Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Bitte nehmen Sie Platz, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema ihrer heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Einfüh-
rung einer Musterwiderrufsinformation für Ver-
braucherdarlehensverträge.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger. Bitte, Frau Ministerin.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat heute
auf meinen Vorschlag hin einen Gesetzentwurf beschlos-
sen, mit dem wir ein gesetzliches Muster dafür einfüh-
ren, wie Verbraucher bei Darlehensverträgen über ihre
Widerrufsrechte informiert werden können. Wir schaffen
Rede
damit Rechtssicherheit für die Kreditwirtschaft, und wir
stärken den Verbraucherschutz. Die Bundesregierung er-
füllt somit einen Auftrag des Deutschen Bundestages;
denn als im Sommer 2009 die Verbraucherkreditrichtli-
nie umgesetzt wurde, hat der Deutsche Bundestag die
Bundesregierung aufgefordert, ein solches Muster für
die Information über das Widerrufsrecht zu schaffen.
Damit erhält die Kreditwirtschaft Rechtssicherheit; denn
eine mangelhafte Information der Verbraucher über ihre
Rechte führt dazu, dass die Verträge auch lange Zeit
nach Abschluss widerrufen werden können und Abmah-
nungen im Raum stehen.
Das Muster, das wir jetzt vorschlagen,
hang zum Einführungsgesetz zum Bürgerlic
buch angefügt. Wenn das Gesetz verabschie
es also den Rang eines formellen Gesetzes
hensgeber bekommt Gewissheit; denn wenn er dieses
zung
en 24. März 2010
3.00 Uhr
Muster verwendet, dann erfüllt er damit seine gesetzli-
chen Informationspflichten.
Verpflichtend vorgeschrieben ist die Anwendung
nicht. Wenn der Darlehensgeber das Muster aber nicht
verwendet, dann kann große Rechtsunsicherheit über das
Widerrufsrecht entstehen und dann muss er sich gegebe-
nenfalls darauf einstellen, dass der Vertrag lange Zeit
nach dem eigentlichen Ablauf der Widerrufsfrist vom
Darlehensnehmer widerrufen werden kann. Gerade das
ist der Vorteil für die Verbraucherinnen und Verbraucher;
die Rechtslage in diesem gesamten Bereich ist sehr kom-
pliziert. Hier ihnen etwas an die Hand zu geben, das
Rechtssicherheit schafft, ist äußerst wichtig. Ich hoffe,
dass dieser Gesetzentwurf möglichst zügig beraten und
verabschiedet werden kann.
Vielen Dank.
Danke, Frau Ministerin. – Ich bitte zunächst Fragen
zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben be-
richtet wurde. – Das Wort zur ersten Frage hat der Kol-
lege Raju Sharma.
textFrau Ministerin, vielen Dank für diese Informationen. –Wir als Linke freuen uns, dass die Bundesregierung denAuftrag des Bundestages umsetzt. Bekanntermaßen istes äußerst schwierig, Musterwiderrufe so zu gestalten,dass sie einerseits juristisch korrekt und andererseits ver-ständlich sind. Deswegen haben Verbraucherverbändeangeregt, zunächst eine Art Probelauf zu starten, um dieWiderrufsinformationen daraufhin zu überprüfen, ob sieim Ergebnis tatsächlich verständlich sind. Sie habengleich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Meine Frage ist,ob Sie vorhaben, die durch die Einführung gemachtenErfahrungen nach einer gewissen Zeit auszuwerten undgegebenenfalls Konsequenzen daraus zu ziehen.eutheusser-Schnarrenberger, Bundes-r Justiz:ucherverbände und auch die Wirtschafts-wird als An-hen Gesetz-det wird, hat. Der Darle-Sabine Lministerin deDie Verbraverbände sind an der Formulierung dieses Musters betei-
Metadaten/Kopzeile:
3016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(C)
(B)
ligt worden. Wir haben uns bei dieser wirklich kompli-zierten und komplexen Rechtsmaterie gemeinsam umeine verständliche Sprache bemüht.Wenn das Gesetz in Kraft tritt – das wird hoffentlichim Sommer der Fall sein können –, werden wir sehen,wie damit umgegangen wird. Zur Gesetzgebung gehört,nach einer gewissen Zeit gerade mit denjenigen einenAustausch zu führen, die davon profitieren sollen.
Gibt es weitere Fragen? – Bitte, Kollege Ahrendt.
Frau Ministerin, die Widerrufsbelehrung ist oftmals
sehr komplex. Ist vorgesehen, im Gesetz festzuschrei-
ben, dass der Verbraucher eine zusätzliche Information
erhält, um mit seinem neuen Recht besser umgehen zu
können?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Widerrufsbelehrung und Widerrufsinformation laufen
nicht parallel. Aber bei komplexen Verträgen – zum Bei-
spiel, wenn über das Internet etwas gekauft wird und
gleichzeitig ein Darlehensvertrag notwendig wird – wird
es beide Bereiche parallel geben, um den Darlehensneh-
mer und Käufer über seine Rechte umfangreich zu infor-
mieren.
Ich kann noch ergänzen: Falls der Darlehensgeber
Angaben vergisst, kann er sie nachholen; aber dann lau-
fen auch längere Fristen.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? –
Das ist nicht der Fall. Danke, Frau Ministerin.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Ich weiß jetzt nicht, wer von Ihnen der
Erste war. Herr Beck, bitte.
Da in unserer Geschäftsordnung nur von „vorrangig
zur … Kabinettssitzung“ die Rede ist und auch andere
Fragen zulässig sind, habe ich eine Frage, die heute nicht
als dringliche Frage zugelassen wurde, obwohl sie im
Spiegel und im Tagesspiegel erörtert wurde. Die Frage
ist: Nach welchen Regularien verteilt das Auswärtige
Amt Diplomatenpässe an Nichtmitglieder der Bundes-
regierung und Nichtmitglieder des Hohen Hauses? Das
geht zurück auf den Sachverhalt, dass Herr Mronz im
Jahr 2008 einen Diplomatenpass bekam.
– Einen Dienstpass. – Ich möchte wissen: Was war das
besondere deutsche Interesse bei der Erteilung dieses
Reisedokumentes, bzw. nach welchen Richtlinien erhal-
ten Lebenspartner, Lebensgefährten oder Ehegatten von
Mitgliedern des Deutschen Bundestages solche Dienst-
pässe?
Der guten Ordnung halber halten wir erst einmal fest,
dass es keine weiteren Fragen zu Themen der heutigen
Kabinettssitzung gab.
– Doch? Dann hätten Sie sich vorher melden müssen.
Dann sind wir jetzt erst einmal bei den sonstigen Fra-
gen. Bitte, Herr Staatsminister.
E
Herr Kollege Beck, der Kollege Staatsminister Hoyer
ist auf dem Weg hierher und wird jeden Moment eintref-
fen. Weil es mir nicht möglich ist, diese Frage zu beant-
worten, muss ich Ihnen anbieten, sie schriftlich zu beant-
worten.
Ich hätte gerne eine mündliche Antwort, sobald der
Kollege Hoyer hier ist.
Die Bundesregierung muss bei der Befragung vertre-
ten sein, weil unsere Geschäftsordnung Fragen zu allen
Bereichen zulässt.
Kollege Beck, da der Kollege Hoyer auf dem Weghierher ist, rate ich, dass Sie sich noch einmal melden,wenn er hier ist, um diese Frage zu stellen. In der Zwi-schenzeit können Sie dem Kollegen Ströbele die Gele-genheit geben, seine Frage zu stellen.Bitte, Herr Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe zu dem Komplex,den der Kollege Beck angesprochen hat, eine Frage.Diese Frage stelle ich aber ebenfalls zurück, bis HerrHoyer da ist.Ich habe aber noch eine weitere Frage zu einem ganzanderen Komplex, bei dem ich davon ausgehe, dass erGegenstand der heutigen Debatte im Kabinett gewesenist. Die Medien, unter anderem das Radio, berichtenüber einen Plan, den der Bundesminister für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung dem Kabinettvorgelegt hat. Danach soll die Zusammenlegung vonGTZ, DED und anderen Organisationen vom Ministe-rium vorgesehen sein. Dazu habe ich eine Frage – ichweiß nicht, ob Sie, Herr von Klaeden, oder jemand an-ders diese Frage beantworten wollen; ich nehme an, Siewaren bei der Kabinettssitzung dabei –: Können Sie demHohen Hause Näheres dazu mitteilen, wie nach Vorstel-lung des Ministeriums und des vortragenden Ministersdiese Zusammenlegung aussehen soll? Das heißt: Wasfür ein Konzept, was für eine juristische Konstruktionliegen dem zugrunde?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3017
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
Ich habe einem Brief des Ministers vom 2. März ent-nommen, dass mit Rücksicht auf die geplante Zusammen-legung der verschiedenen staatlichen Hilfsorganisationenbereits Veränderungen in den Ministerien – Umsetzungen,Neuorganisationen – vorgenommen werden. Wenn be-reits jetzt im Ministerium Umorganisierungen durchge-führt werden, müsste dem Ganzen ein konkreter Plan zu-grunde liegen. Was wurde über diesen Plan mitgeteilt?E
Herr Kollege Ströbele, es ist richtig, dass der Bundes-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, Dirk Niebel, heute im Kabinett über dieses
Vorhaben berichtet hat. Kern dieses Vorhabens ist, jetzt
endlich das in die Tat umzusetzen, was Vorgängerregie-
rungen immer wieder erfolglos versucht haben, nämlich
die unterschiedlichen Ausführungsorganisationen zu-
sammenzuführen, um zu mehr Effizienz zu kommen und
Doppelarbeit zu vermeiden. Das soll selbstverständlich
unter Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
stattfinden. Es ist auch vorgesehen, dass die Standorte
dieser Organisationen in Deutschland erhalten bleiben.
Sie möchten eine Nachfrage stellen? – Dann tun Sie
das bitte.
Es tut mir leid: Sie haben meine Frage noch nicht ein-
mal im Ansatz beantwortet. Ich habe gefragt: Was für ein
Organisationskonzept hat der Minister dem Kabinett
vorgetragen? Wie soll die zukünftige juristische Kon-
struktion aussehen? Welche Ansätze gibt es dazu? Wenn
im Ministerium bereits Veränderungen mit Rücksicht auf
die Neuorganisierung durchgeführt werden, dann müss-
ten dazu Vorstellungen vorhanden sein. Oder hat er dazu
nichts gesagt?
E
Herr Kollege Ströbele, Sie haben mich nach dem
Konzept und den zugrunde liegenden Prinzipien gefragt.
Diese Frage habe ich Ihnen beantwortet. Ich bitte Sie,
weitere Fragen im Ausschuss zu stellen oder sich mit ei-
ner schriftlichen Beantwortung einverstanden zu erklä-
ren.
Ist dazu heute nichts gesagt worden?
E
Ich habe die Frage so beantwortet, wie es mir jetzt
möglich ist.
Die Bundesregierung entscheidet erstens, wer antwor-
tet, zweitens, was sie antwortet.
Da sich der Kollege Beck gerade zu einem Geschäfts-
ordnungsantrag meldet, muss ich Ihre Frage leider zu-
rückstellen, Kollegin Koczy.
Bitte, Kollege Beck.
Ich beantrage, die Befragung so lange zu unterbre-
chen, bis auskunftsfähige Personen der Bundesregierung
anwesend sind. Es kann nicht sein, dass als Antwort auf
eine Frage an das Auswärtige Amt der Kollege aus dem
Bundeskanzleramt zu Recht sagt, dass er dazu nichts
weiß. Auch die Frage zur GTZ konnte nicht beantwortet
werden, weil niemand von dem zuständigen Ressort an-
wesend ist. Lassen Sie uns so lange unterbrechen, bis die
zuständigen Staatssekretäre eingetroffen sind, und dann
fortfahren.
Durch Filibustern wird faktisch das Fragerecht des
Deutschen Bundestages beschnitten. Das ist keine Frage
von Mehrheit oder Minderheit, sondern das ist eine
Frage des Interpellationsrechts des Parlamentes und
kann auch dann, wenn die Mehrheit diesen Antrag ab-
lehnt, nicht abgewürgt werden.
Zu diesem Geschäftsordnungsantrag verhandeln wir.
Bitte, Kollege Grund.
Vielen Dank. – Der Antrag des Kollegen Beck gehtweit über unsere Geschäftsordnung hinaus. Hätte errecht, würde das bedeuten, dass am Mittwoch einer nor-malen Sitzungswoche ab 13 Uhr das gesamte Kabinetthier zu sitzen hat,
um sich irgendwelchen Fragen des Kollegen Beck zustellen.
– Das hat er nicht gesagt. Er hat Ihnen die Auskunft ge-geben, die zu geben ist, und den Kenntnisstand wieder-gegeben, der im Kanzleramt vorhanden ist.Ich weise darauf hin, dass Ihre Forderung weit überdas hinausgeht, was in der Geschäftsordnung vereinbartist.
Metadaten/Kopzeile:
3018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Manfred Grund
(C)
(B)
– Nehmen Sie sie wieder mit. Ich habe sie selber gele-sen.
Kollege Grund, es ist richtig, dass das unserer bisheri-
gen Praxis widerspricht. Aber unsere bisherige Praxis
besagt: Wenn eine solche Situation eintritt, entscheidet
der Präsident/die Präsidentin.
Ich unterbreche die Sitzung bis 13.25 Uhr. Wir
schauen, wie wir dann weitermachen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zu einer Frage an die Bundesregierung hat
der Kollege Volker Beck.
Herr Staatsminister Hoyer, ich habe eine Frage zu den
Usancen bei der Ausgabe von Dienstausweisen durch
die Bundesregierung an Personen, die nicht Mitglied des
Hohen Hauses oder Mitglied der Bundesregierung sind.
Meine Frage geht zurück auf die Vergabe eines Dienst-
ausweises an Herrn Mronz im Jahre 2008. In welchem
besonderen deutschen Interesse stand die Ausgabe die-
ses Dienstausweises? Nach welchen Usancen werden bei
Lebensgefährten, Lebenspartnern oder Ehegatten von
Mitgliedern des Deutschen Bundestages Dienstausweise
vom Auswärtigen Amt ausgestellt?
D
Herr Kollege Beck, Sie hatten diese Frage als dringli-
che Frage eingereicht. Dementsprechend hat das Amt
mich sauber auf die Beantwortung vorbereitet. Dann ist
die Frage nicht zugelassen worden. Deswegen erwischen
Sie mich jetzt ohne einen Stapel von Unterlagen zu die-
sem Thema, und ich kann nur recht allgemein antworten
und Ihnen sagen, dass es eine entsprechende Verwal-
tungsvorschrift gibt, eine allgemeine Verwaltungsvor-
schrift über die Ausgabe von Dienstpässen. Nach, ich
glaube, § 3 dieser Vorschrift ist dieser Dienstpass ausge-
stellt worden. Weitere Details entziehen sich meiner
Kenntnis.
Sie wissen, dass dieser Vorgang zur Ausstellung eines
Dienstpasses geführt hat, der später nie genutzt worden
ist, weil die Reise, die angedacht war, nicht stattgefun-
den hat. Außerdem wurde dieser Dienstpass bereits im
Jahr 2008 ausgestellt.
Haben Sie eine – –
Der Dienstausweis wurde abgeholt, ohne dass die
Reise angetreten wurde?
D
In der Tat. Der Dienstpass war auf ein Jahr ausge-
stellt. Die Reise, die Anlass für die Beantragung durch
den Passinhaber gewesen ist, hat nicht stattgefunden.
Können Sie uns – –
Kollege Beck, das Wort erteile immer noch ich.
Entschuldigung!
Sie haben jetzt die Möglichkeit, eine Nachfrage zu
stellen. Dann haben wir noch weitere Wortmeldungen.
Sie können sich natürlich auch im Rahmen unserer Fra-
gestunde noch einmal melden. Bitte, Kollege Beck.
Herr Staatsminister, können Sie uns denn abstrakt die
Frage beantworten, wie die rechtlichen Regularien sind,
wenn es um Dienstausweise für Angehörige der Mitglie-
der des Deutschen Bundestages geht? Das mag ja auch
für andere Kollegen von Interesse sein. Was ist da die
Praxis, und wie sieht die Rechtssituation da aus?
D
Das kann ich Ihnen nicht im Detail sagen. Sie wissen,dass Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages An-spruch auf einen Diplomatenpass haben.
Weitere Details sind mir in diesem Zusammenhang nichtbekannt.Ich kann mir vorstellen, dass die damalige Bundesre-gierung gerade bei einer Reise in ein Land, das mit derBehandlung von Homosexuellen durchaus seine Schwie-rigkeiten hat,
vielleicht ein Interesse daran hatte, den reibungslosen Ab-lauf der Reise zu organisieren oder zu ermöglichen. Dasist durchaus ein legitimes Ansinnen. Wir würden vermut-lich auch heute, wenn ein solcher Fall entsteht, Entspre-chendes tun. Ich vermute einmal, dass BundesministerSteinmeier aus diesem Grunde so entschieden hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3019
(C)
(B)
Ich habe Sie gesehen, Kollege Ströbele; aber der Kol-
lege Ahrendt war schneller mit seiner Meldung zu einer
Nachfrage zu diesem Gegenstand.
Bitte, Herr Ahrendt.
Herr Staatsminister, können Sie mir die Frage beant-
worten, wer im Jahr 2008, als der Dienstpass ausgestellt
worden ist, im Auswärtigen Amt die Verantwortung
trug?
D
Ja. Ich habe den Namen von Bundesminister
Steinmeier genannt, aber ich will ihn hier gar nicht in
Haftung nehmen, weil das ein Vorgang ist, den ich nach-
vollziehen kann. Dennoch haben Sie die Frage, wer da-
mals im Amt war, zu Recht gestellt. Wir waren es zu-
mindest nicht.
– Da ich hier gerade einen Zwischenruf gehört habe,
möchte ich klarstellen: Die Ausstellung dieses Dienst-
passes erfolgte nicht auf Antrag einer Fraktion.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hans-Christian
Ströbele das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Vorhin war der Herr
Staatsminister leider noch nicht hier, weshalb ich die
Frage vorhin noch nicht stellen konnte. Ich habe nämlich
auch eine Frage zu diesem Komplex.
Alle warten – ich warte und viele andere auch – auf
die Beantwortung der Frage: Nach welchen Kriterien
kann man nicht als Bundestagsabgeordneter – hier weiß
ich das –, sondern als Geschäftsmann, als Unternehmer
in den Kreis derer kommen, die zu Reisen des Außenmi-
nisters ins Ausland eingeladen werden und mitfliegen
dürfen?
D
Diese Frage betrifft ja den Gesamtzusammenhang der
Zusammenstellung von Delegationsreisen. Auf diese
Frage werden wir noch ausführlich zu sprechen kom-
men, aber ich bin gerne bereit, diese Frage bereits jetzt
aufzugreifen
und zu sagen: Es gibt ein mehr oder weniger formalisier-
tes Verfahren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
dem für die Wirtschaftsdelegationsreisen zuständigen
Referat stellen entsprechende Überlegungen an und
stimmen sich mit den Botschaften des Gastlandes und
auch mit dem Gastland selbst ab. Wenn hinreichend Zeit
vorhanden ist, werden auch die Wirtschaftsverbände ab-
gefragt und um Empfehlungen gebeten. Dann wird eine
längere Liste aufgestellt. Es kann auch initiativ Interesse
an der Teilnahme an solchen Reisen geäußert werden.
Am Ende wird dann entschieden.
Natürlich geht es darum, die besondere Kompetenz
oder das besondere Interesse des Gastes hinsichtlich des
Ziellandes zur Grundlage der Entscheidung zu machen;
denn diese Reisen haben ja einen hohen Wert und einen
großen Sinn, nämlich, insbesondere die wirtschaftlichen,
kulturellen und politischen Beziehungen der Bundesre-
publik Deutschland zu diesem Land weiter auszubauen
und gegebenenfalls – im Fall von Gästen aus dem Be-
reich der Wirtschaft – auch den Interessen der deutschen
Wirtschaft und der Sicherung von Arbeitsplätzen den
entsprechenden Rang einzuräumen.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Frage. Danach
kommt der Kollege Gehrcke an die Reihe. – Bitte, Kol-
lege Ströbele.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
War
dieses Thema, das derzeit doch weite Teile in der Bun-
desrepublik Deutschland beschäftigt, heute Gegenstand
der Kabinettssitzung, insbesondere in dem Zusammen-
hang, welche Industrievertreter oder Vertreter von Un-
ternehmen der derzeitige Außenminister auf seinen letz-
ten Reisen mitgenommen hat und ob die Beteiligung
bestimmter Personen an diesen Reisen auf besonderen
Wunsch des Ministers von der Auswahlkommission
bzw. von der Auswahlstelle befürwortet worden ist?
D
Nein.
– Die Frage war einfach mit Ja oder Nein zu beantwor-
ten. Genau das habe ich getan.
Kollege Ströbele, auch hier gilt: Das Wort erteile ich.
Die Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet undin welcher Form sie antwortet. Sie sind dann wiederumin Ihrer Bewertung dessen frei.Jetzt hat der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
3020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, dass
der Hinweis darauf, dass auch bei vorangegangenen Au-
ßenministern – Herrn Steinmeier, Herrn Fischer; man
könnte noch weiter zurückgehen – ähnliche Verfahren
üblich waren, wenig überzeugend ist und dass es nach
dem Kladderadatsch, zu dem es jetzt gekommen ist, not-
wendig gewesen wäre, die Richtlinien darüber, wer mit-
genommen werden kann, warum er mitgenommen wird
und unter welchen Bedingungen ein Diplomatenpass
ausgestellt wird, endgültig neu zu regeln?
D
Ich sehe diese Notwendigkeit nicht. Ich meine auch,
dass man den Sinn solcher Delegationsreisen, den Sinn
der Begleitung eines Bundesministers, der Bundeskanz-
lerin oder des Bundespräsidenten, nicht aus dem Auge
verlieren sollte und ein Mindestmaß an Flexibilität im
Umgang mit Gästen braucht.
Das Wort zu der nächsten Frage hat die Kollegin
Koczy.
– An die Bundesregierung. Die Bundesregierung ent-
scheidet dann, wer antwortet.
– Das war der versteckte Hinweis. – Bitte, Kollegin
Koczy.
Danke, Frau Präsidentin. – Meine Frage richtet sich
aber auch an den Staatsminister Hoyer. Denn er hat bei
den Antworten auf die vorherigen Fragen den Eindruck
erweckt, dass häufig ein Zusammenhang zwischen Inte-
ressen der Wirtschaft und Interessen der Bundesregie-
rung besteht und dass das auch zukünftig gilt.
Wir wissen ja, dass in Zukunft auch Hermesbürg-
schaften für Atomkraftwerke gewährt werden sollen. Da
gibt es einen Zusammenhang mit der Reise des Außen-
ministers nach Brasilien, Lateinamerika. Auf diese Reise
ist auch ein Geschäftsführer von Areva – das ist ein
Kernenergieunternehmen – bzw. Siemens mitgefahren.
Meine Frage ist: Können wir davon ausgehen, dass im
Rahmen der weiteren Billigung von Hermesbürgschaf-
ten für die Länder China, Russland und möglicherweise
auch für andere Länder in Zukunft bei Delegationen die
Geschäftsführer der jeweiligen Firmen dabei sein wer-
den?
D
Ich sehe den von Ihnen angesprochenen Zusammen-
hang eindeutig nicht. Es kann kein Grund sein, jemanden
von einer Reise auszuschließen, weil er in einem Ge-
schäftsfeld tätig ist, das einem Teil der Mitglieder des
Deutschen Bundestages nicht passt.
Die Kollegin Koczy hat dazu noch eine Nachfrage. –
Ich gehe davon aus, Kollege Ströbele, dass Sie dann Ihre
Frage an die Kollegin Kopp wiederholen wollen, die in-
zwischen eingetroffen ist. Ist das richtig?
– Gut, dann kommt zunächst die Kollegin Koczy.
Ich habe doch noch eine Rückfrage. Denn es handelt
sich ja um eine Bürgschaftssumme von 2,5 Milliarden
Euro, die der deutsche Steuerzahler für den Bau eines
Atomkraftwerkes in Brasilien eventuell aufbringen
muss; und wir wissen nicht genau, ob es sich dabei mit
Blick auf das veraltete Modell, um das es geht, nicht um
eine Fehlinvestition handelt. Inwiefern wird denn vorher
geprüft, ob die Geschäftsmodelle tatsächlich wirtschafts-
tauglich sind?
D
Diese Frage wird im Zusammenhang mit der Unter-
stützung eines solchen Projektes durch die Bundesregie-
rung – gegebenenfalls auch durch Hermesbürgschaften –
geprüft. Das ist aber nicht die Grundlage für die Ent-
scheidung über die Beteiligung an einer Reise. Die Ent-
scheidung, ob die Bundesregierung ein solches Projekt
für gut befindet oder nicht, ist auf jeden Fall vorgelagert.
Das ist nicht die Grundlage für die Entscheidung, wer
auf eine Reise mitgenommen wird.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hans-ChristianStröbele.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich wiederhole die Frage,die ich vorhin gestellt habe, als Sie noch nicht da waren,Frau Kopp.Thema der Kabinettssitzung war nach den heutigenPresse- und Radiomeldungen unter anderem auch derPlan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-beit und Entwicklung der Zusammenlegung von staat-lichen Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, unteranderem von DED und GTZ.Ich frage die Bundesregierung: Was wurde dem Kabi-nett hinsichtlich der geplanten Organisationsform undjuristischen Form vorgetragen, und welche Vorstellun-gen hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung in diesem Bereich? Ich fragedas insbesondere mit Blick auf einen Brief des Minis-ters, dem ich entnommen habe, dass unter Bezugnahmeauf diese Planungen bereits Umorganisationen im Minis-terium stattgefunden haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3021
(C)
(B)
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gu
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Ströbele, sehr geehrte Herren und Damen, ich bitte um
Nachsicht, dass ich ein wenig verspätet hierher gekom-
men bin. Ich war bereits in einer anderen Veranstaltung
und war der Meinung, dass das, was wir bereits vorge-
legt und auch im Ausschuss beraten haben, hinreichend
bekannt ist.
Aber sehr gerne antworte ich auf Ihre Frage: Heute im
Kabinett hat der Minister vorgelegt, was geplant ist:
nämlich die Fusion von GTZ, InWEnt und DED. Das
sind weltweit tätige Vorfeldorganisationen, die in
130 Ländern tätig sind und über circa 17 000 Beschäf-
tigte verfügen. Das ist also keine kleine Organisation.
Durch diese Fusion der Vorfeldorganisationen erhoffen
wir uns sehr viel mehr Effektivität.
Wir sind einen ganz neuen Weg gegangen, indem wir
in einem ersten Schritt die drei betroffenen Organisatio-
nen selbst befragt haben und noch befragen, wie sie sich
eine solche Zusammenführung vorstellen. Neu daran ist,
nicht von oben vorzugeben, wie die künftigen Vorfeld-
organisationen zu gestalten sind. Wir möchten vielmehr
bei dieser notwendigen Umstrukturierung alle Organisa-
tionen mitnehmen.
Das ist bisher schon sehr gut gelungen. Wir sind be-
reits mit den drei Organisationen etwa 80 Prozent des
Weges hin zu einer Zusammenführung gegangen, sehr
im Konsens mit den Mitarbeitern und allen betroffenen
Einrichtungen.
Es geht uns jetzt darum, im Laufe der nächsten Zeit
das, was Sie angesprochen haben – die rechtliche Kon-
struktion, die Frage der Personalverträge, die Zusam-
menführung der verschiedenen Personalverträge bis hin
zur neuen Bezeichnung – zu regeln. All das ist noch
nicht geregelt. Es sind schwierige Fragen, die zu regeln
sind. Dafür brauchen wir Zeit. Bitte bedenken Sie: Wir
sind erst seit Ende des letzten Jahres dabei, diese Aufga-
ben anzugehen. Das war heute Morgen nicht Gegenstand
der Kabinettssitzung, weil wir noch nicht so weit sind.
Es ist ein erster Entwurf dessen, was bisher geleistet
wurde.
Ich denke, wir sind auf einem sehr guten Weg, weil
bis jetzt schon ein sehr großer Konsens hergestellt wer-
den konnte.
Bevor ich Ihnen das Wort zu einer Nachfrage gebe,
weise ich vorsorglich darauf hin, dass ich die Dauer der
Unterbrechung der Sitzung auf die Zeit der Regierungs-
befragung angerechnet habe, aber vorhabe, diese in
4 Minuten und 36 Sekunden zu beenden und zur Frage-
stunde überzugehen. Das heißt, die Kolleginnen Wilms
und Koczy haben noch die Möglichkeit, ihre Fragen zu
stellen, wenn es jetzt gelingt, kurze Fragen und kurze
Antworten zu formulieren. – Bitte, Kollege Ströbele.
