfolg des Bil-
dungsgipfels: dass hier nichts eingespart wird, sondern
12 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Das
muss man auch einmal deutlich unterstreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Kollege Feist hat schon darauf aufmerksam gemacht,
dass wir den Ländern angeboten haben, ihnen bei der
Frage der Finanzierung entgegenzukommen. Die Äuße-
rung von Frau Ziegler in der letzten Woche, am 10. Juni
getroffen, die Bundesregierung sei am Scheitern des
Gipfels schuld


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wer sonst?)


und „trägt eine große Mitschuld an dieser Schieflage“,
stimmt einfach nicht, weil der Bund zu seinen Verspre-
chen steht und Finanzierungsvorschläge eingebracht hat.

Noch einmal zurück zu der Frage, was sich an Maß-
nahmen in den nächsten Jahren noch entwickeln wird
und welche Maßnahmen hier abgeschlossen wurden:
Den Hochschulpakt haben wir bereits besprochen, den
Ausbildungspakt ebenfalls. Morgen werden wir über
BAföG und Stipendienprogramm diskutieren. Ich erin-





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


nere diejenigen, die immer mehr für die Studierenden
verlangen, nur einmal daran: Als Sie aufhörten, waren
wir beim BAföG bei einem Höchstsatz von 585 Euro,
und jetzt sind wir bei 670 Euro. Es gibt also auch deutli-
che Steigerungen bei denen, die betroffen sind.


(Klaus Hagemann [SPD]: Da mussten wir aber schwer treiben!)


Nun zu dem, was der Kollege Meinhardt angespro-
chen hat: Es gibt mehrere Säulen. Dies haben Sie an-
scheinend noch nicht verstanden. Ich will auf der einen
Seite Chancengerechtigkeit, also das BAföG netto stei-
gern – in dieser schwierigen Zeit, in der wir überall über
Kürzungen reden, steigern wir das Nettoeinkommen der
Studierenden –, auf der anderen Seite geht es mir natür-
lich im Zusammenhang mit dem Nationalen Stipendien-
programm auch um die Begrifflichkeit Leistung, wobei
sich Leistung nicht nur in Fachleistung widerspiegelt,
sondern damit auch gesellschaftliches Engagement ge-
meint ist.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das taugt nichts!)


Das heißt, wir haben drei Säulen der Finanzierung für
Studierende: BAföG für die Breite, das Stipendienpro-
gramm und das Bildungsdarlehen.

Noch wenige Sätze zum Kooperationsverbot oder
-gebot: Hochschulpakt und Ausbildungspakt sind ange-
sprochen; sie haben auch gut gewirkt. Natürlich haben
wir die Verantwortung, die Leistungsfähigkeit nicht nur
zu überprüfen, sondern auch sicherzustellen. Dies wird
in den nächsten Jahren tatsächlich die weitere Aufgabe
derjenigen sein, die in den Ländern und im Bund Verant-
wortung tragen.

Trotzdem ist es im Kern so, dass sich der Bildungsfö-
deralismus rentiert hat, weil wir in Hamburg im Vergleich
zu Nordrhein-Westfalen oder Bayern ein anderes, nicht
vergleichbares System haben. Wir müssen dazu kommen,
dass wir Standards setzen. Der Abiturient in Hamburg,
am Tegernsee oder in Berlin muss gleiche Standards er-
füllen; aber der Weg dahin – das sagte vorhin schon ein
Kollege der SPD – ist in diesem Fall tatsächlich das Ziel.
Deswegen ist Kooperation im Föderalismus auch so an-
gelegt, dass sie die Vielfalt widerspiegelt und wir Refor-
men und Umsetzungsmaßnahmen je nach Bundesland
einzeln beschließen können.

Dass sich dabei – bei allem Respekt – SPD-Minister-
präsidenten in den letzten Tagen und Wochen nicht ge-
rade als diejenigen herausgetraut haben, die den Födera-
lismus auflösen wollen, muss man doch auch deutlich
sagen. Schon beim letzten Mal wurde zitiert – -


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704909200

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1704909300

Ich komme zum Schluss. – Mir geht es um das Zitat

von Herrn Beck, in dem er deutlich macht:

… dass erkannt wird, die Bundesrepublik Deutsch-
land hat als föderaler Staat die gute Entwicklung

genommen in Jahrzehnten, der Föderalismus hat
zur Dynamik, zum Erfolg unseres Landes geführt.

Wir werden auf Bundesseite weiterhin in dieser Koope-
rationsfrage Druck machen. Aber es muss auch einmal
klargestellt werden, dass wir im Bildungsbereich riesige
Fortschritte gemacht haben, die sich auch im Dritten
Nationalen Bildungsbericht widerspiegeln. Deswegen
sollte man auch einmal sachlich argumentieren und nicht
nur plakativ reden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704909400

Das Wort hat der Kollege Swen Schulz von der SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Swen Schulz (SPD):
Rede ID: ID1704909500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regie-
rungskoalition kann herumreden, wie sie will: Der Bil-
dungsgipfel ist beim dritten Anlauf zum dritten Mal ge-
scheitert. Das berühmte 10-Prozent-Ziel ist auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Das ist
keine Lappalie. Der Bildungsbericht, der hier schon an-
gesprochen und der heute veröffentlicht wurde, zeigt,
vor welchen Herausforderungen wir im Bereich Bildung
stehen. Bildung und Forschung – das sind die zentralen
Themen für die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft.
Es stellt sich jetzt die Frage: Warum ist der Bildungsgip-
fel gescheitert? Warum hat es wieder nicht mit verbindli-
chen Absprachen zwischen Bund und Ländern geklappt?
Wir sollten ein Stück weit innehalten und nachdenken,
um Lehren zu ziehen und um es künftig besser zu ma-
chen.

Was ist auf dem Bildungsgipfel passiert? Es gibt im
Wesentlichen zwei Seiten, die miteinander verhandelt
haben. Das eine sind die Landesregierungen, die Mitver-
antwortung für das Scheitern haben, zumal es unter ih-
nen notorische Quertreiber gibt wie die Landesregierun-
gen von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg, ohne
Frage. Die andere Seite ist die Bundesregierung. Ich
sage ausdrücklich: Sie hat nicht die alleinige Verantwor-
tung, aber doch ein gerüttelt Maß an Mitschuld am
Scheitern des Bildungsgipfels. Das müssen wir hier ein-
mal festhalten.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das Hauptproblem ist und bleibt die finanzielle Lage der
Länder und Kommunen. Dafür trägt die Regierungsko-
alition, dafür tragen CDU, CSU und FDP die Verantwor-
tung.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


– Sie regen sich jetzt auf. Sie von der Regierungskoali-
tion beklagen das Scheitern des Bildungsgipfels. Sie ha-
ben doch die Steuergeschenke in Milliardenhöhe für Ho-
teliers und andere beschlossen.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)






Swen Schulz (Spandau)



(A) (C)



(D)(B)


Das hat die Länder und die Kommunen in die Knie ge-
zwungen. –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: Immer das gleiche Märchen!)


Die Länder wollen mehr in Bildung und Forschung in-
vestieren, aber sie können es nicht. Sie stöhnen so auf,
weil Sie das nicht hören können. Das tut ein Stück weit
weh. Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie we-
nigstens das, was ich Ihnen jetzt vorlese.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Haben Sie noch eine zweite Rede?)


Es ist aus dem vorläufigen Ergebnisprotokoll des Bil-
dungsgipfels. Da steht, „dass zur Erreichung des 10-Pro-
zent-Ziels in erheblichem Umfang bis 2015 zusätzliche
Mehrausgaben für Bildung und Forschung erforderlich
sind, deren Finanzierung durch die Länder … unter den
aktuellen finanz- und wirtschaftspolitischen Gegeben-
heiten … nicht sichergestellt werden kann.“ Wer ist denn
verantwortlich für die aktuellen finanz- und wirtschafts-
politischen Gegebenheiten? Das sind doch wohl Sie von
der Regierungskoalition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Verantwortung. Darin sind sich alle Bun-
desländer einig – 16 : 0 –, von Schleswig-Holstein bis
Bayern, um auch das einmal festzuhalten.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hört! Hört!)


Dieses Protokoll ist eine schallende Ohrfeige für die Re-
gierungspolitik, und die haben Sie zu Recht kassiert.


(Beifall bei der SPD)


Es hilft nicht, zu sagen, wie Sie, Herr Kollege
Weinberg, das eben in Ihrem Debattenbeitrag getan ha-
ben, dass die Koalition zu ihren Zusagen gestanden hat.
Sie haben ganz großzügig den Ländern gewissermaßen
die Möhre vor die Nase gehalten, aber ihnen vorher Ket-
ten angelegt. Das funktioniert natürlich nicht. Vor die-
sem Hintergrund ist es schon ein starkes Stück, mit dem
Finger auf die Länder zu zeigen und ihnen die Schuld
zuzuweisen. Frau Schavan, Sie haben eben den Ländern
eine heimliche Steuerdebatte vorgeworfen. Doch ursäch-
lich sind Ihre unheimlichen Steuerbeschlüsse. Das muss
man doch einmal festhalten.


(Beifall des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD])


Ich finde, es ist ganz schlechter Stil, Frau Bundesminis-
terin, erst bei den Steuerdebatten, die wir vor einigen
Monaten hier geführt hatten, den Mund zu halten, sich
nicht für die Interessen der Länder und Kommunen, die
die Bildung zu finanzieren haben, einzusetzen und hin-
terher die leidtragenden Länder und Kommunen anzu-
klagen. Das macht man nicht, Frau Schavan. An dieser
Stelle hätten Sie lieber den Mund halten sollen, wie Sie
es vorher getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der falsche Ton!)


Was ich hier vortrage, ist im Übrigen nicht etwa Op-
positionsgerede im Nachhinein, wie man möglicher-
weise denken könnte. Nein, wir haben das schon immer
gesagt. Auch hier im Deutschen Bundestag haben wir
vor diesem falschen Kurs gewarnt. Mehr noch, wir ha-
ben nicht nur darüber geredet, sondern wir haben auch
Anträge im Deutschen Bundestag vorgelegt, um einen
Kurswechsel einzuleiten, um den Bildungsgipfel zu ret-
ten. Herr Weinberg, Sie wollten eine inhaltliche Debatte.
Wir haben versucht, mit Ihnen eine solche zu führen.

Wir haben einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Umsatzsteuergesetzes – also gegen die Milliardenge-
schenke – eingereicht. Dieser wurde von der Koalition
abgelehnt. Wir haben einen Rettungsschirm für Kommu-
nen beantragt. Abgelehnt von der Koalition. Wir haben
einen Antrag für den Nationalen Bildungspakt gestellt,
der darauf abzielte, starke Bildungsinfrastrukturen zu
schaffen. Abgelehnt von der Regierungskoalition.

Das Resultat dieser starrsinnigen Politik sehen wir
jetzt. Jetzt stehen Sie, jetzt stehen vor allem die Bürge-
rinnen und Bürger vor dem Scherbenhaufen Ihrer fal-
schen Politik. Auf diese Art und Weise können Sie nie-
mals einen Bildungsgipfel oder sonst irgendeinen Gipfel
erklimmen. Auf diese Art und Weise graben Sie sich im-
mer tiefer ein. Ich bitte Sie: Kehren Sie um, zeigen Sie
endlich Einsicht!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704909600

Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Neumann von

der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1704909700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine geschätzten Kollegen von der SPD-
Fraktion, Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt un-
ter der dramatisierenden und auch etwas hämischen
Überschrift, der Bildungsgipfel vor einer Woche sei ge-
scheitert. Nun stellen Sie die Frage, wie es mit der Bil-
dungspolitik in Deutschland weitergeht.

Ich sage es vorweg: Für mich ist kein Scheitern der
Bemühungen von Bund und Ländern um eine bessere
Bildungspolitik in unserem Land erkennbar. Scheitern
hätte bedeutet, dass es keine Ergebnisse gegeben hätte,
was aber überhaupt nicht der Wahrheit entspricht.

Liebe Kollegen der SPD und auch der Grünen-Frak-
tion, Sie wollen eben nicht begreifen, dass sich die Bil-
dungsstreiks im vergangenen Jahr gegen die Folgen Ih-
rer verkorksten rot-grünen Bildungspolitik gerichtet
haben.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Endlich sagt es einer! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ei, ei, ei! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie nur Ihrem Parteitag erzählen!)






Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


Sie haben Bologna auf den Weg gebracht, ohne die
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Reform der
Bildungslandschaft zu schaffen. In Ihrer Regierungszeit
haben Sie es offensichtlich versäumt, das BAföG anzu-
passen und ausreichend Mittel für die Hochschulen ins-
besondere im Bereich der Lehre und Beratung bzw. Be-
treuung der Studierenden bereitzustellen.

Außerdem haben Sie überhaupt noch nicht begriffen,
was uns die OECD seit Jahren deutlich macht, nämlich,
dass unser Bildungssystem unterfinanziert ist, da nicht
private Mittelgeber in ausreichendem Ausmaß mit ins
Boot genommen werden. Mit der 23. BAföG-Novelle
sorgen wir für die Anpassung des Gesetzes an die Le-
benswirklichkeit der Studierenden nach der Bologna-Re-
form. Ferner sorgen wir mit dem Nationalen Stipendien-
programm dafür, dass endlich mehr private Mittel für die
Bildung akquiriert werden. Genau dagegen sind Sie aber.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Nur mit unserer Poli-
tik wird Bologna schließlich gelingen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Oje, oje!)


Zwei wesentliche Aussagen wurden getroffen, die ich
wiederholt deutlich machen möchte. Der christlich-libe-
ralen Koalition ist es ernst mit dem Ziel, Deutschland
zur Bildungsrepublik zu machen. Dazu gehört das ganz
klare Bekenntnis von Bund und Ländern, grundsätzlich
am 10-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2015 festzuhalten.
Meine Damen und Herren, das ist angesichts der finanz-
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht selbstver-
ständlich.

Das macht aber auch deutlich, dass Bildung eine na-
tionale Aufgabe ist, die von den Beteiligten ernst ge-
nommen wird. Insofern ist dieser Bildungsgipfel eben
nicht gescheitert.

Ich begrüße ausdrücklich, dass der Forderung der
Länder nach frei verfügbaren Mitteln ohne Zweckbin-
dung in Form von Umsatzsteuerpunkten, also quasi nach
einem Blankoscheck, nicht nachgegeben wurde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass
der Bund den Ländern finanzielle Mittel durchreicht,
ohne Einfluss auf deren Verwendung nehmen zu können,
und somit deren Kernaufgaben finanziert; schließlich
fordern die Länder diese immer wieder lautstark für sich
ein.

Ich begrüße natürlich das Ergebnis zur dritten Säule
des Hochschulpakts, dem Qualitätspakt für eine verbes-
serte Lehre. Dieses Programm wird deutlich zu einer
Verbesserung der Studienbedingungen, zur Weiterent-
wicklung guter Lehre und damit zur Sicherung der Er-
folge der Bologna-Reform beitragen, und genau darum
geht es an dieser Stelle.

Der Bund wird bis zum Jahr 2020 insgesamt 2 Mil-
liarden Euro bereitstellen und in eine verbesserte Hoch-
schullehre investieren. Ich erwarte aber auch, dass die
Länder endlich ihre Hausaufgaben machen. Jeder Haus-
halt hat Potenzial und Gestaltungsspielraum. Die Regie-

rungen sind daher gefordert, zukunftsfähig zu haushal-
ten. Im Bund beweisen wir doch gerade, dass wir sowohl
konsolidieren als auch weiter in Bildung investieren
können.

Sie sehen: Koalition und Bundesregierung setzen ihre
Prioritäten bei Bildung und Forschung. Die Länder, aber
auch die Hochschulen haben in uns einen verlässlichen
Partner. An ihnen selbst ist es aber auch, mit eigenen
Anstrengungen ihren Beitrag dazu zu leisten, dass wir
unserem gemeinsamen Ziel noch näher kommen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hamburg macht das!)


Der Bund jedenfalls – da sind wir uns sicher – wird sei-
nen Beitrag dazu leisten.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie haben
morgen die Gelegenheit, bei der Abstimmung über die
BAföG-Novelle und das Nationale Stipendienprogramm
Ihrer Verantwortung für eine bessere Bildungspolitik in
Deutschland gerecht zu werden.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kassieren Sie das Stipendienprogramm!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704909800

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1704909900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Süd-
deutschen Zeitung vom Wochenende ist Frau Schavan
als die – Zitat – „glücklichste Ministerin“ bezeichnet
worden. Heute vor einer Woche, wenn ich richtig rechne,
war Ihr halbrunder Geburtstag, Frau Ministerin. Das war
am Tag des Bildungsgipfels. Nachträglich meine und un-
sere herzlichen Glückwünsche! – Es heißt, Sie hätten
sich auch bei der Sparklausur des Kabinetts durchge-
setzt; 12 Milliarden Euro sind ja versprochen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass die
Versprechen auch eingehalten werden. Wenn ich die De-
batte jetzt verfolge, dann beschleicht mich die Sorge,
dass Frau Schavan irgendwann in den nächsten Jahren
mal als Kaiserin ohne Kleider dastehen könnte wie jener
Kaiser in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Die
Gefahr besteht; denn Sie müssen das, was Sie hier aufge-
schrieben haben, auch in die Realität umsetzen, und da-
für brauchen Sie die Länder, auf die Sie alle jetzt so ge-
schimpft haben, meine Damen und Herren.

Es geht hier nicht um wenig Geld. 8,6 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts werden zurzeit für Bildung und
Forschung ausgegeben; 10 Prozent sollen erreicht wer-
den. Das sind fast 40 Milliarden Euro zusätzlich – per
annum, pro Jahr. Sie sind auf die Kofinanzierung der
Länder angewiesen. Sie sind auf die Zustimmung der
Länder bei Bundesprojekten angewiesen.





Klaus Hagemann


(A) (C)



(D)(B)


Wenn ich mir anschaue, was beim Hochschulpakt ge-
schehen ist, den wir noch in Zeiten der Großen Koalition
gemeinsam durchgesetzt haben, Frau Ministerin, dann
stelle ich fest: In Rheinland-Pfalz ist er vorbildlich um-
gesetzt worden. Es sind mehr Studienplätze geschaffen
worden, als in der Vereinbarung vorgesehen war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Da ist ein Pakt mit dem Titel „Wissen schafft Zukunft“
aufgestellt worden, in dessen Rahmen mehr als 200 Mil-
lionen Euro für das kleine Rheinland-Pfalz zur Verfü-
gung gestellt worden sind. Deswegen stimmt Ihre Aus-
sage nicht ganz, es stehe bei SPD-regierten Ländern
nicht mehr Geld zur Verfügung.

In Nordrhein-Westfalen ist der Pakt unter Schwarz-
Gelb nicht vollständig umgesetzt worden. Ich hoffe, dass
das dann unter der neuen Koalition geschieht.

Wenn Sie nach Schleswig-Holstein blicken, dann se-
hen Sie: In Schleswig-Holstein, schwarz-gelb regiert,
liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, werden sogar
Studienplatzangebote zurückgegeben. Man will die me-
dizinische Abteilung der Universität Lübeck schließen.
Das ist ein Skandal. Das ist so nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat Auswirkungen. Man will 1 500 Studienplätze
streichen, weil man sie nicht mehr finanzieren kann. Da
kann ich nur sagen: Herr Carstensen hat dem Steuerkom-
promiss zugestimmt. Er hätte es nicht tun sollen. Wenn
er es nicht getan hätte, dann hätte er mehr Geld und hätte
vielleicht auch die medizinische Abteilung der Universi-
tät Lübeck erhalten können. Noch einmal: Das hat auch
Auswirkungen auf die Wissenschaftsorganisationen. Ich
habe mich mit Vertretern der Leibniz-Gemeinschaft und
der Fraunhofer-Gesellschaft gestern unterhalten. Die
Fraunhofer-Gesellschaft überlegt, ob sie überhaupt ein
zusätzlich geplantes Institut einrichten kann, das sich mit
Meeresbiologie beschäftigt. Das müssen wir hier noch
einmal deutlich in Erinnerung rufen und bedenken, dass
so die Gefahr besteht, dass Fach- und Forschungskom-
petenz abwandert.

Nachdem hier eben der Wettbewerbsföderalismus so
gelobt wurde, möchte ich noch einmal an die Anhörung
zum Nationalen Stipendienprogramm erinnern. Da hat
der Vertreter der Fachhochschule Magdeburg – ich
glaube, er war es gewesen – deutlich gemacht, dass in
seiner Region gar keine Chance besteht, dass die Wirt-
schaft den von ihr geforderten Anteil aufbringt.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Hat er so nicht gesagt!)


Die Zustimmung der Länder wird für die BAföG-Re-
form gebraucht; ich weiß nicht, ob sie wie geplant ins
Gesetzblatt kommt. Die Zustimmung der Länder wird
für das Nationale Stipendienprogramm gebraucht; ich
weiß nicht, ob es überhaupt ins Gesetzblatt kommt. Da-
für muss noch einiges getan werden. Dem Ministerpräsi-
denten Beck, der als Vertreter der Länder sagte, es reiche
nicht aus, über zusätzliche Programme Geld vom Bund
zu bekommen, aber für die Kernaufgaben keine finan-

zielle Unterstützung zu bekommen, kann ich nur recht
geben.

Man kann zwar auf die Länder einprügeln, meine Da-
men und Herren von der Koalition; das nützt aber nichts.
Man muss jetzt einen Kompromiss finden. Sie müssen
mit den Vertretern der Länder reden. Sie müssen die ge-
samte Finanzarchitektur zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden überprüfen. Es sind ja nicht nur die Länder
betroffen, sondern auch die Kommunen. Auch diese kla-
gen, ob sie schwarz, ob sie rot, ob sie grün oder gelb
regiert werden – und das zu Recht. Einfach „Madame
Non“ zu spielen, einfach Nein zu sagen, ohne Ge-
sprächsbereitschaft zu zeigen, führt dazu, dass wir das
10-Prozent-Ziel nicht erreichen und Deutschland nicht
zu einer Bildungsrepublik umbauen können. Deswegen
müssen Sie kompromissbereit sein. Wir sind es. Wir ha-
ben Vorschläge gemacht. Darauf möchte ich noch ein-
mal hingewiesen haben.

Im Interesse der Sache, im Interesse der vielen jungen
Leute, die uns hier besuchen – nebenbei gesagt: Herzlich
willkommen! –, und stellvertretend für die ganze junge
Generation, für die Kinder, die Schülerinnen und Schü-
ler und die Studierenden, fordere ich Sie auf: Seien Sie
bereit, Kompromisse mit den Ländern einzugehen. Dann
erreichen wir hier auch noch etwas.

Sorgen Sie bitte dafür, dass der Haushalt 2010 auch
vollzogen wird, damit die Gelder, die der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages zur Verfügung ge-
stellt hat, auch umgesetzt werden. Ich sage das vor dem
Hintergrund, dass zum Beispiel Geld zur Verfügung
steht, um Forschungsschiffe zu bauen, aber es geht ein-
fach nicht voran. Es stehen Hochschulbaumittel zur Ver-
fügung, die aber nicht schnell genug verausgabt werden.
Reden Sie mit den Ländern, damit diese Gelder abgeru-
fen werden! Bringen Sie das in Ordnung, auch im Inte-
resse der Arbeitsplätze!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704910000

Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1704910100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-

nete! Bei dem einen oder anderen kann man hier den
Eindruck gewinnen, so zum Beispiel beim Kollegen
Schulz, dass man mit einer gewissen Süffisanz die Er-
gebnisse des Bildungsgipfels am 10. Juni, also vor einer
Woche, betrachtet. Kollege Schulz, ich habe es Ihnen
schon in der letzten Woche gesagt: Wer im Glashaus
sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Wir können gerne eine steuerpolitische Debatte füh-
ren. Da müssten wir uns fragen, wie viel es denn sein
soll: Ein Mehrwertsteuerpunkt mehr bringt 8 Milliarden
Euro, zwei Mehrwertsteuerpunkte mehr bringen 16 Mil-
liarden Euro. Vielleicht sollten die Ministerpräsidenten





Eckhardt Rehberg


(A) (C)



(D)(B)


aller 16 Länder aber erst einmal darüber nachdenken,
vor welchen Herausforderungen wir stehen. Wir stehen
doch vor der Herausforderung, dass die Zahl der unter
30-Jährigen bis zum Jahr 2025 um 4,2 Millionen Perso-
nen abnehmen wird, dass die Zahl der über 60-Jährigen
um 3,5 Millionen zunehmen und dass die Zahl der Bil-
dungsteilnehmer um 2,7 Millionen abnehmen wird. Vor
diesen Herausforderungen stehen wir doch in den nächs-
ten zwei Jahrzehnten. Jetzt aber so kurzsichtig zu sein
und zu handeln, dass man, diese Herausforderung vor
Augen, an diesem 10. Juni nur eine steuerpolitische De-
batte führt, macht doch deutlich, dass die 16 Minister-
präsidenten ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein zweiter Punkt. Steuerpolitik ist langfristig ange-
legt. Ich habe es nachgeschaut, meine sehr verehrten Da-
men und Herren von SPD und Grünen: Sie sind dafür
verantwortlich, dass der Spitzensteuersatz von 53 Pro-
zent im Jahr 1999 über 48,5 Prozent im Jahr 2003 auf
42 Prozent zum 1. Januar 2005 gesenkt worden ist.


(Widerspruch bei der SPD)


Der Verteilungsschlüssel für diese Einnahmen sieht fol-
gendermaßen aus: 42,5 Prozent gehen an den Bund,
42,5 Prozent gehen an die Länder und 15 Prozent gehen
an die Kommunen. Wenn wir also zurückschauen und
uns fragen, wer dafür verantwortlich ist, dass heute
Bund, Länder und Kommunen finanziell nicht so ausge-
stattet sind, wie sie es sein könnten, dann muss man sa-
gen, dass Sie dafür verantwortlich sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie war das denn im Bundesrat, Herr Rehberg?)


Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen. Für
den größten Sündenfall, was die Steuerpolitik der letzten
Jahrzehnte betrifft, sind die Linken, damals PDS, SPD
und Grüne verantwortlich. Ich meine den Rückgang bei
den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer zwischen
den Jahren 2001 und 2007. Sie haben dafür gesorgt, dass
120 Milliarden Euro, wenn man einen linearen Anstieg
der Einnahmen des Jahres 2000 zugrunde legt, Bund,
Ländern und Kommunen verloren gegangen sind. Das
wurde damals für die Aktionäre von großen Kapitalge-
sellschaften gemacht.

Sie weinen hier ständig Krokodilstränen wegen der
Absenkung der Umsatzsteuer für Hotels von 19 auf
7 Prozent, was Mindereinnahmen von 1 Milliarde Euro
zur Folge hat. Es gibt in Deutschland große Hotelketten.
Aber es gibt auch diejenigen, die zum Beispiel in Meck-
lenburg-Vorpommern 1990 ihr Geld in ein Hotel ge-
steckt haben oder die Mitte der 90er-Jahre unter vielen
Mühen in ländlichen und strukturschwachen Räumen
eine kleine Pension aufgebaut haben. Diesen Unterneh-
men kommt heute der höhere Gewinn zugute. Sie kön-
nen investieren und steigende Kosten ausgleichen. Was
Steuerpolitik betrifft, machen Sie eine reine Neidkampa-
gne.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erhöhen Sie doch den Spitzensteuersatz!)


Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen.
Herr Kollege Schulz, ich bin stolz auf den „Scherben-
haufen“, den CDU/CSU und FDP in der Steuerpolitik
angerichtet haben.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das glauben wir Ihnen aufs Wort!)


Denn das IWH prognostiziert – hören Sie ganz genau
zu –, dass entgegen der Steuerschätzung vom 6. Mai zu-
sätzliche Steuereinnahmen von mindestens 5 bis
7 Milliarden Euro für dieses Jahr zu erwarten sind, die
auf Bund, Länder und Kommunen aufgeteilt werden.
Die eine Hälfte geht an die Länder und die andere an die
Kommunen. Ich sage Ihnen daher ganz offen: Die Poli-
tik, die wir gemacht haben, ist eine gute Politik für Län-
der und Kommunen und eine gute Politik für die Men-
schen in Deutschland.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das lacht ja die gesamte Republik! Da lacht ganz Deutschland! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie sind so was von vernagelt! Sie sind nicht regierungsfähig!)


Es ist insbesondere eine gute Politik für diejenigen, die
mehr Geld für Bildung ausgeben wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD,
Grünen und Linken, der Bund wird hier seiner Verant-
wortung gerecht und er stellt sich den Herausforderun-
gen. Man kann Politik natürlich auch so gestalten wie
letzten Donnerstag: Poker spielen und die Rommé- und
Skatkarten beiseite legen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704910200

Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1704910300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es vorwegzusagen: Es besteht keine Freude aufseiten der
Sozialdemokraten, dass es am letzten Donnerstag nicht
zu einem guten Ergebnis gekommen ist.

Wir hatten erstens den gemeinsamen Bezugspunkt,
dass die Ausgaben für Bildung in Deutschland um der
Bildungsgerechtigkeit, um der Chancen für junge Leute
und um der ökonomischen Leistungsfähigkeit willen
deutlich aufwachsen müssen.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Völlig richtig!)


Wir hatten zweitens alle zusammen begriffen, dass unser
Handeln in der Bildungspolitik langfristig angelegt und
unterlegt sein muss. Denn wer nur auf das nächste Jahr





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)


schaut, wird nicht dem gerecht, was in fünf, zehn oder
15 Jahren notwendig ist.

Wir hatten drittens zusammen erkannt, dass wir es
uns in Deutschland nicht leisten können, dass es bil-
dungsstarke und bildungsschwache Regionen gibt.

Aufgrund dieser drei Erkenntnisse haben die Minis-
terpräsidenten, egal welcher Couleur, und die Bundesre-
gierung versucht, etwas Großes aufzubauen. Es liegt
nicht im Interesse von Bildung und Bildungschancen,
wenn es nun nur sehr magere und nicht erklärbare Er-
gebnisse wie die vom Donnerstag gibt.

Frau Schavan, da es nicht nur um Finanzen, sondern
auch um das Kooperationsverständnis geht, möchte ich
eine dringliche Bitte an Sie richten: Die Sorgen der Län-
der dürfen nicht einfach als Parteipolitik und Finanzge-
schacher abgetan werden. Die Länder sorgen sich
schließlich darum, unter welchen Voraussetzungen sie
ihren im Vergleich zum Bund weit überproportionalen
Anteil für die Bildungsabsicherung finanzieren können.
Vorausschauende Ministerpräsidenten haben in diesem
Zusammenhang nicht nur das Haushaltsjahr 2011/2012,
sondern auch die Schuldenbremse im Auge. Sie haben
auch die strukturelle Unterfinanzierung ihrer Haushalte
im Auge. Sie fragen sich, wie sie den Korridor freibe-
kommen, um sowohl die schon jetzt aufzubringenden
Regelleistungen für Hochschulen und Schulen als auch
die Aufwüchse zu finanzieren. Wenn der Bund den Län-
dern keine Refinanzierungsmöglichkeiten über entspre-
chende Einnahmeerhöhungen gibt, dann muss der Bund
selbst die Einnahmeverbesserung für die Bildung lang-
fristig im Auge behalten. Dafür werben wir.

Der eigentliche Konflikt im Rahmen des Bildungs-
gipfels war, dass man sich nicht eingestanden hat, dass
der Aufwuchs der Bildungsmittel für die öffentliche Fi-
nanzierung in Bund, Ländern und Kommunen durch na-
türliches Wachstum und durch Einsparungen nicht mehr
zu realisieren ist. Je früher dieses Bewusstsein durch die
Autorität der Bundesbildungsministerin sowie der Kanz-
lerin und durch die Einsicht der Ministerpräsidenten
wächst, desto eher nähert man sich einem erfolgreichen
Bildungspfad für die Jahre 2015 bis 2020.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Je früher diese Einsicht auch bei den Liberalen
wächst, desto eher wird man erfolgreich sein. Es gibt
auch liberale Politiker wie zum Beispiel Herrn Kubicki
und andere, die aufgrund ihres analytischen Verständnis-
ses erkannt haben, dass Folgendes nicht gleichzeitig
funktionieren kann: Bildungspriorität, Schuldenbremse,
Steuersenkung und Einsparung. Das muss man begrei-
fen, um zukünftige Gipfel zum Erfolg zu führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Er betrifft die
Strategie. In Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis bei
der Gestaltung von Bildung haben wir unsere Meinun-
gen in Sachen „Pakt für die gute Lehre“ ausgetauscht.
Wir sagen: Das Strecken auf zehn Jahre hat einerseits et-

was Gutes, indem es zehn Jahre vorausplant, und gleich-
zeitig etwas Ernüchterndes, denn 2 Milliarden Euro sind
dann eine nicht mehr ganz so bombastische Summe. Der
Bund finanziert allerdings eine Sache zu 100 Prozent,
die eigentlich in der Zuständigkeit der Länder liegt.
Wenn die Länder nicht einmal mehr die 10 Prozent fi-
nanzieren können, die der Bund eigentlich von ihnen er-
wartet, dann zerbricht die finanzielle Kooperation.

In diesem Fall ist die finanzielle Kooperation indirekt
zerbrochen, weil der Bund den Ländern zum ersten Mal
das knallharte Angebot gemacht hat, alles allein zu fi-
nanzieren. Wollen wir dahin? Müssen nicht auch die
Länder finanziell in der Lage sein, im Rahmen der
Bund-Länder-Kooperation zumindest 10 Prozent für die
Bildung zu leisten? Es gibt Bundesländer, die sagen: Wir
können nicht einmal diese 10 Prozent finanzieren. Nicht
einmal die 12 Millionen Euro für das BAföG in Schles-
wig-Holstein können wir mitfinanzieren. Wir haben es
hier mit einem strukturellen Ungleichgewicht zu tun.
Dieses Ungleichgewicht wird in Zukunft jede Bil-
dungskooperation kaputtmachen. Meine zweite Bitte ist
also, dass Sie rechtzeitig erkennen, dass die Mindestfi-
nanzierung durch die Länder funktionieren muss. An-
sonsten wird es keine strukturelle Bildungskooperation
geben. Diese brauchen wir aber. Und zum Inhaltlichen,
um auf Herrn Weinberg einzugehen:

Ich kann in Bezug auf unsere Agenda viele Dinge
nennen, die wir brauchen. Dazu gehören die frühkindli-
che Bildung, Ganztagsschulen und die Brücke – nicht
die Kette – im Übergang von der Schule ins Berufsleben.
Auch im Hochschulbereich dauert es aber nicht mehr
lange und es wird eine Forderung nach einem zusätzli-
chen Medizinerprogramm geben, weil die Medizineraus-
bildung teuer ist und es in diesem Bereich nicht genü-
gend Studienanfänger gibt. Wer soll das mitmachen?
Wenn es darauf hinausläuft, dass der Bund alles zu
100 Prozent finanziert, dann zerbricht die Struktur der
Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeiten langsam;
die Weiterbildung habe ich noch nicht einmal angespro-
chen.

Ich komme zu meinem letzten Punkt: Frau Ministerin,
es ist wahrscheinlich aus Frustration erwachsen, dass ge-
sagt wird: Es geht um Wettbewerb. Damit fallen Sie wie-
der auf Ihre alten Ansichten zurück. Am Anfang des Bil-
dungsgipfels stand die Vorstellung: Wir kommen nur
kooperativ voran.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies sollten Sie beibehalten. Sie sollten das Kooperative,
das Ausgleichende und das Zusammenführende betonen.
Da ist ein guter Ansatz beim Grundgesetz – in Bezug
nicht nur auf das Feststellen, sondern auch auf das Si-
cherstellen – in die Diskussion gebracht worden.

Ich will einen Gedanken hinzufügen. Wir brauchen
diese Kooperation auch in Bezug auf das, was von der
Kultusministerkonferenz geleistet werden kann. Denn
wenn die Kultusminister in einen Wettbewerb gegenein-
ander geschickt werden, dann gibt es keine Stärkung der
Bildung, der Mobilität und dessen, was ein Bedürfnis





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)


von Eltern und Kindern ist: überall in Deutschland den
gleichen Zugang zu Bildung zu haben. Im Gegenteil:
Man kommt zu Kooperation nur, wenn es einen inhaltli-
chen Konsens gibt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704910400

Herr Kollege Rossmann, Sie wissen doch, dass Sie

die Redezeit längst überzogen haben.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1704910500

Ich werbe mit Zustimmung des Präsidenten dafür,

dass die Kooperation dadurch zunimmt, dass wir uns
auch im Bundestag um mehr Konsens bemühen. Das
müsste ganz im Interesse des Präsidenten sein.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1704910600

Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile

ich das Wort dem Kollegen Albert Rupprecht von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1704910700

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bildungsgipfel
ist eine gemeinsame Sache. Erfolg kann es nur geben,
wenn alle 16 Ministerpräsidenten zustimmen. Alle sitzen
im selben Boot. Im Übrigen sind alle im Deutschen Bun-
destag vertretenen Parteien – auch die Linken, auch die
Grünen, auch die SPD – an Landesregierungen beteiligt.
Ich glaube, Kritik ist am allerwenigsten gegenüber der
Bundesregierung angebracht; denn die Bundesregierung
steht zu dem, was sie gesagt hat. Diskussionsbedarf und
Kritik gibt es in den Landesregierungen. Jede Partei und
jede Fraktion ist gefordert, das in den eigenen Gruppie-
rungen und mit der eigenen Landesregierung zu bespre-
chen.

Der Qualitätspakt Lehre mit zusätzlichen stattlichen
Mitteln von 2 Milliarden Euro für die Hochschulen ist
ein wichtiges Ergebnis des Gipfels. Richtig ist aber
auch: Wir wollten weitere konkrete Beschlüsse. Dass es
dazu nicht gekommen ist, lag nicht am Bund. Ganz im
Gegenteil: Die Bundesregierung und die christlich-libe-
rale Koalition stehen zu den 12 Milliarden Euro mehr für
Forschung und Bildung in dieser Legislaturperiode. Wir
stehen zur Umsetzung des 10-Prozent-Ziels bis 2015.
Wir stehen zu all diesen Zielen und Zahlen, weil wir
vom Ziel der Bildungsrepublik Deutschland überzeugt
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen ist es vollkommen falsch, wenn Sie heute
primär die Bundesregierung kritisieren. Es lag an den
Bundesländern; die Länder waren leider nicht zu mehr
bereit. Um es auf den Punkt zu bringen – Ministerin
Schavan war sehr zurückhaltend –: Es lag vor allem an
den SPD-Ministerpräsidenten.


(Zurufe von der SPD: Ah ja!)


Am Gipfel waren die wesentlichen Führungspersonen
der SPD beteiligt. Wowereit, stellvertretender Parteivor-
sitzender, Platzeck und Kurt Beck als vormalige Partei-
vorsitzende waren bei diesem Bildungsgipfel anwesend.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Seehofer auch, oder? – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo war Seehofer? Sagen Sie mal was zu Seehofer! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was war die Position von Herrn Seehofer?)


Beck hat nach diesem Gipfel die gemeinsame Position
der SPD zusammengefasst: Er war nicht bereit, weitere
konkrete Maßnahmen zu beschließen. Noch schlimmer:
Er war nicht einmal bereit, über eine einzelne bildungs-
politische Maßnahme zu diskutieren. Das Einzige, was
ihn interessiert hat, war mehr Geld vom Bund, waren
mehr und höhere Umsatzsteuerpunkte für die Länder,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Glauben Sie das eigentlich selber, was Sie da sagen? – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie dabei? Woher wissen Sie das?)


und zwar ohne jegliche verbindliche Verpflichtung, dass
das Geld zusätzlich in Bildung fließt. Und das geht
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ja, das geht wirklich nicht, was Sie da sagen! Das geht nicht!)


Es geht nicht, dass das Geld, das für Bildung gedacht ist,
für marode Landeshaushalte, für Straßen oder für Spaß-
bäder verwendet wird. Das ist vollkommen unakzepta-
bel. Die Bundeskanzlerin hat dieses Ansinnen zu Recht
abgelehnt. Dies sollte von diesem Hause unterstützt wer-
den.

Herr Kollege Schulz, zu Ihrer Argumentation, die Sie
immer wieder anführen, dass es die Beschlüsse der Bun-
desregierung seien, die die Länder handlungsunfähig
machten, und dass deswegen nicht mehr Geld für Bil-
dung zur Verfügung gestellt werden könne. Kollege
Eckhardt Rehberg hat ausreichend darauf geantwortet.


(René Röspel [SPD]: Ja, aber falsch! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sagen Sie doch mal was Richtiges! – Eckhardt Rehberg [CDU/ CSU]: Die Wahrheit tut weh! Die Wahrheit tut sehr weh!)


Nichtsdestotrotz ist es falsch, wenn behauptet wird, dass
es keine Länder gebe, die mehr Geld zur Verfügung
stellten. Bayern beispielsweise stellt im Haushalt 2010
4 Prozent mehr für Bildung zur Verfügung. Baden-
Württemberg stellt 4,7 Prozent mehr für Bildung zur
Verfügung. In Bayern sind das über 300 Millionen Euro,
in Baden-Württemberg 380 Millionen Euro pro Jahr.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und warum haben sie dem 10-Prozent-Ziel nicht zugestimmt?)






Albert Rupprecht (Weiden)



(A) (C)



(D)(B)


Das Ergebnis ist letztendlich, dass Bundesländer, die
über Jahre hinweg wirtschaftspolitisch gut gearbeitet
und klare Prioritäten gesetzt haben – insbesondere Bun-
desländer, die über Jahre hinweg unionsgeführt waren –,
schon die Kraft haben, für Bildung Gelder freizumachen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat Seehofer dann auf dem Gipfel gemacht? Wir sind gespannt auf die Debatte im Bayerischen Landtag!)


Die Bundesregierung und die christlich-liberale Ko-
alition stehen klar zur Priorität von Bildung und For-
schung. Wir werden in den nächsten Wochen und Mona-
ten jede Maßnahme einzeln aufrufen und unseren Weg
unbeirrt weitergehen. Wir sind die treibende Kraft und
der stabile Faktor in der bildungspolitischen Debatte in
Deutschland. Das Angebot an die Länder steht nach wie
vor. Wir bitten die Bundesländer, diesen Weg mitzuge-
hen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704910800

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

– Drucksache 17/1215 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Marco Buschmann für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1704910900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Der Titel unserer heutigen Debatte mutet
technisch an; aber bei der Diskussion um die Änderung
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes geht es um
weit mehr als um Rechtstechnik. Es darf nicht nur um
Rechtstechnik gehen, wenn wir diese Frage wie heute an
einem 17. Juni behandeln; denn dieses Datum muss uns
mit Blick auf den menschenverachtenden Totalitarismus
der DDR und ihres Unterdrückungsapparates stets Mah-
nung und Warnung sein.

Dieser Unterdrückungsapparat offenbarte sich schon
in der Vorgeschichte des 17. Juni 1953; denn die willkür-
liche Erhöhung der Arbeitsnormen anlässlich des
60. Geburtstags von Walter Ulbricht zeigte: Unsere so-
ziale Marktwirtschaft mit Tarifautonomie und Gewerk-

schaften unter dem grundgesetzlichen Schutz der Koali-
tionsfreiheit ist das weitaus menschlichere System, und
nicht die zentralistische Kommandowirtschaft.

Dieser Unterdrückungsapparat zeigte sich noch deut-
licher, als die Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Straße
gingen und klar wurde, wie die DDR-Führung darauf re-
agierte. Am 17. Juni 1953 setzte der selbsternannte Ar-
beiterstaat Panzer gegen seine Arbeiterinnen und Arbei-
ter ein. Diese Panzer waren die Verkörperung dessen,
was Hannah Arendt das „eiserne Band des Terrors“
nannte, mit dem ein jeder Totalitarismus den Raum der
Freiheit zu unterdrücken sucht. Dieses „eiserne Band des
Terrors“ fand seine Opfer: Über 50 Menschen starben
unmittelbar; anschließend wurden mehr als 13 000 Men-
schen verhaftet, mehr als 2 000 zu Gefängnisstrafen ver-
urteilt und mindestens 20 Todesurteile vollstreckt. Diese
Strafurteile zeigen eines ganz deutlich: In den formalen
Mantel des DDR-Rechts wurde SED-Unrecht gehüllt;
denn die brutale Unterdrückung des Willens der Men-
schen nach freien Wahlen und politischer Freiheit ist
nichts anderes als Unrecht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Diese Erkenntnis
sollte für uns selbstverständlich sein. Ich finde es im
Umfeld des heutigen Datums schon irritierend, wenn
eine Bewerberin um das höchste Staatsamt öffentlich
diese Erkenntnis infrage stellt, weil sie der Ansicht ist,
sie könne mithilfe eines formaljuristischen Arguments
leugnen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das halte
ich im Umfeld dieses Datums für nicht akzeptabel.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] und Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wird nicht gewählt werden! Keine Angst!)


Der 17. Juni war nur die Spitze eines Eisbergs der
Unmenschlichkeit im SED- und Stasistaat. Die formale
Ummantelung von SED-Unrecht, insbesondere durch
das Strafrecht der DDR, hatte Methode. Tausende von
Menschen landeten über Jahrzehnte zu Unrecht in den
Gefängnissen der DDR. Daher ist es eine wichtige politi-
sche Aufgabe, den formalen Mantel des DDR-Rechts zu
lüften und Straftäter von denjenigen zu unterscheiden,
die nichts Strafwürdiges getan haben, sondern SED-
Recht erleiden mussten. Den Opfern muss Rehabilitie-
rung und Hilfe zuteil werden. Der FDP war und ist die
Würdigung der Menschen, die Opfer des SED-Unrechts-
staates wurden und sich gegen ihn erhoben, stets ein
wichtiges Anliegen.

Aus diesem Grund begrüßen wir ausdrücklich die
Bundesratsinitiative der Länder Sachsen, Mecklenburg-
Vorpommern und Niedersachsen zur Änderung des
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Die Erfahrun-
gen mit dem Vollzug des Dritten SED-Unrechtsbereini-
gungsgesetzes haben uns gezeigt, dass an verschiedenen
Stellen Nachbesserungsbedarf besteht. Diesem wollen
wir zügig nachkommen.





Marco Buschmann


(A) (C)



(D)(B)


Darüber hinaus gibt es Forderungen aus den Reihen
der Opferverbände, die über die vereinbarten Maßnah-
men hinausgehen. Das haben wir im Blick. Ich glaube,
auch im Interesse der Opfer sagen zu können: Wir soll-
ten jetzt zügig zuerst jene Maßnahmen angehen, über die
weitgehend Einigkeit besteht; denn nicht wenige Opfer
haben ein Alter erreicht, das eine schnelle Entscheidung
erfordert. Das Zögern bis zum großen Wurf könnte die
ungewollte Folge haben, dass für viele der Opfer die
Hilfe, die wir hoffentlich alle wollen, zu spät kommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was alle weiteren Vorschläge angeht, so kann ich Ih-
nen versichern: Wir werden ausloten, was möglich ist.


(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Das ist wichtig und richtig; denn der mutige Einsatz der
Menschen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit muss anerkannt und gewürdigt werden. Es darf nicht
sein, dass Menschen, die Opfer systematischer Bespitze-
lung wurden, mit einer bestimmten Verwaltungspraxis
konfrontiert werden – einige Landesbehörden verstoßen
unter Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz gegen
das Gesetz – und den Eindruck bekommen, sie wären
wieder Gegenstand von permanenter Überwachung, an-
statt rehabilitiert zu werden. Das ist eines der vielen Bei-
spiele für die sinnvollen Maßnahmen, die wir im Paket
finden. Deshalb sind das gute Vorschläge. Der mutige
Einsatz der Menschen muss geachtet werden. Sie müs-
sen rehabilitiert werden. Sie brauchen Hilfe, und zwar
nicht nur am 17. Juni.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704911000

Das Wort hat nun Sonja Steffen für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1704911100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gesine Schwan hat heute Morgen eine ein-
drucksvolle Rede zum 17. Juni 1953 gehalten, dem Tag,
an dem in der DDR mehr als eine halbe Million Men-
schen gegen die SED-Politik auf die Straße gingen und
über 6 000 Protestierende inhaftiert wurden. Dieser Ge-
denktag ist ein guter Tag, um hier im Deutschen Bundes-
tag erneut über die Entschädigung für die Opfer der an-
schließenden politischen Verfolgungen zu diskutieren.

Im Juni 2007 hat der Deutsche Bundestag die Einfü-
gung der Vorschrift des § 17 a in das Strafrechtliche Re-
habilitierungsgesetz beschlossen. Sie trägt die Über-
schrift „Besondere Zuwendung für Haftopfer“. Seitdem
erhalten politisch Verfolgte, die in der DDR mindestens
ein halbes Jahr in Gefängnissen wie Hohenschönhausen
oder Bautzen inhaftiert gewesen sind, monatlich bis zu
250 Euro als sogenannte Opferrente. Heute, 20 Jahre
nach der deutschen Einheit, wird die Rente an ungefähr
42 000 frühere politische DDR-Häftlinge gezahlt. Schon

kurz nach der Umsetzung des Gesetzes wurden Forde-
rungen laut, es nachzubessern. Beim Vollzug des Geset-
zes hat sich nämlich herausgestellt, dass die Berechnung
des anzurechnenden Einkommens der Opfer in der Pra-
xis zu Ungleichbehandlungen führt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einige As-
pekte hinweisen.

Der erste Aspekt betrifft die Einkommensgrenzen. Es
hat sich bei der Anwendung des Gesetzes gezeigt, dass
die Festlegung der Einkommensgrenzen unzureichend
ist. Gegenwärtig wird die Opferrente nach pauschalen
Einkommensgrenzen berechnet.

Wer als alleinstehende Person mehr als 1 077 Euro
netto monatlich verdient, erhält die Opferrente nicht. Bei
einer in Partnerschaft lebenden Person liegt die Einkom-
mensgrenze bei 1 436 Euro ohne Berücksichtigung des
Partnereinkommens. § 17 a des Strafrechtlichen Rehabi-
litierungsgesetzes sieht also lediglich zwei unterschiedli-
che Einkommensgrenzen vor. Einen besonderen Freibe-
trag für den Unterhalt eigener Kinder gibt es für die
Opfer gegenwärtig nicht.

Der zweite Aspekt betrifft das staatliche Kindergeld.
Nach dem bestehenden Gesetz wird das Kindergeld als
Einkommen der Antragsteller angerechnet. Es handelt
sich beim Kindergeld jedoch um eine Leistung, die aus-
schließlich zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs
der Kinder vorgesehen ist.

Was bedeuten die beiden vorgenannten Aspekte für
die Berechnung der Opferrente? Familien mit Kindern
erhalten im Falle eines geringen Einkommens und bei
Bezug von Kindergeld oftmals keine Entschädigung.
Die Alleinerziehenden, die ohnehin häufig am Rand der
Gesellschaft stehen, sind hiervon besonders betroffen.
Dies stellt eine nicht hinzunehmende Benachteiligung
dar, die beseitigt werden muss.

Der Änderungsentwurf sieht Folgendes vor: Zum ei-
nen sollen Freibeträge für unterhaltsberechtigte Kinder
in Höhe von derzeit 359 Euro je Kind berücksichtigt
werden. Zum anderen soll das staatliche Kindergeld als
Einkommen nicht mehr angerechnet werden. Diese vor-
gesehenen Änderungen sind grundsätzlich zu begrüßen,
ebenso der beabsichtigte Abzug der angemessenen be-
trieblichen Altersvorsorge vom Einkommen.

Aus meiner Sicht ist es bei der Diskussion über den
Änderungsentwurf allerdings erforderlich, auch über die
gegenwärtig unterschiedlich hohen Einkommensgrenzen
bei Alleinstehenden und bei Opfern, die in einer Paarbe-
ziehung sind, noch einmal nachzudenken. Es mutet un-
gerecht an, dass das Gesetz die in Partnerschaft lebenden
Opfer mit höheren Freibeträgen versieht als die alleinste-
henden Opfer. Der Bundestag hat die unterschiedlichen
Freibeträge im Jahr 2007 festgelegt, weil man davon
ausging, dass die meisten Anspruchsteller, die mit einem
Partner zusammenleben, diesen regelmäßig finanziell
unterhalten müssen. Um diese fiktive Belastung aufzu-
fangen, wurde die Einkommensgrenze für die Opfer in
Paarbeziehungen erhöht. Hier wird die Bundesregierung
aufgefordert, zu ermitteln, ob die in Partnerschaft leben-
den Berechtigten tatsächlich Unterhaltsverpflichtungen





Sonja Steffen


(A) (C)



(D)(B)


gegenüber ihren Partnern haben, die diese Ungleichbe-
handlung gegenüber Alleinstehenden rechtfertigen.

Nun zu einem letzten Aspekt der vorgesehenen Ände-
rung des Gesetzes. Die Opferrente soll zukünftig nicht
mehr Personen gewährt werden, die zu einer Freiheits-
strafe von mindestens drei Jahren wegen einer vorsätzli-
chen Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind. He-
rauszuheben ist in diesem Zusammenhang der Fall eines
Straftäters, der wegen schwerster Sexualdelikte und we-
gen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verur-
teilt wurde und nun Anspruch auf die Opferrente erhebt.
Die Opferrente dient der besonderen Anerkennung und
Würdigung der Opfer politischer Verfolgung in der ehe-
maligen DDR. Deshalb wird sie häufig auch als Ehren-
rente bezeichnet. Sie soll daher nach dem Änderungsent-
wurf nicht Straftätern gewährt werden, deren Taten auch
nach bundesdeutschem Recht strafwürdig sind.

Dieses Vorhaben verdient grundsätzlich Anerken-
nung. Jedoch ist bei der Umsetzung Sensibilität gefragt
und das Augenmerk auf den Einzelfall zu richten. Häu-
fig waren es sehr junge Menschen, die wegen unvorsich-
tiger Äußerungen und Handlungen für Jahre in Stasige-
fängnissen unter widrigsten Umständen inhaftiert waren.
Zurück blieben nach dem Verbüßen der Strafen oftmals
gebrochene Personen mit psychischen Schäden, die im
normalen Leben nicht mehr Fuß fassen konnten.

Wir sollten die beabsichtigte Änderung des Gesetzes
zum Anlass nehmen, die sozialen Ungerechtigkeiten aus
dem Weg zu schaffen und die Opferrente denjenigen zu-
zuerkennen, die sie aufgrund erlittenen Unrechts ver-
dient haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704911200

Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1704911300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute, am 17. Juni 2010, diskutieren wir in diesem Ho-
hen Hause wieder einmal über Vorschläge zur Verbesse-
rung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und
damit der SED-Unrechtsbereinigung, in diesem Fall
über Vorschläge des Bundesrates. Das historische Datum
heute ist nicht zufällig das Datum dieser ersten Lesung,
sondern wurde von der christlich-liberalen Koalition be-
wusst so gewählt. Auch wenn die Tagesordnung des
heutigen Plenums schier endlos erscheint und die The-
men unterschiedlicher nicht sein könnten, erlaube ich
mir die Anmerkung, dass dieser Tagesordnungspunkt im
Nachgang zur Gedenkstunde heute gut, richtig und
wichtig ist.

Warum sage ich das? Die Feierstunde heute früh hat
uns allen nochmals die Bedeutung der Ereignisse des
17. Juni 1953 und den Freiheitswillen der mutigen

Bürgerinnen und Bürger in Ostberlin und der gesamten
sowjetischen Besatzungszone vor Augen geführt. Es wa-
ren damals der Wunsch und die Hoffnung der Arbeiter
und der Studenten, der Hunderttausenden Demonstran-
ten in Ostberlin, in Magdeburg, Merseburg, Halle, Bit-
terfeld, Leipzig, Jena und Brandenburg an der Havel:
Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen trugen sie Pla-
kate mit der Aufschrift: „Wir wollen freie Menschen
sein! Wir wollen freie Wahlen!“

1989 haben die Montagsdemonstrationen diese For-
derungen unter dem Banner „Einigkeit und Recht und
Freiheit“ wieder aufgenommen. Mutige Bürger in den
Städten Ostdeutschlands haben mit diesem Leitspruch
friedlich die Einheit in Freiheit erkämpft. Der 17. Juni
1953 – wir haben es heute Morgen gehört – und der
3. Oktober 1990 gehören deshalb historisch untrennbar
zusammen.

Ich muss das Gedenken an den 17. Juni hier jetzt
nicht weiter fortführen; das haben wir bereits heute Mor-
gen getan. Ein Volk gedenkt, um nicht zu vergessen. Zur
Erinnerung gehört auch die Aufarbeitung. Das sind wir
den Opfern und einer verantwortungsvollen Zukunftsge-
staltung schuldig. Deshalb kann und darf die Aufarbei-
tung des SED-Unrechts nicht beendet sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das gilt im Bereich der Rechtspolitik, auch im Besonde-
ren bei den Rehabilitierungs- und Entschädigungsgeset-
zen. Deshalb hat die christlich-liberale Koalition in ih-
rem Koalitionsvertrag vereinbart, das System der
Rehabilitierung und Entschädigung laufend zu überprü-
fen und offenbarem Regelungsbedarf zur Verbesserung
der rehabilitierungsrechtlichen Situation von Betroffe-
nen Rechnung zu tragen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt!)


Um diese Aufarbeitung haben sich fast alle Regie-
rungsfraktionen dieses Parlaments in den vergangenen
20 Jahren in unterschiedlichen Koalitionen immer wie-
der bemüht. Ich sehe in allen Fraktionen viele Kollegen,
mit denen wir schon häufig konstruktiv, wie ich denke,
über das Thema diskutiert haben. Bei den Linken muss
man bis heute ja die Aufrichtigkeit der Aufarbeitung der
SED-Diktatur bezweifeln. Wenn zuletzt im Mai dieses
Jahres die innenpolitische Sprecherin der Linken in ei-
nem Grußwort zur jährlichen Tagung ehemaliger haupt-
amtlicher Mitarbeiter des Stasiauslandsgeheimdienstes
diese für ihren – ich zitiere – „mutigen Einsatz“ lobt und
dann noch – ich zitiere weiter – „das himmelschreiende
Unrecht“ gegenüber diesen Stasileuten beklagt, dann
muss man sich schon fragen, wie ernst bei den Linken
die kritische Aufarbeitung gesehen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marco Buschmann [FDP]: Unverschämtheit!)


Kollege Buschmann hat es schon erwähnt, auch die
Äußerungen Ihrer Kandidatin von den Linken, Frau
Jochimsen, schreien zum Himmel. Ich darf – ich denke,
das ist hier angemessen – aus einer Rede des ehemaligen





Andrea Astrid Voßhoff


(A) (C)



(D)(B)


Bundespräsidenten Roman Herzog, eines ausgewiesenen
Verfassungsexperten, zu dem Thema etwas vorlesen:

Die DDR war natürlich mehr als eine Diktatur. Sie
war auch der Lebensrahmen für Menschen, die sich
mit Fleiß und Energie engagierten: am Arbeitsplatz,
im privaten Umfeld, in der Familie, in den Kirchen.
Viele Hemmnisse des Systems wurden durch Im-
provisation und bewundernswertes Geschick über-
wunden. … Das kann und darf freilich nicht Grund
für eine nachträgliche Verklärung der DDR sein.
Die DDR verweigerte ihren Bürgern die grundle-
genden demokratischen Rechte, sie machte Opposi-
tionelle mundtot und schreckte in Einzelfällen nicht
einmal vor Mord oder Verschleppung zurück. Sie
war ein Unrechtsstaat!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Seit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
aus dem Jahr 1992 haben wir in fast 20 Jahren in dieser
Frage, wie ich finde, einen durchaus erfolgreichen Weg
zurückgelegt, auch wenn es noch viele Probleme in dem
Bereich gibt. Wir alle, die wir uns mit dieser Thematik
beschäftigen, wissen das. Ich denke, wir haben viel er-
reicht. Lassen Sie mich ein paar Punkte dazu sagen.

Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat
seit ihrer Gründung über 1 700 Projekte vor allem in der
Arbeit mit jungen Menschen gefördert, um über das
DDR-Unrechtssystem aufzuklären. Über 1,7 Millionen
Besucher haben sich seit 1994 in der Gedenkstätte Ho-
henschönhausen einen Eindruck über die perfiden Fol-
termethoden der Stasi verschaffen können. Durch das
Bundesamt für offene Vermögensfragen sind für rechts-
staatswidrige Enteignungen in fast 500 000 Fällen Ent-
schädigungen geleistet worden. Bei der BStU sind seit
Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes über 6 Mil-
lionen Anträge auf Auskunft und Akteneinsicht gestellt
worden, davon allein 2,6 Millionen von Privatpersonen.
Seit 1990 sind allein im Bereich des Strafrechtlichen Re-
habilitierungsgesetzes in den ostdeutschen Ländern etwa
180 000 Anträge auf gerichtliche Rehabilitierung ge-
stellt worden. Seit Einführung der Opferpension im Sep-
tember 2007 sind 68 000 Anträge auf Erhalt der Opfer-
pension gestellt und 48 000 auch bewilligt worden. Ich
finde schon, dass dies im Lichte der Diskussionen, die
wir in diesen Fragen immer wieder führen, eine sehr
gute Bilanz ist, auch wenn ich weiß, dass es in dem Be-
reich noch vieles zu klären gilt.

Ich darf an dieser Stelle darüber hinaus auch den vie-
len ehrenamtlichen Helfern der Opferhilfe, denjenigen,
die in Opferverbänden tätig sind, den Opfern zur Seite
stehen und so eine wichtige Arbeit leisten, ganz herzlich
Dank sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich erwähnte es: Jeder von
Ihnen, der sich mit dem Thema befasst, kennt aus vielen
Schilderungen der Opfer die Problemfälle, die Schick-
sale, die Schwierigkeiten, die die Opfer in ihrem Umfeld
und bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche haben. Ich
freue mich, dass es uns in der letzten Legislaturperiode

wirklich gelungen ist – ich darf an dieser Stelle von mei-
ner Fraktion den Kollegen Arnold Vaatz nennen –, die
SED-Opferpension in Höhe von 250 Euro im Strafrecht-
lichen Rehabilitierungsgesetz zu verankern. Ich denke,
das ist ein Erfolg; das darf man auch einmal sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Opferpension ist nämlich ein wichtiger Baustein der
rechtsstaatlichen Wiedergutmachung geworden; die An-
tragszahlen hatte ich in diesem Zusammenhang genannt.

Jetzt komme ich zu der Initiative des Bundesrates; die
einzelnen Bestandteile sind hier und heute schon ge-
nannt worden. Es gibt eine Vielzahl von Punkten, an de-
nen wir – ich denke, das ist Konsens – bei den bestehen-
den Regelungen Korrekturbedarf sehen. Ich freue mich,
dass in dieser Frage auch Konsens mit der Opposition
besteht. Die Details werden wir in den Beratungen si-
cherlich noch besprechen können.

Die Klarstellung, wie die Berechnung der Mindest-
haftzeit zu erfolgen hat, halte ich für einen wichtigen
Punkt, ebenso die Verbesserungen für Familien mit Kin-
dern, dass Betroffene mit Kindern finanziell nicht
schlechter gestellt werden dürfen als Betroffene, die
keine Kinder haben und die Rente beantragen. Es gibt
eine Vielzahl weiterer Punkte, bei denen wir sagen: Hier
besteht Handlungsbedarf. – Die christlich-liberale Koali-
tion ist hier übrigens schon bei der Arbeit.

Natürlich können wir die fiskalischen Zwänge nicht
ignorieren. Aber im Rahmen unserer Möglichkeiten
werden wir diesem Korrekturbedarf, den auch die Bun-
desländer angemahnt haben, nachkommen und schauen,
was wir in diesem Bereich umsetzen können. Ich denke,
das kommt den Opfern und denjenigen, die in besonde-
rer Weise gelitten haben, zugute.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Seit dem
friedlichen Erreichen der deutschen Wiedervereinigung
am 3. Oktober 1990 sind wir in Deutschland in den letz-
ten 20 Jahren gemeinsam und mit ganzer Kraft auf dem
Weg nach Einheit in Freiheit, wie ich glaube, ein Stück-
chen vorangekommen. Die christlich-liberale Koalition
wird es nicht zulassen, dass ein dunkelrotes Tuch über
die Vergangenheit gelegt wird.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Wir können das jahrzehntelange Unrecht nicht rück-
abwickeln. Wir können mit den Bestandteilen dieser Ini-
tiative des Bundesrates aber weiter dafür Sorge tragen,
das Unrecht etwas abzumildern, und den Opfern in Teil-
bereichen ein Stück weit entgegenkommen.

In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden
Beratungen und bedanke mich fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704911400

Das Wort hat nun Halina Wawzyniak für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704911500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz
soll erneut geändert werden. Der in der letzten Wahlpe-
riode neu eingeführte § 17 a soll umfangreiche Änderun-
gen erfahren, Änderungen, die zumindest die handwerk-
lich groben Unzulänglichkeiten des bisherigen Gesetzes
beseitigen und damit die Zahl der Berechtigten, die eine
monatliche Opferrente erhalten sollen, erhöhen. Deshalb
– jetzt ist Ihre Aufmerksamkeit gefragt – wird meine
Fraktion dem Gesetz auch zustimmen. Denn die Verbes-
serungen, die die bundesweit geschätzten 3 000 An-
spruchsberechtigten erfahren, sind zu begrüßen.


(Beifall bei der LINKEN)


Insgesamt aber bleiben das Gesetz und insbesondere
der § 17 a weit hinter den Anforderungen an ein gerech-
tes Opferrentengesetz zurück. Die Fraktion Die Linke
hatte bereits in der 16. Wahlperiode einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der solchen Anforderungen standhalten
würde.

Die Linke fordert eine Opferrente, unabhängig von
dem aktuellen Einkommen der Betroffenen, in Höhe von
511 Euro. Wir wollen, dass weitere Personengruppen,
die in der DDR politisch verfolgt wurden, Anspruch auf
eine solche Rente erhalten; dabei handelt es sich bei-
spielsweise um Schülerinnen und Schüler, denen aus
politischen Gründen ein Bildungsweg versagt wurde,
oder um Bürgerinnen und Bürger, die Opfer von Zerset-
zungsmaßnahmen wurden. Wir wollen, dass ehemals In-
haftierte nicht bürokratisch nachweisen müssen, dass sie
gesundheitliche Schäden erlitten haben. Wir plädieren
dafür, dass es keine Befristung für Anträge auf Opferren-
ten gibt.

Bedauerlich ist, dass die Nutznießer des neuen § 17 a
nur jene Opfer von DDR-Unrecht werden, die mittler-
weile zu den Ärmsten zählen. Das wirkt so, als ginge es
weniger um eine Opferrente denn um einen Sozialaus-
gleich, der Armut lindern soll. Die Botschaft dabei ist:
Gewürdigt wird nicht mehr das Engagement der Betrof-
fenen für Demokratie, Bürgerrechte und Freiheit zu
DDR-Zeiten. Gewürdigt wird lediglich die aktuelle Be-
dürftigkeit der Anspruchsberechtigten im heutigen All-
tag. Genau das ist zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Das in Art. 17 des Einigungsvertrages formulierte
Ziel einer unverzüglichen und angemessenen Entschädi-
gung der Opfer von politischem Unrecht in der DDR
wird auch mit dieser Änderung nicht erreicht. Mit den
bestehenden Gesetzen zur berufsrechtlichen Rehabilita-
tion und auch mit der hier und heute zu beratenden Ge-
setzesänderung wird dieses Ziel bedauerlicherweise
nicht verfolgt. Lassen Sie mich in Kürze nochmals un-
sere Kritikpunkte zusammenfassen:

Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum an der ho-
hen Mindesthaftdauer von sechs Monaten – nunmehr
präzisiert: 180 Tage – festgehalten wird. Auch durch
eine Haft von unter sechs Monaten können Inhaftierte in
ihrer Menschenwürde grob verletzt werden. Der Einsatz

für die Grundwerte der Demokratie und des Rechtsstaa-
tes sollte unabhängig von der Haftdauer prämiert wer-
den.

Wir fordern, alle Antragsfristen in den Rehabilitie-
rungsgesetzen komplett zu streichen. Oftmals brauchen
die Opfer längere Zeit, um die für sie negativen und zum
Teil auch sehr traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu
können. Der Gesetzgeber hat zu respektieren, dass sich
die Betroffenen beim Umgang mit ihrer Biografie von
höchstpersönlichen Grundsätzen leiten lassen. Das Be-
dürfnis der Verwaltungen, Vorgänge in begrenzter Zeit
abschließen zu wollen, muss hinter dem Anspruch der
Betroffenen zurückstehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind der Ansicht, dass die den Opfern auferlegte
Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen der frei-
heitsentziehenden Maßnahme und der infolge dieser
Freiheitsentziehung erlittenen Schädigung zumindest in
eine Beweisvermutung umgewandelt werden sollte. Dies
erspart den Betroffenen neues Leid durch die aufwen-
dige und langwierige Anerkennung der Folgeschäden.
Es ist demütigend und ungerecht, für einen Anspruch auf
Haftfolgeschäden entwürdigende Gesundheitsprüfun-
gen über sich ergehen lassen zu müssen.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es auch an
Ihren eigenen Ansprüchen vorbeigeht, dass die Unterstüt-
zungsleistung in Abhängigkeit vom Einkommen gewährt
wird. Ich frage Sie: Welchen Status hat eine Anerken-
nung durchlittenen Unrechts, die vom Einkommensni-
veau der Bezugsberechtigten abhängig gemacht wird?
Wollen Sie den Mut dieser Menschen ehren, oder wollen
Sie eine bisweilen demütigende Offenlegung ihrer Ein-
kommensverhältnisse?

Es bleibt zum Schluss nur festzustellen, dass auch
durch diese Gesetzesänderung keines der benannten Pro-
bleme gelöst wird. Trotzdem gebieten es der Respekt
und die Achtung vor den Leistungen der in der DDR
politisch Verfolgten, dieser Gesetzesänderung zuzustim-
men. Wir als die Fraktion Die Linke und auch wir als
Partei sind uns unserer Verantwortung in dieser Frage
sehr bewusst.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704911600

Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Wieland für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704911700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, viel-
leicht können wir uns ja darauf einigen, dass jedenfalls
der Schlusssatz von Gesine Schwan, wonach wir alle uns
die Frage stellen müssen, ob wir uns der Opfer des
17. Juni immer würdig erweisen, von uns allen unter-
stützt werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD])






Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


Wenn es so ist – es fällt Ihnen schwer, das anzuerkennen;
ich sehe das, aber denken Sie darüber nach –, muss ich
das Wort zunächst natürlich an die Linksfraktion richten.

Frau Kollegin Wawzyniak, ich muss Ihnen sagen, was
ich in der Vergangenheit auch Ihrem Kollegen Schneider
immer gesagt habe: Sie sagen hier, Sie übernähmen die
Verantwortung. Wir haben wieder kein Wort der Ent-
schuldigung gehört, wir haben kein Wort der Reue ge-
hört, und vor allen Dingen fehlt nach wie vor jede finan-
zielle Geste Ihrer Partei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das wird nicht richtiger, wenn es immer wiederholt wird!)


Ich habe es schon einmal gesagt: Sie benehmen sich wie
ein Angeklagter, der sich seinen Taten nicht stellt, der
nicht um Entschuldigung bittet und der keine Reue zeigt,


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sollen wir uns alle aufhängen? Was wollt ihr denn?)


sondern sagt: Der Hauptskandal ist, dass dieser Staat
meine Opfer nicht richtig entschädigt. – Das halten wir
für nicht glaubwürdig, um das hier noch einmal ganz
deutlich zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704911800

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Wawzyniak?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704911900

Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage.


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704912000

Herr Kollege Wieland, würden Sie zur Kenntnis neh-

men, dass bereits auf dem Sonderparteitag der SED/PDS
eine Entschuldigung der SED an das Volk der DDR er-
folgt ist? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es di-
verse Erklärungen gibt, in denen die Vorgängerpartei der
Linken, die PDS, sich beim Volk der DDR für das be-
gangene Unrecht entschuldigt hat? Würden Sie zur
Kenntnis nehmen, dass es bei uns einen jahrelangen Pro-
zess der intensiven Auseinandersetzung mit unserer ei-
genen Vergangenheit gegeben hat?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704912100

Ich habe gerne zur Kenntnis genommen, Frau Kolle-

gin Wawzyniak, dass es diese Erklärungen gab, aber uns
reichen papierene Erklärungen nicht aus. Wir wollen
auch Handlungen sehen. Wir wollen nicht sehen, dass
Ihre gerade gewählte Parteivorsitzende beispielsweise zu
Versammlungen früherer Tschekisten geht und dort
Grußbotschaften ausrichtet. Wir wollen nicht hören, dass
Ihre gerade gewählte stellvertretende Parteivorsitzende
uns unentwegt erklärt, wir sollten auch die guten Seiten

an Stalin sehen, wir sollten in Walter Ulbricht den gro-
ßen Staatsmann sehen usw. usf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch! So ein Unfug!)


Ihr Kollege Dietmar Bartsch gibt uns gerade die Ehre
seiner Anwesenheit. Er könnte wie kein Zweiter sagen,
wo das Parteivermögen der SED geblieben ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade hat die Bundesrepublik einen Prozess in der
Schweiz gewonnen. Vor dem Obergericht des Kantons
Zürich ging es um 230 Millionen Euro. Es ging um Gel-
der, die Ihre Partei auf dem Umweg über Novum bzw.
über die sogenannte rote Fini hinter die sieben Berge in
die Schweiz geschafft hat, nach dem Vorbild der kapita-
listischen Steuerhinterziehung. Von denen zu lernen, ha-
ben Sie sich vermutlich gesagt, heißt, überleben zu lernen.
Das ist der Umgang Ihrer Partei mit der Vergangenheit in
der Praxis. Der Kollege Bartsch hat dazu laut Focus ge-
sagt: „Das ist eine Geschichte aus dem vorigen Jahrhun-
dert“. Sagen Sie bitte nicht, dass Sie mit Ihrer Vergangen-
heit ernsthaft abgerechnet hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben vor drei Jahren das Gesetz zur Zahlung ei-
ner Opferpension beschlossen. Rot-Grün hatte es nicht
geschafft; auch Schwarz-Gelb hatte es nicht geschafft.
Die Große Koalition hat es gemacht. Wir haben es sei-
nerzeit anerkannt, weil es immerhin ein erster Schritt
war. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, welche
Mängel noch bestehen. Ich erinnere mich lebhaft an die
Diskussionen mit den Opferverbänden in Görlitz, Herr
Kollege Vaatz. Man kann zwar nicht jedem Wunsch
nachgeben; aber man muss gerade bei diesem Thema, zu
dem sozusagen eine Mängelrüge gekommen ist und uns
gesagt wurde, was wir als Gesetzgeber schlecht geregelt
haben – Frau Kollegin Steffen hat darauf hingewiesen –,
ernsthaft darüber diskutieren, welche Änderungen man
vornimmt, beispielsweise bei den Kinderfreibeträgen.

Wir dürfen angesichts der kleinen Änderungen nicht
vergessen, dass die großen Schritte tatsächlich ausblei-
ben. Ich will nur die wichtigsten Mängel benennen. Wir
haben keine echte Ehrenpension, sondern nach wie vor
nur eine Haftentschädigung. Immerhin gibt es sie, aber
es ist nur eine Haftentschädigung. Eine Entschädigung
für alle Opfer und Verfolgten fehlt nach wie vor.

Es bleibt auch bei dem Erfordernis von sechs Mona-
ten Haft, auch wenn es jetzt 180 Tage sind. Die Formu-
lierung „180 Tage“ ist sicherlich richtig; aber es stellt
sich die Frage, was mit denen ist, die kürzer in Haft wa-
ren. Wie wir wissen, gab es nach der Schlussakte von
Helsinki kürzere Strafen. Dieses Problem muss gelöst
werden.





Wolfgang Wieland


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben die große Frage der Einbeziehung des so-
genannten rentenrechtlichen Nachteilsausgleichs zu be-
antworten. Dass gerade diejenigen, die besonders gelit-
ten haben und besonders verfolgt wurden, nunmehr eine
Anrechnung des Nachteilsausgleichs auf die Opferpen-
sion erleiden, erscheint uns widersinnig. Das hat der
Bundesrat bisher nicht bedacht; es ist nicht berücksich-
tigt worden.

Es gibt, wie Sie wissen, keine Entschädigung für Op-
fer von Zersetzungsmaßnahmen, die beispielsweise in
die Zwangspsychiatrie eingewiesen wurden, und es gibt
keine Entschädigungen für verfolgte Schülerinnen und
Schüler. Wer in den 50er-Jahren aus politischen Gründen
seinen Schulabschluss nicht machen durfte und bis 1969
nur auf niedrigster Stufe am Erwerbsleben teilhaben
durfte, erhält bisher nichts. Hier sind bedeutende Grup-
pen nicht bedacht und teilweise auch ausgegrenzt wor-
den.

Wir werden diesem Gesetzentwurf, wenn er im Ver-
fahren noch stimmiger gemacht werden wird, zustim-
men. Wir sind uns aber bewusst, dass dies nur ein kleiner
Schritt ist. Wir haben mit Interesse vernommen, dass der
Koalitionsarbeitskreis daran arbeitet; dies hat der Kol-
lege Buschmann ja gesagt. Vielleicht wird an dieser
Stelle etwas daraus; richtig hoffen tut man es nicht mehr.
Aber wir werden uns dies alles mit Interesse ansehen
und warten mit Spannung auch auf diese Ergebnisse;
denn es gilt leider heute noch: Zu viele Opfer sind aus-
gegrenzt, zu viele Opfer sind vergessen. Wir meinen: So
darf es nicht bleiben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704912200

Eine Kurzintervention des Kollegen Dietmar Bartsch.


Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704912300

Herr Kollege Wieland, es ist günstig, dass es sich so

trifft, dass ich auf Sie sofort Bezug nehmen und den Un-
sinn, der immer wieder gern behauptet wird, hier noch
einmal klarstellen kann. Ich will dies politisch überhaupt
nicht werten, sondern nur die sachlichen Fakten nennen.

Erstens. Wir, die PDS, haben notariell auf sämtliches
Auslandsvermögen verzichtet.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Notariell! Wer da lacht, sollte wirklich das erste Se-
mester Jura nachmachen. – Wir haben notariell auf sämt-
liches Auslandsvermögen verzichtet.

Zweitens. Wir haben vor dem Oberverwaltungsge-
richt in Berlin einen Vergleich zu sämtlichem SED-Ver-
mögen abgeschlossen. Nach diesem Vergleich ist weder
vom Geldvermögen noch von anderem Vermögen etwas
übrig geblieben, abgesehen von ausschließlich vier Im-
mobilien, die bekannt sind. Wir haben uns in diesem
Vertrag gleichzeitig dazu verpflichtet, das Dreifache an
Strafe zu zahlen, sollte irgendein Vermögensgegenstand
auftauchen, von dem auch nur irgendeiner aus der Füh-

rung der Partei etwas weiß. Das sind die sachlichen Fak-
ten.

Es ist nie etwas aufgetaucht,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ein Zufall!)


was unserem Vermögen zugeordnet werden konnte und
was zu einer Strafzahlung geführt hätte. – Wollen Sie
Rechtsstaatlichkeit oder nicht? Die gesamten Vermö-
gensfragen sind rechtsstaatlich abgewickelt worden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Vermögen ist für den Aufbau in den neuen Ländern
zur Verfügung gestellt worden. Tun Sie in der Öffent-
lichkeit nicht immer so, als hätte die Linke in irgend-
einer Weise irgendetwas vom Vermögensbestand der
SED übernommen. Es ist schlicht die Unwahrheit, und
sie wird auch durch ständige Wiederholung nicht besser.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist bei der CDU und der FDP ein bisschen anders gewesen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704912400

Kollege Wieland, bitte schön.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704912500

Lieber Herr Kollege Bartsch, die Realität ist, dass die

eigens vom Bundestag dafür eingerichtete Kommission,
die das Parteivermögen aufspüren sollte, in ihrem Schluss-
bericht festgestellt hat, dass dies trotz Einsatzes von De-
tektiven nur zu einem kleinen Teil möglich gewesen sei
und dass das Geld beiseitegeschafft und versteckt worden
sei. Sie können uns hier doch nicht ernsthaft erzählen,
dass wir arglos auf notarielle Versicherungen von Ihnen
vertrauen sollen, dass dieses Geld nicht an Sie zurück-
fließt, wie auch immer. Nun sollen wir denen, die es bei-
seitegeschafft haben – Sie wissen doch genau, wovon ich
rede, Herr Kollege; die Strafprozesse haben doch seiner-
zeit auch stattgefunden – vertrauen, dass sie es melden,
sobald sie es wieder in die Hände bekommen? Dies tun
wir ausdrücklich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704912600

Nun haben Sie, lieber Kollege Vaatz, das Wort.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1704912700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal muss man sagen: Dass die Op-
ferpension schließlich gekommen ist, nach so vielen Jah-
ren, ist ein großer Erfolg gewesen. Wir sollten das im
Nachhinein auch nicht grundsätzlich zerreden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben insgesamt für 50 000 Menschen – das
muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen
lassen –, von denen jeder Einzelne länger als ein halbes
Jahr in Haft gesessen hat, eine Anerkennung zustande





Arnold Vaatz


(A) (C)



(D)(B)


gebracht, die sie regelmäßig auf ihrem Konto sehen und
die ihnen ein Stück ihres Vertrauens darauf zurückgibt,
dass der Rechtsstaat seine Vorkämpfer nicht vergisst.
Dies halte ich für ein ganz wichtiges Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Wieland, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie
sagen, auch dieses Gesetz habe wie viele Gesetze einige
Mängel gehabt. Wenn Sie allerdings aufrichtig sind,
dann müssen Sie feststellen, dass die Mängel genau an
den Stellen zutagegetreten sind – das gilt jedenfalls für
die, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beseitigt
werden sollen –, über die wir in unseren Ausschüssen ei-
gentlich gar nicht diskutiert hatten. Wir haben uns im
Wesentlichen um andere Punkte gekümmert als die, die
wir jetzt verbessern wollen. Es ist meines Erachtens
dringend notwendig, dass wir das tun, und wir tun es an
den richtigen Stellen. Das Kindergeld ist für die Kinder
da und darf nicht auf das Gesamteinkommen angerech-
net werden. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist:
Die technischen Dinge, die bei der Entlassung eines
Strafgefangenen in der DDR eine Rolle gespielt haben,
dürfen sich nicht zufällig gegen den auswirken, der aus
rein logistischen Gründen eine Woche eher entlassen
worden ist. Das darf nicht dazu führen, dass er die ihm
zustehende Opferpension nicht erhält. Deswegen werden
wir das korrigieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auf die Unwürdigkeit von schweren Straftätern ein-
zugehen, die allerdings auf der anderen Seite die Krite-
rien für die Opferpension erfüllen, erspare ich mir; denn
dazu ist schon etwas gesagt worden. Ich lehne es ab, dass
die vielen Menschen, die unschuldig eingesperrt worden
sind, in einen Zusammenhang mit solchen Menschen
gebracht werden. Das darf nicht sein. Dem müssen wir
einen Riegel vorschieben, und das werden wir tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Wawzyniak, ich hatte bei Ihrer Rede den Ein-
druck, dass sich so, wie Sie sich verhalten, ein Versiche-
rungsbetrüger verhält, der bewusst einen riesigen Scha-
den anrichtet und dann von der Gemeinschaft fordert,
dass sie für diesen Schaden aufkommt, und die Kosten
noch hochrechnet, um die Gemeinschaft möglichst stark
zu schädigen. Das war Ihre prinzipielle Herangehens-
weise. Das darf bei uns nicht verfangen. Ich bin nicht der
Meinung, dass das aus Ihrer Sicht in erster Linie eine
Geste gegenüber den Opfern ist. Sie gehören zu einem
Jahrgang, der dafür sicher nicht verantwortlich zu ma-
chen ist; aber diejenigen, die Ihre Partei in Ostdeutsch-
land hauptsächlich tragen, sind sehr wohl damit in Zu-
sammenhang zu bringen. Ich bin nicht der Meinung,
dass Sie in erster Linie für die Opfer plädiert haben. Was
Sie machen, folgt einer allgemeinen Logik, die Sie seit
1990 verfolgen. Sie haben nämlich die Absicht, die Ih-
nen verhasste bürgerliche Gesellschaft durch Überforde-
rung zu zerstören. Das ist das Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der LINKEN)


Bei allen Punkten, bei denen Sie in der Lage sind, das zu
tun, schrauben Sie Ihre Forderungen ins Unermessliche
und gerieren sich dann als ein Streiter für die Schwa-
chen.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist albern!)


Was wirklich dabei herauskommt, ist genau das Ge-
genteil. Sie überfordern die Gesellschaft und stellen
neue Ungleichheiten her. Ich muss in diesem Zusam-
menhang an die Diskussion erinnern, die wir bei der Ein-
führung der Opferpensionen hatten. Da ging es darum
– das haben im Wesentlichen unsere sozialdemokrati-
schen Freunde thematisiert –, dass wir SED-Opfer nicht
schlechter und vor allen Dingen nicht besser als Naziop-
fer behandeln sollen. Daran kann ich mich noch ganz ge-
nau erinnern.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Gleichbehandlung, ja!)


Genau nach diesen Kriterien haben wir uns gerichtet.
Auf dieser Basis wurden letztlich die Höhe der Pensio-
nen festgelegt und die Regelungen über die Vorausset-
zung der Haftzeit und den Bedürftigkeitsnachweis ge-
troffen.

Wir wissen alle, dass wir mit Geld die Zerstörungen,
die Menschen in der DDR erlitten haben, nicht wieder-
gutmachen können. Wir können weder zerstörte Biogra-
fien noch zerstörte Ehen oder eine zerstörte Gesundheit
mit Geld kompensieren. Das ist nicht möglich. Diese un-
kompensierbaren Spätfolgen sind es, die nach wie vor an
den Betroffenen fressen und die ihnen schlaflose Nächte
bereiten. Diese Schäden sind aber nicht das Einzige, was
die meisten beschwert. Viele – auch ich – leiden unter
dem allgemeinen Klima der Rehabilitation der DDR, das
sich großer Teile unserer Gesellschaft bemächtigt hat.

Zum heutigen Tage passt, was auf der Website einer
Kollegin der Linken zu lesen ist. Es gehe ihr nicht da-
rum, schreibt sie, von Angehörigen des MfS begangene
Verfehlungen oder sogar Verbrechen zu verharmlosen.
Schließlich hätten sich solche Handlungen oft genug ge-
gen subjektiv überzeugte Sozialisten und linke Opposi-
tionelle gerichtet und schließlich in erster Linie dem So-
zialismus geschadet. So schreibt die innenpolitische
Sprecherin der Linken auf ihrer Website.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
nach welchen Regeln Sie innerhalb Ihres Vereins mitei-
nander umgegangen sind, das ist zwar nicht ganz, aber
doch eher Ihre Sache. Studenten, die sich freiwillig
schlagenden Verbindungen anschließen, müssen sich
nachher nicht über ihre zerschnittenen Gesichter bekla-
gen.

Ernst wird es allerdings dann, wenn Sie über Unbetei-
ligte herfallen. Die Kernfrage an Sie ist, mit welchem
Recht Sie über wehrlose Menschen hergefallen sind, die
nicht zu Ihrem Verein gehört haben und die nicht Ihre
Utopien geteilt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das hat Ihre Kollegin in keiner Weise erwähnt. Ganz im
Gegenteil, Ihren heutigen Verlautbarungen ist immer





Arnold Vaatz


(A) (C)



(D)(B)


noch zu entnehmen, dass Sie wie eh und je unter den Op-
fern zwischen besonders hervorhebenswerten wertvollen
Menschen, nämlich den Linken und den subjektiv über-
zeugten Sozialisten, und dem nicht besonders hervorhe-
bungswürdigen Rest unterscheiden. Das macht Ihre Ar-
gumentation gespenstisch, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Ministerium für Staatssicherheit war kein ver-
meidbarer Makel des sozialistischen Staates. Die Exis-
tenz eines so brutalen und jeder öffentlichen Kontrolle
entzogenen Unterdrückungsinstruments war vielmehr
eine notwendige Bedingung für den Fortbestand des so-
zialistischen Experiments. Für das, was die SED wirk-
lich unter dem Aufbau des Sozialismus verstand, wurde
niemals das Einverständnis der Bevölkerung eingeholt.
Auf demokratische Zustimmung zu diesem Experiment
konnte man aber verzichten, weil mit dem MfS ein In-
strument zur Hand war, mit dem man die Uneinsichti-
gen, die Abweichler und alle Feinde des Sozialismus
auch so niederhalten konnte.

Wenn Sie in Ihrem Programm schreiben, dass Sie „in
einem großen transformatorischen Prozess gesellschaft-
licher Umgestaltung für den demokratischen Sozialis-
mus des 21. Jahrhunderts“ kämpfen, und hinzufügen,
dass dieser Prozess „von Brüchen und Umwälzungen
mit revolutionärer Tiefe“ gekennzeichnet sei, und ande-
rerseits fortwährend Terrorinstrumente wie das Ministe-
rium für Staatssicherheit reinwaschen und verharmlosen,
dann ahnt man, was Sie mit dieser Ankündigung wirk-
lich meinen. Wenn Sie die Macht dazu hätten, wären Sie
sofort bereit, die Einschüchterungs-, Gleichschaltungs-
und Unterdrückungsmechanismen der DDR zu Ihrer
Machtsicherung wieder zu verwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist eine Frechheit! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist eine grobe Unterstellung!)


Ihre fortwährende Verteidigung von politischen Syste-
men wie beispielsweise in Kuba, wo genau diese Sys-
teme noch völlig unversehrt arbeiten, zeigt das doch,
meine Damen und Herren. Wenn Sie dieses Land vertei-
digen, dann denken Sie in denselben Kategorien. Dann
schwebt Ihnen ein genauso geartetes Staatsgebilde vor.

Ein solches lehnen wir aber ab. Das ist für uns vorbei.
Aus diesem Grunde müssen wir Ihnen widersprechen.
Es gehört zur Rehabilitierung der Opfer, dass wir Ihnen
das regelmäßig ins Gesicht sagen, bis Sie Ihre Meinung
ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704912800

Das Wort hat nun Hans-Joachim Hacker für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1704912900

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Auch wenn andere an dieser Stelle

schon an den 17. Juni erinnert haben, will ich es eben-
falls tun, weil mir das am Herzen liegt; denn eine Dis-
kussion im Deutschen Bundestag am 17. Juni zur Reha-
bilitierung von Opfern der SED-Diktatur und zur
Verbesserung ihrer sozialen Lage kann nicht geführt
werden, ohne an die Ereignisse vor 57 Jahren in Ostber-
lin und in der DDR zu erinnern.

Am 17. Juni 1953 streikten und demonstrierten über
1 Million Menschen in der DDR. Die Protestbewegung
wurde von angekündigten Normerhöhungen ausgelöst.
Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen wurden die
Forderungen nach freien Wahlen, nach Demokratie und
nach staatlicher Einheit der deutschen Nation erhoben.
Sowjetpanzer und DDR-Organe walzten den Volksauf-
stand nieder und retteten damit das SED-Regime. – Den
historischen Auftrag des gescheiterten Volksaufstandes
1953 haben die Demonstranten im Herbst 1989 erfüllt.
Er findet in der deutschen Einheit seine Vollendung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erinnerung an
diese geschichtlichen Ereignisse erfasst auch die Schick-
sale jener Frauen und Männer, die in der sowjetischen
Besatzungszone und in der DDR aus politischen Grün-
den verfolgt wurden, die im Gefängnis saßen, die Ver-
waltungsunrecht erlitten haben und die beruflich diskri-
miniert wurden. Das Ende der SED-Diktatur hat die
Chance eröffnet, politisch Verfolgte zu rehabilitieren und
Regelungen für Kapitalentschädigungen und soziale
Ausgleichsleistungen zu treffen.

Wir diskutieren heute, 20 Jahre nach Wiederherstel-
lung der deutschen Einheit, immer noch dieses Thema.
Ich kann mich entsinnen: Im Jahr 1992 habe ich im
Deutschen Bundestag zum Ersten SED-Unrechtsbereini-
gungsgesetz gesprochen, dessen Kern das Strafrechtliche
Rehabilitierungsgesetz ist. Ich habe von den Vorrednern
die Vorstellung gehört, dass wir jetzt noch mehr machen,
als im Entwurf steht.

Ich glaube, es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass
wir wirklich eine Abschlussgesetzgebung machen. Es
kann hierbei, Herr Kollege Vaatz, nicht darum gehen,
wieder das Argument „Überforderung des Staates“ anzu-
führen. Das ist eine Diskussion, die ich seit 1990 kenne.
Es waren immer fiskalische Gründe, meist vom BMF
vorgebracht, die dazu geführt haben, dass wir keine aus-
reichenden Regelungen getroffen haben. Frau Voßhoff,
Sie wissen das so gut wie ich. Ich denke, wir sollten jetzt
einen solchen Versuch unternehmen.

Bereits im Sommer 1990 hatte die Volkskammer ei-
nen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Wir
haben mit dem Bundesratsentwurf jetzt die Chance, ein
Abschlussgesetz zu verabschieden. Ich will noch einmal
an die Geschichte der Rehabilitierungsgesetzgebung so-
wie an die Schwachpunkte erinnern, die damals unter
Schwarz-Gelb in das Gesetz Eingang gefunden haben.

Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
1992 wurden ehemalige Häftlinge in Ost und West un-
terschiedlich entschädigt. Die Angehörigen der in politi-
scher Haft, an der Mauer und an der innerdeutschen
Grenze Umgekommenen fanden keinen Platz in den Ent-
schädigungsregelungen.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704913000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Vaatz?


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1704913100

Bitte schön, Herr Kollege Vaatz.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1704913200

Herr Kollege Hacker, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass ich die Wendung mit der Zerstörung der
Gemeinschaft durch Überforderung nur zur Charakteri-
sierung der Motivlage für die Einwendungen der Linken
benutzt habe, aber als Motiv für die Bemessung der Op-
ferpensionen unsere gemeinsame Vereinbarung genannt
habe, nach der wir Opfer des SED-Regimes nicht
schlechter und nicht besser behandeln wollen als Opfer
des Nazi-Regimes?


Hans-Joachim Hacker (SPD):
Rede ID: ID1704913300

Kollege Vaatz, wenn Sie das so meinen, kann ich das

mittragen. Ich denke aber, diese Verbindung von „Über-
forderung des Staates“ und „Leistungen für politisch
Verfolgte in der DDR“ musste zu der Klarstellung füh-
ren. Das war etwas missverständlich formuliert.

Ich will all die Gruppen, die in der ersten Runde der
Rehabilitierungsgesetzgebung nicht erfasst worden sind,
nicht aufzählen. Ich finde, ein markantes Beispiel war
die ursprünglich nicht geplante Einbeziehung der
Zwangsausgesiedelten, die im Rahmen der „Aktion Un-
geziefer“ und der „Aktion Kornblume“ ihr Vermögen
verloren hatten. Dass sie es nicht wiederbekommen soll-
ten, war für mich völlig unverständlich. Erst durch den
Druck der Betroffenen und auch der SPD ist es gelun-
gen, für sie eine Entschädigungsregelung zu finden.

Wir haben unter Rot-Grün – Herr Wieland, das will
ich noch einmal ins Gedächtnis rufen – die gravierenden
Fehler der Vorgängerregierung aufgegriffen und besei-
tigt.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt, aber leider keine Opferpension!)


Wir haben damals die Angleichung der Entschädigungs-
beträge geregelt: Alle haben den gleichen Anspruch auf
Haftentschädigung. Wir haben Leistungen für die Ange-
hörigen eingeführt. Wir haben für die Zivildeportierten
– sie haben in der Diskussion heute bislang keine Rolle
gespielt – die Stiftungsleistungen verfünffacht.

Was wir nicht regeln konnten – das lag aber daran,
dass das in die Zuständigkeit der Länder fällt –, war die
Frage der gerechten Bewertung verfolgungsbedingter
Gesundheitsschäden. Das ist ein Makel, der auch heute
noch im Raume steht. Ich denke, die Diskussion um den
vorgelegten Gesetzentwurf muss diese Thematik noch
einmal aufnehmen, Herr Kollege Vaatz. Wir waren im
Jahre 2005 schon einmal kurz vor einer Lösung. Ich be-
daure, dass diese Idee nicht weiter verfolgt worden ist.
Mediziner selbst sagen, dass bei der Begutachtung oft
die Fachkompetenz für die speziellen Fragen wie Brü-

ckenschäden und Posttraumata fehlt. Ich denke, das darf
nicht aus dem Blick geraten.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Geht aber nicht ohne die Länder!)


– Das hatte ich gesagt.

Der vom Bundesrat vorgelegte Entwurf beinhaltet im
Wesentlichen ja eine Änderung des § 17 a des Straf-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Meine Kollegin
Sonja Steffen ist darauf eingegangen. Ich will das hier
nicht weiter vertiefen. Wir haben jetzt die Chance, statt
einen Schlussstrich unter die Rehabilitierung zu ziehen,
wie das wohl mancher auch in diesem Hause gerne
möchte, die Vorschläge der Opferverbände und die Vor-
schläge aus der Konferenz der Landesbeauftragten für
die Stasi-Unterlagen noch einmal zu bewerten und auf
ihre Umsetzung hin zu prüfen. Diese Chance sollten wir
nutzen.

Der Deutsche Bundestag, denke ich, ist sich in seiner
Mehrheit der politischen und moralischen Verantwor-
tung gegenüber allen Menschen bewusst, die sich in der
Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR für Frei-
heit, Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde
eingesetzt haben. Dies ist und dies bleibt weiterhin eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704913400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1215 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg),
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD

Herausforderung Millenniums-Entwicklungs-
ziele

– Drucksache 17/2018 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Steigerung der Entwicklungshilfequote auf
0,7 Prozent gesetzlich festlegen

– Drucksache 17/2024 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Mit dem Global Green New Deal die Millen-
niumsentwicklungsziele erreichen

– Drucksache 17/2132 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1704913500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist fünf vor zwölf – und es ist fünf Jahre vor
2015 –, wenn wir noch die Millenniumsentwicklungs-
ziele erreichen wollen, die sich im Jahr 2000 189 Staats-
und Regierungschefs dieser Welt zum Ziel gesetzt ha-
ben, nämlich die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu
halbieren, allen Kindern eine Grundschulbildung zu er-
möglichen, die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch
zu reduzieren sowie eine gerechte Weltwirtschaftsord-
nung zu schaffen, um nur einige der acht Millenniums-
entwicklungsziele, abgekürzt: MDGs, zu nennen.

Im September dieses Jahres findet eine Überprü-
fungskonferenz der Vereinten Nationen statt, um zu
schauen, wo man im Jahre 2010, fünf Jahre vor dem
Stichjahr 2015, steht. Nachdem es 2000 bis 2005 Fort-
schritte gegeben hat, ist nun leider festzustellen, dass es
in den letzten Jahren wieder Rückschritte gibt. So liegt
die Zahl der Hungernden, die bis 2005 auf 850 Millionen
gesunken war, nun wieder bei über 1 Milliarde Men-
schen. Täglich sterben nach wie vor etwa 25 000 Men-
schen an den Folgen von Hunger und Armut.

Wir sehen, dass die Erreichung der MDGs in den
nächsten fünf Jahren nur schwer möglich ist. Wir als
SPD-Fraktion sagen aber auch: Sie ist nicht unmöglich.
Deshalb legt die SPD-Fraktion heute in ihrem Antrag ei-
nen umfassenden Aktionsplan vor, dessen Umsetzung
die Erreichung dieser Ziele in den nächsten fünf Jahren
noch möglich machen würde, und wir bitten um Ihre Un-
terstützung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich mehr in
die Schlüsselbereiche ländliche Entwicklung, Bildung,
Gesundheit und in den Aufbau sozialer Sicherungssys-
teme zu investieren. Wir fordern die Bundesregierung
auch auf, in Ergänzung zu dem 12-Punkte-Aktionsplan
der EU eigene Vorschläge zu machen, einen eigenen Ak-
tionsplan vorzulegen und dann auf der Konferenz der
Vereinten Nationen im September maßgeblich einen Ak-
tionsplan mitzugestalten, mit dem dafür gesorgt wird,
dass die in 2000 gefassten Ziele in den nächsten Jahren
noch erreicht werden. Es steht viel auf dem Spiel. Es ste-
hen Millionen Menschenleben auf dem Spiel. Deshalb
müssen wir jetzt handeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um der Bundesregierung Arbeit zu ersparen, haben
wir in unserem Antrag einen Aktionsplan erstellt, den sie
gerne übernehmen darf. Allerdings ist eine ausreichende
Finanzierung die Voraussetzung für diesen Aktionsplan
und auch für die Erreichung der MDGs insgesamt.

In der Anhörung unseres Ausschusses, die wir diese
Woche hatten, hat Herr Stelzer von den Vereinten Natio-
nen den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit den
Worten zitiert: Wir brauchen nicht neues, zusätzliches
Geld, um die Ziele zu erreichen, sondern wir brauchen
die Einhaltung der Zusagen und der Versprechen, die die
Industrieländer bereits gemacht haben. – Aber diese Ver-
sprechen wurden von Deutschland und dieser Regierung
eiskalt gebrochen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Was habt ihr gemacht? Gar nichts in den letzten Jahren!)


Deutschland hat sich im Jahre 2005 dank des Engage-
ments unserer damaligen Entwicklungsministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul verpflichtet, im Jahr 2010
0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Ent-
wicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Die
Kanzlerin hat dies immer wieder zugesagt. Aber sie hat
zusammen mit Entwicklungsminister Niebel dieses Ver-
sprechen gebrochen. In diesem Jahr stehen nämlich le-
diglich 0,4 Prozent zur Verfügung.

Wer glaubt noch daran, dass diese Regierung das Ver-
sprechen einhält, bis zum Jahre 2015 0,7 Prozent zur
Verfügung zu stellen angesichts der Tatsache, dass Ent-
wicklungsminister Niebel vor wenigen Tagen in einem
Schreiben zwar geäußert hat, dass er zu diesem Ziel
steht, aber der stellvertretende Vorsitzende der FDP-





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)


Fraktion und Haushälter Koppelin öffentlich bekundet,
dass das alles Unsinn ist und dass wir die 0,7 Prozent nie
erreichen werden? Was diese Regierung da tut, ist doch
Heuchelei. Es ist schäbig, mit den ärmsten Menschen
dieser Welt so umzugehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich höre vom Entwicklungsminister immer, dass es
ihm um mehr Effizienz geht. Damit will er natürlich dem
Fall vorbeugen, dass die finanziellen Zusagen nicht ein-
gehalten werden. Wenn ich entsprechende Aussagen
höre nach dem Motto „Mit weniger Geld schaffen wir
mehr“, dann könnte ich vor Wut durch die Decke,
sprich: durch die Kuppel, springen.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Das möchte ich einmal sehen!)


Sie sprechen zwar von Effizienz, aber tun genau das
Gegenteil. Um mehr Effizienz in der Entwicklungszu-
sammenarbeit zu erreichen, hat man sich in Paris und in
Acera auf internationalen Konferenzen darauf verstän-
digt, dass nicht jedes Land sozusagen nationale Fahnen
auf die Projekte steckt und nicht Tausende von unabge-
stimmten Projekten in Entwicklungsländern initiiert
werden. Man hat sich vielmehr auf eine international ab-
gestimmte Zusammenarbeit geeinigt. Was macht aber
dieser Entwicklungsminister? Er sagt, dass nur ein Drit-
tel der Mittel für multilaterale Projekte, also für mit an-
deren Nationen abgestimmte Projekte, ausgegeben wer-
den. Er will zwei Drittel der Mittel für Maßnahmen
ausgeben, damit Deutschland auf Projekte die deutsche
Fahne setzen kann. Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Ihnen
geht es nicht um eine Verbesserung der Effizienz im In-
teresse der Ärmsten der Armen, sondern Sie verstehen
unter Effizienz eine Steigerung bei den Aufträgen für die
deutsche Wirtschaft. Das ist mit uns nicht zu machen,
Herr Minister.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP)


Der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses der
OECD – DAC –, Eckhard Deutscher, der für uns dort
seit zweieinhalb Jahren tätig ist, mahnt natürlich an, dass
Deutschland seine finanziellen Zusagen einhält. Er be-
klagt auch, wenn Deutschland seine Zusagen zur multi-
nationalen Zusammenarbeit zugunsten nationaler Pro-
jekte zurückzieht. Herr Niebel, das hat der Vorgänger
von Herrn Deutscher auch schon gemacht. Der Nachfol-
ger wird dies ebenfalls tun. Deshalb werden Sie mit Ih-
rem Versuch, aus parteipolitischen Gründen internatio-
nale Experten wie Herrn Deutscher, der ein SPD-
Parteibuch hat, in die Wüste zu schicken, kläglich schei-
tern. Das ist ein Skandal, Herr Minister. Damit kommen
Sie bei uns nicht durch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nachdem Sie in Ihrem Ministerium in den letzten
Monaten Experten geschasst und durch Parteifunktio-

näre der FDP ersetzt haben, wollen Sie das auch auf in-
ternationaler Ebene tun. Ich sage Ihnen, Herr Minister:
Wir haben nur ganz wenige Deutsche in Spitzenpositio-
nen bei internationalen Organisationen. Ich appelliere an
Sie: Nehmen Sie diese Entscheidung zurück! Lassen Sie
Herrn Deutscher dort seinen Job machen! Er hat das im-
mer parteiübergreifend gemacht, und er hat es im Inte-
resse Deutschlands und der Ärmsten dieser Welt gut ge-
macht.

Hören Sie auf damit, die Millenniumsziele so umzu-
setzen, dass Sie die Anzahl der FDP-Mitglieder im
Ministerium verdoppeln, aber nicht die Anzahl der
Ärmsten halbieren. Setzen Sie sich endlich mit Ihren Ex-
perten, unabhängig vom Parteibuch, an einen Tisch, und
sorgen Sie dafür, dass wir mit unserem Aktionsplan, den
wir heute vorlegen, bis zum Jahr 2015 die Millenniums-
ziele noch erreichen! Das wären meine herzliche Bitte
und meine Aufforderung an Sie.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704913600

Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: Jetzt kommt eine vernünftige Rede!)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1704913700

Herr Kollege Raabe, ich gestehe Ihnen wirklich zu,

dass Sie in diesem Bereich einen großen Sachverstand
haben; das kennen wir von Ihnen aus dem Ausschuss.
Die Rede, die Sie soeben gehalten haben, ist Ihrer aber
bestimmt nicht würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese Polemik ist angesichts des Ernstes der Lage wirk-
lich nicht angebracht. Und die Lage ist ernst.

Im Jahr 2000 setzten sich 180 Nationen zusammen,
um ihre Millenniumsziele festzuschreiben. Man kann sa-
gen: Es war ein historischer Tag. Es war ein wichtiger
Tag. Ich bin froh, dass wir im September bei der Konfe-
renz der Nationen in New York analysieren können: Wie
weit sind wir gekommen, und was ist noch zu tun? Es ist
noch viel zu tun. Zehn Jahre sind vergangen. Fünf Jahre
haben wir noch vor uns. Ich muss eines sagen: Wir wer-
den hart daran arbeiten, die Ziele, die wir uns gesetzt ha-
ben, zu erreichen. Wir werden in diesem Jahr mit der
ODA-Quote 0,4 Prozent erreichen. Das ist nicht das ge-
wünschte Ziel von 0,51 Prozent; das muss man klar und
deutlich sagen. Wir fühlen uns auch nicht wohl dabei;
das muss man auch sagen. Man muss aber auch sehen,
dass zusätzliche 3 Milliarden Euro aus dem Haushalt
notwendig gewesen wären, um diese 0,51 Prozent zu er-
reichen.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: So ist es!)






Dagmar Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


Bei einem Sparpaket von 80 Milliarden Euro bin ich
persönlich wie auch viele meiner Kollegen froh, dass wir
keine Federn lassen mussten und unseren Etat weiter
fortschreiben konnten. An dieser Stelle gilt mein Dank
dem Finanzminister und unseren Haushältern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Haushaltskonsolidierungen sind wichtig. Wir müssen
unser Haus in Ordnung bringen. Denn wenn wir schwä-
cheln, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, können wir auch anderen nicht mehr helfen.


(Zuruf von der SPD: Schieben Sie das doch nicht dem Herrn Raabe in die Schuhe!)


Das wollen wir nicht. Sie müssen auch sehen, was alles
passiert ist, seit im Jahr 2000 die Verträge unterschrieben
worden sind. Wir haben eine Finanzmarktkrise, wir ha-
ben eine Weltwirtschaftskrise, wir haben eine Nahrungs-
mittelpreiskrise, eine Ressourcen- und Energiekrise und
leider auch verschiedene Naturkatastrophen.


(Zuruf von der SPD: Eine Gurkentruppe!)


Das heißt: Viele Geberländer sind mit Dingen konfron-
tiert worden, die nicht vorhersehbar waren.

Das Schlimme an der Geschichte ist: Nicht nur die In-
dustrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer sind
sehr stark davon betroffen. 1 Prozent weniger Wachstum
bedeutet, dass 20 Millionen Menschen zusätzlich in Ar-
mut abrutschen. Das heißt, allein durch die Finanzkrise
werden 90 Millionen Menschen in Armut geraten. Die
Nahrungsmittelpreiskrise im Jahre 2008 hat dazu ge-
führt, dass wir 1 Prozent mehr Hungernde auf der Welt
haben. Wir haben 1,1 Milliarden Unterernährte auf der
Welt. All das sind Probleme, mit denen wir uns intensiv
auseinandersetzen müssen.

Die Probleme werden nicht weniger. Wir haben ein
explosionsartiges Bevölkerungswachstum. Im Jahr 2050
werden wir auf der Welt 9 Milliarden Menschen haben.
Das sind per annum 80 Millionen Menschen mehr. Die
meisten davon leben in den Entwicklungsländern. Sie
brauchen Essen, sie brauchen Gesundheitsversorgung,
sie brauchen Arbeitsplätze und vieles andere mehr. Die
vorhandenen Ressourcen werden immer knapper. Es
steht immer weniger Land zur Verfügung. Fruchtbares
Land wird knapp. Die Nachfrage nach Biosprit steigt.
Die Schwellenländer haben neue Ernährungsgewohnhei-
ten. Es wird nicht mehr nur Reis gegessen. Fleisch ist
angesagt. Zur Erzeugung von 1 Kilogramm Fleisch
braucht man 10 Kilogramm Getreide. In der Zukunft
werden also andere Prioritäten gesetzt.

Dazu kommt das sogenannte „Land Grabbing“; das
wird uns im Ausschuss noch sehr stark beschäftigen. Die
Afrikaner spielen dabei teilweise keine sehr schöne
Rolle, sie spielen bei diesem Monopoly mit; das muss
man klar und deutlich sagen. Deswegen ist es richtig,
dass der Entwicklungsminister mit seinem Hause die
landwirtschaftliche Entwicklung zu einem Schwerpunkt
gemacht hat. Er wird ein entsprechendes Konzept entwi-
ckeln und es uns in Kürze vorlegen.

Der Prozess, dass Länder weniger Mittel für die länd-
liche Entwicklung ausgeben, muss umgekehrt werden.
In einigen Ländern wurden dafür in den letzten Jahren
teilweise bis zu 58 Prozent weniger Mittel ausgegeben.
An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden. Denn
Armutsbekämpfung ist untrennbar mit ländlicher Ent-
wicklung verbunden. Das darf man in diesem Zusam-
menhang nicht vergessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines muss man aber auch sagen: Es sind nicht nur
die Geberländer gefordert. Auch die Entwicklungslän-
der, die Nehmerländer, müssen viel mehr in die Pflicht
genommen werden, als dies in der Vergangenheit der
Fall gewesen ist. Sie haben ihren Agrarbereich über
Jahrzehnte sträflich vernachlässigt. Wir selber können
nur Impulse setzen. Aber die schöpferische Kraft, das,
was daraus gemacht wird, müssen die Länder in diesem
Zusammenhang selbst auf den Weg bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man sagt im Allgemeinen: Eine Krise auch eine
Chance. Ich glaube, dass wir diese Chance nutzen. Wir
wollen den Weg nicht so weitergehen, wie es in der Ver-
gangenheit der Fall war. Viele Dinge sind gut auf den
Weg gebracht worden. Es gibt aber auch viele Dinge, bei
denen man überlegen muss: Waren sie effektiv? Waren
sie effizient? Sind sie auch bei der Bevölkerung ange-
kommen? Wir haben bei der Evaluierung festgestellt,
dass dem nicht so ist. Deswegen muss man schnell um-
denken. Sicher sind öffentliche Gelder wichtig. Aber das
darf nicht alles sein. Wir müssen versuchen, öffentliche
Gelder auch in den Entwicklungsländern zu mobilisie-
ren. Wir müssen versuchen, mehr Geld in der Wirtschaft
zu mobilisieren. Die Wirtschaft tut in vielen Bereichen
sehr viel – das ist oft nicht bekannt –, beispielweise über
das Instrument CSR. Aber hier kann noch viel mehr ge-
tan werden! Wenn man sich mit der Wirtschaft an einen
Tisch setzt, ist sie für Kooperationen mit dem Ziel der
Entwicklung offen.

Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Vieles ist
bereits auf den Weg gebracht worden. Viele Ziele wer-
den wir erreichen. Bei vielen Zielen hoffen wir, dass wir
sie erreichen. Wir haben Fortschritte in der Grundschul-
bildung gemacht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn
gerade die Bildung ist ein Querschnittsbereich, der auf
die meisten Ziele einwirkt. Inzwischen können 88 Pro-
zent der Kinder die Schule abschließen. Aber noch im-
mer gibt es 72 Millionen Kinder, die kein Recht auf Bil-
dung haben, die nicht die Möglichkeit haben, in die
Schule zu gehen. Wir dürfen auch nicht nur bei der
Grundschulbildung ansetzen. Wir müssen sehen: Wie ist
die Weiterbildung? Wie ist die duale Ausbildung? Wie
ist die universitäre Ausbildung?

Wir haben Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/
Aids und Malaria gemacht. Es gibt weniger Neuinfektio-
nen als in der Vergangenheit. Aber noch immer leben
33 Millionen Kinder und Erwachsene mit dem HI-Virus.
Noch immer sterben 2 Millionen Menschen im Jahr an





Dagmar Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


diesen Erkrankungen. Wir wissen, dass es noch viel zu
tun gibt, vor allem wenn ich die Frauen betrachte. Die
Müttergesundheit ist ein schwarzes Kapitel im Rahmen
der Millenniumsziele. Hier sind nur 3 Prozent des Ziels
erreicht worden. Es sterben jährlich 530 000 Frauen
während der Schwangerschaft oder der Entbindung, weil
sie allein sind, weil keine Voruntersuchungen möglich
sind und ihnen niemand während der Geburt hilft. Bei
diesen Themen müssen wir in den nächsten fünf Jahren
Prioritäten setzen.

Viel Geld ist von den Geberländern in die Hand ge-
nommen worden. Allein im Jahr 2008 waren es
120 Milliarden Euro in diesem Bereich. Es wird gesagt,
es müsse mehr werden. Es wird schwierig sein. Viele
Länder werden aufgrund der Krisen Schwierigkeiten ha-
ben, das Geld, wie versprochen, überhaupt noch zur Ver-
fügung zu stellen.


(Zuruf von der SPD: Viele haben es geschafft!)


Deswegen müssen wir in diesem Bereich effizienter
werden. Aber dies betrifft nicht nur die ODA-Quote;
auch darauf sollte man ein Augenmerk legen.

Wir müssen sehen, dass wir die Doha-Runde zu Ende
führen, dass wir handelsverzerrende Maßnahmen besei-
tigen. Die Entwicklungsländer haben allein aufgrund
von handelsverzerrenden Maßnahmen einen Schaden
von 700 Milliarden Euro. Das ist sechsmal mehr, als für
die gesamte Entwicklungshilfe der Welt zur Verfügung
gestellt wird. Das können die Geberländer nicht aus ih-
ren Steuergeldern bezahlen. Deswegen ist es wichtig,
dass wir vorangehen. Deswegen ist wichtig, dass die
Agrarsubventionen abgebaut werden.

Ich freue mich sehr – wir sind gestern im Ministerium
zusammengekommen –, dass in diesem Zusammenhang
das Landwirtschaftsministerium und das Entwicklungs-
hilfeministerium nun an einem Tisch sitzen. Das ist ein
Novum. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den beiden
Ministern, die das möglich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn nur gemeinsam werden wir die Probleme bewälti-
gen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht
starr auf 2015 schauen. Wir müssen darüber hinaus-
schauen. Die Probleme werden nicht weniger, die Pro-
bleme werden mehr. Wir werden mit dem Klimawandel
zu kämpfen haben. Wir werden mit der Biodiversität zu
kämpfen haben. Es wird eine sehr große Desertifikation
und einen dramatischen Wassermangel geben. Hier
denke ich an Jemen: In zehn Jahren wird das Land kein
Wasser mehr zur Verfügung haben. Es wird nicht das
einzige Land sein. Es wird zu einer Erosion, einer Ver-
ödung landwirtschaftlicher Flächen kommen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704913800

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1704913900

Ja. – Es wird einen Trend zur Abwanderung in die

Megacitys geben. Wir werden Probleme haben, an die

wir momentan überhaupt noch nicht denken. Hier kön-
nen wir nur gemeinsam helfen; das kann keine Partei
und kein Land allein tun. Wir können international nur
gemeinsam helfen. Hier hat jeder seine Aufgabe zu erle-
digen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704914000

Das Wort hat nun Kollege Niema Movassat für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704914100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.

Diese Worte von Brecht sind heute aktueller denn je;
denn im Dunkeln sind die 1 Milliarde Menschen, die
hungern; auch in den Medien sieht man sie nicht. Alle
fünf Sekunden verhungert ein Kind; bis zum Ende mei-
ner Rede werden es 60 tote Kinder sein. Das ist eine Tra-
gödie.


(Beifall bei der LINKEN)


Erinnern Sie sich? 1970 hat Deutschland das Verspre-
chen abgegeben, 0,7 Prozent seines Bruttonationalein-
kommens für die öffentliche Entwicklungszusammenar-
beit zur Verfügung zu stellen. Heute, 40 Jahre nach
Abgabe des Versprechens, sind wir davon weit entfernt;
2010 werden es vermutlich nur 0,4 Prozent sein. Nach
dem EU-Stufenplan müsste das Zwischenziel einer
Quote von 0,51 Prozent erreicht werden.

Dass die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung bisher
nicht nachgekommen ist, liegt nicht nur an der aktuellen
Regierung, sondern auch an der politischen Tatenlosig-
keit von Rot-Grün und der Großen Koalition.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie müs-
sen sich, wenn Sie in Ihrem Antrag von einer „engagier-
ten Entwicklungspolitik der Jahre 1998 bis 2009“ spre-
chen, schon fragen lassen, warum die größte Diskrepanz
zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Steigerung
der Entwicklungsgelder gerade in Ihre Regierungszeit
fällt, warum also solch ein großer Unterschied zwischen
den Forderungen in Ihrem Antrag und Ihrem Regie-
rungshandeln besteht.

Unter Schwarz-Gelb wird diese Pflichtverletzung
aber zum System. Die Merkel-Westerwelle-Regierung
hat ein klares politisches Muster: Gespart wird bei den
Ärmsten, in Deutschland bei den Hartz-IV-Empfängern,
in der Welt bei den Menschen in den Entwicklungslän-
dern. Immer neue Äußerungen aus der Koalition legen
den Verdacht nahe, dass diese Regierung das 0,7-Pro-
zent-Ziel gar nicht erreichen will. Kommen Sie mir nicht





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)


mit der Wirtschaftskrise als Ausrede; denn Deutschland
hat dieses Ziel auch in wirtschaftlich guten Zeiten nie
auch nur annähernd erreicht. Das zeigt, dass der politi-
sche Wille fehlt.


(Beifall bei der LINKEN)


Andere Länder erreichen das Ziel, etwa die Skandina-
vier und die Niederlande. Auch Großbritannien wird mit
einem Anteil von 0,56 Prozent deutlich über dem Soll
des EU-Stufenplans liegen, obwohl das Land besonders
stark von der Krise betroffen ist.

Die Botschaft von Schwarz-Gelb an die Menschen in
den Entwicklungsländern ist: Leider müssen wir Sie mit
Ihren Problemen alleinlassen; denn wir brauchen unser
Geld für Hotels, Reiche und Banken; sie sind uns wichti-
ger. Das ist der Kern Ihrer unsozialen Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn ich mich täuschen sollte und Sie das 0,7-Pro-
zent-Ziel erreichen wollen, können Sie unserem Antrag
zustimmen; denn mit unserem Antrag wird das 0,7-Pro-
zent-Ziel gesetzlich verankert und erhält damit einen hö-
heren Verpflichtungsgrad. Außerdem schlagen wir vor,
einen Stufenplan zu erstellen, wie dies auch viele ent-
wicklungspolitische Organisationen fordern. So kann
man entwicklungspolitische Arbeit vernünftig planen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch muss klar festgelegt werden, was Entwick-
lungshilfe eigentlich ist. So darf es nicht sein, dass Ent-
schuldungen, der Bau von Bundeswehrunterkünften in
Afghanistan oder sogar die Abschiebung von Asylbe-
werbern als Entwicklungshilfe angerechnet werden. Wo
bitte findet denn Entwicklungshilfe statt, wenn jemand
abgeschoben wird? Das ist doch zynisch. Unser Antrag
macht Schluss damit.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch mit der Anrechnung von Klimaschutzgeldern
bei der Entwicklungshilfequote muss Schluss sein.
NGOs und Partnerländer widersprechen dieser Anrech-
nung zu Recht; denn der Klimawandel ist Resultat der
Wirtschafts- und Lebensweise der Industrieländer. Die
Menschen in den Entwicklungsländern, die am stärksten
unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, ha-
ben einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Das ist da-
her keine Entwicklungshilfe.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden fragen, wie die Linke das 0,7-Prozent-Ziel
finanzieren will. Wir haben dafür hier im Bundestag die
Einführung einer Flugticketabgabe und einer Finanz-
transaktionsteuer vorgeschlagen, die 15 bis 20 Milliar-
den Euro bringen würde. Auch die SPD fordert in ihrem
Antrag innovative Finanzierungsinstrumente. Schade
nur, dass die SPD in ihrer Regierungszeit gegen diese In-
strumente gestimmt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht um die Glaubwürdigkeit der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit. Sorgen Sie dafür, dass

Deutschland nicht Weltmeister im Brechen von Verspre-
chen ist, sonst erreichen wir die UN-Millenniumsent-
wicklungsziele erst recht nicht. Denken Sie daran: Jede
Sekunde, die wir hier zögern, bedeutet Elend, Armut und
Tod für Millionen Menschen auf dieser Welt.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704914200

Das Wort hat nun Kollegin Christiane Ratjen-

Damerau für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP):
Rede ID: ID1704914300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Die zentralen Herausforderungen unserer Zeit in einer
globalen Welt sind der Klimawandel und die in großen
Teilen dieser Welt zunehmende Armut. Durch die Armut,
die Unterernährung und den Wassermangel sind Men-
schen verletzlicher gegenüber verschiedensten Umwelt-
einflüssen. Insbesondere mangelnde Bildung, Krankheit
und die Missachtung der Rechte der Frauen verhindern
die Entfaltung einer Gesellschaftsform in den Entwick-
lungsländern.

Das Ziel in den 70er-Jahren ist gewesen, dass jedes
Kind abends satt schlafen geht und dass die Menschen
keine Angst haben müssen, weil sie nicht wissen, wovon
sie sich am nächsten Tag ernähren sollen. Diese Ziele
sind bisher nicht erreicht worden. Im Jahre 2000 haben
die reichen Länder dieser Welt mit den Millenniumsent-
wicklungszielen erneut Verantwortung gegenüber jenen
Ländern übernommen, die sich nicht selbst versorgen
können. Wir alle haben zugesagt, dafür zu sorgen, dass
die schlimmsten Auswirkungen von Armut mit unserer
Hilfe kleiner werden. Allein die Bilder kleiner Kinder
mit aufgeblähten Hungerbäuchen oder Mädchen mit
Traumata von Genitalverstümmelung verpflichten uns
zu diesem Kampf gegen Armut und für Bildung und Ge-
sundheit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn Sie glauben doch wohl nicht, dass eine Mutter in
Afrika weniger um ihr totes Kind trauert, als es eine
westliche Mutter tut.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wo stehen
wir heute? Die aktuelle Bilanz zu den verschiedenen
MDGs ist gemischt. In einigen Bereichen und Regio-
nen gibt es positive Entwicklungen, in anderen herrscht
Stagnation, im schlimmsten Fall gibt es Rückschläge. So
gab es bereits größere Erfolge in der allgemeinen Grund-
schulausbildung, doch gerade bei der Sekundärbildung
werden Mädchen gegenüber den Jungen immer noch
stärker benachteiligt.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU])






Dr. Christiane Ratjen-Damerau


(A) (C)



(D)(B)


Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag
sterben, ist mit fast 9 Millionen nach wie vor untragbar
hoch. Früher waren es fast 12 Millionen.

Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen. Die
Zahl der Aids-Toten konnte gesenkt und die Ausbreitung
des Virus verlangsamt werden. Auch wurde eine deutli-
che Verbesserung der Trinkwasserversorgung erreicht.
Insgesamt ist der Fortschritt in Richtung unserer Ziele
jedoch viel zu langsam und in einigen grundlegenden
Bereichen, wie der Gesundheit der Mütter, viel zu ge-
ring.

Das größte Sorgenkind bei der Entwicklung bleibt
Subsahara-Afrika. Während vor allem ostasiatische Län-
der bei der Reduzierung der Einkommensarmut große
Erfolge erzielten, konnte für die Länder südlich der Sa-
helzone trotz stetigem Wirtschaftswachstum die Armuts-
quote nur wenig gesenkt werden. Die absolute Zahl der
Armen ist aufgrund des Bevölkerungswachstums sogar
gestiegen. Dies liegt sowohl an den Auswirkungen der
Finanz- und Wirtschaftskrise als auch an den steigenden
Nahrungsmittelpreisen im Jahre 2008. Auch muss be-
achtet werden, dass ein Drittel aller Menschen in absolu-
ter Armut lebt, und dies in besonders fragilen Staaten.
Krieg und Zerstörung und die damit verbundene Miss-
achtung der Menschenrechte gehen mit der Armut Hand
in Hand.

Die Evaluierung der MDGs zeigt aber auch eine klare
Fehlpolitik der vergangenen Jahre auf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viel zu lange wurde einzig und allein auf finanzielle
Mittel gebaut. Zusammenhänge innerhalb der Entwick-
lungsarbeit wurden dabei völlig ignoriert. Weniger Ar-
mut korrespondiert nicht zwingend mit einer besseren
Gesundheitsversorgung, mit besserer Bildung oder Ge-
schlechtergerechtigkeit.

Wirtschaftswachstum reduziert nicht automatisch die
Einkommensarmut, sondern muss „pro poor“ gestaltet
werden.

Klimawandel, Frieden und Sicherheit, Menschen-
rechte, Good Governance und Demokratie haben we-
sentlichen Einfluss auf die Erreichung der MDGs. Die
Koalition und an erster Stelle der Entwicklungshilfemi-
nister Dirk Niebel stehen zu den von der Bundesregie-
rung gemachten Zusagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hört! Hört!)


Auf dem Millennium-plus-Zehn-Gipfel im kommen-
den September in New York werden wir uns unserer ge-
meinsamen Verantwortung bewusst sein. Wir werden
uns dafür stark machen, die MDGs als ganzheitliches
Konzept zu betrachten und Katalysatoren wie Gleichbe-
rechtigung und Menschenrechte besonders zu fördern.
Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Partnerlän-
der sowie Politikkohärenz für Entwicklung sind von
kaum zu überschätzender Bedeutung. Auch muss es eine
breite Beteiligung des privaten Sektors und der Zivilge-

sellschaft geben; denn nur der Glaube an die Macht des
Staates und an das Geld allein hilft hier nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die schwarz-gelbe Koalition und der Bundesminister
Niebel gehen einen neuen Weg, einen Weg, der frei ist
von den bisherigen ideologischen Scheuklappen und der
stetigen Wiederkehr alter Fehler. Entwicklungspolitik
darf keine Frage der Ideologie sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Unser Ziel muss es sein, dass die betroffenen Länder
mehr Verantwortung für sich übernehmen. Das müssen
wir initiieren und weiterentwickeln. Unsere Aufgabe ist
es, diese Länder zu unterstützen. Das seit 25 Jahren be-
stehende entwicklungspolitische Ziel der Hilfe zur
Selbsthilfe muss jetzt realisiert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Entwicklungspolitik ist eben nicht nur eine Frage des
großzügigen Gebens, sondern bedeutet auch echte Part-
nerschaft. Die entwicklungspolitischen Ziele sind nicht
ein Akt der Barmherzigkeit der Reichen gegenüber den
Armen, sondern eine selbstverständliche Geste der welt-
weiten Solidarität und Gerechtigkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704914400

Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für
die weitere Zusammenarbeit!


(Beifall)


Das Wort hat nun Kollege Uwe Kekeritz für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704914500

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger werden seit lan-
gem sehr ausführlich über die Hilflosigkeit dieser Koali-
tion informiert. Wirklich „Neues aus der Anstalt“ war
kaum mehr zu erwarten. Doch Herr Koppelin hat die
Chance erkannt und für Überraschung gesorgt. Er unter-
stellt dem Minister einfach, die Unwahrheit zu sagen.
Warum? Herr Minister Niebel verkündet immer noch,
das 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Das ist ver-
ständlich. Schließlich hat er ebenso wie die Bundeskanz-
lerin von dieser Stelle aus des Öfteren immer wieder be-
tont, dass er dieses Ziel verfolgen wird.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das wollen Sie doch auch!)


– Natürlich wollen wir das auch, selbstverständlich.


(Harald Leibrecht [FDP]: Na also! Warum beschweren Sie sich dann?)


Kollege Koppelin dagegen meint – ich zitiere aus der
taz vom 12. Juni 2010 –:

Wenn die Leute die Wahrheit wissen sollen,





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)


– ich betone: sollen –

dann müssen wir ihnen klarmachen: Nein, das Ziel
ist nicht zu erreichen.

Herr Minister, ich meine, Sie sollten sich einmal hier
hinstellen und das mit Herrn Koppelin öffentlich austra-
gen und klären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Trotzdem gehe ich freudig davon aus, dass diese Re-
gierung das 0,7-Prozent-Ziel erreichen möchte. Wir wer-
den Sie dabei natürlich tatkräftig unterstützen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Das hätten Sie die letzten Jahre schon machen können!)


Allerdings müssen Sie uns schon erklären, wie Sie das
machen möchten, und das müssen Sie glaubwürdig bele-
gen.


(Harald Leibrecht [FDP]: Was haben Sie gemacht? Gar nichts!)


Da gibt es einen ganz einfachen Trick: Legen Sie einen
Finanzstufenplan bis 2015 vor. Dann können wir diese
Aussage ernst nehmen. Dass das schwierig sein wird,
Herr Niebel, das wissen auch wir. Herr Schäuble wird
Ihnen das Geld nicht so einfach geben, weil er es nicht
hat. Da haben wir tatsächlich ein Problem. Wir haben Ih-
nen aber schon mehrmals eine Lösung angeboten. Diese
Lösung heißt Finanztransaktionsteuer. Die Bankenab-
gabe ist dafür kein Ersatz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Schön, dass das BMZ in seinem Reformkonzept „Die
neue Effizienz in der deutschen Entwicklungspolitik“
darauf hinweist, dass es nicht nur um Quantität, sondern
auch um Qualität geht. Sie sprechen damit das Thema
der Inkohärenzen an. Inkohärenzen gibt es in Deutsch-
land, in Europa, in den Partnerländern, überall. Wir müs-
sen uns darüber im Klaren sein, dass das größte Problem
der Inkohärenzen in der Tatsache begründet liegt, dass
viele EZ-Maßnahmen durch unfaire Weltwirtschafts-
strukturen konterkariert werden.

Ein Beispiel: US-amerikanische Baumwollsubventio-
nen haben den Baumwollmarkt in West- und Zentral-
afrika ruiniert und bedrohen massiv den indischen
Markt. US-Baumwolle ist aufgrund der hohen Subven-
tionen – nicht Exportsubventionen, Frau Wöhrl, sondern
Agrarsubventionen – 30 bis 40 Prozent billiger. Damit
wird natürlich die Lebensgrundlage kleiner Baumwoll-
produzenten zerstört. Die Familien müssen oftmals ihr
Land verlassen. Sie gehen in die Städte und landen in
den Slums. Der gleiche traurige elende Mechanismus
wird durch die EU-Agrarsubventionen – nicht nur Ex-
portsubventionen – in Gang gesetzt.

Wir alle wissen, wie die Hähnchenmast in Ghana zer-
stört worden ist und wie eine kamerunische Molkerei
durch billiges europäisches Milchpulver vom Markt ge-
schossen wurde. Wie läuft das? Zunächst vernichtet in-
dustrielle Politik die Lebensgrundlage der Menschen,

und dann versuchen wir, die negativen Folgen der inter-
national organisierten Ungerechtigkeiten über die MDGs
auszugleichen. Das kann doch nur als absurd bezeichnet
werden. So etwas kann natürlich nicht funktionieren.

In diesem Zusammenhang muss man die TRIPS-plus-
Verhandlungen der EU mit Indien sehen. Wir alle wis-
sen, dass die Verringerung der Kindersterblichkeit, die
Verbesserung der Gesundheit von Müttern, die Bekämp-
fung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria, also die
drei Gesundheits-MDGs, nur erreicht werden können,
wenn günstige hochwertige Generika zur Verfügung ste-
hen. Das ist heute noch möglich, weil 2001 in Doha Son-
derregelungen zur Produktion von Generika völkerrecht-
lich verbindlich festgelegt wurden. Das muss auch so
bleiben. Dass die Pharmaindustrie diese Sonderregelun-
gen abschaffen will, kann ich ja noch nachvollziehen.
Dass aber die EU als Hilfssheriff für die Pharmaindustrie
die Verschärfung der TRIPS-Abkommen vorantreibt, ist
unerträglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das Nichteinhalten der finanziellen Zusagen mit dem
Argument der Wirtschafts- und Finanzkrise zu rechtferti-
gen, ist moralisch erbärmlich.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Länder haben diese Krise nicht verursacht. Sie jetzt
mit haftbar zu machen, kann nicht akzeptiert werden.
Eine Steigerung unserer Anstrengungen ist auch auf-
grund des Klimawandels nur als gerecht anzusehen.
Auch diesen haben die ärmsten Länder nicht verursacht.
Eine Verrechnung der ODA-Mittel mit Geldern, die in
Kopenhagen zugesagt wurden, könnte nur als heuchle-
risch bezeichnet werden.

Deutsche Politik muss ihre seit Jahrzehnten bestehen-
den Verpflichtungen erfüllen und als Mitglied der Euro-
päischen Union darauf hinwirken, dass die EU, die WTO
und der IWF die Entwicklungsziele nicht aufgrund der
Wirtschaftsziele von Konzernen und der Agrarlobby ins
Leere laufen lassen. Ich spreche mich nicht gegen wirt-
schaftliche Zusammenarbeit aus. Allerdings müssen
wirtschaftliche Interessen an den Menschenrechten und
den ökologischen Notwendigkeiten ausgerichtet werden,
die durch die Indikatoren der MDGs klar definiert sind.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704914600

Herr Kollege, dies war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wün-
sche für die weitere Arbeit!


(Beifall)


Das Wort hat nun Johannes Selle für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1704914700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Millenniumsentwicklungsziele stellen eine Herausforde-
rung dar. Das war schon bei ihrem Zustandekommen im
Jahre 2000 klar. Aber gibt es in der Geschichte ein wei-
teres Beispiel, dass sich nahezu die gesamte Menschheit
auf ein langfristiges gemeinsames Ziel festgelegt hat,
dass nahezu die gesamte Menschheit quälende Mängel
durch gemeinsame Anstrengungen beseitigen möchte?
Ich glaube, nicht.

Anstrengungen zur Überwindung der weltweiten Un-
gleichgewichte gab es viele. Die vier vorangegangenen
Entwicklungsdekaden von 1960 bis 2000 waren nicht er-
folgreich. Dabei wurden Ziele und Strategien immer
wieder modifiziert. Die Beschlüsse, die von 189 Mit-
gliedstaaten der Vereinten Nationen im Jahre 2000 unter
Einbeziehung dieser Erfahrungen gefasst wurden, glie-
dern sich nun in 8 Hauptziele und 18 Teilziele bzw. Kri-
terien – sehr konkret und sehr anspruchsvoll.

Die Länder mit Entwicklungsdefiziten werden in die
Pflicht genommen. Sie sollen vorhandene Mittel in ein
eigenes Programm zur Armutsbekämpfung stecken,
Korruption eindämmen, Schulbildung für Jungen und
Mädchen ermöglichen, Gleichberechtigung der Ge-
schlechter herstellen, Gesundheitsversorgung verbessern
und ihre Entwicklung ökologisch nachhaltig gestalten.

Die Industrieländer werden ebenfalls in die Pflicht
genommen, sich dem Schuldenproblem zu widmen, sich
mit geeigneten Strategien den am wenigsten entwickel-
ten Ländern zuzuwenden, zusammen mit dem privaten
Sektor Handelshemmnisse zu beseitigen und neue Tech-
nologien bereitzustellen.

Aus wichtigem Grund erhöhen sich in diesem Jahr die
Aktivitäten, die das Erreichen der Ziele in den Mittel-
punkt rücken. Zwei Drittel der Zeit sind vergangen, und
die Frage ist berechtigt, ob auch zwei Drittel der Ziele
erreicht sind. Das Bild ist uneinheitlich, wie wir auch der
Anhörung zum Thema „Umsetzung der Millenniumsent-
wicklungsziele“ in dieser Woche entnehmen konnten.

Es gibt Erfolge, es gibt Teilerfolge, es gibt offensicht-
liche Defizite, und es gibt Rückschläge. Selbst in den
Bereichen, in denen prozentual Fortschritte gemeldet
werden, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung, sta-
gniert die absolute Zahl der Betroffenen bei circa 1 Mil-
liarde Menschen. Die gewachsene Bevölkerung insge-
samt kann dafür zwar eine plausible Erklärung liefern,
die dahinterstehenden Einzelschicksale bleiben aber er-
schütternd.

Herr Movassat hat recht, aber nur mit der traurigen
Zahl, dass alle fünf Sekunden ein Kind stirbt. Das Ziel,
die Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu ver-
ringern, ist in weite Ferne gerückt. Zwar sank die Zahl
der unter Fünfjährigen, die jährlich sterben, 2006 erst-
mals unter die 10-Millionen-Marke. Dennoch ist das Ri-
siko eines Kindes, in seinen ersten fünf Lebensjahren zu
sterben, in einem Entwicklungsland 13-mal höher als in
einem Industrieland.

Die Hälfte der Todesfälle ereignet sich in Subsahara-
Afrika. Die meisten Kinder sterben an leicht zu vermei-

denden oder zu behandelnden Krankheiten wie Lungen-
entzündung, Durchfall, Malaria und Masern. 2005 starben
mehr als 500 000 Frauen während Schwangerschaften
und Geburten oder im Kindbett. 99 Prozent dieser
Frauen stammen aus Entwicklungsländern, 86 Prozent
aus Subsahara-Afrika und Südasien. Damit sank die
Müttersterblichkeit global jährlich um weniger als 1 Pro-
zent. Um das Millenniumsziel der Senkung der Mütter-
sterblichkeit um drei Viertel zu erreichen, wäre eine
jährliche Rate von 5,5 Prozent erforderlich. Als Vater
stehe ich fassungslos vor diesem Elend und dieser Trau-
rigkeit und werde an dieser Stelle nicht auf Teilerfolge
verweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich fühle mich verpflichtet, politisch konstruktiv an die-
ser Stelle mitzuhelfen.

Für die Erreichung der Ziele war ein Zeitraum von
15 Jahren, von 2000 bis 2015, vorgesehen. Selbst bei
ungetrübtem Gang der Weltgeschichte wären große
Anstrengungen erforderlich gewesen. Nun verpassen
Weltwirtschaftskrise, Euro-Krise, die angespannte Si-
cherheitslage durch Terrorismus und die Schuldenpro-
blematik in den Industriestaaten dem Erreichen der Ziele
einen zusätzlichen Dämpfer.

Trotz aller Widrigkeiten: Wir sollten alles dafür tun,
dass die weltweiten gemeinsamen Anstrengungen er-
folgreich sind. Wir sollten auch alles dafür tun, dass wir
als Bundesrepublik Deutschland dabei als einer der
wichtigsten Partner wahrgenommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] – Zurufe von der SPD: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu! – Oh ja! Mit Herrn Niebel an der Spitze! – Noch eine Krise!)


Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundes-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung Dirk Niebel haben wiederholt betont, sich die-
ser Aufgabe zu stellen. Das sollten alle anerkennen, die
mit daran arbeiten, dass wir bei der Beseitigung der
schlimmsten Armut vorankommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir als Parlamentarier wissen genauso gut wie Kanz-
lerin und Minister, welche Herausforderungen das an un-
seren Haushalt stellt. Die finanzpolitischen Diskussio-
nen der letzten Wochen sind noch nicht verklungen. Wer
in letzter Zeit Kontakte zu Ländern hatte, die um die Er-
reichung der Millenniumsziele ringen, der weiß, dass
Deutschland ein geschätzter Partner ist, und der weiß,
dass sich viele dieser Länder eine engere Bindung an
Deutschland wünschen.

Deutschland muss es deshalb gelingen, vorbildlich in
Haushaltsdingen zu sein; denn was wir in den Partner-
ländern erreichen wollen, zum Beispiel Good Gover-
nance, solide Haushaltsführung und dadurch verlässliche
und dauerhafte Partnerschaft auf hohem Niveau, müssen
wir glaubwürdig vormachen. Wer sich für Budgethilfe





Johannes Selle


(A) (C)



(D)(B)


einsetzt, der begründet die Vorteile damit, dass die Re-
gierungen vor dem Volk vertreten sollen, wofür sie das
Geld ausgeben wollen und wofür sie das Geld ausgege-
ben haben. Genau diese Begründung sind wir auch in
Deutschland den Bürgern schuldig.

Die Entwicklungshilfe muss weiterhin an ihrer Effi-
zienz arbeiten und nachweisen, dass sie Effizienz einfor-
dert und der sich breitmachenden Subventionsmentalität
entgegentritt. Gute Entwicklungszusammenarbeit kann
endogenes Wirtschaftswachstum nicht ersetzen, aber sie
kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Ba-
sis für Wirtschaftswachstum überhaupt erst zu schaffen.

In der Anhörung zur Umsetzung der Millenniums-
ziele in dieser Woche wurde darauf verwiesen, wie wich-
tig Arbeitsplätze für Fortschritte auf allen Gebieten in ei-
ner sich entwickelnden Wirtschaft sind. Armut wird am
besten durch bezahlte Arbeit in einer funktionierenden
Wirtschaft überwunden. Deshalb ist entscheidend, dass
das Bundesministerium den Schwerpunkt auf die wirt-
schaftliche Zusammenarbeit unter Einbeziehung des pri-
vaten Sektors legt. Arbeitsplätze in der Wirtschaft führen
zu gefragten Dienstleistungen und Produkten, die man
handeln kann und in deren Gefolge weitere Arbeitsplätze
entstehen. In der Anhörung haben wir von dem bedrü-
ckenden Beispiel der fehlenden Toiletten gehört. Millio-
nen Menschen können tagsüber nicht zur Toilette gehen,
weil es keine geschützten Räume gibt. Armut kann
schneller überwunden werden, wenn die Menschen
durch eigenes Einkommen ihre Toiletten selbst herstel-
len können.

Alle notwendigen Investitionen in Gesundheit, in In-
frastruktur und insbesondere in Bildung müssen zu
einem wachsenden Teil aus den Partnerländern selbst ge-
tragen werden können. Erst dann sind die Millenniums-
ziele nachhaltig erreicht worden. Wir wollen deshalb die
ganze Gesellschaft mitnehmen, kirchliche Institutionen
und auch privatwirtschaftliche Initiativen. Wir fördern
das, weil wir damit viel mehr Geld freimachen können
und auch schneller Ergebnisse erzielen.

In 15 Jahren sollten die Millenniumsziele verwirk-
licht werden. Bei der bekannten Dauer von Legislatur-
perioden hat man nicht allein auf das bei der Beschluss-
fassung vorhandene Parteienspektrum setzen können.
Wir sind deshalb gut beraten, in dieser Debatte partei-
politische Vorwürfe zu vermeiden. Denn in dem Anlie-
gen sind wir uns sehr nahe, Herr Kollege Raabe; das will
ich an dieser Stelle einmal sagen. Der Hinweis, dass die
große Differenz zu den Planzahlen nicht erst in den letz-
ten Monaten entstanden ist, ist ja auch nicht unberech-
tigt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704914800

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1704914900

Ich komme zum Schluss. – Minister Niebel hat in die-

ser wirklich schwierigen Zeit für die Entwicklungsziele
viel erreicht


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Viel für seine FDPMitglieder erreicht! Er hat sie mit Posten versorgt!)


und auch die Frage nach der Effizienz der deutschen
Entwicklungsinstitutionen mutig aufgegriffen. Ein An-
trag von CDU/CSU und FDP zu den Millenniumszielen
befindet sich in der letzten Abstimmung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704915000

Herr Kollege!


Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1704915100

Vielleicht gelingt ja ein fraktionsübergreifender An-

trag. Das wäre dem Thema angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704915200

Das Wort hat nun Karin Roth für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Karin Roth (SPD):
Rede ID: ID1704915300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Situation ist dramatisch; das ist wahr. Wir reden
hier in diesem Plenum leidenschaftlich über Millionen
von Toten, über Kinder, über Menschen, die erkrankt sind
an Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Krankheiten.
Wir wissen auch, dass die im Rahmen der Staatenge-
meinschaft gemeinsam verabredeten Millenniumsziele
verbindlich sein sollen für die Industrienationen, vor al-
len Dingen deshalb, weil damals klar erkannt worden ist:
Ohne Hilfe der Industrienationen ist eine Entwicklung
nicht möglich. Dazu gehört aber nicht nur die Entwick-
lungshilfe, sondern dazu gehören zum Beispiel auch
Entschuldung sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit;
das ist gar keine Frage. Die Frage ist nur: Sind wir ange-
sichts der Zahlen und Fakten, die Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, hier unterschiedlich prononciert dargelegt
haben, glaubwürdig? Ist das ein Erfolg? Wir müssen hier
doch sagen: Es ist kein Erfolg, wir haben es noch nicht
geschafft.

Jetzt haben wir fünf Jahre Zeit, Herr Minister Niebel,
in denen man natürlich darüber hinausgehende Maßnah-
men fördern, vor allen Dingen aber die Erreichung der
Millenniumsziele organisieren kann. Die SPD-Fraktion
hat dazu einen Antrag vorgelegt. Wenn man genau hin-
schaut – Herr Selle, ich nehme Ihren Vorschlag auf –,
dann sieht man, dass natürlich auch die Koalition vieles
von dem, was wir beschrieben haben, unterschreiben
kann.

An dieser Stelle sei einmal ganz kurz gesagt: Ich bin
froh darüber, dass es im Bundestag auch eine gemein-
same Erklärung von Kollegen gibt, die im Rahmen der
Arbeit des Unterausschusses „Vereinte Nationen, inter-
nationale Organisationen und Globalisierung“ zu dem
Thema Millenniumsziele Stellung genommen haben, um
deutlich zu machen, dass wir auch gemeinsame Positio-
nen dazu haben. Ich finde, das ist ein gutes Vorgehen
– Frau Ministerin a. D. Wieczorek-Zeul, ich denke, Sie





Karin Roth (Esslingen)



(A) (C)



(D)(B)


haben das auch mit organisiert –, weil es natürlich rich-
tig ist, dass wir auf der Ebene der UN eine gemeinsame
Sprache sprechen sollen und müssen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich jetzt einige Worte
an den Minister richten. Vor drei Tagen gab es in Brüssel
eine Konferenz, bei der Sie hoffentlich anwesend waren.
Es wurde dort verabredet – ich habe das Protokoll und
auch das entsprechende Dokument –, besonders die
Finanzierung der entwicklungsförderlichen Rahmenbe-
dingungen zu gewährleisten und einen entsprechenden
Stufenplan vorzulegen. Das heißt für dieses Parlament
und für diese Regierung konkret, dass die Koalition jetzt
natürlich auch einen entsprechenden Quotenvorschlag
machen muss, um das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen.

Ich wäre sehr froh, wenn wir das im September, wenn
die Bundeskanzlerin nach New York reist, mit einer ent-
sprechenden Autorität vorlegen könnten; denn einmal
Kopenhagen reicht. Wir brauchen kein zweites Kopen-
hagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn die Bundeskanzlerin nach New York reist, sollten
wir eine wirkliche Verbindlichkeit der Zusagen der
Deutschen erreicht haben.

Apropos: Auch andere europäische Staaten leiden un-
ter der Finanz- und Wirtschaftskrise – das gilt auch für
Großbritannien – und haben ihr Ziel erreicht und sogar
übererfüllt. Wenn ich es richtig gehört habe, dann wird
auch die neue britische Regierung an diesem Ziel fest-
halten. Kurzum: Wir brauchen einen Aktionsplan, wie
ihn Ban Ki-moon vorgeschlagen hat, für die ganze Welt
und insbesondere für die UNO. Dazu brauchen wir flan-
kierend die europäische und natürlich auch die nationale
Komponente.

Ich gehe davon aus, dass gerade wir, die Deutschen,
die Glaubwürdigkeit nicht nur von anderen einfordern,
zum Beispiel hinsichtlich der Effizienz der Verteilung
der Mittel und der Übernahme der Mittel, sondern dass
wir sie auch selber gewährleisten, indem wir das, was
wir versprochen haben, auch halten. Daran misst man
uns in der Welt genauso wie in Deutschland.

Es wäre schade – hier stimme ich Ihnen zu, Herr
Selle –, wenn es nicht gelingen würde, dieses Ziel zu er-
reichen. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame An-
strengung. Auch Herr Koppelin, der ja bekannt für be-
sondere Vorschläge im Haushaltsausschuss ist, sollte
von der FDP überzeugt werden, dass auch und gerade
unserem Ansehen in der Welt durch Ihr Vorgehen in die-
sem Zusammenhang sonst geschadet wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erwarte also, dass die Bundesregierung insbeson-
dere auch beim jetzigen G-8-Gipfel das Thema Mütter-
sterblichkeit anspricht und Maßnahmen zu deren Besei-
tigung unterstützt sowie die Initiative voranbringt. Das
ist die erste Nagelprobe für Sie, Herr Niebel, und die
zweite folgt sogleich, nämlich im September gemeinsam
mit der Kanzlerin. Dann können Sie zeigen, was Sie

können. Vor allen Dingen können Sie zeigen, was Sie
zahlen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1704915400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2018, 17/2024 und 17/2132 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der United Nations
Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 1884 (2009) vom 27. August 2009 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

– Drucksachen 17/1905, 17/2171 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/2177 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rainer Stinner für die FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1704915500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Stabilisierung der Region Naher Osten liegt ohne jeden
Zweifel im deutschen und selbstverständlich auch im





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)


europäischen Interesse. Wie fragil die Situation ist, müs-
sen wir leider im Wochenrhythmus immer wieder neu
erleben. Wir haben uns damit erst letzte Woche beschäf-
tigt.

Im Prinzip geht es um einen Dreiklang. Es geht ers-
tens darum, das Existenzrecht Israels in sicheren Gren-
zen zu gewährleisten, was Deutschland immer sehr stark
am Herzen gelegen hat und liegen wird. Es geht zwei-
tens darum, einen lebensfähigen palästinensischen Staat
aufzubauen. Drittens geht es um die Stabilisierung des
Staates Libanon.

Da wir ein Interesse an der Situation haben, müssen
wir als Deutsche einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag
kann verschiedene Facetten haben. Am 18. Januar dieses
Jahres zum Beispiel ist es gelungen, dass deutsch-israeli-
sche Regierungskonsultationen stattgefunden haben, in
einem Umfang, wie wir es vor einigen Jahren nie für
möglich gehalten hätten. Am 18. Mai ist der Deutsch-
Palästinensische Lenkungsausschuss zusammengekom-
men, in dem auch Konsultationen quasi auf Regierungs-
ebene stattgefunden haben. Auch das ist historisch von
ungeheurer Bedeutung und war vor einigen Jahren nicht
vorstellbar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ein weiterer Beitrag zur Stabilisierung dieser Region
ist der UNIFIL-Einsatz, den Deutschland seit 2006 be-
gleitet. UNIFIL war notwendig, um die Resolution 1701
durchzusetzen und das Land zu stabilisieren. Zunächst
war es ein Feuerwehreinsatz; denn es musste in der Tat
Feuer gelöscht werden. Aber seit 2006 hat sich die Situa-
tion im Nahen Osten geändert, wie wir alle wissen. Von
daher ist es richtig, heute, im Jahre 2010, darüber nach-
zudenken, ob es bei UNIFIL Umsteuerungsbedarf gibt
und wie man UNIFIL in Zukunft gestalten kann.

Die Zustimmung zu UNIFIL hier im Hause war im-
mer mit der Forderung verbunden, dass parallel dazu die
beteiligten Länder in einen politischen Lösungsprozess
eintreten. Ich sage unverblümt, dass ich mit den diesbe-
züglichen Bemühungen nicht sehr zufrieden bin. Da
hätte mehr geschehen können und müssen.

Die Vereinten Nationen haben im Frühjahr dieses Jah-
res eine Evaluation dieses UNIFIL-Einsatzes vorgenom-
men. Diese Evaluation war für unsere Fraktion sehr
wichtig; sie war ein sehr wichtiger Meilenstein zur Beur-
teilung unseres eigenen Handelns. Die Vereinten Natio-
nen sind ohne jeden Zweifel sehr deutlich zu der Über-
zeugung gekommen, dass ein weiterer UNIFIL-Einsatz
gegenwärtig noch unbedingt notwendig ist.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile auch
ausdrücklich das Statement des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen. Selbstverständlich kann die Beteili-
gung an UNIFIL keine Never ending Story sein und bis
zum Sankt-Nimmerleins-Tag erfolgen. Nein, wir müssen
bei UNIFIL wie bei anderen Mandaten auch darüber
nachdenken, unter welchen Bedingungen ein Abschmel-
zen oder ein Auslaufen solcher Mandate erfolgen kann.
Das ist richtig. Das ist genau die Position der FDP-Frak-
tion.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU])


Man muss Änderungen vornehmen und ein solches
Mandat den Realitäten anpassen, aber ausdrücklich die
Auslaufperspektive im Auge behalten; denn das ist
wichtig.

Wir wissen aber auch, dass an ein Auslaufen des
UNIFIL-Mandates nicht zu denken ist, wenn die libane-
sische Marine nicht in der Lage ist, die Sicherungsaufga-
ben dort selbst wahrzunehmen. Deshalb ist in dem vor-
liegenden Mandat eine Umorientierung primär in der
Ausbildung und Unterstützung der libanesischen Marine
vorgenommen worden. Das Wichtige ist, dass wir die li-
banesische Marine in die Lage versetzen, diese Aufgabe
mittelfristig selbst zu übernehmen. Ich bin sehr froh da-
rüber, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht nur im
Rahmen von UNIFIL, sondern auch in bilateralen Pro-
jekten den Libanon unterstützt, etwa mit der Lieferung
von Schiffen und Ausrüstung. Das ist genau der richtige
Weg. Die Beendigungsperspektive kann also erst dann
am Horizont erscheinen, wenn die Befähigung der liba-
nesischen Marine aufgewachsen sein wird. Dazu leisten
wir unseren Beitrag.

Wir begrüßen sehr, dass sich die neue Bundesregie-
rung beim Umfang des Mandates den Realitäten ange-
passt hat. Realität vor Ort ist Folgendes: Gegenwärtig
sind 237 deutsche Soldaten vor Ort. Es ist sinnvoll und
richtig, im Rahmen der Neuorientierung dieses Manda-
tes eine Reduzierung vorzunehmen. Dies dient der
Wahrheit und Klarheit von Mandaten, der wir uns als
FDP-Fraktion deutlich verschrieben haben.


(Beifall bei der FDP)


Wir begrüßen auch, dass die neue Bundesregierung
bei jedem einzelnen Mandat eine genaue Überprüfung
vorgenommen hat. Wir haben gegenwärtig acht Aus-
landsmandate. Von denen hat die neue Bundesregierung
eines ausgeweitet: Afghanistan. Sie alle wissen, warum
und wie. Bei zweien ist die Zahl gleich geblieben, und
bei fünf Mandaten sind seit Antritt der neuen Bundesre-
gierung sowohl die Obergrenze des Mandates als auch
die Ausschöpfung zurückgenommen worden. Dies
nenne ich verantwortliche deutsche Außenpolitik, und
ich bedanke mich beim Herrn Außenminister, dass er
diese Politik von sich aus mit Impetus vorangetrieben
hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das Ganze in Zahlen ausgedrückt: Die kumulierte Ober-
grenze ist seit Regierungsantritt am 27. Oktober letzten
Jahres um sage und schreibe 20 Prozent gesunken, und
auch die aktuelle Präsenz vor Ort ist um 18 Prozent ge-
sunken. Das ist der Weg in die richtige Richtung.

Im Zusammenhang mit den Auslandsmandaten – dies
hebe ich für meine Fraktion deutlich hervor – brauchen
wir nach wie vor an manchen Orten in dieser Welt mili-
tärischen Einsatz. Wir alle wissen zwar, dass wir mit Mi-
litär nie ein Problem lösen werden. Aber der militärische
Einsatz dient dazu, politische Lösungen zu ermöglichen.
Dies gilt insbesondere bei UNIFIL. Wir können auch in





Dr. Rainer Stinner


(A) (C)



(D)(B)


diesem Fall – ich bin mehrmals im UNIFIL-Gebiet ge-
wesen – mit Stolz auf das zurückblicken, was unsere
Soldaten dort geleistet haben. Sie haben einen Beitrag
zum Frieden im Nahen Osten geleistet, und dafür sollten
wir ihnen Dank und Anerkennung zollen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Stabilisierung der Region liegt in unserem deut-
schen Interesse. Wir sollten uns als Deutsche nicht über-
heben. Wir allein können nicht den gordischen Knoten
durchhauen; aber wir können gerade aufgrund der exzel-
lenten Arbeit der Bundesregierung – ich hatte Israel und
Palästina genannt – im Rahmen der Europäischen Union
einen vehementen Beitrag dazu leisten. Ich bin sehr
dankbar, dass die Bundesregierung das manchmal etwas
schläfrige Quartett revitalisiert und erklärt hat, das Quar-
tett müsse eine tragende Rolle spielen, was auch für den
anderen Zusammenhang gilt, über den wir in der letzten
Woche diskutiert haben. Wir unterstützen die Bundesre-
gierung nachhaltig bei ihrem Bemühen, den deutschen
Beitrag zur Stabilisierung dieser Region deutlich zu ma-
chen. Deshalb werden wir mit sehr großer Mehrheit dem
geänderten neuen Mandat zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704915600

Nächster Redner ist der Kollege Günter Gloser für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1704915700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die heutige Debatte wäre gar nicht nötig ge-
wesen, wenn das UNIFIL-Mandat im letzten Dezember
turnusgemäß gleich um ein Jahr verlängert worden wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun haben wir die Debatte, in der ich drei Punkte her-
vorheben möchte:

Erstens. Die SPD unterstützt natürlich die Verlänge-
rung des UNIFIL-Mandats,


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr gut! Sehr vernünftig!)


weil UNIFIL eine erfolgreiche Mission ist.

Zweitens trägt UNIFIL zur Stabilisierung der Region
bei, da sowohl Israel als auch der Libanon der Mission
ausdrücklich zugestimmt haben.

Drittens schließe ich mich – hier gibt es sicherlich Ei-
nigkeit – dem Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten
in dieser Region an, die dort wirklich hervorragende Ar-
beit geleistet haben.

Nun möchte ich erläutern, warum diese Mission in
mehrfacher Hinsicht beispielhaft für die Art der deut-
schen Außenpolitik ist. Sie ist beispielhaft für die Durch-

führung und die Begrenzung von Auslandseinsätzen.
Unzureichend ist bislang aber leider die politische Flan-
kierung des militärischen Einsatzes. Beispielhaft im ne-
gativen Sinne – das kann ich Ihnen nicht ersparen, lieber
Kollege Stinner – ist diese Mission für eine schlechte
Außenpolitik insbesondere der Freien Demokratischen
Partei, die in der Vergangenheit aus parteitaktischen
Gründen bei diesem wichtigen Mandat schwankte und
zauderte.


(Beifall bei der SPD)


Die FDP hatte im Dezember 2009 argumentiert, man
müsse bei der Verlängerung abwarten, wie die Evaluie-
rung der Mission durch die Vereinten Nationen ausfalle.
Das war und ist ein vorgeschobenes und falsches Argu-
ment; denn jeder derartige Einsatz der Vereinten Natio-
nen wird regelmäßig evaluiert. Das ist also kein Grund,
ein Mandat künstlich zu begrenzen sowie Enttäuschung
und Irritation bei wichtigen Partnern, bei den Vereinten
Nationen, in der Region sowie bei den Soldatinnen und
Soldaten hervorzurufen.

Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns im
Umgang mit derartigen Einsätzen? Sie erwarten eine
einwandfreie Mandatierung, eine professionelle Umset-
zung und, soweit möglich und sinnvoll, die Reduzierung
oder Beendigung eines Einsatzes; das ist unbestritten.
Aber es geht nicht um einen Wettbewerb der Exit-Strate-
gien,


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Nein!)


sondern um einen verantwortungsvollen Ausstieg aus ei-
nem Mandat.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: So wie wir es machen!)


Schließlich erwarten die Menschen eine politische Flan-
kierung des Einsatzes. Diese erwarten auch die Soldatin-
nen und Soldaten, wenn sie in so schwierige und gefähr-
liche Einsätze geschickt werden. Wenn wir es mit dem
erweiterten Sicherheitsbegriff und dem Vorrang ziviler
Mittel in der Außenpolitik ernst meinen, dann müssen
wir auch fragen, was die Bundesregierung getan hat, um
die militärische Arbeit der UNIFIL-Mission politisch zu
begleiten, ob sie alles getan hat, damit die Wirkung des
Einsatzes nachhaltig ist.

Ihre Reise in die Region vor einigen Wochen, sehr ge-
ehrter Herr Außenminister, war in dieser Hinsicht richtig
und wichtig.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr wahr!)


Ein solches Engagement habe ich im Namen der SPD-
Fraktion schon bei der letzten Mandatsverlängerung im
Dezember 2009 angemahnt. Leider blieb die Reise bis-
her aber eine Einzelmaßnahme. Wünschenswert wäre
eine weitere Initiative zur Verbesserung der Sicherheit
an der Landgrenze. Hier läuft ein erfolgreiches Modell-
projekt zur Unterstützung des libanesischen Zolls. Es
wäre gut, solche Initiativen weiterzuführen und auszu-
bauen. Noch ein Beispiel: Die syrische Haltung zum
Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Land-
grenze hat sich nicht verändert. Deutschland hat leider





Günter Gloser


(A) (C)



(D)(B)


nicht den Einfluss, den es bräuchte, um diesbezüglich et-
was zu bewegen. Deshalb appelliere ich an Sie, die Ge-
spräche und Verhandlungen mit Syrien zu intensivieren,
so wie Ihre Vorgänger es schon getan haben.

Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben aus-
drücklich erwähnt, dass Sie damals keine Kritik an
Frank-Walter Steinmeier geübt haben, als er in seiner Ei-
genschaft als Außenminister in der Großen Koalition
nach Amman gereist ist und dafür von Kollegen Ihres
heutigen Koalitionspartners kritisiert wurde. Ich hoffe
nur, dass nicht wieder dieselben Bremser auftreten und
Sie an Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten, insbe-
sondere in Syrien, hindern werden. Es geht nicht darum,
Syrien den roten Teppich auszurollen, sondern darum,
Syrien klarzumachen, dass es in Deutschland einen star-
ken und entschlossenen Partner hat, wenn es im Liba-
non, gegenüber Israel und im Verhältnis zum Iran eine
konstruktive Rolle einnimmt. Das sind hohe Anforde-
rungen an Syrien, und entsprechend groß muss der An-
reiz in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hin-
sicht sein.

Im Nahen Osten ist vieles in Bewegung, aber leider
nicht immer zum Positiven. Deswegen brauchen wir ei-
nen adäquaten, allumfassenden Politikansatz. Das liegt
in unserem Interesse und wird vor dem Hintergrund der
deutschen Verantwortung für die Sicherheit Israels und
der gesamten Region von uns erwartet. Herr Außen-
minister, wenn Sie diesen Weg ernsthaft beschreiten,
werden Sie in der SPD-Fraktion einen kritischen, aber
konstruktiven Partner haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704915800

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter

Beyer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1704915900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse vor
Gaza im östlichen Mittelmeer am Morgen des 31. Mai
– Stichwort sogenannte Friedensflottille – haben der
Welt erneut deutlich vor Augen gehalten, wie ange-
spannt die Lage im Nahen Osten noch ist. Sie haben da-
rüber hinaus die Sorge vor einer weiteren Eskalation
wachgerufen. Umso wichtiger sind für uns gerade heute
deutliche Signale, dass im Nahen Osten auch eine
schwierige Situation verbessert werden kann. Die United
Nations Interim Force in Lebanon sendet ein solches
kraftvolles Signal. Es ist möglich, auch eine schwere
Krise zu entspannen, wenn man sich entschlossen dafür
einsetzt.

2006 befürchteten nicht wenige, der Libanon-Kon-
flikt könnte der entscheidende Funken sein, der in der
Region einen Flächenbrand auslöst. Dazu ist es glückli-
cherweise nicht gekommen. Die UNIFIL-Mission hat
maßgeblichen Anteil daran, dass sich vier Jahre später,
also zum heutigen Zeitpunkt, die innenpolitische Lage

im Libanon bis zu einem gewissen Punkt stabilisiert hat.
Es wurden geordnete Parlaments- und Kommunalwah-
len durchgeführt. Die Regierung der nationalen Einheit
unter Ministerpräsident al-Hariri hat die Arbeit aufge-
nommen. Trotz aller Probleme, die es noch gibt, besteht
die begründete Perspektive, den im Oktober 2006 be-
gonnenen Einsatz in absehbarer Zeit beenden zu können.
Das macht deutlich, wie viel in den vergangenen Jahren
geleistet und erreicht worden ist.

Der Libanon ist bereits heute wieder in Teilbereichen
zur selbstständigen Kontrolle seiner Hoheitsgewässer in
der Lage. Deshalb sage ich: Wenn wir jetzt beschließen,
die personelle Obergrenze für die deutsche Beteiligung
von 800 auf 300 Soldaten zu reduzieren, dann ist das nur
konsequent. Das gilt übrigens nicht zuletzt vor dem Hin-
tergrund, dass sich die Qualität der Mission verändert
hat. Ging es damals verstärkt um militärischen Schutz,
liegt die Betonung heute auf der Ausbildung der libane-
sischen Kräfte. Wir unterstützen das Land beim Aufbau
eigener Kapazitäten und Fähigkeiten. Darüber hinaus
hilft Deutschland auch beim zivilen Aufbau des Landes,
um langfristige innenpolitische Stabilität im Libanon
und letztlich in der gesamten Region zu erreichen.

Frieden ist möglich, wenn alle Beteiligten dies wollen
und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
vorhanden ist. Das ist die Botschaft von UNIFIL. Weit
über 200 Frauen und Männer der Bundesmarine leisten
dafür momentan vor der Küste Libanons einen wichtigen
Beitrag zur Stärkung von Stabilität und Souveränität des
Landes. Sie nehmen dafür die Trennung von Familie und
Freunden auf sich. Die Besatzungen der „Kulmbach“,
der „Auerbach“ und der „Main“ gewährleisten, dass
diese Küste kein Einfallstor für Waffen ist, die den Liba-
non und die Region destabilisieren sowie das Leben der
Menschen – auch in Israel – bedrohen könnten. Diese er-
folgreiche Mission zeigt, dass diejenigen recht behalten,
die nicht bereit sind, angesichts der Schwierigkeiten im
Nahen Osten zu resignieren.

Wie wichtig den Menschen vor Ort dabei gerade die
deutsche Beteiligung ist, zeigt sich auch daran, dass so-
wohl die libanesische Regierung als auch die israelische
Regierung ausdrücklich um ein weiteres deutsches En-
gagement gebeten haben. Das sind die Motivation und
die Anerkennung für die Leistung unserer Soldatinnen
und Soldaten. Gleichzeitig hat Deutschland ein eigenes
strategisches Interesse an einem dauerhaften Frieden und
an Stabilität im Nahen Osten. Für ihren unermüdlichen
Einsatz, den sie oft unter schwierigsten Bedingungen
leisten, verdienen alle eingesetzten Soldatinnen und Sol-
daten unsere Wertschätzung und unseren Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ermutigende Entwicklung von UNIFIL bestärkt
uns darin, weiter nicht nur an die Möglichkeit von Frie-
den für alle Menschen in dieser Region zu glauben, son-
dern auch weiter dafür zu arbeiten. Die Schwierigkeit
des Einsatzes ist dadurch bedingt, dass der Libanon
schon historisch Schnittstelle vieler regionaler Konflikt-
linien ist. Wir dürfen die immer noch jederzeit präsente





Peter Beyer


(A) (C)



(D)(B)


Gefahr für das Land, zum Spielball fremder Interessen
zu werden, nicht in Abrede stellen. Am Beispiel der ex-
tremistischen Hisbollah, die innerhalb des Libanons ak-
tiv ist und sich auch an den Wahlen beteiligt, wird das
besonders deutlich. Sie ist ein Grund dafür, warum die
im Libanon seit 2006 erreichte innenpolitische Stabilität
nach wie vor fragil bleiben muss. Es wird die große Auf-
gabe der Politik sein, den Frieden, den UNIFIL derzeit
sichert, langfristig zu erhalten.

Deshalb gilt: Wo wir den demokratischen Kräften im
Libanon bei der Stabilisierung des Landes helfen kön-
nen, sowohl im Rahmen von UNIFIL als auch auf zivi-
lem Gebiet, da sollten, ja müssen wir unserer Pflicht
nachkommen.

Der deutsche UNIFIL-Einsatz ist durch das Völker-
recht legitimiert. Er ist vom UN-Sicherheitsrat manda-
tiert und von beiden Konfliktparteien ausdrücklich ge-
wünscht. Wer trotzdem sagt: „Auslandseinsätze machen
wir aus Prinzip nicht mit“ oder: „Wir unternehmen
nichts, dann machen wir auch nichts falsch“, der macht
es sich gerade bei dieser Sachlage zu einfach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer es sich bei der außenpolitischen Verantwortung aber
so leicht macht, der verlängert Konflikte, der lässt Men-
schen unnötig leiden, der verweigert sich letztlich der
ihm übertragenen Verantwortung. Wer sich dann auch
noch auf vordergründig humanitäre Aktionen einlässt,
auch, wie es die Kollegin Kerstin Müller in der Gaza-
Debatte in der letzten Woche sinngemäß zutreffend for-
mulierte, auf die Gefahr hin, sich vor den Karren von
Extremisten und Fundamentalisten spannen zu lassen,
der erweist den Menschen im Nahen und Mittleren Os-
ten einen schlechten Dienst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Und vor welchen Karren lassen Sie sich spannen?)


Lassen Sie uns das Thema „Friedenseinsatz im Liba-
non“ entschlossen und geschlossen angehen, gepaart mit
Verantwortung und Vernunft. Die Menschen brauchen
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation.
Was sie nicht brauchen, sind ideologisch gefärbte Debat-
ten, die letztlich nur der Durchsetzung eigener politi-
scher Interessen dienen sollen. Machen Sie sich die Ih-
nen übertragene politische Verantwortung bewusst! Die
Beteiligung an UNIFIL ist Einsatz für den Frieden in der
Welt durch Deutschland im besten Sinne des Wortes.
Tragen Sie mit Ihrer Entscheidung dazu bei, dass den
Menschen im Libanon der erforderliche Schutz weiter
zur Verfügung gestellt wird und sie beim Aufbau ihres
Landes weiter tatkräftig unterstützt werden! Das ist kon-
kret. Das hilft vor Ort. Deshalb wird die CDU/CSU-
Fraktion dem Antrag zustimmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704916000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704916100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Lage im Libanon hat sich im letzten halben Jahr nicht
wesentlich verändert. Trotzdem erleben wir gerade eine
erstaunliche Kehrtwende bei der FDP. Nachdem die FDP
diesen ersten Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten
bisher immer abgelehnt hat, ist sie nun dafür. Woher die-
ses Umdenken kommt, bleibt offen. Die immer wieder
bemühte Evaluation durch die Vereinten Nationen kann
es nicht gewesen sein. Sie hat nichts wirklich Neues ans
Tageslicht gebracht. Die UN haben darauf hingewiesen,
dass es Hunderte von Zwischenfällen gab und gibt, in
denen die israelische Armee die Souveränität des Liba-
nons verletzt hat. Gleichzeitig findet, so wird vermutet,
Waffenschmuggel an die Hisbollah statt, allerdings auf
dem Landweg und nicht auf hoher See. Daraus lässt sich
weder ein Erfolg noch ein militärischer Sinn deutscher
Präsenz ableiten.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das müssen Sie erklären!)


Gerade nach der Ankündigung von Minister zu
Guttenberg, auch alle Auslandseinsätze im Rahmen des
Sparpakets auf den Prüfstand zu stellen, wäre ein Umden-
ken angebracht gewesen. Die vorgesehene Verlängerung
des UNIFIL-Einsatzes im Mittelmeer kostet 32,6 Millio-
nen Euro.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: 39,6 Millionen!)


Das ist Verschwendung von Steuergeldern.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Kolleginnen und Kollegen von den anderen
Fraktionen, Sie haben es bis jetzt versäumt, auch nur an-
nähernd stichhaltige Argumente für die deutsche Beteili-
gung an dieser Kapitel-VII-Mission vorzubringen. Sie
sprechen von internationaler Präsenz mit dem Ziel, eine
Eskalation zu vermeiden. Doch warum braucht man da-
für Militär? Für diese Aufgabe würden internationale
Beobachter mit einem starken politischen Mandat aus-
reichen.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ CSU]: Die beobachten dann die Waffenlieferung!)


Selbst wenn Sie davon ausgehen, dass nur Militär durch
seine Präsenz die Aktionen anderer Militäreinheiten
überwachen kann: Warum braucht diese Mission dann
eine Lizenz zum Schießen? Warum soll eine robuste Ka-
pitel-VII-Mission zur Stabilisierung beitragen? So wird
vielmehr der weiteren Konflikteskalation Tür und Tor
geöffnet,


(Beifall bei der LINKEN – Günter Gloser [SPD]: Beispiele!)






Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


und zwar spätestens dann, wenn es tatsächlich zu militä-
rischen Auseinandersetzungen zwischen der UNIFIL-
Truppe und einer der Konfliktparteien kommt.

Sie alle reden hier von der neuen Qualität des Einsat-
zes. Sie erwähnen die Ausbildung für den libanesischen
Küstenschutz sowie die Einrichtung und Optimierung
von Küstenradarstationen. Seit wann gehört es zu den
Aufgaben der deutschen Marine, sich um die Ausbil-
dung von Sicherheitskräften und Ingenieuren zu küm-
mern?


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir tun halt, was wir können!)


Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass Sie keine libane-
sische Kriegsmarine aufbauen wollen, sondern faktisch
eine Art Küstenwache.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Grenzschutz!)


Wenn das jedoch die Absicht ist: Wozu brauchen Sie
dann Soldaten? Wäre eine solche Ausbildung nicht deut-
lich besser in zivilen Händen aufgehoben?


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Bei der Heilsarmee vielleicht!)


Herr Minister zu Guttenberg hat in der letzten Woche
erklärt:

Die auf Konfrontation ausgerichtete Anhäufung
von Waffenarsenalen dient nicht dem friedlichen
Interessenausgleich.

Ja, dem kann ich nur zustimmen. Was aber für die ver-
muteten Waffenlieferungen an die Hisbollah gilt, muss
doch genauso für die in wesentlich größerem Umfang
stattfindenden Waffenlieferungen nach Israel gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Friedlicher Ausgleich von Interessen bei gleichzeitiger
Aufrüstung – das funktioniert schlicht nicht. Gerade in
den letzten Wochen war Israel mit deutschen U-Booten,
die atomar bewaffnet werden können, im Persischen Golf
unterwegs. Das zeigt doch, wie gefährlich die deutsche
Exportpolitik für die gesamte Region des Nahen und
Mittleren Ostens ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutsche Verantwortung für diese Region bedeutet
doch wohl zunächst einmal, nicht weiter Öl ins Feuer zu
gießen. Die Waffenlieferungen an Israel, aber auch an
andere Länder dieser Region, müssen sofort beendet
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist einfach absurd, Waffen zu liefern und dadurch seit
Jahrzehnten die regionale Eskalation mitzubefördern, um
dann wiederum mit Waffen zu versuchen, die Eskalation
in den Griff zu bekommen. Einer solchen deutschen Au-
ßenpolitik kann und wird die Linke nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704916200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Kerstin Müller das Wort.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704916300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Höger, um Ihnen zumindest einen Grund zu nen-
nen, warum die UNIFIL-Mission und auch die deutsche
Beteiligung daran so wichtig sind, möchte ich hier direkt
am Anfang eine Passage aus einem Gespräch mit dem li-
banesischen Ministerpräsidenten, Herrn al-Hariri, zitieren,
der im März hier in Berlin zu Besuch war. Im Gespräch
mit den Obleuten – Herr Gehrcke nickt; er war auch da-
bei – hat er gesagt: UNIFIL hat „zur stabilsten Periode
geführt, die der Libanon je erlebt hat“, und trägt zur Sta-
bilität in der gesamten Region bei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb haben sowohl die libanesische Regierung ein-
schließlich der Hisbollah – das heißt, diese hat kein Veto
eingelegt – als auch die israelische Seite um Fortsetzung
des Einsatzes gebeten. Und nicht nur das: Beide Seiten
befürworten ausdrücklich eine Beteiligung Deutschlands
an der Mission und können sich sogar ein stärkeres deut-
sches Engagement vorstellen.

Wenn das nicht Gründe genug für Sie sind, um zu er-
kennen, dass diese Mission wirklich zu Stabilität und
Frieden beiträgt – wobei sie natürlich nicht alleine ge-
nommen werden darf, sondern immer nur einen Baustein
darstellt –, kann ich Ihnen nicht helfen. Wir meinen auf
jeden Fall, dass es deshalb richtig ist, das Mandat um ein
Jahr zu verlängern. Meine Fraktion wird dieser Mandats-
verlängerung mit großer Mehrheit zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])


– Wir sind nicht immer für Einsätze, aber dann, wenn sie
sinnvoll sind, schon.

Meine Damen und Herren von der Koalition, Herr
Außenminister, allerdings kann ich mich den Aussagen
einiger Kolleginnen und Kollegen nur anschließen.
Auch ich meine, dass wir uns die Pirouette, die wir mit
der halbjährlichen Verlängerung im Dezember gedreht
haben, wirklich hätten sparen können. Denn all das, was
Sie bei der Einbringung und im Ausschuss dazu berich-
tet haben, war auch schon im Dezember bekannt. Das
Problem war nur, dass Sie, meine Damen und Herren
von der FDP, sich noch nicht von Ihrer Position als Op-
position verabschiedet hatten. Damals waren Sie noch
gegen eine deutsche Beteiligung an UNIFIL.

Nun könnte man sagen, dass Reisen bildet. Auch dem
Außenminister haben bei seinen Reisen in der Region,
so vermute ich, alle Konfliktparteien bestätigt, dass sie
eine deutsche Beteiligung ausdrücklich wünschen. Das
Problem ist nur – diesen Punkt will ich hier schon an-
sprechen –, dass sechs Monate lang falsche Signale in





Kerstin Müller (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


die Region gesendet wurden und dass sechs Monate lang
rumgeeiert wurde. Denn die Befristung war – Sie haben
es heute noch einmal gesagt – als Einstieg in den Aus-
stieg gedacht, zum Leidwesen der CDU. Erst einmal hat
die deutsche Außenpolitik also sechs Monate diese fra-
gile Region verunsichert, statt mit klarem Kurs den Frie-
densprozess im Nahen Osten zu unterstützen. Das ist
nicht sehr verantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit setzen wir nicht nur unsere Rolle bei den Verein-
ten Nationen aufs Spiel, sondern laufen wir auch Gefahr,
unsere Rolle im Nahen Osten insgesamt zu schwächen.

Aber damit nicht genug – Sie haben es schon darge-
stellt –: Gleichzeitig wird weiter drastisch reduziert, von
800 auf 300 Soldaten schon nach einem halben Jahr. Erst
im Dezember hatten wir von 1 200 auf 800 Soldaten re-
duziert. Dieses Ergebnis wird stolz präsentiert. Die FDP
ist quasi die neue Vorkämpferin für den Pazifismus. Ich
weiß nicht, warum die Linke heute dazu nicht geklatscht
hat. Auch wir freuen uns, wenn eine Evaluierung ergibt,
dass Mandate reduziert und perspektivisch sogar beendet
werden können.

Aber: Ich meine, Sie machen es sich hier zu einfach.
Der Umsetzungsbericht des UN-Generalsekretärs zur
Resolution 1701 und sein Brief vom Februar dieses Jah-
res – Sie zitieren ihn ständig als Kronzeugen, so auch in
Ihrem Antrag – geben das nicht her. Der Generalsekretär
schreibt zwar, dass „das aktuelle Engagement nicht
unbegrenzt aufrechterhalten werden kann“ – das ist
richtig –, aber er kommt an keiner Stelle zu dem Schluss,
dass der Umfang der Mission jetzt reduziert werden
kann. Im Gegenteil – das müssten Sie eigentlich wissen;
denn angeblich haben Sie den Bericht gelesen –: Im Hin-
blick auf den maritimen Teil der Taskforce spricht der
Bericht sogar ausdrücklich davon, dass die Stärke nicht
ausreichend ist, sie sei „less than sufficient“. Der Bericht
zeigt sich besorgt über Verletzungen der Resolution 1701.
Er stellt fest, dass zwar eine Stabilisierung eingetreten
ist, aber die Situation nach wie vor fragil ist, dass Rück-
schritte die Waffenruhe gefährden können und dass es
wenige Fortschritte bei der Umsetzung der Kernforde-
rungen der Resolution 1701 gibt. Ich frage mich, wie
man angesichts einer solchen Lagebeschreibung eine
derart massive Reduzierung vorschlagen kann.

Zur Lage. Die größte Herausforderung bleibt die un-
gesicherte syrisch-libanesische Grenze und damit ver-
bunden der vermutlich ungehinderte Waffenschmuggel
an die Hisbollah. Nach Berichten soll sie inzwischen
über 40 000 Raketen verfügen, was eine Verzehnfachung
der Anzahl der Raketen wäre, die im Krieg 2006 dort ab-
gefeuert wurden. Darunter befinden sich möglicherweise
auch Scud-Raketen, die israelische Städte erreichen kön-
nen. Das empfinden Israel und auch die libanesische
Regierung zu Recht als Bedrohung. Herr Siniora, der
ehemalige Ministerpräsident, hat es diese Woche noch
einmal gesagt: „Die Hisbollah ist ein Staat im Staate.“ –
Die Hisbollah schwächt massiv das Gewaltmonopol im
Libanon. Auch der UNO-Bericht ist in diesem Punkt
eindeutig: Erst in dem Maße, in dem der Libanon seine

staatliche Souveränität aufbauen und stärken kann, kann
UNIFIL in verantwortlicher Weise reduziert werden.

Das ist das Ergebnis des Evaluierungsberichtes der
UNO. Ich muss sagen: Ich finde es unverantwortlich,
dass Sie uns und sich selbst die Lage schönreden. Sogar
UNO-Berichte müssen dazu herhalten, um hier die Ge-
sichtswahrungsnummer der FDP durchziehen zu kön-
nen. Das ist nach meiner Meinung das Gegenteil von se-
riöser Außenpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704916400

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704916500

Ich fordere Sie auf: Wenn wir dauerhaft Frieden und

Stabilität in der Region wollen, dann muss Deutschland
ein verlässlicher Partner für die libanesische Regierung
und für Israel bleiben. Dann sollten wir uns solche Spiel-
chen nicht leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704916600

Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1704916700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass UNIFIL
in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Stabili-
sierung in der Region geleistet hat, wird von fast nie-
mandem mehr bestritten. Ein Beweis dafür ist, dass
UNIFIL eine erneute Verschärfung der Spannungen zwi-
schen Israel und der Hisbollah verhindert hat, indem sie
Gerüchten entgegengetreten ist, die Hisbollah habe
Langstreckenraketen in den Libanon geschmuggelt. Sie
konnte sogar beweisen, dass dies nicht der Fall war. Ein
solches Gerücht allein – das wissen wir alle – kann in
dieser Region der Funke zu einer noch größeren Explo-
sion sein. Schon allein deswegen ist UNIFIL sinnvoll
gewesen.

Frau Höger, Kollegin Müller hat schon darauf hinge-
wiesen: Man muss sich immer wieder darüber im Klaren
sein, wer dieses Mandat gewollt hat. Es ist nicht etwas,
was sich die internationale Staatengemeinschaft ausge-
dacht hat. Es ist etwas, was sowohl von der libanesi-
schen als auch von der israelischen Regierung ausdrück-
lich gewünscht war; das gilt auch für den deutschen
Beitrag. Deswegen ist dieser Einsatz richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ist der Einsatz nur Teil eines Gesamtkon-
zeptes; das ist bereits deutlich geworden. Natürlich
muss es darum gehen, politische Lösungen für diese





Holger Haibach


(A) (C)



(D)(B)


Region zu finden. Wir reden über eine Region, die viele
Roadmaps, viele große Pläne und viele große Friedens-
konferenzen erlebt hat. Erwarten wir wirklich, dass
UNIFIL durch politisches Engagement in kürzester Zeit
Probleme lösen kann, die seit Jahrzehnten existieren?
Ich halte das für einigermaßen unrealistisch. Das enthebt
uns nicht davon – das will ich ausdrücklich sagen –, un-
seren Beitrag dazu zu leisten. Darüber gibt es überhaupt
keine Diskussion.

Wenn ich den Entschließungsantrag der Grünen zu
diesem Debattenpunkt lese, stelle ich fest, dass ich vie-
len Punkten zustimmen kann. Ich möchte aber dem Ein-
druck entgegentreten, diese Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen hätten an der Stelle nichts getan.
Es ist gute Tradition, dass Deutschland die militärischen
Auslandsmissionen der Bundeswehr mit entsprechen-
dem entwicklungspolitischen und zivilen Engagement
flankiert. So ist es auch hier. Es wird zu Recht ange-
mahnt, dass der Libanon selbst in der Lage sein muss,
sein Territorium zu verteidigen und an den Grenzen ab-
zusichern. Deswegen führt die GTZ ein Projekt zur
Grenzsicherung durch. Es ist zugegebenermaßen nur ein
Modellprojekt, bringt aber wichtige Expertise, damit die
libanesische Führung in der Lage ist, ihr Land zu vertei-
digen.

Darüber hinaus leisten wir einen großen Beitrag dazu,
dass im Libanon eine Infrastruktur entsteht, die es dem
Staat ermöglicht, seine Aufgaben wahrzunehmen; das ist
sehr wichtig. Eines der größten Probleme ist, dass die
Hisbollah einen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Die
Menschen versprechen sich davon nämlich soziale Leis-
tungen, Sicherheit und vieles mehr. Dem tritt Deutsch-
land durch seine Entwicklungsarbeit entgegen. Wir ha-
ben in den Jahren 2006 bis 2009 in den Bereichen
Aufbau von Infrastruktur, Aufbau von kleiner und mit-
telständischer Wirtschaft, Wasserver- und -entsorgung
insgesamt 85,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Ähnliches werden wir auch in Zukunft tun. Wir sehen
nämlich, dass das wichtig und notwendig ist. Ihr Bild,
Deutschland beteilige sich nur an einer Militärmission,
ist vollkommen falsch und geht absolut an der Realität
vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der guten Ordnung halber: Der Begriff der vernetzten
Sicherheit, also des Comprehensive Approach, den wir
auch an anderen Stellen diskutieren, ist, mit Verlaub,
eine deutsche Erfindung. Insofern glaube ich, dass man
uns nicht vorwerfen kann, wir engagierten uns nicht ent-
sprechend.

Alles in allem bin ich der Meinung, dass es sich bei
dem neuen Mandat um eine wirklich vernünftige Ange-
legenheit handelt. Es ist auf jeden Fall klar, dass die
deutsche Marine dazu beiträgt, den Waffenschmuggel
über den Seeweg zu verhindern. Wenn wir gleichzeitig
noch einen Beitrag zum Aufbau libanesischer Staatlich-
keit leisten, sollte das uns allen recht sein. Wir sollten
das nach Kräften unterstützen.

Danke sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704916800

Das Wort hat die Kollegin Karin Evers-Meyer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Karin Evers-Meyer (SPD):
Rede ID: ID1704916900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten zum fünften Mal über ein neues
Mandat für die Bundeswehr zur Teilnahme am UNIFIL-
Einsatz vor der libanesischen Küste. Meine Fraktion un-
terstützt diese Marinemission nach wie vor. Wir halten
den Einsatz auch im fünften Jahr für richtig und notwen-
dig.

Die deutsche Marine leistet vor der libanesischen
Küste hervorragende Arbeit. Deswegen danke auch ich
für meine Fraktion an dieser Stelle zuallererst den Solda-
tinnen und Soldaten, die in diesem schwierigen Umfeld
ihren Dienst leisten.


(Beifall bei der SPD)


Ich weiß, dass dieser Einsatz in der Öffentlichkeit
wenig Aufsehen erregt. Das spricht nicht zuletzt dafür,
dass dort gute Arbeit geleistet wird. Das sollte uns
nicht davon abhalten, den Einsatz unserer Marinesolda-
tinnen und -soldaten als wichtigen Beitrag zur Stabili-
sierung in dieser Region immer wieder hervorzuheben.
Der UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine ist ein Er-
folg. Seit Beginn der Mission im Sommer 2006 hat sich
die Lage im Libanon stabilisiert. Die Überwachung der
libanesischen Küstengewässer durch die deutsche Ma-
rine hat dazu einen ganz zentralen Beitrag geleistet.

Im vergangenen Jahr hat sich die Situation im Liba-
non weiter verbessert. Eine dauerhafte Waffenruhe ist
nach Ansicht internationaler Beobachter vielleicht in
greifbarer Nähe. Es ist völlig klar und absolut geboten,
dass wir in dieser wichtigen Phase die Verantwortlichen
vor Ort weiterhin unterstützen. Insofern freue ich mich,
dass sich die Kolleginnen und Kollegen der FDP nun
auch diesem Einsatz anschließen, auch wenn das wohl
eher der Gesichtswahrung als einer ernstzunehmenden
Linie in der Außenpolitik geschuldet ist.

Aber die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft
umfasst natürlich mehr, als den Waffenschmuggel über
See zu verhindern. Unsere Aufgabe lautet, die Verant-
wortlichen vor Ort in die Lage zu versetzen, selber für
Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen. Für
den Küstenraum bedeutet das: Wir wollen, dass sie in die
Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu überwachen
und abzusichern. Deshalb unterstützen wir die Ausge-
staltung des erneuten Mandats. Die libanesischen Behör-
den werden darin noch stärker dazu angehalten, eigene
und vor allem – das ist meiner Meinung nach der ent-
scheidende Punkt – funktionierende Sicherheitsorgane
aufzubauen. Es ist uns wichtig, dass die Bundesregie-
rung den Ansatz zu mehr Eigenverantwortung viel deut-
licher als bisher einfordert. Bisher ist die Bilanz auf die-
sem Gebiet nicht nur unzureichend; Fortschritte sind





Karin Evers-Meyer


(A) (C)



(D)(B)


eigentlich gar nicht wahrnehmbar. Das müsste sich in-
nerhalb der nächsten zwölf Monate ändern.

Das deutsche Engagement wird sowohl vom Libanon
als auch von Israel unterstützt. Das zeigt, dass uns beide
Seiten großes Vertrauen entgegenbringen, vor allen Din-
gen in die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Das
können wir nutzen. Deshalb noch einmal: Wir fordern
deutlichere Anstrengungen der Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sorgen Sie bei den libanesischen Partnern für einen
schnelleren Aufbau der eigenen Kräfte für den Küsten-
schutz. Es gibt nach wie vor große Lücken bei der Über-
wachung der Küstengewässer durch libanesische Kräfte.
Die personelle Durchhaltefähigkeit ist nicht ausreichend,
und nicht zuletzt ist auch die Ausrüstung alles andere als
alltagstauglich.

Mir ist es deswegen wichtig, festzuhalten: Wenn der
deutsche Marineeinsatz bei UNIFIL in absehbarer Zeit
beendet werden soll, müssen im kommenden Jahr bei
der Ausbildung und Befähigung der libanesischen Kräfte
deutlich größere Anstrengungen unternommen werden.
In den kommenden zwölf Monaten hat die Bundesregie-
rung Zeit, uns davon zu überzeugen, dass sie die Situa-
tion ernst nimmt. Dabei hat sie unsere Unterstützung. Es
reicht aber nicht aus, allein auf die gute Arbeit unserer
Marineeinheiten zu vertrauen. Fürs Zuschauen bekommt
man unsere Unterstützung nicht.

Sie wissen so gut wie wir, dass jede militärische Hilfe
nur Erfolg haben kann, wenn Deutschland aktiv politi-
schen Einfluss auf die Akteure in der Region ausübt.
Leider hat die Regierung auch hier in den vergangenen
acht Monaten Vertrauen verspielt. Wenn Sie den deut-
schen Einsatz im Nahen Osten in absehbarer Zeit wirk-
lich beenden wollen, dann müssen Sie endlich aktiver
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sonst ist die Präsenz der deutschen Marine vor der liba-
nesischen Küste in der Tat sinnlos.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704917000

Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für den letzten

Redner in dieser Debatte. Es ist seine erste Rede.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Ingo Gädechens.


Ingo Gädechens (CDU):
Rede ID: ID1704917100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin – wenn
ich vom Wortbeitrag von Frau Höger absehe – hocher-
freut, dass sich hier im Parlament eine breite Mehrheit
für die Verlängerung des UNIFIL-Einsatzes abzeichnet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zum Thema. Begibt man sich in die Themenbereiche
NATO und UN, stößt man auf die allseits beliebten Ab-
kürzungen und führt insbesondere die Kolleginnen und
Kollegen, die sich etwas weniger mit sicherheits- und
verteidigungspolitischen Fragen beschäftigen, in einen
sprachlichen Irrgarten. Wichtige Debatten wurden über
das ISAF- und das KFOR-Mandat in Afghanistan und
im Kosovo geführt. Für die Außen- und Verteidigungs-
politiker sind darüber hinaus Begriffe wie UNAMA,
EUFOR, EUSEC, OEF, Atalanta, OAE, UNMIK und
EULEX gängige Abkürzungen von Bezeichnungen für
internationale Einsätze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gleich werden wir noch über UNMIS und UNAMID
diskutieren.

Hinter jeder Abkürzung verbirgt sich einer der Ein-
sätze, in die das deutsche Parlament mehrheitlich zurzeit
insgesamt 6 666 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
entsandt hat. Es handelt sich um Einsätze mit Verbünde-
ten, in denen teilweise gekämpft werden muss, in denen
manchmal nur beobachtet wird, oder um Einsätze, bei
denen wir anderen Nationen in unterschiedlichster Weise
hilfreich zur Seite stehen. Jeder Auftrag, jedes Mandat
für sich betrachtet, ist es selbstverständlich wert, immer
wieder überprüft, diskutiert und gegebenenfalls – so wie
heute – neu mandatiert zu werden.

Wie bereits gehört, geht es in dieser Beratung um die
Fortführung der Mission UNIFIL, der sogenannten United
Nations Interim Force in Lebanon. Ausgangspunkt unse-
res Engagements war die Resolution, die der Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen erlassen hat, nachdem es
zuvor zu teilweise schwer bewaffneten Auseinanderset-
zungen zwischen libanesischen Truppen und Israel ge-
kommen war.

Es würde zu weit führen – meine Vorrednerinnen und
Vorredner sind schon darauf eingegangen –, das über
viele Jahre vorherrschende Konfliktpotenzial zu be-
schreiben. Dass es sich um einen seit Jahrzehnten wäh-
renden Konflikt handelt, wird unter anderem dadurch
deutlich, dass UNIFIL eine der ältesten UN-Missionen
ist und seit 1978 unterschiedliche Kräfte versuchen, ei-
nen Waffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel
herbeizuführen. Bis heute bleiben die Aktivitäten der
Hisbollah im Süden unberechenbar. Zurückliegende An-
griffe deuten auf die reale Existenz erheblicher Waffen-
bestände außerhalb der Kontrolle libanesischer Streit-
kräfte hin.

Eigentlich liegt es in der originären Verantwortung ei-
nes jeden Staates – auch das hörten wir –, unerlaubte
Waffenlieferungen und -transporte zu verhindern. Da
sich die libanesische Regierung dazu nicht imstande sah
und leider immer noch nicht sieht, befinden sich seit Ok-
tober 2006 Einheiten der deutschen Marine im Einsatz
vor der Küste des Libanons, mit dem Auftrag, genau die-
sen Waffenschmuggel zu verhindern und darüber hinaus
libanesische Kräfte in die Lage zu versetzen, selber ho-
heitliche Aufgaben zu übernehmen.

Bis heute wurden weit über 31 000 Schiffe durch
UNIFIL-Einheiten abgefragt; 460 verdächtige Schiffe





Ingo Gädechens


(A) (C)



(D)(B)


wurden von libanesischen Behörden untersucht. Wäh-
rend der Erfolg bei den Einsätzen der Verbände der Mis-
sion Atalanta oftmals durch das Aufbringen von Skibs
und die Beschlagnahmung der Waffen sichtbar wird,
liegt der Erfolg der UNIFIL-Mission in der Präsenz, die
zur Abschreckung und Verhinderung illegaler Waffen-
transporte führt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In den vergangenen Jahren haben circa 5 900 deut-
sche Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiter am
UNIFIL-Einsatz mitgewirkt. Nach anfänglich starker
Präsenz durch zwei Fregatten, einen Einsatzgruppenver-
sorger, vier Patrouillenboote und einen Tender konnte
die deutsche Marine den Umfang auf aktuell nur noch ei-
nen Tender und zwei Patrouillenboote reduzieren.

In Bezug auf den KFOR-Einsatz hat der Bundes-
minister der Verteidigung von einem teilweise vergesse-
nen Mandat gesprochen. Ich möchte nicht vergessen, zu
erwähnen, dass unsere Marinesoldaten vor der Küste des
Libanons einen hervorragenden Job geleistet haben und
bis heute leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Während die größeren Einheiten wie Fregatten, Ver-
sorger und Tender für die Weltmeere konzipiert und bau-
lich den Anforderungen der Seelagen angepasst sind,
stellte dieser Einsatz die Besatzung der eigentlich für
Nord- und Ostsee konzipierten Schnellboote und Minen-
sucher vor ungeahnte Herausforderungen. Nur durch
Einsatzwillen, großes Engagement und Kreativität hat
die Besatzung der Bootseinheiten gewährleistet, dass der
vom Deutschen Bundestag erteilte Auftrag UNIFIL bis
heute erfolgreich durchgeführt werden konnte.

Die libanesische Marine ist auf dem Weg, die Eigen-
sicherung der Seegrenze zu übernehmen. Auch hier gilt
es, lobend hervorzuheben, dass wir nicht nur Material
und Ausrüstung zur Verfügung gestellt haben, sondern
dass es durch Schulung und Kooperation eine funktio-
nierende Küstenradarorganisation gibt und die von uns
zur Verfügung gestellten Behördenschiffe tatsächlich ge-
führt werden können.

Die Beziehung zwischen dem Libanon und Israel
bleibt fragil, man könnte sagen: traditionell angespannt.
Die Situation vor Ort ist nach wie vor kritisch. Deshalb
haben sowohl die libanesische als auch die israelische Re-
gierung – das haben wir gehört – ausdrücklich um die Auf-
rechterhaltung einer deutschen Beteiligung am UNIFIL-
Flottenverband gebeten. Lassen Sie uns auch weiterhin
einen Beitrag zur Sicherung des Friedens an dieser Stelle
der Welt leisten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704917200

Herr Kollege Gädechens, das war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag, und dies unmittelbar vor einer na-

mentlichen Abstimmung. Ich gratuliere Ihnen sehr herz-
lich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 17/2171 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in
Lebanon. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 17/1905 anzunehmen. Es ist namentliche Ab-
stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die Plätze an den Urnen einzunehmen. –
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir haben vor der nächsten Debatte noch eine Ab-
stimmung zu absolvieren. Damit ich einen Überblick
über das Abstimmungsverhalten bekomme, bitte ich die
Kolleginnen und Kollegen, die hierbleiben wollen, Platz
zu nehmen, und die anderen, den Saal zu verlassen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/2186. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltung? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
SPD-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Achten Buches So-
zialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung
eines Betreuungsgeldes

– Drucksache 17/1579 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Katja Dörner für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.

1) Ergebnis Seite 5044 C






(A) (C)



(D)(B)



Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704917300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Das geplante Betreuungsgeld hat in die-
sem Haus keine Mehrheit. Ich finde, das ist eine sehr
gute Nachricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen haben jetzt einen Gesetzentwurf vorge-
legt, um das geplante Betreuungsgeld kurz und schmerz-
los wieder loszuwerden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit ersparen wir uns und der Öffentlichkeit weitere
sinnlose Auseinandersetzungen zu diesem Thema, unter
anderem über die Frage: Barauszahlung oder Gutschein-
lösung? Die ehemalige Bundesfamilienministerin von
der Leyen hat schon 2007 sehr treffend gesagt, das ge-
plante Betreuungsgeld sei eine bildungspolitische Kata-
strophe. Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufü-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klar ist: Mit dem Betreuungsgeld würden Anreize ge-
setzt, Kinder nicht in Einrichtungen frühkindlicher Bil-
dung zu geben. Das würde vor allem Kindern schaden,
die eine frühe Förderung besonders nötig hätten, bei-
spielsweise weil sie dergleichen in ihren eigenen Fami-
lien nicht mitbekommen. Das wollen wir Grüne auf gar
keinen Fall.

Das Betreuungsgeld wäre nicht nur eine bildungspoli-
tische, sondern auch eine gleichstellungspolitische Kata-
strophe; denn es sendet das fatale Signal: Mütter, bleibt
zu Hause, geht nicht in euren Beruf zurück!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Mütter verlieren dann im Job den Anschluss, was Folgen
für ihre Löhne, für ihre berufliche Entwicklung, für ihre
finanzielle Unabhängigkeit und auch für ihre Rentenan-
sprüche hat. Der vernünftige Weg, der zum einen mit
dem Elterngeld und zum anderen mit dem Rechtsan-
spruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr – diese
beiden Sachen haben aus meiner Sicht zusammen Sinn –
eingeschlagen wurde, wird mit dem Betreuungsgeld ad
absurdum geführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Ein-
richtung in geldwerter Form ausgleichen zu wollen, ist
eine historisch einmalige Fehlleistung. Ebenso könnte
man die Nichtinanspruchnahme von Autobahnen durch
Radfahrer finanziell honorieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist völliger Blödsinn!)


Vor diesem Hintergrund frage ich ganz ernsthaft, wie
man das Betreuungsgeld so ausgestalten möchte, dass es
verfassungsgemäß ist. Darauf bin ich gespannt.

Man hört immer wieder den Einwand „Wahlfreiheit“.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere von der
CSU, Wahlfreiheit besteht. Niemand wird gezwungen,
sein Kind in einer Kita anzumelden. Kinder komplett zu
Hause zu erziehen, wird schon heute durch viele fami-
lienpolitische Leistungen unterstützt, durch zu viele,
würde ich fast sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)


Nein, Wahlfreiheit bedeutet Auswahlfreiheit. Diese Aus-
wahlfreiheit wird nur dadurch hergestellt, dass ausrei-
chend qualitativ gute und möglichst gebührenfreie Ganz-
tagsplätze in den Kindertagesstätten zur Verfügung
stehen. Dem steht das Betreuungsgeld faktisch im Wege.

Das Betreuungsgeld würde jährlich rund 2 Milliarden
Euro kosten. Das ist Geld, das wir angesichts von Spar-
paketen und Rettungsschirmen, von denen wir jetzt di-
verse haben, an anderen Stellen viel dringender brau-
chen, vor allem – ich erwähne das noch einmal – für den
qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreu-
ung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele Kolleginnen und Kollegen – nicht nur, aber
auch von der FDP – haben Kluges zum Betreuungsgeld
gesagt. Ich möchte Frau Gruß zitieren, die in einer Rede
im November 2009 sagte: „Meine Kritik am Betreuungs-
geld gilt weiterhin.“


(Miriam Gruß [FDP]: Sehr richtig!)


Ich hoffe, das ist auch heute noch der Fall. In der Bild-
Zeitung stand ein Satz von Minister Brüderle zum Be-
treuungsgeld: „Ich mache kein Geheimnis daraus, dass
ich davon nicht viel halte.“


(Christel Humme [SPD]: Herrn Lammert kann man auch noch zitieren! Der war auch noch dagegen!)


Ich möchte hier die Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen, die um die schädlichen Folgen eines Betreu-
ungsgeldes wissen, auffordern: Machen auch Sie kein
Geheimnis daraus, dass Sie nichts davon halten. Setzen
Sie sich mit uns dafür ein, dass die gesetzliche Grund-
lage für dieses Betreuungsgeld so schnell wie möglich
aus dem KJHG verschwindet.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704917400

Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704917500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ob das Betreuungsgeld eine Mehrheit bekommt,
das warten wir erst einmal ab. Ganz sicher ist, dass Ihr
Gesetzentwurf hier keine Mehrheit bekommen wird; da-
von können Sie ausgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das war aber ein tolles Argument!)


Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parolen, die in
Ihrem Gesetzentwurf stehen, tatsächlich ernst gemeint
sind.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind sie!)


Wenn Sie das tatsächlich ernst meinten, dann müssten
Sie die Kitabetreuung vom Tag der Geburt an fordern.
Dann müssten Sie eigentlich auch gegen das Elterngeld
sein. Dann hätten Sie gegen das Mutterschaftsgeld sein
müssen. Vor allen Dingen hätten Sie gegen das Erzie-
hungsgeld, das wir seit 1986 hatten, sein müssen. Dann
müssten Sie die skandinavischen Länder, Frankreich und
Italien vorwurfsvoll fragen: Warum habt ihr das Betreu-
ungsgeld? Sie sagen: „Wir wollen es nicht“, und zwar
aus den – in Anführungszeichen – „wohl erwogenen
Gründen“, die in Ihrem Antrag stehen.


(Caren Marks [SPD]: Die Sie aber wohl nicht begriffen haben!)


Warum sollten wir im Vergleich zu den Skandinaviern
gescheiter sein?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Sagen Sie das auch zum Mindestlohn?)


In Dänemark, in Schweden, in Norwegen und in Finn-
land gibt es ein Betreuungsgeld. Warum glauben Sie,
dass die Menschen und die Parlamente dort völlig dane-
benliegen?


(Diana Golze [DIE LINKE]: Das sagen Sie beim Mindestlohn doch auch! Den haben die nämlich auch!)


– Vielleicht könnten Sie mir einmal zuhören;


(Caren Marks [SPD]: Nein! Das schmerzt!)


das wäre ab und zu ganz gut. Aber das Zuhören scheinen
Sie nicht gelernt zu haben.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Bei Ihren Argumenten fällt das schwer!)


Vielleicht waren Sie nicht in der Kita; das kann ja sein.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielleicht hätten Sie früher in die Kita gehen müssen;
dann könnten Sie jetzt eventuell ein bisschen besser zu-
hören.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Vielleicht fehlt es Ihnen aber auch an der Kinderstube.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Frau Präsidentin, jetzt wird es aber persönlich!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Eltern-
geld bevorzugt nur die Eltern, die zur Arbeit gehen; es
ist gut, dass wir es eingeführt haben. Aber es ist nicht ge-
recht gegenüber den Eltern, die nicht zur Arbeit gehen,
die sich sagen: Ich möchte mein Kind lieber daheim be-
halten, es lieber daheim erziehen und ihm die Wärme der
Eltern, von Vater und Mutter, möglichst lange zuteil
werden lassen.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb gibt es ja das Mindestelterngeld!)


Was ist daran falsch?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704917600

Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Golze?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704917700

Wo ist sie?


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist die, die nicht im Kindergarten war! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die mit der schlechten Kinderstube!)


– Ja, bitte sehr.


Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704917800

Vielen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage erlau-

ben.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704917900

Sehen Sie, ich war aber nicht in der Kita.


(Vereinzelt Heiterkeit)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704918000

Mein etwas erzürnter Zwischenruf bezog sich darauf,

dass Sie für das Betreuungsgeld das Argument angeführt
haben, dass es in vielen anderen europäischen Staaten
auch ein Betreuungsgeld gibt. Dann stellten Sie die
Frage: Warum sollten wir klüger sein und es nicht ein-
führen? Ich frage Sie: Warum gilt dieses von Ihnen vor-
getragene Argument nicht auch für den Mindestlohn,
den es auch in vielen anderen europäischen Staaten gibt?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum wollen wir gerade bei diesem Thema klüger sein,
indem wir ihn nicht einführen? Das gilt auch, wenn es
darum geht, Familien und Alleinerziehende bei der Kin-
dererziehung zu unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Wir können gleich auch noch über den Milchpreis reden, wenn Sie wollen!)







(A) (C)



(D)(B)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704918100

Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, kommen Sie im-

mer auf den Mindestlohn zu sprechen. Dieses Thema hat
hier und heute in dieser Debatte nun wirklich nichts zu
suchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!)


Das sind weit hergeholte Argumente. Jetzt dürfen Sie
sich wieder setzen, Frau Kollegin. Auf diese Frage gehe
ich nämlich gar nicht ein.


(Heiterkeit – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ihnen fehlt die Kinderstube!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Eltern-
geld ist eine einseitige Maßnahme, die notwendig und
richtig ist. Wir müssen aber auch an die Eltern denken,
die das Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro bekom-
men wollen – das ist nicht viel –, damit sie wenigstens
einen kleinen Ausgleich dafür haben, dass sie ihre Kin-
der daheim erziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatschen ja noch nicht einmal alle Ihre Kollegen! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das kann doch jeder machen, wie er will!)


Was soll daran falsch sein? Ich wiederhole diese Frage:
Was soll falsch daran sein, dass Kinder bis zum dritten
Lebensjahr, bis sie in den Kindergarten gehen, daheim
erzogen werden,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können die Frauen doch jetzt schon!)


wenn die Eltern das wollen?


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klar! Es gibt ja keinen Zwang!)


Wenn Vater und Mutter zu dem Ergebnis kommen:
„Es ist besser für unser Kind, wenn wir es daheim behal-
ten“, und wenn Mutter oder Vater bereit sind, dafür auf
die Ausübung des eigenen Berufs zu verzichten, warum
sollten wir das nicht anerkennen? Woher nehmen wir die
Arroganz, dies nicht anzuerkennen? Warum sollten diese
Eltern, wie es in Ihrem Antrag steht, nicht in der Lage
sein, ihre Kinder ordnungsgemäß zu erziehen? Warum
soll das der Fall sein? Generationen von Menschen sind
so erzogen worden. Warum soll das auf einmal nicht
mehr gelten?

Ich habe nichts gegen Kitas. Dort, wo Kitas sinnvoll
sind und von Eltern genutzt werden, sollen sie auch in
Anspruch genommen werden.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704918200

Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal unterbrechen.

Die Kollegin Deligöz möchte Ihnen eine Frage stellen.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704918300

Nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit dem

Mindestlohn kommt.


(Heiterkeit – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Gut. Dann bitte.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704918400

Herr Kollege Geis, ich frage Sie nicht zum Mindest-

lohn, sondern zum Elterngeld. Das Elterngeld hat be-
kanntlich zwei Komponenten. Die eine Komponente ist
die Lohnersatzleistung. Ich gebe zu: Die CSU war
eigentlich dagegen, hat die Entscheidung aber mitgetra-
gen. Der zweite Bereich ist ein durchaus sozialer Aspekt.
Die Leute, die keine Lohnersatzleistung bekommen, er-
halten einen Grundbetrag, den Sockelbetrag in Höhe von
300 Euro. Genau diesen Sockelbetrag möchte Ihre Regie-
rung jetzt aber abschaffen, insbesondere für ALG-II-
Empfänger, für Empfänger von Transferleistungen.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Nein! Es geht um eine Anrechnung! Lesen bildet, Frau Kollegin!)


Wären Sie konsequent, müssten Sie diesen Schritt ei-
gentlich ablehnen, wenn ich Sie richtig verstehe, weil
Sie genau dieses Instrument bei diesem Thema fordern.
Sie wollen, dass es nicht nur eine Lohnersatzleistung
gibt, sondern daneben auch einen Sockelbetrag. Ist das
richtig?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das soll doch nur angerechnet werden!)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704918500

Die 300 Euro sind die Fortsetzung des Erziehungsgel-

des, das seit 1986 zunächst für zwei Jahre gezahlt wurde
und jetzt, nach Einführung des Elterngeldes, nur noch
für ein Jahr gezahlt wird. Das Elterngeld auf der einen
Seite wird als Ausgleich an Männer oder Frauen gezahlt,
die erwerbstätig waren und dann daheim geblieben sind,
um ihr Kind im ersten Jahr zu versorgen, und jetzt eine
Lohnersatzleistung in Form des Elterngeldes bekom-
men. Das Erziehungsgeld auf der anderen Seite ist auch
eine Anerkennung der Leistung der Mutter oder des Va-
ters, die vorher nicht erwerbstätig waren und deswegen
keinen Anspruch auf Elterngeld haben. Diese Mütter
oder Väter können jetzt auf dieses Erziehungsgeld zu-
rückgreifen. Dieses Erziehungsgeld bleibt selbstver-
ständlich erhalten.

Eine ganz andere Debatte gibt es darüber, ob es auch
bei Hartz-IV-Empfängern erhalten bleiben soll. Darauf
bezieht sich nämlich Ihre Frage. Die 300 Euro werden
nicht abgeschafft.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die Reichen sollen es kriegen!)


– Ach ja, das ist Polemik: immer nur die Reichen. Da-
rauf kann ich gar nicht eingehen. Diese Debatte können
wir führen, Frau Deligöz, wenn es um Hartz IV und um
die Sparmaßnahmen geht.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Debatte hier angefangen!)






Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


An dem Grundsatz, dass die 300 Euro Erziehungsgeld
gezahlt werden, wird sich nichts ändern.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704918600

Herr Kollege Geis, auch die Kollegin Marks möchte

Ihre Redezeit noch durch eine Zwischenfrage verlän-
gern.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704918700

Die letzte Frage, bitte! Danach lasse ich keine Fragen

mehr zu.


Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1704918800

Herr Kollege, Ihrer Argumentation folgend ist das

Betreuungsgeld eine Ersatzleistung für Eltern, die ihre
Kinder eben nicht in eine Krippe geben, die ja mit öf-
fentlichen Mitteln – so Ihre Argumentation – subventio-
niert ist oder sich auch aus öffentlichen Mitteln speist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)


Geben Sie mir recht, dass dieser Argumentation zufolge
das Prinzip auch für Bibliotheken, öffentliche Theater
und kommunale Schwimmbäder gelten müsste?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das kann man nicht vergleichen!)


Setzen Sie sich dann auch dafür ein, dass alle Menschen,
die diese Einrichtungen nicht nutzen, die also keine Bi-
bliothek aufsuchen, nicht ins Theater gehen – es geht um
öffentlich geförderte Einrichtungen, egal, ob vom Bund,
vom Land oder von der Kommune; das ist ja sehr unter-
schiedlich –, sich demnächst irgendwo, von welcher
Stelle auch immer, Barleistungen abholen können?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Also, wenn man Kinder mit Theatern gleichsetzt, hat man überhaupt nichts verstanden!)


Ihrer Argumentation zufolge wäre das logisch.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704918900

Danke schön. Ich habe Ihre Frage verstanden. – Ich

habe ja gar nicht gesagt, dass es eine Ersatzleistung ist.
Für mich ist das Betreuungsgeld eine Anerkennung, die
der Staat leistet für die Erziehungsleistung von Vater
oder Mutter, je nachdem, wer die Erziehung des Kindes
daheim übernimmt. Wenn das Kind in die Kita geht,
zahlt der Staat das Gehalt der Betreuerin, die keine an-
dere Leistung erbringt als eben auch eine Erziehungs-
leistung. Warum soll die Erziehungsleistung der Mutter
gar nicht oder schlechter bewertet werden als die Erzie-
hungsleistung der Betreuerin? Es geht um die Anerken-
nung, und es ist natürlich auch eine Frage der Gerechtig-
keit. Auf der einen Seite erhält der Lehrer, der die
Kinder erzieht, natürlich zu Recht ein hohes Gehalt und
damit eine Anerkennung seiner Leistung. Auf der ande-
ren Seite soll ich die Leistung der Mutter, die ihr Kind
daheim erzieht, die ihren Beruf eine Zeit lang an den
Nagel hängt und ihre volle Kraft für das Kind aufbringt,
nicht anerkennen? Das halte ich für einen Akt der Unge-
rechtigkeit. Das kann man so nicht stehen lassen.

Vorhin wurde gesagt, es gäbe verfassungsrechtliche
Probleme. Die gibt es, wenn das Betreuungsgeld nicht
eingeführt wird.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Ich weiß nicht, wo Sie Verfassungsrecht studiert ha-
ben. Es tut mir furchtbar leid. Immer wird gleich die
Verfassung herangezogen.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bonn habe ich das studiert!)


– Ja, gut. Vielleicht haben Sie es nicht richtig gemacht. –
Man sollte nicht immer gleich die Verfassung anführen
und immer gleich sagen, das sei verfassungsrechtlich be-
denklich. Das ist kein brauchbares Argument.

Lassen Sie mich meine Gedanken weiter ausführen.
Ich habe bereits gesagt, was das Betreuungsgeld bedeu-
tet. Es bedeutet zum einen eine Anerkennung der Leis-
tung, die die Mutter oder der Vater erbringt. Diese Aner-
kennung darf die Gesellschaft auch nicht versagen; denn
sie erbringen eine große Leistung.

Es ist doch gar nicht gesagt, dass das Kind, das da-
heim erzogen wird, das die Wärme und die Kinderstube
der Heimat erfährt, das daheim bleibt und das von der
Mutter und dem Vater das Reden beigebracht bekommt,
schlechter als in der Kita erzogen wird.


(Caren Marks [SPD]: Das sagt doch keiner! Peinlich!)


Wir reden ja von der Muttersprache. Warum reden wir
eigentlich von der Muttersprache? – Das tun wir doch,
weil die Mutter und der Vater die Ersten sind, die unmit-
telbaren Kontakt mit dem Kind haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie können Sie sich in Ihrem Antrag so versteigen
– ich könnte es Ihnen ja wörtlich vorlesen –, zu schrei-
ben, dass nur in der Kita eine ordentliche Erziehung
möglich ist? Das kann doch nicht ernst gemeint sein.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


Ziehen Sie also Ihren Antrag zurück, bevor es zu spät ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind aus der Zeit gefallen, Herr Geis!)


Zum Zweiten ist das Betreuungsgeld ein Ausgleich.
Auf der einen Seite wird viel Geld für die Kitas ausgege-
ben, und auf der anderen Seite soll, obwohl die gleiche
Leistung erbracht wird, kein Geld bezahlt werden – nicht
einmal Betreuungsgeld, was ja ein minimaler Betrag ist?
Das ist sicherlich nicht gerecht.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das nicht schon längst gemacht, wenn es ungerecht ist?)


Deswegen muss die Gesellschaft hier für Gerechtigkeit
sorgen, weswegen wir die Forderung gestellt haben, ein
Betreuungsgeld zu zahlen.





Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


Drittens. Natürlich wird auch dieser geringe Betrag
von 150 Euro gebraucht werden. Es ist nicht so, dass die
Mutter auf die 150 Euro gern verzichtet.


(Caren Marks [SPD]: Wieso eigentlich immer nur die Mutter?)


Nein, diese 150 Euro werden gebraucht. Die Mutter
muss dann abends nicht an die Kasse gehen und keinen
Dienst nebenher tun, sondern sie kann diese 150 Euro
für sich in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für den Vater,
der die Kinder daheim erzieht.

Ich meine, Sie sollten das Für und Wider wirklich ein-
mal abwägen.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben sehr gut abgewogen!)


Betrachten Sie einmal die Beispiele aus Skandinavien
– die Frage von Ihnen war ja keine Antwort darauf –,
Frankreich, Spanien und Italien: Warum soll es bei uns
nicht möglich sein, eine solche Leistung des Staates für
eine Leistung einzuführen, die gesamtgesellschaftliche
Bedeutung hat? Wir dürfen die Erziehungsleistung der
Eltern nicht bagatellisieren. Sie reden gegen 70 Prozent
der Eltern. Sie dürfen diese Leistung der Eltern nicht
einfach mit der Erklärung abtun: Nur in der Kita kann
richtige Erziehung erfolgen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tag hat mehr als acht Stunden!)


Deswegen meine ich: Ihr Antrag ist einfach nicht aus-
gewogen, er ist rechtlich nicht fundiert, und deshalb ist
er auch abzulehnen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Peinlich! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In Rente gehen! Sie sind aus der Zeit gefallen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704919000

Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, will

ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
rung bezüglich des UNIFIL-Einsatzes bekanntgeben:


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Gut, dann können sich die Kolleginnen wieder beruhigen!)


abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 486,
mit Nein 76, und es gab 9 Enthaltungen. Die Beschluss-
empfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon

ja: 486
nein: 76
enthalten: 9

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand

Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz

Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)


Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle

Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag

Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)


Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Thilo Hoppe
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner

Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

SPD

Willi Brase
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Rüdiger Veit

FDP

Helga Daub
Joachim Günther (Plauen)


DIE LINKE

Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich

Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Dr. Harald Terpe

Enthalten

SPD

Klaus Barthel
Dr. Hermann Scheer
Ewald Schurer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Winfried Hermann
Sylvia Kotting-Uhl
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele

Nun hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1704919100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Parlament muss die Realität wahrneh-

men, was die Bürger von uns auch erwarten. Realität ist:
Wir haben jungen Familien, die aus Müttern, Vätern und
Kindern bestehen. Wenn das Parlament für diese etwas
tut, dann hat es die Verpflichtung, ganz klar zu sagen:
Wir stellen einen Rahmen zur Verfügung und haben
euch nicht vorzuschreiben, wie ihr zu leben habt.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)






Marlene Rupprecht (Tuchenbach)



(A) (C)



(D)(B)


Uns liegt ein Gesetzentwurf zur Änderung des Achten
Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe –
vor. § 16 Abs. 4 soll gestrichen werden. Das klingt für
andere sehr technokratisch. Als wir die Kinderbetreuung
der unter Dreijährigen gesetzlich festgeschrieben haben,
ist darin die Option verankert worden, dass ab 2013
eventuell ein Betreuungsgeld gezahlt wird.

Das ist damals gegen den Willen vieler Frauen ge-
schehen. Hierbei schließe ich viele hier im Parlament
quer durch alle Fraktionen mit ein, weil sie alle selber
entsprechende Erfahrungen haben: ob Frau Bär – sie hat
ein Kind und ist hier –, Frau Golze oder Frau Gruß.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aber die persönliche Biografie sollte ja nicht ausschlaggebend für unsere Gesetzgebung sein!)


– Moment. –

Diese ganz persönliche Gestaltung des Lebens schreiben
wir niemandem vor. Wir müssen aber den Rahmen dafür
schaffen, dass alle ihr Leben so gestalten können, wie sie
es möchten.

Es gibt Studien zum Betreuungsgeld. Eine Studie ist
vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden,
eine andere von der Bertelsmann-Stiftung. Beide Studien
kommen zu dem Ergebnis, dass das geplante Betreu-
ungsgeld Mitnahmeeffekte verursacht, die den Eltern zu-
gute kommen, die nicht berufstätig sind und ohnehin
keinen Betreuungsbedarf haben, aber das Geld gerne
entgegennehmen würden.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist schlecht, oder wie?)


Derzeit wird etwas diskutiert, das ich den Müttern
und Vätern gegenüber für fatal halte, die ihr Leben nicht
an einer Ideologie ausrichten, sondern aus der Lebens-
wirklichkeit heraus gestalten. Eltern tragen 24 Stunden
an sieben Tagen in der Woche Verantwortung. Dies ist
nicht mit einem drei- oder vierstündigen Kinderbetreu-
ungsangebot abgedeckt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ CSU])


Die Verantwortung wird nicht abgegeben. Das heißt, wir
können die Betreuungsformen und damit die Eltern nicht
gegeneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Diana Golze [DIE LINKE])


Die Frage muss lauten: Was brauchen Kinder? Nur
das ist ausschlaggebend für unser Handeln. Kinder brau-
chen Eltern. Darin gebe ich Ihnen recht. Sie brauchen
Personen, die sie für das Leben emotional stark machen.
Das ist entscheidend. Kinder brauchen aber, wie wir wis-
sen, noch andere Kinder zum Aufwachsen.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Geschwister zum Beispiel!)


– In den wenigsten Familien gibt es Geschwisterkinder.
Das wissen Sie. Frauen in Deutschland bekommen im
Durchschnitt 1,3 Kinder. Ein Kind kann schlecht mit den

übrigen 0,3 spielen. Deshalb brauchen sie andere Kinder
zum sozialen Lernen, was Kinder unter Erwachsenen
kaum so lernen können wie im Umgang mit anderen
Kindern.

Kinder brauchen andere Kinder nicht nur zum sozia-
len Lernen, sondern auch, um Anregungen zu bekom-
men, die Welt zu entdecken. Wir wissen, dass die Kin-
derbetreuung unseren Kindern nutzt. 100 Prozent der
Kinder, die Eltern mit Hauptschulabschluss haben und in
einer Betreuungseinrichtung waren, besuchen später
weiterführende Schulen. Ich glaube, es ist durch nichts
gerechtfertigt und durch nichts zu begründen, Kindern
diese Chance zu nehmen.

Wir wollen, dass Eltern Wahlfreiheit haben. Deshalb
müssen wir für die notwendige Infrastruktur sorgen. Wir
müssen dafür sorgen, dass sie ihre Erziehungsarbeit
leisten können. Alles, was darüber hinausgeht, ist Ideo-
logie, und die lehne ich in diesem Fall rigoros ab, weil
auch wir im Parlament niemandem seine Lebenspla-
nung und -gestaltung vorzuschreiben haben.

In diesem Sinne stimmen wir vehement der Forde-
rung zu, dass das Betreuungsgeld ausgesetzt wird. Die
dafür notwendigen 1,4 Milliarden bis 1,9 Milliarden
Euro können sinnvoller angelegt werden.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704919200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Miriam Gruß für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1704919300

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann die

Katze gleich aus dem Sack lassen: Liebe Katja Dörner,
meine Kritik am Betreuungsgeld besteht weiterhin.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben den Koalitionsvertrag vereinbart. Ein Koali-
tionsvertrag ist ein Kompromiss zwischen den Positio-
nen. Deswegen ist in diesen Koalitionsvertrag auch das
Betreuungsgeld aufgenommen worden. Es ist kein Ge-
heimnis, dass die FDP-Fraktion über das Betreuungsgeld
nicht glücklich ist. Allerdings steht es auch erst 2013 an.

Ich finde es viel wichtiger, darüber zu reden, was wir
jetzt für Familien tun und getan haben. Wir befinden uns
haushalterisch in absolut kritischen Zeiten. Eine haus-
halterische Krise belastet auch uns. Deswegen müssen
wir sparen. Wir sind die erste Bundesregierung, die mas-
siv spart und an dem Ziel der Schuldenbremse festhält,
das wir im Grundgesetz festgeschrieben haben.

Auf Schuldenbergen, lieber Otto, können keine Kin-
der spielen und erst recht nicht lernen. Man kann diesen
Satz nicht oft genug sagen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Marco Wanderwitz [CDU/CSU])






Miriam Gruß


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, tatsächlich
zu sparen. Das ist nicht leicht, und wir nehmen Ein-
schnitte vor. Wir haben aber auch Bereiche ausgelassen,
in denen wir weiter investieren müssen. Beispielsweise
halten wir an dem Ziel fest, den Ausbau der Betreuungs-
plätze bis 2013 zu gewährleisten, damit jede Mutter und
jeder Vater einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungs-
platz erhalten.


(Beifall bei der FDP)


Wir halten weiterhin an dem Ziel fest, Vereinbarkeit von
Beruf und Familie zu ermöglichen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704919400

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dör-

ner?


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1704919500

Ja.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704919600

Bitte.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704919700

Sehr geehrte Frau Gruß, Sie weisen völlig zu Recht

auf die schwierige Haushaltslage hin. Sollte man gerade
angesichts dieser Haushaltslage nicht jetzt schon Nägel
mit Köpfen machen, auch für 2013 ganz klar sagen, dass
wir die 2 Milliarden Euro nicht haben, die man für das
Betreuungsgeld künftig ausgeben muss, und es deshalb
jetzt schon aus dem Gesetz streichen? Ich habe einen
sehr interessanten Leserbrief Ihres Generalsekretärs
Christian Lindner im aktuellen Spiegel gefunden, in dem
er schreibt:

Einsparungen für den Staat ergeben sich schließlich
nicht nur aus der Kürzung bestehender Ausgaben-
positionen, sondern vor allem durch den Verzicht
auf künftige Projekte.

Wäre nicht das Betreuungsgeld eines dieser künftigen
Projekte, das direkt gestrichen werden sollte?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das hat er nicht gemeint! – Dirk Niebel [FDP]: Man kann doch nur sparen, was im Haushalt steht!)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1704919800

Wir schreiben das Jahr 2010. Das Betreuungsgeld

steht nicht in diesem Haushalt. Deshalb brauchen wir in
diesem Jahr 2010 auch nicht darüber zu sprechen.


(Beifall bei der FDP – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht in dem Artikel um Mieten!)


Diese Koalition steht für eine Familienpolitik, die
Freiheit ermöglicht, Freiheit für die Familien gewährt,
aber natürlich auch Familien stärken will. Auf welche
Weise man dies macht, werden wir miteinander noch be-
sprechen. Auf jeden Fall haben wir viel für die Familien

getan. Wir haben beispielsweise das Kindergeld und den
Grundfreibetrag für Familien erhöht. Dies entlastet Fa-
milien und gibt ihnen Chancen. Auf dieser Grundlage ar-
beiten wir sehr gut zusammen. Damit nicht gleich wie-
der Gerüchte gestreut werden, was hier los sei, bedanke
ich mich an dieser Stelle bei dir, liebe Dorothee Bär, und
bei dir, liebe Ingrid Fischbach, für die hervorragende Zu-
sammenarbeit. Unsere Koalition funktioniert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat es aber jemand nötig!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704919900

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Diana Golze das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704920000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Ich möchte wieder zu dem Gegen-
stand zurückkommen, um den es eigentlich gehen sollte,
nämlich das Wohl von Kindern. Dafür zitiere ich den
ersten Satz aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz:

Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung
seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer ei-
genverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Per-
sönlichkeit.

An dieses Gesetz sind wir alle gebunden, und ich fordere
seinen Erhalt. Deshalb empfand ich es als einen Fehler,
das Betreuungsgeld in § 16 dieses Gesetzes aufzuneh-
men, auch wenn es nur irgendwann einmal gelten soll.
Wir müssen schon heute diesen Wahnsinn verhindern; da
gebe ich den Grünen durchaus recht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sowohl die Vorgängerregierung als auch die jetzige
haben immer wieder betont, dass Bildung ganz oben auf
ihrer Agenda stehe. Dann verstehe ich aber erst recht
nicht, warum man mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz
dafür schafft, dass Kinder nicht in den Genuss frühkind-
licher Bildung und Erziehung kommen. Dies passt für
mich nicht zusammen.

Auch das Spiel, immer wieder öffentliche Kinderta-
gesbetreuung auf die eine Seite und die Erziehung und
Betreuung durch die Eltern auf die andere Seite zu stel-
len, ist von Anfang an ein Griff in die Mottenkiste gewe-
sen, Herr Geis.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich lasse mir auch als Mutter von zwei Kindern, die
beide in eine öffentliche Kindertagesstätte gehen, von
Ihnen nicht sagen, dass ich meine Kinder nicht erzöge
und nicht ausreichend betreute.