Leider haben Sie meine Frage nicht beantwortet, die
nämlich dahin ging, welche Vorstellungen der Minister
und das Ministerium von der zukünftigen Organisations-
form und juristischen Konstruktion haben. Wenn bereits
jetzt im Ministerium Umorganisationen durchgeführt
werden, dann muss es doch entsprechende Vorstellungen
davon geben. Ich zitiere dazu die entsprechenden Sätze
aus dem Schreiben des Ministers vom 2. März: Zu die-
sem Zweck strukturieren wir derzeit auch das Ministe-
rium selbst um. In der neuen Struktur spiegeln sich die
Schwerpunkte unserer Arbeit.
Wenn Sie schon Umstrukturierungen im Ministerium
vornehmen, dann muss es doch Vorstellungen von der
neuen Organisationsform und der juristischen Konstruk-
tion geben.
Gu
Herr Kollege Ströbele, selbstverständlich findet seit
einiger Zeit im BMZ eine organisatorische Umstruktu-
rierung statt, die auch notwendig ist, weil wir auch an
dieser Stelle moderne Elemente des Managements ein-
führen wollen. Dies ist auch notwendig, um unsere Ar-
beit zielführend voranzubringen.
Dennoch sind die Frage nach der juristischen Kon-
struktion und alle weiteren Fragen, die sich dazu stellen
– sie betreffen unter anderem die Integration des Ent-
wicklungshelfer-Gesetzes; Sie wissen, welche Proble-
matiken sich damit verbinden –, noch nicht zu beantwor-
ten. Denn wir sind erst in der Phase der Aufnahme der
Problemfelder. Wir sind noch nicht in der Phase der Um-
setzung.
Diese Fragen sind derzeit in der Pipeline. Sie werden
sorgfältig geprüft. Wir machen dabei keine Schnell-
schüsse, sondern wir wollen, wie ich bereits sagte, zu ei-
ner Neukonstruktion kommen, die effektiv und effizient
arbeitet und den größtmöglichen Nutzen für die Ent-
wicklungszusammenarbeit bringt. Dabei ist das BMZ als
Schaltzentrale sozusagen der Kopf, der auch effizient
aufgestellt werden muss. Dabei sind wir schon ein gro-
ßes Stück weiter.
Alle anderen Fragen sind – auch wenn Sie das nicht
zufriedenstellt – noch nicht beantwortet. Wir sind erst
seit gut zehn Wochen dabei. Das ist ein großes Kon-
strukt. Sie wissen, dass auch schon Vorgängerregierun-
gen versucht haben, eine solche Fusion hinzubekommen.
Geben Sie uns bitte ein bisschen Zeit, eine Lösung zu
finden, die uns in der Sache wirklich weiterbringt und in
juristischer Hinsicht nicht auf wackligen Füßen steht.
Wir wollen erst prüfen, dann Diskussionen über die De-
tails führen und schließlich entscheiden.
Die nächste Frage an die Bundesregierung stellt dieKollegin Wilms.
Metadaten/Kopzeile:
3022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich habe folgende
Frage an die Bundesregierung: Aus welchen Gründen
wurde der Geschäftsführer der Firma Far Eastern Fern-
ost Beratungs- und Handelsgesellschaft mbH, Ralf
Marohn, an der auch der Bruder des Bundesministers
des Auswärtigen Anteilseigner ist, in dessen Delegation
nach Japan und China im Januar 2010 eingeladen, und
wer hat ihn für diese Delegation vorgeschlagen?
Bitte, Herr Staatsminister.
D
Die Begründung ist glasklar: Herr Marohn ist einer
der wesentlichen Experten für die Geschäftsanbahnung
mit China. Er ist hoch anerkannt und kommt deshalb für
eine solche Reise infrage. Er hat eine große Anzahl von
Reisebegleitungen – auch für offizielle Delegationen –
gemacht und sich sehr sinnvoll eingesetzt, insbesondere
für den Mittelstand im Chinageschäft. Ich kann Ihnen
die konkrete Frage, woher ein Brief gekommen ist, mit
dem angeregt wurde, dass Herr Marohn mitfährt, nicht
beantworten. Wenn ich zuständig gewesen wäre, hätte es
durchaus sein können, dass ich selber auf die Idee ge-
kommen wäre, ihn zu fragen, ob er nicht bereit wäre,
mitzufahren.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Koczy. Das ist
die letzte Frage in der Regierungsbefragung.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin
Kopp, ich will eine Nachfrage zur Reform der Vorfeld-
organisationen stellen. Heute ist im Kabinett der erste
Bericht zur Reform der Vorfeldorganisationen vorgelegt
worden. Es handelt sich nicht um einen Entwurf, son-
dern um einen ersten Bericht. Meine Frage lautet: Wird
diese Debatte in eine inhaltliche Diskussion über die
Ziele der Entwicklungszusammenarbeit eingebettet?
Was uns vorliegt, zeigt, dass es sich bislang eher um eine
technokratische Angelegenheit handelt. Es geht nur um
die technische Zusammenarbeit, die in dieser Form noch
nie so stattgefunden hat und nicht geplant war. Die vor-
herigen Fusionsplanungen liefen auf einer anderen
Ebene. Die entscheidende Frage ist: Wird das BMZ eine
Debatte über die inhaltliche Ausgestaltung der Entwick-
lungszusammenarbeit im Rahmen der Reform einpla-
nen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gu
Danke sehr, Frau Präsidentin. – Selbstverständlich
wird eine inhaltliche Diskussion im Zusammenhang mit
der organisatorischen Neuordnung geführt werden. Ich
weise aber darauf hin, dass wir schon sehr viele Debatten
über eine inhaltliche Neuausrichtung der Entwicklungs-
zusammenarbeit im Plenum, aber auch in den Ausschüs-
sen geführt haben. Es geht uns darum, in besonderer
Weise mit den Institutionen, aber auch mit der Zivilge-
sellschaft zusammenzuarbeiten. Sie kennen sicherlich
die Debatte über die Stärkung des Privatsektors und der
Zivilgesellschaft. Konkret heißt das: Wir möchten zu ei-
nem Verhältnis von etwa zwei Dritteln bilaterale Zusam-
menarbeit zu einem Drittel multilaterale Zusammenarbeit
– verstehen Sie das bitte nicht als starres Verhältnis –
kommen. Auch die multilaterale Zusammenarbeit muss
gestärkt werden. Aber wir möchten einen anderen Ak-
zent setzen.
Es ist jedoch völlig klar, dass bei der Neuorganisation
der Strukturen auch die inhaltliche Ausrichtung eine
große Rolle spielt. Ich nenne als ein Beispiel einen wich-
tigen Punkt. Wir wollen einen zielgenaueren Einsatz der
Mittel, ob personeller oder finanzieller Art, erreichen.
Wir möchten die Prozesse sehr viel transparenter und
effektiver gestalten. Wir sind der Ansicht, dass es in der
Entwicklungszusammenarbeit sehr viel mehr Potenziale
zu heben gibt, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Beides hängt zusammen. Beides sind wichtige Säulen ei-
ner schlagkräftigen Entwicklungszusammenarbeit. Seien
Sie versichert: Die inhaltliche Ausrichtung wird mit der
personellen zusammenhängen.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Es
gibt zwar noch Nachfragebedarf, aber die für die Regie-
rungsbefragung vorgesehene Zeit ist schon überschrit-
ten. Danke, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/1107 –
Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/1107 in der üb-
lichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Daniel Bahr zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kathrin Vogler auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich
der Auswirkungen der Honorarreform, die seit 1. Januar 2009
in Kraft ist, auf die Vergütung niedergelassener Kassenärztin-
nen und -ärzte in den einzelnen Bundesländern, und welche
konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die
Verunsicherung vieler Ärztinnen und Ärzte insbesondere
– aber nicht nur – in Nordrhein-Westfalen und Baden-
Württemberg zu beheben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin – Frau AbgeordneteVogler, die Gewinnung von Erkenntnissen über die Aus-wirkungen der Honorarreform, die seit dem 1. Januar2009 in Kraft ist, auf die Vergütung der niedergelassenenVertragsärztinnen und Vertragsärzte wird derzeit da-durch erschwert, dass der Bundesregierung trotz der ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3023
Parl. Staatssekretär Daniel Bahr
(C)
(B)
setzlich vorgegebenen Berichtspflicht der gemeinsamenSelbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen auf Bun-desebene noch keine bzw. noch keine vollständig plausi-bilisierten Datenberichte für das erste Halbjahr 2009, dasheißt für das erste Quartal und das zweite Quartal 2009,vorliegen.Der Datenbericht für das erste Quartal wurde von derKBV am 15. Februar 2010 vorgelegt. Die Daten sindaber unvollständig und weisen zudem eine Reihe vongravierenden Implausibilitäten auf, die bislang nochnicht aufgeklärt werden konnten. Der Datenbericht fürdas zweite Quartal wurde von der Kassenärztlichen Bun-desvereinigung für Mitte April 2010 in Aussicht gestellt.Die Bundesregierung nimmt die immer wieder geäu-ßerte Kritik von Ärztinnen und Ärzten an den Auswir-kungen der Honorarreform sehr ernst. Der Koalitions-vertrag der neuen Koalition sieht ja auch vor, dass dieseit dem 1. Januar 2009 geltende Honorarreform nach ei-ner kritischen Überprüfung zusammen mit den Beteilig-ten den erforderlichen Kurskorrekturen unterzogen wird.Eine sachgerechte Überprüfung der Honorarreformist allerdings erst dann möglich, wenn die dafür erforder-lichen Daten auch wirklich vorliegen. Diese müssen dieEntwicklung in den einzelnen Regionen und Arztgrup-pen sowie den verschiedenen Versorgungsbereichen dif-ferenziert abbilden. Erst auf dieser Grundlage wird derkonkrete Anpassungsbedarf einzuschätzen sein. Wegender herausgehobenen Bedeutung der Datenberichte fürdie im Koalitionsvertrag vereinbarte Überprüfung derHonorarreform und die Entscheidung über die Einlei-tung konkreter Maßnahmen hat das Bundesministeriumfür Gesundheit die zuständige Selbstverwaltung nocheinmal eindringlich darum gebeten, die auf gesetzlicherGrundlage angeforderten Daten so schnell wie möglichbereitzustellen.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
in der Ärzte Zeitung vom Montag dieser Woche wird be-
richtet, dass der Landesminister für Arbeit, Gesundheit
und Soziales, Karl-Josef Laumann, in Nordrhein-West-
falen sich die Argumentation der dortigen Kassenärzte
zu eigen macht und sagt – ich zitiere –:
Unser Gesundheitssystem in Nordrhein-Westfalen
ist sowohl im Krankenhaus- als auch im niederge-
lassenen Bereich zusammen mit Schleswig-Hol-
stein das am schlechtesten bezahlte in ganz
Deutschland.
Angesichts dessen, was Sie gerade vorgetragen ha-
ben, frage ich mich, woher Minister Laumann diese Zah-
len nimmt, ob es sich bei diesen Auslassungen nicht eher
um Wahlkampfgetöse und den Versuch handelt, die Be-
unruhigung der Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein-West-
falen zu nutzen, um im Wahlkampf dort Punkte zu
machen. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob die Lan-
desregierung in Nordrhein-Westfalen über Zahlen- und
Datenmaterial verfügt, das Ihnen als Bundesregierung
nicht vorliegt und aus dem Sie die Datenlage ableiten
könnten, die der Minister in seinem Redebeitrag darge-
stellt hat?
Be
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im weiteren
Verlauf der Fragestunde werde ich darauf achten, dass
die Fragen mit einem solchen zeitlichen Volumen ge-
stellt werden, dass es möglich wird, mit kurzen Antwor-
ten den Verlauf der Sitzung voranzutreiben.
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass demLandesminister für Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen andere Daten vorliegen als die, die im Bun-desministerium für Gesundheit vorhanden sind. FrauKollegin Vogler, ich habe eben auch darauf hingewiesen,dass uns zwar Daten für das erste Quartal 2009 vorlie-gen, diese aber noch implausibel und nicht vollständigsind. Wir brauchen vollständige Daten, um sie richtigbeurteilen zu können. Bevor wir diese nicht haben, kom-men wir nicht zu Schlüssen, wie sie andere möglicher-weise ziehen. Wir als Bundesministerium für Gesundheitkönnen aufgrund der vorliegenden Daten noch keinesachgerechte Entscheidung treffen und keine sachge-rechte Bewertung vornehmen.Aufgrund der vorläufigen Daten der KassenärztlichenBundesvereinigung, auf die sich einige politische Äuße-rungen in der Öffentlichkeit beziehen, können wir ledig-lich feststellen, dass es in den Jahren 2007 bis 2009 zueinem Honoraranstieg in Höhe von mindestens 3,5 Mil-liarden Euro bzw. 13 Prozent gekommen ist, wobei dieZuwächse in den Regionen in der Tat sehr unterschied-lich waren. Im Ergebnis profitieren die Ärztinnen undÄrzte in den Regionen am stärksten von der Honorar-reform, in denen bislang weit unterdurchschnittlichePreise gezahlt wurden. Hierzu gehören vor allem dieKassenärztlichen Vereinigungen der neuen Bundeslän-der.Weil Sie sich auf den LandesgesundheitsministerLaumann bezogen haben, nehme ich einmal Bezug aufdie bisher unvollständig vorliegenden Daten für West-falen-Lippe und Nordrhein, die beiden Kassenbezirke inNordrhein-Westfalen. Für die Kassenärztliche Vereini-gung Westfalen-Lippe weisen die Daten der Kassenärzt-lichen Bundesvereinigung im Vergleich des ersten Halb-jahres 2007 und des ersten Halbjahres 2009 einenHonoraranstieg in Höhe von rund 20,1 Prozent aus; fürdie Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein wird einHonoraranstieg in Höhe von 12,1 Prozent ausgewiesen.Zusammengenommen erreichen die beiden Kassenärztli-chen Vereinigungen Nordrhein-Westfalens im erstenHalbjahr 2009 gegenüber dem ersten Halbjahr 2007 da-mit einen Anstieg in Höhe von 15,7 Prozent.
Metadaten/Kopzeile:
3024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Sie haben das Wort zu einer zweiten Frage.
Herzlichen Dank; das war sehr aufschlussreich. –
Landesminister Laumann rät den Ärztinnen und Ärzten
im Bezirk Nordrhein – Zitat –:
Vielleicht können Sie in den nächsten Wochen ja
vergessen, die Beiträge an die KBV zu überweisen.
Wie stellt sich die Bundesregierung zu dieser Aussage?
Meiner Ansicht nach handelt es sich da um einen klaren
Aufruf zum Rechtsbruch. Vielleicht sieht der Landes-
minister das als zivilen Ungehorsam. Aber nichtsdesto-
trotz glaube ich, dass da Handlungsbedarf seitens der
Bundesregierung besteht, um die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen in ihre Schranken zu weisen, was
den Aufruf an die Kassenärztliche Vereinigung Nord-
rhein zum Rechtsbruch angeht.
D
Ein solcher ernsthafter Vorschlag durch das Landes-
gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalens ist uns
nicht bekannt. Wir würden den Ärztinnen und Ärzten in
Nordrhein-Westfalen einen solchen Vorschlag auch nicht
machen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Weinberg das Wort.
Herr Staatssekretär, auch wenn jetzt noch keine vali-
den Daten für das erste Quartal – für das zweite Quartal
ohnehin noch nicht – vorliegen, wie Sie sagen, so hat
doch dieser ganze Prozess insgesamt zu einer großen
Verunsicherung bei den Ärztinnen und Ärzten und damit
auch bei den Patientinnen und Patienten geführt. Was ge-
denkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Verunsi-
cherung entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich darf nur darauf
hinweisen, Frau Präsidentin, dass diese Frage von Frau
Kollegin Vogler gestellt wurde und ich sie so beantwor-
tet habe, dass die Koalitionsvereinbarung dazu eine ein-
deutige Aussage enthält. Nach einer Auswertung der
Honorarreform wird die Bundesregierung mit den Betei-
ligten die erforderlichen Kurskorrekturen vornehmen.
Da uns noch nicht die vollständigen Daten vorliegen, die
erst analysiert werden müssen, können wir die Kurskor-
rekturen noch nicht vornehmen. Aber die Empfehlungen
des Koalitionsvertrages und die Vorgabe für die Koali-
tion sind hier eindeutig. Das wird im Laufe dieser Legis-
laturperiode auch angegangen.
Als Nächster hat der Kollege Christian Lange das
Wort.
Frau Präsidentin, ich beantrage namens der SPD-Bun-
destagsfraktion aufgrund der Antwort der Bundesregie-
rung, die wieder einmal die Fragen der Kollegen unzu-
reichend beantwortet hat, eine Aktuelle Stunde
zum Thema Gesundheitspolitik der Bundesregierung ge-
mäß unserer Geschäftsordnung nach Ende unserer Fra-
gestunde.
Herzlichen Dank.
Die Fraktion der SPD hat zur Antwort der Bundes-regierung eine Aktuelle Stunde verlangt. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, das entspricht Nr. 1 b der Richtlinienfür die Aktuelle Stunde. Die Aussprache findet im An-schluss an die Fragestunde statt.Zur Erklärung für diejenigen, die heute zum erstenMal einer Fragestunde des Deutschen Bundestages bei-wohnen: Präsidentinnen und Präsidenten haben keinenErmessensspielraum, wenn ein solcher Antrag nachNr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde gestelltwird.
– Kollege Grund, ich habe zur Kenntnis genommen,dass der Kollege Christian Lange festgestellt hat, dassdie Fragen der Kollegin Kathrin Vogler auch aus seinerSicht unzureichend beantwortet wurden. Insofern hat erdie Frage der Kollegin Vogler übernommen und die Ak-tuelle Stunde beantragt. Das ist korrekt und unterliegtansonsten dann Ihrer Bewertung in den weiteren Aus-einandersetzungen des Tages.Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Kathrin Vogler auf:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, die immer-hin durch den Staatssekretär im Bundesministerium für Ge-sundheit, Stefan Kapferer, im Vorstand des Instituts für Quali-tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG,vertreten ist, hinsichtlich der Kosten für die Überprüfung desInstitutsleiters Professor Dr. Peter Sawicki, und stimmt derBericht im Spiegel vom 14. März 2010 insoweit, als die Wirt-schaftsprüfungsgesellschaft BDO den Auftrag zur Überprü-fung im Wert von 20 000 Euro ohne Ausschreibung erhaltenhatte, obwohl die Verfahrensordnung des Instituts ab 12 500 Euroeine Ausschreibung vorsieht?Bitte, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3025
(C)
(B)
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielleicht gelingt es
mir erneut, die Frage der Kollegin Vogler so zu beant-
worten, dass sie sagt, die Antwort sei sehr aufschluss-
reich gewesen, wie es eben der Fall war.
Die Beauftragung der Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaft BDO verstößt entgegen der Vermutung in der
Frage nicht gegen vergaberechtliche Regelungen und
auch nicht gegen die interne Vergaberichtlinie des Insti-
tuts. Zu dieser Beauftragung bedurfte es keiner Aus-
schreibung, weil es sich bei der zu erbringenden Dienst-
leistung um eine Leistung handelte, die im Wettbewerb
mit freiberuflich Tätigen – Wirtschaftsprüfer und
Rechtsanwälte seien hierbei genannt – angeboten wird.
Derartige Dienstleistungen, die nicht unter den Anwen-
dungsbereich der Verdingungsordnungen fallen, können
grundsätzlich freihändig vergeben werden. Auch die in-
terne Vergaberichtlinie des Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sieht ausdrück-
lich vor, dass öffentliche Aufträge, die eine Leistung ei-
nes freiberuflich Tätigen zum Inhalt haben und, wie vor-
liegend, unterhalb der EG-Schwellenwerte angesiedelt
sind, in der Regel grundsätzlich freihändig vergeben
werden können.
Der Vorstand der Stiftung für Qualität und Wirtschaft-
lichkeit im Gesundheitswesen hat einvernehmlich ver-
einbart, dass keine Detailinformationen über die Beauf-
tragung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und
deren Ergebnisse an die Öffentlichkeit gegeben werden.
Die Diskussion um nicht ordnungsgemäße Verwal-
tungsabläufe und ihre Überprüfung soll zum Schutz der
Institutsarbeit und der Mitarbeiter nicht weiter angefacht
werden. Eine Veröffentlichung der an die BDO geleiste-
ten Zahlungen wäre im Übrigen auch nur mit deren Zu-
stimmung möglich, weil das Auftragshonorar als Be-
triebs- bzw. Geschäftsgeheimnis anzusehen ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, welche sachlichen Grundlagen
liegen denn dieser Aufteilung des Verfahrens – freiberuf-
liche Auftragnehmer einerseits und gewerbliche oder in-
stitutionelle Auftragnehmer andererseits – zugrunde,
und in welcher Art und Weise hat die Bundesregierung,
die durch Staatssekretär Kapferer im Vorstand des Insti-
tuts vertreten ist, darauf Einfluss genommen, dass diese
Aufträge an die BDO erteilt worden sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Zum ersten Teil der Frage verweise ich auf meine
Antwort von eben: Bei der Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaft BDO handelt es sich um einen Wirtschaftsprüfer,
also um einen freiberuflich Tätigen. Das heißt, Dienst-
leistungen wie die, die die Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaft BDO erbringt, fallen eben nicht unter den Anwen-
dungsbereich der Verdingungsordnungen und können
deshalb grundsätzlich freihändig vergeben werden. Hier
halten wir uns eindeutig an die Vorgaben, die an dieser
Stelle auch erfüllt sind.
Zum zweiten Teil der Frage – das war die Frage nach
der Entscheidung der Stiftung –: Die Entscheidung des
Stiftungsvorstandes wurde einvernehmlich gefällt und
insofern auch von allen Beteiligten getroffen, die im
Stiftungsvorstand sind, das heißt, Ärzten, Krankenhäu-
sern und Krankenkassen. Übrigens wurde auf Wunsch
des Institutsleiters eine Prüfung durchgeführt. Das heißt,
es war nicht alleiniger Wille des Bundesministeriums,
sondern der einvernehmliche Wunsch der Beteiligten in
dem Vorstand und auch der Betroffenen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. – Sie ver-
zichten.
Die Fragen 3 und 4 der Kollegin Dr. Martina Bunge
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Kathrin Senger-
Schäfer auf:
Unter welchen Annahmen trifft die Einschätzung des Bun-
desversicherungsamtes zu, dass es in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung im kommenden Jahr eine Finanzlücke von
etwa 6,4 Milliarden Euro geben wird bzw. das Defizit sogar
auf 15 Milliarden Euro ansteigen könnte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich darf für die Bun-desregierung sagen, dass konkrete Prognosen zur Fi-nanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherungderzeit lediglich für das Jahr 2010 möglich sind. Danachist auf Basis der bisherigen Annahmen des Schätzerkrei-ses unter Berücksichtigung des zusätzlichen Bundeszu-schusses von 3,9 Milliarden Euro zum Ausgleich krisen-bedingter Mindereinnahmen in diesem Jahr von einerUnterdeckung der voraussichtlichen Ausgaben der ge-setzlichen Krankenversicherung gegenüber den Zuwei-sungen des Gesundheitsfonds in einer Größenordnungvon circa 4 Milliarden Euro auszugehen. Für das Jahr2011 sind derzeit keine validen Finanzschätzungen mög-lich. Der Schätzerkreis wird sich auf seiner Herbstsit-zung erstmalig damit befassen.Da zum derzeitigen Zeitpunkt keine validen Annah-men über die Einnahme- und Ausgabenentwicklung imnächsten Jahr getroffen werden können, hat auch derPräsident des Bundesversicherungsamtes keine konkre-ten Prognosen über eine zu erwartende Finanzentwick-lung der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr2011 in der Regierungskommission in der letzten Wocheabgegeben, sondern er hat lediglich rein rechnerischeAnnahmen darüber getroffen, welches Finanzergebnisder gesetzlichen Krankenversicherung sich bei bestimm-ten Veränderungen der Einnahmen und Ausgaben er-gäbe.
Metadaten/Kopzeile:
3026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Auch wenn jetzt
noch keine validen Berechnungen vorliegen, wie Sie ge-
sagt haben, würde es mich doch interessieren, wie das
für das Jahr 2011 geschätzte Defizit in der gesetzlichen
Krankenversicherung gedeckt werden soll. Soll es durch
Erhebung von Zusatzbeiträgen gedeckt werden, oder ist
eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes vorgese-
hen?
Bitte.
D
Genau diese Frage ist Gegenstand der Beratungen in
der Regierungskommission, die ihre Arbeit aufgenom-
men, in der letzten Woche zum ersten Mal getagt und
sich mit den Vorträgen des Präsidenten des Bundesver-
sicherungsamtes und des Vorsitzenden des Sachverstän-
digenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund-
heitswesen einen ersten Überblick über die Entwicklung
verschafft hat. Das heißt, die Regierungskommission
wird in den Beratungen zu konkreten Ergebnissen kom-
men, wie mit einem möglichen Defizit im Jahre 2011 zu
verfahren ist. Vorentscheidungen über Beitragssatzent-
wicklung und Zusatzbeiträge können hier noch nicht ge-
troffen werden. Im Übrigen gilt die Vereinbarung des
Koalitionsvertrages, der vorsieht, dass der schon in der
letzten Legislaturperiode festgeschriebene Arbeitgeber-
beitrag weiterhin fest bleibt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. – Sie
verzichten.
Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Kathrin
Senger-Schäfer auf:
Ist es zutreffend, dass sich die Regierungskommission zur
nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Ge-
sundheitswesens – wie von der Parlamentarischen Staats-
sekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Annette
Widmann-Mauz, auf dem DAK-Pflegetag am 18. März 2010
angekündigt – auch mit Fragen der zukünftigen Ausgestaltung
der sozialen Pflegeversicherung befasst, und, wenn ja, wel-
chen inhaltlichen Umfang hat diese weiterreichende themati-
sche Ausrichtung der Kommission?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Gefragt war danach, ob sich die Regierungskommis-
sion, die in der letzten Woche zum ersten Mal getagt hat,
auch mit den Fragen der Ausgestaltung der sozialen
Pflegeversicherung befassen wird. In der Frage wird da-
bei auf Äußerungen meiner Kollegin, der Parlamentari-
schen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, bei ei-
ner Veranstaltung am 18. März Bezug genommen. Ich
darf nur sagen: Diese Wiedergabe der Äußerungen von
Frau Widmann-Mauz ist nicht zutreffend. Die in der
Frage formulierte Vermutung ist von der Parlamentari-
schen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz nicht ge-
äußert worden.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Zur Konkretisierung: Wird sich demnach die Bundes-
regierung nicht in einer weiteren Kommission eigens mit
der dem Koalitionsvertrag zu entnehmenden Neuaus-
richtung des solidarischen Pflegeversicherungssatzes be-
fassen? Habe ich das richtig verstanden?
D
Nein, Frau Kollegin Senger-Schäfer, das haben Sie
insofern nicht korrekt verstanden, als der Unterschied
darin besteht, dass wir im Bereich der Gesundheitspoli-
tik eine Regierungskommission zur nachhaltigen Finan-
zierung im Gesundheitswesen einsetzen – so sieht es der
Koalitionsvertrag vor –, während wir für den Bereich der
Pflege vorsehen, die Pflegeversicherung vor dem Hinter-
grund einer alternden Bevölkerung zukunftsfest und
nachhaltig zu stabilisieren und dafür eine interministe-
rielle Arbeitsgruppe einzusetzen. Es ist der Plan der Re-
gierung, dass diese interministerielle Arbeitsgruppe im
zweiten Halbjahr dieses Jahres eingesetzt wird. Diese in-
terministerielle Arbeitsgruppe wird sich dann mit den Fi-
nanzfragen der sozialen Pflegeversicherung ausreichend
beschäftigen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? – Keine. Danndanke ich dem Herrn Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. ZurBeantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung.Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Anton Hofreiterauf:Inwieweit trifft es zu, dass gemäß der Anfang Februar2010 veröffentlichten Ausschreibung „Begleitung/Beratungdes Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung bei der Vergabe von vier ÖPP-Projekten imBundesfernstraßenbau“ das im Rahmen dieses Verfahrensausgewählte Beratungsunternehmen – bzw. einzelne Mitglie-der eines Beratungskonsortiums – bei anderen als den vomausgeschriebenen Auftrag abgedeckten Projekten auch fürUnternehmen – gegebenenfalls als Mitglieder von Konsortien –arbeiten darf, welche als Bieter – gegebenenfalls in Konsor-tien – bei den A-Modell-Projekten beteiligt sind?Angesichts der komplizierten Fragestellung hoffe ichsehr, Herr Staatssekretär und Herr Abgeordneter, dassIhre Antworten und Zusatzfragen mir ermöglichen, dentieferen Sinn dessen, wonach hier gefragt ist, noch zu er-gründen. – Bitte, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3027
(C)
(B)
D
Frau Präsidentin, ich lade Sie gerne in den Verkehrs-
ausschuss ein, damit Ihnen dieses Vokabular vertraut
wird. Ich bemühe mich aber, für die Kolleginnen und
Kollegen, die nicht im zuständigen Ausschuss sitzen, die
Frage verständlich zu beantworten.
Herr Kollege Hofreiter, das im Rahmen der Anfang
Februar 2010 veröffentlichten Ausschreibung „Beglei-
tung/Beratung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung bei der Vergabe von vier ÖPP-
Projekten im Bundesfernstraßenbau“ auszuwählende
Beratungskonsortium darf zeitgleich für Unternehmen
arbeiten, die als Bieter bei ÖPP-Projekten im Bundes-
fernstraßenbau beteiligt sind, sofern es sich dabei nicht
um die in oben genannter Ausschreibung abgedeckten
vier Projekte handelt.
Vergaberechtliche Bedenken bestehen nicht. Jeder
einzelne Berater muss im Falle der Beauftragung durch
das BMVBS eine Erklärung über die Verpflichtung im
Sinne von § 1 des Verpflichtungsgesetzes unterzeichnen.
Die Berater sind insofern zur Geheimhaltung der im Zu-
sammenhang mit diesem Auftrag erlangten Informatio-
nen im Sinne von § 353 b Abs. 2 Nr. 2 StGB verpflich-
tet.
Danke schön. – Sie haben das Wort zur ersten Nach-
frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Bundesregie-
rung geht also nicht davon aus, dass es sich um einen In-
teressenkonflikt handelt, wenn ein Mitarbeiter des Bera-
tungsunternehmens oder des Beratungskonsortiums für
eine Firma tätig ist, die auch Aufträge im Rahmen eines
anderen PPP-Projektes annimmt – ich nenne zum Bei-
spiel den Ausbau der A8 zwischen München und Augs-
burg –, und wenn er gleichzeitig die Wirtschaftlichkeits-
untersuchung für den Bund durchführt, ob PPP sinnvoll
ist oder nicht sinnvoll ist. Habe ich es richtig verstanden,
dass die Bundesregierung da keinen Interessenkonflikt
sieht?
D
Wir gehen davon aus und sind fest davon überzeugt,
dass sich die Berater, die sich vorher verpflichtet haben,
an diese Verpflichtung halten. Somit ist der Sachverhalt
so, wie ich ihn in der Antwort dargestellt habe. Ja.
Ihre zweite Nachfrage.
Das bedeutet also, dass die Bundesregierung abstrei-
tet, dass es für einen Berater sinnvoll sein kann, im PPP-
Geschäft für eine Firma tätig zu sein, die Wirtschaftlich-
keitsuntersuchungen – um die handelt es sich letztend-
lich – durchführt und die darüber entscheidet, ob die
Bundesrepublik ein Verkehrsinfrastrukturobjekt – zum
Beispiel eine Autobahn – mithilfe von PPP oder klas-
sisch-öffentlich ausbaut. Es geht meistens um sehr viel
Geld. Die Projekte haben einen Umfang zwischen
500 Millionen und über 1 Milliarde Euro.
Trifft es also zu, dass die Bundesregierung bestreitet,
dass es einen Interessenkonflikt gibt, wenn ein Berater
die Bundesregierung in die Richtung berät, dass die Un-
ternehmen, für die er sonst tätig ist, einen Vorteil haben?
Die Unternehmen haben doch ein ganz großes Interesse,
dass die Autobahnen in Form von PPP-Projekten ausge-
baut werden und nicht klassisch. Diese Meinung haben
die Unternehmen auch geäußert.
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Hofreiter, Sie lassen in Ihrer Frage die
Trennung von Ausschreibung und Beratertätigkeiten
vermissen. Ich denke, dass ich in meiner Antwort un-
missverständlich klargestellt habe, dass das unabhängig
von den in der Ausschreibung abgedeckten Projekten ist
und dass es eine Verpflichtung für die Berater gibt, diese
Trennung bei ihrer Arbeit sehr sorgfältig zu beachten
und umzusetzen.
Wir kommen damit zur Frage 8 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter:
Inwieweit trifft es insofern zu, dass ein im Rahmen dieses
Ausschreibungsverfahrens ausgewähltes Beratungsunterneh-
men beispielsweise bei kommunalen PPP-Projekten ein Bau-
unternehmen beraten darf, welches als Bieter – gegebenenfalls
im Rahmen eines Konsortiums – an den Ausschreibungsver-
fahren für die A-Modell-Projekte teilnimmt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Diese Frage zu demselben Themenkomplex beant-
worte ich wie folgt: Berät ein Beratungskonsortium ein
Bauunternehmen im Rahmen kommunaler ÖPP-Pro-
jekte, so schließt das eine Beauftragung im Rahmen der
Anfang Februar veröffentlichten Ausschreibung nicht
aus. Eine Beauftragung scheitert seitens des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auch
dann nicht, wenn das Bauunternehmen zeitgleich als Bie-
ter – gegebenenfalls im Rahmen eines Konsortiums – an
ÖPP-Projekten im Bundesfernstraßenbau beteiligt ist,
sofern ein Interessenkonflikt ausgeschlossen werden
kann, das heißt in diesem Falle, sofern ausgeschlossen
ist, dass der Berater im Rahmen eines ÖPP-Projekts zeit-
gleich sowohl aufseiten der öffentlichen Hand als auch
aufseiten der Privaten tätig wird.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
3028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Erst einmal vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diedoch sehr eindeutigen Antworten. – Das heißt, die Bun-desregierung geht davon aus, dass ein Berater gewisser-maßen in schizophrener Art in der Lage ist, zwischendem zu trennen, was er für das Bauunternehmen macht,und dem, was er für die Bundesregierung macht, unddies klar und sauber auseinanderzuhalten. Da solcheDinge zum Beispiel schon bei Banken scheitern, wennes sich um unterschiedliche Abteilungen handelt – den-ken Sie an sogenannte Chinese Walls usw. –, wie wollenSie dann in der Praxis sicherstellen, dass eine solcheTrennung im Kopf der Leute stattfindet?
D
Ihre Bemerkung nehme ich gerne auf, Herr Kollege
Hofreiter. Über die psychischen Einschätzungen, die Sie
in der Frage unterstellen, will ich mir jetzt kein Urteil er-
lauben. Danke für das Lob an das Haus, dass wir so ein-
deutig antworten. Wir machen das sehr gerne.
Vom Inhalt her ist völlig klar, dass es um zwei ver-
schiedene Mandate geht und dass die Berater dies tren-
nen können. Dazu haben sie sich verpflichtet.
Ihre zweite Nachfrage.
Wenn die Berater angeblich so unabhängig agieren,
dann können wir sicher davon ausgehen, dass wir im
Verkehrsausschuss über die Wirtschaftlichkeitsuntersu-
chung zumindest nach Abschluss der Projekte – die ers-
ten sind bereits im Bau – transparent diskutieren können.
Wie steht die Bundesregierung dazu? Es geht also nicht
um zukünftige Projekte, sondern darum, dass wir als
Parlament die Projekte, die in der Vergangenheit stattge-
funden haben und bei denen auch diese Wirtschaftlich-
keitsuntersuchungen erstellt wurden, evaluieren und
überprüfen können und darüber im Verkehrsausschuss in
transparenter Weise diskutieren können.
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege, die Bundesregierung ist immer um
Transparenz bemüht. In diesem Sinne haben wir schon
öfter im zuständigen Fachausschuss Ihre Anliegen auf-
genommen. Ich habe Ihnen zugesagt, dass wir im Aus-
schuss eine separate Diskussion über die Sinnhaftigkeit
und Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten führen wer-
den. Wir haben aber auch bestätigt, dass all das, was in
die vertraglichen Ausgestaltungen hineingreift, natürlich
nicht Gegenstand der Diskussion sein kann. Wir haben
darüber intensive Diskussionen im Fachausschuss ge-
führt; Sie erinnern sich sicher an die letzten Sitzungen.
Wir können und müssen aber generell über die Wirt-
schaftlichkeit dieser für den Verkehrsbereich wichtigen
ÖPP-Projekte diskutieren.
Vorerst herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir bleiben im Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Be-
antwortung der Fragen 9 bis 13 steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Lisa Paus auf:
Bei welchen Aufträgen der Bundesregierung, nachgeord-
neter Behörden oder der von ihr beherrschten Unternehmen
an die Bilfinger Berger AG seit dem Jahr 2000 sind der Bun-
desregierung Verdachtsfälle von Materialunterschlagungen, Ma-
nipulationen an der Bauausführung, überhöhten Abrechnun-
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Frau Präsidentin, die Frage beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung bzw. das nachgeordnete Eisenbahn-
Bundesamt erteilen keine Aufträge im Eisenbahnbau.
Vorhabenträger für Investitionen in die Bundesschienen-
wege ist die Deutsche Bahn AG. Dem Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie dem
Eisenbahn-Bundesamt ist kein Verdachtsfall auf Korrup-
tion der Firma Bilfinger Berger AG vom Jahr 2000 bis
heute bekannt. Die Deutsche Bahn AG kann in der
Kürze der Zeit weder bestätigen noch ausschließen, dass
ihr ein entsprechendes Vorkommnis bekannt ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staats-sekretär, Bilfinger Berger ist nicht nur im Eisenbahnbautätig. Die Bundesregierung ist zum Beispiel am Bau desBerliner Flughafens Schönefeld beteiligt. Wenn ich rich-tig informiert bin – zumindest stand dies so in der Wirt-schaftswoche –, ist im Rahmen des Bahnanschlusses unddes Gesamtkomplexes Flughafen sehr wohl ein Auftragan Bilfinger Berger erteilt worden. Von daher frage ichSie: Haben Sie die Vorkommnisse, die – wie wir inzwi-schen leider feststellen mussten – keine Einzelfälle sind,sondern gehäuft aufgetreten sind, zum Anlass genom-men, um laufende und auch kürzlich abgeschlosseneBauarbeiten, an denen die Bundesregierung beteiligt istund die sich nicht nur auf den Eisenbahnbereich bezie-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3029
Lisa Paus
(C)
(B)
hen, zu überprüfen? Sind Sie daraufhin auf neue Er-kenntnisse gestoßen?E
Geschätzte Kollegin, zunächst muss ich Sie etwas
korrigieren. Natürlich ist die Bilfinger Berger AG auch
im Bahnbau und im Tunnelbau für Eisenbahnunterneh-
men tätig. Die Fälle, in denen eine Beteiligung vorliegt,
werden von der Deutschen Bahn AG überprüft. Das hat
bisher zu keinen negativen Erkenntnissen geführt. Im
Übrigen baut die Bilfinger Berger AG unter anderem an
U-Bahn-Schächten mit. Auch hier sind uns bis dato keine
negativen Fälle bekannt geworden, sodass ich – nach
unserem Kenntnisstand – ein Fehlverhalten ausschließen
kann.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie keine weite-
ren Überprüfungen vorgenommen haben, obwohl die
Bundesregierung selbst betroffen ist? Es liegt doch nahe,
dass es nicht nur Einzelfälle in Düsseldorf, Köln, Nürn-
berg und München gegeben hat, sondern dass es eventuell
auch bei anderen Bauprojekten, die von der Bilfinger
Berger AG durchgeführt worden sind, Materialunter-
schlagungen, Manipulationen an der Bauausführung und
überhöhte Abrechnungen gegeben haben kann. Ist es
richtig, dass Sie keine eigenen Überprüfungen veranlasst
haben?
E
Derzeit führen diese Überprüfungen diejenigen durch,
die das Bauvorhaben als Bauherr begleitet haben. Wir fi-
nanzieren lediglich diese Vorhaben zum großen Teil,
sind also nicht direkt an der Bauausführung bzw. an der
Kontrolle beteiligt. Wir haben aber diejenigen, die am
Bau beteiligt waren, gebeten, uns zu berichten, ob es
Verfehlungen gegeben hat. Bisher ist uns nichts bekannt.
Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Dorothée Menzner
werden schriftlich beantwortet. Diese befassen sich,
ebenso wie die jetzt folgenden Fragen 12 und Frage 13
der Kollegin Sabine Stüber, mit Auflagen und Sicher-
heitsbestimmungen für deutsche Häfen, mit der Abwick-
lung von Transporten von plutoniumhaltigen Mischoxid-
bzw. von Uran-Brennelementen.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Sabine Stüber auf:
Welche Auflagen bezüglich des Durchlaufens einer
Kalthantierung im Rahmen von Transporten von Mischoxid-
Brennelementen bzw. Uran-Brennelementen gibt es für die
einzelnen deutschen Häfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Danke schön, Frau Präsidentin. – Die Frage beant-
worte ich wie folgt: Auflagen bezüglich der Durchfüh-
rung von Kalthandhabung für Häfen gibt es nicht. Im
Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Transporte
von Kernbrennstoffen wird geprüft, ob der Transport in
Übereinstimmung mit den einschlägigen Regeln des Ge-
fahrgutrechts und des Atomrechts durchgeführt werden
kann. Diese Prüfungen können auch die Durchführung
einer Kalthandhabung beinhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. – Sie ver-
zichten auf die Nachfrage.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Sabine Stüber auf:
Welche deutschen Häfen haben bereits eine Kalthantierung
mit Mischoxid- bzw. Uran-Brennelementen durchlaufen?
E
Ich gebe folgende Antwort: In Cuxhaven wurde die
Abwicklung eines Transports mit Mischoxid-Brennele-
menten geprüft. In Bremerhaven wurden solche Trans-
porte bereits mehrfach durchgeführt. Transporte mit
Uran-Brennelementen werden in verschiedenen deut-
schen Häfen regelmäßig umgeschlagen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Bitte spezifizieren Sie, welche verschiedenen deut-
schen Häfen das sind.
E
Das kann ich so nicht spezifizieren. Ich muss die
Frage schriftlich beantworten, weil das nicht in der
Kompetenz des BMVBS liegt.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage? – Nein. Ichgehe davon aus, dass die entsprechenden InformationenSie erreichen werden.Die Frage 14 der Kollegin Bärbel Höhn wird schrift-lich beantwortet. Wir kommen zu den Fragen 15 bis 22,welche sich mit Kriterien für die Besetzung der demBund zustehenden Sitze im Aufsichtsrat der DeutschenBahn AG befassen. Die Fragen 15 und 16 des KollegenThomas Lutze werden schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Ingrid Remmers auf:Wie viele Frauen waren bislang Aufsichtsräte der Kapital-seite seit Gründung der Deutschen Bahn AG Anfang 1994, undhat die Bundesregierung für den Aufsichtsrat der DeutschenBahn AG die Möglichkeit einer Frauenquote in Erwägung ge-zogen, wie sie jüngst in Frankreich allgemein für Verwaltungs-räte und jüngst im Fall des Telekom-Aufsichtsrates beschlossenwurde, oder besteht zumindest ein Frauenförderplan?Bitte, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
3030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
E
Dazu gebe ich folgende Antwort: Bislang gab es eine
weibliche Mandatsträgerin aufseiten der Anteilseigner-
vertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG. Die
Besetzung der Aufsichtsräte ist im Bundesgremienbeset-
zungsgesetz geregelt. Darüber hinausgehende Regelun-
gen für die Deutsche Bahn AG bestehen nicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Kollege Ferlemann, ich hätte gerne einmal ge-
wusst, ob es generell Überlegungen in der Bundesregie-
rung gibt, Frauen in dieses Amt zu berufen, für diese
Aufgabe auszuwählen. Oder gibt es dahin gehend über-
haupt keine Vorschläge und Überlegungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Es gibt immer die Überlegung, fachlich hochqualifi-
zierte Frauen in Führungsgremien und Aufsichtsräte zu
berufen. In diesem Fall haben wir eine entsprechende
Kandidatin nicht vorgesehen.
Ihre zweite Nachfrage. – Sie verzichten.
Jetzt stellt die Kollegin Sabine Leidig eine Zusatz-
frage.
Ich möchte Ihnen die Frage stellen, ob Ihnen bewusst
ist, dass die Deutsche Bahn im Nahverkehr überwiegend
und im Fernverkehr etwa zur Hälfte von Frauen genutzt
wird. Ich möchte ferner fragen, wie Sie sicherstellen
wollen, dass die Interessen von weiblichen Bahnnutzern
auch im höchsten Aufsichtsgremium der Bahn repräsen-
tiert werden.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich freue mich außerordentlich über die Zahlenanga-
ben, auch wenn ich sie so nicht bestätigen kann. Wenn es
so sein sollte, dass überwiegend Frauen mit der Bahn
fahren, begrüße ich das außerordentlich. Wir freuen uns
über jeden Fahrgast, ob männlich oder weiblich, der das
Eisenbahnsystem nutzt, weil das der Strategie der Bun-
desregierung entgegenkommt, den Verkehr von der
Straße auf die Schiene zu verlagern.
Die Interessen von Frauen werden in den Aufsichts-
gremien der Bahn sehr gut vertreten. Dabei spielt es
keine Rolle, ob die Vertreter im Aufsichtsgremium
männlich oder weiblich sind. Wichtig ist, dass die Inte-
ressen der Frauen bei der Beurteilung der Aufgaben
deutlich gesehen werden, und das kann ich garantieren.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Enkelmann das Wort.
Könnte Norwegen möglicherweise ein Vorbild für die
Bundesrepublik sein? Immerhin ist dort vorgesehen,
dass mindestens 40 Prozent der Mitglieder in Aufsichts-
räten von börsennotierten Unternehmen Frauen sein
müssen.
E
Geschätzte Frau Kollegin, das entspricht nicht ganz
dem Aufgabenfeld des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung. Gleichwohl will ich die
Frage gerne beantworten: Ich finde das prima. Je mehr
Frauen in Leitungspositionen sind, umso besser ist das –
wenn sie die fachliche Qualifikation dazu und den ent-
sprechenden beruflichen Hintergrund haben. Danach ha-
ben wir die Kandidatinnen und Kandidaten jeweils aus-
gesucht.
Natürlich kann man sehen, wie im europäischen Aus-
land mit solchen Quotierungen umgegangen wird. Ich
halte grundsätzlich nichts von Quoten, von festen Rah-
men. Gleichwohl bin ich ein Vertreter derjenigen, die
sehr dafür sind, auch Frauen in Führungspositionen zu
berufen.
Ausnahmsweise gibt es jetzt noch die Möglichkeit zur
zweiten Nachfrage, auf die Sie vorhin verzichtet haben,
Kollegin Remmers. Das ist dann die letzte zur Frage 17.
Ich danke dafür, Frau Präsidentin. – Wenn ich Sie
jetzt richtig verstanden habe, Kollege Ferlemann, lag zur
Besetzung des Aufsichtsrats nicht eine einzige weibliche
Bewerbung vor.
E
Man kann sich bei uns nicht einfach so bewerben
– nach dem Motto: Ich schicke einmal eine Bewerbungs-
mappe hin und kann dann berufen werden –, sondern es
wird gezielt nach Personen gesucht, die aus fachlichen
Gründen für diese Gremien infrage kommen.
Wir kommen zur Frage 18 der Kollegin IngridRemmers:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3031
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Aufgrund welcher Erfahrungen hält die BundesregierungProfessor Dr. Dr. h. c. Utz-Hellmuth Felchts Qualifikation fürdie Position des Aufsichtsratsvorsitzenden für ausreichend,wenn dieser zwei Wochen vor seiner ins Auge gefassten Wahlzum Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt gibt, sich im Besitzeiner Modelleisenbahn zu befinden, selbst „kein Bahnfach-mann“ zu sein und zur aktuell maßgeblichen Frage der mögli-chen Trennung von Netz und Betrieb „einfach noch keine Linie“
Bitte, Herr Staatssekretär.E
Ich gebe folgende Antwort: Mit Utz-Hellmuth Felcht
hat die Bundesregierung einen erfahrenen Wirtschafts-
fachmann mit exzellenten Referenzen und herausragen-
den Managementqualitäten für den Aufsichtsrat der
DB AG gewonnen. Herr Felcht ist eine Persönlichkeit
mit vielfältigen Erfahrungen in großen Industrieunter-
nehmen, sowohl als Aufsichtsrat als auch im operativen
wie auch im strategischen Geschäft.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ich setze meine Frage in Bezug zur vorherigen Frage.
Der Aufsichtsrat ist überwiegend mit Vertretern aus der
Wirtschaft besetzt. Sie haben eben festgestellt, dass man
sich für diese Aufgabe im Vorstand nicht einfach bewer-
ben kann. Ich ziehe daraus jetzt den Schluss, dass sich in
der gesamten deutschen Wirtschaft keine annähernd
qualifizierte Frau für diese Aufgabe finden lässt.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Die rhetorische Frage kann ich so nicht stehen lassen.
Wir sind der Überzeugung, dass wir für diese Aufgabe
mit Utz-Hellmuth Felcht einen exzellenten Mann haben
gewinnen können.
Eine zweite Nachfrage.
Wir haben festgestellt, dass Herr Felcht nach eigenen
Angaben keine näheren Kenntnisse über das neue Betäti-
gungsfeld hat. Sein eigenes Zitat: „Ich bin kein Bahn-
fachmann.“ Er hat keine eigene Linie zu der Frage, ob
bei der Bahn Netz und Betrieb getrennt werden sollen.
Das heißt, wir haben hier jemanden, der sich mit der Ma-
terie, mit der er sich in Zukunft beschäftigen soll, bis
jetzt noch nicht beschäftigt hat.
Ich muss noch einmal nachhaken. Hat sich bei dieser
Anforderung an die Qualifikation für dieses Amt oder
für andere Posten im Aufsichtsrat keine Frau gefunden?
Bitte.
E
Ich beantworte die Frage wie folgt: Wir haben für
diese Position genau diesen Mann gesucht und gefunden
und haben nicht aktiv nach einer weiblichen Person Aus-
schau gehalten.
Auf Ihre Frage, ob Herr Felcht Erfahrungen im Bahn-
sektor hat, antworte ich: Er hat sehr wohl Erfahrungen.
Uns lag im Wesentlichen daran, dass auch diejenigen,
die ein Bahnsystem nutzen, den Aufsichtsgremien ange-
hören. Jemand, der ein großes Chemieunternehmen ge-
führt hat und dort in verschiedenen Bereichen tätig war,
ist ein großer Nutzer von Bahninfrastruktur und Bahnbe-
trieben. Daher liegen bei Herrn Felcht schon naturgege-
ben große Erfahrungswerte vor. Deswegen ist gerade er
für die Position prädestiniert.
Ich habe den Wunsch nach zwei Nachfragen gesehen,
nämlich von der Kollegin Leidig und von der Kollegin
Menzner. Danach gehen wir zur nächsten Frage über.
Bitte, Kollegin Leidig.
Sie sprachen gerade von der Eigenschaft des Herrn
Felcht als Nutzer der Bahn, indem er in seiner Verant-
wortung für einen großen Chemiebetrieb Güter von der
Bahn transportieren ließ. Sehen Sie auch die Eigenschaft
des Herrn Felcht als Mitglied des Direktoriums eines der
größten Baustoffkonzerne der Welt, nämlich des CRH,
welches auch im Tiefbau tätig ist? Sehen Sie darin eine
besondere Qualifikation, weil möglicherweise Ge-
schäftsbeziehungen zur Deutschen Bahn AG geknüpft
werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Es geht nicht um die Eigenschaften von Herrn Felchtals Person, sondern natürlich als jemandem, der einemUnternehmen vorgestanden hat. Aus dieser Beziehungheraus gewinnt natürlich jemand, der solche Manage-mentfunktionen wahrgenommen hat, die notwendige Er-fahrung im Umgang auch mit der Eisenbahninfrastrukturund mit dem Unternehmen Eisenbahn.
Metadaten/Kopzeile:
3032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(C)
(B)
Die Frage, ob hier Befangenheit oder Ähnliches vor-liegt, kann ich eindeutig verneinen. Im Übrigen ist es so,dass jedes Mitglied in einem Aufsichtsrat zu Beginn sei-ner Tätigkeit eine Erklärung nach dem Public CorporateGovernance Kodex zu unterschreiben hat. Damit sindsolche Verdächtigungen, wie Sie sie angedeutet haben,von vornherein haltlos.
Die letzte Nachfrage zur Frage 18 stellt die Kollegin
Dorothée Menzner.
Herr Staatssekretär, laut Aktiengesetz hat der Auf-
sichtsrat die Pflicht, die Interessen des Eigentümers zu
vertreten. Im Fall der DB AG ist die Bevölkerung der
Bundesrepublik Deutschland der Eigentümer. Wir als
Parlament bzw. die Regierung sind ihre Vertreter. Sie ha-
ben eben ausgeführt, dass Sie es für ein lässliches Pro-
blem halten, wenn dort eine große Eigentümergruppe,
zum Beispiel Frauen, nicht vertreten sind. Wie gewähr-
leisten Sie in der Gesamtheit des Aufsichtsrates, dass die
Interessen der Eigentümer, sprich der Bevölkerung der
Bundesrepublik Deutschland, vertreten werden, wenn
doch nach so strengen Kriterien, wie Sie sie eben ausge-
führt haben, ausgewählt wird?
E
Wir halten die Auswahl des Aufsichtsrates für exzel-
lent und glauben, dass wir hervorragende Fachleute ge-
funden haben. Wir gehen davon aus, dass die Interessen
der Eigentümer, in diesem Fall vertreten durch die Bun-
desregierung, natürlich mit kontrolliert durch den Deut-
schen Bundestag, stellvertretend für die Gesamtbevölke-
rung, ausreichend und gut vertreten werden.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sabine Leidig auf:
Wie kann die Bundesregierung glaubhaft vermitteln, dass
Professor Dr. Dr. h. c. Utz-Hellmuth Felcht als Aufsichtsrats-
vorsitzender der DB AG das öffentliche Interesse vertritt und
nicht in Interessenkonflikte gerät mit seiner Funktion als
Managing Director der Investmentgesellschaft One Equity
Partners, OEP, die die Unternehmen Travelport, Travel Acqui-
sitions Group und Carlson Wagonlit Travel kontrolliert, die
maßgeblichen Einfluss im weltweiten Management von Ge-
schäftsreisen haben, oder mit seiner Funktion als Aufsichts-
ratsvorsitzender der Süd-Chemie, eines Unternehmens mit
großem Schienengüterverkehrsaufkommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Frage 19 beant-
worte ich wie folgt: Die Besetzung der Aufsichtsräte ist
im Bundesgremienbesetzungsgesetz geregelt. Alle Man-
datsträger müssen nach dem Public Corporate Gover-
nance Kodex das Interesse des Bundes angemessen be-
rücksichtigen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Ich möchte noch einmal nachfragen, ob Ihnen be-
kannt ist und ob Sie sich mit diesem Problem inhaltlich
beschäftigt haben, dass Herr Felcht nicht nur in den Auf-
sichtsräten großer Bau- und Chemieunternehmen sitzt,
sondern zugleich Managing Director eines Unterneh-
mens namens OEP ist, welches Reiseunternehmen kon-
trolliert und einer der größten Organisatoren von Ma-
nagement-/Geschäftsreisen ist. Meine Frage lautet also:
Sind Sie sich darüber im Klaren und halten Sie es für
realistisch, dass ein einzelner Mensch in der Lage ist, in
mindestens vier bis fünf Aufsichtsräten großer Konzerne
zu sitzen und zugleich eine gute Aufsichtsratsarbeit bei
der Deutschen Bahn AG zu leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Frau Präsidentin, ich habe jetzt ein Problem, weil ein
Teil der Nachfrage die nächste Frage ist. Den entspre-
chenden Teil möchte ich gern nach dem Aufruf der
nächsten Frage beantworten, sodass ich jetzt, wenn Sie
einverstanden sind, nur den Teil beantworte, der sozusa-
gen neu gefragt worden ist. Es geht um die Frage, ob
man gute Arbeit leisten kann, wenn man in vier bis fünf
Aufsichtsräten sitzt oder anders wirtschaftlich tätig ist.
Klare Antwort: Ja, das kann man. Es ist sogar von Nut-
zen, wenn man über Erfahrungen aus verschiedenen
Branchenunternehmen verfügt, um den Aufsichtsrats-
vorsitz in einem solch großen Konzern, wie es die DB
AG nun einmal ist, wahrzunehmen.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?
Die Kollegin Remmers hat eine Nachfrage.
Herr Kollege Ferlemann, ich streite ja nicht ab, dass
es durchaus von Nutzen ist, wenn man vorher Erfahrung
in Aufsichtsräten gesammelt hat. Hat die Bundesregie-
rung jemals darüber nachgedacht, dass aber spätestens
zum Zeitpunkt der Übernahme des Aufsichtsratsvorsit-
zes in einem großen öffentlichen Unternehmen – das ist
keine Aufgabe, die man nebenher erledigt – andere Auf-
gaben niedergelegt werden sollten, damit man sich voll
und ganz auf diese Aufgabe konzentrieren kann und da-
mit Interessenkonflikte, die möglicherweise entstehen
könnten – das bezieht sich auf die nächste Frage –, ver-
mieden werden?