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)



(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das hat er auch nicht gesagt, Frau Kollegin!)


Was dabei herauskommt, wenn zu wenige Mütter mit
Kindern im Bundestag sitzen, das sieht man sehr deut-
lich.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wem oder wozu soll also dieses Betreuungsgeld die-
nen? Eltern, die finanziell bessergestellt sind, werden
sich von 150 Euro nicht davon abhalten lassen, ihr Kind
in eine Krippe zu geben. Welchen Zweck hat es also
dann?

Ich möchte dies noch von einer anderen Seite be-
leuchten: In den letzten Wochen haben uns zahlreiche
Hilferufe von Städten und Gemeinden erreicht, die in
Anbetracht der angekündigten sogenannten Sparpakete
und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Steuersenkun-
gen gesagt haben, sie seien am Ende der Fahnenstange,
sie seien finanziell handlungsunfähig. Als eine der ersten
Maßnahmen, die sie deshalb zur Disposition gestellt ha-
ben, wurde der Ausbau der Kindertagesbetreuung für die
unter Dreijährigen genannt. Dieser ist zeitlich und finan-
ziell nicht zu stemmen.

Meine Fraktion wurde 2008 verhöhnt, als wir gesagt
haben, der Anteil des Bundes bei der Realisierung des
Ziels, einen Betreuungsplatz für 35 Prozent der Kinder
unter drei Jahren anzubieten, sei zu gering. Damals
wurde mir hier im Bundestag entgegengehalten, mehr
könne die Bundesregierung nicht beisteuern. Die Reali-
tät hat aber nicht meine Fraktion und mich Lügen ge-
straft, sondern diejenigen, die es anders entschieden ha-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Tragische an der Situation ist aber, dass nicht die
Bundesregierung die Rechnung für die sträfliche Igno-
ranz gegenüber der Situation unserer Städte und Ge-
meinden zahlen muss, sondern die Kinder, die 2013 kei-
nen Kitaplatz haben werden, und deren Eltern, die Beruf
und Familie dann immer noch nicht miteinander verein-
baren können.

Für die Berufstätigen ist das Betreuungsgeld kein
Fortschritt, weil die Kitaplätze nicht für alle ausreichen
werden. Oder ist das Betreuungsgeld für diejenigen ge-
dacht, die schon jetzt von Armutslöhnen und Hartz IV
leben und jeden Euro zweimal umdrehen müssen? Diese
Eltern werden geradezu gezwungen, ihr Kind zu Hause
zu behalten und das Betreuungsgeld in Anspruch zu neh-
men, weil sie sich damit das neue Fahrrad für den Klei-
nen vielleicht schon in drei statt erst in fünf Jahren oder
auch den Schulausflug für die Tochter leisten können.
Das kann es doch wohl nicht sein! Ich bitte Sie, noch
einmal darüber nachzudenken, ob Sie es mit dem Be-
treuungsgeld ernst meinen.

Unsere Arbeitsministerin, Frau von der Leyen, wird
am 8. Juni 2010 von der FAZ zitiert:

Aber bei denen, die ihr Leben noch in die Hand
nehmen können, da wollen wir Anreize geben für
Arbeit.

Was ist das denn für ein Anreiz, zu arbeiten, wenn
man den Leuten Geld dafür gibt, mit ihrem Kind zu
Hause zu bleiben? Herr Geis hat immer nur von Frauen
gesprochen, zum Beispiel davon, dass sie mit dem Be-
treuungsgeld abends nicht mehr an der Kasse sitzen
müssen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Er hat auch von Männern gesprochen!)


Das Betreuungsgeld ist kein Anreiz, zu arbeiten, und
es ist nicht gut für die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf. Es ist ein Griff in die Mottenkiste. Deshalb werden
wir dem Antrag der Grünen sehr gerne zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704920100

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Norbert

Geis das Wort.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704920200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Golze,

nichts von dem, was Sie behauptet haben, habe ich ge-
sagt. Es ist nie über meine Lippen gekommen, dass Sie
Ihre Kinder nicht richtig erziehen; das weise ich aus-
drücklich zurück. Sie sagen, ich würde in die Motten-
kiste greifen. Ich weiß aber gar nicht, welche Motten-
kiste Sie meinen. Meines Erachtens kommt es aus der
Mottenkiste der DDR, ein allzu großes Gewicht auf die
Erziehung in der Kita zu legen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704920300

Zur Erwiderung hat Frau Golze das Wort.


(Caren Marks [SPD]: Das ist so arm, das bedarf keines Kommentars!)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704920400

Eigentlich könnte man das so stehen lassen; es spricht

für sich.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen aber noch ein anderes Beispiel nen-
nen. Ich hatte gestern in meinem Büro Besuch von einer
jungen Frau, die in München geboren und aufgewachsen
ist. Für ihre Eltern war ein Kindergartenplatz für sie wie
ein Hauptgewinn im Lotto. Sie hat es dazu gebracht, Be-
amtin zu werden und einer großen Organisation in
Deutschland vorzustehen, die jungen Menschen hilft, für
ihre Rechte zu streiten. Allein dieses Beispiel zeigt, dass
es auch in den alten Bundesländern Menschen gab, die





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)


es als richtig empfunden haben, Kinder frühzeitig zu för-
dern und miteinander aufwachsen zu lassen.

Ich könnte Ihnen jetzt noch viele weitere Argumente
nennen, will aber nur Folgendes sagen: Kommen Sie aus
der Mottenkiste heraus; es würde Ihnen guttun!


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704920500

Nun hat der Kollege Marco Wanderwitz für CDU/

CSU das Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Bijan Djir-Sarai [FDP])



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1704920600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen!

Das Betreuungsgeld konterkariert zentrale bildungs-
und sozialpolitische Zielstellungen. Qualitativ hoch-
wertige frühkindliche Betreuung und Bildung sind
der Schlüssel zu lebenslangem Bildungserfolg …

Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Grünen.

Der zweite Satz ist zweifellos richtig; den wird jeder
in diesem Hause unterschreiben.

Beim ersten Satz war ich mir anfänglich nicht sicher,
ob ich Sie falsch verstanden habe. Jetzt weiß ich aber,
dass ich Sie richtig verstanden habe. Mit dem ersten Satz
machen Sie nichts anderes, als den Eltern, die ihre Kin-
der zu Hause erziehen, die Kompetenz abzusprechen,
dies mindestens genauso gut zu können, wie dies bei
Einrichtungen der Fall ist. Nichts anderes meinten Sie.


(Caren Marks [SPD]: Eltern, die ihre Kinder in der Kindertagesstätte betreuen lassen, erziehen ihre Kinder auch!)


Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich das für eine un-
glaubliche Unterstellung halte.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Ehrlich gesagt, ich glaube, Sie träumen immer noch
von der Lufthoheit über den Kinderbetten, von der Herr
Scholz einmal gesprochen hat. Um nichts anderes
scheint es Ihnen hierbei zu gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Merken Sie eigentlich, dass da drüben auch Frauen und Männer sitzen, die ihre Kinder betreuen ließen?)


– Schreien Sie nur. Zuhören wäre auch nicht schlecht.
Fünf Minuten lang müssen Sie das ertragen. Ich glaube,
das ist nicht zu viel verlangt. Wenn Sie einen Antrag ein-
bringen, dann müssen Sie damit leben, dass Sie sich
auch die Argumente der anderen anhören müssen.

Deshalb möchte ich mich nicht nur mit Ihrem Antrag
befassen, sondern auch für unser Betreuungsgeld wer-

ben. Unsere zentralen Ziele sind im Grunde die gleichen
wie Ihre Ziele. Auch wir wollen die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf für diejenigen Eltern, die das möch-
ten. Wir wollen keine Zwangsbeglückung für alle. Auch
wir wollen eine bestmögliche frühkindliche Bildung.
Wir sind aber offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen der
Meinung, dass auch Eltern das leisten können. Wir wol-
len echte Wahlfreiheit für Familien.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben die Eltern jetzt schon!)


Außerdem sind wir der Meinung, dass Eltern einen
Ausgleich erhalten müssen, wenn sie sich gegen eine
subventionierte Fremdbetreuung entscheiden.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau von der Leyen würde sich für Sie schämen!)


Die 150 Euro – das sage ich ganz offen – sind für uns
ein erster Schritt, nicht mehr und nicht weniger. Der
Rechtsanspruch auf Betreuung wird dann zum Thema,
wenn genügend Plätze vorhanden sind. Unser Ziel ist,
ihn zu dem gesetzten Zeitpunkt umzusetzen. Den
Rechtsanspruch auf Betreuung und das Betreuungsgeld
sehen wir als zwei untrennbare Seiten einer Medaille an.
Das eine zu tun und das andere zu lassen, wäre nichts an-
deres als eine Diskriminierung derjenigen, die sich mit
Herz und Seele der vollhäuslichen Erziehung und Be-
treuung ihrer Kinder widmen.


(Caren Marks [SPD]: Bitte? – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die eigenen CDU-Frauen sehen das doch auch anders!)


– Frau Schieder, schreien Sie nur.

Wir reden hier über nichts anderes als über das zweite
und dritte Lebensjahr, also über die Zeit nach dem El-
terngeld, wenn man sich für dieses entscheidet. Danach
reden wir über den Kindergarten, dann vielleicht über
die Vorschule, dann über die Schule, dann über die Aus-
bildung und dann möglicherweise noch über ein Stu-
dium. Ich bin fast geneigt zu sagen: Lassen Sie doch bei
den ersten drei Jahren die Kirche im Dorf.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich fürchte, dass ich Sie damit zum nächsten Wider-
spruch provoziere, weil ich alles andere als der Meinung
bin, dass Ihre Positionen ideologiefrei sind, Frau Kolle-
gin Rupprecht. Im Gegenteil, Ihre Ideologie zieht sich
von vorne bis hinten durch. Sie vertreten eine Gesell-
schaftspolitik, die Sie auch in jedem anderen Politikfeld
vertreten.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht nicht einmal jemand! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zu den Gutscheinen, die auch in Ihrem Antrag
eine Rolle spielen. Ich sage ganz offen, dass wir sehr für
Gutscheine sind, allerdings neben dem Betreuungsgeld.
Lassen Sie uns darüber reden, welche Gutscheinmodelle
umsetzbar sind. In manchen Ländern und Kommunen
werden diese bereits umgesetzt.





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. In der
gesetzlichen Rentenversicherung honorieren wir Erzie-
hungszeiten von Eltern. Diese Regelung haben wir
mehrmals verbessert. Ich glaube, die Honorierung von
Erziehungsleistungen innerhalb der gesetzlichen Renten-
versicherung ist bei weitem noch nicht ausreichend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich glaube, dass die zweite Säule unseres Generatio-
nenvertrags in den Gesetzlichkeiten unterbelichtet ist.
Beitragszahler mit Kindern werden dreifach belastet.
Erstens zahlen sie Beiträge für die Rente ihrer Eltern und
Großeltern. Das trifft alle. Zweitens tragen sie nicht un-
erhebliche Kosten für das Großziehen der künftigen Bei-
tragszahler. Das sind Kosten, die nicht bei allen anfallen.
Diese werden bei weitem nicht ausgeglichen. Drittens
verzichten sie durch Schwangerschaft, Geburt, Erzie-
hungszeiten und Teilzeitarbeit auf Einkommen und Kar-
rieresprünge und nehmen daraus resultierende niedrigere
künftige Rentenzahlungen in Kauf. Das alles nehmen sie
in Kauf. Ihre Kinder finanzieren dann später alle künfti-
gen Rentenbezieher.

Diese Konstruktion halte ich schlicht für nicht ge-
recht. Die Gesellschaft honoriert die Leistungen der
Menschen, die in diesem Land Kinder bekommen, nicht
ausreichend. Man könnte das auch stärker über die Steu-
ern machen; man muss es jedenfalls machen.


(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])


Die Bilanz von uns als Union in der Familienpolitik
der letzten Jahre kann sich sehen lassen: Kindergelderhö-
hungen, Elterngeld. Wir werden diesen Weg weiterge-
hen, ob mit Ihnen oder ohne Sie.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir mal sehen!)


Die Mehrheit sitzt auf dieser Seite des Hauses.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704920700

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Christel Humme für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704920800

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen!

Das

– nämlich das Betreuungsgeld –

ist eine der törichsten Maßnahmen, die man über-
haupt vorschlagen kann.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hält die Kinder von den Betreuungseinrichtun-
gen fern, finanziert Betreuung durch ältere Ge-
schwister oder unterstützt Familien, die diese Maß-
nahme nicht benötigen.

Das ist nicht meine Meinung – ich könnte das aller-
dings unterstreichen –, sondern die Meinung eines Pro-
fessors, die dieser in einem Spiegel-Gespräch – nachzule-
sen in der Spiegel-Ausgabe vom Montag dieser Woche –
geäußert hat. Ich gebe diesem Professor völlig recht: Das
Betreuungsgeld bleibt eindeutig eine Antibildungsprä-
mie, und das Betreuungsgeld ist unsozial; denn es
schränkt die Zukunftschancen unserer Kinder ein.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Betreuungsgeld geistert nun schon seit drei Jah-
ren durch die politische Debatte, eine Debatte, in der
sehr polarisiert wird; das erleben wir ja auch heute. Es
ist eine Debatte zwischen denen, die die Politik der
50er-Jahre, Herr Geis, fortsetzen wollen, und denen, die
eine zeitgemäße Familienpolitik vertreten, eine Politik
für mehr Betreuungsplätze und eine bessere Vereinbar-
keit – das ist entscheidend – von Familie und Beruf für
Männer und Frauen.

Das Betreuungsgeld ist genau das Gegenteil einer
zeitgemäßen Politik. Es ist und bleibt eine Zuhausebleib-
prämie für die Frauen. Das Betreuungsgeld ist ein
gleichstellungspolitischer Rückschritt.

Herr Geis und auch Herr Wanderwitz, Sie sprechen
von der Wahlfreiheit, haben die Wahlfreiheit auch wun-
derbar in Ihrem Koalitionsvertrag verankert.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704920900

Frau Kollegin Humme, gestatten Sie denn eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Geis?


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704921000

Ja gern, natürlich.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der hat doch schon geredet!)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704921100

Frau Kollegin, wenn Sie sagen, das Betreuungsgeld

sei ein Rückschritt –


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704921200

Natürlich!


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704921300

– und sei aus den 50er-Jahren – damals gab es das üb-

rigens noch gar nicht; das Erziehungsgeld gibt es erst
seit 1986 –, dann frage ich Sie: Können Sie mir sagen,
warum dieses Betreuungsgeld in anderen Staaten, in al-
len skandinavischen Staaten, aber auch in Frankreich, in
Spanien und in Italien, begrüßt wird, bei uns aber so
schlecht dargestellt wird, wie Sie das eben getan haben?






(A) (C)



(D)(B)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704921400

Weil diese Länder einen Vorteil haben: Dort gibt es

nämlich schon einen Rechtsanspruch auf Betreuung.
Dort können über 90 Prozent der Kinder einen Betreu-
ungsplatz in Anspruch nehmen. Das ist echte Wahlfrei-
heit, die wir noch gar nicht erreicht haben. Darum ist das
an dieser Stelle sicherlich noch etwas anders zu bewer-
ten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt noch einen Unterschied, auf den ich Sie ein-
mal hinweisen darf. Sowohl Herr Wanderwitz als auch
Sie, Herr Geis, haben gesagt, so sei es unsozial, wir hät-
ten keine Wertschätzung für die Erziehungsleistung der
Frauen. Wissen Sie denn nicht, dass der Staat Jahr für
Jahr zweistellige Millionenbeträge zahlt, nämlich für
das Ehegattensplitting – ich erwähne hier die Steuer-
klasse V – und für die Mitversicherung in der Kranken-
versicherung? Er unterstützt damit genau die Familien,
in denen die Frauen zu Hause bleiben und die Kinder er-
ziehen. Das ist schon eine ganze Menge mehr!


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist zu wenig!)


Da kann man mit Fug und Recht fordern: Wir müssen so
viel Geld und noch mehr in die Kinderbetreuung ste-
cken;


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Warum mehr?)


dann hätten wir echte Wahlfreiheit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704921500

Frau Kollegin, der Herr Geis möchte noch eine Frage

stellen.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704921600

Wir wollen nicht in einen Dialog eintreten, aber das

ist natürlich ganz spannend. Warum also nicht?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704921700

Einmal noch, Herr Geis.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1704921800

Sie sagten eben, dass es in diesen Ländern sowohl ei-

nen Anspruch auf einen Kitaplatz als auch einen An-
spruch auf Betreuungsgeld gibt. Ist Ihnen völlig entgan-
gen, dass wir das ab 2013 ebenfalls so wollen, nämlich
Kitaplatz und Betreuungsgeld? Angesichts dessen müss-
ten Sie eigentlich Ja dazu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1704921900

„Ihr Wort in Gottes Gehörgang“, würde ich jetzt mal

sagen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber Frau Kollegin, ein bisschen mehr Seriosität! – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Beantworten Sie mal die Frage!)


Frau Schröder, die Ministerin, hat heute an die Länder
appelliert, etwas mehr in Sachen Betreuung zu tun, weil
sie genau weiß, dass sie eigentlich handeln müsste. Sie
ist in der Verantwortung. Sie müsste einen Krippengipfel
veranstalten.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)


Sie müsste sich mit den Ländern verständigen. Sie sollte
zum Beispiel lieber auch die 1,9 Milliarden Euro, die das
Betreuungsgeld kostet, in die Hand nehmen und in mehr
und bessere Betreuungsangebote stecken. Ich glaube,
das wäre der richtige Weg für Deutschland; wir sind
nämlich in Deutschland und nicht in Norwegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie haben überhaupt nicht die Frage beantwortet!)


Last not least: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag
etwas festgelegt, was auch ich ganz interessant finde. Sie
sagen, das Betreuungsgeld kann „gegebenenfalls als
Gutschein“ ausgezahlt werden. Jetzt habe ich mich ge-
fragt: Was heißt denn „gegebenenfalls“? Bekommen
dann in Zukunft die einkommensschwachen Familien ei-
nen Gutschein und die reichen Familien die 150 Euro in
bar? Misstrauen Sie vielleicht den Eltern, die weniger
Geld haben, und unterstellen ihnen, nicht genug für ihre
Kinder zu tun?


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir misstrauen den Eltern nicht!)


Ich bin sehr gespannt auf die Antwort von Ihnen, was
Sie unter Gutscheinlösung tatsächlich verstehen.

Genau das passt aber in Ihr unsoziales, diskriminie-
rendes Politikbild. Das ist eine Grundhaltung von Ihnen.
Frau Deligöz hat vorhin schon gesagt, Sie haben vor, zu
sparen, und Sie sparen natürlich bei den Familien.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Wo denn?)


Sie haben ja den reichen Familien über die Freibeträge
bis zu 90 Euro mehr Kindergeld gegeben. Bis zu 90 Euro
pro Monat haben reiche Familien aufgrund der Erhö-
hung des Freibetrags nämlich mehr zur Verfügung; das
ist viel mehr als diejenigen bekommen, die ein geringes
Einkommen haben. Das darf man nicht vergessen. Was
machen Sie jetzt? Jetzt wollen Sie das Mindestelterngeld
von 300 Euro, das alle erhalten, das auch diejenigen, die
nicht berufstätig sind, für ihre Erziehungsleistung be-
kommen, gerade den Einkommensschwächsten, den
Hartz-IV-Empfängerinnen und Alleinerziehenden, weg-
nehmen. Das verstehe, wer will. Ich verstehe das nicht.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Es wird angerechnet!)


– Was heißt „angerechnet“? Sie kürzen es, Sie nehmen
es ihnen weg.





Christel Humme


(A) (C)



(D)(B)



(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein!)


Verkleistern Sie doch die Tatsache nicht durch Ihre
Wortwahl! Sie nehmen den Frauen und den Männern,
die in Hartz-IV-Bezug sind, die 300 Euro Elterngeld, die
sie jetzt noch bekommen, weg. Das nenne ich unsoziale
Klientelpolitik.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Abg. Marco Wanderwitz [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Deutsche Insti-
tut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt – Sie konn-
ten das in dieser Woche alle lesen –, dass die Spaltung
der Gesellschaft vorangeht, dass es immer mehr Reiche
und ebenfalls immer mehr Arme gibt. Das heißt, die Lü-
cke zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn
Sie die Politik, die Sie jetzt angestoßen haben, so, wie
Sie gerade in Ihrer Rede angedroht haben, fortsetzen
wollen, dann sind Sie verantwortlich für die weitere
Spaltung unserer Gesellschaft. Darum bitte ich Sie herz-
lich: Verzichten Sie auf die Einführung des Betreuungs-
geldes! Es ist unsozial, es ist bildungspolitisch eine Ka-
tastrophe und gleichstellungs- und familienpolitisch ein
Rückschritt. Nehmen Sie dieses Geld für den Ausbau
von Betreuungsplätzen, die wir händeringend brauchen.
Damit würden Sie sicherlich etwas tun, um die Wahlfrei-
heit zu stärken.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Chance vertan!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704922000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1579 an den in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der Friedensmission der
Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf
Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
24. März 2005 und Folgeresolutionen

– Drucksachen 17/1902, 17/2172 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/2178 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope-
ration in Darfur (UNAMID) auf Grundlage
der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsra-
tes der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
und Folgeresolutionen

– Drucksachen 17/1901, 17/2173 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marina Schuster
Jan van Aken
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 17/2179 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Petra Merkel (Berlin)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven-Christian Kindler

Über beide Beschlussempfehlungen werden wir spä-
ter namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann werden wir so
verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Marina Schuster von der FDP-Frak-
tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1704922100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute die deutsche Beteiligung an
den beiden UN-Mandaten im Sudan, UNMIS und UNA-
MID. Ich schicke eines gleich vorweg: Ich wünsche und
hoffe, dass es unverändert eine große Mehrheit hier im
Haus für die beiden Mandate geben wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Marina Schuster


(A) (C)



(D)(B)


Denn immer wieder kommt es in verschiedenen Regio-
nen des Sudans zu Gewaltausbrüchen. Auch das belegt:
Die beiden Mandate sind nach wie vor dringend notwen-
dig.

Wir wissen: Der Sudan befindet sich in einer sehr kri-
tischen, wahrscheinlich in seiner fragilsten Phase. Im Ja-
nuar wird in einem Referendum über die Abspaltung des
Südsudans entschieden. Viele Experten halten es für
wahrscheinlich, dass die Südsudanesen für eine Abspal-
tung votieren. Wir greifen hier nicht dem Votum der
Bürger vor. Aber eines ist auch klar: Für den Fall, dass es
zu einer Abspaltung kommt, muss es Regelungen und
Vorkehrungen geben, damit es nicht zu einem neuen
Bürgerkrieg kommt.


(Beifall bei der FDP)


Das heißt, es muss geregelt werden, wie die Ölein-
nahmen aufgeteilt werden und wie es mit dem Staatsan-
gehörigkeitsrecht und dem Schutz von Minderheiten
weitergeht. Aber auch zukünftige Sicherheitsabkommen
müssen beraten und erarbeitet werden. Das alles soll im
Rahmen einer VN-Konferenz geschehen, die wir in un-
serem interfraktionellen Sudanantrag gefordert haben.
Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung diesen An-
trag unterstützt und dass sie sich im internationalen Rah-
men für diese Konferenz einsetzt.

Wir wissen: Der Schlüssel für einen tragfähigen Frie-
den liegt im politischen Prozess. UNMIS und UNAMID
sind wichtige, aber eben keine ausreichenden Beiträge
der internationalen Gemeinschaft, um diesen dauerhaf-
ten Frieden zu gewährleisten. Das kann nur durch einen
Waffenstillstand und durch einen umfassenden Friedens-
prozess erreicht werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das haben wir in dem interfraktionellen Antrag veran-
kert. Ich begrüße, dass dieser Antrag vom März mit sei-
nen über 30 Forderungen Grundlage für das weitere En-
gagement der Bundesregierung ist. Das ist ein ganz
wichtiges Signal.

Ich möchte noch speziell auf Darfur eingehen. Es gibt
Gott sei Dank auch erfreuliche Entwicklungen bei den
Friedensverhandlungen, die mir persönlich ein bisschen
Hoffnung machen. Herr Professor Wolfrum vom Max-
Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und
Völkerrecht in Heidelberg hat in einem langen Prozess
ein Heidelberg-Darfur-Outcome-Document mit den Ver-
tretern vor Ort erarbeitet. Er ist jetzt von Herrn Bassolé
zu den Friedensverhandlungen in Doha eingeladen wor-
den. Das heißt, dieses Dokument wird offiziell in die
Friedensverhandlungen eingeführt. Es verlässt die aka-
demische und erreicht nun die politische Ebene. Ich
freue mich, dass Herr Bassolé die Expertise von Herrn
Professor Wolfrum angenommen hat und den Inhalt des
Dokumentes unterstützt.

Wir haben jetzt eine juristische Grundlage, die alle
Parteien einbezieht. Dies ist sehr wichtig, weil wir in
Darfur bereits ein Friedensabkommen, das DPA, hatten,

das aber – das war ein wesentliches Problem – nur von
einer Rebellenfraktion unterzeichnet wurde. Es war also
von Anfang an ein brüchiger Friedensvertrag.

Ich möchte noch kurz auf das Mandat selbst eingehen.
Ich habe schon die Kritik von SPD und Grünen im Rah-
men der Ausschussberatungen gehört. Sie kritisieren
beim UNAMID-Mandat die Reduzierung der personel-
len Obergrenze. Ihre Kritik teile ich eindeutig nicht.
Denn wir müssen sehen, dass sich die Mandatsreduzie-
rung an der Wahrheit vor Ort orientiert. Sie können da-
raus nicht auf ein schwindendes Interesse der Bundes-
regierung schließen. Zwei Jahre wurden die Kapazitäten
für Lufttransporte bereitgehalten, aber nicht benötigt.
Deswegen ist es nur richtig, dass wir die Mandatsober-
grenze reduzieren. Das heißt aber nicht, dass wir die
Zahl der tatsächlich eingesetzten Kräfte vor Ort reduzie-
ren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch da müssen wir bei der Wahrheit bleiben, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Die tat-
sächliche Truppenanzahl war unter Schwarz-Rot, also
unter der Vorgängerregierung, auch nicht höher.


(Christoph Strässer [SPD]: Wir haben aber jetzt ein Referendum und Wahlen vor uns, Frau Kollegin!)


Ich freue mich, dass die Bundesregierung flankie-
rende Maßnahmen unterstützt. Es gibt viele Bereiche, in
denen sie sich engagiert. Ich nenne in diesem Zusam-
menhang: den Aufbau der Polizei im Südsudan mit über
1 Million Euro und das humanitäre Minenräumen mit
fast 1 Million Euro. Hinzu kommen die humanitäre Hilfe
im Sudan, die nach wie vor so dringend notwendig ist,
aber auch die Hilfe für die Flüchtlinge im Tschad und die
Demokratisierungshilfe, die über das Carter Center ge-
leistet wird. Darüber hinaus unterstützt die Bundesregie-
rung eine Radiostation, das Radio Miraya, die zur Wäh-
leraufklärung beiträgt, und eine Radiostation in Darfur.

Ich könnte noch viele weitere Einzelmaßnahmen aufzäh-
len. Das beweist: Die Bundesregierung misst dem Sudan
weiterhin ein besonderes Gewicht im Rahmen der deut-
schen Außen- und Menschenrechtspolitik bei. Diesen
Kurs begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704922200

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heidemarie

Wieczorek-Zeul das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1704922300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist wichtig, dass wir uns einmal die Größe des Sudans
vor Augen führen. Der Sudan ist siebenmal so groß wie
die Bundesrepublik Deutschland. Er ist das größte Land
auf dem afrikanischen Kontinent. Der südlichste Teil





Heidemarie Wieczorek-Zeul


(A) (C)



(D)(B)


Europas liegt nur 2 500 Kilometer vom Sudan entfernt.
Wenn wir also über UNMIS und UNAMID reden und
diese Begriffe verwenden, muss uns einfach klar sein,
dass die Frage, wie die Entwicklung in dieser Region
verläuft, für die Stabilität Afrikas und die Millionen
Menschen in dieser Region von zentraler Bedeutung ist.

Ich möchte auch an die Opfer erinnern; denn sie wer-
den in dieser Diskussion häufig vergessen. Allein der
Konflikt im südlichen Sudan hat 2 Millionen Tote gefor-
dert. In Darfur selbst sind es mindestens 300 000 Tote
und 2,6 Millionen Binnenvertriebene. Trotz der humani-
tären Hilfe müssen 250 000 Flüchtlinge in Flüchtlingsla-
gern im Tschad ausharren, Gewalt ertragen und unter
elenden Bedingungen leben. Es kann uns im Deutschen
Bundestag und den Menschen in unserem Land deshalb
nicht gleichgültig sein, welche Entwicklung der Sudan
weiter nimmt, und zwar um der Entwicklung der Stabili-
tät, aber auch um der Millionen Menschenleben willen,
um die es in dieser Region geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dieser Grundhaltung hat der Deutsche Bundestag
über die Jahre hinweg – im Jahr 2004, im Jahr 2005 und
zuletzt im März dieses Jahres – fraktionsübergreifend
Stellung bezogen. In dieser Grundhaltung werden wir als
SPD-Bundestagsfraktion den beiden Mandaten zur Ver-
längerung von UNMIS und UNAMID zustimmen, auch
wenn wir dagegen sind, dass die Reduzierung des Um-
fangs von UNAMID im Sinne dessen, was hier vorgetra-
gen worden ist, vollzogen wird. Wir sind der Meinung,
dass eine Reduzierung des Umfangs ein falsches politi-
sches Signal ist. Insgesamt werden wir den entsprechen-
den Mandaten aber zustimmen.

Es ist schon gesagt worden, dass es bei UNMIS um
den Schutz vor Gewalt und um die Demobilisierung von
Rebellengruppen und Menschen geht, die diese Gewalt
ausüben. Es geht darum, Friedensabkommen wie das
Comprehensive Peace Agreement tatsächlich zu beglei-
ten, zivile Polizei auszubilden und die Voraussetzungen
für das Referendum zu schaffen. Dazu ist noch vieles
notwendig, unter anderem die genaue Grenzziehung. Ich
bin manchmal ein bisschen erstaunt, dass an dieser Stelle
so wenig Leidenschaft sichtbar wird. Denn die Grenzzie-
hung und die Verteilung der Ressourcen kann für die
Frage, welche Entwicklungen nach dem Referendum
stattfinden, von zentraler Bedeutung sein.

Bei dem Referendum und der Phase danach sind mei-
nes Erachtens zwei völlig unterschiedliche Szenarien
denkbar. Das eine Szenario ist weiteres Blutvergießen
und eine mögliche völlige Fragmentierung des Landes
selbst. Das zweite Szenario – das ist der positivste Fall –
ist eine Transformation mit dem Ziel einer guten Nach-
barschaft. Ich bin der Meinung, dass wir alles tun müs-
sen, damit es eine Transformation ohne Gewalt und
einen Übergang zu gutnachbarlichen Beziehungen gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das haben wir mit in der Hand. Denn die internationale
Gemeinschaft hat seit dem Jahr 2005 ihren Beitrag zur
Beendigung des Konfliktes geleistet.

Ich möchte aber auch auf Folgendes hinweisen: Die
Zahl der UNMIS-Soldaten – die gesamte Mission macht
etwa 10 000 Militärs und 715 Polizisten aus – zeigt, um
welche Aufgabe es geht, um eine Aufgabe, angesichts
derer die europäische und auch die deutsche Beteiligung
– ich sage es jetzt sehr vorsichtig – eher unterdimensio-
niert erscheint. Afrika sollte uns mehr Beteiligung wert
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Position habe ich schon, als damals das ursprüng-
liche Mandat entschieden worden ist, mit dem Verteidi-
gungsminister diskutiert – mit etwas unterschiedlichen
Fronten, um es so auszudrücken. Unsere Beteiligung ist
wirklich nicht ausreichend; das muss man ausdrücklich
sagen.

Natürlich geht es jetzt darum, dass der politische Pro-
zess begleitend in Gang kommt und eine UN-Konferenz
einberufen wird, die wir bereits im März fraktionsüber-
greifend gefordert haben. In diesem Zusammenhang
muss dazu beigetragen werden, dass es Regelungen zur
Teilung der Öleinnahmen, zum Minderheitenschutz und
zu Überprüfungsmechanismen gibt, und vor allen Din-
gen ein Konsens unter allen beteiligten Konfliktparteien
im Sudan hergestellt wird. Dies umfasst natürlich die
Afrikanische Union, die Arabische Liga und China. Eine
solche internationale Konferenz muss einen Abstim-
mungsmechanismus und die Einbeziehung in eine fried-
liche Entwicklung voranbringen.

Ich will hinzufügen: Im Vorfeld des Referendums ist
die deutsche und europäische Präsenz vor Ort dringend
notwendig, nicht nur in Khartoum. Denn es ist Hilfe bei
der Erstellung der Wahllisten erforderlich. Dies wäre
aber auch ein Signal für die Notwendigkeit einer Moni-
toringmission, die dafür sorgen sollte, dass das Referen-
dum unter fairen Bedingungen stattfinden kann.

Bezogen auf das UNAMID-Mandat – das wurde vor-
hin von Frau Schuster angesprochen – geht es vor allen
Dingen darum, dass diese Mission tatsächlich gut ausge-
rüstet und ausgestattet ist. Für diese Mission – sie ist die
größte der UN – wird eine Zahl von insgesamt
26 000 Soldaten benötigt. Bisher sind überhaupt nur
22 000 Soldaten – das ist schon hoch gegriffen – im Ein-
satz. Das ist nicht hinnehmbar, wenn wir bedenken, wie
katastrophal die Situation nach wie vor in Darfur ist. Der
UN-Sicherheitsrat hat am 14. Juni 2010 eine Diskussion
zu Sudan geführt. Dabei hat der UNAMID-Vertreter
Ibrahim Gambari darauf hingewiesen, dass allein im Mai
447 Menschen im Sudan bzw. in Darfur umgebracht
worden sind, dass 50 000 Menschen daraufhin die
Flucht angetreten haben und dass nach wie vor sexuelle
Gewalt gegenüber Frauen ausgeübt wird. Das können
wir nicht hinnehmen. Deshalb ist aus unserer Sicht mehr
politisches Engagement, aber auch mehr Engagement in
Bezug auf die Beteiligung an einem solchen Mandat not-
wendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Heidemarie Wieczorek-Zeul


(A) (C)



(D)(B)


Ich will auf ein Argument eingehen: Die Bundesre-
gierung sagt, die 200 Soldaten, die den Transport von
Truppen der Afrikanischen Union organisieren, würden
nicht mehr gebraucht. Natürlich werden diese nicht
mehr gebraucht. Aber, liebe Frau Kollegin Schuster,
noch im Februar hat die UNAMID gesagt, dass man
18 Hubschrauber brauche, damit Überwachungsflüge
und die Versorgung im humanitären Bereich möglich
seien. Angesichts der dortigen Katastrophe bin ich der
Meinung, dass dies eine Aufgabe wäre, die von uns
erfüllt werden müsste und die wir nicht beiseiteschieben
dürfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Ich denke, unser Engagement im Rahmen der
politischen Aufgabe und der militärischen Mission kann
ausschlaggebend dafür sein, entweder das Aufflammen
eines Bürgerkriegs zu verhindern oder dazu beizutragen,
ihn erneut anzufachen.

Ich möchte dazu aufrufen, mit dem Engagement, das
wir im Bundestag jedenfalls bei diesen Fragen immer
gezeigt haben, dazu beizutragen, dass kein Bürgerkrieg
entsteht und die Menschen in dieser Region Afrikas end-
lich in Frieden und Nachbarschaft leben können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704922400

Nächster Redner ist der Kollege Florian Hahn für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1704922500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Im Mai dieses Jahres erlebte die west-
sudanesische Krisenregion den blutigsten Monat seit
mehr als zwei Jahren. Nach Angaben der Vereinten Na-
tionen kamen in Darfur in nur einem Monat fast 600 Men-
schen ums Leben. Der Mai war damit einer der folgen-
schwersten Monate seit Entsendung der gemeinsamen
Friedensmission von UNO und Afrikanischer Union im
Januar 2008.

Die Zahlen, die man da hört, sind traurig und erschre-
ckend. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit des
Engagements der Vereinten Nationen und rechtfertigen
unsere Hilfe. Wir müssen uns bei derartigen Einsätzen
immer wieder bewusst machen, dass wir unsere Solda-
tinnen und Soldaten 4 000 Kilometer entfernt von Freun-
den und Familie großen Anstrengungen und Gefahren
aussetzen. Es ist daher sehr wichtig und richtig, die Man-
date immer wieder neu im Parlament zu debattieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es ist selbstverständlich, dass wir das Mandat der Si-
tuation entsprechend anpassen. So sieht der Antrag der
Bundesregierung vor, die personelle Obergrenze des

deutschen Beitrags von 250 auf 50 Soldatinnen und Sol-
daten zu reduzieren. Die Lufttransportunterstützung wurde
in der Vergangenheit nicht nachgefragt. Weil auch kein
zukünftiger Bedarf absehbar ist, ist es nur richtig, dass
die bislang hierfür vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten
nicht noch einmal mandatiert werden.

Die Mission der Vereinten Nationen, in deren Rah-
men unsere Soldaten einen beachtenswerten Beitrag leis-
ten, dient als rahmengebendes Element der Verbesserung
der Sicherheitslage in Darfur und begleitet die politi-
schen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise.
Auch die UNMIS ist als stabilisierendes Element zur
Wahrung der Sicherheit der Zivilbevölkerung im Sudan
unverzichtbar. Die personelle Obergrenze des deutschen
Beitrags von 75 Soldaten und Soldatinnen soll bestehen
bleiben. Sie haben ihren Schwerpunkt bei der Wahrneh-
mung von Militärbeobachtungsaufgaben sowie in den
von UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren.

Ich meine, dass es eine der Hauptaufgaben von
UNMIS sein muss, das Referendum im kommenden Jahr
vorzubereiten. Angesichts der Erfahrungen mit den
Wahlen im April dieses Jahres halte ich es für unerläss-
lich, dass eine unabhängige Wahlkommission das Refe-
rendum so transparent und fair wie nur irgend möglich
begleitet. Wenn auch beim Referendum nachträglich
eklatante Fehler sichtbar würden – wir alle wissen, dass
dies beispielsweise bei den Wahlen im April der Fall
war –, so würden wir das Kind mit dem Bade ausschüt-
ten.

Außerdem müssen sich die Menschen in Zukunft
trauen, in ihre Heimatregionen zurückzukommen. Wir
brauchen die Rückkehrer; denn ohne eine breite Bevöl-
kerung wird es dort keine Stabilität geben. Ich brauche
Ihnen nicht zu sagen, dass die Situation für die Bevölke-
rung im Südsudan katastrophal ist; wir dürfen nicht erst
hellhörig werden, wenn uns unsere Nachbarländer in Eu-
ropa bei der Flüchtlingsproblematik um Hilfe bitten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es ist deshalb richtig, auch in wirtschaftlich schwieri-
gen Zeiten an den mittel- und langfristigen Schwerpunk-
ten der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig festzu-
halten. Die bilateralen Schwerpunkte der deutschen
Entwicklungspolitik im Südsudan sowohl in der techni-
schen als auch der finanziellen Zusammenarbeit liegen
auf der Entwicklung des städtischen Wassersektors, der
Dezentralisierung und der Verwaltungsreform. Die ent-
wicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe hat sich
zum Ziel gesetzt, Rückkehrer nachhaltig in die Lage zu
versetzen, ihre Lebensgrundlage zu sichern. Die Ernäh-
rungssicherung im Gesamtsudan ist ein weiterer Bau-
stein der Entwicklungshilfe. Ich freue mich darüber, dass
die politischen Stiftungen, die kirchlichen Organisatio-
nen sowie der Deutsche Entwicklungsdienst das zivilge-
sellschaftliche Engagement im Gesamtsudan kräftig un-
terstützen. Die Beteiligung der Bundeswehr an UNMIS
und UNAMID ist ein wichtiger Bestandteil der Anstren-
gungen der Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung
im Sudan.





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Um diese Anstrengungen zu untermauern und unse-
ren Soldatinnen und Soldaten für ihren schwierigen Ein-
satz den Rücken zu stärken, ist eine breite Unterstützung
für die Fortsetzung der Mandate notwendig. Ich danke
allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Polizis-
ten, den Diplomaten und den zivilen Aufbauhelfern und
wünsche ihnen auf diesem Weg weiterhin Gottes Segen
für ihre Aufgabe. Im Interesse der Menschen im Sudan
und in der Region bitte ich Sie um Ihre Zustimmung für
die vorliegenden Anträge.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704922600

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege

Wolfgang Gehrcke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das wird eine schwere Rede!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704922700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Glücklich, wer von sich behaupten kann: Für mich ist al-
les klar, ich habe alles analysiert, ich habe eine feste
Meinung, und so werden wir die Sache machen.


(Christoph Strässer [SPD]: Da kennen wir ja welche! Diese Gewissheit!)


Glücklich ist, wer sagen kann: Wir danken unseren Sol-
datinnen und Soldaten. – All das kann ich für mich und
auch für meine Fraktion nicht in Anspruch nehmen.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Nein? Warum denn nicht?)


Ganz im Gegenteil: Mir sind viele Sachen völlig unklar.
Ich will einige davon ansprechen.

Ein Teil der Fraktion Die Linke wird sich zu beiden
Mandaten der Stimme enthalten, ein größerer Teil wird
gegen die Mandate stimmen;


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das ist ein Fortschritt!)


zu denen gehöre ich. Wir nehmen für uns in Anspruch,
dass wir versuchen, uns ernsthaft mit den Problemen
auseinanderzusetzen. Wir wollen das, was man erkennen
kann, was man lesen kann, was man in Gesprächen mit
Betroffenen und NGOs analysieren kann, gründlich be-
trachten und dann eine Abwägung vornehmen.

Ich will Ihnen einige Punkte vortragen. Aus meiner
Sicht gelten zwei Argumente mit Sicherheit nicht. Ers-
tens. Man darf nicht zulassen, dass gesagt wird: Das geht
uns nichts an.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wer sagt das?)


Alles, was in dieser Welt passiert, betrifft uns und geht
uns in dem Sinne etwas an, dass man die Welt nicht
mehr in einzelne Schubladen einteilen kann. Vielmehr

muss man endlich begreifen: Man lebt in einer gemein-
samen Welt.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wer hat hier gesagt: Das geht uns nichts an? – Gegenruf des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]: Keiner!)


Entweder man gestaltet sie gemeinsam, oder man lässt
es bleiben. Ich glaube, das kann man für sich in An-
spruch nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])


Zweitens. Ich möchte auf Folgendes aufmerksam ma-
chen: Ich vergleiche den Einsatz der Bundeswehr im Su-
dan nicht mit dem Einsatz in Afghanistan. Es sind unter-
schiedliche Motive, unterschiedliche Kräftekonstella-
tionen, und es ist ein ganz unterschiedlicher Umfang der
Mandate.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie das schon gemerkt haben! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind auch unterschiedliche Länder!)


Das alles können wir abhaken.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Weitgehende Rede!)


Ich komme nun zu einem Problem. Ich habe nie ver-
standen, warum Menschen, die lange relativ vernünftig
zusammengelebt haben, plötzlich übereinander herfallen
und sich abschlachten. Was ist passiert, dass eine solche
Kälte und eine solche Brutalität bei den Menschen ein-
gezogen sind? Über diese Frage muss man doch zumin-
dest einmal nachdenken.

Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, welche In-
teressen hier aufeinandertreffen: Interessen von örtlichen
Machthabern, regionale Interessen und Interessen wirt-
schaftspolitischer Vorteile, die man daraus ziehen kann.
Es ist doch bekannt, dass das Elend des Sudan auch in
seinem Reichtum an Naturressourcen begründet ist. In
diesem Zusammenhang ist China zu nennen, das in ho-
hem Maße Ölausbeutung betreibt. Auch die USA wollen
in das Geschäft einsteigen. Sie kooperieren mit einzel-
nen Kräftegruppierungen und einzelnen Formationen im
Sudan selbst. Daraus resultiert ein Teil der Spannungen,
nicht alle. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe die große
Sorge – das sagt jeder –, dass das Referendum zu einer
Abtrennung des Südsudan führt. Daran gibt es eigentlich
keinen Zweifel. Ich habe die große Sorge, dass die
Abspaltung des Südsudan, die Auflösung des Gesamtsu-
dan, die Konflikte nicht entschärft, sondern verschärft.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben darüber diskutiert, ob die Stationierung von
Soldaten bei der Entschärfung der Konflikte helfen
kann, wie einige sagen, oder ob sie die Konflikte ver-
schärft. Die Soldaten können sie zumindest nicht lösen.

Ich möchte, dass man sich in diesem Haus zumindest
auf zwei Punkte einigt:





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)


Erstens. Kein Mitglied des Deutschen Bundestages
sollte für eine Verschärfung der Konflikte im Sudan ein-
treten. Wir müssen mäßigen und das herunterfahren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens, und dann würde ich auch schon Schluss
machen wollen. Stellen Sie sich einmal die Frage, ob wir
nicht einen Beitrag dazu leisten können, dass Waffenlie-
ferungen in diese Region unterbleiben und unterbunden
werden!


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] – Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Jetzt will Herr Ströbele mich fragen, ob ich weiß, dass
die Entwaffnung Teil des Programms ist. Das weiß ich,
Christian. Aber frage, was du möchtest, wenn die Frau
Präsidentin es zulässt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704922800

Ihre Redezeit ist schon abgelaufen, Herr Gehrcke.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704922900

Schade. Ich hätte die Frage gerne beantwortet und mir

auf diese Art und Weise etwas mehr Redezeit verschafft.


(Christoph Strässer [SPD]: Pech gehabt!)


Also komme ich zu meinem letzten Satz: Bitte lassen
Sie uns dazu beitragen, dass gegen Waffenlieferungen in
Spannungsgebiete vorgegangen wird! Damit leisten wir
einen Beitrag zur Entspannung und möglicherweise auch
dazu, dass Gewalt vermieden wird.

Vielleicht ist es etwas ungewöhnlich, dass man nicht
sagt: Wir wissen alles.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704923000

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704923100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Gehrcke, ich frage mich, was passieren muss, welche
Konditionen vorliegen müssen, damit Sie zustimmen.
Wenn ein UN-Mandat, eine humanitäre Katastrophe, ein
expliziter Friedensansatz und eine geringe militärische
Potenz nicht reichen, was muss vorliegen, damit Sie ein-
mal sagen: „Okay, wir sind bereit, zuzustimmen“?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie enthalten sich doch schon!)


Ich sehe nichts. Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihre
Entscheidung irgendetwas mit dem Sachverhalt zu tun
hat. Ich habe den Eindruck, dass Sie zu allem, was auf
den Tisch kommt, kategorisch Nein sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Welt schaut zurzeit nach Afrika, nach Südafrika.
Leider wird der Blick in wenigen Wochen wieder abge-
wendet. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir nicht
nur auf die bunten Bilder von den schönen Festen
schauen, die derzeit stattfinden, sondern auch auf das
große Leid und die vielen Konflikte, die es in Afrika, auf
diesem leidgeprüften Kontinent, gibt. Das ist der Grund,
warum wir uns weiterhin engagieren müssen, gerade im
Sudan.

Die Lage in diesem Land ist konfliktträchtig. Die
Spannungen haben seit der Wahl alles andere als abge-
nommen. Die Wahl war selbstverständlich nicht frei, und
sie war auch nicht fair. Deshalb ist es umso wichtiger,
dass wir gerade jetzt unser Augenmerk und unsere Kon-
zentration darauf richten, dass das Referendum über die
Unabhängigkeit im Süden des Landes frei und fair ab-
laufen wird.

Der Friedensprozess im Sudan ist noch lange nicht an
seinem Ende und bedarf einer erhöhten internationalen
Kraftanstrengung. Dabei kommt es besonders auf die
Afrikanische Union an. Ich freue mich, zu sehen, dass es
in den letzten Monaten einige Anzeichen dafür gegeben
hat, dass die Afrikanische Union auf einem besseren
Weg ist. Ich meine beispielsweise die Arbeit und die Er-
gebnisse des Mbeki-Panels. Das ist ein guter Weg, ein
gutes Zeichen. Möge es so weitergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Erlauben Sie mir, etwas zu den Mandanten zu sagen,
die heute zur Abstimmung stehen, zu UNMIS und zu
UNAMID. Herr Außenminister, wir hören immer wie-
der, dass mehr Hilfe gar nicht nachgefragt wird. Wir ha-
ben einen interfraktionellen Antrag, aus dem mehrfach
zitiert worden ist – auch von der Kollegin Schuster – und
in dem steht, dass die Absenkung der personellen Ober-
grenze eigentlich nur eine Anpassung an die Realität
darstellt. Wenn Sie sich aber den Bericht des UN-Gene-
ralsekretärs und den interfraktionellen Antrag an-
schauen, stellen Sie fest, dass darin nicht steht: Wir
schauen, wie viele Leute wir tatsächlich haben, und pas-
sen das Mandat dann an. – Wir wollten alle gemeinsam
– das ist auch das, was der UN-Generalsekretär will –
unser Mandat den Gegebenheiten vor Ort anpassen. Das
ist aber genau das, was mit diesem Mandat leider Gottes
nicht passiert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Gegebenheiten vor Ort sind eindeutig. Wir brau-
chen – das sagt auch die UN-Transporteinheit – Helikop-
ter und Luftraumüberwachung. Vor allem muss man Fol-
gendes sehen: Es gibt einen neuen Kommandeur bei
UNAMID. Dadurch ist jetzt deutlich mehr Dynamik
vorhanden.





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)


Der Einsatz im Rahmen von UNAMID wird effizien-
ter. In dieser Situation zu reduzieren und das, was
UNAMID braucht, nicht bereitzustellen, ist leider zu we-
nig und in erster Linie nur passive Außenpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genauso passiv ist man bei der Frage eines Sonderbe-
auftragten. Wir haben einige Male danach gefragt. Wir
haben immer wieder gehört, es werde geprüft, ob ein
Sonderbeauftragter eingesetzt wird. Wir haben jetzt in
den Ausschussberatungen leider erfahren, dass es keinen
Sonderbeauftragten geben wird und dass man keinen
Grund sieht, einen einzusetzen.

Um ehrlich zu sein, ich finde es ein wenig peinlich,
wenn es Konferenzen gibt, bei denen die Deutschen
nicht dabei sind, weil es keinen zentralen Ansprechpart-
ner gibt, beispielsweise in Addis Abeba im April 2009.
Das wird der Tradition, der Kontinuität der deutschen
Außenpolitik mitnichten gerecht. Deshalb wäre es zwin-
gend notwendig, so schnell wie möglich einen Sonder-
beauftragten einzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wann war die Konferenz?)


– Die Konferenz war im April 2009, Herr Außenminis-
ter. Da waren Sie noch nicht im Amt, aber Sie haben es
jetzt in der Hand, diese Fehler zu korrigieren. Verdammt
noch mal, machen Sie das endlich!


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen einen weiten Weg gehen, wenn wir Frie-
den im Sudan wollen. Es lohnt sich, den Friedensprozess
zu unterstützen. Das sollten wir verstärkt tun.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704923200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Hartwig Fischer (CDU):
Rede ID: ID1704923300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es zeugt von einer unglaublichen Ignoranz, wenn man
eine solche Rede hält wie Sie, Herr Gehrcke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir hier im Bundestag zu wichtigen Themen Ent-
scheidungen fällen, haben wir die Verantwortung, uns
vorher zu informieren. Ihre Fraktion hat eine Kleine An-
frage mit 31 Fragen gestellt. Diese Anfrage ist am 4. Juni
2010 beantwortet worden. In dieser Antwort auf die An-
frage ist vom Auswärtigen Amt im Detail genau aufge-

zeigt worden, was in der Vergangenheit gemacht worden
ist, wie in der Gegenwart gehandelt wird und welche Ent-
scheidungen für die Zukunft getroffen werden. Ihre Fra-
gen zu den Einsatzmitteln und Einsatzzahlen sind im De-
tail beantwortet worden. Ihnen ist gesagt worden, wie die
Bundesregierung mit unseren Durchführungsorganisatio-
nen, auch gemeinsam mit den NGOs, dort Krisenpräven-
tion betreibt.

Nun stellen Sie sich hin und sagen, für Sie sei alles
klar, für Sie sei alles erledigt, Sie hätten sich mit einigen
NGOs unterhalten. Wären Sie wie Herr Strässer, Frau
Müller und Marina Schuster einmal in das Krisengebiet
gereist, hätten sich in den Flüchtlingslagern informiert,
hätten mit Müttern gesprochen, die ihre Kinder verloren
haben, weil die Ernährung nicht mehr gewährleistet wer-
den kann,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dann würde sich gleich nicht ein Teil Ihrer Fraktion bei
dieser Abstimmung enthalten und ein Großteil gegen
diesen Einsatz stimmen.

Dieser Einsatz wird von Ihnen nicht gewünscht. An
diesem Einsatz im Südsudan beteiligen sich jedoch
67 Nationen mit 10 000 Einsatzkräften und bei
UNAMID in Darfur 48 Nationen mit 22 000 Einsatz-
kräften. Das heißt, die Weltgemeinschaft sieht, welches
Risiko dort besteht und was geleistet werden muss. Herr
Außenminister und Herr Minister Niebel, Sie haben das
Thema hier und auch bei Ihrer gemeinsamen Reise in
diese Länder angesprochen; das müsste hier noch deutli-
cher werden. Sie haben dort um eine gemeinsame Unter-
stützung der Afrikanischen Union gebeten, die jetzt in
weiten Bereichen auf Grundlage des Prinzips „Owner-
ship“ erfolgt.

Sie haben in Frage 11 gefragt, wer die Teilnehmer ei-
ner möglichen Sudan-Konferenz sind und wie die Pro-
gramme unterstützt werden sollen. Wir haben uns speziell
im Bereich der Entwaffnung, Demobilisierung und Re-
integration ehemaliger Kombattanten eingesetzt. Trotz-
dem machen Sie hier im Parlament die Aussage, dass Sie
erwarten, dass niemand sich konfliktverschärfend betä-
tigt. Es ist ein Hohn, so etwas vor dem Hintergrund der Si-
tuation, wie wir sie dort im Land erleben, zu sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von
Konfliktpräventionsmaßnahmen zur Verfügung. Es gibt
keinen Zweifel – nach den Gesprächen, die wir geführt
haben, bin ich davon fest überzeugt –, dass die Frage des
Sonderbeauftragten ernsthaft angegangen wird. Mittel
dafür stehen im Bundeshaushalt zur Verfügung. Wir ha-
ben auch stellenmäßig die Chance, dort zur Unterstüt-
zung zusätzlich jemanden einzubringen. All dies ist in
Vorbereitung.

Es gibt allerdings auch keinen Zweifel, dass die Fra-
gen der Grenzziehung in den nächsten sechs Monaten





Hartwig Fischer (Göttingen)



(A) (C)



(D)(B)


entschieden werden müssen, weil es, wenn im Referen-
dum für eine Abspaltung gestimmt wird, in diesem ge-
meinsamen Prozess nur so die Chance auf Frieden gibt.
Ohne Grenzziehung wäre das in keinem Falle gewähr-
leistet.

Ich will jetzt noch einmal auf Sie zurückkommen,
Herr Gehrcke. Was ist passiert? Es ist auch Ihre Auf-
gabe, sich zu informieren, wie vielschichtig die Pro-
bleme sind. Es geht eben nicht nur um Rohstoffe. Wir
wissen, dass China noch 2007 und 2008 für 69 Millionen
Dollar Waffen geliefert hat. Wir sind inzwischen Gott sei
Dank in der Situation, dass, wenn es um den Sudan geht,
in Teilbereichen auch gemeinsam mit Russland und
China Lösungen gefunden werden können. Sie haben
gesagt, dass im ganzen Sudan die Rohstofffrage die ent-
scheidende Frage ist. Sie haben recht: Im Südsudan ist
das wichtig. In Darfur spielen Rohstoffe aber überhaupt
keine Rolle. Dort geht es um ethnische Fragen und Fra-
gen der Landverteilung, die schon in früheren Zeiten
entstanden sind. Auch diesen Hintergrund des Konflik-
tes muss man kennen.

Ich sage ausdrücklich: Ich erwarte, dass die Politik,
die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gerade
in den letzten Monaten gemacht wurde, fortgesetzt wird,
weil sie gewährleistet, dass unsere Durchführungsorga-
nisationen in einem einigermaßen abgesicherten Umfeld
dafür sorgen können, dass den Menschen dort geholfen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ein letzter Punkt von meiner Seite. Als ich vor eini-
gen Jahren hier gestanden habe, habe ich das Gleiche ge-
fordert, Frau Wieczorek-Zeul, was wir auch heute for-
dern, nämlich Hubschrauber. Wir haben uns gemeinsam
sehr ausführlich informiert und wissen, dass die Kapazi-
täten in diesem Bereich und das Spezialmaterial bei un-
serer Bundeswehr nicht vorhanden sind. Sonst wäre die-
ser Einsatz mit Sicherheit auch entsprechend unterstützt
worden.

Ich finde, wir müssen uns, wie wir es auch mit Blick
auf andere Krisenherde tun, in der internationalen Ge-
meinschaft darauf verständigen, dass diejenigen, die die-
ses Material zur Verfügung stellen könnten, es auch zur
Verfügung stellen. Dann müssen wir überlegen, wie wir
die personellen Kapazitäten zur Bedienung zur Verfü-
gung stellen können. Dazu müssen wir sicherlich auch
Beschlüsse fassen. Wir brauchen keine weiße Salbe. Da-
von hatten die Menschen in der Vergangenheit genug.

Ich bin darüber froh, dass die große Mehrheit in die-
sem Parlament auch im März dieses Jahres wieder einen
Antrag für die Menschen unterstützt hat, mit dem die
Bundesregierung in ihrem Bemühen, diesen Friedens-
prozess abzusichern, begleitet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1704923400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen.

Zunächst zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im
Sudan. Es geht dabei um das UNMIS-Mandat.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2172, den Antrag der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1902 anzunehmen.

Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir
anschließend über einen weiteren Bundeswehreinsatz
ebenfalls namentlich abstimmen werden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, nun
die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Hier
vorne bei mir fehlt ein Schriftführer von den Koalitions-
fraktionen. – Sind die Plätze der Schriftführer an den Ur-
nen mittlerweile überall besetzt? – Das ist der Fall. Dann
eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.1)

Wir setzen nun die Abstimmungen fort.

Tagesordnungspunkt 9 b. Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre-
gierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation
in Darfur; das ist das UNAMID-Mandat.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2173, den Antrag der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/1901 anzunehmen.

Wir stimmen auch über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab.

Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze an den Urnen
wieder einzunehmen. – Sind alle Plätze besetzt? – Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.2)

Wir könnten jetzt die Beratungen fortsetzen, wenn
wir alle die Gelegenheit hätten, uns darauf zu konzen-
trieren. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen,
die den weiteren Beratungen folgen wollen, Platz zu
nehmen.

1) Ergebnis Seite 5063 D
2) Ergebnis Seite 5066 C





Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ute Kumpf, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Sicherung der Technologieführerschaft Deutsch-
lands im Verkehrs- und Baubereich

– Drucksache 17/931 –

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Steffen Bilger, Karl Holmeier, Ute Kumpf, Wolfgang
Tiefensee, Petra Müller (Aachen), Herbert Behrens und
Winfried Hermann.1)

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und der FDP eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschrif-

(Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010)


– Drucksache 17/1953 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei-
digungsausschusses (12. Ausschuss)


– Drucksache 17/2174 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Dr. Hans-Peter Bartels
Elke Hoff
Paul Schäfer (Köln)

Agnes Malczak


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/2180 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Alexander Bonde
Roland Claus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer

(Köln), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Abschaffung der Wehrpflicht

– zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes
Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wehrpflicht beenden

– Drucksachen 17/1736, 17/1431, 17/2174 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)

Dr. Hans-Peter Bartels
Elke Hoff
Paul Schäfer (Köln)

Agnes Malczak

Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr-
und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der FDP liegt ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Über den Gesetzentwurf und über den Entschlie-
ßungsantrag werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Markus Grübel für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1704923500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin heute wohl in der eher seltenen Situa-
tion, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 als Mitglied
des Verteidigungsausschusses und gleichzeitig als Mit-
glied des Familienausschusses reden zu können.

Wir haben den Sachverhalt lange diskutiert. Er war
im Koalitionsvertrag angekündigt, und am 26. März
2010 haben die Bundesminister zu Guttenberg und
Schröder den Fraktionen den entsprechenden Gesetzent-
wurf vorgestellt. Die Minister hatten auch in der Regie-
rungsbefragung jedermann die Möglichkeit gegeben,
Fragen zum Gesetzentwurf zu stellen. – Ich möchte noch
anmerken: Frau Bundesministerin Schröder ist gerade
bei der Jugend- und Familienministerkonferenz, und ich
denke, es ist wichtig, dass sie dort ist.

Wie ist die Ausgangslage? – Die aktuell günstige Si-
cherheitslage in Europa erlaubt eine Verkürzung des
Wehrdienstes von neun auf sechs Monate.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Aktuell günstige Sicherheitslage in Europa“? Von Freunden umzingelt!)


Diese Reduzierung ist so maßvoll, dass sie die Vorzüge
des Wehrdienstes nicht unverantwortlich gefährdet.
Auch in sechs Monaten können Wehrdienstleistende die
militärischen Grundfertigkeiten erlernen, wenn der
Dienst sinnvoll ausgestaltet wird. Die Verkürzung des
Grundwehrdienstes um ein Drittel hat auch die Reduzie-
rung der Dienstzeit beim Zivildienst zur Folge. Dabei
werden ähnliche Fragen zu beantworten sein: Wie kön-
nen wir weiterhin einen qualitativ hochwertigen Zivil-1) Anlage 5





Markus Grübel


(A) (C)



(D)(B)


dienst anbieten, und wie können wir verhindern, dass bei
einer kürzeren Dienstzeit bei jungen Männern biografi-
sche Lücken entstehen?

Mit der Verkürzung auf sechs Monate haben auch
viele Verbände, Einsatzstellen und Träger die Befürch-
tung verbunden, dass der Zivildienst in wichtigen Berei-
chen, zum Beispiel bei der Betreuung Behinderter und
Pflegebedürftiger und bei den Rettungsdiensten, nega-
tive Folgen haben könnte und nicht mehr durchführbar
ist. Die Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Zivil-
dienstes ist deshalb das geeignete und richtige Instru-
ment. Das hat auch die Anhörung ergeben.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach, waren Sie in der Anhörung?)


Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts-
pflege, der Caritas, Diakonie, der Deutsche Paritätische
Wohlfahrtsverband, das Rote Kreuz und andere angehö-
ren, hat sich im April in einem Schreiben für die freiwil-
lige Verlängerung ausgesprochen. Nur eine kleine Min-
derheit lehnt die freiwillige Verlängerung ab, und zwar
aufgrund einer grundsätzlichen Ablehnung der Wehr-
pflicht und des Zivildienstes. Viele Zivildienstleistende ha-
ben sich eine solche freiwillige Verlängerung gewünscht.
Es gibt empirische Erhebungen, die diese Forderungen be-
stätigen. Das hat Professor Becker in der Anhörung vorge-
tragen. Wir gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Zi-
vildienstleistenden, also rund 30 000 junge Männer,
künftig von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.

Künftig wird es also möglich sein, im Anschluss an
den Pflichtzivildienst einen freiwilligen zusätzlichen Zi-
vildienst von drei bis sechs Monaten zu leisten. Es gibt
also Z 6, 9, 10, 11 und 12. Im freiwilligen zusätzlichen
Zivildienst hat der junge Mann weitgehend die Rechts-
stellung eines Zivildienstleistenden, das heißt, er ist
ebenso gut versichert, arbeitsrechtlich geschützt und so-
zial abgefedert. Andererseits haben wir durch den Weg-
fall der Strafvorschriften den freiwilligen Charakter die-
ses Dienstes hervorgehoben.

Wir haben nach den Ausschussberatungen und der
Anhörung noch eine Änderung vorgenommen und die
sogenannten Ausgangsbeschränkungen als Disziplinar-
maßnahmen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen.
Es ist schön, dass diesem Änderungsantrag alle Fraktio-
nen, auch die Linken, zugestimmt haben. Das ist in die-
sem Hohen Hause nicht oft der Fall. In der Anhörung,
im Ausschuss und im Plenum hat insbesondere die SPD
immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. Vielleicht
ist es der SPD jetzt möglich, dem Gesetzentwurf insge-
samt zuzustimmen.

Die absolute Freiwilligkeit ist also gewährleistet. Wir
haben das noch unterstrichen, indem die Verlängerung
jederzeit beendet werden kann. Die Lebenshilfe hat uns
darauf hingewiesen, dass eine Kündigungsfrist von zwei
Wochen für organisatorische Maßnahmen sinnvoll wäre.
Wir wollen aber die Freiwilligkeit so beibehalten wie
vorgesehen.

Wir haben das Ganze auch sehr bürokratiearm umge-
setzt; denn für einen jungen Mann im Zivildienstverhält-
nis ist keine Abmeldung bei den Sozialversicherungen

oder eine Neuanmeldung nötig. Im Grunde bleibt es
beim Zivildienst.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Die Oppo-
sition hat immer wieder gesagt, dass wir einen neuen Be-
reich von Lohndumping schaffen oder die Ausbeutung
von jungen Männern fördern, die den freiwilligen zu-
sätzlichen Zivildienst leisten. Es wurde darauf hingewie-
sen, dass Stundenlöhne von 3 bis 4 Euro gezahlt werden.
Diese Zahl ist falsch. Ich weiß nicht, woher Sie diese
Zahl haben. Unter Berücksichtigung aller Punkte, zum
Beispiel der Beiträge zur Sozialversicherung, der Heil-
fürsorge und des Mobilitätszuschlags, kommen wir auf
5,80 Euro pro Stunde. Ich denke, das ist ein durchaus an-
gemessener Sold für einen Freiwilligendienst.

Nun gilt es, den verkürzten Wehr- und Zivildienst er-
folgreich in die Praxis umzusetzen. Die Diskussion über
die Wehrpflicht und damit auch über die Zukunft des Zi-
vildienstes wird uns erhalten bleiben. Unsere Verfas-
sung, das Grundgesetz, begründet die Wehrpflicht und
räumt das Recht auf den Zivildienst ein. Sie sieht die Be-
teiligung an kollektiven Sicherheitssystemen zur Wah-
rung des Friedens vor; zu nennen sind UN- oder NATO-
Einsätze. Des Weiteren regelt sie die Aufstellung von
Streitkräften. Sie gibt uns aber auch die Vorgabe, die
Schulden zu begrenzen. Wir müssen künftig für einen
schonenden Ausgleich zwischen den verschiedenen An-
forderungen unserer Verfassung sorgen.

Für uns ist die Wehrpflicht ein hohes Gut. Die Ent-
scheidung, die wir zu treffen haben, hat sicherheitspoliti-
sche, gesellschaftspolitische und haushaltspolitische As-
pekte. Diese Diskussion werden wir nun ergebnisoffen
auf der Grundlage unserer Verfassung, unserer Werte
und Grundsätze sowie unter Berücksichtigung der Er-
gebnisse der Strukturkommission führen. Darum ist es
auch sinnvoll, jetzt das Wehrrechtsänderungsgesetz zu
verabschieden. Damit besteht kurz- und mittelfristig Pla-
nungssicherheit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704923600

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1704923700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Uns liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Wehrrechts einschließlich der Vorschriften für den Zivil-
dienst auf dem Tisch. Er ist ein Kompromiss, der, wenn
ich die Äußerungen aus der Koalition richtig verstanden
und den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, entstan-
den ist, weil der eine Koalitionspartner gerne die Ausset-
zung oder Abschaffung der Wehrpflicht hätte und der
andere an der Wehrpflicht – zumindest damals noch –
gerne festgehalten hätte. Das Resultat ist nun, dass der
Wehrdienst und damit auch die Dauer des Zivildienstes
von neun auf sechs Monate verkürzt werden. Diesem
Gesetzentwurf liegt also keine fachliche, geschweige





Sönke Rix


(A) (C)



(D)(B)


denn eine verteidigungspolitische Grundlage zugrunde,
sondern einfach nur ein Kompromiss. Dazu sage ich: Ich
glaube, dabei ist ein fauler Kompromiss zustande ge-
kommen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sämtliche Fachleute haben in der Anhörung, die wir
als Familienausschuss unter der Federführung des Ver-
teidigungsausschusses durchgeführt haben, Kritik an
dem Gesetz geäußert, sowohl auf der verteidigungspoli-
tischen Seite als auch beim Thema Zivildienst. Man ver-
kürzt auf sechs Monate und entwickelt nun eine Krücke,
um wieder zu verlängern. Erst verkürzt man auf sechs
Monate, und dann führt man wieder eine freiwillige Ver-
längerung ein. Grundsätzlich ist der Zivildienst ein Er-
satzdienst für den Wehrdienst. Wenn die Dauer des
Wehrdienstes neun Monate oder sechs Monate beträgt,
dann hat auch der Zivildienst neun Monate oder sechs
Monate zu dauern. Da braucht man keine künstliche frei-
willige Verlängerung eines Pflichtdienstes.

Die Probleme, die durch diese Krücke nun wieder
entschärft werden sollen, haben Sie sich durch Ihre Ge-
setzesvorlage zuvor selbst geschaffen. Die Planungssi-
cherheit, die Sie jetzt als Grund anführen, machen Sie
selbst wieder kaputt. Dieses Gesetz wird hier im Eil-
tempo vom Bundestag beschlossen. Wir haben erst in
der letzten Woche die Beratung begonnen, die Anhörung
dazwischengepackt, und jetzt sollen wir es schon verab-
schieden. Warum dieses Eiltempo? Was noch viel
schlimmer ist: Während wir diesen Gesetzentwurf bera-
ten, wird aufseiten der Koalition schon wieder über neue
Modelle zum Wehrdienst nachgedacht, nämlich über
eine Aussetzung. Dies schafft absolut keine Planungs-
sicherheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was müssen wir
stattdessen tun? Wir haben ein alternatives Modell auf
den Tisch gelegt, über das wir gerne mit Ihnen ins Ge-
spräch kommen wollen. Wenn Sie Ihre eigene Kommis-
sion zur Reform der Bundeswehr ernst nehmen, dann
warten Sie deren Vorschläge ab, doktern jetzt nicht am
Wehr- und Zivildienst herum und machen dann ein lang-
fristiges Konzept.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt eine freiwillige Verlängerung beim Zivildienst
einzuführen, zumal Sie zugleich darüber nachdenken,
die Wehrpflicht auszusetzen, benötigen wir ganz drin-
gend einen anderen wichtigen Schritt: den Ausbau der
Freiwilligendienste. Natürlich sind die sozialen Einrich-
tungen darauf angewiesen, auch mit jungen Menschen
zusammenzuarbeiten und ihnen Felder für ein Engage-
ment zu bieten, aber nur auf wirklich freiwilliger Basis.
Daher fordern wir an dieser Stelle: Nehmen Sie mehr
Geld in die Hand, und bauen Sie die Freiwilligendienste
massiv aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Abschließend: Nehmen Sie Ihre eigene Kommission
ernst, warten Sie deren Vorschläge ab, und diskutieren
Sie auch über unseren Vorschlag, der, wie ich weiß, auch
in der Kommission eine Rolle spielen wird. Dabei geht
es darum, nur diejenigen einzuziehen, die es tatsächlich
wollen. Diskutieren Sie darüber ernsthaft, und machen
Sie jetzt keine Schnellschüsse, die nur zu Unsicherheit
und vor allen Dingen zu Planungsunsicherheit sowohl
bei der Bundeswehr als auch bei Zivildienstträgern füh-
ren.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704923800

Bevor wir in der Debatte fortfahren, komme ich zu

den Ergebnissen der gerade erfolgten namentlichen Ab-
stimmungen.

Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan

(UNMIS): abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben ge-

stimmt 493 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
44 gestimmt, und 26 haben sich enthalten. Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 562;
davon

ja: 492
nein: 44
enthalten: 26

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner

Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger

Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun

Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)


(Karlsruhe Land)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig

Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)


Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub

Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)


Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin

Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

FDP

Dr. h. c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Agnes Alpers
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Katja Kipping
Harald Koch
Jutta Krellmann
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Niema Movassat
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Steffen Bockhahn
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Caren Lay

Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Cornelia Möhring

Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Paul Schäfer (Köln)


Dr. Petra Sitte
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak

Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der

AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID): ab-
gegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 487, mit
Nein haben 69 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und
es gab eine Enthaltung. Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 556;
davon

ja: 486
nein: 69
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)



(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger

Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk

Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer

Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)


Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein

Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer

Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms
Josef Philip Winkler

Nein

FDP

Dr. h. c. Jürgen Koppelin

DIE LINKE

Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter

Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Kornelia Möller

Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)


Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol-
lege Joachim Spatz für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1704923900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem

vorliegenden Gesetzentwurf wird der Grundwehrdienst
von neun auf sechs Monate verkürzt und damit ein Bei-
trag zu mehr Wehrgerechtigkeit geleistet.


(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)


Der vorliegende Gesetzentwurf ist unabhängig von der
aktuellen Diskussion über die Wehrpflicht notwendig, da-
mit die jungen Männer, die ab dem 1. Juli ihren Dienst an-
treten sollen, Rechts- und Planungssicherheit haben.
Wenn wir von Rechts- und Planungssicherheit sprechen,
meinen wir also nicht in erster Linie die eigenen Regie-
rungseinheiten – die sich allerdings zum Beispiel im Rah-
men der Kommission auch beteiligen sollen –, sondern
die Betroffenen. Damit ist ein Schritt in die richtige Rich-
tung getan.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wehrrechtsänderung betrifft auch den Ersatz-
dienst, weshalb ich dazu ebenfalls ein paar Worte sagen
möchte. Wie schon ausgeführt wurde, folgt der Ersatz-
dienst dem Wehrdienst. Es sollte in der politischen Dis-
kussion nicht zugelassen werden, dass die Notwendig-
keiten, die der eine oder andere vielleicht im sozialen
Bereich sieht, als Ersatzbegründung für die Aufrechter-
haltung der Wehrpflicht herhalten müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924000

Kollege Spatz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Nouripour?


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1704924100

Wenn das nicht angerechnet wird, ja.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924200

Die Uhr ist schon angehalten.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704924300

Herr Kollege Spatz, als Grund, dieses Gesetz heute zu

verabschieden, haben Sie gerade die Planungssicherheit





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)


der jungen Männer, die eingezogen werden, angeführt.
Was ist aber mit der Planungssicherheit einer Truppe, die
die Ausbilder stellen muss und der in zwei Monaten
schon wieder ein komplett anderes Modell vorgelegt
werden wird?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1704924400

Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr das

hinbekommen wird.


(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Die laufenden Diskussionen sind schon seit einiger Zeit
bekannt. Jetzt wird das umgesetzt, was auf Koalitions-
ebene vereinbart worden ist. Wir wissen heute noch
nicht, was die Zukunft in der Diskussion um die Wehr-
pflicht bringt und wann Alternativkonzepte tatsächlich
zu Beschlüssen führen werden. Ich halte es für nicht hin-
nehmbar, in der Zwischenzeit bei neun Monaten zu blei-
ben.


(Beifall bei der FDP)


Deswegen setzen wir jetzt das um, was bereits umgesetzt
werden kann. Im Übrigen kommen auf 26 000 Plätze bei
den sozialen Freiwilligendiensten 85 000 Bewerber.
Man darf also nicht so tun, als würde im sozialen Be-
reich die Welt zusammenberechen, wenn wir nicht mehr
auf verpflichtende Dienste setzen.

Wie Sie schon gesagt haben, werden wir in den be-
wegten Zeiten, in denen wir leben, weiter über die Zu-
kunft der Wehrpflicht diskutieren können; denn die si-
cherheitspolitische Situation hat sich im Einsatzjahr
2009 dramatisch weiterentwickelt. Auch auf der Kosten-
seite gibt es mittlerweile erheblichen Druck. Deshalb
werden wir, wenn im Herbst die Ergebnisse der Kom-
mission vorliegen, erneut über eine Gesamtumstruktu-
rierung nachdenken müssen.


(Zuruf von der SPD: Das ist Planungssicherheit!)


Die Kommission arbeitet ergebnisoffen, wobei ich
mir, offen gestanden, nicht vorstellen kann, dass etwas
anderes als die Empfehlung, die Wehrpflicht ganz auszu-
setzen, dabei herauskommen wird.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Warten wir erst mal ab!)


Im Übrigen ist nach unserem Dafürhalten die sicher-
heitspolitische Begründung entfallen. Die Gegner der
Aussetzung führen sehr viel häufiger und fast aus-
schließlich gesellschaftspolitische Gründe an.


(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Ich denke, die große Einschränkung, die das für die Be-
troffenen bedeutet, ist als Begründung zu wenig.

Wir brauchen die Ressourcen, die freigesetzt werden,
dringend für die Aufgabenstellungen einer Armee im
Einsatz. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben
deutlich gemacht, dass diese Mittel ganz dringend ge-

braucht werden. Wir brauchen Längerdiener. Außerdem
brauchen wir hinsichtlich der Ausrüstung, des Materials
und Ähnlichem entsprechende Möglichkeiten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen Fachkräfte!)