E
Die Bundesregierung hat bei jeder Besetzung sehr in-tensiv und gut nachgedacht und ist zu einem klugen Er-gebnis gekommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3033
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(C)
(B)
Damit kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Sabine
Leidig:
Warum besetzt die Bundesregierung weiterhin sechs von
zehn dem Eigentümer zustehenden Sitzen des Aufsichtsrates
der Deutschen Bahn AG mit Vertretern aus der Wirtschaft, bei
denen eigene wirtschaftliche Interessen dem öffentlichen Auf-
trag zuwiderlaufen könnten, und warum werden weder unab-
hängige Eisenbahnexperten noch Vertreter von Fahrgast-,
Umwelt- und Sozialverbänden benannt, um das öffentliche In-
teresse zu wahren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Auf diese Frage gebe ich folgende Antwort: Herr
Felcht ist aus Sicht der Bundesregierung ein ausgewiese-
ner Experte mit hoher fachlicher Kompetenz. Die Bun-
desregierung geht von der Unabhängigkeit von Herrn
Felcht aus. Die Möglichkeit von Interessenkonflikten ist
in jedem Einzelfall vom Aufsichtsratsmitglied selbst zu
prüfen und anzuzeigen. Sollte bei einer Aufsichtsratsent-
scheidung eine Interessenkollision auftreten, so hat der
Mandatsträger die Pflicht, darauf hinzuweisen, und darf
bei der Entscheidung nicht mitwirken.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Meine erste Nachfrage nimmt den Teil der gestellten
Frage auf, den Sie bis jetzt nicht beantwortet haben. Ich
frage, warum in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
weder Eisenbahnexperten noch Vertreter von Fahrgast-
verbänden, Umweltverbänden oder Sozialverbänden be-
rufen werden, die das öffentliche Interesse, zu dessen
Wahrung die Bahn verpflichtet ist, wahrnehmen könn-
ten, und warum sich die Bundesregierung stattdessen da-
rauf konzentriert, zusätzlich zu den Vertretern aus den
eigenen Reihen ausschließlich Vertreter von Unterneh-
men in den Bahnaufsichtsrat zu berufen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Noch einmal: Wir halten die Besetzung für exzellent
und freuen uns, dass wir diejenigen Personen gewinnen
konnten, die wir vorgeschlagen haben. Dass es sich um
Vertreter von Wirtschaftsunternehmen handelt, spielt für
uns eine große Rolle, weil gerade die Industrieunterneh-
men, die Wirtschaftsunternehmen diejenigen sind, die
im Rahmen von Güterverkehr und Logistik die Bahn
nutzen, also große Kunden sind und wissen, welche Pro-
bleme das Eisenbahnsystem insgesamt, sei es Betrieb
oder Infrastruktur, hat. Gerade das qualifiziert diejeni-
gen, die wir dafür ausgesucht haben. Wir haben uns des-
halb nicht für Vertreter von Fahrgastverbänden und
anderen Verbänden entschieden, weil wir diesen
Schwerpunkt ganz bewusst setzen wollten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Feststel-
lung, dass der Kollege von der SPD, der vorhin eine Ak-
tuelle Stunde beantragt hat, damit die von uns eigentlich
vorgesehene Aktuelle Stunde zu diesem Thema verhin-
dert hat. Meine Frage lautet, welche Aufsichtsratsmit-
glieder der Deutschen Bahn AG eigentlich von SPD-
Verkehrsminister Tiefensee berufen worden sind.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Zur Frage, warum wer wie eine Aktuelle Stunde be-
antragt, kann ich aus Sicht der Bundesregierung natür-
lich nicht Stellung nehmen; das ist das vornehmste Recht
des Parlaments. Gleichwohl mache ich aus meiner per-
sönlichen Einstellung keinen Hehl. Ich glaube, dass eine
solche Aktuelle Stunde nur dazu genutzt werden sollte,
Menschen, die sich für eine Aufgabe in einem großen in-
ternationalen Unternehmen zur Verfügung gestellt ha-
ben, zu diskreditieren. Ich bedaure es ausdrücklich, dass
die Fraktion Die Linke so etwas vorhatte.
Zu einer Nachfrage hat die Kollege Dorothée
Menzner das Wort.
– Die Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet,
und dann können Sie das bewerten. Aber Sie können
jetzt nicht diese Debatte weiterführen. – Bitte, Kollegin
Menzner.
Herr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
weil der Güterverkehr – das ist unstrittig – einen
großen Anteil der Tätigkeiten der DB AG ausmacht.
Wie wollen Sie als Bundesregierung aber dem Verdacht
entgegentreten, dass ein zweites großes und im öffentli-
chen Interesse liegendes Nutzungssegment der Bahn
nicht vertreten wird, nämlich der private Personennah-
und -fernverkehr? Dazu haben Sie nichts gesagt. Ich
hätte darauf gerne eine Antwort von Ihnen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
3034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
E
Frau Kollegin, da Sie schon lange Mitglied des Ver-
kehrsausschusses sind, ging ich eigentlich bis heute da-
von aus, dass Sie wissen, dass die Kompetenz für den
regionalen Personennahverkehr mit dem Regionalisie-
rungsgesetz in die Hände der Länder gegeben worden
ist; das ist schon seit der Bahnreform 1994 der Fall. In-
sofern bin ich etwas erstaunt, dass Sie nicht über diese
Kenntnisse verfügen.
Ich erläutere Ihnen das. Hierfür sind die Länder zu-
ständig, die als Besteller Unternehmen beauftragen, die
den Personennahverkehr durchführen. Die Bundesregie-
rung hat darauf keinen Einfluss, die DB AG letztlich nur
als Anbieter von Verkehrsleistungen. Hier muss sie sich
in Form einer Ausschreibung einem Wettbewerb stellen.
Dann wird entschieden, welches Unternehmen die Aus-
schreibung gewinnt. Dieses Unternehmen führt dann den
Verkehr durch. Darauf haben wir, wie gesagt, keinen
Einfluss. Deswegen macht es auch keinen Sinn, dass ein
Vertreter dieses Segments einen Sitz im Aufsichtsrat der
Deutschen Bahn hat.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Haus einen ein-
zigen Fakt mitteilen, der Sie zu der Mutmaßung berech-
tigt, dass die Linke mit einer Aktuellen Stunde irgend-
welche Personen diskreditieren möchte? Ein einziger
Fakt würde mir ausreichen. Ansonsten ist das eine unbe-
wiesene und nicht statthafte Behauptung.
E
Herr Kollege, ich habe die Fragen, aufgrund derer die
Aktuelle Stunde beantragt wurde und durchgeführt wer-
den sollte, bekommen. Wenn man die Fragestellungen
liest, stellt man fest: Es geht nur darum, Konflikte um
Personen und Gründe zu konstruieren, warum bestimmte
Personen nicht in ein bestimmtes Gremium berufen wer-
den sollten. Das halte ich schon für ziemlich diskreditie-
rend. Wenn das in Form einer Aktuellen Stunde ge-
schieht, wird das nicht weniger, sondern eher mehr, weil
die Debattenbeiträge in einer Aktuellen Stunde wesent-
lich länger sind. Das hat mich zu dieser persönlichen
Einschätzung gebracht.
Die letzte Nachfrage zur Frage 20 stellt die Kollegin
Remmers.
Herr Staatssekretär, ich möchte an dieser Stelle zu-
nächst einmal vorwegschicken, dass ich keinesfalls das
Ziel verfolge, hier irgendwelche Personen zu diskreditie-
ren. Wenn jemand wie Herr Felcht in so vielen Auf-
sichtsräten wirklich namhafter und großer Unternehmen
sitzt, bei deren Entscheidungen es um sehr viel Geld
geht, müssen Sie sich aber die Nachfrage gefallen lassen,
ob es hier nicht zu Interessenkonflikten kommen kann.
Daran schließt sich meine Frage an: Ist irgendwann ein-
mal eine Form von Kontrolle vorgesehen worden? Wir
alle wissen: Das sind Menschen, und hier geht es, wie
gesagt, um viel Geld. Da ist die Frage zu klären: Wie
kann man vermeiden, dass es zu Interessenkonflikten
kommt? Es geht nicht darum, irgendjemanden zu diskre-
ditieren.
Bevor Sie antworten, Herr Staatssekretär, sei mir ein
Hinweis gestattet, den ich im Verlauf dieser Fragestunde
schon zweimal gegeben habe. Da aber nicht alle Kolle-
ginnen und Kollegen schon anwesend waren, wiederhole
ich: Die Fragestunde zeichnet sich dadurch aus, dass
Fragen gestellt werden, die eine übersichtliche Satzlänge
haben und die es den antwortenden Mitgliedern der Bun-
desregierung wiederum ermöglichen, die Frage in ange-
messener Zeit zu beantworten. Ein noch angenehmerer
Effekt einer solchen Verfahrensweise ist, dass möglichst
viele der gestellten Fragen im Rahmen der Fragestunde
bearbeitet werden können und entsprechende Nachfra-
gen gestellt werden können. Danke.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will noch
eine Antwort nachliefern, weil ich vorhin hörte, dass ein
Teil nicht beantwortet war; das betraf die Frage der Kol-
legin Leidig danach, ob bestimmte Personen schon frü-
her – von dem Vorgänger des heutigen Bundesverkehrs-
ministers Dr. Ramsauer – berufen worden sind. Ja, das
ist der Fall; das sind all diejenigen, die von der Kapital-
seite wieder berufen worden sind.
Zu der Frage der Kollegin Remmers. Frau Kollegin
Remmers, ich bin sehr dankbar, dass Sie niemanden dis-
kreditieren wollen; das begrüße ich außerordentlich. Na-
türlich machen wir uns Gedanken darüber, wen wir
wann warum wo wie berufen. Gerade deshalb, weil wir
Personen gesucht haben, die über einen großen, breiten
Erfahrungsschatz auf der Nutzerseite, in der Wirtschaft,
insbesondere im Bereich Güterverkehr und Logistik,
verfügen, haben wir diese Personalentscheidung so ge-
fällt. Das Gegenteil ist also der Fall: Je mehr Erfahrung,
je mehr Wissen da ist, umso besser ist es für die Auf-
sichtsgremien auch bei der Deutschen Bahn AG. Gerade
das zeichnet ja Herrn Felcht besonders aus.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Herbert Behrensauf:Warum ist Dr. Jürgen Großmann für den Bund im Auf-sichtsrat der Deutschen Bahn AG, und besteht nicht vielmehrein Interessenkonflikt mit seiner Funktion als Alleineigentü-mer der Georgsmarienhütte, zu der mindestens fünf Unterneh-men zählen, die Zulieferer oder Dienstleister für die Deutsche
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3035
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Bahn AG sind, zu denen auch zwei Hersteller respektive Lie-feranten von Rädern und Radsatzwellen – Bochumer VereinVerkehrstechnik GmbH und Radsatzfabrik Ilsenburg GmbH –gehören?Bitte, Herr Staatssekretär.E
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich gebe folgende
Antwort: Herr Großmann ist aus Sicht der Bundesregie-
rung ein ausgewiesener Experte mit hoher fachlicher
Kompetenz. Die Bundesregierung geht von der Unab-
hängigkeit von Herrn Großmann aus. Die Möglichkeit
von Interessenkonflikten ist in jedem Einzelfall vom
Aufsichtsratsmitglied selbst zu prüfen und anzuzeigen.
Sollte bei einer Aufsichtsratsentscheidung eine Interes-
senkollision auftreten, so hat der Mandatsträger die
Pflicht, darauf hinzuweisen, und darf bei der Entschei-
dung nicht mitwirken.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Ferlemann, Sie ha-
ben erwähnt, dass die Seite der Nutzer der Bahn eine
wichtige Rolle spielt bei der Besetzung des Aufsichtsra-
tes, offenbar auch die der Lieferanten.
Ist Ihnen bekannt, dass Herr Dr. Großmann einem Fir-
menimperium vorsitzt, in dessen Holding die Radsatzlie-
feranten der Bahn zu finden sind wie auch Firmen, die
diese Radsätze überprüfen?
Wir haben an Herrn Dr. Großmann selber die Frage
gerichtet, wie er sich denn verhalten wird, wenn – das ist
ja die Gefahr – in seiner künftigen Aufsichtsratsposition
vergleichbare Entscheidungen zu fällen sind. Er sagte, er
würde sich dann der Stimme enthalten. Herr Staatssekre-
tär, ist Ihnen bekannt, in wie vielen Fällen sich Herr
Dr. Großmann, der ja schon dem letzten Aufsichtsrat an-
gehörte, bei Entscheidungen der Stimme enthalten hat?
E
Das ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Ihre zweite Nachfrage.
Ist Ihnen die Information bekannt, dass Herr
Dr. Großmann für die Position des Aufsichtsratsvorsit-
zenden vorgesehen war und möglicherweise aufgrund
der eben beschriebenen wirtschaftlichen Zusammen-
hänge diese Funktion dann doch nicht übertragen be-
kommen hat?
Bitte.
E
Bei der Auswahl der Personen ist die Bundesregie-
rung frei und kann sich für die Person entscheiden, die
sie berufen will. Da gibt es sicherlich eine Auswahl un-
ter mehreren Personen. Wir haben uns für Herrn Felcht
entschieden.
Damit kommen wir zur Frage 22 des Kollegen
Herbert Behrens:
Wie kann die Bundesregierung, die sich zu einer nachhal-
tigen Energieerzeugung verpflichtet hat und die den Ausstieg
aus der Atomenergie gesetzlich vereinbart hat, glaubhaft ver-
mitteln, dass Dr. Jürgen Großmann als Bahnaufsichtsrat nicht
in Interessenkonflikte mit seiner Funktion als Vorstandsvorsit-
zender des RWE-Stromkonzerns kommt, dessen Strommix
vor allem auf Atom und Kohle basiert, wie leider auch der der
Deutschen Bahn AG?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich beantworte die Frage wie folgt: Wie alle Mandats-
träger muss auch Herr Großmann nach dem Public Cor-
porate Governance Kodex das Interesse des Bundes an-
gemessen berücksichtigen. Ich darf auf meine Antwort
zu Frage 21, der vorigen Frage, verweisen.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für problematisch,
dass Herr Dr. Großmann auch Vorsitzender der RWE
AG ist, da die RWE AG unter anderem Stromlieferant ist
– maßgeblich auch von Atomstrom – und die Bahn im
Betrieb leider noch maßgeblich von Atomstrom abhän-
gig ist? Vorstandsvorsitzender Grube hat gesagt, der An-
teil von erneuerbaren Energien ließe sich nur begrenzt
erhöhen. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, auch den
Anteil von erneuerbaren Energien zu erhöhen, oder ist es
möglicherweise mit der Person von Dr. Großmann ver-
bunden, dass es diese Entscheidung nicht gibt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich halte die Berufung von Herrn Großmann nicht fürproblematisch, sondern begrüße sie im Gegenteil außer-ordentlich.Ich habe im Grunde auch nichts gegen Strom, derdurch die Kernkraftindustrie gewonnen wird. Ich haltedas für eine gute und saubere Energieerzeugung undkann deswegen Ihre Frage nicht verstehen.
Metadaten/Kopzeile:
3036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. – Sie ver-
zichten. Dann hat die Kollegin Dorothée Menzner das
Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, an dieser Stelle möchte ich dann
doch noch einmal einhaken. Es ist Ihnen sicherlich be-
kannt, dass der Anteil des Stroms aus erneuerbaren
Energien bei der DB AG deutlich unterdurchschnittlich
ist. Gibt es die Absicht der Bundesregierung – und, wenn
ja, welche Initiativen –, den Anteil erneuerbarer Ener-
gien bei der DB AG zu erhöhen, oder gibt es sie nicht?
E
Danke für die Frage. – Wir wollen den Anteil erneu-
erbarer Energien am Strommix deutlich erhöhen. Das
gilt auch hinsichtlich der Gewinnung des Bahnstroms.
Wie Sie wissen, hat die DB AG vor kurzem einen eige-
nen Windpark erworben, das heißt, sie arbeitet selber
daran, den Strommix zu verändern. Wie wir als Bundes-
regierung die erneuerbaren Energien insgesamt fördern
wollen, so wollen wir sie auch hinsichtlich des
Bahnstroms fördern. Das sehen wir ausdrücklich vor.
Initiativen dazu gibt es eine ganze Reihe. Diese wer-
den wir unter anderem dem Management der DB AG
vortragen. Wir werden darum bitten, dass diese Erkennt-
nisse und Wünsche dort umgesetzt werden. Wir bringen
sie aber auch über die Aufsichtsgremien ein.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Vogel
das Wort.
Her
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eisen-
bahnfahren in allen seinen Facetten. Dies muss – insbe-
sondere mit Blick darauf, dass die Sicherheit weiter an
Bedeutung gewinnen muss – mit einer entsprechenden
Personalausstattung im Servicebereich und im War-
tungsbereich einhergehen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich kann das, was Sie sagen, nur bestätigen. Genau
das ist der Punkt, warum wir sehr froh darüber sind, dass
Herr Felcht bereit ist, diese Funktion zu übernehmen.
Das Konzept der Bahn, sich natürlich auf die Kernkom-
petenz zu konzentrieren, ist das, was wir als Bundesre-
gierung in dieser Legislaturperiode in der Verkehrspoli-
tik besonders nach vorne stellen wollen.
Ich weise allerdings auch darauf hin, dass ein zweiter
Punkt wichtig ist. Die Bahnverkehre werden heute euro-
paweit organisiert. Deswegen ist es wichtig, dass die
DB AG auch in der Lage ist, als großer europäischer
Player im Eisenbahnsektor tätig zu sein.
Die letzte Nachfrage zur Frage 22 stellt die Kollegin
Leidig.
Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkom-
men, warum die DB AG nicht in vorbildlicher Weise
schnell auf Energiegewinnung mittels regenerativer
Energien umstellt und sich stattdessen an einem der
größten Kohlekraftwerksprojekte, nämlich in Datteln in
Nordrhein-Westfalen, beteiligt. Kann es hier eine Ver-
bindung mit den Interessen von Eon geben? Eon ist der
mehrheitliche Eigentümer dieses Kohlekraftwerks, an
dem sich die DB AG beteiligt, und Christoph Dänzer-
Vanotti, Vorstandsmitglied von Eon, ist von dieser Re-
gierung auch in den Aufsichtsrat der DB AG berufen
worden.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich habe diese Frage schon mehrfach beantwortet: Ei-
nen Interessenkonflikt sehe ich nicht.
Zum Thema Strommix möchte ich darauf hinweisen,
dass diejenigen, die das Bahnsystem nutzen, ein großes
Interesse daran haben, dass der Strom möglichst günstig
bezogen wird. Daher ist es natürlich Aufgabe des Bahn-
vorstandes, den Strom für das Bahnsystem möglichst
günstig einzukaufen. Naturgemäß muss es einen Ener-
giemix geben, um ein vernünftiges Preisniveau zu errei-
chen. Denn wir haben ja ein Interesse daran, dass mög-
lichst viele mit der Bahn fahren. Dabei spielt natürlich
der Preis, den der Transport kostet, eine gewisse Rolle.
Wir kommen damit zur Frage 23 der Kollegin
Heidrun Bluhm:
In welchem Vertragsverhältnis mit der Deutschen Bahn
AG befindet sich der ehemalige Vorstandsvorsitzende der
Deutschen Bahn AG Hartmut Mehdorn – bitte auch derzeitige
Bezüge angeben –, und würde er auch noch in der Zukunft
Bonuszahlungen erhalten, wenn es zu einer Teilprivatisierung
der DB AG bzw. einer Subholding käme?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Diese Frage be-antworte ich wie folgt: Herr Mehdorn befindet sich der-zeit in keinem Vertragsverhältnis mit der DeutschenBahn AG und erhält keine Bezüge. Bei einer Teilprivati-sierung der DB AG oder einer Konzerntochter würde erkeine Bonuszahlungen erhalten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3037
(C)
(B)
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. – Sie ver-
zichten.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Heidrun Bluhm
auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, dass
die Bezüge der 20 Aufsichtsräte – je 10 der Kapital- und
10 der Arbeitnehmerseite – der Deutschen Bahn AG ausweis-
lich der Geschäftsberichte 2004, 2005 und 2008 im Jahr 2004
noch 281 000 Euro betrugen, im Jahr 2005 bei 303 000 Euro,
2007 bei 873 000 Euro und 2008 bei 1 003 000 Euro ange-
langt sind, und ist es richtig, dass diese Verdreifachung der
Aufsichtsratsbezüge damit begründet wurde, sie geschehe im
Vorgriff auf eine Bahnprivatisierung, vor dem Hintergrund,
dass die Bahnprivatisierung im Sommer 2008 abgesagt wurde
und auch die gegenwärtige Bundesregierung erklärt, eine
Bahnprivatisierung sei „nicht aktuell“?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Die Frage nach der Höhe der Aufsichtsratsbezüge be-
antworte ich wie folgt: 2006 wurde eine erfolgsabhän-
gige Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder der Deut-
schen Bahn AG eingeführt. Die in der Frage genannte
Zahl aus dem Jahr 2008 bezieht sich auf den gesamten
DB-Konzern. Für die DB AG allein betrug die Höhe der
Vergütung 831 000 Euro.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage. Bitte.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Staatssekretär. – Ich
habe eine erste Nachfrage. Nach unseren Recherchen
sind die Aufsichtsratsbezüge – ob leistungsabhängig
oder nicht – in den Jahren von 2004 bis 2008 ver-
dreifacht worden. Das heißt, im Durchschnitt – einzeln
aufgeschlüsselt ist das sicherlich anders – erhält ein
Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG circa
45 000 Euro im Jahr.
Kann die Bundesregierung erklären, warum das allge-
meine Lohn- und Gehaltsniveau der Bahnbeschäftigten
im unteren und mittleren Einkommenssegment im Zeit-
raum von 2005 bis 2008 im Wesentlichen stagnierte,
während sich die Aufsichtsratsbezüge fast verdreifach-
ten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Wenn erfolgsabhängige Vergütungen für Aufsichts-
räte eingeführt werden, dann profitieren diese natürlich
auch vom Erfolg. Wenn man sich die Bilanzen der Deut-
schen Bahn AG der letzten Jahre anschaut, dann stellt
man fest, dass zum Teil hohe Gewinne ausgewiesen
wurden. Diese Bilanzen sind eine Grundlage für den An-
stieg der Aufsichtsratsbezüge. Insofern spiegelt der An-
stieg der Aufsichtsratsbezüge auch die Erfolgsstory wi-
der, die die Bahn in diesem Bereich geschrieben hat.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich habe eine zweite Nachfrage: Herr Ferlemann, tei-
len Sie nicht die Auffassung, dass an diesem Erfolg im
Wesentlichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Deutschen Bahn AG beteiligt sind? Glauben Sie nicht,
dass der Leistungsanreiz für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter noch weiter ausgeprägt werden könnte,
wenn man sie am Unternehmensgewinn beteiligte?
Bitte.
E
Jedes Unternehmen – so auch die Deutsche Bahn AG –
kann stolz auf den Fleiß und die gute Aufgabenerfüllung
seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein. Das gilt
insbesondere für dieses manchmal sehr im öffentlichen
Fokus stehende Unternehmen. Insofern sind wir sehr
dankbar dafür. Wir wissen das auch sehr zu schätzen.
Für die Aushandlung von Tarifen sind allerdings nicht
wir zuständig, sondern Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-
vertreter, die die Löhne und Gehälter in Verhandlungen
festlegen. Das ist eine Frage der Tarifautonomie. Da
wird sich die Bundesregierung nicht einmischen.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Dorothée
Menzner.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Aufsichtsratsmitglieder eine erfolgsabhängige Ver-
gütung erhalten. Ist vorgesehen, dass im Falle von Miss-
erfolg oder schlechten Ergebnissen die Bezüge wieder
gekürzt werden? – Ich frage das vor dem Hintergrund,
dass wir in den letzten Wochen und Monaten feststellen
mussten, dass ein Teil des Erfolges offensichtlich nur ein
zahlenmäßiger Erfolg in den Büchern war und auf Kos-
ten von Qualität und Service erzielt wurde.
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Letztlich misst sich der Erfolg an den Zahlen. DieZahlen werden in den Bilanzen vorgelegt. Die Interpre-tation, wie die Zahlen zustande gekommen sind, kannjede Fraktion für sich selbst vornehmen. Aber letztlichwerden sich Vergütungsmaßstäbe immer an den Bilan-zen ausrichten.
Metadaten/Kopzeile:
3038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Die letzte Nachfrage zur Frage 24 stellt die Kollegin
Leidig.
Sie würden also aufgrund der Zahlen der Ansicht
sein, dass die S-Bahn Berlin eine Erfolgsstory ist? Wür-
den Sie auch die Tatsache, dass bei einem großen Teil
der ICE-Flotte die Räder und Radsatzwellen ausge-
tauscht werden müssen und es in einer erheblichen Grö-
ßenordnung zu Zugausfällen kommt, als Erfolgsstory
bezeichnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Ich gebe ehrlich zu, dass mich die Frage ein bisschen
verwundert. Ich habe doch deutlich ausgeführt, dass sich
der Erfolg an den Bilanzzahlen bemisst, und danach
richtet sich auch die Vergütung. Sicherlich gibt es in ei-
nem so großen Unternehmen auch Problembereiche, die
behoben werden müssen. Dazu gehören insbesondere
die beiden Bereiche, die Sie angesprochen haben. Wir
drängen mit Hochdruck darauf, dass schnell Lösungen
gefunden werden, die diese Probleme aus der Welt
schaffen, weil sie in Zukunft auch die Bilanz belasten
können.
Es ist also gerade das Gegenteil der Fall: Wir wollen
zwar insgesamt den Erfolg der DB AG anerkennen, aber
es gibt Teilbereiche, in denen die Bundesregierung mit
den bisherigen Ergebnissen unzufrieden ist.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwor-
tung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Parla-
mentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Ver-
fügung.
Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Dirk Becker:
Welchen rechtlichen Stellenwert misst die Bundesregie-
rung dem Atomkonsens jeweils vor und nach der Novelle zum
Atomgesetz im Jahr 2001 zu, und welche Rechtsfolgen erge-
ben sich daraus jeweils für beide Seiten?
Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage des Kolle-
gen Becker wie folgt: Die Bundesregierung hat die
Kernenergievereinbarung vom 14. Juni 2000 von An-
fang an als eine rechtlich nicht verbindliche politische
Vereinbarung im Sinne eines Gentlemen’s Agreement
eingestuft. Die Umsetzung der Vereinbarung erfolgte
insbesondere durch eine Änderung des Atomgesetzes,
die 2002 in Kraft getreten ist.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Würden Sie mir
aber insofern recht geben, dass der Atomkonsens zumin-
dest eine Art Geschäftsgrundlage für die anschließende
Änderung des Atomgesetzes dargestellt hat?
Ka
Die von Ihnen als Konsens bezeichnete Vereinbarung
zwischen Bundesregierung und Energieversorgungs-
unternehmen sehen wir – ich glaube, darin haben wir
eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung – nicht
als rechtlich bindend, sondern als eine politische Abrede.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Heißt das, dass eine politische Abrede für Sie nicht
bindend ist und dass das, was dort in beide Richtungen
vereinbart worden ist, eigentlich nichts anderes als ein
Goodwillpapier ist, das in beide Richtungen, also auch
für die Atomwirtschaft, als nicht besonders bindend gilt?
Ka
Rechtlich bindend wäre ein Vertrag. Das ist es offen-
sichtlich nicht. Letzten Endes gilt die Gesetzgebung, die
auf die damalige rot-grüne Bundesregierung zurückgeht.
Insofern ist die Vereinbarung in der Tat kein rechtlich
bindendes Konstrukt, sondern eine Abrede zwischen der
damaligen Bundesregierung und den EVUs.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.
Frau Staatssekretärin, zur Einschätzung des Rechts-
status einer Vereinbarung ist nicht Ihre persönliche Vor-
liebe ausschlaggebend, sondern eine Rechtsüberprüfung.
Existiert ein internes oder externes Rechtsgutachten zur
Frage des Rechtsstatus dieser Vereinbarung, mit der die
Bundesregierung eine Verpflichtung eingegangen ist?
Sind Sie bereit, dies dem Deutschen Bundestag zur
Überprüfung zur Verfügung zu stellen?
Ka
Von einem solchen Gutachten ist mir nichts bekannt.Sollte uns eines vorliegen, bin ich bereit, es Ihnen zurVerfügung zu stellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3039
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
Ich möchte aber auf etwas anderes hinweisen – eswerden sicherlich noch viele unterschiedliche Fragenvon den Kolleginnen und Kollegen kommen –: Sie ha-ben immer wieder das Wort „Konsens“ strapaziert. Ichmöchte aus der Vereinbarung zitieren, wo ganz klar Fol-gendes festgehalten ist:Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichenHaltung zur Nutzung der Kernenergie respektierendie EVUs die Entscheidung der Bundesregierung,die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet be-enden zu wollen.Das ist sicherlich das Gegenteil von Konsens. Allerdingshaben die EVUs zu Recht den Primat der Politik aner-kannt; das muss auch so sein. Gleichwohl führt das Wort„Konsens“ in die Irre.Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass HerrTöpfer und Frau Merkel jeweils zu ihren Zeiten als Bun-desumweltminister tatsächliche Energiekonsensgesprä-che geführt haben, in die jeweils die Opposition – da-mals die SPD – einbezogen war. Das ist 1998 beendetworden.
Frau Kollegin Hendricks, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, eine
Vereinbarung sei nicht bindend; dafür bedürfe es eines
Vertrages. Nun werden Sie sicherlich mit mir einer Mei-
nung sein, dass eine Regierung keinen bindenden privat-
rechtlichen Vertrag mit Privatunternehmen schließen
kann, genauso wenig wie Privatunternehmen einen
Staatsvertrag mit einer Regierung. Deswegen liegt es
nahe, eine Vereinbarung zu schließen, auf deren Basis
dann ein Gesetz verabschiedet wird. Dieses Gesetz ist
natürlich bindend, solange es gilt. Wenn diese Bundes-
regierung beabsichtigt, mit der Mehrheit der Koalitions-
fraktionen das Gesetz zu ändern, darf sie das natürlich.