Wir brauchen eine Attraktivitätssteigerung. Dafür brau-
chen wir die freien Mittel.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das Gegenteil: Fachkräfte streichen!)


Wie gesagt, all dies sind Dinge, die wir in aller
Gründlichkeit diskutieren müssen. Deswegen lehnen wir
die Anträge der Grünen und der Linken ab. Es wäre ein
Schnellschuss, jetzt die Wehrpflicht auszusetzen, ohne
dass wir heute wissen, wie die Antworten auf die Fragen
lauten, wie wir die Attraktivität steigern und wie wir
gewährleisten, dass wir nicht irgendwelche Bewerber
bekommen, sondern Bewerber, die über bestimmte Qua-
lifikationen verfügen. All diese Fragen sind mit einer
Grundsatzentscheidung noch nicht beantwortet. Hier
geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Woche für ein Gesetz!)


Das heißt, wir müssen erst die Antworten im Detail fin-
den und können dann vielleicht dem großen Schritt nä-
herkommen.


(Beifall bei der FDP)


Alles in allem ist das, was wir jetzt verabschieden, ein
Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt zu mehr
Wehrgerechtigkeit. Wir setzen das um, was im Moment
umgesetzt werden kann. Wir greifen nicht Ergebnissen
vor, die erst im Herbst erreicht werden können.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924500

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine be-

liebte Redewendung des Ministers der Verteidigung in
diesen Tagen lautet: Man muss die Dinge vom Ende her
denken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut aufgenommen!)


Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht vom Ende her ge-
dacht.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja auch nicht sein Gesetz! Er ist dagegen!)






Paul Schäfer (Köln)



(A) (C)



(D)(B)


Das Ende der Wehrpflicht ist absehbar und von ihm
selbst angekündigt worden. Mit anderen Worten: Was
Sie hier vorlegen, ist Makulatur. Ein Gesetzentwurf, der
Makulatur ist, ist nicht nur Murks, sondern verdient es,
abgelehnt zu werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die öffentliche
Anhörung in dieser Woche bei den Sachverständigen
und den Verbandsvertretern Begeisterungsstürme ausge-
löst habe, fällt wohl eher unter die Rubrik der selektiven
Wahrnehmung.


(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Natürlich gab es eine gewisse Erleichterung angesichts
der Verkürzung der Pflichtdienstzeit von neun auf sechs
Monate. Das ist zunächst einmal positiv. Wenn aber zu-
gleich die Zahl der Betroffenen erhöht wird, die dann
eingezogen werden, dann ist das schon mehr als ein Wer-
mutstropfen und löst deutliche Kritik aus.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Wehrgerechtigkeit!)


Diese wurde auch klar formuliert. Die Unsicherheit, die
Sie mit Ihren ständigen Ankündigungen auslösen, ist
weit verbreitet, und man fragt sich, was als Nächstes
kommt.

Die Fraktion Die Linke wird diesen Gesetzentwurf
ablehnen, weil wir grundsätzlich gegen Zwangsdienste
sind, weil der Gesetzentwurf ungerecht ist, weil er nicht
sozial ist und weil wir uns die Wehrpflicht nicht länger
leisten können.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf ist ungerecht, weil damit eine Si-
tuation fortgeschrieben wird. Nicht einmal mehr
15 Prozent eines Jahrgangs der männlichen Jugend leis-
ten den Wehrdienst. Die Bundeswehr ist längst eine
Berufs- und Freiwilligenarmee, die sich des Instruments
der Wehrpflicht bedient, um Nachwuchs zu rekrutieren.
Das ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung und im
Übrigen ungerecht. Deshalb lehnen wir das ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf ist nicht nur deshalb nicht sozial,
weil man den Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden
Urlaubstage klaut, sondern vor allem deshalb nicht so-
zial, weil man ein neues öffentlich-rechtliches Dienst-
verhältnis bei den freiwillig länger Dienenden konstru-
iert. Einer der Sachverständigen sprach von
„Bundespflegebeamten“. Das Interessante ist – ich habe
das das letzte Mal schon gesagt –: Diese Bundespflege-
beamten, also die Zivis, arbeiten für einen Stundenlohn
von 3,75 Euro, Zuschläge inbegriffen.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)


Der Mindestlohn, den der Gesetzgeber für den Pflegebe-
reich festgelegt hat – das sei Ihnen noch einmal ins
Stammbuch geschrieben –, beträgt 8,50 Euro im Westen
und 7,50 Euro im Osten. Das ist sozusagen ein
Niedrigstlohnsektor im Niedriglohnsektor, und das ist
für uns völlig inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Stattdessen wäre es nötig, in diesem Bereich ausrei-
chend Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen – das
wäre doch eine Herausforderung –, die tariflich entlohnt
sind, die langfristig abgesichert sind und für die die
Leute auch wirklich qualifiziert sein müssen. Ausbau
des öffentlichen Dienstes und in bestimmten Bereichen
öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse, das
wäre die Antwort auf die Pflegeprobleme und den Pfle-
genotstand.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun noch ein Wort zu dem Argument: zu teuer; kostet
zu viel. Das kostet nicht nur über 1 Milliarde Euro. Es
gibt eine neue wissenschaftliche Studie, in der die volks-
wirtschaftlichen Kosten einer Wehrpflichtarmee berech-
net worden sind. Dadurch, dass die jungen Männer dem
Arbeitsmarkt entzogen sind, aus dem Produktionspro-
zess herausgenommen werden, entstehen Kosten von,
auf die Bundesrepublik bezogen, 6 Milliarden Euro jähr-
lich. Welch ein Unsinn!

Ich stelle zum Schluss fest: Die Bundesregierung hat
kein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr. Ein Kon-
zept muss auf alle Fälle ohne Wehrpflichtige auskom-
men, weil Wehrpflichtige für die Landesverteidigung
nicht mehr gebraucht werden, nicht einmal für Ihre Aus-
landseinsätze. Die Fragen, die sich dadurch aufdrängen,
lauten: Was ist mit der gesellschaftlichen Einbindung der
Streitkräfte? Wie kann man die Kritikfähigkeit gegen-
über nicht völkerrechtskonformen Militäreinsätzen auf-
rechterhalten? Diese Fragen müssen beantwortet wer-
den.

Die Antwort lautet: parlamentarisch kontrollierte
Streitkräfte, Leitbild des Staatsbürgers in Uniform – statt
dienstbeflissener Untertanen –, statt des Auftrags, welt-
weit militärisch einzugreifen, wenn es der NATO gefällt,
Rückbesinnung auf den Kernauftrag „Verteidigung des
Landes“. Das ist das, was getan werden muss. Hören Sie
auf mit dem Stückwerk! Machen Sie jetzt etwas Ge-
scheites, eine klare Zäsur, das heißt Aufhebung der
Wehrpflicht!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Agnes Malczak das Wort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)



Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704924800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meis-

tens bin ich ja heilfroh, dass Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, die FDP in fast jedem Punkt
ausbremsen und kleinhalten: ob bei den Steuersenkungs-
fantasien oder der weder finanzierbaren noch gerechten
Kopfprämie in der Gesundheitspolitik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Thema verfehlt!)


Bei der Frage der Wehrform aber würde ich Ihnen aus-
nahmsweise doch empfehlen, auf Ihren kleinen Koali-
tionspartner zu hören. Nicht alles, was die FDP sagt,
muss ja automatisch falsch sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Grübel [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)


Herr Minister, bei diesem Zankapfel der Koalition
haben Sie sich selbst für Ihre Fans entzaubert: Vom Ende
her denken, eine Aufgabenkritik wagen, kluge Analysen,
mutige Antworten statt Festhalten an Traditionsargu-
menten – das sollte nach Ihren eigenen Aussagen Ihr
Amtsverständnis ausmachen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Doch was haben Sie in Wirklichkeit getan? Nach langem
Hin und Her wollen Sie fürs Erste doch an der Verkür-
zung des Wehrdienstes festhalten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er redet ja nicht mal!)


Die Wehrpflicht habe sich ja schließlich bewährt, so
heißt es. Hektisch, aber ohne jeden Sinn und Verstand ja-
gen Sie den Gesetzentwurf zur Wehrdienstverkürzung
durch das Parlament. Damit wollen Sie heute etwas be-
schließen lassen, das Sie längst schon wieder infrage
stellen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD])


schließlich haben Sie selbst die Aussetzung der Wehr-
pflicht ins Spiel gebracht. Eine Entscheidung treffen
wollen Sie aber erst später. Herr Minister, wo bitte haben
Sie hier vom Ende her gedacht? Wo bitte sind bei dieser
ganzen Reform die klugen Analysen geblieben? Viel-
leicht reden Sie heute nicht im Parlament, weil Ihnen das
schon selbst aufgefallen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kneift! – Markus Grübel [CDU/CSU]: Das ist die Stunde des Parlaments, nicht der Regierung!)


So gut wie niemand in der Truppe kann der sechsmo-
natigen Wehrpflicht etwas abgewinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Wehrpflicht bindet Personal und Geld und blockiert
die dringend notwendige Reform der Bundeswehr. Auch
unter den jungen Männern in unserer Gesellschaft findet
sich kaum jemand, der von dieser Reform überzeugt ist.

Ob neun oder sechs Monate, die Wehrpflicht bleibt ein
ungerechter Einschnitt in die Lebensplanung junger
Männer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da Sie ein überzeugendes Konzept für die Ausgestal-
tung des verkürzten Wehrdienstes bis heute nicht vorge-
legt haben, erwartet die jungen Männer eine sinnlose
Warteschleife und die Bundeswehr eine enorme zusätzli-
che Belastung. Diese Reform schafft mehr Probleme, als
bestehende zu lösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Ende her den-
ken heißt, Reformen der Bundeswehr in eine sicherheits-
politische Gesamtkonzeption einzubinden. Der Vorsit-
zende des Bundeswehrverbandes, Oberst Kirsch, hatte
aber in der Expertenanhörung zum Gesetz am Montag
kritisiert, dass er noch heute auf eine Antwort auf seine
Frage nach der sicherheitspolitischen Begründung dieser
Wehrdienstreform wartet. Und nicht nur ihm, sondern
diesem Hohen Hause und auch den Bürgerinnen und
Bürgern sind Sie genau diese Begründung bisher schul-
dig geblieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Minister teilt sie ja nicht! Er ist anderer Auffassung!)


Und warum bleiben Sie uns das schuldig? Weil nicht nur
diese Reform, sondern auch die Wehrpflicht an sich si-
cherheitspolitisch nicht mehr begründbar sind.

Der einzige Grund für diese Reform, den Sie bisher
genannt haben, ist der Koalitionsvertrag. Das ist doch
nicht hin- und nicht ausreichend. In Ihrem Koalitions-
vertrag steht schließlich viel Unsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kippen Sie doch diese Reform aus dem gleichen Grund,
aus dem Sie sich auch von dem Ziel der Steuersenkun-
gen verabschiedet haben: weil beides einfach schlicht-
weg falsch ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird höchste
Zeit, dass wir uns ehrlich machen und die richtigen Fra-
gen stellen. Was soll die Bundeswehr wirklich können,
und welche Wehrform ist dafür wirklich notwendig?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr ist die
multilaterale UN-mandatierte Konfliktlösung und -ver-
meidung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür muss die Bundeswehr ausgebildet, ausgerüstet
und strukturiert werden.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Der Minister nickt!)






Agnes Malczak


(A) (C)



(D)(B)


Wenn wir so vom Ende her denken, wird deutlich, dass
nur mit der Freiwilligenarmee der notwendige Umbau
der Bundeswehr gelingen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ab-
schließend möchte ich Sie deshalb darauf hinweisen,
dass es auch jetzt noch eine Möglichkeit gibt, Ihren lan-
gen Weg der Irrungen und Wirrungen bei der Wehr-
rechtsreform endlich zu verlassen: Sie wollen hier ein
Gesetz beschließen, das Sie selbst nicht für überzeugend
halten und dem auch Sie selbst nur eine begrenzte Halt-
barkeitsdauer zuschreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben aber die Möglichkeit, einen geraden Weg – weg
von der Wehrpflicht hin zur Freiwilligenarmee – einzu-
schlagen. Dafür sollten Sie unserem Antrag, dem Antrag
der Grünen, zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704924900

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege

Dr. Reinhard Brandl das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wieso redet eigentlich der Minister nicht? Was ist denn mit dem Herrn Minister? – Gegenruf des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU]: Zweite und dritte Beratung sind Stunden des Parlaments!)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1704925000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir haben als christlich-liberale Koalition in unse-
rem Koalitionsvertrag festgelegt – damit haben Sie
recht, Frau Malczak –, dass wir angesichts grundlegen-
der Veränderungen in der sicherheitspolitischen Lage so-
wie im Auftrag und im Aufgabenspektrum der Bundes-
wehr die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzen.
Dieses Vorhaben setzen wir heute in die Tat um. Es ist
ein Signal an die jungen Männer, dass wir sorgsam mit
ihrer Lebenszeit umgehen und die Länge des Pflicht-
dienstes auf ein Mindestmaß reduzieren.

Es ist aber auch ein Auftrag vor allem an die Bundes-
wehr, in sechs Monaten eine komprimierte Form des
Dienstes anzubieten, der sowohl für den Einzelnen als
auch für die Bundeswehr selbst sinnvoll ausgestaltet ist.
Nur wenn uns das gelingt, werden wir auch mit dieser
verkürzten Form der Wehrpflicht langfristig Akzeptanz
in der Gesellschaft finden.

Auch die zweite große Aufgabe aus unserem Koali-
tionsvertrag ist Minister Guttenberg gleich nach der
Wahl angegangen: die dringend notwendige Reform der
Strukturen der Bundeswehr. Die Organisation heute

passt nicht zu den Anforderungen einer Armee in perma-
nentem Auslandseinsatz.

Verschärfend kommt hinzu, dass auch das Bundes-
ministerium der Verteidigung einen Teil zur Konsolidie-
rung der Staatsfinanzen beisteuern muss. Es wird lang-
fristig also weniger Geld zur Verfügung stehen. Es ist in
dieser Situation keine Lösung, an all dem, was wir uns
heute an Strukturen leisten, einfach festzuhalten und nur
mit der Rasenmähermethode im Budget zu kürzen. Da-
mit werden wir unserer Verantwortung für die Soldaten
nicht gerecht.

Das Kabinett hat deswegen letzte Woche dem Bun-
desministerium der Verteidigung den Auftrag erteilt, in
Zusammenarbeit mit der Strukturkommission zu prüfen,
welche Folgen unter anderem eine deutliche Reduzie-
rung des Personals der Streitkräfte für die sicherheitspo-
litische Handlungsfähigkeit Deutschlands hätte. Es
macht jetzt keinen Sinn, dem Ergebnis dieser Arbeit vor-
zugreifen und Tabus in Bezug auf die Wehrpflicht aufzu-
stellen. Im Gegenteil: Wir sind es den jungen Männern,
die ihren Wehr- oder ihren Ersatzdienst für unser Land
ableisten, sogar schuldig, regelmäßig zu überprüfen, ob
ihr Dienst sicherheitspolitisch weiterhin begründbar ist
oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Debatte müssen wir uns immer wieder stellen
und sie auch offen und ehrlich führen. Denn auch das ist
Grundlage für die Akzeptanz der Wehrpflicht in unserer
Gesellschaft. Ausschlaggebend können in einer solch
grundsätzlichen Debatte aber nicht nur die momentanen
Einsatzanforderungen oder gar die Kassenlage sein.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!)


Ein Blick in unsere jüngere Geschichte zeigt doch, wie
schnell sich Bedrohungslagen und Einsatzszenarien ver-
ändern können.

In den 80er-Jahren war die Bundeswehr noch voll auf
den Ost-West-Konflikt ausgerichtet. Dann kam für viele
überraschend der 9. November 1989 und der Fall des Ei-
sernen Vorhangs. Kurz darauf begann der Krieg auf dem
Balkan. Es entstand eine vollkommen neue sicherheits-
politische Lage in Europa, verbunden mit ganz neuen
Einsatzaufgaben für die Bundeswehr. Dann kam, wieder
überraschend, der 11. September 2001, der uns in
schrecklicher Art und Weise die Bedrohung durch den
internationalen Terrorismus vor Augen geführt hat.
Diese Bedrohung bestimmt unsere Einsätze heute.

Wenn wir uns jetzt im Zuge einer Reformdebatte über
die Wehrform der Zukunft unterhalten, müssen wir uns
folgende Fragen stellen: Was sind die wahrscheinlichen
Einsatzszenarien der Zukunft? Was sind unwahrscheinli-
che Szenarien – Stichwort Landes- und Bündnisverteidi-
gung –, und bis zu welchem Grad wollen wir uns auch
dafür wappnen? Wie muss die Bundeswehr für diese
Szenarien aufgestellt sein? Daraus abgeleitet: Brauchen
wir in diesen Szenarien die Wehrpflicht zum Beispiel als
Grundlage für die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr
im Krisenfall, ja oder nein?





Dr. Reinhard Brandl


(A) (C)



(D)(B)


Wir begründen die Wehrpflicht sicherheitspolitisch.
Die Wehrpflicht hat aber auch zu einer tiefen Veranke-
rung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft geführt.
Das ist nicht der Grund für die Wehrpflicht, aber es ist
für mich ein Wert an sich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine grundsätzliche Debatte werden wir in den nächs-
ten Monaten intensiv führen. Sie ist aber zu trennen von
dem Gesetzentwurf, über den wir heute hier diskutieren.
Wir haben auch eine Verantwortung für diejenigen
Wehrpflichtigen, die jetzt kurz vor ihrer Einberufung ste-
hen. Diesen jungen Menschen geben wir mit diesem Ge-
setzentwurf Planungssicherheit. Deshalb bitte ich Sie um
Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704925100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich als letz-

tem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Lars
Klingbeil


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, es spricht noch Freiherr zu Guttenberg!)


das Wort gebe, bitte ich Sie um die notwendige Auf-
merksamkeit. Wir haben genügend Sitzgelegenheiten,
sodass Sie der Debatte bis zum Schluss folgen können.
Bevor wir namentlich abstimmen, haben wir noch einige
einfache Abstimmungen durchzuführen. Ich bitte Sie
also auch für den letzten Redner um den notwendigen
Respekt.

Das Wort hat nun der Kollege Lars Klingbeil für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1704925200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Seit ihrer Einführung haben mehr als
8 Millionen junge Männer Wehrdienst in Deutschland
geleistet. Mehr als 50 Jahre hat die Wehrpflicht unsere
Gesellschaft geprägt. Aber es sind Zweifel am bestehen-
den System der Wehrpflicht gewachsen. Es ist unsere
Aufgabe als Politiker, sicherheitspolitisch zu begründen,
ob wir noch eine Wehrpflicht in Deutschland brauchen.
Es ist jetzt an uns, auf der Höhe der Zeit zu sein und den
sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu
werden. Dies ist unsere Pflicht, und hieran werden wir
gemessen.

Die Diskussion über die Wehrpflicht gehört nicht in
das politische Hinterzimmer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Debatte bewegt unsere Gesellschaft. Im Parlament
wird deutlich: FDP, Grüne und Linkspartei sind sich ei-
nig, wenn es darum geht, die Wehrpflicht abzuschaffen.
In der SPD gibt es Befürworter und Kritiker. Wir haben
uns nach einer langen Debatte auf ein Modell verstän-

digt, das auf mehr Freiwilligkeit setzt und vor allem ei-
nen gesellschaftlichen Konsens sucht. Selbst in der
Union, die bisher aus ideologischen Gründen an der
Wehrpflicht festgehalten hat, ist die Aussetzung der
Wehrpflicht kein Tabuthema mehr.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur beim Bundesverteidigungsminister!)


Der CSU-Verteidigungsminister, der vor kurzem noch
verkündete, eine Abschaffung sei mit ihm nicht zu ma-
chen, gehört nun zur Speerspitze der Wehrpflichtkritiker.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie, wie flexibel dieser Mann ist!)


All dies zeigt, wie verschieden die Positionen zur
Wehrpflicht sind. Auch durch Umfragen wird belegt,
dass unser Land in dieser Frage gespalten ist. Wir haben
nun gemeinsam die Herausforderung zu bewältigen, eine
politische Reform zu suchen, die für einen breiten ge-
sellschaftlichen Konsens steht.

Was aber ist die Antwort der Regierung auf diese He-
rausforderung? „W6“. Sie lassen die Wehrpflicht zu ei-
nem sechsmonatigen Praktikum bei der Bundeswehr
verkommen. Ich sage Ihnen: Sicherheitspolitisch macht
das keinen Sinn. Die Gerechtigkeitsfrage wird nicht ge-
löst. Der Zivildienst wird in seiner jetzigen Form massiv
unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss steigen auch
noch die Kosten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe bisher niemanden getroffen, der ernsthaft die
Meinung vertreten hat, dass ein Wehrdienst von sechs
Monaten einen erhöhten Nutzen für unsere Streitkräfte,
geschweige denn für unsere Gesellschaft hat. Auch Sie
sind heute wieder jede Erklärung schuldig geblieben,
worin eigentlich der Sinn einer sechsmonatigen Wehr-
pflicht liegen soll.


(Zuruf von der FDP: Mehr Freiheit!)


Wenn Sie ehrlich sind, geht es doch nur darum, endlich
einmal ein schwarz-gelbes Projekt aus dem Koalitions-
vertrag zu verabschieden. Mit dem Kopf durch die
Wand, das ist das Motto der heutigen Abstimmung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Schlimmste ist, dass dieser Gesetzentwurf das
Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt wurde. Noch
vor der Verabschiedung hier im Parlament hören wir,
dass Teile der Union nun für eine komplette Abschaf-
fung der Wehrpflicht plädieren. Herr Minister, ich will
Ihnen sagen: Als Neuling im Deutschen Bundestag habe
ich aufgehorcht, als Sie von einem Höchstmaß an Trans-
parenz und Zusammenarbeit sowie von Wahrheit und
Klarheit gesprochen haben. Nach sieben Monaten muss
ich Ihnen aber leider sagen: Es waren nur leere Worte.
Wir von der Opposition haben fast damit gerechnet.





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


Aber auch gegenüber Ihren eigenen Reihen haben Sie
nicht das eingehalten, was Sie angekündigt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erst schließen Sie eine Abschaffung der Wehrpflicht
aus. Dann wird im Eiltempo eine Verkürzung auf sechs
Monate durch das Parlament gejagt. Sie setzen eine un-
abhängige Strukturkommission ein, die ohne Tabus ta-
gen soll, und dann preschen Sie als Antwort auf das
Spardiktat mit der Forderung nach Abschaffung der
Wehrpflicht vor, noch bevor die Verkürzung der Wehr-
pflicht hier im Parlament beschlossen wurde. Diese
schwarz-gelbe Logik erschließt sich mir nicht. Ich sage:
Auch draußen versteht niemand, was wir hier heute dis-
kutieren und beschließen. In der Truppe versteht das erst
recht keiner.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Angebot gilt weiterhin. Wir sind zu einer kon-
struktiven Zusammenarbeit bereit. Nutzen Sie nicht poli-
tische Mehrheiten, sondern suchen Sie gesellschaftliche
Mehrheiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit den
richtigen Maßnahmen diejenigen für die Bundeswehr
gewinnen können, die wir brauchen, und zwar auf frei-
williger Basis. Ich fordere Sie also noch einmal auf: Ver-
zichten Sie auf W6! Zeigen Sie heute Stärke und Klar-
heit! Ich garantiere Ihnen: Es wird keine Häme von
unserer Seite geben,


(Zuruf von der FDP: Von dir nicht, aber von anderen!)


wenn Sie ein weiteres Vorhaben Ihres Koalitionsvertra-
ges abräumen. Wir wissen, dass die sicherheitspoliti-
schen Herausforderungen unserer Zeit größere Antwor-
ten brauchen als W6. Herr zu Guttenberg, es liegt an
Ihnen.

Herzlichen Dank für das Zuhören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704925300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung wehr- und zivildienstrechtli-
cher Vorschriften 2010. Mir liegen mehrere Erklärungen
nach § 31 Abs. 1 und eine Erklärung des Kollegen Hans-
Ulrich Klose nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsord-
nung vor1). Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/2174, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1953 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? –

Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge-
setzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich möchte da-
rauf hinweisen, dass wir im Anschluss eine weitere na-
mentliche Abstimmung durchführen werden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen, und ich bitte die Kol-
leginnen und Kollegen, zu überprüfen, ob ihr Name auf
ihrer Abstimmungskarte steht. Sind alle Schriftführerin-
nen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? –
Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern die
Abstimmungen fortsetzen, vorausgesetzt, jede Kollegin
und jeder Kollege kann hören, worum es gerade geht
und sich dann entsprechend sachgerecht verhalten. Tun
Sie mir den Gefallen und unterstützen Sie mich dabei.

Wir setzen die Abstimmungen mit dem Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/2197 fort. Auf Verlangen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Ent-
schließungsantrag namentlich ab.

Ich bitte wiederum die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Wahlurnen besetzt? – Ich eröffne
die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.3)

Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache
17/2174 fort.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1736 mit dem Ti-
tel „Abschaffung der Wehrpflicht“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

1) Anlagen 2 bis 4
2) Ergebnis Seite 5078 D
3) Ergebnis Seite 5081 C





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1431 mit
dem Titel „Wehrpflicht beenden“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und 12 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Gleichstellung eingetragener Lebenspartner-
schaften

– Drucksache 17/2113 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Öffnung der Ehe

– Drucksache 17/2023 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute
Granold für die Unionsfraktion, Christine Lambrecht für
die SPD-Fraktion, Stephan Thomae und Michael Kauch
für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion
Die Linke und Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/2113 und 17/2023 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere
Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt –
Beschäftigungschancengesetz

– Drucksache 17/1945 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Auch hier wurde interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu
geben. – Ich sehe, Sie sind auch hier einverstanden. Es
handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
Kollegen: Paul Lehrieder für die Unionsfraktion,
Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion,
Dr. Heinrich L. Kolb und Johannes Vogel (Lüdenscheid)

für die FDP, Sabine Zimmermann für die Fraktion Die
Linke, Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe für die Bundesregierung.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1945 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Dr. Petra Sitte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Fachkräfteprogramm – Bildung und Erzie-
hung – unverzüglich auf den Weg bringen

– Drucksache 17/2019 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Marcus Weinberg (Hamburg), Ewa Klamt für die
Unionsfraktion, Marianne Schieder (Schwandorf), Caren
Marks für die SPD-Fraktion, Sylvia Canel für die FDP-
Fraktion, Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke
und Priska Hinz (Herborn) für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/2019 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a und 15 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen
an die Vergütungssysteme von Instituten und
Versicherungsunternehmen

– Drucksachen 17/1291, 17/1457 –

1) Anlage 6
2) Anlage 7
3) Anlage 8





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/2181 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicolette
Kressl, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Maßnahmenbündel gegen Spekulationen
auf den Finanzmärkten und ungerechtfer-
tigte Banker-Boni

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Dem Vorbild Großbritanniens und Frank-
reichs folgen – Boni-Steuer für die Finanz-
branche einführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der
Allgemeinheit

– Drucksachen 17/526, 17/452, 17/794, 17/2181 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ralph Brinkhaus
Manfred Zöllmer
Björn Sänger
Dr. Gerhard Schick

Der Finanzausschuss hat in diese Beschlussempfeh-
lung den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/794 einbezogen. Über diese Vorlage
soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos-
sen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Unionsfraktion der Kollege Ralph Brinkhaus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1704925400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben im Mai das Ausführungsgesetz zur EU-Ratingver-
ordnung verabschiedet. Heute beschließen wir in dritter
Lesung ein zweites Gesetz zur Regulierung der Kapital-
märkte, das Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anfor-
derungen an Vergütungssysteme von Finanzinstituten.

Wir werden mit diesem Gesetz Banken und Versicherun-
gen dazu verpflichten, ihre Vergütungssysteme angemes-
sen, transparent und nachhaltig zu gestalten. Sollte ein
Institut in eine ernsthafte Schieflage geraten, wird es den
Aufsichtsbehörden ermöglicht, einzugreifen und die
Auszahlung von variablen Vergütungsbestandteilen zu
verbieten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist notwendig
geworden, weil durch unangemessen hohe, auf kurzfris-
tige Gewinne ausgerichtete Boni eine Risikobereitschaft
gefördert wurde, die letztlich zur Finanzkrise beigetra-
gen hat.

In den letzten Wochen haben wir uns alle sehr inten-
siv mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt: in vielen Ein-
zelgesprächen mit Gewerkschaften und Verbänden, in
unseren Arbeitsgruppen, in Ausschüssen, in einer öffent-
lichen Anhörung und natürlich auch hier im Plenum. Die
Diskussionen waren fair, sachlich und konstruktiv. Dafür
möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, ganz
besonders bei meinem Berichterstatterkollegen von der
FDP. Die Zusammenarbeit war wie immer sehr gut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
wird, wie bereits erläutert, durch das Gesetz ermöglicht,
in Vergütungssysteme einzugreifen. Im Rahmen unserer
Beratungen haben wir alle sehr intensiv diskutiert, ob
das Gesetz in die im Grundgesetz festgeschriebene Tarif-
autonomie eingreift. Um klarzustellen, dass wir diesen
Eingriff nicht wollen, haben wir zusätzliche Formulie-
rungen in den Gesetzentwurf eingefügt. Wir haben damit
den Bedenken und Änderungswünschen von Gewerk-
schaften, aber auch von Verbänden Rechnung getragen.
Insofern zeigt sich, dass die gerne geschmähten Interes-
senvertreter oder Lobbyisten hin und wieder auch dazu
beitragen, dass ein Gesetz besser wird.

Wir haben auch darüber beraten, was passiert, wenn
die BaFin die Auszahlung von variablen Vergütungsbe-
standteilen aufgrund einer Schieflage untersagt. Vom Fi-
nanzministerium wurde klargestellt: Wenn sich das Un-
ternehmen wieder erholt, dann kann der Manager oder
Anspruchsberechtigte die Auszahlung der einbehaltenen
Boni einfordern. Sollte das Institut zum Überleben aber
dauerhaft Staatshilfen benötigen, dann ist es wohl nicht
fair, dass diese Ansprüche bestehen bleiben. Dies ist
bislang allerdings noch nicht geregelt. Die Regierungs-
fraktionen haben die Regierung daher gebeten, diesen
Sachverhalt in ihrem Entwurf eines Restrukturierungs-
gesetzes, der im Sommer kommen wird, zu berücksichti-
gen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Warum nicht gleich?)


Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
dem Gesetzentwurf haben wir auch darüber gesprochen,
inwieweit sich das Gesetz mit der gleichen Vergütung
von Mann und Frau sowie der Ausrichtung der Vergü-
tungssysteme an der Kundenzufriedenheit beschäftigen
sollte. Wir haben in diesem Fall der Schnelligkeit, das
heißt, dem Bestreben, das Gesetz zügig zu verabschie-
den, Vorrang gegeben. Aufgrund der Bedeutung für die





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Stabilität der Finanzmärkte wollen wir noch vor der
Sommerpause eine Entscheidung treffen. Deswegen ha-
ben wir dieses Gesetz nicht überfrachten wollen. Das
heißt allerdings nicht, dass wir uns mit diesen wichtigen
Themen nicht weiter beschäftigen werden.

Auch heute hat sich die alte Regel bewahrheitet – ich
glaube, sie stammt von der SPD, von Herrn Struck –:
Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineinge-
kommen ist. Das ist auch gut so. Es ist unsere Aufgabe,
zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Dem einen oder
anderen mag die Regulierungsdichte in diesem Gesetz
nicht weit genug gehen. Aber ich glaube, wir sind uns
alle darüber einig, dass dieses Gesetz nach dem Gesetz
zu den Vorstandsvergütungen ein weiterer Schritt in
Richtung einer guten und nachhaltigen Vergütungsstruk-
tur bei Banken und Versicherungen ist. Ich möchte daher
bei allen Beteiligten um Zustimmung für dieses Gesetz
werben.

Dieses Gesetz ist aber nur ein kleiner Bestandteil ei-
nes umfangreichen Maßnahmenpaketes, das die Stabili-
tät und Sicherheit der Finanzmärkte erhöhen soll. Das ist
ein Paket, das von der alten und von der neuen Bundes-
regierung, von europäischen Institutionen und der G-20-
Gruppe auf den Weg gebracht worden ist. Ich möchte
uns allen noch einmal die wichtigen Elemente vor Au-
gen führen:

Wir haben ein europaweites Risikofrühwarnsystem
für Finanzkrisen entwickelt. Im nächsten Jahr wird der
Europäische Ausschuss für Systemrisiken an den Start
gehen. Seine Aufgabe ist es, in enger Zusammenarbeit
mit der EZB frühzeitig Probleme zu identifizieren und
Handlungsempfehlungen zu geben. Ziel ist es, dass wir
Krisen früher erkennen. Besser als eine rechtzeitig er-
kannte Krise ist es aber, keine Krise zu haben. Deswegen
werden wir dafür eintreten, dass solche Krisen unwahr-
scheinlicher werden. Auch dafür gibt es ein umfangrei-
ches Maßnahmenbündel.

Um Krisen frühzeitig verhindern zu können, müssen
wir erst einmal wissen, was auf den Finanzmärkten pas-
siert. Das heißt, wir brauchen Transparenz. Diese Trans-
parenz gab es in der Vergangenheit nicht. Wir hatten
zum Beispiel keine harten Fakten darüber, ob gegen
Griechenland oder den Euro tatsächlich spekuliert wor-
den ist. Deswegen wollen wir den Handel mit Derivaten
über Börsen oder einsehbare Handelsplätze abwickeln.
Darüber hinaus werden wir für bestimmte Geschäfte wie
Leerverkäufe Meldepflichten einführen. Auch das haben
wir in dieser Woche auf den Weg gebracht.

Um Krisen zu vermeiden, meine Damen und Herren,
brauchen wir stabile Finanzinstitute. Je mehr Eigenkapi-
tal eine Bank hat, umso stabiler ist sie. Wir haben hierzu
in dieser Woche zum Beispiel die Umsetzung einer EU-
Richtlinie, der Kapitaladäquanzrichtlinie, beraten. Wir wer-
den zum Thema Eigenkapital im sogenannten Basel-III-
Prozess weitere Festlegungen treffen. Die Akteure auf
dem Finanzmarkt müssen zudem für ihr Tun haften, das
heißt, Verantwortung übernehmen. Deswegen wollen wir
es verbieten, dass derjenige, der ein Risiko eingeht, dieses
Risiko ohne Eigenbehalt weitergibt. Deswegen beschäf-
tigen wir uns mit den Verbriefungsregeln. Auch das ha-

ben wir in dieser Woche auf den Weg gebracht. Außer-
dem brauchen wir Regelungen für die
Vergütungssysteme. Diese werden wir hoffentlich heute
Abend verabschieden.

Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass es trotz all
dieser Sicherungsmaßnahmen keine hundertprozentige
Sicherheit gibt, dass eine Bank nicht in Schieflage gerät.
Das hat viel damit zu tun, dass wir auch weiterhin wol-
len, dass in der Marktwirtschaft Entscheidungen getrof-
fen werden. Das beinhaltet, dass man auch Fehler ma-
chen kann, dass man gegebenenfalls auch vom Markt
verschwinden kann. Wir wollen nur eines: dass die Insti-
tute, die vom Markt verschwinden, nicht andere Institute
mitreißen. Deswegen werden wir ein neues Insolvenz-
und Restrukturierungsregime für Finanzinstitute auf den
Weg bringen. Im Sommer werden wir hierzu die ersten
Vorschläge von der Regierung erhalten.

In der Vergangenheit haben wir viel Steuergeld in das
Finanzsystem gesteckt. Deswegen werden wir das Ban-
kensystem daran beteiligen, die Haushalte zu konsolidie-
ren. Im Eckpunktepapier zum Sparpaket der Bundesre-
gierung ist dies ausgeführt.


(Nicolette Kressl [SPD]: Nein! Das ist etwas anderes! – Manfred Zöllmer [SPD]: Da ist gar nichts ausgeführt!)


Wir wollen, dass Krisen vom Finanzsystem zukünftig
selbst reguliert werden. Deswegen werden wir einen
Rettungsfonds einrichten, der durch eine Bankenabgabe
gespeist wird. Auch hierzu hat das Bundeskabinett die
Eckpunkte bereits festgelegt.

Das sind nur einige Bestandteile eines umfassenden
Systems, das die Finanzwelt ein wenig sicherer machen
soll. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist ein Be-
standteil dieses Systems und daher sehr wichtig. Wir alle
wissen um die internationale Vernetzung in der Fi-
nanzwelt. Wir müssen international und europäisch ab-
gestimmte Lösungen finden.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Dazu ist doch Merkel nicht in der Lage!)


Beim vorliegenden Gesetzentwurf ist uns das im
Wesentlichen gelungen. In vielen anderen Bereichen
herrscht aber leider Stillstand. Deswegen ist es richtig,
dass Deutschland als stärkste europäische Volkswirt-
schaft gegebenenfalls alleine vorangeht und Zeichen
setzt. Die Bundesregierung hat dies mit dem Verbot von
bestimmten Leerverkäufen getan. Auch das ist gut so.
Ich bin mir sicher, dass andere EU-Staaten folgen wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Keine Drohungen!)


In schwierigen Zeiten ist es wichtig, Führung zu über-
nehmen. Die christlich-liberale Koalition zeigt mit ihren
Gesetzesvorhaben zur Finanzmarktregulierung, dass sie
führen kann und will. Wir haben gute Dinge auf den
Weg gebracht. Weitere Vorhaben werden folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungs-
punkt liegen noch Anträge von SPD, Grünen und Linken
vor. In diesen etwas älteren Anträgen werden viele wich-
tige Probleme angesprochen und Lösungen vorgeschla-
gen. Wir stimmen, wie nicht anders zu erwarten, nicht in
allen Punkten überein; aber wenn Sie das betrachten,
was die Bundesregierung in den vergangenen Wochen
und Monaten umgesetzt hat, dann sehen Sie, dass sich
viele Ihrer Vorschläge erledigt haben. Insofern möchte
ich die Übereinstimmungen und nicht den Dissens beto-
nen.

Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern. Sie
von den Linken und auch von den Grünen haben sich
sehr stark damit beschäftigt, eine Bonibesteuerung auf
den Weg zu bringen. Auch wir sind mit den Bonistruktu-
ren unzufrieden. Deswegen haben wir das Vorstandsver-
gütungsgesetz beschlossen und beschließen heute das
Aufsichtsvergütungsgesetz. Wir werden auch weiterhin
die mögliche Einführung einer Financial Activities Tax
prüfen, die genau bei diesen Boni ansetzen soll. Sie von
der SPD haben unter anderem beantragt – alles auszu-
führen würde jetzt zu weit führen –,


(Nicolette Kressl [SPD]: Aber gut wäre es schon!)


dass die öffentlichen Lasten aus der Krisenbekämpfung
angemessen verteilt werden. Wir haben hierzu bereits
eine risikoadjustierte Bankenabgabe angekündigt.


(Nicolette Kressl [SPD]: Angekündigt! – Manfred Zöllmer [SPD]: Im Ankündigen sind Sie groß!)


Wir werden dies umsetzen. Insofern kommen wir auch
dieser Sache nach.

Wir bleiben trotz vieler Übereinstimmungen bei unse-
rem Weg – das ist jetzt kein mangelnder Respekt für Ihre
Vorschläge – und werden Ihre Anträge ablehnen. Ich
denke, dass uns das nicht daran hindern sollte, weiter
vernünftig zusammenzuarbeiten; denn das ist nötig. Ei-
nige wichtige Fragen zur Zukunft der Finanzmärkte sind
noch nicht beantwortet. Ich möchte hierzu Überlegungen
anstellen. Wie soll der Finanzplatz Europa, der Finanz-
platz Deutschland in der Zukunft aussehen? Welches
Bild haben wir von diesem Finanzplatz?

Hierzu stellen sich einige Fragen. Ganz pragmatisch:
Wie werden es die deutschen Finanzinstitute in den
nächsten Monaten und Jahren schaffen, die notwendigen
Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen? Sehr grundsätz-
lich: Welche Wettbewerbsstrukturen möchten wir auf

dem Finanzmarkt in Deutschland, in Europa und in der
Welt haben? Akzeptieren wir weiterhin oligopolistische
Strukturen mit wenigen Global Playern, oder wollen wir
einen Mittelstand haben, oder wollen wir beides haben?
Was müssen wir dafür tun? Sehr wichtig ist auch die
Frage: Wie gehen wir mit den Teilen des Finanzmarktes
um, die nicht reguliert sind, zum Beispiel die Hedge-
fonds? Lassen wir es zu, dass aus dem regulierten Teil
Liquidität, das heißt Risiko, in den unregulierten Teil
geht, oder wollen wir die Verbindung kappen? Auch das
ist eine Frage, die wir beantworten müssen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Sie sollten zu Antworten kommen und nicht nur zu Fragen!)


Eine Frage, die für die Menschen in diesem Land sehr
entscheidend ist und für die wir noch keine überzeu-
gende Antwort gefunden haben, lautet: Ist es möglich,
die wesentlichen Akteure auf den Finanzmärkten für ihr
Tun in die persönliche Haftung zu nehmen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt durchaus noch mehr Fragen. Die gerade ge-
nannten erscheinen mir besonders wichtig. Lassen Sie
uns Antworten darauf finden, und zwar so fair und kon-
struktiv, wie wir diesen Gesetzgebungsprozess durchge-
führt haben. Wir müssen am Ende des Tages nicht einer
Meinung sein – ich befürchte, das werden wir auch heute
Abend nicht sein –, aber es lohnt sich, zusammenzuar-
beiten und aus dem einen oder anderen politischen oder
taktischen Graben zu steigen. Das würde den Finanz-
märkten und dem Land an der einen oder anderen Stelle
guttun.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704925500

Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmun-

gen.

Zuerst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt: abgegebene Stimmen 554. Mit Ja haben ge-
stimmt 303, mit Nein 250 Kolleginnen und Kollegen. Es
gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist angenom-
men.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebenen Stimmen: 552;

davon

ja: 303

nein: 248

enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär

Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr

zu Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp

Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer

Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch

Elisabeth Winkelmeier-
Becker

Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabi Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)


Nein

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck

Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)


Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring

Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Alexander Süßmair
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Elisabeth Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner

Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner

Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn

Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

FDP

Jimmy Schulz

Wir kommen zum Ergebnis der zweiten namentlichen
Abstimmung. Hier geht es um den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Gesetz-
entwurf. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen

Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 553. Mit
Ja haben gestimmt 111 Kolleginnen und Kollegen, mit
Nein 310. Es gab 132 Enthaltungen. Der Antrag ist abge-
lehnt.

Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 552;
davon

ja: 110
nein: 310
enthalten: 132

Ja

SPD

Gabriele Hiller-Ohm
Swen Schulz (Spandau)


DIE LINKE

Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Heidrun Dittrich
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Dr. Barbara Höll
Katja Kipping
Harald Koch
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Ulla Lötzer
Thomas Lutze
Dorothée Menzner
Cornelia Möhring
Thomas Nord
Petra Pau

Richard Pitterle
Yvonne Ploetz
Ingrid Remmers
Paul Schäfer (Köln)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Kathrin Senger-Schäfer
Raju Sharma
Dr. Petra Sitte
Sabine Stüber
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Priska Hinz (Herborn)

Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Memet Kilic
Sven-Christian Kindler
Maria Anna Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl

Oliver Krischer
Agnes Krumwiede
Stephan Kühn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Monika Lazar
Nicole Maisch
Agnes Malczak
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Beate Müller-Gemmeke
Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Dr. Hermann Ott
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Dorothea Steiner
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Ilse Aigner
Peter Altmaier
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)


Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Florian Hahn
Holger Haibach
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers


(Heidelberg)

Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Max Lehmer

Paul Lehrieder
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Dr. Jan-Marco Luczak
Dr. Michael Luther
Karin Maag
Dr. Thomas de Maizière
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Nadine Müller (St. Wendel)

Dr. Philipp Murmann
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Dr. Michael Paul
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Christoph Poland
Eckhard Pols
Lucia Puttrich
Daniela Raab
Thomas Rachel
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht (Weiden)

Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker

Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Dr. Hans-Peter Bartels
Garrelt Duin
Johannes Kahrs
Kirsten Lühmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Scheelen

FDP

Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider
Sebastian Blumenthal
Claudia Bögel
Nicole Bracht-Bendt
Klaus Breil
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Marco Buschmann
Sylvia Canel
Helga Daub
Reiner Deutschmann
Dr. Bijan Djir-Sarai
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Rainer Erdel

Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Hans-Michael Goldmann
Heinz Golombeck
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Manuel Höferlin
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Heiner Kamp
Michael Kauch
Dr. Lutz Knopek
Pascal Kober
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Sebastian Körber
Holger Krestel
Patrick Kurth (Kyffhäuser)

Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Lars Lindemann
Dr. Martin Lindner (Berlin)

Michael Link (Heilbronn)

Dr. Erwin Lotter
Oliver Luksic
Patrick Meinhardt
Gabriele Molitor
Jan Mücke
Petra Müller (Aachen)

Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Martin Neumann


(Lausitz)

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Christiane Ratjen-

Damerau
Dr. Birgit Reinemund
Dr. Peter Röhlinger
Dr. Stefan Ruppert
Björn Sänger
Christoph Schnurr
Jimmy Schulz
Marina Schuster
Dr. Erik Schweickert
Werner Simmling
Judith Skudelny
Joachim Spatz
Torsten Staffeldt
Dr. Rainer Stinner
Stephan Thomae
Florian Toncar
Serkan Tören
Johannes Vogel


(Lüdenscheid)

Dr. Daniel Volk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)






Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Enthalten

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Petra Crone
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Peter Friedrich
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser

Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Christel Humme
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Caren Marks
Katja Mast
Petra Merkel (Berlin)


Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Ulla Schmidt (Aachen)

Carsten Schneider (Erfurt)

Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze

Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dr. Marlies Volkmer
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

DIE LINKE

Herbert Behrens
Karin Binder
Christine Buchholz
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Nicole Gohlke
Heike Hänsel
Andrej Konstantin Hunko
Ulla Jelpke
Dr. Gesine Lötzsch
Kornelia Möller
Niema Movassat
Wolfgang Nešković
Alexander Süßmair
Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol-
lege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1704925600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Brinkhaus, es ist schön, dass Sie noch einmal be-
tont haben, dass die Koalitionspartner in diesem Fall
nicht über Wildsäue und Gurkentruppen gestritten ha-
ben, sondern offenkundig an der Sache gearbeitet haben.
Wie das Ergebnis ausgefallen ist, ist eine andere Frage.
Das werden wir jetzt bewerten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zur Finanzkrise
waren Banker diejenige Berufsgruppe, die mit großem
Abstand am besten bezahlt wurde. Es waren wahre Ge-
haltsexzesse. Sie waren eine wichtige Ursache für das fi-
nanzmarktpolitische Desaster.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


In den Finanzmärkten wurden nicht Millionen verteilt, es
wurden Milliarden verteilt, lieber Herr Kollege – Sum-
men jenseits jedes Vorstellungsvermögens. Es herrschte
nackte Gier.

Die Profiteure dieser Exzesse lebten auf einem ande-
ren Stern. Das Geld ging im Übrigen auch an Manager,
deren Institute heute entweder nicht mehr existieren oder
nur noch mit umfassender staatlicher Hilfe weiter exis-
tieren. Die Vergütungsmodelle boten Managern einen
Anreiz, mehr auf kurzfristige Erträge zu setzen und die
langfristige Entwicklung außer Acht zu lassen; dies hat
die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich festge-
stellt. Die Gehaltsexzesse wurden damit zu einer der
zentralen, der wesentlichen Ursachen der Finanzkrise.
Im Ergebnis wurden immer abenteuerlichere Konstruk-
tionen im Finanzbereich auf den Markt gebracht, bis das
System kollabierte.

Jetzt hat sich auch die Wissenschaft mit diesen Fragen
beschäftigt. Es ist ein ganz eindeutiger Zusammenhang
zwischen Vergütungssystemen auf der einen Seite und
der Verursachung der Finanzkrise auf der anderen Seite
festgestellt worden. Es stellt sich allerdings die Frage,
warum sich die Wissenschaft erst jetzt mit diesem
Thema beschäftigt.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wie hieß denn damals der Finanzminister? – Gegenruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]: „Wissenschaft“ hat er gesagt, Herr Michelbach! Manfred Zöllmer Nicht einmal zuhören kann er! Ist es Ihnen etwa schon zu spät?)





(A) (C)


(D)(B)


– Herr Michelbach, ich spreche von der Wissenschaft.
Es war im Übrigen der Finanzminister, der dieses Gesetz
auf den Weg gebracht hat, von dem Sie eben so lobend
gesprochen haben, nur damit wir uns richtig verstehen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Unser guter Einfluss!)


– Ja, er ist ein guter Mann.

Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die
aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungs-
systeme von Instituten und Versicherungsunternehmen
will die Bundesregierung nunmehr gegen eine wesentli-
che Ursache, nämlich solche verfehlten Vergütungsan-
reize, vorgehen. Damit setzt sie den Weg fort, den der
eben von mir angesprochene Finanzminister in der Gro-
ßen Koalition mit dem Gesetz zur Angemessenheit der
Vorstandsvergütung auf den Weg gebracht hatte.

Es geht um die Frage, wie Vergütungssysteme ausge-
staltet, überwacht und weiterentwickelt werden können.
Ähnlich wie das Gesetz zur Angemessenheit der Vor-
standsvergütung verfolgt auch dieses Gesetz das Ziel, die
Vergütung stärker auf den langfristigen Erfolg eines Un-
ternehmens auszurichten. Vergütungssysteme sollen an-
gemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwick-
lung des Unternehmens ausgerichtet sein. Das ist im Kern
völlig richtig. Die Details der Ausgestaltung – wie sich
etwa die Vergütung zusammensetzt und wie die Leis-
tungszeiträume aussehen sollen – wird das Bundesfinanz-
ministerium in nachfolgenden Rechtsverordnungen re-
geln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres wichti-
ges Ziel ist es, zu verhindern, dass vor dem Hintergrund
einer schwierigen wirtschaftlichen Situation eines Unter-
nehmens unangemessen hohe Bonuszahlungen erfol-
gen. Deshalb wird die Bundesanstalt für Finanzdienst-
leistungsaufsicht mit entsprechenden Eingriffsrechten
ausgestattet. Sie kann die Auszahlung variabler Vergü-
tungsbestandteile untersagen oder auf einen bestimmten
Anteil des Jahresergebnisses beschränken.

Mit dem Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anfor-
derungen an die Vergütungssysteme von Instituten und
Versicherungsunternehmen setzt die Bundesregierung
im Wesentlichen die internationalen Vereinbarungen um,
die auf dem G-20-Treffen des vergangenen Jahres be-
sprochen und vom Rat für Finanzstabilität als Standards
entwickelt wurden. Aber wieder einmal gibt es keine ei-
genen Initiativen der Bundesregierung, die über solche
Vorgaben hinausgehen. Die Ergebnisse der Anhörung
zeigen, dass mit dem Gesetzentwurf nur Mindestanfor-
derungen gesetzlich umgesetzt werden.

Die Anhörung hat darüber hinaus deutlich gemacht,
dass es möglicherweise einen Konflikt zwischen tariflich
vereinbarten Entlohnungsbestandteilen und Eingriffen
der Aufsichtsbehörde gibt. Wir haben auf dieses Pro-
blem aufmerksam gemacht und begrüßen und unterstüt-
zen den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, mit
dem sie klarstellen, dass tarifvertragliche Regelungen
von den gesetzlichen Vorschriften nicht betroffen sind.

Die Tarifautonomie bleibt also gewahrt, und das ist auch
gut so.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD-Fraktion hatte darüber hinaus einen Ent-
schließungsantrag eingebracht, weil die Anhörung ge-
zeigt hat, dass es wenig Sinn macht, auch bei Aufsichts-
ratsmitgliedern Boni als Vergütung zuzulassen. Ein
solches Vergütungssystem kann erhebliche Fehlanreize
setzen und die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates ge-
genüber dem Vorstand untergraben. Aber – Herr
Brinkhaus hat darauf hingewiesen – unsere Anträge wer-
den von der Koalition generell abgelehnt.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das habe ich so nicht gesagt!)


Auf der anderen Seite will man mit uns fröhlich zusam-
menarbeiten. Irgendwie passt das nicht. Auch dieser An-
trag ist abgelehnt worden.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Weil er inhaltlich falsch ist!)


Sie waren noch nicht einmal bereit, einen Prüfungsauf-
trag an die Bundesregierung zu unterstützen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der Antrag ist unsauber formuliert!)


– Lieber Herr Brinkhaus, wer so agiert, zeigt, dass er
kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Opposi-
tion in wichtigen Fragen der Finanzmarktregulierung
hat. Wir bedauern das ausdrücklich.

Wir vermissen eine Begrenzung der steuerlichen Ab-
setzbarkeit von Gehältern und Boni. Wir sind der Mei-
nung, eine solche Begrenzung würde einen gewissen Au-
tomatismus schaffen, um Gehaltsexzesse zu begrenzen.


(Beifall bei der SPD)


Die Koalitionsfraktionen waren leider nicht bereit, eine
solche Regelung in das Gesetz aufzunehmen.

Es wäre auch durchaus sinnvoll gewesen, über Malus-
regeln nachzudenken. Wer durch Fehlspekulation ein
Kreditinstitut an die Wand fährt, dem sollte nicht nur der
Bonus gestrichen werden – das ist logisch –, der sollte
für sein Missmanagement auch finanziell bestraft wer-
den.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende An-
trag ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er bleibt
auf halbem Wege stehen. Ein Schritt in die richtige Rich-
tung ist zu wenig. Sie tun nicht das, was möglich ist, Sie
tun nur gerade das, was zur Umsetzung von Vorgaben
nötig ist. Wir werden uns deshalb bei diesem Gesetzent-
wurf der Stimme enthalten.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist ja nichts Neues! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie enthalten sich ja immer!)


Wenn wir uns die Anträge der anderen Fraktionen,
hier den Antrag der Linken mit der Forderung nach Ein-
führung einer Bonisteuer, ansehen, dann müssen wir
feststellen: Eine Bonisteuer kann das zugrunde liegende
Problem nicht lösen, da es sehr einfach ist, eine solche





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


Besteuerung zu unterlaufen. Damit wäre dieses Instru-
ment wirkungslos.

Wir haben als Sozialdemokraten einen eigenen An-
trag eingebracht, der umfassend beschreibt, wie wir auf
die Finanzkrise reagieren. Über bestimmte Aspekte die-
ses Antrages werden wir morgen intensiv diskutieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein um-
fassendes Konzept und wirksame Maßnahmen. Wir wol-
len keine Politik, die nur an Symbolen herumdoktert und
Handeln nur simuliert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704925700

Das Wort hat der Kollege Björn Sänger für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Viel Lärm um nichts! Das passt!)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1704925800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lieber Kollege Brinkhaus, vor uns liegt ein wei-
terer Mosaikstein in dem Bild, das später, wenn alle Mo-
saiksteinchen eingefügt sind, die Reform der Finanz-
märkte durch diese christlich-liberale Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen darstellen wird.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das sind nur EU-Vorgaben! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das Bild ist aber kaum zu erkennen!)


Wir haben als weiteres Steinchen bereits das Ratingge-
setz beschlossen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Alles EU-Vorgaben!)


Momentan ist die Umsetzung der Kapitaladäquanzricht-
linie in der parlamentarischen Beratung. Wir beraten das
Derivatemissbrauchsgesetz, um die Leerverkäufe zu re-
gulieren; Kollege Brinkhaus hat schon darauf hingewie-
sen. Das Eckpunktepapier zur Bankenabgabe liegt vor;
es wird noch ausformuliert und in einen Gesetzentwurf
gegossen werden.


(Nicolette Kressl [SPD]: Seit Monaten!)


Nicht zuletzt nenne ich das Engagement von Staatsse-
kretär Koschyk und die Initiative der Bundesregierung
auf europäischer und internationaler Ebene, um zu ei-
nem international abgestimmten Verhalten bei der Regu-
lierung der Finanzmärkte und auch bei der Beteiligung
des Finanzsektors an den Kosten dieser Krise zu kom-
men.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieses Bild fügt sich Stück für Stück zusammen und
ist in sich schlüssig. Schon vor der Sommerpause wird
man einen großen Teil dieses Bildes sehen können. Wir
legen dieses Bild sorgfältig; denn wenn man es mögli-
cherweise etwas zu schnell legt, dann kann man es am
Ende nicht richtig erkennen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht man an den Leerverkäufen!)


Um was geht es beim vorliegenden Gesetzentwurf? Kol-
lege Zöllmer, es geht nicht unbedingt um Gehaltsexzesse,
sondern es geht darum, die Fehlanreize, die durch Vergü-
tungssysteme ausgelöst werden können – kurzfristig orien-
tiertes Handeln –, zu erkennen und zu beseitigen. Darüber
hinaus muss in den Vergütungssystemen auch eine Ma-
lusregelung enthalten sein. Darüber hinausgehend kann
man, Kollege Zöllmer, in der Tat darüber nachdenken, in-
wieweit man Malusregeln sozusagen auch im laufenden
Prozess einfügt. Dazu sage ich aber – darin sind wir uns
auch einig –, dass wir dies über eine verstärkte Haftung
von Vorständen regeln können, sodass an dieser Stelle
viel stärker auch mit dem Privatvermögen gehaftet wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich denke, alles in allem ist dieser Gesetzentwurf eine
sachgerechte Lösung für die Probleme, die wir haben. Er
wird eine disziplinierende Wirkung haben, weil kein Un-
ternehmen sein eigenes Vergütungssystem von der BaFin
beanstandet haben möchte. Das wäre ein riesiger Image-
verlust und wird keiner riskieren.

Wir haben – auch darauf hat der Kollege Brinkhaus
hingewiesen – im parlamentarischen Prozess die beste-
henden Probleme, ich sage einmal: an der einen oder an-
deren Stelle, an der der Gesetzentwurf nicht ganz rund
war, gelöst und die Anregungen nicht nur aufgenommen,
sondern wir haben auch gehandelt. Darin unterscheiden
wir uns von denjenigen, die nur Anregungen geben kön-
nen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben keinen Eingriff in die Tarifautonomie zu-
gelassen – es ist mir wichtig, das an dieser Stelle zu sa-
gen –, weil wir eben nicht glauben, dass die Probleme in
der „Schalterhalle“ angesiedelt sind, sondern diese Pro-
bleme treten oberhalb der Ebene der Schalterhalle auf;
denn in der Schalterhalle arbeiten schlussendlich die
Leistungsträger, die durch eine Mehrleistung und beson-
dere Anstrengungen zusätzlich einen variablen Vergü-
tungsbestandteil verdienen. Die Produkte, die dort unter
Umständen auch gegen Provisionierung verkauft wer-
den, dienen zunächst einmal dazu, dass ein Deckungs-
beitrag für das Unternehmen geliefert wird. Das ist per
se nichts, was in irgendeiner Art und Weise für das Un-
ternehmen risikoreich ist.

Man kann natürlich – auch darüber müssen wir nach-
denken; das wird die Bundesregierung – einen weiteren
Mosaikstein für den Anlegerschutz erarbeiten bzw. mei-
ßeln, was gerade auch geschieht. Es geht um das Thema
Verbraucherschutz. Kollege Schick, Sie haben das sehr
stark diskutiert. Das ist in der Tat etwas, was man sich
anschauen muss. Wir sind aber der Meinung, dass wir
das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln, weil man auch
alles überfrachten kann.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein ganz starkes Argument! – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Man kann aber auch zu wenig machen!)






Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)


Da sich die BaFin diesen Teil auch noch anschauen soll,
sind die personellen Ressourcen möglicherweise besser
eingesetzt, wenn man sich um andere Probleme des Fi-
nanzmarkts kümmert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir haben ein weiteres Problem erkannt und einer
Lösung zugeführt. Es geht um die Frage, was ist, wenn
ein Unternehmen in Schieflage geraten ist und gestützt
werden muss. Hinsichtlich des Anspruchs auf einen vari-
ablen Vergütungsanteil, der derzeit bei Auszahlungsun-
tersagung durch die BaFin nur suspendiert ist – das
heißt, der Anspruch besteht fort –, sind wir der Auffas-
sung: Wenn das Unternehmen in eine Schieflage gerät,
sodass es staatlich gestützt werden muss, dann verfällt
auch dieser Anspruch.

Das werden wir im Restrukturierungsgesetz mit ei-
nem zweistufigen Verfahren regeln. Gerät das Unterneh-
men in schweres Fahrwasser und kommt es ins Schlin-
gern, dann wird der variable Vergütungsanteil aufgrund
eines Dekrets der BaFin zunächst nicht ausgezahlt. Ist in
einem Zeitraum von zwei Jahren wieder alles in Ord-
nung und das Unternehmen wieder profitabel, dann kann
er ausgezahlt werden. Ist das Unternehmen dann nicht
mehr im schweren Fahrwasser, sondern schlussendlich
gekentert, und muss es gestützt werden – auch durch
Steuergelder –, dann verfällt dieser Anspruch.

Schlussendlich: Dieser Mosaikstein ist in sich rund.
Er kann in das Bild eingefügt werden.

Kollege Zöllmer, selbst wenn man sich auf den Stand-
punkt stellt, dass es sich um einen zu kleinen Schritt han-
delt, handeln Sie mit Ihrer Enthaltung ein bisschen so
wie der Anhalter, der den Golf vorbeifahren lässt, weil er
auf einen Porsche wartet.


(Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist unver-
antwortlich. Den Schritt können Sie doch mit uns mitge-
hen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704925900

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704926000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Vergütungsstruktur, insbesondere die
massiven Bonuszahlungen in der Finanzbranche, sind
auch ein Element in der Fehlentwicklung auf den Fi-
nanzmärkten, weil hier nicht langfristige Interessen, son-
dern kurzfristige Renditeziele im Vordergrund stehen.
Daher bestand und besteht die Notwendigkeit, Regelun-
gen vorzunehmen, spätestens seit dem Ausbruch der

weltweiten Finanzkrise vor knapp zwei Jahren. Die Fi-
nanzbranche selbst ist dazu weder gewillt noch in der
Lage. Sie als Koalition haben viel zu lange gewartet.


(Beifall bei der LINKEN)


Die drei wesentlichen Gründe zur Notwendigkeit der
Regulierung der Vergütungsstrukturen in der Finanz-
branche sind offenkundig.

Erstens werden durch massive Bonuszahlungen öko-
nomische Fehlanreize gesetzt. So stehen oft nicht der
langfristige Erfolg eines Unternehmens, sondern kurz-
fristige Ziele wie hohe Aktienkurse und Umsätze im
Vordergrund. Dies hat auch zur Folge, dass oftmals nicht
im Interesse der Kunden gehandelt wird, zum Beispiel
bei Beratungen. Letztendlich sind solche fatalen An-
reizwirkungen für eine Volkswirtschaft schädlich und
können langfristig sogar dem Fortbestand eines Unter-
nehmens schaden. Damit kann eine weitere Destabilisie-
rung des Finanzsektors einhergehen, die sich dann wie-
der auf die Realwirtschaft auswirkt. Das haben gerade
alle unmittelbar erfahren. Der Begriff der Nachhaltigkeit
ist zwar gut gemeint, aber inzwischen so schwammig,
dass er trotzdem kein richtiges Instrument ist und dies
auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht sein
wird.

Zweitens geht es eindeutig um die Durchsetzung von
Verantwortungsübernahme. Wer überproportional von
den Gewinnen von Finanzinstituten profitiert, sollte
schließlich auch für Verluste, die aus eigenen Entschei-
dungen resultieren, einstehen und haftbar gemacht wer-
den.

Drittens – das möchte ich dick unterstreichen – ist es
eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es kann nicht an-
gehen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert
werden. Im Übrigen sind die massiven Bonuszahlungen
weder ethisch noch moralisch, noch betriebswirtschaft-
lich zu rechtfertigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier waren Sie über zwei Jahre lang inkonsequent und
untätig.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Wir sind erst seit acht Monaten in der Regierung!)


Die mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz be-
schlossene Regelung zum Beispiel war eine Kannrege-
lung. Bei Instituten, die Geld oder Bürgschaften vom
Staat erhalten, sollte eine Begrenzung der Geschäftsfüh-
rergehälter auf 500 000 Euro erfolgen. Das war aber nur
eine Kannbestimmung, die zudem beschränkt war. Nicht
einmal die Investmentbanker wurden mit erfasst.

Wenn Herr Ackermann als Chef der Deutschen Bank
2009 bereits wieder 9,6 Millionen Euro verdient hat, von
denen 1,3 Millionen Euro fix und der Rest Bonuszahlun-
gen waren, dann ist das ungerecht. Denn die Deutsche
Bank hat indirekt massiv von der Rettung der HRE pro-
fitiert. Diese hohen Zahlungen werden de facto schon
jetzt vergesellschaftet, weil sie in voller Höhe als Be-
triebskosten abzugsfähig sind. Das ist grob ungerecht.





Dr. Barbara Höll


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das wird zu 50 Prozent über die Einkommensteuer zurückfließen!)


Vor einem halben Jahr bezeichnete die Bundeskanzle-
rin die Bonisteuer als eine interessante Aktivität. Sie ha-
ben in diesem Bereich jedoch nichts getan. Andere euro-
päische Staaten sind aktiv geworden. Ich verweise auf
Großbritannien und Frankreich.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Befristet!)


Sie haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, und
zwar nicht zur Besteuerung von Bonuszahlungen, son-
dern zur Regulierung der Vergütungssysteme von Insti-
tuten und Versicherungen. Das ist aber leider eher ein
Symbolgesetz. Diese Symbolik mag richtig und wichtig
sein. Deswegen stimmen wir auch nicht gegen den Ge-
setzentwurf, sondern werden uns enthalten.

Aber es ist gleichzeitig Zeugnis Ihrer Mutlosigkeit
und Feigheit; denn Sie delegieren die Entscheidungen an
die Verwaltung und an die BaFin, anstelle selbst festzu-
legen, wo Grenzen sind. Sie können immer noch nicht
über Ihren Schatten springen und die Vorschläge aufneh-
men, die von der anderen Seite des Hauses gemacht wur-
den: von uns unter anderem die Bonisteuer und die For-
derung nach einer steuerlichen Begrenzung bei den
Betriebsausgaben.

Wir halten Ihren Gesetzentwurf tatsächlich für ein
Symbol – das Symbol unterstützen wir mit der Enthal-
tung –, ansonsten aber für völlig unzureichend und hof-
fen, dass Sie sich in der nächsten Zeit schnell und ein
bisschen machtvoller bewegen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704926100

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Dr. Gerhard Schick das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bild von dem Mosaik erweckt den Eindruck, als
liege ein klares Bild vor uns,


(Björn Sänger [FDP]: Ist es auch!)


in das wir heute den einen Stein präzise hineinsetzen;
wer diesen ablehnt, hat offensichtlich den Charme des
ganzen Bildes missverstanden.


(Björn Sänger [FDP]: Gut erkannt!)


Mit Verlaub, Sie überzeichnen. Es wäre gut, etwas be-
scheidener an das jetzige Gesetz heranzugehen und vor
allem darüber nachzudenken, ob Sie überhaupt das Bild
wollen, das wir wollen. Wir wollen ein anderes Bild – das
ist der Punkt –, weil Sie heute nur einen bestimmten
Teilbereich klären wollen, indem Sie einen Mosaikstein
setzen, aber zentrale Mosaiksteine, die ebenfalls dazuge-
hören, nicht setzen wollen. Das eine ist, dass der Gesetz-

geber natürlich statt der generellen Ermächtigung an die
Aufsichtsbehörden oder das Finanzministerium, etwas
zu erlassen, ganz konkrete Regeln festsetzen könnte. Das
Europäische Parlament – konkret: sein Wirtschaftaus-
schuss – hat am Montag dieser Woche genau dies be-
schlossen; interessanterweise gibt es dort eine konserva-
tive Mehrheit. Ich glaube, es wird von der europäischen
Ebene bald noch ein weitergehender Schritt kommen,
der uns zeigen wird, dass das, was wir heute machen,
noch nicht ausreichend gewesen ist.

Die zweite Lücke – das habe ich im Ausschuss deut-
lich angesprochen – ist, dass Sie die Frage, wie die Ver-
gütungssysteme in Banken auf das Verhältnis von Bank
zu Kunden wirken, nicht aufgreifen wollen. Das Argu-
ment, dies sei jetzt eine Überfrachtung dieses Gesetzes,
ist nicht überzeugend. Jetzt geht es um die aufsichts-
rechtliche Kontrolle, und genau dorthin gehört dieser
Punkt. Dies hat übrigens auch der Bundesrat so gesehen.
Wir haben dies aber in modifizierter Form noch einmal
eingebracht, weil der Vorschlag des Bundesrates Schwä-
chen hat.

Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass es in den Insti-
tuten Vergütungssysteme gibt, die dazu führen, dass die
Verbraucherschutzregelungen, die im Gesetzblatt stehen,
systematisch verletzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Am Bankschalter erfolgt eine systematische Fehlbera-
tung. Dies müssen wir, wie ich finde, korrigieren, da wir
wissen, dass dies etwas mit den Provisionen zu tun hat.
Deswegen können wir einem Gesetz, das dieses Thema
nicht angeht, obwohl es hineingehörte, nicht einfach zu-
stimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die weitere große Lücke, die Sie lassen – das ist
schon angeklungen –, ist die Frage der Besteuerung. Das
Problem bei diesen 9,6 Millionen Euro für Herrn
Ackermann ist nicht nur, dass dies einen Einfluss auf das
Vermögen der Aktionäre hat, die dann weniger Divi-
dende bekommen, sondern auch, dass der Steuerzahler
das alles mitträgt, weil es Betriebskosten sind. Auch das
wollen wir korrigieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Weil wir meinen, dass es ein Limit dafür gibt, was be-
triebsnotwendige Ausgaben sind, wie wir es in anderen
Bereichen auch haben, müssen wir die Abzugsfähigkeit
bei exzessiven Managergehältern begrenzen. Das ist un-
sere Forderung; Sie aber wollen dies nicht tun.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Damit haben Sie eine Doppelbesteuerung!)


Deswegen ist das Mosaikbild, das Sie entwerfen, leider
nicht richtig. Vielmehr kommt ein Bild heraus, das nicht
für stabile Finanzmärkte sorgt, das immer noch nicht die
Fehler im Verhältnis zwischen Kunde und Bank korri-
giert und das das Problem nicht löst, dass die soziale





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


Schieflage in diesem Land auch wegen exzessiver Ge-
hälter in manchen Branchen zunimmt. Dies wollen wir
korrigieren. Sie haben es nicht vor, und deswegen wer-
den wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704926200

Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kom-

men zur Abstimmung über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die auf-
sichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssys-
teme von Instituten und Versicherungsunternehmen. Der
Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/2181, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksachen 17/1291 und 17/1457
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben
die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen waren
dagegen. SPD und Linke haben sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf
stimmt, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/2181
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/526 mit dem Titel
„Maßnahmenbündel gegen Spekulationen auf den Fi-
nanzmärkten und ungerechtfertigte Banker-Boni“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen.
Die SPD-Fraktion war dagegen. Die Fraktionen von
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben sich ent-
halten.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/452 mit dem Titel „Dem Vorbild Großbritan-
niens und Frankreichs folgen – Boni-Steuer für die Fi-
nanzbranche einführen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zuge-
stimmt haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke. Die
SPD hat sich enthalten.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/794 mit dem Titel „Gehaltsexzesse nicht
länger auf Kosten der Allgemeinheit“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-

haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Enthalten haben
sich SPD und die Linke.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewer-
berleistungsgesetzes

– Drucksache 17/1428 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Mechthild Heil, Dr. Johann
Wadephul, Gabriele Hiller-Ohm, Miriam Gruß, Ulla
Jelpke und Markus Kurth.1) Ich gehe davon aus, dass Sie
damit einverstanden sind. – Das ist der Fall.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/1428 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Bundeswaldgesetzes

– Drucksache 17/1220 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/2184 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Petra Crone
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone,
Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD

Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten –
Schutz und Pflege des Ökosystems für heu-
tige und künftige Generationen

1) Anlage 9





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Bundeswaldgesetz novellieren und öko-
logische Mindeststandards für die Waldbe-
wirtschaftung einführen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe
Waldbewirtschaftung fördern

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung

Waldbericht der Bundesregierung 2009

– Drucksachen 17/1050, 17/1586, 17/1743,
16/13350, 17/2184 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Petra Crone
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz hat in seiner Beschlussempfehlung
den Waldbericht der Bundesregierung 2009 auf
Drucksache 16/13350 mit einbezogen. Über diese Vor-
lage soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. –
Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das
so beschlossen.

Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen und Kollegen Alois Gerig, Petra Crone,
Dr. Christel Happach-Kasan, Alexander Süßmair und
Cornelia Behm.1) – Damit sind Sie ebenfalls einverstan-
den.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundeswaldgesetzes. Der Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2184, in Kenntnis des Waldberichts 2009
auf Drucksache 16/13350 den Gesetzentwurf des Bun-
desrates auf Drucksache 17/1220 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktio-
nen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen
und die SPD-Fraktion. Die Linke hat sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen erheben sich bitte,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer ist da-

gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf
in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
wie zuvor angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 b: Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf
Drucksache 17/2184 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
sache 17/1050 mit dem Titel „Bundeswaldgesetz
nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Ökosys-
tems für heutige und künftige Generationen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung bei Zustimmung durch die Koalition angenommen.
Dagegen hat die Opposition gestimmt.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/1586 mit dem Titel „Das Bundeswald-
gesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für
die Waldbewirtschaftung einführen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men. Dafür gestimmt haben CDU/CSU und FDP. Bünd-
nis 90/Die Grünen und Linke waren dagegen. Enthalten
hat sich die Fraktion der SPD.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1743
mit dem Titel „Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe
Waldbewirtschaftung fördern“. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
men. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP. Dagegen
gestimmt haben die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Die SPD hat sich enthalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung kurz-
fristiger Marktengpässe bei flüssiger Biomasse
– Drucksache 17/1750 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)


– Drucksache 17/2182 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Dirk Becker
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Hans-Josef Fell

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.

Hier haben ihre Reden, wie in der Tagesordnung aus-
gewiesen, zu Protokoll gegeben: Dr. Maria Flachsbarth,
Josef Göppel, Dirk Becker, Michael Kauch, Eva
Bulling-Schröter und Hans-Josef Fell.1) Anlage 10






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1704926300

Biomasse ist als nachwachsender Rohstoff einer der

wichtigsten und vielseitigsten regenerativen Energieträ-
ger in Deutschland. Er ist zum Erreichen der ehrgeizi-
gen Klimaschutzziele der Bundesregierung unverzicht-
bar.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko führt wieder
einmal anschaulich vor Augen, wie wichtig es ist, die
Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. Da diese Abhän-
gigkeit beispielsweise im Verkehr besonders hoch ist,
muss hier übergangsweise Ersatz durch Biokraftstoffe
und in Zukunft durch Elektroautos geschaffen werden.
Doch beim Einsatz von Biomasse zur Energieerzeugung
muss die ökologische Sinnhaftigkeit und ethische Ver-
tretbarkeit gewährleistet sein. Die Ökobilanz für Anbau,
Ernte und Transport ist daher kritisch zu hinterfragen;
der Erhalt wertvoller Naturräume und zumindest die
Einhaltung internationaler Mindestarbeitsbedingungen
sind zu gewährleisten.

Deshalb muss nach geltender Rechtslage ab dem
1. Juli 2010 für die EEG-Vergütung nachgewiesen wer-
den, dass flüssige Biomasse, wie zum Beispiel Palmöl,
nachhaltig hergestellt worden ist und nicht etwa Regen-
waldflächen für seine Produktion zerstört wurden.

Um die erforderliche Zeit für den Aufbau von Zertifi-
zierungsstrukturen zu gewährleisten, sieht die geltende
Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung eine Über-
gangsregelung vor, mit der die nachhaltige Herstellung
nicht bei flüssiger Biomasse nachgewiesen werden
muss, die bis zum 30. Juni 2010 zur Stromerzeugung ein-
gesetzt wird. Dieser Nachweis ist mithilfe privatwirt-
schaftlich organisierter Zertifizierungsstrukturen zu er-
bringen.

Diese Übergangsregelung erweist sich nun aufgrund
des umfassenderen Zeitbedarfs für den Aufbau von Zer-
tifizierungsstrukturen allerdings als nicht ausreichend.
Ohne eine Verschiebung dieses Stichtages sind Markt-
engpässe zu befürchten, die vor allem bestehende kleine
und mittelständische EEG-Anlagen stark treffen würden,
die in der Regel mehrmonatige Vertrags- und Lieferzei-
ten benötigen. Für den Bereich der Biokraftstoffe hat die
Bundesregierung durch Kabinettsbeschluss am 2. Juni
2010 die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung geän-
dert und damit für den Verkehrssektor das „Scharfstel-
len“ der Verordnung ebenfalls auf den 1. Januar 2011
verschoben.

Die Anhörung im Ausschuss zur Biomassestrom-
Nachhaltigkeitsverordnung hat gezeigt, dass insbeson-
dere nicht genügend Mengen zertifizierter Biomasse
vorhanden sind, die auch den Nachweis der Reduzie-
rung von Treibhausgasen erfüllen. Das genau verlangt
aber die deutsche Biomassestrom-Nachhaltigkeitsver-
ordnung. Deshalb lehnt die Union den Entschließungs-
antrag von Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Juni 2010
ab. Die Zahl der bisherigen Anerkennungen ist nicht
hoch genug, um die gesamte für eine Vergütung nach
EEG erforderliche flüssige Biomasse zu zertifizieren.
Von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh-
rung, BLE, wurden bis jetzt vorläufig zwei Zertifizie-
rungssysteme und elf Zertifizierungsstellen anerkannt.

Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird daher
die Nachweispflicht vom 1. Juli 2010 auf den 1. Januar
2011 verschoben. Durch diese Verschiebung des
„Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsverordnung wird
verhindert, dass kurzfristig nicht genügend flüssige Bio-
masse auf dem deutschen Markt verfügbar ist und da-
durch den Betreibern solcher EEG-Anlagen, meistens
kleine und mittlere Unternehmen, ein wirtschaftlicher
Schaden droht. Ein unter Umständen existenzbedrohen-
der wirtschaftlicher Totalschaden ist aufgrund des Aus-
schließlichkeitsprinzips des EEG möglich. Diese Rege-
lung besagt, dass schon ein einmaliger Verstoß gegen
die Regeln des EEG den endgültigen Verlust des Bonus
für nachwachsende Rohstoffe, Nawaro-Bonus, für den
Anlagenbetreiber nach sich zieht.

Wir zerstören das Vertrauen in die Verlässlichkeit der
Politik, wenn der Gesetzgeber Anforderungen an den
Anlagenbetreiber stellt, die aufgrund von ihm nicht zu
vertretender Umstände objektiv nicht erfüllbar sind. Mit
der Verschiebung des Scharfstellens der Regelung er-
möglichen wir den Anlagenbetreibern, unseren Anforde-
rungen auch nachkommen zu können.

Die Zeit bis zum Ende des Jahres muss nun dazu ge-
nutzt werden, den Aufbau wirksamer Zertifizierungs-
strukturen sicherzustellen. So kann Deutschland seiner
europaweiten Vorrangstellung beim Einsatz nachwach-
sender Rohstoffe im Energiesektor weiter gerecht wer-
den.


Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1704926400

Marktengpass für Bioöle zur Verstromung in Block-

heizkraftwerken. Euphorie verspüre ich bei der Ver-
schiebung des „Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsord-
nung nicht. Es hat sich aber in der Praxis gezeigt, dass
die Zertifizierungsstellen für nachhaltiges Pflanzenöl
nicht schnell genug aufgebaut werden konnten, um die
Versorgung der bestehenden Pflanzenöl-Blockheizkraft-
werke zu sichern. Das hat auch die gestrige Expertenan-
hörung bestätigt. Besonders kleine Pflanzenölmühlen in
Deutschland brauchen mehr Zeit für die aufwendige
Zertifizierung. Für diese Unternehmen sind die Block-
heizkraftwerke der wichtigste Absatzmarkt. Wir können
ihnen nicht die wirtschaftliche Grundlage entziehen.

Insbesondere die Treibhausgasbilanzierung über die
gesamte Wertschöpfungskette erweist sich als echte He-
rausforderung. Für mich geht hier Gründlichkeit vor
Schnelligkeit. Ein wesentliches Element einer sauberen
Bilanzierung ist nämlich, die Vorgeschichte jeder
Anbaufläche zu klären. Wenn für eine Palmölplantage
Regenwald gerodet oder für ein Sojafeld Moore trocken-
gelegt wurden, sind dort angebaute Pflanzenöle nicht
nur ein Schlag gegen die Artenvielfalt, sondern echte
Klimakiller. Durch Landnutzungsänderungen wird über
Jahre hinweg im Bodenhumus gespeicherter Kohlenstoff
abgebaut und in die Atmosphäre abgegeben. Dies gilt im
Übrigen auch für den Grünlandumbruch in der heimi-
schen Landwirtschaft. Die gesamte Treibhausgasbilanz
der Pflanzentreibstoffe ist in diesen Fällen sogar
schlechter als bei Treibstoffen auf Erdölbasis.

Zu Protokoll gegebene Reden





Josef Göppel


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb haben wir die Nachhaltigkeitsverordnung im
vergangenen Jahr verabschiedet. Die Sanktionen bei ei-
ner Verletzung sind hart. Im EEG ist festgelegt, dass der
Betreiber eines Pflanzenöl-Blockheizkraftwerks auf
Dauer den Anspruch auf die EEG-Vergütung verliert,
wenn er nichtnachhaltige Pflanzenöle einsetzt. Die An-
lage steht damit vor dem sicheren wirtschaftlichen Aus.
Wenn nun aber noch nicht genügend zertifiziertes Pflan-
zenöl zur Verfügung steht, gebietet es der Vertrauens-
schutz für die Betreiber der Blockheizkraftwerke, dass
wir diese Tatsache angemessen berücksichtigen. In der
Gesamtschau ist die Verschiebung um ein halbes Jahr
deshalb gerechtfertigt.

In gewisser Weise beweist diese Verknappung sogar,
dass wir bei der Verwendung von Biomasse zur Energie-
erzeugung eine wirksame Kontrollmöglichkeit für den
Klimaschutzbeitrag gefunden haben.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinwei-
sen, dass wir damit noch nicht am Ende unserer Aufgabe
stehen. Bei der Verabschiedung der Nachhaltigkeitskri-
terien auf europäischer Ebene wurde eine Ausdehnung
auf Pflanzölimporte in anderen Anwendungsbereichen
bereits debattiert. Leider konnte sich dieser umfassende
Ansatz nicht durchsetzen. Noch immer aber werden
weltweit etwa 90 Prozent der Palmölproduktion für
Nahrungsmittel und 5 Prozent für Nichtnahrungszwecke
wie Reinigungsmittel oder Kosmetika eingesetzt. Nur
etwa 5 Prozent werden für Biokraftstoffe verwendet.

Eine rasche Einbeziehung dieser Bereiche ist für ei-
nen wirksamen Regenwaldschutz also unerlässlich. Im
energetischen Bereich haben wir nun den Beweis, dass
der schlüssige Nachweis eines nachhaltigen Anbaus
möglich ist. Ich möchte deshalb zum Schluss meiner
Rede an die Bundesregierung appellieren, auf europäi-
scher Ebene einen neuen Anlauf für eine Ausdehnung
der Nachhaltigkeitskriterien auf Pflanzenölimporte in
allen Anwendungsbereichen zu unternehmen. Das
schützt unser Klima und beseitigt nebenbei noch eine
Wettbewerbsverzerrung zuungunsten unserer heimi-
schen Landwirtschaft.


Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1704926500

Für eine Verschiebung der Frist zur Zertifizierung

von nachhaltig produzierter Biomasse auf den 1. Januar
2010 gibt es keinen plausiblen Grund. Sowohl Zertifizie-
rungssysteme als auch -stellen wurden eingerichtet und
sind funktionstüchtig. Zudem enthält die Biomasse-
strom-Nachhaltigkeitsverordnung dezidierte Übergangs-
regeln, die die Zertifizierung der Ernte von 2009 er-
leichtern sollen. Ausreichende Mengen an nachhaltig
produziertem, bereits nach RSPO zertifiziertem Palmöl
stehen zur Verfügung, wie die Vertreterin des WWF wäh-
rend der Expertenanhörung bestätigte. Das notwendige
ISCC-Zertifikat kann dem WWF zufolge binnen weniger
Tage ausgestellt werden.

Ich kritisiere diese Verschiebetaktik auf das
Schärfste. Die Bundesregierung muss damit aufhören,
ihre Klientel auf Kosten von Umwelt- und Naturschutz
zu bedienen. Ich hege schlimmste Befürchtungen, dass
die Zertifizierungsfrist zu einem Verschiebebahnhof der

Bundesregierung wird und durch die voranschreitende,
nicht nachhaltige Palmölgewinnung weiterhin Regen-
wälder zerstört und die Bestände bedrohter Tierarten
dezimiert werden.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher, die in der
Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung genannte
Frist vom 1. Juli 2010 einzuhalten. Aus diesem Grund
wird sie dem Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden
Fassung nicht zustimmen.

Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen
Entschließungsantrag gestellt, indem eine Sonderstel-
lung für die heimischen Pflanzenölmühlen gefordert
wird. Dieses Antrags wird sich die SPD-Fraktion enthal-
ten.

Hocherstaunt nehme ich außerdem zur Kenntnis,
dass, während die Regierungskoalition bei der Biomasse
Schreckensbilder an die Wand malt, sie den wahren
Nachbesserungsbedarf im EEG nicht erkennt oder zu-
mindest nicht anpackt: Wir benötigen dringend eine Än-
derung der Systemdienstleistungsverordnung, da sich
die Frist für die Nachrüstung von bestehenden Wind-
kraftanlagen als unzureichend erwiesen hat. Nach
aktuellem Recht erhalten nur diejenigen Betreiber von
Windkraftanlagen einen Bonus, deren Anlagen vor dem
1. Januar 2011 Systemdienstleistungen zur Stützung des
Stromnetzes bereitstellen können.

Während die Bundesregierung plant, die Frist für
Neuanlagen um ein Vierteljahr zu verlängern, gerät je-
doch das Potenzial von Altanlagen in Vergessenheit:
Insgesamt bis zu 5 000 Altanlagen könnten für eine bes-
sere Netzintegration und -sicherheit umgerüstet wer-
den – bisher ist dies lediglich bei rund 3 000 geschehen.
Angesichts der wachsenden Herausforderungen an un-
sere Leitungsnetze können wir es uns keinesfalls erlau-
ben, auf eine Umrüstung der restlichen 2 000 Altanlagen
zu verzichten. Deshalb wollen wir den Zeitraum zur
Nachrüstung von bestehenden Windkraftanlagen um ein
Jahr verlängern.

Der Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion
beinhaltet daher neben der Rücknahme der Fristverlän-
gerung bei der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverord-
nung auch eine Änderung der Systemdienstleistungsver-
ordnung. Damit ist sowohl dem Umweltschutz als auch
der Netzsicherheit gedient.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1704926600

Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich in der vergan-

genen Wahlperiode sehr nachdrücklich dafür eingesetzt,
dass flüssige Biomasse, die in Deutschland energetisch
verwendet wird, ein Zertifizierungsverfahren durchlau-
fen muss. Damit soll gewährleistet werden, dass bei der
Herstellung dieser Biomasse Nachhaltigkeitsstandards
eingehalten wurden. Der Grund hierfür ist, dass in der
Vergangenheit die Herstellung von flüssiger Biomasse
teilweise mit erheblichen Umweltzerstörungen, wie zum
Beispiel Brandrodung von Regenwäldern und Zerstö-
rung der Artenvielfalt, einherging. Zudem soll ein Min-
destmaß an Treibhausgaseinsparung abgesichert wer-
den. Die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung,

Zu Protokoll gegebene Reden





Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)


deren „Scharfstellen“ mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf um ein halbes Jahr verschoben wird, soll sicher-
zustellen, dass flüssige Biomasse, die zur Stromerzeu-
gung eingesetzt wird, nur unter Beachtung verbindlicher
Nachhaltigkeitsstandards hergestellt wird. Damit wird
eine Regelung geschaffen, die Klarheit darüber bringt,
wann Biomasse nach dem EEG vergütet werden soll.

Zu dem Inhalt der Verordnung stehen wir nach wie
vor. Allerdings müssen wir auch anerkennen, dass es bei
dem Aufbau von Zertifizierungskapazitäten in Deutsch-
land zu erheblichen Verzögerungen kam, die dazu füh-
ren, dass die hier in Deutschland produzierte Biomasse
nur zum Teil zertifiziert werden kann. Die Folge ist ein
Lieferengpass, den die gesamte Wertschöpfungskette zu
spüren bekäme. Für die Betreiber von Blockheizkraft-
werken und für kleine Ölmühlen hätte die sofortige Zer-
tifizierungspflicht gar existenzbedrohende Folgen.

Der Vorwurf, der nun laut wird, dass die Betriebe nur
auf eine Verschiebung der Zertifizierungspflicht speku-
liert hätten und sich daher auch nicht besonders ange-
strengt hätten, rechtzeitig zertifiziert zu werden, ist nicht
richtig. Das Zertifizierungssystem ISCC wurde erst im
Januar dieses Jahres von der Bundesanstalt für Land-
wirtschaft und Ernährung zugelassen. Seit Juni gibt es
mit REDcert das zweite System. Mit der Zulassung von
Systemen sind allerdings natürlich noch keine Kapazitä-
ten geschaffen. Bis Zertifizierungsstellen zugelassen und
Mitarbeiter geschult sind, vergeht naturgemäß Zeit.

Für die Verzögerungen beim Aufbau von Zertifizie-
rungskapazitäten tragen weder die Anlagenbetreiber,
die Biomasse verstromen, noch die Ölmühlen oder die
Landwirte Schuld. Aber insbesondere die Anlagenbe-
treiber würden hart getroffen, wenn wir den Termin für
die Zertifizierungspflicht nicht verschieben würden. Sie
würden nämlich ihre Förderung auf Dauer verlieren,
wenn sie einmal nichtzertifizierte Biomasse verwenden.
Dies würde das Aus für viele Anlagen bedeuten und
wäre unverantwortlich.

Allerdings möchte ich auch betonen, dass dies die
letzte Verschiebung der Zertifizierungspflicht sein wird.
Das Instrumentarium zur Zertifizierung von flüssiger
Biomasse ist nun vorhanden. Die Zertifizierungspflicht
wird ab 1. Januar kommen. Andernfalls machen wir uns
unglaubwürdig, was unser Ziel angeht, den Regenwald
und andere sensible Ökosysteme vor Raubbau zu schüt-
zen. Hierauf sollten sich alle Akteure einstellen.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704926700

Wir lehnen den Koalitionsentwurf ab; denn hier sol-

len Ausnahmen zu einem Zertifizierungssystem verlän-
gert werden, welches die Linke ohnehin nicht mitträgt.

Es ist doch so. Schon längst übernutzen die Industrie-
staaten die Umwelt. Das geht nur dadurch, dass auch
Deutschland immer mehr Rohstoffe importiert, darunter
Rohstoffe, deren Gewinnung im globalen Süden zur Ab-
holzung von Tropenwäldern führt oder zur Vertreibung
von Kleinbauern und indigenen Völkern. Die Importe
der Pflanzenöle, um die es hier geht, sind beispielhaft
dafür. Bei Agrokraftstoffen läuft es nicht anders.

Die enorme Nachfrage nach Soja für Futtermittel hat
in den vergangenen Jahrzehnten weite Landstriche Bra-
siliens in eine Wüste von Monokulturen verwandelt. In
Asien war es früher vor allem der große Bedarf der Le-
bensmittelindustrie an Palmöl, der zu Abholzungen
wertvollster Wälder führte. Das meiste davon wandert
nach Europa und in die USA. Seit einigen Jahren kommt
nun noch die Nachfrage nach Soja- und Palmölen für
Blockheizkraftwerke und nach Agrokraftstoffen hinzu.
Sie kommt zur katastrophalen Bilanz hinzu. Ich hab
nichts gegen BHKWs. Aber wir sollten zum Klimaschutz
lieber ein großes Kohlekraftwerk abschalten als versu-
chen, mit solchen Ölen die CO2-Bilanz zu schönen.

Es hat sich inzwischen herumgesprochen: Der Sog
nach Agrokraft- und Brennstoffen führt zu immer neuen
Plantagen. Direkt oder indirekt wird dafür fast immer
Dschungel vernichtet. Dann aber ist die schöne Klima-
bilanz im Eimer.

Man müsste solch ein Kraftwerk mehr als 100 Jahre
betreiben, damit das bei der Abholzung freiwerdende
Kohlendioxid ausgeglichen wird. Aber selbst dann
bleiben die anderen Folgen, und das für die Ewigkeit,
nämlich die Zerstörung der Lebensgrundlagen für die
Menschen, die in den Wäldern leben, und der unwieder-
bringliche Verlust an Tieren und Pflanzen. Die Orang-
Utans sind nur ein Beispiel dafür. Weil es deswegen mas-
sive Proteste gab, sind EU und Bundesregierung auf den
Trichter gekommen, Zertifizierungssysteme für die Nut-
zung von Biomasse einzuführen. Aber diese Systeme sind
Augenwischerei. Ehrlich gesagt betrübt es mich, dass
der WWF da aktiv mitmacht.

Das Hauptproblem ist doch Folgendes: Schalten wir
hier in Europa den Staubsauger auf eine höhere Stufe, so
wird beispielsweise in Indonesien zusätzlich Palmöl ab-
gesaugt. Da können sie tausendmal zertifizieren. Das
wird wohl nichts nützen. Dann werden eben alte Planta-
gen für den neuen „grünen“ Export genutzt. Gleichzei-
tig werden aber Flächen gerodet, um die alte Palmöl-
nachfrage der Nahrungsmittelindustrie zu bedienen.
Das liegt doch auf der Hand, wenn man eins und eins zu-
sammen zählt. Das ist auch die Erfahrung der NGOs aus
den betroffenen Ländern.

Darüber hinaus ist das Zertifizierungssystem in sei-
nen Details ein Witz. Großflächige Monokulturen etwa
sind in der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
nicht verboten. Das Treibhausgas-Minderungspotenzial
der Agro-Öle soll zunächst nur 35 Prozent gegenüber
mineralischen Kraftstoffen betragen. Wie der Nachweis
dafür erbracht werden soll, ist völlig unklar.

Vor allem aber gibt es keinerlei Sozialstandards. Das
Verbot der Vertreibung oder anderer Verletzungen von
Menschenrechten ist nicht verankert, nicht einmal das
Recht auf Nahrung. Denken wir an den Tortillakrieg in
Mexiko, also an die Debatte „Tank oder Teller“, so ist
das unverständlich. Zudem werden nach der deutschen
Verordnung auch andere Zertifizierungssysteme aner-
kannt, etwa osteuropäische und von einigen im Schnell-
verfahren zertifiziert. Mauscheleien und Zerstörung sind
also auf allen Ebenen vorprogrammiert. Darum wird die
Linke bei diesem System nicht mitmachen.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704926800

Der weitere Ausbau der Nutzung von Bioenergien ist

erforderlich, um den ökonomischen Problemen der Res-
sourcenverknappung, der zunehmenden Erderwärmung
und der Verarmung weiter Bevölkerungsschichten ent-
gegenwirken zu können.

Wir sehen aber leider eine zunehmend negative Ent-
wicklung wie Urwaldabholzung, intensive Monokultu-
ren und Sozialdumping. Diese Entwicklung behindert
die Chancen, die in einer nachhaltigen Nutzung und Er-
zeugung von Bioenergien liegen.

Eine schnell realisierte, verlässliche und weltweite
Zertifizierung für die nachhaltige Erzeugung ist daher
unerlässlich für die weitere Nutzung von Bioenergien.
Die Bundesregierung hat unnötig viel Zeit verstreichen
lassen, um klare Vorgaben für die Zertifizierung nach-
haltig erzeugter Bioenergien festzulegen. Damit ist sie
mitverantwortlich dafür, dass der Zertifizierungsprozess
nicht ausreichend fortgeschritten ist.

Der Markt für die Verstromung flüssiger Bioenergien
nach dem EEG zeigt ein differenziertes Bild. Für Palm-
und Sojaöl stehen ausreichende Mengen an zertifizierter
Produktion bereit. Beispielsweise sind 600 000 Tonnen
nach den Kriterien des RSPO bereits zertifiziert und
könnten binnen weniger Tage auch das in Deutschland
anerkannte ISCC-Zertifikat erhalten, sofern die Krite-
rien erfüllt werden. Die Kriterien des ISCC haben hö-
here und umfassendere Standards als RSPO und umfas-
sen auch soziale Aspekte. Eine wie im Gesetzentwurf der
Koalition vorgesehene Verschiebung des Inkrafttretens
der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung für Palm-
und Sojaöl ist daher nicht notwendig und kontraproduk-
tiv für die schnelle Realisierung von nachhaltiger Pro-
duktion.

Ganz anders ist die Situation im Bereich der heimi-
schen dezentralen Pflanzenölmühlen. Von den bundes-
weit etwa 300 Ölmühlen konnte erst eine zertifiziert wer-
den. Alle anderen können den dezentralen BHKWs kein
zertifiziertes Pflanzenöl zur Verfügung stellen, obwohl
ausreichend Pflanzenöl zur Verfügung stünde, das ei-
gentlich zertifiziert werden könnte. Da das Zertifikat
aber nicht ausgestellt werden kann, könnten viele dezen-
trale BHKW-Betreiber grundlos in Konkurs gehen, da
sie ohne Zertifikat keinen EEG-Bonus für nachwach-
sende Rohstoffe erhalten würden. Hier macht in der Tat
die vorgesehene Verschiebung Sinn, löst aber nicht das
gesamte Problem. Zu Recht klagen die dezentralen Öl-
mühlen über kaum mehr verkraftbaren Bürokratieauf-
wand und finanzielle Lasten. Wir fordern mit unserem
Entschließungsantrag die Bundesregierung daher auf,
für die heimischen Ölmühlen eine Übergangsregelung in
Verbindung mit einem Förderprogramm zu schaffen,
welche die betroffenen Unternehmen beim Vollzug der
Zertifizierung unterstützt. Zudem fordern wir, dass der
Bürokratieaufwand in akzeptablem Rahmen gehalten
wird.

Um das Überleben der dezentralen Pflanzenölerzeu-
gung zu sichern, sind beide Maßnahmen unverzichtbar.

Die heimische Pflanzenölerzeugung, die meist sehr
nachhaltig organisiert ist, wurde durch die von der Gro-
ßen Koalition beschlossene, verfehlte Besteuerung der
reinen Biokraftstoffe bereits stark gebeutelt. Es muss
verhindert werden, sie auch noch mit hohen Bürokratie-
lasten direkt in den Ruin zu schicken.

Kein Verständnis haben wir Grünen für die schwarz-
gelbe Ablehnung des Änderungsantrags der SPD, auch
den Stichtag für den Systemdienstleitungsbonus für die
Windkraftindustrie zu verschieben. Diese Verschiebung
ist sinnvoll, damit noch viele alte Windkraftanlagen die
Chance bekommen, Nachrüstungen für eine bessere
Netzintegration zu schaffen. Alle Fraktionen im Bundes-
tag fordern zu Recht, dass die fluktuierenden Wind-
strommengen nach Möglichkeit auch einen Beitrag zur
Netzstabilität leisten. Die technologischen Möglichkei-
ten dafür sind vorhanden und durch Nachrüstungen
auch erfüllbar. Solche Nachrüstungen werden die Strom-
versorgung schneller von den großen Atomkraftwerken
und Kohleblöcken unabhängig machen. Die heutige Ab-
lehnung des SPD-Antrags ist erneut Beleg dafür, dass
Schwarz-Gelb den eigenen Koalitionsvertrag nicht ernst
nimmt. Dort haben Sie festgelegt, dass die erneuerbaren
Energien Zug um Zug die konventionellen ersetzen sol-
len. In Wirklichkeit geht es Ihnen um den Bestandsschutz
der konventionellen Stromerzeugung mit Laufzeitverlän-
gerungen für Kernreaktoren und den Neubau von Kohle-
kraftwerken. Wir Grünen stimmen deshalb dem SPD-
Antrag zu und kritisieren erneut die rückwärtsgewandte
atomare und fossile Energiepolitik der schwarz-gelben
Koalition.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704926900

Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2182,
den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP auf Drucksache 17/1750 anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die
Koalition angenommen. Dagegen haben SPD und Linke
gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
der Stimme enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,
der erhebe sich bitte. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 17/2209. Wer stimmt für den Ent-
schließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben die
Koalitionsfraktionen gestimmt. Enthalten haben sich
SPD und Linke.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 a bis c auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Todesstrafe weltweit abschaffen

– Drucksache 17/2114 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Folter bekämpfen und Folteropfer unterstüt-
zen

– Drucksache 17/2115 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abschaffung der Todesstrafe weltweit

– Drucksache 17/2131 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Interfraktionell ist vorgeschlagen, die Reden zu Pro-
tokoll zu geben. – Damit sind Sie wiederum einverstan-
den. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Frank
Heinrich, Angelika Graf (Rosenheim), Marina Schuster,
Annette Groth und Volker Beck (Köln).1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 17/2114, 17/2115 und 17/2131 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-
schlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weinge-
setzes

– Drucksache 17/1749 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 17/2108 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Gerig
Gustav Herzog

Dr. Erik Schweickert
Alexander Süßmair
Ulrike Höfken

Nach einer interfraktionellen Verabredung ist vorge-
sehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu
sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ihre Reden zu
Protokoll gegeben haben die Kollegen Norbert
Schindler und Gustav Herzog.2)

Jetzt gebe ich dem Kollegen Dr. Erik Schweickert das
Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1704927000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor sich vielleicht
der eine oder andere von Ihnen heute Abend das Objekt
des Beschlusses zu Gemüte führt, müssen wir noch
arbeiten, schließlich auch ein Gesetz verabschieden. Von
daher müssen wir uns noch ein paar Minuten gedulden.
Für die Zuschauer: Es ist so, dass hier fraktionsübergrei-
fend zu einem großen Teil Einigkeit besteht. Deswegen
ist es nicht verwunderlich, dass ich als Einziger rede.

In der Weinwirtschaft befinden wir uns in einem sehr
stark regulierten Bereich. Der Staat schreibt vor, auf wel-
cher Fläche der Winzer welche Rebsorte anbauen darf.
Er sagt ihm, wie viel er ernten darf und wie viel davon
zur Vermarktung freigegeben ist, um ihm dann zu sagen,
wie ein Wein zu schmecken hat und welche Regelungen
er bei der Bezeichnung beachten muss. Freie Entfal-
tungsmöglichkeiten sehen für mich etwas anders aus.
Für mich als Liberalen sind das eindeutig zu viele Staats-
eingriffe.


(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber wir haben doch guten Wein!)


– Zum guten Wein kommen wir gleich.

Aus dieser Situation heraus sind trotz guten Weines,
Herr Kollege, Winzer auf die Idee gekommen, die Hek-
tarhöchstertragsregelungen zu umgehen. Es wurden
Gesetzeslücken genutzt. Von daher war es an uns, die
wir die Regelungszuständigkeit haben, nachzubessern.
Wir korrigieren mit dem Gesetz die Fehlentwicklungen
und sorgen dafür, dass nicht von schlitzohrigen Winzern
Geschäftsmodelle entwickelt werden, mit denen Geset-
zeslücken ausgenutzt werden. Die Wettbewerbsverzer-
rung beheben wir. Das ist aber nur ein erster Schritt. In
einem zweiten Schritt müssen wir auch noch an die Um-
rechnungsfaktoren wie den Umrechnungsfaktor von
Most zu Wein oder auch von Traube zu Wein herange-
hen. Wir dürfen nicht vergessen: Hier hat der technische
Fortschritt Einzug gehalten. Heute ist mit einem Trau-
benvollernter entrapptes Lesegut Grundlage des Wie-
gens. Von daher sind höhere Faktoren einschlägig.

Wenn Sie es durchrechnen, dann kommen Sie zu dem
Ergebnis, dass man bei der Weinherstellung durch Flota-
tion oder Sedimentation 2 bis 3 Prozent Mosttrub hat.

1) Anlage 11 2) Anlage 12





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


Bei der Gärung verliert man noch einmal 2 Prozent.
Dann muss man das Ganze schönen. Das ergibt einen
Verlust von noch einmal 1 bis 2 Prozent. Wenn Sie das
zusammenrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis:
Aus 100 Litern Most entstehen 94 Liter Wein. Die meis-
ten Fassweine werden angereichert, sind QbA-Qualitä-
ten. Dabei kommen noch einmal 1 bis 2 Prozent heraus.
Wenn es ein RTK, ein rektifiziertes Traubenmostkonzen-
trat, ist, ist es etwas höher. So kommt man auf
97 Prozent. Deswegen ändern wir mit dieser Novelle des
Weingesetzes auch gleich die Umrechnungsfaktoren.


(Beifall bei der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Alles klar, Herr Professor!)


– Das ist das, was wir beschließen.

Aber wir beschließen eigentlich noch viel mehr. Das
ist untergegangen. Es ist aber für die Branche wichtig,
hier ein Zeichen zu setzen. Als wir uns die Hektarerträge
angeschaut haben, ist den Juristen aus dem Bundes-
ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz, aber auch aus dem Justizministerium aufge-
fallen, dass wir in der Weingesetzgebung unverhältnis-
mäßig hohe Strafen haben. Wenn sich ein Winzer ver-
rechnet, kann er dafür – das steht im Gesetz – mit bis zu
drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Das gibt es
in keinem anderen Bereich. Wenn sich jemand bei der
Milchquote verrechnet, ist das eine Ordnungswidrigkeit.
Deswegen war es folgerichtig, dass wir uns entschlossen
haben, an diese Regelung heranzugehen. Wir kommen
hier zu einer Gesetzesentschärfung, weil nur dann, wenn
eine Gesundheitsgefährdung vorliegt, solche Strafen ver-
hängt werden sollten. Ich habe meinen Studenten immer
gesagt: Wenn ihr in der Weinwirtschaft tätig seid, dann
steht ihr aufgrund dieser Regelung immer mit einem
Bein im Kittchen. – Jetzt sorgen wir dafür, dass die Ver-
hältnismäßigkeit der Mittel wieder gewahrt wird und
dass wir zu einem im Lebensmittelbereich üblichen
Strafmaß kommen.


(Beifall bei der FDP)


Wir haben die Strafen nur da angepasst, wo es um den
Hektarertrag, um die Auspressquote geht. Es hat sich
aber gezeigt, dass hier noch viele Sachen im Argen lie-
gen. Von daher ist es sicherlich nicht das letzte Mal, dass
wir über das Weingesetz diskutieren.

Jetzt möchte ich zu Ihrer Frage kommen: Warum tun
wir das? Wir haben es hier mit einem regulierten Bereich
zu tun. Dazu müssen wir wissen, dass nur 40 Prozent der
in Deutschland getrunkenen Weine aus Deutschland
kommen. 60 Prozent werden importiert. Gerade einmal
20 Prozent werden beim Winzer gekauft. Allein der Dis-
count, also Aldi, Lidl und Norma, setzt 44 Prozent des
deutschen Weins ab. Da können Sie sich vorstellen, in
welchem Wettbewerb ein hiesiger Winzer steht. Da gibt
es Regale mit 100 Weinen zur Auswahl. In dem Wettbe-
werb muss er sich behaupten können. Es liegt an uns als
Parlament, als Gesetzgeber, der Branche die Möglichkeit
zu eröffnen, auch im internationalen Wettbewerb zu be-
stehen. Von daher bin ich mir sicher, dass das Thema
Wein nicht nur bezüglich der Gesetzgebung, sondern
auch bezüglich dessen, was an dem einen oder anderen
parlamentarischen Abend getrunken wird, den richtigen

Stellenwert genießt. Ich hoffe, dass es sich um einen
deutschen Wein handelt, der zu diesen Veranstaltungen
gereicht wird.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir die
richtigen Entscheidungen treffen, damit die Branche
dann auch sagen kann: Zum Wohl! Das Parlament hat
gute Entscheidungen für uns getroffen, sodass wir auch
in Zukunft wettbewerbsfähig sind.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704927100

Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden außerdem

der Kollege Alexander Süßmair und die Kollegin Ulrike
Höfken.1)

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2108, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1749 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
ratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen
und die SPD angenommen. Es gab keine Gegenstimmen.
Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 21:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Hochwasserschutz europäisch und ökolo-
gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte-
griertes Hochwasserschutzkonzept

– zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz
und Renaturierung von Nass- und Feuchtge-
bieten fördern – Hochwassergefahren min-
dern, Klima schützen

1) Anlage 12





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Undine Kurth (Quedlinburg),
Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auenschutzprogramm vorlegen

– Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760,
17/ 2176 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing
Oliver Kaczmarek
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Dorothea Steiner

Zu diesem Punkt haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Ingbert Liebing, Josef Göppel, Oliver
Kaczmarek, Horst Meierhofer, Sabine Stüber und Nicole
Maisch.1)

Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/2176 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1974
mit dem Titel „Hochwasserschutz europäisch und ökolo-
gisch nachhaltig umsetzen – Für ein integriertes Hoch-
wasserschutzkonzept“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zuge-
stimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen ge-
stimmt haben die Oppositionsfraktionen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/1748 mit dem Titel „Naturnahen Wasserhaushalt
durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feucht-
gebieten fördern – Hochwassergefahren mindern, Klima
schützen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koali-
tionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD. Enthal-
ten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
17/1760 mit dem Titel „Auenschutzprogramm vorle-
gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Zugestimmt hat
die Koalition. Dagegen gestimmt hat die Opposition. Die
Beschlussempfehlung ist somit angenommen.

Tagesordnungspunkt 22:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches So-
zialgesetzbuch und anderer Gesetze

– Drucksache 17/1684 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 17/2169 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP vor.

Zu Protokoll genommen wurden die Reden von
Peter Wichtel, Max Straubinger, Anette Kramme,
Johannes Vogel (Lüdenscheid), Matthias W. Birkwald
und Markus Kurth.


Peter Wichtel (CDU):
Rede ID: ID1704927200

Die soziale Sicherung der Menschen und deren Ver-

trauen in den Sozialstaat ist und bleibt eines der zentra-
len Vorhaben der Bundesregierung. Die seit Beginn der
Legislaturperiode gesetzlich verankerten arbeitsmarkt-
und sozialpolitischen Instrumente und insbesondere der
weiter anhaltende positive Trend auf dem Arbeitsmarkt
verdeutlichen, dass das Engagement der Regierung auf
diesem Gebiet ebenso nachhaltig wie erfolgreich ist. Vor
diesem Hintergrund ist es überaus erfreulich, dass mit
dem heute vorliegenden Antrag ein weiterer Schritt ge-
tan wird, um unser Modell der sozialen Sicherung deut-
lich zu stärken. Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes
zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch kom-
men wir dem Änderungsbedarf nach, der sich in der So-
zialgesetzgebung an mehreren Stellen ergeben hat. Ne-
ben zahlreichen redaktionellen Anpassungen gibt es
dabei mehrere Punkte, die es gesondert hervorzuheben
lohnt.

Wie bereits in der ersten Lesung vor wenigen Wochen
verdeutlicht, ermöglicht der Gesetzentwurf die Teilhabe
des Deutschen Gewerkschaftsbundes am elektronischen
Entgeltnachweisverfahren ELENA. War bisher bei der
Meldepflicht im Rahmen der Sozialversicherung neben
diversen Akteuren auch die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände involviert, so ist es
durchaus sachgemäß und angebracht, zukünftig auch
den DGB einzubeziehen. Das von der Bundesregierung
vorgesehene Anhörungsrecht zur Genehmigung der ge-
meinsamen Grundsätze im ELENA-Verfahren soll so-
wohl auf den Vertreter der Arbeitgeber als auch auf den
der Arbeitnehmer erstreckt sein.

Auch auf dem Feld der gesetzlichen Unfallversiche-
rung sieht der Entwurf mehrere Änderungen vor. Zu-
nächst sollen die Unfallversicherungsträger nach In-
krafttreten des Gesetzes verpflichtet sein, eine Regelung
zur Verletztengeldberechnung bei nicht kontinuierlicher
Arbeitsverrichtung in ihre Satzungen aufzunehmen.
Dieser Ansatz ist zwar nicht neu, war aber bisher nur
optional und somit nicht verpflichtend. Als ebenso obli-
gatorisch soll zukünftig die Berücksichtigung von Ar-
beitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit verankert
werden, sodass das Verletztengeld auch in atypischen
Fällen bei selbstständigen Tätigkeiten seine Funktion
als Entgeltersatz erfüllen kann. 1) Anlage 13





Peter Wichtel


(A) (C)



(D)(B)


Besonders zu betonen gilt es zudem die endgültige
Umsetzung der Neuorganisation der gewerblichen Be-
rufsgenossenschaften, die im vorliegenden Gesetzent-
wurf verankert ist. Nach dem im Oktober 2008 verab-
schiedeten Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz
konnte die beabsichtigte Straffung der Organisation
durch eine Reduzierung der gewerblichen Berufsgenos-
senschaften auf freiwilliger Basis nicht vollständig
erreicht werden. Die Umsetzung der im UVMG formu-
lierten Zielvorgabe, die Versicherungsträger durch frei-
willige Fusionen bis zum 31. Dezember des vergangenen
Jahres auf neun zu reduzieren, wurde nicht vollständig
erreicht. So ist die logische Folge, dass es nun eine
Rechtsgrundlage zu verabschieden gilt, die – wie im Üb-
rigen bereits im UVMG festgeschrieben – die Straffung
der Organisation des Systems erfolgreich abschließt.
Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass es
in diesem Punkt einen parteiübergreifenden Konsens zu
geben scheint.

Keine Einstimmigkeit herrscht dagegen zu unserem
Bedauern bei der vorgesehenen Frist der verbleibenden
Fusionen. So sprechen sich einige der noch nicht fusio-
nierten Berufsgenossenschaften und auch die SPD-
Fraktion in einem vorliegenden Änderungsantrag für
eine zusätzliche Verlängerung der gesetzlichen Frist
aus. Dabei ist ein Bedarf für einen weiteren Aufschub
nicht erkennbar. Wir sind davon überzeugt, dass die Fu-
sionshindernisse nicht im zeitlichen Bereich zu suchen
sind. Es ist daher ebenso notwendig wie zielführend, den
Fusionsprozess mit der Beibehaltung der geplanten
Frist weiter voranzutreiben.

Eine Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Ände-
rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze wird nicht nur unnötige Bürokratiekosten ein-
sparen und eine effektivere Gestaltung unseres Modells
der sozialen Sicherung ermöglichen. Wir werden insbe-
sondere das Vertrauen der Bevölkerung in das Sozial-
system steigern und die soziale Sicherheit der Men-
schen weiter ausbauen können. Wir bitten Sie vor
diesem Hintergrund um Zustimmung zum vorliegenden
Gesetzentwurf und somit zur Beteiligung an der verant-
wortungsvollen Aufgabe, unsere Sozialgesetzgebung
den wirtschaftlichen Strukturen anzupassen.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1704927300

Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Vierten Bu-

ches Sozialgesetzbuch werden zahlreiche technische Än-
derungen sowie neue Rechtsprechung umgesetzt.

Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates und
zahlreicher weiterer Anregungen, die im Laufe des Be-
ratungsverfahrens erfolgten, wurde ein Änderungsan-
trag eingebracht. Von besonderer Bedeutung sind fol-
gende Änderungen:

Der bisherige Ausschluss von der Berechtigung zur
freiwilligen Versicherung für versicherungsfreie und von
der Versicherung befreite Personen wegen Nichterfül-
lung der Mindestversicherungszeit von fünf Jahren wird
aufgegeben. Dadurch wird künftig auch zum Beispiel
Beamten und Angehörigen von berufsständischen Ver-
sorgungswerken die Möglichkeit eröffnet, freiwillige

Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.
Mit der Erweiterung der freiwilligen Versicherung wird
einem Anliegen des Petitionsausschusses des Deutschen
Bundestages Rechnung getragen.

Es werden für die Zahlung des erhöhten Übergangs-
geldes von 75 vom Hundert neben Pflegekindern und
Kindern, die mit dem Übergangsgeldberechtigten im
ersten Grad verwandt sind, künftig bei der Bemessung
dieser Leistung auch Stiefkinder des Übergangsgeldbe-
rechtigten berücksichtigt. Mit der Gleichstellung von
Stiefkindern mit leiblichen Kindern bei der Bemessung
des Übergangsgeldes wird ebenfalls einem Wunsch des
Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages ent-
sprochen.

Aussetzung der Kürzung von Krankengeld, Versor-
gungskrankengeld, Verletztengeld und Übergangsgeld
nach dem SGB IX. Die diesen Entgeltersatzleistungen
zugrunde liegende Berechnungsgrundlage wird norma-
lerweise jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende
des Bemessungszeitraums entsprechend der Verände-
rung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer
vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr an
die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst.
Der Änderungsantrag enthält eine Schutzklausel, mit
der eine Minderung der genannten Entgeltersatzleistun-
gen für den Fall einer negativen Lohnentwicklung aus-
geschlossen wird.

Schließlich ist eine Verschiebung des Inkrafttretens
der Regelung über die Weiterleitungsstellen um ein Jahr
auf 2012 vorgesehen, also die Einrichtungen, an die Ar-
beitgeber auf Antrag die Meldungen zur Sozialversiche-
rung, Beitragsnachweise und sämtliche Zahlungen ein-
reichen können sollen. Das Inkrafttreten der Regelung
wurde um ein Jahr zeitlich aufgeschoben, um zunächst
weitere Erfahrungen in der Praxis zu sammeln und die
Option für eine Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts
für den Beitragseinzug offenzuhalten.

Von politischer Bedeutung ist insbesondere die Um-
setzung der Neuorganisation der gewerblichen Berufs-
genossenschaften.

Das noch von der Großen Koalition beschlossene Ge-
setz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversi-
cherung, UVMG, vom 30. Oktober 2008 sah vor, dass die
26 gewerblichen Berufsgenossenschaften bis zum 1. Ja-
nuar 2010 zu neun Trägern fusionieren sollen. Dieser
freiwillige Fusionsprozess ist erfolgreich verlaufen. Al-
lerdings wurde die Zahl von neun Trägern nicht ganz er-
reicht, gegenwärtig existieren noch 13 Träger.

Die Reduzierung der Anzahl der Berufsgenossen-
schaften beruht auf einem Beschluss der Mitglieder des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossen-
schaften vom 1. Dezember 2006. Um diesem Beschluss
Nachdruck zu verleihen, ist es daher sachgerecht, dass
– wie bereits mit dem UVMG angekündigt – eine gesetz-
liche Vorgabe erfolgt, welche Berufsgenossenschaften
zum 1. Januar 2011 zu gemeinsamen Trägern fusionieren
sollen. Der Bundesrat hatte zwar für eine Verlängerung
der Frist für die Fusion der Berufsgenossenschaften um
neun Monate auf den 1. Oktober 2011 plädiert. Es wird

Zu Protokoll gegebene Reden





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


jedoch an den bisherigen Planungen zur Reduzierung
der Unfallversicherungsträger und dem Fusionstermin
1. Januar 2011 festgehalten. Würden die Vorstellungen
des Bundesrates Gesetz, könnten sich die Verhandlun-
gen weitere neun Monate lang nutzlos hinziehen. Dieses
Vorgehen macht keinen Sinn; denn es würde sich nichts
am Verhandlungsfortschritt ändern. Die vermeintlichen
Fusionshindernisse sind lange bekannt und werden
nicht durch noch längere Verhandlungen ausgeräumt.
Es fehlt nicht an der Zeit, es fehlt am Willen zur Fusions-
entscheidung.

Sinn macht es vielmehr, jetzt an dem Termin 1. Januar
2011 für die Fusionen festzuhalten und auf diese Weise
den Fusionsdruck aufrechtzuerhalten. Andernfalls würde
keine Einigung erzielt. Der Hauptverband der gewerbli-
chen Berufsgenossenschaften und die Deutsche gesetzli-
che Unfallversicherung fordern die Verlässlichkeit für
die mit dem UVMG getroffenen Entscheidungen ein.

Liegen dem Bundesversicherungsamt am 1. Oktober
2010 keine übereinstimmenden Vereinigungsbeschlüsse
vor, vereinigt das Bundesversicherungsamt die Berufs-
genossenschaften zum 1. Januar 2011. Mit diesen klaren
Fristen wird der Verwaltungsvollzug durch die Auf-
sichtsbehörde vereinfacht und beschleunigt.

Wir erwarten, dass die Selbstverwaltungen der be-
troffenen Berufsgenossenschaften die Fusionen fristge-
recht in eigener Verantwortung abschließen werden. Bei
den derzeit noch laufenden Verhandlungen im Bereich
Metall/Holz wird erwartet, dass ein Interessenausgleich
erfolgt.


Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1704927400

Mit einer in ihrer bisherigen Amtszeit unbekannten

Liebe zum Detail formuliert die Regierung im dritten
SGB-IV-Änderungsgesetz diverse Änderungen zu einer
Vielzahl sozialpolitischer Regelungen. Zu loben ist,
dass neben Anregungen vom Bundesrechnungshof, der
Sozialversicherungsträger und der Gewerkschaften
auch die in etlichen Bereichen inzwischen veränderte
Rechtsprechung berücksichtigt wird. Zu kritisieren ist,
dass bei genauem Hinsehen erkennbar ist, dass in der
Menge der kleinteiligen Änderungen auch einige Ab-
sätze versteckt sind, die durchaus von politischer Bri-
sanz sind.

Nicht umsonst haben uns in den letzten Wochen so
viele Stellungnahmen von Verbänden und betroffenen
Organisationen erreicht, die ihre skeptische Einschät-
zung kundtaten. Zum einen ging es da um den Daten-
schutz. Der Gesetzentwurf sieht einiges vor, das wir So-
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten – und mit uns
die Gewerkschaften – sehr kritisch bewerten. Aber Da-
tenschutz ist offenbar eh nicht die große Stärke der Re-
gierung, was man auch daran sieht, dass bis heute ein
eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz nicht
verabschiedet ist. Beim Thema Datenschutz muss noch
viel passieren in dieser Legislaturperiode. Ein weiterer
wichtiger Punkt, auf den in vielen Stellungnahmen ein-
gegangen wurde, sind die sogenannten Weiterleitungs-
stellen. Hier hat die Bundesregierung auf dem Weg vom
Referenten- zum Gesetzentwurf offenbar der Mut verlas-

sen. Während ursprünglich geplant war, die Weiterlei-
tungsstellen komplett zu streichen, wird nunmehr – quasi
als Begräbnis zweiter Klasse – eine Verschiebung der
Einführung um ein Jahr mit der Begründung formuliert,
dass das Konzept „weiterentwickelt“ werden solle. Hin-
tergrund ist eine Regelung, die auf Wunsch der Union in
das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetz-
lichen Krankenversicherung“ aufgenommen wurde.

Demnach können Arbeitgeber ab dem 1. Januar 2011
für ihre Beschäftigten Beitragsnachweise, Meldungen
zur Sozialversicherung etc. an eine Weiterleitungsstelle
ihrer Wahl richten. Wir als SPD-Bundestagsfraktion tei-
len zwar das Ziel, Arbeitgeber vom Verwaltungsaufwand
zu entlasten. Ob Weiterleitungsstellen dafür der richtige
Weg sind, bezweifele ich jedoch. Schließlich unterschei-
den sich die Umlagesätze für Lohnfortzahlung im Krank-
heitsfall, U1, und bei Mutterschaft, U2, bei den einzelnen
Krankenkassen. Arbeitnehmerbezogene Stammdaten
müssen deshalb auch weiterhin geführt werden. Einen
Abbau von Verwaltungsaufwand kann ich da kaum er-
kennen.

Diese Einschätzung teilt übrigens auch die Bundes-
vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, mit
der wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
nicht so häufig einer Meinung sind. Diese Einschätzung
teilen aber auch die Krankenkassen, die Rentenversi-
cherung, die Unfallversicherung sowie der DGB. Alle
erachten die Einrichtung von Weiterleitungsstellen für
überflüssig. Dass die Regierung hier nicht über ihren
Schatten springt und statt einer kompletten Streichung
nur eine Verschiebung um ein Jahr anstrebt, ist halbher-
zig und ein klein wenig jämmerlich. Wir als SPD-Bun-
destagsfraktion fordern die Bundesregierung auf, dem
Votum des Bundesrates zu folgen und die ursprünglich
im Referentenentwurf vorgesehene vollständige Strei-
chung vorzunehmen.

Das dritte Thema im vorliegenden Gesetzentwurf ist
natürlich die neue Formulierung des § 225 SGB VII, der
die Neuorganisation der gewerblichen Berufsgenossen-
schaften regelt. Diese ist noch zu Zeiten der Großen Ko-
alition im Oktober 2008 auf den Weg gebracht worden.
Ziel war es, dass die gewerblichen Unfallversicherungs-
träger bis zum 1. Januar 2010 durch Fusionen die Zahl
von damals 26 auf neun Berufsgenossenschaften redu-
zieren. Durch die Reduzierung auf insgesamt nur noch
neun Träger sollten leistungsfähigere und ausgewoge-
nere Organisationen entstehen, die mit höherer Effizienz
und hoffentlich auch einigen Einsparungen bei den Ver-
waltungskosten agieren können. Dass solche Fusionen
Schwierigkeiten mit sich bringen, ist wohl normal. Aber
im Vergleich zu Daimler-Chrysler und anderen Beispie-
len aus der Wirtschaft kann man definitiv festhalten,
dass die Berufsgenossenschaften sich geschickt ange-
stellt und die ihnen gebotene Chance zur freiwilligen
Fusion fast alle gut genutzt haben. Wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten finden: Dies ist gut, und es
ist auch ein Beleg für die funktionierende Selbstverwal-
tung in der Sozialversicherung. Ganz wurde die ange-
strebte Zahl von nur noch neun Trägern bisher jedoch
leider nicht erreicht. Im Moment existieren im Bundes-
gebiet 13 Unfallversicherungsträger. Auch für mich als

Zu Protokoll gegebene Reden





Anette Kramme


(A) (C)



(D)(B)


nicht abergläubischen Menschen ist das natürlich keine
schöne Zahl. Unser Ziel war neun, unser Ziel bleibt
neun. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass bei den
Beteiligten auch Bedenken gegenüber Fusionen beste-
hen – nicht nur, weil man sich an Strukturen gewöhnt
hat, sondern auch, weil die Sorgen existieren, als kleines
Rädchen innerhalb eines größeren Trägers branchen-
spezifische Belange nicht mehr so gut vertreten zu kön-
nen.

Wir haben hierzu den Vorschlag unterbreitet, bei Fu-
sionen von mehr als vier Trägern für einen befristeten
Zeitraum die Vertreterversammlung auf bis zu 76 Perso-
nen vergrößern zu können. Hierdurch wären Vertreterin-
nen und Vertreter aus den verschiedenen Branchen an-
gemessen repräsentiert, und die branchenspezifischen
Erfahrungen und Anforderungen könnten gerade bei ei-
ner Fusion unterschiedlich großer Träger angemessen
artikuliert werden. Die Träger der Sozialversicherungen
sind durch staatliche Hoheitsakte geschaffen worden,
um die im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben des
sozialen Schutzes zu organisieren. Sie können daher
auch durch das Parlament neu organisiert werden, was
auch Fusionen einschließt. Und: Bereits mit dem
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz war ange-
kündigt, dass gesetzliche Vorgaben erfolgen werden,
wenn die Reduzierung auf neun Träger nicht auf freiwil-
liger Basis gelingt. Die übrigen Unfallversicherungsträ-
ger, die teilweise mit großen Mühen Fusionen durchge-
führt haben, erwarten jetzt zu Recht, dass wir uns an
diese Vorgabe halten.

Wenn wir uns jetzt das Votum des Bundesrates, die
Frist zur Fusion um neun Monate zu verlängern, zu ei-
gen machen, dann geschieht dies nur in der Absicht, den
noch nicht fusionierten Berufsgenossenschaften eine
Brücke zu bauen, damit sie bis zum Abschluss der So-
zialwahlperiode die Fusion in die Wege leiten können.
Keinesfalls darf dies so verstanden werden, dass wir die
gesetzgeberische Kompetenz zur Reduzierung der Zahl
der Träger infrage stellen, oder gar die Zielzahl von
neun Berufsgenossenschaften für falsch halten. Da we-
der dieser Vorschlag noch unsere anderen Änderungs-
anträge von den die Regierung tragenden Koalitions-
fraktionen angenommen worden sind und auch unseren
Bedenken bezüglich des Datenschutzes nicht ausrei-
chend Rechnung getragen wurde, werden wir uns bei
der heutigen Abstimmung enthalten.


Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1704927500

Heute beraten wir abschließend das dritte SGB-IV-

Änderungsgesetz. Ich freue mich, dass wir nun die vielen
Anregungen, die uns im Lauf des Jahres 2009 erreicht
haben, sinnvoll und nach eingehender Beratung zuletzt
in eine umfangreiche Gesetzesänderung münden lassen
können. Ich möchte noch einmal ein paar Punkte he-
rausgreifen, um unsere Überlegungen zu illustrieren:
Ein Beispiel ist die Einfügung in den § 28 b SGB IV. Das
damit geschaffene Anhörungsrecht für den Deutschen
Gewerkschaftsbund halte ich nach wie vor für eine gute
Sache. So stellen wir sicher, dass bei der Meldepflicht im
Rahmen der Sozialversicherungspflicht Arbeitgeber-
und Arbeitnehmerseite jeweils Berücksichtigung finden

und keine Perspektive außen vor gelassen wird. Ich freue
mich übrigens besonders, dass wir dadurch auch den
Datenschutz der Arbeitnehmer mit einem tatkräftigen
Anwalt, nämlich dem DGB, ausstatten. Gerade mit Blick
auf die Datenerfassung, die im Zusammenhang mit dem
ELENA-Verfahren ansteht, ist es gut, dass hier in gewis-
sem Maße „Vorsorge“ getroffen wird. Dazu zählt im
weiteren Sinne auch, dass wir eine Informationspflicht
bei der unrechtmäßigen Kenntniserlangung von Sozial-
daten begründen – etwas, das uns Liberalen sehr wichtig
gewesen ist; denn hiermit gelingt uns eine substanzielle
Verbesserung beim Datenschutz. Gerade für den sensib-
len Bereich der Sozialversicherungsdaten begrüße ich
das ausdrücklich.

Die Beratungen im Ausschuss haben außerdem ge-
zeigt, dass wir uns in vielerlei Hinsicht einig sind, so
etwa mit Blick auf die vorzunehmenden Fusionen der
Berufsgenossenschaften. Ich hatte schon in der ersten
Beratung ausgeführt, dass das System der Berufsgenos-
senschaften von einem Anpassungsprozess profitieren
würde, auch um solche Probleme wie Beitragsspreizung
oder eine überproportionale Beitragssteigerung. Des-
wegen ist es sinnvoll, die Trägerlandschaft zu einer
übersichtlicheren Gliederung zu bringen. Die im Gesetz
vorgesehenen Fusionsverpflichtungen werden ohne
Frage zu einer Kräftigung der Organisationsstruktur
und zu Effizienzgewinnen führen. Insofern ist es auch
richtig, dass die Fristen, die für die Fusionen gesetzt
wurden, keinen Änderungen unterworfen wurden. Dies
ist auch im Ausschuss von Teilen der Opposition so ge-
sehen worden. Dass wir hier nur Rahmenbedingungen
setzen und ansonsten den Akteuren die Ausgestaltung
überlassen, halte ich für die richtige Vorgehensweise –
so wie ich dies grundsätzlich für die richtige Vorgehens-
weise halte, wenn wir gesetzgeberisch tätig werden.

Unter diesem grundsätzlichen Aspekt halten wir von
der FDP es auch für absolut richtig, die Möglichkeit der
gesetzlichen Rentenversicherung auch für diejenigen zu
öffnen, die von der Versicherungspflicht befreit sind. So
gelingt es uns, ein Anliegen des Petitionsausschusses
aufzugreifen, also unmittelbar auf ein Anliegen der Bür-
ger einzugehen. Ähnlich sinnvoll erscheint die Änderung
des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte.
Auch darauf hatte ich schon hingewiesen: Hier vereinfa-
chen wir eine Informationspflicht und vereinfachen so
unmittelbar das Leben der betroffenen Bürgerinnen und
Bürger. Die widerlegbare Fingierung der Fortgeltung
des Befreiungsantrags von der Versicherungspflicht bei
einer Wiederaufnahme der einschlägigen sozialversi-
cherungspflichtigen Tätigkeit halte ich für eine intelli-
gente und schlanke Lösung, die den Aufwand für die Be-
troffenen erheblich zurückführt. Das Problem, dass aus
Unkenntnis kein neuer Befreiungsantrag gestellt wird
und somit Beitragsrückstände entstehen, erledigt sich
damit.

Die Beratungen im Ausschuss haben gezeigt, dass
über das dritte SGB-IV-Änderungsgesetz weitgehende
Einigkeit herrscht. Dass die Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen im Ausschuss mit uns gestimmt hat, zeigt in
meinen Augen auch die qualitative Güte des ganzen Pa-
kets – auch die anderen Oppositionsfraktionen haben

Zu Protokoll gegebene Reden





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)


sich lediglich enthalten. Ich werbe nun nochmals um
breite Zustimmung und danke Ihnen für Ihre Aufmerk-
samkeit!


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704927600

Seine Rede zur ersten Lesung zum vorliegenden Ge-

setzentwurf, mit dem verschiedene Bücher des Sozialge-
setzbuches geändert werden, leitete Peter Wichtel, CDU,
mit einem Lob der Bundesregierung ein. Er rühmte die
Koalition aus CDU, CSU und FDP einer Sozialpolitik,
die auch „in wirtschaftlich herausfordernder Zeit“ die
soziale Sicherung der Menschen gewährleiste. Mit dem
vorliegenden Gesetz setze die schwarz-gelbe Koalition
seines Erachtens nur einen weiteren Schritt auf einem
erfolgreichen Pfad. Das ist eine grandiose Fehleinschät-
zung. Die hier zur Diskussion stehenden Maßnahmen
stehen im Kontext einer Politik der Bundesregierung,
die unten kürzt und drangsaliert und oben verteilt und
tätschelt. Während Vermögende geschont werden, wer-
den insbesondere mit den Kürzungen bei der Arbeitsför-
derung die Zukunftsperspektiven von Hartz-IV-Betroffe-
nen zunichte gemacht. Mit dem jüngst beschlossenen
Kürzungspaket betreiben Bundeskanzlerin Merkel und
ihr Vizekanzler Westerwelle eine Streichungspolitik in
einem Ausmaß und in einer Art und Weise, die sie nicht
einmal mehr in den eigenen Reihen als gerecht vermit-
teln können.

Aus der Perspektive der Linken ist das vorliegende
Gesetz jedoch weitgehend unproblematisch. Zahlreiche
einzelne Aspekte – wie ein Anhörungsrecht für die Ge-
werkschaften zum ELENA-Datensatz – werden geregelt,
die nicht zu kritisieren sind. Auf zwei Punkte möchte ich
genauer eingehen. Der erste Aspekt betrifft das Ziel, die
Anzahl der Berufsgenossenschaften zu verringern. In
der Tat gilt es, die Struktur der Berufsgenossenschaften
zu erneuern. Die Vorgabe von Fristen für die Fusion ei-
niger Berufsgenossenschaften entspricht den Plänen des
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes. Die Fris-
ten waren insofern allen Beteiligten rechtzeitig bekannt.
Mit dem Änderungsantrag der Regierungskoalition ist
nunmehr einer Zwangsvereinigung durch das Bundes-
versicherungsamt der Weg geebnet worden. Hier ist jetzt
von allen Seiten darauf hinzuwirken, dass mit einer
rechtzeitigen Vorlage von Vereinigungsbeschlüssen
keine Zwangsmaßnahmen greifen.

Der Grund, warum die Linke nicht zustimmen wird,
geht auf eine von vielen Fehlentscheidungen zurück, die
die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD getroffen
hat. Diese Fehlentscheidung trägt den Namen „Gesetz
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung, GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz –
GKV-WSG“. Das GKV-WSG war und ist in toto falsch.
Dazu hat Gregor Gysi in den damaligen Beratungen al-
les gesagt, was nötig ist. Mit dem GKV-WSG führte die
Union unter Angela Merkel bei tätiger Mithilfe der SPD
unter Franz Müntefering eine Regelung zu zentralen
Weiterleitungsstellen ein, die zum 1. Januar 2011 in
Kraft treten sollte. Die Vorstellung „einer Beitragsein-
zugsstelle“ für alle Sozialversicherungsbeiträge stand
bei dieser Regelung Pate – egal bei welchen Kassen die
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen versichert sind.

Der Vorteil für die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen
liegt scheinbar auf der Hand. Unabhängig von der
Krankenkasse könnten Arbeitgeber sich fortan an eine
Stelle wenden, wenn denn die Weiterleitungsstellen im
gesamten Umfang die Aufgaben der vielzähligen Ein-
zugsstellen übernähmen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, BDA,
erklärt nunmehr ebenso wie die Krankenkassen, dass die
Weiterleitungsstellen überflüssig sind und lediglich zu-
sätzliche Bürokratie schaffen.

Wir Linken sagen: Statt die endgültige Entscheidung
nur um ein Jahr aufzuschieben, wie die Bundesregierung
dies plant, sollte die Einführung von Weiterleitungsstel-
len schlicht und einfach gestrichen werden.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704927700

Am 20. Mai habe in der ersten Lesung zu diesem Ge-

setzentwurf festgestellt, dass es gut und notwendig ist,
dass man sich neben der Rettung der Finanzmärkte vor
Spekulanten und Scharlatanen auch einmal wieder der
Fortentwicklung der Sozialversicherungssysteme wid-
met. Das war da richtig. Heute muss ich sagen, ich bin
froh, dass sich diese schwarz-gelbe Koalition überhaupt
mal wieder den politischen Inhalten widmet und nicht
„Wildsäue“ und „Gurkentruppen“ durch den Blätter-
wald treibt; denn um die armen Säue und die wohl-
schmeckenden Gurken, mit denen da Vergleiche ange-
stellt werden, tut es einem ja schon leid.

Zur Sache: Die Anpassungen in diesem Gesetz, die
redaktioneller Natur sind und großteils auf Anmerkun-
gen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu-
rückgehen, sind notwendig und vollziehen häufig ein-
fach nur das nach, was durch Gesetzgebung andernorts
notwendigerweise nachvollzogen werden muss. Die
Bundesregierungen haben in den letzten Jahren zur Ver-
besserung der Risikostruktur, zur besseren Verteilung
von Altlasten und aus Kostengründen die Fusion unter-
schiedlicher Berufsgenossenschaften auf freiwilliger
Basis vorangetrieben. Viele sinnvolle Fusionen sind auf
freiwilliger Basis erfolgt. Das ist begrüßenswert und er-
spart uns eine Menge Bürokratie. Allerdings hat es mit
der Fusion noch nicht überall geklappt. Das Fleische-
reihandwerk, Nahrung und Gaststätten, aber auch Holz,
Metall, Hütten- und Walzwerke haben noch nicht fusio-
niert. Das soll aber jetzt erfolgen. Deshalb bestimmt der
Gesetzentwurf nun eine Frist, innerhalb derer die Fusio-
nen erfolgt sein sollen. Allerdings bleibt der Vorrang der
Selbstverwaltung in der Unfallversicherung generell ga-
rantiert, und ich bin sicher, dass die Selbstverwaltung
sachgerechte Lösungen zur Verteilung von fusionsbe-
dingten Härten und Anpassungsnotwendigkeiten finden
wird.

Datenschutz ist ein hohes Gut, gerade Sozialdaten-
schutz. Denn es geht hier nicht um Daten, die freiwillig
weitergegeben werden. Vielmehr handelt es sich um sol-
che Daten, die durch die Eingehung eines Arbeitsver-
hältnisses als Arbeitnehmer anfallen. Deshalb muss hier
eine besondere Sorgfaltspflicht gelten. Die Übertragung
allgemeiner datenschutzrechtlicher Grundsätze in den
Sozialdatenschutz ist zu begrüßen. Inwieweit allerdings

Zu Protokoll gegebene Reden





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


die Beschränkungen sinnvoll sind, ist fraglich. Der
Schutz der Informationspflicht sollte sich jedenfalls
auch erstrecken auf erstens Berufsgeheimnisse, zweitens
auf Daten, die sich auf Ordnungswidrigkeiten beziehen,
und drittens auf Daten zu Bankkonten und Kreditkarten-
daten, sofern sie erhoben werden. Zwar wollen wir
Grüne die Hofabgabe als Rentenvoraussetzung komplett
abschaffen. Allerdings bedeuten die Vorschläge des
Bauernverbands auf Drucksache 17/1684 fast alle einen
Schritt in die richtige Richtung und können somit mitge-
tragen werden. Kleine landwirtschaftliche Betriebe wer-
den nämlich jetzt zur Stilllegung gezwungen, weil ein
Landwirt seine Altersrente nur bekommt, wenn er den ei-
genen Bauernhof nicht mehr selbst bewirtschaftet.

Es ist gut und richtig, dass wir hier und heute Verbes-
serungen an unserem sozialen Sicherungssystem vor-
nehmen. Denn dadurch, dass wir es immer wieder der
Zeit anpassen, es sozusagen warten wie eine Maschine,
die gut geölt werden muss, machen wir es sogar zu ei-
nem internationalen Exportschlager, der auch Krisen
aushält.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704927800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/2169, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 17/1684 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Wir kommen zunächst zur
Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordne-
ten Max Straubinger und Dr. Heinrich Kolb auf Druck-
sache 17/2191. Wer stimmt für den Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU, FDP und Linke. Dagegen hat niemand gestimmt.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung und mit der eben beschlossenen Än-
derung zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung angenommen, nachdem wir die zweite
Beratung nur mental durchgeführt haben. – Zugestimmt
haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Ge-
genstimmen gab es nicht. Enthalten haben sich SPD und
Linke.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Fluggastrechte stärken

– Drucksache 17/2021 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Federführung strittig

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden von Marco Wanderwitz, Lucia Puttrich,

Marianne Schieder, Heinz Paula, Marco Buschmann,
Caren Lay und Markus Tressel zu Protokoll genommen.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1704927900

Die isländische Aschewolke hat vielen auf den Flug-

häfen dieser Welt gestrandeten Reisenden nicht nur viel
immateriellen Ärger beschert, sondern auch Geld gekos-
tet. Höhere Gewalt aber kennt keinen Schuldigen. Die
PDS sucht dennoch einen. Diese Hybris muss misslin-
gen.

Fluggastrechte sind im europäischen Gemeinschafts-
recht bereits in erheblichem Umfang geregelt. Die Fort-
schreibung hat sich die Koalition auf ihre Fahnen
geschrieben. Wer die bestehenden Verordnungen über-
blickt, wird aber feststellen, dass es für den Großteil der
heute zu diskutierenden Forderungen an der Notwendig-
keit einer weitergehenden Regelung fehlt.

Die Verordnung 1008/2008 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 28. September 2008 hat die ge-
meinsamen Vorschriften 2407, 2408, 2409/1992 über
den Zugang und die Durchführung von Luftverkehrs-
diensten in der Gemeinschaft bereits neu gefasst und er-
heblich verschärft. Mit der Verordnung wurden die
Durchgriffsrechte der Behörden gestärkt, die Europäi-
sche Kommission kann zudem nationale Behörden zur
Überprüfung einzelner Fluggesellschaften auffordern.

Die nationalen Handlungsspielräume sind umfang-
reich genutzt. Wer in Deutschland fliegen möchte, benö-
tigt eine Betriebsgenehmigung. Von der deutschen Luft-
fahrtbehörde werden solche Genehmigungen nur
denjenigen Fluglinien erteilt, die einen regelmäßigen
Nachweis der aktuellen und künftigen Finanzlage sowie
Geschäftstätigkeit erbringen. In Deutschland beispiels-
weise haben diese verschärften Regelungen bereits
Früchte getragen. Im Frühjahr 2009 wurde einer Flug-
gesellschaft vom Luftfahrt-Bundesamt die Betriebsge-
nehmigung erst nach Erbringung bestimmter Sicherhei-
ten wieder erteilt. Dadurch konnte eine kurzfristige
Insolvenz ausgeschlossen bzw. abgesichert werden.

Wie von den Antragstellern selbst vorgetragen, waren
von November 2005 bis September 2008 29 Fluggesell-
schaften von Insolvenz betroffen. Diese lagen aber eben
vor der Verschärfung der Verordnung. Die Regelungen
sind demnach dem Grunde nach vorhanden. Entschei-
dend ist es, für eine einheitliche und konsequente
Anwendung der Verordnung in den Mitgliedstaaten als
Absicherungsregelung zu sorgen. Dies ist unser vorran-
giges Bestreben.

Eine dennoch nicht komplett auszuschließende Insol-
venz von Reiseanbietern und speziell Fluggesellschaften
durch europäische Fondslösungen oder Versicherungs-
pflichten zum Schutz der Verbraucher abzusichern, ist
grundsätzlich überlegenswert, jedoch belasten solche
Instrumente in erster Linie europäische bzw. deutsche
Fluglinien und provozieren damit globale Wettbewerbs-
verzerrungen. Außereuropäische Fluggesellschaften
hätten mangels einer Kostenbelastung einen Vorteil,
könnten mit preiswerteren Angeboten den europäischen
Verbraucher locken. Die damit einhergehende Gefahr,





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


Fluglinien zu nutzen, die nicht der Betriebs- und Finanz-
aufsicht der europäischen Luftfahrtbehörde gemäß der
Verordnung 1008/2008 unterliegen, konterkariert die
Forderung nach verstärktem Verbraucherschutz.

Grundsätzlich besteht auch keine besondere Notwen-
digkeit für solch eine umfassende Insolvenzabsicherung
zugunsten Individualreisender. Wo der Pauschalrei-
sende mangels Vertragsbeziehungen zu Hotel und Flug-
gesellschaft vor deren Insolvenz geschützt werden soll,
hat der Individualreisende doch seinen unmittelbaren
Anspruch und zudem im Vorhinein die Möglichkeit, sich
den Vertragspartner selbst auszusuchen. Als mündiger
Verbraucher hat er aber auch gleichzeitig die Pflicht,
sich vorher ausreichend über die Seriosität und Liquidi-
tät seines individuellen Vertragspartners zu informieren.
Einer Absicherung der gesamten Leistungskette vor ei-
ner Insolvenz des Mittlers wie im Pauschalreiserecht be-
darf es daher nicht.

Dennoch sehen wir längerfristig eine weitere Har-
monisierung von Individual- und Pauschalreisen ge-
rade aus Einheitlichkeitsgründen der Rechtsordnung
als erstrebenswert. Der in einer Insolvenzabsicherung
auch bei Pauschalreisen bislang nicht erfasste Rückbe-
förderungsanspruch steht zur Prüfung. Während wir
auch hier zunächst eine konsequente Umsetzung und
einheitliche Interpretation der bestehenden Regelungen
in den jeweiligen Mitgliedsländern vorantreiben wol-
len, gleichzeitig die Mündigkeit der Bürger zur Infor-
mationsbeschaffung einfordern, erwarten wir natürlich
auch eine verbraucherfreundliche Mitwirkung der Flug-
gesellschaften. Das beginnt und endet nicht mit der akti-
ven Teilnahme an der verkehrsträgerübergreifenden
Schlichtungsstelle. Notfalls werden wir die Fluggesell-
schaften verpflichten müssen.

Die Fluggastrechte insgesamt sind umfangreich aus-
gestaltet, jedenfalls nicht offensichtlich unzureichend.
Der EuGH hat diese mit seinem Urteil vom 19. Novem-
ber 2009 weiter gestärkt, indem er bei Verspätungen von
drei oder mehr Stunden einen Anspruch auf Zahlung ei-
ner Ausgleichsleistung gewährt. Damit hat er diese Flug-
gäste denjenigen gleich stellt, die von einer Annullierung
oder Nichtbeförderung betroffen sind und nach der Ver-
ordnung 261/2004 ausdrücklich Anspruch auf Aus-
gleichsleistungen in Höhe von – je nach Flugdistanz –
250 bis 600 Euro haben.

Es ist letztlich alles hier keine Frage der Rechtssi-
cherheit oder der fehlenden Regelungen, sondern viel-
mehr eine der Informationsverschaffung und damit der
Umsetzung bestehender Regelungen. Damit sind einer-
seits die Fluglinien gemeint, denen es schlichtweg an
Verantwortungsbewusstsein fehlt, wie nicht nur das Bei-
spiel Schlichtungsstelle aufzeigt. Artikel 14 der Verord-
nung 261/2004 vom 11. Februar 2004 regelt nämlich
bereits einige der hier geforderten Punkte der Informa-
tionspflichten, es fehlt nur hier und da an der Umset-
zung.

Wer nun – und damit möchte ich auf den Anfang mei-
ner Rede zurückkommen – allerdings Opfer eines Natur-
ereignisses geworden ist und mit den Mehrkosten eines
Zwangsurlaubes konfrontiert ist, der wird keinen Schul-

digen finden, auch nicht mithilfe der PDS. Die rechtliche
Lage ist angesichts des Verschuldensprinzips des Scha-
densersatzrechts eineindeutig. Ohne Verschulden kein
Anspruch. Wenn „ein von außen kommendes und keinen
betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht vor-
hersehbares, auch durch die äußerste vernünftigerweise
zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“
eintritt, trifft schon denklogisch schlichtweg niemanden
ein Verschulden. Da die PDS am Pauschalreiserecht Ge-
fallen zu finden scheint, möchte ich Ihnen die Lektüre
des § 651 j Abs. 2 Satz 3 BGB empfehlen. Den Flug-
gesellschaften das alleinige Risiko und die Kosten auf-
bürden zu wollen, ist absurd. Eine solche Vollkasko-
mentalität letztlich zu Lasten der Allgemeinheit, wie sie
offensichtlich von der PDS gedacht wird, wird es in un-
serem Rechtssystem nicht geben.


Lucia Puttrich (CDU):
Rede ID: ID1704928000

Ein zentrales Thema des Verbraucherschutzes sind die

Fluggastrechte. Mit steigender Mobilität der Bürgerin-
nen und Bürger war es konsequent und richtig, die
Rechte der Fluggäste stetig auszubauen; denn ob Vul-
kanasche, Streiks oder technische Probleme – Flugver-
spätungen oder Flugausfälle sind unvermeidbar. Aus
diesem Grund gibt es von der EU und Deutschland klar
beschriebene Fluggastrechte. Denn Mobilität ist eine
Schlüsselfunktion unserer Gesellschaft.

Schon heute gilt: Die Fluggesellschaften müssen je-
derzeit ihrer Pflicht nachkommen und die Fluggast-
rechte einhalten. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen
von der Linken, haben nun einen Antrag vorgelegt, der
sich mit der „Stärkung der Fluggastrechte“ befasst.
Nur leider stellt Ihr Antrag einen Katalog überzogener
Forderungen dar. Die Rechte der Fahr- und Fluggäste
sind uns in der Union bereits seit langem ein zentrales
Anliegen und wurden von uns – auch auf europäischer
Ebene – massiv vorangetrieben. Unser Ziel, die Rechte
von Fluggästen zu überprüfen und dort, wo es nötig ist,
zu verbessern, haben wir daher auch im Koalitionsver-
trag festgehalten, mit Blick für das Machbare wohlge-
merkt.

Bereits heute gelten klar beschriebene Fluggast-
rechte: 2005 ist die EU-Fahrgastrechteregelung in Kraft
getreten. Wer stundenlang am Flughafen warten muss,
hat seitdem Anspruch auf Verpflegung und Unterkunft.
Auch wurde hier bereits geregelt, dass Fluggäste bei
Nichtbeförderung oder bei Annullierung die Betreuung
der Fluggäste, das Angebot einer anderweitigen Beför-
derung und Ausgleichszahlungen bis zu 600 Euro erhal-
ten können. Auch ein Urteil des Europäischen Gerichts-
hofs von November 2009 stärkt die Fluggastrechte:
Künftig werden erhebliche Verspätungen den Annullie-
rungen gleichgesetzt. Somit können auch hier gegebe-
nenfalls Ausgleichszahlungen fällig werden. Auch tech-
nische Probleme entbinden übrigens nicht mehr von
einer Ausgleichzahlung. Darüber hinaus sprach sich der
Bundesgerichtshof im März dieses Jahres in einem Ur-
teil dafür aus, dass Fluggesellschaften ihren Fluggästen
nicht mehr vorschreiben dürfen, ob und in welcher Rei-
henfolge sie ihre Flüge antreten. Das heißt: Flugtickets
bleiben auch dann gültig, wenn der Reisende den Hin-

Zu Protokoll gegebene Reden





Lucia Puttrich


(A) (C)



(D)(B)


flug oder eine Teilstrecke nicht antritt. Sie sehen, die
Fluggastrechte sind auf einem guten Weg. Dennoch gilt
es weiterhin, die Rechte der Verbraucherinnen und Ver-
braucher im Flugverkehr beständig voranzubringen.

Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
helfen mit Ihrem Antrag wenig weiter; denn er schießt
weit über das Ziel hinaus. Sie fordern, Fluggäste gegen
die Insolvenz von Fluggesellschaften per Versicherung
abzusichern. Auch schlagen Sie vor, einen Fonds zur
Rückabsicherung für Fluggäste einzurichten. Einen
Rechtsanspruch auf Rückbeförderung gesetzlich zu ver-
ankern, ist praxisfern, ein Fonds nicht zielführend. Mein
Kollege Marco Wanderwitz hat in seiner Rede schon
hinreichend darauf hingewiesen.

Sie fordern, die Beteiligung von Fluggesellschaften
an der Schlichtungsstelle gesetzlich festzuschreiben.
Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen, auch schon
wach. Es stimmt, dass der Handlungsbedarf besonders
im Bereich der Schlichtung gegeben ist. Bereits in unse-
rem Koalitionsvertrag fordern wir daher richtigerweise:

Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifen-
den Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus,
Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert.

Die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr,
söp, hat am 1. Dezember 2009 ihre Arbeit aufgenom-
men. Der Verein, der von den beteiligten Verkehrsträ-
gern finanziert wird, leistet gute Arbeit. Derzeit beteili-
gen sich acht Unternehmen an der Schlichtung, wobei
der Großteil der Finanzierung durch die Deutsche Bahn
AG erbracht wird.

Leider sind die Fluggesellschaften nach wie vor nicht
bereit, sich an einer freiwilligen Schlichtung zu beteili-
gen. Die Fluggesellschaften verweisen bei Beschwerde-
fällen gerne auf das Luftfahrt-Bundesamt als zuständige
Beschwerdestelle.

Das Luftfahrt-Bundesamt ist jedoch nicht ermächtigt,
etwaige zivilrechtliche Ansprüche des Fluggastes wie
beispielsweise Ausgleichs- und Erstattungsleistungen
oder Schadensersatz durchzusetzen. Im Gegenteil:
Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom
November 2009 ist eine weitere Zunahme zivilrechtli-
cher Streitigkeiten um Entschädigungsansprüche zu er-
warten. Es liegt nun an den Fluggesellschaften, sich ak-
tiv an der Schlichtungsstelle zu beteiligen. Geschieht
dies nicht, werden wir die Fluggesellschaften zeitnah
dazu verpflichten.