Ich darf aber darauf hinweisen, dass die Vereinbarung
auf Seite 14 unter dem Datum vom 14. Juni 2000 von vier
Vertretern der Energiewirtschaft, nämlich von Eon AG,
RWE AG, Energie Baden-Württemberg AG und Ham-
burgische Electricitäts-Werke AG, die mittlerweile in
Vattenfall aufgegangen ist – im Prinzip handelt es sich
um die vier Player, die wir noch heute haben –, und von
Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesminister
Jürgen Trittin und Bundesminister Dr. Werner Müller
unterschrieben worden. Wollen Sie weiterhin ernsthaft
behaupten, dass dies alles das Papier nicht wert sei, auf
das es geschrieben worden ist, oder was wollen Sie die-
sem deutschen Parlament hier nahebringen?
Ka
Die von Ihnen unterstellte Behauptung habe ich nicht
aufgestellt. Insofern weise ich sie zurück. Sie müssen
mir zugestehen, dass ich Ihren Versuch, eine politische
Abrede zum Vertrag zu erklären oder zu verklären, nicht
unterstützen kann. Sie wollen auf eine rechtliche Bin-
dung hinaus, die es nie gab.
Wir kommen nun zu Frage 26 des Kollegen Dirk
Becker:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass ein
neuer Konsens über die Laufzeit von Atomkraftwerken eine
förmliche Aufhebung des Atomkonsenses aus dem Jahr 2000
verlangt?
Ka
Die Frage kann ich sehr kurz beantworten: Nein, die-
ser Auffassung stimmen wir nicht zu.
Eine Nachfrage, Herr Kollege.
Darf ich Ihre Aussage dahin gehend deuten, Frau
Staatssekretärin, dass wir bei allen Vereinbarungen, die
künftig eine Bundesregierung schließt, davon ausgehen
müssen, dass die Partner einer solchen Vereinbarung im
Endeffekt nur für maximal vier Jahre mit der Verläss-
lichkeit der Bundesregierung rechnen dürfen?
Ka
Sie können meine Einlassung dahin gehend verstehen
– das habe ich schon deutlich gemacht –, dass wir eine
politische Abrede, eine politische Vereinbarung, eine
politische Übereinkunft nun einmal als rechtlich nicht
bindend ansehen und dass es jeder Regierung freisteht,
eine gesetzliche Grundlage zu ändern. Das haben auch
Sie damals mit der Änderung des Atomgesetzes getan.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte.
Sie versuchen ständig, den Wert dieser Vereinbarungschlechtzureden; es sei nur eine lockere Verabredung.Sie haben auch ein Zitat gebracht, aus dem hervorging,dass es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen gab.Das ist ein Satz aus einer langen Erklärung, in der auchsteht, dass trotz dieser unterschiedlichen Auffassungenbeide Seiten ihren Teil dazu beitragen werden, dass derInhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird. Estut mir leid, aber „dauerhaft umgesetzt“ heißt, dass sichbeide bewusst waren, dass dieses Konstrukt – wie immerauch Sie es bezeichnen – mit den Unterschriften, dieFrau Dr. Hendricks eben genannt hat, mehr ist als eineAbsichtserklärung, nämlich die Grundlage für die spä-tere Änderung des Atomgesetzes. Das steht dort aus-drücklich: Das ist die Grundlage für die spätere Ände-rung des Atomgesetzes.
Metadaten/Kopzeile:
3040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Ka
Es ist richtig, dass die rot-grüne Bundesregierung sich
damals mit den EVUs auf diesen Weg geeinigt hat und
danach eine Gesetzesänderung erfolgte. Aber ich ver-
stehe Ihre Frage dahin gehend, ob ich diese Verabre-
dung, diese Vereinbarung in irgendeiner Form qualifi-
ziere. Ich nehme sie zur Kenntnis. Allerdings wird sich
diese Bundesregierung vorbehalten, so wie das Rot-
Grün damals auch gemacht hat, das Atomgesetz weiter-
zuentwickeln.
Sie möchten eine weitere Zusatzfrage stellen. Frau
Hendricks, bitte.
Frau Staatssekretärin, einer Vereinbarung messen Sie
offenbar nur sehr geringen Wert – um nicht zu sagen: gar
keinen Wert – bei. Wie will diese Bundesregierung den
Bürgerinnen und Bürgern eigentlich klarmachen, dass
auch das, was bei dieser Regierung bisher als Einziges
als sicher galt, nämlich die Koalitionsvereinbarung, kei-
nerlei Wert hat, sodass man überhaupt nicht mehr weiß,
auf welcher Basis die Bundesregierung mit der Arbeit
anzufangen gedenkt?
Ka
Sie unterstellen mir Wertungen, die ich nicht getrof-
fen habe, die auch diese Bundesregierung nicht getroffen
hat. Ich habe lediglich auf den Unterschied zwischen ei-
ner Vereinbarung und einem Gesetz oder einer Vereinba-
rung und einem Vertrag hingewiesen.
Herr Kollege Kelber.
Allerdings, Frau Staatssekretärin, haben Sie mehrfach
darauf hingewiesen, dass eine Vereinbarung nicht recht-
lich bindend ist und es einer Regierung nicht möglich ist,
einen Vertrag mit Unternehmen zu schließen, sondern so
etwas über ein Gesetz gemacht werden muss. Mehrere
Mitglieder des Kabinetts und auch mehrere Minister-
präsidenten bzw. Exministerpräsidenten, die Ihrer Partei
angehören – unter anderem Bundesumweltminister
Röttgen, Ihr Minister, Ministerpräsident Koch und Ex-
ministerpräsident Oettinger –, haben zum Ausdruck ge-
bracht, dass eine mögliche Gewinnabschöpfung aus ei-
ner möglichen Laufzeitverlängerung nicht gesetzlich
geregelt werden könnte, sondern über eine Vereinbarung
mit den Betreibern erfolgen sollte. Wäre auch eine sol-
che Vereinbarung nicht rechtsverbindlich, und könnte sie
vonseiten der Betreiber einseitig aufgekündigt werden?
Ka
Wie Sie wissen, sehen wir die Kernenergie als
Brückentechnologie. Wir sind jetzt bei der Erarbeitung
eines Konzepts in der Frage, ob und, wenn ja, in wel-
chem Umfang die Laufzeiten verlängert werden sollen.
Im Rahmen der Erarbeitung dieses Konzepts werden wir
auch darüber sprechen, ob Gewinne, die während der
Laufzeitverlängerung anfallen – sie werden anfallen –,
zum Beispiel für eine Unterstützung der erneuerbaren
Energien genutzt werden können und, wenn ja, in wel-
chem Umfang. Wir haben uns allerdings noch nicht in-
tensiv mit der Frage befasst, auf welchem Wege dies ge-
schehen kann. Dies wird im Rahmen der Gespräche und
der Erarbeitung des Konzepts erfolgen.
Herr Lischka, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, dass Ihnen
die Rechtsform eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
bekannt ist. Deshalb frage ich noch einmal: Welche Vo-
raussetzung sehen Sie bei dieser Vereinbarung als nicht
erfüllt an, sodass Sie zu dem Schluss kommen, es han-
dele sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag?
Ka
Herr Kollege, ich weise noch einmal darauf hin, dass
es hier offenbar – das müssen wir an der Stelle zur
Kenntnis nehmen – eine unterschiedliche Bewertung der
damaligen Verabredung zwischen der rot-grünen Bun-
desregierung, der Regierung Schröder, und den EVUs
gibt. Unsere Einschätzung ist die, dass hier keine rechtli-
che Bindung gegeben ist. Das können wir jetzt sicherlich
noch ein paar Mal hin und her wenden. Ich denke, es
bleibt bei dieser Einschätzung.
Ich möchte noch einmal bekräftigen, dass es der da-
maligen rot-grünen Bundesregierung freigestanden hat
und auch dieser Bundesregierung freisteht, bestehende
Gesetze zu verändern und weiterzuentwickeln, worauf
sich die Unternehmen dann einzurichten haben.
Herr Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, hat Ihre Rechtsauffassung zurFolge, dass die Überlegungen der Bundesregierung, denAtomkonsens augenblicklich aufzuheben und die Lauf-zeiten um 20, 28 Jahre zu verlängern, auch nur auf einGentlemen’s Agreement hinauslaufen können mit derFolge, dass wir über den generellen Ausschluss derAtomtechnologie in Deutschland keine rechtsverbindli-che Entscheidung treffen können?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3041
(C)
(B)
Ka
Wenn wir unser Energiekonzept diskutiert, vorgestellt
und im Kabinett beschlossen haben, wird das zur Folge
haben, dass Gesetze geändert werden, unter anderem das
Atomgesetz. Diese Regierung – wie im Koalitionsver-
trag beschrieben, angekündigt, festgelegt – bekennt sich
dazu, dass wir die Kernenergie als Brückentechnologie
weiterlaufen lassen wollen. In welchem Umfang, werden
die wissenschaftlichen Studien, die wir jetzt in Auftrag
geben, zeigen.
Nun kommen wir zur Frage 27 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Wird die Bundesregierung einen Kabinettsbeschluss über
die Aufhebung der Konsensvereinbarung aus dem Jahr 2000
herbeiführen, und auf welcher Grundlage kann dies gesche-
hen, da die Bundesregierung sich in dieser Vereinbarung ver-
pflichtet hat, sie dauerhaft umzusetzen, inzwischen ins Amt
eingetretene Kabinettsmitglieder also in rechtliche Pflichten
eingetreten sind, die ihre Amtsvorgänger eingegangen sind?
Ka
Herr Kollege Bollmann, ich möchte Ihre Fragen 27
und 28 gerne zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 28 des Kollegen Gerd
Bollmann auf:
Wie unterscheiden sich die Rechtspflichten aus der Ver-
einbarung zum Atomkonsens von solchen Rechtspflichten,
die die Bundesregierung oder ein ihr zugehöriges Ressort mit
einer dritten Rechtsperson eingeht?
Ka
Die Bundesregierung hat die Kernenergievereinba-
rung vom 14. Juni 2000 von Anfang an als eine rechtlich
nicht verbindliche politische Vereinbarung im Sinne ei-
nes Gentlemen’s Agreements eingestuft. Die Umsetzung
der Vereinbarung erfolgte insbesondere durch eine Än-
derung des Atomgesetzes, die 2002 in Kraft getreten ist.
Ihre Nachfrage, bitte.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sieht die Bundesregierung es nicht als
problematisch an, dass sich viele, beispielsweise die
Stadtwerke, bei ihren Investitionsplanungen auf diese
Vereinbarung, wie Sie sie auch immer nennen, verlassen
haben?
Ka
Die Planungen der Stadtwerke haben sich sicherlich
auf die damalige und noch geltende gesetzliche Grund-
lage bezogen und auf den Beschluss der rot-grünen Bun-
desregierung, Kernenergie in Zukunft nicht mehr nutzen
zu wollen, zugegebenermaßen für einen sehr langen
Zeitraum; 32 Jahre haben sie vereinbart. Ich kann und
werde Investitionen von Stadtwerken, die diese nicht nur
nach bestem Wissen und Gewissen, sondern vor allem
im Hinblick auf Gewinnmöglichkeiten getroffen haben,
nicht kommentieren. Allerdings begrüße ich es, wenn
wir neben den vier großen EVUs starke Stadtwerke und
Stadtwerkverbünde haben, die mit kleineren Einheiten
auch dezentral zur Energieversorgung beitragen. Gerade
die Stadtwerke haben in den letzten Jahren viele Moder-
nisierungen vorgenommen und sind ein wichtiger Player
im Konzert unserer Energieversorgung.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Nein? – Dann
Herr Dr. Miersch, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie benutzen die Begriffe
„Brückentechnologie“ und „Gesetzesänderung“, aber
Sie beantworten nicht die Fragen. Vor dem Hintergrund
der Auswirkungen des Atomkonsenses auf Investitions-
entscheidungen von Stadtwerken frage ich Sie noch ein-
mal: Ist für die Bundesregierung vor dem Hintergrund
dessen, was sie augenblicklich diskutiert, die grundsätz-
liche Frage: „Gibt es ein Ende der Atomtechnologie in
Deutschland?“ eine Frage eines Gentlemen’s Agree-
ments, oder gibt es eine Form von Verbindlichkeit, auf
die sich alle Wirtschaftsbeteiligten verlassen können?
Ka
Diese Regierung hat von Anfang an klargemacht,
dass wir eine andere Haltung zur Kernenergie haben als
beispielsweise Ihre Fraktion. Wir haben deshalb im Ko-
alitionsvertrag festgelegt, ein Energiekonzept zu erstel-
len – und daran arbeiten wir –, das neben dem deutlichen
Ausbau der Erneuerbaren auch die Kernenergie weiter-
führen wird, bis die erneuerbaren wettbewerbsfähig sind
und wir einen überwiegenden Teil unserer Energie aus
regenerativen Energien gewinnen können.
Noch einmal: Es bleibt jeder Regierung unbenom-
men, gesetzliche Grundlagen zu ändern. Das kann in Be-
zug auf für die Zukunft getroffene Entscheidungen Unsi-
cherheiten für die Investoren mit sich bringen; allerdings
dürfen diese Änderungen nicht rückwirkend in Ge-
schäftsmodelle eingreifen. Das werden sie auch nicht
tun. Denn wir werden – da sind wir uns beispielsweise
mit den Stadtwerken einig – darauf achten, dass die er-
neuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden.
Herr Kollege Kelber.
Metadaten/Kopzeile:
3042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Frau Staatssekretärin, Sie haben sich jetzt mehrfach
dazu geäußert, dass Sie in der damaligen Vereinbarung
der beiden Partner keine verbindliche rechtliche Wir-
kung sehen. Hier geht es allerdings um die Frage, ob der
eine Partner, nämlich die Bundesregierung, nicht dauer-
hafte rechtliche Pflichten geschaffen hat. Sie kennen die
aktuelle Studie des Verbands kommunaler Unternehmen,
in der beispielhaft der Unterschied in den Renditeerwar-
tungen einer bereits getätigten Investition bei Beibehal-
tung der damals festgelegten, in der Vereinbarung als
dauerhaft rechtlich verpflichtend festgeschriebenen
Rechtslage gegenüber einer von Ihnen beabsichtigten
eventuellen Veränderung, die zu einer Minuserwartung
in Bezug auf die Rendite führen könnte, dargestellt wird.
Ist Ihnen als Staatssekretärin bekannt, dass die Bun-
desrepublik Deutschland internationale Vereinbarungen
eingegangen ist, die den Schutz von Investitionen vor
negativen gesetzlichen Veränderungen vorsehen, wenn
die Renditeerwartungen, Herr Staatssekretär – des an
dieser Stelle nicht beteiligten Ministeriums – Otto, in
dem normalen Zeitraum dieser Investitionen von solchen
Veränderungen negativ betroffen werden, sodass dies zu
einer Minuserwartung führt? Gilt das auch in diesem
Fall, und gilt die Rechtsverbindlichkeit für den einen
Partner Bundesregierung nicht auch über Legislatur-
perioden hinweg?
Ka
Herr Kelber, Ihre Frage zielt im Kern darauf ab, ob
zukünftige Bundesregierungen sich dauerhaft an politi-
sche Überzeugungen vorangegangener Bundesregierun-
gen binden sollen, und dies halte ich nicht nur in diesem
Fall, sondern auch für alle anderen politischen Felder für
eine äußerst kühne Behauptung, der wir zumindest so
nicht zustimmen können.
Seitens des CDU/CSU-Teils, aber sicherlich auch der
FDP kann ich sagen, dass schon in den vergangenen Jah-
ren – auch zwischen 1998 und 2009 – klar war, dass die
Union ein offeneres Verhältnis zur Kernenergie hatte
und wir vor der Wahl mit Wahlaussagen, vor allem aber
mit dem Koalitionsvertrag deutlich gemacht haben, dass
wir Laufzeitverlängerungen in unser energiepolitisches
Konzept einbeziehen.
Wenn Sie jetzt verlangen sollten, dass jetzige und
künftige Regierungen sich dauerhaft an das halten, wozu
andere aus einer anderen politischen Konstellation und
auch aus anderer – natürlich legitimer – politischer
Überzeugung gekommen sind, hielte ich das für eine
zwar interessante Haltung, muss Ihnen aber sagen: Das
ist nicht unsere Haltung.
Herr Kollege Bülow, bitte.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, Sie sind ge-
rade auf die Stadtwerke eingegangen. Wenn ich Sie rich-
tig verstanden habe, haben Sie gesagt, Sie würden sich
darüber freuen, wenn die Stadtwerke sich zusammen-
schlössen, um wahrscheinlich auch – ich vermute, das
steckt dahinter – den Wettbewerb zu stärken.
Nun gibt es ein Gutachten, das Ihnen bekannt sein
könnte, auf das sich auch die Stadtwerke berufen, in dem
deutlich analysiert wurde, dass der Marktanteil der
Kernkraftwerksbetreiber, also der vier großen Player in
diesem Markt, den sie jetzt schon beherrschen, steigen
würde und ihre Marktstellung, die mit über 80 Prozent
Anteil immer noch sehr hoch ist, durch die Aufkündi-
gung des Kompromisses gesichert oder sogar gesteigert
würde. Ist Ihnen das bekannt, und fließt es in Ihre Analy-
sen und Ihre Entscheidungen ein?
Ka
Wir kennen dieses Gutachten, ebenso die Auffassung
der Stadtwerke. Ich kann dazu nur sagen, dass wir bei
der Erarbeitung unseres Energiekonzepts sehr wohl da-
rauf achten werden, dass am Ende drei Prämissen erfüllt
werden, nämlich dass unsere Energieversorgung sicher,
sauber und sozial erfolgt. Das bedeutet, dass sie klima-
politisch den Erwartungen entspricht, denen sich übri-
gens auch schon die Große Koalition verpflichtet gefühlt
hat, dass sie sicher ist, dass also Investitionen erfolgen
können, also auch und gerade Investitionen in erneuer-
bare Energien zukünftig erfolgen werden, und dass un-
sere Energieversorgung den Anforderungen hinsichtlich
der Erzeugungssicherheit, mithin der Sicherheit im
Sinne der Bereitstellung von Energie, genügt. Insofern
werden wir, wenn die Szenarien vorliegen, auch mit der
Öffentlichkeit und allen interessierten Teilnehmern spre-
chen, die bei uns die Energielandschaft mitbestimmen
bzw. begleiten, und dies selbstverständlich berücksichti-
gen.
Frau Kollegin Hendricks. – Es hat sich erledigt. Dann
Herr Kollege Becker.
Frau Staatssekretärin, ich komme noch einmal auf dieFrage des Kollegen Kelber zurück. Sie haben völlig zuRecht darauf verwiesen, dass es natürlich jeder Bundes-regierung freisteht, sich von Positionen der Vorgänger-regierung abzugrenzen und Dinge anders zu bewerten.Aber die entscheidende Frage war ja nicht, ob Ihnen die-ses Recht zusteht, sondern sie war: Wie bewerten Sie es,wenn Unternehmen – in diesem Fall Stadtwerke –, ba-sierend auf einer gültigen Rechtslage, Investitionsent-scheidungen getroffen haben und sie jetzt von einer Ver-änderung negativ beeinflusst werden? Das war ja derPunkt der Frage vom Kollegen Kelber. Sie haben daraufgeantwortet: Eine Regierung muss die Möglichkeit ha-ben, etwas politisch anders zu bewerten. – Es geht aberum die Folgewirkung für Unternehmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3043
(C)
(B)
Ka
Veränderungen in der Gesetzgebung sind, wenn es um
Investitionen geht, an der Tagesordnung. Ich erinnere
mich daran, dass wir in der Großen Koalition gemein-
sam das Erneuerbare-Energien-Gesetz verändert und un-
ter anderem Regelungen getroffen haben, die sehr wohl
rückwirkend für bestimmte Branchen schwierig waren.
Wir sind in dieser Regierung aufgefordert, Fehlentschei-
dungen zu korrigieren. Insofern ist eine Investition in der
Tat mit einem Risiko behaftet. Wir wollen aber die Ver-
änderungen im Energiekonzept so durchführen, dass wir
ein ganz hohes Maß an Investitionssicherheit garantieren
können.
Wir kommen nun zur Frage 29 des Kollegen Marco
Bülow:
Bestätigt die Bundesregierung die Auffassung, dass die
Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Europe im Fall
der Atomkonsensvereinbarung durch entsprechende Willens-
bekundungen leitender Unternehmensvertreter seit dem Jahr
2000 vertragsbrüchig geworden sind, und, wenn nein, warum
nicht?
Ka
Herr Bülow, ich möchte auch Ihnen zusammenhän-
gend auf die beiden Fragen 29 und 30 antworten.
Dann rufe ich auch die Frage 30 des Kollegen Bülow
auf:
Inwieweit hat die Bundesregierung die rechtliche Mög-
lichkeit, Vereinbarungen zu treffen mit Akteuren, von denen
ihr bekannt ist, dass sie durch öffentliche Willensbekundun-
gen gegenüber der Bundesregierung vertragsbrüchig gewor-
den sind, während die Bundesregierung zum gleichen Zeit-
punkt den Vertrag eingehalten hat?
Ka
Den ersten Teil kennen Sie mittlerweile schon: Wir,
vor allem aber auch die damalige Bundesregierung, ha-
ben die damalige Kernenergievereinbarung als rechtlich
nicht verbindlich und als politisch angesehen. In der Ein-
leitung zur Kernenergievereinbarung heißt es:
Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren
die EVUs die Entscheidung der Bundesregierung,
die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet be-
enden zu wollen.
Abgesehen davon stellt eine Willensbekundung, eine
Vereinbarung ändern zu wollen, keinen Vertragsbruch
dar.
Ihre Nachfrage.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Bei dem Konsens
oder bei der Vereinbarung, wie auch immer man das be-
zeichnen will, gab es Vorteile auf beiden Seiten. So hat
auch die Atomwirtschaft davon profitiert, dass zumin-
dest die Politik sich an die Vereinbarung gehalten und
zum Beispiel die Rücklagen für die Atombetreiber ge-
nehmigt hat und ihnen auch bei anderen Vorteilen entge-
gengekommen ist. Hätten wir in der Großen Koalition
beispielsweise versucht, diese Vorteile zu beschneiden,
wäre die Union wahrscheinlich die Erste gewesen, die
das verhindert hätte. Geben Sie mir da recht, und wie
kann es sein, dass man zwar die Vorteile für die eine
Seite beibehält, man sich also an die Absprachen hält,
aber die Nachteile für diese eine Seite in neuen Konstel-
lationen abstellen will? Machen dann solche Vereinba-
rungen jeglicher Art in Zukunft überhaupt noch Sinn?
Ka
Wir drehen uns hier leider ein bisschen im Kreis; aber
dennoch erneut mein Versuch, unsere Haltung zu erläu-
tern: Die Vereinbarung war eine politische Absichts-
erklärung, und Sie haben diese Absichtserklärung dann
in ein Gesetz gegossen. Auch wir haben für diese Regie-
rung eine Absicht geäußert, nämlich Erneuerbare auszu-
bauen, CO2 vermeiden zu wollen und Kernenergie als
Brücke zu nutzen, und wir werden die gesetzlichen
Grundlagen dafür schaffen bzw. bestehende so weiter-
entwickeln, dass sie unseren Anforderungen genügen.
Herr Kollege Kelber, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich respektiere Ihre Ansicht,
dass es sich nicht um einen Vertrag handelt und man des-
wegen nicht vertragsbrüchig geworden sein kann, son-
dern nur um ein Gentlemen’s Agreement. Zentraler
Punkt dieses Gentlemen’s Agreements war, dass man
sich verpflichtet hat, trotz unterschiedlicher Sichtweisen
zur Kernenergie die Festlegung des Gentlemen’s Agree-
ments dauerhaft umzusetzen. Landläufig gilt jemand, der
ein Gentlemen’s Agreement nicht einhält, nicht mehr als
Ehrenmann. Einer der Unterzeichner vonseiten derjeni-
gen, die das nicht dauerhaft umgesetzt haben, war
Gerald Hennenhöfer. Können Sie mir erklären, warum
Sie jemanden, den Sie mit Ihrer Argumentation nicht als
Ehrenmann bezeichnen, vor wenigen Wochen als Abtei-
lungsleiter für Atomtechnologie im Umweltministerium
eingestellt haben?
Ka
Die Bezeichnung, die Sie gerade Herrn Abteilungslei-ter Gerald Hennenhöfer haben zuteilwerden lassen,
Metadaten/Kopzeile:
3044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
weise ich zurück. Noch einmal: Die damalige rot-grüneBundesregierung hatte sich entschlossen, die Kern-energie nicht weiter nutzen zu wollen. Der damaligeBundeskanzler Schröder hat sich aus dem bestehendenKonsens der Regierung Kohl zwischen Regierung undOpposition, der darin bestand, dass man sich gemeinsamüber Energiefragen verständigt, weil Energiefragen vonsolcher Bedeutung sind, dass sie der Zustimmung desganzen Parlamentes bedürfen, verabschiedet.Den Versuch Ihrer Kollegen, durch wiederholtes Fra-gen zu der Kernenergievereinbarung im Nachhinein eineÜberhöhung zu konstruieren, die da heißt „Es gibt einerechtliche Vereinbarung, und jeder, der sich nicht daranhält, bricht sie“, weise ich zurück. Dies ist nicht unsereAuffassung.Was Herrn Hennenhöfer betrifft, möchte ich Ihnen sa-gen, dass er seine Funktion mit großer Sachkenntnis,Loyalität und Rechtstreue ausführt.
Herr Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, es war nicht der Kollege
Kelber, der den Begriff Gentlemen’s Agreement benutzt
hat, sondern es handelt sich um Ihre Auffassung zur Ver-
einbarung zum Atomkonsens.
Wir haben mehrfach in unseren Fragen darauf hinge-
wiesen, dass diese Vereinbarung auch die Unterschrift
der vier großen Player im Stromgeschäft in der Bundes-
republik Deutschland trägt. Herr Hennenhöfer war einer
der Repräsentanten und ist jetzt in Ihrem Haus tätig. Ich
frage Sie daher: Was muss man von jemandem halten,
der eine solche Vereinbarung unterschreibt und der sie
jetzt im Rahmen seiner Arbeit an verantwortungsvoller
Position im zuständigen Bundesumweltministerium bricht?
Ka
Ich muss Sie leider enttäuschen. Der Begriff Gentle-
men’s Agreement stammt nicht von mir, sondern war im
Jahre 2001 auf den Seiten des Bundesumweltministe-
riums zu finden, offenbar mit Billigung des damaligen
Staatssekretärs Baake.
An dem Zustandekommen des Papiers war unter ande-
rem der damalige Wirtschaftsminister Müller beteiligt,
der wiederum, als er noch für ein Energieunternehmen
gearbeitet hat, die SPD und den damaligen Ministerprä-
sidenten Schröder in energiepolitischen Sachfragen un-
terstützt hat.
Noch einmal: Abteilungsleiter Hennenhöfer, zustän-
dig für die Reaktorsicherheit, führt sein Amt rechtstreu
und mit großer Sachkenntnis aus.
Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen Oliver
Kaczmarek:
In welcher Form beabsichtigt die Bundesregierung mit
den Unternehmen einen neuen Konsens über die Laufzeiten
von Atomkraftwerken verbindlich zu vereinbaren, die durch
ihren öffentlichen Einsatz gegen den gültigen Atomkonsens
ihrer Verpflichtung zur dauerhaften Umsetzung der gültigen
Vereinbarung nicht nachgekommen sind, und, sofern eine
förmliche Neufassung des bestehenden Konsenses nicht vor-
gesehen ist, welche alternativen formalisierten Verfahren sind
vorgesehen?
Ka
Herr Kollege Kaczmarek, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: In der Einleitung zur Kernenergievereinba-
rung heißt es:
Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen
Haltung zur Nutzung der Kernenergie respektieren
die EVUs … die Entscheidung der Bundesregie-
rung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geord-
net beenden zu wollen.
Abgesehen davon steht eine öffentliche Äußerung, eine
Vereinbarung ändern zu wollen, der Umsetzung einer
gültigen Vereinbarung nicht entgegen.
Haben Sie eine Nachfrage?
Frau Staatssekretärin, vielen Dank. – Der Kollege
Becker hat gerade aus der Vereinbarung den Satz zitiert,
dass sich beide Seiten dauerhaft dazu verpflichtet haben,
diese Vereinbarung umzusetzen. Ich frage Sie, wie Sie
bei zukünftigen Vereinbarungen – in welcher Form auch
immer Sie diese mit den betroffenen Unternehmen
schließen wollen – sicherstellen wollen, dass diese Ver-
einbarung tatsächlich dauerhaft umgesetzt wird. Wie
wollen Sie Sicherheit für eine gemeinsame Vereinbarung
mit den Energiekonzernen schaffen?