Das Anliegen von Bundesverbraucherministerin Ilse
Aigner, die Schlichtungsstelle als verkehrsträgerüber-
greifende Institution gesetzlich zu verankern, unter-
stützen wir daher nachdrücklich. Denn diese schnelle
nationale Lösung ist richtig und realisierbar. Außerge-
richtliche Streitschlichtungen sind absolut Gerichtsver-
fahren vorzuziehen. Sie, werte Kolleginnen und Kolle-
gen von den Linken, schießen aber auch hier wieder
über das Ziel hinaus: Sie fordern, die Streitschlichtung
durch Gebühren der Fluggesellschaften zu finanzieren.
Höhere Ticketpreise wären die Folge. Das widerspricht
jedoch unserem Grundsatz, dass Mobilität für die Ver-

braucherinnen und Verbraucher auch bezahlbar bleiben
muss.

Schließlich schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass die
Fluggesellschaften ihren Fluggästen den Erhalt klar er-
kennbarer Informationen über deren Rechte am Schalter
und auf jedem Ticket garantieren. Sie hätten es am liebs-
ten, dass Informationen über Schadensersatzansprüche
und Ausgleichsleistungen beim Buchungsvorgang an die
Fluggäste ausgehändigt werden. Solche bürokratischen
Informationsfluten haben keinerlei Mehrwert für den
Verbraucher. Das sind Forderungen, die weder verbrau-
cherfreundlich noch zu Ende gedacht sind.

Die christlich-liberale Koalition ist bei den Fluggast-
rechten auf dem richtigen Weg. Wir wollen die außerge-
richtliche Streitbeilegung im öffentlichen Personenver-
kehr voranbringen. Das geht jedoch nur zusammen mit
den Fluggesellschaften und nicht ohne sie. Wir sind des-
halb entschlossen, im Interesse des Verbraucherschut-
zes und der Wettbewerbsgleichheit der Verkehrsträger
für jeden Fahr- und Fluggast den Zugang zu einem
Schlichtungsverfahren notfalls durch eine entspre-
chende Mitwirkungspflicht der Verkehrsunternehmen
sicherzustellen. Denn unterschiedliche Anlaufstellen im
Verkehrsbereich sind für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher nicht nachvollziehbar.

Für die Verbraucherpolitiker der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion steht fest: Wer in Deutschland startet oder
landet, muss sich an unsere Standards halten. Dies gilt
auch für Billigflieger. Sicherlich: Manche Fluggesell-
schaften agieren vorbildlich und andere machen von al-
leine gar nichts. Aber es ist doch zu einfach gedacht,
wieder einmal nur nach dem alles regelnden Staat zu ru-
fen. Wir in der Union gestehen den Verbraucherinnen
und Verbrauchern zu, proaktiv ihre Rechte einzufordern.
Wir gehen von einem mündigen Verbraucher aus. Ein
Verbraucher, der gut informiert ist, kann selbstbestimmt
handeln. Wir stehen für Transparenz, Aufklärung und
Rechtsdurchsetzung – und wo nötig, auch mehr Rechte –,
ohne gleich die gesetzliche Regelungswut die Oberhand
gewinnen zu lassen. Bürokratische Ungetüme haben
beim Verbraucherschutz nichts zu suchen. Fahrgast-
rechte sind für die Verbraucher nur dann von Nutzen,
wenn sie durchgesetzt werden können. Unerreichbare
Luftschlösser sind wenig hilfreich. Deshalb lehnen wir
den Antrag der Linken ab.


Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1704928100

Wir haben im letzten Jahr nach langen und intensiven

Diskussionen die Rechte von Bahnkunden gestärkt. Wir
haben dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden der
Bahn auf klar geregelte Fahrgastrechte bauen können
und nicht mehr als Bittstellerinnen und Bittsteller auf
die Kulanz der Bahn hoffen müssen.

Bereits seit Februar 2005 ist die EU-Fluggastrechte-
Verordnung 261/2004 in Kraft. Auf dieser Grundlage
könnten die Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber
den Fluggesellschaften geltend machen. Eigentlich! Seit
Jahren zeigt sich aber, dass die Fluggesellschaften mit
allen möglichen Tricks versuchen, sich um die Zah-
lungsverpflichtungen zu drücken. Aktuellstes Beispiel ist

Zu Protokoll gegebene Reden





Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)


natürlich der Vulkanausbruch in Island und die damit
einhergehenden Einschränkungen und massiven Pro-
bleme, gegen die Fluggäste anzukämpfen hatten.

Zwar haben die meisten Fluggesellschaften auf ihren
Internetseiten Hinweise und Möglichkeiten der kosten-
losen Stornierung und Umbuchung von Flügen aufge-
zeigt. Doch nutzte dies den vielen Passagieren, die auf
europäischen Flughäfen festsaßen, nichts. Auch das Kri-
senmanagement der Bundesregierung ließ viel zu wün-
schen übrig, um nicht zu sagen: Es war katastrophal.
Dass sich in vielen Fällen auch die Deutschen Botschaf-
ten nicht für zuständig erklärten, ist bis heute nicht
nachvollziehbar.

Von daher geht der Antrag der Fraktion Die Linke in
die richtige Richtung. Allerdings macht sie wieder mal
den zweiten vor dem ersten Schritt.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen 27 Punkte
umfassenden Fragenkatalog erarbeitet, in dem die Bun-
desregierung Stellung nehmen muss zum ungenügenden
Krisenmanagement und der mangelhaften Umsetzung
von Passagierrechten. Wir werden die Antworten genau
prüfen und daraus die notwendigen Forderungen ablei-
ten. Das ist die richtige Vorgehensweise, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke.

Das Europäische Parlament hat in seiner Entschlie-
ßung vom 25. November 2009 zur Entschädigung von
Fluggästen im Falle einer Insolvenz der Fluggesell-
schaft der Kommission entsprechende Vorschläge unter-
breitet. Die Kommission ist darin aufgefordert, einen
Legislativvorschlag vorzulegen. Wir setzen voraus, dass
hier die Bundesregierung im Sinne der Verbraucherin-
nen und Verbraucher verhandelt.

Meine Fraktion wird, wie auch bei der Fluggast-
rechte-Verordnung, die derzeit in der EU auf dem Prüf-
stand steht, die Verhandlungsergebnisse analysieren und
den Handlungsbedarf prüfen.

Eine Schlichtungsstelle ist wichtig und notwendig,
eine Beteiligung der Luftverkehrsunternehmen ebenso.
Es würde ihnen die Chance eröffnen, ihr Verhältnis zu
ihren Kundinnen und Kunden zu verbessern, neues Ver-
trauen aufzubauen und damit den entstandenen Image-
schaden zu heilen. Dies gilt vor allem mit Blick auf
diejenigen Airlines, die bis heute über kein Beschwerde-
management verfügen und deren Ziel bisher nur die Ab-
wehr von Verbraucheransprüchen ist.

Um es ganz klar zu sagen: Schlichtung ersetzt nicht
das Beschwerdemanagement bei den Verkehrsunterneh-
men. Schlichtung stellt vielmehr eine unverzichtbare Er-
gänzung zu einem guten Beschwerdemanagement dar.

Zuständiger Ansprechpartner für Beschwerden von
Fluggästen ist das Luftfahrt-Bundesamt in Braun-
schweig. Ihm obliegt es allerdings nicht, den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern bei der Durchsetzung ihrer
privatrechtlichen Ansprüche behilflich zu sein, das ist
Aufgabe der Zivilgerichte.

Die Informationspflicht der Fluggesellschaften ist
klar in Art. 14 der EU-Verordnung geregelt:

Das ausführende Luftfahrtunternehmen stellt si-
cher, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer
Hinweis mit folgendem Wortlaut für die Fluggäste
deutlich sichtbar angebracht wird: „Wenn Ihnen
die Beförderung verweigert wird oder wenn Ihr
Flug annulliert wird oder um mindestens zwei Stun-
den verspätet ist, verlangen Sie am Abfertigungs-
schalter oder am Flugsteig schriftliche Auskunft
über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichs-
und Unterstützungsleistungen.“

Der Bundesregierung sind seit langem Verstöße ge-
gen Art. 14 der Verordnung bekannt. Ich fordere sie des-
halb auf, endlich entsprechende ordnungsrechtliche
Maßnahmen zu ergreifen.


Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1704928200

Seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull sind die Flug-

gastrechte wieder in aller Munde. Medienberichten zu-
folge wurden aufgrund des Flugverbotes 95 000 Flüge
gestrichen; 10 Millionen Passagiere konnten ihren ur-
sprünglich gebuchten Flug nicht antreten. Es herrschte
Chaos auf europäischen und internationalen Flughäfen.
Gestrandete Passagiere in Übersee mussten auf die
Freigabe des europäischen Luftraumes warten und wa-
ren ungenügend informiert. Keiner wusste zunächst,
wann und wie es weitergeht.

Es herrschte auch Unklarheit darüber, ob die gel-
tende EU-Verordnung für Fluggastrechte aus dem
Jahre 2004 auch einen Anspruch der Passagiere bei
Annullierung der Flüge durch Naturkatastrophen bzw.
höhere Gewalt abdeckt. Herr Kallas, EU-Kommissar
für Verkehr, hat jedoch ziemlich schnell klargestellt,
dass jeder Reisende das Recht hat, das Geld für den
ausgefallenen Flug erstattet zu bekommen. Dies gelte,
so der Kommissar, ohne Ausnahme für Flüge mit allen
europäischen Airlines und für alle Flüge mit „auslän-
dischen“ Airlines, wenn die ausgefallenen Verbindun-
gen in der Europäischen Union hätte starten sollen.

Das Chaos auf den Flughäfen hat jedoch trotz der ra-
schen Klarstellung auf EU-Ebene Defizite sowohl bei
den Fluggastrechten als auch in der Informationspolitik
der Fluggesellschaften und der Bundesregierung offen-
bart. Es blieben und bleiben zahlreiche Fragen offen:
Wer zahlt die Kosten, die durch einen verlängerten Auf-
enthalt entstanden sind? Sind die Passagiere ausrei-
chend über ihre Rechte informiert, wie es die europäi-
sche Fluggastverordnung vorschreibt? Was hat die
Bundesregierung getan, um die gestrandeten Passagiere
zu informieren? Gab es Probleme bei der Umbuchung?
Haben die Fluggesellschaften sich ihren Pflichten ge-
mäß verhalten? Fragen zur Schlichtungsstelle und zu
den Beschwerdeeingängen beim Luftfahrt-Bundesamt,
zu den Leistungen der Fluggesellschaften bei Naturka-
tastrophen schließen sich an. All diese Fragen haben
wir – ungefähr zeitgleich mit dem vorliegenden Antrag –
in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung ge-
richtet. Wir sind gespannt auf die Antworten.

Eines jedoch können wir jetzt schon sagen: Das Kri-
senmanagement der Bundesregierung war mangelhaft.
Auf der Grundlage dieser neuen und aktuellen Daten

Zu Protokoll gegebene Reden





Heinz Paula


(A) (C)



(D)(B)


werden wir dann die entsprechenden Handlungsschritte
einleiten. Besonders in der Frage der Beteiligung der
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle herrscht
dringender Handlungsbedarf.

Ihr Antrag greift viele wichtige Punkte auf, Punkte,
die auch in unserer Fraktion als problematisch erkannt
werden. Insolvenzabsicherung, Benachteiligung der In-
dividualreisenden bei Flugausfällen aufgrund von Insol-
venz und Naturkatastrophen, mangelnde Information
der Fluggesellschaften über ihre Rechte – dies sind nur
einige davon. Auch hinsichtlich der Beteiligung der
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle sehen wir,
wie erwähnt, Handlungsbedarf. Eine gesetzliche Fest-
schreibung allerdings muss aus rechtlicher Sicht unan-
greifbar und wasserdicht sein. Dies muss sehr genau ge-
prüft werden. Erst dann können wir über das weitere
Vorgehen entscheiden und fundierte Forderungen stel-
len. Daher lehnen wir Ihren Antrag in vorliegender
Form ab.


Dr. Marco Buschmann (FDP):
Rede ID: ID1704928300

Der Verbraucherschutz ist ein wichtiges Anliegen der

FDP. Das hat erst jüngst wieder mein ausgezeichneter
Kollege Professor Schweickert mit seinem Konzept ge-
gen Abzocke bei Telefonwarteschleifen gezeigt. Liberale
Verbraucherpolitik setzt auf eine Stärkung des Verbrau-
chers im Markt. Unser Leitbild ist der gut informierte
und mündige Verbraucher.

Auch die Stärkung von Rechten der Fluggäste hat die
FDP stets im Blick: Denken Sie nur an unseren Antrag
vom 13. Mai 2009 mit dem Titel „Rechte der Fluggäste
stärken“. Im Ziel sind wir uns hier im Hause also weit-
gehend einig. Nur unterschiedliche Wege sind es, die wir
beschreiten wollen.

Die Fraktion Die Linke bemängelt in ihrem Antrag
etwa die unzureichenden Möglichkeiten einer außerge-
richtlichen Streitschlichtung. Daran muss man uns nicht
erinnern. Denn wir waren hier Vorreiter: Im Koalitions-
vertrag legte die christlich-liberale Koalition die Ein-
richtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlich-
tungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flugzeug
und Schiff fest. Bereits am 1. Dezember 2009 hat die
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
kehr e. V.“ ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist eine unab-
hängige Einrichtung der Unternehmen des öffentlichen
Verkehrs in Deutschland zur Schlichtung von Streitigkei-
ten im Zusammenhang mit Beförderungsverträgen. Die
Schlichtung wird allen Kunden von Unternehmen im
Bahn-, Bus-, Flug- und Schiffsverkehr angeboten, die
sich an dem Schlichtungsverfahren beteiligen. Die Ko-
alition hat hier schnell und entschieden gehandelt.

Zwar ist es richtig, dass sich Luftverkehrsunterneh-
men bisher noch nicht an dieser neuen Schlichtung be-
teiligen. Gleichwohl war die Bundesregierung bereits
aktiv: Die Luftfahrtgesellschaften sind nun durch das
Bundesministerium der Justiz angehalten worden, sich
in einer Arbeitsgruppe zu treffen, um einen Modus zur
Beteiligung an der Schlichtung zu finden. Ein erstes
Treffen dieser Arbeitsgruppe wird noch vor der Sommer-
pause stattfinden. Neben den Fluggesellschaften werden

auch das Bundesministerium der Justiz und das Bundes-
ministerium für Verbraucherschutz in der Arbeitsgruppe
vertreten sein.

Wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, werden die
Rechte von Fluggästen laufend evaluiert und gegebe-
nenfalls verbessert. In einem ersten Schritt wurde erst
vor wenigen Monaten das freiwillige Instrument der
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
kehr e. V.“ eingerichtet. Man sollte also der „Schlich-
tungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“
schon noch die Chance geben, sich zu entwickeln, bevor
man voreilig nach weiterer staatlicher Regulierung ruft,
wie es die Linke auch in diesem Antrag wieder einmal
macht.


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704928400

Auch in diesem Sommer buchen Verbraucherinnen

und Verbraucher ihre Reisen zunehmend über das Inter-
net. Doch anders als Pauschalreisende bleiben sie auf
den Kosten sitzen, wenn die Fluggesellschaft in die In-
solvenz schlittert. Der Grund ist die uneinheitliche
Rechtslage bei Pauschalreisenden einerseits und im
Flugverkehr andererseits. In Streitfällen haben Flug-
gäste ebenfalls schlechte Karten. Zusätzliche Gebühren,
horrende Umbuchungskosten oder verweigerter Scha-
densersatz bei Ausfällen – es gibt viele Gründe, sich
über Fluggesellschaften zu ärgern. Allerdings birgt der
Rechtsweg stets das Risiko unverhältnismäßiger Kosten.
Aber die Möglichkeit der außergerichtlichen Streit-
schlichtung bleibt Flugpassagieren verwehrt; denn die
Beteiligung an der „Schlichtungsstelle für den öffentli-
chen Personenverkehr e. V.“ ist für Fluggesellschaften
freiwillig. Das bescheidene Ergebnis: Kein einziges
Flugunternehmen ist Mitglied. Hinzu kommt: 86 Prozent
der Fluggäste erhalten von den Airlines keinerlei Hin-
weise über ihre Rechte. Das ergab eine Untersuchung
der Stiftung Warentest im Mai 2009. Dabei nutzen Flug-
gesellschaften es kräftig aus, dass Fluggäste ihre Rechte
nicht kennen.

Im Ergebnis sind Fluggäste den Fluggesellschaften
immer unterlegen. Das muss sich ändern. Die fortdau-
ernde Wirtschaftskrise und das Flugchaos durch den
Ausbruch des isländischen Vulkans haben nicht nur das
Insolvenzrisiko für Fluggesellschaften erhöht. Es be-
steht auch die Gefahr, dass Ausfälle und Kosten, die den
Airlines entstehen, auf dem Rücken von Fluggästen aus-
getragen werden. Die unterschiedliche Rechtslage und
Rechtsauslegung ist vielen Passagieren bereits auf die
Füße gefallen. Viele Reisende saßen wegen der Vulkan-
asche fest und wussten nicht, wer die zusätzlich entstan-
denen Kosten übernimmt, sei es für zwangsweise verlän-
gerte Aufenthalte und Übernachtungen oder teurere al-
ternative Rücktransporte mit Schiff oder Bahn. Deshalb
müssen wir die Rechte von Fluggästen stärken.

Die Linke fordert, alle Fluggäste wirksam gegen die
Insolvenz von Fluggesellschaften abzusichern: nicht nur
Pauschalreisende, sondern auch Individualreisende.
Eine solche Absicherung muss im Bedarfsfall natürlich
auch zahlungsfähig sein. Das kann ein Fonds gewähr-
leisten, in den Fluggesellschaften gemeinsam einzahlen,

Zu Protokoll gegebene Reden





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


um im Notfall ungedeckte Ansprüche zu bedienen. Ös-
terreich hat dieses Modell erfolgreich erprobt. Leider
hat die Bundesregierung europäische Initiativen zur
besseren Insolvenzabsicherung von Flugpassagieren
bisher blockiert. Diese einseitige Blockadehaltung muss
sie überwinden – im Interesse der Verbraucherinnen und
Verbraucher.

Damit Fluggäste ihre Rechte im Zweifelsfall auch
durchsetzen können, ist eine unabhängige Schlichtungs-
stelle unabdingbar. Fluggesellschaften müssen sich
selbstverständlich an der Schlichtungsstelle beteiligen.
Die freiwillige Teilnahme für Flugunternehmen hat sich
als Irrweg zulasten der Flugpassagiere erwiesen.
Schließlich kann es nicht sein, dass Flugunternehmen
wichtige Informationen vor ihren Fluggästen verste-
cken. Wir fordern klar erkennbare und verständliche In-
formationen: auf jedem Ticket, beim Buchungsvorgang
am Schalter ebenso wie im Internet und im Wartebereich
auf dem Flughafen.

Die Bundesregierung muss jetzt handeln – auf natio-
naler Ebene und europäisch. Der Handlungsbedarf ist
offensichtlich. Jeder Aufschub, jede Blockade, jedes Zö-
gern überlässt Fluggäste weiterhin der Willkür der Un-
ternehmen.


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704928500

Das Verkehrschaos infolge des Vulkanausbruchs des

Eyjafjallajökull in Island hat eines offenbart: Das Reise-
recht in der derzeitigen Form gibt weder Verbrauchern
noch Unternehmen wirklich Klarheit über ihre Rechte.
Anders als beim Antrag der Linken sehen wir jedoch
„den“ Grund dafür in vielen nebeneinander wirkenden
gesetzlichen Regelungen. Mehr als ein halbes Dutzend
Rechtsakte sollen dem Verbraucher auf seiner Reise
Rechtssicherheit geben. Das Resultat: Der Unterschied
zwischen Pauschalreisendem und Individualreisendem
ist unzulänglich geklärt, Unternehmen flüchten teilweise
in Rechtslücken, und dem Verbraucher gelingt es häufig
nur über juristischen Beistand, an seine Rechte zu ge-
langen. Das darf nicht sein.

Deshalb begrüße ich die Initiative der Linken. So-
wohl die Prosa als auch die Begründung sind sehr schön
zu lesen. Die Schlussfolgerungen, in die dieser Antrag
mündet, sind aber leider nicht konsequent „zu Ende“
gedacht. Vielleicht liegt das ja an dem fehlendem euro-
päischen Verständnis, das wir gerne – als mittlerweile
wohl einzige proeuropäische Partei – ergänzen wollen.
Denn: In vielen Punkten sind wir uns einig.

Erstens. Das Insolvenz- und Folgerecht, das im Pau-
schalreisebereich national sehr gut geregelt ist, sollte
auch auf die Individualreisen mit dem Flugzeug ausge-
weitet werden.

Zweitens. Die Schlichtungsstellen müssen ausgebaut
werden. Die Fluglinien müssen sich darin einbringen.
Eine Verweigerungshaltung ist hier nicht zu akzeptieren.
Gerade an Verkehrsknotenpunkten wie internationalen
Flughäfen und Hauptbahnhöfen sollte Personal vor Ort
sein. Denn hier ist Schlichtung – im wahrsten Sinne des
Wortes – nötig, wenn Blockadehaltung der Unternehmen

auf wütende Verbraucherinteressen stößt. Es muss gelin-
gen, dem Verbraucher konkret zu helfen.

Drittens. Die Informationspflicht der Unternehmen
funktioniert nicht. Die Ansätze der Linken halten wir je-
doch für Ergebniskosmetik. Sie packen das Problem
nicht an der Wurzel.

Viertens. Auch die einheitliche Klärung von Rechts-
fragen klingt zunächst lobenswert, halten wir aber letzt-
lich für nicht lösungsorientiert.

Lassen Sie mich eines kurz festhalten: Der Theorie
und der Rechtslage nach sind die Verbraucher gut ge-
schützt. Das betont auch der Bundesverband der Ver-
braucherzentralen. Insbesondere der deutsche Rechts-
rahmen mit den §§ 651 a bis m BGB ist hier
hervorzuheben. Es gibt jedoch ein Defizit in den Mög-
lichkeiten zur Geltendmachung beziehungsweise Durch-
setzung. Wir – als nationales Parlament und insbeson-
dere die Bundesregierung – sollten in den nächsten
Monaten allerdings sehr aufmerksam sein. Bundes-
minister Ramsauer wirkte auf der außerordentlichen Sit-
zung des Europäischen Rates am 4. Mai mit dem Thema
Verbraucherrechte überfordert. Von der Kommission
wurde das als prioritäres Thema in Folge des Vulkan-
ausbruchs genannt. Herr Ramsauer hielt es jedoch nicht
für nötig, sich zu diesem Feld zu äußern. Erstaunlich,
wenn Sie mich fragen. Denn sowohl die Fluggastrechte-
verordnung als auch die Pauschalreiserichtlinie werden
gerade von der Europäischen Kommission evaluiert und
vermutlich überarbeitet. Wir sind uns einig – das hat der
Tourismusausschuss gezeigt –, dass eine Vollharmoni-
sierung der Pauschalreiserichtlinie für die deutschen
Reisenden einen erheblichen Einschnitt bedeuten
könnte. Deshalb lassen sie uns kooperieren!

Lassen sie uns gemeinsam auf die Europäische Kom-
mission zugehen und auf europäischer Ebene eine ein-
heitliche Regelung zum Reiserecht durchsetzen, in der
der Wust von Verordnungen in einer Regelung für den
Verbraucher klar und einfach zusammengefasst wird.
Liebe Kollegen der Koalition: Sie wollen doch entbüro-
kratisieren. Hier können sie das zum Wohle aller tun.
Denn daran möchte ich an dieser Stelle auch noch ein-
mal hinweisen: Wir haben es zwar zum großen Teil mit
EU-Recht zu tun, dennoch haben wir als nationales Par-
lament einen Handlungsspielraum, den es zu nutzen gilt,
und zwar nicht erst dann, wenn die Vorlagen fertig auf
unseren Tischen zur Abstimmung im Ausschuss sind.

An dieser Stelle möchte ich eigene Vorstellungen er-
gänzen. Denn was wir neben einem Schadensersatzan-
spruch benötigen, ist eine klare Regelung von Sanktio-
nen bei Verstoß gegen das Gemeinschafts- oder
nationale Recht. Wie kann es sein, dass Italien Ryanair
zu einer Millionenstrafe verdonnert, in Deutschland
aber nichts dergleichen passiert? Auch kostenlose War-
teschleifen bei Hotlines im Falle von außerordentlichen
Umständen sind zwingend notwendig, um den ohnehin
schon gebeutelten Verbraucher nicht noch weiter zu be-
lasten. Auch die Haftungsgrenze für Gepäck muss ange-
hoben, die Informationspflichten ausgebaut werden.
Und noch eines: Wir haben uns wiederholt für die Ein-
führung einer kollektiven Rechtsdurchsetzung in Form

Zu Protokoll gegebene Reden





Markus Tressel


(A) (C)



(D)(B)


der Sammelklagen ausgesprochen. Gerade ein voll be-
setztes oder ausgebuchtes Flugzeug – aber auch ein Bus
oder eine Bahn – mit unzufriedenen Passagieren böte
dazu doch wahrlich eine gute Möglichkeit.

Es besteht Handlungsbedarf im Reiserecht. Der Ver-
braucher muss besser geschützt werden. Das betrifft
aber nicht nur den Flugreisenden. Es ist Zeit für eine
konzertierte Aktion. Der Antrag fügt sich dabei leider in
das Bild des gesamten Reiserechts. Viel Stückwerk mit
dem fehlenden Blick fürs große Ganze. Dafür stehen
weiterhin nur wir Grüne: Denn uns geht es um das
Ganze.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704928600

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/2021 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss.
Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Wer ist dagegen? – Enthal-
tungen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abge-
lehnt. Dafür haben gestimmt die Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und die Linke. Dagegen haben die anderen
Fraktionen des Hauses gestimmt.

Jetzt lasse ich über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also
Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für
diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist ange-
nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und SPD.
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen
gestimmt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung

Mitteilung der Kommission an das Europäi-
sche Parlament, den Rat, den Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den
Ausschuss der Regionen


(inkl. 14030/09 ADD 1 und 14030/09 ADD 2)

lisch)
KOM(2009) 490 endg.; Ratsdok. 14030/09

– Drucksachen 17/136 Nr. A.92, 17/815 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Sören Bartol

Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es han-
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Veronika Bellmann, Sören Bartol, Oliver Luksic,
Thomas Lutze und Bettina Herlitzius.


Veronika Bellmann (CDU):
Rede ID: ID1704928700

Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass wir im Zeit-

alter der Urbanisierung leben. Dieser seit dem Beginn
der Industrialisierung andauernde Prozess hat sich in
den vergangenen Jahrzehnten noch einmal enorm be-
schleunigt. Während 1950 nur knapp 30 Prozent der
Weltbevölkerung in Städten lebte, sind es gegenwärtig
schon 50 Prozent. Bis 2050 wird sich der Anteil nach
Schätzungen der Vereinten Nationen auf knapp 69 Pro-
zent weiter erhöhen. In Europa haben wir diese Marke
bereits heute überschritten. Im Jahr 2007 lebten 72 Pro-
zent der europäischen Bevölkerung in Stadtgebieten.

Die Urbanisierung stellt Politik, Wirtschaft und Ge-
sellschaft vor gewaltige Herausforderungen. Wie in ei-
nem Brennglas bündeln sich in den Städten die drängen-
den Probleme unserer Zeit: demografischer Wandel,
öffentliche Gesundheit und sozialer Zusammenhalt, Um-
welt- und Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaftswachs-
tum und Wettbewerbsfähigkeit.

Trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten, die diese
Entwicklung mit sich bringt, dürfen wir dabei nicht die
ökonomischen und ökologischen Vorteile der Urbanisie-
rung übersehen. So lässt sich der Zugang der Menschen
zu moderner Infrastruktur in Ballungsgebieten ein-
facher, kostengünstiger und häufig sogar umweltscho-
nender organisieren als in dünn besiedelten Gebieten.
Unternehmen profitieren vom guten Arbeitskräfteange-
bot, kürzeren Wegen und höherer Nachfrage.

Um diese Potenziale auszuschöpfen, bedarf es der
richtigen politischen Weichenstellungen – nicht zuletzt
im Bereich der urbanen Mobilität. Vor diesem Hinter-
grund hat die Europäische Kommission im Jahr 2007
ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer neuen Kultur
der Mobilität in der Stadt“ vorgelegt und ein öffentli-
ches Konsultationsverfahren eingeleitet. Auf diesem
Weg konnten sich Bürger und Verbände sowie europäi-
sche Institutionen und Gremien zu den Vorschlägen äu-
ßern.

Der im September 2009 vorgelegte Aktionsplan zur
urbanen Mobilität basiert auf den eingegangenen Stel-
lungnahmen der Beteiligten. Dass er keine konkreten
Gesetzgebungsvorschläge, also keine legislativen Maß-
nahmen, enthält, ist ein Gebot der Subsidiarität, auf das
ich in diesem Zusammenhang später noch einmal zu-
rückkommen werde.

Der Aktionsplan benennt 20 Einzelmaßnahmen für
eine integrierte Stadtverkehrspolitik. Einige davon will
ich kurz ansprechen: Die Europäische Kommission will
lokale Behörden bei der Aufstellung von Plänen unter-
stützen, die die nachhaltige Mobilität für den Personen-
und Güterverkehr in städtischen und stadtnahen Gebie-
ten zum Gegenstand haben. Sie will Informationsmate-
rial zur Verfügung stellen, den Austausch bewährter
Verfahren, Best Practice, unterstützen, Maßstäbe,
Benchmarks, ermitteln und Fortbildungsmaßnahmen für
Fachleute auf dem Gebiet der urbanen Mobilität för-
dern.

Forschungs- und Demonstrationsprojekte sollen
auch in Zukunft über das siebte Rahmenprogramm für





Veronika Bellmann


(A) (C)



(D)(B)


Forschung und technologische Entwicklung, RP7, un-
terstützt werden, um die Markteinführung von emis-
sionsarmen und emissionslosen Fahrzeugen sowie von
alternativen Kraftstoffen zu erleichtern und die Abhän-
gigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Gehol-
fen werden soll bei der Optimierung der Effizienz im Be-
reich Logistik, etwa zur Verbesserung der Verbindungen
zwischen dem Fernverkehr, den innerstädtischen Verbin-
dungen und dem urbanen Güterverkehr, um die „letzte
Meile“ bei der Zustellung möglichst effizient zu gestal-
ten.

Angeboten wird die Unterstützung in Bezug auf ITS-
Anwendungen, also intelligente Verkehrssysteme für die
urbane Mobilität in Ergänzung des Aktionsplans zur
Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Europa.
Hierbei geht es beispielsweise um elektronische Ticke-
ting- und Bezahlsysteme, Reiseinformationen, Zugangs-
kontrolle und Nachfragemanagement sowie um die
Möglichkeiten, die sich mit dem europäischen Galileo-
GNSS-System eröffnen.

Eine Studie soll sich mit Verbesserungen bei der Inter-
operabilität von dienste- und verkehrsträgerunabhängi-
gen Ticketing- und Bezahlsystemen befassen sowie mit
dem Einsatz sogenannter Smart Cards im Stadtverkehr.
Darüber hinaus werden weitere Studien zu einzelnen
Themen angekündigt, wie zum Beispiel eine Untersu-
chung zu den verschiedenen Zugangsvorschriften für
unterschiedliche Arten von Umweltzonen in der EU oder
zu urbanen Aspekten der Internalisierung externer Kos-
ten.

Mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität werden
also vor allem zwei Ziele angestrebt: Zum einen sollen
Städte, regionale und nationale Behörden Impulse und
Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung von
sinnvollen Strategien für die urbane Mobilität erhalten.
Zum anderen soll die Wissensgrundlage für Entschei-
dungsträger auf allen Ebenen im Hinblick auf die Ent-
wicklung und Umsetzung solcher Strategien vergrößert
werden.

Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen den
Aktionsplan, sofern die vorgeschlagenen Maßnahmen
einen echten europäischen Mehrwert aufweisen. Insbe-
sondere die neu beigetretenen Mitglieder der Europäi-
schen Union können von einem grenzüberschreitenden
Erfahrungs- und Informationsaustausch über bewährte
Konzepte urbaner Mobilität profitieren.

Die EU kann den nationalen Behörden einen „Werk-
zeugkasten“ mit bewährten Lösungen anbieten, um den
Risiken fragmentierter lokaler, regionaler und nationa-
ler Konzepte zu begegnen. Dies sind sinnvolle Konzepte,
die unsere Unterstützung finden. Gleichzeitig halten wir
gerade im Bereich des städtischen Verkehrs zentrale Re-
gelungen aus Brüssel für problematisch. Aus unserer
Sicht sollte sich die europäische Verkehrspolitik auf bin-
nenmarktrelevante und grenzüberschreitende Verkehrs-
projekte – wie das Transeuropäische Verkehrsnetz –
konzentrieren.

Zu Recht stellt die Europäische Kommission in ihrer
Mitteilung fest, dass „die urbane Mobilität vor allem in

der Verantwortung der lokalen, regionalen und nationa-
len Behörden liegt“. Dies entspricht im Übrigen dem
grundgesetzlich verbürgten Selbstverwaltungsrecht un-
serer Städte und Gemeinden.

Auf den ersten Blick wird der Aktionsplan mit seinen
Aktionsvorschlägen den Grundsätzen der Subsidiarität
und der Verhältnismäßigkeit auch gerecht. Bei näherer
Betrachtung allerdings sieht das ein wenig anders aus.
Ich will das gerne erläutern. Ein Blick in die den Ak-
tionsplan begleitenden Dokumente zur Folgenabschät-
zung lässt den Eindruck entstehen, die Kommission
plane mittelfristig eben doch legislative Maßnahmen für
den Stadtverkehr. Dies gilt beispielsweise für das Thema
Umweltzonen.

Im Anhang, der die Politikoptionen auflistet, wird ex-
plizit gesagt, dass die EU ein regulatorisches Instrument
nutzen könnte, um die Regeln zur Zulassung und Identi-
fikation von Fahrzeugen in Umweltzonen zu harmonisie-
ren. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass dies
vermutlich ein langwieriger Prozess sei und nicht klar
sei, ob alle Mitgliedstaaten ein Interesse an einer Har-
monisierung hätten. Man gewinnt den Eindruck, die
Kommission versucht, einzelne besonders umstrittene
Vorschläge des Grünbuchs von 2007 nun einfach in den
Anhängen des Aktionsplans unterzubringen. Hier gilt es,
wachsam zu sein.

Wachsam im Sinne der Subsidiarität sollten wir als
Deutscher Bundestag auch sein im Hinblick auf die
Frage der Finanzierung von Infrastruktur.

Die Kommission kommt hier zu der zutreffenden Ein-
schätzung, dass der Finanzbedarf für Infrastruktur,
Fahrzeuge und neue Technologien steigen wird, gleich-
zeitig aber immer weniger öffentliche Mittel zur Verfü-
gung stehen werden. Die Kommission will deshalb unter
anderem im Rahmen der Überlegungen zum nächsten
mehrjährigen Finanzrahmen prüfen, wie hoch der künf-
tige Finanzbedarf zur Verbesserung der urbanen Mobi-
lität ist. Außerdem will sie in 2011 über bestehende För-
dermöglichkeiten von Strukturfonds, Kohäsionsfonds
und Europäischer Investitionsbank informieren.

Dazu will sie den Zusammenhang von Stadtverkehr
und transeuropäischem Verkehrsnetz darlegen. Dage-
gen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Vergabe
von Fördermitteln darf aber in Zeiten knapper Kassen
nicht zum Hebel der EU werden, um direkten Einfluss
auf die Gestaltung der städtischen Verkehrspolitik zu
nehmen.

Um in dieser grundsätzlichen Frage der Kompeten-
zen Klarheit zu schaffen, haben wir als christlich-libe-
rale Koalition eine Entschließung im Verkehrsausschuss
eingebracht, die in der vorliegenden Beschlussempfeh-
lung enthalten ist. Darin fordern wir die Bundesregie-
rung auf, bei Verhandlungen auf europäischer Ebene die
deutsche Position unter drei Leitlinien zu stellen:

Erstens. Die Rolle der Kommission ist darauf be-
schränkt, den Austausch von Erfahrungen und Beispie-
len bewährter Verfahren, Best Practice, unter den Städ-
ten zu unterstützen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Veronika Bellmann


(A) (C)



(D)(B)


Zweitens. Die Wahrung der Subsidiarität und des
kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist strikt zu beach-
ten.

Drittens. Städtische Gebührensysteme sind auch mit
Nachteilen verbunden, die regional verschieden sein
können. Hier bestehen aufgrund der jeweiligen Gege-
benheiten unterschiedliche Voraussetzungen für Stadt-
mautsysteme.

Dies spricht gegen eine europaweit einheitliche Re-
gelung. Unsere Bedenken werden von den Bundeslän-
dern geteilt. In seiner Stellungnahme zum Aktionsplan
hat der Bundesrat seine Auffassung bekräftigt, wonach
eine EU-Zuständigkeit für den Stadtverkehr im Grund-
satz nicht besteht und Eingriffe in die Kompetenzen der
Mitgliedstaaten, Länder und Kommunen abzulehnen
sind. Die Rolle der Kommmission sei darauf beschränkt,
den Austausch von Erfahrungen und Beispielen bewähr-
ter Verfahren, Best Practice, unter den Städten zu unter-
stützen. Hier könnten gerade die in deutschen Städten
bereits erarbeiteten Lösungsansätze zur Bewältigung
der Verkehrsprobleme für andere Städte Europas von In-
teresse sein.

Das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass die Vergabe
von Studien – etwa zu Stadtmautsystemen oder zu Um-
weltzonen – nicht als ein erster Schritt zur Vorbereitung
legislativer Maßnahmen angesehen werden darf. Auch
hier gilt der Satz von Montesquieu: „Wenn es nicht not-
wendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig,
kein Gesetz zu machen.“ In diesem Zusammenhang ist
auch die angekündigte Einrichtung eines europäischen
Beobachtungszentrums für urbane Mobilität in Form ei-
ner virtuellen Plattform kritisch zu bewerten. Selbst der
Bundesrat kann keinen Mehrwert erkennen, weder in ei-
ner Studie zur Verbesserung der Datenerhebung noch in
der Einrichtung eines solchen Beobachtungszentrums.
Vor Einleitung dieser Maßnahmen sollten Kosten und
Nutzen daher noch einmal kritisch abgewogen werden.

Aus Erfahrung wissen wir, wie schnell aus einem
scheinbar bescheidenen Beobachtungszentrum eine Eu-
ropäische Agentur mit sehr vielen Mitarbeitern und ent-
sprechend hohem Finanzbedarf werden kann. Was wir in
der gegenwärtigen Situation aber wirklich nicht brau-
chen, das sind zusätzliche europäische Bürokratie durch
neue Mitteilungspflichten und Institutionen, die viel kos-
ten, aber von geringem Nutzen sind.

Ein letzter wichtiger Punkt, der im Aktionsplan leider
zu kurz kommt, ist die Anbindung ländlicher Räume,
zum Beispiel über Nahverkehrssysteme. Nur so kann die
Mobilität in der Fläche gewährleistet werden. Wenn wir
der Abwanderung aus den ländlichen Räumen etwas
entgegensetzen wollen, dann müssen die Städte, das
städtische Umland und die ländlichen Räume gleichwer-
tig entwickelt werden.

Der EU-Verkehrsministerrat wird sich in der nächs-
ten Woche mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität
befassen. Ich bin zuversichtlich, dass der Rat in seinen
Schlussfolgerungen unseren begründeten Bedenken
Rechnung tragen wird und sich nicht nur für eine strikte
Einhaltung der Subsidiarität und der Verhältnismäßig-

keit im Bereich der urbanen Mobilität aussprechen wird,
sondern auch hinweisen wird auf die wichtige Funktion
von Nahverkehrssystemen bei der Sicherung der Mobili-
tät in der Fläche. Auch hier gilt als Binsenweisheit: Die
Stadt lebt von ihrem Umland und das Umland lebt von
der Stadt.


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1704928800

Mit „Balancity“, einer Vision einer lebenswerten

Stadt, präsentiert sich Deutschland auf der Expo in
Shanghai. Verkehrslärm und Abgase, verstopfte und un-
fallträchtige Straßen stören diese heile Welt nicht.
Wunsch und Wirklichkeit liegen noch weit auseinander.
Von stadtverträglicher Mobilität sind wir auch in
Deutschland an etlichen Stellen noch ein gutes Stück
entfernt.

Ja, es gibt sie, die vielen positiven – auch deutschen –
Beispiele für nachhaltigen Stadtverkehr: Bremen zeigt
auf der Expo, wie es gehen kann: Es wurde von UN-Ha-
bitat als eines von weltweit drei Beispielen ausgewählt,
die sich im Bereich Mobilität präsentieren dürfen, und
zwar mit seinem wegweisenden Carsharing-Projekt, das
nachweisbar Verkehr reduziert und Parkraum entlastet.

Damit alle Städte in Europa von solchen guten Bei-
spielen profitieren können, brauchen wir einen europa-
weiten Erfahrungsaustausch – aber nicht nur das. Wir
brauchen Unterstützung und Anreize auch vonseiten der
EU für die Städte und Gemeinden bei der Entwicklung
und Umsetzung nachhaltiger Stadtverkehrskonzepte und
eine konsequente Berücksichtigung des Themas „Ur-
bane Mobilität“ in der EU-Förderpolitik. Die SPD be-
grüßt deshalb ausdrücklich, dass die EU-Kommission
2007 das Thema „Urbane Mobilität“ auf die Tagesord-
nung gesetzt hat und jetzt einen Aktionsplan dazu vorge-
legt hat.

Das Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobi-
lität“ in der Stadt war der Auftakt zu einem Konsulta-
tionsprozess, als dessen Ergebnis die Kommission nun
ihren „Aktionsplan Urbane Mobilität“ vorgelegt hat.
2008 hat sich der Bundestag mit einem gemeinsamen
Antrag von SPD und CDU/CSU in die Beratungen zum
Grünbuch eingebracht. Auch Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, haben damals ausdrücklich
begrüßt, dass sich die EU des Themas annimmt – selbst-
verständlich unter Einhaltung des Subsidiaritätsprin-
zips.

Mit dem nun vorliegenden Aktionsplan hat die EU-
Kommission genau das getan: Der Aktionsplan berück-
sichtigt durchgehend die Vielfalt der Städte und das Sub-
sidiaritätsprinzip. Die Kommission spricht sich eindeu-
tig gegen Top-down-Maßnahmen aus. Stattdessen setzt
sie auf weiche Maßnahmen wie Erfahrungsaustausch,
Fortbildung und Förderung nachhaltiger Stadtverkehrs-
konzepte.

Schade, meine Damen und Herren von den Regie-
rungsfraktionen, dass Ihnen das offenbar entgangen ist
und Sie sich in Ihrer Entschließung auf drei magere
Punkte beschränken: die Einhaltung des Subsidiaritäts-
prinzips, die Ablehnung einer City-Maut und die Be-

Zu Protokoll gegebene Reden





Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)


schränkung der Kommission auf die Organisation eines
Erfahrungsaustausches. Der Bundesrat hat sich in sei-
ner Entschließung deutlich ausführlicher geäußert.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund – und der
muss es ja wissen – sieht das Subsidiaritätsprinzip ein-
gehalten. Ich zitiere: „In vielen europäischen Ländern
gibt es keine kommunale Selbstverwaltung. Dort sind
die Städte oft nicht in der Lage, selbst auf Probleme zu
reagieren. Das ist in Deutschland anders. Der jetzt vor-
gelegte Aktionsplan geht darauf ein. Kommunen können
vorgeschlagene Maßnahmen umsetzen, müssen es aber
nicht, wenn sie selbst andere Maßnahmen in ihrer Ver-
kehrspolitik treffen können.“

Vor diesem Hintergrund haben wir im Ausschuss ver-
sucht, Sie davon zu überzeugen, dass das Thema „Städ-
tische Mobilität“ und die Aktivitäten der EU mehr Be-
achtung verdienen als dürftige drei Spiegelstriche. Mit
unserer – von der Ausschussmehrheit leider abgelehn-
ten – Entschließung begrüßen wir die Maßnahmen zu
besserem Informationsaustausch und Förderung nach-
haltiger Stadtverkehrskonzepte, insbesondere die Fort-
führung und Ausweitung des Programms Civitas. Wir
unterstützen die Kommission in ihrer Sichtweise, dass
der ÖPNV das Rückgrat des städtischen Verkehrssys-
tems bildet und die Nutzersicht und Zugänglichkeit auch
für mobilitätseingeschränkte Menschen im Mittelpunkt
stehen muss. Wir begrüßen die Vorhaben, Fahrgast-
rechte auf freiwilliger Basis zu verbessern und ein EU-
weites Reiseportal für den Nahverkehr einzuführen. Und
was ist einzuwenden gegen eine Auswertung der Erfah-
rungen auch zu intelligenten Verkehrs- und Gebühren-
systemen, die eine sachliche Diskussion der Vor- und
Nachteile unterschiedlicher Modelle der Stadtverkehrs-
politik in Europa ermöglicht? EU-Politik ist doch nicht
Politik für Deutschland allein, sondern für ganz Europa.
Deswegen ist Offenheit für ganz unterschiedliche An-
sätze der Stadtverkehrspolitik gefragt. Ich empfehle Ih-
nen einen Blick über den Tellerrand!

Die SPD fordert eine stärkere Berücksichtigung von
städtischer Mobilität in der EU-Strukturfondsförderung
mit besonderem Augenmerk auf umweltfreundliche Ver-
kehrsmittel und deren intermodale Verknüpfung. Denn
in der Strukturfondsperiode 2007 bis 2013 fließen – das
kritisiert auch das EU-Parlament – nur 9 Prozent der
Strukturfondsmittel im Verkehrsbereich in den städti-
schen Verkehr.

Aber nicht nur die EU ist gefordert, ihr im Grünbuch
formuliertes Ziel einer neuen Mobilitätskultur weiterzu-
verfolgen, sondern allen voran die Bundesregierung.
Leider wird der Spielraum, sozial- und umweltverträgli-
che städtische Mobilität als Teil einer integrierten Stadt-
entwicklungspolitik umzusetzen, durch den Raubbau bei
der Städtebauförderung verschwindend gering: Mobili-
tät wäre ein wichtiges Thema im Rahmen des ökologi-
schen Stadtumbaus, insbesondere unter den Vorzeichen
des demografischen Wandels.

Wenn Minister Ramsauer meint, allein mit Elektro-
mobilität alle städtischen Verkehrsprobleme lösen zu
können, täuscht er sich gewaltig. Auch Elektroautos
brauchen Straßenfläche und Parkplätze. Den Anspruch

bezahlbarer Mobilität auch für untere Einkommens-
schichten können sie absehbar nicht erfüllen. Wir for-
dern deshalb von Herrn Ramsauer: Setzen Sie klare
Prioritäten für den Umweltverbund, für ÖPNV, Fahrrad
und Zu-Fuß-Gehen! Sagen Sie endlich, wie Sie die Fi-
nanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in Zukunft si-
chern wollen! Unterstützen Sie neue Formen der Auto-
nutzung wie Carsharing durch die überfällige Änderung
der Straßenverkehrs-Ordnung!

All das wäre ein Beitrag zu sozial- und umweltver-
träglicher Mobilität, zum Klimaschutz und zu besserer
Lebensqualität in Städten. Unterstützung auch vonseiten
der EU sollte Ihnen dabei willkommen sein.


Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1704928900

Wir widmen uns heute mit dem Aktionsplan zur urba-

nen Mobilität der EU-Kommission, einem Thema, das
bereits in der letzten Legislaturperiode auf der Agenda
des Bundestages stand. Damals hatte sich der Bundes-
tag mit dem Grünbuch der Kommission „Hin zu einer
neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ zu beschäfti-
gen. Auch die FDP-Fraktion hatte sich bereits dort so-
wohl in der Plenardebatte als auch im Zusammenhang
mit einem Entschließungsantrag im Ausschuss intensiv
mit dem damaligen Grünbuch beschäftigt.

Wenn man sich noch einmal durchliest, was die Kom-
mission in diesem Papier an verkehrspolitischen Maßnah-
men gefordert hat, so kann man mit dem jetzt vorliegenden
Aktionsplan zur urbanen Mobilität vergleichsweise zu-
frieden sein. Der Grundsatz muss sein: Grenzüberschrei-
tende Verkehre sind Aufgabe der EU, der regionale Ver-
kehr nicht. Das verstehen wir unter Subsidiarität. Ich
darf an Vorschläge im Grünbuch wie die Einrichtung ei-
nes zentralen Registers für die europäischen Fahrzeuge
und einer europäischen Beobachtungsstelle für städti-
schen Verkehr erinnern. Das wären Maßnahmen gewe-
sen, für die der Begriff „bürokratische Monster“ noch
milde ausgedrückt ist. Falls solche dirigistischen Maß-
nahmen, die tief und unnötig in einen der Kernbereiche
der persönlichen Freiheit, nämlich der individuellen
Mobilität eindringen, wieder in Vorschlägen der EU-
Kommission auftauchen sollten, wird sich die FDP-
Fraktion dem genauso entschieden entgegenstellen.

Das gilt vor allem auch für Maßnahmen wie die um-
fassende Videoüberwachung von Bussen und öffentlichen
Plätzen. Es gibt für uns auch weiterhin keine Einteilung
in guten oder schlechten Verkehr, keine Einteilung in
Verkehr, der vermieden werden muss und solchen, der
gefördert werden sollte. Verkehrspolitik mit ideologi-
schem Schaum vor dem Mund nützt niemandem, am we-
nigsten der Umwelt. Intelligente Strategien zur Verkehrs-
lenkung sind die Lösung, nicht solche, die Verkehr
vermeiden wollen. Wir wollen dem Bürger nicht vor-
schreiben, wie er sich fortzubewegen hat. Das ist seine
ureigenste Entscheidung. Auf erzieherische Maßnahmen
der Politik kann der Bürger gut verzichten.

Daher ist es positiv zu bewerten, dass sich viele der
ursprünglichen Maßnahmen nicht mehr im Aktionsplan
finden. Dies unterstützt die Leitlinie der christlich-libe-
ralen Koalition, die die Subsidiarität in allen Politikfel-

Zu Protokoll gegebene Reden





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)


dern stärken will, gerade auch durch die verbesserten
Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente. Wir wer-
den also auch in Zukunft gerade bei solchen Ideen der
Kommission äußerst wachsam sein; das kann ich ver-
sprechen.

Dies gilt insbesondere bei Eingriffen in den kommu-
nalen Bereich. Wir haben in Deutschland ein grundge-
setzlich verankertes Selbstverwaltungsrecht der Kom-
munen. Dies hat sich in der Vergangenheit bewährt und
wird es auch in Zukunft tun. Ich sage das auch als enga-
gierter Kommunalpolitiker. Daher muss unter allen Um-
ständen vermieden werden, dass die Kommunen über
die europäische Ebene gegängelt und bevormundet wer-
den. Der Kommunalpolitiker vor Ort weiß am besten,
was für seinen Ort, seine Gemeinde, seine Stadt die sinn-
vollen Lösungen sind. Am aktuellen Beispiel der Diskus-
sion um die Passagierrechte im Kraftomnibusverkehr
wird deutlich, dass die Kommission gelegentlich über
das Ziel hinausschießt und auch Dinge regeln möchte,
die wie der Stadt- und Regionalverkehr auf nationaler
bzw. regionaler Ebene bleiben sollten.

Daher begrüße ich auch die Idee des Werkzeugkas-
tens mit verschiedenen verkehrspolitischen Instrumen-
ten, aus dem sich die Kommunen bedienen können. Kein
noch so guter Kommunalpolitiker kann auf alle Ideen al-
leine kommen. Von daher ist es gut, wenn sie sich durch
die Kenntnis vorbildlicher Lösungen für städtische Ver-
kehrsprobleme in anderen Ländern inspirieren lassen
können. Und ich betone hier: können. Wir sagen ganz
grundlegend: Der Austausch von Best-Practice-Modellen
sollte Vorrang vor legislativen Maßnahmen haben. Al-
lerdings muss auch hier darauf geachtet werden, dass
durch die Herausstellung geeigneter Modelle keine fakti-
sche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten bzw. deren
Untergliederungen entfaltet wird.

Daher muss die Bundesregierung bei der Umsetzung
des Aktionsplans darauf achten, dass durch die Vergabe
von Studien zu Themenfeldern wie City-Maut, Umwelt-
zonen, Datenerhebung im Straßenverkehr etc. keine le-
gislativen Maßnahmen vorbereitet werden. Das Gleiche
gilt für Maßnahmen, bei denen der Aufbau zusätzlicher
Bürokratie notwendig wäre; das muss vermieden wer-
den. Die Kommission soll stärker in der Rolle des Orga-
nisators von Prozessen des Best-Practice-Austauschs
wirken, anstatt legislative Maßnahmen vorzuschlagen.

Ich habe Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie
auch weiterhin der Wahrung der Subsidiarität einen ho-
hen Stellenwert einräumt. Der Entwurf der Schlussfolge-
rungen des Rates, die beim nächsten Verkehrsministerrat
in Luxemburg beschlossen werden sollen, geht in die
richtige Richtung. Wenn das auch bei der Umsetzung be-
achtet wird, gilt weiterhin die Marschroute: europäische
Probleme in Brüssel lösen, kommunale Probleme vor
Ort klären.


Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704929000

Mit dem Aktionsplan „Urbane Mobilität“ hat sich die

EU ein lobenswertes Ziel auf die Fahnen geschrieben:
Die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs.
Die Europäische Kommission betont hierbei völlig rich-

tig: „Ein qualitativ hochwertiger und bezahlbarer öf-
fentlicher Nahverkehr ist das Rückgrat eines nachhalti-
gen städtischen Verkehrssystems.“ Der sich aus dieser
Feststellung ergebenden Zielsetzung eines massiven
Ausbaus des ÖPNV wird der Aktionsplan leider nicht
gerecht.

Mangels EU-Zuständigkeit beschränkt sich der Plan
auf Maßnahmen wie die Erstellung von Ratgebern oder
die Verbesserung des Informationsaustausches. Diese
Vorhaben können wir zwar vorbehaltlos begrüßen, hal-
ten sie allerdings für nicht ausreichend. Das Pochen der
Bundesregierung auf die strikte Durchsetzung des Subsi-
diaritätsprinzips hat an dieser Stelle Weitergehendes
verhindert.

Unabhängig des Streites um Zuständigkeiten gilt es
nun, das Beste aus dem Vorliegenden zu machen und die
durch den Aktionsplan zur Verfügung gestellten Instru-
mente zur Verbesserung des Nahverkehrsangebotes zu
nutzen. Und eben hier kommen uns Zweifel, ob die Bun-
desregierung dieses Ziel überhaupt verfolgt: Mit dem
Kaputtsparen von Kommunen, der Novellierung des
Personenbeförderungsgesetzes und der Festschreibung
einer Vergabepraxis, die kommunale Eigenbetriebe
schlechter stellt, unternimmt diese Bundesregierung
Schritte, die zu einer Schwächung eines attraktiven Nah-
verkehrsangebotes führen werden.

Für die Linke ist die schwarz-gelbe Politik eines for-
cierten Wettbewerbs zulasten von Fahrgästen und Be-
schäftigten nicht tragbar. Wir setzen auf eine bedarfsge-
rechte Finanzierung, soziale und ökologische Standards
und die Vergabe an kommunale Eigenbetriebe. Denn
Mobilität ist gesellschaftliche Teilhabe, muss allen zu-
gänglich sein und darf nicht vom Geldbeutel abhängen.


Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704929100

Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-

land lebt in Städten. Sie alle bewegen sich im öffentli-
chen Raum der Stadt, und sie alle haben ein Interesse
daran, in einer schönen, lebenswerten Stadt mit einer
guten Infrastruktur zu leben.

Unsere Realität sieht in vielen Fällen leider anders
aus: Die Stadt wird vom Autoverkehr dominiert. Das ist
nicht immer nur praktisch, sondern verursacht auch
eine ganze Menge Lärm, Staub und CO2-Emissionen.
Der öffentliche Raum wird auch durch den ruhenden
Verkehr deutlich beeinträchtigt, zugeparkte Straßen und
Plätze sind an der Tagesordnung. Andere Verkehrsteil-
nehmer, insbesondere Fußgänger und Radfahrer, müs-
sen hinter dem motorisierten Individualverkehr zurück-
stecken. Lebensqualität im städtischen Raum geht
verloren.

Für die Zukunft unserer Städte und für die Zukunft
der Bürgerinnen und Bürger müssen wir alles daranset-
zen, eine neue Mobilitätskultur zu schaffen. In diesem
Zusammenhang begrüßen wir grundsätzlich das Grün-
buch der EU und auch den aktuell vorliegenden Aktions-
plan. Nur leider wird der Aktionsplan diesem Ansinnen
in keinster Weise gerecht. Denn anstatt den Städten we-
nigstens einen Rahmen zu setzen oder durch gezielte

Zu Protokoll gegebene Reden





Bettina Herlitzius


(A) (C)



(D)(B)


Förderpolitik eine nachhaltige und umweltfreundliche
Verkehrspolitik zu unterstützen, verstecken sich die EU
und – wie die Beratungen im Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung gezeigt haben – auch unsere Bun-
desregierung hinter dem Subsidiaritätsprinzip. Auf kon-
krete Initiativen im Bereich Mobilität in der Stadt wird
verzichtet. Somit bleibt es einzig bei freiwilligen Aktio-
nen der Mitgliedstaaten. Es werden weder die Fahrgast-
rechte im öffentlichen Verkehr gestärkt – es bleibt bei
freiwilligen Zugeständnissen – noch geht die Kommis-
sion konkret das Problem der zahlreichen Verkehrstoten
auf innerstädtischen Straßen oder aber die urbanen Um-
weltprobleme an. Dabei spielt im Kontext des Klima-
wandels der städtische Verkehr eine zentrale Rolle. Er
ist in den Städten für 70 Prozent aller Treibhausgase
verantwortlich. 90 Prozent aller dort zurückgelegten
Autofahrten sind kürzer als sechs Kilometer. Entfernun-
gen, die bestens geeignet sind, um auf Bahn, Bus, Rad
oder Fußweg umzusteigen. Hier liegt das größte CO2-
Einsparpotenzial. An dieser Stelle ist der Aktionsplan
„Urbane Mobilität“ allerdings ernüchternd.

Auch zur Gestaltung des öffentlichen Raums werden
keine Aussagen gemacht. Eine nachhaltige, urbane Mo-
bilität kann nur stattfinden, wenn die Verkehrsflächen
anders aufgeteilt werden und attraktive, sichere Flächen
für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer ausgewiesen
werden. Neue Nutzungskonzepte wie „Shared Space“
und Instrumente wie die „City-Maut“ brauchen drin-
gend einheitliche rechtliche Rahmenvorgaben auf euro-
päischer Ebene. Nur mit einer anderen Verkehrspolitik
wird es uns in der EU gelingen, die eigenen Klima-
schutzziele zu erreichen, zugleich die Verkehrssicherheit
zu verbessern und den öffentlichen Raum als Lebens-
und Bewegungsraum für alle aufzuwerten. Die Forde-
rungen der Grünen nach einem generellen Tempolimit
und einem Ausbau des ÖPNV sowie der Car-Sharing-
Angebote wären hier ein richtiger Schritt in die richtige
Richtung. Unser Leitbild dabei sollte die Stadt der kur-
zen Wege sein, davon würde auch die Lebensqualität der
Menschen in Deutschland profitieren!


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704929200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/815, in Kennt-
nis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP.
Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und
SPD. Die Linke hat sich enthalten.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine
Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, Thilo
Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Biodiversität national und international kon-
sequent schützen

– Drucksache 17/2005 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
Reden der Kolleginnen und Kollegen Josef Göppel,
Dr. Matthias Miersch, Angelika Brunkhorst, Sabine
Stüber und Undine Kurth.


Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1704929300

Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben dem

Klimawandel die größte globale politische Herausforde-
rung unserer Zeit. Die Natur ist unsere Existenzgrund-
lage. Wir wissen, dass wir global, EU-weit und in
Deutschland das gesetzte 2010-Ziel nicht erreicht ha-
ben.

Phasen des massiven Artensterbens hat es im Lauf
der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Seit dem
18. Jahrhundert jedoch wird der Rückgang der biologi-
schen Vielfalt maßgeblich durch menschliches Handeln
verursacht. Die Hauptursachen sind bekannt: allen vo-
ran Lebensraumzerstörung und Übernutzung von Öko-
systemen, das Einbringen und Verschleppen von gebiets-
fremden Tier- und Pflanzenarten. Auch die vom Mensch
verursachte Klimaveränderung trägt zum Artenschwund
bei.

Der Verlust der Arten ist kein Problem entfernter tro-
pischer Länder. Der Artenverlust ist bei uns zu Hause vor
der eigenen Türe angekommen. Dazu möchte ich nur ein
Beispiel nennen: eine der bekanntesten Vogelarten der
offenen Kulturlandschaft, die Feldlerche. In Deutsch-
land ging der Feldlerchenbestand von 1980 bis 2004 um
mehr als 50 Prozent zurück. Heute steht die Feldlerche
auf der Roten Liste. Der Artenverlust spielt sich mittler-
weile nicht nur bei uns im eigenen Land ab; er geschieht
auch im Rahmen geltender Gesetze. Das bedeutet, dass
die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen der-
zeit noch nicht ausreichen. Wir sind gefordert, politisch
aktiv zu bleiben und nach neuen Wegen zur Bekämpfung
des Artenschwundes zu suchen. Wir brauchen dabei
nicht nur den politischen Willen, sondern auch geeig-
nete Instrumente, um dem Verlust der Artenvielfalt ent-
gegenzuwirken.

Gerade in der Agrarlandschaft ist der Artenverlust
am deutlichsten. Bei der Neuregelung der gemeinsamen
Agrarpolitik müssen deshalb der Artenschutz und die
Landschaftspflege berücksichtigt und honoriert werden.
Wer Leistungen für die Gesellschaft erbringt, muss dafür
besser gestellt sein als derjenige, der nur die gesetzli-
chen Mindestanforderungen erfüllt.

Am 1. März ist das neue Bundesnaturschutzgesetz in
Kraft getreten. Damit sind Landschaftspflegeverbände
als gleichwertige und freiwillige Zusammenschlüsse von
Kommunen, Landwirten und Naturschützern im Natur-
schutzrecht verankert. Diese Zusammenschlüsse sind
ein Zukunftsmodell.





Josef Göppel


(A) (C)



(D)(B)


Landschaftspflegeverbände und vergleichbare Orga-
nisationen wie biologische Stationen in Nordrhein-
Westfalen, lokale Aktionen in Schleswig-Holstein und
Landschaftserhaltungsverbände in Baden-Württemberg
gestalten und pflegen hochbedrohte Lebensräume und
sind maßgeblich an der Umsetzung des europäischen
Biotopverbundes Natura 2000 beteiligt. Gewässerrena-
turierung im Zuge der Europäischen Wasserrahmen-
richtlinie ist ebenso Arbeitsschwerpunkt wie der aktive
Klimaschutz. Sie arbeiten mit neuartigen Konzepten an
der Verwertung von Biomasse aus der Landschaftspflege
oder am naturverträglichen Anbau von Energiepflan-
zen.

Darüber hinaus setzen Landschaftspflegeverbände
Natur und Landschaft wieder in Wert, indem sie regio-
nale Wirtschaftskreisläufe fördern. Projekte zur regiona-
len Vermarktung verbinden wichtige ökologische As-
pekte mit ökonomischem Nutzen. Mit dem kooperativen
Naturschutz, wie er mit den Landschaftspflegeverbän-
den heute schon praktiziert wird, haben wir ein brauch-
bares Instrument, um die biologische Vielfalt in
Deutschland zu stabilisieren.


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1704929400

Um die Biodiversität ist es weltweit, in Europa und

auch in Deutschland nicht gut bestellt. Allen internatio-
nalen Verträgen, europäischen Biodiversitätszielen und
nationalen Biodiversitätsstrategien zum Trotz nimmt
überall – auch in Deutschland – die Artenvielfalt ab; Le-
bensräume sind bedroht, und die genetische Vielfalt re-
duziert sich. Das Ziel, bis 2010 den Verlust an biologi-
scher Vielfalt zu stoppen oder zumindest signifikant zu
verlangsamen, wurde weder weltweit noch auf europäi-
scher Ebene erreicht.

Das ist ein, übrigens überparteilich anerkanntes,
Faktum. Leider ist zwischen den handelnden Parteien
ein großer Unterschied im Einsatz zur Beseitigung die-
ses untragbaren Zustandes zu beobachten. Es besteht
also nicht nur dringender Handlungsbedarf; es besteht
zudem Bedarf an Erkenntnis.

Aus diesen Gründen ist der vorliegende Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen grundsätzlich zu begrüßen. In
weiten Teilen treffen und überschneiden sich die Positio-
nen der Grünen und meiner Fraktion, wenn es um den
Erhalt der Lebensumwelt geht. Trotz begründeter Kritik
darf man nicht vergessen: Es ist bisher in Sachen Natur-
schutz und Schutz der biologischen Vielfalt durchaus ei-
niges passiert. So wurde die nationale Strategie zur bio-
logischen Vielfalt mit langfristig angelegten Zielen
verabschiedet. Sie ist eine Strategie aller Ressorts, bin-
det alle gesellschaftlichen Akteure ein und nimmt Län-
der und Kommunen in die Verantwortung.

Mit dem Nationalen Naturerbe sichern wir bereits auf
100 000 Hektar naturschutzfachlich besonders wert-
volle Biotope. Die restlichen 25 000 Hektar werden
noch in dieser Legislaturperiode als Schutzgebiete aus-
gewiesen. Außerdem wurde das Grüne Band an der ehe-
maligen innerdeutschen Grenze gesichert. In diesem
Raum konnten sich über 40 Jahre Flora und Fauna un-
gehindert entwickeln. Die zumeist bereits in der rot-grü-

nen Regierungszeit getroffenen Maßnahmen haben also
durchaus einiges bewirkt.

Mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wur-
den nun die in der Föderalismusreform beschlossenen
Änderungen umgesetzt. Hier hätte man aus meiner Sicht
die Gelegenheit nutzen müssen, den Naturschutz in
Deutschland nachhaltig gesetzlich besserzustellen, als
es bisher der Fall ist. Eine solche Naturschutzpoltik war
aber mit der Union leider nicht machbar.

Ein stärkeres Naturschutzrecht haben die Agrarpoli-
tiker der Union verhindert; ihnen war und ist Klientel-
politik wichtiger als Naturschutz. Diese Klientelpolitik
wird besonders offensichtlich, wenn man sich die vorge-
schlagenen Änderungen bei der „Eingriffsregelung“,
dem Herzstück des Naturschutzes, im Koalitionsvertrag
zu Gemüte führt. Laut Koalitionsvertrag wird den Bun-
desländern die Kompetenz gegeben, Eingriffe in Natur
und Landschaft mit der Zahlung von Ersatzgeld anderen
Kompensationsmaßnahmen gleichzustellen. Damit kann
sich jeder Investor „freikaufen“, sollten seine Vorhaben
in schützenswerte Bereiche eingreifen.

Hier kommt zum Vorschein, was ich eingangs ange-
sprochen habe: Es mangelt nicht nur an der Umsetzung;
es mangelt vor allem an Einsicht. Die schwarz-gelbe
Bundesregierung wird letztlich schmerzlich feststellen
müssen, dass man einmal ausgestorbene Arten auch mit
Milliarden Euro nicht mehr wird zurückbringen können.
Hier offenbart sich einer der vielen blinden Flecken der
aktuellen Bundesregierung. Die Flächeninanspruch-
nahme und die Flächenversiegelung werden zunehmen;
das Nachhaltigkeitsziel zur Reduzierung des Flächen-
verbrauches wird nicht erreicht, und dem Naturschutz
wird damit ein Bärendienst erwiesen.

International fand unter deutschem Vorsitz vor zwei
Jahren die Konferenz über die biologische Vielfalt statt.
Es wurden Meeresschutzgebiete geschaffen und der
Schutz der Wälder vorangetrieben.

Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, dass bei
Schwarz-Gelb Worte und Taten auseinanderklaffen. Lei-
der hat die Bundesregierung ihre auf der Klimakonfe-
renz in Kopenhagen gemachte Zusage, jährlich zusätzli-
che Mittel in Höhe von 420 Millionen Euro für den
Waldschutz in Entwicklungsländern bereitzustellen,
nicht eingehalten. In diesem Jahr wurden lediglich
70 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; ob es im
Jahr 2011 überhaupt Mittel für den Waldschutz geben
wird, ist fraglich.

Es ist offensichtlich, dass für diese Bundesregierung
internationale Zusagen nichts wert sind. Dies zeigt sich
beim Schutz der biologischen Vielfalt, beim Klima-
schutz, aber auch in andern Politikfeldern, wie zum Bei-
spiel bei der Armuts- und Hungerbekämpfung. Die Bun-
desregierung ist gerade dabei, die deutsche Reputation
zu verspielen. Es bleibt nur zu hoffen, dass unsere inter-
nationalen Partner auch ohne uns in diesem Feld wei-
terarbeiten werden.

Bei allen bisher angestrengten Bemühungen für den
Naturschutz ist es für den Naturschutz überlebenswich-
tig, auch andere Politikbereiche mit einzubeziehen. Na-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)


turschutz ist ein Thema, das fachübergreifend andere
Politikbereiche berührt. Insbesondere ist hier die Land-
wirtschaft gefordert. Vor allem der zunehmende Anbau
von Biomasse geht zulasten des Grünlandes und damit
beispielsweise der Wiesenbrüter. Bei diesen Arten ver-
zeichnen wir bereits einen rapiden Rückgang. Dies be-
trifft aber auch den Erhalt der Moore und Auen. Wir
brauchen gerade zum Schutz dieser Lebensräume eine
neue Agrarpolitik, die den Erhalt unserer Lebensgrund-
lage finanziell unterstützt und eben nicht Geld dafür
zahlt, dass sich die Landwirte an die gute fachliche Pra-
xis halten.

Die herkömmliche Agrarpolitik hat den Artenrück-
gang in unserer Agrarlandschaft nicht stoppen können.
Es bräuchte eine viel stärkere bundesgesetzliche Regu-
lierung, die auf Basis des neuen Naturschutzrechtes
durchaus denkbar wäre, um den Erhalt der biologischen
Vielfalt zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Aber
auch hier ist leider von der Bundesregierung kein Um-
denken zu erwarten.

Die von mir zuletzt erwähnten Aspekte kommen leider
im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen noch zu kurz.
Sich nur auf den Naturschutz als singuläres Feld zu be-
ziehen ist schön und richtig. Eine größere Gefahr droht
der Biodiversität jedoch aus anderen Politikfeldern, de-
ren Regelungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt
häufig kaum wirksam, schlimmstenfalls jedoch nicht
existent sind. Hier muss in Zukunft dafür gekämpft wer-
den, der aktuellen Bundesregierung auf die Sprünge zu
helfen.


Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1704929500

Wir stehen unverändert in der Pflicht, entschlossen

und umsichtig die natürlichen Lebensgrundlagen zu
schützen und die Lebensqualität nachfolgender Genera-
tionen in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hin-
sicht zu bewahren und weiterzuentwickeln. Wir müssen
auch unseren Kindern eine artenreiche Natur hinterlas-
sen, sodass auch sie von den Ökosystemdienstleistungen
der Natur profitieren können. Die Natur ist unser größ-
ter Schatz.

Gerade in diesem Jahr – dem Jahr der biologischen
Vielfalt – müssen wir mit Entschlossenheit praktikable
Wege finden, um den Verlust der Artenvielfalt zu stop-
pen. Viele Pflanzen- und Tierarten sind in ihrer Existenz
massiv bedroht, und nur wir Menschen können etwas da-
für tun, diese zu schützen.

Rückblickend hat es in Bezug auf die Biodiversität
stets gravierende Veränderungen gegeben – auch ohne
menschliches Zutun. Dabei sind neue Arten entstanden
und alte verschwunden. Beim Schutz der Biodiversität
geht es also nicht darum, bestimmte Arten in diesem Mo-
ment zu konservieren, sondern entscheidend ist, dass die
Fähigkeit von Ökosystemen zur Anpassung an sich ver-
ändernde Gegebenheiten erhalten bleibt. Der Erhalt der
Biodiversität und der Schutz gefährdeter Arten sind
Ziele, dem die FDP hohe Aufmerksamkeit widmet.

Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt ist
eine klare Basis für eine langfristige Politik. Die Strate-

gie enthält Ziele für dieses Jahr, aber auch zum Beispiel
für 2015 oder 2020, und Ziele ohne Zieljahr. Diese Stra-
tegie samt ihren Zielen soll mithilfe des Bundespro-
gramms umgesetzt werden. Momentan wird intensiv da-
ran gearbeitet, dieses Bundesprogramm mit konkreten
Maßnahmen auszugestalten.

Das alles geschieht vor der Erkenntnis, dass das all-
gemeine Ziel verfehlt wurde, bis 2010 den Verlust an
biologischer Vielfalt zu stoppen oder zumindest zu ver-
langsamen. Erfreulicherweise gab es bei der Bewah-
rung der biologischen Vielfalt auch einige wichtige
Teilerfolge. Viele Bürger zeigten großes Interesse an
dem Thema der biologischen Vielfalt und nahmen am
22. Mai 2010, am Internationalen Tag der biologischen
Vielfalt, an den bundesweiten Wanderungen teil.

Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, in Ihrem
Antrag zum Schutz der Biodiversität stellen Sie Forde-
rungen, die zum Teil schon umgesetzt sind oder schon in
der Beratungsphase sind. Sie fordern, dass eine Verein-
barung eines verbindlichen europäischen Post-2010-
Ziels mit konkreten Unterzielen aufgestellt wird. Die
EU-Kommission hat schon Vorschläge für neue EU-
Zielsetzungen zur Biodiversitätspolitik, insbesondere für
die Zeit nach 2010, gemacht.

Es sind ein langfristiges Biodiversitätsziel der EU bis
2050 und vier Optionen für ein mittelfristiges Ziel für
2020 aufgestellt worden. Die Optionen unterscheiden
sich in ihrem Ambitionsniveau: Während die erste ledig-
lich anstrebt, den Verlust an Biodiversität zu verlangsa-
men, hält die zweite Option am bestehenden Ziel der
Eindämmung fest, verlängert aber die Frist für sein Er-
reichen. Die dritte Option zielt nicht nur auf die Eindäm-
mung des Verlusts, sondern auch auf die Wiedernutzbar-
machung von Ökosystemen und deren Dienstleistungen.
In der vierten Option wird darüber hinaus ein verbesser-
ter finanzieller Beitrag der EU zur Vermeidung globaler
Biodiversitätsverluste angestrebt.

Diese Vorschläge müssen nun überprüft werden. Auf
dieser Grundlage will die Kommission bis Ende des Jah-
res eine EU-Strategie für Biodiversität vorlegen. Erste
Schritte bei der Vereinbarung eines europäischen Post-
2010-Ziels sind schon auf bestem Wege.

Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie fordern
eine nationale Studie zur ökonomischen Bedeutung von
Ökosystemdienstleistungen und biologischer Vielfalt,
um die ausreichende Berücksichtigung in allen Politik-
feldern gewährleisten zu können. Eine übergreifende in-
ternationale Studie über den „Ökonomischen Wert von
Ökosystemen und biologischer Vielfalt“ – TEEB-Be-
richt – ist von Deutschland und der EU-Kommission
lanciert und erstellt worden. Man wird sicherlich Ergeb-
nisse aus dieser Studie auf Deutschland übertragen kön-
nen. Somit wäre eine weitere nationale Studie nicht
zwingend notwendig.

Als zusätzliche Informationsquelle ist gerade der At-
las der Biodiversitätsrisiken auf der Green Week 2010 in
Brüssel vorgestellt worden. Er kombiniert die Haupter-
gebnisse des großen EU-Forschungsprojektes ALARM
mit einigen Kernergebnissen aus zahlreichen anderen

Zu Protokoll gegebene Reden





Angelika Brunkhorst


(A) (C)



(D)(B)


Forschungsnetzwerken. Der neue Atlas der Biodiversi-
tätsrisiken ist der erste seiner Art, der die Hauptfaktoren
zusammenfasst, die zum Verlust der Artenvielfalt auf eu-
ropäischer und globaler Ebene führen.

Auf UN-Ebene ist gerade ein neues internationales
Wissenschaftlergremium für Biodiversität IPBES – In-
tergovernmental Science-Policy Platform on Biodiver-
sity and Ecosystem Services – nach dem Vorbild des
Weltklimarats IPCC von der internationalen Gemein-
schaft auf einer Konferenz in Südkorea beschlossen wor-
den. Weltweit sollen wissenschaftliche Daten gesammelt,
analysiert und anschließend verschiedene Handlungsop-
tionen angeboten werden.

Die Daten sollen als zusätzliche, unabhängige und
glaubwürdige Informationen als Entscheidungshilfe
genutzt werden. Regierungen in Schwellen- und Ent-
wicklungsländern wird geholfen, eigene Kapazitäten
aufzubauen, beispielsweise durch den Aufbau wissen-
schaftlicher Kooperationen und den vereinfachten Zu-
gang zu Fachliteratur. IPBES soll dazu beitragen, dass
Fragen der biologischen Vielfalt sektorübergreifend bei
politischen Maßnahmen, Strategien und Programmen
berücksichtigt werden, und damit auch einen Bewusst-
seinswandel der Gesellschaft herbeizuführen.