Ka
Wir führen Gespräche, die dazu dienen, gesetzliche
Grundlagen zu schaffen. Es ist der ganz normale Weg,
dass die Fachkreise in einem Ministerium mit Branchen-
vertretern zusammentreffen und man über die Weiterent-
wicklung von gesetzlichen Grundlagen spricht. Die
andere Möglichkeit ist, dass sich das Parlament im Rah-
men einer eigenen Initiative dazu entscheidet, die ge-
setzlichen Grundlagen weiterzuentwickeln. Dies ist tag-
tägliche Praxis. Wir beabsichtigen, sie weiterzuführen.
Eine weitere Nachfrage? – Bitte.
Noch eine kurze Nachfrage: In welcher Form beab-sichtigt die Bundesregierung, das Parlament in diese Be-ratungen einzubeziehen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3045
(C)
(B)
Ka
Ich vermute, dass Sie das Energiekonzept meinen.
Ich meine die gerade von Ihnen geführte Diskussion
über die Verlängerung der Restlaufzeiten von Atom-
kraftwerken.
Ka
Wir führen derzeit Diskussionen über ein Energiekon-
zept. Bedauerlicherweise interessiert sich die SPD an-
scheinend ausschließlich für die Kernenergie. Ich würde
mich freuen, wenn auch die erneuerbaren Energien auf
Ihr Interesse stoßen würden.
Wir haben in der letzten Zeit über Szenarien disku-
tiert. Die Aufträge zur Berechnung der Szenarien stehen
kurz vor dem Abschluss. Wenn die Berechnungen vor-
liegen, werden wir daraus ein Konzept erarbeiten. Wir
wollen im späten Herbst so weit sein, dass ein Konzept
zur Beschlussvorlage umfänglich vorliegt. Die Zeit da-
zwischen wird dafür verwendet, mit den betroffenen
Verbänden und selbstverständlich auch mit dem Parla-
ment zu sprechen.
Herr Dr. Miersch, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie werden in der nächsten Sit-
zungswoche Gelegenheit haben, unsere Position in Fra-
gen der erneuerbaren Energien sehr deutlich zu spüren;
denn das, was vorgesehen ist, ist alles andere als zu-
kunftsweisend.
Ich frage Sie noch einmal nach Ihrer Auffassung, die
Sie zum Atomkonsens haben: Ist es nach Ihrer Meinung
überhaupt möglich, dass eine Partei, eine Regierung oder
das Parlament einen rechtsverbindlichen Atomausstieg
beschließen kann?
Ka
Herr Kollege, die Rechtsverbindlichkeit entsteht dann
– das habe ich jetzt mehrfach erläutert –, wenn sich eine
gesetzliche Änderung ergibt. Wir werden so arbeiten,
dass wir Veränderungen oder Weiterentwicklungen im
Energiesektor gesetzlich absichern. Die Instrumente
kennen Sie. Das werden wir weiter tun.
Herr Becker, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben auf die Frage
des Kollegen Kaczmarek bezüglich der Gespräche über
die Verlängerung der Laufzeiten darauf verwiesen, dass
diese Frage im Spätherbst im Rahmen des Energiekon-
zeptes beantwortet werde. Heißt das, dass es gegenwär-
tig zwischen der Bundesregierung und der Atomwirtschaft
keine Gespräche über die Verlängerung der Laufzeiten,
über mögliche Rahmenbedingungen etc. gibt?
Ka
Es gibt momentan keine Gespräche; das ist richtig.
Herr Kollege Kelber, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich hatte Sie vorhin informiert,
dass die Bundesrepublik Deutschland verbindliche inter-
nationale Vereinbarungen zum Schutz von Investitionen
eingegangen ist, die übrigens auch der Veränderung von
nationalen Gesetzen eine Grenze zum Schutz getätigter
Investitionen setzen. Haben Sie Rechtsgutachten in Auf-
trag gegeben oder beabsichtigen Sie, Rechtsgutachten in
Auftrag zu geben, die klären, ob bei einer eventuellen
Beendigung des Atomkonsenses und einer Verlängerung
der Laufzeiten Nachteile für Energieerzeuger entstehen,
die keine Atomanlagen betreiben, aber bereits Investitio-
nen getätigt haben, und ob diese die Möglichkeit der
Klage und des Schadensersatzes gegenüber der Bundes-
republik Deutschland haben, und können Sie mir für den
Fall, dass ein solches internes oder externes Rechtsgut-
achten bereits existiert, in Auftrag gegeben wurde oder
in Auftrag gegeben werden soll, verbindlich zusichern,
dass dies dem Deutschen Bundestag zur Überprüfung
der Position der Bundesregierung vorgelegt wird?
Ka
Wenn wir in der Gesetzgebung sind, Herr Kollege
Kelber, werden wir alle anstehenden Fragen und Interes-
sen in diesem Prozess berücksichtigen.
Herr Kollege Dr. Ott.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-rin, ich bin den Kolleginnen und Kollegen von der SPDsehr dankbar, dass sie dieses Thema hier in dieser Breitein das Plenum einbringen. Nach der Art und Weise, wieSie den Komplex des Atomausstieges, der von Rot-Grünverhandelt und vereinbart worden ist, behandeln, scheint
Metadaten/Kopzeile:
3046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Dr. Hermann Ott
(C)
(B)
er ein Super-GAU für die umweltpolitische Handlungs-freiheit insgesamt zu sein.
Hier ist doch im Einvernehmen mit der beteiligten In-dustrie der Weg gewählt worden, eine Vereinbarung zuschließen. Beide Seiten haben gegeben und haben ge-nommen. Nun ist es so, dass der Staat sehr viel gegebenhat, zum Beispiel Möglichkeiten der Rückstellung undsogar eine Art Bestandsgarantie, wenn man das so for-mulieren will, für Atomkraftwerke. Nun aber, da es ei-gentlich darum ginge, die eigenen Verpflichtungen zu er-füllen, ziehen sich die Industrie durch verschiedeneTricks und nun auch das Ministerium, also die Bundes-regierung, aus diesen von einer Vorgängerregierung ge-schlossenen Vereinbarungen zurück. Ich frage Sie des-halb: Wie stellen Sie sich – Kollege Kaczmarek hat diesin seiner Frage angedeutet – eine Vereinbarung vor?Wenn man gesetzliche Maßnahmen vermeiden will, wel-che Handlungsmöglichkeiten hat die Bundesregierungdenn dann noch, eine solche Vereinbarung zu treffen?Muss sie dann nicht ganz rigoros gesetzliche Maßnah-men treffen, ohne in einer Vereinbarung auf die betrof-fene Industrie einzugehen?Ka
Herr Kollege, ich kann keine Frage erkennen. Sie ha-
ben lediglich ein Statement abgegeben.
Ich sage Ihnen ganz klar: Selbstverständlich setzen
wir auf gesetzliche Grundlagen, weil wir Rechtsverbind-
lichkeit sowie klare Richtlinien und Rahmenbedingun-
gen brauchen. Ich bin davon überzeugt, dass eine klare
Gesetzgebung am ehesten zu Rechtsfrieden und Investi-
tionssicherheit führt.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Oliver Kaczmarek
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Ak-
teure im Strommarkt im Vertrauen auf die dauerhafte Umset-
zung des Atomkonsenses Investitionen getätigt haben oder
tätigen wollen, und entwickelt die veränderte Haltung der
Bundesregierung zum Atomkonsens gegebenenfalls Regress-
ansprüche solcher Akteure?
Ka
Herr Kollege, Ihre Frage behandelt erneut – allerdings
in anderer Form – die schon viel zitierte Energieverein-
barung. Ich kann es Ihnen gerne noch einmal verlesen
– ich befürchte, Sie können es bald mitsingen –:
Die Bundesregierung hat die Kernenergievereinbarung
vom 14. Juni 2000 von Anfang an als rechtlich nicht ver-
bindliche politische Vereinbarung eingestuft. Die Um-
setzung der Vereinbarung erfolgte insbesondere durch
eine Änderung des Atomgesetzes. Wie jedes Gesetz
kann auch das Atomgesetz geändert werden. Der verfas-
sungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes be-
trifft unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich
Gesetze mit rückwirkenden Regelungen. Das haben wir an
dieser Stelle – unter anderem beim Thema Stadtwerke –
mehrfach diskutiert.
Sie haben eine Nachfrage?
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe Ihre
Ausführungen vorhin so verstanden, dass Sie nicht be-
streiten, dass Unternehmen aufgrund der veränderten
Grundlagen in der Energiepolitik möglicherweise in
wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnten. Meine
Frage ist: Gibt es innerhalb der Bundesregierung – viel-
leicht auch in anderen Häusern – Überlegungen, Unter-
nehmen, die Investitionsentscheidungen auf dieser
Grundlage getroffen haben und nun in Schwierigkeiten
geraten, zu unterstützen?
Ka
Herr Kollege, es ist häufig so: Durch Gesetzesände-
rungen – als Beispiel nenne ich das vielleicht nicht ganz
so umstrittene Erneuerbare-Energien-Gesetz –,
die wir im Kern als positiv und förderlich empfinden,
können die Gewinnerwartungen der Unternehmen ge-
schmälert oder – bestenfalls – befördert werden. Ich darf
an die vergangene Legislaturperiode erinnern, in der auf
expliziten Wunsch der Sozialdemokraten im Bereich
Biomasseanlagen Entscheidungen getroffen wurden, die
die Betreiber von Biomasseanlagen in eine schwierige
Situation gebracht haben. Wir haben diese Fehlentwick-
lung damals um des Koalitionsfriedens willen mitgetra-
gen, aber jetzt korrigiert. Insofern glaube ich, dass Sie
Krokodilstränen vergießen, wenn Sie sich um einzelne
Unternehmen Sorgen machen.
Noch einmal: Der Gesetzgeber darf nicht ohne weite-
res rückwirkend Änderungen vornehmen. Für zukünf-
tige Entscheidungen gilt das allerdings nicht. Wenn es
Gesetzesänderungen gibt – und die gibt es laufend –,
dann gibt es auch für Investoren immer ein gewisses Ri-
siko.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte.
Wenn ich das richtig sehe, dann stützen sich dieWachstumsprognosen der vier am Atomkonsens betei-ligten Konzerne auf Steigerungsraten durch die Verlän-gerung der Restlaufzeiten der Atomkraftwerke. Wennich das richtig verstehe, dann handelt es sich bei den Un-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3047
Oliver Kaczmarek
(C)
ternehmen, die möglicherweise in Schwierigkeiten gera-ten – wir wissen es noch nicht genau; aber es gibt Anzei-chen –, meist um mittelständische Unternehmen und dasHandwerk. Teilen Sie meine ökonomische Einschät-zung, dass die Gefahr besteht, dass Sie eine Entschei-dung zugunsten von Großkonzernen und zulasten vonmittelständischen Betrieben treffen?Ka
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, einen
klaren Schwerpunkt auf den Ausbau der erneuerbaren
Energien zu legen. Hier handelt es sich ganz klar um
mittelständische Strukturen. Wir werden weiterhin in
den Klimaschutz investieren, unter anderem bei der Ge-
bäudesanierung. Das ist ein klares Votum für die kleinen
und mittelständischen Betriebe. Ich glaube, dass diese
Regierung nicht nur ein sehr ausgewogenes Energiekon-
zept vorlegen wird, sondern auch eine sehr ausgewogene
Haltung zu allen Mitspielern der Energiebranche hat. Es
ist unser erklärtes Ziel – das hat nicht nur Bundesum-
weltminister Röttgen, sondern auch die Kanzlerin mehr-
fach ausgeführt –, die erneuerbaren Energien zielstrebig
auszubauen, damit wir auf mittel- und langfristige Sicht
unsere Energieversorgung mithilfe regenerativer Ener-
gien bewältigen können.
Herr Kollege Kelber, bitte.
Eine ganz kleine Korrektur zu Beginn: Frau Staats-
sekretärin, die von Ihnen gerade erwähnte Entscheidung
aus dem Jahr 2008 zu Biogasanlagen war keineswegs
Ergebnis einer Initiative der sozialdemokratischen Bun-
destagsfraktion, sondern des schwarz-gelb dominierten
Bundesrates. Diese Entscheidung war übrigens richtig
und ist am Ende durch das Bundesverfassungsgericht
unterstützt worden. Sie haben das trotzdem nachträglich
geändert. Das ist zwar Ihr gutes Recht; aber das sollte
man dennoch festhalten.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie nicht zu-
sagen wollen, mit Steuermitteln erstellte Rechtsgutach-
ten der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zur
Verfügung zu stellen. Sie haben diese Aussage gerade
mehrfach in Bezug auf Anlagen zur Stromerzeugung ge-
macht. Weitere Akteure am Strommarkt sind die Netzbe-
treiber, die auf der Basis geltender Gesetze Investitionen
getätigt haben: von der Verteilebene – Überlandnetze –
bis zum Einzelanschluss. Ein weiteres geltendes Gesetz
bezieht sich auf die Stromaufsicht durch die Bundesnetz-
agentur. Sind sie bereit, das diesbezügliche Gesetz so zu
verändern, dass Netzinvestitionen, die aufgrund des
Atomausstiegs getätigt wurden und in Zukunft Stranded
Investments sind, sich also nicht mehr rechnen, weiter
nachträglich auf die Netzentgelte angerechnet werden
können, oder haben auch diese Marktteilnehmer Pech
gehabt?
Ka
Herr Kollege Kelber, im Rahmen des Energiekonzep-
tes werden die Stromnetze eine ganz zentrale Rolle spie-
len. Es ist ja das gemeinsame Ziel – Ihrer Fraktion
ebenso wie unserer Fraktion –, den Bereich der erneuer-
baren Energien auszubauen. Dazu brauchen wir mehr
Leitungen. Wir brauchen einen konsequenten Leitungs-
ausbau, intelligente Netze und Speicher. Über all das
werden wir – inklusive der dazu notwendigen gesetzli-
chen Grundlagen – im Rahmen des Energiekonzeptes
beraten.
Frau Kollegin Dr. Flachsbarth.
Frau Staatssekretärin, haben Sie Kenntnisse darüber,
ob und in welchem Umfang die damalige rot-grüne Bun-
desregierung vor ihrer Vereinbarung mit den Energiever-
sorgern Expertisen bezüglich der volkswirtschaftlichen
und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Ent-
scheidung, die letztendlich in die Gesetzgebung einge-
flossen ist, eingeholt hat, und wissen Sie, ob sie die Aus-
wirkungen bezüglich der CO2-Emissionen Deutschlands
und der Entwicklung der Strompreise, die für den Indus-
triestandort Deutschland von herausragender Bedeutung
sind, überprüft hat?
Ka
Frau Kollegin Flachsbarth, solche Studien sind mir
nicht bekannt.
Bekannt ist lediglich, dass im Vorfeld der Wahlen 1998
der damalige Staatssekretär im hessischen Umwelt-
ministerium, Herr Baake, gemeinsam mit dem nieder-
sächsischen Umweltminister Jüttner Überlegungen zum
gesetzlich geregelten Ausstieg aus der Kernenergienut-
zung angestellt hat, die dann offenbar eingeflossen sind.
Allerdings ist uns nicht bekannt, dass es Studien zu den
volkswirtschaftlichen Folgen eines Kernenergieausstiegs
gegeben hat.
Herr Kollege Becker.
– Das hat sich erledigt.
Dann Frau Kollegin Hendricks.
Frau Staatssekretärin, ich habe die ganze Zeit auf-merksam zugehört. Bisher weiß man von der Bundes-regierung, dass sie gedenkt, das Atomgesetz zu verän-dern und längere Laufzeiten zuzulassen. Wie genau,
Metadaten/Kopzeile:
3048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Dr. Barbara Hendricks
(C)
(B)
weiß man noch nicht. Aus all Ihren Antworten auf dievielen Fragen der Kolleginnen und Kollegen möchte ichvier Worte zitieren, die immer wieder genannt wurden,nämlich: im Rahmen des Energiekonzeptes. Das ist of-fenbar das von dieser Bundesregierung beabsichtigte,noch vorzulegende Energiekonzept. Können Sie für dieBundesregierung eine verbindliche Auskunft darüber ge-ben, wann der Entwurf dieses Energiekonzeptes vorlie-gen wird?Ka
Frau Kollegin Hendricks, ich habe vorhin den Zeit-
plan skizziert. Wir haben uns jetzt über die Rahmenbe-
dingungen verständigt. Der Auftrag an die Gutachter
geht in den nächsten Tagen raus. Ich habe weiterhin er-
läutert, dass wir im zweiten Quartal, im Mai, die Ergeb-
nisse der Studien erwarten. Es ist unser Ziel, auf der
Basis wissenschaftlicher Studien zu politischen Ent-
scheidungen zu kommen. Das scheint mir ein Unter-
schied zur damaligen Verabredung der rot-grünen Bun-
desregierung mit den EVUs zu sein.
Wir sind immer noch beim gleichen Thema und kom-
men zur Frage 33 des Kollegen Ulrich Kelber:
Wie bewertet die Bundesregierung das „Prinzip der Ver-
tragstreue“ beim Atomkonsens im Hinblick auf getätigte bzw.
beabsichtigte Investitionen durch Akteure im Strommarkt?
Ka
Herr Kollege Kelber, ich verbinde meine Antwort auf
die Fragen 33 und 34, die sich beide mit der Energiever-
einbarung befassen.
Dann rufe ich auch die Frage 34 des Abgeordneten
Kelber auf:
Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, dass der ju-
ristische Stellenwert von Kabinettsentscheidungen bzw. Ver-
einbarungen der Bundesregierung mit Folgewirkungen für
Dritte nicht darunter leidet, dass die Inhalte der Vereinbarung
aus dem Jahr 2000 trotz bereits eingetretener Folgewirkungen
für Dritte geändert werden sollen?
Ka
Ich wiederhole mich an dieser Stelle – das ändert
nichts an unserer Rechtsauffassung –: Die Bundesregie-
rung hat die Kernenergievereinbarung von Anfang an als
eine rechtlich nicht verbindliche politische Vereinbarung
im Sinne eines Gentlemen’s Agreement eingestuft. Die
Umsetzung der Vereinbarung erfolgte insbesondere
durch eine Änderung des Atomgesetzes, die 2002 in
Kraft getreten ist. Wie jedes andere Gesetz kann auch
das Atomgesetz geändert werden. Der verfassungsrecht-
liche Grundsatz des Vertrauensschutzes betrifft unter be-
stimmten Voraussetzungen ausschließlich Gesetze mit
rückwirkenden Regelungen.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Vielen Dank für die verbundene Antwort. Der letzte
Teil der zweiten Frage bezieht sich wie die Frage meiner
Kollegin Flachsbarth auf die Folgewirkungen für Dritte.
Frau Kollegin Flachsbarth hat gefragt, ob Ihnen Studien
und Gutachten zu der Frage der positiven oder negativen
Auswirkungen eines Atomausstiegs auf verschiedene
Wirtschaftsbranchen bekannt sind. Sie haben darauf ge-
antwortet, dass Ihnen diese Studien nicht bekannt sind.
Gleichzeitig haben Sie darauf hingewiesen, dass die
Rahmenbedingungen für das Energiekonzept schon er-
stellt sind. Sind Sie bereit, sich in das Archiv des Bun-
desumweltministeriums zu begeben und sich bis zur
nächsten Befragung über die Ergebnisse der damaligen
Studien und Gutachten kundig zu machen, oder halten
Sie das nicht für nötig?
Ka
Herr Kollege Kelber, Frau Kollegin Flachsbarth hat
sich ausdrücklich mit der Zeit nach 1998 befasst.
In der Tat kenne ich solche Studien nicht. Fakt ist aber,
Herr Kelber, dass sich der Strommarkt verändert hat.
Beispielsweise wird im Vergleich zu 1998 sehr viel mehr
regenerative Energie angeboten. Gerade heute hat der
Bundesumweltminister die jüngsten Zahlen veröffent-
licht: Erstmals erreicht der Anteil der erneuerbaren Ener-
gien an der gesamten Stromproduktion 16 Prozent. Der
Anteil von erneuerbarem Strom am Endenergiever-
brauch liegt bei 10 Prozent. All dies sind positive Verän-
derungen.
Worauf die Kollegin Flachsbarth hingewiesen hat,
Herr Kelber, ist, dass die damalige Entscheidung volks-
wirtschaftliche Implikationen hat. Ich habe die Frau Kol-
legin so verstanden, dass sie uns gebeten hat, bei
entsprechenden Entscheidungen volkswirtschaftliche
Implikationen nicht außer Acht zu lassen. Das werden
wir tun, sowohl was die von Ihnen mehrfach zitierten
Stadtwerke als auch die vielen mittelständischen Be-
triebe im Bereich der erneuerbaren Energien betrifft,
aber natürlich auch die großen EVUs mit ihren großen
Investitionen.
Wir sind fast am Ende der Fragestunde. Ich lasse noch
die beiden gemeldeten Zusatzfragen zu. – Zunächst Herr
Kollege Otto.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie angesichts dieserKaskade von Fragen der Kollegen von der SPD meine
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3049
Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
Auffassung als Abgeordneter dieses Hauses, dass es demDemokratieprinzip und damit dem Grundgesetz wider-spräche, wenn eine Bundesregierung, welche auchimmer, dem Bundestag durch Verträge, Absprachen,Gentlemen’s Agreements oder Ähnliches das Rechtnähme, neue Gesetze zu beschließen, und dass auch auf-grund enttäuschter Renditeerwartungen von Investorendem Bundestag nicht die Möglichkeit genommen wer-den darf, neue Gesetze zu beschließen?
– Ich halte sie ein.
Ka
Herr Kollege Otto, ich teile Ihre Auffassung. Das ist
aber offenbar nicht nur die Auffassung dieser Bundes-
regierung, sondern war auch Auffassung vorheriger
Bundesregierungen, die je nach politischer Überzeugung
hier und da Enttäuschungen produziert haben. Ob das
dem einen oder anderen Beteiligten immer recht gewe-
sen ist, vermag ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen.
Wir jedenfalls werden unsere energiepolitisch sehr aus-
gewogenen Konzepte gesetzlich umsetzen.
Das Wort zur letzten Zusatzfrage hat nun der Kollege
Dr. Ott.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin, ich
stelle fest, dass Sie meine vorherige Frage und auch die
mehrfachen Fragen des Kollegen Kelber, die natürlich
nervig sein können
– nachdrücklich nervig –, alle nicht beantwortet haben.
Deshalb möchte ich die Frage noch einmal andersherum
formulieren.
Ich kann für meine Partei, die Grünen, sagen, dass wir
uns nie wieder auf eine solche Form der Regelung ein-
lassen werden, wenn sie so leicht zu ändern ist. Wie wol-
len Sie gegenüber den Beteiligten in der Industrie sicher-
stellen, dass die Investitionssicherheit, die sie brauchen,
in Zukunft gewährleistet ist? Wollen Sie mit Grundge-
setzänderungen arbeiten? Meine Frage lautet: Wenn Sie
dieses Instrument so diskreditieren, wie Sie es hier tun,
was wollen Sie dann eigentlich machen?
Ka
Herr Kollege, zunächst muss ich sagen, dass ich es
schade finde, dass Sie das Recht der Parlamentarier, die
Regierung zu befragen, als nervig bezeichnen.
Ich glaube, es ist für uns alle ein Gewinn, wenn in eine
Debatte eingestiegen wird, wie Sie das ja machen.
Insofern müssten Sie jetzt unter sich ausmachen, ob der
Begriff „nervig“ tatsächlich die Qualität Ihrer Fragen be-
schreibt.
Ich weise dies ausdrücklich zurück.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, Herr Ott,
was gerade vom Kollegen Otto sozusagen abschließend
zu dieser Debatte gesagt wurde. Keiner Regierung und
keinem Parlament wird man jetzt oder in Zukunft das
Recht nehmen können, andere gesetzliche Grundlagen
zu beschließen, die Einfluss auf Investitionen haben
können. Wir beabsichtigen nicht, rückwirkende Rege-
lungen zu treffen, weil für uns der verfassungsrechtliche
Grundsatz des Vertrauensschutzes gilt. Das heißt aber
nicht, dass Rechtslagen für die Zukunft unabänderlich
sind. Wir werden uns mit allen Beteiligten in einen Dia-
log begeben, um einen Weg zu finden, die rechtlichen
Grundlagen so zu ändern, dass wir zukünftig den Ener-
giemix für unser Land gestalten können.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir haben
den zeitlichen Rahmen voll ausgeschöpft.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beant-
wortung der Fragen. Die restlichen Fragen werden
schriftlich beantwortet.1)
Die Fraktion der SPD hat zur Antwort der Bundes-
regierung auf die Frage 1 auf Drucksache 17/1107 eine
Aktuelle Stunde verlangt. Dieses Verlangen entspricht
Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Deshalb
rufe ich nun den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
zur Antwort der Bundesregierung auf die
Frage 1 auf Drucksache 17/1107
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Elke Ferner für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Eigentlich könnte man eine feste Institution daraus
GRÜNEN) und 114 der Abg. Caren Marks werden zu einem späte-ren Zeitpunkt abgedruckt.
Metadaten/Kopzeile:
3050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Elke Ferner
(C)
(B)
machen und sich jede Sitzungswoche – es spielt eigent-lich keine Rolle, ob am Mittwoch, Donnerstag oderFreitag – über die öffentlichen Äußerungen der Koali-tionsparteien bzw. einzelner Mitglieder der Koalitions-parteien unterhalten.
Aber wir können uns hier nicht darüber unterhalten, wasdie Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionenim Bundestag eigentlich vorhaben.
Ich hatte die Hoffnung, dass Herr Söder Manns genugist,
hier von der Bundesratsbank aus seine Position im Bun-destag vorzutragen. Aber offenkundig ist er zurückge-pfiffen worden.
– Nein, ich wollte nicht zur Honorarreform sprechen.Lesen bildet; schauen Sie sich an, was auf der Tagesord-nung steht.
Es geht darum, dass Sie, Herr Lanfermann, den Men-schen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht reinenWein einschenken wollen.
Sie sagen nicht, was passieren soll und mit welchenMehrbelastungen die Menschen zu rechnen haben.
– Nein, bei Ihrer Kopfpauschale, Herr Lanfermann.
Ich kann feststellen, dass die schwarz-gelben Chaos-tage weitergehen. Wenn es nicht eine grobe Beleidigungfür die Familie Hempel wäre, könnte man sagen, dass esbei Ihnen zugeht wie bei Hempels unterm Sofa.
An diesem Wochenende ist deutlich geworden, dassin dieser Koalition zumindest in einem Punkt Einigkeitbesteht, auch zwischen Bayern – sprich: München – undBerlin. Die Einigkeit besteht darin, dass Sie alle der Auf-fassung sind, dass die Arbeitgeberbeiträge dauerhaft ein-gefroren werden sollen. Das hat Konsequenzen; darübermuss man in diesem Haus sprechen können.
– Herr Lanfermann hat gerade gesagt, es habe positiveKonsequenzen. Ich will Ihnen vorrechnen, mit welchenpositiven Konsequenzen die Versicherten in der gesetzli-chen Krankenversicherung rechnen können:
Das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags bedeutet, dasskünftig die Versicherten alle Mehrkosten, die entstehen,tragen müssen: die Mehrkosten aufgrund der demogra-fischen Entwicklung, aufgrund des medizinischenFortschritts, aufgrund der Unfähigkeit dieser Bundes-regierung, im Hinblick auf die Ausgaben auch nur irgend-etwas zu unternehmen,
die Mehrkosten aufgrund der Einlösung der Verspre-chungen von FDP und CDU/CSU an ihre Klientel undaufgrund der Mindereinnahmen infolge der von Ihnengeplanten Ausweitung des Niedriglohnsektors.
All diese Kosten wollen Sie auf dem Rücken der Ver-sicherten abladen.
Der BVA-Präsident hat letzte Woche geschätzt, dassdas Defizit 15 Milliarden Euro betragen wird. Nach demModell Rösler, der Kopfpauschale, hätte dies zur Folge,dass jedes GKV-Mitglied 24 Euro im Monat zusätzlichauf den Tisch des Hauses legen müsste.
Das entspricht 288 Euro im Jahr. Allein dadurch wäreIhre Kindergelderhöhung für Familien mit einem Kindschon verfrühstückt.
Über die Rentner und Rentnerinnen, für die dies de factoeine Rentenkürzung ist, habe ich bis jetzt noch gar nichtgeredet,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3051
Elke Ferner
(C)
(B)
auch nicht über die Studierenden und über die 40 Millio-nen GKV-Versicherten, die ein Einkommen von wenigerals 2 500 Euro haben.Nach dem Modell Söder hätte das Defizit zur Folge,dass der Beitragssatz um 1,5 Prozentpunkte erhöht wer-den müsste; auch diese Beitragssatzerhöhung müsste al-lein von den Versicherten getragen werden. Bei einemMonatseinkommen von 2 000 Euro sind das schlappe30 Euro im Monat, also 360 Euro im Jahr.
Herr Lanfermann, das sind Ihre „Segnungen“, das ist das„Gute“ und „Positive“, das sich aus diesen Vorschlägenergibt. Das wird nicht reichen.Zum Thema „automatischer Sozialausgleich“ kannich Ihnen nur sagen: Es ist völlig ungeklärt, wie er funk-tionieren und woher das Geld kommen soll.
Die Steuern wollen Sie ja nicht erhöhen.
Im Gegenteil, Sie wollen die Steuern sogar senken. Ichsage Ihnen: Sie sind ein Sicherheitsrisiko für unseren So-zialstaat.
Man erkennt auch an den aktuellen Umfrageergebnis-sen: Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Beliebtheitder schwarz-gelben Koalition genauso weit gesunken istwie die Beliebtheit der Kopfpauschale, die übrigensnicht kommen wird.
Ich denke, in diesem Sinne können die Wähler und Wäh-lerinnen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai auch darüberabstimmen, ob sie 360 Euro im Jahr mehr bezahlen wol-len oder nicht.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Kollegin Ferner, erst ärgern Sie sich da-rüber, dass ein bayerischer Staatsminister mehr medialeAufmerksamkeit bekommt als alle Gesundheitspolitikerder SPD zusammen,
und dann stellen Sie Markus Söder in den Mittelpunkteiner Aktuellen Stunde. Ich muss sagen: Dass ich dasnoch einmal erleben durfte! Das ist eine innovative The-rapieform: Markus Söder als Antidepressiva gegen diemangelnde mediale Wahrnehmung der SPD.
Das Thema ist ernst. Es geht um die Zukunft der ge-setzlichen Krankenversicherung.
Wir wissen, dass wir hier vor außerordentlich großenHerausforderungen stehen. Wir wissen auch, dass imkommenden Jahr ein Defizit zu erwarten wäre, wennjetzt nichts getan würde.
Deshalb sind wir miteinander im Gespräch.Wir sagen: Eine Systemumstellung bedarf einergründlichen Beratung.
Sie bedarf einer gründlichen Beratung im Hinblick aufdie Finanzierung, und sie bedarf einer gründlichen Bera-tung im Hinblick auf den Bauplan.
Die zentralen Kriterien, an denen sich der Erfolg desUmbaus des Systems messen lassen muss, sind ein Mehran Gerechtigkeit, ein Abbau der Bürokratie und eineSteigerung der Leistungsfähigkeit.
Das ist seit langem öffentlich bekannt. Hätten Sie daswissen wollen, hätte ein Telefonanruf bei mir genügt.
Ich hätte Ihnen das erklären können. Dafür braucht mankeine Aktuelle Stunde.
Liebe Kollegen von der SPD, „Opposition ist Mist“,das hat vor einiger Zeit ein ehemaliger Parteivorsitzen-
Metadaten/Kopzeile:
3052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Johannes Singhammer
(C)
(B)
der von Ihnen zu Recht festgestellt. Ich kann durchausverstehen, dass es Sie ärgert, nicht in der Regierungs-kommission mitgestalten zu können.
Ich sage Ihnen aber: Das geschieht zu Recht.
Denn mit der Geschwindigkeit, mit der Sie frühere Posi-tionen räumen, sind Sie keine verlässliche Größe mehrin der Gesundheitspolitik.
– Hören Sie einmal zu!
Sie wollen den Sonderbeitrag, den Sie 2003 selbst einge-führt haben, abschaffen.
Sie wollen den Zusatzbeitrag zum Gesundheitsfonds,den Sie 2007 mit uns eingeführt haben, abschaffen.
Sie wollen die Praxisgebühr, die Sie 2003 selbst einge-führt haben, abschaffen und damit die Eigenverantwor-tung der Versicherten schwächen.
Was Sie hier aufführen – Positionen räumen und ständigDrehungen vollführen –,
ist allenfalls ein besonderes Subventionsprogramm füreinen bestimmten Bereich der Pharmaindustrie, nämlichfür den Teil der Pharmaindustrie, der Medikamente ge-gen Gleichgewichtsstörungen herstellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissenja selbst nicht, was gelten soll.
Seit vielen Jahren sprechen Sie davon, dass eine Bürger-versicherung eingeführt werden soll. Wie die Finanzie-rung aussehen und wo die Bemessungsgrenze liegensoll, wollen Sie nicht sagen.
Sagen Sie endlich: Muss der Rentner, muss die Rentne-rin Mieteinnahmen, Sparzinsen oder die kleine Zusatz-rente einbeziehen, wenn der Beitrag berechnet wird? In-sofern ist Ihre Bürgerversicherung der beste Weg zueiner großangelegten Bürgerverunsicherung.Sie haben Staatsminister Söder angesprochen. HerrSöder hat mit seinen Äußerungen einen sensiblen Punktangesprochen, nämlich den des regionalen Ausgleichs.
Eine Reihe von Bundesländern, vor allem im Süden un-seres Landes, leisten einen erheblichen Solidarbeitraginnerhalb der GKV. Wie dieser Solidarausgleich in derrichtigen Balance gehalten werden kann, darüber lohntsich in der Tat eine Debatte.
Zu einer ernsthaften Debatte sind Sie aber nicht bereit.
Sie lamentieren und kritisieren; wir sorgen in dieserKoalition dafür, dass die Krankenkassen leistungsfähigbleiben.
Deshalb haben wir den gesetzlichen Krankenkassen indiesem Jahr einen Solidarbeitrag von 15,7 MilliardenEuro aus der Steuerkasse gegeben – ohne Diskussion,kurzfristig, schnell und entschlossen.
Das ist der Unterschied: Sie lamentieren, wir regieren.Und das ist gut so.
Kathrin Vogler ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Der Volksmund sagt: Wenn zwei sich strei-ten, freut sich der Dritte. Wer ist eigentlich der Dritte,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3053
Kathrin Vogler
(C)
(B)
der sich über den Streit der schwarz-gelben Koalition inSachen Gesundheitspolitik, in Sachen Finanzierung derKrankenkassen freuen kann?Es lohnt sich, näher hinzusehen: Die Bundesregierungplant die schrittweise Einführung einer Kopfpauschale.
Wie hoch diese Kopfpauschale sein wird, das – die Kol-legin Ferner hat das deutlich gemacht – wollen Sie nichtsagen. Alle bisher bekannt gewordenen Modelle bedeu-ten aber, dass die Beiträge vieler Versicherten steigen,außer die Beiträge derjenigen, die ein höheres Einkom-men haben. Wer gut verdient, wird entlastet; die Zechezahlen die weniger gut Betuchten.
Nun schießt die CSU aus Bayern dazwischen. HerrSöder markiert den starken Mann, indem er lautstark ge-gen das Kopfpauschalenmodell kämpft, will aber eineAusweitung der Zusatzbeiträge. Der Kollege Zöller– Mitglied der CSU-Landesgruppe hier im Haus – hältdas Ganze öffentlich für Kasperletheater. Beim Kasper-letheater sollte man sich immer fragen: Wer ist hier ei-gentlich der Kasper,
wer die Gretel und wer der böse Hotzenplotz?
– Das Krokodil nicht zu vergessen.Man wundert sich ja schon, wie die Partner einer Ko-alition, zwischen die nach der Auffassung meines ver-ehrten Kollegen Spahn von der CDU gar kein Blattpasst, in der Öffentlichkeit so laut über eines ihrer strate-gischen Projekte streiten können. Das sind aber nurScheingefechte.
In einem sind Sie sich nämlich alle einig: Die Arbeitge-berbeiträge sollen eingefroren werden, künftige Ausga-bensteigerungen im Gesundheitswesen wollen Sie alleinden Versicherten aufbürden, also den abhängig Beschäf-tigten sowie den Rentnerinnen und Rentnern, die Bei-tragsbemessungsgrenze, mit der die Beiträge von Bes-serverdienenden begrenzt werden, wollen Sie nichtantasten, und auch von einer Anhebung der Versiche-rungspflichtgrenze sind Sie weit entfernt.Wer ist beim CSU-Modell jetzt also der lachendeDritte? Kollege Singhammer hat das gerade ja mit benei-denswerter Offenheit angedeutet: Er möchte sozusagendie regionale Spaltung Deutschlands, also die Spaltungder Versicherten in den unterschiedlichen Bundesländernbzw. Regionen. Das heißt, da, wo die Menschen ärmerund kränker sind, sollen sie künftig mehr bezahlen.
Das ist „bayerische Solidarität“. Da machen wir nichtmit.
Ganz besonders freuen könnten sich aber die Kon-zerne, die private Krankenversicherungen anbieten;denn sie haben Angst vor der Rösler’schen Kopfpau-schale, weil sie fürchten, dass ihnen ihre Kunden weg-laufen, da sie von niedrigeren Beiträgen in die gesetzli-che Krankenversicherung gelockt werden könnten, wenndie Beiträge der Gutverdienenden für die gesetzlicheKrankenversicherung sinken. Wenn man dann weiß,dass die Allianzgruppe, der größte deutsche Versiche-rungskonzern, ihren Sitz in München hat und die CSUjedes Jahr mit großzügigen Spenden versorgt,
dann wird doch klar, dass nicht nur die FDP Klientelpo-litik richtig gut kann.
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auchdie Rolle der SPD. In Nordrhein-Westfalen sammelt siegerade Unterschriften gegen die Kopfpauschale.
Auch das CSU-Modell – das haben wir gerade gehört –stößt bei ihr nicht auf Begeisterung.Lieber Kollege Lauterbach, wo waren Sie denn am31. Januar 2007, als der Gesundheitsausschuss den Ge-sundheitsfonds und damit auch die Zusatzbeiträge be-schlossen hat, die doch die Grundlage für das jetzigeTheater hier bilden?
Sie sind mit Ihrer Kritik an den schwarz-gelben Konzep-ten auch nur bedingt glaubwürdig; denn beinahe alles,was Sie hier und jetzt kritisieren, haben Ihre Bundesre-gierungen auf den Weg gebracht:
den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung, die Zu-satzbeiträge und eine ganze Reihe von Leistungsaus-grenzungen und Zuzahlungen,
Metadaten/Kopzeile:
3054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Kathrin Vogler
(C)
(B)
wie zum Beispiel die Praxisgebühr. Dies führt schonjetzt dazu, dass die Versicherten, die Kranken, die Pa-tientinnen und Patienten die größte Last der Gesund-heitskosten tragen.Wir haben das ja schon gehört: Es ist Wahlkampf imbevölkerungsreichsten Bundesland.
Im Wahlkampf macht sich schon einmal ein Gesund-heitsminister von der CDU zum Sprachrohr für das Ge-jammer der Ärzteschaft, die in Nordrhein-Westfalen an-geblich am Hungertuch nagt. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Mir ist da noch kein wirklich verhungert aus-sehender Doktor begegnet.
Dies tun Sie auch noch – das hat uns der Parlamentari-sche Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium,Daniel Bahr, gerade bestätigt – auf der Basis von bloßenSchätzungen und nicht auf der Basis von Zahlen, Datenund Fakten.Was macht die SPD? Sie spielt in diesem Kasperle-theater das niedliche kleine Gretchen, das ganz unschul-dig und naiv dem schwarzen Hotzenplotz in die Händegefallen ist.
Entschuldigung, aber das nehmen wir Ihnen nicht ab.Auch die Wählerinnen und Wähler in NRW werdenwissen, dass es nur ein wirksames Rezept gegen IhreAmnesie auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik gibt,nämlich eine starke Linke;
denn nur wir werden die Umverteilung von unten nachoben, die Selbstbedienung der Pharmaindustrie und diePrivatisierung des Gesundheitswesens wirksam stoppen.
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Lanfermann
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD hathier ein bisschen Verwirrung hineingebracht. Diese Ak-tuelle Stunde ist aus der Frage 1 der heutigen Frage-stunde entwickelt worden:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hin-sichtlich der Auswirkungen der Honorarreform, dieseit 1. Januar 2009 in Kraft ist, auf die Vergütungniedergelassener Kassenärztinnen und -ärzte …Dazu hat Frau Ferner aber überhaupt nicht gespro-chen. Das ist auch kein Wunder, weil Sie ja alles ver-drängen, was die Gesundheitsministerin Ulla Schmidtauf den Weg gebracht hat.
Sie haben kein Wort darüber verloren, wie viel Verwir-rung sie gestiftet hat, sodass sich kein Mensch mehr aus-kennt und wir erst einmal mühsam nachvollziehen müs-sen und prüfen müssen, was da eigentlich gelaufen istund wie man die gröbsten Fehler beseitigen kann.
Die Kollegin Ferner hat aber Sehnsucht danach, hierjede Woche zu sprechen; das haben wir gehört. Siemöchte das sozusagen zur Institution machen,
wahrscheinlich mit Blick auf die anstehende Landtags-wahl in Nordrhein-Westfalen. Dort wollten Sie mit einerUnterschriftenaktion, mit einer Mischung aus Halbwahr-heiten und Hier-und-da-etwas-Weglassen die Leute ge-gen den „Weltuntergang“ mobilisieren, als den Sie dieKopfpauschale immer bezeichnen. Aber das ist ersicht-lich falsch, weil das niemand will.
Bei Ihrer Unterschriftenaktion haben bisher unter 3 Pro-mille der Wahlberechtigten unterschrieben. Etwas besserdürfen Sie am 9. Mai schon abschneiden.
Allerdings dürften die Hoffnungen begrenzt sein. Sie ha-ben hier ja schon, sozusagen als freudsche Fehlleistung,die Falschmeldung, es gäbe eine Prämie in Höhe von29 Euro, in 23 Euro umgewandelt. Das allerdings, FrauFerner, war Ihr Bundestagswahlergebnis in Prozent – nurdamit das noch einmal gesagt wird.
In dieser Aktuellen Stunde, haben wir gehört, wollenSie den Vorschlag eines bayerischen Ministers diskutie-ren. Aber so aktuell ist dieses Thema nicht; denn seitfünf Monaten ist dieser Vorschlag Vergangenheit und ab-solut erledigt.
Hier im Raum sind mehrere Zeugen, die dabei gewesensind. Der Vorschlag wurde im Oktober vorgelegt. Aberda er vorsieht, den Arbeitnehmerbeitrag einkommensab-hängig auszugestalten, hat er sich erledigt; denn imKoalitionsvertrag ist festgelegt, dass langfristig eine Lö-sung mit einem einkommensunabhängigen Arbeitneh-merbeitrag erzielt werden soll. Darüber berät jetzt in al-ler Ruhe die Regierungskommission.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3055
(C)
(B)
Es kann vielleicht sein, dass sein persönlicher Refe-rent auf dieses A4-Blatt statt „Ablage“ versehentlich„Wiedervorlage Frühlingsanfang“ geschrieben hat. Soist es eben mit der Frühlingssonne wieder aufgetauchtund hat seinen Weg in die Medien gefunden.Aber, meine Damen und Herren, was ist denn der ei-gentliche Anlass für diese wöchentlichen Debatten, nachdenen sich Frau Ferner so sehnt?
Es ist ein Versteckspiel, ein Theaterspiel.
Es ist aber kein Kasperletheater – darauf könnte manleicht kommen –, nein, es ist ein Theaterstück, abgeleitetvon Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Aber hierheißt es: Warten auf Lauterbach.
Am 17. Dezember 2009, meine Damen und Herren,hat Herr Lauterbach von diesem Pult aus Folgendes vor-getragen:Ich komme nun zu den konkreten Vorschlägen derSPD:Wir werden einen konkreten, durchfinanziertenVorschlag für eine Bürgerversicherung machen.Das kündige ich hiermit an.
Das war am 17. Dezember 2009. Am 4. März 2010hat er das wiederholt. Inzwischen sind einige Monatevergangen, und gekommen ist nichts.
Ein Antrag wurde hier vorgelegt, den wir diskutiert ha-ben. Darin stand: Wir wollen eine Bürgerversicherung,und wir fordern die Bundesregierung auf, uns hierfür einKonzept vorzulegen. – Es ist ein einmaliger Fall, dassdie Opposition die Regierung für sich arbeiten lassenwill. Ich habe Sie schon damals in allem Ernst aufgefor-dert, Ihre Hausaufgaben doch bitte schön selber zu ma-chen.
Gestern, meine Damen und Herren, hat die KolleginMattheis auf einer Podiumsdiskussion, die der BDI ver-anstaltet hat, gesprochen. Sie hat sich dazu geäußert,wann wir denn mit diesen Vorschlägen rechnen können.Sie können mich korrigieren, aber ich habe gehört, dassSie von Juni gesprochen haben. Deswegen bitten wir Sieallen Ernstes – es sprechen ja gleich noch Redner aus Ih-rer Fraktion hier am Pult –: Sagen Sie uns doch endlich,wann Sie diese Vorschläge vorlegen wollen, wann Sieden Bürgern sagen wollen, wie viel Prozent ihrer Miet-einkünfte Sie bei Ihrer Bürgerversicherung als zusätzli-chen Beitrag erheben wollen.
Sagen Sie uns, wie viel Prozent von den Zinseinnahmenaller Bürger Sie zur Finanzierung Ihrer Bürgerversiche-rung als zusätzlichen Beitrag erheben wollen.
Geben Sie erst einmal Auskunft vor der Wahl in Nord-rhein-Westfalen, damit alle Menschen auch wissen, wassie zu erwarten haben, wenn Sie dort eine rot-rot-grüneRegierung installieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Birgitt Bender das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Lanfermann, Sie knüpften vorhin an die Frage-stunde an. Wenn die Frage heißt „Welche Erkenntnissehat diese Regierungskoalition über die künftige Gesund-heitspolitik?“, dann muss die Antwort heißen: keine.
Man kann in Ihre Richtung auch anders fragen: ÜbenSie noch, oder regieren Sie schon? Man weiß es wirklichnicht.
Das ist inzwischen wie in einer Daily Soap, wobei manvergisst, dass man nicht vor der Glotze sitzt, sonderndass dies ein Parlament ist und das Geschäft eigentlichRegieren heißen soll. Aber entweder wollen Sie nicht,oder Sie können es nicht.
Die Frage richtet sich insbesondere an die CSU. Ge-wiss, der Unterhaltungswert ist nicht gering. Da hat eseinen adrenalingepeitschten bayerischen Jungmann ausder Nachwuchsklasse, der täglich neue Schlachten ficht,und dann eine Landesgruppe der CSU aus gesetzten älte-
Metadaten/Kopzeile:
3056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Birgitt Bender
(C)
(B)
ren Herren, die sich überlegt, woher sie jetzt ein Beruhi-gungszäpfchen nimmt und wie sie es appliziert.
Das ist alles gut und schön, aber es verdeckt das tie-ferliegende Problem. Das tieferliegende Problem ist,dass eine Partei Teil dieser Regierungskoalition ist, diesich vor allem als bayerische Regionalpartei sieht. Siekämpft für bayerische Sonderinteressen. Was heißt denndas sogenannte Konzept von Söder? Er will die derzeitvon den Versicherten allein zu tragenden 0,9 Prozent-punkte und die Zusatzbeiträge in einen zusätzlich zumüblichen einkommensbezogenen Beitrag von den Versi-cherten zu tragenden Extrabeitrag von 1,5 Prozent um-wandeln.
Auf Deutsch, Herr Kollege Zöller, sind das 2 MilliardenEuro Mehrbelastung für die Versicherten bei eingefrore-nem Arbeitgeberbeitrag.
Damit nicht genug, soll erstens das Geld, das diebayerischen Versicherten zahlen, in Bayern bleiben, undweil es so schön ist, soll es zweitens für Bayern noch ei-nen zusätzlichen Zuschuss aus dem Gesundheitsfondsgeben. Das bedeutet, die Versicherten in Mecklenburg-Vorpommern zahlen etwas extra für die bayerischenÄrztehonorare. Ich gratuliere!
Dabei merkt man, dass es nicht darauf ankommt,wirklich etwas durchzusetzen. Denn das glaubt dochkein Mensch. So blöd sind selbst Sie nicht, wie Sie dortsitzen, dass Sie so etwas machen könnten; es kommtvielmehr auf den Gestus an.
Das ist die bayerische Variante der Soap Opera nachdem Motto „Hauptsache, wir haben es laut genug ge-sagt“. Wie sagte Seehofer mal so schön: Unser Arbeits-platz ist München; unser Kampfplatz ist Berlin. – DieCSU will gar nichts anderes, als vor allem laut sein undmit großem Gestus Politik machen. Da zählt nicht dieFrage, was sie durchgesetzt haben, sondern die Zahl derMedienauftritte.Sie sollten sich fragen, ob die Koalition damit regie-rungsfähig ist. Ich glaube, die Antwort heißt Nein.
Nächster Redner ist der Kollege Jens Spahn für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Kollegin Vogler, das ist kein Scheingefecht,sondern eine Scheindebatte, die wir hier führen.
– Liebe Frau Kollegin Ferner, Sie sind es, die uns jedeWoche durch Ihre Anträge und das, was Sie hier disku-tieren wollen, dazu bringen, dass wir darüber reden, unddann beschweren Sie sich.
Ich weiß nicht, welcher Anlass Sie noch dazu bringenkönnte, Aktuelle Stunden zu beantragen: wenn sichrheinland-pfälzische Minister zum Walfang im Südpazi-fik oder Bremer Senatoren zur Mehrwertsteuer äußern?Das Problem ist, dass Ihnen kein Anlass klein genug ist,um nicht jede Woche die gleiche Debatte mit den glei-chen Überschriften, aber leider mit wenig Substanz zuführen. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen und Kol-legen.
Es ist noch keine Woche her, seit ich schon einmal aufdas Murmeltierphänomen hingewiesen habe. Mankommt sich vor wie in dem Film „Und täglich grüßt dasMurmeltier“: Jede Woche führen wir hier die gleicheDebatte.
Das, was Sie mantraartig wiederholen, wird dadurchnicht richtiger.Unser Ziel ist es wert – zumindest, wenn man diesmöchte und auch ein gewisses Interesse an den Sachfra-gen und daran hat, die Probleme zu lösen und die He-rausforderungen zu bewältigen –,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3057
Jens Spahn
(C)
(B)
darüber auch einmal sachlich zu diskutieren, statt einenPopanz aufzubauen, wie Sie es immer machen.
Der Sozialausgleich bzw. die Finanzierung der sozialenSicherungssysteme und insbesondere der gesetzlichenKrankenversicherung darf nicht ausschließlich auf demRücken der 28 Millionen abhängig Beschäftigten und ih-ren Arbeitgebern ausgetragen werden.
Vielmehr muss es uns gelingen, eine breitere Grundlagefür die Finanzierung, insbesondere für den Sozialaus-gleich zu finden. Deswegen wollen wir einen steuer-finanzierten Sozialausgleich, der alles umfasst.
– Liebe Kollegin Ferner, das ist insofern eine gewisse in-tellektuelle Herausforderung, als das Anliegen spannen-derweise das Gleiche ist. Auch Sie wollen eine breitereBemessungsgrundlage. Wir werden aber – ich glaube,das ist Ihr größeres Problem – in dieser bürgerlichen Ko-alition diesem Ziel wesentlich näher kommen, als Sie esin den letzten Jahren geschafft haben. Das beschäftigtSie.
Die gestrige Podiumsdiskussion ist schon vom Kolle-gen Lanfermann angesprochen worden. Dort haben wirgelernt, dass die SPD seit 2003 ein Bürgerversicherungs-konzept erarbeitet. Bis heute haben Sie es aber nicht ge-schafft, ein solches Konzept vorzulegen.
– Ihre Frau Kollegin Mattheis hat gestern gesagt, seit2003 werde daran gearbeitet und Mitte dieses Jahreskönnten wir vielleicht mit einem Ergebnis rechnen.
– Das hat sie ganz sicher gesagt, und zwar vor vollemSaal.Wenn Sie es von 2003 bis 2010 nicht schaffen, einvernünftiges Konzept zu erarbeiten, dann geben Siedoch der Regierungskommission die paar Wochen, diesie braucht, um ein gemeinsam abgestimmtes Konzeptvorzulegen,
mit dem wir das Ziel – hier sind wir eigentlich gar nichtso weit auseinander – erreichen wollen. Das wäre einegewisse Fairness in der Diskussion.
– Da müssen Sie im Zweifelsfall den Kollegen fragen.Ich weise darauf hin, dass es das Anliegen aller dreidie Koalition tragenden Parteien ist,
tatsächlich eine tragfähige, zukunftsfähige Finanzierungdes Gesundheitswesens zu schaffen. Das eigentlicheProblem ist, dass der demografische Wandel – wir allewerden immer älter; das ist etwas Schönes – und der me-dizinische Fortschritt – man kann heute in der Krebsthe-rapie und der Krebsdiagnose Krankheiten behandeln underkennen, die man vor 20 Jahren nicht behandeln bzw.erkennen konnte –, die das Gesundheitswesen teurer ma-chen und die Ausgaben steigen lassen, nicht automatischzu steigenden Arbeitskosten führen dürfen. Darüber,dass wir hier eine Entkopplung brauchen, herrscht Kon-sens bei allen drei die Koalition tragenden Parteien. Da-rüber sollten Sie sich keine Sorgen machen, liebe FrauKollegin Ferner.
Frau Kollegin Vogler, zu den Ärztehonoraren. Wennmich nicht alles täuscht, kommen Sie genauso wie ichaus dem Münsterland, einer ländlichen Region. Das, waswir bei der letzten Honorarreform gemacht haben, hatinsbesondere darauf gezielt, die Situation der Hausärzteauf dem Land nicht nur in Ostdeutschland, sondern auchin anderen Regionen zu verbessern. Ich finde es daherbemerkenswert, dass Sie das so abtun, wie Sie es geradegetan haben. Das werden wir auch zu Hause kommuni-zieren; darüber machen Sie sich keine Sorgen. Man fragtsich, welche Interessen Sie hier vertreten.
Wenn der nordrhein-westfälische Landesminister da-rauf hinweist, dass NRW aufgrund historischer Zusam-menhänge etwas anders dasteht und für einen gewissenAusgleich kämpft, dann sollten Sie ihn auch und geradein Wahlkampfzeiten unterstützen, anstatt solche Redenhier zu halten.
Auch das werden wir zu Hause kommunizieren. Wo-rüber wir hier diskutieren, ist kein Selbstzweck. Unsgeht es vielmehr um eine vernünftige finanzielle Grund-lage für eine gute, flächendeckende medizinische Ver-sorgung – auch in den ländlichen Regionen, auch imMünsterland –, die die Menschen beim medizinischenFortschritt mitnimmt. Das ist aller Mühen wert.Ich bleibe dabei: Wir sind frohen Mutes an der Arbeit.
Metadaten/Kopzeile:
3058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Jens Spahn
(C)
(B)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl Lauterbach
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zuerst möchte ich dem Kollegen Zöller ganzherzlich danken. Er hat gestern vorgetragen, dass er vonHerrn Söder die Schnauze voll hat.
Ich schließe mich ihm an. Er hatte in der gestrigen Sen-dung, in der ich auf ihn getroffen bin, schon Kreide ge-fressen. Heute ist er gar nicht da. Ich danke Ihnen für dieUnterstützung, Herr Zöller.
Jetzt zu Ihnen, Herr Lanfermann. Was beobachten wirim Moment? Neue Vorschläge von Herrn Söder. HerrSöder gegen Herrn Friedrich.
Herr Friedrich gegen Herrn Zöller.
Bei der FDP: Rösler gegen den Landesminister im Saar-land. Wir haben eine unglaubliche Verwirrung.
– Es ist doch Ihre eigene Verwirrung. Herr Lanfermann,Sie sind doch durch geringere Anlässe verwirrbar.
Denken Sie sich doch in unsere Situation! Uns wirdvon Ihnen jeden Tag eine andere fischige Geschichte,wie es weitergehen soll, aufgetischt. Als einzige Weis-heit hören wir gelegentlich, dass wir alle älter werdenund dass es technischen Fortschritt gibt, was wir geradewieder von Herrn Spahn gelernt haben. Ich bitte Sie!
Wir wollten diese Aktuelle Stunde, weil wir wissen wol-len, wie es de facto weitergehen soll. Anlass ist nichtHerr Söder, sondern das 15-Milliarden-Euro-Defizit, daswir im nächsten Jahr erwarten. Darum geht es.
– Sie belachen dies. Für diese herablassende Art, dasThema herunterzuspielen, bekommen Sie – HerrLanfermann, erinnern Sie sich an meine Worte! – bei derNRW-Wahl die Quittung.
– Nein, wir kennen uns damit nicht aus.Herr Spahn, in Ihre Richtung sage ich: Sie verlangenvon uns regelmäßig, dass wir jetzt ad hoc das Konzeptder Bürgerversicherung, durchgerechnet, vorlegen. HerrSpahn, wovon gehen Sie aus? Gehen Sie von Neuwahlenaus?
Hält diese Regierung nicht durch, sodass wir hier zuzu-liefern haben? Ist es das? Ich sage: Der Klamauk mussein Ende haben.
– Der Klamauk auf Ihrer Seite. Die Späße müssen einEnde haben.15 Milliarden Euro Defizit. Wir hören: 29 Euro solljetzt die kleine Kopfpauschale betragen. Die Leute wer-den verunsichert ohne Ende.
Das ist der Sonderbeitrag, der zu zahlen ist, weil Sie infünf Monaten Regierungszeit nicht einen einzigen kon-kreten Vorschlag, kein einziges Konzept, nichts vorge-legt haben.
Das hat es in der Gesundheitspolitik noch nie gegeben.Die Kosten laufen davon. Es ist kein Ende in Sicht.
– Verunsichernd sind Ihre Vorschläge. Wir machen da-mit nur Wahlkampf, und das ist auch richtig so.