Es ist offensichtlich, dass nicht nur eine einzelne poli-
tische Maßnahme die Artenvielfalt retten wird, sondern
dass eine systematische Überprüfung aller Politikfelder
bzw. Ressorts notwendig ist. Nur durch ein international
abgestimmtes Vorgehen kann dem rasanten Verlust an
Biodiversität Einhalt geboten werden.

Als großes Ereignis im Jahr der biologischen Vielfalt
tagt die 10. Vertragsstaatenkonferenz – COP 10 – der
Konvention über die biologische Vielfalt – CBD – in Na-
goya/Japan. Die deutsche Bundesregierung gibt dann
ihre Präsidentschaft nach zweieinhalb Jahren ab. Der
Fahrplan, ein Post-2010-Ziel im Herbst festzusetzen, ist
schon auf der COP 9 beschlossen worden. Darin wurden
konkrete Ziele und Vereinbarungen formuliert.

Wir sehen als Hauptaufgabe der deutschen CBD-Prä-
sidentschaft den Beschluss der international verbindli-
chen Vereinbarung zur gerechten Aufteilung der Vorteile
der Nutzung der biologischen Vielfalt – ABS-Regime – im
Oktober auf der Konferenz in Japan. Mit einem ABS-Re-
gime haben die Herkunftsländer biologischer Ressour-
cen endlich die Chance auf einen gerechten Vorteilsaus-
gleich und sie können gegen Biopiraterie vorgehen.

Wir hoffen, dass im Oktober ein gutes Ergebnis der
10. Vertragsstaatenkonferenz im Sinne der Erhaltung
der Artenvielfalt erreicht wird.


Sabine Stüber (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704929600

In Vorbereitung dieser Rede blätterte ich durch ver-

schiedene Zeitschriften, Broschüren und recherchierte
im Internet. In themenspezifischen Beiträgen wird im-
mer wieder Alarm geschlagen, ob von Fachbehörden
aus Bund und Ländern oder den verschiedenen Umwelt-
und Naturschutzverbänden in unserem Land: „Für Fle-
dermäuse geht es ums Überleben“, so die Deutsche Um-
welthilfe; „Deadline – die Zeit läuft für die letzten 3 200

Tiger“, schreibt der WWF; „30 Vogelarten, mehr als je
zuvor, sind in Deutschland vom Aussterben bedroht“,
warnt der NABU; „Rette die Wale“, fordert der WWF.

Die Liste könnte ich fortführen, aber eigentlich war
ich auf der Suche nach einigen guten Beispielen zum
Schutz der biologischen Vielfalt. Ich meine nicht die vie-
len kleinen punktuell wirkenden und gut gemeinten Pro-
jekte. Sie sind immens wichtig. Wo wären wir ohne sie?
Aber ich suchte nicht nur einen Ansatz zur Rettung einer
Art. Denn es sind die Lebensräume, die nicht weiter zer-
stört werden dürfen – die Meere, die Wälder weltweit,
auch die Tropenwälder, die Mangrovensümpfe, die
Moore, die Kulturlandschaften. Die Wirkung einer Zer-
störung von Lebensräumen ist überregional, ja global.

Die Ergebnisse haben mich ebenso deprimiert wie die
Beschreibung der Defizite beim Schutz der biologischen
Vielfalt im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
um den es heute geht: „Biodiversität national und inter-
national konsequent schützen“. Im Januar haben wir es
alle schon gesagt: Das Ziel, den Verlust der biologi-
schen Vielfalt umzukehren, wird weit verfehlt. Wir schaf-
fen es nicht einmal, ihn zu stoppen. Das war ernüch-
ternd. Nun ist die Hälfte des Jahres um, und wir sind
insgesamt nicht sehr viel weitergekommen. Genau das
ist unser Dilemma, und genau das ist das Thema des An-
trages.

Die im Antrag genannten Forderungen an die Bun-
desregierung benennen treffend die Defizite beim Schutz
der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, unserer Le-
bensgrundlage. Es geht um viel, um nicht gleich zu sa-
gen, es geht um alles. Ich will jetzt nicht mit Zitaten aus
dem 1972 erschienen Bericht des Club of Rome „Die
Grenzen des Wachstums“ anfangen. Aber die gleichen
Autoren haben 1992 ein weiteres Buch geschrieben:
„Die neuen Grenzen des Wachstums“. Sie kommen zu
keinem anderen Ergebnis: Es geht um ein generelles
Umdenken. Einer der Autoren, Stewart Udall, beschreibt
es so: „Alles deutet darauf hin, dass wir ständig die
Rolle unserer technologischen Schöpferkraft überbe-
werten und die Bedeutung unserer natürlichen Ressour-
cen unterschätzen. Uns fehlt der Sinn für die Grenzen
und das Bewusstsein für die Bedeutung der Ressourcen
dieser Erde ...“.

Jetzt, nach wiederum 20 Jahren, sage ich, dass uns
vielleicht der Sinn für die Grenzen immer noch fehlt,
aber die Bedeutung der natürlichen Ressourcen dringt
langsam doch in unser Bewusstsein. Die Fakten sind
lange genug bekannt; auch, was getan werden muss.
Der Schutz der Lebensräume ist heute die Aufgabe –
weltweit. Aber lassen Sie uns benennen, was Deutsch-
land leisten kann. Der sozial-ökologische Umbau der
Gesellschaft ist zu schaffen, und das wäre schon die
halbe Miete.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Dass wir mit unserer Art zu wirtschaften dabei sind,
weltweit die biologische Vielfalt zu vernichten, unter-
streicht nichts mehr als die Ölkatastrophe im Golf von
Mexiko. Wir sind in rasantem Tempo unterwegs, wenn es

Zu Protokoll gegebene Reden





Undine Kurth (Quedlinburg)



(A) (C)



(D)(B)


darum geht, Natur zu zerstören, biologische Vielfalt zu
verringern und Lebensräume zu vernichten. Von den im
April 2002 von den Vertragsstaaten des UN-Überein-
kommens über die biologische Vielfalt für das Jahr 2010
formulierten 21 Teilzielen wurde kein einziges erreicht.
Im 3. Globalen Ausblick der CBD, der gerade veröffent-
licht wurde, beginnt jede – wirklich jede – Zielbewer-
tung mit der Formulierung „In globalem Maßstab nicht
erreicht …“. Das kann und darf so nicht bleiben.

Die bevorstehende 10. Vertragsstaatenkonferenz ist
eine Chance, neue Ziele und neue Maßnahmen für den
weltweiten Schutz unserer Lebensgrundlagen zu verein-
baren. Der von uns heute vorgelegte Antrag richtet sich
an die Bundesregierung insbesondere in ihrer Eigen-
schaft als amtierende Präsidentschaft der CBD, die sie
noch bis zur 10. Vertragsstaatenkonferenz in Japan in-
nehaben wird. Dass es eine besonders erfolgreiche Prä-
sidentschaft war, wird nicht einmal die Bundesregierung
zu behaupten wagen; denn bei keinem der wichtigen
Verhandlungspunkte sind bislang Durchbrüche erzielt
worden. Deshalb kommt es darauf an, die verbleibende
Zeit zu nutzen – national und international.

Beispiel Biosicherheit. Nicht abschätzbare Risiken
drohen uns durch den Anbau von gentechnisch verän-
derten Pflanzen. Diese Risikotechnologie ist geeignet,
größte Schäden in unseren Ökosystemen anzurichten.
Deshalb sollte auf ihre Anwendung verzichtet werden.
Zumindest brauchen wir dringend eine Regelung der
Haftungsfragen. Es muss ein rechtlich bindendes Haf-
tungssystem für alle Vertragsstaaten vereinbart werden.
Bislang: Fehlanzeige!

Beispiel gerechter Vorteilsausgleich. Wenn es welt-
weit bei der wirtschaftlichen Nutzung der biologischen
Vielfalt gerecht zugehen soll, dann muss endlich eine Re-
gelung getroffen werden zum Zugang und zum gerechten
Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressour-
cen. Bisher: Wieder Fehlanzeige!

Beispiel Schutzgebiete. Die vereinbarten internatio-
nalen Schutzgebiete zu Wasser und zu Land bedürfen
dringend einer soliden Finanzierung, hier muss auch die
Bundesregierung ihren Anteil leisten – nicht nur bei der
Rettung der Banken. Was wir hier bislang erlebt haben,
ist eine Mehrfachanrechnung zugesagter Mittel – einmal
als Klimaschutz, dann als Biodiversitätsschutz und dann
als Entwicklungshilfe. So werden zwar aus 1 Million
Euro schnell 3 Millionen Euro; ein redliches Vorgehen
ist das aber nicht. Gemeinhin nennt man das Taschen-
spielertricks. Also: wieder Fehlanzeige!

Im Biodiversitätsschutz – also beim Schutz von Pflan-
zen und Tieren, Lebensräumen und genetischer Vielfalt –
geht es aber nicht nur um ferne Regenwälder oder Ko-
rallenriffe, sondern auch um konkrete Maßnahmen hier
vor Ort. Auch bei uns in Deutschland treiben Flächen-
verbrauch, Zerschneidung, intensive Landwirtschaft,
Verschmutzung und Übernutzung die Natur in immer en-
gere Nischen. Die Ökosysteme verarmen und werden in-
stabil. Intakte Ökosysteme sind aber nicht nur für den
Tourismus gut. Wir erhalten von ihnen Nahrung, Bau-
stoffe, Fasern, Energie, Arzneimittel, sauberes Wasser
und saubere Luft. Sie dienen als technische Vorbilder,

stabilisieren das Klima, schützen vor Extremereignissen
und dienen sogar noch der Entsorgung vieler unserer
Abfälle. Deshalb geht es nicht nur um das eine oder an-
dere possierliche Tierchen oder die eine oder andere
exotisch-schöne Pflanze. Es geht um unsere Lebens-
grundlagen und die der Generationen nach uns.

Wir alle sollten wissen: Der so wichtige Schutz der
biologischen Vielfalt kann nicht Aufgabe nur eines Res-
sorts sein. Das geht an der Realität der Ursachen des
Biodiversitätsverlustes völlig vorbei. Biodiversitäts-
schutz ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Als sol-
che sollte sie in Deutschland endlich begriffen werden.

Ich kann Umweltminister Röttgen daher nur auffor-
dern, die Chance zu nutzen und mit dem für dieses Jahr
angekündigten Bundesprogramm zur biologischen Viel-
falt einen großen Schritt nach vorne zu machen und da-
bei insbesondere seine Ellenbogen gegenüber seinen
Kollegen im Landwirtschafts- und im Verkehrsministe-
rium zu nutzen.

Orientieren Sie sich auf keinen Fall an dem hessi-
schen Verkehrs- und Wirtschaftsminister Dieter Posch,
FDP, der Denken von vorgestern bietet, wenn er ankün-
digt, er wolle den Naturschutz „auf ein volkswirtschaft-
lich akzeptables Niveau bringen“. Da hat jemand die
Zusammenhänge ganz gewaltig nicht begriffen; denn
weniger Naturschutz heute bedeutet mehr volkswirt-
schaftliche Kosten morgen.

Nehmen Sie sich lieber noch einmal die Rechnung des
Umweltbundesamtes zur Hand, das Ihnen vorrechnet,
dass in unseren Haushalten umweltschädliche Subven-
tionen stecken, die uns jährlich 48 Milliarden Euro kos-
ten. Packen Sie hier an; das ist dann wirklich „intelli-
gentes Sparen“.

Um meine Rede optimistisch zu beschließen, möchte
ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, dass die
UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
vor wenigen Tagen beschlossen hat, ein internationales
Wissenschaftlergremium für Biodiversität einzurichten.
Damit wird für politische Entscheidungsträger ein zu-
verlässiges und glaubwürdiges Gremium eingerichtet,
das Zustand und Entwicklung der weltweiten Biodiversi-
tät beobachtet, analysiert und bewertet. Neben der Kli-
mafrage ist die Frage der biologischen Vielfalt eine der
elementaren Herausforderungen unserer Zeit, und dafür
muss entsprechendes gesellschaftliches und politisches
Bewusstsein geschaffen werden. Das IPBES – so der
Name des neuen Gremiums – wird dazu sicherlich einen
guten Beitrag leisten. Wir Grünen können uns auch sehr
gut mit dem Gedanken anfreunden, dass dieses Gremium
in Deutschland angesiedelt wird. Entscheidend wird
aber bleiben, dass wir handeln; denn wir haben schon
heute kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsde-
fizit.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704929700

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/2005 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist das so beschlossen.





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatz-
punkt 4 auf:

27 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Nährwert-Ampel bundesweit einführen

– Drucksache 17/2120 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Gesundheit

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates betref-
fend die „Information der Verbraucher über
Lebensmittel“ KOM(2008) 40

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund-
gesetzes

Lebensmittelinformation verbessern – Verbind-
liche Ampelkennzeichnung einführen

– Drucksachen 17/1987, 17/2185 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Iris Gleicke
Dr. Christel Happach-Kasan
Karin Binder
Ulrike Höfken

Hier werden zu Protokoll gegeben die Reden von
Carola Stauche, Iris Gleicke, Dr. Christel Happach-
Kasan, Karin Binder und Ulrike Höfken.


Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1704929800

Wir diskutieren heute wieder über ein Thema, das uns

schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und die Meinung
der Union in dieser Frage hat sich nicht geändert. Im
Land des Autos sind wir uns der Bedeutung von Ampeln
durchaus bewusst, allerdings gehören diese an Kreuzun-
gen und nicht auf Lebensmittel. Auf der Straße helfen
sie, den Verkehr zu regeln; auf Lebensmitteln führen sie
dazu, den Verbraucher zu verwirren. Es mag schön aus-
sehen, wenn alle Lebensmittel mit grünen, gelben oder
roten Punkten gekennzeichnet sind. Aber ist das nicht zu
kurz gedacht? Sollen wir den Bürgern durch eine Ampel-
kennzeichnung die Entscheidung leicht machen, keine
Margarine mehr zu kaufen, weil diese mit einem roten
Punkt gekennzeichnet ist? Das klingt polemisch, aber
genau das ist die Ampelkennzeichnung auch – Polemik
oder vielmehr Aktionismus und Alibipolitik.

Nicht die Lebensmittelwirtschaft ist schuld, wenn un-
sere Bäuche wachsen, sondern unser Verhalten. Es gibt

Kinder, die ständig Süßigkeiten essen können, ohne dick
zu werden, während sich andere Schwimmringe anfut-
tern. Warum? Die schlanken Kinder bewegen sich mehr.
Der Energieumsatz des Körpers ist außerdem nicht bei
jedem Menschen gleich.

Statt sich vernünftig zu ernähren oder mehr Sport zu
treiben, sollen wir, wenn es nach den Vorstellungen der
Opposition geht, jetzt farbigen Punkten unsere Gesund-
heit anvertrauen. Das ist nicht unser Verständnis von
Verbraucherpolitik. Verstehen Sie mich bitte nicht
falsch. Es ist unbestritten, dass Verbraucherinnen und
Verbraucher über den Energiegehalt und die Gehalte an
Nährstoffen in Lebensmitteln auf der Verpackung infor-
miert werden müssen. Nur so ist durch die Lebensmittel-
auswahl eine ausgewogene und gesunde Ernährung
möglich.

Lassen Sie mich nur ein Argument hervorheben, wel-
ches meiner Meinung nach gegen eine Ampelkennzeich-
nung spricht: Die Ampelkennzeichnung bezieht sich auf
100 Gramm. Viele Lebensmittel würden damit als „rot“
klassifiziert, zum Beispiel Nüsse, obwohl sie gar nicht in
diesen Mengen verzehrt werden. Die Frage, ob ein Le-
bensmittel ernährungsphysiologisch günstiger oder un-
günstiger ist, hängt aber entscheidend von der verzehr-
ten Menge und vor allem von der Gesamternährung ab.

Bei der Ausarbeitung des „1 plus 4 Modells“ hat sich
die Bundesregierung deshalb bewusst gegen das Ampel-
modell entschieden. Die Union unterstützt das Modell

Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1704929900
Wir wollen eine klare und
informative Lebensmittelkennzeichnung mit übersichtli-
chen Informationen auf der Verpackung über Nähr-
werte, Inhaltsstoffe und Abdeckung des Tagesbedarfs
auf der Grundlage einheitlicher, vergleichbarer Bezugs-
größen. Die Kalorienzahl in Bezug auf die empfohlene
Tageszufuhr muss auf die Vorderseite. Der Rest – also
Zucker, Salz, ungesättigte Fettsäuren und Fett – soll auf
die Rückseite.

Die Entscheidung des BMELV für dieses Modell ist
auch aufgrund der Bedenken, die seitens der Wissen-
schaft gegenüber der Ampelkennzeichnung geäußert
wurden und immer noch geäußert werden, getroffen
worden. So hat die Deutsche Gesellschaft für Ernäh-
rung deutlich gezeigt, dass die wissenschaftliche Ein-
deutigkeit der international vorgeschlagenen Bezugs-
größen wenig überzeugend ist. Sie kritisiert unter
anderem die Spannen der im Ampelsystem vorhandenen
Farben. Bei einer Bezugsgröße von 100 Gramm führen
3 bis 20 Gramm Fettanteil zu einem gelben Ampel-
punkt. Was das in dieser Größenordnung für ein Unter-
schied ist, muss ich niemandem näher erläutern. Auch
das Beispiel des Cola-Getränks macht deutlich, dass die
Ampelkennzeichnung deutliche Schwächen hat. Auf-
grund des Fehlens von gesättigten Fettsäuren, von Fett
und Salz erhält es drei grüne Punkte und nur für den Zu-
ckergehalt einen roten. Sehr übersichtlich auf der Verpa-
ckung angebracht deutet es auf ein gesundes Lebensmit-
tel hin: „Dreimal grün und nur einmal rot, was soll’s,
das nehm’ ich mit, ist doch völlig ungefährlich.“ Und
auch wer glaubt, dass er sich ausgewogen ernährt, wenn
er nur noch Produkte mit grünen Punkten, zum Beispiel





Carola Stauche


(A) (C)



(D)(B)


Äpfel, in seinem Warenkorb hat, liegt falsch. Eine solche
Kennzeichnung ist doch total verwirrend.

Die eben genannten kleinen Beispiele zeigen doch
deutlich, zu welcher Irritation es bei der Ampel kommen
kann. Das kann doch nicht im Sinn von verantwortungs-
voller Verbraucherpolitik sein. Kurzum: Simplifizie-
rende Farbpunkte, wie die reine Ampelkennzeichnung
sie vorsieht, bedeuten schlichtweg irreführende Infor-
mationen. Nahrungsmittel werden hier in gut und
schlecht eingeteilt. Auch nationale Alleingänge, wie
von SPD und Linken gefordert, helfen uns wenig. So-
wohl für die Verbraucher wie auch für die Wirtschaft ist
vielmehr eine einheitliche europäische Regelung wich-
tig. Hohe Produktions- und Logistikkosten für die Wirt-
schaft und Verwirrung für die Verbraucher wären die
Folgen eines nationalen Alleingangs. Eines muss uns
doch aber auch klar sein: Eine Kennzeichnung ist letzt-
lich nur eine zusätzliche Hilfestellung für den Verbrau-
cher. Die Linke und die SPD versteifen sich mal wieder
in der Fehlernährungsdebatte auf Kennzeichnungsrege-
lungen. Doch das Problem wird nicht mit bunten Farben
gelöst, sondern mit Verbraucherbildung an Schulen, in
Kantinen und im Elternhaus.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wer sich
bis heute nicht über seine Ernährung informiert hat,
wird dies auch in Zukunft nicht tun. Da muss verantwor-
tungsvolle Verbraucherpolitik ansetzen. Informieren,
aufklären, behilflich sein statt bevormunden – das ist
das Credo der Union. Das ist der Weg, den wir alle ein-
schlagen müssen. Diesen Weg müssen alle gemeinsam
gehen, Verbraucherinnen und Verbraucher gemeinsam
mit Erzeugern, Händlern, Verbraucherschützern und
auch der Politik. Bei Bedürfnissen der Verbraucher und
Verbraucherinnen müssen Informationsangebote durch
Erzeuger, Händler und Politik gemacht werden. Die
Politik muss ihrer Sorgfaltspflicht den Bürgerinnen und
Bürgern gegenüber nachkommen und Erzeugern und
Händlern bei ihrer Tätigkeit auf die Finger schauen,
ohne ihnen dabei die Hände festzubinden.

Dass wir in Europa nicht allein stehen mit dieser
Meinung, hat die gestrige Abstimmung im Europäischen
Parlament gezeigt. Auch hier stimmte man gegen eine
verpflichtende Ampelkennzeichnung, übrigens mit den
gleichen Argumenten, die wir in dieser Diskussion seit
Jahren vorbringen. Die Unionsfraktion begrüßt die Ent-
scheidung des Europäischen Parlamentes ausdrücklich,
sich erneut gegen eine stigmatisierende farbliche Am-
pelkennzeichnung auf europäischer Ebene auszuspre-
chen. Einmal mehr ist deutlich geworden, dass es in Eu-
ropa keine Mehrheit für eine solche Kennzeichnung gibt.
Ein großes Lob sprechen wir der CDU-Europaabgeord-
neten und Berichterstatterin Renate Sommer für die kon-
sequente und gute Verhandlungsführung aus.

Auch die Befürworter einer solchen stigmatisieren-
den Kennzeichnung sollten die Zeichen der Zeit endlich
erkennen und ihren Glaubenskrieg beenden. Was der
Verbraucher braucht, sind vergleichende und übersicht-
liche Informationen, ohne Wertung.

An die Kolleginnen und Kollegen der Linken gerich-
tet: Jetzt werden Sie einen Satz hören, den Sie selten von
mir zu hören bekommen. Ich bin Ihrer Meinung, dass
Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Einführung ei-
ner nachvollziehbaren Lebensmittelkennzeichnung ein-
nehmen sollte. Das ist allerdings mit der Ampelkenn-
zeichnung, wie sie von Ihnen gefordert wird, nicht
gewährleistet. Das und die oben genannten Gründe sind
der Grund dafür, dass wir den Antrag ablehnen.


Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1704930000

Die Anträge für die Ampelkennzeichnung können nur

unterstützt werden.

Seit Monaten diskutieren Politik, Wirtschaft und Ver-
braucherschützer über die Frage der Nährwertkenn-
zeichnung auf Lebensmitteln; und das europaweit.

Bei dieser Diskussion sollte das Ziel ganz klar sein,
allen Verbrauchern die Wahl der richtigen Produkte für
eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu erleich-
tern, und zwar so leicht verständlich, dass in Zukunft
niemand mit dem Taschenrechner den Supermarkt betre-
ten muss.

Wir brauchen eine klare Kennzeichnungspflicht, da-
mit Verbraucherinnen und Verbraucher einfach verglei-
chen und bewusst entscheiden können, was sie essen und
trinken. Sie müssen endlich auch ohne ein ernährungs-
wissenschaftliches Studium verstehen können, was ge-
sund ist und was nicht. Das ist heute leider gar nicht
mehr so leicht, da viele Produkte, die in der Werbung als
gesund gepriesen werden, versteckte Fette und Zucker
beinhalten.

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, die
Bundesärztekammer und auch die gesetzlichen Kranken-
kassen fordern seit langem die Einführung der Ampel-
kennzeichnung, die auch schon in Großbritannien zu
großem Erfolg geführt hat. Dort ist der Absatz ausgewo-
gener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung
signifikant gestiegen. Diese Verbände haben meiner
Meinung nach ein wesentlich fundierteres Fachwissen
zum Thema ernährungsbedingte Krankheiten als die
Lobbymaschinerie der Lebensmittelwirtschaft, die sich
– aus ihrer Sicht verständlicherweise – gegen die Am-
pelkennzeichnung ausspricht.

Die Einführung des „Nährwertkästchens“, also der so-
genannten GDA-Kennzeichnung, oder des „1 plus 4 Mo-
dells“ reicht zur Aufklärung nicht aus und ist irreführend.
Die Nährwertangaben, die für frei variable Portionsgrö-
ßen angegeben werden können, bieten nur eine abstrakte
Vergleichsmöglichkeit. 15 Gramm Schokolade haben
weniger Zucker und Kalorien als ein Liter Bioapfelsaft.
Da wird der Einkauf schnell zur Mathestunde, und die
Verbraucher werden schlichtweg verunsichert.

Die Angaben auf dem Etikett müssen einfach, ver-
gleichbar, überschaubar und leicht verständlich sein
und dürfen keinen Teil unserer Bevölkerung ausgrenzen.
Die farbliche Kennzeichnung der Ampel würde all diese
Anforderungen erfüllen. Sie würde insbesondere bei zu-
sammengesetzten Produkten wie Tiefkühlpizza, Müsli
oder Fertiggerichten Aufklärungsarbeit leisten.

Zu Protokoll gegebene Reden





Iris Gleicke


(A) (C)



(D)(B)


Nicht nur die SPD ist seit langem für die Einführung
der Ampel. Bereits im Juli 2009 hat es eine Emnid-Um-
frage gegeben, in der sich 69 Prozent der Verbraucher
für eine Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben. Die
Menschen wollen eine einfache Kennzeichnung, die sie
auch lesen können, wenn sie einmal ihre Brille verges-
sen haben, und die sie auch ihren Kindern verständlich
machen können.

In Großbritannien sprechen sich sogar die Super-
märkte selber für eine klare Kennzeichnung aus, da sich
Transparenz und Offenlegung auszahlen.

Auch wenn sich die Europäische Union am Mittwoch
erneut gegen die verpflichtende Ampelkennzeichnung
ausgesprochen hat, so brauchen wir wenigstens auf na-
tionaler Ebene diese verständliche Lösung.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1704930100

Die Nährwertampel ist gestern im Europaparlament

mehrheitlich abgelehnt worden. Es hat sich die Vernunft
durchgesetzt, und das ist gut. Die vorliegenden Anträge
von den Grünen und der Linken haben sich damit erle-
digt.

Bereits jetzt sind auf den meisten Lebensmittelverpa-
ckungen Angaben über den Gehalt des Lebensmittels an
Kalorien, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz
zu lesen. Die freiwillige Kennzeichnung hat sich weitge-
hend durchgesetzt. Die Unternehmen der Lebensmittel-
wirtschaft haben zumeist sehr zügig auf die Forderungen
nach solchen Informationen reagiert und damit akzep-
tiert, dass selbstverständlich die Verbraucherinnen und
Verbraucher einen Anspruch auf diese Informationen
haben.

Die Unterlegung dieser Informationen mit Farben
bedeutet jedoch eine nicht sachgerechte Emotionalisie-
rung. Die Warnfarbe Rot steht für einen hohen Gehalt.
Grün für einen niedrigen Gehalt. Es gibt viele Beispiele,
die zeigen, dass mit diesem einfachen Schema von Gut
und Böse keine sachgerechte und den Lebenssituationen
der einzelnen Verbraucher entsprechende Verbraucher-
information möglich ist.

Wenn die Ampel an der Kreuzung Rot zeigt, sagt die
Straßenverkehrs-Ordnung, dass jeder stehen bleiben
muss. Die Nährwertampel ist gerade nicht so eindeutig
wie die Verkehrsampel. Die Ampelkennzeichnung bei
Lebensmitteln ist anders als im Straßenverkehr nicht
klar: Rot, Gelb und Grün auf Lebensmitteln würde im
Straßenverkehr gleichzeitiges Bremsen, Kuppeln und
Gasgeben bedeuten. Und sollte etwa das Matjesfilet, das
wegen des hohen Fett- und Kaloriengehalts zwei rote
Punkte tragen würde, im Regal liegen bleiben? Wo
bleibt die Information, dass der hohe Gehalt an ungesät-
tigten Fettsäuren Matjes als ein besonders gesundes
Produkt auszeichnet? Wer nur als Grün gekennzeichnete
Lebensmittel zu sich nehmen wollte, würde schwere
Mangelerscheinungen in Kauf nehmen. Das kann doch
niemand wollen.

Als Motivation für die Nährwertampel wird immer
wieder genannt, dass zunehmend mehr Menschen und
gerade auch Kinder Übergewicht haben. Das ist in der

Tat ein Problem. Aber wir beobachten nicht nur eine Ge-
wichtszunahme. Essstörungen wie Bulimie und Mager-
sucht sind vor allem bei jungen Frauen, mittlerweile
aber auch bei jungen Männern weit verbreitet. Nach ei-
ner Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2006
hat jedes dritte Mädchen von 11 bis 17 Jahren Essstö-
rungen und Krankheiten wie Magersucht, Ess-Brech-
Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen im gleichen Alter sind
es immerhin 15,2 Prozent. Dieses gesamtgesellschaftli-
che Problem ist nicht durch eine mit Farben unterlegte
Kennzeichnung, die die rationale Information über
Nährwertgehalte durch farbliche Unterlegung emotio-
nalisiert, in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil, ge-
rade für Menschen mit krankhaften Essstörungen birgt
die Nährwertampel eine erhebliche Gefahr der Fehlori-
entierung. Eine Nährwertkennzeichnung muss jedoch
allen Menschen Information und Orientierung geben.

Nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
hat sich gegen die Nährwertampel ausgesprochen, son-
dern auch die Lebensmittelwirtschaft. Dies wurde von
den Befürwortern der Nährwertampel sogleich als Lob-
byismus gebrandmarkt. Zwei plus zwei ist vier, jeder
weiß das. Ist diese wahre Aussage automatisch dann
falsch, wenn ein Lobbyist sie bestätigt? Mir haben die
von mir persönlich angeschriebenen Krankenkassen
keine wissenschaftliche Studie nennen können, die be-
legt, dass die Nährwertampel die Gesundheit fördert.
Die Tatsache, dass Verbraucherverbände sich für die
Nährwertampel ausgesprochen haben, ist kein wissen-
schaftlicher Beleg dafür, dass sie die angesprochenen
Probleme lösen hilft.

In den beiden letzten Jahrzehnten ist das Durch-
schnittsgewicht der Kinder, der Anteil zu dicker Kinder
gestiegen. Besorgniserregend ist das Auftreten von Dia-
betes-Typ-2 bei Kindern, der früher erst im Alter auftrat.
Ändern wir dies durch rote Punkte auf der Bonbonpa-
ckung? Garantiert nicht. Das Bewegungsverhalten der
Menschen hat sich in den letzten Jahren verändert. Kin-
der spielen weniger draußen, sitzen mehr am Computer,
und auch Erwachsene bewegen sich wesentlich weniger
als früher. Ich habe vor wenigen Tagen einen Hunde-
besitzer gesehen, der im Auto vorneweg fuhr und seine
Hunde hinterherlaufen ließ. Die Menschen bewegen sich
zu wenig. Dies hat erhebliche negative Auswirkungen
auf ihre Gesundheit. Hier ist jeder Einzelne gefragt, um-
zudenken. Die negativen Folgen von Bewegungsmangel
können nur durch mehr Bewegung gemindert werden.
Deswegen verfolgt beispielsweise die Plattform „Ernäh-
rung und Bewegung“ den richtigen Ansatz.

Die polarisierte Diskussion um die Nährwertampel
verdrängt völlig, dass der Bewegungsmangel für sehr
viele gesundheitliche Probleme verantwortlich ist. Die
gesundheitlichen Folgen der Bewegungsarmut vieler
Menschen können nur zu einem sehr geringen Teil durch
eine angepasste, das heißt energieärmere Ernährung
aufgefangen werden. Es ist bedauerlich, dass viele Ver-
bände, die es besser wissen müssten, zur Durchsetzung
einer populistischen Position eine solche Fehlorientie-
rung zum Schaden der Menschen in Kauf nehmen.

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)


Die FDP tritt ein für eine sachliche Nährwertkenn-
zeichnung ohne farbliche Bewertung, wie sie inzwischen
auf sehr vielen Lebensmitteln zu finden ist. Für eine
wirksame Bekämpfung von Fehlernährung sind zudem
Ernährungswissen und Ernährungsbildung, eine ausge-
wogene Ernährung sowie ausreichende Bewegung und
Sport notwendig. Initiativen wie das Schulobstprogramm
oder der „Ernährungsführerschein“ der Landfrauen
helfen dabei.

Im Übrigen sollte nicht vergessen werden: Wir essen
nicht nur, um die notwendige Kalorienaufnahme zu täti-
gen. Essen ist Kultur. Freude über ein gutes Essen stärkt
das Wohlbefinden, ist also gesund. Rote Punkte auf der
Verpackung leisten hierzu keinen Beitrag.


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704930200

Die Absage des EU-Parlaments an eine verpflich-

tende Nährwertampel steht im Widerspruch zu den Wün-
schen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese
wollen Nährwertangaben, die mit den Farben Grün,
Gelb oder Rot unterlegt sind, um auf den ersten Blick
versteckte Dickmacher und Schummelwerbung entlar-
ven zu können.

Ohne Frage: Die Lebensmittellobby hat sich gegen
die Interessen der Menschen durchgesetzt. Dazu war ihr
fast jedes Mittel recht: Verbraucherinnen und Verbrau-
cher wurden für dumm verkauft, Öffentlichkeit und Poli-
tik mit einer beispiellosen Gegenkampagne überzogen.
Geradezu unerträglich ist es aber, dass an Magersucht
leidende Menschen herhalten mussten, um gegen eine
nachvollziehbare Kennzeichnung von Lebensmitteln
Stimmung zu machen.

Bemerkenswert ist auch die Rolle der Bundesregie-
rung. Sie gibt die Parolen der Ernährungsindustrie
teilweise im Wortlaut wieder – nachzulesen in den Sit-
zungsprotokollen des Ausschusses und den Antworten
auf Anfragen aus dem Parlament. Frau Aigner hat sich
nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit den Argumen-
ten der zahlreichen Gesundheitsexperten, Ärzten, Ver-
braucherschützern und der überwältigenden Mehrheit
in der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Eine derart
schamlose Klientelpolitik lassen wir Schwarz-Gelb nicht
durchgehen. Dass die Bundesregierung mit ihrer Hal-
tung gegen die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher handelt, möchte ich hier noch einmal ver-
deutlichen:

Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeiti-
ger Gelenkverschleiß sind unter anderem häufige Fol-
gen von Übergewicht. Nach Ansicht von Gesundheits-
experten, Ärzte- und Patientenverbänden, Krankenkassen
und Verbraucherschutzorganisationen ist fett- und zu-
ckerreiche Ernährung neben Bewegungsmangel eine
Hauptursache.

Schlecht lesbare und unübersichtliche Angaben, ins-
besondere bei kalorienreichen Fertiglebensmitteln, so-
wie eine damit einhergehende, oft irreführende Werbung
der Hersteller tragen ihren Teil dazu bei. Ein Zuviel an
Fett, Zucker und Salz muss häufig ausgleichen, was an-
dere Bestandteile im Fertiglebensmittel vermissen las-

sen: mehr Geschmack. Von der Lebensmittelindustrie
werden die Dickmacher also gezielt zur Absatzförderung
eingesetzt, da sie eine geschmacksanregende Wirkung
haben. Dem gilt es etwas entgegenzusetzen.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bele-
gen nun, dass die Nährwertampel am besten zu einer ra-
schen und richtigen Beurteilung von Produkten und
damit zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung
beiträgt. Die Angaben beziehen sich einheitlich auf
100 Gramm oder 100 Milliliter, damit alle Produkte mit-
einander vergleichbar sind. Mithilfe des Ampelmodells
können Verbraucherinnen und Verbraucher die Zusam-
mensetzung der Nährwerte eines Lebensmittels auf den
ersten Blick richtig einschätzen und auch irreführende
Werbung umgehen.

Die Mehrheit der Deutschen spricht sich für eine
farbliche Gestaltung von Nährwertangaben aus, wie
eine Meinungsumfrage im Auftrag des Bundesministe-
riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz zeigt. Nach einer repräsentativen Umfrage des
AOK-Bundesverbandes und des Berufsverbands der
Kinder- und Jugendärzte wollen über 90 Prozent der El-
tern die Nährwertampel. Eine aktuelle Studie der Fach-
hochschule Münster verdeutlicht: Eine Ampelkennzeich-
nung führt zu einer besseren Einschätzung des Zucker-
und Kaloriengehaltes und zu richtigen Produktverglei-
chen.

Die Nährwertampel trägt demnach am besten zu ei-
ner richtigen und raschen Beurteilung von Produkten
durch die Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Die
Gehalte von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und
Salz werden dabei auf der Vorderseite der Lebensmittel-
verpackung angegeben und entsprechend der Menge
jeweils farblich unterlegt: grün für „gering“, gelb für
„mittel“ und rot für „hoch“.

Die Linke fordert deshalb zusätzlich zur unbefriedi-
genden EU-Entscheidung in Deutschland die Einfüh-
rung der Nährwertampel. Die Brüsseler Regelung ge-
steht den Einzelstaaten weitere Kennzeichnungen bei
Lebensmitteln zu, sofern diese den EU-Vorgaben nicht
widersprechen. Die Bundesregierung kann der Lebens-
mittelindustrie dazu Vorgaben machen. Verbraucher-
ministerin Aigner hat damit die Möglichkeit, sich aus
der Umarmung der Lebensmittellobby zu lösen. Mit der
Ampelkennzeichnung würde sie den Verbraucherinnen
und Verbrauchern beim Einkauf eine klare und nachvoll-
ziehbare Information an die Hand geben.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704930300

Gegen jede gesundheits- und ernährungspolitische

Vernunft lehnt die schwarz-gelbe Koalition die Ampel-
kennzeichnung weiter ab. Die Haltung von CDU, CSU
und FDP hier wie im Europäischen Parlament zeigt:
Die 1 Milliarde Euro, die sich die Lebensmittellobby
ihre Kampagne für ihr Kennzeichnungsmodell hat kos-
ten lassen, war aus Sicht der Industrie gut investiertes
Geld. Die Abgeordneten haben sich dem Druck von
Kellogg’s, Nestlé und Co. gebeugt. Das Nachsehen ha-
ben die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Zu Protokoll gegebene Reden





Ulrike Höfken


(A) (C)



(D)(B)


Die Entscheidung wird sich als ernährungspoliti-
scher Bumerang erweisen. Die dramatische Zunahme
der Zahl ernährungsbedingter Krankheiten, die uns in-
zwischen 100 Milliarden Euro jährlich kostet, wird sich
fortsetzen. Die Hersteller schmeißen weiter ihre Kalori-
enbomben auf den Markt und tun so, als seien dies sport-
liche Fitnessprodukte. Besonders gut zu beobachten ist
das gerade jetzt zur Fußballweltmeisterschaft. Da wird
zum Beispiel die Milka Alpenmilch-Haselnuss-Schoko-
lade in einer zweigeteilten Packung – 1. Halbzeit und
2. Halbzeit – verkauft. In 90 Minuten verzehrt der
Zuschauer 80 Gramm Schokolade. Die Nährwertanga-
ben beziehen sich jedoch auf eine Miniportion von
25 Gramm, wodurch der Nährwertgehalt entsprechend
niedrig erscheinen soll. Ohnehin wird kaum ein Fan ne-
ben dem Spiel das Kleingedruckte lesen.

Wir fordern – wieder und immer noch, zusammen mit
Krankenkassen, Ärzten und Elternverbänden – die Ein-
führung der Lebensmittelampel als einfaches, verbrau-
cherfreundliches Kennzeichnungssystem. Noch steht die
Abstimmung im Ministerrat an. Das Argument, die Am-
pel verwirre die Menschen, ist fadenscheinig. Seit Jah-
ren macht die englische Kette Sainsbury’s vor, wie es
funktionieren kann. Alle Eigenprodukte sind dort mit der
Ampel gekennzeichnet. Das Einkaufsverhalten der Leute
hat sich nachweislich hin zu gesünderen Produkten
geändert. Und nicht nur das: Mittlerweile nutzt die Su-
permarktkette diese Erkenntnis auch umgekehrt für die
Produktion, das heißt, die Produktentwicklung prüft, ob
nicht der Salz-, Zucker- oder Fettgehalt in Produkten re-
duziert werden kann. Dies ist für uns ein Effekt, der be-
sonders wünschenswert ist. Die Produkte werden besser.

Der Trend zum Übergewicht konnte mit einem Bündel
an ernährungspolitischen Maßnahmen inzwischen nicht
nur in England, sondern zum Beispiel auch in den USA
gestoppt werden. Nur in Deutschland geht die Fehlent-
wicklung munter weiter, weil die geeigneten politischen
Maßnahmen fehlen. Die Ministerin belässt es bei Appel-
len. Frau Aigner, haben Sie den Supermarkt gesehen,
der nach Ihrer Aufforderung die Süßigkeiten von den
Kassen weggeräumt hat und jetzt die Gurken und Toma-
ten dort auftürmt?

Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine
Ernährungs- und Verbraucherpolitik zu machen, die ih-
ren Namen verdient: Setzen Sie sich im Ministerrat für
die verbindliche Ampelkennzeichnung und Werbever-
bote für Süßigkeiten im Umfeld von Kindersendungen
und einen Verkaufsstopp von Softdrinks in Schulen ein.
Wälzen Sie den flächendeckenden Ausbau der Kinder-
garten- und Schulernährung nicht auf die Länder ab,
sondern gehen sie über ein Bund-Länder-Aktionspro-
gramm mit in die Verantwortung und Finanzierung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704930400

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/2120 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist das so beschlossen.

Zusatzpunkt 4: Der Ausschuss für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner

Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2185, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 17/1987 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die
Koalitionsfraktionen und Ablehnung der Oppositions-
fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:

29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufhebung der Haushaltssperre und Weiter-
führung des Marktanreizprogramms und der
nationalen Klimaschutzinitiative zur Förde-
rung erneuerbarer Energien

– Drucksache 17/2007 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Marktanreizprogramm und nationale Klima-
schutzinitiative fortsetzen

– Drucksache 17/2119 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Die folgenden Kolleginnen und Kollegen haben ihre
Reden zu Protokoll gereicht: Bernhard Schulte-
Drüggelte, Bettina Kudla, Sören Bartol, Heinz-Peter
Haustein, Michael Leutert und Oliver Krischer.


Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU):
Rede ID: ID1704930500

Mit dem Marktanreizprogramm werden Anlagen zur

Gewinnung erneuerbarer Energien zur Wärmenutzung
gefördert. Dies ist im Interesse einer zukunftsfähigen
und nachhaltigen Energieversorgung und des Klima-
schutzes. Es werden Investitionskostenzuschüsse für So-
larkollektoranlagen zur Warmwasserbereitung und Hei-
zungsunterstützung, kleinere Anlagen zur Verbrennung
fester Biomasse und effiziente Wärmepumpen gewährt.
Das Marktanreizprogramm ist eine Erfolgsgeschichte.
Allein im Jahr 2009 wurden gut 253 000 Investitionszu-
schüsse vergeben. Die Bundesregierung hat dafür
374 Millionen Euro aufgewendet. Des Weiteren wurden
2 100 Förderkredite in Höhe von 300 Millionen Euro zu-
gesagt. Mit diesen Darlehen und Zuschüssen wurden
insgesamt 3 Milliarden Euro Investitionen ausgelöst.
Bundesumweltminister Röttgen hat im Berichterstatter-
gespräch am 17. Mai 2010 noch einmal auf den Erfolg
des Marktsanreizprogramms hingewiesen. Mit jedem
staatlich geförderten Euro werden circa 8 Euro private
Investitionen ausgelöst. Damit ist dieses Programm das
erfolgreichste Investitionsprogramm der Bundesregie-





Bernhard Schulte-Drüggelte


(A) (C)



(D)(B)


rung. Zudem erfolgen nahezu 90 Prozent der Wertschöp-
fung in Deutschland.

Die Berichterstatter des Einzelplans 16 im Haus-
haltsausschuss setzen sich für eine Fortführung und Ver-
stetigung dieses Programms ein. In den letzten Jahren
ist in vielen Bereichen eine Verstetigung von klimaschüt-
zenden Programmen gelungen. Dazu zählt auch das
Marktanreizprogramm. Die Mittel für die Förderung der
erneuerbaren Energien wurden kontinuierlich aufge-
stockt. Damit wurde deutlich: Die Investoren und Hand-
werksbetriebe haben Planungssicherheit. Planungssi-
cherheit bedeutet aber nicht, dass dieses Programm bei
der anstehenden Konsolidierung des Bundeshaushalts
unangetastet bleiben soll. Wichtig ist allerdings ein ein-
deutiges und klares Signal über die Höhe der Förderung
in den folgenden Jahren.

Das Programm ist gut für den Klimaschutz, es schafft
Arbeitsplätze in Deutschland und hilft unserem Land,
die internationale Vorreiterrolle im Bereich der erneuer-
baren Energietechnik zu sichern und auszubauen.

Aus diesem Grund hatte ich bereits in der Debatte
zum Haushalt 2010 Bedenken hinsichtlich einer Sperre
und der Verknüpfung mit den Erlösen aus dem CO2-Zer-
tifikateverkauf. Im Zuge der Beratungen konnte erfreuli-
cherweise eine Veranschlagung der Einnahmen aus dem
Verkauf der Emissionszertifikate im allgemeinen Haus-
halt erreicht werden. Alle Einnahmen aus dem Handel
mit CO2-Emissionszertifikaten stehen nun dem Gesamt-
haushalt zur Verfügung. Das ist eine gute Vorbedingung
für nachhaltigen Klimaschutz, unabhängig von kurzfris-
tigen Preisschwankungen an den Emissionshandelsbör-
sen.

Aus diesem Grund befürworte ich nun auch die Auf-
hebung der Sperre beim Titel „Förderung von Einzel-
maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien“. Hier
sind Ausgaben in Höhe von 115 Millionen Euro für das
laufende Jahr gesperrt.

Laut Auskunft des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit sind schon jetzt von
den verfügbaren rund 333 Millionen Euro, die auf das
Marktanreizprogramm entfallen, circa 265 Millionen
Euro gebunden.

Es wird deutlich, dass zur Sicherstellung einer konti-
nuierlichen Bewirtschaftung des Marktanreizprogramms
die Aufhebung der Sperre angezeigt ist. Investitionszu-
schüsse für Solarkollektoren, Anlagen zur Verfeuerung
fester Biomasse und effizienter Wärmepumpen sind ge-
fährdet. Die Sperre steht einer kontinuierlichen Veraus-
gabung der Mittel entgegen und führt zur Verunsiche-
rung bei geplanten Investitionen. Daher hoffe ich sehr,
dass das Bundesministerium der Finanzen dem Haus-
haltsausschuss noch vor der parlamentarischen Som-
merpause eine entsprechende Vorlage zur Entsperrung
der Mittel vorlegt.


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1704930600

Zum Sachverhalt: Der Haushaltsausschuss des Deut-

schen Bundestages hat im Rahmen der Haushaltsbera-
tungen 2010 im März 2010 eine Haushaltssperre über

das Marktanreizprogramm und die nationale Klima-
schutzinitiative zur Förderung erneuerbarer Energien
verhängt. Von der Sperre betroffen sind 115 Millionen
Euro des Bundeshaushaltes 2010. Der Haushaltsansatz
für dieses Programm insgesamt beträgt 448 Millionen
Euro. Aufgrund der mehreren Tausend Anträge sind be-
reits 333 Millionen Euro an Fördergeldern gebunden.
Diese generieren ein Investitionsvolumen von rund
1 Milliarde Euro bis April 2010. Mit dem vorliegenden
Antrag fordert die Fraktion der Grünen, dass der Bun-
destag sich grundsätzlich zu dem Marktanreizprogramm
und der nationalen Klimaschutzinitiative bekennt und
dass die Haushaltssperre umgehend wieder aufgehoben
wird. Hierzu ist Folgendes zu sagen: Die christlich-libe-
rale Koalition steht zu ihren im Koalitionsvertrag
festgelegten, ehrgeizigen Klimazielen. Zur Umsetzung
dieser Klimaziele sind regenerative Energien unver-
zichtbar. Diese sollten auch gefördert werden. Gleich-
wohl ist die Bundesregierung in der Verantwortung, mit
den öffentlichen Mitteln sparsam und wirtschaftlich um-
zugehen. Insofern ist jeweils eine Abwägung zu treffen
zwischen dem, was gesetzlich notwendig ist, und dem,
was wünschenswerte Projekte sind. Der Haushalt 2010
weist eine Nettoneuverschuldung von über 80 Milliar-
den Euro aus. Dies ist eine bisher nie dagewesene
Größe. Das heißt, der Bund gibt über 80 Milliarden
Euro mehr aus, als er einnimmt. Aufgrund der Finanz-
und Wirtschaftskrise sind erhöhte Unsicherheiten ent-
standen, was die Prognose der Einnahmen und auch der
Ausgaben betrifft. Hinzu kommt, dass im Währungsraum
des Euro aufgrund der hohen Verschuldung der europäi-
schen Staaten zusätzliche Unsicherheiten im Hinblick
auf die Stabilität der Währung des Euro zu verzeichnen
sind. Im Mai 2010 wurde ein umfangreiches Rettungspaket
sowohl für den griechischen Staat als auch für die ge-
samte Euro-Zone beschlossen. Die europäischen Staaten
sind daher ganz besonders gefragt, ihre öffentlichen
Haushalte zu konsolidieren. Dies bedeutet, dass die
Bundesregierung und sämtliche Fachministerien im
Haushaltsvollzug darauf achten müssen, dass möglichst
wenig Geld der entsprechenden, im Haushalt vorgesehe-
nen Ausgaben verbraucht wird. Diesem Zweck dient
eine Haushaltssperre. Die Haushaltssperre hat zur
Folge, dass das Bundesfinanzministerium die Ausgaben
nochmals einer exakteren Überprüfung hinsichtlich ih-
rer Notwendigkeit unterzieht. Öffentliche Haushalte,
über die eine Haushaltssperre verhängt wurde, geben in
der Regel wesentlich weniger aus als geplant. Die Haus-
haltssperre ist also ein Instrument, die Ausgaben zu sen-
ken. Im Hinblick auf eine hohe Verschuldung ist daher
eine Haushaltssperre notwendig und gerechtfertigt. Der
Haushaltsausschuss hat auch deshalb die Haushalts-
sperre verhängt, weil bereits zu Beginn des Jahres 2010
erkennbar war, dass die Planansätze der Einnahmen
nicht erfüllt werden können. Ursache dafür sind Einnah-
meausfälle für den Bund aus dem Handel mit CO2-Zerti-
fikaten. Es ist daher vernünftig, auf diese Einnahmeaus-
fälle auch entsprechend zu reagieren. Zu beachten ist
jedoch ein Vertrauensschutz gegenüber den Bürgern.
Auf die Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben hat der
Bürger einen Anspruch. Diese Ausgaben müssen auch
jeweils bei einer Haushaltssperre geleistet werden. Bei

Zu Protokoll gegebene Reden





Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)


freiwilligen Aufgaben, wie zum Beispiel bestimmten
Förderprogrammen oder -initiativen, besteht diese ge-
setzliche Verpflichtung nicht. Folglich besteht ein Spiel-
raum, diese Ausgaben zu kürzen. Bei einer möglichen
Kürzung sollte berücksichtigt werden, welchen Mehr-
wert diese Ausgabe hat. Damit meine ich den entspre-
chenden Multiplikatoreffekt für Investitionen.

Auch sollte Bürgern und Unternehmen möglichst Pla-
nungssicherheit gegeben werden, das heißt, entspre-
chende Förderprogramme sollten nicht kurzfristig weg-
fallen, was bei einer Haushaltssperre unter Umständen
gegeben ist. Allerdings ist allgemein bekannt, dass bei
Förderprogrammen, die auf ein bestimmtes Volumen be-
grenzt sind, die Antragssteller keine Sicherheit haben,
ob ihrem Antrag wirklich stattgegeben wird. Kritiker an
dem Instrument der Haushaltssperre sollten daher in
Zeiten hoher Verschuldung auch akzeptieren, dass
Haushaltsansätze bei Aufstellen neuer Haushalte ver-
ringert werden. Hiermit richte ich meinen Blick insbe-
sondere auf das Haushaltsjahr 2011 und auf das von der
Bundesregierung vorgelegte Sparpaket. Dies sollten wir
uns alle vor Augen führen. Es ist immer eine Abwägung
zu treffen, ob es vertretbar ist, eine Ausgabe auf Kosten
der nachfolgenden Generationen zu finanzieren und
Schulden aufzunehmen, oder ob man nicht andere Wege
suchen muss, den gewünschten Förderzweck zu errei-
chen, aber ohne sich zu verschulden. Diese Möglichkeit
sehe ich bei dem vorliegenden Marktanreizprogramm
und der Klimaschutzinitiative durchaus. In den ersten
vier Monaten dieses Jahres wurden allein 82 000 För-
deranträge bewilligt, für Solarkollektoren, Biomasse-
heizungen, Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung.
Das Förderprogramm hat also bereits erheblich dazu
beigetragen, Privatpersonen und Unternehmen zu In-
vestitionen in den Klimaschutz zu veranlassen. Es be-
steht für die Bürger selbst ein Anreiz, entsprechende kli-
maschutzfreundliche Investitionen vorzunehmen, sie
sparen dann langfristig Energiekosten. Dies sollte man
im Blick haben bevor man Geld des Steuerzahlers aus-
gibt, das eigentlich gar nicht vorhanden ist. Vor dem
Hintergrund der hohen Verschuldung des Bundes und
der Möglichkeit, entsprechende Investitionen durch Pri-
vate selbst vorzunehmen, würde ich das Beibehalten der
Haushaltssperre begrüßen. Geld, das nicht vorhanden
ist, kann auch nicht mit vollen Händen ausgegeben wer-
den. Ich wünsche der Bundesregierung weiterhin viel
Mut bei der Kürzung von Ausgaben und bei der Aufstel-
lung des Bundeshaushaltes 2011.


Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1704930700

Das Marktanreizprogramm und die nationale Klima-

schutzinitiative: Man muss kein Prophet sein, um vor-
herzusagen, dass diese Themen uns immer wieder be-
schäftigen werden, bis in der Sache die richtige
Entscheidung getroffen ist; denn mittlerweile dürfte es
allen hier im Hause klar sein: Die Auswirkungen der
Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm sind so
weitreichend und negativ, dass wir im Bundestag die
Sperre nicht einfach so stehen lassen und zur Tagesord-
nung übergehen können. Wir alle haben eine große
Anzahl an Schreiben von den von den Auswirkungen Be-
troffenen erhalten. Da sind die Antragsteller von Förde-

rungen: In laufenden Maßnahmen werden ihnen unver-
mittelt Finanzierungsanteile gestrichen. Der Fortgang
und die Vollendung ganzer Baumaßnahmen sind da-
durch infrage gestellt. Sie sehen ihr Vertrauen in die
Maßnahmen des Bundes zutiefst verletzt. Da sind die
Handwerker und kleinen Firmen, die fest mit Aufträgen
und Lieferungen gerechnet haben, und denen diese von
jetzt auf gleich wegen der fehlenden Förderung wegbre-
chen und deren Betriebspersonal dadurch plötzlich nicht
mehr ausgelastet ist. Auch hier: Vertrauen zerstört,
Existenzen bedroht.

Genauso stark betroffen: die Umwelt. Hier kann man
die Hoffnung auf einen raschen, nachhaltigen Umstieg
mit wirksamer Veränderung der CO2-Bilanz begraben.
Und das, da wir alle wissen, dass es in Sachen Klima-
veränderung ab einem gewissen Punkt keine Möglich-
keit mehr gibt, die Dinge umzukehren und Schäden zu
reparieren. Dies alles wissen wir. Wir wissen es jetzt,
nach dem Wirksamwerden der Haushaltssperre beim
Marktanreizprogramm. Wir alle wussten es aber bereits
vorher. Schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts
2010 haben wir das hier in diesem Hause angesprochen,
auch die verehrten Kollegen aus den Reihen der Koali-
tion, mit dem Ergebnis, dass wir gemeinsam die vorgese-
hene Haushaltssperre nicht beschlossen haben. Wir ha-
ben bei der zweiten Lesung des Haushalts versucht, eine
erneute Sperrung zu verhindern. Dabei waren sich die
mit der Sache Betrauten fraktionsübergreifend einig,
wie kontraproduktiv eine solche Haushaltssperre ist.
Durchgesetzt haben sich andere mit anderen Motivatio-
nen. Und ausgelöst hat es die eben angeführten Auswir-
kungen destruktiver Art.

Im Haushaltsausschuss haben die Vertreter von SPD,
Grünen und Linken am 29. April 2010 umgehend einen
gemeinsamen Antrag gestellt und die Bundesregierung
aufgefordert, die Aufhebung der Haushaltssperre zu be-
antragen. Zur Begründung haben wir bereits dort aus-
geführt, dass eine Unterbrechung der Programme der
Bedarfssituation und den Zielen der Klimaschutzinitia-
tive nicht gerecht würde. Denn durch die Sperre sind
unter anderem die Investitionszuschüsse für Solarkollek-
toren, Anlagen zur Verfeuerung fester Biomasse bis
100 Kilowatt und effiziente Wärmepumpen gefährdet, da
schon der ursprüngliche Ansatz mit 291,3 Millionen
Euro um fast ein Viertel unter dem Betrag lag, der 2009
in Höhe von 374,3 Millionen Euro nachgefragt und be-
willigt wurde. Sie sehen, es waren und sind die gleichen
Argumente, die auch heute in der Debatte von Bedeu-
tung sind und die den Bundesrat zu seiner Entscheidung
bewogen haben.

Darüber hinaus haben wir in dem Antrag vom
29. April 2010 auch darauf hingewiesen, dass die Bin-
dung der Haushaltssperre an das Erreichen der Ziel-
marke von Einnahmen aus der Veräußerung von Emis-
sionszertifikaten in Höhe von 815 Millionen Euro mit
dem Haushaltsgrundsatz der Bruttoveranschlagung und
dem Prinzip der Gesamtdeckung nicht vereinbar ist.
Dies ist ein haushaltssystematischer Beleg dafür, dass
die Haushaltssperre nicht begründet und deshalb aufzu-
heben ist. Dieser Antrag ist bis heute im Haushaltsaus-
schuss nicht abschließend behandelt, da die Koalition

Zu Protokoll gegebene Reden





Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)


mit den unterschiedlichsten Begründungen eine Ver-
schiebung durchgesetzt hat. Wohl will sie damit warten
bis zu dem fernen Tag, an dem die Vertreterinnen und
Vertreter der Koalition wissen, was sie dazu meinen.

Wenn wir uns heute im Bundestagsplenum auf der Ba-
sis der Entschließung des Bundesrates erneut mit dem
Thema befassen, dann ist dabei zu konstatieren, dass der
Bundesrat sich mehrheitlich den Argumenten der Geg-
ner der Haushaltssperre angeschlossen hat, wie auch
ich sie in den Beratungen zum Haushalt vorgetragen
habe. Das belegt erneut die Stichhaltigkeit dieser Argu-
mente ebenso wie die Notwendigkeit zur Aufhebung der
Haushaltssperre. Heute, nach den Beschlüssen der Bun-
desregierung zum Sparen bei künftigen Haushalten,
müssen wir den Argumenten zur Aufhebung der Haus-
haltssperre noch ein weiteres hinzufügen: In der „Süd-
deutschen Zeitung“ vom 8. Juni 2010 wird in dem Arti-
kel „Schlechtes Klima“ ein Gutachten zitiert, nach dem
jeder Euro Förderung aus dem Programm 6 Euro Inves-
titionen bewirkt. Das zeigt, dass das Marktanreizpro-
gramm wirksamer als manch ein Konjunkturförderungs-
programm ist.

Allein durch die Mehrwertsteuer nimmt der Herr Fi-
nanzminister für jeden ausgegebenen Euro bei den re-
sultierenden Investitionen 1,04 Euro ein. Dazu kommen
Steuereinnahmen an anderer Stelle im Steuersystem wie
bei der Einkommensteuer oder der Gewerbesteuer. Da-
mit sind diese resultierenden Einnahmen höher als das
eingesetzte Förderkapital. Womit die Aufhebung der
Haushaltssperre ein aktiver Beitrag zum Verringern des
Haushaltsdefizits ist. Deshalb ist dieser Schritt umge-
hend geboten: aus den dargelegten fiskalischen Überle-
gungen, aus den bekannten umweltpolitischen Beweg-
gründen und nicht zuletzt aus dem angesprochenen
Vertrauensschutz für die Investoren und Gewerbetrei-
benden. Und deshalb haben wir Sozialdemokraten einen
Antrag vorgelegt, in dem wir zum wiederholten Male die
Aufhebung der Sperre fordern. Wir hoffen, dass die Bun-
desregierung sich umgehend zu seiner Umsetzung ent-
schließt.


Heinz-Peter Haustein (FDP):
Rede ID: ID1704930800

Ich könnte es mir leicht machen und zu Protokoll ge-

ben, dass der Antrag der Grünen, der hier zur Debatte
steht, bereits erledigt sei; denn die Grünen sind wieder
einmal nicht auf der Höhe der Zeit. Doch lassen Sie
mich an dieser Stelle noch einmal darstellen, worum es
in den letzten Wochen ging, als die Aufhebung der Haus-
haltssperre diskutiert wurde, und warum die Haltung
meiner Fraktion die einzig richtige war und ist; denn so
einfach, wie es sich die Grünen hier machen, ist staatli-
che Verantwortung nicht! Es gibt einen Zusammenhang
zwischen Ausgaben des Marktanreizprogramms (MAP)

und den Einnahmen des Zertifikatehandels. Die Einnah-
men aus dem Zertifikatehandel sollten für das MAP ver-
wendet werden. Ziel und Zweck beim Marktanreizpro-
gramm während der Beratungen zum Bundeshaushalt
2010 war es, einen Teil der Haushaltsmittel zu sperren,
bis man die Einnahmesituation beim Emissionszertifika-
tehandel im Jahresverlauf besser beurteilen kann. Hier
bestanden aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen

– vor allem im Zuge der Wirtschaftskrise – noch große
Unwägbarkeiten, und sie bestehen auch weiterhin. An-
gesichts der auch heute noch herrschenden extremen
Prognoseunsicherheit über die Erlösentwicklung bei der
Veräußerung der Emissionszertifikate konnte nicht aus-
geschlossen werden, dass im schlechtesten Fall eine um
den entsprechenden Betrag höhere Verschuldung ein-
tritt, was angesichts der Staatsverschuldung unbedingt
zu vermeiden ist. Insofern wäre die Sperre aus haus-
haltspolitischer Sicht nach wie vor aufrechtzuerhalten.
Und nichts, gar nichts wäre daran falsch. Das muss ich
als Haushälter hier auch in aller Deutlichkeit sagen;
denn bei den Mitteln für das Marktanreizprogramm han-
delt es sich um eine Subvention. Und bei Subventionen
reichen die zur Verfügung gestellten Mittel ohnehin nie-
mals aus, um die Nachfrage, die besteht, oder die Nach-
frage, die überhaupt erst durch die Subvention entsteht,
zu befriedigen. Das war beim MAP auch im vergange-
nen Jahr schon so. Nur durch Verwendung anderer
Haushaltsmittel konnten weitere Anträge genehmigt
werden. Wenn nun in diesem Jahr die verfügbaren Mittel
aufgrund der Antragsflut erschöpft sind, dann ist das
nur der Eintritt des Falls, der bereits im vergangenen
Jahr absehbar war. Im Übrigen werden die Mittel nach
Einschätzung der Experten im BMU auch nach Aufhe-
bung der Sperre absehbar im Jahresverlauf nicht rei-
chen, um die Nachfrage nach Förderung zu stillen.

Insofern werden diejenigen, die schon immer verant-
wortungslos nach Aufhebung der Haushaltssperre ver-
langt haben, ohne zu erklären, woher die Mittel kommen
sollen, wenn eine höhere Staatsverschuldung ausge-
schlossen ist, auch jetzt nicht zufrieden sein. Sie werden
verantwortungslos noch mehr Subventionen fordern und
bereitwillig eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen.
Auf der einen Seite die hohe Verschuldung des Bundes
kritisieren, gleichzeitig aber sehenden Auges ohne Ge-
genfinanzierung beim MAP in eine höhere Verschuldung
laufen – das sage ich in Richtung von SPD und Grünen –,
ist widersprüchlich. Diesen Widerspruch sollten Sie in
Ihren eigenen Reihen klären. Wer derartig agiert, be-
treibt keine verantwortungsvolle und vor allem keine
nachhaltige Politik, wie Sie es gerade von den Grünen
gerne für sich reklamieren. Trotz der haushaltspoliti-
schen Notwendigkeiten und unter Berücksichtigung der
schwierigen Finanzlage infolge der größten Finanzkrise
in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich die FDP
von Anfang an um eine sachgerechte Lösung in der
Frage bemüht. Die Vorlage zur Entsperrung der Haus-
haltsmittel lag einige Zeit beim Bundesministerium der
Finanzen. Verantwortlich für die Verzögerung bei der
Zuleitung der Vorlage an den Bundestag war die Suche
nach einer Gegenfinanzierung für die Mittel, da, wie ge-
schildert, auch derzeit die Einnahmesituation beim Zer-
tifikatehandel kaum seriös prognostizierbar ist. Wir als
FDP haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die
betroffenen Programme insbesondere für das Handwerk
die Grundlage für Auftragsvergaben in erheblichem
Umfang sind, was angesichts der wirtschaftlichen Lage
besondere Bedeutung gewinnt. Die nachgewiesenen
Multiplikatoreneffekte erreichen gerade im Markt-
anreizprogramm eine Größenordnung von 1 : 7, was
eine exzellente Multiplikatorwirkung ist. Nicht verges-

Zu Protokoll gegebene Reden





Heinz-Peter Haustein


(A) (C)



(D)(B)


sen werden sollte, dass es der frühere SPD-Umwelt-
minister Sigmar Gabriel gewesen ist, der die Keimzelle
für die aktuellen Probleme gelegt hat. Es war seine Ent-
scheidung, die Ausgaben des Marktanreizprogramms an
die Versteigerungserlöse des CO2-Emissionshandels zu
koppeln. Diese Erlöse brechen in der Wirtschaftskrise
nun ein. Dass der Mittelstand einer solchen Planungs-
unsicherheit mit all den jetzt zu besichtigenden Folgen
unterworfen ist, ist von Herrn Gabriel zu verantworten.
Dass das BMF die Vorlage zur Entsperrung der Haus-
haltsmittel in voller Höhe nun dem Parlament zuleiten
und der Haushaltsausschuss Anfang Juli darüber ent-
scheiden und die Aufhebung der Sperre beschließen
wird, ist aus wirtschaftspolitischer und mittelstandspoli-
tischer Sicht richtig, um Investitionen zu ermöglichen
und Arbeitsplätze zu sichern. Dass die Entsperrung erst
nach erfolgter Gegenfinanzierung der Ausgaben in Ver-
antwortung für dieses Land erfolgt, ist Verdienst und
Kennzeichen dieser Bundesregierung.


Michael Leutert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1704930900

Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Ener-

gien, über das wir heute reden, und die nationale Klima-
schutzinitiative stehen für die wenigen Beispiele, bei de-
nen ökologische und ökonomische Ziele zusammen
erfolgreich angestrebt und erreicht werden. Dies bele-
gen die Zahlen. Allein im Jahr 2009 wurde über eine
viertel Million Investitionszuschüsse mit einem Gesamt-
umfang von über 374 Millionen Euro gewährt und damit
Gesamtinvestitionen von circa 3 Milliarden Euro ausge-
löst.

Besonders für die ostdeutschen Bundesländer, in de-
nen von einem selbsttragenden Aufschwung nicht die
Rede sein kann, haben die Zukunftsindustrien auf die-
sem Sektor eine große Bedeutung. Die erneuerbaren
Energien sind einer der ganz wenigen Wachstumsberei-
che, in dem sowohl technisches Know-how als auch Ar-
beitsplätze neu und dauerhaft entstanden sind. Insofern
sind das Marktanreizprogramm und die Klimaschutzini-
tiative insgesamt auch ein Wirtschaftsförderprogramm,
welches nicht wie viele andere kurzlebige Subventions-
gräber geschaffen hat, sondern im Gegenteil zum Auf-
bau nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen beigetragen hat.

Ausgerechnet das Marktanreizprogramm mit einer
Haushaltssperre zu belegen, ist deshalb ökologischer
und ökonomischer Unfug. Es ist schlicht politisch falsch.
Die Linke wird aus diesem Grund dem Antrag der Grü-
nen zustimmen.

Zuletzt war zu hören, dass die Bundesregierung doch
noch vor der Sommerpause die Haushaltssperre für das
Marktanreizprogramm aufheben will. Einen solchen
Schritt würden wir natürlich begrüßen. Allerdings frage
ich mich, wie es um die Nachhaltigkeit des ganzen Pro-
grammes bestellt ist, wenn, wie ebenfalls zu hören war,
dafür einfach Mittel aus dem nächsten Haushalt vorge-
zogen werden. Dies ist nichts anderes als eine vorweg-
genommene Kürzung. Es bliebe damit bei der grundsätz-
lichen Infragestellung des Programms und zögert
dessen Abwürgen nur um ein paar Monate hinaus.

Um sowohl eine verlässliche Wirtschaftspolitik als
auch einen langfristigen Beitrag zum Klimaschutz zu
leisten, muss diese Politik der Ungewissheit, des Auf-
schiebens und Abwürgens erfolgreicher Programme ein
Ende haben. Neben der Senkung der Einspeisevergütung
für Solarstrom und den Kürzungen im Bereich der ener-
getischen Gebäudesanierung ist dies bereits der dritte
wichtige klimapolitische Bereich, welcher der Politik
der Regierung von CDU/CSU und FDP zum Opfer fällt
oder zu fallen droht. Doch auch der wirtschaftpolitische
Bereich hat erhebliche Dimensionen. Jeder Förder-Euro
mobilisiert 7 bis 10 weitere Euro, welche in die Anla-
geninvestitionen fließen. Direkt oder indirekt sichert das
Programm bis zu 10 000 Arbeitsplätze. Dies sind Zah-
len, an denen eine verantwortungsvolle und soziale
Politik, vor allem auch in Zeiten einer akuten Wirt-
schaftskrise, nicht einfach vorübergehen darf.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704931000

Das Marktanreizprogramm, MAP, ist – oder war,

muss man inzwischen wohl eher sagen – das Instrument
zur Förderung der erneuerbaren Energien im Wärmebe-
reich und für Mini-KWK und kommunale Klimaschutz-
projekte. Das MAP dient nicht nur dem Klimaschutz und
dem Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung,
sondern hat die Technologienentwicklung einer ganzen
Branche vorangebracht und Zehntausende Arbeitsplätze
in Deutschland geschaffen und gesichert.

Damit ein solches Programm auf Dauer erfolgreich
sein kann ist es wichtig, dass es zuverlässig für alle Be-
teiligten läuft. Denn nur stabile Rahmenbedingungen
schaffen Investitionssicherheit und damit Arbeitsplätze
in der heimischen Industrie und im Handwerk. Aber be-
reits seit Monaten verunsichert die schwarz-gelbe Bun-
desregierung die gesamte Branche, indem sie Antrag-
steller und Unternehmen über die Zukunft des MAP im
Unklaren lässt.

Das seit Monaten andauernde Hick-Hack um die Zu-
kunft des MAP – Finanzminister gegen Umweltminister,
CDU gegen FDP, CSU gegen CDU, alle gegen alle – ist
wie vieles andere auch sinnbildlich für den Zustand die-
ser Koalition. Man könnte sich amüsiert zurücklehnen,
wenn nicht die Zukunft einer ganzen Branche auf dem
Spiel stände; denn die verhängte Haushaltssperre in
Höhe von 115 Millionen Euro und die bereits erfolgten
Kürzungen der Mittel haben dazu geführt, dass seit ge-
raumer Zeit keine neuen Anträge mehr bewilligt wer-
den. Im Bereich der Mini-KWK erhalten Antragsteller
zum Teil jetzt die Ablehnung ihres Antrags, den sie im
August (!) 2009 gestellt haben. So stehen Zehntausende
von Investitionsvorhaben vor dem Aus. Handwerksbe-
triebe und Industrieunternehmen, die sich auf diese Be-
reiche spezialisiert haben, haben keine Aufträge mehr.

Dabei sollte die wirtschaftliche Bedeutung des MAP
eigentlich allen Beteiligten klar sein: Verschiedene Gut-
achten, auch des Bundesumweltministeriums, BMU, ha-
ben eindrucksvoll dargelegt, dass bis zu 8 Euro Investi-
tionen pro Förder-Euro ausgelöst werden. Es ist
schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass das so erfolgrei-
che MAP gestoppt wird. Denn durch das Förderpro-

Zu Protokoll gegebene Reden





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


gramm kommen erhebliche Steuereinnahmen zurück in
den Bundeshaushalt.

Die eingesetzten Haushaltsmittel bringen also einen
doppelten Gewinn: zum einen setzen sie nachhaltige An-
reize, einen Betrag zum Klimaschutz zu leisten. Zum an-
deren werden Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittel-
stand geschaffen und nachhaltig gesichert. Angesichts
der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele zum
Klimaschutz, zum Ausbau der erneuerbaren Energien
und der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland
benötigt die Branche bei der erneuerbaren Wärme und
der Mini-KWK nachhaltige Anreize wie das MAP.

Die von Ihnen erlassene Haushaltssperre, sehr ge-
ehrte Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- und
FDP-Fraktion, konterkariert diese Bemühungen. Sie
blenden offensichtlich aus, dass das MAP und die NKI
zusammengenommen in 2009 Investitionen in Höhe von
circa 3,75 Milliarden Euro ausgelöst haben. Diese In-
vestitionen fehlen in Deutschland jetzt und in Zeiten der
Wirtschafts- und Finanzkrise und kosten Zehntausende
Arbeitsplätze.

Die Auswirkungen dieser Politik bekommen auch die
Kommunen zu spüren. Zum Beispiel die NRW-Klima-
schutzkommune Saerbeck kann ihre ehrgeizigen Ziele
hin zu einer erneuerbare Energien und energieeffiziente
Verfahren nutzenden Gemeinde aufgrund des Förder-
stopps kaum noch verwirklichen. Diese Auswirkungen
für den Mittelstand und das Handwerk vor Ort sind ver-
heerend.

Seit mehreren Monaten haben wir immer wieder An-
fragen zur Zukunft des MAP an die Bundesregierung
gestellt. Doch klare Aussagen sind Sie uns und den An-
tragstellern und Unternehmen bis heute schuldig ge-
blieben. Es wird sich entweder hinter dem zu erarbei-
tenden Energiekonzept, den Mindereinnahmen durch die
CO2-Emissionszertifikate oder noch nicht abgeschlosse-
nen Beratungen – wahrscheinlich sind es eher Querelen,
was ja in Ihrer Regierung nichts Neues ist – zwischen
den einzelnen Bundesministerien und den Regierungs-
fraktionen versteckt. Diese fehlende Planungssicherheit
hat eine gesamte Branche stark verunsichert und ihr
Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik tief erschüt-
tert.

Das muss ein Ende haben, besser spät als nie. Selbst
Teile Ihrer eigenen Parteien auf Bundes- und Landes-
ebene stellen sich gegen Sie und fordern, dass die Hänge-
partei beim MAP eine Ende hat. So haben im Mai dieses
Jahres acht Landesumweltminister – auch der CDU – in
einem Brandbrief an Finanzminister Schäuble eine Auf-
hebung der Haushaltssperre für das MAP gefordert.

Das BMU hat sich ebenfalls in einem Brandbrief vor
wenigen Wochen an das BMF gewandt mit der Forde-
rung nach Freigabe der gesperrten Mittel. Auch von Ab-
geordneten der schwarz-gelben Koalition vernehme ich

immer wieder die Bereitschaft, sich für eine Aufhebung
der Sperre einzusetzen.

Nur fehlt uns bis jetzt der Glaube, dass es dazu dem-
nächst auch kommen wird. Ich kann mich noch sehr gut
an die Beteuerungen von Herrn Pfeiffer aus der CDU
oder Herrn Breil von der FDP auf verschiedenen Veran-
staltungen am Anfang dieses Jahres erinnern, dass das
Impulsprogramm zur Förderung von Mini-KWK fortge-
führt werde. Doch nur wenige Wochen später wurde das
Programm eingestellt.

Schließlich hat sich zudem der Bundesrat in seiner
Sitzung am 4. Juni 2010 nachdrücklich für eine Aufhe-
bung der Haushaltssperre beim MAP ausgesprochen.

Diesen Entschließungsantrag des Bundesrates, von
ihren Parteifreundinnen und -freunden mit verfasst und
beschlossen, stellen wir heute zur Abstimmung, um Ih-
nen gesichtswahrend eine Zustimmung und damit eine
Aufhebung der Haushaltssperre zu ermöglichen. Denn
den durch Ihr Regierungshandeln entstandenen Miss-
stand wollen wir korrigieren, und wir begrüßen die Ent-
schließung des Bundesrats zur weiteren Förderung er-
neuerbarer Energien aus dem MAP und der NKI.

Wir fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, auf, der Entschließung des Bundesrates, die
wir hier zur Abstimmung stellen, zuzustimmen und die
Haushaltssperre beim MAP unverzüglich aufzuheben,
auch wenn der Kollateralschaden durch die in den letz-
ten Monaten entstandene Verunsicherung von Investo-
ren und Unternehmen schon nicht mehr zu reparieren
sein wird.

Das MAP nützt nicht nur Handwerk und Mittelstand,
sondern hilft dem Klima und schafft nachhaltige Anreize
Energie zu sparen. Wachstumsbranchen wie die der er-
neuerbaren Energien benötigen Investitionssicherheit
und keine Hängepartien.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1704931100

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 17/2007 und 17/2119 an die Aus-
schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-
den, wobei die Vorlage auf Drucksache 17/2007 feder-
führend beim Haushaltsausschuss beraten werden soll. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos-
sen.

Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und den Ge-
nuss der gewonnenen Einsichten.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Freitag, den 18. Juni 2010, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.