Wir machen Wahlkampf mit Ihrer Inkompetenz. Sie le-gen nichts vor.
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen wird die Schick-salswahl für das solidarische Gesundheitssystem sein.Nur durch diese Wahl ist Ihrer Inkompetenz, Ihrer Zau-derei, Ihrem Versuch, die Arbeitgeber im Hinblick aufdie demografische Alterung zu entlasten, im BundesratEinhalt zu gebieten. Das machen wir zum Thema, ob Ih-nen das gefällt oder nicht, meine sehr verehrten Damenund Herren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3059
Dr. Karl Lauterbach
(C)
(B)
Ich komme zum Abschluss. – Sie wollen – da treffensich Herr Söder und Herr Rösler – die Arbeitgeber beiden Herausforderungen des technischen Fortschritts undder demografischen Entwicklung herausnehmen undentlasten, egal wie. Sie sind im Prinzip die Koalition desSchutzes der Arbeitgeber, mehr nicht. Sie sind sozusa-gen die Arbeitgeberkoalition.
Sie wollen aber von den Arbeitnehmern gewählt wer-den, und das wird Ihnen nicht gelingen. Es geht Ihnennur darum, wie der Arbeitgeber entlastet wird. Soll derSonderbeitrag steigen, wie von Herrn Söder vorgeschla-gen, oder soll die Kopfpauschale kommen? Sie überle-gen sich krampfhaft: Wie gelingt es uns, den Arbeitgeberaus der Verantwortung zu nehmen? In einer Zeit, wozum Teil Hungerlöhne gezahlt werden, wo Sie Mindest-löhne blockieren,
haben Sie in der Gesundheitspolitik nichts anderes vor-zutragen als die Frage, wie der Arbeitgeber entlastetwerden kann.
Kein einziger Vorschlag zur Vorbeugepolitik! Kein ein-ziger Vorschlag zur Qualität! Kein einziger Vorschlagzur Effizienz! Es geht nur darum, die Arbeitgeber zu ent-lasten. Mehr bringt diese schwarz-gelbe Koalition nichtzu Papier, und da ist sie noch zu feige, Ross und Reiterzu nennen, weil sie Angst hat – ich sage: mit Recht –, dieNRW-Wahl zu verlieren.
Zum Abschluss, Frau Präsidentin, Folgendes: DieLage ist die: Nicht nur Herr Zöller hat die Schnauze voll,nicht nur wir haben die Schnauze voll, sondern auch– schauen Sie in die aktuellen Umfragen – der Bürgerhat die Schnauze voll. Das sage ich mit Recht. Das ha-ben wir nicht verdient; das hat der Bürger nicht verdient.Herr Singhammer, wenn Sie meinen, dass wir medialnicht die Aufmerksamkeit haben, die Sie uns gönnen,
kann ich nur sagen: Machen Sie sich keine Sorgen; –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– die Aufmerksamkeit, die Sie haben, haben wir alle-
mal.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Erwin Lotter für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Es war Heiner Geißler, der 1974 zum ers-ten Mal von einer Kostenexplosion im Gesundheitswe-sen gesprochen hat. Weil die Gesundheitskosten ganzeng an die Arbeitskosten geknüpft sind, waren allebisherigen Gesundheitsreformen im Wesentlichen Kos-tendämpfungsgesetze. Diese Kostendämpfungsgesetzehaben im Laufe der Zeit dazu geführt, dass das Gesund-heitssystem immer mehr reguliert wurde und dass dieBürokratie ein Ausmaß angenommen hat, das man wirk-lich nur noch als absurd bezeichnen kann, wenn mansieht, dass zum Beispiel ein Apotheker einen Kostenvor-anschlag erstellen muss, wenn er eine Urinflasche für10 Euro abgeben will, oder dass ich einen eigenen An-trag stellen muss, wenn ich einen Rehaantrag für einenPatienten stellen will.
Dabei wurden die eigentlichen Probleme dieses Ge-sundheitssystems nicht gelöst und die eigentlichen He-rausforderungen nicht angegangen, nämlich die demo-grafische Entwicklung, die Frage, wie der medizinischeFortschritt für alle bezahlbar bleiben kann, und dieFrage, wie die Versorgung mit Haus- und Fachärzten inder Fläche sichergestellt werden kann. Das wird in derZukunft das große Problem und die große Herausforde-rung werden.
Der vorläufig letzte Versuch, das Gesundheitswesenneu zu ordnen, war der Gesundheitsfonds, ein untaugli-ches Instrument, das zu regionalen Verwerfungen undVerwerfungen innerhalb der Facharztgruppen geführthat.
– Natürlich!
– Sprechen Sie doch mit den Kollegen in NRW, FrauFerner! Sprechen Sie mit den Kollegen in Bayern! Spre-chen Sie mit den Hausärzten in Berlin!
Sie werden Ihnen alle das Gleiche sagen. Es hat zu Ver-werfungen geführt.Darüber hinaus ist dieser Gesundheitsfonds absolutunterfinanziert. In diesem Jahr fehlen 8 Milliarden Euro,sodass 3,9 Milliarden Euro Steuermittel zugeschossen
Metadaten/Kopzeile:
3060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Dr. Erwin Lotter
(C)
(B)
werden müssen. Für das nächste Jahr wird ein Defizitvon 6,
wahrscheinlich 11 und, wenn man die ungünstigstenPrognosen zugrunde legt, 16 Milliarden Euro an Steuer-mitteln, die in den Gesundheitsfonds fließen müssen,prognostiziert. Wie sollen die Zahlen dann erst im Jahr2012 aussehen?
So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Es be-steht Handlungsbedarf.
In dieser Situation ist der Vorschlag von CSU-Ge-sundheitsminister Söder eher kontraproduktiv. Er läuftauf ein forsches „Weiter-so!“ hinaus. Es ist eine Fort-schreibung der jetzigen Finanzierung des Gesundheits-wesens mit allen eklatanten Problemen. Der Gesund-heitsfonds soll erhalten bleiben. Eine Entkoppelung derGesundheits- von den Arbeitskosten findet nicht statt.Im Gegenteil, die Versicherten sollen einkommensab-hängige Zusatzbeiträge zahlen, und zwar bis zu1,5 Prozent ihres Einkommens. Das ist ein ungeeignetesKonzept.Es ist auch keinerlei Fortschritt gegenüber der ver-korksten Gesundheitspolitik der Opposition. Es war jadie SPD, die uns maßgeblich den Gesundheitsfonds ein-gebrockt hat.
Es war die SPD-Ministerin Ulla Schmidt, die neun Jahrelang ungerührt Zentralismus und Bürokratie wuchernließ. Es ist auch die SPD, die noch heute mit dem un-tauglichen Konzept der Bürgerversicherung eine lang-fristige Stabilisierung der Finanzen im Gesundheitswe-sen verhindern wollen würde.
Das ist erst recht keine Lösung der drängenden Pro-bleme. Die Gesundheitsprämie ist eindeutig der bessereWeg. Die Arbeitskosten werden von den Gesundheits-kosten – –
– Das legt diese Kommission fest. Ja, das entwickelt dieKommission. Das ist aber allgemein bekannt, FrauFerner.
Die Arbeitskosten werden von den Gesundheitskos-ten weitgehend unabhängig, und das halte ich für enormwichtig, weil damit wirklich Druck aus dem System he-rausgenommen ist. Ein Sozialausgleich für die Schwä-cheren findet im Steuersystem statt, dort, wo er auch hin-gehört. Durch die schrittweise Einführung der Prämiewollen wir verhindern, dass der Bundeshaushalt überfor-dert wird.
Wir werden sehen, Frau Ferner, was die Regierungs-kommission zur Gesundheitsreform empfehlen wird. Eskann nur besser sein als die hilflosen und halbherzigenVorschläge der SPD.
Diese Vorschläge gehen zulasten der Patienten und derHeilberufe. Wir als Freie Demokraten werden sie nichtmittragen.
Nun hat das Wort die Kollegin Dr. Carola Reimann
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Auch ich erinnere mich, dass wir vor wenigenWochen eine Aktuelle Stunde zur schwarz-gelben Ge-sundheitspolitik hatten.
Damals dachte ich, dass das Erscheinungsbild der Regie-rung insbesondere im Bereich der Gesundheitspolitiknicht schlimmer werden kann. Aber ich muss feststellen:Ich habe die Söders, Seehofers, Röslers und Kubickisunterschätzt; sie können noch schlimmer.
Während die CSU keine Gelegenheit auslässt, dieKopfpauschale zu kritisieren, womit sie ja recht hat, lässtMinister Rösler einen Testballon nach dem anderen auf-steigen: Einmal ist es eine Kopfpauschale von 29 Euro,einmal kostet der Sozialausgleich 10 Milliarden Euro imJahr, dann wieder nur 5 Milliarden. Ich nehme an, dem-nächst gibt es einen Vorschlag, dass er gar nichts mehrkostet, weil er einfach gestrichen wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3061
Dr. Carola Reimann
(C)
(B)
Ab und an verkündet dann der Minister via BILD-Zei-tung, dass man bald oder demnächst, auf jeden Fallziemlich schnell und unmittelbar in den nächsten Wo-chen, direkt vor Ostern oder später, etwas zu den Arznei-mitteln vorlegen wolle; aber von der Regierungskom-mission dürfe man erst einmal keine Ergebnisseerwarten.Wer jetzt dachte, dass angesichts dieser Ankündigun-gen nun die große Ruhe und Besonnenheit aufkommt,der kennt die schwarz-gelben Koalitionäre schlecht:Kubicki will auf die CSU einhauen – O-Ton –, bis dieSchwarte kracht, und Herr Söder sorgt gleich einmal amAnfang der Woche dafür, dass Herrn Kubickis Gewalt-fantasien weiter Nahrung finden.
Während sich die Regierungskommission geradenoch vom anstrengenden Fototermin letzte Woche er-holt, prescht Söder mit einem Bayern-Konzept vor. DenGrund dafür liefert er wieder via Presse – O-Ton –, dieFDP-Kopfpauschale sei nicht umsetzbar,
und es sei – ein weiteres Zitat – „falsch, wenn man80 Millionen Deutsche sozusagen zu Versuchskaninchenvon Gesundheitsideologie macht“.
Einen Tag später ist es aber gar kein Bayern-Konzeptmehr, sondern – so Landesgruppenchef Friedrich – nurnoch eine „Ideenskizze“ von Söder. Diese, so beklagtdann der Kollege Straubinger in der Thüringer Allgemei-nen,
hätte besser in der Kommission besprochen werden sol-len. Gemeint ist aber nicht die Regierungskommission,um das eben schnell klarzustellen, sondern die CSU-Ge-sundheitskommission. Die gibt es auch noch, und ihrVorsitzender ist Söder.
– Ja, das stiftet Verwirrung.Heute hören wir von Herrn Singhammer, dass er demSöder-Vorschlag noch zu Teilen zustimmt.
Dieses ganze „Kasperletheater“ – so nennt es ja HerrZöller – könnte ganz amüsant sein, ginge es dabei nichtum die Zukunft der Krankenversicherung von 80 Millio-nen Bürgerinnen und Bürgern, und da hört der Spaßdann doch auf.
Das scheint auch der Patientenbeauftragte der Bundesre-gierung so zu sehen, der eben mit diesem „Kasperlethea-ter“ zitiert wird, ebenso mit den Worten, die hier auchschon gefallen sind, dass er davon „die Schnauze voll“hat.Wenn ein so ruhiger und besonnener Mensch wieKollege Zöller solche Ausdrücke verwendet, was sollendann die Menschen, die Millionen von Versicherten den-ken? Ich bin mir sicher – das sind nicht meine Worte; ichbleibe bei den Worten von Herrn Zöller –, dass sie eben-falls die Schnauze voll haben: von den immer neuen An-kündigungen und von endlosen Debatten in immerschrilleren Tönen, bei denen am Ende nichts, aber auchgar nichts herauskommt.
Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Beenden Sie diesesKopfpauschalenchaos und kümmern Sie sich endlich umdie wirklichen Probleme und Herausforderungen im Ge-sundheitswesen, statt sich krampfhaft aus Angst vor Ge-sichtsverlust an Ihrer Kopfpauschalenideologie festzu-klammern. Schon jetzt ist der Schaden groß, den dieseKopfpauschalendebatte angerichtet hat. Sie verunsichertdie Versicherten und raubt den Verantwortlichen dieZeit, sich wirklich um die drängenden Fragen zu küm-mern.
Zu zentralen Aufgabenfeldern der Gesundheitspolitikhören wir nichts, weil die schwarz-gelben Entschei-dungsträger mit sich selbst und mit der Kopfpauschalebeschäftigt sind.
Ein Konzept zur drängenden Frage der Gesundheitsver-sorgung auf dem Land? – Fehlanzeige. Ideen zur Stär-kung der Prävention, die laut Ihrem Koalitionsvertragein Schwerpunkt sein sollte? – Fehlanzeige. Ich kann dieListe problemlos weiter fortsetzen: Krankenhäuser, Dro-gen- und Suchtpolitik, Patientenrechte, Pflege? – Fehl-anzeige. Weiterentwicklung der Honorarreform? Das ha-ben wir heute erlebt: Fehlanzeige. Bei den Arzneimittelnreden wir schon seit Ende letzten Jahres über den Hand-lungsbedarf, und noch immer haben wir aus dem Minis-terium kein Konzept vorgelegt bekommen. Ihre Debat-ten lähmen die Gesundheitspolitik, und das Schlimmeist: Bei all dem Gezänk merken Sie nicht einmal, dassIhnen das komplett aus dem Ruder läuft.Das Gesundheitssystem wartet nicht, bis Sie mit Ih-rem Kopfpauschalen-Klein-Klein zu Ende sind. Been-den Sie das Kasperletheater und packen Sie die wirkli-chen Probleme an.Danke.
Metadaten/Kopzeile:
3062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
(C)
(B)
Das Wort hat der Kollege Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!In der vergangenen Legislaturperiode hatten wir immer-währende Anträge – in diesem Fall von der Linken-Frak-tion – mit der pauschalen Überschrift „Hartz IV mussweg“.
In dieser Legislaturperiode bekommen wir offensichtlichdie ständige Wiederholung von Anträgen der SPD-Bun-destagsfraktion zur Gesundheitspolitik. Die einzige Än-derung besteht darin, dass einmal der KollegeLauterbach und einmal die Kollegin Ferner eröffnet. DerInhalt ist letztendlich Inhaltslosigkeit bei der SPD.
So haben wir damit auch diese Debatte zu bestreiten.Es wäre gelegentlich für die SPD sicherlich besser ange-legte Zeit, mehr über ihr schon lange angekündigtes Ge-sundheitskonzept nachzudenken. Wenn viele immer sa-gen, als Regierung und die sie tragenden Fraktionenseien wir in der Bringschuld, dann mag ich dem zwar zu-stimmen; nur bin ich überzeugt, dass die Wählerinnenund Wähler in Nordrhein-Westfalen auch auf die Ergeb-nisse der Kommission von der SPD und auf ihre Vor-schläge gespannt sind.
Aber sie werden wohlweislich verschwiegen. In der ver-gangenen gesundheitspolitischen Debatte hat auf einediesbezügliche Anfrage des Kollegen Lanfermann dieKollegin die entsprechende Antwort missen lassen. Siehat nur dargelegt: Kommt Zeit, kommt Rat. Das erinnertmich an ein anderes Sprichwort – –
– Wenn es Zeit ist, haben Sie gesagt, Frau KolleginFerner.
Das zeigt aber sehr deutlich, dass Sie ideenlos und kon-zeptlos sind.
Das wird auch heute wieder zutage gefördert.
Die CSU steht und stand in der Vergangenheit für So-lidarität in der Krankenversicherung. Besonders wir, dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion, Frau Kollegin Vogler,haben diese Solidarität den Bürgerinnen und Bürgern inden neuen Bundesländern zuteil werden lassen, nämlichbei der Wiedervereinigung, damit auch die Bürgerinnenund Bürger in den neuen Bundesländern an einem mo-dernen medizinischen Versorgungswesen teilhaben kön-nen
und nicht in einem Gesundheitssystem leben müssen, indem letztendlich die Funktionäre auf Westarzneimittelzurückgreifen konnten, während die anderen die Gelack-meierten waren.
Deshalb wird sich die CSU auch zukünftig nicht in Soli-darität und solidarischer Finanzierung des Gesundheits-systems übertreffen lassen.
Aber wenn heute hier angeführt worden ist, dass dieAbkopplung von Lohn und Gehalt angeblich sehrschlimm sei, so muss man eben darstellen, dass es auchum den Erhalt der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfä-higkeit unserer Wirtschaft geht. Deshalb gibt es, HerrKollege Lauterbach, keinen Dissens zu den Arbeitgebe-rinnen und Arbeitgebern in unserem Land.
Wir sind darauf angewiesen, viele qualifizierte Arbeits-plätze in unserem Land zu haben, damit die hochwertigemedizinische Versorgung der Menschen überhaupt gesi-chert werden kann.
Sie wollen in diesem Haus künstlich einen Gegensatzaufbauen.
Damit wollen Sie kundtun, dass die Solidarität nichtmehr gegeben ist. Dass wir über 15 Milliarden EuroSteuermittel in das Gesundheitssystem geben, zeigt dieSolidarität der Besserverdienenden in unserem Land mitden anderen Bürgerinnen und Bürgern.
Daher akzeptiere ich solche Konstrukte, die Sie hier dar-zulegen versuchen, in keiner Weise.Es geht natürlich um die Frage: Wie können wir daszukünftige Gesundheitssystem solidarisch, aber auch zu-kunftsfest finanzieren? Das ist eine spannende Frage, diedie Regierungskommission mit dem Bundesgesundheits-minister Philipp Rösler an der Spitze beantworten muss.Die CSU ist an dieser Kommission mit Ilse Aigner an
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3063
Max Straubinger
(C)
(B)
der Spitze beteiligt. Meines Erachtens ist es wichtig, erstdie Ergebnisse abzuwarten und dann darüber zu reden.
Letztendlich geht es darum.Ich sage aber auch: Manche Dinge sind in der Theorieleichter zu formulieren, als in der Praxis umzusetzen.
Das mag für ein prämiengestütztes System genauso gel-ten. Vor allen Dingen sollte man nicht die Hoffnung he-gen, dass dadurch eine Verbilligung des Systems erreichtwird.
Wir wissen auch, dass in der Schweiz, wo es seit13 Jahren ein Prämiensystem gibt, die Kosten genauso,vielleicht sogar stärker gestiegen sind als in unseremLand.Wir setzen auf Kostendämpfung. Wir setzen darauf,dass bei den Arzneimitteln eine Kostenreduzierung ein-tritt.
Hier werden Vorschläge vom Bundesgesundheitsminis-ter, von der CDU/CSU-Fraktion und von der FDP-Frak-tion gemeinsam in den Deutschen Bundestag einge-bracht.
Sie können die Beratung dieser Vorschläge begleiten.Wir laden Sie dazu herzlich ein.
Sie sollten konstruktive Vorschläge machen und nichtPolemik mit Blick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen betreiben. Ihr Anliegen ist, die Bürgerinnenund Bürger vor der nordrhein-westfälischen Landtags-wahl zu verunsichern. Sie glauben, so die Zustimmungder Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.
Ich bin überzeugt, da erliegen Sie einer Fehlkalkula-tion.
Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Hilde
Mattheis.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Hier wird versucht, mit Lautstärke und mit Ankündigun-gen
eine Verteidigungslinie aufzubauen, die spätestens mor-gen von Ihren eigenen Leuten wieder eingerissen wird.
Denn Herr Söder und Herr Seehofer werden sich mit Si-cherheit nicht an das, was Sie hier appellativ von sichgegeben haben, halten, sondern sie werden weiterhinüber die Presse, wie sie es seit Montag getan haben, ihreeigenen Forderungen stellen.Sie konnten sich noch nicht einmal auf eine gemein-same Gesundheitskommission einigen.
Da muss jemand in München und da muss jemand inBerlin tagen.
– Augenblick, Herr Straubinger. – Sie werden mit Si-cherheit in den Medien weiterhin Ihre Kämpfe austragenzulasten der Seriosität unserer Politik.
Das Ansehen der Politik wird durch Ihr Handeln deut-lich geschädigt.
Denn die Regierung ist nicht in der Lage, eine einheitli-che Sprache zu finden und einen Diskussionsprozess zugestalten. Vielmehr werden über die Medien Punkte ge-setzt und Hahnenkämpfe ausgetragen und nichts ande-res. Die bisherigen Konzepte, die Sie versucht habenvorzulegen, sollen eines vertuschen: Es sind zwei Va-rianten einer völlig ungerechten und unsolidarischen Lö-sung.
Denn es geht Ihnen darum, dieses System, das von vie-len international bewundert wird, zu zerschießen. Siewollen schlicht und ergreifend
die Solidarität in diesem Land für dieses Versicherungs-system auflösen.
Metadaten/Kopzeile:
3064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Hilde Mattheis
(C)
(B)
Was ist das denn anderes, wenn Sie Arbeitgeberbei-träge einfrieren wollen,
wenn Sie entweder über eine Kopfpauschale die Kosten-steigerungen auffangen wollen oder in der zweiten Va-riante – der von Herrn Söder – darangehen wollen,neben diesem Bundeseinheitssatz einen speziellen Ein-heitsbeitrag einkommensabhängig einzuführen? Es istnichts anderes, als die Solidarität der Gesunden mit denKranken sowie der Reichen mit den Armen in diesemLand aufzubrechen.
Diese Solidarität ist international zum Vorbild genom-men worden. Jenseits des Teiches hat man gegen Lob-bytruppen erkämpft,
dass es endlich ein Gesundheitssystem für alle gibt. Manhat dazu bei uns in Europa, in Deutschland Anleihe ge-nommen.Sie machen das genau Umgekehrte: Sie zerschießendas, was sich andere zum Vorbild genommen haben. Ichglaube, dass die Bevölkerung dies erkennt, egal ob derEinzelne der FDP oder der CDU/CSU zugeneigt ist.
Die Frage der Gerechtigkeit ist der Mehrheit der Bevöl-kerung ein wichtiges Anliegen, egal welcher Partei derEinzelne zuneigt.Deshalb müssen Sie sich genau überlegen, welcheKonzepte Sie vorlegen –
wenn Sie überhaupt eines vorlegen – und ob Sie Ihre in-nerparteilichen und innerfraktionellen Kämpfe in dieserArt und Weise in aller Öffentlichkeit darstellen.
Ich rate Ihnen: Kommen Sie endlich aus Ihrer Startphaseheraus; denn sogar der Präsident des CDU-Wirtschafts-rates hat heute Morgen im Morgenmagazin gesagt: DieseRegierung ist enttäuschend.
Sie sind nicht aus der Startphase herausgekommen. Ichfinde das erstaunlich. Die Enttäuschung hat zwei Farben:schwarz und gelb.
Sie sollten sich Ihrer Verantwortung als Regierungsfrak-tionen sehr wohl bewusst sein.
Vorhin in der Fragestunde haben wir über die Atom-politik gesprochen.
Da haben Sie sich noch nicht einmal an Ihre Koalitions-vereinbarung erinnert. Das Gleiche passiert jetzt bei derGesundheitspolitik. Sie erinnern sich neben all den An-kündigungen noch nicht einmal daran, was Sie im No-vember miteinander vereinbart haben.
Ich glaube, dass die Bevölkerung ein Anrecht auf Ver-lässlichkeit in der Politik hat, zumindest darauf. Nochnicht einmal das bieten Sie.Von daher: Nehmen Sie Vernunft an,
und versuchen Sie zumindest, den Zwist, den Sie jetzt inder Öffentlichkeit austragen, an einen runden Tisch zubringen. Glauben Sie mir, die Bevölkerung will ein an-deres Konzept als das der Kopfpauschale.
Sie will ein anderes Konzept als diesen zusätzlichen pro-zentual abgeleiteten Beitrag des Herrn Söder.
Frau Kollegin, ich muss Sie auf die Redezeit auf-
merksam machen.
Sie will eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen
und in der alle Einkommensarten zur Beitragsbemessung
herangezogen werden. Ich glaube, die Zukunftsaufgabe
dieses Parlaments ist es, für diese Solidarität zu sorgen.
Danke.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Eigentlich bin ich bisher davon ausgegangen,dass eine Aktuelle Stunde etwas mit aktuellen Themenzu tun hat.
Bisher habe ich von Ihnen nur das gehört, was wir im-mer von Ihnen hören. Sie wollen Verwirrung stiften. Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010 3065
Lothar Riebsamen
(C)
(B)
verwenden den Begriff Kopfpauschale in Verbindungmit der angeblichen Abkehr von der Solidarität. Das istnicht aktuell, sondern das sind Themen von gestern.
Das Einzige, was aktuell ist, ist die Tatsache, dass dieGesundheitspolitik bei uns in guten Händen ist und inguten Händen bleibt.
In Wahrheit geht es Ihnen um etwas ganz anderes. Esgeht Ihnen darum, Ängste zu schüren, indem Sie mit Be-grifflichkeiten wie Kopfpauschale jonglieren.
Sie errichten einen Popanz. Sie machen einen Wirbel umdieses Thema. Sie brauchen diesen Wirbel, um von Ihreneigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.
Das ist keine Aktuelle Stunde, das ist ein durchschauba-res Manöver.
Das einzig Gute an dieser Debatte ist, dass wir Gelegen-heit haben, das eine oder andere mit großer Geduld undin kleinen Schritten geradezurücken, und zwar so lange,bis es jeder von Ihnen – jeder von Garmisch bis Flens-burg – verstanden hat.
Ich will einige wichtige Punkte anführen:Der Begriff Kopfpauschale ist falsch.
Wir reden nicht von einer Kopfpauschale. Auch die Be-hauptung, wir verließen das Solidarsystem, ist falsch.Die Vorstellung, die bisherige sogenannte solidarischeFinanzierung sei rein solidarisch gewesen, ist erst rechtfalsch.
Bitte wachen Sie auf, und erkennen Sie endlich denErnst der Lage.Eine Kopfpauschale steht nicht zur Debatte. EineKopfpauschale würde bedeuten, dass jeder – vom Kindbis zum Greis – den gleichen Beitrag in dieses Systemeinzahlen muss. Das wollen wir nicht. Das will niemand.
Stattdessen wollen wir einen über die Progression imSteuersystem finanzierten effizienten und gerechten So-zialausgleich.
Sie sollten den Menschen keinen Sand in die Augenstreuen und nicht Begriffe verdrehen.
Es wäre viel vernünftiger, Sie würden Ihre Energie ineine sachliche Debatte investieren;
aber Sie haben selber kein Konzept. Wir werden unsnicht davon abhalten lassen, das Richtige zu tun.
Besonders tragisch ist, dass immer wieder der Ein-druck erweckt wird, als sei bereits die jetzige Finanzie-rung der gesetzlichen Krankenversicherung rein solida-risch.
Sie wissen ganz genau, dass es aufgrund der mehr oderweniger willkürlich gewählten Beitragsbemessungs-grenze eine Tatsache ist, dass ein Angestellter, dessenGehalt nahe an der Beitragsbemessungsgrenze liegt, un-ter Umständen seinen Chef, der doppelt so viel verdient,und seine Familienversicherung subventionieren muss.Das ist eine Tatsache. Genau das wollen wir verbessern.
Weiterhin geht es darum, die steigenden Lohnneben-kosten zu senken.
Es geht nicht darum – wie es bei Ihnen immer anklingt –,die Arbeitgeber zu entlasten.
Wir wollen nicht die Arbeitgeber entlasten, sondern dieLohnnebenkosten senken,
um gerade in Zeiten der Krise – aus der wir uns wiederherauszukommen bemühen müssen – Arbeitsplätze zusichern.
Das Fazit ist: An wirklichen Reformen kommen wirnicht vorbei. Es gibt kein bloßes Weiter-so. Diesen Ein-druck erwecken Sie bei den Menschen, und das ist nichtrichtig. Wir stehen vor enormen Herausforderungen. Daswissen wir als Koalition, und das wissen wir auch inner-halb der Union. Aber Sie sind nicht an Lösungen interes-
Metadaten/Kopzeile:
3066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. März 2010
Lothar Riebsamen
(C)
(B)
siert, sondern Sie haben Freude daran – man könnte auchmeinen, Schadenfreude –, dass es ein durchaus steinigerWeg ist, auf den wir uns begeben.
Dessen sind wir uns sehr wohl bewusst. Wir gehen dieProbleme an, wir wollen sie lösen, und wir stellen unsden Herausforderungen.
Darum ist die Verantwortung bei uns in weit besserenHänden. Wir wollen ein Gesundheitssystem mit mehrTransparenz für mündige Bürger, die sich mit ihrer Ver-sicherung identifizieren. Identifizieren können sie sichmit ihrer Krankenversicherung aber nur, wenn sie sieauch verstehen.
Deswegen brauchen wir dringend mehr Transparenz undweniger Beschäftigungsfeindlichkeit. Dann werden wirletztlich auch ein gerechteres System haben. Dafür ar-beiten wir.
Politik ist die Kunst des Möglichen. Ich bin mir si-cher: Die Regierungskommission wird sogar das ver-meintlich Unmögliche möglich machen.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, 25. März 2010, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
die Sitzung.